Wissenschaft und Leben: Max Webers Antwort auf eine Frage Friedrich Nietzsches 9783666357688, 9783647357683, 3525357680, 9783525357682

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Wissenschaft und Leben: Max Webers Antwort auf eine Frage Friedrich Nietzsches
 9783666357688, 9783647357683, 3525357680, 9783525357682

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka Hans-Peter Ulimann, Hans-Ulrich Wehler

Band 105 Andrea Germer Wissenschaft und Leben

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Wissenschaft und Leben Max Webers Antwort auf eine Frage Friedrich Nietzsches von

Andrea Germer

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Bayerische Staatsbibliothek

München

Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme Germer, Andrea: Wissenschaft und Leben: Max Webers Antwort auf eine Frage Friedrich Nietzsches / von Andrea Germer. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1994 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 105) ISBN 3-525-35768-0 NE: GT © 1994, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. - Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Text & Form, Pohle. Druck und Bindung: Guide-Druck GmbH, Tübingen.

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Inhalt Vorwort I.

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Einleitung

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II. Wissenschaft und Leben bei Friedrich Nietzsche 1.

Ein »Problem mit Hörnern« - Zur Wissenschaftskritik Nietzsches 2. Leben und Erkenntnis 2.1. Das Grundproblem des Nihilismus 2.2. Das Ganze des Lebens und der Wille zur Macht 2.3. Vorstufe einer neuen Moral: Vom »Du sollst« zum »Ich will« 2.4. Erkenntniskritik: Die »wahre Welt« als Fabel 3. Wissenschaft: Gewissenhafter Geist und Weltvernichtung....

20 21 25 25 31 36 41 49

III. Wahlverwandtschaft: Das Verhältnis Weber - Nietzsche

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IV Die »Entzauberung« der Welt

69

V.

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Max Webers »entzauberte« Wissenschaft 1.

Die Wissenschaftslehre 1.1. Die »Wertfreiheit« der Wissenschaft 1.2. Die Möglichkeiten einer empirischen Wissenschaft 1.3. Wirklichkeit und Wertbeziehung 1.4. Das Konzept des Idealtypus 1.5. Die Gleichberechtigung von Wissenschaft und Leben 2. Die problematische Beziehung zum Neukantianismus: Max Weber und Heinrich Rickert

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VI. Die rationalisierte Welt: Freiheit und Zwang 1. Lebensführung und Versachlichung 2. Leben zwischen Gesinnung und Verantwortung

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VII. Die Rolle der Wissenschaft in der rationalisierten Welt

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VIII. Schlußbetrachtung

183

Abkürzungsverzeichnis

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Anmerkungen

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Literaturverzeichnis

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Personenregister

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Sachregister

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Vorwort Der vorliegende Text ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die 1993 von der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Hannover angenommen wurde. Die Arbeit verdankt ihre Existenz einer Reihe von Personen und Institutionen, denen ich hiermit meinen aufrichtigen Dank aussprechen möchte. Er richtet sich zunächst an diejenigen, die mein Bemühen kontinuierlich begleiteten: an meinen Doktorvater, Professor Dr. Otto Gerhard Oexle, der zudem ursprünglich die Beschäftigung mit Max Weber anregte und mir damit einen faszinierenden Themenbereich eröffnete, sowie an Professor Dr. Gert Schäfer, dessen aufmerksamer Kritik die Untersuchung manchen Hinweis verdankt. Professor Dr. Wiebrecht Ries vermittelte mir in seinen Seminaren viele Anregungen zum Thema Friedrich Nietzsche. Im Kampf mit der Technik bei der Erstellung des Manuskripts war mir Hans-Jürgen Glapa eine unentbehrliche Hilfe; Hubert Mainzer, AOR, übernahm die undankbare Aufgabe des Korrekturlesens. Durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums ermöglichte mir die Max-Planck-Gesellschaft eine konzentrierte Arbeit, das Max-PlanckInstitut für Geschichte in Göttingen unterstützte das Unternehmen außerdem durch die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Danken möchte ich schließlich denen, die immer wieder ihr Interesse am Fortgang meiner Tätigkeit bekundeten, vor allem meinem Vater. Besonderen Dank schulde ich jedoch meiner Mutter, deren Unterstützung mir das tägliche Leben wesentlich erleichterte. Ihr sei diese Arbeit gewidmet.

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I. Einleitung Es gehört zu den Grundgedanken der methodologischen Überlegungen Max Webers, daß es immer die Probleme der Gegenwart sind, die die Fragestellung wissenschaftlicher Untersuchungen anregen. Die vorliegende Arbeit stellt ihre thematische Frage vor dem Hintergrund einer seit Jahren und Jahrzehnten auf Grund ihrer umstrittenen Auswirkungen in die Diskussion geratenen Wissenschaft. Von den einen noch immer hoch verehrt, wird sie von den anderen rundheraus abgelehnt und von vielen zumindest als äußerst fragwürdige Angelegenheit betrachtet. Dies regt die Frage nach ihrer Leistungsfähigkeit an, nach ihren Möglichkeiten und Grenzen, also auch die Frage nach ihrer Bedeutung für das praktische Leben und ihrer Beziehung zu diesem überhaupt. Ohne behaupten zu wollen, es handele sich hier um die Wiederholung einer zu früherer Zeit schon einmal gegebenen Situation, bleibt doch festzustellen, daß dieselben Fragen bereits um die Jahrhundertwende auf der Tagesordnung standen, genauer im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts und bis in die dreißiger Jahre des zwanzigsten. Wenn sie heute gestellt werden, so kann dies als Wiederaufnahme einer durch andere Probleme zeitweise überlagerten, aber niemals ad acta gelegten Thematik gelten, die nun wieder in den Vordergrund drängt. Wenngleich der damalige Disput über die Wissenschaft zum größten Teil andere Gründe hatte als der heutige, so drängte doch auch seinerzeit die Frage nach ihren Möglichkeiten und Grenzen auf Beantwortung. Das Problem hat seitdem nichts an Aktualität eingebüßt, im Gegenteil: es ist heute, in einer Welt, die sich in allen Bereichen direkt oder indirekt durch die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit in hohem Maße beeinflußt zeigt, sogar drängender, zumal die Erfahrungen mit der buchstäblichen Lebensbedrohlichkeit mancher ihrer angewandten Ergebnisse und die Befürchtung, es könne noch schlimmer kommen, um 1900 noch vollkommen fehlten. Die Gegenwart sieht vielfältige Alternativbewegungen mit denk- und lebensreformerischen Angeboten entstehen, die sich als Gegenbewegungen zur spezifisch wissenschaftlichen Rationalität darstellen und sich seit Jahren in allen Teilen der Bevölkerung großen Zuspruchs erfreuen. Das Ende der analytischen Denkweise prophezeiend, setzen sie auf ein holisti-

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sches Weltbild und auf ganzheitliche Betrachtungen, auf esoterische Praktiken, auf Mythen und Magie, auf vorwiegend außereuropäische religiöse Inhalte, betonen Gefühl und Intuition und vormoderne Lebensverhältnisse. Damit ist, zugegeben sehr oberflächlich, eine Vielzahl an Angeboten von ganz unterschiedlichem Niveau zusammengefaßt, die häufig in romantischen Motiven wurzeln und nicht selten auf eine »Wiederverzauberung« der Welt hinauslaufen. 1 Auch diese Absage an die Moderne erscheint als Wiederanknüpfung an sehr ähnliche Bestrebungen, die um 1900 begannen. Und wenn in den vergangenen Jahren die Philosophie Friedrich Nietzsches, dessen in faszinierender Sprache formulierte Kritik das zeitgemäße Unbehagen offensichtlich noch immer auszudrücken vermag, zu neuer Aktualität gelangte, so sei darauf hingewiesen, daß die erste große Nietzsche-Rezeption um die Jahrhundertwende einsetzte. Mit der ihm eigenen Sensibilität hatte Nietzsche viele Probleme der Zeit erfaßt und dabei auch in der Wissenschaft ein fragwürdiges Unternehmen gesehen, lange bevor dies zu einer allgemeinen Bewegung wurde, die sich dann in vielfacher Weise von seinen Positionen beeinflussen ließ. Ausdrücklich und wohl als erster formulierte er die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Leben. Seit der Jahrhundertwende war dann das Problem der Beziehung zwischen Vernunft, Geist oder Wissenschaft und Leben auch durch Nietzsche ein Dauerthema, in der von ihm beeinflußten Philosophie und Literatur, etwa bei Hermann Hesse und Thomas Mann, aber auch in der Wissenschaft selbst, und hier in erster Linie in den Geschichts- und Sozialwissenschaften. Ernst Troeltsch und Otto Hintze gehörten zu denen, die dieses Problem aufgriffen, und eben: Max Weber. Nun formuliert die Erkenntnis, daß der Mensch - »von des Gedankens Blässe angekränkelt« - mit dem praktischen Leben nicht immer zurechtkommt, allerdings ein altes dauerhaftes Problem. Doch es wurde erst im neunzehnten Jahrhundert akut, als die institutionalisierte Vernunft in Form der Wissenschaft alle anderen Bereiche zu überwuchern begann, sich zur handlungsleitenden Instanz machte und damit die Führung des Lebens beanspruchte. Daß dies überhaupt möglich war, erklärt sich aus dem raschen Aufstieg der Wissenschaft, der das neunzehnte Jahrhundert ja geradezu als das der Wissenschaft kennzeichnet. 2 Sowohl Ausdruck als auch Bedingung für ihren Erfolg war ihr innerer Strukturwandel zur modernen Wissenschaft, 3 der, von heftigen Kontroversen über den Inhalt und vor allem die Methode wissenschaftlicher Arbeit begleitet, zu einer »Verwissenschaftlichung der Wissenschaft« (Schnädelbach) führte. Diese zeigte sich zunächst in ihrer Verselbständigung gegenüber der Philosophie, deren Modell sie sich nach Hegels Tod 1 8 3 1 , das heißt nach dem Ende der kurzen aber sehr ausge-

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prägten Herrschaft des Deutschen Idealismus endgültig entzog. Unverzichtbares Kriterium der Wissenschaft wurde nun die empirische Erfahrung, deren Wissenschaftlichkeit das methodische Verfahren einer sich zunehmend als dynamisches Forschungsgeschehen verstehenden Wissenschaft4 garantierte, die sich durch Sachlichkeit, Entpersönlichung, Spezialisierung und Professionalisierung auswies. Die Durchsetzung des mathematisch-empirischen Ansatzes in den Naturwissenschaften führte zur Expansion der mechanistisch-materialistischen Naturauffassung. Dabei erkannten die meisten der bedeutenden Forscher durchaus die Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis. Für sie galt das »Ignorabimus«, das Emil Du Bois-Reymond im Hinblick auf die letztliche Unbegreiflichkeit von Materie und Kraft einerseits, des menschlichen Bewußtseins andererseits postuliert hatte.5 Ein materialistisches Glaubensbekenntnis aber hatten sie dennoch: wo die universellen Naturgesetze, das induktive Denken und die mechanistischen Erklärungen versagen, beginnt der Agnostizismus, denn es gibt keine anderen Erklärungsmöglichkeiten. Diese Einstellung und ihre großen Erfolge vermittelten den Naturwissenschaftlern eine ausgesprochen hohe Selbsteinschätzung, die sich in dem sprachlichen Pathos widerspiegelt, mit dem sie ihre Arbeit begleiteten. Selbst wenn man zugesteht, daß dies dem Stil der Zeit entspricht, sind Formulierungen wie: das »Evangelium der naturwissenschaftlichen Methode«, »der wahre Tempel für die exakte Naturwissenschaft« oder die Beschwörung der »heiligen Flamme der Wissenschaft«6 doch sehr aussagekräftig. Den Naturwissenschaften schienen kaum Grenzen gesetzt, und so entwickelte die positive Bewertung der Wissenschaft, in der Neuzeit und vor allem im Aufklärungsdenken stets spürbar, die Neigung, sie zur allein maßgeblichen Instanz für Denken und Handeln zu machen, ja steigerte sich zur Wissenschaftsgläubigkeit, welche die Grundlage einer der zentralen Charaktereigenschaften dieser Epoche war: ihres optimistischen Fortschrittsglaubens.7 Wo alles bereitwillig der wissenschaftlichen Kritik ausgesetzt wurde und Wissenschaft sich als Lebensmacht gestaltete, da entstand die Tendenz, sie zu einer Weltanschauung zu machen, das heißt eine bestimmte Position, eine wissenschaftliche Disziplin oder die wissenschaftliche Interpretationsweise als solche auf alle Bereiche auszudehnen, alle Phänomene unter einem Gesichtspunkt zu deuten. Für eine solche Verabsolutierung naturwissenschaftlicher Positionen, ihre weltanschaulich-ideologische Überhöhung und nicht selten zweifelhafte Umdeutung ist der sich ausdrücklich als Weltanschauung auf naturwissenschaftlicher Basis verstehende abwertend so genannte »Vulgärmaterialismus«, dem zufolge buchstäblich alles Mate11 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

rie und mechanistisch zu deuten ist, nur ein besonders populäres und in der zweiten Jahrhunderthälfte außerordentlich weit verbreitetes Beispiel. Der »Monismus« Ernst Haeckels vermittelt eine Ahnung davon, daß diese Bemühungen um weltanschauliche Einheit einen Ersatz für die verlorenen philosophischen Systeme darstellten. Wie ehedem im Deutschen Idealismus finden sich das Wahre, Gute und Schöne in einer großen Theorie vereint, mit dem Unterschied, daß diese nun eine naturwissenschaftliche Basis hat. »Das Wahre, das Gute und das Schöne«, schrieb Haeckel, »das sind die drei hehren Gottheiten, vor denen wir anbetend unser Knie beugen; in ihrer naturgemäßen Vereinigung und gegenseitigen Ergänzung gewinnen wir den reinen Gottesbegriff«.8 Es kann nicht verwundern, daß die naturwissenschaftliche Arbeitsweise auch die Diskussionen um Logik und Methodik bestimmte. Besonders deutlich wird dies in einer der weitreichendsten geistigen Entwicklungen dieser Zeit: dem Positivismus, der als das herrschende Wissenschaftsideal des neunzehnten Jahrhunderts gelten kann. In Frankreich und England entstanden und das Aufklärungsdenken mit seinem Fortschrittsglauben kontinuierlich fortsetzend, gewann die an Methode und Weltbild der Naturwissenschaften orientierte positivistische Richtung des philosophischwissenschaftlichen Denkens seit den vierziger Jahren auch in Deutschland an Einfluß. Nach einer Definition, die das Phänomen festlegt, sucht man allerdings vergeblich, denn es handelte sich beim klassischen Positivismus des neunzehnten Jahrhunderts, und allein der ist hier gemeint, um eine Bewegung, die unterschiedliche Schwerpunkte setzte und fließende Grenzen zu anderen Positionen aufwies. Formulieren lassen sich aber einige Leitgedanken, die in Variationen das Gedankengut des Positivismus bestimmten.9 Im Zentrum stand die konsequente Ablehnung aller Metaphysik und einer jeden Vorstellung vom Transzendenten. Für die menschliche Erkenntnis bedeutet dies den Verzicht auf ein Wissen vom Absoluten und Unbedingten, von einem wie auch immer gedachten einheitlichen, ontologischen Sein. Die spekulative Frage nach ersten Ursachen oder letzten Zwecken, nach einem Warum ist nicht zu beantworten und infolgedessen sinnlos. Erkenntnis richtet sich allein auf das in der Erfahrung Gegebene, eben das Positive. Die diesem Stadium entsprechende Wissenschaft galt als die höchste Erkenntnisform überhaupt, obgleich ihre Ergebnisse stets nur eine bedingte Gültigkeit haben, denn das Erfahrbare ist zwangsläufig stets relativ. Doch die Dinge, die erfahren werden, sind sie selbst; es gibt keine hinter ihnen liegende substantielle Wirklichkeit, auch kein kantisches Ding an sich, und sie sind ebensowenig ganz oder teilweise durch das Bewußtsein konstituiert. Folgerichtig machte der Positivismus die reinen Sinnesdaten als das empirisch Gegebene, die ›Tatsachen‹, zur unhintergehbaren Grund-

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lage der Erkenntnis. Daß er dieser objektivistischen Grundhaltung entsprechend nicht mehr fragte, was ›Tatsachen‹ eigentlich sind, brachte ihm den nicht unberechtigten Vorwurf der Tatsachengläubigkeit ein. Da der Positivismus kein erfahrungsunabhängiges Wissen anerkannte, war eine klassische Erkenntnistheorie wie die Kants als philosophische Begründung der Wissenschaft nicht mehr möglich und auch nicht nötig. Philosophie ergründete die Logik und Methodik der Wissenschaften und blieb damit reine Wissenschaftstheorie. Das naturwissenschaftliche Vorgehen der Zusammenfassung von Beobachtungsdaten zu Gesetzesaussagen, welche die Wirklichkeit immer genauer erfassen sollten, war dabei für den Positivismus das wissenschaftliche schlechthin. Sein Methodenmonismus setzte auch den Geschichts- und Sozialwissenschaften das Ziel, Gesetze zu ermitteln, ausgehend von der Überzeugung, daß auch die kulturellen Phänomene der Naturgesetzlichkeit unterworfen sind. Bei Kenntnis derartiger Gesetze ließen sich aus der Wissenschaft Handlungsanweisungen ableiten. In dieser praktischen Nützlichkeit, die der Idee der ›reinen‹ Wissenschaft widersprach, lag für Auguste Comte, der als der eigentliche Begründer des Positivismus gilt, der Wert aller theoretischen Arbeit: »savoir pour prévoir«, um die Praxis so rational wie möglich zu gestalten. Bacons »Wissen ist Macht« tauchte hier in neuer Form wieder auf. Ihr Methodenmonismus erlaubte es der positivistischen Philosophie darüber hinaus, die Ergebnisse der Einzelwissenschaften zu koordinieren und systematisch zusammenzufassen. Für Herbert Spencers »Synthetische Philosophie« waren diese Integrationsbemühungen das Hauptanliegen. Dahinter stand bereits das sich in der zweiten Jahrhunderthälfte permanent verstärkende Bedürfnis, angesichts der Spezialisierung der Wissenschaft zu einer neuen, ganzheitlichen Konzeption von Welt zu gelangen. Die einheitlichen Deutungen des Positivismus förderten die Bereitschaft, nun die Wissenschaft und die wissenschaftlich orientierte Philosophie in eine Position zu rücken, die über ihre analytische Tätigkeit weit hinausging. Wo Religion und Metaphysik überwunden zu sein schienen, setzte man die sich bereitwillig zur Verfügung stellende Wissenschaft an ihre Stelle, damit diese deren Orientierungsleistungen übernehme. Doch gegen den Naturalismus in der Methode wie gegen die Naturalisierung des Menschenbildes regte sich heftiger Widerstand. Zum ständigen Konkurrenten des naturwissenschaftlichen Weltbildes entwickelte sich im neunzehnten Jahrhundert das geschichtliche Denken, dessen Bedeutung dieser Epoche gleichfalls die Kennzeichnung als Jahrhundert des »Historismus« einbrachte. Dieser schwierige, weil mit mehreren Bedeutungen versehene Begriff reflektiert in seinen unterschiedlichen Definitionen10 die Probleme des geschichtlichen Denkens dieser Zeit. Er wird als Synonym für ›historische Bildung‹ verwendet und taucht mit Bezug auf die mehr oder

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weniger idealistische Geschichtsbetrachtung des vergangenen Jahrhunderts auf. In negativem Gebrauch kennzeichnet er einen Positivismus der Geisteswissenschaften oder bezeichnet den historischen Relativismus, vor allem den Wertrelativismus. Seit Ernst Troeltschs Arbeit »Der Historismus und seine Probleme« findet; sich schließlich die neutrale und grundlegende Definition des Historismus als geistesgeschichtliches Phänomen einer Historisierung des Denkens im gesamten Kulturbereich, die als ein Charakteristikum der Moderne gelten kann. Diese umfassende Historisierung des Denkens seit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts ließ die Geschichte in einem gewissen Rahmen für den kulturellen Bereich zur Leitwissenschaft werden, obwohl sie selbst gerade erst dabei war, sich gegen die idealistische Geschichtsphilosophie als empirische Wissenschaft zu etablieren. 11 Dies führte in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zu heftigen Diskussionen um Möglichkeiten, Wege und Ziele des historischen Erkennens und zu methodologischen Grundsatzdebatten, die vor allem gekennzeichnet waren durch eine Auseinandersetzung mit dem Modell der erfolgreichen Naturwissenschaften. 12 Gegen den Universalitätsanspruch der naturwissenschaftlichen Methode setzte die Geschichte als ihr ureigenstes Ziel zum einen die Erkenntnis des Individuellen, des Einmaligen, zum anderen das Ziel des ›Verstehens‹ der Bedeutung des untersuchten Phänomens, während die Naturwissenschaften nur eine Kausalerklärung anstreben. 13 Doch der zunehmend wissenschaftlich-neutrale Umgang mit der Geschichte forderte ein Verhalten, dem man bald den Vorwurf eines geisteswissenschaftlichen Positivismus machte. Eine Geschichtswissenschaft, die nur noch darstellen will, »wie es eigentlich gewesen« (Ranke), sammelt Fakten um der Fakten willen, ohne nach deren Relevanz zu fragen. Der Vorwurf war vor allem im letzten Viertel des Jahrhunderts nicht unberechtigt, als quellenmäßig gesicherte Tatsachen wichtiger erschienen als Theorien - eine de facto positivistische Praxis, zu der die Ranke-Schule und ihre systematische Quellensammlung nicht unwesentlich beigetragen hatte. Im Zuge der Verwissenschaftlichung schien Geschichte ihren Nutzen für das Leben zu verlieren 14 und nicht mehr zu bieten, als das Bewußtsein vom ständigen Wandel, der nicht nur alle Ereignisse relativiert, sondern auch alle handlungsleitenden Werte, die statt als absolute Normen nur noch als wandelbarer Ausdruck ihrer geschichtlichen Zeit erschienen. Die analytische Arbeit der Wissenschaft zerstörte ehemals Festgefügtes und vernichtete damit Lebensorientierungen. Das Problem des Wertrelativismus stand an zentraler Stelle in der »Krise des Historismus«, ja zeigte sich darüber hinaus zwischen 1870 und 1930 als Kernproblem einer allgemein empfundenen tiefgreifenden Kulturkrise. Mindestens seit Mitte des Jahrhunderts latent vorhanden, begleitete sie unterschwellig den Prozeß der Verwissen-

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schaftlichung und des zunehmenden Fortschrittsglaubens. Seit den siebziger Jahren begann sie, offener zutage zu treten, war um die Jahrhunderwende in allen kulturellen Bereichen präsent und erreichte nach den Schrecken des Ersten Weltkrieges in den unruhigen zwanziger Jahren ihren Höhepunkt. Die Probleme, die sie beschäftigten wurden jedoch auch noch in den dreißiger und vierziger Jahren thematisiert, bis sie nicht gelöst, aber von anderen verdrängt wurden. Die Ursachen der Krise erweisen sich als vielschichtig. Es war zunächst das Bewußtsein, eine Zeitenwende zu erleben, in der bisher fraglos gültige Ordnungen im Leben wie im Denken zerbrachen. Aber die Wurzeln der Krise reichten tiefer, denn im allgemeinen Wandel zeigte etwas Wirkung, das sich in den Jahrhunderten der Neuzeit vorbereitet hatte. Die seit Aristoteles gültige Vorstellung, die Welt sei ein Kosmos, also ein zweckmäßig geordnetes Ganzes, in dem der Mensch seine feste Position hat, war durch die Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaft nach und nach zerstört worden. Durch Kopernikus aus dem Mittelpunkt des Universums verdrängt, durch Darwin seiner Sonderstellung in der Natur beraubt, war die Position des Menschen neu zu definieren, ohne Religion und Metaphysik, in einer Welt, die von den Wissenschaften mit ihrer Betonung des Empirischen als eine Anhäufung sinnloser Vorgänge hinterlassen wurde. Die Krise rief eine Fülle von Reaktionen hervor, gegensätzliche Strömungen, die sich nun zu neuen Weltbildern verdichteten und nicht selten Fluchtbewegungen waren, stets auf der Suche nach dem Sicheren, NichtWandelbaren, dem Relativismus Entzogenen,15 dem Sinnvollen. In dieser Zeit der Extreme hatten Lebensreformer Konjunktur, Untergangspropheten konkurrierten mit Fortschrittsoptimisten, Traditionalisten mit Modernisten. Die Philosophie suchte Lösungen sowohl auf neuen Wegen, griff aber auch verstärkt auf Altbewährtes zurück, wovon vor allem die Wiederbelebung des Idealismus zeugt. Für die einen war noch immer die Wissenschaft die maßgebende Instanz, die anderen verteufelten den ›Positivismus‹, womit nun aber häufig die wissenschaftliche Rationalität als solche gemeint war.16 Dem Wissenschaftsoptimismus trat damit zum Ende des Jahrhunderts ein fundamentaler Wissenschaftspessimismus entgegen; ein Antagonismus, der bis heute seine Wirkung entfaltet, ja als ein Kennzeichen der Moderne angesehen werden kann.17 Im Verein mit der »Krise des Historismus« und den Konsequenzen, die sich aus dem Zusammenbruch des Newtonschen Weltbildes der Physik in Folge der Relativitäts- und der Quantentheorie ergaben, führten diese Angriffe auch die Wissenschaft seit 1890 in eine Sinnkrise, die um 1920 offen ausbrach. Auseinandersetzungen um und in der Wissenschaft, Diskussionen um ihren Sinn, ihre Möglichkeiten und ihre Grenzen kennzeichneten die Situation. Ihre Leistungsfähigkeit stand in Frage und insbeson-

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dere ihre Bedeutung für das praktische Leben. In der Folge rückte das Irrationale und Intuitive in den Mittelpunkt des Interesses. So war seit den neunziger Jahren die wissenschaftliche Rationalität alles andere als unangefochten. Sie wurde in Frage gestellt, eingegrenzt, überwunden, in ›höhere‹, lebensdienliche Prinzipien eingebunden oder schlicht abgelehnt. In der sich steigernden Krisenstimmung zwischen 1900 und 1920 wurden die Arbeiten Nietzsches, bereits zwischen 1870 und 1890 entstanden, als Quelle rettender Ideen wie mißbilligender Kritik gegenüber der an den Pranger gestellten Rationalität entdeckt. Es war dies die Zeit, in der die wichtigsten Arbeiten Webers entstanden. Vergleicht man Nietzsche (1844-1900) und Weber (1864-1920) unter dem Aspekt des Verhältnisses von Wissenschaft und Leben, so zeigen sich zwei völlig verschiedene Wege, mit demselben Problem umzugehen. Den überspannten Angriffen und der letztlichen Flucht aus der unbewältigten Situation steht eine Betrachtung gegenüber, die Nüchternheit und Leidenschaft, Distanz und Nähe zur Sache in einer dem Wissenschaftler angemessenen Weise vereint, die sich dem Problem konsequent stellt. Diese unterschiedlichen Reaktionsweisen, die als paradigmatisch für die damalige Zeit und wohl auch für die heutige verstanden werden können, sind der Grund dafür, Nietzsches Position der Weberschen gegenüberzustellen, dessen Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Leben diese Untersuchung, wie wohl bereits deutlich wurde, für die adäquateren hält. Die Arbeit versteht sich also weniger als weiteren Beitrag zur Klärung der Beziehung Weber-Nietzsche, die in den vergangenen Jahren zum vielbeachteten Thema wurde,18 in dem sich die neue Aktualität Nietzsches mit der eigentümlich »verspäteten Rezeption« des Weberschen Werkes19 verbindet, die etwa Mitte der sechziger Jahre, verstärkt seit den Siebzigern einsetzte. Weber war immer bekannt und anerkannt als politischer wie als wissenschaftlicher Autor, und über die Faszination, die von seiner Persönlichkeit ausging, sind sich die zeitgenössischen Schilderungen einig. Die überragende Bedeutung, die der Wissenschaftler Weber seitdem gewonnen hat, war nicht unbedingt vorauszusehen, wenngleich die Produktion von Sekundärliteratur über sein Werk nie abgerissen ist, und es waren noch heute als bedeutend anzusehende Arbeiten darunter.20 Im großen und ganzen jedoch blieb das Werk des als Klassiker der Soziologie geltenden Weber häufig unverstanden. Dazu mag beigetragen haben, daß er selbst nicht schulbildend gewirkt hat und seine Positionen als eigenständige Größe um so eher von vielen Schulen und Richtungen ›verarbeitet‹ werden konnten. So wurde zum Beispiel auf Grund der Dominanz der amerikanischen Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg Weber lange Zeit vor dem Hintergrund der Interpretation gelesen, die Talcott Parsons ihm zuteil

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werden ließ, der neben anderen auch Weber in sein handlungstheoretisches System des Strukturfunktionalismus einbezog.21 Eine effektive, kritische Auseinandersetzung mit Webers Arbeiten, die sich auf seine Positionen im Kontext ihrer Gegenwart wirklich einläßt, gibt es daher erst in jüngerer Zeit. Dies gilt sowohl für seine materiale Soziologie wie für die Wissenschaftslehre, und es gilt auf seiten der Interpreten für die verschiedenen Fachbereiche, die Weber traditionell für ihre Belange in Anspruch nehmen oder ihn neu für sich entdecken - mit großem Gewinn, denn der Klassiker der Soziologie, der von Haus aus Jurist und Nationalökonom war, was in seinen Schriften zum Ausdruck kommt, hat immer auch historisch gearbeitet. Karl Jaspers sah in ihm, dem Umfang und Inhalt des Weberschen Denkens gemäß, mit einiger Berechtigung stets den Philosophen.22 Dem kommt entgegen, daß in jüngster Zeit, auch durch die Verbindung mit dem Kulturkritiker Nietzsche, die kulturkritischen Aspekte in Webers Arbeiten stärker beachtet werden; sie waren immer bekannt, aber rücken jetzt in den Mittelpunkt. Dies deutet, wie die verspätete Rezeption Webers überhaupt, darauf hin, daß er, wie in seiner Weise auch Nietzsche, offensichtlich über Dinge spricht, die noch immer von großem Interesse sind. Marianne Weber stellte ihrem »Lebensbild« ein Gedicht von Rainer Maria Rilke voran, welches deutlich macht, daß sie Weber am Endpunkt einer Epoche sah.23 Aber dies ist nur eine Seite. Webers heutige Aktualität zeigt, daß sein Werk auch auf die Zukunft vorauswies, und rückblickend betrachtet erweist sich, daß trotz aller Veränderungen an der Oberfläche im Kern seine Zeit die unsere ist. Seine Fragen werden zu einem großen Teil auch heute noch gestellt. So erscheint es durchaus nahehegend, sich auch mit dem Problem des Verhältnisses von Wissenschaft und Leben an Weber zu wenden. Für ihn wie für andere in seiner Zeit war in erster Linie die damalige Krisensituation der Anlaß für wissenschaftstheoretische Überlegungen. Ansonsten hielt er die Beschäftigung mit Methodologie im Prinzip für ebenso bedeutsam wie es anatomische Kenntnisse für das Gehen sind: die Praxis kommt ohne sie aus,24 Dies gilt für normale Zeiten, in denen die wissenschaftliche Arbeit von allen Zweifeln unbelastet ihren Gang geht. Angesichts einer Wissenschaft, die die Lebenswelt weithin im Griff hat, in der Lage ist, die psychische und physische Existenz des Menschen zu bedrohen und daher quasi in eine Dauerkrise geraten ist, scheint dies allerdings kaum noch möglich zu sein. Die Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen der Wissenschaft erhält so einen neuen Stellenwert, da sie immer auch mit der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaft verbunden ist, nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis, von Wissenschaft und Leben. Nun hat die Wissenschaftstheorie in den mehr als siebzig Jahren, die seit

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Webers Tod vergangen sind, eine Fülle an Material vorgelegt, das sich daraufhin befragen ließe. Dennoch bleibt die Rückbesinnung auf Weber sinnvoll und hilfreich, wie diese Arbeit zu zeigen hofft. Webers methodologische Schriften sind charakterisiert durch die Umstände, daß hier ein Fachwissenschaftler auf die eigene Arbeit reflektiert. Er tut dies in Form von Diskussionsbeiträgen in einer Krisensituation, die sich als Übergangszeit darstellt, in der sich Elemente der Tradition mit dem Neuen verbinden. So wäre manches, was Weber anspricht, sicher genauer und systematischer zu untersuchen, das eine oder andere zu ergänzen, vielleicht neu zu formulieren und die zum Teil nicht mehr gebräuchliche Terminologie zur Disposition zu stellen. Doch dessen ungeachtet bietet Weber ein Bild der modernen Wissenschaft, das bei der Klärung grundlegender Sachverhalte der Theorie-Diskussion ausgesprochen hilfreich sein kann. Die Konstellationen zwischen Wissenschaft und Leben sind wohl bei niemandem sonst in so klaren Linien gezeichnet wie bei ihm, und, so darf man behaupten, sie stimmen noch immer. So sei im folgenden versucht, Webers und Nietzsches Positionen nachzuzeichnen. Da die weitgefaßte Thematik, die Webers Werk bietet, und dies gilt insbesondere auch für die Wissenschaftslehre, zu einer Fülle von Literatur zu beinahe jedem Punkt geführt hat, mit einigem Recht als »Gebirge der Weberliteratur« 25 bezeichnet, tut man gut daran, immer wieder Weber selbst zu Wort kommen zu lassen, der sonst hinter diesem Gebirge zu verschwinden droht. Im Hinblick auf Nietzsche stellt sich die Situation durchaus ähnlich dar. Es erweist sich, daß Webers Haltung zur Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Leben in den maßgeblichen Arbeiten, die nach 1900 entstanden, sehr konstant war, so daß der werkgeschichtliche Aspekt weitgehend unberücksichtigt bleiben kann. Dies trifft auch auf Nietzsche zu, abgesehen von der üblichen Phaseneinteilung seiner Arbeiten. Eine darüber hinausgehende entwicklungsgeschichtliche Betrachtung seiner Positionen gegenüber Wissenschaft und Leben bleibt daher in der Regel auch hier unberücksichtigt. Die Darstellung der Beziehung zwischen Wissenschaft und Leben, wie beide sie sehen, ist nur zu verstehen, wenn sie eingebunden wird in die Frage nach der jeweiligen Gegenwartsdiagnose, die bei Nietzsche unter dem Stichwort »Nihilismus« steht, bei Weber unter dem der »Entzauberung« oder »Rationalisierung«, deren Inhalte er in seinen materialen Arbeiten entwickelt. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß beide nicht nur die Beziehung zwischen Wissenschaft und Leben unterschiedlich deuten, sondern sowohl unter ›Wissenschaft‹ als auch unter ›Leben‹ keineswegs dasselbe verstehen. Während Nietzsches Wissenschaftsverständnis sehr pauschal bleibt, ge-

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hen Webers methodologische Arbeiten ins Detail. In seiner Wissenschaftslehre, für die die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Leben grundlegend ist, 26 engt sich dieses Problem zunächst ein, auf das Verhältnis von Wissenschaft und Werturteil, für das wiederum das bekannte Wertfreiheitspostulat den Mittelpunkt bildet. Da Webers Wissenschaftsauffassung immer wieder in durchaus fragwürdiger Weise mit dem Neukantianismus in Verbindung gebracht wird, soll im Anschluß gefragt werden, was es mit dieser Verbindung auf sich hat, und in welcher Denktradition Webers Auffassung eigentlich steht. Webers Überlegungen beziehen sich seiner eigenen Profession gemäß natürlich in erster Linie auf die Geschichts- und Sozialwissenschaften. Daß sie im Hinblick auf das grundlegende Verhältnis von Wissenschaft und Leben aber auch für die Naturwissenschaften gelten, wird spätestens dann einsichtig, wenn nach der Bedeutung der Wissenschaft für das Leben im weiteren Sinne der täglichen Praxis, des wertbezogenen Handelns gefragt wird. Auch dieses ist vor dem Hintergrund des Bildes von der rationalisierten Welt zu sehen, deren Bedingungen das menschliche Tun bestimmen und das Problem seiner ethischen Orientierung aufwerfen, das nach Weber in dem Spannungsverhältnis von Gesinnung und Verantwortung angesiedelt ist. Die abschließende Betrachtung über die Rolle der Wissenschaft in der rationalisierten Welt macht deutlich, daß das ›Problem Wissenschaft‹, folgt man Weber, für die gegenwärtige Zeit eigentlich gelöst ist, sich andere Fragen und Probleme damit aber um so deutlicher abzeichnen.

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II. Wissenschaft und Leben bei Friedrich Nietzsche

Noch einmal auf den schwierigen Umgang mit dem Philosophen Nietzsche hinzuweisen, heißt im Grunde Eulen nach Athen tragen, erscheint aber doch unerläßlich, denn von dem, was man mit dem Blick auf die Tradition unter Philosophie versteht, weicht Nietzsche weitgehend ab. Seine Fragestellung ist eine andere, seine Antworten sind andere. Er scheut jedes System, definiert nicht und verwendet ein und denselben Begriff in verschiedenen Bedeutungs-Nuancen. Er versteckt sich hinter Masken, und seine Worte sind mit Vorsicht zu handhaben, gerade weil er mit ihnen so meisterhaft umgeht. Ein begrifflich klares Erfassen seiner Position ist daher stets nur bedingt möglich, denn welches sind die angemessenen Worte für die Interpretation einer Philosophie, die mit mehr als zwei Jahrtausenden Denktradition bricht? Dabei wirft Nietzsche mehr Fragen auf, als er Antworten gibt, ja es sind die Fragen, die sein Werk zusammenhalten. Vieles keimhaft Angelegte wird nicht entwickelt. Er deutet an, aber er arbeitet nicht aus. Dennoch kann man nicht umhin, mit Franz Overbeck eben darin Nietzsches Größe zu sehen, daß seine Schriften »den Mut zum Problem aufrechterhalten«.1 Dem entspricht, daß sich in seinem Werk ein ambivalentes Denken manifestiert, dessen Ergebnis eine Fülle von kleinen und großen Widersprüchen ist, die wohl auch Hinweise auf die Widersprüchlichkeit einer Zeit im Umbruch darstellen. Dies führte zu den zahlreichen unterschiedlichen Interpretationen, die diese Philosophie erfahren hat; und jede läßt Nietzsches Denken zwangsläufig harmonischer erscheinen, als es tatsächlich ist. Der folgende Versuch, auf relativ engem Raum das grundlegende Beziehungsgeflecht der Wissenschaftskritik Nietzsches zu zeigen, kann dies nur bestätigen. Um so deutlicher werden die großen Linien seines Denkens, die es, bei aller Ambivalenz, auch gibt, denn Nietzsches Werk kennt natürlich Entwicklungen, aber keinen grundsätzlichen Bruch. Vieles, was in den späten Schriften in entwickelter Form vorliegt, ist in den frühen Arbeiten angelegt. Das läßt es gerechtfertigt erscheinen, Nietzsches Werk hier als Einheit zu behandeln und ausgehend von der Spätphilosophie, Verände20 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

rungen nur dann anzusprechen, wenn sie für die Fragestellung, der nun nachzugehen ist, von Bedeutung sind. Was Nietzsche antreibt, ist das Leiden an der eigenen Zeit und an ihren Menschen. Es macht ihn zunächst zum großen Kritiker, der nicht nur mit seiner Gegenwart abrechnet, sondern mit der Moderne überhaupt und schließlich mit mehr als zweitausend Jahren Leben und Denken. Mit einem geradezu »dämonischen Endarvungsdrange«2 analysiert er vermeintliche Selbstverständlichkeiten und weiß dabei sehr wohl, daß er mit seiner »Kritik der Modernität«,3 die seit ihrer Entstehungszeit nicht an Bedeutung verloren hat, zu den »Frühgeburten des kommenden Jahrhunderts« und »einer noch unbewiesenen Zukunft«4 gehört. Und so klingt manches späteren Zeiten, einschließlich der heutigen, vertrauter als seiner eigenen. Dazu gehört nicht zuletzt sein Angriff auf die Wissenschaft.

1. Ein »Problem mit Hörnern« Zur Wissenschaftskritik Nietzsches In der herben Kulturkritik Nietzsches manifestiert sich die Gegenbewegung, die mit ihrer Absage an Fortschrittsglauben und Optimismus dem Stolz und Selbstbewußtsein der Epoche entgegentritt.5 Zwangsläufig muß dabei die so hoch geehrte und mit ihren Erfolgen von sich reden machende Wissenschaft zum Angriffsziel werden, das Nietzsche in wahrhaft unzeitgemäßer Weise durchleuchten wird. Wenn es die Wissenschaft ist, von der er spricht, so kommt darin ein allgemeiner Grundzug seiner Kritik zum Ausdruck, der immer wieder festzustellen sein wird. Er greift die Dinge in ihren grundlegenden Ausprägungen an, die Moral, die Erkenntnis, die Logik usw., das heißt er differenziert wenig, ist insofern ein großer Vereinfacher, trifft aber um so härter, wie seine Kritik an der Wissenschaft zeigt. »Was ich damals zu fassen bekam, etwas Furchtbares und Gefährliches, ein Problem mit Hörnern, ... jedenfalls ein neues Problem: heute würde ich sagen, dass es das Problem der Wissenschaft selbst war - Wissenschaft zum ersten Male als problematisch, als fragwürdig gefasst.«6 So schreibt Friedrich Nietzsche in der »Selbstkritik«, die er 1886 seiner fünfzehn Jahre zuvor verfaßten Schrift »Die Geburt der Tragödie« voranstellt. Und tatsächlich findet sich bereits hier, in der ersten philosophischen Arbeit, die kritische Haltung zur Wissenschaft, die sein gesamtes Werk durchzieht, denn die Auseinandersetzung mit Sokrates, der ihm hier zum »Urbild und Stammvater« des »theoretischen Menschen«7 wird, ist Auftakt

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einer lebenslangen Beschäftigung des Philosophen mit den Anmaßungen der Erkenntnis im allgemeinen, der Wissenschaft im besonderen, deren Problem ihm zufolge nicht auf dem Boden der Wissenschaft erkannt werden kann. 8 Schon an ihrem »Ahnherrn« Sokrates wird ersichtlich, was die Wissenschaft noch immer prägt: der in ihrem tiefsten Wesen verankerte Optimismus, der das Erdenglück aller auf dem Wege des Wissens verheißt. Daher gilt wahre Erkenntnis als gut, Irrtum als übel. 9 Wissen wird zur lebensprägenden Tugend, und weil die Wissenschaft von der »Wahnvorstellung« beherrscht wird, sie könne »an der Hand der Causalität ... das innerste Wesen der Dinge ergründen«, erhebt sie Anspruch auf »universale Geltung und universale Zwecke«, 10 setzt Normen und Sinninhalte und übernimmt die Lebensführung - eine Verkehrung, über die man auch noch triumphiert. 11 Und noch immer existiert die Naturwissenschaft im »Glauben an die Ergründlichkeit der Natur und an die Universalheilkraft des Wissens«, 12 im »Glauben an eine Welt, welche im menschlichen Denken in menschlichen Werthbegriffen ihr Äquivalent und Maass haben soll, an eine ›Welt der Wahrheit‹, der man mit Hülfe unserer viereckigen kleinen Menschenvernunft letztgültig beizukommen vermöchte«. Die Konsequenz daraus ist die Vorstellung, daß »allein eine Welt-Interpretation im Rechte sei« und diese sich mit Hilfe einer Wissenschaft ergründen lasse, die lediglich »Zählen, Rechnen, Wägen, Sehn und Greifen und nichts weiter zulässt«. 13 Dieser Ausdruck eines radikalen Empirismus, diese »Plumpheit und Naivetät«, 14 wirken allerdings »auf ein Zeitalter mit plebejischem Grundgeschmack bezaubernd, überredend, überzeugend«, da sie dem »ewig volksthümlichen Sensualismus« folgen. »Was ist klar, was ›erklärt‹? Erst Das, was sich sehen und tasten lässt, - bis soweit muss man jedes Problem treiben«. 15 Tatsachen aufzufinden ist das Ziel der Wissenschaft. Aber dieses »unterthänige Auf-dem-Bauch-Liegen vor jeder kleinen Thatsache«, die vorgibt, Wirklichkeit zu sein, die »berühmte moderne ›Objektivität‹«, 16 beginnt, zerstörend zu wirken. »Hybris ist heute unsere ganze Stellung zur Natur, ... Hybris ist unsere Stellung zu Gott, will sagen zu irgend einer angeblichen Zweck- und Sittlichkeits-Spinne ...; Hybris ist unsre Stellung zu uns, - denn wir experimentiren mit uns, ... und schlitzen uns vergnügt und neugierig die Seele bei lebendigem Leibe auf: was liegt uns noch am ›Heil‹ der Seele!«17 Nietzsche konstatiert, daß alle Wissenschaft seit Kopernikus den Menschen verkleinert und heute darauf aus ist, ihm »seine bisherige Achtung vor sich auszureden«. 18 Wer könnte noch an seine Würde oder Unersetzlichkeit

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glauben? Und was wird künftig aus dem Menschen, angesichts einer Wissenschaft, deren Gefühlsarmut zur Vivisektion befähigt? 19 Doch ungeachtet solcher Auswirkungen fährt sie fort, Fakten zu sammeln, eine Tätigkeit, die sich längst vom Mittel zum Selbstzweck emanzipiert hat. »Man sehe nur, womit ein wissenschaftlicher Mensch sein Leben todt schlagt«, 20 als gehöre ihm die Ewigkeit. Inmitten von lebensproblematischen Abgründen erglüht seine Seele »bei der Aufgabe, die Staubfäden einer Blume zu zählen«. »Dieses Paradoxon, der wissenschaftliche Mensch, ist nun neuerdings in Deutschland in eine Hast gerathen, als ob die Wissenschaft eine Fabrik sei, und jede Minuten-Versäumnis eine Strafe nach sich ziehe«. 21 Nur allzu deutlich wird dies an der Geschichtswissenschaft, der Nietzsche früh eine eigene Schrift widmet, mit dem Titel: »Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben«, 22 womit er seinen Maßstab zur Beurteilung der Wissenschaft angibt: das Leben. Und von diesem Standpunkt aus wird sie zur fragwürdigen Angelegenheit. Es liegt eine große Gefahr in der »Forderung, dass die Historie Wissenschaft sein soll«, 23 denn als solche stört sie das an sich gesunde Verhältnis zwischen Erinnern und Vergessen auf das nachhaltigste. Das Erinnern ist eine typisch menschliche Eigenschaft. »Jeder Mensch und jedes Volk braucht je nach seinen Zielen, Kräften und Nöthen eine gewisse Kenntniss der Vergangenheit, bald als monumentalische, bald als antiquarische, bald als kritische Historie.« 24 Jede hat ihren Nutzen, und sie gleichen ihre Wirkungen untereinander aus. Die erste führt die Möglichkeit der Größe vor Augen, die zweite bewahrt das Überkommene, die dritte schließlich zerbricht das Vergangene im Interesse von Gegenwart und Zukunft. Sie existieren »zum Zweck des Lebens und also auch unter der Herrschaft und obersten Führung dieses Zweckes«, der das jeweils nützliche Stück Geschichte heranzieht. Geschieht ihre Aneignung in dieser Weise, »regulirt durch den Grad des Bedürfnisses«, dann ist Historie Handlungshilfe. 25 Im Zeichen der Geschichtswissenschaft jedoch bestimmt »der Grad der Sicherheit ... den Werth, nicht der Grad der Unentbehrlichkeit für Menschen«. 26 Es kommt zu sinnloser, nicht zu bewältigender Stoffanhäufung. »Das historische Wissen strömt aus unversieglichen Quellen ..., das Fremde und Zusammenhanglose drängt sich«, ist zudem »im Kampfe mit einander«, wird zu »scheusslichen Klumpen geballt«, weil der Ordnungsaspekt fehlt, und die »unverdaulichen Wissenssteine ... (rumpeln) dann bei Gelegenheit auch ordentlich im Leibe«. 27 Das Wissen, das ohne Bedürfnis aufgenommen wird, führt zu einer übervollen Innenwelt, der kein Außen entspricht; sie wird nicht in Taten verwandelt. Es entsteht eine passive, schwache Persönlichkeit, ein »einsamer Wissender«, der die Handlungsfähigkeit verloren hat, weil er zunächst alles analysieren muß, der nicht mehr agieren, sondern nur noch auf Anregun-

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gen von außen reagieren kann. Geschichte als Wissenschaft verliert den Bezug zur Praxis, denn sie sucht »›die reine, folgenlose‹ Erkenntnis, oder, deutlicher, die Wahrheit, bei der nichts herauskommt«.28 In dieser Atmosphäre gelingt es nur einem »kalten Dämon der Erkenntniss« zu überleben, der sich vom Menschsein verabschiedet, und »wann wäre je aus einem Gelehrten ein wirklicher Mensch geworden«?29 Aber diese Wirkungen kümmern die Wissenschaft nicht. Befangen in dem Aberglauben, »dass das Bild, welches die Dinge in einem ... Menschen zeigen, das empirische Wesen der Dinge wiedergebe«,30 ist sie auf der Jagd nach Tatsachen und macht Geschichte zum schlichten »Additionsexempel«,31 in dem alles gleich wichtig erscheint, solange es nur dem Kriterium empirischer Sicherheit genügt. Auch das kleinste Detail wird akribisch ermittelt, denn »das Kleine soll auch ewig sein, weil es erkennbar ist«.32 Die »gediegene Mittelmässigkeit« fabrikmäßig betriebener Wissenschaft33 beginnt so ihre »historischen Secirübungen«, an deren Ende alles, »was Leben hat, ... aufhört zu leben«, weil es in Erkenntnisphänomene aufgelöst wird.34 Hier wird nichts mehr in seiner tiefen Bedeutung erfaßt und die Geschichte neutralisiert und eingeebnet. Es gibt keine Besonderheiten mehr, weil qualitative Elemente sich einer solchen Betrachtung entziehen. So ist es völlig gleichgültig, womit man sich beschäftigt, solange man nur objektiv bleibt. Alles erscheint gleich, weil die Geschichtswissenschaft die vielen verschiedenen Wertkonzepte als schlichte Tatsachen zeigt, statt sie historisch einzuordnen und zu ihnen Stellung zu nehmen. Nietzsche erkennt, daß der reine Empirismus der Wissenschaft zum Verlust des Wertmaßstabes und schließlich zum Relativismus führt, unterstützt von der Eigenschaft der Historie als »Wissenschaft des universalen Werdens«,35 das Werden und Vergehen schlechthin aller Dinge zu zeigen. So wird der Mensch »zu ewiger Subjectlosigkeit, oder wie man sagt, Objectivität ausgeblasen«.36 Ist ihm aber jede Vergangenheit gleich viel wert, so steht er in eben dieser Haltung in der eigenen Gegenwart. Eine historisch übersättigte Zeit, eine Zeit ohne Maßstab und unfähig zum Urteil, sieht sich schnell als »Spätling und Epigone« und verfällt der »Ironie über sich selbst«, dem »Cynismus«, »durch welchen die Lebenskräfte gelähmt und zuletzt zerstört werden«.37 Aber es gibt auch die entgegengesetzte Wahnvorstellung, daß man sich am Ziel- und Endpunkt, an höchster Stelle eines ungeheueren Welt- und Naturprozesses glaubt.38 Die tödliche Polemik, die Nietzsche in diesem Zusammenhang gegen Eduard von Hartmann entwickelt,39 richtet sich gegen die spekulative Geschichtsphilosophie hegelscher Provenienz, die Nietzsche ebenso verurteilt wie die empirisch-wissenschaftliche Variante historischer Erkenntnis und den auf dieser Basis ruhenden Entwicklungsge-

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danken. Denn für ihn gibt es keinen Weltprozeß; die Geschichte kennt keine Bewegungsgesetze. Welche Vermessenheit, sich an der Spitze einer Entwicklung zu wähnen: »Ueberstolzer Europäer des neunzehnten Jahrhunderts, du rasest!«40 Wie auch immer: »Die Geschichte als reine Wissenschaft gedacht und souverän geworden, wäre eine Art von Lebens-Abschluss und Abrechnung für die Menschheit«, und deshalb gilt: »Nur soweit die Historie dem Leben dient, wollen wir ihr dienen«.41 Nietzsches Kritik an der Geschichte stimmt in ihren grundlegenden Elementen mit seinem Angriff auf die Naturwissenschaft überein. Ihr Wahn, die Wahrheit zu erkennen, der reine Empirismus und die Faktengläubigkeit, Absolutheitsanspruch und Sammelwut und die Konsequenz einer schwachen Persönlichkeit ohne Urteilsfähigkeit führen Nietzsche zu der Schlußfolgerung, daß »der Verkehr mit der Wissenschaft, wenn er durch keine höhere Maxime der Erziehung geleitet und eingeschränkt, sondern, nach dem Grundsatze ›je mehr desto besser‹ nur immer mehr entfesselt wird«,42 eine durchaus gefährliche Angelegenheit ist. Wenn Wissenschaft sogar in der Lage ist, Leben zu vernichten, dann bedarf sie »einer höheren Aufsicht und Überwachung« durch das Leben. Auf die gegen Ende der Historienschrift gestellte Frage: »Soll nun das Leben über das Erkennen, über die Wissenschaft, soll das Erkennen über das Leben herrschen? Welche von beiden Gewalten ist die höhere und entscheidende?«, kann es für Nietzsche daher nur eine Antwort geben: »Niemand wird zweifeln: das Leben ist die höhere, die herrschende Gewalt«.43 Nietzsche wird die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Erkenntnis zum Leben so explizit nicht wieder stellen, aber sie ist eines der dauerhaften Grundprobleme seiner Philosophie, wobei sich an der rigorosen Unterordnung der Erkenntnis unter das Leben nie etwas ändert. Woher rührt diese konsequente Haltung? Worin gründen seine Aussagen und wie gelangt Nietzsche zu der Ansicht, Wissenschaft sei lebensfeindlich? Was sind Wissenschaft und Erkenntnis für ihn, was Leben? Fragen, die sich nur mit einem Blick auf seine gesamte Philosophie beantworten lassen. 2. Leben und Erkenntnis 2 . 1 . Das Grundproblem des Nihilismus Nietzsche hat den Begriff des Nihilismus nicht geprägt. Als der Philosoph ihn aufgreift, hat er bereits eine lange Tradition und ist auch in der Bedeutung, in der Nietzsche ihn verwenden wird, bekannt.44 Aber es ist der Begriff, mit dem seine Philosophie zuallererst identifiziert wird - berech-

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tigterweise, denn was er beinhaltet ist die Grunderfahrung dieser Philosophie und die Voraussetzung ihrer Lehren. Nietzsche verwendet den Begriff erstmals 1880, aber das Krisenbewußtsein, das in der Nihilismusdiagnose zum Ausdruck kommt, das Wissen darum, in einer Zeit der extremen Umbrüche zu leben, ist schon in den Frühschriften spürbar. »Nihilismus« erfaßt den Grundsachverhalt des Zeitalters und bedeutet, »daß die obersten Werthe sich entwerthen«,45 das heißt die metaphysischen Werte, die Ordnung und Sicherheit und eine Antwort auf die Frage nach dem ›Warum‹ garantierten. Die Spuren dieser Entwicklung findet Nietzsche in allen kulturellen Erscheinungen. Niemand wird so radikale Konsequenzen daraus ziehen wie er und sich gleichzeitig der Tragik des Nihilismus nur allzu deutlich bewußt sein. Die Diagnose der Entwertung ist verbunden mit dem so oft zitierten »Gott ist tot«, welches schlagwortartig Nietzsches herbe und wohl etwas einseitige Kritik am Christentum kennzeichnet: er reduziert es auf seine Eigenschaft als Morallehre. Der Tod Gottes als »das grösste neuere Ereigniss«46 wird zunächst verkündet in der »Fröhlichen Wissenschaft«, in der Nietzsche es in die Erzählung vom »tollen Menschen« kleidet: »Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und schrie: ›Ich suche Gott! Ich suche Gott!« »Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, - ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder!« 47 Der Tod Gottes, der hier als aktives Tun dargestellt wird, aber hat eine lange Vorgeschichte. Er ist das Ergebnis eines Prozesses, an dessen Ende sich die Existenz des christlichen Gottes als die »längste Lüge«48 erweist, eines Geschehens, das als die Selbstaufhebung der christlichen Moral zu kennzeichnen ist, die zwei Jahrtausende lang Leben und Denken beherrschte. Sie verlegte den Schwerpunkt des Lebens in eine jenseitige Welt. Sinn, Zweck und Ordnung waren gottgegeben, ewig und unantastbar und förderten doch die Entwicklung zum Nihilismus. Denn im Rahmen christlicher Moral existiert die Tugend des Willens zur Wahrhaftigkeit. Unter ihrer Federführung alles betrachtend, richtet die Moral schließlich den offenen Blick auf sich selbst und erkennt die eigene Basis als unhaltbar. Dies »ist die Ehrfurcht gebietende Katastrophe einer zweitausendjährigen Zucht zur Wahrheit, welche am Schlusse sich die Lüge im Glauben an Gott verbietet«. 49 Unterstützt wird diese Entwicklung vor allem von der neuzeitlichen Wissenschaft. Sie hat auf ihre Fahnen als das einzige Ideal den Willen zur Wahrheit geschrieben, der nichts anderes ist als das christliche Gewissen, »übersetzt und sublimirt zum wissenschaftlichen Gewissen, zur intellektuellen Sauberkeit um jeden Preis«.50 Nachdem aber »die christliche Wahr-

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haftigkeit einen Schluss nach dem andern gezogen hat, zieht sie am Ende ihren stärken Schluss, ihren Schluss gegen sich selbst; dies aber geschieht, wenn sie die Frage stellt ›was bedeutet aller Wille zur Wahrheit?‹«.51 Dies ist das endgültige Ende aller bisherigen Ordnung, die Selbstaufhebung christlicher Weltauslegung.52 Bis dahin werden alle bisherigen Überzeugungen als Täuschungen entlarvt, denn die Tugend der »Redlichkeit«53 verbietet es, gegen das Gewissen die Illusion einer moralischen Weltauslegung aufrechtzuerhalten. Aber gerade sie war es, die bisher das Leben erträglich machte. »Dieser Antagonismus, das was wir erkennen, nicht zu schätzen und das, was wir uns vorlügen möchten, nicht mehr schätzen zu dürfen: - ergiebt einen Auflösungsprozeß.«54 Ungeachtet der Tatsache, daß für den einen oder anderen die christlichmoralische Weltsicht noch gültig sein mag, geht auf diese Weise doch ihre allgemeine Verbindlichkeit verloren, indem die chrisdiche Moral wie alle großen Dinge durch Selbstaufhebung endet.55 Da sie aber zwei Jahrtausende lang das einzige war, das der Welt und dem Dasein des Menschen in all seinen Ausprägungen einen Sinn gab, scheint mit ihr alles verloren. »Eine Interpretation gieng zu Grunde; weil sie aber als die Interpretation galt, erscheint es, als ob es gar keinen Sinn im Dasein gebe, als ob alles umsonst sei.«56 Mit dem christlichen Jenseits sterben Wert und Sinn und es fehlt künftig die Antwort auf das ›Warum‹; es gibt kein höchstes Ziel, keinen letzten Zweck, keine Einheit und kein wahres Sein. Wenn der Mensch aber im Ganzen keinen Wert sieht, sieht er ihn auch in sich nicht.57 Mit der Entwertung der obersten Werte ist für Nietzsche alles verloren. Auch untergeordnete Werte, von denen er nicht spricht, verlieren offensichtlich ihre Bedeutung. Was er befürchtet ist der Zusammenbruch aller bisherigen Ordnung. Ein tragisches Ereignis, und deshalb tritt im »Zarathustra« der »Mörder Gottes« als der »hässlichste Mensch« in Erscheinung.58 Das Wort vom »Tod Gottes« läßt damit jeden Atheismus hinter sich. Dies auch deshalb, weil Gott für Nietzsche zunächst natürlich der christliche Gott ist, aber er wird ihm auch zum Symbol für das Übersinnliche überhaupt, für die Welt der Ideen und Ideale, die seit Plato als die unbedingte ›wahre‹ Welt der scheinbaren, alltäglichen Lebenswelt gegenübersteht. Diese Fiktion der Metaphysik trifft bei Nietzsche auf die seinerzeit nicht unübliche, aber hier radikalste Ablehnung. Der »Tod Gottes« markiert nicht nur das Ende des christlichen Jenseits, mit ihm stirbt jede »Hinterwelt«. Was Nietzsche betreibt, ist die konsequente Destruktion aller überlieferten Metaphysik. Inwieweit er selbst mit der von ihm entwikkelten Philosophie dabei Metaphysiker bleibt, oder gar »der letzte Metaphysiker des Abendlandes« und Vollender der bisherigen Metaphysik ist, wie Heidegger ihn sehen möchte,59 sei dahingestellt. Wie man seine Lehren in

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dieser Hinsicht interpretiert, hängt offensichtlich vom zugrundeliegenden Metaphysikverständnis ab. Für Nietzsche heißt Metaphysik Zweiweltenlehre im christlich-platonischen Sinn, und dieser galt sein entschiedener Kampf. Er sah sich selbst als Antimetaphysiker, und allein das soll hier von Bedeutung sein. In der Idee der »wahren« Welt war angelegt, was als Nihilismus offen zutage tritt. Es gab eine solche Welt nie und keinen moralischen Gott. Alle angebliche Sicherheit lag in illusionären Gebilden. Der Glaube an etwas, das nicht existiert, aber war Glaube an Nichts und als solcher bereits Nihilismus, der sich nun offen zeigt. In dieser Situation, in der die intellektuelle Redlichkeit ihrem auflösenden Tun nachgeht, wird die Fähigkeit, ihre Wahrheit anzunehmen, für Nietzsche zum Wertmaßstab: »Wie viel Wahrheit erträgt, wie viel Wahrheit wagt ein Geist?«60 Denn Nihilismus kann ein Zeichen der Stärke sein, die nach dem Tode Gottes die eigene Kraft entdeckt, oder der Schwäche, die allen Halt verliert. Die »Mäßigsten« werden die Stärksten sein, »die, welche keine extremen Glaubenssätze nöthig haben«, keinen Gott und nichts, das ihnen Gott ersetzt, keine obersten Werte. Es sind die, »welche vom Menschen mit einer bedeutenden Ermäßigung seines Werthes denken können, ohne dadurch klein und schwach zu werden ... - Menschen die ihrer Macht sicher sind, und die die erreichte Kraft des Menschen mit bewußtem Stolze repräsentiren«.61 Denn der Tod Gottes befreit aus den Zwängen aller Dogmatik, läßt allein das Diesseits maßgebend sein und ermöglicht es dem Menschen, seine Kraft zu erproben. Doch feste Regeln und vorgegebene Dogmen engen zwar ein, aber sie geben auch Halt. Mit ihrer Auflösung besteht die Gefahr, daß der Mensch in der absoluten Haldosigkeit eines durch nichts gebremsten Sturzes versinkt, wie es in den Metaphern zum Ausdruck kommt, mit denen Nietzsche in der Erzählung vom »tollen Menschen« die Ungeheuerlichkeit der Vernichtung einer als ewig gültig angesehenen Ordnung deutlich macht: »Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten?«62 Nicht mehr am sicheren Platz in einer festen Weltordnung irrt der Mensch orientierungslos umher. »Seit Copernikus rollt der Mensch aus dem Centrum ins x.«63 Die Verkündigung des Todes Gottes übernimmt der ›tolle‹ Mensch, der ›ver-rückte‹, dem das Schwergewicht seines Lebens abhanden gekommen ist. Das Wissen darum, daß Gott dem Nichts geopfert wurde, daß die gewonnene Freiheit die Freiheit zum Nichts ist, führt zu Verzweiflung und einer Schwäche des Geistes, zu Müdigkeit und Pessimismus, Ohnmacht und Resignation, zum »Europäer-Buddhismus«, zum »passiven Nihilismus«,64 dessen Anzeichen Nietzsche zum Beispiel im Pessimismus Scho-

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penhauers findet.65 Oder es entsteht der Wille zur Zerstörung als »aktiver Nihilismus«, der demgegenüber immer noch Zeichen einer größeren Macht des Geistes ist, aber dennoch Ausdruck des tieferen Willens zum Nichts und daher nur zerstören, nicht schaffen kann, wie es sich nach Nietzsche im zeitgenössischen Anarchismus und Terrorismus bereits zeigt.66 Ansätze dieser beiden Formen des Nihilismus sind also durchaus bereits erkennbar, aber noch nicht in ihrer ausgeprägtesten Form, denn der Tod Gottes ist noch nicht in das Bewußtsein der Menschen gedrungen.67 Gott ist tot, aber sein Schatten existiert noch,68 als die absolute Position, in der er sich befand. Man hat den Glauben noch nötig. Deshalb finden sie noch Glauben, das Christentum als moralische Ordnung und die Metaphysik, obwohl sie längst ihre rechtfertigende Basis verloren haben. Oder man konstruiert sich einen Ersatzglauben aus dem Fundus der alten Werte, die in keiner festen Ordnung mehr eingebunden sind und frei zur Verfügung stehen. Man besetzt die Stelle Gottes neu: mit dem Nationalgefühl, dem Gewissen, dem Sozialismus, dem Fortschritt, der Vernunft oder der Wissenschaft. Dies ist der »unvollständige Nihilism« - »wir leben mitten drin«. 69 Doch die »Versuche, dem N‹ihilismus› zu entgehn, ohne jene Werthe umzuwerthen: bringen das Gegentheil hervor, verschärfen das Problem«.70 Sie verdecken die Krise und verlängern sie damit. Nietzsches Therapie dagegen zielt auf eine »Umwertung aller Werte«. Sie kann aber erst gelingen, nachdem die Krise vorangetrieben wurde zu einem »vollkommenen Nihilismus«, der den Ort Gottes vernichtet, was die Etablierung eines Ersatzes unmöglich macht. Überwindung des Nihilismus durch seine Vollendung heißt dann, das Nichts zu akzeptieren und die Negation durch diese Bejahung aufzuheben. Es heißt anzuerkennen, daß es keine ›wahre‹ Welt gibt, sondern nur die unmoralische, in der wir leben, daß es nichts Ewiges gibt, sondern alles entsteht und vergeht. Nietzsche kennt dafür einen Namen: Dionysos. Der griechische Gott wird ihm zum Symbol für das lebenbejahende Schaffen und Zerstören, das die Welt ist, und für eine Lebenshaltung, die er in dem Wort »amor fati« zusammenfaßt. Es meint, das Unabwendbare lieben, die Notwendigkeit bejahen und auf dieser Basis das eigene Schicksal einrichten. Dies ist die Voraussetzung für die Umwertung aller Werte, die ein Schaffen neuer Werte ist. Gemäß Nietzsches aristokratischem Menschenbild werden dazu nur wenige in der Lage sein. Es sind die Starken, die ihre Stärke zuallererst daran erweisen müssen, daß sie im Wissen um den Tod Gottes den Glauben an eine »ewige Wiederkehr des Gleichen« ertragen können, an jene seltsame Vision, die Nietzsche als das »grösste Schwergewicht« dem Nihilismus entgegensetzt.71 Ihre Bedeutung ist umstritten. Sie kann ein ethischer

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Imperativ sein: Alles kehrt wieder, also handle so, daß du genauso noch einmal und noch unzählige Male handeln könntest. Aber sie hat auch eine Auslesefunktion, denn indem sie eine aus sich selbst heraus existierende, nicht geschaffene Welt als ein in sich kreisendes Geschehen ohne Anfang und Ende interpretiert, wird die Lehre von der Sinn- und Ziellosigkeit unveränderbar. »Das ist die extremste Form des Nihilismus: das Nichts (das ›Sinnlose‹) ewig!« 72 Den Starken wird diese Sinnlosigkeit zum eigenen Schaffen anregen. Als »Besieger Gottes und des Nichts«73 setzt er als Ausdruck seiner Macht sein Ziel und seine Ordnung selbst, den »pathologischen Zwischenzustand«74 des Nihilismus beendend, indem er neue Werte schafft, jenseits von Gut und Böse, jenseits aller bisherigen Moral. Es gilt, in ihm den Menschen zu überwinden. »Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe«, als neue Rechtfertigung des Menschen,75 denn wo Gott tot ist, muß der Mensch an seine Stelle treten. Aber nicht als Tyrann, sondern als »der römische Cäsar mit Christi Seele«.76 Durch ihn gelingt die Erlösung von der Krise des Nihilismus, der Zarathustras Sehnsucht nach dem Übermenschen gilt. Den wenigen großen einzelnen aber, welche die im Menschen liegende Möglichkeit des Übermenschen verwirklichen, werden immer die anderen, die Schwachen, die Herdenmenschen gegenüberstehen, die »letzten Menschen«, wie sie Nietzsche im Zarathustra beschreibt.77 Es sind die »Verächtlichsten«, die Selbstzufriedenen, denen als Sinn des Daseins das angenehme Leben genügt und die Befriedigung ihrer durchschnittlichen Bedürfhisse; die sich kein Ziel mehr stecken, um über sich hinaus zu streben, und eben deshalb an einem Endpunkt stehen und zu »letzten Menschen« werden; die das harte Leben scheuen, Leid nicht ertragen und die einhüllende Wärme brauchen; denen Ordnung und Gleichmaß alles ist; bei denen jedes Anders-Sein auf Unverständnis stößt und Individualität nichts gilt; die die Mitte lieben und deshalb am längsten leben und »unaustilgbar, wie der Erdfloh« sind. »›Wir haben das Glück erfunden‹ - sagen die letzten Menschen und blinzeln« und können »sich selber nicht mehr verachten« in ihrer Genügsamkeit, die von den Möglichkeiten des Mensch-Seins nichts weiß, nichts wissen will. »Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig in's Irrenhaus.« Dieses Verlangen nach Befreiung vom Leid, nach Gleichheit und Glück und möglichst großem Wohlergehen sieht Nietzsche nicht nur im Christentum angelegt, sondern auch in den modernen Bestrebungen zur Demokratie und gleichermaßen im Sozialismus wie im Kapitalismus.78 Doch der Nihilismus als Krise, als Zwischenzustand, läßt die Entwicklung offen und beinhaltet die Möglichkeit zu beidem, zum Übermenschen wie zum Herdenwesen des letzten Menschen. Entscheidend wird sein, wie die 30 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Entwertung der obersten Werte in Theorie und Praxis gehandhabt wird und was als neue Basis für Leben und Denken Anerkennung findet. 2.2. Das Ganze des Lebens und der Wille zur Macht Als Maßstab für die Beurteilung der Wissenschaft nannte Nietzsche das »Leben«. Wenn er nach dem Verhältnis beider fragt, stellt er damit nicht einen Bereich einem anderen gegenüber, sondern einen Teil dem Ganzen. Denn ihm, dem alle bisherige Ordnung zerbricht, wird zunächst das »Leben« zur neuen ›Grundlage‹ und zum obersten Kriterium. Seine Philosophie betrachtet alles unter der Optik des Lebens, worin ihre Nähe zur späteren Lebensphilosophie liegt. Doch was das Wort eigentlich beinhaltet, läßt sich schwer erfassen, und es kann nur beim Versuch einer Annäherung bleiben.79 »Leben« als das Ganze ist nicht zu definieren und insofern nur bedingt als Begriff zu kennzeichnen. Es ist Name, Synonym für das letztlich Unfaßbare, für den übergreifenden Prozeß, der alles Geschehen in sich vereinigt. Die Erscheinungen sind Leben, doch es läßt sich auch als das Tragende verstehen und nimmt insofern die Stelle ein, welche ehemals Metaphysik und Jenseits innehatten. Aber, und vielleicht ist das für Nietzsche das Wichtigste, es ist reines Diesseits. »Leben« entspricht der von ihm geforderten Rückkehr zur Erde,80 der Bejahung der Welt, die ehemals verloren ging und nun wiedergewonnen wird. Nach eigener Einschätzung macht Nietzsche mit dem Lebensbegriff das zum obersten Maßstab, was die Weisesten aller Zeiten verworfen haben.81 Versucht man, einzelne Elemente des ›Begriffes‹ zu erfassen, so hat er zunächst eine biologische Dimension, steht im Gegensatz zum Unbelebten. Da es in erster Linie um das menschliche Leben geht, kann man an vielen Punkten von einer anthropologischen Eingrenzung des Begriffes sprechen.82 Ohne daß die grundlegenden biologischen Voraussetzungen damit ausgegrenzt werden könnten, ist der Hauptaspekt hier die »Praxis«, das auf einen Zweck hin orientierte Tätigsein. Leben braucht immer einen Zweck, denn »alles Lebendige ist ein Gehorchendes«.83 Sind »mit dem Blick auf die menschliche Existenz ... ›Leben‹ und ›Tat‹ für Nietzsche ein Begriff«,84 so verweist dies doch auch zurück auf den Basischarakter des Lebens. Es ist selbst ein permanent Schaffendes, Schöpferisches, ein aus sich heraus kreativ Bauendes. In seinen Schöpfungen legt es sich selbst aus und wird greifbar nur in diesen Manifestationen, die zuletzt auch Politik, Religion, Moral und Erkenntnis heißen. Dem Schaffen aber ist das Zerstören immanent; es geschieht auf Kosten dessen, das sich überlebt hat. »Leben - das heisst: fortwährend Etwas von sich abstoßen, das sterben will;

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Leben - das heisst: grausam und unerbittlich gegen Alles sein, was schwach und alt an uns, und nicht nur an uns, wird.« Es ist ein »Abschätzen, Vorziehn, Ungerechtsein, Begrenzt-sein, Different-sein-wollen«.85 Leben ist Unruhe, Bewegung, Veränderung und Kampf, denn es will nicht die Selbsterhaltung, sondern immer ein Mehr-Leben auf dem stets höheren Niveau. Es ist das, »was sich immer selber überwinden muss«.86 Die Spätphilosophie Nietsches kennt ein grundlegenderes Phänomen, das diesen Eigenschaften entspricht: den Willen zur Macht, als »das letzte Factum, zu dem wir hinunterkommen«.87 Die erste Erwähnung des Begriffs findet sich im »Zarathustra« und wird unmittelbar mit dem Leben in Verbindung gebracht: »Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht«.88 Dieser ersetzt den Lebensbegriff nicht, nimmt ihn aber gewissermaßen in sich auf Beide sind nicht voneinander zu trennen, ja weitgehend gleichzusetzen, »weil Leben eben Wille zur Macht ist«.89 Seine Eigenschaften prägen das Leben, das dementsprechen »wesentlich Aneignung, Verletzung, Überwältigung des Fremden und Schwächeren, Unterdrückung, Härte, Aufzwängung eigner Formen, Einverleibung und mindestens, mildestem, Ausbeutung«90 ist. Aber »Leben ist bloß ein Einzelfall des Willens zur Macht«.91 Das immer umfassender gedachte Phänomen wird für Nietzsche schließlich zur Grundlage alles Existierenden: »Diese Welt ist der Wille zur Macht - und nichts außerdem!«92 Er ist das »innerste Wesen des Seins«,93 das wirkende Prinzip in allen Dingen, nicht nur im Lebendigen, sondern bereits im Anorganischen. Es gibt keinen Gegensatz zwischen beidem,94 denn der Wille zur Macht begründet die Homogenität in allen Dingen, auf die Nietzsche immer wieder hinweist. Dabei entläßt er die Gestalten nicht aus sich, sondern manifestiert sich in ihnen: sie sind Wille zur Macht.95 Wenn schon dieser Name die Eigenschaft zum Ausdruck bringt, auf die Nietzsche besonderes Gewicht legt, den agonalen Grundzug in allem Geschehen, der jeden Gedanken an Mechanismus und Naturgesetzlichkeit absurd erscheinen läßt, so wird dies noch deutlicher, wenn man bedenkt, daß es den Willen zur Macht für Nietzsche gar nicht gibt. »Es giebt keinen Willen: es giebt Willens-Punktuationen, die beständig ihre Macht mehren oder verlieren«,96 eine Vielheit von Machtquanten, deren jedes bestimmt ist »durch die Wirkung, die es übt und der es widersteht«. Die Welt ist damit »essentiell Relations-Welt«.97 Hier sind die wirklichen Gegensätze und Unvereinbarkeiten begründet, denn die Machtquanten sind als Kraftzentren zu denken, die untereinander im Streit liegen. Es gilt, die eigene Macht zu erweitern, durch Überwältigung und Einverleibung anderer, die dann als Funktion der größeren Macht genutzt werden können.98 Machtquanten sind keine Entitäten, sondern wandelbar. Sie organisieren sich zu Einheiten eines komplexen Zusammenspiels, wobei das zu Über-

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windende eine wesentliche Rolle spielt, denn der Wille zur Macht »kann sich nur an Widerständen äußern«. 99 Nietzsches Aufforderung, gefährlich zu leben, hat hier ihren Grund.100 Das permanente Ringen der Kraftzentren um Herrschaft führt dazu, daß sich die Einheiten ständig verändern. Daher haben sie als solche kein Sein im Sinne eines Beständigen. Sie sind »nur als Organisation und Zusammenspiel Einheit«.101 Alles Existierende ist solchermaßen ein Herrschaftsgefüge, eine Hierarchie von Machtquanten, eine Organisationseinheit zum Zweck der Machtsteigerung. Das Anorganische, das Leben und alles Lebendige vom Protoplasma bis zum Menschen, dessen Geist, sein Leib, jeder Triebkomplex und jeder einzelne Trieb ist Ausdruck des Willens zur Macht.102 Er steht hinter dem vermeintlich freien Willen des Menschen. Doch niemand hat diesen Willen. Das Wort ist lediglich eine vermenschlichende Metapher für das eigentlich Unsagbare. Der sich vollziehende Wille zur Macht ist ein Prozeß ohne Anfang und ohne Ziel, ein Tun ohne Täter, aber dennoch kein willkürliches Geschehen, denn »jede Macht zieht in jedem Augenblick ihre letzte Consequenz«.103 Die We3lt als Ganzes aber ist »die Summe der Wesen die Welten erdichten, die Summe der Kräfte, die faktisch gegeben sind«.104 Sie erdichten, sie schaffen Welten, indem jedes einzelne Kraftzentrum »für den ganzen Rest seine Perspektive d. h. seine ganz bestimmte Werthung«105 besitzt, begründet im Streben nach Überwältigung. Es muß das zu Überwindende ›feststellen‹. Auf Grund des ständigen Kampfes sind Wandel und Perspektivenwechsel entsprechend der jeweiligen Machtstellung dabei unabdingbar.106 Das Setzen von Perspektiven durch den Willen zur Macht faßt Nietzsche als Interpretation. Aber »man darf nicht fragen: ›wer interpretirt denn?‹ sondern das Interpretiren selbst, als eine Form des Willens zur Macht, hat Dasein«.107 Als ein schöpferisches Geschehen schafft der Wille zur Macht in der Interpretation Welt und Wirklichkeit, die nur in dieser Form existieren. Es gibt nichts darüber hinaus. Vorbild für diese Konzeption Nietzsches ist die Kunst, als das, was aus sich heraus schöpferisch und nicht weiter hinterfragbar ist. Kunst als Deutungsmuster spielt in seiner Philosophie eine bedeutende Rolle.108 Er entwickelt früh eine »Artisten-Metaphysik«,109 die er zwar wieder aufgibt, aber die künstlerische Auffassung geht ein in seine Vorstellung vom Dionysischen. Die Welt bleibt prinzipiell ein »aesthetisches Phänomen« und ein »sich selbst gebärendes Kunstwerk«.110 Wenn ein Kraftzentrum sich zur Machterweiterung andere einverleibt, dann gewinnt es damit neue Perspektiven. Der Übermensch ist von diesem Standpunkt aus derjenige, der die weiteste aller Perspektiven hat und damit den höchsten Willen zur Macht. Er zeigt sich in seiner Anerkennung der ewigen Wiederkehr, in der der Wille alles erfaßt, weil er sich nicht nur auf

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das Zukünftige richtet, sondern auch noch auf das Vergangene, denn im Kreisgeschehen ist beides dasselbe. Er zeigt sich aber auch in der gesteigerten Fähigkeit zur Selbstüberwindung, durch die es ihm gelingt, Macht über sich zu haben. Er diszipliniert seine Triebe, ohne sie zu unterdrücken, um aus ihnen seine Kraft zu schöpfen, damit er als Schaffender sich selbst gehorchend tätig werden kann. Insoweit ist der Wille zur Macht auch ein Sublimierungsgeschehen im Sinne einer Vergeistigung.111 Aber: es gibt vor allem im Nachlaß eine Fülle von Aussagen, in denen deutlich wird, daß Nietzsche auch einen Willen zur Macht kennt, der zunehmend nach außen dringt und zur realen Herrschaft über andere wird.112 Hier spricht der Nietzsche, der dazu tendiert, für seine Theorien den Anspruch absoluter Gültigkeit zu erheben, der sich der ehemals verachteten Politik zuwendet und den Übermenschen, der zur Gewalt neigt und nur Seinesgleichen schont, als Herrscher über die Herde sieht. Es gibt auch diese Elemente in Nietzsches Philosophie, und sie sind oft genug mißbraucht worden. Der Wille zur Macht aber zeigt sich nicht nur im Übermenschen, und überhaupt nicht nur im Herrschenden. Denn wenn alles Wille zur Macht ist, dann ist es notwendig auch der letzte Mensch. Nietzsche unterscheidet zwischen einem starken vorwärtsdrängenden Willen zur Macht und einem ermüdeten, ohnmächtigen. Eine Unterscheidung, der die Differenzierung zwischen starkem und schwachem Leben entspricht. Das schwache kann nicht mehr agieren, nur reagieren, kann zerstören, aber nicht schaffen und tendiert dazu, das Erreichte absolut zu setzen. Für dieses niedergehende Leben greift Nietzsche in den späten achtziger Jahren den in dieser Zeit weit verbreiteten Begriff der »décadence« auf113 und findet damit einen Namen für das, dessen Anzeichen er schon früh ausgemacht hat. Die Spuren dieses Niederganges entdeckt Nietzsche nun überall und stellt ganze Listen mit décadence-Phänomenen zusammen.114 Schopenhauers pessimistische Verneinung des Lebenswillens gehört ebenso dazu wie die Musik Richard Wagners oder der Hang zum Morbiden bei Baudelaire, Anarchismus, Toleranz, die Schwäche der Person und der moderne literarische Stil, der ihm zum Sinnbild wird »für jeden Stil der décadence: jedes Mal Anarchie der Atome, Disgregation des Willens, ›Freiheit des Individuums‹, moralisch geredet, - zu einer politischen Theorie erweitert ›gleiche Rechte für Alle‹. Das Leben ... in die kleinsten Gebilde zurückgedrängt, der Rest arm an Leben ... Das Ganze lebt überhaupt nicht mehr: es ist zusammengesetzt, gerechnet, künstlich, ein Artefakt«.115 Der Begriff der décadence wird schließlich so umfassend, daß er den Nihilismus umgreift. Dieser ist ein décadence-Phänomen; nihilistische Werte sind solche des Niedergangs. Erschien er zunächst als Ursache, so muß 34 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

der Nihilismus tatsächlich als Folge des geschwächten Lebens gesehen werden, dessen schwache Instinkte zur Auswahl des für es selbst Negativen führen. »Das zu-Grunde-Gehen präsentirt sich als ein - Sich-zu-Grunderichten, als ein instinktives Auslesen dessen, was zerstören muß.«116 Die décadence als niedergehendes Leben aber ist kein Gegensatz zum aufsteigenden, denn Stärke und Schwäche, Gesundheit und Krankheit sind nur Gradunterschiede des Lebens. Niedergangsphänomene erweisen sich als »eine nothwendige Consequenz des Lebens, des Wachsthums an Leben«.117 Das Höhersteigen hat die Schwächung anderer Teile zur Folge. Wichtig ist, das gesunde starke Leben so zu stärken, daß es die dekadenten Anteile erträgt und diese sich nicht zur Herrschaft aufschwingen können.118 Starkes und schwaches Leben, mächtiger und ohnmächtiger Wille zur Macht werden bei Nietzsche zur Hauptunterscheidung für alle Dinge, die einzige, welche seiner von Dynamik, Bewegung, Veränderung und Kampf geprägten Weltkonzeption gerecht wird. Alles ist hier ein ewiges Werden. Nietzsche schätzt die Vorsokratiker und vor allem Heraklit, der den Krieg als Vater aller Dinge sah und ebenfalls die Welt als ständiges Werden faßte. Es ist das Agonale als Lebensbasis, der sich selbst erhaltende Kampf, zu dem Nietzsche zurück will. Zurück zum vormetaphysischen Denken, das von der Ideenwelt eines Plato und dem Jenseits des Christentums noch nichts weiß, denn im Werden ist kein Platz für eine ›wahre‹, bleibende, unveränderliche Welt. Hier gibt es nichts Ewiges, ja nicht einmal etwas Feststehendes, kein ›Sein‹, das Nietzsche gewöhnlich als Gegenbegriff zum Werden gebraucht. Die ›wahre‹ Welt wird abgeschafft und mit ihr die bisher als scheinbar aufgefaßte, die nun keine Funktion mehr hat.119 Was bleibt ist die Deutung der Welt als Werden, das Ausdruck ist des Willens zur Macht, der im Rahmen der ewigen Wiederkehr sich selbst wiederholend agiert. Werden, Wille zur Macht und Welt sind bei Nietzsche im Grunde identische Begriffe.120 Sie bezeichnen einen Vorgang jenseits von Gut und Böse und jenseits aller Logik. Es ist das ständige Entstehen und Vergehen, das dionysische Sich-selber-Schaffen und -Zerstören, das von einer Unschuld gekennzeichnet ist, für die Nietzsche, wie Heraklit, das Symbol des spielenden Kindes heranzieht. »Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen.«121 Die Welt als Spiel folgt keinem festen Plan, kennt keine Teleologie, kein Ziel, keinen Fortschritt, keine Kausalität, sondern nur den Kampf innerhalb des Willens zur Macht. In schöpferischem Ernst in ihr Spiel vertieft, genügt sie sich selbst. Weder Moral noch Logik bestimmen eine solche Welt. Da es beides doch aber offensichtlich gibt - was sind diese Erscheinungen, und welche Rolle spielen sie in einer Welt, die der Wille zur Macht ist? 35 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

2.3. Vorstufe einer neuen Moral: Vom »Du sollst« zum »Ich will« Wenn Nietzsche von Moral spricht, dann meint er gewöhnlich die traditionelle Moral, welche die absolute Geltung ihrer Werte in der übersinnlichen Welt verankert sah, daher mit dem Tod Gottes ihren Sanktionsgrund verliert und im praktischen Nihilismus endet. Da dieser Grund aber immer nur Illusion war, stellt sich nunmehr erstmals die Frage nicht nur nach Gut und Böse, sondern nach dem Wert von Moral überhaupt und nach ihrem tatsächlichen Ursprung.122 Nietzsche geht dem unter anderem in der »Genealogie der Moral«123 nach. Zentraler Ausdruck seiner Antwort ist hier das »Ressentiment«, Sammelbegriff für Angst, Rache, Haß und Neid und Ursprung dessen, was er als »Sklavenaufstand in der Moral«124 bezeichnet. Er konstatiert einen ursprünglichen Unterschied zwischen Herren- und Sklavenmoral, denn eine Moral kann nicht für alle gelten. So entspricht dem Rangunterschied zwischen den Menschen der zwischen den Moralen.125 Es gibt zum einen die Mächtigen, Vornehmen, Hochgesinnten, die die Gefahr nicht scheuen, sich der Funktionsfähigkeit ihrer starken Instinkte sicher sind und deren Handeln daher unmittelbar ihr Inneres wiedergibt. Im Bewußtsein ihres Ranges empfinden sie allem Niedrigen, Pöbelhaften gegenüber ein natürliches »Pathos der Distanz«,126 sind auf sich selbst gerichtet, bejahen sich und ihr Tun als gut und nehmen das Recht in Anspruch, Werte zu schaffen. Dabei läßt ihr »Gesammt- und Grundgefühl«127 angesichts des Niedrigen dieses als schlecht erscheinen. Diesem Aristokratenideal der Starken stehen die Schwachen gegenüber. Sie richten, getrieben vom Ressentiment, ihr Augenmerk auf die Höheren, denn sie suchen einen Schuldigen für ihre Leiden, die doch bei näherer Betrachtung in ihrer eigenen Schwäche begründet liegen. Sie nennen die Herren böse und sich selbst im Gegensatz dazu gut - der Beginn einer Umkehrung der Werte, die die natürliche Rangordnung von gut und schlecht durch den moralischen Dualismus von gut und böse ersetzt. Die größten Feinde der Herren sieht Nietzsche in den Priestern. »Jenes priesterliche Volk«, die Juden, war es, das »gegen die aristokratische Werthgleichung (gut = vornehm = mächtig = schön = glücklich = gottgeliebt) mit einer furchteinflössenden Folgerichtigkeit die Umkehrung gewagt« hat,128 die Niedrigen, Ohnmächtigen, Leidenden als die Guten zu bezeichnen. Da diese Moral aber in den folgenden zwei Jahrtausenden die herrschende war, ist zu fragen, wie es den Schwachen gelingen konnte, über die Starken zu siegen. Dies liegt zum einen in ihrer großen Zahl begründet, vor allem aber in ihrer geistigen Überlegenheit. Denn im Gegensatz zu den Vornehmen, die in ihrem Selbstbewußtsein vertrauensvoll und offen sind und immer auch ein bißchen naiv, ist der Schwache verschlagen und listig.

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»Eine Rasse solcher Menschen des Ressentiment wird nothwendig endlich klüger sein als irgend eine vornehme Rasse, sie wird Klugheit auch in ganz andrem Maasse ehren: nämlich als eine Existenzbedingung ersten Ranges«.129 Nur die geistige Überlegenheit gibt ihnen überhaupt die Möglichkeit, sich gegen die vital stärkeren Vornehmen behaupten zu können. Geist gehört zum Leben, ist eine semer Ausdrucksformen, aber die Schwäche des Lebens fördert seine unverhältnismäßig starke Entwicklung. Er ist es, der die ›wahre‹ Welt erfindet, in der er die Werte der Schwäche verankert. Wahrheit und Moral sind so untrennbar miteinander verknüpft. Wahrheit ist ein moralischer Wert. Auf diese Weise werden die Sklavenwerte der Mitleidsmoral zu den höchsten und binden durch ihr absolutes ›Du sollst‹ auch noch die Starken, und gerade sie, denn ihre ausgeprägten Instinkte und Triebe, die sich, gehemmt durch die Moral, nicht mehr nach außen entladen können, kehren sich nach innen und werden sublimiert zum schlechten Gewissen.130 Dieser gegen die Starken gerichtete Schachzug des Geistes markiert den Beginn des Nihilismus, denn »thatsächlich greift er jedes Mal nach dem Nichts, und construirt das Nichts zum ›Gott‹, zur ›Wahrheit‹«.131 Historisch betrachtet ist dies das Werk Platos, dessen Ideen Nietzsche als Werte denkt, worauf seine grundlegend moralische Auffassung der Metaphysik basiert. Die »Umdeutung aller Seinsprobleme in Wertprobleme«132 begründet die fundamentale Bedeutung, die der Wertbegriff in der Philosophie Nietzsches einnimmt. Alles wird ihm zum Wertproblem. Erbe dieser Zweiweltenlehre ist das Christentum als »Piatonismus für's ›Volk‹«,133 das Gott und Wahrheit gleichsetzt und endgültig aus der Schwäche eine Tugend macht, indem es Niedrigkeit als Demut, Unterwerfung als Gehorsam, Vergeltung als Gerechtigkeit sieht und zum Mideid aufruft, welches jedes Pathos der Distanz vermissen läßt. Auch die idealistische Philosophie ändert an der absoluten Geltung dieser Moral nichts. Selbst Kant kennt noch ein ›Du sollst‹ und rettet mit seiner praktischen Vernunft die Metaphysik.134 Doch der sich immer stärker durchsetzende Wille zur Wahrheit beginnt, das Ressentiment als den wirklichen, unmoralischen Ursprung der Moral aufzudecken. Was aber ist Ressentiment als Haß auf die Starken anderes als Ausdruck eines schwachen, dekadenten Lebens.135 Den beiden Extremen, Sklaven- und Herrenmoral, liegen Typen des Lebens zugrunde. Das schwache versucht der eigenen Schwäche Herr zu werden, indem es als seine einzige schöpferische Tat ein »Nein« setzt und das »asketische Ideal« etabliert, worin Nietzsche alle lebensverneinenden, religiösen und moralischen Werte zusammenfaßt.136 Dieses Ideal, seine Existenzbedingung, muß die Schwäche aus dem Leben heraus und absolut setzen. Damit gelingt es ihr, das starke Leben zu unterdrücken, welches über das schwache hinaus-

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strebt. Die absolut gesetzte Moral aber kann das Leben nur verachten und verneint sein Wesen, indem sie den ihm immanenten Kampf verbirgt. Wenn sie aber selbst Ausdruck des schwachen Lebens ist, so gerät in der Moral das Leben mit sich selbst in Widerspruch. Dieser Selbstentfremdung entspricht die Selbsttäuschung, die die ursprünglich gesetzte Moral nicht mehr als solche erkennt und ihre Absolutheit akzeptiert.137 Doch Nietzsche sieht diesen Sieg der Schwachen nicht nur negativ. Er gesteht der christlichen Moral zu, daß sie einmal »das große Gegenmittel gegen den praktischen und theoretischen Nihilismus«138 war, weil sie dem Menschen und seinem Leiden einen Sinn gab und seinem Denken die Fähigkeit zur Erkenntnis absoluter Werte. Das asketische Ideal trat dem »Umsonst« des Nihilismus entgegen. Auch alle Metaphysik hatte so ihre historische Berechtigung.139 Zwar zwang sie den Menschen zum »Pascalischen sacrifizio dell'intelletto«140 und war Flucht in die Illusion, aber lieber noch will der Mensch »das Nichts wollen, als nicht wollen«.141 Der Wille als solcher war gerettet. Doch diese Gegenkräfte verlangsamten die Entwicklung zum Nihilismus nur, und sie sind nun, da wir dieses »Gegenmittel gegen den ersten Nihilismus nicht mehr so nöthig«142 haben, nur noch einengend und überflüssig. Dennoch wäre eine Welt ohne die Eigenschaften der Schwachen, ohne Rücksichtnahme, Geistigkeit, Phantasie etc. kaum wünschenswert, denn sie haben zu einer Höherentwicklung des Menschen beigetragen, indem sie die in ihm steckende Bestie zähmten.143 Nietzsche meint sogar, ein »Interesse des Lebens selbst« am Sieg der Schwachen festzustellen. Sie garantieren »die Aufrechterhaltung des Typus ›Mensch‹«, denn wo die Starken sich in ihrer Machtbegierde gegenseitig dezimieren und verschwenderisch ihre Kraft vergeuden, sind diese ängstlich bemüht um Bewahrung ihrer Kraft und finden darin ihre Rechtfertigung.144 Erst wo die Moral der Schwachen zur alleinigen Herrschaft gelangt, steht ihre Gefährlichkeit im Vordergrund, denn die Unterdrückung der Starken führt zu einem vollständigen Verlust ihrer Fähigkeiten und damit zu einer Schwächung der Gattung Mensch insgesamt. Dies ist der Punkt, an dem eine erneute Umwertung der Werte lebensnotwendig wird. Nietzsche spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen Moral, einer solchen, die den Bedürfnissen des Lebens gerecht wird. Das heißt zunächst, den Dualismus zweier Welten abzuschaffen und anzuerkennen, daß alle Werte im Leben gründen und daher im Willen zur Macht. Werten ist eine Eigenschaft des Menschen, denn er ist der »Schätzende«,145 aber »das Leben selbst werthet durch uns, wenn wir Werthe ansetzen«.146 Werte sind die »Erhaltungs-Steigerungs-Bedingungen«147 des Lebens, denn getrieben vom Willen zur Macht ist es wesentlich ein ZweckWollen. Der Zweck entsteht durch die Perspektive, die ein Kraftzentrum 38 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

zur Machtsteigerung setzt. Seine schaffende Interpretationstätigkeit ist ein Abschätzen. Das heißt, »es giebt gar keine moralischen Phänomene, sondern nur eine moralische Ausdeutung von Phänomenen«.148 Im Lebendigen gründen diese Ausdeutungen unmittelbar auf den Trieben und Affekten, die reduzierbar sind auf den Willen zur Macht. Moral wird zur »Zeichensprache der Affekte«.149 Wenn aber alles Werten Kampf um Macht ist, dann gibt es keinen absoluten, sondern nur einen Gradunterschied zwischen Gut und Böse. Was wie bewertet wird ist eine Frage des sich wandelnden perspektivischen Standpunktes. Dabei kann das eine aus dem anderen hervorgehen, wie Nietzsche oft genug deutlich macht, wenn er zum Beispiel dem Altruismus letztlich egoistische Motive unterstellt oder die Nächstenliebe als einen »Drang nach neuem Eigenthum«150 entlarvt. Die ganze Demuts-Moral offenbart ihr wahres Gesicht: »Wer sich selbst erniedrigt, will erhöhet werden«.151 Was Nietzsche hier betreibt, ist ein Generalangriff auf die praktische Philosophie, denn »damit ist man zur Erkenntniss gelangt, dass die Geschichte der moralischen Empfindungen die Geschichte eines Irrthums, des Irrthums von der Verantwortlichkeit ist: als welcher auf dem Irrthum von der Freiheit des Willens ruht«.152 Doch der Mensch ist un-verantwortlich, denn all sein Tun ist Ausdruck des Willens zur Macht. Damit redet Nietzsche aber nicht einer Willkür und Verantwortungslosigkeit das Wort. Denn weil es kein festes System von Schuld und entlastender Strafe mehr gibt, erhöht sich die Verantwortung eines jeden vor sich - und »furchtbar ist das Alleinsein mit dem Richter und Rächer des eignen Gesetzes«.153 Nietzsche, der sich mit dem Blick auf die traditionelle Moral als Immoralisten sieht, erweist sich hierin als ein strenger Moralist: »Wir müssen uns von der Moral befreien, um moralisch leben zu können.«154 Sich das eigene Gesetz zu geben, soll dem Menschen der Zukunft gelingen, den Zarathustra sich erhofft, den es aber noch nicht gibt. In der Rede Zarathustras von den drei Verwandlungen155 gibt Nietzsche die Stufen der diesbezüglichen Entwicklung des Geistes wieder: vom Kamel, zum Löwen, zum Kind. Das Kamel symbolisiert das »Du sollst« der platonisch-christlichen und idealistischen Moral, das von außen gesetzte Dogma. Das Kamel verwandelt sich in den Löwen, der befreit ist vom »Du sollst« der absoluten Geltung aller Werte zum »Ich will«. Aber: er ist nur Herr »in seiner eignen Wüste«, denn es sind immer noch die alten moralischen, metaphysischen und religiösen Werte, die gelten, und unter denen sein Wille wählt. Er ist von der Fremdbestimmung erlöst, besitzt aber nur die Freiheit zum Nichts des Nihilismus, solange er nicht die Freiheit zum Schaffen neuer Werte erlangt. So kennzeichnet der Löwe ein Übergangsstadium, bis er, der stark genug dazu ist, die dritte Verwandlung erreicht, vom »Ich will« zum »Ich bin« des Kindes. Dies ist das eigentliche Ziel: die

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vollkommene Befreiung, die Bejahung der Unschuld des Werdens, des dionysischen Entstehens und Vergehens der Welt als Spiel und die Haltung des amor fati. »Kosmisch empfinden!« ist Nietzsches Aufforderung. Es ist die Stufe der Anerkennung der ewigen Wiederkehr und des Willens zur Macht, des Übermenschen und der Umwertung aller Werte, der erreichten Sinnautarkie des Menschen. »Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Brüder, bedarf es einen heiligen Ja-Sagens: seinen Willen will nun der Geist, seine Welt gewinnt sich der Weltverlorene.«156 Dabei will Nietzsche den Pluralismus in der Moral, denn schon der einzelne Mensch ist von vielen Moralen bestimmt,157 die alle gleiches Recht für sich beanspruchen können. Die Schaffung neuer Werte orientiert sich am Polytheismus: nicht einen Gott - viele Götter schaffen.158 Und jeder wird dabei auf sich selbst verwiesen: »Du sollst der werden, der du bist«,159 was Nietzsche in der radikalsten Form denkt, alle bisherige Autonomiemoral hinter sich lassend. Jeder wird sein eigener souveräner Gesetzgeber,160 der Werte nicht nur wählt, sondern schafft und nur sich selbst verantwortlich ist. Am Ende aber ist dies nur den »Ausnahme-Menschen« möglich, und die Schaffung neuer Werte wird Aufgabe der Geistigsten. Nietzsche erhebt für seine Kaste neuer Herren den Herrschaftsanspruch, denn dies ist die Bedingung für die Etablierung neuer Philosophen. In ihnen zeigt sich die höchste Vergeistigung, sie sind Asketen eines neuen Typus, Menschen höchsten Ranges, Befehlende und Gesetzgeber,161 deren größte Macht in der Setzung neuer Werte liegt. Sie sind als Wagende und Versuchende die »freien Geister«, die als Entwürfe statt moralische naturalistische Werte162 schaffen, über die sie souverän verfügen. Diese Philosophen ermöglichen die Entscheidungsfähigkeit, indem sie dem menschlichen Leben den notwendigen Sinn geben, der die Selbstbindung des Menschen begründet und damit den Nihilismus überwindet. Doch es ist jeweils ein vorläufiger, wandelbarer Sinn, angesichts der letzten Sinnlosigkeit, um die die neuen Philosophen wissen.163 Wie die neuen, lebensdienlichen Werte nun allerdings konkret zu denken sind, läßt sich bei Nietzsche nicht erfahren. Er strebt die Umwertung an, sie kann ihm aber nicht gelingen, denn, so Karl Löwith, »als ein moderner Mensch war er so hoffnungslos geschieden von einer ursprünglichen ›Treue zur Erde‹ und von dem Gefühl einer ewigen Sicherheit unter dem Himmelszelt, daß seine Anstrengung, den Menschen in die Natur ›zurückzuübersetzen‹ von vornherein zum Scheitern verurteilt war«.164 Die neuen Philosophen und die vollständige Ersetzung der alten Werte bleiben Zukunftsutopie. Auch Nietzsche kommt über das »Ich will« nicht hinaus, und da ihm die Werte dieser Stufe nichts mehr gelten, bleibt er im Nihilismus befangen. 40 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

2.4. Erkenntniskritik: Die »wahre Welt« als Fabel Alle bisherige Erkenntnis ging aus von der Überzeugung, daß der scheinbaren Welt eine wahre gegenübersteht. Doch diese wird, wie gesehen, bei Nietzsche auf ihre Grundlagen hin untersucht und als Trugbild entlarvt. Die intellektuelle Redlichkeit gebietet, sie abzuschaffen. Dem langsamen aber konsequenten Weg zu ihrer Auflösung, der »Geschichte eines Irrthums«, widmet Nietzsche in der »Götzendämmerung« ein kurzes Kapitel, in dem er prägnant zusammenfaßt »wie die ›wahre Welt‹ endlich zur Fabel wurde«.165 Sein Ausgangspunkt ist die Welt der platonischen Ideen, für den Weisen, den Tugendhaften erreichbar. Zum christlichen Jenseits verwandelt ist sie dem Frommen für die Zukunft versprochen. In ihrer kantischen Form wird sie unerreichbar und unversprechbar, aber sie bleibt verpflichtend. Als unerreicht aber bleibt sie unerkannt - wie kann sie da verpflichten? »Erstes Gähnen der Vernunft. Hahnenschrei des Positivismus.« Die wahre Welt ist überflüssig geworden und wird als widerlegte Idee abgeschafft. »Teufelslärm aller freien Geister.« Mit ihr aber verschwindet die scheinbare Welt: »Ende des längsten Irrthums; Höhepunkt der Menschheit«. Was bleibt ist die Deutung der Welt als ewiges Werden. Doch die tragische Erkenntnis, daß wir die Wahrheit nicht erreichen können, führt in den theoretischen Nihilismus. Aber auch hier tritt nur offen zutage, was längst angelegt war, denn offensichtlich hat alle bisherige Erkenntnis etwas wiedergegeben, das gar nicht existierte. Sie konnte nichts anderes tun, denn »Erkenntniß und Werden schließt sich aus«.166 Die Täuschung gelang und gelingt ihr noch immer, indem sie Mittel anwendet, die der Vorstellung eines ›Seins‹ entsprechen, wie sie in der Korrespondenztheorie zum Ausdruck kommt, die Nietzsche nicht genügen kann, weil es gar keine ihr ensprechende Welt gibt.167 Sodann zeigt sich, daß jede Erkenntnis gemäß ihren Mitteln Verfestigung des eigentlich Dynamischen ist.168 Sie stellt das Werden fest - buchstäblich, und sie tut dies zunächst mit Hilfe der Logik,169 deren Phänomene aber Fiktion und Fälschung sind,170 etwas, das der Mensch lediglich in die Welt hineinlegt - wie alles, was ›erkannt‹ wird. »Bevor ›gedacht‹ wird, muß schon ›gedichtet‹ worden sein.« Wir erkennen daher immer nur uns selbst.171 Es gibt keine Kausalität, weder Ursache noch Wirkung. Der Satz vom Widerspruch verbirgt die tatsächlichen Gegensätze, die vor aller Logik im Willen zur Macht liegen. Der Satz von der Identität bedeutet Gleichsetzen des Nichtgleichen. Jeder Begriff entsteht auf diese Weise,172 aber es gibt nur Ähnliches, niemals wirklich Gleiches. Die der Logik zugrundeliegende Ursache für alle Verfestigung aber ist die Sprache.173 Sie bestimmt die Strukturen unseres Denkens.174 Doch 41 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

obwohl sie nur ein System von Zeichen ist, maßt sie sich die Wiedergabe der Wirklichkeit an. Von Nietzsches nominalistischem Standpunkt aus sind ihre Begriffe leer, denn sie meinen Feststehendes, wo alles im Fluß ist. In der Sprache ist letztlich die ›Wahrheit‹ verankert. So befürchtet Nietzsche, daß wir Gott nicht loswerden, »weil wir noch an die Grammatik glauben«. 175 Da sich aber Bewußtsein und Sprache gemeinsam entwickelten, 176 ist auf sie nicht zu verzichten, denn »wir hören auf zu denken, wenn wir es nicht in dem sprachlichen Zwange thun wollen«. 177 Wir müssen es hinnehmen, daß Sprache unser Denken einengt und insofern ein Hindernis für wirkliche Erkenntnis ist. Dabei taucht für Nietzsche das Problem auf, daß er selbst mit eben dieser Sprache arbeiten muß, die kaum in der Lage sein kann, seine Vorstellungen auszudrücken. Die traditionellen Begriffe erhalten daher bei ihm nicht selten eine veränderte, oft auch schwankende Bedeutung. Sie sind Zeichen, die auf bestimmte Sachverhalte verweisen, welche Nietzsche auf anderem Wege durch den Bilder- und Metaphernreichtum seiner Texte wiederzugeben versucht. 178 Vernunft als »Sprach-Metaphysik« ist es auch, die den Hauptirrtum aller Erkenntnis begründet: das mit sich selbst identische Subjekt. »Wir kommen in ein grobes Fetischwesen hinein, wenn wir uns die Grundvoraussetzungen der Sprach-Metaphysik, auf deutsch: der Vernunft, zum Bewusstsein bringen. Das sieht überall Thäter und Thun: das glaubt an Willen als Ursache überhaupt; das glaubt an's ›Ich‹, an's Ich als Sein, an's Ich als Substanz und projicirt den Glauben an die Ich-Substanz auf alle Dinge - es schafft erst damit den Begriff ›Ding‹.«179 Jede Vorstellung von Kausalität, Substanz und Ding wird hinfällig, sobald das Ich als eine Verführung der Grammatik entlarvt ist. Es ist bereits ein Produkt des Denkens und liegt ihm nicht zugrunde. 180 Basiert die Erkenntnis bei Descartes auf dem »Ich denke«, und heißt es auch bei Kant noch »Das: Ich denke, muß all meine Vorstellungen begleiten können«, 181 so gilt es für Nietzsche, zunächst einmal zu fragen: was heißt ›Ich‹ und was heißt ›denken‹? Diesen Problemen nachgehend, bricht er mit der gesamten Erkenntnistradition. Das Ich zerfällt bei ihm in eine Vielheit von Subjekten, die nur sprachlich zu einem zusammengefaßt sind, und löst sich schließlich auf in Kraftzentren und damit in Machtkämpfe, die in das ewige Werden integriert sind. 182 Ich und Welt sind nicht mehr unterschieden. Beide sind Wille zur Macht, womit für Nietzsche nicht nur die SubjektObjekt-Relation hinfällig wird. Es kann auch keine festen Denkstrukturen mehr geben und keine ewigen Kategorien, die für alle gleich sind. Höhere Wesen werden sogar andere Formen von Erkenntnis entwickeln3.183 Wir sind noch gebunden an ihre verfestigende Ausprägung. Daher ist es weniger die Tatsache, daß sie verfestigt, die Nietzsche angreift, sondern daß sie das von ihr solchermaßen Festgestellte als unveränderliche Wahrheit

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ausgibt. Hier liegt ihre eigentliche Gefahr, deren Möglichkeit sich aber erst daraus ergibt, daß das Festsetzen als solches eine Eigenschaft ist, auf die der Mensch nicht verzichten kann. Es ist eine lebensnotwendige Angelegenheit, denn im Chaos einer im ständigen Werden begriffenen Welt kann der Mensch nicht existieren. Er braucht das Vereinfachen, den verengenden Blick der Erkenntnis, nur ist das, was dabei entsteht, notwendig ein Irrtum, denn das Werden ist mit dem Bewußtsein nicht zu erfassen. »Wahrheit« ist lediglich »die Art von Irrthum, ohne welche eine bestimmte Art von lebendigen Wesen nicht leben könnte«. Gleichermaßen sind es unsere Vorstellungen von Geist, Vernunft, Denken und Bewußtsein. 184 Wir müssen uns die Welt zurechtmachen, denn Chaos bedeutet Unberechenbarkeit, Unsicherheit und Sinnlosigkeit. Erkenntnis täuscht darüber hinweg. 185 Wir können also auf die Vernunft und ihre Mittel nicht verzichten, aber wir müssen ihren illusionären Charakter erkennen, denn der vermeintliche Wille zur Wahrheit ist tatsächlich nur Wille zum Lebensdienlichen und als solcher in seiner Tiefe Wille zur Illusion. 186 Es gibt keinen Wahrheits- oder Erkenntnistrieb, sondern nur einen solchen zum Glauben an die Wahrheit. 187 Aber »es kann ein Glaube Lebensbedingung und trotzdem falsch sein«. 188 So ist die Vernunft unentbehrlich, gerade weil sie die Wirklichkeit verfälscht und damit beherrschbar macht, 189 womit sie einen zutiefst praktischen Ursprung hat. Der Irrtum erweist sich als lebensnotwendig, was das Streben des Menschen nach Wahrheit in Frage stellt. Warum Wahrheit und nicht Irrtum? Es ist »nicht mehr als ein moralisches Vorurtheil«. 190 Das Leben will offensichtlich die Illusion und den Schein. So gesehen findet die rationale Erkenntnis Anerkennung, denn »die Falschheit eines Urtheils ist noch kein Einwand gegen ein Urtheil;... Die Frage ist, wie weit es lebensfördernd ... ist; und wir sind grundsätzlich geneigt zu behaupten, dass die falschesten Urtheile (zu denen die synthetischen Urtheile a priori gehören) uns die unentbehrlichsten sind, dass ohne ein Geltenlassen der logischen Fiktionen ... der Mensch nicht leben könnte, ... Die Unwahrheit als Lebensbedingung zugestehn: dass heisst freilich auf eine gefährliche Weise den gewohnten Werthgefühlen Widerstand leisten«.191 Illusion und Schein sind Worte, die in den frühen Schriften Nietzsches immer wieder zu lesen sind und das vorwegnehmen, was in der Spätphilosophie als Perspektivismus gefaßt wird. Jeder Erkenntnisinhalt ist die Wirklichkeit unter einer Perspektive, in der sich nichts anderes manifestiert als der Wille zur Macht. Es sei daran erinnert, daß jedes Kraftzentrum zum Zwecke der Machtsteigerung sich die Welt auslegt, interpretiert, eine Perspektive setzt. 192 Mit der Begründung im Willen zur Macht wird das Perspektivische, die

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»Grundbedingung alles Lebens«,193 unaufhebbar, und bildet somit auch die Grenze der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Je größer aber der Wille zur Macht ist, um so stärker ist auch der Wille zur Erkenntnis als Ergreifen der Realität, heißt anderer Perspektiven,194 von denen es unzählige gibt. Die Welt wird unendlich, »insofern wir die Möglichkeit nicht abweisen können, dass sie unendliche Interpretationen in sich schliesst«,195 deren jede der Welt einen Sinn gibt, so daß sie unzählige Sinne hinter sich hat.196 Dabei ist Nietzsches Perspektivismus kein Subjektivismus. »›Es ist alles subjektiv‹ sagt ihr: aber schon das ist Auslegung«.197 Jede Erkenntnis ist lediglich Zurechtmachung der Wirklichkeit im Dienste des Willens zur Macht. Vernunft ist daher ebensowenig wie die Moral eine autonome Instanz, denn beide sind Ausdruck des grundlegenden Machtkampfes. Die Vorstellung einer ›reinen Vernunft‹ muß Nietzsche daher ebenso unsinnig erscheinen wie er eine trennende Unterscheidung von Theorie und Praxis nicht anerkennen kann.198 Theorie ist Praxis. Sie entsprechen einander, denn das Interpretieren des Willens zur Macht ist ein Abschätzen und Werten. Weltperspektiven sind Wertperspektiven. Da der Wille zur Macht aber bereits im Anorganischen gestaltend wirkt, vermutet Nietzsche sogar hier eine primitive Form von ›Denken‹, ein ›Wahrnehmen‹, das der Wirklichkeit als Werden sogar näher kommt als das menschliche, weil es den Schein des Feststehenden noch nicht braucht,199 während die menschliche Erkenntnis mit jeder Perspektive derartige Illusionen und Irrtümer schafft. Daran ändert auch die Berufung auf die Sinne nichts, denn schon sie verfälschen die Wirklichkeit und liefern nur Scheinbarkeiten.200 Doch der negative Beigeschmack, den diese Bezeichnungen haben, verschwindet in Nietzsches »Ontologie des Scheins«, denn es gibt nichts anderes. Wenn alles Perspektive ist, dann kann es keine ›richtige‹ Auslegung geben. Die Unterscheidung von Wahrheit und Irrtum löst sich auf. Sie war auf ein moralisches Wertverhältnis gegründet,201 das die ›wahre‹ Welt der ›scheinbaren‹ gegenüberstellte. Tatsächlich sind wahr und falsch nur Vorurteile; beide sind Grade des Falschen, denn wir kommen über »Stufen der Scheinbarkeit« nicht hinaus, und der Schein ist daher »die wirkliche und einzige Realität der Dinge«.202 Die Welt ist Interpretation und als solche Wille zur Macht. Denken wird zu einem kreativen Prozeß, der für seine Inhalte nicht nur verantwortlich, sondern ebenso mit ihnen wie mit dem denkenden Menschen identisch ist. Es handelt sich jeweils nur um organisierte Einheiten des Willens zur Macht.203 Erkenntnis als Interpretation schafft die Welt, und zwar immer wieder neu. Die existierende ist nicht mehr als der jeweilige Zustand des Willens zur Macht. »Nicht im Erkennen, im Schaffen liegt unser Heil!«204 Auf diese Weise entsteht die ›Wahrheit‹. Sie ist »somit nicht etwas, was da 44 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

wäre und was aufzufinden, zu entdecken wäre, - sondern etwas, das zu schaffen ist«.205 Dies vor Augen, löst sich das, was bisher Wahrheit hieß, auf in ein »bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem Volk fest, canonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind«. 206

Weil für Nietzsche alles nur Schein ist, kann ihm die Wahrheit nicht in viele Wahrheiten zerfallen, sondern nur in viele Irrtümer. Da für diese eine Annäherung an die Wirklichkeit kein Maßstab sein kann, setzt Nietzsche als neues Kriterium zur Bestimmung einer Hierarchie der Erkenntnisperspektiven die Steigerung des Machtgefühls.207 Je mehr Macht, je größer ist die ›Wahrheit‹, und solange eine Perspektive zur Machtsteigerung taugt, wird sie aufrechterhalten. So bedeutet zum Beispiel die Etablierung von Naturgesetzen Herrschaft über die Natur. Aber ihre allgemeine Verbindlichkeit zwingt zur Unterwerfung, was ein Weniger an Machtgefühl zur Folge hat. Demgegenüber befreit Nietzsches Perspektivismus aus allen Bindungen, kann aber untergeordnete Perspektiven für sich nutzen und beispielsweise die mechanistische Weltdeutung zum Zweck der Naturbeherrschung einsetzen.208 Die metaphysische Auslegung war falsch in dem Sinne, daß sie den Menschen an seiner Machtentfaltung hinderte. So tritt an die Stelle von wahr und falsch die »Perspektiven-Optik des Lebens«,209 in der ein und dieselbe Sache wahr oder falsch sein kann, je nach Machtstellung der zugrundeliegenden Perspektive. Mit dem Willen zur Macht als epistemologischem Grundsatz relativiert Nietzsche den traditionellen Wahrheitsbegriff nicht nur, den er stets im Sinne der schlichten Korrespondenztheorie faßt, er löst ihn auf. Sicher lassen sich Merkmale eines neuen Wahrheitsbegriffes bei Nietzsche zeigen,210 die in später entwickelten Wahrheitstheorien auch wiederzufinden sind: Wahrheit nicht als metaphysisches Haben, sondern als geschichtlich bedingtes Schaffen, dessen Maßstab der Mensch setzt. Aber da bei Nietzsche letztlich alles Schein bleibt, läßt sich auf seiner Konzeption wenig aufbauen,211 zumal Schein und Irrtum im Grunde unbestimmt bleiben. Allgemeine Bedingungen lassen sich so nicht formulieren; die Wahrheit des Willens zur Macht ist eine individuelle, nur bedingt mitteilbar und nicht diskursfähig, denn wenn es nichts außer dem Willen zur Macht gibt, dann ist die Übereinstimmung zwischen den Menschen unmöglich. Man kann die Gegensätze nur verbergen, zum Beispiel durch die Logik, nicht überwinden.212 Damit ersetzt Nietzsche hier wie andernorts ein Extrem durch ein anderes, das heißt er bleibt gebunden an das, was er bekämpft, weil er 45 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

›Wahrheit‹ nicht differenziert genug sieht. Ihm ist zwar »das Problem vom Wert der Wahrheit aufgegangen«, doch er durchschaut es nicht »als Problem der absoluten Wahrheit«.213 Von Nietzsches Standpunkt aus betrachtet, stellen sich die Dinge aber offensichtlich anders dar. Daß er zu keiner eigentlichen Erkenntnistheorie gelangt ist, liegt nicht nur in seinem fundamentalen erkenntnistheoretischen Skeptizismus begründet oder in dem vorgebrachten Argument, der Intellekt könne sich nicht selbst kritisieren.214 Die internen Angelegenheiten der Erkenntnis sind nicht sein Problem. Ihm geht es um ihre Bedeutung für das Leben, dem wiederum es nicht um eine wie auch immer geartete Erfassung der Wirklichkeit geht, sondern um die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse. Es ist völlig gleichgültig, was die Welt ist. Bedeutsam ist allein, was sie für uns ist. Unter dem Aspekt des Lebens und des Willens zur Macht betrachtet, wandelt sich die Vorstellung von Erkenntnis und vom zukünftigen theoretischen Menschen. Er ist der »freie Geist«, der stellvertretend für alle Perspektiven schafft zur zeitweiligen Erprobung ihrer Lebensbedeutsamkeit. Was hier stattfindet, ist »eine wahre Revolutionierung des Denkens die Bildung der Vernunft in einer neuen, nicht mehr theoretischen, sondern ausgesprochen ästhetischen Gestalt«,215 die die Absolutheit ersetzt durch die künstlerische Auffassung in sich gründender Deutungen.216 Sie sollen die neue Philosophie prägen, der in ständiger Überschreitung des Erreichten der lebensbedeutsame Schein wichtiger ist als die Wahrheit. Mit diesem Vorgehen erhält sie einen experimentellen Grundzug, der keine Perspektive ausschließt: »Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt.«217 Die eigene »neue und verwegene Denkweise« kennzeichnet Nietzsche als »Experimental-Philosophie«.218 Dem »Wage- und - Versucher-Geist« ist durch den Tod Gottes die Welt frei geworden für einen »Versuch mit der Wahrheit«.219 »Meine neue Auslegung giebt den zukünftigen Philosophen als Herrn der Erde die nöthige Unbefangenheit.«220 Dabei ist die Vorstellung des Philosophen als Versucher selbst ein Versuch.221 Denken als ein Mittel, das Geschehen handhabbar zu machen, »so denken wir heute über das Denken: morgen vielleicht anders«.222 Nietzsche weiß im Grunde sehr wohl, daß auch die Deutung der Welt als Werden nur perspektivischer Schein ist. »Gesetzt, dass auch dies nur Interpretation ist - und ihr werdet eifrig genug sein, dies einzuwenden? nun, um so besser.«223 Seine kategorischen Äußerungen und das persönliche Überwältigtsein von den eigenen Einsichten sprechen allerdings eine andere Sprache. Die jüngere Nietzsche-Interpretation, und hier sind insbesondere die Arbeiten Friedrich Kaulbachs zu nennen, sieht Nietzsches Experimentalphilosophie durchaus als eine reflektierte Methode, die seiner Vorstellung

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vom perspektivischen Charakter der Wirklichkeit entspricht. Kaulbach224 betont dabei stark die Kontinuität zur kritischen und idealistischen Philosophie und stellt Nietzsche in die Fortführung der Kant-Tradition. Die ›Wahrheit‹, welche die Experimentalmethode erlangt, kann aber keine Objektwahrheit sein und wird von Kaulbach als »Sinnwahrheit« interpretiert: die Perspektive ist wahr, das heißt gerechtfertigt, die im Rahmen eines bestimmten Willenszustandes das Sinnbedürfhis des Lebens erfüllt. Nietzsche stellt demzufolge die »Intellektualität der Sinnlichkeit des Künstlers«225 der wissenschaftlichen Methode entgegen. Daß Nietzsche sich damit von Kant verabschiedet sieht auch Kaulbach, deutet sein Denken aber dennoch »als Fortentwicklung der Philosophie der Vernunft zu einem neuen ›Stande‹«.226 Bleibt zu fragen, ob gegenüber der zweifelsohne gegebenen Kontinuität zur traditionellen Vernunftphilosophie der Bruch Nietzsches mit der Tradition nicht doch weit bedeutsamer ist. Mit der Einordnung in den Gesamtzusammenhang des Lebens und des Willens zur Macht fragt Nietzsche nicht mehr nur nach dem Wert von Erkenntnis im Sinne von: was kann sie leisten?, sondern danach, welchen Wert sie überhaupt besitzt, und was sie eigentlich ist. Dabei läßt er mit seiner Konzeption den kritischen Idealismus weit hinter sich, wenngleich er eine größere Abhängigkeit von Kant erkennen läßt, als es seine polemischen Äußerungen über diesen vermuten ließen.227 Die Möglichkeit des Perspektivismus basiert auf der »kopernikanischen Wende«. Sowohl bei Kant als auch bei Nietzsche kommt im Prinzip durch den menschlichen Geist Ordnung in das Chaos. Beide sind gegen jeden Dogmatismus, betonen die relative Gültigkeit aller Positionen und den experimentellen Charakter des Denkens; beide wollen das Wissen eindämmen. Nietzsche sieht sehr wohl, daß schon Kant die Einheit von Vernunft und Wirklichkeit zerstört hat. Deshalb beurteilt er in den frühen Schriften Kant durchaus positiv.228 Sein Weg ist dann aber ein anderer, indem er die Vernunft selbst in Frage stellt. Was bei Kant notwendige Denkkategorie bleibt, wird bei Nietzsche zur bloßen Metapher und überdies dem geschichtlichen Wandel unterworfen. Von hier aus betrachtet bleibt Kant in einer Philosophie befangen, die noch in die Entwicklung zum Nihilismus gehört, denn er findet mit seiner Vorstellung von Noumena und den Postulaten der praktischen Vernunft einen »Schleichweg zum alten Ideal«.229 Schließlich erhält das Denken bei Nietzsche auch eine andere Grundlage als bei Kant - eine vitale. Der Wille zur Macht manifestiert sich im Menschen zuallererst in seinen Affekten und Trieben. Ihre Machtkämpfe bestimmen wie die Moral so auch das Denken, das heißt es ist nur ein »Machtausgleich von Affekten«.230 Unsere Bedürfhisse legen die Welt aus,231 und ihre Quelle ist zunächst die Leiblichkeit des Menschen.232 Leib und Vernunft sind kein 47 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Gegensatz; wie die Sinne, so hat nach Nietzsche - und er vertritt damit eine in dieser Zeit durchaus populäre Auffassung - auch das Bewußtsein eine organische Basis, womit er das Erkenntnisvermögen mit all seinen Mitteln und Wegen in die Natur des Menschen zurückversetzt, das Verhältnis beider umkehrend: der Leib ist nunmehr maßgebend. Das in ihn integrierte Bewußtsein, der Intellekt, ist seine jüngste Entwicklung, die auf Grund ihrer Jugend nicht sehr leistungsfähig sein kann und demzufolge bisher maßlos überschätzt wurde.233 Der größte Teil allen Geschehens ist völlig unbewußt. Es gilt zu erkennen, »dass all unser sogenanntes Bewusstsein ein mehr oder weniger phantastischer Commentar über einen ungewussten, vielleicht unwissbaren, aber gefühlten Text ist«.234 Das Bewußtsein mit seinen Denkstrategien ist nicht mehr als die »kleine Vernunft« und als solche nur ein Beistand für die »grosse Vernunft« des Leibes.235 Diese ist reicher, vielfältiger, spontaner, instinktmäßiger und sicherer, weil Sprache und Logik ihre Tätigkeit nicht verfälschen. Das Denken als Naturgeschehen stellt dem cartesischen »cogito, ergo sum« ein »vivo, ergo cogito« entgegen.236 Der ganze Organismus ist am Denken beteiligt, das sich somit als ein vielfältiges Geschehen erweist. »Am Leitfaden des Leibes zu denken«, heißt dieses zu erkennen.237 Das eigentliche Denken findet für Nietzsche erst jenseits aller Logik statt, womit er eine radikale Wendung vollzieht. Er versucht nicht nur, etwas anderes zu denken, sondern anders zu denken, was zwischen ihm und der philosophischen Tradition eine breite Kluft entstehen läßt,238 und »die Grenzen desjenigen erreicht, das sich überhaupt begreifen und ausdrücken läßt«.239 Die leibliche Vernunft nennt Nietzsche das »Selbst« des Menschen,240 als Gegenbegriff zum Ich-Bewußtsein der neuzeitlichen Philosophie. Es steht zum einen in Wechselwirkung mit der »kleinen Vernunft«, zum anderen ermöglicht es, im menschlichen Denken, Fühlen und Wollen die Verbindung zum ewigen Ganzen der Natur aufrechtzuerhalten. Es führt zur Perspektive der ewigen Wiederkehr, verliert sich jedoch nicht in der Natur, da es ein bewußtes Geschehen ist.241 Damit strebt Nietzsche die Überwindung des Abgrundes zwischen Natur und Geist an, ohne in einen Biologismus zu verfallen, obwohl ihm dies häufig vorgeworfen wurde. Er will auch keineswegs zurück zur Natur, er will hinauf zur Natur242 - eine Höherentwicklung des Menschen durch die Besinnung darauf, daß auch er Natur ist. Dazu gehört, Vernunft und Erkenntnis in veränderter Gestalt zu akzeptieren, nicht sie abzuschaffen. Die »kleine Vernunft« arbeitet weiter im Rahmen ihrer logischen Struktur, denn es geht Nietzsche lediglich darum, ihre Ergebnisse als Schein zu erkennen. Er will keineswegs in eine vorreflexive Phase zurück und ist nicht der Irrationalist, den man aus ihm machen wollte.243 Die gesamte Kritik innerhalb seines Werkes gründet auf rationaler 48 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Erkenntnis. »Leben«, der Begriff, der um 1900 große Bedeutung erlangt als Gegenbegriff zur Rationalität, ist eben dies bei Nietzsche nicht, denn sie ist und bleibt Teil des Lebens.244 Die neuen Herren sind nicht die ursprünglichen, naiven, sondern Wissende, die als die neuen Philosophen zum Experimentieren ihre Vernunft nutzen.245 Aber Nietzsche will eine rationale Erkenntnis, die, über ihre früheren Irrtümer aufgeklärt, in das Leben integriert ist und sich selbst als Teil des Ganzen sieht. Nur so kann sie zur Macht- und Lebenssteigerung beitragen, denn sie ist ein Herrschafts- und Machtinstrument. Lebensfeindlich aber wird sie, wenn sie im Gesamtzusammenhang des Lebens die Herrschaft übernimmt und alles unter ihre Perspektive zwingt. Ihre Übermacht bedeutet die Anarchie eines Teils auf Kosten des Ganzen - ein décadencePhänomen, Ausdruck eines schwachen Lebens. Nur die Schwäche drängt zur Sicherheit und hat den unbedingten Willen zur Wahrheit. Ein starkes Leben, und dies ist Nietzsches Ziel, kennt ihn nicht. Es braucht den Irrtum, weil es weiß, daß alle Erkenntnisse nichts anderes sein können. Stark genug, sie als solchen gelten zu lassen, nutzt es den Intellekt als Mittel und setzt ihm bewußt Grenzen. Die Griechen, so Nietzsche, wollten aus Instinkt nicht alles wissen. Der moderne Mensch muß sich bewußt dafür entscheiden, denn ein Zuviel an Vernunft und ihres notwendigen Zwangscharakters hemmt den lebensimmanenten Kampf. Indem Nietzsche eine eingeschlagene Entwicklung zu Ende denkt, erkennt er, daß die Hoffnung, allein die Vernunft löse alle Probleme, zum Untergang des Lebens führt. Den Beginn dieser Entwicklung setzt Nietzsche mit Sokrates an, der ihm zufolge die Tugend mit dem Wissen identifiziert, der statt des Lebens das richtige Erkennen zum obersten Prinzip der Wertordnung erhebt und alles negiert, was nicht rational erfaßbar ist. Und was solchermaßen mit Sokrates beginnt, führt geradewegs in die moderne Wissenschaft.

3. Wissenschaft: Gewissenhafter Geist und Weltvernichtung Wissenschaft als die reflektierte Fortsetzung des alltäglichen Vernunftgebrauchs ist die stringenteste Form von Erkenntnis, das ureigenste Arbeitsfeld der »kleinen Vernunft«, in dem nichts gilt als die Regeln der Logik. Wie alle Erkenntnis ist sie Interpretation und dient dem Willen zur Macht. Dementsprechend arbeitet die mechanistische Weltdeutung als vorherrschende Form naturwissenschaftlichen Denkens mit oberflächlichen Zurechtmachungen, um dem Geschehen eine praktikable Struktur zu geben.

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Sie macht die Natur beherrschbar, verfügbar zum Zwecke der Machtsteigerung, und hierin liegt ihre Bedeutung. 246 Sie ist eine Perspektive, die Kunst eine andere; zwischen beiden gibt es keinen kardinalen Unterschied. Sie sind zwei Arten der Interpretation. 247 Nietzsches frühe Aufforderung, die Wissenschaft unter der Optik des Künstlers und die Kunst unter der des Lebens zu sehen, 248 heißt den schaffend perspektivischen Charakter ihrer Interpretation zu erkennen, wobei sich nicht ausschließen läßt, daß Wissenschaft »immer noch eine der dümmsten, das heisst der sinnärmsten aller möglichen Welt-Interpretationen« 2349 ist. Damit nimmt Nietzsche eine fundamental andere Position ein als der populäre Materialismus und Mechanismus und als die herrschende Wissenschaftsauffassung des Positivismus. Bei näherer Betrachtung erweist sich seine wahrlich unzeitgemäße Wissenschaftskritik dementsprechend in der Hauptsache als Positivismuskritik und damit als zeit- und situationsgebunden. Wenn Nietzsche von Wissenschaft spricht, dann hat er ihre positivistische Ausprägung vor Augen. 250 Dabei sind es weniger einzelne Vertreter und auch nicht bestimmte Richtungen der schillernden Vielfalt Positivismus, sondern dessen grundlegende Tendenzen, die Nietzsches Kritik hervorrufen. Einzelne Personen, die er erwähnt, wie John Stuart Mill, Herbert Spencer oder Auguste Comte, gelten ihm nur als Vertreter der herrschenden Meinung. 251 Seine Kritik geht grundlegend davon aus, daß es keine voraussetzungslose Wissenschaft gibt, weil sie selbst dort, wo sie sich gotdos und antimetaphysisch gibt, noch auf einem Glauben ruht: dem Glauben an die Wahrheit. Sie ist sogar die ausgeprägteste Form des Willens zur Wahrheit, welche ihren einzigen Wert darstellt. Sie ruht damit aber noch auf einem moralischen, einem metaphysischen Glauben und verharrt im asketischen Ideal. 252 ›»Die Erkenntniss um ihrer selbst willen‹ - das ist der letzte Fallstrick, den die Moral legt: damit verwickelt man sich noch einmal völlig in sie.« 253 Nun geht der Positivismus keineswegs davon aus, Wahrheit im Sinne einer Wesenserkenntnis zu liefern, was Nietzsche sehr wohl wußte. 254 Aber positivistische Wissenschaft richtet sich auf das Gegebene, Tatsächliche, das sie für sicher und nicht weiter hinterfragbar hält, übersehend, daß dies erneut der Glaube an das Nichts ist. »Gegen den Positivismus, welcher bei den Phänomenen stehen bleibt ›es giebt nur Thatsachen‹, würde ich sagen: nein, gerade Thatsachen giebt es nicht, nur Interpretationen.« 255 Wissenschaft dagegen weist auf der Basis ihrer Tatsachengläubigkeit, die das »empirische Wesen« der Dinge zu ergründen sucht, 256 jeden anderen Wahrheitsanspruch zurück, setzt ihre eigene Wahrheit an die oberste Stelle und zwingt alles unter ihre Perspektive. Gegen diesen absoluten Anspruch der Wissenschaft wendet sich Nietzsches Kritik, weil »er durchschaut, daß

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ihr szientistischcs Selbstverständnis zwar den normativen Anspruch von Wesenserkenntnis preisgegeben, aber insgeheim ... doch die Erbschaft des kontemplativen Erkenntnisbegriffs und des Korrespondenzbegriffs der Wahrheit angetreten hat«.257 Denn die Neigung des Postivismus, Tatsachen als unhintergehbares Letztes zu verstehen, der Königsweg der naturwissenschaftlichen Methode, die absolute Gültigkeit der Naturgesetze verraten nicht nur die Tendenz zur Weltanschauung, sie zeigen, daß der Szientismus des klassischen positivistischen Denkens quasi metaphysische Restbestände enthält.258 Die positivistische Tatsachengläubigkeit ist nach Nietzsche das grundlegende Übel der Wissenschaft. Sie führt zum uneingeschränkten Objektivitätsideal, in dem Nietzsche die Schwäche des Subjekts erkennt, die umgekehrt von der reinen Objektivität reproduziert wird. Die hierauf gründende Neutralität und Gefühlsarmut des Wissenschaftlers ermöglicht dessen Funktionalisierung und Ausnutzung durch Wirtschaft und Staat.259 Ihm gilt nur noch das Zählbare, Meßbare, Wägbare, das aber ist in seiner unscheinbarsten Ausprägung noch bedeutsam, was zwangsläufig zu der Sammelwut führt, die Nietzsche vor allem an der Geschichtswissenschaft beklagt. Was er in der Zeit des Aufschwungs der Historischen Schule damit angreift, sind, ohne daß Nietzsche diesen Begriff gebraucht, die Grundzüge des Historismus, und zwar sowohl im Hinblick auf die Probleme des Wertrelativismus wie auf das Objektivitätsideal einer verwissenschaftlichten Geschichte und ihrer de facto positivistischen Praxis.260 Nietzsche gehört zu den ersten, die die darin liegenden Gefahren erkennen, und seine Kritik trägt gegen Ende des Jahrhunderts zur Abkehr von der historischen Bildung bei. Angesichts ihrer Faktengläubigkeit fordert Nietzsche in seiner Historienschrift, die Geschichte solle den Wissenschaftsanspruch aufgeben. Zwar ist eine Geschichtswissenschaft auch im Rahmen seines Denkens durchaus möglich, zumal Nietzsche ja die historische Betrachtungsweise durchaus lobt und für notwendig hält, weil gerade sie es ist, die zum Beispiel die Entwicklung des Gottesglaubens zeigt und ihn damit auflöst.261 Auch arbeitet er selbst historisch-genealogisch und will wohl kaum den vorwissenschaftlichen Zustand wiederherstellen, dessen intuitive Grundzüge er ins Bewußtsein hebt. Inwieweit Nietzsche selbst aber angesichts positivistischer Praxis die Möglichkeit der Geschichte als Wissenschaft sah, erscheint fraglich. Wissenschaft, die sich auf das Gegebene beschränkt, kann keine Impulse zur Veränderung geben. »Wider den Kult des Realen«, der das Bestehende konserviert, richtet sich Nietzsches Kritik. Dazu gehört für ihn auch die Wissenschaft.262 Sie wirkt in keiner Weise innovativ, wie zum Beispiel an der Soziologie zu sehen ist. Der Angriff auf ihre Gründerväter Comte, Spencer

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und J . St. Mill trifft eine Wissenschaft, die in Nietzsches Augen direkt aus dem Geist der décadence entsteht, welche sie als solche aber nicht wahrnimmt, denn sie kennt nur die »Verfalls-Gebilde der Societät« und hält daher Herdenmentalität, demokratische Gleichmacherei und den Verlust des Pathos der Distanz für das Normale.263 Eine »Theorie der Herrschaftsgebilde statt: Sociologie«264 ist Nietzsches Alternative. Sie würde zeigen, daß Comte sich im Hinblick auf einen Fortschritt der Menschheit zum Höheren irrt, denn das Ziel der Menschheit liegt allein »in ihren höchsten Exemplaren« - »Mißverständniß bei Comte«.265 Wenn dieser für Nietzsche der »klügste Jesuit« ist, »der seine Franzosen auf dem Umweg der Wissenschaft nach Rom führen wollte«,266 so liegt darin die Anklage gegen den gefährlichsten Anspruch der Wissenschaft, nämlich aus ihrer Methode eine Weltanschauung zu machen und damit das Mittel in den Rang der zwecksetzenden Instanz zu erheben. Indem sie nichts anderes mehr gelten läßt als ihre Perspektive und alles Außerwissenschaftliche negiert, erhebt sie den Anspruch, dem Leben den Weg weisen zu wollen und über Sinn und Wert zu entscheiden, obwohl gerade sie doch am weitesten vom Leben entfernt ist. Dabei ist ihr noch immer der Optimismus eigen, den Nietzsche schon an der sokratischen Kultur feststellte, sie könne das Glück aller auf Erden herbeiführen und aus der richtigen Erkenntnis folge das richtige Handeln.267 Und mehr als das: durch Wissen ließe sich das Dasein rechtfertigen und Leid überwinden.268 Eine Wissenschaft, die diesen Anspruch erhebt, kann für Nietzsche nichts anderes sein als die rationalisierte Nachfolge des Christentums. In ihr erkennt er den ehrfürchtig behandelten Religionsersatz der Moderne, denn »was man früher der Kirche gab, das giebt man jetzt ... der Wissenschaft«.269 Sie präsentiert sich als Ersatzglaube und ist als solcher Ausdruck des schwachen Lebens und der Furcht, die nach Sicherheit strebt,270 ein décadencePhänomen ersten Ranges, denn nirgends sonst steht Wahrheit so hoch im Kurs wie hier. In Form der Wissenschaft drängt die Vernunft zur absoluten Herrschaft über das Leben, dessen Verarmung, Vereinseitigung und erstikkende Einengung damit vorprogrammiert sind. Es gilt, ihr Grenzen zu setzen, denn soweit positivistische Wissenschaft nicht über ihre eigene Bedingtheit reflektiert, trifft es zu, wenn Nietzsche sagt, das Problem der Wissenschaft sei nicht auf ihrem eigenen Boden zu erkennen. Sie wird daher in ihrem lebensfeindlichen Tun fortfahren, dessen Auswirkungen nicht pessimistisch genug eingeschätzt werden können: »Der Zweck der Wissenschaft ist Weltvernichtung.«271 Genau betrachtet ist es aber gar nicht die Wissenschaft, die Nietzsches herber Kritik verfällt, sondern es ist der absolute Anspruch, den der Positivismus in dieser Zeit erhebt; eine Tendenz, die Nietzsche prägnant mit einem Satz entlarvt: »Nicht der Sieg der Wissenschaft ist das, was unser 52 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

19tes Jahrhundert auszeichnet, sondern der Sieg der wissenschaftlichen Methode über die Wissenschaft.«272 Seine Haltung ist dementsprechend auch keine rein ablehnende, sondern erweist sich als sehr ambivalent. Werk und Biographie Nietzsches sind voll von Hinweisen darauf, daß er vor der Sicherheit naturwissenschaftlicher Ergebnisse große Achtung empfand. Sein Interesse an ihnen ist nicht zu leugnen, denn sind es nicht gerade die Naturwissenschaften, die ganz im Sinne Nietzsches den Menschen wieder »auf die alte feste Erde«273 stellen? Schon der junge Nietzsche plant eine halb philosophische, halb naturwissenschaftliche Dissertation: »Der Begriff des Organischen seit Kant«, die er aber nicht realisiert. Er will am Ende seines Studiums zur Ergänzung der rein klassisch-humanistischen Ausbildung Chemie studieren, was durch die Übernahme der Basler Professur verhindert wird.274 Doch hier gibt es in den ersten Jahren einen »inoffiziellen Nietzsche«, dessen Interesse Naturphilosophie und -Wissenschaft gilt, die nicht ohne Einfluß auf seine späteren Ansichten bleiben.275 Er liest einführende naturwissenschaftliche Standardwerke,276 gelegentlich aber auch solche, die recht umstrittene Autoren haben und häufig erkenntnistheoretische Fragen einbeziehen, wie zum Beispiel die Arbeiten von J . K. F, Zöllner und African Spir, die beide großen Einfluß auf Nietzsches Denken gewinnen.277 Er gibt diese Studien nie völlig auf, und seine nachgelassene Bibliothek beinhaltet eine beachtliche Liste naturwissenschaftlicher Titel.278 Daß ihm die fachwissenschaftliche Bedeutung dieser Arbeiten nicht zugänglich war, ist zu vermuten. Wenn er aber auf naturwissenschaftlichem Gebiet über »einen bedauerlichen Dilettantismus«279 nicht hinausgelangt, so deshalb, weil er sich nicht wirklich auf die Wissenschaft einläßt. Es ist immer der Philosoph, der mit seinen eigenen Ideen im Kopf diese Werke liest und sich Anregungen oder Bestätigungen holt. Dies aber reichlich. Anklänge an die Naturwissenschaften finden sich nicht nur in seinen naturphilosophischen Aussagen,280 sondern in der gesamten Philosophie Nietzsches. Auf einige Punkte sei hingewiesen. Hervorragend informiert zeigt sich Nietzsche über den Darwinismus.281 Zweifellos fühlt er sich von Darwin, der den Menschen als Teil der Natur sieht, angesprochen, aber die auffallenden Parallelen, die bei oberflächlicher Betrachtung zwischen beiden zu bestehen scheinen, erweisen sich als Täuschung. Das Leben agiert und reagiert nicht auf seine Umwelt, der Übermensch ist eine Möglichkeit für den einzelnen, keine höhere Art, und gewöhnlich siegen nicht die Starken, sondern die Schwachen, denn »Darwin hat den Geist vergessen«.282 Die quasi soziologische Erklärung, die Nietzsche für den Darwinismus findet: seine Entstehung aus der englischen Überbevölkerungssituation,283 zeigt, wie entgegengesetzt bei allem Gleichklang Nietzsches Denken letztlich ist.284

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Doch Nietzsche kennt nicht nur den Darwinismus im engeren Sinne. Die mehrmals erwähnte These, daß sich erworbene Eigenschaften verer­ ben, deutet auf Lamarck,285 Äußerungen über Eugenik sind wohl von Francis Galton angeregt.286 Nietzsche kannte sein Buch »Inquiries into human faculty and its development« (1883), in dem Galton nach der Möglichkeit einer vollkommeneren Form des M enschen fragt durch För­ derung der natürlichen Auslese. Dies kommt Nietzsches Gedanken einer Züchtung des Übermenschen nahe, wenngleich sie bei ihm eher im geistig­ moralischen Sinne gemeint ist.287 Unzweifelhaft sind die Einflüsse der zeitgenössischen Physiologie, vor allem auf den für Nietzsche so grundlegenden Begriff der décadence. Er lernt unter anderem von Charles Féré, einem der in dieser Zeit bedeutend­ sten Physiologen,288 der 1888 ein nüchternes Werk über ein damals belieb­ tes Thema veröffentlichte: »Dégénerescence et criminalite«, das Nietzsche schon kurz nach Erscheinen liest und exzerpiert. Montinari entdeckt in den nachfolgenden Arbeiten und im Nachlaß »tiefgehende Spuren der Beschäf­ tigung Nietzsches mit diesem Physiologen«.289 Die Konzeption des sich steigernden Willens zur M acht zeigt sich unter anderem beeinflußt durch Julius Robert M eyers »Über Auslösung« (1876). Ausgehend von der Beobachtung, daß sich nicht alle Kausalver­ hältnisse dem Grundsatz »causa aequat effectum« fügen, sondern kleine Ursachen oft große Wirkungen zeigen, ergänzt die Arbeit die Erhaltungsdurch die Auslösungskausalität, die qualitative Vorgänge kennzeichnet, wie sie dem Geschehen des Willens zur M acht entsprechen.290 Im neunzehnten Jahrhundert stehen sich im Streit um ›Kraft‹ oder ›Stoff‹ Energetik und Mechanik, stetige Raumerfüllung und Atomismus als zwei Naturauffassungen gegenüber, die in einen heftigen Streit um die richtige Position geraten. In Anlehnung an R. Y. Bošković291 spricht sich Nietzsche gegen den Atomismus und für eine Auffassung der M aterie als Gefüge dynamischer Kraftzentren aus.292 Die Konzeption des Organismus als eine Vielheit von kämpfenden M achtquanten schließlich wird vorberei­ tet durch die Lektüre des Werkes von Wilhelm Roux »Der Kampf der Teile im Organismus«.293 Daß Nietzsche der Wissenschaft nicht rundheraus feindlich gesonnen ist, wird schließlich deutlich an dem eine Zeitlang betriebenen, aber nie veröffentlichten Versuch, die ewige Wiederkehr mit naturwissenschaftli­ chen Ergebnissen zu belegen.2394 Sie soll auf der Basis der modernen Physik »gelehrte Voraussetzungen«295 erhalten, wozu Nietzsche sogar noch einmal ein naturwissenschaftliches Studium plant, aus dem aber erneut nichts wird. Die Lehre von der ewigen Wiederkehr ist einerseits, wie oben angesprochen, als ethisches Postulat zu sehen, sie birgt aber auch die Möglichkeit, sie als eine neue Kosmologie zu verstehen. Beide Interpreta54 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

tionen wurden in der Regel als gegensätzlich dargestellt,296 gehören, führt man sie zurück auf das Grundphänomen des Willens zur Macht, aber zusammen: Sein und Sollen sind identisch; die physikalischen Argumente lassen sich nicht aus dem Gesamtzusammenhang herausbrechen.297 Ob die naturwissenschaftlichen Werke, mit denen Nietzsche sich beschäftigt, bereits zur Entstehung des Gedankens der Wiederkehr beitragen298 oder ihn erst im nachhinein stützen299 ist schwerlich genau zu sagen. Auf jeden Fall beschäftigt er sich im Rahmen des Versuchs, einen naturwissenschaftlichen Beweis zu finden, mit Arbeiten aus dem Gebiet der Thermodynamik und zwar zunächst mit der »Mechanik der Wärme« des in dieser Zeit weithin bekannten Julius Robert Meyer.300 Dieser formuliert 1842 als erster das Prinzip von der Erhaltung der Kraft, das unabhängig voneinander auch andere wenig später entdecken, während der Terminus ›Kraft‹ wegen seiner Ungenauigkeit bald durch ›Energie‹ ersetzt wird. Diesem Prinzip zufolge, in dem das Universum als einheitliches in sich geschlossenes Ganzes erscheint, sind alle Kräfte der Natur (Elektrizität, Magnetismus, Wärme etc.) verschiedene Formen ein und derselben Energie, die von einer Form in die andere wechseln kann, während die Gesamtenergie konstant bleibt. Daraus folgt als erster Hauptsatz der Thermodynamik die Erhaltung der Energie bei der Umwandlung von Wärme in mechanische Arbeit. Eingeschränkt wird dies durch den zweiten Hauptsatz, das Prinzip von der Dissipation (Umwandlung in Wärme) der Energie, der 1852 von William Thomson, dem späteren Lord Kelvin, allgemein formuliert wird. Er besagt, daß die Gesamtenergie zwar quantitativ konstant bleibt, aber ihre Qualität und damit ihre Nutzbarkeit permanent abnimmt. Vor allem dieser Entropiesatz wird heftig diskutiert. Die mit ihm behauptete Irreversibilität physikalischer Prozesse widerspricht der bisher geltenden Annahme vom reversiblen und regelmäßigen Ablauf des Naturgeschehens. Doch wenn die Entropie an einem Punkt zunimmt, müßte sie eigentlich an einem anderen abnehmen. So wird seit den siebziger Jahren gegen die Irreversibilität der »Umkehr- oder Wiederkehreinwand« ins Feld geführt, demzufolge jedes mechanische System unendlich oft in seinen Ausgangszustand zurückkehrt. Der französische Mathematiker Henri Poincaré legt sogar einen Beweis für diese Wiederkehr vor. Dies ist ein Teil der Diskussion über den ›Wärmetod‹, die Vorstellung vom Endzustand des Universums, die sich auf Grund einer bestimmten Interpretation des zweiten Hauptsatzes ergibt, wie sie zum Beispiel von Herrmann Helmholtz, Rudolf Clausius und Lord Kelvin vetreten wird. Die Umwandlung aller Energie in Wärme einer gleichförmigen Temperatur soll dazu führen, daß der zur Verfügung stehende Energievorrat ständig geringer wird und irgendwann überall dieselbe Temperatur herrscht. Dies 55 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

bedeutet den Stillstand aller Prozesse und den Wärmetod des Universums. Diese Konsequenzen werden von vielen Naturwissenschaftlern abgestritten, während es gleichzeitig Versuche gibt, den Entropiesatz mit der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung zu verbinden. Die Thermodynamik wird auf diese Weise zum Thema für Weltanschauungen und Philosophien. Der erste, der sie in seine Überlegungen einbezieht, ist Herbert Spencer, der schon in »First Principles« (1862) von Energieerhaltung und abwechselnd stattfindender Evolution und Dissolution spricht. Im übrigen nimmt um die Jahrhundertwende der allgemein um sich greifende Pessimismus die Vorstellung vom Verfallsprozeß des gesamten Universums nur zu gern auf.301 Nietzsche ist offensichtlich über diese Diskussion informiert. Sein Versuch, die Wiederkehr physikalisch zu untermauern, geht aus von der Unendlichkeit der Zeit und der Endlichkeit des Raumes.302 Im Energieerhaltungssatz findet er eine Bestätigung seiner Gedanken.303 Der These vom immer gleichen Quantum an Energie fügt er die Vorstellung an, daß dementsprechend auch die Zahl möglicher Kombinationen der einzelnen Kraftelemente endlich sein muß, so daß sie sich stets irgendwann wiederholen. Den Entropiesatz und die These vom Wärmetod hält Nietzsche dagegen für widerlegbar. Sie würden der Wiederkehr widersprechen, denn ihnen zufolge hätte die Welt einen Anfang in der ungleichen Wärmeverteilung und ein Ende im Stillstand und Wärmetod. Nietzsche übernimmt aus dem populären Buch von Johann Gustav Vogt »Die Kraft. Eine realmonistische Weltanschauung«304 die Argumente, es sei weder zu erklären, wie die unterschiedliche Wärmeverteilung in die Welt komme, noch warum das Ende nicht bereits eingetreten sei.305 Es gibt eine Reihe von Widerlegungsversuchen der ›wissenschaftlichen‹ Argumente Nietzsches.306 Bei G. Abel dagegen wird deutlich, daß die Erklärungen des Philosophen nicht gar so abwegig sind, zumal die Wissenschaft selbst nicht nur in Nietzsches Zeit verschiedene Vorstellungen einer Wiederkehr kennt: vom perpetuum mobile über die Interpretation des Entropiesatzes bis zur These vom sich ausdehnenden und zusammenziehenden Universum.307 Für Nietzsche steht jedoch die philosophische Dimension der ewigen Wiederkehr im Vordergrund, und so gibt er es bald wieder auf, sie mit Hilfe der Naturwissenschaften beweisen zu wollen. Naturwissenschaft kann ihm kein Maßstab sein, denn sie liefert Gesetze, Formeln zur Naturbeherrschung, ist Wille zur Macht auf niedrigem Niveau; die ewige Wiederkehr ist seine höchste Ausprägung.308 Der Versuch macht aber die positive Seite der Beziehung Nietzsches zur Wissenschaft deutlich. Man kann ihn als Beweis für seine Tendenz der Verabsolutierung der eigenen Theorie ansehen.309 Er zeigt aber auch, daß Nietzsche - »trotz aller philosophischen Kritik an der Wissenschaft seiner Zeit - nicht uferlos

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spekulieren oder bloß glauben, sondern wissen wollte, was wahr ist«.310 Der Versuch ist sicher auch eine Anpassung an seine Zeit mit dem Ziel, die wissenschaftlich verbrämte Lehre annehmbarer zu machen,311 aber dahinter steht doch ein beim jungen Nietzsche wie in den letzten Jahren seines Arbeitens auszumachendes wirkliches Interesse. Wissenschaft bleibt ein Aspekt der Weltbetrachtung, denn Nietzsches »geistige Spannweite war ungewöhnlich groß: so sehr er sich der Antike innerlich verwandt fühlte, so sehr war er ein Kind seines naturwissenschaftlichen Zeitalters«.312 Dementsprechend sind die verschiedenartigsten Einflüsse in seinem Werk zu finden, die er mit seinem Weltbild in Einklang zu bringen versucht.313 Dabei prägt auch die Wissenschaft seine Vorstellungen von Mensch und Welt, und er weiß offensichtlich, wovon er spricht, wenn ihm die Wissenschaft zum Thema wird. Es zeigt sich, daß ihre Methode für ihn eine gewisse Berechtigung hat - er nennt Comte einen großen Methodologen -, 314 aber nicht ihr absoluter Anspruch. Daß ihm das methodische Vorgehen der Wissenschaft nicht unsympathisch ist, kann kaum verwundern, wendet sich doch auch der Positivismus gegen jede Hinterwelt, gegen Metaphysik und Idealismus. Nietzsche erwähnt ihn als einen Punkt in der Auflösung der wahren Welt zur Fabel. Auch die positivistische Berufung auf die Sinne erinnert an Aussagen Nietzsches. Ernst Machs Empfindungs-Positivismus wird dann auch gelegentlich eine starke Wirkung auf Nietzsche zugestanden.315 Diese Ähnlichkeiten in der Grundhaltung machen aus Nietzsche aber an keinem Punkt auch nur andeutungsweise einen Positivisten. Er verfällt nie der Tatsachengläubigkeit. Auch dann nicht, wenn er in der mittleren Periode seines Schaffens316 die radikale Kritik an der Wissenschaft aufgibt, um ihr nunmehr höchstes Lob zu zollen. Die häufig zu findende Kennzeichnung dieses Zeitabschnittes als »positivistische Phase« scheint aber verfehlt.317 Es ist dies lediglich die Zeit, in der Nietzsche sich von Schopenhauer und Wagner und der eigenen Artisten-Metaphysik löst und nun, nachdem er zunächst alle Hoffnungen auf Kunst und Ästhetik gesetzt hatte, dies zugunsten der Wissenschaft aufgibt. Der Kunst wird noch zugestanden, das Leben erträglicher zu machen,318 aber »der wissenschaftliche Mensch ist die Weiterentwicklung des künstlerischen«319 und für das Leben nützlicher - und dieses steht nach wie vor im Mittelpunkt. Es bleibt der oberste Wert, dem gegenüber Kunst und Wissenschaft nur ihre Plätze tauschen. Dieses ist ein Zwischenspiel. Nietzsche kehrt in der dritten Phase seines Philosophierens zurück zu einer der Frühzeit ähnlichen Position des Ästhetischen, die nun gekennzeichnet ist durch den Gedanken des Dionysischen, des Willens zur Macht und der ewigen Wiederkehr. Die berechtigte Phaseneinteilung des Denkens Nietzsches wird abgeschwächt, das Erstaunen über die plötzliche Wende zur Wissenschaft gerin-

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ger, wenn man den immer gegebenen Primat des Lebens bedenkt und daß es nicht ihre Existenz als solche ist, sondern der absolute Anspruch, gegen den Nietzsche vorgeht. Dieser wird auch in der zweiten Phase nicht toleriert. Aber er weiß sich der Wissenschaft und der Aufklärung im Hinblick auf den Vernunftgebrauch verpflichtet, will sie fortführen und gelangt damit auf traditionellere Bahnen. Er widmet die erste Auflage von »Menschliches, Allzumenschliches« 1878 dem 100. Todestag Voltaires. Die zweite 1886 erscheint ohne Widmung, doch findet sich noch am Ende von »Ecce homo« Voltaires »Écrasez l'infâme«.320 Wenn Nietzsche in dieser Zeit von Wissenschaft spricht, dann hat er seine fröhliche Wissenschaft im Sinn, die ohne Gott und ohne Wahrheit frei arbeiten kann. Er setzt seine Hoffnungen erstmals auf die »freien Geister«, in deren Rolle er sich auch selbst sieht. Sie werden im Laufe der Entwicklung zu den Experimentatoren neuer Weltentwürfe, in denen sich die neuen Philosophen ankündigen. Zunächst aber sind sie Endarvende, die auf der Basis der intellektuellen Redlichkeit alles illusionslos in Frage stellen und die alten Bindungen lösen.321 Dabei machen sie einen Versuch mit der Wissenschaft, denn Nietzsche hat diese als Instrument der Kritik entdeckt. Ihre intellektuelle Sauberkeit nimmt nichts unhinterfragt hin, will Gewißheit und wird daher die ungerechtfertigten Ansprüche von Moral und Religion zurückweisen, indem sie ihre wahren Gründe und ihre Geschichte aufdeckt. Damit steht sie im Dienste des Lebens, und »in Dingen des Geistes nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und härter« als »der Gewissenhafte des Geistes«, als welcher der Wissenschaftler im Zarathustra erscheint.322 Dabei kann die wissenschaftliche Tätigkeit je nach Standpunkt als Kennzeichen der Stärke verstanden werden, die keine Illusionen braucht, oder als ein schwächendes Element, das allen Halt vernichtet.323 Immer aber ist ihr auflösendes Tun eine tragische Angelegenheit, von der das Leben nicht unberührt bleibt, denn »Geist ist das Leben, das selber ins's Leben schneidet«.324 Wissenschaft als erstrangiges Instrument der Kritik wird Nietzsche bis zum Ende seines Philosophierens immer positiv beurteilen und selbst heranziehen, wenn es gegen Moral und Religion geht, deren wissenschaftsfeindliche Haltung er verachtet, auch nachdem er selbst die Wissenschaft längst aus ihrer der Kunst übergeordneten Position wieder entlassen hat.325 Sie verliert diese Stellung in der Philosophie Nietzsches zum einen sobald er erkennt, daß sie noch an die Wahrheit glaubt. Damit gehört sie in den Prozeß der Selbstauflösung der Moral, dessen Endpunkt, durch die eigene Wahrhaftigkeit herbeigeführt, ihre Basis, die Wahrheit, vernichtet. Mit der Moral löst sich auch die herkömmliche Wissenschaft auf. Zum anderen erkennt Nietzsche, daß Wissenschaft zwar in der Lage ist, Altes aufzulösen, aber keine neuen Werte schaffen kann.326 Sie liefert keine 58 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Orientierungen, sie erneuert nichts und ist kraftlos, wenn es darum geht, praktische Anweisungen zu erlangen.327 Theorie ist schwaches Leben, das nicht schaffen kann. Die reine Vernunft setzt kein Ziel, sondern kann nur Mittel zu seiner Erreichung angeben.328 Auch sie selbst hat kein Ziel, und deshalb führt auch dieser Weg nur in die Freiheit zum Nichts, zum Nihilismus. Die von der Wissenschaft gebrachte Befreiung endet in der Enttäuschung wie Nietzsches vorübergehender Intellektualismus in der »Erfahrung der Ohnmacht des reinen Geistes«.329 So kehrt der Philosoph zurück zum künsderischen Weltbild und sucht im ästhetischen Entwurf der Wirklichkeit die Erlösung von der Wirklichkeit. Die Zerstörung herkömmlicher Orientierungsmöglichkeiten hinterläßt eine Leere, die durch neue Werte auszufüllen ist, von einer neuen, experimentierenden Philosophie in der Führungsrolle gesetzt.330 Sie gibt praktische Anweisungen, ohne einen Wahrheitsanspruch zu erheben, und erkennt den Willen zur Macht und den Gedanken der Wiederkehr an. So führt das Wissen um die Hilflosigkeit des autonomen Intellekts bei Nietzsche zur Rückkehr zum Mythos in Gestalt der auf dem Geschehen des Willens zur Macht ruhenden ewigen Wiederkehr. Sie läßt sich als Mythos deuten, insofern sie als ein Symbol für eine ursprüngliche Erfahrung erscheint, die letztlich rational nicht faßbar ist und in der Erzählung von der Wiederkehr ihren sprachlichen Ausdruck findet.331 Als Gegenmythos zu Piatonismus und Christentum bildet sie ein Gegengewicht zu Vernunft und Wissenschaft, in dem das Diesseits verewigt wird und auf die eine oder andere Art doch ein Bild der Welt als Ganzes entsteht, in der Annahme, daß der Mensch ohne Ewigkeitsdenken nicht mehr auskommt und in Oberflächlichkeit verharrt.332 Es ist dies, was Nietzsche letztlich bei aller sonstigen Nähe von uns trennt. Er ist uns nah, »insofern die geschichtlichen Bedingungen seiner Schriften im Schatten des Nihilismus immer noch die unseren sind, fremd bleibt er uns, insofern sein philosophisches Denken sich zum Erdenken der Ewigkeit der Zeit übersteigt«.333 Denn damit gibt er dem Mythos ein neues Recht, das ihn zu einem Medium des Weltverständnisses macht und nicht eine bloße Vorform von Philosophie und Wissenschaft sein läßt.334 Auf die von ihm selbst gestellte Nihilismus-Diagnose reagiert Nietzsche mit der Flucht in die mythische Erzählung. Aber es ist eine veränderte Form von Mythos, denn dies ist ein bewußt gewollter. Die ihre eigenen, ihr immanenten Gefahren erkennende Vernunft rettet sich an dem Punkt, an dem sie selbst versagt, in den Irrationalismus, der bei Nietzsche also dort beginnt, wo er den absoluten Anspruch auf rationale Lebensgestaltung zurückweist.335 Nachdem er am Beginn seines Philosophierens auf den künsderischen Mythos seiner ArtistenMetaphysik setzte und sich dann eine Zeitlang in den Bahnen der Aufklä-

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rungstradition bewegte, entsteht so schließlich in der Aufhebung des Gegensatzes zwischen beiden Arten der Weltaneignung eine »Mischung aus Mythos und Logos«. 336 Nietzsche spricht von einer »neuen Aufklärung«, einer über sich selbst aufgeklärten, die am Ende der Entlarvung aller bisherigen Irrtümer den Mythos erneuert. 337 In diesem Gegensatz innerhalb der Philosophie Nietzsches spiegelt sich damit nicht nur die »verhängnisvolle Doppelbödigkeit seiner Existenz« 338 zwischen strenger Analyse und künstlerischer Intuition, sondern auch die Zerrissenheit seiner Zeit und Gesellschaft, seines Jahrhunderts, das eben nicht nur das Jahrhundert der Wissenschaft war, sondern auch den Mythos wiederbelebte, als Gegenbewegung zur alles überwuchernden und damit ihre eigene Krise heraufbeschwörenden Vernunft. Erinnert sei nur an die Opern Richard Wagners. Der Irrationalist, den Lukács in ihm sah, ist Nietzsche dennoch nicht. Sein Irrationalismus ist kein Gegensatz zur Rationalität, sondern einer, der die Rationalität überwunden hat. Seine Philosophie ist keine Gegenaufklärung, sondern ist »durch die Aufklärung hindurchgegangen«. 3 3 9 Doch ihre radikalen Konsequenzen bilden für eine Vernunftphilosophie im traditionellen Sinn keine Basis mehr. Wo Logik keine Rolle spielt, und die objektive Begründung, die der theoretische Mensch verlangen muß, von der subjektiven Überzeugung abgelöst wird, da kann die philosophische Interpretation wohl noch von einer »Rationalität spezifischer Art« 340 sprechen, aber objektive Erkenntnis und Wissenschaft können mit dieser Rationalität nichts mehr anfangen. Doch dem, wenn man so will, vernünftigen Irrationalismus Nietzsches ist nicht nur die Objektivität gleichgültig, er gibt letztlich auch jeden traditionell aufklärerischen Anspruch auf, denn »mit Nietzsche verzichtet die Kritik der Moderne zum ersten Mal auf die Einbehaltung ihres emanzipatorischen Gehaltes. Die subjektzentrierte Vernunft wird mit dem schlechthin Anderen der Vernunft konfrontiert. Und als Gegeninstanz zur Vernunft beschwört Nietzsche die ins Archaische zurückverlegten Erfahrungen der Selbstenthüllung einer dezentrierten, von allen Beschränkungen der Kognition und der Zwecktätigkeit, allen Imperativen der Nützlichkeit und der Moral befreiten Subjektivität.«341 Insofern Nietzsche den Mythos der ewigen Wiederkehr als Mythos etabliert und nicht versucht, ihn rational zu beweisen, bleibt er dabei seinem eigenen Postulat der Redlichkeit durchaus treu. Wissenschaft dagegen kann den Mythos nicht anerkennen, aber sie spielt auf dieser Ebene, die den Nihilismus überwunden hat, ja auch keine bedeutende Rolle mehr, was nicht heißt, daß sie gar nicht mehr existiert. Vom höheren Standpunkt aus als Schein und Interpretation erkannt, arbeitet sie auf einer unteren Stufe weiter, bleibt als eine Perspektive bestehen und wird als solche genutzt, wodurch Nietzsche jenen Zustand erreicht, den er ehedem zur Rettung der

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Wissenschaft wünschte, nämlich, daß »eine höhere Cultur dem Menschen ein Doppelgehirn, gleichsam zwei Hirnkammern« geben müsse, »einmal um Wissenschaft, sodann um Nicht-Wissenschaft zu empfinden«.342 Was hier aber bestehen bleibt ist die Wissenschaft, wie Nietzsche sie kennt, das heißt die positivistische, die noch an die Wahrheit glaubt. Um sie im Zaum zu halten, ordnet er sie dem Leben unter, degradiert sie zu einem Mittel der Machtsteigerung und zum Kritikinstrument, aber er ändert sie nicht, und seine Philosophie bietet dafür auch keine Basis. Nietzsche hat das Problem Wissenschaft erkannt aber nicht gelöst. Weil er dem positivistischen Wissenschaftbegriff verhaftet bleibt und nur die Extreme von Wahrheit und Schein kennt, deutet nichts darauf hin, daß er sich eine Wissenschaft vorstellen kann, die auf der Basis der intellektuellen Redlichkeit ihren Wahrheitsbegriff nicht auflöst, sondern relativiert und damit die Entwertung der obersten Werte überlebt. Nahe kommt dem bestenfalls die fröhliche Wissenschaft der zweiten Phase. Eine solche Form von Wissenschaft würde für Nietzsche an ihrer Unterordnung unter das Leben und an der Ineinssetzung von Theorie und Praxis nichts ändern, denn diese Positionen ergeben sich aus seiner radikalen Erkenntniskritik, aber sie wäre nicht lebensfeindlich, weil sie ihre eigenen Grenzen kennt. Diese Möglichkeiten bleiben Nietzsche verschlossen; sie eröffnen sich im Werk Max Webers.

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III. Wahlverwandtschaft: Das Verhältnis Weber - Nietzsche Solange Friedrich Nietzsche geistig produktiv ist, wird er kaum gelesen. Der Intensität, mit der er seine Einsichten zu Papier bringt, steht die Gleichgültigkeit der potentiellen Leserschaft gegenüber. Doch noch bevor im Jahre 1889 die geistige Umnachtung seinem Schaffen ein Ende setzt, erlebt Nietzsche den beginnenden Wandel dieser Situation, als der Däne Georg Brandes an der Kopenhagener Universität Vorlesungen über seine Philosophie hält. Nur wenig später, im Jahre 1890, setzt plötzlich und heftig ein stetig wachsendes Interesse an Nietzsche und seinem Werk ein, das in nur kurzer Zeit eine Fülle von Publikationen hervorbringt. Es wird modern, Nietzsche zu lesen, die Schlagworte seiner Lehren gehen ins Tagesgespräch ein, ja in der Zeit des Weltkriegs wird Nietzsche enthusiastisch gefeiert. Gleich, ob man mit euphorischer Zustimmung oder Ablehnung reagiert, man kommt schon bald an diesem Philosophen nicht vorbei. Bereits bei seinem Tod im Jahre 1900 ist Nietzsche nicht nur weithin bekannt, er ist bereits jetzt zum Mythos geworden.1 Nachdem in den neunziger Jahren die Nietzsche-Rezeption nicht selten von Oberflächlichkeit und Mißverständnissen geprägt war, setzt nun ein tieferes Verstehen ein. Gehör findet nicht mehr allein der rücksichtslose Zerstörer der alten Ordnung, der den extremen Individualismus des Übermenschen und den starken Willen predigt, sondern auch der schonungslose Kritiker, dem die Kultur zum Problem wird. Die biologisch-naturalistischen Züge der Philosophie Nietzsches kommen ebenso in den Blick wie seine ›Erkenntnistheorie‹ und seine Auseinandersetzung mit Plato und dem Christentum, Sokrates und der Wissenschaft. Er wird dem Kreis um Stefan George zum Propheten des »antikischen Menschen« und zunehmend als »Lebensphilosoph« verstanden. So ist eine Fülle von Aspekten seines Werkes in der Diskussion,2 bis, unabhängig von den gleichzeitig entstehenden bedeutenden Nietzsche-Interpretationen von Jaspers, Löwith und Heidegger, im Nationalsozialismus die verfälschende Ausbeutung seiner Gedanken einsetzt. Sie wird zur Abkehr von Nietzsches Philosophie führen, bis zu seiner Wiederentdeckung in den sechziger Jahren. Zum Beginn der Nietzsche-Rezeption zurückkehrend, bleibt die Frage 62 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

zu stellen, woher dieses plötzliche und heftige Interesse an ihm und seinem Werk rührt. Da ist zunächst die tatsächliche oder vermeintliche Nähe zu Ideen dieser Zeit. So erlebt zum Beispiel um 1900 die Naturphilosophie eine Renaissance, die organische Ganzheiten sucht und Empirie mit philosophischer Spekulation verbindet. Auch taucht nun die Idee des Übermenschen vielfach in der Philosophie auf,3 unterstützt von sozialdarwinistischem Gedankengut und seiner optimistischen Vorstellung einer möglichen Vervollkommnung des Menschen. Doch dies sind bereits Auswirkungen der Krisenstimmung, in der ein sich steigerndes Orientierungsbedürfhis auch zu einem erneuten Interesse an philosophischen Fragen führt. Gegen Ende des Jahrhunderts ist der Punkt erreicht, an dem der Glaube an die Omnipotenz der Naturwissenschaften und das positivistische Menschenbild unhaltbar werden, während die optimistische Fortschrittshoffnung deutlich ins Wanken gerät. Was zunächst nur bei wenigen zu finden ist, greift bald allgemein um sich: das Bewußtsein, inmitten einer Zeit des Umbruchs zu leben. Wer hätte die damit auftretenden Fragen eindringlicher gestellt und deutlicher auf die Krise hingewiesen als Friedrich Nietzsche? Die nicht allein von ihm, aber nirgends mit solcher Vehemenz zum Ausdruck gebrachten Probleme werden vielfach aufgegriffen. Nietzsches eminente Wirkung auf die Literatur, aber auch auf den philosophischen und wissenschaftlichen Bereich, insbesondere auf die Soziologie, ist bekannt. »Es hat vermutlich«, schreibt Walter Kaufmann, »so gut wie keinen gebildeten Deutschen nach 1900 gegeben, der nicht irgendwie von Nietzsche ›beeinflußt‹ war«. 4 Von Max Weber ist ein Ausspruch bekannt, der seine persönliche Einschätzung Nietzsches dokumentiert: »Die Redlichkeit eines heutigen Gelehrten, und vor allem eines heutigen Philosophen, kann man daran messen, wie er sich zu Nietzsche und Marx stellt. Wer nicht zugibt, daß er gewichtigste Teile seiner eigenen Arbeit nicht leisten könnte, ohne die Arbeit, die diese beiden getan haben, beschwindelt sich selbst und andere. Die Welt, in der wir selber geistig existieren, ist weitgehend eine von Marx und Nietzsche geprägte Welt.«5 So Weber 1920 im Anschluß an eine Diskussion mit Oswald Spengler, in der dieser Marx und Nietzsche angriff. Die Aussage beansprucht aber über diesen unmittelbaren Zusammenhang hinaus Geltung, weil sie durch das Werk Webers bestätigt wird. Anklänge an die Philosophie Nietzsches lassen sich von den frühen Schriften bis in die letzten Äußerungen zeigen, in wenigen direkten Zitaten, aber in vielen Anspielungen, in Fragen und der Auswahl von Themenbereichen. Daß Nietzsche selbst dabei nur gelegentlich Erwähnung findet, darf nicht verwundern, hatte doch sein Gedankengut eine Präsenz und einen Grad von Verbreitung erreicht, der ein Erken-

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nen seiner Fragen und Stellungnahmen auch dann voraussetzen konnte, wenn sie nicht ausdrücklich als die Nietzsches kenntlich gemacht wurden. Die spärlichen direkten Hinweise finden sich aber »nicht zufällig gerade an solchen Stellen, an denen Weber auf grundlegende weltanschauliche Probleme oder welthistorische Perspektiven zu sprechen kommt«.6 Dies kann als Hinweis darauf gelten, daß der ›Einfluß‹ Nietzsches zunächst auf einer sehr fundamentalen Ebene anzusiedeln ist. Während das in gleicher Weise bedeutsame Verhältnis Weber-Marx/ Marxismus schon in frühen Interpretationen untersucht7 und seitdem immer wieder neu beleuchtet wurde, sind Webers Beziehungen zu Nietzsche, obwohl es auch hier frühe Hinweise gibt,8 erst spät zum Thema eingehender Untersuchungen geworden und werden gelegentlich auch in neueren Arbeiten noch weit heruntergespielt.9 Das Verdienst, eine intensivere Auseinandersetzung eingeleitet zu haben, gebührt zunächst Eugene Fleischmann und Wolfgang Mommsen,10 bis vor allem in den achtziger Jahren das Problem nun um so heftiger aufgegriffen wurde. Es erschien eine Reihe von Publikationen zum Thema, die Nietzsches Einfluß in den politischen Schriften Webers wie in der Religionssoziologie, in seiner Staatslehre wie in seinem Menschenbild und seinen ethischen und wissenschaftlichen Vorstellungen ausmachen.11 Es erübrigt sich, hier auf Einzelheiten einzugehen, da manches im weiteren Verlauf der Arbeit angesprochen wird. An dieser Stelle sei stattdessen danach gefragt, wie der Einfluß Nietzsches auf Weber zu gewichten ist, um der sich in manchen Arbeiten abzeichnenden Gefahr einer Überbewertung12 zu entgehen. Es darf nicht vergessen werden, daß das Webersche Werk in der Fülle seiner Thematik zahlreiche Spuren anderer Autoren aufweist, Ähnlichkeiten zu ihren Positionen, Anklänge an ihre Problemstellungen sowie kritische Auseinandersetzungen mit ihren Standpunkten. Angefangen mit Hobbes13 und Toqueville14 ließen sich aus der unmittelbaren Vergangenheit und vor allem aus dem zeitgenössischen Umfeld15 eine beträchtliche Anzahl von Verfassern nennen, deren Schriften in der einen oder anderen Weise von Weber verarbeitet werden. Dabei zeichnet sich sein Denken jedoch stets durch große Unabhängigkeit aus. Er greift das ihm Kongeniale auf, das für seine Position Bedeutsame, aber nie im Sinne einer schlichten Übernahme, sondern immer in souveräner Verarbeitung. So ist der Begriff des ›Einflusses‹ auch im Hinblick auf die Bedeutung Nietzsches für das Werk Max Webers, wie W. Hennis betont,16 durchaus zu relativieren. Weber hat sich den Arbeiten Nietzsches mit Interesse und Engagement genähert, aber nie die nötige Distanz verloren. Was der Wissenschaftler in den Anschauungen des Philosophen fand, waren den eigenen Gedanken verwandte Elemente, »was er von ihm übernahm waren

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›Fragestellungen‹, Probleme, die ›feinen Gedanken‹ und ›Konstruktio nen‹, die der Fachwissenschaftler Weber nun in die für ihn brauchbaren Fragestellungen und Idealtypen umgoß«.17 Wesentlicher als die auch in Sachfragen an manchen Stellen mögliche Zurückführung Weberscher Standpunkte auf Nietzsche erscheint »eine ganz grundsätzliche ›Einstimmung‹, ›Inspirierung‹ Webers durch das Epochenbewußtsein und die Frageweise Nietzsches«.18 So läßt sich wohl von einer »Wahlverwandtschaft«19 zwischen Weber und Nietzsche sprechen, begründet in einer prinzipiellen Konformität der grundsätzlichen Gegenwartsdiagnose. Weber schätzt zweifelsohne vor allem den Zeit- und Kulturkritiker Nietzsche - eine Rolle, in der er selbst immer wieder auftritt. Denn ebenso stark wie bei Nietzsche findet sich auch bei ihm ein ausgeprägtes Krisenbewußtsein, das die eigene Zeit als eine des Übergangs erkennt, auf der Suche nach neuen Maßstäben und neuem Halt, nachdem alte Verbindlichkeiten verlorengingen. Der »Tod Gottes« ist auch für Weber unzweifelhafte Gewißheit und Nietzsches Nihilismus-Diagnose, soweit sie die Entwertung der metaphysischen Werte meint, Kennzeichen der Zeit. Das Wissen um den in Jahrhunderten vollzogenen Verlust sicherer Ordnung, bei Weber eingebunden in die Konzeption von der »Entzauberung der Welt«, ist die Basis der Philosophie Nietzsches wie der wissenschaftlichen Arbeiten Webers, in denen er als erster »aus der Nihilismus-Diagnose Nietzsches die radikalsten wissenschaftlichen Konsequenzen«20 zieht. Dabei ist beiden die Tragik des Geschehens nur allzu bewußt und die Zukunft des Menschen eine gemeinsame Sorge. Die diesen Zusammenhang betreffenden prophetischen Aussagen Nietzsches und die von Hennis herausgearbeitete Frage Webers nach der Entwicklung des »Menschentums«21 entstehen auf gleicher Grundlage. Dabei wird nicht nur in der Antwort auf diese Frage deutlich, daß der Wissenschaftler wie vor ihm der Philosoph keinerlei Fortschrittsoptimismus mehr gelten läßt. Fortschritt ist nicht notwendig ein solcher zum Besseren, und der zunehmende Gebrauch der Vernunft führt nicht zwangsläufig zum Glück und schon gar nicht zur Einigkeit. Stattdessen offenbart sich, daß der Kampf im weitesten Sinne ein grundlegendes Element aller Kultur ist, und diese Konfliktträchtigkeit der Welt sich durch keine Ethik beseitigen läßt. Gegensätze nicht aufzuheben, sondern pointiert auf sie hinzuweisen, ist eine Eigenschaft, die Weber wie Nietzsche auszeichnet. Denn: Man soll sich nichts vormachen und die Wahrheit ertragen lernen. Zu Recht setzt Fleischmann Nietzsches »Wieviel Wahrheit erträgt, wieviel Wahrheit wagt ein Geist?« in Parallele zu einer Äußerung Webers: »Als Weber einmal nach dem Sinn seiner Wissenschaft für ihn selbst gefragt wurde, antwortete er: ›Ich will sehen, wieviel ich aushalten kann‹.«22 Der Wille sich nicht selbst zu betrügen, die Rücksichtslosigkeit den eigenen und

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fremden Wünschbarkeiten gegenüber ist die Eigenschaft, die Nietzsche als »Redlichkeit« kennzeichnet und als unsere letzte und höchste Tugend den freien Geistern zuschreibt. Sie findet sich bei Weber wieder als »intellektuelle Rechtschaffenheit«. Aber in dieser gemeinsamen grundlegenden Eigenschaft, auf die immer wieder hingewiesen wird, offenbart sich gleichzeitig das Trennende zwischen Weber und Nietzsche. Hier zeichnet sich ab, daß den fundamentalen Gemeinsamkeiten fundamentale Unterschiede gegenüberstehen. Nietzsches Redlichkeit orientiert sich in letzter Instanz am Leben, Webers Rechtschaffenheit an der erreichten Stufe der Rationalität und ist so in erster Linie eine Eigenart der Wissenschaft. Während es Nietzsche durchaus erlaubt ist, den Mythos als eine lebensbedeutsame und daher gültige Form der Weltdeutung zu etablieren, könnte dieser für Weber nicht mehr sein als ein wissenschaftliches Untersuchungsobjekt, dessen Anspruch auf Gültigkeit einen Anachronismus darstellte.23 Nietzsches Flucht ins Irrationale ist der nüchtern-rationalen Weberschen Rechtschaffenheit nicht mehr möglich. Dementsprechend findet sich hier nicht die Spur eines Erlösungsdenkens. Weder der sehnsuchtsvolle Blick auf trügerische Zukunftsutopien noch die Anlehnung an ältere Weltbilder, sondern die Forderung nach dem tätigen Aushalten und der Anerkennung der eigenen Zeit, die es zu bewältigen gilt, ist das Bestimmende der Haltung Webers. Nietzsches Visionen finden daher bei ihm keinerlei Widerhall. Der gemeinsamen Zeitdiagnose gegenüber erweist er sich damit als der Konsequentere, der die Illusionslosigkeit, treffend gefaßt in Dantes »Lasciate ogni speranza«,24 zur Vollendung bringt. Es zeigt sich darin eine Grundeinstellung, die sich von der Nietzsches insofern unterscheidet, als sie bei aller Kritik, die auch Weber an der Rationalität übt, diese dennoch nicht nur als unverzichtbar erkennt, sondern auch für die richtige Basis der Problemlösung hält. So versucht er, sie nicht durch eine Wendung zum Irrationalen in den Griff zu bekommen, sondern auf dem Wege der rationalen Betrachtung der Rationalität. Aus diesem Grund wählt Weber die Wissenschaft. Die intuitiven Einsichten Nietzsches werden ersetzt durch die distanzierte wissenschaftliche Analyse, die unvermeidbar an vielen Punkten zu anderen Ergebnissen gelangt. Von Nietzsche zu Weber findet ein Perspektivenwechsel vom Leben zur Wissenschaft statt, der an die Stelle des »prophetischen Pathos« die »wissenschaftliche Pathologie«25 setzt, die rationale Analyse der konstatierten Probleme als Darlegung der Kausalzusammenhänge des Bestehenden in seiner Entwicklung. Die sich daraus ergebenden Unterschiede sind es, und hierin ist W. Schluchter26 recht zu geben, die Weber heute noch interessant machen - und bedeutsam. Denn das Problem, wie mit dieser Gegenwart umzugehen ist, kommt seiner Lösung kaum näher, wenn man sich mit

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Zarathustra auf die Suche nach dem Übermenschen macht, während Webers Analysen zumindest einen ungetrübten Blick fördern. In Anbetracht dieser grundlegenden Unterschiede ist zu erwarten, daß Weber auch dann zu einer anderen Antwort gelangt, wenn er vor dem Hintergrund der ›Krise der Wissenschaft‹ Nietzsches Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Leben aufgreift. Mit Weber hat ein Vertreter der Wissenschaft deren Problem erkannt, was Nietzsche noch für unmöglich hielt. Weber kritisiert sie also nicht von außen wie Nietzsche, sondern von ihrem eigenen Standpunkt aus, indem er ihr selbstkritisches Potential zur Anwendung bringt. Dies ist ein erster Hinweis darauf, daß es sich hier um eine Form von Wissenschaft handelt, die nicht Nietzsches positivistischem Begriff entspricht. Und Webers Darlegungen müssen, gerade weil er mit den Gegebenheiten der Wissenschaft auf das engste vertraut ist, um so fundierter, treffender und zwingender in ihren Ansprüchen an die Wissenschaft sein. Diese neue Ausgangsbasis wird ergänzt durch eine grundlegend andere Anschauung menschlichen Erkenntnisvermögens, denn Weber zeigt hier keinesfalls die gleiche radikale Skepsis. Nietzsches »Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt« kann für ihn nicht gelten. Erkenntnis folgt nach wie vor sicheren Prinzipien, denn Weber hebt nicht auf, er relativiert. Was dem radikalen Denken Nietzsches nicht gelang, wird zur Basis der gemäßigten Anschauungen Webers: die Auflösung aller Absolutheit. Nietzsche bleibt, wie oben gezeigt, an das gebunden, was er bekämpft. Er kommt nicht los von den absoluten Kategorien der Metaphysik, deren Überwindung bei Weber vollkommen gelungen ist. Nietzsche kennt nur Alles oder Nichts, die Wahrheit und den Irrtum. Und weil es die Wahrheit nicht gibt, ist notwendig alles falsch. Diese extreme Sichtweise wird ersetzt durch die Relativierung und Mäßigung des Weberschen Standpunktes, von dem aus betrachtet die Wahrheit nicht in viele Irrtümer zerfällt, sondern in viele Wahrheiten. Bei Nietzsche steht man am Ende vor den Trümmern alter Weltbilder, ohne irgendwo Halt zu finden, denn er zieht aus der Nihilismus-Diagnose Konsequenzen, mit deren Radikalität wenig anzufangen ist. Die Entwertung der obersten, metaphysischen Werte, also der Verlust der ehemaligen Legitimationsbasis, führt bei ihm zum völligen Zusammenbruch aller bisherigen Ordnungen und zur Notwendigkeit der Umwertung. Dieser Vorstellung eines vollständigen Nihilismus in Theorie und Praxis folgt Weber keineswegs, im Gegenteil: er bekämpft sie. Es ist wohl gut begründet, daß sich das populäre Wort ›Nihilismus‹ bei ihm nicht findet. Die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Leben erhält damit von vornherein eine andere Basis, von der ausgehend weder ›Leben‹ noch ›Wissenschaft‹ die gleiche Bedeutung haben wie bei Nietzsche. Leben kann

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für Weber kein wie auch immer geartetes allumfassendes Ganzes sein. Es bedeutet nicht mehr als die menschliche Praxis, als in einer konfliktbeladenen Welt sich vollziehendes wertorientiertes Handeln. In Webers Stellungnahmen zur Wissenschaft treten Einsichten Nietzsches durchaus wieder auf; so daß Wissenschaft wohl alte Ordnungen zerstört, aber nicht in der Lage ist, neue zu schaffen, und daß sie ihren eigenen Wert nicht begründen kann, sondern einen Wert voraussetzen muß, an den sie glaubt. Und Nietzsches Grundeinsicht: »Es giebt keine prästabilirte Harmonie zwischen der Förderung der Wahrheit und dem Wohle der Menschheit«,27 gilt in gemäßigtem Verständnis zweifellos auch für Weber. Insofern zeigt sich auch er weit entfernt vom positivistischen Wissenschaftsideal. Denn was ist dieses, von seinem Standpunkt aus betrachtet, anderes, als auch eine Fluchtbewegung der Zeitsituation gegenüber. Rettet sich Nietzsche in den Irrationalismus, so sucht der Positivismus sein Heil im optimistischen Glauben an felsenfeste Tatsachen und Gesetze, die sich wissenschaftlich ermitteln lassen. Die intellektuelle Rechtschaffenheit schiebt auch dem einen Riegel vor. Weber und Nietzsche finden im Positivismus den gemeinsamen Gegner, mit dem Unterschied, daß dieser im positivistischen Verständnis befangen bleibt, während jener sich von ihm löst. Dies führt bei Weber zu einer Form von Wissenschaft, die zum einen der Entwertung der metaphysischen Werte standhält, zum anderen ein grundlegend anderes Verhältnis zwischen Wissenschaft und Leben begründet, als Nietzsche es sieht. In der Wissenschaftslehre zeigt sich eine Konzeption, der es gelingt, den Lebensführungsanspruch positivistischer Richtungen einzudämmen, ohne Nietzsches Forderung nach Unterordnung unter das Leben nachzugeben, und gleichzeitig die Sicherheit wissenschaftlicher Erkenntnis zu postulieren, ohne der Tatsachengläubigkeit des Positivismus zu verfallen. So offenbart Wissenschaft in der Weberschen Analyse ihre Möglichkeiten und Grenzen, und es zeichnet sich die Antwort auf die von ihm selbst formulierte Frage ab: »Welches ist der Beruf der Wissenschaft innerhalb des Gesamtlebens der Menschheit? und welches ihr Wert?« Und was leistet sie »Positives für das praktische und persönliche ›Leben‹«? 28 Grundlage für Frage und Antwort ist Webers Einschätzung der gegenwärtigen Welt als entzaubert und rationalisiert. Vor diesem Hintergrund seinen Gedanken nachzugehen, die die Wissenschaft weder überschätzen noch zu gering veranschlagen, kommt der Einlösung der Aufforderung gleich, die Weber in seinem 1917 gehaltenen Vortrag »Wissenschaft als Beruf« ausspricht: »›Bedenkt, der Teufel der ist alt, so werdet alt ihn zu verstehen‹«, was bedeutet, »daß man auch vor diesem Teufel, wenn man mit ihm fertig werden will, nicht - die Flucht ergreifen darf, wie es heute so gern geschieht, sondern daß man seine Wege erst einmal zu Ende überschauen muß, um seine Macht und seine Schranken zu sehen«.29

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IV. Die »Entzauberung« der Welt Die Themenverwandtschaft, die sich in den Arbeiten Nietzsches und Webers feststellen läßt, wird unter anderem an einem für den Philosophen wie den Wissenschaftler zentralen Bereich sichtbar: Religion und religiöse Ethik bilden in beiden Werken einen Schwerpunkt. Jedoch ist nicht nur die inhaltliche Fragestellung eine jeweils andere, auch das methodische Herangehen ist grundverschieden. Was Nietzsche zu diesem Punkt vorlegt, ist Religionskritik, die sich letztlich als Ideologiekritik darstellt, wie sie auf andere Weise auch Marx und Freud bieten. Webers wissenschaftliche Ausführungen sind als Religionssoziologie zu kennzeichen,1 zu deren Begründern er im übrigen zählt. Ihm geht es nicht um eine reduktionistische Entlarvung der Religion und ihre Rückführung auf einen Bereich, dessen Ausdruck sie lediglich ist, seien es ökonomische oder psychologische Befindlichkeiten, zu denen auch Nietzsches »Ressentiment« zählt.2 Stattdessen wird das religiöse Empfinden als eine ursprüngliche eigenständige Kraft anerkannt, Religion als ein Bereich gesehen, der mit anderen in Wechselwirkung steht und sich entwickelt, dessen Bewertung aber der Wissenschaft nicht zusteht. Webers Arbeiten zeigen dabei eine genaue Kenntnis der im neunzehnten Jahrhundert unabhängig von Philosophie und Theologie entstehenden Religionswissenschaft, deren Ergebnisse er verarbeitet und weiterführt.3 Jedoch ist der Ausgangspunkt seines Interesses zunächst die ökonomische Entwicklung, genauer: die Entwicklung des Kapitalismus, der er schon in seinen frühen Arbeiten nachgeht.4 Diese treten aber hinter sein wohl bekanntestes Werk »Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« zurück. Hier und in der Fortsetzung über die protestantischen Sekten untersucht Weber »die Bedingtheit der Entstehung einer ›Wirtschaftsgesinnung‹: des ›Ethos‹, einer Wirtschaftsform, durch bestimmte religiöse Glaubensinhalte, und zwar an dem Beispiel der Zusammenhänge des modernen Wirtschaftsethos mit der rationalen Ethik des asketischen Protestantismus«.5 Weber geht hier, wie er selbst sagt, einer einseitigen Kausalbeziehung nach. Die folgenden Arbeiten über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen stellen demgegenüber eine thematische Ausweitung dar, denn sie berücksich-

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tigen die Wechselwirkung zwischen Religion, Ökonomie und gesellschaftlich-politischen Verhältnissen - soweit »als notwendig ist, um die Vergleichspunkte mit der weiterhin zu analysierenden okzidentalen Entwicklung zu finden«.6 Sie ist Webers Erklärungsziel und der Standpunkt, von dem aus er in vergleichender Perspektive die Weltreligionen betrachtet. Auf Grund dieses heuristischen Eurozentrismus finden die ausführlich untersuchten Religionen des Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus, Taoismus und das antike Judentum ebensowenig um ihrer selbst willen Beachtung wie der Islam und das antike Christentum, zu denen es nur einzelne Äußerungen gibt.7 Im Zentrum des Interesses steht auch in diesen Aufsätzen noch die ökonomische Entwicklung, doch diese findet sich nun eingebettet in einen weitergefaßten Frageansatz, denn Weber ist inzwischen bewußt geworden, daß sich im modernen Kapitalismus des Okzidents eine bestimmte Form von Rationalität verkörpert. Und nicht nur hier. In der »Vorbemerkung«, die er 1920 den »Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie« voranstellt, nennt Weber weitere Bereiche: Musik, Architektur, Literatur, den Staat als politische Anstalt mit seinen Fachbeamten und rational gesatztem Recht und Verfassung und den »rationalen und systematischen Fachbetrieb der Wissenschaft: das eingeschulte Fachmenschentum«.8 In all diesen Erscheinungen entdeckt Weber »einen spezifisch gearteten ›Rationalismus‹ der okzidentalen Kultur«,9 eine Form von Rationalität, die auch deshalb von besonderem Interesse ist, weil sie sich offensichtlich allgemein durchsetzt, auch dort, wo sie ursprünglich nicht zu Hause war. In diesem Sinne ist wohl der Eingangssatz der »Vorbemerkung« der religionssoziologischen Arbeiten zu lesen: »Universalgeschichtliche Probleme wird der Sohn der modernen europäischen Kulturwelt unvermeidlicher- und berechtigterweise unter der Fragestellung behandeln: welche Verkettung von Umständen hat dazu geführt, daß gerade auf dem Boden des Okzidents, und nur hier, Kulturerscheinungen auftraten, welche doch - wie wenigstens wir uns gern vorstellen - in einer Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung und Gültigkeit lagen?«10 Mit diesem Satz aus der »Vorbemerkung«, einem der letzten von Weber verfaßten Texte, hat er sein Forschungsprogramm seit der »Protestantischen Ethik« umrissen. »Die besondere Eigenart des okzidentalen und, innerhalb dieses, des modernen okzidentalen, Rationalismus zu erkennen und in ihrer Entstehung zu erklären«,11 ist das Leitmotiv nicht nur der religionssoziologischen Arbeiten. Der spezifisch okzidentale Rationalisierungsprozeß ist kein einheitliches Geschehen und in seiner Gesamtheit auch nicht darstellbar, denn er zeigt sich in einer Fülle von Einzelprozessen in verschiedenen Bereichen. Religion, Recht, Staat und Gesellschaft, Kunst

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und Wissenschaft entwickeln sich dabei nicht linear und nicht parallel, stehen aber notwendig in Wechselwirkung miteinander, können sich gegenseitig ergänzen oder ausschließen, sich unterstützen oder hemmen. Die in »Wirtschaft und Gesellschaft« versammelten systematischen und historischen Arbeiten über Herrschaft, Recht und Wirtschaft, die Geschichte der Stadt und die Entwicklung des Bürgertums, Webers Musiksoziologie, 12 ja auch die Wissenschaftslehre spiegeln die konstatierte Rationalisierung wider. Sie gehen Fragestellungen nach, zu denen Weber im Fortgang des Forschungsprozesses gelangt. Alle Probleme gruppieren sich letztlich in der einen oder anderen Weise um den Mittelpunkt: okzidentaler Rationalismus. Letztlich gilt es, ihn durch die Phänomene, in denen er sich zeigt, zu erklären und in vergleichender Perspektive gegen andere Ausprägungen des Rationalismus abzugrenzen, denn »schließlich und vor allem muß und will ein religionssoziologischer Versuch dieser Art nun einmal zugleich ein Beitrag zur Typologie und Soziologie des Rationalismus selbst sein«. 13 ›Rationalismus‹ ist für Weber demnach kein eindeutig zu bestimmendes Phänomen, sondern es läßt sich »unter diesem Wort höchst Verschiedenes« verstehen, denn »der ›Rationalismus‹ ist ein historischer Begriff, der eine Welt von Gegensätzen in sich schließt«. 14 Weber zerlegt einen scheinbar eindeutigen Begriff in seine verschiedenen Aspekte, was seine unumgängliche Klärung im Rahmen des Weberschen Werkes nicht eben erleichtert. 15 Vorauszuschicken ist, daß Weber gern in Antinomien denkt. 16 Er führt Positionen gedanklich bis in ihre letzten Konsequenzen und konfrontiert sie mit dem genauen Gegenteil, um die jeweiligen Besonderheiten deutlich zu machen. Webers Rationalismuserklärungen sind solche heuristischen Extremkonstruktionen. ›Rationalismus‹ meint zunächst offensichtlich nicht mehr als das bewußt und planvoll eingesetzte, insofern sinnhafte Verhältnis von Zweck und Mitteln, dessen nähere Bestimmung bereits eine Differenzierung des Begriffs erfordert. So läßt sich zunächst die Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Rationalismus feststellen, das heißt die Beziehung zum einen auf die Sphäre des Denkens und Erkennens, zum anderen auf die der Praxis, des wertbezogenen Handelns, des Lebens. Sodann trennt Weber zwischen Zweck- und Wertrationalität, wie er in seiner Handlungstheorie ausführt: »Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt«.17 In dieser umfassendsten Ausprägung der Zweckrationalität stehen also auch die Zwecke zur Disposition. Sie werden unter Berücksichtigung des

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Handlungskontextes rational gesetzt, und die Werte, die ihnen zugrundeliegen, sind technische oder Erfolgswerte. Sie sind wandelbar und markieren keine konstante Wertorientierung des Handelnden, denn im Mittelpunkt steht die Effizienz des Zweck-Mittel-Verhältnisses. Weber unterscheidet dabei zwischen der subjektiven Zweckrationalität, die orientiert ist an »Erwartungen, welche subjektiv über das Verhalten der Objekte gehegt wurden«, also der persönlichen Meinung des Handelnden entsprechen, und der objektiven Richtigkeitsrationalität, in deren Rahmen Erwartungen sich an objektiv gültigen Erfahrungen orientieren. 18 Gelten die Zwecke als gegeben, so ist das Handeln nur in seinen Mitteln zweckrational, während die Entscheidung über die Zwecke, und unter Umständen auch die über die Folgen einer Handlung, gemäß wertrationaler Einstellungen erfolgt. »Rein wertrational handelt, wer ohne Rücksicht auf die vorauszusehenden Folgen handelt im Dienst seiner Überzeugung von dem, was Pflicht, Würde, Schönheit, religiöse Weisung, Pietät, oder die Wichtigkeit einer ›Sache‹ gleichviel welcher Art ihm zu gebieten scheinen. Stets ist (im Sinne unserer Terminologie) wertrationales Handeln ein Handeln nach ›Geboten‹ oder gemäß ›Forderungen‹, die der Handelnde an sich gestellt glaubt.«19 Der Zweck ist hier die Verwirklichung einer konstanten Wertorientierung in den einzelnen Handlungen, die als Mittel diesem Zweck dienen. Im Mittelpunkt steht also der Eigenwert eines Tuns, nicht die Erreichung eines äußeren Erfolges. Beide Handlungsweisen, zweck- und wertrationale, sind als ›reine Typen‹ zu verstehen, die in der Realität in dieser Geschlossenheit nicht oder nur in Grenzfällen vorkommen, denn die Komplexität realen Handelns beinhaltet gewöhnlich mehrere, durchaus ineinander übergehende Tendenzen. Zu ihnen gehören die beiden anderen, von Weber dargelegten Handlungsarten: das traditionale und das affektuelle Handeln, das heißt ein »durch eingelebte Gewohnheit« bzw. »durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen« bestimmtes Vorgehen. 20 Beide befinden sich jedoch an der Grenze bzw. jenseits dessen, was als rational zu bezeichnen ist, da sie in ihrer reinen Form kaum ein bewußtes, planvolles, sinnhaft orientiertes Handeln bieten. Weber trennt schließlich zwischen formaler und materialer Rationalität eine Unterscheidung, die er im Rahmen des rationalen Wirtschaftens darlegt, 21 die aber generell gilt. Bei Weber selbst spielt sie auch in der Rechts- und Herrschaftssoziologie eine große Rolle. Die Betrachtung einer Handlung unter den Aspekten der formalen oder materialen Rationalität sieht vom zugrundeliegenden Wert und der Zwecksetzung ab. Die formale Rationalität erfaßt den relativ eindeutig feststellbaren technischen Zusammenhang zwischen einem gegebenen Zweck und den zu seiner Erreichung

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adäquaten Mitteln. Sie bezieht sich also auf die äußere Form eines Geschehens, ohne Rücksicht auf die wertgebundenen Inhalte. Diese werden erfaßt von der materialen Rationalität, die auf die inneren Wertzusammenhänge verweist. Da sie von völlig verschiedenen Wertstandpunkten aus betrachtet werden können - ethischen, politischen, utilitarischen etc. - ist der somit vieldeutige Begriff des Materialen zunächst als formaler, abstrakter Gattungsbegriff zu verstehen, der im konkreten Fall auf seinen Inhalt hin näher zu bestimmen ist. Beide Arten von Rationalität sind durchaus getrennt zu erörtern, denn »formale und materiale (gleichviel an welchem Wertmaßstab orientierte) Rationalität fallen unter allen Umständen prinzipiell auseinander, mögen sie auch in noch so zahlreichen ... Einzelfällen empirisch zusammentreffen«. 22 Das technisch Rationale kann und wird in vielen Fällen material irrational sein und umgekehrt. Die enge Beziehung zwischen der formalen und der Zweckrationalität einerseits sowie der materialen und der Wertrationalität andererseits ist unmittelbar einsichtig. Gleichwohl läßt sich eine wertrationale Handlung auf ihre formal-rationale Stimmigkeit hin prüfen wie eine zweckrationale im Hinblick auf ihre material-rationalen Inhalte. Im übrigen wird in diesem Zusammenhang deutlich, daß Weber auch die Wertrationalität als Zweck-Mittel-Verhältnis versteht, wenn er »wertrational« und »material zweckrational« gleichsetzt. 23 Der Begriff des Rationalen, verstanden als die bewußte Relation von Zweck und Mitteln, ist bei Weber, soweit bisher dargestellt, ein rein formaler Begriff, dessen inhaltliche Ausprägung sich ganz unterschiedlich gestalten kann. Rationalität ist aber nicht nur eine variable, sondern auch eine sich entwickelnde Größe, die je nach den inneren und äußeren historischen Gegebenheiten und dem darin liegenden Entwicklungspotential zur Entfaltung kommt. »Es gibt ζ. Β. ›Rationalisierungen‹ der mystischen Kontemplation, also: von einem Verhalten, welches, von anderen L ebensgebieten her gesehen, spezifisch ›irrational‹ ist, ganz ebenso gut wie Rationalisierungen der Wirtschaft, der Technik, des wissen­ schaftlichen Arbeitens, der Erziehung, des Krieges, der Rechtspflege und Verwal­ tung. Man kann ferner jedes dieser Gebiete unter höchst verschiedenen letzten Gesichtspunkten und Zielrichtungen ›rationalisieren‹, und was von einem aus ›rational· ist, kann, vom anderen aus betrachtet, ›irrarional‹ sein. Rationalisierungen hat es daher auf den verschiedenen Lebensgebieten in höchst verschiedener Art in allen Kulturkreisen gegeben. Charakteristisch für deren kulturgeschichtlichen Unterschied ist erst: welche Sphären und in welcher Richtung sie rationalisiert wurden.«24 Dies wird deutlich in Webers religionssoziologischen Arbeiten, wobei die Aufsätze über die einzelnen Religionen gewissermaßen Fallbeispiele sind, während das religionssoziologische Kapitel in »Wirtschaft und Gesellschaft« sowie die »Vorbemerkung« und die berühmte »Zwischenbetrach-

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tung« der »Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie« ansatzweise eine Systematisierung möglicher Rationalisierungstendenzen im Hinblick auf die Religion bieten. In diesem Rahmen zeichnet sich ab, daß der okzidentale Rationalisierungsprozeß in weiten Teilen als religiöser Entzauberungsprozeß zu verstehen ist. Bevor dieser im folgenden näher betrachtet wird, sei jedoch zunächst ein Wort zu Webers methodischem Vorgehen gesagt, denn die Vorstellung vom Rationalisierungsprozeß hat dazu geführt, daß gelegentlich zumindest Teile seines Werkes einem evolutionstheoretischen Ansatz zugeordnet wurden.25 Der Evolutionsgedanke gehört in Variationen zu den wichtigsten Ideen des neunzehnten Jahrhunderts. Er beinhaltet die Vorstellung einer linearen Entwicklung, die sich in dieser Zeit mit dem Fortschrittsgedanken und mit dem herrschenden Ideal naturwissenschaftlicher Erkenntnis verbindet, so daß die Idee einer irgendwie gesetzmäßig ablaufenden und zu ermittelnden Evolution vorherrscht. Hegels idealistische Geschichtsphilosophie und die historischen Gesetze des Marxismus sind ebenso Modifikationen dieses Denkens wie die empirisch-wissenschaftlichen und spezifisch positivistischen Entwicklungs- und Stufentheorien, die seit der zweiten Jahrhunderthälfte entstehen, sei es bei Herbert Spencer, Emile Durkheim, Karl Lamprecht, Kurt Brcysig oder Werner Sombart. Weber ist kein Vertreter dieser deterministischen Ansätze, die er im Gegenteil ausdrücklich zurückweist.26 Er greift stattdessen vom Standpunkt der Gegenwart aus unter dem Aspekt der Rationalisierung einzelne Phänomene auf, die zu einem prozeßhaften Verlauf zusammengefaßt werden. Es ist dies das von Weber selbst beschriebene idealtypische Vorgehen, dessen nähere Klärung hier der Darstellung der Wissenschaftslehre überlassen bleiben muß. Richtig bleibt, daß auch Webers Arbeiten ein Entwicklungsbegriff und der Gedanke einer Stufenfolge zugrundeliegen. Auf diese Weise erfaßte Prozesse enthalten jedoch keine Gesetzmäßigkeit, sondern sind abhängig von den jeweils gegebenen historischen Bedingungen. Auch sind erreichten Stufen keineswegs in sich geschlossen, sondern flexibel und durchsetzt mit älteren Elementen.27 Eine Stufe ›rein‹ darzustellen, heißt einen ›reinen Typus‹ zu konstruieren, der in der Realität nur in Grenzfällen auftritt. Allein in diesem Sinn lassen sich Elemente des okzidentalen Rationalisierungsprozesses rekonstruieren. Dabei wird deutlich, daß Webers ›Entwicklungsgeschichte‹ aus einer Fülle von Einzelprozessen besteht, die voller Spannungen und Widersprüche sind und keinen notwendigen Ablauf darstellen; es hätte jeweils auch anders kommen können, wie die AlternativEntwicklungen in fremden Kulturen zeigen. Was Weber in diesem Zusammenhang hauptsächlich interessiert, ist der Bereich der praktischen Lebensführung, worauf an späterer Stelle zurückzukommen ist.28 Im folgenden soll zunächst die kognitive Seite dieses 74 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Vorgangs im Mittelpunkt stehen: die Weltbildentwicklung. Weber trennt nicht zwischen beiden Bereichen, und sie sind natürlich ineinander verwoben und bedingen sich gegenseitig, doch soll hier versucht werden, die Bereiche von Theorie und Praxis in der Entwicklung des spezifisch okzidentalen Rationalismus gesondert darzustellen. Am Beginn der Entwicklung steht in ähnlicher Weise in allen Kulturen das magische Weltbild,29 das ursprünglich durch einen präanimistischen Naturalismus gekennzeichnet ist. Dieser schreibt bestimmten Dingen, Tieren oder Menschen außeralltägliche Kräfte zu - eine Eigenschaft, für die Weber den Begriff des »Charisma« heranzieht. Dieses wird mit einsetzender Abstraktion Mächten zuerkannt, die hinter dem magisch Qualifizierten stehen und zunächst unbestimmt, vor allem unpersönlich bleiben. Erst im sich entfaltenden Abstraktionsprozeß entstehen die typisch animistischen Vorstellungen von übersinnlichen und übernatürlichen Mächten, werden die Auffassungen von Geistern und einer eigenständigen Seele entwickelt. Schließlich reift die Überzeugung von der Existenz der Dämonen und Götter, die zunehmend personifiziert und in anthropomorpher Gestalt gedacht werden, und deren Eigenheiten den jeweiligen historischen Gegebenheiten entsprechen. Dinge und Ereignisse erhalten damit einen übernatürlichen Sinn; sie werden wichtig, weil sie etwas bedeuten. Diese Stufe des Symbolismus findet im mythologischen Weltbild ihren Höhepunkt. Die zunehmende Systematisierung und Rationalisierung im Denken und Leben läßt an die Stelle einer Vielfalt der verschiedenen Götter das wohlgeordnete Pantheon treten, dessen Götter mit festen Eigenschaften und Aufgaben ausgestattet sind. Häufig entwickelt sich ein Gott zum Herrscher des Pantheons und oft darüber hinaus zum einzigen, universellen Weltgott des Monotheismus. Dämonen, Götter oder Gott werden zunehmend in einer eigenen Welt gesehen. Jenseitsvorstellungen gibt es bereits im Umkreis des magischen Seelenglaubens, der häufig bereits die Existenz eines Totenreiches annimmt, und sie entwickeln sich bis zur Auffassung von Paradies und Hölle. Die Beziehung zum Reich der Götter wird zunächst durchaus um diesseitiger Vorteile willen gesucht: Wohlergehen, Jagdglück, Reichtum. Je rationaler das Diesseits jedoch erfaßt wird, um so stärker verschiebt sich die Hoffnung auf äußere praktische Vorteile in Richtung auf das Jenseits und auf die Erwartung eines inneren Heilszustandes. Die Ziele religiösen Handelns rücken somit ins Außerweltliche, bei gleichzeitiger Entwertung der diesseitigen Welt zur Durchgangsstation, zum Kreatürlichen, zum Verfügbaren ohne Eigenwert. Auf dieser Stufe der Entwicklung zeigt sich die Welt vollkommen entzaubert, was nicht bedeutet, daß frühere Entwicklungsstufen keine Rolle mehr 75 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

spielen oder keine Rückschritte mehr stattfinden könnten. Ob die hier skizzierte Entzauberung tatsächlich in dieser Weise stattfindet oder an einem bestimmten Punkt stehen bleibt oder die Entwicklung eine andere Richtung nimmt, ist abhängig von einer Fülle von Bedingungen, die prägend, hemmend oder fördernd wirken. Profane historische Bedingungen wie das politisch-soziale Umfeld bestimmen diese Entwicklung ebenso wie die spezifischen Trägerschichten einer Religiosität, die hier »nicht als Exponenten ihres Berufes oder materieller ›Klasseninteressen‹« von Bedeutung sind, »sondern als ideologische Träger einer solchen Ethik oder Erlösungslehre, die sich besonders leicht mit ihrer sozialen Lage vermählte«. 30 Schichtenspezifische Erlösungshoffnungen, die inhaltlich unterschiedlich ausfallen, weil sie abhängig sind von dem, »wovon« und »wozu« man erlöst sein will, 31 wirken ebenso bestimmend wie rein innerreligiöse Bedingungen. In Asien entwickelt sich statt des Glaubens an einen persönlichen überweltlichen Gott die Vorstellung einer unbedingt gültigen Weltordnung, was zu völlig anderen Konsequenzen führt. In der Volksreligiosität behalten magische Vorstellungen ihren Platz; fast alle Religionen haben ihre Heiligen, Heroen oder Funktionsgötter entweder nie aufgegeben oder wieder aufgenommen. Ausnahmen sind allein das antike Judentum und der Protestantismus, insbesondere in seiner calvinistisch-puritanischen Ausprägung. Die vollständige Ausrottung aller Magie sieht Weber infolgedessen auch nur in diesem asketischen Protestantismus verwirklicht. Er vollendet den religiösen Entzauberungsprozeß, der in dieser Konsequenz nur im Okzident stattgefunden hat. Seinen Beginn erkennt Weber im antiken Judentum. In ihm sieht er einen »Angelpunkt der ganzen Kulturentwicklung des Occidents und vorderasiatischen Orients. An geschichtlicher Bedeutung kann ihm nur die Entwicklung der hellenischen Geisteskultur und, für Westeuropa, des römischen Rechts und der auf dem römischen Amtsbegriff fußenden römischen Kirche, dann weiterhin der mittelalterlich-ständischen Ordnung und schließlich der sie sprengenden, aber ihre Institutionen fortbildenden Einflüsse, auf religiösem Gebiet, also des Protestantismus, gleichgeordnet werden«.32 Es sind die entscheidenden Faktoren des okzidentalen Rationalisierungsprozesses, die Weber hier nennt, eine spezifische Entwicklung, die im religiösen Bereich mit dem Judentum beginnt. Zwar kennt es noch die ritualistische Befolgung von Geboten, hat aber gleichzeitig das religiöse Verhalten »entzaubert«, durch Ausschaltung aller Magie, die wesentlich durch die spezifisch jüdische Gotteserfahrung bedingt ist. Die Unnahbarkeit Jahwes entzieht ihn nicht nur jeder magischen Beeinflussung, sie verhindert auch jeden Gedanken an eine »unio mystica« oder eine metaphysische Weltdeutung. Dennoch ist dieser Gott dem menschlichen Erfas-

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sen nicht entzogen und seine Motive sind einsichtig, was dem Weltgeschehen einen magiefreien rationalen Charakter verleiht und die Frage nach dem Sinn der Welt wie das Bedürfnis nach Erlösung von ihr überflüssig werden läßt. 33 Der »Zauber« der Magie wird ersetzt durch das »Wunder«, das die rationale Weltlenkung Gottes, seine Vorsehung, berücksichtigt, 34 während in China und Indien, vor allem in der Volksreligiosität, die Welt ein »Zaubergarten« bleibt. Die Grundlage der antimagischen Haltung ist für Weber die altjüdische Sendungsprophetie, denn »das der Magie gegenüber prinzipiell Neue ... setzt ... der - nicht ausnahmslosen Regel nach das Eingreifen außerpriesterlicher Mächte voraus. Einerseits eines Trägers von metaphysischen oder religiös-ethischen ›Offenbarungen‹: des Propheten. Andererseits der nicht priesterlichen Anhänger eines Kultus: der ›Laien‹«.35 Der Prophet, 36 der das traditionale Weltbild der Magie durchbricht, wird von Weber als Träger eines Charisma bestimmt, das sich aus einer ihm rein persönlich zuteil gewordenen Offenbarung ergibt, womit er der Priesterschaft entgegensteht. Er verkündet (im Gegensatz zum Zauberer) eine religiöse Lehre oder einen göttlichen Befehl und wird damit zum Religionserneuerer oder -Stifter. Die »ethische Prophetie«, deren Verkünder sich als Werkzeug Gottes versteht und Gehorsam als ethische Pflicht fordert, ist ausschließlich in Vorderasien präsent (zum Beispiel Zarathustra, die altjüdischen Propheten, Mohammed). Die Vertreter der in Asien verbreiteten »exemplarischen Prophetie« zeigen durch eigenes Beispiel den Weg zum Heil (zum Beispiel Buddha). Sie kennen keinen göttlichen Auftrag, auf Grund des Fehlens der typisch vorderasiatischen Vorstellung eines überweltlichen, persönlichen, ethischen Gottes, an deren Stelle eine unpersönliche Macht ewiger Ordnung angenommen wird, von den Göttern geschaffen oder auch sie noch dominierend. Der Glaube an eine solche Ordnung, die alle Dinge durchdringt, ist der Mystik zugetan. Die Götter und Dämonen, die die asiatische Völksreligiosität bevölkern, zeigen den Anteil Magie, der hier noch besteht. Damit bricht die biblische Prophetie, die in dieser Form, alle Mystik und weltindifferente Haltung ebenso ablehnend wie alle Magie, in China und Indien nicht vorkommt. Die Magiefeindschaft des Judentums wird von der christlichen Religion im Prinzip übernommen. Während sich in der volkstümlichen Heiligenverehrung und in der Sakramentsgnade der katholischen Kirche noch Reste magischen Denkens finden, gelingt schließlich dem asketischen Protestantismus in der Ablehnung dieser Wege zum religiösen Heil die konsequente Ausrottung aller Magie und damit die Vollendung des religiösen Entzauberungsprozesses. Keine Götter und Dämonen oder unbekannte Kräfte bestimmen das Weltgeschehen, und es hat keinerlei symbolischen Wert mehr.

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Diese religiöse Entzauberung ist Teil des allgemeinen Rationalisierungsprozesses, den Weber als Intellektualisierungsvorgang kennzeichnet, als zunehmend systematisierende, rationale, verstandesmäßige Erfassung der Welt. So erkennt er als eine bestimmende Kraft auch der religiösen Entwicklung »den Intellektualismus rein als solchen, speziell die metaphysischen Bedürfnisse des Geistes, welche über ethische und religiöse Fragen zu grübeln nicht durch materielle Not gedrängt wird, sondern durch die eigene innere Nötigung, die Welt als einen sinnvollen Kosmos erfassen und zu ihr Stellung nehmen zu können«.37 Der Intellektualismus ist für Weber eine eigenständige Kraft und kein moralisches Phänomen wie für Nietzsche. Intellektualistische Prinzipien kommen auch in den Religionen, ihren Gottesvorstellungen, ethischen Auffassungen und der Haltung zur Religion überhaupt zum Ausdruck -3 in unterschiedlicher Weise, was wiederum abhängt von der Trägerschicht des Intellektualismus und ihrer Stellung im kulturellen und sozialen Zusammenhang. Asiatische Lehren entstehen in einer Schicht philosophisch Gebildeter und sind ursprünglich reine Intellektuellenlehren wie ebenso der vorderasiatische Manichäismus, die Gnosis oder die religiöse Ethik der Pythagoräcr und Neuplatoniker. Ihr typisches Merkmal ist die Suche nach Erlösung von innerer Not und die Neigung zur Mystik. Träger des religiösen Intellektualismus kann auch die Priesterschaft selbst sein. Sie systematisiert ein schon in magischen Verhältnissen gegebenes, zunächst geheimes und mündlich tradiertes »heiliges Wissen« 38 zu einer festen Lehre, deren literarische Fixierung in Form von kanonischen Schriften und Dogmen den Buchreligionen zugrundeliegt. Neben den Priestern oder an ihrer Stelle ist es häufig das Mönchtum, das die intellektualistischen Bedürfnisse trägt: so im Buddhismus, im Islam und im alten und mittelalterlichen Christentum, wo nicht nur das theologische und metaphysische Denken, sondern auch Ethik, Wissenschaft und Kunst im Rahmen mönchischer Lebensform gepflegt werden. Das kodierte Wissen der Buchreligionen wird gewöhnlich zur Grundlage des Bildungssystems und maßgebend für religiöse und weltliche Belange, für Priester und Laien. Auf diesem Wege wird der Laienrationalismus entweder erst geweckt, mindestens aber gefördert und der Intellektualismus als solcher insgesamt gestärkt. Für das okzidentale Mittelalter konstatiert Weber einen engen Zusammenhang zwischen Laien- und priesterlichem Rationalismus im Einfluß vornehmer Bildungs- und Intellektuellenschichten auf kirchliche Entwicklungen. Puritaner und täuferische Sekten des siebzehnten Jahrhunderts sind dank der Verbreitung der Bibelkenntnis gekennzeichnet durch einen religiösen Massenintellektualismus. Einen solchen plebejischen oder prole-

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taroiden Intellektualismus erkennt Weber auch bei religiös interessierten Handwerksgesellen aller Zeiten und bei kleinen Beamten, Kleinpfründnern, Schriftkundigen und Elementarlehrern, wandernden Sängern und Vorlesern, Erzählern und Rezitatoren und schließlich bei der autodidaktischen Intelligenz der negativ privilegierten Schichten, so der russischen proletaroiden Bauernintelligenz und der westlichen sozialistischen und anarchistischen Proletarierintelligenz. Es versteht sich, daß die typische Sinnesrichtung dieser Gruppen durchaus verschieden ist. Sie reicht von der Hoffnung auf die Befreiung von Dämonen bis zu ökonomischen und politischen Verheißungen, die unabhängig von der Religion sind, aber doch einen Religionsersatz darstellen. Für den plebejischen Intellektualismus in Deutschland konstatiert Weber eine radikal antireligiöse Wendung, bei gleichzeitiger Entstehung des Glaubens an die sozialistische Eschatologie. Doch scheint auch diese im Verblassen, denn je mehr die Betroffenen selbst agieren, desto mehr tritt, so Weber, dies »akademische« Element intellektualistischer Verheißungen zurück, und »die unvermeidliche Enttäuschung der fast superstitiösen Verklärung der ›Wissenschaft‹ als möglicher Produzentin oder doch als Prophetin der sozialen gewaltsamen oder friedlichen Revolution im Sinn der Erlösung von der Klassenherrschaft tut das Uebrige«. 3 9 So ist für Weber die letzte große religionsartige Intellektuellenbewegung die der russischen revolutionären Intelligenz der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Rationales Denken in Laienschichten hat also stets durchaus auch unabhängig von priesterlichem Einfluß existiert, nicht zuletzt in der mittelländischen Antike bei Phönikern, Griechen und Römern. Von hoher Bedeutung sind die hellenischen Philosophenschulen, die auf die Schaffung einer religiösen Ethik zielen, so Pythagoräer und Neuplatoniker, oder wie die platonische Akademie einen schulmäßigen Betrieb ausbilden, der gegenüber der bestehenden Religion mehr oder weniger selbständig auftritt, sie ignoriert oder philosophisch aufarbeitet, ansonsten aber hauptsächlich ›wissenschaftlichem‹ Denken verpflichtet sind. Die griechische Kultur und ihr philosophisch-wissenschaftlicher Intellektualismus bilden neben der jüdischen Religion die zweite Basis für die spezifisch okzidentale Rationalisierung. Doch auch Philosophie und Wissenschaft wollen zunächst den Sinn der Welt und ihr kosmisches Ordnungsgefüge ergründen. Denn an welchen konkreten Inhalten auch immer der Intellektualismus verankert ist, er sucht nach sinnvollen Zusammenhängen, drängt auf Systematisierung, Rationalisierung und Vereinheitlichung. »Der Intellektuelle sucht auf Wegen, deren Kasuistik ins Unendliche geht, seiner Lebensführung einen durchgehenden ›Sinn‹ zu verleihen, also ›Einheit‹ mit sich selbst, mit den Menschen, mit dem Kosmos. Er ist es, der die Konzeption der ›Welt‹ als eines ›Sinn‹ -Problems vollzieht. Je mehr der Intellektualismus den Glauben an die

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Magie zurückdrängt, und so die Vorgänge der Welt ›entzaubert‹ werden, ihren magischen Sinngehalt verlieren, nur noch ›sind‹ und ›geschehen‹, aber nichts mehr ›bedeuten‹, desto dringlicher erwächst die Forderung an die Welt und ›Lebensführung‹ je als Ganzes, daß sie bedeutungshaft und ›sinnvoll‹geordnet seien.«40 Es entsteht die Vorstellung eines rational organisierten Kosmos, in dem der Mensch seinen festen Platz hat und dessen einheitlichen Sinn Propheten, Priester und die priesterfreie Philosophie in metaphysischer Spekulation zu ergründen suchen. Doch derselbe Intellektualismus, der diese Einheit konstruierte, muß schließlich erkennen, daß sie nicht existiert, denn die Vorstellung vom wie auch immer geordneten Kosmos und die empirische Realität stimmen nicht überein. Weber geht dem anhand der Spannung zwischen religiöser Ethik und Welt nach,41 die sich zunächst am Problem der Theodizee festmacht, der Notwendigkeit der Rechtfertigung Gottes angesichts der Ungerechtigkeit und Irrationalität der Welt.42 Die ungleiche Verteilung von Glück und Leid erweist sich als ethisch unmotiviert, ja die Existenz des Leids überhaupt als rational nicht begründbar. Das Problem des ungerechten Leidens verlangt nach Erlösung, nach gerechtem Ausgleich, und zwar, da das rationale Denken sich auch dieser Schwierigkeiten immer stärker annimmt, in Form einer rationalen Lösung. Unterschiedliche Gottesvorstellungen und Erlösungshoffnungen führen die Weltreligionen zu unterschiedlichen Konzeptionen. So nimmt zum Beispiel der vorderasiatische Dualismus, der eine eigenständige Macht der Finsternis kennt, ein Nebeneinander von Gut und Böse an, von Wahrheit und Lüge, Himmel und Hölle in der Volksreligiosität - nach Weber nichts anderes als die Systematisierung des magischen Pluralismus der Geister. Mit wachsender Rationalisierung ist eine solche quasi innerweltliche Lösung nicht mehr möglich, und die Hoffnungen verlagern sich auf eine höhere Macht. Die vollkommenste Lösung der Theodizee sieht Weber in der indischen Karmanlehre, deren Seelenwanderungsglaube die Welt als lückenlosen Kosmos ethischer Vergeltung konzipiert, ausgerichtet an einer übergöttlichen Weltordnung. Die Rationalität dieser Konzeption wird jedoch bezahlt mit der Erstarrung in der einmal gegebenen unveränderlichen Ordnung. Die radikalste Lösung besteht darin, Gott soweit zu entrücken, daß er dem menschlichen Begreifen völlig unzugänglich wird wie der islamische »Allah« oder der protestantische »Deus absconditus«. Das TheodizeeProblem wird hier verdrängt, doch diese Konzeptionen verdecken nur die Spannung zwischen Gottes Geboten und der Welt, sie beseitigen sie nicht, so daß die aus den Gegensätzen entstehende Dynamik erhalten bleibt. Der Ausrichtung auf das Jenseits korrespondiert die zunehmende Entwertung der diesseitigen vergänglichen Welt. Deren ethische Unvollkom-

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menheit, die vom religiösen Standpunkt aus ihre Vergänglichkeit rechtfertigt, bekommt auch die religiöse Brüderlichkeitsethik des Christentums zu spüren. Ihre Nothilfepflicht, der brüderliche Liebeskommunismus, der sich zur Nächstenliebe, Menschenliebe, Feindesliebe, ja zum objektlosen Liebesakosmismus unterschiedlicher Ausprägung steigern kann,43 kollidiert beständig mit den Ordnungen und Werten der Welt. Diese Kollision wird um so heftiger, je stärker die Welt der Tendenz nachgeht, Kulturgüter um ihrer selbst willen zu schätzen und als zeidos gültig zu verklären. Vom Standpunkt der Religion aus ist Kulturbesitz an sich sinnlos, sind kulturelle Ziele, die an das »Geistes- oder Geschmackscharisma« gebunden sind, wertlos und die Beschäftigung mit ihnen führt zwangsläufig zu religiöser Schuld. Doch Weber weist auch mehrmals darauf hin, daß die kulturelle Ausdeutung der Welt tatsächlich Grenzen hat: von ihrem Standpunkt aus muß der Tod sinnlos bleiben, was die Sinnlosigkeit des Lebens im Gefolge hat. Der Bauer, so Weber, befand sich im Kreislauf des Seins und konnte »lebenssatt« wie Abraham sterben. Der Kulturmensch wird bestenfalls lebensmüde, denn seine Selbstvervollkommnung im Hinblick auf die Kulturgüter geht, wie diese selbst, durch ständigen Wandel ins Unendliche. Das Leben hat kein Ziel mehr.44 Je rigider der rationale Kosmos der religiösen Ethik gedacht wird, um so prinzipieller wird seine Unvereinbarkeit mit den Ordnungen der Welt, das heißt mit den nicht-ethischen, kulturellen Wertsphären. Gesteigert wird dieser Gegensatz durch die Tatsache, daß auch diese kulturellen Ordnungen, und zwar jede in ihrer Weise, ihren eigenen Werten entsprechend, systematisch rationalisiert werden, was dazu führt, daß sie sich nicht nur von der religiösen Sphäre entfernen, sondern auch untereinander in Konflikte geraten. Das kosmische Weltbild zerbricht. Der moderne Mensch lebt in verschiedenen Bereichen, die sich zu eigengesetzlichen, mehr oder weniger geschlossenen und ihre eigenen Werte verteidigenden Sphären entwickelt haben. Daher geraten sie in Widersprüche und Konkurrenzsituationen, denn was innerhalb einer Sphäre völlig rational ist, kann und wird vom Standpunkt der anderen aus irrational erscheinen. Zwar wurden und werden diese Konflikte notwendigerweise noch immer im Alltag durch Kompromisse überdeckt, aber der erreichte Stand an Rationalität erlaubt nicht mehr, darüber hinwegzugehen, »denn die Rationalisierung und bewußte Sublimierung der Beziehungen des Menschen zu den verschiedenen Sphären äußeren und inneren, religiösen und weltlichen, Güterbesitzes drängte dann dazu: innere Eigengesetzlichkeiten der einzelnen Sphären in ihren Konsequenzen bewußt werden und dadurch in jene Spannungen zueinander geraten zu lassen, welche der urwüchsigen Unbefangenheit der Beziehung zur Außenwelt verborgen blieben«.45

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In magischen Verhältnissen sind die Bereiche bis zur Ununterscheidbarkeit miteinander vermischt; Recht ist selbstverständlich heiliges Recht, die Kunst auf das engste mit der Religion verknüpft. Doch auf Grund der im Rationalisierungsprozeß geschehenden Ausdifferenzierung ist die okzidentale Moderne gezwungen, mit der prinzipiellen Unvereinbarkeit der Wertsphären umzugehen. Sie sind nicht aufeinander zu reduzieren und ihre quasi kosmische Geschlossenheit trägt Spannungen in die Welt und eine Entwicklungsdynamik, deren Basis also der von Weber immer wieder beschworene und aus seiner Sicht nicht hintergehbare »Kampf der Werte« und Wertsphären darstellt, den es in anderen Kulturen in dieser Form nicht gibt. Art und Begründung dieser Konflikte, die sich in den Beziehungen aller Bereiche untereinander zeigen ließen, untersucht Weber näher am Verhältnis zwischen der ethisch-religiösen Sphäre und einzelnen anderen Bereichen,46 so am Verhältnis zur Ökonomie. Für die Magie ist es noch kein Problem, denn ihr Geisterzwang zielt in diesem Bereich schlicht auf Reichtum. Erst die Erlösungsreligion kollidiert mit dem sachlichen Betrieb einer rationalisierten Wirtschaft, ihren Marktgesetzen und ihrem Interessenkampf, in dem persönliche Beziehungen, wie es selbst die zwischen Herr und Sklave noch ist, keine Rolle mehr spielen. Religiöse Caritas wird sinnlos, denn »Geld ist das Abstrakteste und ›Unpersönlichste‹, was es im Menschenleben gibt«. Der »versachlichte Kosmos des Kapitalismus« folgt seinen eigenen immanenten Gesetzen, die religiös-ethische Gebote nicht berücksichtigen können. Der Versuch, es zu tun, führte zu Einbußen, zu einer »Hemmung der formalen Rationalität. Denn formale und materiale Rationalität standen hier im Konflikt miteinander«.47 Der Alltag zwingt zu Kompromissen, doch ändert dies nichts an der rein zweckrationalen Ausrichtung der Wirtschaftssphäre. Ebenso groß ist der Gegensatz zum politischen Handeln.48 Die Funktionsgötter der Magie haben auch hier ihre jeweiligen Zuständigkeiten, aber die gewaltablehnende religiöse Brüderlichkeitsethik wird zwangsläufig antipolitisch. Sie fordert rigoros, dem Bösen nicht mit Gewalt zu widerstehen und gerät so in Konflikt mit den politischen Notwendigkeiten. »Denn in ungleich höherem Maße als der private ökonomische Erwerb nötigt die auf menschliche Durchschnittsqualitäten, Kompromisse, List und Verwendung anderer ethisch anstößiger Mittel und vor allem Menschen, daneben auf Relativierung aller Zwecke abgestellte, eigentlich politische Tätigkeit zur Preisgabe ethisch-rigoristischer Forderungen.«49 Der Zwang des täglichen Handelns zu Kompromissen und Relativierungen ließ die Religionen unterschiedliche Lösungen der Vermittlung zwischen beiden Sphären finden. Der Buddhismus verzichtet auf jede Beziehung zur 82 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Welt und entzieht sich damit dem Konflikt; der Konfuzianismus paßt sich an. Der Islam wie der radikale Calvinismus versuchen, die Forderungen der Religion durchzusetzen, während das Christentum schwankt zwischen Ablehnung, positiver Anerkennung und Indifferenz: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.« Keine dieser Lösungen aber kann die prinzipielle Gegensätzlichkeit zwischen der religiös-ethischen, wertrationalen Ausdeutung der Welt und dem zweckrationalen Vorgehen der politischen Sphäre aufheben, denn »›ohne Ansehen der Person‹, ›sine ira et studio‹, ohne Haß und deshalb ohne Liebe, ohne Willkür und deshalb ohne Gnade, als sachliche Berufspflicht und nicht kraft konkreter persönlicher Beziehung erledigt der homo politicus ganz ebenso wie der homo oeconomicus heute seine Aufgabe gerade dann, wenn er sie im idealsten Maße im Sinn der rationalen Regeln der modernen Gewaltordnung vollzieht«.50 Aber nicht nur die prinzipiell zweckrational organisierten Bereiche der Ökonomie und der Politik geraten in den Gegensatz zur Religion, sondern ebenso die typisch arationalen oder antirationalen Sphären der Erotik 51 und der Kunst.52 Die magische Orgiastik steht in enger Beziehung zur Geschlechtssphäre und für den unbefangenen Naturalismus bäuerlichen Lebens ist sie Teil des Alltags. Aber »das Heraustreten der Gesamtdaseinsinhalte des Menschen aus dem organischen Kreislauf des bäuerlichen Daseins, die zunehmende Anreicherung des Lebens mit, sei es intellektuellen, sei es sonstigen als überindividuell gewerteten Kulturinhalten wirkte durch die Entfernung der Lebensinhalte von dem nur naturhaft Gegebenen zugleich in Richtung einer Steigerung der Sonderstellung der Erotik«.53 Sie wird zum bewußt gepflegten Außeralltäglichen, zur »stärksten irrationalen Macht des persönlichen Lebens« 54 und gerät als »eigenwertgesättigte« Sphäre in Konflikt mit der Religion, für deren rationale Ethik sie zur Bedrohung wird. Der kompromißhafte Reglementierungsversuch, den die Ehe darstellt, kann auch hier den Gegensatz nur verdecken, nicht beseitigen. Gerade die Irrationalität der erotischen Sphäre aber ermöglicht eine innerweltliche Erlösung vom praktischen und theoretischen Rationalismus, wie sie in ihrer Weise auch die Kunst bietet. Auch diese fand und findet sich noch immer in enger Beziehung zur Religion. Dennoch entwickelte sich parallel zur Zurückdrängung von magischen, ekstatischen und ritualistischen Elementen in der Religion und einer zunehmend rationaler und literarischer werdenden Priester- und Laienbildung eine Eigengesetzlichkeit der Kunst, die sie vom Standpunkt der Religion aus entwertet, denn diese zielt auf den Sinn, nicht auf die Form. Ethische Normen und ästhetische Geschmacksurteile ließen sich selten vereinbaren, jedoch »das spezifisch Künstlerische überhaupt bewußt zu entdecken ist intellektualistischer Zivilisation vorbehalten«. 55

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»Aber freilich: am größten und prinzipiellsten wird schließlich die bewußte Spannung der Religiosität gerade zum Reich des denkenden Erkennens.« Mit diesen Worten beginnt Weber die Darstellung der Beziehung der Religion zur Philosophie und insbesondere zur Wissenschaft. 56 Im magischen Weltbild ist auch in diesem Fall kein Gegensatz zu finden. Für das Verhältnis von Religion und metaphysischer Spekulation konstatiert Weber zumindest noch eine gegenseitige Anerkennung. Da letztere jedoch nicht selten zum Skeptizismus führt, neigt die Religion häufig dazu, eher die rein empirische Wissenschaft anzuerkennen, weil sie sich um derartige Belange gar nicht kümmert. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich hier um prinzipiell unvereinbare Weltbetrachtungen handelt. In der Wissenschaft richtet sich die Kraft des Intellektualismus auf die rationale Erkenntnis der Zusammenhänge in der Welt, was sie zu dem wichtigsten Antriebselement des Rationalisierungsprozesses macht. »Der wissenschaftliche Fortschritt ist ein Bruchteil, und zwar der wichtigste Bruchteil, jenes Intellektualisierungsprozesses, dem wir seit Jahrtausenden unterliegen« 57 und der alle Lebensbereiche ergreift. Dabei vollendet sie, was in der religiösen Sphäre beginnt, weil Wissenschaft durch Kenntnisnahme der inneren Gesetzmäßigkeiten der Welt auch den religiösen Entzauberungsprozeß voranbringt, denn sie fördert ihrerseits »das Wissen davon oder den Glauben daran ..., daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe ..., daß man vielmehr alle Dinge - im Prinzip - durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt«. 58 Diese Zielvorgabe der Wissenschaft läßt sie in Gegensatz zur Religion treten, denn »wo immer ... rational empirisches Erkennen die Entzauberung der Welt und deren Verwandlung in einen kausalen Mechanismus konsequent vollzogen hat, tritt die Spannung gegen die Ansprüche des ethischen Postulates: daß die Welt ein gottgeordneter, also irgendwie ethisch sinnvoll orientierter Kosmos sei, endgültig hervor. Denn die empirische und vollends die mathematisch orientierte Weltbetrachtung entwickelt prinzipiell die Ablehnung jeder Betrachtungsweise, welche überhaupt nach einem ›Sinn‹ des innerweltlichen Geschehens fragt«.59 Für Jahrhunderte sah es so aus, als ließen Religion und Wissenschaft sich in der gemeinsamen Suche nach der Weltordnung vereinen. Doch in der Neuzeit wird zunehmend deutlicher, daß sie weiter voneinander entfernt sind als alle anderen Bereiche. Religion sieht die Welt als einen rationalen Kosmos, dessen Ordnung einer materialen Ethik folgt. Wissenschaft zeigt sich an nichts anderem interessiert als am formalen Verhältnis von Ursache und Wirkung. Es ist daher zunächst der wissenschaftliche Rationalismus, der die Unvereinbarkeit der verschiedenen Lebens-und Wertordnungen

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erkennt und die kosmische Einheit der ethischen Weltsicht zerstört. Materiale und formale, Wert- und Zweckrationalität stehen sich hier in letzter Konsequenz gegenüber. Für Weber ist es jedoch gerade diese Unversöhnlichkeit, die die Religion immer wieder engste Beziehungen zum rationalen Intellektualismus suchen läßt; gerade auch das eigentlich von Grund auf anti-intellektualistische Christentum, das sich gleichermaßen gegen rabbinische Schriftgelehrsamkeit wie gegen die hellenische Philosophie und die gnostische Intellektuellenaristokratie wendet, dessen Heiland das magische Charisma der Dämonenherrschaft besitzt, und als dessen wahre Anhänger die Armen im Geiste, Kinder und Unmündige gelten. Sein Erlösungsweg ist eigentlich nicht die Aneignung von Wissen; dementsprechend hat es immer wieder antirationalistische Bewegungen gegen den intellektuellen Hochmut der Theologen gegeben.60 Aber das Christentum hat auch schon früh versucht, den Intellektualismus zu nutzen und bereits im Altertum Denkformen der griechischen Philosophie adaptiert. Je mehr aber eine Religion zur Lehre wird, um so stärker wird ihr Hang zur rationalen Apologetik. Gerade damit aber fördert sie das rationale Erkennen, das sich am Ende gegen sie wendet. Der Grundgedanke erinnert an Nietzsches Darstellung der Zerstörung des Christentums durch den christlichen Willen zur Wahrheit, aber Weber findet auch eine soziologische Erklärung. Schon der Zauberer der Magie, dem es obliegt, Mythen und Heldensagen zu tradieren, ist wesentlich an der Erziehung der jungen Krieger beteiligt. Auch dem Priester der Religion ist die Schulung der Jugend in Gesetz und Schrift ein wohlgehütetes Privileg, weil es seine Machtstellung im Denken und Handeln garantiert. Aber die Rechnung geht insofern nicht auf, als Buchreligionen, je literarischer sie werden, um so stärker das priesterfreie rationale Laiendenken fördern. Und dieses bringt nicht nur stets aufs Neue priesterfeindliche Propheten, Mystiker und Sektierer hervor, sondern auch Skeptiker und Philosophen, die dem Glauben als solchem ablehnend gegenüberstehen. Die Religion antwortet ihrerseits mit dem Versuch einer erneuten rationalen Darlegung ihres Standpunktes, jedoch ohne daß es ihr gelänge, den Gegensatz zum Weltbild, wie das rationale Erkennen es liefert, zu beseitigen. »Es gibt durchaus keine ungebrochene, als Lebensmacht wirkende, Religion, welche nicht an irgendeiner Stelle das ›credo non quod, sed quia absurdum‹, - das ›Opfer des Intellekts‹, - fordern müßte«.61 Eben dies ist dem wissenschaftlichen Kosmos formaler Rationalität nicht möglich. So ist die einzig wirksame Verteidigung der Religion gegen den Intellekt der Hinweis darauf, daß ihre Erkenntnis nicht ein intellektuelles Verstandeswissen ist, sondern ein unmittelbares Erfassen des Weltsinnes kraft Erleuchtung. Von diesem Standpunkt aus wird dann auch jeder Versuch der

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Philosophie, diesen Sinn rational zu beweisen, zur Flucht aus der Eigengesetzlichkeit des rationalen Denkens. Im Verein mit dem notwendig mißlingenden Versuch der Religion, die Welt ethisch zu rationalisieren, ist es der sich durchsetzende Rationalismus der Wissenschaft, der die Religion als »die irrationale oder antirationale überpersönliche Macht schlechthin« 62 erscheinen läßt. »Das rationale Erkennen, an welches ja die ethische Religiosität selbst appeliert hatte, gestaltete, autonom und innerweltlich seinen eigenen Normen folgend, einen Kosmos von Wahrheiten, welcher nicht nur mit den systematischen Postulaten der religiösen Ethik: daß die Welt als Kosmos ihren Anforderungen genüge oder irgendeinen ›Sinn‹ aufweise, gar nichts mehr zu schaffen hatte, diesen Anspruch vielmehr prinzipiell ablehnen mußte. Der Kosmos der Naturkausalität und der postulierte Kosmos der ethischen Ausgleichskausalität standen in unvereinbarem Gegensatz gegeneinander. Und obwohl die Wissenschaft, die jenen Kosmos schuf, über ihre eigenen letzten Voraussetzungen sicheren Aufschluß nicht geben zu können schien, trat sie im Namen der intellektuellen Rechtschaffenheit‹ mit dem Anspruch auf: die einzig mögliche Form der denkenden Weltbetrachtung zu sein«.63 Was Weber mit den letzten Worten beschreibt, ist der Absolutheitsanspruch der die Religion ersetzenden Wissenschaft dieser Zeit, dem sich seine Wissenschaftslehre entgegenstellt, denn: »das Denken ist nicht an die Grenzen der Wissenschaft gebunden«. 64 Die hier entstandene Form von Wissenschaft aber ist nach Weber die einzig gültige und hat sich so nur im Okzident entwickelt. Mit diesem Wissenschaftbegriff tritt Weber an ähnliche Bemühungen in anderen Kulturen heran, wie an den, allerdings wenigen, Bemerkungen zu diesem Thema in der Religionssoziologie festzustellen ist. Auch hier ist die okzidentale Moderne der Standpunkt, von dem Weber ausgeht, um andere Positionen mit ihm zu vergleichen. »Nur im Okzident gibt es ›Wissenschaft‹ in dem Entwicklungsstadium, welches wir heute als ›gültig‹ anerkennen. Empirische Kenntnisse, Nachdenken über Welt- und Lebensprobleme, philosophische und auch ... theologische Lebensweisheit tiefster Art, Wissen und Beobachtung von außerordentlicher Sublimierung hat es auch anderwärts ... gegeben. Aber: der babylonischen und jeder anderen Astronomie fehlte ... die mathematische Fundierung, die erst die Hellenen ihr gaben. Der indischen Geometrie fehlte der rationale ›Beweis‹: wiederum ein Produkt hellenischen Geistes, der auch die Mechanik und die Physik zuerst geschaffen hat. Den nach der Seite der Beobachtung überaus entwickelten indischen Naturwissenschaften fehlte das rationale Experiment... Eine rationale Chemie fehlt allen Kulturgebieten außer dem Okzident. Der hochentwickelten chinesischen Geschichtsschreibung fehlt das thukydideische Pragma. ... aller asiatischen Staatslehre fehlt eine der aristotelischen gleichartigen Systematik und die rationalen Begriffe überhaupt. Für eine rationale Rechtslehre fehlen anderwärts ... die streng juristischen Schemata und Denkformen des römischen und des daran geschulten okzidentalen Rechtes.«65

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Trotz zum Teil bedeutender Entwicklungen kommen andere Kulturen nach Weber über Ansätze zur rationalen Wissenschaft nicht hinaus. Seine Äußerungen über diese Zusammenhänge sind jedoch eher Randnotizen; ein wirklicher Vergleich der okzidentalen Wissenschaft mit ihren Äquivalenten in China und Indien, wie Weber ihn für den Bereich der Ökonomie vorlegt, fehlt. Seine sehr knappe Auseinandersetzung mit dem Thema hinterläßt daher notwendig viele offene Fragen.66 Ein Problem, zu dem sich ebenfalls nur Randbemerkungen bei Weber finden, ist die Frage nach den Entwicklungsschritten bis zum eigengesetzlichen Kosmos des wissenschaftlichen Denkens, denn auch Wissenschaft selbst hat sich im Verlauf des allgemeinen Rationalisierungsprozesses verändert. Es finden sich lediglich einzelne Äußerungen, die diesen Werdegang punktuell ansprechen. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Entstehung der Religionen erwähnt Weber die für ihn wichtigste Eigenschaft des mythologischen Denkens: die Analogie, deren Basis die symbolistisch rationalisierte Magie ist. Wichtig ist sie für Weber, weil sie nicht nur lange Zeit die religiösen Ausdrucksformen beherrscht, sondern auch das juristische Denken, und erst langsam der syllogistischen Begriffsbildung durch rationale Subsumtion weicht.67 Es darf hinzugefügt werden, daß es sich hier um eine Eigenart des rationalen Denkens überhaupt handelt, die eine wichtige Entwicklungsstufe markiert. Der Schritt zur begrifflichen Erfassung der Welt geschieht im griechischen Denken, ein Knotenpunkt in der Entwicklung zur rationalen Wissenschaft überhaupt, in der die Begriffsbildung bis heute bestimmend ist. Doch war diese ursprünglich anders gedacht, wie in Webers Ausführungen zur Wissenschaftsgeschichte in »Wissenschaft als Beruf« deutlich wird. Das Höhlengleichnis vom Beginn des siebten Buches der »Politeia« Platos dient ihm hier zunächst als Beispiel für die antike Auffassung, daß Wissenschaft in der Lage sei, ewige Wahrheiten zu erfassen. Der Eine, der es gelernt hat, in die Sonne zu blicken, ist der Philosoph, der die Wahrheit der Wissenschaft denen verkündet, die nur das Schattenspiel an den Wänden sehen. Weil er das wahre Sein der Dinge kennt, kann er den Menschen sagen, wie sie ihr Leben einrichten sollen, welche Handlungen die richtigen sind. Gebunden ist diese Leistung eben an die Entdeckung »eines der großen Mittel alles wissenschaftlichen Erkennens«68: des Begriffs, in dem sich das wahre Sein spiegelt. Was Weber hier beschreibt, ist die noch nicht differenzierte Einheit von Metaphysik und Wissenschaft. Der Begriff erfaßt das Sein, wahre Erkenntnis ist Teilhabe am alles durchdringenden Logos der Welt. Unter Umgehung aller Einzelheiten und historischen Feinheiten der weiteren Entwicklung macht Weber sodann einen Gedankensprung in die

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Renaissance, der die Wissenschaft »das zweite große Werkzeug wissenschaftlicher Arbeit: das rationale Experiment«69 verdankt. Es richtet sich nur noch auf das empirisch Faßbare, aber die Renaissance sieht in ihm immer noch den Weg zur »wahren Natur«, die, von einem verborgenen Gott geschaffen, doch dessen Absichten mit der Welt und deren Sinn enthalten muß. Diesen zu ergründen, ist, da die Begriffe und Deduktionen der Philosophen dafür nicht mehr als tauglich angesehen werden, die Aufgabe der Wissenschaft. Theologisch-philosophisch legitimiert, gilt nun Naturwissenschaft als adäquater Weg zu Gott und hilft, den Sinn der Welt zu ergründen und auf Grund dessen das Leben in ihr einzurichten. Diese Form von Wissenschaft steht in enger Beziehung zum asketischen Protestantismus, dessen Verhältnis »zur Entwicklung des philosophischen und wissenschaftlichen Empirismus, zu der technischen Entwicklung und den geistigen Kulturgütern«70 näher zu untersuchen wäre, wie Weber im ›Forschungsprogramm‹ am Ende der »Protestantischen Ethik« schreibt, da er nur knappe Hinweise zu diesem Zusammenhang gegeben hat. Der asketische Protestantismus lehnt die »fides implicita« des katholischen Glaubens ebenso ab wie alle Bemühungen der Scholastik und wählt den Weg der Erkenntnis Gottes durch die Erkenntnis seiner Werke. Weber weist auf die sich daraus ergebende Vorliebe für einen rationalisierten Empirismus hin und die Bevorzugung mathematisch-naturwissenschaftlicher Fächer wie der Physik.71 Diese Vorliebe, im Verein mit der Betrachtung der kreatürlichen Welt als wertlos, als Material zur Erforschung und Beherrschung, verhilft der neuzeitlichen Naturwissenschaft zum Durchbruch. Doch die Wissenschaft dieser Zeit ist noch kein wirklich autonomer Bereich, denn noch immer erhofft man höhere Wahrheiten von ihr. Erst in der Neuzeit wird deutlich, daß wissenschaftliche Disziplinen die von ihnen ehedem erhofften Leistungen nicht erbringen können. »Wenn irgend etwas, so sind sie geeignet, den Glauben daran: daß es so etwas wie einen ›Sinn‹ der Welt gebe, in der Wurzel absterben zu lassen! Und vollends: die Wissenschaft als Weg ›zu Gott‹? Sie, die spezifisch gottfremde Macht?« Sie gar in »naivem Optimismus« als »Weg zum Glück« zu bezeichnen, erscheint »nach Nietzsches vernichtender Kritik an jenen ›letzten Menschen‹, die ›das Glück erfunden haben‹« gänzlich ausgeschlossen. »Wer glaubt daran? - außer einigen großen Kindern auf dem Katheder oder in den Redaktionsstuben?«.72 Die nun selbst vollkommen rationalisierte und entzauberte Wissenschaft kann diese Hoffnungen nicht erfüllen. Was aber leistet sie dann? Wo liegen ihre Möglichkeiten und ihre Grenzen? Wie gestaltet sich ihre konkrete Arbeitsweise? Antworten auf diese Fragen bietet die Wissenschaftslehre, in der Weber die entwickelte, moderne Form okzidentaler Wissenschaft darstellt.

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V. Max Webers »entzauberte« Wissenschaft 1. Die Wissenschaftslehre Unter dem Titel »Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre« veröffentlicht Marianne Weber 1922 eine Reihe methodologischer Arbeiten, die Max Weber zwischen 1902 und 1919 verfaßt hat. Sie bilden die Hauptquelle für die Frage nach seinem Wissenschaftsverständnis; doch der Titel des Bandes trügt, denn Weber hat keine systematische, in sich geschlossene Wissenschaftslehre vorgelegt. Es handelt sich vielmehr zum größten Teil um Auftrags- und Gelegenheitsarbeiten und um die weithin bekannte, 1917 vor Studenten in München gehaltene Rede »Wissenschaft als Beruf«, 1 die exemplarisch alle Positionen zusammenfaßt. Doch wenn sich auch kein System in Webers Äußerungen findet, so doch die feste Vorstellung eines bestimmten Wissenschaftsentwurfs, der die Zusammengehörigkeit der hier vereinten Arbeiten begründet. Der Fachwissenschaftler, und als solchen hat auch Weber sich immer verstanden, ist seiner Ansicht nach keineswegs gezwungen, sich mit methodologischen Problemen zu befassen, denn diese obliegen durchaus einer eigenen Disziplin. Zudem begründet sich Wissenschaft durch sachliche Probleme, nicht durch die Methodologie. Diese ist lediglich »Selbstbesinnung auf die Mittel ..., welche sich in der Praxis bewährt haben«. Der Fachwissenschaftler darf methodologische Fragen zwar nicht ignorieren, aber zur intensiven Auseinandersetzung ist er nur im Ausnahmefall genötigt, denn »wichtig für den Betrieb der Wissenschaft selbst pflegen solche Erörterungen nur dann zu werden, wenn infolge starker Verschiebung der ›Gesichtspunkte‹, unter denen ein Stoff Objekt der Darstellung wird, die Vorstellung auftaucht, daß die neuen ›Gesichtspunkte‹ auch eine Revision der logischen Formen bedingen, in denen sich der überkommene ›Betrieb‹ bewegt hat, und dadurch Unsicherheit über das ›Wesen‹ der eigenen Arbeit entsteht. Diese Lage ist nun allerdings unstrittig in der Gegenwart für die Geschichte gegeben ...«.2 Die oben erwähnte Krisensituation zwingt also zur Reflexion und ist als Anstoß für Webers methodologische Überlegungen anzusehen. Diese bilden seinen Beitrag zu der umfassenden Theoriediskussion dieser Zeit, was

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Auswirkungen auf ihre Form und ihren Inhalt hat. So finden sich zahlreiche Bezugnahmen auf andere Autoren, ja die Aufsätze sind zum Teil als kritische Stellungnahmen zu ihren Ausführungen angelegt, deren Kenntnis Weber weitgehend voraussetzt. Für eine umfassende wissenschaftstheoretische und historische Einordnung wäre die intensive Berücksichtigung dieses Umfeldes unerläßlich. Webers Wissenschaftskonzeption, um die es hier gehen soll, ist jedoch auch ohne dies zu erfassen, so daß andere Positionen nur am Rande Erwähnung finden werden. Schwierigkeiten ergeben sich eher aus der Tatsache, daß Webers Ausführungen aus dieser Situation heraus sich nicht immer durch große Klarheit und umfassende Darlegung aller Einzelheiten auszeichnen, zumal es sich seiner Einschätzung nach um »Selbstverständlichkeiten« handelt. Sie fallen jedoch unmißverständlicher aus als die kontroversen Meinungen vermuten ließen, die im Laufe der Zeit zu beinahe jedem Punkt der Wissenschaftslehre aufgetaucht sind. Auch angesichts dieser Kontroversen erscheint es ratsam, im folgenden vor allem immer wieder auf Webers eigene Aussagen zurückzukommen. Uneinigkeit besteht desgleichen in der Frage, inwieweit die Wissenschaftslehre durch Kontinuität im Sinne einer »Entfaltung völlig ausgebildeten Gutes«3 oder durch Brüche4 gekennzeichnet ist. Belegen läßt sich offensichtlich beides. Da die Arbeiten innerhalb von siebzehn Jahren entstanden, ist auch kaum zu erwarten, daß sich einzelne Positionen Webers nicht veränderten oder präzisierten. Die grundlegenden Überzeugungen sind jedoch von Anfang bis Ende dieselben. Daher erscheint es berechtigt, und so soll es hier geschehen, die Wissenschaftslehre als Einheit zu behandeln. Webers Arbeiten beschränken sich prinzipiell auf die reine Wissenschaftstheorie, also Logik und Methodik der Wissenschaften. Er bietet keine Geschichtsphilosophie, keine psychologischen oder soziologischen Einsichten und auch keine Erkenntnistheorie. Die ursprüngliche Diskussionsbasis des Nationalökonomen Weber ist keine philosophische Position, sondern der seit 1883/84 ausgetragene Methodenstreit zwischen der Theoretischen oder Klassischen und der Historischen Schule der Nationalökonomie, in dem es um die Möglichkeiten einer geschichtlichen bzw. einer Gesetzeserkenntnis geht.5 Im Kern ist dies das Thema der Auseinandersetzungen in allen historisch arbeitenden Disziplinen, und das sind in dieser Zeit alle Geschichts- und Sozialwissenschaften, alle »Kulturwissenschaften«, wie Weber sie mit einem synonym gebrauchten Ausdruck auch nennt. Ihre gemeinsamen logischen Grundlagen zu zeigen und sie abzugrenzen gegen Objektivismus, Subjektivismus, Intuitionismus, Positivismus, ja alle -ismen in der Wissenschaft, ist sein Ziel. Dabei stellt sich als zentrales Problem das Verhältnis der Wissenschaft zur Praxis dar, und das 90 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

heißt im Rahmen der Methodologie zum handlungsleitenden praktischen Werturteil. Grundlegend für diese Beziehung ist die Forderung, mit der Webers Wissenschaftslehre wohl zuallererst in Verbindung gebracht wird: das Wertfreiheitspostulat.

1.1. Die »Wertfreiheit« der Wissenschaft In konjunkturellen Schwankungen auftretend, aber im Grunde bis heute unbeendet, spielt seit Beginn dieses Jahrhunderts der zuletzt im »Positivismusstreit« der sechziger Jahre aufgeflammte sogenannte Werturteilsstreit eine zentrale Rolle in der Wissenschaft. 6 In seiner wissenschaftlich-kulturellen Vielschichtigkeit schwer einzugrenzen, gewinnt er seine umfassende Bedeutung aus der Tatsache, daß er sich nicht auf eine Einzelwissenschaft bezieht, sondern auf wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt, genauer gesagt, auf deren Verhältnis zu praktischen Werturteilen und damit zur Praxis menschlicher Tätigkeit. Die nicht selten zu spürende Emotionalität der Auseinandersetzung aber zeigt an, daß es sich hier nicht allein um ein wissenschaftstheoretisches Problem handelt, denn dieses ist verflochten in den Zusammenbruch eines Weltbildes und den Versuch, Wissenschaft neu zu definieren. Nach den Diskussionen, die im neunzehnten Jahrhundert um die Methoden der Wissenschaft geführt wurden und als Vorläufer anzusehen sind, markieren Webers methodologische Beiträge den Beginn der bis heute anhaltenden Auseinandersetzungen und liefern nach wie vor wesentliche Argumente. Seine Forderung nach ›Wertfreiheit‹ der Wissenschaft löste zwischen Befürwortern und Gegnern die heftigsten Kontroversen aus, wobei viele Angriffe auf Weber allerdings auf der Basis kaum nachzuvollziehender Fehldeutungen beruhten. Weitgehend sind diese in den vergangenen Jahrzehnten aus der Welt geräumt worden. Die Implikationen des Wertfreiheitspostulats bleiben umstritten, aber es ist heute doch zumindest unstrittig, was Weber darunter eigentlich verstand. Es handelt sich im Kontext seiner Wissenschaftsidee »ausschließlich um die an sich höchst triviale Forderung: daß der Forscher und Darsteller die Feststellung empirischer Tatsachen ... und seine praktisch wertende, d. h. diese Tatsachen ... als erfreulich oder unerfreulich beurteilende, in diesem Sinn ›bewertende‹ Stellungnahme unbedingt auseinanderhalten solle, weil es sich da nun einmal um heterogene Probleme handelt«.7 Das Ziel der empirischen Wissenschaft, und um die allein geht es Weber, ist die Kausalanalyse der in der Erfahrung gegebenen Wirklichkeit. Sie bewegt sich damit in einer anderen Sphäre als die Werturteile, letztere verstanden

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als »›praktische‹ Bewertungen einer durch unser Handeln beeinflußbaren Erscheinung als verwerflich oder billigenswert«, als Wertsetzungen aus ethischen, Kulturgesichtspunkten oder aus anderen Gründen, die dem konkreten Handeln des Menschen zugrundeliegen.8 Die Kluft zwischen beiden Denkebenen ist unüberbrückbar, denn die »logische Disparatheit« von Sein und Sollen ist ein »allerelementarster Gegensatz«.9 Dies ist keine Webersche Erfindung, sondern bei Kant ebenso selbstverständlich wie im englischen Empirismus seit David Hume und im Positivismus. Worin Weber mit letzterem nicht übereinstimmt, wird im folgenden noch deutlich werden. Arnold Brecht betont jedoch,10 daß sich die konsequente Trennung von Sein und Sollen erst um die Jahrhunderwende, nicht zuletzt durch Webers Arbeiten, durchsetzt, denn zum Beispiel Kant und John Stuart Mill sahen noch Vermittlungsmöglichkeiten zwischen beiden Sphären. Doch es gibt andere Positionen in dieser Zeit, die dem naturalistischen Fehlschluß der Identität von Sein und Sollen folgen. Der Idealismus konstatierte die letztliche Einheit des Wahren und Guten; in Webers Zeit macht der Neoidealismus von sich reden. Auch Lebensphilosophie und romantische Strömungen verwischen die Grenze, auch wenn hier das ›Gute‹ der Metaphysik zum ›Wert‹ herabgesetzt wird. Das Wertfreiheitspostulat ist Webers Mittel, der Vermischung entgegenzutreten. Ihm zufolge kann Wissenschaft weder über das von ihr Erarbeitete ein Werturteil abgeben noch irgend etwas über die Gültigkeit von Werten aussagen. Sie ist nicht in der Lage, Probleme einer Wertphilosophie zu entscheiden wie die unterschiedliche Qualität von Werten, die für sie unwesentlich ist, und kann aus ihren Tatsachenfeststellungen keine normativen Postulate ableiten oder gar sinnstiftende Weltanschauungen. »Wie soll ich leben und handeln?« ist demnach keine an die Wissenschaft zu richtende Frage, denn es ist ihrer Arbeit unmöglich, Handlungsrezepte für das praktische Leben zu liefern, da dieses von Werturteilen abhängig ist. So ist es auch »intellektuelle Rechtschaffenheit: einzusehen, daß Tatsachenfeststellungen, Feststellung mathematischer oder logischer Sachverhalte oder der inneren Struktur von Kulturgütern einerseits, und andererseits die Beantwortung der Frage nach dem Wert der Kultur und ihrer einzelnen Inhalte und danach: wie man innerhalb der Kulturgemeinschaft und der politischen Verbände handeln solle, - daß dies beides ganz und gar heterogene Probleme sind«.11 Die »völlige Geschiedenheit der Wertsphäre von dem Empirischen«12 erlaubt es der Wissenschaft nicht, in dem Kampf der Werte, den Weber diagnostiziert, die Rolle der entscheidenden Instanz zu übernehmen. Der Mensch lebt in verschiedenen Wertbereichen, die, weil sich in ihnen keine objektive Ordnung findet, alle ihr Recht auf Erfüllung fordern. »Die Geltung solcher Werte zu beurteilen ist Sache des Glaubens, daneben

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vielleicht eine Aufgabe spekulativer Betrachtung und Deutung des Lebens und der Welt auf ihren Sinn hin, sicherlich aber nicht Gegenstand einer Erfahrungswissenschaft«.13 Mit dem logischen Prinzip der Wertfreiheit garantiert Weber sowohl dem Bereich der Werte wie dem der Wissenschaft die ihnen jeweils zukommende »spezifische Dignität«,14 denn wertfreie Wissenschaft besitzt keine Herrschaftsbefugnis über die Werte und damit über menschliches Handeln, noch können Werturteile das stringente Vorgehen der wissenschaftlichen Analyse gefährden. Bei Verzicht auf die Wertfreiheit würde der ewige, unauflösliche Kampf der Wertordnungen in die Wissenschaft hineingetragen und zur Aufhebung ihrer sicheren Erkenntnis führen. Weber ist bereit nachzuweisen, »daß wo immer der Mann der Wissenschaft mit seinem eigenen Werturteil kommt, das volle Verstehen der Tatsachen aufhört«.15 Wissenschaft braucht den von weltanschaulichen und politischen Auseinandersetzungen freien Raum, um ihre Aufgabe ohne Druck von außen erfüllen zu können und sich die Möglichkeit zum ungetrübten Diskurs über ihre Ergebnisse zu erhalten. Eine Einsicht, die angesichts der in dieser Zeit zahlreich blühenden Weltanschauungen und ihrer Totalitätsansprüche von besonderer Bedeutung ist. Die Notwendigkeit, zwischen Wissenschaft und Werturteil zu differenzieren, bezieht sich nach Weber sowohl auf den Prozeß der Erkenntnisgewinnung wie auf die Darstellung der Ergebnisse. Von dem logischen Prinzip zu unterscheiden ist aber das Wertproblem, ob der Wissenschaftler innerhalb der Darstellung überhaupt ethische oder andere Wertungen abgeben solle. Wertfreiheit bedeutet keineswegs den völligen Verzicht auf Werturteile seitens der Person des Forschers. In ihr sind Wissenschaft und Wertentscheidung vereint, denn niemand ist schließlich nur Wissenschaftler, und als Privatperson hat er selbstverständlich das Recht zur Wertung. Weber, der sich zeidebens in aller Deutlichkeit wertend geäußert hat, wäre wohl der letzte gewesen, den Verzicht darauf zu fordern. Doch darf der Wissenschaftler im Rahmen der Darstellung der Ergebnisse seiner Arbeit Werturteile abgeben? Dabei handelt es sich nun allerdings um eine wissenschaftlich »unaustragbare, weil durch Wertung bedingte« Frage. Denn ob jemand »für sich in Anspruch nimmt: in einem und demselben Buch, auf einer und derselben Seite, ja in einem Haupt- und Nebensatz einer und derselben syntaktischen Einheit sich einerseits über das eine und andererseits über das andere der beiden heterogenen Probleme zu äußern, - das ist seine Sache«.16 Da es sich hier um eine persönliche Entscheidung handelt, steht es jedem frei, die Darlegung seiner theoretischen Erkenntnisse in dieser Weise zu überschreiten. Wenn er dies aber tut, so hat er »den Lesern (und ... vor

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allem sich selbst!) jederzeit deutlich zu machen, daß und wo der denkende Forscher aufhört und der wollende Mensch anfängt zu sprechen, wo die Argumente sich an den Verstand und wo sie sich an das Gefühl wenden«, und welches die Maßstäbe sind, »an denen die Wirklichkeit gemessen und aus denen das Werturteil abgeleitet wird«.17 Um die Heterogenität der Aussagen nicht zu verdecken und auch das eigene Erkenntnisvermögen nicht zu trüben, bleibt in jedem Fall die Pflicht zur genauen Unterscheidung im Sinne intellektueller Rechtschaffenheit bestehen. In diesem Zusammenhang wendet sich Weber ausdrücklich auch gegen die Ansicht, die Abwägung der unterschiedlichen Wertungen bezüglich eines Gegenstandes führe zu wissenschaftlicher Korrektheit. Gerade darin sieht er eine gefährliche Verwischung, denn eine mittlere Position ist ebensowenig wissenschaftlich zu belegen wie die weitestreichenden Extreme und darüber hinaus noch weniger eindeutig auszumachen.18 Webers persönliche Position zielt generell auf die Vermeidung von Werturteilen, zumindest innerhalb des vor öffentlichen Erörterungen und (in dieser Zeit noch) jedem Widerspruch geschützten akademischen Vortrags im Hörsaal.19 Es ist auch hier eine Wertfrage, praktische Urteile abzugeben oder sich ihrer zu enthalten, und auch eine Angelegenheit der persönlichen Meinung darüber, was universitäre Ausbildung zu leisten habe. Webers Diktum »Politik gehört nicht in den Hörsaal« ergibt sich in erster Linie aus der Ablehnung des Humboldtschen Bildungsideals und der Auffassung, »daß die akademischen Hörsäle heute ihre wirklich wertvollen Wirkungen nun einmal nur durch fachmäßige Schulung seitens fachmäßig Qualifizierter entfalten« und nicht »die universelle Rolle: Menschen zu prägen« für sich in Anspruch nehmen sollten. Die einzige Tugend, zu der sie erziehen können, ist die intellektuelle Rechtschaffenheit, die Fähigkeit, unter Absehung von der eigenen Person allein der Sache gerecht zu werden und auch unbequeme Tatsachen anzuerkennen.20 Was Weber in den Hörsälen vorrindet, sieht allerdings anders aus. Nicht nur ist die Inanspruchnahme der Kathederwertung das Übliche, sondern es existiert ein »beispielloser Zustand«, der die Sphären von Wissenschaft und Werturteil bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermengt, in dem »zahlreiche staatlich beglaubigte Propheten ... ›im Namen der Wissenschaft‹ maßgebende Kathederentscheidungen über Weltanschauungsfragen zum besten zu geben sich herausnehmen«,21 weil sie dem modernen »Persönlichkeitskult« huldigen. Doch »›Persönlichkeit auf wissenschaftlichem Gebiet hat nur der, der rein der Sache dient«.22 Für »Professoren-Prophetie«, die schon der Student Weber an seinem Lehrer Heinrich von Treitschke ablehnte und mit der er nun hart ins Gericht geht, aber gibt es keine Fachqualifikation. Das Werturteil des Wissenschaftlers ist nicht ›richtiger‹ als das jedes anderen informierten Bürgers und gehört daher in die öffent-

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liche Auseinandersetzung. Wenn aber die Kathederwertung schon zugestanden werden soll, dann müßten schließlich alle, auch die extremsten Positionen, sich hier äußern dürfen, was, wie Weber feststellt und beklagt, politische Verhältnisse verhindern. Dies aber sind praktische Fragen, an Werturteile gebunden, die, um darauf zurückzukommen, an der prinzipiellen Unableitbarkeit von Wertaussagen aus Tatsachenfeststellungen nichts zu ändern vermögen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit konstatiert Wissenschaft letztlich den Kampf der Werte, den sie mit ihren Mitteln nicht zu entscheiden vermag. Könnte sie es, wäre sie auch in der Lage, einen objektiv gültigen Sinn in der Wirklichkeit zu erkennen. Eine Wissenschaft, die sich auf die Kausalanalyse des empirisch Erfahrbaren beschränkt, kann diese Leistung nicht erbringen. Damit ist eine jahrhundertealte Hoffung zerstört. Doch »das Schicksal einer Kulturepoche, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, ist es, wissen zu müssen, daß wir den Sinn des Weltgeschehens nicht aus dem noch so sehr vervollkommneten Ergebnis seiner Durchforschung ablesen können, sondern ihn selbst zu schaffen imstande sein müssen, daß ›Weltanschauungen‹ niemals Produkt fortschreitenden Erfahrungswissens sein können, und daß also die höchsten Ideale, die uns am mächtigsten bewegen, für alle Zeit nur im Kampf mit anderen Idealen sich auswirken, die anderen ebenso heilig sind, wie uns die unseren«.23 Daß die Trennung zwischen Wissenschaft und Werturteil ein schwieriges Unterfangen ist, »daß die persönlichen Weltanschauungen auf dem Gebiet unserer Wissenschaften unausgesetzt hineinzuspielen pflegen auch in die wissenschaftliche Argumentation, sie immer wieder trüben«, 24 ist Weber natürlich bewußt, kann seine Forderung aber nicht einschränken. Denn nur wenn Wertungen jederzeit deutlich gemacht werden, ist ein gewisser Schutz vor ihren ungewollten Wirkungen gegeben. Angesichts der diffizilen Inhalte des Wertfreiheitspostulats muß dieses aber wohl in erster Linie als anzustrebendes Ideal, quasi als regulative Idee wissenschaftlicher Arbeit angesehen werden. Keineswegs aber bedeutet ›Wertfreiheit‹, daß die Sphären von Wissenschaft und praktischen Wertsetzungen in keinerlei Beziehung miteinander stünden. Im Gegenteil sind sie aufeinander angewiesen. Wie sich das Verhältnis konkret gestaltet, wird zunächst deutlich an den Aufgaben und Möglichkeiten, die Weber der empirischen Wissenschaft zuschreibt.

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1.2. Die Möglichkeiten einer empirischen Wissenschaft Die Tätigkeit der empirischen Wissenschaft ist für Weber grundlegend definiert als Kausalerklärung. Im Rahmen ihrer rein rationalen Vorgehensweise analysiert sie die Wirklichkeit im Hinblick auf die Verknüpfung von Ursache und Wirkung und erklärt die Geschehnisse unter diesem Aspekt. Dabei unterscheidet Weber zwischen Gesetzes- und Wirklichkeitswissenschaften - eine logisch-methodische Differenzierung, die sich zunächst am Erkenntnisziel, nicht an einem sachlichen Unterschied der zu untersuchenden Wirklichkeit oder gar einem ontologischen Unterschied der Seinsweise orientiert. Gesetzeserkenntnis ist allerdings die spezifische Aufgabe der Naturwissenschaften. Bei ihrer Betrachtung des empirisch Gegebenen sehen sie ab vom individuell Zufälligen und Anschaulichen, vom konkreten Einzelfall, und suchen das Generelle an den Erscheinungen. Sie reduzieren Qualität auf meßbare Quantität mit dem Ziel, Gesetze zu bilden, aus denen sich der Einzelfall deduzieren läßt. Geschichts- und Sozialwissenschaften werden dagegen von Weber als Wirklichkeitswissenschaften definiert, denn ihr Ziel ist es, die individuelle Erscheinung in ihrer Eigenart und historischen Bedingtheit kausal zu erklären, und Realität kommt nach Weber nur dem Konkreten, Individuellen zu.25 Er wendet sich immer wieder gegen die Vorstellung, daß es möglich sei, auch die historische Wirklichkeit aus Formeln und Gesetzen zu deduzieren, denn kein Einzelfall ist vollständig aus Gesetzen abzuleiten, auch nicht im Bereich der Natur. Dennoch gesteht Weber ›Gesetzen‹ auch bei der Erklärung des konkreten Falles in den Kulturwissenschaften eine Rolle zu, nur nicht als Erkenntnisziel, sondern als Hilfsmittel. Als solches erleichtern, ja ermöglichen sie erst die gültige kausale Zurechnung, denn diese ist wie im Fall der konkreten Naturvorgänge an Erfahrungsregeln zu kontrollieren, um die Adäquatheit der gezeigten Zusammenhänge abzuschätzen.26 Weber spricht im Hinblick darauf von »nomologischem Wissen«, das die »Kenntnis der Regelmäßigkeiten der kausalen Zusammenhänge«27 beinhaltet. Dies können sowohl, je nach Bedarf, Alltagserfahrungen sein, aber auch wissenschaftliche Ergebnisse, beispielsweise die der Psychologie, welche Weber als eine mögliche Fundamentalwissenschaft vom menschlichen Verhalten demgegenüber aber ablehnt.28 Je abstrakter, das heißt je inhaltsleerer diese Gesetze aber sind, um so weniger leisten sie zur Erklärung des Einzelfalles.29 Die allgemein gehaltenen naturwissenschaftlichen Gesetzeshypothesen sind dementsprechend hier am wenigsten von Nutzen. Ob die Kulturwissenschaften selbst Regeln formulieren sollten, hängt vom jeweiligen Forschungszweck ab. Es ist zumindest möglich, auch im menschlichen

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Handeln Regeln zu entdecken, und ihre Formulierung ist gerechtfertigt.30 Sieht Weber sie anfangs aber ausschließlich als Mittel,31 so gesteht er ihnen in seinen späteren Arbeiten mit der Hinwendung zur Soziologie zunehmend eine Existenzberechtigung als eigenständiges Erkenntnisziel zu.32 Dabei ist das Verhältnis zwischen Soziologie und Geschichte bei Weber nicht eindeutig bestimmt; es handelt sich jedoch keineswegs um einen prinzipiellen, sondern eher um einen Gradunterschied im Hinblick auf die Allgemeinheit ihrer Interessen und Ergebnisse. Beide Disziplinen sind in dieser Zeit ja auch nicht wirklich getrennt, denn die Soziologie ist gerade erst im entstehen. Die Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit, die sich aus unterschiedlichen Entwicklungswegen ergeben, bleiben späteren Zeiten vorbehalten. Die formulierten Regeln beinhalten aber in jedem Fall keine Gesetzeserkenntnis im Sinne der Naturwissenschaften. Sie geben vielmehr die »typischen Chancen« wieder, nach denen sich ein Handlungsablauf gestalten kann.33 Auch liefern die Kausalerklärungen in den Kulturwissenschaften bei der Darstellung individueller Vorgänge keine Notwendigkeits-, sondern Möglichkeitsurteile. Diese zeigen Zusammenhänge lediglich als zureichend motiviert, denn die Notwendigkeit eines Handlungsablaufs liegt für sie im Unendlichen.34 Zur logischen Aufarbeitung des Erkenntnisweges greift Weber zurück auf die »Theorie der objektiven Möglichkeit und adäquaten Verursachung«.35 Als seine Quellen gibt er selbst die Arbeiten des Physiologen Johannes von Kries und des Juristen Gustav Radbruch an. Der erste hatte im Rahmen der Wahrscheinlichkeitsrechnung die »Theorie der objektiven Möglichkeit« entwickelt, deren »allerelementarsten Bestandteile« Weber auch für die Methodologie der Geschichte reklamiert. Zu ihren Rezipienten gehörte Gustav Radbruch, der im Zusammenhang mit einer Kritik an von Kries das »Prinzip der adäquaten Verursachung« anfügte. Mit beidem hatte sich bereits John Stuart Mill beschäftigt, von dessen Ausführungen von Kries und im Anschluß daran Weber sich aber bewußt abgrenzen, da Mill, so Weber, nicht gesehen habe, daß es sich hier um logische Konstruktionen, nicht um die Wirklichkeit handle. Möglichkeit ist die formende Kategorie, welche die Elemente bestimmt, die in den darzustellenden Kausalzusammenhang eingehen. Ob eine Kausalbeziehung vorliegt läßt sich entscheiden, wenn wir uns eine Ursache abgeändert oder nicht vorhanden denken und nicht etwa danach fragen, was dann geworden wäre, denn das zu ermitteln ist kaum möglich, sondern unter Bezug auf Erfahrungsregeln zu ermitteln suchen, ob das Endergebnis des Vorgangs trotzdem dasselbe wäre. Bei Bejahung handelte es sich bei der in Frage stehenden Ursache offenbar um eine bedeutungslose Angelegenheit, bei Verneinung ist das Ergebnis der gedanklichen Prozedur ein

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Möglichkeitsurteil bezüglich der kausalen Zusammenhänge, das Abstufungen zuläßt, deren Grad nicht eindeutig, aber doch relativ genau zu bestimmen ist. Keineswegs meint ›Möglichkeit‹: nicht genau wissen, sondern ist positiv bestimmt durch die Bezugnahme auf das nomologische Wissen, auf Regeln und empirische Tatsachen. Die festgestellte Beziehung ist die adäquate Verursachung, deren Gegenteil eine zufällige Verursachung wäre. »Um die wirklichen Kausalzusammenhänge zu durchschauen, konstruieren wir unwirkliche«,36 denn ohne die Möglichkeitsurteile dieser Art wäre kulturwissenschaftliche Arbeit nicht zu leisten. Sie gehen ständig in jede Untersuchung ein. Explizit zu entwickeln sind sie in der Praxis jedoch nur, wenn ein Kausalzusammenhang strittig ist. Diese Gestaltung der Kausalerklärung ist aber nicht der einzige Unterschied, den Weber zwischen den Natur- und den Geschichts- und Sozialwissenschaften macht. Ein weiterer ergibt sich zwangsläufig daraus, daß »jede Wissenschaft von geistigen oder gesellschaftlichen Zusammenhängen ... eine Wisssenschaft vom menschlichen Sichverhalten« ist und sich nicht mit dessen Erklärung begnügt, sondern auf ein ›Verstehen‹ seiner Bedeutung zielt - »eine Aufgabe spezifisch anderer Art..., als sie die Formeln der exakten Naturerkenntnis überhaupt lösen können oder wollen«.37 Das Ziel des Verstehens eines Untersuchungsobjektes ist für die sich konstituierende Geschichtswissenschaft ein Abgrenzungskriterium gegenüber der erklärenden Methode der Naturwissenschaften.38 Insbesondere die einflußreichen Arbeiten Wilhelm Diltheys stellen das Verstehen in den Mittelpunkt. Dilthey sieht in Natur- und »Geisteswissenschaften« - die Bezeichnung findet durch ihn allgemeine Verbreitung39 - unterschiedliche Wissenschaftsarten mit jeweils unterschiedlichen Methoden. Er konstruiert in diesem Zusammenhang eine bis heute ständig wiederholte, obwohl in ihrer Ausschließlichkeit überholte fragwürdige Differenzierung: die Naturwissenschaften erklären, die Geisteswissenschaften verstehen. Eine rein rationale Methode hält er in der Geschichte, die eine paradigmatische Rolle für die Geisteswissenschaften spielt, nicht für möglich. Sie ist eine empirische Wissenschaft mit dem Anspruch auf Objektivität, aber ihre Art von Erfahrung ist das innere Erlebnis, der ihr gegebene Gegenstand das Seelenleben. Sein Verstehen gründet im Gesamtvermögen menschlicher Erlebensfähigkeit, greift über den Intellekt hinaus und erfordert den ganzen Menschen, sein Wollen, Fühlen und Vorstellen, und bleibt nur durch dessen Lebensumstände eingeschränkt. Das Verstehen fremder Äußerungen führt über die Aktivierung des eigenen Erlebens, ist ein Sichhineinversetzen, Nachbilden und Nacherleben. Im Dienste der dem entsprechenden Methodenlehre, der Hermeneutik, steht die Psychologie, nicht die empirisch-naturwissenschaftliche, sondern eine verstehende Psychologie, die Dilthey zunächst als Basiswissenschaft der Geschichte an-

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nimmt, später aber zugunsten der Hermeneutik zurückstellt. Die Psychologie untersucht den Kreis von Erleben, Ausdruck und Verstehen, der den Prozeß der Selbstauslegung des Lebens beschreibt. »Leben« als allumfassendes Ganzes ist die gemeinsame Basis von Subjekt und Objekt, was ein Verstehen überhaupt erst ermöglicht und die Lebensverbundenheit der Wissenschaft garantiert. Die Untersuchungsgegenstände der Geisteswissenschaften sind wie diese selbst Objektivationen des Lebens, das nur in seinen jeweiligen Äußerungen zu erfassen ist. Leben ist die nicht mehr hintergehbare Grundlage, die den Abstraktionen des erkennenden Geistes gegenübersteht, eine irrationale, letztlich metaphysische Macht. Obwohl die deutlich von Nietzsche beeinflußte lebensphilosophische Basis der Theorien Diltheys diese als Grundlage wissenschaftlicher Arbeit mehr als fragwürdig erscheinen läßt, ist sein Einfluß beträchtlich und wird seit den zwanziger Jahren noch zunehmen. Webers Verstehensbegriff ist ein anderer.40 Er definiert sich über die Handlungsanalyse,41 worin die enge Beziehung zwischen Webers Handlungstheorie und seiner Wissenschaftslehre deutlich wird. Handeln (inneres, äußeres, unterlassen und dulden), soweit es nicht nur reaktives Sichverhalten bleibt,42 ist nach Weber immer verknüpft mit einem subjektiven Sinn, das heißt es basiert, ob bewußt oder unbewußt, auf Wertentscheidungen. Menschliche Tätigkeit hat ein Motiv, und dieses gilt es zu verstehen. Daran knüpft sich Webers Position, daß es letztlich immer um das Verstehen von Einzelpersonen geht, auch in der Soziologie, denn nur das Handeln des einzelnen ist seinem Sinn nach verständlich.43 Handeln ist prinzipiell einer rationalen Deutung zugänglich, die es, orientiert am nomologischen Wissen, unter dem Aspekt des Verhältnisses von Zweck und Mitteln betrachtet. Weber wendet sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich gegen den Glauben an die durch den freien Willen bedingte Irrationalität und daher Unberechenbarkeit menschlichen Handelns als das die Geisteswissenschaften begründende Element. Unberechenbarkeit ist vielmehr das Prinzip des Verrückten. Die über diese Deutung hinausgehende Frage, inwieweit das Handeln durch Freiheit oder Notwendigkeit bestimmt ist, ist ein philosophisches Problem und für die Wissenschaft irrelevant, weil sie jenseits aller Erfahrung liegt.44 In der Wissenschaft ist »jede denkende Besinnung auf die letzten Elemente sinnvollen menschlichen Handelns ... zunächst gebunden an die Kategorien ›Zweck‹ und ›Mittel‹«,45 was die besondere methodologische Bedeutung der Konstruktion der »Zweckrationalität« begründet. Daß ein rein teleologisches Handeln in der Wirklichkeit so nicht vorkommt, sondern durch Affekte und andere Irrationalitäten getrübt wird, spielt dabei keine Rolle, sind doch auch individuelle Naturvorgänge in der gleichen Weise gestört. Aber auch Affekte sind verstehbar, wengleich die Deutung

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nach Zweck und Mittel das Höchstmaß an Evidenz besitzt. Grenzen des Verständnisses sind erst erreicht bei ekstatischen oder mystischen Erlebnissen, psychopathischen Zuständen und zum Teil bei Kindern und Tieren.46 In der Praxis wissenschaftlicher Arbeit findet sich Verstehbares und Nichtverstehbares häufig vermischt. Grundsätzlich ist menschliches Handeln auf seine kausalen Verknüpfungen hin deutbar, denn daß im Unterschied zu Naturvorgängen einzelne Elemente der Kausalverknüpfung Bewußtseinsinhalte sind oder Normen zu den Determinanten des Geschehens gehören, spielt logisch gesehen keine Rolle.47 Weber unterscheidet beim Verstehen als »deutendem Erfassen« zwischen rationalem oder intellektuellem und einem einfühlend-nacherlebenden Verstehen; sodann zwischen einem in beiden Fällen möglichen aktuellen Verstehen des Sinns einer Handlung oder Äußerung, und dem nur der intellektuellen Variante möglichen erklärenden Verstehen als rationalem Motivationsverstehen.48 Dieses den Sinn einer Handlung ermittelnde Verstehen betrifft die Kulturwissenschaften. Daß das intuitive Erleben innerhalb des wissenschaftlichen Prozesses auf jedem Gebiet durchaus hilfreich sein kann, steht dabei nicht in Frage. Auch bestreitet Weber keineswegs, daß das einfühlende Nacherleben für den Erkenntnisvorgang eine psychologische Bedeutung hat und daß erst die »innere Nachbildung« des Vorgangs wirklich befriedigt.49 Es ist schließlich wichtig für die Evidenz des Verstehens, aber es ist keine absolute Bedingung für die Sinndeutung, und es ist noch kein wissenschaftliches Ergebnis. Wissenschaft ist gebunden an demonstrierbare, kontrollierbare Urteile und kann sich nicht auf unbestimmte Gefühle berufen. Der intuitiv erfaßte Sinn, das Handlungsmotiv, ist durch die Eruierung des zugrundeliegenden Wertes zu objektivieren und so in eine kommunikable Form zu bringen. Auch Sinnermittlung geschieht in Form der Begriffsbildung und der Formulierung von Hypothesen, und diese bedürfen wie jede Hypothese soweit möglich der Bestätigung am empirischen Material, »ehe eine noch so evidente Deutung zur gültigen ›verständlichen Erklärung‹ wird«.50 Zu der einfühlenden, nacherlebenden Evidenz des Verstehens kommt so die rationale, wobei im Idealfall das intellektuelle Verstehen die Einfühlung in sich birgt. Manchmal wird es allerdings bei der rein intellektuellen Deutung bleiben, doch wir verstehen einen Vorgang auch dann, wenn wir ihn nie erleben könnten, denn daß man nicht Cäsar sein muß, um Cäsar zu verstehen, wie Weber im Rückgriff auf eine Äußerung Georg Simmeis sagt,51 ist unabweisbar. Verstehen und Erklären sind für Weber jeweils nicht an Kultur- bzw. Naturwissenschaften gebunden. Jede Wissenschaft erklärt, und für jede muß das Sinnverstehen von Bedeutung sein. Als Beispiele für ein unmittelbares rationales Verstehen nennt Weber mathematische oder logische Aus-

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sagen, zum Beispiel 2 x 2 = 4 oder den Pythagoräischen Lehrsatz.52 Er führt dies nicht weiter aus, aber es läßt sich daraus schließen, daß auch jede mathematisierte naturwissenschaftliche Aussage an das Verstehen gebunden ist. Das Besondere in den Kulturwissenschaften ist, daß das Sinnverstehen sich hier nicht nur auf den Aussagensinn bezieht, sondern auf ein Verstehen der Motivationen der Handelnden. Diese ist eine für die Geschichts- und Sozialwissenschaften unverzichtbare Ergänzung zur Kausalerklärung. Beide sind aufeinander bezogen mit dem Ziel des »verstehenden Erklärens«. Damit hebt Weber die strikte Trennung zwischen Naturund ›Geisteswissenschaften‹ auf und erhält dennoch eine Unterscheidung zwischen beiden. Weil es die »qualitative Färbung der Vorgänge« ist, »worauf es uns in den Sozialwissenschaften ankommt«, erbringen diese gegenüber den Naturwissenschaften die »Mehrleistung« des Verstehens. Sie wird allerdings erkauft »durch den wesentlich hypothetischeren und fragmentarischeren Charakter der durch Deutung zu gewinnenden Ergebnisse«, denn die sinnvolle Deutung geht zwangsläufig ein Stück weit über das Gegebene, das rein Empirische hinaus.53 Im Hinblick auf das Motivationsverstehen spricht Weber ausdrücklich vom »subjektiv gemeinten Sinn«, den es zu ermitteln gilt, das heißt den, den der Handelnde selbst mit seinem Tun verband oder verbunden haben könnte. Dies macht deutlich, daß Geschichts- und Sozialwissenschaften keineswegs einen in irgendeiner Weise objektiv gültigen, normativ richtigen oder gar metaphysisch wahren Sinn in den Handlungen auffinden wollen.54 Geschichtsphilosophische Deutungen, gleich welcher Provenienz, sind damit ausgeschlossen. Deutendes Verstehen will lediglich den adäquaten Sinnzusammenhang ermitteln, in den ein zu untersuchendes Handeln integriert ist, um es somit kausal zu erklären.55 Die »verstehende Soziologie«, die auf dieser Basis entsteht, grenzt sich ab gegen die von Comte und Spencer geschaffene positivistische Richtung dieser Wissenschaft, die weder ›verstehen‹ will noch den Freiheitsspielraum von Wertentscheidungen kennt, sondern induktiv gewonnene Gesetze menschlichen Handelns präsentiert und soziale Strukturen in den Mittelpunkt rückt. In Webers verstehender Soziologie werden sowohl das subjektiv bestimmte Handeln des einzelnen wie der Kontext der gesellschaftlichen Gegebenheiten berücksichtigt. Dies macht sie noch heute für die Diskussion der sozialwissenschaftlichen Methodologie bedeutsam.56 Die »Mehrleistung« des Verstehens zu erbringen setzt nun allerdings voraus, daß die sich in der empirischen Wirklichkeit manifestierenden qualitativen Elemente der Wissenschaft zugänglich sind, das heißt das, was den Dingen Bedeutung verleiht und menschlichem Handeln einen Sinn gibt - also: Werte. Daß dies auch der ›wertfreien‹ Wissenschaft möglich ist, hat Weber immer wieder betont.

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Vor diesem Hintergrund läßt sich nun fragen, welche Leistungen Wissenschaft im Rahmen des ihr möglichen Erklärens und Verstehens erbringen kann. Daß sie in der Lage ist, bei vorgegebenem, von ihr nicht anzutastendem Zweck die geeigneten Mittel zu seiner Erreichung zu zeigen, steht außer Frage, denn dabei handelt es sich um einfache Umkehrung von Kausalsätzen. Sind Zweck und Bedingungen festgesetzt, zeigt sie die technisch richtigen Mittel. Sie ermöglicht deren planvolle Verwendung, zeigt, wo weitere Bedingungen zur Erfüllung einer Zwecksetzung liegen, und macht deutlich, welche unvermeidlichen Nebenfolgen bei Anwendung der in Frage kommenden Mittel auftreten werden. Sie bringt Techniken zur Kenntnis, wie Dinge und menschliches Handeln »durch Berechnung beherrscht« werden können, das heißt sie ermöglicht, ihre Eigenschaften in eine planvolle Kalkulation einzubeziehen.57 Aber dabei muß sie es nicht belassen. Wissenschaft kann sich ebenso den angestrebten Zielen und den ihnen zugrundeliegenden Wertsetzungen zuwenden und sie einer kritischen Betrachtung unterziehen, wobei sie sich um deren beanspruchte Geltung nicht kümmert. Wie alles normativ Gültige seinen Norm-Charakter verliert, wenn es zum Forschungsobjekt wird, so werden auch Werte nicht als ›geltend‹, sondern als ›seiend‹ behandelt. Dies gilt im übrigen auch für logische und mathematische Sätze, unabhängig davon, daß ihre normative Geltung das Apriori aller empirischen Wissenschaft darstellt.58 Diese Fähigkeit ermöglicht es der Wissenschaft, subjektive Wertungen und die sich aus ihnen ergebenden Zwecksetzungen nicht als ›Tatsachen‹ hinnehmen zu müssen, sondern sie im Rahmen einer Wertanalyse zum Objekt einer technisch-wissenschaftlichen, empirischen und logischen Kritik machen zu können. Sie kann nicht nur danach fragen, ob der gesetzte Zweck in der gegebenen Situation eine Realisierungschance hat oder unerreicht bleibt und in dieser Hinsicht sinnvoll oder sinnlos ist, sondern kann sich auch der Analyse eines »Wertungsstandpunktes auf seine individuelle, soziale, historische Bedingtheit hin«59 zuwenden. Sie macht darüber hinaus deutlich, daß alles Handeln immer die Entscheidung für bestimmte Werte impliziert und folglich gegen andere.60 Es ist ihr möglich, den Wertzusammenhang von Zweck und zielgerichteter Handlung zu ermitteln und am »Postulat der inneren Widerspruchslosigkeit«61 zu prüfen. Dabei können Diskrepanzen und Wertkollisionen zutage treten; es zeigen sich mögliche Verletzungen anderer Werte durch die Folgen einer Handlung, denn es wird die Konkurrenz von Wertungen untereinander deutlich im Hinblick auf ihren Sinn sowie auf ihre praktischen Folgen. Wissenschaft zeigt Wertungen, die vom Vertreter eines bestimmten Standpunktes unter Umständen nicht wahrgenommen und daher nicht einkalkuliert wurden. Sie macht anhand der Konsequenzen, die sich aus einer 102 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

praktischen Wertsetzung ergeben, deutlich, was tatsächlich vertreten wird und zeigt die Auswirkungen von Werten auf die Praxis und umgekehrt.62 Sie führt so zur »Kenntnis der Bedeutung des Gewollten«,63 indem sie hinter das unmittelbar zugängliche Werturteil zurückgeht auf die »letzten Werte«, die der Stellungnahme zugrundeliegen. Sie zeigt die Ideen und Ideale, auf denen der Zweck basiert, während philosophische Disziplinen darüber hinaus die konkrete Wertung in den Zusammenhang überhaupt möglicher letzter Werte einordnen können.64 So verhilft Wissenschaft dem Wollenden »zur Selbstbesinnung auf diejenigen letzten Axiome, welche dem Inhalt seines Wollens zugrunde liegen«,65 und die ihm unter Umständen nicht bewußt waren. Eine solche Wertanalyse ist aber auch zum einen bedeutsam für den Zweck des erklärenden Verstehens einer Handlung im Rahmen empirischer Kausalbetrachtung, um »wirklich letzte Motive kennen zu lernen«, zum anderen, »wenn man mit einem (wirklich oder scheinbar) abweichend Wertenden diskutiert, für die Ermittlung der wirklichen gegenseitigen Wertungsstandpunkte«, und zwar auch der eigenen, um »den Wert, auf den es jedem der beiden Teile wirklich und nicht nur scheinbar ankommt, zu erfassen«.66 Das Mittel, dessen sich die Wissenschaft dabei bedient, ist die Wertinterpretation oder -diskussion. »Diese Prozedur ist dem Wesen nach eine von der Einzelwertung und ihrer sinnhaften Analyse ausgehende, immer höher zu immer prinzipielleren wertenden Stellungnahmen aufsteigende Operation. Sie operiert nicht mit den Mitteln einer empirischen Disziplin und zeitigt keine Tatsachenerkenntnis. Sic ›gilt‹ in gleicher Art wie die Logik.«67 Diese dialektische Kritik eines Wertungsstandpunktes ermöglicht ein wirkliches Verständnis der »letzten Werte«. Es beinhaltet nicht ihre Anerkennung, denn »weder bedeutet ›alles verstehen‹ auch ›alles verzeihen‹ noch führt überhaupt vom bloßen Verstehen des fremden Standpunktes an sich ein Weg zu dessen Billigung«68 oder gar zu seiner Anerkennung als verbindlicher Imperativ. Nach Ermittlung der grundlegenden Werte einer Position, der rationalen Analyse ihrer Entstehungsbedingungen, ihrer Verflochtenheit mit anderen Werten und ihres empirischen Zusammenhanges stößt Wissenschaft aber an ihre Grenze, denn, will sie das Wertfreiheitspostulat nicht verletzen, vermag sie »niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur, was er kann und - unter Umständen - was er will«. 69 In diesem Rahmen bietet sie eine rein formal-logische Beurteilung der Zusammenhänge. Sie ist Handlungshilfe, indem sie den Menschen zur »Klarheit« führt,70 das heißt sie bietet dem Handelnden die Möglichkeit, sich der Bedeutung seines Tuns bewußt zu

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werden und zwischen den gewollten und ungewollten Folgen abzuwägen, zwischen der Erreichung des gesetzten Zieles und der dabei möglichen Verletzung anderer Werte. »Schon so einfache Fragen aber, wie die: inwieweit ein Zweck die unvermeidlichen Mittel heiligen solle, wie auch die andere: inwieweit die nicht gewollten Nebenerfolge in Kauf genommen werden sollen, wie vollends die dritte, wie Konflikte zwischen mehreren in concreto kollidierenden, gewollten oder gesollten Zwecken zu schlichten seien, sind ganz und gar Sache der Wahl oder des Kompromisses. Es gibt keinerlei (rationales oder empirisches) wissenschaftliches Verfahren irgendwelcher Art, welches hier eine Entscheidung geben könnte.«71 Wissenschaftliche Wertungen sind keine praktischen Urteile, sondern beziehen sich auf den Rationalitätsgrad eines Zusammenhangs. Die Entscheidung über dessen Umsetzung in die Praxis obliegt daher allein dem wollenden Menschen, der nach Gewissen oder Weltanschauung urteilt, also gänzlich andere Kriterien zugrundelegen kann als die einer rationalen Stimmigkeit, die nicht den besten Weg angeben muß. 72 Der konsequente Verzicht der ›wertfreien‹ Wissenschaft, praktische Werturteile abzugeben, hat Weber den Vorwurf eingebracht, daß seine Wissenschaft etablierte Werte befestige und nicht in der Lage sei, das Bestehende auf Grund rationaler Erwägungen zu verändern. Sie überlasse den Bereich praktischer Werturteile, also vor allem auch das politische Handeln, einer dezisionistischen Willkür, dem irrationalen Kampf, während sich die Rationalität nur noch auf die Mittel zur Erreichung einer voluntaristischen Zwecksetzung beziehe. 73 Angesichts der dargelegten Möglichkeiten der Wissenschaft zur Wertkritik dürfte deutlich geworden sein, daß diese Angriffe gegen Webers Wissenschaft unhaltbar sind.

1.3. Wirklichkeit und Wertbeziehung Im Vorhergehenden wurde bereits deutlich, daß die Kennzeichnung der Weberschen Wissenschaft als wertfrei keineswegs eine intensive Beziehung zum Wertbereich ausschließt. Das Konzept der »Wertbeziehung« zeigt darüber hinaus, daß der Zusammenhang zwischen beiden Sphären sogar ein unbedingt notwendiger ist, denn Werte erweisen sich als konstitutiv für jede Wissenschaft. Mit dem Rückgriff auf das wissenschaftstheoretische Prinzip der Wertbeziehung begibt sich Weber, wie er selbst sagt, 74 ein Stück weit auf philosophisches Gebiet, um das spezifische Interesse, das alle wissenschaftliche Arbeit begründet, auf seinen Ursprung hin zu deuten. Die reine Wissenschaftstheorie würde sich mit der Konstatierung dieses Interesses begnü-

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gen. Es zeigt sich aber, daß es in Werten gründet, und diese sind, so Weber, eine Angelegenheit der Philosophie. Daß sich auch das Problem des Wertinhalts untersuchen ließe und ein Wert auf seine erkenntnistheoretischen oder psychologischen Grundlagen hin betrachtet werden könnte ist Weber bewußt. Er sieht dies jedoch hier, wo es einzig um die Feststellung der logischen Voraussetzung der Kulturwissenschaften geht, nicht als gestellte Aufgabe. 75 Das Konzept der Wertbeziehung korrespondiert mit Webers Wirklichkeitsauffassung. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß er offensichtlich davon ausgeht, daß wissenschaftliche Erkenntnis sich bereits auf eine vorgeformte Wirklichkeit richtet, denn Wertbeziehung setzt die Objektivierung und Analysis der Wirklichkeit voraus. 76 Die empirische Wirklichkeit als das unmittelbar Gegebene zeigt sich sodann aber im Falle voraussetzungsloser Anschauung als irrational, das heißt sie erscheint als ein »urwüchsiger Allzusammenhang«, als »eine schlechthin unendliche Mannigfaltigkeit von nach- und nebeneinander auftauchenden und vergehenden Vorgängen, ›in‹ uns und ›außer‹ uns. Und die absolute Unendlichkeit dieser Mannigfaltigkeit bleibt intensiv durchaus ungemindert auch dann bestehen, wenn wir ein einzelnes ›Objekt‹ ... isoliert ins Auge fassen, - sobald wir nämlich ernstlich versuchen wollen, dies ›Einzelne‹ erschöpfend in allen seinen individuellen Bestandteilen auch nur zu beschreiben, geschweige denn es in seiner kausalen Bedingtheit zu erfassen«.77 Jede noch so kleine Erscheinung und der einfachste konkrete Hergang auch im Bereich der Natur zeigen sich als eine intensive Unendlichkeit des Mannigfaltigen zunächst in dem Sinn, daß jede einzelne Wahrnehmung unendlich viele Bestandteile zeigt. Eine voraussetzungslose Erkenntnis würde nur zu einem unbegrenzten »Chaos von ›Existenzialurteilen‹« 78 über das schlichte Vorhandensein der Dinge führen, die keinerlei Erkenntniswert besäßen, da sie an der unendlichen Mannigfaltigkeit nichts ändern würden. Aber auch der Versuch, eine Erscheinung allein unter dem Aspekt ihrer kausalen Verknüpfung zu betrachten, fuhrt lediglich zu der Einsicht, daß der individuelle Kausalzusammenhang, die Frage nach Zahl und Art seiner Ursachen, letztlich bis ins Unendliche verfolgt werden kann und Ursachen aus völlig heterogenen Bereichen umfaßt. 79 Während die positiven Ursachen der logischen Konstitution der Wissenschaft in deren Erkenntniszwecken und -mittein liegen, ist die so verstandene Wirklichkeit für Weber zwar nur die »negative Instanz«, aber im Aufweis der Unendlichkeit und Irrationalität des konkreten Mannigfaltigen sieht er doch den zwingenden erkenntnistheoretischen Erweis der absoluten Sinnlosigkeit einer Abbilderkenntnis. 80 Objektivistische Positionen, gleichviel, ob in der Tradition von Hegel, Comte oder Marx, sind für Weber unan-

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nehmbar. Seine gesamte Methodologie basiert auf der Überzeugung, daß wissenschaftliche Erkenntnis niemals Wirklichkeit als solche erfaßt, sondern immer eine Aneinanderreihung von Abstraktionen darstellt und sich zuallererst auf eine Auswahl gründet: »Alle denkende Erkenntnis der unendlichen Wirklichkeit durch den endlichen Menschengeist beruht daher auf der stillschweigenden Voraussetzung, daß jeweils nur ein endlicher Teil derselben den Gegenstand wissenschaftlicher Erfassung bilden, daß nur er ›wesentlich‹ im Sinne von ›wissenswert‹ sein solle.«81 Wissenschaft braucht aus diesem Grund einen Standpunkt, von dem aus sie entscheiden kann, was das Wesentliche ist; sie bedarf eines Ordnungsaspektes, um den Bereich ihrer Untersuchungen abzugrenzen. Für die Naturwissenschaften, die nach Regelmäßigkeiten suchen, leistet diese Aufgabe das ›Gesetz‹. Daß dies auch in den Geschichts- und Sozialwissenschaften so sein könnte, weist Weber zurück,82 denn hier geht es um den konkreten Einzelfall, der nicht interessiert, weil er ein Gesetz verkörpert, sondern auf Grund seiner einzigartigen Qualität. Diese aber haftet an Werten. Sie sind es daher, in deren Bereich die Geschichts- und Sozialwissenschaften ihren Ordnungsaspekt finden. Werte verleihen dem an sich sinnlosen unendlichen Geschehen Bedeutung. Indem die Erscheinungen mit Werten verknüpft werden, wird ihnen ›von außen‹, durch den Betrachter, ein Sinn beigelegt. Dieser ist ihnen also nicht immanent;83 es handelt sich auch hier um keinen ›höheren‹ Sinn. Der durch die Verankerung an Werten mit Sinn und Bedeutung verknüpfte Teil der empirischen Wirklichkeit ist für uns »Kultur«. Der Begriff der Kultur selbst ist ein Wertbegriff, ihr Bereich das spezifische Arbeitsgebiet der »Disziplinen, welche die Vorgänge des menschlichen Lebens unter dem Gesichtspunkt ihrer Kulturbedeutung betrachten«.84 Wertbeziehung heißt nun zunächst, den Erscheinungen einen Sinn beizulegen. Dabei handelt es sich um eine rein formale Angelegenheit; der Inhalt des Wertes spielt keine Rolle, denn die Wertbeziehung ist nicht geknüpft an eine Bejahung bestimmter Kulturerscheinungen. Bedingung der Möglichkeit von Kulturwissenschaft ist vielmehr nur, »daß wir Kulturmenschen sind, begabt mit der Fähigkeit und dem Willen, bewußt zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen«.85 Es ist die Kulturbedeutung, an der sowohl im Hinblick auf die einzelnen Disziplinen wie auf die konkreten Probleme das wissenschaftliche Interesse verankert ist. Hierin wurzelt unsere Beziehung zur historischen Erscheinung, nicht in ihrem sachlichen Kausalzusammenhang zu unserer Gegenwart, wie Weber gegen Eduard Meyer anmerkt, denn zweifellos interessieren uns auch Dinge, die ursächlich nicht mit der Gegenwart zusammenhängen.86 106 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Wissenschaftliches Interesse gründet sich dabei zunächst durchaus auf eine rationale oder emotionale persönliche Beziehung des Forschers zu einer bestimmten Erscheinung87 und einem vermuteten Zusammenhang. Diese »normale psychologische Durchgangsstufe für das ›intellektuelle Verständnis‹« unterscheidet noch nicht zwischen Werturteil und wissenschaftlicher Deutung.88 Die für die wissenschaftliche Arbeit vorauszusetzende »logische Bearbeitung aber setzt an die Stelle der Wertung die bloß theoretische ›Beziehung‹ auf Werte«, die das Gefühlsmäßige in eindeutig verständliche Urteile umwandelt. Sie macht »in artikulierter Form« deutlich, welche »Angriffspunkte für mögliche ›wertende‹ Stellungnahmen« eine Erscheinung aufweist, an denen sich ihre mehr oder weniger universelle Bedeutung inhaltlich festmacht.89 Es handelt sich bei der Wertbeziehung als Kategorie der Deutung also nicht mehr allein um die persönlichen Wertungen des Wissenschaftlers. Wenngleich Wertung und theoretische Wertbeziehung im Grenzfall übereinstimmen können, so wird bei letzterer in der Regel doch die Fähigkeit des Forschers in Anspruch genommen, »den ›Standpunkt‹ dem Objekt gegenüber wenigstens theoretisch zu wechseln«.90 Daß die Wertdiskussion hierfür und also auch für die wissenschaftliche Fragestellung sehr hilfreich sein kann, ist offensichtlich. Auch eine ausgeprägte Fähigkeit des Forschers zur Wertung kann als »heuristisches Mittel« sehr brauchbar sein, wie Weber im Anschluß an Simmel anmerkt, kann aber andererseits im Hinblick auf die Wertfreiheit wissenschaftliche Arbeit auch gefährden.91 Auf dieser Basis wird die historische Wirklichkeit stets unter bestimmten Gesichtspunkten betrachtet. Im Rahmen einer »gedanklichen Auslese« schafft die Wertbeziehung, also das wissenschaftliche Interesse des Forschers, Zusammenhänge und sondert einen »Teil des ungeheuren chaotischen Stromes von Geschehnissen«92 aus, der die für das Problem relevanten Bestandteile der Wirklichkeit umfaßt. »Unter Ausschaltung einer vollen Unendlichkeit von sowohl ›generellen‹ als ›individuellen‹ Bestandteilen des ›Gegebenen‹«,93 die für sie gleichgültig sind, formt sie zum einen aus dem gegebenen Objekt den wissenschaftlichen Gegenstand, das »historische Individuum«, auf dessen Kausalerklärung das wissenschaftliche Interesse sich richtet. Dieser ist also nicht ontologisch bestimmt, sondern entsteht unter einem bestimmten Aspekt durch Synthese aus dem empirischen Material. Zum anderen bestimmt Wertbeziehung auch den Umfang der kausalen Erklärung, indem sie auch hier das Wesendiche aussondert, denn da auch der einfachste Kausalzusammenhang an keine objektive Grenze stößt, ist es nur »eine Frage der Grenzen unseres jeweiligen kausalen Interesses ..., an welchem Punkt wir haltmachen«.94 Innerhalb dieses Rahmens können Tatsachen dann sowohl als »Realgrund« in die Ursachenkette eingehen

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oder als »Erkenntnisgrund« deren Konstitution ermöglichen,95 und Tatsachen, die in einer konkreten Problemstellung zu den Ursachen gehören, können selbstverständlich in anderen Zusammenhängen den zu erklärenden Gegenstand bilden. Das an Werten haftende wissenschaftliche Interesse bestimmt also, »was Gegenstand der Untersuchung wird und wie weit diese Untersuchung sich in die Unendlichkeit der Kausalzusammenhänge erstreckt«.96 Mit anderen Worten, es fuhrt zur Problemstellung, zur Hypothesenbildung. Diese beinhaltet die Vorstellung eines bestimmten Wirklichkeitszusammenhangs, die sich im Laufe der wissenschaftlichen Arbeit durchaus als korrekturbedürftig erweisen kann, so daß sich die ursprünglich gesetzten Grenzen natürlich verändern können. Die mit einem wissenschaftlichen Gegenstand verbundenen Werte sind nun keineswegs das, »was die historisch an der Schaffung des ›bewerteten‹ Objekts Beteiligten ihrerseits subjektiv ›empfanden‹ ..., sondern was ›wir‹ in dem Objekt an Werten finden ›können‹«.97 Sie sind also nicht zwangsläufig identisch mit dem subjektiv gemeinten Sinn, der als Erkenntnisziel wissenschaftlicher Arbeit dargestellt wurde, können dies allerdings sein, und die Interpretation des einen kann der des anderen den Weg weisen. Der Untersuchungsgegenstand aber wird bestimmt durch unsere Anschauung seiner Inhalte, durch die »den Forscher und seine Zeit beherrschenden« gegenwärtigen Wertideen.98 Die Gesichtspunkte, unter denen wissenschaftliche Arbeit stattfindet, sind abhängig vom Kontext ihrer Gegenwart. Dabei wird es dem »wissenschaftlichen Genius« gelingen, die Werte zu erfassen und zur Grundlage seiner Arbeit zu machen, die eine ganze Epoche bestimmen.99 Wenn Wissenschaft in dieser Weise auf Werten basiert, kann sie vom festgestellten »Kampf der Werte« nicht unbeeinflußt sein. Jede Kulturerscheinung gewinnt ihre Bedeutung stets aus vielen verschiedenen Wertideen. Da die konkrete Wertbeziehung immer nur einige erfaßt, läßt ein und derselbe Wirklichkeitsausschnitt sich jeweils unter einer Mehrzahl von Gesichtspunkten betrachten, und »gerade die Unausschöpfbarkeit ihres ›Inhalts‹ an möglichen Anknüpfungspunkten unseres Interesses ist das dem historischen Individuum ›höchsten‹ Ranges Charakteristische«.100 Es gibt keinen ›richtigen‹ Gesichtspunkt, denn es besteht in der Rangfolge der Werte »eine unendliche Stufenleiter der ›Bedeutungen‹, deren Staffeln für jeden einzelnen von uns eine andere Reihenfolge haben«,101 so daß, was dem einen außerordentlich wichtig erscheint, für den anderen unwesentlich sein kann. Der Grad des Interesses schwankt, denn es ist die Richtung des »persönlichen Glaubens« des Wissenschaftlers, »die Farbenbrechung der Werte im Spiegel seiner Seele«,102 die der wissenschaftlichen Arbeit den Weg weist.

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Darüber hinaus unterliegen Werte, weil sie an ihre jeweilige Gegenwart gebunden sind, wie diese dem kulturellen Wandel. Jedes wissenschaf3tliche Problem spiegelt die Interessen seiner Zeit. Jede Geschichte wird »vom Standpunkt der Wertinteressen der Gegenwart geschrieben«, so »daß also jede Gegenwart neue Fragen an das historische Material stellt oder doch stellen kann, weil eben ihr durch Wertideen geleitetes Interesse wechselt«.103 Damit werden ganz oder teilweise andere Auschnitte und Tatsachen des Gesamtprozesses als wesentlich betrachtet und rücken ins Blickfeld. So ist für die Webersche Wissenschaft eine grundlegende Offenheit und Dynamik kennzeichnend, die in keiner Weise einengend wirkt, sondern die Anpassungsfähigkeit wissenschaftlicher Arbeit an zu lösende Probleme garantiert, ohne sie divergierenden Interessen auszuliefern, denn davor schützt sie das Wertfreiheitspostulat. Auf Grund des logisch-methodischen Vorgehens der Wertbeziehung wird die »Vielheit und Differenzierung der ›Gesichtspunkte‹« zum Kennzeichen der Kulturwissenschaften. Sie sind die »Wissenschaften, denen ewige Jugendlichkeit beschieden ist«, weil ihnen »der ewig fortschreitende Fluß der Kultur stets neue Problemstellungen zufuhrt«.104 Ihre intensive Wertgebundenheit bewirkt jedoch auch, daß die Kontroversen über einen Gegenstand im allgemeinen sehr viel ausgeprägter sind als in den Naturwissenschaften. Die Wandelbarkeit der Problemstellungen gilt jedoch zweifelsohne auch für sie. Einer Wissenschaft, die in dieser Weise mit ihrer Gegenwart verbunden ist, kann nichts ferner liegen als der Rückzug in den Elfenbeinturm. Im Gegenteil wird die intensive geistige Teilnahme des Forschers an seiner Gegenwart der wissenschaftlichen Fragestellung äußerst förderlich sein. Von diesen Erkenntnissen ausgehend, gelangt Weber zu einem Fortschritte-Begriff, der als wertneutral zu bezeichnen ist. Er beinhaltet nicht wie im allgemeinen Verständnis den Fortschritt zum Besseren, sondern meint lediglich ein Weitergehen, eine fortschreitende Ausdifferenzierung.105 Lediglich in diesem Sinne ist zuzugestehen, daß wissenschaftliche Erkenntnis Fortschritt bietet. Das damit zwangsläufig verbundene Veralten ihrer Ergebnisse - für positivistische Anschauungen ein unliebsames Schicksal, weil es den hier erhobenen Anspruch auf Erkenntnis allgemeingültiger Wahrheiten grundsätzlich erschüttern muß - wird dabei zum ausdrücklichen Zweck ihrer Arbeit.106 Für sie ist dieses Veralten Kennzeichen für Erkenntnisfortschritt, auf den hin Wissenschaft schließlich angelegt ist. Sie muß daher jederzeit bereit sein, mit dem scheinbar Festgelegten zu brechen. Wissenschaft liefert keinen festen Besitz unveränderlichen Wissens, sondern fordert das ständige Neudenken und ist insofern eine äußerst unbequeme Wissensform. »Prinzipiell geht dieser Fortschritt in das Unendliche«107 und damit die

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wissenschaftliche Arbeit. Diese kann infolgedessen niemals zu einer Gesamtansicht der Wirklichkeit gelangen. Sie betrachtet sie unter vielfältigen, sich wandelnden Aspekten. Ihre Erkenntnis ist daher immer nur Teilerkenntnis, ihre Ergebnisse sind stets partikular und vorläufig. Hier liegt der Hauptgrund dafür, daß Wissenschaft keine allumfassende, alles erklärende Weltanschauung begründen kann, was sie allerdings immer wieder versucht hat und was von Weber als »allgemeine Gepflogenheit« seiner Zeit beklagt wird. Denn Psychologismus, Naturalismus oder Historismus sind in gleicher Weise sinnlos. Zudem gefährdet der Versuch, Wirklichkeit unter nur einem übergeordneten Gesichtspunkt zu betrachten, die wissenschaftliche Unbefangenheit. 108 So muß sich Wissenschaft stets der einschränkenden Bedingungen ihrer Erkenntnistätigkeit bewußt bleiben, zumal die aspektgebundene Betrachtung der Wirklichkeit nicht nur für die einzelne Fragestellung gilt. Sie gilt ebenso für jede wissenschaftliche Disziplin und für die Wissenschaft als Ganzes. Diese betrachtet die Wirklichkeit unter dem Aspekt der wissenschaftlichen Rationalität, und dieser ist, wie jeder wissenschaftliche Gesichtspunkt und jedes auf ihm basierende Ergebnis, daran gebunden, als Wert betrachtet zu werden. Auch Wissenschaft als solche bedarf der Sinngebung durch Wertbezug, denn »der Glaube an den Wert wissenschaftlicher Wahrheit ist Produkt bestimmter Kulturen und nichts Naturgegebenes«. 109 Die Kennzeichnung ›wertfrei‹ ist also keineswegs gleichzusetzen mit voraussetzungslos. Im Gegenteil ist Wissenschaft ohne Voraussetzungen gar nicht denkbar. Nicht nur die Geltung der Regeln der Logik und Methodik ist vorausgesetzt, 110 es ist allein der Glaube an den Wert ihrer Erkenntnis, der wissenschaftliche Arbeit überhaupt erst ermöglicht. Ihr Wert und Sinn sind ihr als Apriori gegeben und liegen damit außerhalb ihres eigenen Bereiches. Ihre Geltung ist mit wissenschaftlichen Mitteln ebensowenig beweisbar wie die jedes anderen Wertes und ist keineswegs für alle Menschen einsichtig. Die Möglichkeit der Ablehnung des Wertes wissenschaftlicher Erkenntnis ist logisch nicht zu bestreiten, »denn wissenschaftliche Wahrheit ist nur, was für alle gelten will, die Wahrheit wollen«.111 Wem sie nichts bedeutet, »dem haben wir mit den Mitteln unserer Wissenschaft nichts zu bieten. Freilich wird er vergeblich nach einer anderen Wahrheit suchen, die ihm die Wissenschaft in demjenigen ersetzt, was sie allein leisten kann: Begriffe und Urteile, die nicht die empirische Wirklichkeit sind, auch nicht sie abbilden, aber sie in gültiger Weise denkend ordnen lassen«.112 Die Notwendigkeit des konstituierenden Wertes gilt auch im Bereich der Naturwissenschaften. Auch sie müssen voraussetzen, daß die Ergebnisse ihrer Untersuchungen es wert sind, gekannt zu werden - um ihrer selbst

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willen, als wissenschaftliche Arbeit und im Dienste anderer Werte stehend, zur praktischen Anwendung. »Alle Naturwissenschaften geben uns Antwort auf die Frage: Was sollen wir tun, wenn wir das Leben technisch beherrschen wollen? Ob wir es aber technisch beherrschen sollen und wollen, und ob das letztlich eigentlich Sinn hat: - das lassen sie ganz dahingestellt oder setzen es für ihre Zwecke voraus.«113 Webers Beispiel ist von ungeminderter Aktualität: Die Medizin, deren Ziel es ist, Leben zu verlängern und Leiden zu mindern, fragt nicht danach, »ob das Leben lebenswert ist und wann«.114 Wenn Wissenschaft auf Werten ruht, über die zu entscheiden Sache des einzelnen Menschen ist, so muß zugestanden werden, daß ihre Grundlagen subjektiv sind. Angesichts dieser offenkundigen Subjektivität vergrößert sich ein Problem, das sich bereits bei Verzicht auf einen möglichen Abbildcharakter jeder Erkenntnis ergibt: das der Objektivität. Will man nicht mit Nietzsche Wissenschaft als reine Fiktion verstehen, stellt sich die Frage, wie unter den gegebenen Bedingungen objektive Ergebnisse möglich sind. Wie sicher ist insbesondere die Wahrheit der Geschichts- und Sozialwissenschaften, die sich nicht auf ein System allgemeiner Gesetze gründen wie die Naturwissenschaften? Die einzige Möglichkeit, Objektivität zu gewährleisten, liegt im methodischen Vorgehen der Wissenschaft. Das heißt sie beruht zunächst darauf, daß die mannigfaltige empirische Wirklichkeit, der keine erkennbare Ordnung immanent ist, mit Hilfe von Kategorien geordnet wird, die »in einem spezifischen Sinn subjektiv«115 sind, weil sie die Voraussetzung jeder Erkenntnis darstellen und auf dem Wert beruhen, der wissenschaftlicher Erkenntnis zugestanden wird. Sodann braucht Wissenschaft ein Auswahlprinzip, das den Raum ihrer Arbeit absteckt, ihr damit (flexible) Grenzen setzend, ohne die sie in die Unsicherheit der Fülle möglicher Verknüpfungen abdriften würde. Im Gegensatz zur naturwissenschaftlichen Kategorie des Gesetzes wird diese Leistung in den Kulturwissenschaften von Wertideen erbracht, also Elementen, die keine Kategorien sind und über die der einzelne Mensch zu entscheiden hat. Aber hier gilt eben, daß es »keine schlechthin ›objektive‹ wisssenschaftliche Analyse des Kulturlebens ... unabhängig von speziellen und ›einseitigen‹ Gesichtspunkten«116 gibt. Denn als Wirklichkeitswissenschaften, deren Ziel im Verstehen der Zusammenhänge liegt, beziehen sie sich auf die qualitativen Bestandteile der Wirklichkeit, die keine allgemeingültige Rangfolge beanspruchen können. Diese subjektiven Voraussetzungen wissenschaftlicher Arbeit sind unverzichtbar, so daß Weber mit Recht betont, daß »Gesinnungslosigkeit und wissenschaftliche ›Objektivität‹ ... keinerlei innere Verwandtschaft«117 haben. Erst innerhalb des durch sie festgelegten Rahmens können die Bedingungen zum Tragen kommen, die unmittelbar Objektivität garantieren:

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das Wertfreiheitspostulat und die Möglichkeit der kausalen Erklärung, denn die Feststellung der Ursachen bei gegebenem Erklärungsobjekt ist nicht subjektiv. Hier ist die Wissenschaft strikt an die »Normen unseres Denkens« und an die Regeln der Logik und Methodik des Faches gebunden. Dies garantiert die korrekte Beweisführung und die intersubjektive Überprüfbarkeit ihrer Ergebnisse, die daher »auch von einem Chinesen als richtig anerkannt werden« müssen, dem das Verständnis für die zugrundeliegenden Werte unter Umständen völlig fehlt.118 Im (nicht zu erwartenden) Extremfall müßten also unter den gleichen Bedingungen durchgeführte Untersuchungen, denen völlig gleiche Wertbeziehungen zugrundeliegen, ebenso identische Ergebnisse erbringen wie naturwissenschaftliche Experimente. Es läßt sich zeigen, daß Weber über diese methodische Sicherung objektiver Erkenntnis hinaus eine Reihe weiterer Kontrollinstanzen kennt, welche die Subjektivität der vorwissenschaftlichen Bedingungen der Wissenschaft einschränken. 119 Zwar ist der Forscher prinzipiell in der »Auswahl der leitenden Werte ... ›frei‹«, 120 doch Weber sieht eben einen unlösbaren Zusammenhang zwischen den leitenden Wertideen der wissenschaftlichen Arbeit und denen der Gegenwart, in der der Forscher steht. Seine Gesichtspunkte sind eingespannt in den gesellschaftlichen Kontext; wissenschaftliche Probleme sind die Probleme der Zeit. Diese Abhängigkeiten durch Wertdiskussion und Wertinterpretation stets deutlich zu machen, wird von Weber nicht ausdrücklich gefordert. Er konstatiert vielmehr, daß die Bearbeitung des Stoffes in der Regel als Selbstzweck betrachtet wird, ohne bewußte Verankerung an Wertideen, und dies sei gut so. Eigentlich setze eine Reflexion über diesen Punkt erst ein bei Änderung der Kulturprobleme und dem damit verbundenen Wandel wissenschaftlicher Gesichtspunkte. 121 Aber Webers »eigenes, immer festgehaltenes Postulat nach Klarheit und intellektueller Redlichkeit kann innerhalb seiner Lehre die Forderung an jeden Wissenschaftler hinreichend begründen«, sich dieser Zusammenhänge bewußt zu werden. 122 Des weiteren betont Weber die notwendige Übereinstimmung der wissenschaftlich konstruierten Beziehungen mit dem in der Erfahrung und in der Wissenschaft gegebenen nomologischen Wissen, so daß sich die Elemente der Wirklichkeit keineswegs willkürlich zusammenzwingen lassen. Schließlich ist jede von der Wissenschaft getätigte kausale Verknüpfung am empirischen Material auf ihre Möglichkeit hin zu prüfen. So wird ersichtlich, daß Webers Wissenschaft zwar viele Deutungen zuläßt, aber keineswegs alle. Es ist eine »oft haarfeine Linie, welche Wissenschaft und Glauben scheidet«, 123 doch auf der Grundlage der angegebenen Bedingungen können kulturwissenschaftliche Ergebnisse objektive Gültigkeit beanspruchen.

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Wie jede wissenschaftliche Wahrheit ist auch die ihre keine absolute, sondern relativ zu ihren Bedingungen und nicht zu erlangen ohne nichtwissenschaftliche Voraussetzungen. Aber es ist die denkbar sicherste Form des Wissens. Trotz dieser Absicherungen ist der Weberschen Wissenschaftskonzeption der Vorwurf des Subjektivismus nicht erspart geblieben, vor allem von marxistischer Seite.124 Wenn Wirklichkeit als solche, heißt es, keine objektiven Strukturen besitze, so stehe sie in keiner adäquaten Beziehung zu den Begriffen und Konstruktionen des Wissenschaftlers und fiele infolgedessen als Kontrollinstanz für seine Arbeit aus. Es gebe demzufolge unendlich viele Möglichkeiten, entsprechend unendlich viele Gesichtspunkte, die Wirklichkeit zu fassen, und keinerlei rationales Kriterium für die Überlegenheit einer Theorie gegenüber anderen, denn Objektivität läge nicht mehr in der Sache, sondern nur noch in der Methode. Wissenschaftliche Begriffs- und Theorienwahl sei damit der Willkür ausgeliefert. Die gleiche Position wirft Weber Empirismus und Positivismus vor, da seine Tatsachenforschung die innere Gesetzmäßigkeit der Dinge nicht erfasse.125 Diese Vorwürfe lassen sich jedoch nur von einem objektivistischen Standpunkt aus aufrechterhalten. Sobald die Möglichkeit einer die Wirklichkeit abbildenden Erkenntnis aufgegeben wird, fällt der Gegensatz zwischen Subjektivismus und Objektivismus fort, die Bedingungen wissenschaftlicher Erkenntnis rücken in den Blickpunkt und Objektivität verlangt eine neue Definition. Denn mit dem Verzicht auf Abbilderkenntnis kann keine Wissenschaft ihre Basis in der Wirklichkeit selbst finden. In jedem Fall sind »es nicht die ›$achlichen‹ Zusammenhänge der ›Dinge‹› sondern die gedanklichen Zusammenhänge der Probleme«,126 die das Arbeitsgebiet einer jeden Wissenschaft und jeden Untersuchungsgegenstand konstituieren. Damit wird auch der positivistischen Tatsachengläubigkeit eine Absage erteilt. Tatsachen basieren auf synthetischen Leistungen und sind nur im Rahmen von Theorien bedeutsam, die wiederum auf sie bezogen sind. Auch lassen sich die Wissenschaften kaum in ein System nach dem Muster der Comteschen Wissenschaftshierarchie einordnen - »das lebensfremde Schema eines grandiosen Pedanten ..., der nicht begriff, daß es Disziplinen mit gänzlich verschiedenen Erkenntniszielen gibt«.127 Vielmehr erscheinen alle Wissenschaften als gleichberechtigt, denn wie sollte die Wertfrage, welche Probleme und Interessen Vorrang haben, endgültig entschieden werden oder ein objektiver Aufbau der Wirklichkeit zu erkennen sein. Eben diese Wertbezogenheit jeder Wissenschaft als notwendige vorwissenschaftliche Bedingung aber wird vom Positivismus nicht berücksichtigt. Gemäß positivistischer Wertfreiheit haben Wissenschaft und Werte nichts mehr miteinander zu tun; Forschung erscheint in diesem Punkte als voraussetzungslos. Daß Weber die Werte als nichtwissenschaftliche Voraussetzungen

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betont, hat ihm von seiten des Positivismus, etwa der Vertreter des Wiener Kreises, den Vorwurf des Idealismus eingebracht. Ausgehend von der Praxis, hat Weber in der Wissenschaftslehre dargelegt, worin wissenschaftliche Arbeit besteht und welches ihre einzelnen Elemente sind, ob sie sich dessen in jedem Fall bewußt ist oder nicht. Die Trennung zwischen wertfreier wissenschaftlicher Arbeit, Werturteil und Wertbeziehung ist dabei als eine rein analytische zu verstehen. Die Praxis kennt kein Nacheinander dieser einzelnen Schritte, sondern nur eine permanente Gleichzeitigkeit. Ihre gedankliche Differenzierung ermöglicht im Sinne intellektueller Rechtschaffenheit die Klarheit und Selbstbesinnung der Wissenschaft im Hinblick auf ihre Grundlagen. 1.4. Das Konzept des Idealtypus Im Hinblick auf die methodologischen Arbeiten ist es neben dem Wertfreiheitspostulat insbesondere das von Weber entwickelte Konzept der idealtypischen Begriffsbildung, mit dem sein Name am häufigsten verbunden wird. Wie jenes wurde es Ausgangspunkt einer umfassenden Diskussion und Bearbeitung. Da sich in ihm die wissenschaftstheoretische Position Webers quasi kristallisiert, sei das Konzept des Idealtypus hier vorgestellt.128 Nach Weber erfassen wir »Wirklichkeit nur durch eine Kette von Vorstellungsveränderungen«,129 und auf Grund der Unumgänglichkeit dieser logischen Bearbeitung ist »empirische Erkenntnis auf dem Gebiet des ›Geistigen‹ und auf demjenigen der ›äußern‹ Natur, der Vorgänge ›in‹ uns und derjenigen ›außer‹ uns, ... stets an das Mittel der ›Begriffsbildung‹ gebunden, und das Wesen eines ›Begriffs‹ ist auf beiden sachlichen ›Gebieten‹ logisch das gleiche«.130 Ein Begriff ist ein »stets und ausnahmslos empirisch ›Anschauliches‹ in sich enthaltendes gedankliches Gebilde«, das eine »künstliche« Einheit aus Elementen der Wirklichkeit darstellt. Diese wurden »durch Auswahl des mit Bezug auf bestimmte Forschungszwecke ›Wesentlichen‹« zusammengefugt.131 Begriffe sind es, die es ermöglichen, die Wirklichkeit denkend zu ordnen, wobei gemäß ihrer Konstruktion ihr Verhältnis zur Wirklichkeit rein funktionell ist. Sie erfassen keineswegs das metaphysische Wesen einer Erscheinung, sind keine Abbilder der Wirklichkeit und auch nicht Ziel der Forschung, sondern ein für die wissenschaftliche Arbeit und Darstellung unverzichtbares Mittel. Die Art der Begriffsbildung ist abhängig vom kausalen Interesse und insofern teleologisch. Den Naturwissenschaften, die das Generelle an den Erscheinungen erfassen wollen, ist prinzipiell eine gattungsmäßige Begriffsbildung eigen. Sie strukturiert die Wirklichkeit durch Klassifikation 114 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

und sieht das einzelne nur als Exemplar der Gattung. Eben dies wollen die Kulturwissenschaften mit ihrem Ziel, das Einmalige und Qualitative zu erfassen, nicht. Es ist daher die idealtypische »Begriffsbildung, welche den Wissenschaften von der menschlichen Kultur eigentümlich und in gewissem Umfang unentbehrlich ist«, 132 denn ihre Eigenart, Sinnzusammenhänge zu erfassen ist das, was sie von der naturwisenschaftlichen Begriffsbildung hauptsächlich unterscheidet. Gerade weil die Kulturwissenschaften es mit der Vielzahl individueller Erscheinungen zu tun haben, ist es für sie wichtig, daß sie sich nicht mit der zu Mißverständnissen führenden Alltagssprache begnügen, sondern »scharfe Begriffe« bilden, wie Weber den Idealtypus kennzeichnet. 133 Dieser ist dementsprechend eine besonders eindeutige, widerspruchsfreie Konstruktion. »Er wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedanken bilde.«l34 Herausgehoben werden dabei stets die charakteristischen Merkmale, Beziehungen und Vorgänge, die die Erscheinung im Hinblick auf eine bestimmte Kulturbedeutung determinieren. In diesem Sinne ist der Idealtypus ein »genetischer Begriff«. 135 Die isolierten Merkmale werden in Zusammenhänge gebracht, »welche unserer Phantasie als zulänglich motiviert und also ›objektiv möglich‹, unserem nomologischen Wissen als adäquat erscheinen« und zu einem »in sich widerspruchslosen Kosmos gedachter Zusammenhänge« vereint. 136 Dieser ist kausal- und sinnadäquat konstruiert und enthält stets sowohl individuelle als auch generelle Anteile, steht also zwischen Allgemeinem und Einzelnem. 137 Historische Erscheinungen enthalten meist gänzlich verschiedene Elemente, zum Beispiel feudale, bürokratische, charismatische. Sie werden künstlich isoliert und zu Idealtypen zusammengefaßt: Feudalismus, Bürokratie, Charisma. Die Konstruktion ist dabei so präzise und einseitig, daß der Idealtypus als »Utopie« angesehen werden muß, das heißt die hier zusammengefügten Elemente sind in völlig gleicher Art und Zusammensetzung in der Wirklichkeit nicht nachzuweisen.3 Gerade die Realitätsferne ist aber hier das für die wissenschaftliche Erkenntnis Wertvolle. »Je schärfer und eindeutiger konstruiert die Idealtypen sind: je weltfremder sie also, in diesem Sinne, sind, desto besser leisten sie ihren Dienst, terminologisch und klassifikatorisch sowohl wie heuristisch.« 138 Der geschilderte Weg der idealtypischen Begriffsbildung entspricht dem Prinzip der Wertbeziehung. Idealtypen liefern also keine voraussetzungslo-

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se Darstellung der Wirklichkeit, sondern sind wertgebundene Begriffe. Da es immer viele Gesichtspunkte gibt, unter denen eine Erscheinung betrachtet werden kann, können die gleichen idealtypischen Begriffe unterschiedlichen Inhalts sein, weil sie auf verschiedenen Wertbeziehungen beruhen. Je komplexer eine Erscheinung ist, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit dieses Tatbestandes. Daß zum Beispiel der Begriff des ›Kapitalismus‹ inhaltlich keineswegs stets gleich verwendet wird, ist bekannt, so daß Klarheit in jedem Fall Definition erfordert. Daß heißt aber nicht, daß unendlich viele idealtypische Begriffsbildungen bezüglich einer Erscheinung möglich sind, denn die Bindung an das empirisch Gegebene und objektiv Mögliche setzt Grenzen. Wertbeziehung bedeutet aber auch Wandelbarkeit der Gesichtspunkte, so daß stets neue idealtypische Konstruktionen zu bilden zum Wesen der Kulturwissenschaften gehört. Gebunden an ihre jeweilige Gegenwart arbeitet »eine jede Wissenschaft ... mit dem Begriffsvorrat ihrer Zeit«, und mit dem Wandel der Probleme ändert sich der Inhalt der Begriffe. »Die weittragendsten Fortschritte auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften knüpfen sich sachlich an die Verschiebung der praktischen Kulturprobleme und kleiden sich in die Form einer Kritik der Begriffsbildung.«139 Welches aber ist die Funktion idealtypischer Begriffe im konkreten Forschungsprozeß? Der Idealtypus hat Modellcharakter und seine Beziehung zur empirischen Wirklichkeit besteht zunächst darin, hier festgestellte oder vermutete Zusammenhänge »pragmatisch« zu veranschaulichen.140 Seine Rolle ist daher mit der einer naturwissenschaftlichen Versuchsanordnung zu vergleichen. Auch sie wählt aus, isoliert den zu untersuchenden Vorgang aus seiner komplexen Realität und erfaßt ihn so ›rein‹, wie es in der Wirklichkeit nie möglich wäre. Der Idealtypus stellt also ein Deutungsschema dar, das an der Wirklichkeit erprobt wird. Er dient der wissenschaftlichen Kausalanalyse. Daher gilt es zur Verdeutlichung einzelner Bestandteile »die empirische Wirklichkeit mit ihm zu ›vergleichen‹, ihren Kontrast oder ihren Abstand von ihm oder ihre relative Annäherung an ihn festzustellen, um sie so mit möglichst eindeutig verständlichen Begriffen beschreiben und kausal zurechnend verstehen und erklären zu können«.141 Jeder Idealtypus ist in diesem Sinne eine »Meßlatte« für die individuelle Erscheinung. Je komplexer die Zusammenhänge sind, auf die die Wissenschaft sich jeweils richtet, um so stärker tritt der idealtypische Charakter der Begriffe hervor, um so notwendiger ist die Verwendung mehrerer Idealtypen, um eine Sache zu erfassen. Diese sind dabei noch keine Hypothesen, aber sie weisen als heuristische Mittel der Hypothesenbildung die Richtung durch Schulung des Zurechnungsurteils.142 Sie bieten eine Orientierungshilfe, indem sie der als unstrukturiert erscheinenden Wirklichkeit quasi ein 116 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Raster auferlegen. Die Hypothese selbst kann dann aber wiederum nicht mehr sein als eine idealtypische Konstruktion. Für die Brauchbarkeit einer solchen Begriffskonstruktion als Erkenntnismittel gibt es nur einen Maßstab: »den des Erfolges für die Erkenntnis konkreter Kulturerscheinungen in ihrem Zusammenhang, ihrer ursächlichen Bedingtheit und ihrer Bedeutung«.143 Sollte sich herausteilen, daß ein Idealtypus als Deutungsmöglichkeit im Einzelfall versagt, so ist sein Erkenntniswert damit keineswegs aufgehoben. Er bleibt für andere Erscheinungen bestehen - im Gegensatz zum hypothetischen Naturgesetz, das in jedem Fall zutreffen muß, um seine Gültigkeit zu bewahren.144 Angesichts der geschilderten Funktionen wird deutlich, daß der Idealtypus weit davon entfernt ist, ein ›Ideal‹ zu sein, wie die Bezeichnung zunächst vermuten ließe, deren ursprüngliche Verwendung durch den Juristen G. Jellinek auch so gemeint war. Weber übernimmt die Bezeichnung, verwendet sie aber nie für ein ›Sein-sollendes‹. Er weist vielmehr darauf hin, daß es im Sinne der Wertfreiheit »eine elementare Pflicht der wissenschaftlichen Selbstkontrolle«145 ist, den Idealtypus von praktischen Idealen streng zu unterscheiden. Der Weg der kulturwissenschaftlichen Begriffsbildung ist stets die Wertbeziehung, und so gesehen haben alle in den Geschichts- und Sozialwissenschaften verwendeten Begriffe idealtypischen Charakter. Sie unterscheiden sich jedoch beträchtlich im Hinblick auf ihren Abstraktionsgrad, so daß es sinnvoll erscheint, zwischen historischen und soziologischen Idealtypen zu differenzieren.146 Während die historischen auf eine bestimmte Zeit oder einen Raum begrenzt sind, gilt für die soziologischen eine universale Anwendbarkeit. Webers soziologische Grundbegriffe in »Wirtschaft und Gesellschaft« sind ja zum Teil so allgemein gehalten, daß sie als idealtypische Gattungsbegriffe angesehen werden müssen. Aber auch diese sind Idealtypen, denn sie geben einen Sinnzusammenhang wieder. War oben die Rede vom »historischen Individuum«, das über die Wertbeziehung konstruiert wird, so läßt sich nun sagen, daß Idealtypen dann in dieser Rolle auftreten, wenn sie das zu erklärende Objekt markieren. Ob ein Begriff als historisches Individuum oder als Idealtypus zu benennen ist, hängt demnach von seiner Position im Erkenntniszusammenhang ab.147 Hier deutet sich bereits die »unendliche Verschlungenheit der begrifflich-methodischen Probleme«148 an, die Tatsache der vielfältigen Inhalte idealtypischer Gedankenbilder. Sie umfassen nicht nur Zusammenhänge der oben erwähnten Art wie Feudalismus und Bürokratie, sondern auch Vorgänge (›Revolution‹) und Entwicklungen (›Rational3isierung‹). Es gibt Durchschnittstypen wie die statistischen Aussagen; ebenso kann das normativ Gültige idealtypische Funktion erlangen.149 Auch eine Idee, ein

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anzustrebendes Ideal, das dem realen Handeln von Menschen zugrunde liegt oder lag, kann als Idealtypus konstruiert werden (zum Beispiel ›Christentums‹, ›Demokratie‹) und ist tatsächlich nur dann »begrifflich scharf« zu erfassen, da die Vorstellungen darüber in den einzelnen Menschen stark variieren können.150 Man kann sogar sagen, daß die bedeutsamen Verhaltensweisen historischer Persönlichkeiten in ihrem Namen idealtypisch zusammengefaßt sind. Ebenso hat die soziologische Regelkenntnis idealtypischen Charakter, zumal Regeln auf den Einzelfall zutreffen können, dies aber nicht müssen, ohne daß sie dadurch aufgehoben werden. Auch Theorien sind idealtypisch konstruiert. Daher kritisiert Weber die radikale Freihandelsschule, die die ökonomische Theorie nicht nur als »erschöpfendes Abbild«, sondern als ein »Sollen« auffaßt, obgleich es sich auch bei den nationalökonomischen Gesetzen nur um Idealtypen generellen Charakters, um eine »Summe ›idealtypischer‹ Begriffe« handelt. Sie stellen eine »Serie gedanklich konstruierter Vorgänge« dar, die das Handeln der Menschen zeigen, wie es ablaufen würde, wäre es allein an ökonomischen Interessen orientiert, wie es in der Realität aber kaum anzutreffen ist.151 Ähnlich verhält es sich mit »dem für uns weitaus wichtigsten Fall idealtypischer Konstruktionen«, den marxistischen »Gesetzen« und Entwicklungsentwürfen. Sie besitzen eine »eminente, ja einzigartige heuristische Bedeutung«, solange sie als Idealtypen gesehen werden, aber »Gefährlichkeit«, so man sie als »empirisch geltend« betrachtet.152 Auch das von den Kulturwissenschaften angenommene ›sinnhafte Handeln‹ ist lediglich ein Idealtypus, denn »das reale Handeln verläuft in der großen Masse seiner Fälle in dumpfer Halbbewußtheit seines ›gemeinten Sinns‹«. Zudem kann ein Motivationszusammenhang gänzlich heterogene, auch unverständliche Bestandteile in sich enthalten.153 Diese Liste ließe sich beliebig verlängern, denn jede Kulturwissenschaft arbeitet mit unzähligen Idealtypen, deren Inhalt oft nicht eindeutig bestimmt ist, aber doch genau angegeben werden muß, wenn die Bedeutsamkeit einer Erscheinung hervortreten soll.154 Auch Webers Handlungstypen sind Begriffe dieser Art. Handeln kann affektuell, traditional, wertrational oder zweckrational bestimmt sein. Zu den wichtigsten idealtypischen Konstruktionen, die die Geschichts- und Sozialwissenschaften als Erkenntnismittel brauchen, gehört das zweckrationale Handeln. Es sei daher als Beispiel näher erläutert. Auf Grund der »eminenten faktischen Bedeutung« der Möglichkeit zweckmäßigen Handelns besitzt die zweckrationale Deutung den »außerordendichsten heuristischen Wert«, und weil sie rein rationale Elemente enthält ein »Höchstmaß an ›Evidenz‹ «.155 Der daher besonders häufige Gebrauch im Rahmen wissenschaftlicher Analyse bedeutet nicht, daß es real der vorherrschende Handlungstyp wäre. Es ist ein methodisches Mittel 118 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

und tritt in der Realität in reiner Form bestenfalls in Grenzfällen auf. Reales Handeln nähert sich den Typen nur mehr oder weniger an, ist meist ein aus ihnen gemischtes Handeln und enthält gewöhnlich viele Irrationalitäten.156 Die Konstruktion zweckrationalen Handelns setzt demgegenüber einen Handlungsaspekt absolut und stellt dar, wie eine Handlung ablaufen würde, wenn der Handelnde sich einzig an Zweck und Mitteln orientierte. Alle von diesem Standpunkt aus irrationalen Handlungselemente erscheinen unter dem zweckrationalen Gesichtspunkt als »Ablenkungen«. Diese Irrationalitäten aufzufinden, in ihrer Bedeutung einzuschätzen und schließlich in den kausalen Zusammenhang einzuordnen ist das Ziel des Vergleichs zwischen Idealtypus und Wirklichkeit.157 Welcher der oben angeführten Handlungstypen der Erkenntnis den besten Dienst leistet hängt vom jeweiligen Untersuchungszweck ab. Denkbar sind auch Konstruktionen gänzlich anderen Inhalts, ein »Irrtumstypus« zum Beispiel, oder ein solcher, der ein »typisch zweckwidriges Verhalten« beinhaltet. Was Inhalt eines Idealtypus wird ist prinzipiell offen und lediglich eine Frage der Zweckmäßigkeit. Idealtypische Konstruktionen sind wandelbar, weil auf der Grundlage der Wertbeziehung »die Bildung der Begriffe von der Stellung der Probleme abhängt«.158 Begriffe sind Erkenntnismittel, und mit dem Idealtypus hat Weber den Kulturwissenschaften ein methodisches Präzisionsinstrument zur Verfügung gestellt. 1.5. Die Gleichberechtigung von Wissenschaft und Leben Die Darlegung der Weberschen Auffassungen dürfte deutlich gemacht haben, daß hier eine andere Form von Wissenschaft vertreten wird als es die ist, gegen die Nietzsche seine Angriffe richtete. Hier ist keinerlei Streben nach Herrschaft über das Leben auszumachen, denn die Konstitution Weberscher Wissenschaft erlaubt ihr nicht, einen derartigen Anspruch zu erheben. Sie ist dem Leben verbunden, weil es immer wieder praktische Fragen sind, die wissenschaftliche Probleme auf den Weg bringen. Sodann aber bewirken die beiden Einsichten, auf die Weber in der Wissenschaftslehre das größte Gewicht legt: die Wertfreiheit und die Erkenntnis, daß Wissenschaft immer Abstraktion bedeutet, daß ihr Kompetenzbereich in einer Weise eingegrenzt wird, die jeden Lebensführungsanspruch zunichte machen muß. Eine Wissenschaft, die ihre Ergebnisse als aspektiv, partikular und vorläufig betrachtet, ihre objektive Gültigkeit an Bedingungen knüpft und auf einen bestimmten, anzugebenden Bereich beschränkt, kann nicht mehr sein als ein »fachlich betriebener ›Beruf‹«159 ohne Anspruch auf einen übergeordneten Rang. Die vollkommen rationalisierte Wissenschaft wird sich der Grenzen der

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Rationalität bewußt und der Tatsache, daß es Dinge gibt, die mit Hilfe der Verknüpfung von Ursache und Wirkung nicht zu erfassen sind, wie die Geltung von Werten. In Anerkennung der Begrenztheit ihrer Gültigkeitssphäre verzichtet die wertfreie Wissenschaft auf jeden Absolutheitsanspruch. Sie definiert sich selbst als ein Bereich neben anderen, mit denen sie in einem Wechselverhältnis steht und deren Existenzberechtigung sie anerkennt, weil sie Leistungen erbringen, die ihr selbst nicht zugänglich sind. So eingeschränkt, ist die Webersche Wissenschaft im Gegensatz zu positivistischen Richtungen nicht von sich aus auf ein Eingreifen in die Praxis angelegt. Das Wertfreiheitspostulat verbannt den »Dämon der Erkenntnis« in den rein wissenschaftlichen Bereich und macht damit Nietzsches Befürchtungen im Hinblick auf eine Zerstörung des Lebens hinfällig. Zugespitzt formuliert, tritt bei Weber zwischen Wissenschaft und Weltvernichtung die freie Entscheidung des handelnden Menschen. Auf die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Leben gibt Weber daher weder die Antwort Nietzsches noch die des Positivismus, denn die Alternative von Über- oder Unterordnung wird hier überflüssig. Wissenschaft und Leben existieren nebeneinander als gleichberechtigte, voneinander unterschiedene Sphären, die sich aber gegenseitig beeinflussen.160 Zur dauerhaften friedlichen Koexistenz führt dies nicht. Insofern Wissenschaft auf dem Wert beruht, der wissenschaftlicher Wahrheit zugemessen wird, ist auch sie als Wertsphäre anzusehen und als solche in den ewigen Kampf der Wertordnungen involviert. Im Gesamtzusammenhang betrachtet, muß der Wert wissenschaftlicher Wahrheit verteidigt werden wie jeder andere Wert - bzw. in seinen Wirkungen eingegrenzt. Weber leistet beides, denn er wendet sich, vor allem in »Wissenschaft als Beruf«, sowohl gegen die Strömungen des Irrationalismus seiner Zeit wie gegen jede szientistische Überheblichkeit. Deutlich wird dies allein schon am Wertfreiheitspostulat, welches einerseits verhindert, daß Wissenschaft dem Kampf der Weltanschauungen ausgeliefert wird, andererseits aber dafür sorgt, daß sie sich keine Entscheidung anmaßt, die ihr nicht zusteht. Im Kontext ihrer Entstehungsbezüge und zwischen Wissenschaftseuphorie und Wissenschaftsverdammung angesiedelt, ist es wesentlich die Intention der Beiträge zur Wissenschaftslehre mit der Darlegung der Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaft, dieser einen Freiraum für ihre Arbeit zu sichern und gleichzeitig ihren Anspruch auf Lebensführung zurückzuweisen. Dies »in einer Zeit, in der die (›bürgerliche‹) Wissenschaft ... insbesondere im Glauben an den durch sie bewirkten ›Fortschritt‹ sich wie Mehltau auf die Geister legte. Webers Kampf um die Freiheit zur Unbefangenheit von ›wissenschaftlicher‹ Bevormundung ist ...ein Kampf, der ihn in die Nachfolge von Marxens Kampf gegen die ›bürgerliche Wissenschaft‹ und Nietzsches Kampf der ›freien Geisten einreiht«.161 120 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Die hier gezeigte illusionslose Betrachtung wissenschaftlicher Arbeit liegt zwischen dem grandiosen Optimismus objektivistischer Richtungen und dem völligen Pessimismus Nietzsches. Webers Wissenschaftsauffassung ist daher eine Lösung des Problems Wissenschaft, die Nietzsche so nicht sah. Denn während er davon überzeugt war, daß die Möglichkeit zur Begrenzung von Wissenschaft nur außerhalb ihres eigenen Bereiches liege, weil ihr Problem nicht auf ihrem eigenen Boden zu erkennen sei, liegt Webers Lösung gerade hier, nämlich in der Aktivierung des eminent selbstkritischen Potentials der Wissenschaft. Auf dieser Basis wendet er sich wie Nietzsche gegen die überheblichen Ansprüche seiner Zunft, sichert aber gleichzeitig, anders als Nietzsche, deren Bedeutung. Denn es gehört auch zum Inhalt seiner methodologischen Beiträge, die Leistungen wissenschaftlicher Arbeit herauszustellen. Dies ist unter anderem Webers Anteil an der Lösung des Sinnproblems der Wissenschaft. Dieses Sinnproblem tritt auf, sobald Wissenschaft ihre Objektivität nicht mehr als allgemeingültige Wahrheit sieht, sich in einen unendlichen ›Fortschritts‹-Prozeß eingebunden weiß und kein Orientierungswissen liefert, also nicht sagt, was gut und richtig ist, was der Mensch tun und wie er leben soll. Dann kommt sie zwangsläufig in die Situation, darlegen zu müssen, welche Leistungen sie eigentlich für das Leben erbringt, um den Sinn ihrer Existenz nachzuweisen. Will man die Frage nach dem Sinn der Wissenschaft nicht mit Tolstoi beantworten: »Sie ist sinnlos, weil sie auf die allein für uns wichtige Frage: ›Was sollen wir tun? Wie sollen wir leben?‹ keine Antwort gibt«,162 so bleibt als Alternative, andere Fragen zu stellen, da sie mit dieser offensichtlich überfordert ist. Dies hat Weber getan. Er zeigt, welche Fragen sie beantworten kann, und dabei wird deutlich, daß die heutige Wissenschaft, spezialisiert und fachmäßig betrieben, die »früheren Illusionen« aufgegeben hat und sich ihrer Rolle im unendlichen Ablauf des ›Fortschritts‹ bewußt geworden ist.

2. Die problematische Beziehung zum Neukantianismus: Max Weber und Heinrich Rickert Die Arbeiten der Weberschen Wissenschaftslehre sind, wie erwähnt, verflochten in die Krisensituation der Wissenschaft und den Versuch, für die Geschichts- und Sozialwissenschaften eine eigene theoretische Basis zu etablieren sowie Lösungsmöglichkeiten für sich aufdrängende methodologische Probleme zu finden. Weber, dem eigenen Empfinden nach selbst kein Theoretiker, zeigt sich in seinen methodologischen Arbeiten als gut informiert über bestehende Lösungsansätze, auf die er zurückgreift, um sie

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im Rahmen seiner Überlegungen höchst eigenständig zu be- und verarbeiten. »Er greift die logischen Probleme überall auf, um Klarheit über den wissenschaftlichen Prozeß zu gewinnen«,163 wie Marianne Weber berichtet und die Weber-Interpretation bestätigt, die verstärkt Einflüsse seiner Zeitgenossen herauszuarbeiten beginnt. Doch um diese soll es hier nicht gehen, sondern um die Frage nach der grundlegenden methodologisch-erkenntnistheoretischen Orientierung Webers. Sie führt zunächst zu der Erkenntnis, daß Weber angesichts der vielschichtigen Methodendiskussion in der Geschichtswissenschaft offensichtlich in beträchtlichem Maße auf den an der Transzendentalphilosophie Kants orientierten Ansatz Heinrich Rickerts zurückgreift. Rickert (1863-1936) gilt als der bedeutendste Vertreter der Südwestdeutschen Schule des sogenannten Neukantianismus. Dieser trägt insgesamt betrachtet als sehr vielschichtige, heterogene Angelegenheit weniger den Charakter einer Schule oder philosophischen Richtung als den einer Bewegung, die nur deshalb eine Einheit bildet, weil die an ihr Beteiligten alle in der einen oder anderen Weise auf Kant zurückgreifen.164 Ausgehend von einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Positivismus, aber doch weitgehend wie dieser antimetaphysisch und sich ausdrücklich gegen alle irrationalistischen Strömungen der Zeit wendend,165 versteht der Neukantianismus die Philosophie in erster Linie, aber keineswegs ausschließlich, wie seine Kritiker ihm vorwerfen, als ›Erkenntnistheorie‹. Im Mittelpunkt seiner Kantrezeption und -Interpretation, die in manchen Punkten allerdings weit über Kants Ansätze hinausgeht, steht daher der Erkenntniskritiker Kant, während der Metaphysiker kein Gehör findet. Auch der Neukantianismus teilt die antimetaphysische Grundhaltung der Epoche und bleibt nicht unbeeinflußt von der Wissenschaftsentwicklung. Synthetische Urteile a priori sind in Folge der sich allgemein durchsetzenden empiristischen Einstellung nicht mehr denkbar. Der Beginn der neukantianischen Bewegung liegt in den fünfziger und sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts; ihre Blütezeit fällt in die Jahre zwischen 1870 und 1910/20; um die Jahrhundertwende ist der Neukantianismus die bestimmende Universitätsphilosophie, verliert aber nach 1918 zunehmend seinen Einfluß und sieht bei Beginn des Zweiten Weltkriegs seinem Ende entgegen. Die beiden bekannten Schulen bilden sich erst nach 1880 heraus. Während sich die Marburger Richtung der Erkenntnistheorie der Naturwissenschaften zuwendet und eine politische Philosophie pflegt, zielt die südwestdeutsche Variante auf die erkenntnistheoretische und methodologische Begründung der Geschichtswissenschaft. Anknüpfend an die von Wilhelm Windelband (1848-1915) geschaffenen Grundlagen, erarbeitet Rickert ein philosophisches System, das auch diesem Ziel gerecht werden soll, aber doch weit darüber hinausgeht.

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Die Beziehung der Weberschen Arbeiten zum Werk Rickerts wurde mit wenigen Ausnahmen166 stets gesehen und betont, ist in neueren Arbeiten eingehender dargestellt worden167 und entwickelt sich in jüngster Zeit zu einem Interessenschwerpunkt der Weber-Interpretation,168 wobei die Beziehung in der Regel sehr eng gesehen wird, mit Abweichungen in Einzelheiten. Daß sie besteht, ist auf Grund der Fülle der Hinweise nun allerdings unschwer zu erkennen. Es ist bekannt, daß beide einen engen persönlichen Kontakt pflegten, vor allem während der gemeinsamen Zeit in Freiburg, aber auch darüber hinaus. Weber ist mit dem Werk Rickerts vertraut.169 1902 schreibt er: »Rickert habe ich aus. Er ist sehr gut, zum großen Teil finde ich darin das, was ich selbst, wenn auch in logisch nicht bearbeiteter, Form gedacht habe.«170 Diese häufig zitierte Briefstelle bezieht sich offensichtlich auf Rickerts im gleichen Jahr erschienene Schrift »Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung«,171 auf die Weber in seinen eigenen methodologischen Arbeiten mehrmals ausdrücklich zurückgreift. Die direkten Berufungen auf Rickert finden sich in der Wissenschaftslehre auffälligerweise am häufigsten und ausführlichsten im ersten Beitrag, »Röscher und Knies«,172 in dem auch Webers Wortwahl oft an Rickert erinnert. Wenn beides im folgenden seltener wird, läßt sich dahinter eine zunehmende Distanz vermuten. Tatsächlich hat Webers Rückgriff auf Rickerts Ansatz Grenzen, die allerdings nicht deutlich ausgewiesen sind, sondern herausinterpretiert werden müssen. Es ist Rickerts Absicht, das, was Kant für die Naturwissenschaften geleistet hat, ihre erkenntnistheoretisch-methodologische Begründung, für die Geschichte zu ergänzen. Er geht zunächst in seiner Wissenschaftstheorie davon aus, daß das erkennende Subjekt einer unbestimmten Wirklichkeit gegenübersteht, die es als solche nicht erfassen kann, sondern gedanklich bearbeiten muß. Die notwendige wissenschaftliche Gegenstandsformung erfolgt mit Hilfe des Begriffs als methodischem Mittel. Methodologie wird daher verstanden als Logik der Begriffsbildung. Geschichte aber ist interessiert am Individuellen, was in der Konsequenz eine Modifizierung der traditionellen Logik zur Folge hat. Verbindet diese, seit Aristoteles und auch noch bei Kant, den Begriff stets mit dem Allgemeinen und Notwendigen, so etabliert Rickert eine historische Logik, die das Allgemeine nur als Mittel benutzt. Ihre Begriffe bestehen zwar aus allgemeinen Elementen, wie dies zwecks Verständigung auch nicht anders möglich ist, diese geben aber in ihrem Zusammenwirken einen individuellen Inhalt wieder.173 Rickert kann so zwischen zwei verschiedenen Formen der Begriffsbildung unterscheiden. Die generalisierende erfaßt die Elemente der Wirklichkeit, die an vielen Objekten immer gleich sind, die individualisierende greift jeweils das Einmalige heraus und faßt es zu »historischen Individu-

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en« 174 zusammen. So wird die an sich unbestimmte Wirklichkeit »Natur, wenn wir sie betrachten mit Rücksicht auf das Allgemeine, sie wird Geschichte, wenn wir sie betrachten mit Rücksicht auf das Besondere«. 175 Naturwissenschaft und Geschichte meinen also zunächst nicht einzelne Wissenschaftsrichtungen, sondern die Arten der Wirklichkeitsbetrachtung. Diese schließen sich nicht gegenseitig aus, denn prinzipiell ist jedes gegebene Material beiden zugänglich. Es sind »zwei Haupttendenzen der wissenschaftlichen Arbeit«, 176 die in der Logik zu trennen sind, in der Praxis aber ineinandergreifen, denn es gibt historische Elemente in den Naturwissenschaften und umgekehrt. 177 Maßgebend ist das Erkenntnisziel. Dieses ist in jedem Fall eine Kausalerklärung des Gegenstandes, auch in der Geschichte, denn Rickert lehnt die Gleichsetzung von Natur und Geschichte mit Notwendigkeit und Freiheit (interpretiert als Ursachlosigkeit, Zufälligkeit) ausdrücklich ab. 178 Die Erklärung erfolgt im einen Fall in Form der Naturgesetze, im anderen durch die Darlegung individueller Kausalzusammenhänge. 179 So lassen sich Gesetzeswissenschaften von Wirklichkeitswissenschaften180 unterscheiden. Letztere ist eine Bezeichnung, die ihren Ursprung in der Auffassung hat, daß auch Wirklichkeit als solche aus Individuen besteht. Sie erscheinen zwar auch nur in bearbeiteter Form im geschichtswissenschaftlichen Begriff, doch ist dieser der Wirklichkeit immer noch weitaus näher als die Allgemeinheiten der Naturwissenschaften. Es ist ersichtlich, daß der primäre Unterschied zwischen den Wissenschaftsarten hier ein logischer und kein sachlicher ist. 181 Doch kennt auch Rickert eine Differenz im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand. Das Individuelle ist deshalb von Interesse, weil es mit Werten verbunden ist, durch die es Sinn und Bedeutung erhält. Das Sinnhafte und somit Wertund Bedeutungsvolle ist in Rickerts Definition Kultur, die den wertfreien Naturobjekten gegenübersteht. 182 Die Kennzeichnung als Natur- und Kulturwissenschaften meint also die Unterscheidung nach Sachbereichen. Diltheys Begriff der »Geisteswissenschaften« lehnen die Neukantianer wegen seiner metaphysischen Anklänge ausdrücklich ab. Die Werthaftigkeit des Objekts ermöglicht es schließlich, in Werten den kulturwissenschaftlichen Ordnungsaspekt für das empirisch Gegebene zu finden, denn sie leiten das zentrale methodische Mittel der historischen Betrachtung an: die Wertbeziehung. Vom Standpunkt eines Wertes aus läßt sich auf dem Wege einer somit teleologischen Begriffsbildung 183 das Wesentliche der Erscheinungen aussondern. Ein Vorgehen, das Rickert als theoretische Wertbeziehung vom praktischen Werturteil trennt. 184 Dieser knappe Überblick über Rickerts Methodologie 185 läßt unschwer erkennen, daß Weber sie sich für seine eigenen theoretischen Überlegungen zunutze macht. Jedoch ist auch hier wie im Falle Nietzsches die

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Eigenständigkeit seines Denkens ins Feld zu führen, die eine schlichte Übernahme ausschließt. Die Basis der Beziehung ist vielmehr in dem von Weber selbst angegebenen Zweck zu sehen, »die Brauchbarkeit der Gedanken dieses Autors für die Methodenlehre unserer Disziplin zu erproben«. 186 Daß Weber vom Standpunkt des Fachwissenschaftlers aus schreibt, führt zunächst dazu, daß er nur die für ihn brauchbaren Teile aus den systematischen Ausführungen Rickerts herauslöst, was aber nur dann als unzulässig erschiene, wenn dies zu irgendwelchen Diskrepanzen in der Wissenschaftslehre führte. Dies ist nicht der Fall. Sodann ergibt sich aus der Position des Fachwissenschaftlers eine Modifizierung der Rickertschen Methodologie im Sinne einer nicht unbeträchtlichen Weiterführung oder Ergänzung. 187 Schließlich führt die Verknüpfung von Wissenschaftsauffassung und Gegenwartsdiagnose bei Weber notwendig zu manchen abweichenden Auffassungen. Diese sind nicht unmittelbar zu erkennen, da Weber, obwohl er nach eigenem Bekunden Bedenken gegen sie hegt, 188 Rickerts Terminologie übernimmt. Doch dieselbe Bezeichnung muß nicht dasselbe ausdrücken. Ohnehin wählt Weber in der Wissenschaftslehre seine Worte nicht immer sehr präzise - vermutlich, weil es ihm nicht um Einzelheiten ging, sondern um grundsätzliche Fragen. Daher erscheint es ratsam, seine fundamentalen Einstellungen stets im Blick zu behalten. Dann kann bei der folgenden Betrachtung einzelner Punkte deutlich werden, daß Weber letztlich nicht dem Rickertschen Neukantianismus zuzurechnen ist. Im Übrigen hält Rickert selbst es für falsch, ihn in der Methodologie zu den Neukantianern zu rechnen: »Wir könnten stolz darauf sein, wenn das richtig wäre, aber Weber gehörte wissenschaftlich ... zu keiner Innung. Darin besteht vielmehr seine wissenschaftliche Größe, daß er eine Kulturwissenschaft schuf, die in ihrer Verbindung von Geschichte und Systematik in keines der üblichen methodologischen Schemata passen will und grade dadurch der Spezialforschung neue Bahnen weist.«189 Die Wirklichkeit, auf die wissenschaftliche Erkenntnis sich bezieht, wird von Rickert charakterisiert als eine bereits kategorial geformte, reale Welt des empirisch Gegebenen. Auf Grund der Begrenztheit seiner Erkenntnisfähigkeit erscheint sie dem erkennenden Subjekt räumlich und zeitlich als eine extensive (das Ganze betreffend) und intensive (das einzelne Objekt betreffend) Unendlichkeit, eine Mannigfaltigkeit quantitativer und qualitativer Erscheinungen, die sich in einem Allzusammenhang befinden, da jedes Phänomen kausal bedingt ist. Alles Gegebene ist individuell, zeigt aber keine genauen Grenzen, sondern nur allmähliche Übergänge. So läßt sich Wirklichkeit kennzeichnen durch Heterogenität und Kontinuität: sie ist in jedem ihrer Teile ein »heterogenes Kontinuum«. 190

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Wirklichkeit erscheint irrational, weil sie als solche denkend nicht erfaßbar ist. Ihre Abbildung bleibt somit für das erkennende Subjekt unmöglich. Dies ist nur mit Hilfe wissenschaftlicher Begriffsbildung zu überwinden, die Wirklichkeit umgestaltet, indem sie Einschnitte in das Kontinuum macht und Grenzen zieht. Die naturwissenschaftliche Betrachtung formt so homogene Kontinua, die geschichtliche heterogene Diskreta. Den Begriff des »heterogenen Kontinuums«, der bei Rickert allerdings erst in der zweiten Auflage der Grenzen (1913) zu finden ist, übernimmt Weber nicht. Die Art und Weise, in der er in den frühen Arbeiten Wirklichkeit beschreibt, macht aber deutlich, daß er den Rickertschen Vorstellungen folgt. Erkenntnis bezieht sich auf eine kategorial geformte Wirklichkeit, die als Allzusammenhang einer »intensiven Unendlichkeit alles empirisch gegebenen Mannigfaltigen«191 erscheint. So ist es richtig, daß Webers Wirklichkeitsauffassung Rickerts heterogenem Kontinuum entspricht und nicht Kants »Chaos der Empfindungen«.192 Aber Aussagen bezüglich des »ungeheueren chaotischen Stromes von Geschehnissen, der sich durch die Zeit dahinwälzt«,193 und ähnliche Bilder lassen doch vermuten, daß auch Vorstellungen vom Chaos der Empfindungen eine Rolle spielen.194 In den späteren Arbeiten195 spricht Weber nur noch von »empirischer Wirklichkeit«, ohne diese näher zu bestimmen. Er bewegt sich damit im Rahmen der Theorie Rickerts, aber offensichtlich ist es ihm gleichgültig, wie diese Wirklichkeit ›an sich‹ beschaffen ist. Wichtig bleibt, daß Wissenschaft sich auf ein empirisch Gegebenes bezieht, das als solches nicht erfaßbar ist und nur über begriffliche Abstraktion in wissenschaftliche Erkenntnis eingeht. In der Logik der Begriffsbildung folgt Weber Rickert, geht aber über ihn hinaus mit der zunehmenden Hinwendung zur Soziologie als einer Komplementärwissenschaft zur Geschichte und dem damit einhergehenden Eigengewicht, das er einer Regelerkenntnis für den geschichtlich-gesellschaftlichen Bereich zugesteht. Rickert steht der neuen Wissenschaft eher skeptisch bis ablehnend gegenüber.196 Sie gehört für ihn zu den Naturwissenschaften im logischen Sinn, denn die Gesetze des gesellschaftlichen Lebens sind ihr oberstes Erkenntnisziel. Weber dagegen ordnet die Soziologie nicht solchermaßen ein, womit sich bei ihm eine gewisse Auflösung der dualistischen Wissenschaftsordnung andeutet. In seiner Auffassung bildet die Soziologie keine Gesetze naturwissenschaftlicher Art, sondern Regeln, denen Möglichkeitsurteile zugrundeliegen und die typische Chancen eines Geschehnisablaufs wiedergeben. Das Möglichkeitsurteil ist eine Webersche Ergänzung zu Rickerts Kausalerklärung. Deren logische Voraussetzungen übernimmt Weber: ein Begriff wird in seine allgemeinen Elemente aufgegliedert. Zu jedem Element wird mit Hilfe von Regeln und Kausalgesetzen, die aus der Erfahrung 126 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

oder der Wissenschaft stammen, die Ursache gesucht, welche wiederum zur historischen Ursache zusammengefaßt werden.197 Das nomologische Wissen spielt also auch bei Rickert eine Rolle, sofern allgemeine Sätze als Erkenntnis- und Darstellungsmittel bedeutsam sind. Bei Weber findet es jedoch eine stärkere Betonung. Regeln können für ihre Funktion als Erkenntnismittel eigens formuliert werden und sind für die Soziologie schließlich das Erkenntnisziel. Die Rickertsche Darstellung der Kausalerklärung reicht Weber aber offensichtlich nicht- So übernimmt er zur näheren Erläuterung der kulturwissenschaftlichen Methode die Theorie der objektiven Möglichkeit und adäquaten Verursachung. Dies bedeutet keine Abkehr von Rickert, aber eine Ausweitung seiner methodologischen Basis.198 Eine solche Ergänzung stellt auch das Webersche Konzept des Idealtypus dar, wobei Rickerts Ausführungen zu den »relativ historischen Begriffen«,199 die sowohl generelle als auch individuelle Elemente enthalten, wohl als Vorarbeit angesehen werden können, wenngleich ihre Beziehung zu Webers Idealtypen umstritten ist. Rickert selbst sieht offensichtlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede, wenn er schreibt, die Idealtypen gehörten »nicht alle zu dem, was wir einen relativ historischen Begriff nennen wollen«.200 Als eine eigenständige Leistung Webers ist das Verstehenskonzept der Kulturwissenschaften zu sehen. Es stimmt prinzipiell mit den entsprechenden Ausführungen bei Rickert überein, insofern Verstehen für beide kein hermeneutisches Problem im Sinne Diltheys darstellt. Weber legt seinen Entwurf jedoch dar, bevor der Rickertsche auch nur im Ansatz existiert,201 wobei das Verstehen im Weberschen Wissenschaftsentwurf ein viel größeres Gewicht erhält. Doch gibt es hier zwischen beiden auch einen nicht unwesentlichen Unterschied. Rickert unterscheidet reales Sein und irrealen Sinn. Kunst, Religion, Wissenschaft usw. sind sinnvolle Realitäten und irreale Sinngebilde. Verstehen bezieht sich auf diesen irrealen Sinn und gilt ihm als Umweg zu fremdem Seelenleben, auf dem das Nacherleben eine zusätzliche Leistung ist. Der zu verstehende Sinn ist ein idealer, den Kulturgüter durch geltende Werte erhalten, die sich im Objekt manifestieren.202 Hier erscheint zunächst ein Unterschied zu Webers Kulturbegriff, denn die kulturelle Bedeutung eines Phänomens ist für ihn diesem nicht immanent, sondern liegt in der Beziehung des Betrachters zu dieser Erscheinung. Wenn Weber sodann im Hinblick auf die sinnvolle Deutung von einem Schritt über das Gegebene hinaus spricht203 heißt dies, daß auch für ihn der Sinn etwas Irreales, nicht Empirisches ist. Verstehen aber erfolgt über die Handlungsanalyse und zielt auf den »subjektiv gemeinten Sinn«, den Handelnde mit ihrem Tun verbinden. Es geht um das Erfassen ihres Motivs, das allerdings auf einer bewußten oder unbewußten Wertentschei-

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dung beruht, denn für Weber wie für Rickert findet im Handeln eine Wertverwirklichung statt. Das ermittelte Motiv geht dann als ein Element in die Kausalerklärung ein. Die Methode der Wertermittlung wird von Rickert in diesem Zusammenhang gar nicht erläutert und an anderer Stelle mit einem »Einleben« abgetan. Webers Wertanalyse oder Wertinterpretation ist erneut eine Ergänzung. Der »subjektiv gemeinte Sinn« verweist auf einen Zusammenhang mit Webers Handlungstheorie, den er nicht formuliert, der aber deutlich vorhanden ist. Weber bleibt damit im wissenschaftlichen Bereich, wo Rickert die philosophische Begründung sucht. Der ideale Sinn, den es bei ihm zu verstehen gilt, deutet bereits einen Zusammenhang zwischen Methodologie und Wertphilosophie an, und tatsächlich ist beides eng miteinander verknüpft. Daß es genau diese wertphilosophischen Elemente sind, die Weber nicht akzeptiert, weil seine Auffassung über den Wertbereich mit derjenigen Rickerts nicht übereinstimmt, ist im Prinzip als der bedeutendste Unterschied zwischen beiden allgemein anerkannt. Er muß zunächst Auswirkungen haben auf das zentrale methodische Prinzip, das Weber von Rickert übernimmt: die theoretische Wertbeziehung. Trotz gleicher Terminologie gestaltet sich diese dann bei beiden auch auf unterschiedliche Art. Wertbeziehung besagt, daß aus den überhaupt mit Werten in Verbindung stehenden und also die Kultur bildenden empirisch gegebenen individuellen Objekten der Wirklichkeit die Elemente herausgehoben werden, die in Bezug auf einen erkenntnisleitenden Wert wesentlich sind und daher zum historischen Individuum zusammengefaßt werden können. Rickert unterscheidet zwei Klassen von Objekten: solche, zu denen eine Wertbeziehung möglich ist, und solche, die selbst zum leitenden Wert Stellung nahmen, also Handelnde, die als »historische Zentren« in den Mittelpunkt der Darstellung rücken, weil sie etwas zur Verwirklichung des Wertes beigetragen haben. Hier wird deutlich, daß für Rickert die erkenntnisleitenden Werte die historischen Werte sind. Er fordert dementsprechend: »Die leitenden Werthe der Begriffsbildung sind von einer ›objektiven‹ wissenschaftlichen Darstellung stets dem historischen Stoff selbst zu entnehmen.« Stimmen sie mit denen der Gemeinschaft, in der der Historiker lebt, nicht überein, muß dieser sich in sie »hineinleben«.204 Dieses Verfahren der Wertbeziehung hat Rickert den Vorwurf des Zirkelschlusses eingebracht: Geschichte werde zur Erkenntnis ihrer eigenen Voraussetzungen oder forme über die Wertbeziehung etwas, das bereits vorhanden ist. Da Weber die Methode im Prinzip übernimmt, wurde der Vorwurf auf ihn übertragen,205 doch dies ist nicht gerechtfertigt. Zwar finden sich in »Roscher und Knies« Aussagen, die an Rickerts Position erinnern.206 Aber schon im folgenden »Objektivitätsaufsatz« ist die Rede 128 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

von Gesichtspunkten, die aus Wertideen abgeleitet werden und nicht dem Stoff zu entnehmen sind.207 Erkenntnisleitende Werte sind bei Weber eindeutig die der jeweiligen Gegenwart des Forschers. Sie müssen nicht in den historischen Individuen verkörpert sein, die ehemals Handelnden haben zu diesen Werten nicht Stellung genommen. Es kann eine inhaltliche Übereinstimmung herrschen, doch die logische Trennung bleibt. Der erkenntnisleitende Wert ist hier nicht mehr als ein vom erkennenden Subjekt beigebrachter ordnender Gesichtspunkt der Betrachtung. Die Wertbeziehung wird hergestellt, ist dynamisch, bei Rickert wird sie, genau genommen, aufgefunden und ist durch eine gewisse Beständigkeit gekennzeichnet. Dem entspricht, daß der Ausgangspunkt der Betrachtung für Weber ausdrücklich das Interesse des Forschers ist, das sich mit den Wertgesichtspunkten wandelt. Erkenntnisleitende Werte sind bei Rickert darüber hinaus definiert als »Kulturwerte«. Es sind normative allgemeine soziale Werte, das heißt solche, die in einer (historischen) Gemeinschaft von allen als normativ anerkannt werden. Es sind die Werte der Kirche und der Religion, der Nation und des Rechts, des Staates, der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kunst usw. Geschichte braucht dieses Allgemeine als Auswahlprinzip, denn es ermöglicht die Allgemeingültigkeit der geschichtlichen Auffassung und macht das historische Individuum für alle bedeutsam.208 Webers Standpunkt zufolge ist dies nicht erreichbar. Er spricht zwar auch gelegentlich von universellen Kulturwerten,209 macht aber deutlich genug, daß es nur eine für jeden individuell verschiedene Hierarchie von Werten gibt, also nichts für alle gleich bedeutsam sein kann. Darüber hinaus aber genügt es Rickert nicht, daß als erkenntnisleitende Gesichtspunkte individuelle Werte ausgeschlossen und normativ allgemeine soziale Werte maßgebend sind, denn diese sind der Erfahrung entnommen und unterliegen dem historischen Wandel. Ihre Geltung ist eine empirische. Nach Maßgabe der Rickertschen Methodologie führt dies zu einer eingeschränkten empirischen Objektivität, was dem Anspruch der Geschichte, Wissenschaft zu sein, widersprechen würde. Der unbedingten allgemeinen Geltung der Naturgesetze soll die unbedingte allgemeine Geltung der historischen Begriffe entsprechen, und dies ist für Rickert abhängig von der Geltung der erkenntnisleitenden Werte.210 Geschichtswissenschaft braucht daher die formale »überempirische Voraussetzung«, »dass irgend welche Werthe unbedingt gelten, zu denen die menschlichen Werthe in einem bestimmten Verhältniss stehen«.211 Rickert hält also die Annahme für notwendig, daß die erkenntnisleitenden Werte bezogen sind auf absolute, unbedingt gültige, die auch ohne faktische Geltung und Realisierung existieren. Sie sind unabhängig vom Bewußtsein und in diesem Sinne transzendent.

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So bestimmt sind sie es, die die Objektivität wissenschaftlicher Ergebnisse garantieren, wobei ihr Inhalt keine Rolle spielt. Wie die naturwissenschaftliche Objektivität durch die Voraussetzung verbürgt ist, daß irgendwelche allgemeinen Urteile absolut gelten, so die kulturwissenschaftliche durch die Geltung irgendwelcher absoluter Werte.212 Wissenschaft muß sich um diese Beziehung zu absoluten Werten nicht kümmern, Philosophie aber zeigt sie als unbedingt notwendig.213 Zwar liefert Wissenschaft auch bei Rickert keine absolute Wahrheit, aber ohne eine Beziehung zum Absoluten kommt sie bei ihm offensichtlich nicht aus. Bei Weber findet sich dafür keinerlei Entsprechung, was seinem Denkansatz auch zuwiderlaufen würde. Das Absolute bleibt dem Menschen in jedem Fall verschlossen. Obwohl Weber eine nähere Bestimmung dessen, was ein Wert ist, der Philosophie überläßt, wird doch deutlich, daß er Rickerts Auffassung nicht teilen kann. Dieser strebt ein System geltender Werte an, während Weber immer stärker den Kampf der Werte betont, der mit einer transzendenten Verankerung nicht vereinbar ist. Die gelegentlich geäußerte Behauptung, Weber sei zwar gegen ein System, aber nicht gegen die Annahme letzter Werte und den Aufstieg zu absoluten, universalen Werten,214 geht an seiner Grundhaltung vorbei. Jede Vorstellung eines transzendenten Bereiches der Werte würde im Weberschen Denken überhaupt, mindestens aber im Rahmen wissenschaftsrelevanter Bereiche einen Fremdkörper darstellen. Der Bruch mit Rickert ist radikaler, denn auch Webers »letzte Werte« haben einen anderen Ort als bei ihm: sie existieren einzig und allein in Verbindung mit dem empirischen Subjekt und sind nicht anders vorstellbar als innerwirklich. Im Rahmen wissenschaftlicher Erkenntnis werden Rikkerts »›in sich ruhende‹ Werte zu realen und wechselnden ›Problemen‹«.215 Transzendentale Voraussetzung kulturwissenschaftlicher Erkenntnis sind dementsprechend für Weber auch nicht Werte, sondern ist die Fähigkeit des Menschen, »bewußt zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen«.216 Weber übernimmt die Wertbeziehung als methodisches Mittel, nicht ihren Rückgriff auf absolute Werte. Die Möglichkeit dazu ist bei Rickert jedoch angelegt, geht doch auch er davon aus, daß für die historische Begriffsbildung als solche die in einer Gemeinschaft allgemein anerkannten Werte genügen. Der Verzicht auf Rickerts Wertlehre ändert am logischen Gehalt der Wertbeziehung nichts, denn dieser ist unabhängig vom Geltungsgrund der erkenntnisleitenden Werte.217 Da somit aber auch die theoretische Wertbeziehung bei Weber im Rahmen des Subjektiven verbleibt, kann er nicht, wie Rickert dies tut, über diese Methode die Objektivität wissenschaftlicher Ergebnisse begründen. Das hat er aber auch nie versucht.218 Webers Kriterien für Objektivität sind

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neben der Logik und Methodik des Faches die Normen unseres Denkens,219 welche mangels näherer Bestimmung aber ein weites Feld ergeben, und Kategorien, die in spezifischem Sinne subjektiv, weil die Voraussetzungen unserer Erkenntnis sind.220 Sie, die dem Kampf der Werte entzogen bleiben, formen das empirisch Gegebene und ermöglichen eine objektive Kausalerklärung. Weber geht offensichtlich davon aus, daß sie für alle, mindestens für alle, die diese Wissenschaft betreiben, gleich und nachvollziehbar sind. Objektivität liegt zunächst in den Kategorien des Denkens, womit zu vermuten ist, daß hier nicht Rickert, sondern Kant Weber den Weg gewiesen hat. Mit der Lösung des Objektivitätsproblems unabhängig vom Geltungsgrund der Werte der Wertbeziehung221 liefert Weber den Beweis, daß die Annahme absoluter Werte, für Rickert notwendig, für eine wissenschaftliche Position niemals akzeptabel, eine völlig unnötige Voraussetzung ist. Wenn Oakes anmerkt222: »es wäre ein Gebot intellektueller Rechtschaffenheit gewesen, diesen mit Rickert begonnenen Weg auch bis an sein bitteres Ende zu gehen«, so ist dem entgegenzuhalten, daß es vielmehr ein Gebot intellektueller Rechtschaffenheit ist, dem Abgleiten in die Unwägbarkeiten wertphilosophischer Spekulationen nicht zu folgen. Abgesehen von diesen anerkannten Differenzen geht Merz davon aus, daß zumindest »der korrekte Vollzug der zur Erkenntnis notwendigen Formgebung«223 bei Weber nach Rickerts Vorgabe zu verstehen sei. Dem nachzugehen, macht einen Blick auf Rickerts Erkenntnistheorie notwendig.224 Er führt zunächst zurück zu seiner Wirklichkeitsauffassung. Wissenschaft geht Rickerts Beobachtung nach aus vom empirischen Realismus, womit er auch nach eigener Einschätzung den gegebenen Tatbestand wissenschaftlicher Erkenntnisweise anerkennt.225 Sie richtet sich auf eine objektiv gegebene Welt von Tatsachen, die mit Hilfe der methodologischen Formen der Begriffsbildung umgeformt wird. Die hier gegebenen Möglichkeiten zu erarbeiten ist Sache der Methodologie. Während Wissenschaft nicht hinter die empirisch gegebene Wirklichkeit schaut, ist es die Aufgabe der Erkenntnistheorie, deren Konstitution darzulegen, denn anders als bei Kant enthält das in der Wissenschaft Wahrgenommene bei Rickert noch ein Formproblem.226 Obwohl Erkenntnistheorie und Methodologie bei ihm abgegrenzte Bereiche sind, bleiben sie somit doch aufeinander bezogen, ja sind, wie sich zeigen wird, nicht voneinander zu trennen. Rickert macht den Satz der Immanenz zur Grundlage seiner Erkenntnistheorie, dem zufolge alles Seiende ausschließlich als Bewußtseinsinhalt existiert.227 Damit wendet er sich gegen jeden Gedanken an eine transzendente Realität, in deren Annahme er eine metaphysische Verdoppelung des Seins erkennt, wie sie von Plato und seiner Ansicht nach auch noch von

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Kant vertreten wurde. Die kantische Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung lehnt er ab: »Die ›Erscheinung‹ des transzendentalen Realismus ist uns die ›wahre‹ Realität, und seine transzendente ›Realität‹ bedeutet für uns nichts als einen Begriff.«228 Erkenntnis aber will etwas vom theoretischen Subjekt Unabhängiges erfassen, das nach Rickert den Maßstab oder »Gegenstand der Erkenntnis« bildet, wenn diese objektiv sein will. Deshalb ist eine unabhängige Ordnung, sind zwei Welten vonnöten, eine subjektive und eine objektive, eine immanente und eine transzendente. 229 Auf der Suche nach der transzendenten Welt geht Rickert davon aus, daß Erkennen immer Urteilen bedeutet. Dieses ist als Bejahen oder Verneinen zu verstehen, Billigen oder Mißbilligen, und darf damit als alternative Stellungnahme zu einem Wert angesehen werden.230 Dessen Bejahung ist nicht willkürlich, sondern tritt nur ein, wenn der reale psychische Zustand der »Gewißheit« vorliegt.231 Dieser verweist auf den transzendenten Wert, der im Urteil anerkannt wird, das durch seine Bejahung den Charakter unbedingter Notwendigkeit erhält. Diese Urteilsnotwendigkeit fordert vom Subjekt die Anerkennung des Wertes, der als Imperativ auftritt, das heißt mit Bezug auf das Subjekt als ein Sollen zu verstehen ist, welches die Erkenntnis leitet und den Urteilen Sinn gibt.232 Wert und Sollen sind transzendent, nicht angewiesen auf eine faktische Anerkennung, der Wert sogar unabhängig von der Forderung nach Bejahung.233 Zum »Gegenstand der Erkenntnis« avanciert bei Rickert folgerichtig das transzendente Sollen. Die ihm zugrundeliegenden unbedingt geltenden Werte sind es, die der Erkenntnis Objektivität verleihen. Sie richtet sich damit nicht nach einem Sein, sondern nach einem Sollen. Rickerts Bezeichnung für diese erkenntnistheoretische Position ist die des »transzendentalen Idealismus«, was ausdrücken soll, daß der Gegenstand der Erkenntnis außerhalb des gegebenen Bewußtseinsinhaltes liegt und kein realer ist.234 Damit etabliert Rickert einen von der Tradition und vom kantischen Transzendentalismus abweichenden Erkenntnisbegriff, denn »die Frage nach dem Maßstab, mithin dem ›festen Punkt‹, von dem her die Gewißheit von Erkenntnis erwiesen werden kann, wird von ihm eine Stufe tiefer verlagert: von der Sicherung der Vorstellungsinhalte zur Geltung des Erkannten als Erkanntes selbst«.235 Kants transzendentale Apperzeption wird bei Rickert noch hinterfragt und auf Werte zurückgeführt. Die zwei Welten, die Rickert identifiziert, sind die immanente Welt des Seienden und die transzendente Sphäre geltender Werte. Wert und Wirklichkeit sind begrifflich zu trennen, aber eng miteinander verknüpft. Wir finden Werte nur am Wirklichen und jedes theoretische Urteil verbindet die beiden Welten,236 denn im Urteil wird durch Bejahung des Sollens einem logisch indifferenten Inhalt eine Form beigelegt. Die anerkannten

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theoretischen Werte sind als Formen aufzufassen, genauer als transzendente formale Normen der Zusammengehörigkeit von Form und Inhalt. Zwischen ihnen und den transzendentalen Formen des fertigen Urteilsgehaltes, welche die Formen der wirklichen Gegenstände sind, stehen die transzendentalen Kategorien. Im Übergang vom Sollen zum Sein schaffen sie den Gegenstand und begründen das Seiende nach Maßgabe des Sollens. Als konstitutive Kategorien produzieren sie die Wirklichkeit, die, weil sie auf unbedingt geltende Werte zurückverweist, als eine objektive bezeichnet wird.237 Kategorien, die auf diese Weise die wirkliche Welt hervorbringen, sind zum Beispiel die Kategorie des realen Seins oder der Wirklichkeit. Sie ist zu unterscheiden von der Tatsächlichkeit oder Gegebenheit, welche die Individualität eines jeden Objektes begründet,238 der Kausalität,239 oder der Kategorie des Dinges.240 ›Sein‹ ist hier ein Urteilsprodukt; es ist das als seiend Bejahte. Wirklichkeit ist das, was als wirklich anerkannt werden soll und die Form der Wirklichkeit erhalten hat.241 So ist Erkenntnis nicht mehr die durch Kategorien geleitete Synthesis von Vorstellungen im Urteil wie in der Transzendentalphilosophie. Vielmehr »enthält Rickerts Begründungsdenken ... die besondere Variante eines zwar erkenntniskritisch gebrochenen, aber im Rahmen der Konzeption des ›urteilenden‹ Erkennens doch unverkürzt auftretenden Wertpiatonismus«.242 Die Wirklichkeitskonstitution ist eine Angelegenheit des erkenntnistheoretischen Subjekts, das Rickert in Erinnerung an Kant auch als Bewußtsein überhaupt bezeichnet. Es ist von allem Inhalt frei dasjenige, was sich nicht mehr objektivieren läßt.243 Die immanente Wirklichkeit als Ganze ist sein Bewußtseinsinhalt. Der Nachvollzug seiner Tätigkeit, die Bejahung aller Normen der Zusammengehörigkeit von Form und Inhalt und damit ein Abbild der Wirklichkeit zu geben, ist für jedes empirische Subjekt eine unlösbare Aufgabe. Aber die Welt als Ganze bleibt ihm aufgegeben: sie ist Idee im Sinne Kants. Absolute Objektivität erreicht damit allein das erkenntnistheoretische Subjekt. Dem stellt Rickert die kritische Objektivität als logisches Ideal der Wissenschaften gegenüber.244 Das erkenntnistheoretische Subjekt ist der Maßstab für das real erkennende Bewußtsein und als solcher ein theoretisches Ideal. Es stellt keine Fragen an sein Material, sondern bejaht stets, denn es besitzt im Vollzug einer Tätigkeit die Wahrheit, an der das individuelle Ich Anteil hat, wenn es seine Fragen beantwortet und damit ebenfalls das transzendente Sollen anerkennt. Wahrheit und Objektivität der Urteile sind nur auf diesem Wege zu erreichen.245 Doch auch Wahrheit ist ein Wert. Jede Erkenntnis ist damit grundsätzlich zunächst immer auch definiert als Stellungnehmen zum theoretischen Wert der Wahrheit. Dieser ist ein unabhängiger, transzendenter, zeitlos gültiger und unbestreitbarer Wert, denn ein Urteil, das seine überindividu-

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elle Geltung leugnet, hebt sich selbst auf. Das Sollen, das vom Wahrheitswert ausgeht, liegt jeder Erkenntnis zugrunde. Somit ist er auch als transzendenter Geltungsgrund von Wissenschaft anzunehmen: »Das allgemeinste Prinzip: die Anerkennung des Wahrheitswerthes ist die logische Voraussetzung jeder Wissenschaft.«246 An diesem Punkt greifen Erkenntnistheorie und Wissenschaftslehre bei Rickert ineinander, trotz der sonstigen prinzipiellen Trennung, denn der transzendentale Idealismus auf der einen Seite und der empirische Realismus auf der anderen unterscheiden sich durch ihr Material. Für die Wissenschaft ist die empirische Wirklichkeit das erste. Daß diese bereits eine Verbindung von Form und Inhalt ist, in der also ein transzendentes Sollen steckt und daher »auch das Material aller Wissenschaft, nämlich die als wahr geltenden Thatsachen, von einem werthenden Subjekt abhängig sind«,247 ist nicht ihr Problem. Der empirische Realismus kennt weder transzendente Normen noch konstitutive Kategorien, sondern nur die Formen des fertigen Urteils, die er für Reproduktionen der empirischen Wirklichkeit hält. Zur Bearbeitung ihres Materials setzt Wissenschaft andere, ihre eigenen Formen ein. Sie sind als methodologische Begriffsformen von den Wirklichkeitsformen zu unterscheiden. Die Art ihrer Anwendung ist Aufgabe der Wissenschaftslehre, aber sie zu verstehen, ist ebenso Sache der Erkenntnistheorie, denn auch sie sind theoretische Wertformen und verweisen, so wissenschaftliche Urteile wahr sind, auf transzendent gültige Normen. Auch hier liegt der Maßstab im Gebiet des Sollens; es gibt in dieser Hinsicht keinen Unterschied zwischen konstitutiven Kategorien und methodologischen Formen. Die Objektivität wissenschaftlicher Ergebnisse ruht in transzendenten Welten, ist von einem rein wissenschaftlichen Standpunkt aus also überhaupt nicht zu begründen.248 Bei Rickert ist »das Erkennen selbst mit Rücksicht auf seine Leistung als ein Werten zu deuten«,249 so daß der Urteilsakt ein praktisches Verhalten beinhaltet. Zwar sind theoretische und praktische Werte zu unterscheiden, aber eine Verwandtschaft des Erkennens mit dem sittlichen Wollen ist unverkennbar. In beiden Fällen gelten Werte unbedingt, die von einem autonomen Willen, von Rickert als »Pflichtbewußtsein« verstanden, wegen ihres Wertcharakters anerkannt werden. Das Sollen geht damit allem Seienden voraus. Berechtigterweise spricht Rickert vom Primat der praktischen Vernunft »in des Wortes verwegenster Bedeutung«.250 Die Erkenntnis der Wahrheit setzt den Willen zur Wahrheit voraus. Dieser ist daher auch »das letzte ›a priori‹ jeder Wissenschaft«, denn jedes Urteil gilt nur für den, der Wahrheit will.251 Wie der Wille zur Wahrheit die Geltung der tatsächlichen Urteile, so begründet der Wille zur wissenschaftlichen Wahrheit die Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnis, wobei er zusätzlich auch die spezifischen naturwissenschaftlichen und histori134 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

schen Erkenntnisformen anerkennen muß, wenn er sein Ziel erreichen will.252 Theorie und Praxis hängen auf diese Weise eng zusammen. Der erkennende und der wollende Mensch bilden keinen Gegensatz, sondern theoretisches Denken ist ein Spezialfall praktischen Strebens.253 Dieser Zusammenhang ermöglicht es, so Rickert, zu einer einheitlichen Weltanschauungslehre zu gelangen, welche den Sinn deutet, den menschliches Leben im Zusammenhang des Weltganzen besitzt. Sie ist, wie schon für Windelband, Rickerts eigentliches philosophisches Endziel und die systematische Klammer für seine Arbeiten. Im ersten Teil seines »Systems der Philo-sophie«254 legt er 1921 ihre Grundlagen dar. Geschichte bietet demzufolge einer wissenschaftlich arbeitenden Philosophie den Stoff, den diese braucht, um ein für die geschichtliche Entwicklung offenes System der zeitlos geltenden Werte zu entwickeln, die zwar nicht theoretisch begründbar, aber erforschbar sind. Dabei stehen »die irrealen Werte ... als ein Reich für sich allein allen wirklichen Gegenständen gegenüber«.255 Wertprobleme sind für Rickert das eigentliche Arbeitsgebiet der Philosophie, die als Wertwissenschaft den Wirklichkeitswissenschaften gegenübertritt. Alle philosophischen Disziplinen haben ihre Wurzel in geltenden Werten und dementsprechend ist auch die Erkenntnistheorie für Rickert »Teil der Philosophie als der allgemeinen Werdehre«. Auch als Zweck der »Grenzen«, seines methodologischen Hauptwerks, gibt Rickert an, es sei ein Beitrag zur Klärung von Weltanschauungsfragen.256 Die Wertphilosophie ist der Kern der südwestdeutschen Richtung des Neukantianismus, was die Berufung auf Kant, den Rickert allerdings als Begründer der Wertphilosophie versteht,257 ins Wanken bringt. Seit dem Ende der siebziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts ist als Konsequenz einer krisenhaften politischen Entwicklung, die sich mit der ›Wertkrise‹, der relativistischen und historistischen Einstellung Werten gegenüber verbindet, verstärkt eine Wende zur praktischen Philosophie festzustellen. Sie wandelt sich zur Wertwissenschaft, deren Hauptinteresse die Erforschung universeller Werte wird,258 mit dem Ziel eines philosophischen Systems, das von der »Nichtigkeit des Relativismus«259 befreit. Rickerts Wertphilosophie war stets umstritten, denn sie ist mit der kritischen Tradition nicht vereinbar. Die transzendentallogische Orientierung seiner Wissenschaftstheorie ist eindeutig, aber mit der Hinwendung zur Wertphilosophie, mit der das Problem der Geltung unbedingter Werte in die Frage nach der Objektivität hineingerät, bricht dieser Ansatz zusammen. »Von kritizistischer Selbstbeschränkung des philosophischen Fragens auf die ›Bedingungen der Möglichkeit‹ ist keine Rede mehr«.260 Stattdessen spricht einiges für die These,261 die Tiefenstruktur des südwestdeutschen Neukantianismus sei als neuscholastische Metaphysik zu interpretie-

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ren. Die Wertphilosophie dieser Schule, insbesondere Rickerts Werdehre und die in ihrem Rahmen stehende normative Wahrheitstheorie, greift von Kant abweichend auf Lotze zurück,262 der in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die Wertphilosophie erst begründete. Auf seiner Lehre basiert die Trennung von Wert und Wirklichkeit, die Ausweisung der Werte als irreal, geltend und nicht seiend sowie die Bedeutung der Werte nicht nur für den ethisch-moralischen Bereich, sondern auch für die ›Wirklichkeit‹. Dieser wieder einen objektiven Sinn zu verleihen ist das eigentliche Ziel,263 worin nicht nur eine Anknüpfung an die idealistische Tradition zu erkennen ist, sondern wohl sogar eine Wiederbelebung scholastischer Metaphysik.264 Obwohl Rickert selbst für seine Erkenntnistheorie die Metaphysik weit von sich weist,265 gerät er doch mit der Anlehnung an die Wertphilosophie Lotzes und seiner Vorstellung von transzendenten Werten in den Metaphysikverdacht.266 Auf Grund der wertphilosophischen Implikationen in Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie fällt dieser Verdacht auch auf sie. Weber entgeht dem, weil er den »Lotzeschen Wust«, in dem schon der Student »Unwissenschaftlichkeit, törichte Poetisiererei und öde Gemütsphilosophisterei«267 entdeckt, aus seiner Methodologie säuberlich heraushält. Die seltener werdenden Verweise auf Rickert in den späteren Arbeiten der Wissenschaftslehre dürften wohl mit dessen fortschreitender Ausarbeitung der Wertlehre zusammenhängen. Rickert selbst weist darauf hin, daß Weber seiner Weltanschauungslehre und dem Wertsystem »skeptisch« gegenübersteht, und sein bedauernder Kommentar: »er glaubte eigentlich nur an die ›Logik‹«, 268 trifft im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit den Kern der Sache. Bei Ausklammerung aller wertphilosophischen Elemente kann Erkenntnis für Weber nicht Stellungnehmen zu einem transzendenten Sollen sein. Er schätzt den Logiker Rickert, aber letztlich ist dessen Erkenntnisbegriff nicht der seine. Zwar ist auch für Weber die Geltung der theoretischen Werte Voraussetzung und der Wille zur Wahrheit quasi das letzte Apriori der Wissenschaft; soweit stimmt er mit Rickert überein. Aber die Anerkennung dieser Werte bleibt subjektive Voraussetzung und dem eigentlichen Erkenntnisprozeß vorgelagert. Sie begründen den Tätigkeitsbereich der Wissenschaft und markieren den Geltungsbereich ihrer Erkenntnisse, aber auch theoretische Werte sind nicht transzendent. Mit Rickerts »Sollen« hat der Wille zur Wahrheit bei Weber nichts zu tun. Faßt man Webers kritizistische Vorstellungen von Erkenntnis, wie sie sich in der Wissenschaftslehre äußern zusammen, ergibt sich folgendes Bild: ein empirisches Material, das als solches für den endlichen Menschengeist nicht faßbar, nicht abbildbar ist, wird mit Hilfe von Erkenntnisformen und dem Mittel der Begriffsbildung in eine Ordnung gebracht, die jeweils durch Synthese zusammengefaßte Ausschnitte dieser Wirklichkeit erkennbar

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macht. Weber spricht gelegentlich auch von Kategorien, »deren formende Macht ›Erfahrung‹ erst sinnvoll ›möglich‹ werden läßt«,269 und die Objektivität garantieren. Soweit Weber der Methodologie Rickerts auch folgt, der Erkenntnisbegriff, der der Wissenschaftslehre zugrundeliegt, ist derjenige Kants.270 Weber äußert sich nie explizit über erkenntnistheoretische Fragen und ist ihnen wohl auch nicht sehr weit nachgegangen, denn ihm ging es allein um das Vorgehen der Wissenschaft. Rickert beklagt, daß Weber keine Beziehung zur Philosophie hat und nicht nach für die Wissenschaft Irrelevantem fragt. Das erste erscheint übertrieben, letzteres trifft mit Blick auf Webers wissenschaftstheoretische Arbeiten zweifelsohne zu, denn seine Begründungen reichen genau so weit, wie es für den Wissenschaftler notwendig ist. So übernimmt er nur die transzendentallogischen Elemente der neukantianischen Methodologie, das heißt er folgt Rickert so weit wie dieser im Prinzip Kant folgt. Wohl mit einer Ausnahme: Kant setzt Wirklichkeit und Natur gleich und dementsprechend Wissenschaft und Naturwissenschaft. Für eine Grundlegung der Geschichtswissenschaft ist sein Erfahrungsbegriff also zu eng. Rickert stimmt ihm zu, daß Natur zu definieren ist als das Dasein der Dinge, sofern sie nach allgemeinen Gesetzen bestimmt sind, wirft ihm aber vor, spezielle methodologische Formen zu Kategorien der Wirklichkeit überhaupt zu machen, wenn er Natur und Wirklichkeit gleichsetzt. Kants Kategorienlehre ist für Rickert nicht umfassend genug, gibt es doch schon allein verschiedene Arten von Kausalität: die der Wirklichkeit, die naturgesetzliche und die historische.271 So unterscheidet er zwischen Erkenntnistheorie und Methodologie und läßt durch konstitutive Kategorien zunächst eine empirische Wirklichkeit entstehen, auf die sich dann Wissenschaft richtet.272 Bei diesem für die Begründung der individualisierenden Kulturwissenschaften notwendigen Schritt geht Weber mit Rickert ein Stück weit über Kant hinaus. Auch er unterscheidet die konstitutive Kategorie der Kausalität und ihre unterschiedliche Verwendung in den einzelnen Wissenschaften.273 Es läßt sich daher mit einiger Berechtigung sagen, daß auch Weber zwischen Wirklichkeitskonstitution und -erkenntnis unterscheidet,274 was aber noch nicht heißt, daß er auch den Begründungsprinzipien der Erkenntnistheorie Rickerts folgt.275 So spricht er nie von einer »objektiven« Wirklichkeit, ein Status, den sie bei Rickert durch die Verbindung zu transzendenten Werten erlangt. Es läßt sich vielmehr vermuten, daß die neukantianische Theorie von Weber als eine Ausweitung der kantischen Vorgabe aufgefaßt wird,276 die eine Art Zwischenstufe im Erkenntnisprozeß etabliert. Auf Kant verweist schließlich auch der wohl zentrale Punkt der Wissen-

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schaftslehre: das Wertfreiheitspostulat. Auch bei Rickert wird unterschieden zwischen theoretischer Wertbeziehung und praktischer Wertung und den verschiedenen Welten von Wirklichkeit und Wert, Geltung und Sein, ohne daß Rickert darauf besonderen Nachdruck legen würde. Keineswegs will er dem Historiker die Wertung verbieten. Dieser kann nicht als Wissen3schaftler werten, aber daß er bei der Darlegung seiner Arbeitsergebnisse ganz darauf verzichtet, ist gar nicht wünschenswert.277 Marianne Weber zufolge, und dies wird von Rickert bestätigt,278 war es insbesondere die Trennung zwischen praktischer Wertung und theoretischer Wertbeziehung, die Weber an den Arbeiten Rickerts interessierte. Gerade sie ermöglicht ja die Wissenschaftlichkeit der Geschichte. So unterscheidet auch Weber Wert und Wirklichkeit, Geltung und Sein und häufiger Wissenschaft und Werturteil, die er als verschiedene Ebenen unseres Denkens kennzeichnet. Obwohl Weber hier die Terminologie der Wertphilosophie benutzt, ist die Unterscheidung, die dem Wertfreiheitspostulat zugrundeliegt, wohl eher die zwischen theoretischer und praktischer Vernunft. Zwar kann von beidem bei Weber keine Rede mehr sein, aber hier ist die Unterscheidung markiert, welche von Rickerts Wertphilosophie wieder aufgehoben zu werden droht. Die Beziehung Webers zu Kant ist hinter die Bedeutung des Neukantianismus für seine Arbeiten bisher meist zurückgetreten, ja wird geleugnet oder heruntergespielt, oder ihre Aufarbeitung wird für nicht sinnvoll gehalten.279 Über den Grad der Intensität ließe sich sicher streiten, aber es gibt keinen vernünftigen Grund, diese Beziehung zu übersehen. Zwar wird Kant im Gegensatz zu Rickert in der Wissenschaftslehre nur an wenigen Stellen erwähnt, und wenn dann nur sehr kurz. Und daß Weber sich auf die »auf Kant zurückgehende(n) moderne(n) Erkenntnislehre«280 beruft, wäre auch nicht unbedingt ein Beleg für weitere Gemeinsamkeiten, wenn der Inhalt seiner Methodologie dem nicht entspräche. Weber ist mit Kant vertraut. Marianne Weber berichtet, daß er sich früh als Schüler und auch später noch mit Kant beschäftigte, und spricht von einer dementsprechenden Beeinflussung seiner Weltanschauung.281 Zudem ist in den siebziger und achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, also noch zu Webers Studienzeit, im Zusammenhang mit der Ausweitung des Neukantianismus ein Kant-Boom an den deutschen Universitäten zu verzeichnen. Als »Diskussionsmedium der Gegenwartsfragen« wird Kant zum meistgelesenen Klassiker dieser Zeit.282 Jaspers erwähnt eine besondere Zuneigung Webers zu Kant,283 und dies ist durchaus glaubwürdig. Trotz des Einflusses Nietzsches ist die Nähe des Weberschen Denkens zu Kant in seinen ethisch-moralischen Vorstellungen ebenso deutlich wie in der grundlegenden Ausrichtung seiner wissenschaftstheoretischen Einstellung. Die vermittelnde Position zwischen den

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Extremen erinnert an Kant wie die strenge Sachlichkeit im Rahmen wissenschaftlichen Arbeitens und die Tatsache, daß Weber mittels einer Selbstkritik der Wissenschaft ihre Gültigkeitssphäre eingrenzt und Raum schafft für andere Bereiche. Seine Wissenschaftslehre ist weder dem Anspruch noch der Ausführung nach, aber doch gemäß ihren Grundgedanken, eine Kritik der wissenschaftlichen Vernunft. Die Elemente, die Weber von Kant übernimmt, entsprechen einer Wissenschaftsauffassung, die als ›Forschung‹ bezeichnet werden kann. Als Erkenntnisweise der Wissenschaft ist sie hier als Idealtypus zu verstehen, der sich in verschiedenen Wissenschaftskonzeptionen verwirklicht, auch wenn diese ansonsten voneinander abweichen. Sie ist eine historisch entstandene und damit wandelbare Position, die auch heute noch eine neben anderen, älteren ist, wenngleich die vorherrschende. Sie ist gleichzusetzen mit Hypothesenerkenntnis.284 In der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft faßt Kant die Grundgedanken dieser Erkenntnisweise zusammen. Sie geht gemäß der »kopernikanischen Wende« davon aus, »daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt«. Sie wendet sich »mit ihren Prinzipien ... in einer Hand, und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen an die Natur«, um sie in der Qualität eines »bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt«, zu untersuchen.285 Forschung arbeitet so auf der Grundlage einer »Zweihändigkeit des Erkennens«, eines »empirischen Rationalismus«.286 Die Prinzipien der Vernunft und das in der Wahrnehmung gegebene empirische Material, Entwurf und Experiment sind aufeinander bezogen und spielen in der Erkenntnis zusammen. Der Vernunftentwurf entspringt nicht reiner Willkür, sondern ist bereits durch das Material vermittelt, das wiederum als Kontrollinstanz für den Entwurf dient. Wirklichkeit ist hier nicht an sich, sondern nur als Erfahrungswirklichkeit zu erfassen. Wie die Richtermetapher Kants deutlich macht, gibt es einen objektiven Sachverhalt, eine Wirklichkeit ›an sich‹, den der Richter jedoch nicht kennt und nur soweit in Erfahrung bringen kann, wie ihm die Zeugen antworten. Letztlich jedoch gibt es für ihn keine Sicherheit, den wahren Sachverhalt erfaßt zu haben, ebensowenig wie für den Wissenschaftler, der das Material befragt. Erkenntnis kann auch für ihn nie eine absolute sein, denn sie ist stets relativ zu ihren Bedingungen und sie ist relational, insofern die Erfahrungsobjekte nur in ihrem Verhältnis zueinander im Rahmen des Vernunftentwurfs erscheinen. Die Ergebnisse der Befragung sind gültig innerhalb eines genau bestimmten, anzugebenden Horizontes, der allerdings wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt erst ermöglicht, da allein auf Grund dieser exakten Begrenzung die wesentlichen Erscheinungen erfaßt

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werden können.287 Dies macht die Besinnung auf die Bedingung der Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis notwendig. Auf Grund ihrer spezifischen Erkenntnisweise versteht sich Forschung »als ein grundsätzlich unendliches Erkenntnisbemühen«.288 Die Einsicht in den Erscheinungscharakter der erfahrbaren Welt löst die bis dahin gegebene Alternative zwischen ihrer Endlichkeit und Unendlichkeit als »Widerstreit eines Scheins«289 auf, wie Kant in der Antinomienlehre darlegt. Beide Aussagen beziehen sich auf das Ganze der Welt und sind auf Grund der Einsicht in die Bedingtheit aller Erkenntnis und die Nicht-Erkennbarkeit der Welt an sich und als Ganzes nicht mehr möglich. Das Ganze ist nur noch regulative Idee der Vernunft. Wissenschaftlicher Erkenntnis fehlt die Erfahrung einer absoluten Grenze; sie bleibt stets partikular und ihre synthetisierende Arbeit geht daher ins Unendliche. Neue Aspekte, die Veränderung des Vernunftentwurfes, führen zu neuen Erkenntnissen. In diesem Sinne ist Forschung als »dynamisches Wissen« zu verstehen.290 Fortschritt kann hier nur ein »Fortschritt der Erfahrung« (Kant) sein. Er begründet die Ausweitung und die zunehmende Spezialisierung wissenschaftlicher Arbeit, ist aber niemals ein Fortschritt auf dem Weg zur absoluten Wahrheit. Die Parallelen dieser Grundgedanken zur Position Webers, in der sie in einer seinem Denken gemäßen Form verarbeitet werden, sind offensichtlich. Dabei wird jedoch auch deutlich, daß Weber in Kant nicht völlig aufgeht. Dies kann nicht verwundern, denn zwischen beiden liegt ein auch geistig ereignisreiches Jahrhundert mit zwei grundlegenden Denkerfahrungen, deren Einfluß bei Weber nachzuweisen ist: Historismus und Positivismus. Das Wissen um die historische Bedingtheit aller Phänomene zeigt sich bei Weber in der Betonung der Wandelbarkeit der Begriffe und des Interesses, in der Einsicht der Geschichtlichkeit der Position des erkennenden Subjekts, in der Betonung des Veraltens wissenschaftlicher Ergebnisse und schließlich in der Einbindung der Wissenschaftsauffassung in die Gegenwartsdiagnose. Dabei wahrt Weber eine gemäßigte Haltung, denn er verfällt an keinem Punkt auch nur annähernd einem theoretischen Relativismus. Diese Elemente, die einen historischen Wandel ausdrücken, finden sich bei Kant noch nicht oder nicht in dieser Ausprägung. Die Kritik der reinen Vernunft ist unhistorisch; die Bindung an sich wandelnde Problemsituationen wird noch nicht berücksichtigt. Historisch gesehen entspricht Webers Wissenschaftsauffassung einem nachmetaphysischen Denken. Er kann daher die metaphysischen Implikationen, die sich bei Kant finden, nicht akzeptieren, was im Blick auf die Wissenschaft kaum von der Erfahrung des Positivismus zu lösen ist. Wenn dieser in seiner klassischen Ausprägung von Weber auch nicht übernommen

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wird, ja als Gegenposition auszumachen ist, so gibt es doch Anzeichen einer gemäßigten Einflußnahme. Diese zeigt sich vor allem an der Trennung von Erkenntnistheorie und Methodologie. Weber spricht in der Wissenschaftslehre einmal von transzendentalen apriorischen Formen, die er als die logische Voraussetzung der Erfahrung betrachtet,291 was deutlich auf Kant verweist. Offensichtlich geht Weber davon aus, daß diese Formen für alle gleich sind, und es deutet nichts auf einen historischen Wandel in diesem Bereich hin.292 Was für ihn ›a priori‹ bedeutet, macht Weber nicht deutlich, aber die Vorstellung von metaphysischer Ausrichtung und unbeschränkter Allgemeinheit und Notwendigkeit paßt nicht in seine Denkhaltung. Wenn Weber von Kategorien spricht, ist nicht von reiner Vernunft, sondern von Logik die Rede. Was ihn schließlich von Kant unterscheidet, ist die Abhängigkeit ihrer Geltung von der subjektiven Anerkennung des Wertes wissenschaftlicher Wahrheit. Webers Wissenschaft kommt ohne eine philosophisch-erkenntnistheoretische Begründung aus; die Transzendentalphilosophie wandelt sich bei ihm zur Wissenschaftstheorie, deren Basis die Erfahrung und die Probleme der Wirklichkeit sind.293 Letztlich wird der Zusammenhang, den Weber zwischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie sieht, jedoch nicht deutlich. Daher kann die Frage, ob er auf eine erkenntnistheoretische Verankerung der Wissenschaft wirklich vollständig verzichten will, bis auf weiteres nicht beantwortet werden. Sein Standpunkt scheint irgendwo zwischen kantischem Transzendentalismus und Positivismus zu liegen, wobei sich seine gemäßigte Position als ein Hinweis auf die künftige Entwicklung lesen läßt. Vor allem die Verknüpfung der Methodologie mit der Handlungstheorie und die spezifische Auffassung des Verstehensproblems, aber auch ein bei Weber vielleicht festzustellender erster Schritt zu einem formalistischen Wissenschaftsverständis294 sind in dieser Hinsicht bedeutungsvolle Aspekte. Vor allem aber findet sich hier, womöglich zum ersten Mal, ein vollkommen säkularisierter Wahrheitsbegriff, aus dem auch der letzte Rest Metaphysik getilgt wurde. So erscheint Webers historische Position als eine des Übergangs, in der gleichermaßen die Elemente der kantischen Tradition auszumachen sind wie die des Neuen, die zukünftige Entwicklungen im Ansatz enthalten.

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VI. Die rationalisierte Welt: Freiheit und Zwang 1. Lebensführung und Versachlichung Der Entzauberung und Rationalisierung auf der theoretischen Ebene der Weltbildentwicklung entspricht in der Praxis die Rationalisierung der Lebensführung. Nun sind es historisch beeinflußte »Interessen (materielle und ideelle), nicht: Ideen«, nach denen menschliches Handeln sich unmittelbar richtet. »Aber: die ›Weltbilder‹, welche durch ›Ideen‹ geschaffen wurden, haben sehr oft als Weichensteller die Bahnen bestimmt, in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte.«1 Und es waren häufig wertbegründende religiöse Ideen, welche die Lebensführung bestimmten. Ihr gilt in der Religionssoziologie Webers Hauptinteresse, das heißt ihn interessiert nicht vorrangig die Entwicklung religiöser Inhalte, »sondern die in den psychologischen und pragmatischen Zusammenhängen der Religionen gegründeten praktischen Antriebe zum Handeln sind das, was in Betracht kommt«.2 Und hier haben religiöse Vorstellungen sehr unterschiedliche Auswirkungen. Die Magie im weitesten Sinn, vom präanimistischen Naturalismus bis zum Symbolismus, der in die Mythologie münded, wirkt stereotypierend auf Denkinhalte und Handlungen. Sie festigt Konventionen, denn das als heilig Erkannte ist unveränderlich, und das sich darauf richtende magische Handeln, in dessen Bannkreis alles menschliche Tun einbezogen wird, geschieht stets in der einmal erprobten Form. Je größer der magische Anteil an einem Weltbild ist, um so traditionsverhafteter wird daher die Lebensführung ausfallen. Doch läßt sich hier auch der Ursprung der religiösen Ethik3 ausmachen. Gegenstände und Personen besitzen in magischen Verhältnissen die Qualität des Tabu, dessen Rationalisierung ein System von magisch motivierten Verhaltensnormen entstehen läßt, quasi eine tabuistisch garantierte Ethik, deren Verletzung Bestrafung zur Folge hat. Von dieser Basis ausgehend, findet eine allmähliche Verschiebung statt. Während Götter und Dämonen, die keineswegs allmächtig sind, ihre Macht stets neu unter Beweis stellen müssen, und ein Mißerfolg im Handeln ihrer Schwäche angelastet werden kann, wird bei einem Fehlschlag zunehmend die Verantwortung beim nicht angemessenen Verhalten der Verehrer eines Gottes gesehen. Mit der

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Rationalisierung des Geisterglaubens zum Götterglauben werden der magische Gotteszwang des Zauberers, die Befriedigung egoistischer göttlicher Wünsche und die organisierte kultische Verehrung ergänzt und zum Teil ersetzt durch eine Priesterschaft und durch die Befolgung des religiösen Gesetzes seitens der Anhänger einer Religion. Und dies geschieht nicht erst im Monotheismus, denn schon einzelne Funktionsgötter schützen bestimmte Handlungsweisen. Der ethische Anspruch an die Götter steigt, je rationaler das natürliche Weltgeschehen als sinnvoll geordneter Kosmos gesehen wird und menschliche Beziehungen durch Verhaltensweisen geregelt werden, die eine Berechenbarkeit der Handlung des einzelnen erfordern. So wird seine ethische Bindung an einen »Kosmos von Pflichten« befördert. Das magische Tabu wandelt sich zur religiösen Ethik, zur gottgewollten Ordnung, deren Verletzung den Zorn Gottes erregt. Der Verstoß gegen seinen Willen wird zur ethischen Sünde, die das Gewissen belastet, unabhängig davon, ob eine Strafe folgt oder nicht. Auftretende Übel werden als Folge der Sünde angesehen, und nur gottgefälliges Tun kann davor bewahren. Soll dieses zu einem die gesamte Lebensführung bestimmenden einheidichen Handeln werden, so ist die zu erfüllende Voraussetzung die Auffassung der Sünde als einheidicher Macht des Widergöttlichen und der Güte als ebensolcher Fähigkeit zur heiligen Gesinnung. Dabei ist es ein weiter Weg, so Weber, von der Auffassung der Sünde als ein mit magischen Mitteln zu beherrschendes Gift oder bösen Dämon bis zur Vorstellung einer teuflischen Macht des radikal Bösen, von der besonderen Seele des gut Handelnden bis zum Haben des Göttlichen. Keineswegs jede religiöse Ethik geht diesen Weg zuende. Konfuzianismus, Hellenen- und Römertum haben keine Vorstellung vom radikal Bösen. Was ihnen ebenfalls fehlt, ist die Prophetie, die in der Regel die Vereinheidichung der Ethik unter dem Gesichtspunkt der religiösen Erlösung bewirkt, und ein eigenständiges Priestertum, welches, auch unter dem Einfluß religiöser Laien, daran mitwirkt. Die Prophetie durchbricht die stereotypen magischen oder rituellen Normen, sie zerstört Traditionen und greift damit häufig tief auch in soziale Belange des Alltags ein. Sie leistet die prinzipielle Sublimierung des religiös Gesollten zur Gesinnung; sie bietet einen zentralen Sinn, der die gesamte Lebensführung religiös bestimmt, und systematisiert das Handeln unter wertrationalen Gesichtspunkten, indem sie es an einheidichen Werten orientiert. Dies entspricht der Vorstellung vom Kosmos als sinnvoll geordnetem Ganzen. Indem die Lebensführung auf das religöse Heilsziel ausgerichtet wird, und nunmehr die innere Gesinnung und nicht mehr die einzelne Handlungsnorm maßgebend ist, sondern je nach Situation verschiedene Maximen gerechtfertigt erscheinen, erweist sich die religiöse Ethik als elastisch

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und anpassungsfähig. Sie wirkt nicht stereotypierend, sondern im Gegenteil unter Umständen sogar revolutionär.4 Diese Tendenz wird verstärkt durch den mit der Systematisierung der Ethik notwendig auftretenden Zusammenstoß des ethischen Kosmos der inneren Lebensführung mit der äußeren empirischen Realität der Welt, denn die Gegensätzlichkeit bringt Dynamik und Veränderung. Die ethische Prophetie ruht gewöhnlich auf der Idee eines persönlichen Schöpfergottes, aber es gibt keine zwangsläufige Verbindung zwischen Ethik und Monotheismus. Maßgebend für den Einfluß der Religion auf die Lebensführung sind auch der Erlösungsweg und die Art des erwünschten Heils. Wo nicht der einzelne selbst die Erlösung bewirkt, sondern ein Heros, inkarnierter Gott oder Heiland,5 bleibt die Aneignung der Gnadengüter oft magisch oder ritualistisch bestimmt. Diese Sakramentsgnade braucht entweder neben dem Heiland einen Priester, der kraft eigenen Charismas zur Gnadenspendung fähig ist, oder sie wandelt sich zur kontinuierlichen Gnadenspendung im Rahmen einer religiösen Anstalt. Die Erlösung ist dann universell und wird kraft Absolution jedem Mitglied zuteil, was für den einzelnen eine gewaltige innere Entlastung bedeutet. Wo die »certitudo salutis« nicht notwendig aus eigener Kraft zu erringen ist, wird der Gehorsam, die Unterwerfung unter die Autorität der Anstalt, zur wichtigsten Heilsbedingung, denn Erlösung bringt sie allein: extra ecclesiam nulla salus. Eine Gnadenanstalt in diesem Sinn ist die katholische Kirche. Aber auch dort, wo die Erlösung durch den Gläubigen selbst zu erlangen ist, sind die Wirkungen der Religion auf den Alltag unterschiedlich.6 Schon im Fall ritueller Kulthandlungen ist zum Beispiel das Leben des Hindu völlig bestimmt, während Mysterienkulte, die nur eine vorübergehende innere religiöse Zuständlichkeit erstreben, kaum Auswirkungen auf den Alltag haben. Größer ist der Einfluß, wo aktives rituelles Handeln und besondere Schulung erforderlich sind wie im Judentum. Wo auch die Alltagsethik systematisch reglementiert wird, bedeutet es ein Zugeständnis an die menschliche Schwäche, wenn die Handlungen als einzelne genommen werden wie in der Karmanlehre oder im Katholizismus. Die Lebensführung ist dann ein unmethodisches Nebeneinander einzelner ethischer Handlungen. Dementsprechend ist zum Beispiel gemäß der katholischen Lehre die einmalige Sünde durch die einmalige Buße aus der Welt zu schaffen. Erst wenn der Mensch als eine ethische Gesamtpersönlichkeit verstanden wird, und seine Einzelleistungen als Teile einer systematischen, einheitlich methodisch orientierten Lebensführung aufgefaßt werden, kommt es zu einem ethischen Rigorismus. Wichtig wird jetzt der Gesamthabitus der Lebensführung, und um sie angemessen zu gestalten, die Selbstvervoll-

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kommnung des Menschen, zu erreichen auf dem Wege einer ausgefeilten Heilsmethodik. 7 Schon die Magie kennt besondere Methoden zur Erwekkung magischer Kräfte oder zur Selbstvergottung: die Ekstase oder die Orgie. Da diese mit einer rational ethischen Lebensführung nicht vereinbar sind, muß schon die ethische Prophetie sie zugunsten rationaler Methoden ablehnen, mit denen sie aber an die magische Erfahrung außeralltäglicher körperlicher Zustände anknüpft. Doch geht es ihr nicht um einen vorübergehenden Zustand, sondern um einen religiösen Dauerhabitus. Aus den vielen möglichen Wegen und inneren Zuständlichkeiten sondern sich wenige aus, die zum kontinuierlichen Haben der Heilsgewißheit führen und zur dauernden einheitlichen Grundlage der Lebensführung taugen. Gemeinsam ist ihnen die Ausschaltung aller irrationalen Mittel. »Und wie deshalb die Pflege disziplinierten kriegerischen Heldentums bei den Hellenen die Heldenekstase schließlich zur stetigen Ausgeglichenheit der ›Sophrosyne‹ ausbalancierte, ... so entwickelte sich die mönchische Heilsmethodik immer rationaler ... Immer mehr wird die Methodik dabei zu einer Kombination physischer und psychischer Hygienik mit ebenso methodischer Regulierung alles Denkens und Tuns, nach Art und Inhalt, im Sinn der vollkommensten wachen, willensmäßigen und triebfeindlichen Beherrschung der eigenen körperlichen und seelischen Vorgänge und einer systematischen Lebensreglementierung in Unterordnung unter den religiösen Zweck. Der Weg zu diesem Ziel und der nähere Inhalt des Zieles selbst sind an sich nicht eindeutig, und die Konsequenz der Durchführung der Methodik ist ebenfalls sehr schwankend.«8 In jedem Fall aber führt der Versuch, diesen Weg zu gehen, zu der Erfahrung, daß er eine religiöse Qualifikation verlangt, die nicht jedem eignet. Religiöse »Virtuosen«3 bilden innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen einen besonderen Stand und suchen die zwei sich herausbildenden zentralen Arten der Heilsmethodik zu verwirklichen: die Mystik und die Askese. Beide stehen der kreatürlichen Welt ablehnend gegenüber, doch hat dies unterschiedliche Konsequenzen. Für die Mystik ist das Heilsgut eine innere Zuständlichkeit. Daher erhofft sie, die mystische Erleuchtung durch systematische Kontemplation und Ausschaltung aller Alltagsinteressen zu erreichen. Die Mystik zeigt sich in zwei Formen: zunächst in der Weltflucht, die auf dem Wege des Nichthandeins und Nichtdenkens ein inkommunikables Wissen, einen Gefühlshabitus des Ruhens im Göttlichen, die »unio mystica«, zu erlangen sucht. Die weltflüchtige Mystik bleibt auf diesem Wege angewiesen auf die Gaben der Welt und kann den Heilsaristokratismus daher nicht überwinden. Die innerweltliche Mystik dagegen will den Gnadenstand gegenüber der Welt behaupten, sieht aber gleichzeitig das aktive Handeln als Versuchung an und reduziert es soweit wie möglich. Ansonsten schickt sie sich in

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die Ordnungen der Welt, ohne daß ein hier erzielter Erfolg im Handeln irgendeine Bedeutung hätte. In der Indifferenz gegen äußere Ordnungen erkennt Weber noch einen mystischen Einschlag im Luthertum. Der Entwicklung rationaler Ordnung sind in der Mystik Grenzen gesetzt, erkennbar nicht zuletzt an ihrer Tendenz zum Chiliasmus. Anders das aktiv ethische Handeln der Askese. Die Heilsgewißheit bewährt sich hier in einem Tun, das nach Sinn, Mittel und Zweck, nach Prinzipien und Regeln eindeutig organisiert ist. Wiederum lassen sich zwei Formen unterscheiden: die den Rückzug aus der Welt bevorzugende, also weltflüchtige Askese des Mönchtums und die innerweltliche Askese, der gemäß sich die heilige Gesinnung an den Ordnungen der Welt erprobt. Sie wird entweder versuchen, die Welt ihren Idealen entsprechend umzugestalten oder, wo die Welt als unverbesserlich angesehen wird, diese doch als Betätigungsfeld für die aktive Bewährung ihrer Gesinnung zu benutzen. In jedem Fall fördert sie die ethisch-rationale Ordnung und Disziplinierung der Welt auf allen Gebieten und eine systematische Lebensführung. Die Ordnungen der Welt werden ihr zum Beruf; Erfolg ist ihr ein Zeichen für den Segen Gottes. Die kontemplative Mystik ist nicht ausschließlich, aber vorwiegend, eine Angelegenheit des asiatischen Raumes. Die Gründe dafür liegen in ihrem verwandtschaftlichen Verhältnis zu der sich hier entwickelnden Vorstellung einer übergeordneten Weltordnung, der gemäß sich der Gläubige als ein Gefäß des Göttlichen empfindet. Die aktive Askese ist vorwiegend okzidental. Sie verbindet sich mit der vorderasiatisch-okzidentalen Idee eines persönlichen allmächtigen Schöpfergottes, der selbst aktiv ist. Seine Anhänger verstehen sich dementsprechend als ein Werkzeug Gottes und können Erlösung nur durch aktives Handeln erhoffen.9 Doch die Gründe für die Entwicklung der Askese im Okzident liegen auch auf anderen Gebieten. Nur hier, genauer: im römischen Bereich, hat sich ein rationales Recht entwickelt, dem entsprechend auch die Beziehung zu Gott wie ein Rechts- oder Untertanenverhältnis aufgefaßt wird. In der Ablehnung der Ekstase und der individuellen Heilssuche durch den Amtsadel Roms sieht Weber eine Quelle für den streng sachlichen Rationalismus aller römischen Religiosität. Bestimmt auch vom rationalen Charakter jüdischer Erlösungsmethodik übernimmt das Christentum diesen praktisch nüchternen Rationalismus. Er stellt für Weber das wichtigste Erbteil des Römertums in der Kirche dar und bestimmt maßgeblich die dogmatische und ethische Systematisierung des Glaubens. Die weitere Entwicklung der Heilsmethodik bleibt in der einen oder anderen Form immer an diese Vorgabe gebunden. Zwar sind die asketischen Elemente in der Benediktinerregel und der kluniazensischen Reformbewegung nicht sehr ausgeprägt, aber hier wird die Arbeit als ein 146 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

hygienisches Mittel der Askese entdeckt, das in der Zisterzienserregel noch an Gewicht zunimmt. Auch das Bettelmönchtum dient bald rationalen Zwecken: der systematischen Caritas, der Predigt und der Ketzerjurisdiktion. Damit wird es in die Angelegenheiten der Kirche eingebunden, wie dies in gesteigertem Maße auch für den Jesuitenorden gilt, der keine asketischen Mittel mehr kennt, dafür aber die rationale Disziplinierung vollendet. Das Mönchtum wird so zunehmend »zur disziplinierten Truppe einer rationalen Amtsbürokratie«. 10 Die maßgebende Rolle der Kirche ergibt sich aus ihrer rational hierarchischen Organisation, die neben dem himmlischen noch einen irdischen Herrscher kennt, der bestimmend in die Lebensführung eingreifen kann. Die asiatischen Religionen kennen eine Organisation dieser Art nicht. Gleichfalls fehlt ihnen die Systematisierung des Mönchslebens zu einer vollständig asketisch rationalen Lebensführung. Und: nur der Okzident kennt die Übertragung der weltflüchtigen Askese mönchischen Lebens in das Weltleben hinein - als Leistung des asketischen Protestantismus. »Nicht Keuschheit, wie beim Mönch, aber Ausschaltung aller erotischen ›Lust‹, nicht Armut, aber Ausschaltung allen rentenziehenden Genießens und der feudalen lebensfrohen Ostentation des Reichtums, nicht die asketische Abtötung des Klosters, aber wache, rational beherrschte Lebensführung und Vermeidung aller Hingabe an die Schönheit der Welt oder die Kunst oder an die eigenen Stimmungen und Gefühle sind die Anforderungen, Disziplinierung und Methodik der Lebensführung das eindeutige Ziel, der ›Berufsmensch‹ der typische Repräsentant, die rationale Versachlichung und Vergesellschaftung der sozialen Beziehungen die spezifische Folge der okzidentalen innerweltlichen Askese im Gegensatz zu aller anderen Religiosität der Welt.«11 Dieser innerweltlichen Askese muß nach Weber eine starke prägende Wirkung auf das gesamte Weltleben zugeschrieben werden. Der Einfluß der asketischen Richtungen des Protestantismus auf das Geschäftsleben, genauer: auf die Entwicklung des modernen Kapitalismus, war ja Ausgangspunkt seiner religionssoziologischen Untersuchungen in den Arbeiten über die protestantische Ethik. Als asketischer Protestantismus werden hier der Calvinismus, vor allem der sich aus ihm entwickelnde Puritanismus angesprochen, der Methodismus und Pietismus als weniger wichtige Ausprägungen, da beide auch der Gefühlsreligiosität noch Raum lassen, sowie die protestantischen Sekten der Täufer-Bewegung: Baptisten, Mennoniten und Quäker. Bei ihnen entdeckt Weber einen Gleichklang in den ethischen Maximen bei durchaus unterschiedlicher Dogmatik. Doch eben auf diese kommt es ihm nicht an, sondern, worauf er immer wieder hinweist, auf die sich daraus ergebenden psychologischen Antriebe zu einer bestimmten praktischen Haltung, 12 die dem »Geist« des Kapitalismus, verstanden als

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eine »ethisch gefärbte(n) Maxime der Lebensführung«,13 auf die Sprünge hilft und ihn zu einer Massenerscheinung macht. Kapitalismus ist hier für Weber nicht der zum Teil irrationale und spekulative schlichte Erwerbstrieb, den es immer und überall gegeben hat, sondern die neuzeitlich-okzidentale »ganz andere und nirgends sonst auf der Erde entwickelte Art des Kapitalismus: die rational-kapitalistische Organisation von (formell) freier Arbeit«.14 Orientiert am Marktgeschehen wirkt sie auf der Basis eines rational organisierten Betriebes, einer exakten Kalkulation und einer rationalen Kapitalrechnung. Die historischen Bedingungen der Möglichkeit eines solch systematischen Vorgehens sind vielfältig und umfassen unter anderem die Trennung von Haushalt und Betrieb, ein nach formalen Regeln arbeitendes berechenbares Recht und eine ebensolche Verwaltung sowie die Berechenbarkeit technischer Faktoren, und das heißt die Eigenart der abendländischen Wissenschaft. Dabei wird die Entwicklung all dieser Bereiche wiederum beeinflußt von den Bedürfnissen der kapitalistischen Wirtschaft. Darüber hinaus aber »ist der ökonomische Rationalismus in seiner Entstehung auch von der Fähigkeit und Disposition des Menschen zu bestimmten Arten praktisch-rationaler Lebensführung überhaupt abhängig. Wo diese durch Hemmungen seelischer Art obstruiert war, da stieß auch die Entwicklung einer wirtschaftlich rationalen Lebensführung auf schwere innere Widerstände«. Nicht nur auf Grund äußerer historischer Bedingungen, sondern auch wegen innerer Hemmungen gibt es daher in allen anderen Kulturkreisen, wie Weber zeigt, bestenfalls Vorstufen des rationalen Kapitalismus, hat sich dieser selbst aber nie voll entwickelt und wird erst in der Neuzeit von außen kommend übernommen. »Zu den wichtigsten formenden Elementen der Lebensführung nun gehörten in der Vergangenheit überall die magischen und religiösen Mächte und die im Glauben an sie verankerten ethischen Pflichtvorstellungen.«15 So wird im Okzident die Reformation zu einer Ursache der Durchsetzung der kapitalistischen Wirtschaftsform, nicht im Sinn eines strengen Kausalverhältnisses, sondern einer »Wahlverwandtschaft« zwischen rationaler Wirtschaft und bestimmten Formen der Religion, die eine gewisse Lebenspraxis fördern, indem sie ihr eine ethische Basis geben. An zentraler Stelle steht für Weber das calvinistische Dogma der Prädestination, das Wissen darum, daß von Ewigkeit her das dieseitige und jenseitige Schicksal eines jeden einzelnen vorherbestimmt, daß ein Teil der Menschen selig und ein Teil verdammt ist. Dies wird bestimmt durch den freien, nur vom Standpunkt des Menschen aus irrational erscheinenden Ratschluß eines Gottes, der zu einem absolut transzendenten Wesen geworden und jedem menschlichen Begreifen entzogen ist, und auf dessen 148 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Güte nicht gerechnet werden darf. Diese Bestimmung ist durch kein persönliches Verdienst zu ändern. Und kein Prediger, keine Kirche, kein Heiland und kein Sakrament kann helfen, denn sie markieren Reste magischen Verhaltens. Doch im asketischen Protestantismus findet »jener große religionsgeschichtliche Prozeß der Entzauberung der Welt, welcher mit der altjüdischen Prophetie einsetzte und, im Verein mit dem hellenischen wissenschaftlichen Denken, alle magischen Mittel der Heilssuche als Aberglaube und Frevel verwarf, ... seinen Abschluß«.16 Die Prädestinationslehre »in ihrer pathetischen Unmenschlichkeit« führt zum »Gefühl einer unerhörten inneren Vereinsamung des einzelnen Individuums«,17 das, den unerforschlichen Ratschluß Gottes nicht durchschauend, nicht weiß, ob es zu den Erwählten gehört und in einer Welt leben muß, die auf Grund ihrer Gottferne völlig wertlos erscheint. Hier liegt der Grund der negativen Haltung des asketischen Protestantismus gegenüber allem Sinnlichen, dessen Wertschätzung für ihn Kreaturvergötterung ist. Die Welt, deren eigene Angelegenheiten völlig gleichgültig sind, dient allein der Selbstverherrlichung Gottes. Zu dessen höherer Ehre erfüllt der Christ seine Gebote, zu denen auch eine entsprechende soziale Gestaltung des Lebens gehört. Dem dient auch die Berufsarbeit, die »dabei einen eigentümlichen sachlich-unpersönlichen Charakter« annimmt: »den eines Dienstes an der rationalen Gestaltung des uns umgebenden gesellschaftlichen Kosmos«.18 Nach dem Sinn wird nicht mehr gefragt, womit das Theodizee-Problem sich erübrigt. »Diese sittliche Qualifizierung des weltlichen Berufslebens« ist nach Weber »eine der folgenschwersten Leistungen der Reformation«.19 Sie wird bereits von Luther erbracht, denn daß nicht das außerweltliche Mönchsleben, sondern allein die innerweltliche Pflichterfüllung Gott wohlgefällt, betont schon er. Aber seine Forderung nach Gehorsam gegen die Obrigkeit und Schickung in jede Lebenslage kam der ökonomischen Rationalität kaum entgegen. Erst für den Calvinismus ist die Gestaltung des innerweltlichen Lebens eine Aufgabe. Obwohl schon bei Luther ›Beruf‹ als ›Beruf3ung‹ verstanden wird,20 erhält die Berufsidee doch erst hier die folgenreiche religiöse Basis, vor allem im Puritanismus, den Weber in idealtypischer Vereinfachung in den Mittelpunkt stellt. Gott will die rationale Berufsarbeit mit ihrem methodisch-asketischen Zug. Arbeit ist nicht mehr nur asketisches Mittel, wie es im Abendland stets zu Hause war, sie ist Selbstzweck. Wurde der Gelderwerb bisher von der Kirche bestenfalls toleriert und als sittlich indifferent angesehen, so erhält er nun, im Verein mit der Berufsarbeit eine positiv religiöse Wertung - denn: Erfolg im Beruftleben ist ein Zeichen dafür, daß der Gläubige sich im Gnadenstand befindet. Um nicht dem Fatalismus zu erliegen, der sich als Konsequenz aus der Prädestinationslehre ergeben kann, wird für den Gläubigen im Alltag die

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Gnadengewißheit, nach Calvin unmöglich zu erlangen, lebensnotwendig. 21 Einziger Weg, diese Selbstgewißheit zu erreichen, ist die rasdose Berufsarbeit. Luthers »unio mystica« ist dem Calvinisten auf Grund der absoluten Transzendenz Gottes verschlossen. Doch Gott wirkt im Gläubigen. Dessen Handeln zeigt sich dem entsprechend, denn seine Lebensführung ist ein Zeichen seines Gnadenstandes; eine Gewißheit, die er sich selbst schafft, nicht durch Einzelleistungen, sondern durch systematische Kontrolle seines Tuns. »Die ethische Praxis des Alltagsmenschen wurde so ihrer Plan- und Systemlosigkeit entkleidet und zu einer konsequenten Methode der ganzen Lebensführung ausgestaltet. ... Das Leben des ›Heiligen‹ war ausschließlich auf ein transzendentes Ziel: die Seligkeit, ausgerichtet, aber eben deshalb in seinem diesseitigen Verlauf durchweg rationalisiert und beherrscht von dem ausschließlichen Gesichtspunkt: Gottes Ruhm auf Erden zu mehren; - und niemals ist mit dem Gesichtspunkt ›omnia in majorem dei gloriam‹ so bitterer Ernst gemacht worden. Nur ein durch konstante Reflexion geleitetes Leben aber konnte als Ueberwindung des status naturalis gelten ... Diese Rationalisierung nun gab der reformierten Frömmigkeit ihren spezifisch asketischen Zug«.22 Nicht zwangsläufig ist die Prädestinationslehre die dogmatische Grundlage dieser Entwicklung. Bei den täuferischen Gemeinschaften, die keine Kirche bilden, in die man hineingeboren wird, sondern eine Sekte, der allein persönlich religiös-ethisch Qualifizierte angehören, ist der Gedanke der individuellen Offenbarung Gottes die Grundidee. Daraus folgt nicht allein die Bedeutung des Gewissens als letzte maßgebende Instanz, die keine kirchliche Sakramentenlehre duldet, also auch hier die Entzauberung radikal ausführt, sondern auch eine methodische Sittlichkeit im Harren auf die Offenbarung Gottes, denn Gott redet allein, wo die Kreatur schweigt. Die Orientierung am eigenen Gewissen, das dem Handeln in ruhiger Erwägung den Weg weist, begründet hier das innerweltliche asketische Leben. 23 Die protestantische Askese erzieht so zu einem bewußten, wachen Leben, zur »Persönlichkeit«, deren Beziehung zur Welt durch konstante, affektbeherrschende Motive gekennzeichnet ist, in deren Mittelpunkt die Gnadengewißheit steht. Sie verleiht der rastlosen Berufsarbeit eine religiöse Wertung und ist in der Lage, die Bindung an Traditionen und Autoritäten zu sprengen, denn man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. Auf diese Weise fördert der asketische Protestantismus den »Geist« des Kapitalismus, und zwar durchaus gegen die eigenen Absichten, die allein das Seelenheil betreffen - für Weber ein Beispiel für die unberechenbare Wirkung von Ideen in der Geschichte. Der puritanische Lebensstil führt zum Geldgewinn, zum Reichtum, der aber nicht genossen werden darf, denn dies lenkt ab von der heiligen Gesinnung und ist als Kreaturvergötterung sittlich höchst bedenklich. 24

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Stattdessen wird der Gewinn als Anlagekapital verwendet und bringt neuen Gewinn. Was hier entsteht ist »ein spezifisch bürgerliches Berufoethos«, das »ein pharisäisch gutes - Gewissen beim Gelderwerb« 25 zu haben erlaubt. Und nicht allein das. »Die Macht der religiösen Askese stellte ihm überdies nüchterne, gewissenhafte, ungemein arbeitsfähige und an der Arbeit als gottgewolltem Lebenszweck klebende Arbeiter zu Verfügung. Sie gab ihm dazu die beruhigende Versicherung, daß die ungleiche Verteilung der Güter dieser Welt ganz spezielles Werk von Gottes Vorsehung sei«. Sie »legalisierte ... die Ausbeutung« und schuf eine ethische Verklärung des »Fachmenschentums« und des »Geschäftsmenschen«. 26 Eine derartige Entwicklung, welche eine durchorganisierte rationale Lebensführung prämiert, die sich als weltformende Askese gestaltet, hat es trotz ähnlicher Ansätze in anderen Kulturen nur im Okzident gegeben. Wach, beherrscht und ein gleichmäßiges Leben führend ist, so Weber, auch der Konfuzianer, der buddhistische wie jeder Mönch, der arabische Scheich und der römische Senator. Doch der Sinn der Selbstbeherrschung ist ein je eigener, und diese hat daher je eigene Auswirkungen. So kennt beispielsweise auch der Buddhismus eine rationale Ethik und fordert die Affektbeherrschung. Doch sein Ziel ist die Erlösung von der vergänglichen Welt und allen weltlichen Interessen, das Nicht-Handeln sein Ideal. Er zeigt ebensowenig wie Taoismus und Hinduismus irgendeine Neigung, die kreatürliche Welt zu formen, denn deren Ordnung ist gegeben und ewig. Vom asketischen Protestantismus selbst gesehen wurde seine Nähe zum Judentum, aber auch die deutliche Grenze. 27 Die nüchterne hebräische Lebensweisheit des Alten Testamentes stimmt mit seinen Grundsätzen überein, aber die innerweltliche Lebensmethodik des Judentums ist intellektualistische Gesetzesschulung und Handeln nach rituellem Gesetz zur Erfüllung von Gottes Geboten. Sie bleibt letztlich Stimmungsfrömmigkeit und ist kein asketisches Handeln. Die Schätzung des Reichtums schließlich und der gewünschte Erfolg im Erwerb sind weit entfernt von religiösethischer Bewährung und bleiben im Rahmen traditionellen Verhaltens. So hat allein im Okzident, im Verein mit einer Fülle von inneren und äußeren Voraussetzungen, der asketische Protestantismus eine Wirtschaftsordnung religiös ethisch verbrämt und den »Geist« des Kapitalismus geschaffen, der wesentlich dazu beitrug, diese Wirtschaftsordnung zu einer Massenerscheinung zu machen. Und heute? »Die heutige kapitalistische Wirtschaftsordnung ist ein ungeheurer Kosmos, in den der einzelne hineingeboren wird und der für ihn, wenigstens als einzelnen, als faktisch unabänderliches Gehäuse, in dem er zu leben hat, gegeben ist.« 28 Der Kapitalismus hat sich durchgesetzt und

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ruht nun auf einer mechanischen Grundlage, welche die ethische Ausdeutung als Stütze nicht mehr braucht. Geist und Form einer Wirtschaftsordnung stehen in adäquater Beziehung, nicht in gesetzlicher Abhängigkeit zueinander, können also auseinanderfallen. Die Form der Lebensführung ist geblieben, aber sie läßt sich auf keine Religion oder sonstige einheitliche Weltanschauung mehr zurückführen. 29 Die asketische Erscheinung blieb der Berufsarbeit erhalten, denn nur die Facharbeit ist heute wertvoll. Sie aber bedeutet Entsagung, den »Verzicht auf die faustische Allseitigkeit«, den »Abschied von einer Zeit vollen und schönen Menschentums«. »Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, - wir müssen es sein. Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos der modernen ... Wirtschaftsordnung erbauen, der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden - nicht nur der direkt ökonomisch Erwerbstätigen - , mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist.«30 Aus dem Kapitalismus wurde ein »stahlhartes Gehäuse«, dem sich niemand entziehen kann, denn »indem die Askese die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über den Menschen, wie niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist - ob endgültig, wer weiß es? - aus diesem Gehäuse entwichen ... und als ein Gespenst ehemals religiöser Glaubensinhalte geht der Gedanke der ›Berufspflicht‹ in unserm Leben um«.31 Am Ende der Protestantischen Ethik schlägt die historische Analyse um in eine Gegenwartsdiagnose, die, so darf man annehmen, ursprünglich der Ausgangspunkt des Interesses war. Doch ist es auch mehr als nur eine durch historische Aufarbeitung fundierte Diagnose: mit Aussagen wie den oben wiedergegebenen wird Weber zum Kulturkritiker. Das Wirtschaftssystem des Kapitalismus ist für ihn einer der Bereiche, an denen besonders deutlich wird, daß der spezifisch okzidentale Rationalisierungsprozeß Elemente begünstigt hat, die zur Vorherrschaft einer bestimmten Art von Rationalität geführt haben: der Zweckrationalität, die allein an der Effizienz des formal-rationalen, technischen Zusammenhangs von Zweck und Mitteln eines Vorgangs interessiert ist, während die materiale, die sich an der Verwirklichung von Werten orientiert, ins Hintertreffen gerät. In der ethisch begründeten Berufsidee des Protestantismus liefen für eine Weile materiale und formale Rationalität parallel und machten den Kapitalismus zur »schicksalsvollsten Macht unsres modernen Lebens«. 32 Sie erscheint heute stärker denn je, obgleich der Bruch zwischen religiöser und ökono-

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mischer Sphäre längst radikaler als je zuvor vollzogen ist, und von Askese und ethischer Orientierung keine Rede mehr sein kann. Es bleibt einzig das mechanische Funktionieren der kapitalistischen Fabrikdiziplin, welche nur Interessen gelten läßt, die ihr dienen; es bleibt die formale Rationalität einer Wirtschaftsordnung, die in irrationaler Verkehrung längst vom Mittel zum Zweck wurde, in zunehmendem Maße unangreifbarer wird und das Leben des Menschen weithin bestimmt. Der auf formal-rationaler Basis arbeitende Kapitalismus erzwingt eine Lebensführung, die seinen Bedürfnissen angepaßt ist und bindet den Menschen damit in Abhängigkeiten, welche seine Freiheit zunehmend einengen. Der Geist des Kapitalismus ist zum Zwang der Versachlichung geworden.33 Diese Tendenzen sieht Weber erweitert durch eine zweite übergreifende, ja noch mächtigere Ordnung, in deren Entwicklung er ebenfalls einen permanenten Fortschritt in Richtung formaler Rationalität erkennt: die Bürokratie. Auch sie ist als Verwaltungsmittel weder eine Erfindung der Neuzeit noch des Okzidents, doch findet sich auch in diesem Fall eine ganz spezifische Entwicklung, die die moderne rationale Bürokratie hervorbringt. Sie meint in ihrem reinsten Typus einen Verwaltungsstab, der sich aus frei ausgewählten und ernannten Beamten rekrutiert, für die das Amt »Beruf« ist. Sie ist weiterhin gekennzeichnet durch die völlige Trennung des Beamten von den Mitteln der Verwaltung, eine feste Amtshierarchie mit genauer Verteilung der Kompetenzen, eine hohe Fachqualifikation, strenge Disziplin und Kontrolle, feste Regeln der Amtsführung und eine Treuepflicht, die nicht einer Person, sondern dem sachlichen Zweck gilt.34 Die Orientierung an Zweck und Mitteln, formalistische Unpersönlichkeit, eine Tätigkeit »sine ira et studio« und ohne Ansehen der Person und konkreter Inhalte, kennzeichnen die Arbeit der Bürokratie, die um so vollkommener ist, je mehr sie sich ›entmenschlicht‹ und alle unberechenbaren Irrationalitäten wie Empfindungen ausschaltet. Mit diesen Eigenschaften ist sie an Genauigkeit und Verläßlichkeit, an technischer Leistung nicht zu überbieten, ein »Präzisionsinstrument«, das sich allen Verwaltungsinteressen anbietet. Sie findet sich daher in allen modernen Verbandsformen, in Staat, Rechtswesen und Parteien, Armee und Kirche ebenso wie in Forschung und Lehre. Ein enger Zusammenhang besteht vor allem auch zwischen Bürokratie und Kapitalismus, die sich schon in ihrer Entstehung gegenseitig förderten, obwohl beide aus anderen Ursprüngen hervorgehen. Heute sind die kapitalistischen Betriebe »unerreichte Muster straffer bürokratischer Organisation«.35 So ist die Macht der Bürokratie bis zur Unentbehrlichkeit gediehen. Die moderne Kultur mit ihren ökonomisch-technischen Gegebenheiten kann auf Berechenbarkeit nicht verzichten und verlangt den »menschlich unbeteiligten, daher streng ›sachlichen‹ Fachmann«,36 der den rationalen Regeln

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des modernen Lebens gemäß handelt. Vor allem in der fachlichen Kompetenz liegt die Unentbehrlichkeit der Bürokratie begründet, so daß nunmehr nur die Wahl bleibt zwischen Bürokratisierung und Dilettantisierung. Da ihr mittlerweile auch die elementarsten Bedingungen des Alltagslebens unterliegen, wäre das Ergebnis einer Einstellung ihrer Arbeit schlechterdings das Chaos, so daß selbst revolutionäre Ordnungen an die Bürokratie gebunden bleiben. Die »Grundtatsache des unauf3haltsamen Vormarsches der Bürokratisierung«, die permanente Ausweitung ihres formal-rationalen Zugriffs aber fordert Webers Kritik heraus, denn Bürokratie ist wie eine rastlos arbeitende lebende Maschine und »im Verein mit der toten Maschine ist sie an der Arbeit, das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen, in welche vielleicht dereinst die Menschen sich, wie die Fellachen im altägyptischen Staat, ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden«. Die Bürokratie wird gefährlich, wenn eine »rein technisch gute und das heißt: eine rein rationale Beamten-Verwaltung und -Versorgung der letzte und einzige Wert ist«,37 den Menschen in ihr sehen, wenn sie keinem höheren Zweck mehr dient, sondern sich von einem Mittel zum Selbstzweck wandelt, der die Versachlichung auf seine Fahnen geschrieben hat. Dann schafft sie Ordnungsmenschen, »die ›Ordnung‹ brauchen und nichts als Ordnung, die nervös und feige werden, wenn diese Ordnung einen Augenblick wankt, und hilflos, wenn sie aus ihrer ausschließlichen Angepaßtheit an diese Ordnung herausgerissen werden«.38 Weil damit jede Auseinandersetzung zwischen Wertstandpunkten erstickt wird, gehört auch der Politiker Weber zu den härtesten Kritikern einer Ausweitung bürokratischer Arbeit in ihr nicht zustehende Dimensionen, wie er sie im Deutschland seiner Zeit feststellt. Der Vorwurf an das Beamtentum, sich der Politik zu bemächtigen und die Betonung des grundlegenden Unterschiedes zwischen dem schlicht Anweisungen ausführenden Beamten und dem im leidenschaftlichen Kampf seine Position vertretenden Politiker gehören ebenso in diesen Zusammenhang wie Webers Eintreten für die plebiszitäre Wahl des politischen Führers und eine starke Position des Reichspräsidenten, den er auch als notwendige Gegeninstanz zur Herrschaft der Bürokratie sieht.39 Die institutionalisierte formale Rationalität in Form der Bürokratie oder der kapitalistischen Wirtschaft ist von sich aus unfähig zur Erneuerung und Veränderung gesellschaftlich-politischer Art. Sie braucht den Anstoß von außen, durch den führenden Politiker, durch die kapitalistische Unternehmerpersönlichkeit, durch das außeralltägliche Charisma. Hier liegt auch ein wesentliches Element für Webers Ablehnung des Sozialismus, in dem er angesichts verstaatlichter oder gemeinwirtschaftlicher Betriebe vor allem auch eine Ausweitung der Staatsbürokratie sieht, während eine marktwirt154 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

schaftliche Orientierung Raum läßt für ein gewisses Maß an Dynamik und Freiheit. Aus diesem Blickwinkel kann der Sozialismus keine Alternative sein, wenn es zukünftige politische Ordnungen schon heute an der Frage auszurichten gilt, wie es »angesichts dieser Übermacht der Tendenz zur Bürokratisierung überhaupt noch möglich (ist), irgendwelche Reste einer in irgendeinem Sinn ›individualistischen‹ Bewegungsfreiheit zu retten«.40 Die permanente Ausweitung des Industrie-Kapitalismus, die um sich greifende Bürokratisierung und die Machtsteigerung beider in ihrem Zusammenhang sind die immer mehr Raum beanspruchenden Vorreiter einer Formalisierung und Versachlichung des menschlichen Lebens. Mit der rationalen Durchorganisation aller Bereiche bringt der okzidentale Rationalisierungsprozeß eine Veräußerlichung des menschlichen Lebens mit sich, eine Verkümmerung der materialen Seite, denn eine vollendete formale Rationalität ist nur mit materialen Irrationalitäten zu erkaufen. Die Unterdrückung der Arbeiter und die am Einzelfall orientierte, mit dem rationalen Recht zusammenstoßende ethische Forderung nach Gerechtigkeit sind dafür nur Beispiele.41 Die ungeheure Eigendynamik, die die formale Rationalität kraft ihres Erfolges in Lebensordnungen wie dem modernen Kapitalismus und der Bürokratie entwickelt, macht Revisionen und Reformen immer schwieriger. Sinnleere, Zwangscharakter und eiserne Routine bestimmen zunehmend das Verhalten des Menschen und lassen die Gefahr real erscheinen, daß er in immer weiteren Teilen seiner Existenz ebenso formal-rational funktionieren könnte. Denn jede völlig durchrationalisierte Lebensordnung bedarf nicht nur keiner ethisch-moralischen Ausdeutung, sie entzieht sich jeder Ethisierung. Sie ist weder gut noch schlecht, begründet ihr Dasein aus sich selbst heraus und wird unangreifbar. Die reine Sachlichkeit entzieht jedem ethischen Urteil die Basis, bis selbst der Versuch zur ethischen Stellungnahme nur Schein bleibt, weil die Lebensführung des einzelnen sich tatsächlich der Funktionstüchtigkeit der bestimmenden Ordnung anzupassen hat. Dennoch: bei aller Kritik an den Manifestationen des okzidentalen Rationalismus ist Webers Haltung nicht nur ablehnend, sondern durchaus ambivalent, in weiten Teilen bejahend. Er bekennt sich zur bürgerlichen Kultur, als deren Vertreter er sich ausdrücklich darstellt, schätzt die technische Überlegenheit der Bürokratie, die Leistungen des Kapitalismus, und seine persönliche Wertschätzung der protestantisch-asketischen Lebensweise ist immer wieder hervorgehoben worden. Vor allem aber hat der Zwangscharakter des okzidentalen Rationalismus eine andere Seite: die der Freiheit. Je stärker der Entschluß eines Handelns der Determiniertheit des rein Natürlichen entzogen ist, je unbeeinflußter er sich von Affekten und Traditionen zeigt, um so freier ist er, um so eher ist sein Handeln an den

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Kategorien Zweck und Mittel ausgerichtet. Insofern ist das rationalste Handeln für Weber das freiste: »Mit dem höchsten Grad empirischen ›Freiheitsgefühls‹ ... begleiten wir ... gerade diejenigen Handlungen, welche wir rational ... vollzogen zu haben uns bewußt sind, in denen wir einen klar bewußten ›Zweck‹ durch seine, nach Maßgabe unserer Kenntnis ... adäquatesten ›Mittel‹ verfolgen.«42 Freiheit heißt also vor allem Freiheit der Wahl, der bewußten Wahl der Zwecke, während die Mittel weitgehend determiniert sind. Dies bedeutet an entscheidender Stelle die Wahl der eigenen letzten Werte. Voraussetzung für diese Art von Freiheit ist der okzidentale Rationalisierungsprozeß, der die Individuen prinzipiell aus allen irrationalen Bindungen befreit und Wahlmöglichkeiten überhaupt erst eröffnet. Mit der Gleichsetzung von Rationalität und Freiheit und einer konstatierten Entwicklung in diese Richtung steht Weber durchaus in der Tradition des Aufklärungsdenkens. 43 Von dessen optimistischer, euphorischer Haltung im Hinblick auf die Zukunft des Menschen ist bei Weber jedoch nichts mehr zu spüren, die »rosige Stimmung« der Aufklärung im »Verbleichen«. 44 Zu deutlich sieht er, daß die gleiche Rationalität, die Freiheit hervorgebracht hat, sie auf anderem Wege in einer Weise zu vernichten droht, die eine Umkehrung dieser Entwicklung zunehmend erschwert und am langsamen, aber stetig fortschreitenden Erstickungstod der Freiheit arbeitet. Sie erweist sich damit paradoxerweise als bedroht durch eine Entwicklung, die wie sie selbst aus dem Rationalisierungsprozeß hervorgeht. 45 Freiheit und Zwang, im Sinne eines erdrückenden Formalismus, entstehen und existieren mit- und nebeneinander und finden sich als polare Erscheinungen innerhalb des umfassenden Rationalisierungsprozesses. Weber sieht, daß dieser ursprünglich revolutionäre, weil anti-traditionale Prozeß in der Gegenwart aus sich selbst heraus zu erstarren droht, weil er Irrationalitäten in Form der Verkehrung von Zweck und Mitteln hervorbringt, die die Freiheit zerstören. Durch diese Einsicht in die ›Dialektik der Aufklärung‹ entsteht die Kulturkritik, die in Webers Arbeiten immer wieder aufleuchtet. So kann von rückhaltloser Bejahung der bürgerlichen Kultur seiner Zeit keine Rede sein. Zu deutlich ist seine Vision vom »Gehäuse der Zukunft«, zu eindeutig seine Absage an jeden Fortschrittsoptimismus. Denn »ausnahmslos jede, wie immer geartete Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen ist, wenn man sie bewerten will, letztlich auch daraufhin zu prüfen, welchem menschlichen Typus sie ... die optimalen Chancen gibt, zum herrschenden zu werden«. 46 In der bestehenden Ordnung haben es ideelle Interessen, vor allem ethische Orientierungen, offensichtlich schwerer als materielle. Das zweckrationale, kalkulierte Nützlichkeitsstreben, das sich an austauschbaren Er-

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folgswerten orientiert, ist am effektivsten, da es den gegebenen Ordnungsstrukturen am ehesten entspricht. Und die gesellschaftlichen Ordnungen sind mächtig genug, die Anpassung zu erzwingen, die Anpassung an die Bedingungen der »Welt«, wie im chinesischen Konfuzianismus, der den Menschen »keine systematische Einheit« werden ließ, keine Persönlichkeit im Sinne Webers, sondern nur »eine Kombination nützlicher Einzelqualitäten«.47 Und so »könnte für die ›letzten Menschen‹ dieser Kulturentwicklung das Wort zur Wahrheit werden: ›Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben‹«.48 Mit den »letzten Menschen« übernimmt Weber das Bild aus Nietzsches Zarathustra, das er auch in »Wissenschaft als Beruf« aufgreift. Die »letzten Menschen«, die »das Glück erfunden haben«, sind, es sei daran erinnert, für Nietzsche die »Verächtlichsten«, weil sie unfähig sind zur Sehnsucht. Unfähig, aus sich heraus den »Keim« der »höchsten Hoffnung« zu pflanzen, der allein es ihnen ermöglichen würde, über sich hinauszugehen, Übermenschliches anzustreben und ein hartes Leben zu ertragen. Der »letzte Mensch« aber flieht vor diesem Leben in die Wärme des ruhigen Gleichmaßes erfundenen Glücks. »Kein Hirt und eine Herde! Jeder will das Gleiche, jeder ist gleich: wer anders fühlt geht freiwillig ins Irrenhaus.« In dieser Sorge um den Menschen, ein zentrales Anliegen des Weberschen Werkes,49 zeigt sich die Verwandtschaft des kritischen Potentials seiner Arbeiten mit Nietzsches Auffassungen. Die Übermacht des Alltags, die Unfähigkeit, sich über die eigenen letzten Werte klar zu werden und sie konsequent zu verteidigen, die Ausweitung der Mittelmäßigkeit, das Verschwinden des Außeralltäglichen, das Dynamik und Entwicklungsfähigkeit erhält, Webers Sorge um den Bestand individueller Freiheit, Leidenschaft und Kreativität des Menschen, und die fatale Einstellung, in der Verkennung der tragischen Dimension, dies auch noch als Glück zu empfinden, spiegeln sich im Bild der »letzten Menschen«. Doch wo Nietzsche die Flucht in den Mythos ergreift, propagiert Weber das Standhalten, das heroische Aushalten einer Situation, die auf dem Menschen lastet, denn »Schwäche ist es: dem Schicksal der Zeit nicht in sein ernstes Antlitz blicken zu können«.50 Die Illusionslosigkeit Webers, ein Begriff, der Werk und Person kennzeichnet, führt ihn zu der Einsicht, daß der Lauf der Entwicklung nicht rückgängig zu machen ist. Dies ist kein Fatalismus, sondern das Wissen darum, daß es bis auf weiteres im Denken wie im Handeln keine akzeptable Alternative zur Rationalität geben wird, denn die Wiederverzauberung der Welt muß scheitern.51 Daher gilt es, das vorläufige Ergebnis des Rationalisierungsprozesses zu ertragen, und sich in dieser Gegenwart, in der rationalisierten Welt, einzurichten. Deshalb ist die Frage auch nicht »Wie kann man an dieser Entwicklung etwas ändern? -

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Denn das kann man nicht. Sondern: Was folgt aus ihr?« 52 Wie läßt es sich mit der Antinomie von Freiheit und Zwang leben? Wie ist es dabei möglich, Rationalisierung zu bejahen, weil sie Freiheit hervorbringt, deren einzige Chance zur Verwirklichung nun aber innerhalb des in der gleichen Entwicklung entstandenen »stahlharten Gehäuses« liegt, dessen Reichweite eingegrenzt werden muß, weil es jede Freiheit zu ersticken droht. Die zentrale Frage ist, was wir dem »entgegenzusetzen haben, um einen Rest des Menschentums freizuhalten von dieser Parzellierung der Seele«. 53 Webers pessimistische Grundhaltung läßt Raum für Hoffnung, seine Geschichtskonzeption ist prinzipiell in die Zukunft hinein offen und die weitere Entwicklung unberechenbar. »Niemand weiß noch, wer künftig in jenem Gehäuse wohnen wird und ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden, oder aber - wenn keins von beiden mechanisierte Versteinerung, mit einer Art von krampfhaftem Sich-wichtig-nehmen verbrämt.«54 Dies zu verhindern heißt zunächst bewußt zu machen, daß formal-rationale Mechanismen wie die kapitalistische Wirtschaftsordnung und die Bürokratie nicht um ihrer selbst willen existieren, sondern Mittel zum Zweck sind. Ihr ungestörter Funktionsablauf kann nicht der letzte Wert sein auf dem sie ruhen. Allein, wenn dies nicht vergessen wird, bleibt die Handlungsfähigkeit des Menschen innerhalb des »Gehäuses« erhalten. Unbedingte Voraussetzung dafür aber ist die Fähigkeit eines jeden einzelnen zur persönlichen Wertentscheidung. Webers immer wieder vorgebrachte Aufforderung, sich der eigenen letzten Werte bewußt zu werden, zielt darauf, diese Seite des Menschen nicht verkümmern zu lassen. Auf der Basis bewußter Wertentscheidung ein Leben zwischen Gesinnung und Verantwortung zu führen, ist das Gegenmittel gegen eine ausufernde Versachlichung.

2 . L e b e n zwischen Gesinnung u n d V e r a n t w o r t u n g Ein Ergebnis des Entzauberungs- und Rationalisierungsprozesses ist das Wissen um den unhintergehbaren und insofern absoluten Kampf der Werte und Wertsphären, der die Praxis des Lebens grundlegend bestimmt. Nachdem »der großartige Rationalismus der ethisch-methodischen Lebensführung« 5 5 der christlichen Religion zerbrochen ist, der alles dem religiösen Heil, dem »Einen, das not tut«, unterordnete, ist es heute wieder wie in der hellenischen Welt. »Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in

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Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf«. 56 Die Uneinigkeit der polytheistischen Götterwelt wird zum Antagonismus der Werte, nicht zum friedlichen, Alternativen bereitstellenden, aber auch alles erduldenden Pluralismus, sondern zum »unüberbrückbar tödlichen Kampf, so wie zwischen ›Gott‹ und ›Teufel‹«. 57 Der unaufhebbare Kampf, nicht nur um äußere, sondern auch um innere Güter, ist ein zentrales Moment der Weberschen Weltsicht, das stets erneut betont wird, »denn nicht auszuscheiden ist aus allem Kulturleben der Kampf. Man kann seine Mittel, seinen Gegenstand, sogar seine Grundrichtung und seine Träger ändern, aber nicht ihn selbst beseitigen ... ›Friede‹ bedeutet Verschiebung der Kampfformen oder der Kampfgegener oder der Kampfgegenstände«.58 Nietzsche klingt an, oder doch zumindest eine von ihm beeinflußte Gedankenrichtung, denn die Betonung des agonalen Charakters der Kultur ist durchaus eine Zeiterscheinung. Zwar geht es hier bei Weber nicht um die Dimensionen des Willens zur Macht, aber doch um Kampf auf allen Gebieten. Und wie bei Nietzsche gibt es keine übergeordnete Instanz, die ihn entscheiden könnte, denn die »Entwertung unserer obersten Werte«, die eine Ordnung und hierarchische Gliederung begründen könnten, ist bis auf weiteres eine zu akzeptierende Tatsache. Die Wertphilosophie Nietzsches führt diesen Gedanken konsequent fort bis zum Nihilismus, während die Überlegungen Webers nur den Kampf, nicht die Vernichtung der Werte diagnostizieren. Doch bereits damit rückt ein Problem ins Blickfeld, das die Werttheorie und -philosophie dieser Zeit bestimmt: der Relativismus, der häufig genug auch der Weberschen Position zum Vorwurf gemacht wird. Der drohende Umschlag der historistischen Kulturbetrachtung in einen kulturellen und moralischen Relativismus, dem letztlich alle Wertstandpunkte gleich viel gelten, läßt in dieser Zeit durchaus Theorien entstehen, die dem bewußt entgegensteuern. Ernst Troeltsch kritisiert ausdrücklich Webers wertskeptischen Standpunkt und verlangt in seinem Programm einer »Kultursynthese« zur Überwindung des Relativismus eine Verbindung der wissenschaftlichen Analyse des kulturellen Lebens und der geschichtsphilosophischen Interpretation, um auf diesem Wege zu objektiv gültigen Werten zu gelangen. 59 Dahinter steht offensichtlich, ähnlich wie bei Dilthey, der sich in die Lebensphilosophie rettet, und wie bei Rickert ein nicht überwundener Glaube an einen irgendwie doch objektiven Sinn der Geschichte und die nicht durchgehaltene Trennung von Sein und Sollen. Die Wertphilosophie Heinrich Rickerts, die sowohl dem Idealismus als auch dem Historismus gerecht zu werden versucht, zielt zum gleichen Zweck, wie oben angedeutet, auf eine einheitliche Deutung des Lebens-

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sinnes. Sie strebt eine Weltanschauungslehre an, deren Basis ein für die geschichtliche Entwicklung offenes System der Wertbereiche sein soll, für das aber eine Stufenfolge und feste Rangordnung vorgesehen ist, um Werte gegeneinander abschätzen zu können. 60 Für Weber ist eine objektive Rangfolge, ja überhaupt ein System der Werte undenkbar, denn auch »eine nicht empirische, sondern sinndeutende Betrachtung: eine echte Wertphilosophie also, würde ... nicht verkennen dürfen, daß ein noch so wohlgeordnetes Begriffsschema der ›Werte‹ gerade dem entscheidendsten Punkt des Tatbestandes nicht gerecht würde«. 6 1 Gemeint ist der tödliche Kampf der Werte, den die Rickertsche Konzeption wie die Kultursynthese Troeltschs zu umgehen versuchen. Dieser Verstoß gegen die intellektuelle Rechtschaffenheit macht ihre Ansätze für Weber zu untragbaren Lösungen für das Relativismus-Problem. Der einzige Ausweg, den Weber selbst sieht, ist die persönliche, subjektive Entscheidung eines jeden einzelnen. Voraussetzung dafür ist, das »Verflachende des ›Alltags‹« aufzuheben, die Tatsache, daß der Mensch sich der »Vermengung todfeindlicher Werte nicht bewußt wird und vor allem: auch gar nicht bewußt werden will«. Kompromisse zwischen Wertstandpunkten sind notwendig und gehören zum Leben, in der Gesellschaft wie im einzelnen Menschen. Doch dürfen sie nicht dazu führen, das Bewußtsein um den Kampf der Werte und die Notwendigkeit der eigenen Wahl zu verdecken. »Die aller menschlichen Bequemlichkeit unwillkommene, aber unvermeidliche Frucht vom Baum der Erkenntnis ist gar keine andere als eben die: um jene Gegensätze wissen und also sehen zu müssen, daß jede einzelne wichtige Handlung und daß vollends das Leben als Ganzes, wenn es nicht wie ein Naturereignis dahingleiten, sondern bewußt geführt werden soll, eine Kette letzter Entscheidungen bedeutet, durch welche die Seele, wie bei Platon, ihr eigenes Schicksal: - den Sinn ihres Tuns und Seins heißt das - wählt,«62 Die Freiheit, über das eigene Leben bestimmen zu können, bringt für den auf sich gestellten Menschen den Zwang zur Entscheidung mit sich. Ein Prophet oder Heiland, der ihn von dieser Last befreien könnte, ist nicht in Sicht, und der Wissenschaft wurde ihre Unfähigkeit in dieser Frage nachgewiesen. Wer nicht das »Opfer des Intellekts« erbringen kann und nicht in die »weit und erbarmend geöffneten Arme der alten Kirchen« zurückkehrt, von dem wird gefordert, auch der Jagd nach dem »Erlebnis«, für Weber ein Zeichen abnehmender Kraft, zu entsagen und sich dem Alltag gewachsen zu zeigen. Eben dies bedeutet es, der persönlichen Entscheidung nicht auszuweichen, es nicht beim Sehnen und Harren auf neue Propheten zu belassen, sondern, so Webers bekannter Appell am Ende von »Wissenschaft als Beruf«, der »Forderung des Tages« gerecht zu werden.

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»Die aber ist schlicht und einfach, wenn jeder den Dämon findet und ihm gehorcht, der seines Lebens Fäden hält.« 63 Jeder muß sich entscheiden, was für ihn »Gott« und was »Teufel« ist, schafft seine eigene Werthierarchie und wählt seine letzten Werte. Sie existieren, wenn sie auch nicht mehr als stürmisches Feuer die Gemeinden zusammenschweißen, sondern sich aus solcher Öffentlichkeit zurückgezogen haben. »Wohl das gröblichste Mißverständnis, welches den Absichten der Vertreter der Wertkollision gelegentlich immer wieder zuteil geworden ist, enthält daher die Deutung dieses Standpunktes als ›Relativismus‹ - als einer Lebensanschauung also, die gerade auf der radikal entgegengesetzten Ansicht vom Verhältnis der Wertsphären zueinander beruht«.64 Die häufig gefühlsbetonte, ja vom Pathos geprägte Sprache, in der Weber über Wertprobleme spricht und schreibt, und in der noch etwas von der Tragik zu spüren ist, die Nietzsches Arbeiten mit dem Zusammenbruch ehemals festgefügter Ordnungen verbinden, macht deutlich, daß hier eine für Weber zentrale Frage angesprochen wird, zumal er wissenschaftstheoretische Probleme häufig als Selbstverständlichkeiten behandelt. Die von ihm hervorgehobene Notwendigkeit zur eigenen, freien Entscheidung ist ein wesentlicher Grund für die vehemente Verteidigung der Wertfreiheit der Wissenschaft. »Der Grund, weshalb ich so außerordentlich scharf bei jeder Gelegenheit, mit einer gewissen Pedanterie meinetwegen, mich wende gegen die Verquickung des Seinsollens mit dem Seienden, ist nicht der, daß ich die Fragen des Sollens unterschätze, sondern gerade umgekehrt: weil ich es nicht ertragen kann, wenn Probleme von weltbewegender Bedeutung, von größter ideeller Tragweite, in gewissem Sinne höchste Probleme, die eine Menschenbrust bewegen können, ... zu einem Gegenstand der Diskussion einer Fachdisziplin ... gemacht werden.«65 Es gehört zur Selbstbestimmung des autonomen Menschen, die eigenen letzten Werte zu wählen, denn wo keine Instanz Verpflichtungen vorgibt, ist eine Selbsttranszendenz des Menschen gefordert. Diese ist nun allerdings als eine lebensimmanente zu verstehen, die sich jedoch auf Mächte richtet, welche als überpersönlich empfunden werden. Eine durchaus schwierige Leistung »die Arbeit ist nun härter, sie aus der eigenen Brust holen zu sollen in einer Zeit ohnehin subjektivistischer Kultur. Allein wir haben eben überhaupt kein Schlaraffenland und keine gepflasterte Straße dahin zu versprechen, weder im Diesseits noch im Jenseits, weder im Denken noch im Handeln; und es ist das Stigma unserer Menschenwürde, daß der Friede unserer Seele nicht so groß sein kann als der Friede desjenigen, der von solchem Schlaraffenland träumt«.66

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Das Menschenbild Webers, das sich hier offenbart, der sich selbst transzendierende Mensch, als dessen Basis »die geschulte Rücksichtslosigkeit des Blickes in die Realitäten des Lebens, und die Fähigkeit, sie zu ertragen und ihnen innerlich gewachsen zu sein«67 erscheint, trägt durchaus Züge des Übermenschen Nietzsches. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, daß auch Weber die Überzeugung vertritt, nur der große einzelne könne der Gesellschaft Entwicklungsanstöße geben. Auch Weber hält das ›Große‹ am Menschen für das eigentlich Bedeutsame und erkennt in den Forderungen der Bergpredigt ähnlich wie Nietzsche eine »Ethik der Würdelosigkeit«.68 Ein klares strenges Menschenideal ist Weber und Nietzsche tatsächlich gemeinsam, doch sind es nicht Nietzsches »Herrenmenschen«, die die »Herde« führen, welche Weber vor Augen hat. Er wünscht sein Persönlichkeitsideal zwar vor allem im führenden Politiker und kapitalistischen Unternehmer, schließlich aber doch in jedem einzelnen Menschen verwirklicht zu sehen. Er teilt weder Nietzsches Abneigung gegen die »Vielzuvielen« noch seine Vorliebe für eine »Herrenmoral«.69 Jeder Persönlichkeitskult ist ihm zuwider.70 Ein Leben im Sinne der Bergpredigt, das Nietzsche verachtet, wird von Weber, trotz seiner abschätzigen Bemerkungen, bewundert. Vor allem aber ist der Setzung der Werte durch den Übermenschen eine gewisse Willkür nicht abzusprechen, während die Wahl der Werte bei Weber davon weitestgehend frei ist. Daß der häufig an ihn herangetragene Vorwurf des Dezisionismus,71 solange er in solcher Allgemeinheit vorgebracht wird, Weber in keiner Weise trifft, wird zunächst deutlich an der bekannten polaren Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Beide Begriffe sind als Schlagworte auch heute noch häufig in politischen Debatten anzutreffen. Ihre genaue Bedeutung, wie Weber sie verstanden hat, scheint jedoch nicht immer bekannt zu sein. Sie zu ermitteln ist aber lohnend, denn, Wolfgang Schluchter legt es dar, diese Differenzierung ist nach wie vor hilfreich bei der Bestimmung unterschiedlicher Positionen, obwohl die ethisch relevanten Probleme mittlerweile Dimensionen erreicht haben, von denen Webers Zeit nichts ahnen konnte. Kernenergie, Gentechnik und andere Probleme, die das Überleben der Menschheit in Frage stellen, waren nicht abzusehen.72 Die Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik gehört in die Spätphase des Weberschen Werkes. Es gibt frühe Entwicklungslinien, die in diese Richtung führen, aber die inhaltliche Differenzierung steht Weber erst nach 1910 zur Verfügung.73 Die »Zwischenbetrachtung« kennt beide Haltungen, im Rahmen der Spannung zwischen religiöser Ethik und Welt, obwohl die Bezeichnung Verantwortungsethik hier noch nicht erscheint. Die inhaltlich endgültige Formulierung findet sich zunächst im 1918 erschienenen »Wertfreiheitsaufsatz«74 und schließ-

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lich, in der bekanntesten Version, in Webers am 28. Januar 1919 vor Münchner Studenten gehaltenen Rede »Politik als Beruf«, nun auch in der begrifflichen Differenzierung Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Der Zeitpunkt und die Situation, in der diese Äußerungen getan werden, sind nicht ohne Belang. Das Land macht auf dem Weg in die Republik einen Wandel durch, mit all den bekannten Äußerungen von Unfrieden und Aufruhr. Auch München selbst befindet sich in politischer Unruhe. Bald folgen die Errichtung des Rätesystems und die Ermordung Kurt Eisners. Weber ist nicht nur durch persönliche Beziehungen in die Münchener Verhältnisse involviert, er hat auch, seinen starken politischen Interessen folgend, seit 1917 unter anderem zunächst versucht, zugunsten eines Verständigungsfriedens politischen Einfluß zu gewinnen und später an den Verhandlungen in Versailles teilgenommen. Seine folgende politische Resignation trägt zu der Entscheidung bei, endgültig die akademische Lehrtätigkeit wiederaufzunehmen, nunmehr in München. »Politik als Beruf« ist somit auch eine persönliche Stellungnahme zu den politischen Ereignissen, zu denen eine deutlicher Bezug besteht, obwohl Weber sie kaum direkt anspricht und stattdessen die Probleme einer möglichen (politischen) Handlungsorientierung als Grundsatzfragen behandelt.75 In diesem Zusammenhang fällt folgende Äußerung: »Wir müssen uns klarmachen, daß alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ›gesinnungsethisch‹ oder ›verantwortungsethisch‹ orientiert sein ... Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt - religiös geredet: ›Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim‹ -, oder unter der verantwortungsethischen: daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.«76 Während der Verantwortungsethiker unter Berücksichtigung der Wertirrationalität der Wirklichkeit, der Tatsache, daß aus Gutem nicht nur Gutes und aus Bösem nicht nur Böses folgt, die »durchschnittlichen Defekte(n) der Menschen« bei all seinem Tun illusionslos in Rechnung stellt, um die Folgen seiner Handlung möglichst genau absehen zu können, sind dem Gesinnungsethiker diese Folgen zweitrangig, solange »die Flamme der reinen Gesinnung ... nicht erlischt«. Sie in all seinem Tun neu anzufachen, ist seine Verantwortung. Er ignoriert erfolgreich die Realität, weil er »die ethische Irrationalität der Welt« nicht erträgt und versucht, den Wertantagonismus zu überwinden, indem er ein ethisches Postulat absolut setzt. Treten negative Folgen seines Handelns ein, so ist der Grund dafür die Unvollkommenheit der Welt und der Menschen und nicht sein Tun. Der Gesinnungsethiker ist »kosmisch-ethischer ›Rationalist‹«, der sich einmal für eine bestimmte ethische Haltung entscheidet und dann sein gesamtes

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Tun, das im Extremfall die Wertrationalität verwirklicht, danach ausrichtet. Die protestantische Ethik ist dafür ein markantes Beispiel.77 »Persönlichkeit« zu sein, kommt auch ihm zu, zumal er es sich mit dem konsequenten Eintreten für eine bestimmte Gesinnung nicht eben leicht macht. So ist Weber auch durchaus bereit, die Tiefe einer echten Gesinnung anzuerkennen, findet aber gerade jetzt, im politischen Umbruch, in der Mehrzahl aller Fälle nur »sterile Aufgeregtheit« vor, von Menschen an den Tag gelegt, »die nicht real fühlen, was sie auf sich nehmen, sondern sich an romantischen Sensationen berauschen«.78 Gesinnungslos ist aber auch der Verantwortungsethiker nicht, der sich für eine bestimmte Werthaltung entschieden haben muß, bevor er prüft, ob er die Folgen ihrer Verwirklichung verantworten kann, wobei er die Entzauberung und ethische Irrationalität der Welt anerkennen muß. Wo der Gesinnungsethiker aber schlicht nicht anders kann, als nach der einmal gewählten Maxime zu handeln, wird der Verantwortungsethiker doch Alternativen auch im Hinblick auf die Wertorientierung sehen. Da er außerdem zur Folgenabschätzung zweckrationale Zusammenhänge berücksichtigen muß, ist eine Strukturähnlichkeit dieser Handlungsorientierung mit der Zweckrationalität festzustellen, aber keine Identität, denn das zweckrationale Handeln in seiner reinsten Ausprägung ist definiert über eine rationale Abwägung des äußeren Handlungszusammenhanges und ist orientiert am Erfolg, während sich eine verantwortungsbewußte Haltung immer nur an Werten orientieren kann. Nun sind Gesinnungs- und Verantwortungsethik in der dargestellten Form Idealtypen, die in dieser Reinheit der Wirklichkeit fremd sind und Weber wohl auch nicht wünschbar erscheinen. Er sieht in ihnen daher »nicht absolute Gegensätze, sondern Ergänzungen«. Auch jeder, der sich für ein verantwortungsethisches Handeln entschieden hat, das auch von Weber selbst favorisiert wird, kann irgendwann, so er »nicht innerlich tot ist«, an den Punkt gelangen, an dem er aus dem Gefühl des »Ich kann nicht anders, hier stehe ich« heraus nicht mehr bereit ist, einen seinem Handeln zugrundeliegenden letzten Wert aufzugeben. An diesem Punkt nimmt seine Haltung eine gesinnungsethische Färbung an, die hier aber eine andere Qualität erhält als im Fall des reinen Gesinnungsethikers, weil sie im klaren Bewußtsein ihrer Auswirkungen und im »real und mit voller Seele« empfundenen Gefühl der Verantwortung für ihre Folgen aufrechterhalten und ertragen wird. Erst im Zusammenspiel von Gesinnung und Verantwortung sieht Weber den »echten Menschen« verwirklicht.79 Hier ist die Bedingung erfüllt, die den Menschen zur »Persönlichkeit« werden läßt, welche in einer Vermittlung von Sein und Sollen »ihr ›Wesen‹ in der Konstanz ihres inneren Verhältnisses zu bestimmten letzten ›Werten‹ und Lebens-›Bedeutungen‹ findet, die sich in ihrem Tun zu Zwecken ausmün-

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zen und so in teleologisch-rationales Handeln umsetzen«.80 Persönlichkeit ist damit für Weber nicht ein unerklärliches, unmittelbar wirkendes Phänomen, sondern »Produkt höchster, selbstbezüglicher Rationalität«.81 Rationalität, Freiheit und Verantwortung, die gleichermaßen aus dem Rationalisierungsprozeß hervorgehen, werden hier aufeinander bezogen. In ihrem Rahmen erfüllt sich die Forderung des »Werde, der du bist«82 in der Hingabe an die als überpersönlich verstandene Sache. »Ob man aber als Gesinnungsethiker oder als Verantwortungsethiker handeln soll, und wann das eine und das andere, darüber kann man niemandem Vorschriften machen«,83 denn es ist letztlich eine Wertentscheidung, die jeder für sich zu treffen hat. Gleichfalls hilft die Unterscheidung der beiden rein formalen Maximen auch nicht bei der Entscheidung für oder gegen bestimmte materiale Werte, sondern erfüllt ihre Aufgabe erst, wenn der Glaube an bestimmte Werte bereits gegeben ist. Wo dieser aber auf eine Reglementierung wie Gesinnungsethik und Verantwortungsethik trifft, kann von dezisionistischer Willkür wohl keine Rede mehr sein. Es bleibt jedoch die letztliche Irrationalität der Wertentscheidung, ganz gleich in welche rationalen Mechanismen man sie auch einzubinden versucht, was insbesondere bei der Verantwortungsethik durchaus möglich ist. Davon an späterer Stelle mehr. Die von Weber getroffene Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik läßt vermuten, daß ethische Werte im konstatierten unaufhebbaren Kampf gleichrangiger Wertsphären doch eine besondere Rolle spielen. Tatsächlich läßt sich dies im Werk nachweisen und auf der Basis der Unterscheidung zwischen ethischen und anderen Werten aus den Weberschen Arbeiten heraus eine Werttheorie entwickeln. Weber selbst liefert sie allerdings nicht. Er hat es nie für seine Aufgabe gehalten, eine Wertlehre oder gar -philosophie auszuarbeiten, denn für seine eigenen Arbeiten ist nur die Ebene der Verwirklichung von Werten, das heißt eine empirische, historisch-soziologische Betrachtung relevant. Er definiert auch nicht, was er unter ›Wert‹ eigentlich versteht. Überhaupt finden sich Äußerungen zu diesem Bereich, die über die Konstatierung des Kampfes der Werte hinausgehen, nur vereinzelt und sind nicht sehr ausführlich, aber sie durchziehen das gesamte Werk. Webers Interesse am Wertproblem ist gleichbleibend groß. Er verfolgt engagiert die philosophischen Diskussionen zu diesem Thema, vor allem, was naheliegend ist, die sich entwickelnde Wertphilosophie Rickerts, ohne sich jedoch, ähnlich seiner Haltung in der Wissenschaftstheorie, auf eine Position festzulegen. Vor diesem Hintergrund hat Wolfgang Schluchter es unternommen, in Fortführung und teilweiser Revision früherer Ansätze, eine Werttheorie zu konzipieren, die den Weberschen Überlegungen entspricht,84 und in deren Mittelpunkt eine Ethik steht, die der entzauberten und rationalisierten

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Welt gerecht zu werden versucht. Dieses in Angriff zu nehmen, bedeutet, so Schluchter, »mit Weber auch teilweise gegen ihn«85 zu denken, das heißt, so muß es wohl verstanden werden, ihn zu ergänzen, Ansätze weiterzuführen und nicht genau genug Unterschiedenes zu spezifizieren, mit dem vorgegebenen Ziel, Webers Überlegungen für eine zeitgemäße Ethik nutzbar zu machen. Dabei ist es hilfreich, den Herkunftsspuren der Weberschen Ansätze nachzugehen, und diese führen zunächst, trotz Ablehnung des Rickertschen Wertsystems, zur Südwestdeutschen Schule des Neukantianismus. Auf den eigentlich tragenden Untergrund aber stößt man erst, wenn man Weber »aus dem kritizistischen Geiste Kants« interpretiert, denn »ähnlich wie in der Erkenntnislehre, basiert Webers Ansatz auch in der Ethik auf Kants kritizistischer Wendung«,86 die der Neukantianismus demgegenüber nicht durchhält. Auch hier gilt jedoch, daß Webers Ansatz in der praktischen Philosophie Kants nicht aufgeht, er sie also nicht ohne weiteres übernimmt. Ein Kampf der Werte in der dargestellten Form ist für Kant undenkbar, die Kollision der Pflichten, die auch er kennt, ist keine prinzipielle, denn die Vernunft kann sich nicht selbst widersprechen. Eben diese praktische Vernunft spielt bei Weber aber keine Rolle mehr; die rationale Erkenntnis des Sittlichen, die das Aufklärungsdenken mit ihrer Hilfe ermöglicht sah, ist zur Illusion geworden, der Gedanke einer rationalen moralischen Ordnung unhaltbar.87 Schluchter weist zu Recht auf die kaum zu unterschätzende Tatsache hin, daß nicht nur zwischen Kant und Weber die Werke Schopenhauers und Nietzsches entstanden, sondern Weber selbst auch in einer Zeit lebt, in der die unabweisbare Kraft des Nichtrationalen immer weiter ins Blickfeld rückt. Was ihn dennoch mit dem Aufklärungsdenken verbindet ist das Festhalten an einer rationalen Reglementierung des Irrationalen, auch im Bereich der praktischen Wertsetzung.88 Das Trennende zwischen Kant und Weber liegt also in dem »radikal lebensimmanenten Standpunkt«, den dieser einnimmt. Er hält ihn fern von dem metaphysischen Gehalt im Werk Kants. Bei Weber gibt es keine noumenale Welt, doch ist es richtig, daß er derartige Anteile der kantischen Philosophie nicht ausdrücklich ablehnt, sondern dahingestellt sein läßt. Seine eigenen Arbeiten bleiben für die kantische Metaphysik »anschlußfähig«. Trotz des lebensimmanenten Standpunktes sieht Schluchter daher bei Weber eine »Tendenz zur Metaphysik« (im nachkantischen Sinn, wie etwa von Dieter Henrich vertreten) angelegt.89 Es gibt durchaus Äußerungen Webers, die diese Interpretation rechtfertigen, doch bleibt seine persönliche Haltung zur Metaphysik letztlich unklar. Wichtig scheint jedoch allein, daß er metaphysische Tendenzen nicht nur aus der Wissenschaft grundsätzlich verbannt, sondern offensichtlich auch aus der Philosophie,

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die sich, wie seine Äußerungen zu ihrem Arbeitsgebiet zeigen, gleichfalls dem einmal gewonnenen Rationalitätsstandard der Erkenntnis beugen muß. Ehemals metaphysische Grundsätze rücken damit in den Bereich des persönlichen Glaubens, und diesen Platz kann ihnen allerdings niemand verwehren. Trotz grundlegender Unterschiede bleibt Webers Ansatz der Philosophie Kants näher als dem werttheoretischen Idealismus des Neukantianismus, doch sind auch hier nicht unbeträchtliche Einflüsse festzustellen. Weber übernimmt den Terminus ›Wert‹ und als Seinsmodus der Werte die ›Geltung‹. Er sieht wie der Neukantianismus den Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Werturteilen, wenngleich er die Kluft zwischen beiden wohl stärker betont, und teilt schließlich mit Rickert die Ablehnung der modischen Lebensphilosophie,90 eine Position, die auch von Wilhelm Windelband vertreten wird. Dieser wird mit seiner »Einleitung in die Philosophie« (1914) von Schluchter in die Weber-Interpretation hereingeholt.91 Nun scheut auch Windelband als Gegenmittel gegen den moralischen Relativismus keineswegs den Weg in die Metaphysik: um die Objektivität von Werturteilen zu garantieren, konzipiert er ein »Normalbewußtsein« (analog zu Kants Bewußtsein überhaupt), das absolute Werte, Werte an sich (dem Ding an sich gemäß gedacht) erfaßt, und läßt diese Konzeption schließlich in einer Religionsphilosophie enden. Dieser Weg ist Weber verschlossen, doch gemeinsam ist beiden die auch terminologische Differenzierung von Wissens- und Wertfragen, der Sphäre des Erkennens und der Sphäre des Wertens und die Betonung, daß Wertprädikate keine Eigenschaften der Dinge sind, sondern ihnen beigelegt werden. Darüberhinaus gibt es wie bei Rickert auch bei Windelband ein Begriffsschema der Werte. Rickerts System unterscheidet die Bereiche der Logik, Ethik, Ästhetik, der Religion (aufgeteilt in Mystik und Religionsphilosophie) und der Erotik.92 Aus Webers »Zwischenbetrachtung« lassen sich die Grundlinien eines Wertschemas entwickeln, das Erkenntniswerte, Heilswerte, sittliche und Kulturwerte, ästhetische und erotische Werte trennt.93 Dies erinnert an Rickert, aber es herrscht keine wirkliche Kongruenz. Windelbands System kennt, die klassische Einteilung beibehaltend, nur drei allgemeingültige Werte: das Wahre, das Gute, das Schöne. Auf dieser Basis entwickelt Schluchter ein Schema grundsätzlicher Wertunterscheidungen, wie es den Weberschen Äußerungen zugrundeliegen könnte - eine, wie zugegeben wird, spekulative Antwort auf die Frage nach den Grundlagen einer Wertteorie Webers, doch sie stimmt mit seinen Ansätzen überein.94 Windelband unterscheidet drei Dimensionen des Wertbegriffs: die kognitive, die volitive und die emotive, denen das theoretische Urteil, das praktische und ästhetische entsprechen. Ähnlich trennt auch Weber drei

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Wertsphären jeweils eigenen Rechts: er grenzt »die spezifische Dignität der ethischen Imperative« 95 ab von den Kulturwerten, denen der verpflichtende Charakter fehlt, denn ethische Pflichten soll der einzelne erfüllen, Kulturideale, die seinem subjektiven Geschmack entsprechen, will er verwirklichen. »Es ist und bleibt - darauf kommt es für uns an - für alle Zeit ein unüberbrückbarer Unterschied, ob eine Argumentation sich an unser Gefühl und unsere Fähigkeit, für konkrete praktische Ziele oder für Kulturformen und Kulturinhalte uns zu begeistern, wendet, oder, wo einmal die Geltung ethischer Normen in Frage steht, an unser Gewissen, oder endlich an unser Vermögen und Bedürfnis, die empirische Wirklichkeit in einer Weise denkend zu ordnen, welche den Anspruch auf Geltung als Erfahrungswahrheit erhebt.«96 Demzufolge unterscheidet Weber die Wertsphären der Wahrheit, der ethischen Werte und der Kulturwerte und gesteht mit der Möglichkeit zur Argumentation, die sich an den Verstand, an das Gewissen oder an das Gefühl richtet, allen dreien eine kognitive Dimension zu. Sie sind einander gleichgestellt und weiteren selbständigen Sphären wie Wissenschaft, Religion, geschwisterliche Gemeinschaften, Kunst, Politik, Wirtschaft und Erotik als ihren Verzweigungen gewissermaßen übergeordnet. Obwohl Weber also der Ethik unter den praktischen Werten eine Sonderstellung insofern zugesteht, als sie eine Sphäre eigener Art ist, die nicht den Kulturwerten zugerechnet wird, sind ethische Imperative für ihn dennoch ebenso subjektiv wie Kulturwerte. Auch wo in der persönlichen Hierarchie des einzelnen der Ethik ein Platz eingeräumt wird, läßt sich nicht vorschreiben. Kulturelle Wertsphären werden in ihrem gleichrangigen Eigenrecht von Weber ausdrücklich anerkannt, denn die Ethik ist nicht das Einzige, was gilt. 97 Weber wußte um die Bedeutung kultureller Werte in der säkularisierten Welt, so daß die Grenzen zwischen den drei übergeordneten Wertbereichen zwar erhalten bleiben, aber doch ein wenig verwischen. 98 Vor dem Hintergrund dieses Wertschemas lassen sich noch einmal Webers Rationalitätsbegriffe verdeutlichen. So beziehen sich die theoretische und praktische Rationalität auf die Erkenntnis- und Wertungssphäre, die Zweckrationalität auf ein technisch-praktisches, die Wertrationalität auf ein normativ-praktisches Handeln und die Unterscheidung zwischen formaler und materialer Rationalität auf die jeweilige Form-Inhalt Differenz. 99 Webers handlungstheoretische Unterscheidung zwischen Zweck- und Wertrationalität, zwischen einem erfolgsorientierten und einem eigenwertorientierten Handeln, interpretiert Schluchter dabei vor dem Hintergrund des kantischen Systems der reinen Vernunft, denn Weber habe »nicht Kants Begründungen, wohl aber seine Architektur übernommen und sie ... für soziologische Zwecke genutzt«. 100 »Zweck« ist bei Weber definiert als

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Vorstellung eines Erfolges, die zur Ursache einer Handlung wird.101 Ein »Wert« wäre demzufolge die Vorstellung einer Verpflichtung, die zur Ursache einer Handlung wird, wobei nicht alle Wertorientierungen diesen verpflichtenden Charakter haben, und nicht alle Pflichtvorstellungen auf ethische Werte, deren Geltungsanspruch sich an unser Gewissen richtet, zurückzuführen sind. Man kann sich auch kulturellen Werten verpflichtet fühlen, doch spielt die Ethik in diesem Zusammenhang zweifellos eine besondere Rolle. Die Webersche Unterscheidung zwischen Pflicht- und Erfolgs- oder Glücksvorstellungen, zwischen ideellen Interessen, die sich auf den Gewinn von Heil, Ehre usw. richten, und materiellen Interessen, die Reichtum, Gesundheit und ähnliches erstreben, sieht Schluchter der kantischen Trennung zwischen kategorischen und hypothetischen Imperativen nachgebildet, Jene werden bei Weber zu Norm-Maximen, und die pragmatischen Imperative, die Regeln der Geschicklichkeit, zu Zweck-Maximen.102 Die Sphäre des normativ-praktischen Handelns ist im Fall der ethischen Orientierung ausgerichtet auf Sittlichkeits- und Rechtlichkeitsmaximen. Das Handeln richtet sich nach einem Gefühl der Verpflichtung und wird begrenzt nicht nur durch naturgesetzliche Gegebenheiten, sondern auch durch normatives Wissen. Seine Verletzung hat den Verlust der Fremd- und Selbstachtung zur Folge und schließlich ein Sünden- oder Schuldgefühl. Demgegenüber richtet sich das technisch-praktische Handeln der zweckrationalen Orientierung nach Zweckmäßigkeitsmaximen und einem kalkulierten Nützlichkeitsstreben. Seine Willkür wird begrenzt durch gesetzliche Zusammenhänge der phänomenalen Welt, was diese Handlungsorientierung stark an die Erkenntnissphäre bindet. Die Strafe bei Mißachtung besteht in materieller Schädigung und Mißerfolg. Die Trennung zwischen technisch-praktischem und normativ-praktischem Handeln wird exemplarisch deutlich in Webers »Protestantischer Ethik«, an der kaufmännischen Kalkulation eines Jakob Fugger im Gegensatz zur ethischen Orientierung Benjamin Franklins.103 Doch auch dessen Maxime der Lebensführung, Musterbeispiel für die protestantische Ethik, wird mit dem Verlust der religiösen Grundlage zur Pseudo-Ethik des Utilitarismus. Die ethische Bindung wird zur Klugheitslehre, welche außerethische Werte in den Mittelpunkt rückt; die Berufspflicht wandelt sich zum Berufserfolg. Wo das technisch-praktische Handeln siegt, sind der Weltanpassung eines formal-rational organisierten Lebens Tür und Tor geöffnet.104 Die utilitaristische Ausrichtung produziert »Fachmenschen ohne Geist« wie der mit ihr zusammenhängende Eudämonismus »Genußmenschen ohne Herz«, solange beide nicht durch ethische Ideale begrenzt werden. Die Differenzierung von ethischer und Klugheitsorientierung ist ein

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Ergebnis der Entwicklung der religiösen Ethik aus der Magie, wie sie Webers Religionssoziologie darstellt. Dabei wird das quasi normative Tabu zum religiösen Gesetz, der Gotteszwang zu bestimmten Zwecken zum freiwilligen Gottesdienst, die Gemeinschaftsbildung durch das Tabu zur Verbrüderung durch das Gewissen und die Unterscheidung zwischen nützlich und schädlich zu der von gut und böse. Die Ethik trennt auf diese Weise Naturalität und Kulturalität, Sein und Sollen, Handlung und Norm. Religiöse Ethik ist zunächst ritualistische Ethik oder Gesetzesethik mit dem Grundsatz der Legalität. Sie ist eine Normenethik in dem Sinn, daß sie ähnlich der Magie Einzelnormen festschreibt und nicht trennt zwischen Moral, Recht und sonstigen kulturellen Konventionen. Ihre Forderungen verlangen Gehorsam gegenüber bestimmten Pflichten, der durch Kontrolle von außen erzwungen wird, und bei Fehlleistungen eine Strafe nach sich zieht. Erst der Übergang zur Gesinnungsethik vollzieht den Wandel von der Legalität zur Moralität und die Trennung von Recht und Ethik, wobei diese zur religiösen Gesinnung verinnerlicht und systematisiert wird. Die Einzelnormen werden auf ein Heilsziel als zentrales Wertaxiom bezogen, so daß die Gesinnungsethik als Prinzipienethik zu kennzeichnen ist, die aber nach wie vor konkrete, materiale Wertvorgaben liefert. Da das zentrale Prinzip der jeweiligen Situation entsprechend unterschiedliche Maximen rechtfertigen kann, ist hier aber bereits ein autonomes Individuum mit praktischer Urteilskraft gefordert. Dem entspricht eine wachsende Selbstkontrolle der zunehmend innengeleiteten Persönlichkeit, die der Fremdkontrolle aber noch nicht entzogen ist. Die protestantische Ethik kennt beides in hohem Maß.105 Die völlige Aufhebung der Fremdkontrolle bringt die Ethik Kants, die von Schluchter als reflexive Ethik im Unterschied zur religiösen Gesinnungsethik gekennzeichnet wird, da ihr grundlegendes Prinzip nicht geoffenbart, sondern vernünftig erschlossen ist. Der Kategorische Imperativ als Grundgesetz der praktischen Vernunft prüft Maximen, die der einzelne für sich anerkennt daraufhin, ob sie als sittliche Pflicht anerkannt werden können, also vernünftig sind: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«106 Das Sittengesetz verbindet Kant zufolge alle vernünftigen Wesen und ist kulturellen Bindungen übergeordnet, denn es ist ein rein formales Prinzip, das keine materialen Maximen vorschreibt, welche vielmehr der Lebenswelt des Individuums entstammen. Die sittliche Handlung geschieht aus Achtung vor dem formalen Moralprinzip. Weber übernimmt diesen ethischen Formalismus - Gesinnungs- und Verantwortungsethik sind formale ethische Maximen - und verteidigt ihn mit dem Hinweis, daß auch die Axiome der praktischen Vernunft durchaus inhaltliche Weisungen zur

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Bewertung eines Handelns enthalten: der sich selbst bestimmende Mensch muß als Selbstzweck gesehen werden, wie der kantische Imperativ fordert, auf den Weber sich hier bezieht: »Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.«107 Was Weber nicht übernimmt, ist die Überzeugung Kants von der Wahrheitsfähigkeit ethischer Fragen, die den kantischen Ansatz zu einer kognitivistischen Ethik macht. Daß theoretischer und praktischer Vernunftgebrauch in der Einheit der Vernunft aufgehen, und alle vernünftigen Wesen durch ihre Teilhabe am Reich der Zwecke in einer systematischen Verbindung durch gemeinschaftliche objektive Gesetze stehen,108 begründet bei Kant die Identität des selbstgegebenen mit dem allgemeinen Gesetz. Die kantische Ethik ist jedoch nicht nur reflexiv und kognitivistisch, sie ist auch eine Gesinnungsethik, denn sie fordert die konsequente Einhaltung der Sittlichkeit einer Handlung, ohne Rücksicht auf die Folgen. Das einzige, was zählt, ist allein ein guter Wille.109 Schluchter unterscheidet damit im Rahmen der Gesinnungsethik zwischen einer Prinzipienethik als materialer Gesinnungsethik, wie sie das alte Christentum, der asketische Protestantismus und ein Teil des Vernunftnaturrechts vertreten, und einer reflexiven Prinzipienethik als formaler Gesinnungsethik.110 Weber selbst macht diese Unterscheidung nicht, denn seine Arbeiten kennen nur die materiale Gesinnungsethik der Religionen und den Kampf der Werte. Kants formale, aber gesinnungsethische Position hat für Schluchter eine Zwischenstellung, vor deren Hintergrund er Webers Konzept der Verantwortungsethik näher bestimmt. Wie die formale Gesinnungsethik Kants ist auch sie, die sich als Alternative anbietet, in Schluchters Typologie als reflexive Prinzipienethik einzuordnen, mit dem entscheidenden Unterschied einer Modifizierung des formalen Moralprinzips.111 Webers Verantwortungsethik gründet sich auf zwei Bedingungen: sie muß einer sittlichen Gesinnung entspringen, und sie muß die Folgen, die aus der Verwirklichung dieser Gesinnung entstehen können, abschätzen. Das bedeutet den Gesinnungs- oder Eigenwert einer Handlung in Beziehung zu setzen zum Erfolgswert. Sie trägt damit eine doppelte Verantwortung und so gilt für sie die Maxime: »Handle gemäß deiner besten Überzeugung von deiner Pflicht und darüber hinaus so, daß du nach bestem Wissen und Gewissen die (voraussehbaren) Folgen deines Handelns auch verantworten kannst.«112 Was noch fehlt, ist eine Möglichkeit der Prüfung, ob die eigene Überzeugung auch die richtige ist. Kant zufolge ist der Wille gut, der sich jederzeit nach dem allgemeinen Vernunftgesetz zu bestimmen vermag. Auch für Weber spielt der Kategorische Imperativ als Prüfinstrument für ethische 171 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Werte eine Rolle, wie in einem Brief Webers deutlich wird, in dem er die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Ethik verteidigt: »Gewiß, auch ich bin ... der Ansicht, daß, wenn jemand für sein persönliches Handeln die Notwendigkeit der Orientierung an ›Werten‹ ... überhaupt anerkennt, ... daß dann sich ihm zwingend alle Konsequenzen des Kantschen Imperativs (einerlei in welcher mehr oder minder modernisierten Form - die Sache bleibt die alte - ) andemonstrieren lassen.« Was die Ethik als Wissenschaft erbringt, ist ein »Nachweis formaler Merkmale sittlicher Gesinnung« keine formale Begründung wie bei Kant. Seinem kognitivistischen steht bei Weber ein kritizistisches Moralprinzip gegenüber. Es lassen sich auf diese Weise keine Inhalte als gesollt zeigen, denn »dazu gehören immer metaphysische Dogmatiken«. 113 »Die formale Ethik hat sich damit zu bescheiden, daß ihre Sätze keine Mittel sind, materiale Entscheidungen auch nur auf ethischem Gebiet selbst, geschweige denn bei Konflikten der Wertsphären zu deduzieren«. 1 1 4 Mit Albrecht Wellmer (»Ethik und Dialog«), auf den er sich hier beruft, nennt Schluchter Kants Kategorischen Imperativ als Universalisierungsgrundsatz ein Verallgemeinerungsprinzip zweiter Stufe. Die erste Stufe fordert demnach nur, daß ich an die von mir anerkannten Verpflichtungen, die ich anderen zumute, jederzeit selbst gebunden bin. In dieser reduzierten Form läßt sich Kants Moralprinzip auch bei Weber zeigen, während die zweite Stufe, die ein rational einsehbares Sollen und eine metaphysische Persönlichkeitstheorie begründet, wegfällt. So läßt sich sagen, daß nach Weber der Wille gut ist, der sich selbst jederzeit nach einem individuellen Gesetz zu bestimmen vermag. Individuell: weil der Gesinnungswert geglaubt werden muß, Gesetz: weil es jederzeit erfüllt werden muß. 115 Läßt sich bei Kant von einem konstitutiven Universalismus sprechen, so bei Weber von einem regulativen: der gute Wille muß sich so bestimmen, als ob die Möglichkeit zur rationalen Einsicht besteht. Weber bleibt ethischer Skeptiker und akzeptiert nicht die praktische Vernunft, welche die sittliche Pflicht rational begründet, aber ein Gebot zur Vernünftigkeit, das sie an rationale Bedingungen knüpft, kennt auch er. Zu diesen Bedingungen, die zumindest eine Wahrheitsbezogenheit ethischer Positionen begründen, gehört die »aufgeklärte Denkungsart« Kants: die Gebote zur Autonomie, zur Konsistenz und Konsequenz und zum Perspektivenwechsel. Dieser verweist auf ein quasi dialogisches Vorgehen, aber dieser Dialog ist bei Kant kein realer und muß es auch nicht sein, denn sich auf den Standpunkt des anderen zu stellen, heißt den Standpunkt der Vernunft einzunehmen, und der ist für alle gleich. Webers Verantwortungsethik macht den Schritt zu realen Dialogen und damit von einem monologischen Begründungsprinzip ethischer Standpunkte zu einem dialogischen Prinzip

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kritischer Prüfung, das im Rahmen von Wertdiskussionen, wie Weber sie in der Wissenschaftslehre dargestellt hat, realisiert wird. Die Wertdiskussion als formale Gesinnungskritik arbeitet zunächst die persönlichen Maximen heraus und gestaltet sich darüber hinaus als Institution für verantwortungsethische Dialoge, die Gesinnungswerte auf ihre Verallgemeinerbarkeit im Sinne des individuellen Gesetzes prüft und sie zwecks Folgenabschätzung zu Erfolgswerten in Beziehung setzt. Eine solche reale Diskussion zur Erfüllung der verantwortungsethischen Maxime wird notwendig, weil das Bewußtsein um den Kampf gleichberechtigter Werte verhindert, daß eine Ethik oder ein anderer Wertbereich als das Ganze gesehen werden kann. Es wird gefordert, den eigenen Standpunkt zu anderen in Beziehung zu setzen. Die Wertdiskussion, der die Ideale standhalten müssen, hebt den Kampf nicht auf, aber ihre rationalen Regeln lenken ihn in geordnete Bahnen. Mit dieser Institutionalisierung der Wertkritik gewinnt zudem die Fremdkontrolle im Vergleich zum kantischen Ansatz wieder an Bedeutung. Die Wertdiskussion hat subjektive und objektive Voraussetzungen. Sie verlangt zunächst ein konsequentes Denken und die Bereitschaft, den eigenen Standpunkt einer kritischen Prüfung auszusetzen. Dies ist nicht zu erzwingen, entspricht aber dem Gebot zur Vernünftigkeit und zur intellektuellen Rechtschaffenheit. Wie der kantischen Ethik liegt in dieser Hinsicht auch Webers Ansatz eine Theorie der Evidenz zugrunde, welche die Forderungen seines ethisch-moralischen Standpunkts als Appelle an alle vernünftigen Wesen verstehbar macht, der Evidenz des Geforderten zu folgen.116 Die objektive Voraussetzung der Diskussion ist, daß der Kampf der Werte für die Dauer dieser rationalen Auseinandersetzung ruht, damit jeder seinen Standpunkt vertreten kann. Über die formale Gesinnungskritik hinaus fördert der verantwortungsethische Dialog damit die Einsicht in die eigene Position, in die anderer und ergänzt das Wissen um die Situation, in der sie sich zu bewähren haben. Was die Diskussion nicht erreicht, ist der Konsens über praktische Stellungnahmen. Vielmehr wird am Ende häufig das Wissen darum stehen, »daß, warum und worüber, man sich nicht einigen« kann. »Gerade diese Erkenntnis ist aber eine Wahrheitserkenntnis und gerade ihr dienen ›Wertungsdiskussionen‹«.117 Am Ende steht nicht die Versöhnung, weder im einzelnen Menschen noch unter den Menschen, sondern bestenfalls ein notwendig schuldbelasteter Kompromiß. Die persönliche Entscheidung wird durch die Wertdiskussion nicht ersetzt; der Dialog klärt auf rationalem Wege praktische Probleme, doch Wertentscheidungen werden dadurch nicht objektiv, sondern nur objektiviert. Erkennen und Anerkennen ist im Gegensatz zur Sphäre der Erkenntnis in derjenigen der Praxis nicht identisch. Im Gegenteil bewirkt im Verlauf des Rationalisierungsprozesses der

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kausale Mechanismus des Erfahrungswissens die zunehmende Subjektivität der Wertstandpunkte. Am Anfang wie am Ende der Diskussion steht die subjektive Entscheidung, deren Eingebundensein in rationale Zusammenhänge sie aber dem Relativismus und Dezisionismus weitgehend entzieht.118 Die kognitive Dimension, die Weber den drei Wertsphären der Wahrheit, der ethischen Werte und der Kulturwerte zugeschreibt, läßt sich nun genauer bestimmen.119 Argumente werden dann anerkannt, wenn sie den Regeln genügen, die in der jeweiligen Sphäre als gültig vorausgesetzt werden, was nun allerdings wiederum eine Sache des Glaubens ist. Argumente im Bereich der Wahrheit, die sich an den Verstand richten und einen allgemeinen Geltungsanspruch erheben, müssen dem wissenschaftlichen Rationalitätsanspruch genügen, die Regeln der Logik und Methodik einhalten und die mit den einzelnen Disziplinen verbundenen Kulturwerte anerkennen. Ihre objektiven Erkenntnisse müssen von allen als wahr anerkannt werden. Der allgemeine Geltungsanspruch gilt auch für verantwortungsethische Argumentationen, die sich aber nicht nur an der wissenschaftlichen, sondern auch an einer praktischen Methode orientieren.120 Auch sie ist an die Normen unseres Denkens gebunden, verwendet aber darüber hinaus einen modifizierten Kategorischen Imperativ und die Wertungsdiskussion als Mittel zur formalen Gesinnungskritik. Den Kategorischen Imperativ versteht Schluchter, wiederum mit Wellmer, vor allem als eine »Ausschlußregel«, die bei Prüfung der Maximen diejenigen verwirft, die nicht als ethisch gelten können. Verbunden mit dem Dialog sieht er darin einen Weg, zumindest eine »Minimalethik« zu garantieren, die festlegt, was nicht sein darf. Glaubenssache bleiben aber nicht nur die Regeln dieser Gesinnungskritik, sondern auch die Wertinhalte, denn letzte Anerkennungsinstanz in diesem Bereich ist nicht der Verstand, sondern das Gewissen, so daß niemand zur Anerkennung eines bestimmten Wertes gezwungen werden kann. Doch die praktische Methode kann zur Respektierung alternativer und vor diesem Hintergrund zum neuen Durchdenken des eigenen Standpunktes führen. Kulturwerte schließlich erheben keinen allgemeinen Geltungsanspruch und bleiben rein subjektiv. Doch auch in ihrem Bereich ist eine formale Kulturkritik und eine Wertdiskussion möglich und, soweit sie eine Beziehung zum ethischen Bereich haben, eine Abschätzung dieses Verhältnisses auch von dieser Seite her. Schluchters Interpretation und Systematisierung der werttheoretischen Äußerungen Webers führt ihn zu einer Werttheorie, in deren Mittelpunkt eine »kritizistische Verantwortungsethik auf konflikttheoretischer Grundlage«121 steht. Diese bietet er als eine Alternative zu der von Jürgen

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Habermas vertretenen Diskursethik an, die als »kognitivistische Verantwortungsethik auf konsenstheoretischer Grundlage« definiert wird. Sie geht insofern über die kritizistische Variante hinaus, als sie für sich die rationale Begründung materialer Werte beansprucht, während jene von dem Prinzip der kritisch-rationalen Prüfung ausgeht und an der nichtrationalen Basis der Werte festhält. Den Vergleich beider Ansätze hier zu verfolgen würde zu weit führen,122 und es scheinen stattdessen grundsätzlichere Überlegungen angebracht. Die Illusionslosigkeit, die die intellektuelle Rechtschaffenheit gebietet, ließ Weber keine andere Wahl als den Kampf der Werte als ein Ergebnis der Rationalisierung anzuerkennen und als einzige Möglichkeit gegen ein Abgleiten in den Relativismus und Dezisionismus die persönliche Entscheidung jedes einzelnen Menschen zu fordern und eine verantwortungsethische Haltung zu propagieren. Er hatte damit dem Relativismus und der Überbetonung der Zweckrationalität, die er gesehen und kritisiert hat, nur die letztlich doch immer noch subjektive Wertentscheidung entgegenzusetzen. Eine wirkliche Lösung des Wertproblems ist das eigentlich nicht, eher eine Notlösung, aber mehr war Weber bei Anerkennung der geistigen Situation seiner Zeit nicht möglich. Die intellektuelle Rechtschaffenheit verbot ihm, Scheinlösungen zu folgen, wie sie Troeltsch oder Rickert boten. Schluchter hat Webers Ansatz in einer Weise fortgeführt, die im Rahmen der Bewußtseinsphilosophie eine anspruchsvolle, der entzauberten und rationalisierten Welt gerecht werdende Ethik entstehen läßt. An der prinzipiellen Subjektivität von Wertentscheidungen ändert sie jedoch nichts. So bleibt die Frage, ob der Kampf der Werte wirklich das letzte Wort sein muß, oder die intellektuelle Rechtschaffenheit auch andere Wege zu gehen erlaubt, die Weber seinerzeit nicht sah oder nicht sehen konnte. Wege, die die Diskrepanz im Rationalitätsanspruch zwischen Theorie und Praxis beheben. Die Möglichkeit einer letzten Begründung hat Weber für beide Bereiche verneint. In der Sphäre der Wissenschaft ist nicht nur dies für ihn eine Selbstverständlichkeit, sondern auch die Tatsache, daß wissenschaftliche Arbeit trotzdem zu sicheren, objektiven Erkenntnissen führt. Für die Sphäre praktischer Fragen wird die Unmöglichkeit der letzten Begründung ausdrücklich hervorgehoben und führt hier zur Irrationalität und zum Kampf der Werte,123 was vielleicht nicht zwangsläufig so sein muß. Die von Schluchter erarbeitete Version einer ›Weberschen Ethik‹ scheint durchaus geeignet, der gegenwärtigen Ethikdebatte einige Impulse zu geben, in der Weber keine oder nur am Rande eine Rolle spielt, als Kronzeuge für die Irrationalität von Wertentscheidungen. Doch wäre Weber selbst der Letzte, der um jeden Preis an dieser Position festhielte, ohne andere Möglichkeiten in bewährter Weise zumindest kritisch zu prüfen, was auch ein Gebot intellektueller Rechtschaffenheit ist.

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VII. Die Rolle der Wissenschaft in der rationalisierten Welt

Die reale Wertdiskussion zwischen Vertretern unterschiedlicher Wertstandpunkte, die im Rahmen der Weberschen ›Ethik‹ eine so bedeutende Rolle spielt, ist hier eine aus dem Alltag herausgenommene Aufgabe, die ohne spezielle institutionelle Organisation der wissenschaftlichen Arbeit zugeordnet wird. Ihr logisches Vorgehen entspricht dem der Wertanalyse oder Interpretation, die im Rahmen historisch-soziologischer Untersuchungen das ›Verstehen‹ eines Sachverhaltes begründet. Dieses Vorgehen wird, wie oben erwähnt, von Weber nur sehr allgemein beschrieben, als eine von der Einzelwertung ausgehende Analyse, die schrittweise zu immer prinzipielleren Wertstandpunkten führt.1 Sie geht dabei zwar vom empirischen Material aus, stellt jedoch eine rein logische Beweisführung dar. Ihr dialektischer Charakter führt die Wertdiskussion also über die empirische Arbeit der Fachdisziplinen hinaus, so daß Weber sie, durchaus mißverständlich, eine »geschichtsphilosophische Leistung«2 nennen kann. Später stellt er sie genauer als eine Aufgabe der Sozialphilosophie dar3 und in seinen letzten Äußerungen zu diesem Thema betraut er »die Fachdisziplin der Philosophie und die dem Wesen nach philosophischen prinzipiellen Erörterungen der Einzeldisziplinen«4 damit, wobei zwischen der empirischen und der rein logischen Untersuchung wohl ein fließender Übergang zu denken ist. Zweifelsohne aber handelt es sich bei der Wertdiskussion um »eine logische, also ebenfalls jedem theoretisch denkenden Menschen aufzwingbare wissenschaftliche Erörterung«.5 Obgleich diese auch für eine gesinnungsethische Orientierung unter Umständen eine gewisse Bedeutung haben kann, soweit sie der Gesinnung widersprechende Handlungselemente offenlegt, muß sie für eine verantwortungsethische Haltung doch von ungleich größerem Gewicht sein. Die Erinnerung an die oben erörterten Leistungen der Wertdiskussion oder Wertanalyse macht dies deutlich: Wissenschaft ermöglicht in diesem Zusammenhang eine formal-logische Beurteilung von empirischen und sinnhaften Zusammenhängen. Sie geht von einem gegebenen Zweck aus, zeigt aber nicht nur empirische Mittel und Nebenfolgen seiner Verwirklichung und den Sinnzusammenhang, sondern nimmt auch den Zweck selbst nicht

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als unabänderlich gegebene Tatsache hin. Wird die Wertanalyse in vollem Umfang durchgeführt, macht sie stattdessen auch ihn zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Kritik. Sie versteht ihn als wertende Stellungnahme, die sie auf die zugrundeliegende Maxime und die weltanschauliche Grundposition, auf letzte Wertaxiome, Ideen und Ideale zurückführt und den logischen Zusammenhang dieser Wertstufen ermittelt. Sie zeigt alternative Stellungnahmen, prüft das Gewollte im Hinblick auf seine innere Konsequenz und macht Wertkollisionen im Zusammenhang von Zweck, Mitteln und Folgen deutlich.6 Damit liefert die wissenschaftliche Arbeit dem verantwortungsethisch Handelnden zunächst das unbedingt notwendige objektive Wissen um Sach- und Wertzusammenhänge, das er braucht, um zwischen möglichen Folgen seines Tuns abwägen zu können. Sich dieses Wissens auch tatsächlich in möglichst vollem Umfang zu bedienen, ist eine der Verantwortungsethik immanente Forderung, die besonders für den politischen Bereich als der herausgehobenen Sphäre verantwortungsethischen Handelns Geltung haben muß. Daß die rationale Wertdiskussion in diesem Rahmen unverzichtbar ist, lebt Weber im übrigen selbst vor, in seinen Diskussionen mit Vertretern abweichender Standpunkte, die er nie ohne Auseinandersetzung ausgrenzt. Auch hier zeigt sich wiederum eine enge Beziehung zwischen der Wissenschaft und dem Wertbereich. Wie im Rahmen der Wertbeziehung die wissenschaftliche Arbeit auf die Sphäre der Werte zurückgreift so braucht das praktische Urteil, sofern es sich der Verantwortungsethik verpflichtet fühlt, die Wissenschaft, genauer: die wertfreie Wissenschaft. Sie läßt einerseits Raum für verantwortungsvolle Entscheidungen, garantiert aber gleichzeitig die dafür notwendige Reichweite einer Wertdiskussion, denn es ist offensichtlich gerade die Bedingung der Möglichkeit einer Wertkritik, daß Wissenschaft sich in ihrem Arbeitsgang durch keinerlei begrenzendes Werturteil reglementieren läßt. Nur die wertfreie Wissenschaft kennt keine Grenzen der Kritik und denkt die Probleme zuende, ohne sich durch wertende Einschränkungen vorzeitig bremsen zu lassen. Es ist diese Eigenschaft, die für eine wirkliche Verantwortungsethik das besonders Wertvolle an der Wissenschaft ist, welche sich daher auch im Rahmen der wissenschaftlichen Politikberatung mit unzulässig eingegrenzten Aufgabenstellungen nicht zufrieden geben darf. Wissenschaft muß darauf bestehen, die Probleme in bewährter Weberscher Art zuende denken zu dürfen, um möglichst viele Aspekte zu berücksichtigen. »Der Politiker muß Kompromisse machen - der Gelehrte darf sie nicht decken«,7 schreibt Weber und kennzeichnet damit die unüberwindliche Spannung, die er selbst wie jeder, der versucht, beiden Bereichen gerecht zu werden, ständig zu ertragen gezwungen ist.

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Gerade wegen ihrer Wertfreiheit bietet die kulturwissenschaftliche Arbeit über die Unterstützung der verantwortungsethischen Folgenabschätzung des Handelns hinaus aber auch eine Hilfe zur persönlichen Wertorientierung und zur freien, das heißt rational eingebundenen Entscheidung über die eigene Lebensgestaltung. Die wissenschaftliche Analyse führt zunächst zu dem Bewußtsein, »daß alles Handeln, und natürlich auch, je nach den Umständen, das Nicht-Handeln, in seinen Konsequenzen eine Parteinahme zugunsten bestimmter Werte bedeutet, und damit - was heute so besonders gern verkannt wird - regelmäßig gegen andere« .8 Ihre Darstellung der entzauberten, rationalisierten Welt weist mit aller Dringlichkeit auf die unumgänglich notwendige eigene Wahl letzter Werteinstellungen hin wie die ethische Irrationalität der Welt, die von der wissenschaftlichen Wertanalyse offengelegt wird, zur Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln auffordert. Letzte mögliche Axiome des Handelns kommen zum Bewußtsein bei der Rückführung von Zwecken auf »Ideen«, und diese »dem geistigen Verständnis zu erschließen« ist »eine der wesentlichsten Aufgaben einer jeden Wissenschaft vom menschlichen Kulturleben«. 9 Sie kann damit gegen alle nihilistischen Tendenzen eine moralische Orientierung fordern. 10 Unterschiedliche Ideen und handlungsleitende Werte bewußt wahrzunehmen ist wertvoll für den Menschen, weil dies »sein eigenes inneres ›Leben‹, seinen ›geistigen Horizont‹ erweitert, ihn fähig macht, Möglichkeiten und Nuancen des Lebensstils als solche zu erfassen und zu durchdenken, sein eigenes Selbst intellektuell, ästhetisch, ethisch (im weitesten Sinn) differenzierend zu entwickeln, seine ›Psyche‹ - sozusagen - ›wertempfindlicher‹ zu machen«.11 Damit wird der an Weber ergangene Dezisionismusvorwurf auch von seiten der Wissenschaft entkräftet, die Gefahr der Willkürentscheidung begrenzt: zunächst allein auf Grund der »von der Wissenschaft unverbrämt vermittelten Erfahrung des Widerstandes der Wirklichkeit und ... der artikulierten Opposition anderer Standpunkte«; 12 sodann aber auch, weil die korrekt durchgeführte Wertdiskussion hineinreicht »bis in die Bezirke persönlicher Weltanschauung«. 13 Wenn Wissenschaft in der geschilderten Art zur Klarheit über eigene und fremde Wertsetzungen führt, dann kann sie nicht ohne Auswirkungen auf den gesellschaftlich-politischen Bereich bleiben. Auf Grund der in seiner Zeit gegebenen Situation, mit dem Anspruch der Wissenschaft auf »Kathederwertung« und ihrer Tendenz sich zur lebensführenden Macht aufzuschwingen, weist Weber allerdings weniger auf diese ›Einflußnahme‹ der Wissenschaft auf praktische Wertsetzungen hin, als vielmehr auf ihre unüberbrückbare Disparatheit. Wissenschaft besitzt in ihrer Rationalität ein Mittel zur fundamentalen Kritik praktischer Wertsetzungen, und »läßt man einmal rationale Kritik dieser Art zu, dann

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ist es jedenfalls nicht mehr ohne weiteres möglich, beliebige weltanschauliche Grundsätze zu vertreten«.14 Wo Wissenschaft in der beschriebenen Weise dem Menschen hilft, »sich selbst Rechenschaß zu geben über den letzten Sinn seines eigenen Tuns«,15 wo ihre intellektuelle Rechtschaffenheit ihn lehrt, auch unbequeme Tatsachen anzuerkennen, da steht sie durchaus »im Dienst ›sittlicher‹ Mächte: der Pflicht, Klarheit und Verantwortungsgefühl zu schaffen«.16 Doch schon wo sie überhaupt im Rahmen der Wertanalyse ethische Grundsätze in ihre Arbeit einbezieht, steht sie auch im Dienst der Ethik und fördert, allgemeiner gesagt, das an ideellen Interessen orientierte normativ-praktische Handeln; doch ist dies nur eine Auswirkung ihrer Arbeit. Wissenschaft orientiert sich immer auch am Wert der Wahrheit. Wo dieser allein maßgebend ist, da wird Wissenschaft quasi als Selbstzweck betrieben, da dient sie dem reinen Erkenntnisgewinn, dem Drang zur rationalen Durchdringung der Dinge. Und schließlich ist sie in den meisten Fällen Erfüllungsgehilfin der rein materiellen Interessen des technisch-praktischen Handelns, dem die zweckgebundene Forschung das nötige Wissen zur Erreichung eines vorgegebenen Zweckes liefert. Beide Ziele wissenschaftlicher Arbeit haben ihre Berechtigung, aber nur, wo sie sich außerdem um normative Belange kümmert, wird sie ihrem Auftrag in vollem Umfang gerecht. Nur wo Wissenschaft sich auch die Aufgabe der Wertanalyse stellt, da wird ihr die Wertgebundenheit allen Handelns, auch ihres eigenen, bewußt. Dabei dient das Wissen um Norm-Maximen und Wertzusammenhänge im Rahmen der Handlungsabschätzung gemäß einer verantwortungsethischen Haltung, die selbstverständlich auch für die wissenschaftliche Tätigkeit gefordert wird, als notwendiges Konkurrenz- und Korrekturprinzip gegen eine Vereinseitigung ihrer Funktionen. Denn wo Wissenschaft nur als Selbstzweck betrieben wird, da tendiert sie dazu, die Grenzen der Beherrschbarkeit der Welt in jede Richtung soweit wie möglich hinauszuschieben und dem Wissensdrang um jeden Preis nachzugeben, ohne auf die Folgen zu schauen - vergleichbar der gesinnungsethischen Haltung, nur daß hier allein der Wert wissenschaftlicher Wahrheit regiert. Wird Wissenschaft eingesetzt, um die Mittel für vorgegebene und nicht in Frage zu stellende Zwecke ausfindig zu machen, so kann sie, wenn ihr keine anderen Ideale entgegenstehen, das technologische Weltverhältnis des Nützlichkeitsdenkens fördern und Formalisierung und Versachlichung stärken. Die ihr gemäße Rationalität wird zum herrschenden, lebensbestimmenden Wert, die idealtypisch dargestellten Zusammenhänge zum handlungsleitenden Ideal.17 Wo die rein formal-rationale wissenschaftliche Arbeit auf diesem Wege die formal-rationale Weltanpassung fördert, muß Wissenschaft, wie Kapitalismus und Bürokratie, als eine der Mächte gelten, die am Gehäuse der Hörigkeit der Zukunft arbeiten, genauer: als die

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einengende Macht, denn sie ist es, deren Analysen allen anderen Bereichen erst Mittel und Wege zeigen zur rationalen Beherrschbarkeit von Dingen und Menschen. Auf der Basis der Erfahrungswissenschaft: werden gesellschaftliche und technische Einrichtungen geschaffen, die die weitestgehende Anpassung erfordern, weil sie sonst nicht funktionsfähig sind und daher auf das rationale Funktionieren der Menschen hinarbeiten müssen. Aber die Wissenschaft ist selbst in der Lage, diese Rolle zu durchschauen, vorausgesetzt sie gibt die kritische Haltung auch sich selbst gegenüber nicht auf und zeigt sich bereit, die sie leitenden Werte offen darzulegen. Dann wird es ihr möglich sein, ihre eigenen Grenzen zu sehen und von sich aus klarzustellen, daß das formal-rationale Weltverhältnis der Wissenschaft ein möglicher Standpunkt unter anderen ist und keinen Anspruch auf alleinige Gültigkeit erheben kann. Grundvoraussetzung dieser Selbstbeschränkung der Wissenschaft stellt ihre Wertfreiheit dar. Sie ist Webers Schutzmechanismus gegen die Gefahr, die entsteht, wenn wissenschaftliche Ideale lebensbestimmend werden; eine Gefahr, die Weber natürlich gesehen hat, gehört doch der wissenschaftlich begründete Fortschrittsoptimismus des neunzehnten Jahrhunderts, der bis in seine Zeit reicht, zum Hintergrund seiner wissenschaftstheoretischen Arbeiten. Insofern die Wertfreiheit der Wissenschaft die freie Wahl der Werte nicht antastet, aber die rationale Wertdiskussion ermöglicht, ist sie auch ein aus der Praxis begründetes ethisch-moralisches Postulat. Damit erhält sie eine dritte, vielleicht die wichtigste Begründung, neben der logischen, die Wissenschaft und Werturteil in heterogenen Sphären sieht, und der soziologischen, welche die Wertfreiheit aus dem Rationalisierungsprozeß erklärt. Wertfreie Wissenschaft hält ihre Grenzen ein und läßt damit Raum für ethische Standpunkte, die im Rahmen einer umfassenden Lebensorientierung als notwendiges Korrelat dienen und damit als Regulativ für wissenschaftliche Arbeit. Als solches aber müssen sie im Rahmen der Wertanalyse, die unverzichtbarer Bestandteil der Wissenschaft ist, in deren rationale Arbeit einbezogen werden. Nur dann, und nicht wenn das ethische Postulat als irrationaler Wertstandpunkt der Wissenschaft lediglich von außen entgegengestzt wird, kann es wirklich regulierend wirken und verhindern, daß das Charisma des Machbaren, wie es der Wissenschaft anhaftet, diese zum Relimonsersatz werden läßt. Für Weber ist die Wertfreiheit eine Selbstverständlichkeit, so daß die Wissenschaft auch nicht im Rahmen seiner negativen Zukunftsvisionen erwähnt wird. Denn Wertfreiheit heißt auch, daß wissenschaftliche Arbeit selbst immer nur Mittel zum Zweck ist, weshalb Weber stets auf ihren Technikcharakter hinweist.18 Dies ist nicht mißzuverstehen, als liefere Wissenschaft nur die Mittel für vorgegebene Zwecke, denn Webers Technikbe-

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griff ist sehr weit gefaßt. Es macht vielmehr auf die begrenzte Bedeutung der Wissenschaft aufmerksam und darauf, daß die Frage, wie ihre Arbeit genutzt wird, eine Angelegenheit der praktischen Zielvorgabe ist. Ihre negativen oder als negativ empfundenen Auswirkungen sind daher zunächst kein wissenschaftliches Problem, sondern eins der Wertentscheidungen, des praktischen Umgangs mit Wissenschaft. Sich dies bewußt zu machen scheint heute wichtiger denn je, da es der wissenschaftlichen Forschung gelungen ist, auch bis in die subtilsten Lebensbereiche vorzudringen. Zwar hat sich das »Charisma der Vernunft«, das noch die Basis für den Wissenschaftsoptimismus des neunzehnten Jahrhunderts bildete, in diesem Bereich zum modernen Wissenschaftsbetrieb veralltäglicht, doch gerade dieser ist im Großen wie im Kleinen zuweilen erschreckend erfolgreich. Wo der Standpunkt vertreten wird, Wissenschaft sei nicht mehr als Technik, da liegt der Vorwurf nah, daß sie sich wie jede rein formale Institution eben deshalb jedem zur Verfügung stelle. Hier liegt tatsächlich eine Gefahr, die bei Weber vielleicht unterschätzt wird, weil für ihn eine verantwortungsvolle Haltung des Wissenschaftlers, die sich an der intellektuellen Rechtschaffenheit orientiert, noch selbstverständlich war. Die Gefahr entsteht, wenn wissenschaftliche Arbeit dauernd eingeschränkt wird auf die Fähigkeit, die Mittel zum angestrebten Zweck zu zeigen. Diese unzulässige Eingrenzung, sei sie von außen erzwungen oder von der Wissenschaft selbst vorgenommen, verdeckt die tatsächliche Reichweite ihrer Analysen, die sie immer auch ein mögliches Instrument der Kritik sein läßt. Ohne ihren Technikcharakter zu ändern besitzt die wertfreie Wissenschaft in der Wertanalyse ein Mittel zur profunden Kritik praktischer Wertsetzungen, die nicht nur eine Möglichkeit ist, sondern als eine spezifische Aufgabe der Wissenschaft erscheint. Ihr muß »das konventionell Selbstverständliche zum Problem«19 werden, und sie darf nicht vergessen, »daß, wenn irgend etwas, dann wohl dies eine berufsmäßigen ›Denkern‹ besonders nahezulegende Obliegenheit ist: sich gegenüber den jeweilig herrschenden Idealen, auch den majestätischsten, einen kühlen Kopf im Sinn der persönlichen Fähigkeit zu bewahren, nötigenfalls ›gegen den Strom zu schwimmen‹«.20 »Es wird der Auftrag zur Kritik erteilt«, 21 und wenn Wissenschaft als Kritikinstrument genutzt wird dann ist sie noch immer ein Instrument der Aufklärung, das Weber zu nutzen verstand. Seinem Beispiel zu folgen ist dringend anzuraten, denn nur wo Wissenschaft kritisiert und ihre sehr weitreichenden technischen Urteile fällt, da steht sie nicht mehr jedem zur Verfügung. Will man nun formulieren, welche Rolle die Wissenschaft in der rationalisierten Welt spielt, so findet man sie in der äußerst paradoxen Situation,

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wie im Verlauf des Rationalisierungsprozesses so noch immer, Freiheit und Zwang zu fördern. Mit der Verbannung von Göttern und Dämonen, der Entzauberung der Welt, ihrer Rationalisierung und Beherrschbarkeit, dem Verzicht auf metaphysische Deutungen, der analytischen Prüfung von Dogmen und Ideologien und der Fähigkeit zur rationalen Durchdringung politischer, gesellschaftlicher oder technischer Systeme, die diese erst durchsichtig und veränderbar macht, leistet Wissenschaft ihren Beitrag zur Freiheit. Gleichzeitig aber ist sie es, die das technische Wissen liefert - und es kann das gleiche Wissen sein, das Freiheit fördert - , das die Machtentfaltung der rationalen Lebensordnungen mitbegründet. Das Janusgesicht der Wissenschaft, ausgerichtet auf Freiheit und Zwang, wird seit Beginn der Moderne immer deutlicher. Es ist Zeichen für eine der Wissenschaft immanente unauflösliche Spannung, die nicht zu ändern ist, weil sie der Struktur wissenschaftlicher Arbeit entspricht. Welche Leistung der Wissenschaft überwiegt, ist eine Frage des Umgangs mit ihr; es ist abhängig von der Zielsetzung der praktisch Handelnden. Gefordert ist eine verantwortungsvolle Handhabung, die Wissenschaft nicht einengt, sie aber auch nicht in die Rolle der letzten Entscheidungsinstanz geraten läßt. Vor dem Hintergrund der von Weber dargelegten Analyse der modernen Wissenschaft erweist sich damit, daß das ›Problem Wissenschaft‹ tatsächlich das Problem der Werte ist.

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VIII. Schlußbetrachtung Die für die Moderne so wichtige Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Leben ist nach wie vor aktuell. Und noch immer werden mit den Antworten die Wege beschritten, die in der damaligen Krisensituation Friedrich Nietzsche und Max Weber in je eigener Weise vorgezeichnet haben. Die Arbeit sah in der extremen Reaktion des Philosophen einen Versuch, den Problemen der Moderne letztlich durch die Flucht in das Irrationale zu entkommen. Sie stellte dem die gemäßigte Haltung Webers gegenüber, die mit der Forderung beginnt, die Gegenwart, in der wir stehen, zu ertragen und die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Die unterschiedlichen Grundorientierungen Nietzsches und Webers zeigen sich bereits in der jeweiligen Gegenwartsdiagnose. Was Nietzsche mit dem Wort »Nihilismus« kennzeichnet, ist eben nicht nur die Entwertung der obersten, metaphysischen Werte. Es bedeutet vielmehr die Entwertung aller theoretischen und praktischen Werte. Natürlich lassen sich Einflüsse der vorhergehenden zweieinhalb Jahrtausende philosophischen Denkens bei Nietzsche zeigen. Doch scheint seine Philosophie hauptsächlich durch das Bestreben gekennzeichnet, traditionelle Orientierungen aufzulösen, um neu zu beginnen. Weber löst nicht auf, er realtiviert und definiert neu. Im Zuge des okzidentalen Rationalisierungsprozesses, den er in seinen soziologischen Arbeiten darstellt, wandeln sich Leben und Denken, geraten in neue Dimensionen und verändern ihre Grundlagen. Im Gegensatz zu Nietzsche zeigt Weber, daß dem ohne nihilistische Auswirkungen Rechnung getragen werden kann. Die Alles-oder-Nichts-Haltung Nietzsches prägt auch sein Verständnis von wissenschaftlicher Arbeit. Er hat das herrschende Wissenschaftsideal seiner Zeit vor Augen: den klassischen Positivismus. Dessen Absolutheitsansprüche, manifestiert im uneingeschränkten Objektivitätsideal und der Vorstellung, aus Theorien seien unmittelbar Anleitungen für die Praxis abzuleiten, ja Wissenschaft könne das ›richtige‹ praktische Handeln bestimmen und so die Lebensführung übernehmen, kritisiert Nietzsche zu recht. Aber er ändert nichts daran; das Problem besteht fort. Seine Kritik führt in eine Sackgasse, denn Wissenschaft ist und bleibt für Nietzsche positivistische Wissenschaft.

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Webers Vorstellung ist eine andere. Gegen das herrschende Ideal des neunzehnten Jahrhunderts beschreiben seine methodologischen Beiträge eine Arbeitsweise, die sich als ›Forschung‹ kennzeichnen läßt. In ihr zeigt sich die gemäßigte Haltung einer Wissenschaft, die ihre früheren Illusionen und Allmächtigkeitsphantasien aufgegeben hat und insofern ›entzaubert‹ ist. Ihr säkularisierter Wahrheitsbegriff braucht keine ›höhere‹ Orientierung und keinen empirischen Ersatz dafür. Ihre Erkenntnis ist sicher, aber nicht absolut, sondern an Bedingungen geknüpft und deshalb standpunktgebunden, partikular und vorläufig. Dieser unterschiedlichen Wissenschaftsauffassung bei Weber und Nietzsche entsprechen die verschiedenen Wege der Kritik an der Rationalität im allgemeinen und der Wissenschaft im besonderen. Nietzsche hat sie aus den metaphysischen Klammern befreit, doch nur um sie erneut unterzuordnen. Erkenntnis und Wissenschaft dienen, im Gefüge seiner Gesamtphilosophie betrachtet, dem ›höheren‹ Prinzip des Lebens. Erkenntnis ist als eine seiner Manifestationen Teil des Lebens. Dieses wiederum wird in der Spätphilosophie vom noch umfassender gedachten Willen zur Macht vereinnahmt. Da nunmehr alles Existierende Ausdruck des Willens zur Macht ist, wird auch Erkenntnis verstanden als Zurechtmachung der Wirklichkeit durch ihn und in seinem Dienst. Mit der Zurückführung aller Phänomene auf den Willen zur Macht verliert nicht nur die Erkenntnis, sondern auch die Moral ihren Status als autonome Instanz menschlicher Existenz. Nietzsche verkennt, daß der Wille zur ›Wahrheit‹ eine durchaus eigenständige Berechtigung hat. Nicht anders steht es mit dem moralischen Empfinden. Doch der Philosoph findet dessen Ursprünge in hinterlistigen Schachzügen eines geschwächten Lebens. Mit einer ›Epistemologie‹, die sich im Rahmen des Willens zur Macht bewegt, etabliert Nietzsche schließlich eine Erkenntnis, die gar nicht mehr wissen will, was ist. Der Nihilismus hat den Wert der Wahrheit vernichtet. So zerfällt diese bei Nietzsche in Irrtümer, Lüge und Schein. Weil sein Denken in absoluten Kategorien befangen bleibt, kennt er nur die absolute Wahrheit und kann sie in dem Augenblick, in dem er sie zerstört sieht, nur durch das gegenläufige Extrem, den Irrtum, ersetzen. Wahrheit ist eine Illusion, wenn auch eine notwendige, weil wir ohne sie nicht leben könnten. Tatsächlich liefert Erkenntnis nur Irrtümer. Nietzsche verzichtet letztlich auf Wirklichkeitserkenntnis, zugunsten einer am Vorbild der Kunst orientierten »Perspektivenoptik des Lebens«. Seine neuen Philosophen, die »freien Geister«, schaffen, orientiert am Geschehen des Willens zur Macht, ästhetische, nicht weiter zu hinterfragende Weltentwürfe, die sie auf ihre Lebensbedeutsamkeit hin prüfen, denn diese ist nun der Richtwert aller Dinge. Nichts ist wahr, alles ist

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erlaubt, denn die Redlichkeit der freien Geister orientiert sich allein an den Bedürfhissen des Lebens. Dabei sind ihre Weltperspektiven gleichzeitig Wertperspektiven. Erkennen heißt werten. Und so ist die Wahrheit der freien Geister keine Objekt-, sondern eine Sinnwahrheit. Es ist richtig: Nietzsche verzichtet nicht auf Rationalität, das ›Leben‹ ist bei ihm noch kein Gegenbegriff. Er nutzt sogar die Wissenschaft wegen ihrer »intellektuellen Sauberkeit« als Instrument der Kritik. Aber sie hat kein Eigengewicht mehr, denn sie gründet wie alles im Willen zur Macht und liefert wie jede Erkenntnis nur Scheinbarkeiten. Nietzsche bindet die Rationalität ein in das Irrationale. Er will zu einer Vernunft gelangen, die durch die Aufklärung hindurchgegangen ist, eine neue Form entwickelt hat, und sich deshalb in der Lage sieht anzuerkennen, daß die Welt- und Wertperspektiven der freien Geister nur Versuche im Interesse des Willens zur Macht sind. Auch Wissenschaft ist nur ein solcher Versuch. Mit der weitesten dieser Perspektiven etabliert Nietzsche schließlich den bewußt gesetzten Mythos von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, der als »neues Schwergewicht« des Lebens den Weltentwürfen die Richtung weist. Trotz einiger Wertschätzung der Rationalität, die sich seine Philosophie bewahrt hat, treiben Nietzsches Erlösungshoffhungen ihn schließlich auf der Flucht vor den übersteigerten Ansprüchen der wissenschaftlichen Rationalität auf der einen Seite und der eigenen Gegenwartsdiagnose des Nihilismus auf der anderen ins Irrationale. Nietzsches Philosophie hat bis heute vielfältig fortgewirkt. Dennoch muß bezweifelt werden, daß sie den komplexen Strukturen der Moderne im Leben wie im Denken gerecht werden kann. Die Unverbindlichkeit der ästhetischen Form der Vernunft verpflichtet zu nichts, bewirkt aber auch nichts. Es bleibt die noch immer beeindruckende Kritik des Philosophen an den Erscheinungen der Moderne. Dazu gehört auch seine Abrechnung mit der modernen Form wissenschaftlicher Arbeit. Bedenkt man jedoch, daß Nietzsches Wissenschaftsbegriff derjenige des klassischen Positivismus ist, so erweist sich seine Kritik als zeitgebunden. Es wäre zuviel gesagt, wollte man ihr nur noch eine historische Bedeutung zubilligen, aber das heute vorherrschende Verständnis ist ein anderes. Wissenschaft weiß, daß sie zu keiner wie auch immer gearteten ›absoluten‹ Wahrheit gelangt. Es ist ihr durchaus bewußt, daß das praktische Handeln vielerlei Bestimmungen kennt und sich aus den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung Handlungsanweisungen nicht unmittelbar ableiten lassen. Wenn sich die wissenschaftliche Praxis gelegentlich auch so gebärdet, als sei dies doch möglich, so ist, um sie in ihre Schranken zu weisen, Nietzsche wenig hilfreich. Weber ist es um so mehr. Seine Reaktion auf die damalige Krise ist eine ganz andere, denn die nüchtern-illusionslose Haltung Webers will nicht nur keineswegs auf die

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Rationalität verzichten, sondern erkennt in ihr und insbesondere in der Wissenschaft das geeignete Instrument, Problemlösungen zu fundieren. Nicht allein, weil die rationalisierte Welt nur mit Hilfe des rationalen Denkens zu entziffern ist und die intellektuelle Rechtschaffenheit verbietet, den erreichten Rationaltätsstandard ohne weiteres aufzugeben, sondern auch, weil Rationalität bei allen Unzulänglichkeiten doch die sicherste Basis für Theorie und Praxis bietet. Weder erklärt noch trägt sie alles, aber sie ist unverzichtbar. Es gibt keine angemessene Alternative. In einer Zeit, in der das Irrationale fröhliche Urständ feiert, kann dies kaum genug betont werden. Den Standpunkt der Rationalität verläßt Weber auch im Rahmen seiner Wissenschaftskritik nicht. In Fortführung der kritizistischen Haltung Kants unternimmt er eine Selbstkritik der Wissenschaft. Dabei erfahrt der kantische Erkenntnisbegriff durch die Verarbeitung der Erfahrungen des Historismus und Positivismus und durch die Verknüpfung mit neuen Elementen wie der Handlungstheorie eine zeitgemäße Modifizierung. Ungeachtet der Tatsache, daß es in vielen Punkten zu Weiterentwicklungen gekommen ist und noch kommen muß, entsprechen die Grundzüge des Weberschen Wissenschaftsentwurfs im Prinzip den heute vorherrschenden Gedanken. Webers Wissenschaftslehre wird dementsprechend noch immer diskutiert. Der sich selbst kritisierenden Wissenschaft gelingt es bei Weber, die Reichweite ihrer Rationalität zu erkennen und sich selbst in ihre Grenzen zu verweisen. Diese Selbstbindung wird zunächst erfaßt im Begriff der »Wertfreiheit«, mit dem Weber das gleichberechtigte Nebeneinander von Wissenschaft und Leben, also der wertgebundenen Sphäre praktischen Handelns kennzeichnet. Er läßt jedoch keinen Zweifel daran, daß beide Bereiche, wenn sie auch prinzipiell zu trennen sind, sich gegenseitig stark beeinflussen, ja aufeinander angewiesen sind. Die Arbeitsweise von Natur- und Kulturwissenschaften ist für Weber prinzipiell die gleiche, woran auch die Tatsache, daß letztere die »Mehrleistung« eines intellektuellen »Sinn-Verstehens« ihres Gegenstandes erbringen, nichts ändert. So verzichtet Webers Wissenschaft, gleich welches Erkenntnisziel sie hat, keineswegs auf Objektivität. Sie erhebt jedoch keinen Absolutheitsanspruch und definiert ihre Objektivität neu als eine, die an Bedingungen gebunden und insofern relativ ist. Diese Bedingungen liegen nicht nur in der Logik und Methodik der einzelnen Wissenschaften, sondern auch im subjektiven Bereich der Werte. Wie Weber mit dem methodischen Prinzip der Wertbeziehung darlegt, findet kulturwissenschaftliche Arbeit den Standpunkt ihrer Wirklichkeitsbetrachtung in Werten. Und mehr als das: jede Wissenschaft muß den Wert ihrer eigenen Arbeit voraussetzen, der nicht zu beweisen, nur zu glauben ist. Trotz dieses

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relativierten Objektivitätsbegriffs, oder besser: gerade deswegen, bietet diese Wissenschaft die sicherste Erkenntnisform, die wir haben. Ist wissenschaftliche Arbeit somit auf praktische Wertsetzungen angewiesen, so beeinflußt sie selbst wiederum die Praxis. Die Trennung von Wissenschaft und Wert entspricht der Ausdifferenzierung der Lebensbereiche, in denen der moderne Mensch leben muß, und denen er gerecht werden soll. Sie ist ein Ergebnis des okzidentalen Rationalisierungsprozesses, als dessen stärkstes Antriebselement Weber die Wissenschaft bezeichnet. Ihr »Rationalismus der Weltbeherrschung« trug wesentlich zur Loslösung von metaphysischen und traditionellen Beschränkungen bei und förderte so die Freiheit. Doch der Kulturkritiker Weber zeigt auch die »Nebenkosten« dieser Rationalisierung: die Versachlichung, den Zwangscharakter moderner gesellschaftlicher Einrichtungen wie dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und der Bürokratie. Diese antagonistischen Eigenschaften, das unauflösliche Spannungsverhältnis von Freiheit und Zwang, das der modernen rationalisierten Welt immanent ist, findet sich in der Wissenschaft wieder. Sie erlöst von alten, aber schafft neue Bindungen, indem sie zweckrationalen Bestrebungen die nötigen Mittel zum Erfolg liefert. In jedem Fall aber ist sie unverzichtbar, weil sie allein sich der Komplexität der modernen Welt gewachsen zeigt. Dabei gibt sie zwar keine Anweisungen zum ›richtigen‹ Handeln, aber Weber macht doch deutlich genug, daß sie die praktische Entscheidung nutzbringend begleiten kann. Zwar hat er aus gutem Grund in einer Zeit der übersteigerten Ansprüche positivistischer Wissenschaft die grenzziehende Wertfreiheit und den Technikcharakter wissenschaftlicher Arbeit betont. Aber schon wenn die Wissenschaft als nur noch fachmäßig betriebener Beruf zu einer einzigen Tugend : der intellektuellen Rechtschaffenheit erzieht, sieht Weber sie auch im Dienst sittlicher Mächte. Daß ihre diskursive Arbeitsweise einem moralischen Verhalten durchaus förderlich sein kann, darf heute wohl wieder stärker betont werden. Weber hat zudem keinen Zweifel daran gelassen, daß wissenschaftliche Rationalität auch Wertentscheidungen zumindest absichern kann. Um den »Kampf der Werte« zu überwinden und der Gefahr des Relativismus zu entgehen, kennt er nur einen Weg: die subjektive Entscheidung für die eigenen letzten, unaufgebbaren Werte. Aber Weber bindet die subjektive, letztlich irrationale Entscheidung vor allem über ethische Werte so weit wie möglich in rationale Strukturen ein. Insbesondere seiner Verantwortungsethik, welche die ethische Entscheidung mit der Übernahme der Verantwortung für die Folgen des Handelns verknüpft, läßt sich die Forderung nach möglichst umfassender Information entnehmen. Die hier nützliche Helferrolle der Wissenschaft erschöpft sich nicht im Bereitstellen der Mittel

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für den vorgegebenen Zweck. Auch dieser selbst und die zugrundeliegende Wertorientierung werden analysiert. Wissenschaft zeigt empirische und sinnhafte Zusammenhänge und bringt das Wertproblem damit unter Umständen erst zu Bewußtsein. Die unabhängige, da von einer wertfreien Wissenschaft zu leistende Wertdiskussion ist für Weber ein unverzichtbarer Bestandteil ihrer Arbeit. Es ist kaum zu leugnen, daß seine ›wertfreie‹ Wissenschaft damit einen eminenten Einfluß auf persönliche Weltanschauungen nehmen kann, wenngleich Weber, wie gesagt, ihre Zurückhaltung betonte und forderte, was auch heute natürlich noch seine Berechtigung hat. Die von W. Schluchter aus Weberschen Ansätzen entwickelte Werttheorie macht deutlich, daß Weber sich auch hier prinzipiell an Kant orientierte, mit dem Unterschied, daß ihn als ethischen Skeptiker kein Kognitivismus auf diesem Gebiet überzeugte. Für die Problematik der letztlichen Subjektivität der Wertentscheidungen sah Weber auf der Basis seines Rationalitätsbegriffs keine Lösungsmöglichkeit. Und noch immer gibt es auf diesem Gebiet viele offene Fragen. Niemand ist zu einem verantwortlichen Verhalten, zu Vernunft oder Wisenschaft zu zwingen, während Appelle an die Einsichtsfähigkeit oft genug wenig Wirkung zeigen. So ist noch heute der eigentlich kritische Punkt die Wertorientierung und zwar sowohl im Hinblick auf die inhaltliche Bestimmung wie auf die (formale) Begründung der Werte. Dies ist nun allerdings eine Einsicht, die Nietzsche und Weber wiederum verbindet. Beide wußten und haben es deutlich gesagt, daß hier, in der Wert- und Sinnfrage, das eigentliche Problem der Moderne liegt, zu dem letztlich auch die Gedanken über das Verhältnis von Wissenschaft und Leben zurückführen müssen.

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Abkürzungen Schriften Webers WL WuG RS PS GASS GASW MWG II/5 MWG 1/17 MWG I/19

Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre Wirtschaft und Gesellschaft Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie (Bd. I, II und III) Gesammelte Politische Schriften Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Max Weber Gesamtausgabe, Briefe 1906-1908 Max Weber Gesamtausgabe, Wissenschaft als Beruf 1917/19. Politik als Beruf 1919 Max Weber Gesamtausgabe, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus

Schriften Nietzsches GT DS HL SE WL V MA Μ FW Ζ JGB GM GD AC EH NF

Die Geburt der Tragödie David Strauß, der Bekenner und der Schriftsteller Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben Schopenhauer als Erzieher Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn Fünf Vorreden über fünf ungeschriebene Bücher Menschliches, Allzumenschliches Morgenröte Die Fröhliche Wissenschaft Also sprach Zarathustra Jenseits von Gut und Böse Zur Genealogie der Moral Götzen - Dämmerung Der Antichrist Ecce homo Nachgelassene Fragmente

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Anmerkungen I. Einleitung 1 Vgl. Weiß, Wiederverzauberung der Welt. 2 Zum Überblick über die Entwicklung in Wissenschaft und Philosophie in dieser Zeit Schnädelbach; Poggi u. Röd; Riedel, 19. Jahrhundert; Noack; ergänzend einige Kapitel bei Schulz; die inhaltliche Entwicklung von Natur- und Geschichtswissenschaften und der Technik vor allem in der ersten Hälfte des Jahrhunderts bei Schnabel; die allgemeine Stimmung der Epoche vermittelt Friedell. 3 Zum Strukturwandel der Wissenschaft vgl. auch Plessner; zur Unterscheidung zwischen klassischer und moderner Wissenschaft der u. a. begriffsgeschichtliche Beitrag von Diemer, Die Begründung des Wissenschaftscharakters. 4 Am Beispiel einzelner Wissenschaft dargestellt in Diemer, Konzeption und Begriff der Forschung. 5 In seiner berühmten Rede »Über die Grenzen des Naturerkennens«, die er 1872 auf der 4 5 . Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Leipzig hielt. Zur wissenschaftlichen Grundhaltung des Physiologen Du Bois-Reymond vgl. Mann. 6 Zitiert nach Schipperges, Repräsentative Eröffnungsreden, S. 20, 2 5 . 7 Zum Fortschrittsbegriff vgl. Koselleck. 8 Zitiert nach Schipperges, Utopien der Medizin, S. 137. 9 Allgemein zum Positivismus Kolakowski. Einzelne Aspekte werden untersucht bei Blühdorn u. Ritter. Zu den drei großen Theoretikern des Posirivismus, Auguste Comte, John Stuart Mill und Herbert Spencer vgl. Poggi u. Röd, vor allem S. 23ff., 40ff., 108ff. Zu Comte außerdem Fetscher. 10 Dazu Schnädelbach, S. 51ff.; Oexle, »Historismus«; zur Problem- und Begriffsgeschichte des Historismus Wittkau. 11 Dazu Schnädelbach, S. 58ff.; zur Verwissenschaftlichung der Geschichte die entsprechenden Aufsätze in Hardtwig; zu methodologischen Ansätzen auch Cassirer, Das Erkenntnisproblem, S. 225ff.; zur deutschen Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert und bis nach dem II. Weltkrieg, ihren erkenntnistheorerisch-philosophischen Voraussetzungen und politischen Einstellungen Iggers. 12 Zur Geschichtswissenschaft in ihrer Auseinandersetzung mit objektivistischen Positionen und deren Überwindung Oexle, Geschichtswissenschaft; zur sich entwickelnden Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften und der Bestimmung beider Bezeichnungen Diemer, Die Differenzierung der Wissenschaften. 13 Zum Verstehensproblem Schnädelbach, S. 138ff. Der Gegensatz von Erklären und Verstehen ist seitdem ein bis heute diskutiertes Thema; dazu die aus transzendentalpragmatischer Perspektive verfaßte Arbeit von Apel; zum gegenwärtigen Stand der Diskussion Haussmann. 14 Einige Gedanken dazu bei Scholtz, Skizze zum Strukturwandel der Geisteswissenschaften.

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Anmerkungen zu S. 15-22 15 Einen Überblick über die Lösungsversuche des Relativismusproblems gibt Scholtz, Das Historismusproblem und die Geisteswissenschaften im 20. Jahrhundert. 16 Diese antipositivistische Einstellung war keineswegs auf Deutschland beschränkt. Einen Überblick über die europäischen Bewegungen gibt Hughes. Ein Überblick über die Reaktion der deutschen Gelehrten auf die Kulturkrise findet sich bei Ringer. 17 Vgl. Oexle, ›Wissenschaft‹ und ›Leben‹. 18 Vgl. dazu Kap. III. 19 Dazu Zingerle, Die verspätete Rezeption; speziell zur Rezeption der materialen Soziologie ders., Max Webers historische Soziologie. Einiges zur Rezeptionsgeschichte auch in der von Mommsen verfaßten Einleitung zu ders. u. Schwentker, S. 11ff. 20 Noch immer hervorzuheben: v. Schelting. Der These, Weber sei in der Soziologie der Weimarer Zeit ein Außenseiter gewesen, tritt Fogt entgegen. 21 Parsons, zu Weber vgl. Bd. 2, S. 500ff. Dazu Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 114ff. Erdelyi zeigt die Bedeutung Webers für die amerikanische Soziologie, aber auch die Problematik der amerikanischen Weber-Rezeption, die bis in die sechziger Jahre nicht nur selektiv vorging, sondern Weber auch im Sinne der anglo-amerikanischen, positivistisch orientierten Philosophie interpretierte. 22 Vgl. Jaspers Schriften über Weber, gesammelt in Jaspers, Max Weber. 23 Das Gedicht begint mit den Zeilen: »Das war der Mann, der immer wiederkehret, wenn eine Zeit noch einmal ihren Wert, da sie sich enden will, zusammenfaßt.« 24 Vgl. WL, S. 217f. 25 Hennis, Max Webers Fragestellung, S. 167. 26 Dies wird bereits betont bei Oexle, Geschichtswissenschaft, S. 30ff.; ders., »Historismus«, S. 135ff.; ders., ›Wissenschaft‹ und ›Leben‹, S. 152ff.

II. Wissenschaft und Leben bei Friedrich Nietzsche 1 Zitiert nach Löwith, Nietzsche nach sechzig Jahren, S. 466. 2 Prinzhorn, S. 97. 3 GD, 6, S. 140, EH, 6, S. 350; Nietzsche wird zitiert mit Titel der Schrift, Band und Seitenzahl nach der Kritischen Studienausgabe, hg. von Colli u. Montinari; zu den Abkürzungen vgl. das Abkürzungsverzeichnis. 4 FW, 3, S. 574,635. 5 Mit beidem, Fortschrittsgläubigkeit und Kritik, beschäftigt sich Schipperges, Utopien. 6 GT, 1,S. 13. 7 Ebd.,S. 116. 8 Vgl.ebd., S. 13. 9 Vgl. ebd., S. 103, 117, 100. 10 Ebd., S. 118. 11 Vgl. HL, 1, S. 298. 12 GT, 1,S. 111. 13 FW, 3, S. 625. 14 Ebd.

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Anmerkungen zu S. 22-27 15 JGB, 5, S. 28. 16 GD, 6, S. 109. 17 GM, 5, S. 357. 18 Ebd., S. 404. 19 Vgl. NF, 7, S. 628. 20 NF, 8, S. 32. 21 DS, 1, S. 202; vgl. NF, 7, S. 613. 22 HL, 1, S. 243ff. 23 Ebd., S. 271. Schröter zeigt ausführlich Gemeinsamkeiten der Kritik Nietzsches mit zeitgenössischen und späteren Ansätzen in der Geschichtswissenschaft. 24 HL, 1, S. 271, vgl. S. 258ff. Auf diese positiven Elemente der Historienschrift ist hier nicht weiter einzugehen. Nietzsche selbst hat ihnen, im Gegensatz zu seinen Interpreten, im nachhinein wenig Bedeutung beigemessen. Vgl. dazu Salaquarda, Studien. 25 HL, 1, S. 271, vgl. S. 245. 26 NF, 7, S. 429. 27 HL, 1, S. 272, 299. 28 Ebd., S. 287. 29 Ebd., S. 288; SE, 1, S. 410. 30 HL, 1, S. 290. 31 V, 1,S. 780. 32 NF, 7, S. 430. 33 HL, 1, S. 301, vgl. S. 300f. 34 Ebd., S. 297, vgl. S. 257. 35 Ebd., S. 272. 36 Ebd., S. 284. 37 Ebd., S. 279. 38 Vgl. ebd., S. 308ff. 39 Ebd., S. 313ff. Dazu Salaquarda, Studien, S. 30ff. 40 HL, 1, S. 313. 41 Ebd., S. 245. 42 SE, 1, S. 344. 43 HL, 1,S. 330, 331. 44 Zur Geschichte des Begriffs vgl. Riedel, Nihilismus; Müller-Lauter u. Goerdt. Zu Nietzsches unmittelbaren Quellen Kuhn. Einen Überblick über das Nihilismus-Problem bei Nietzsche bietet Bröcker. 45 NF, 12, S. 350. 46 FW, 3, S. 573. 47 Ebd., S. 480f. 48 GM, 5, S. 401. 49 Ebd., S. 409; vgl. FW, 3, S. 600. 50 FW, 3, S. 600. 51 GM, 5, S. 410. 52 Zur Selbstaufhebung des Christentums durch das ihm immanente Wahrheitsstreben und die sich daraus entwickelnde Redlichkeit Grau, Christlicher Glaube und intellektuelle Redlichkeit. 53 Vgl. z. B. JGB, 5, S. 162f. 54 NF, 12, S. 212.

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Anmerkungen zu S. 27-32 55 Vgl. GM, 5, S. 410. 56 NF, 12, S. 212. 57 Vgl. NF, 13, S. 46ff. 58 Z, 4, S. 327ff. 59 Vgl. Heidegger, Nietzsche, Bd. I, S. 480; ders., Nietzsches Wort »Gott ist tot«. 60 EH, 6, S. 259. 61 NF, 12, S. 217. 62 FW, 3, S. 481. Zur Symbolik der Erzählung und ihrer ideengeschichtlichen Verknüpfung vgl. Biser, S. 40ff. 63 NF, 12, S. 127. 64 GM, 5, S. 252; vgl. NF, 12, S. 351. 65 Vgl. GM, 5, S. 251f. 66 Vgl. NF, 12, S. 215, 350f. 67 Vgl. FW, 3, S. 481f., 574. 68 Ebd., S. 467. 69 NF. 12. S. 476. 70 Ebd. 71 FW, 3, S. 570. Dazu grundlegend Löwith, Nietzsches Philosophie. 72 NF, 12, S. 213. 73 GM, 5, S. 336. 74 NF, 12, S. 351. 75 Z, 4, S. 102, vgl. S. 23. 76 NF, 11, S. 289. 77 Vgl. Z, 4, S. 19f. 78 Es kann also keine Rede davon sein, daß Nietzsche den Kapitalismus verteidigte, während der Sozialismus ihm zum Hauptfeind geworden war, wie so oft behauptet wurde. Z. B. von Lukács, S. 270ff. Zu Sozialismus und Kapitalismus bei Nietzsche vgl. Ottmann, Philosophie und Politik, vor allem S. 25ff., 138ff., 294ff. 79 Zur Verwendung des Begriffes bei Nietzsche und anderen und zu seiner Geschichte vgl. Hadot u. a. Zum Lebensbegriff im Fortgang der Philosophie Nietzsches Bausch, S. 1ff. 80 Vgl. Z, 4, S. 99f.; dazu Bougas. 81 Vgl. GD, 6, S. 67. 82 Vgl. Gerhardt, Leben und Geschichte, S. 139. 83 Z, 4, S. 147. 84 So Gerhardt, Leben und Geschichte, S. 148, im Hinblick auf »Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben«, doch gilt dies darüber hinaus. 85 FW, 3, S. 400; JGB, 5, S. 22. 86 Z, 4, S. 148, vgl. S. 130. 87 NF, 11, S. 661. 88 Z, 4, S. 147. 89 JGB, 5, S. 208. 90 Ebd, S. 207. 91 NF, 13, S. 301, vgl. S. 360. 92 NF, 11, S. 611, vgl. S. 610f. 93 NF, 13, S. 260. 94 Vgl. Grimm, S. 7ff. 95 Dazu Müller-Lauter, Nietzsches Lehre, S. 22.

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Anmerkungen zu S. 32-37 96 NF, 13, S. 36f. Vgl. zum folgenden grundlegend Müller Lauter, Nietzsches Lehre, und ders., Nietzsche, S. 22ff. Allgemein zur Problematik des Willens zur M acht auch Abel, Die Dynamik. 97 NF, 13, S. 258, 271. 98 Vgl. ebd., S. 261, 373f.; NF, 12, S. 386. 99 NF, 12, S. 424. 100 Vgl. FW, 3, S. 526. 101 NF, 12, S. 104. 102 Vgl. ebd., S. 25; NF, 13, S. 300. 103 NF, 13, S. 258. 104 M üller-Lauter, Nietzsches Lehre, S. 30; vgl. NF, 11, S. 503. 105 NF, 13, S. 371. 106 Vgl. Müller-Lauter, Nietzsches Lehre, S. 40, und ders., Nietzsche, S. 109f. 107 NF, 12, S. 140. 108 Zu Nietzsches Auffassung der Kunst und ihrer Bedeutung für seine Philosophie: Djurić, Nietzsche und die Metaphysik,S.3188ff. 109 GT, 1, S. 17. Vgl. dazu Gerhardt, Artisten-M etaphysik. 110 GT, 1, S. 47; NF, 12, S. 119. 111 Der Wille zur Macht als Sublimierungsgeschehen bei Kaufmann, S. 245ff. 112 Daß dies ein nicht zu unterschätzendes Element vor allem der Spätphilosophie ist, wird deutlich in der kritischen Untersuchung von Grau, Ideologie und Wille zur Macht. 113 Vgl. zum folgenden Ottmann, Philosophie und Politik, S. 335ff. 114 Vgl. z. Β. NF, 13, S. 264f., 427. 115 DW, 6, S. 27. 116 NF, 12, S, 215, vgl. S. 13, 265, 279. 117 NF, 13, S. 255, vgl. S. 250. 118 Vgl. ebd., S. 427. 119 Vgl. GD, 6, S. 81. 120 Vgl. Heftrich, S. 75. 121 Z, 4, S. 31. 122 Vgl. FW, 3, S. 578f. 123 GM, 5, S. 245ff. 124 Ebd., S. 268. 125 Vgl. JGB, 5, S. 165. 126 Ebd., S. 205; GD, 6, S. 138. Vgl, dazu Gerhardt, »Pathos der Distanz«. 127 GM, 5, S. 259. 128 Ebd., S, 267. Nebenbei gesagt haben alle Äußerungen Nietzsches gegen das Judentum hierin ihren Grund und keineswegs in einem modernen Antisemitismus, der für ihn im Gegenteil eine der jüngsten Spielarten des Ressentiments ist - »vielleicht die beste Erklärung, die überhaupt für den Antisemitismus gegeben werden kann«. Ottmann, Philosophie und Politik, S. 251. 129 GM, 5, S. 272f. 130 Vgl. ebd., S. 330ff. 131 NF, 13, S. 318. 132 Fink, S. 119. 133 JGB, 5, S. 12. 134 Vgl. AC, 6, S. 178. 135 Vgl. GD, 6, S. 86.

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Anmerkungen zu S. 37-42 136 Vgl. GM , 5, S. 270f., 362f. und Müller-Lauter, Nietzsche, S. 72ff. 137 Vgl. auch grundsätzlich zur Moralkritik Nietzsches: Fahrenbach. 138 NF, 12, S. 211. 139 Vgl. M A, 2, S. 41f. 140 JGB, 5, S. 166. 141 GM , 5, S. 339. 142 NF, 12, S. 212. 143 Vgl. NF, 13, S. 324 und MA, 2, S. 64. 144 GM , 5, S. 363; NF, 13, S. 369, vgl. S. 323f, 369f. 145 Z, 4, S. 753. 146 GD, 6, S. 86. 147 NF, 13, S. 36. 148 JGB, 5, S. 92; vgl. GD, 6, S. 98. 149 JGB, 5, S. 107; vgl. NF, 11, S. 661. 150 FW, 3, S. 386. 151 M A, 2, S. 87. 152 Ebd., S. 63. 153 Z, 4, S. 81. 154 NF, 10, S. 17, vgl. S. 359. 155 Z, 4, S. 29ff. 156 Ebd., S. 31. 157 Vgl. JGB, 5, S. 152. 158 Vgl. FW, 3, S. 490f. 159 Ebd., S. 519. 160 Näheres über diesen extremen Autonomiegedanken bei Ottmann, Philosophie und Politik, S. 212ff., 279ff. 161 Vgl. JGB, 5, S. 145. 162 Vgl. NF, 12, S. 342. 163 Vgl. Fink, S. 171f., 175. 164 Nietzsches Philosophie, S. 256. 165 GD, 6, S. 80f. 166 NF, 12, S. 382. Einen Überblick über Nietzsches Erkenntniskritik bietet Kirchhoff. 167 Zu Nietzsches Kritik an der Korrespondenztheorie vgl. Grimm, S. 43ff. 168 Dazu Lück. 169 Zur Bedeutung der Logik und Nietzsches ablehnender Haltung vgl. Djurić, Nietz­ sche, S. 16ff. 170 Vgl. z. B. NF, 12, S. 390f. 171 Ebd., S. 550, vgl. WL, 1, S. 883. 172 Vgl. WL, 1, S. 880. 173 Zu Nietzsches Sprachkritik Grimm, S. 94ff und Lück, S. 123ff. Die analytische Philosophie sieht Nietzsche auf Grund seiner Sprachkritik als einen ihrer Vorläufer, dazu Danto. 174 Vgl. MA, 2, S. 547. 175 GD, 6, S. 78. 176 Vgl. FW, 3, S. 591f. Dazu Longo, S. 70ff. 177 NF, 12, S. 193. 178 Vgl. Grimm, S. 116ff. und Müller-Lauter, Nietzsche, S. 21. 179 GD, 6, S. 77; vgl. NF, 12, S. 383f., 102ff., 465.

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Anmerkungen zu S. 42-46 180 Vgl. NF, 11, S. 597. 181 Kritik der reinen Vernunft, Β 131. Zu Nietzsches Descartes-Kritik vgl. Lück, S. 52ff. 182 Vgl. NF, 12, S. 32 und NF, 11, S. 650. 183 Vgl. NF, 11, S. 210. 184 Ebd., S. 506; vgl. NF, 12, S. 194, 317. 185 Vgl. JGB, 5, S. 53 und NF, 11, S. 164, 287 und NF, 12, S. 418 und NF, 13, S. 333, 336. 186 Vgl. NF, 13, S. 229. 187 Vgl. NF, 7, S. 631. 188 NF, 11, S. 598. 189 Vel. NF, 13, S. 302, 336f. 190 JGB, 5, S. 53. 191 Ebd., S. 18. 192 Eine Deutung von Erkenntnis, die Jaspers als Auslegung der Auslegung faßt. Jaspers, Nietzsche, S. 299. 193 JGB, 5, S. 12; vgl. NF, 11, S. 506. 194 Vgl. NF, 13, S. 302. 195 FW, 3, S. 627. 196 Vgl. NF, 12, S. 315. 197 Ebd. 198 Vgl. NF, 13, S. 325f. 199 Vgl. NF, 11, S. 687f., 536. 200 Vgl. ebd., S. 269 und NF, 12, S. 312. 201 Vgl. NF, 13, S. 352. 202 JGB, 5, S. 53; NF, 11, S. 654. 203 Vgl. Grimm, S. 47ff., 147f. 204 NF, 7, S. 459. 205 NF, 12, S. 385. 206 WL, 1, S. 880f. 207 Vgl. NF, 12, S. 386f. Dazu Grimm, S. S. 18ff. und Ulmer. 208 Vgl. Müller-Lauter, Nietzsches Lehre, S. 45ff. 209 JGB, 5, S. 26. 210 Dazu Stegmaier, nach dessen These Nietzsche Grenzen für eine neue Wahrheitstheorie festlegte. 211 Daß alles, was Erkenntnis hervorbringt, nichts als Schein ist, trennt Nietzsche (neben anderem) letztlich auch von modernen Philosophien, zu denen seine Gedanken gelegentlich eine eigentümliche Nähe aufweisen, wie dem logischen Empirismus, der evolutionären Erkenntnistheorie oder dem Pragmatismus. Vgl. Ottmann, Philosophie und Politik, S. 179ff. 212 Vgl. Müller-Lauter, Nietzsche, S. 100ff. 213 Grau, Ideologie und Wille zur Macht, S. 135. 214 Vgl. NF, 12, S. 188, 264. Dazu Grimm, S. 50f. 215 Djurić, Nietzsche, S. 97. 216 Vgl. NF, 9, S. 471. 217 GM , 5, S. 399 und NF, 11, S. 88. 218 NF, 13, S. 507, 492. Gerhardt, »Experimental-Philosophie«, stellt die M erkmale dieser Experimentalphilosophie Nietzsches zusammen. 219 NF, 13, S. 190; NF, 11,S. 88; vgl. FW, 3, S. 574. 220 NF, 11, S. 633.

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Anmerkungen zu S. 46-50 221 Vgl. JGB, 5, S. 59. 222 NF, 11, S. 637. 223 GB, 5, S. 37; vgl. Grimm, S. 192ff. 224 Vgl. Nietzsches Idee und ders., Autarkie der perspektivischen Vernunft. 225 Kaulbach, Nietzsches Idee, S. 278. 226 Ebd., S. 289. 227 Nietzsche hat sich nie intensiv mit Kant auseinandergesetzt und kannte ihn vorwiegend nur aus zweiter Hand, vor allem durch Schopenhauer, K. Fischers zweibändiges KantWerk und Liebmanns »Kant und die Epigonen«. Gelesen hat er vermutlich nur die »Kritik der Urteilskraft«. Vgl. Janz, Bd. 1, S. 199f., 504. Dem frühen Neukantianismus, mit dem er über Fischer, Liebmann und Langes Materialismuskritik in Berührung kam, stand Nietzsche näher, ζ. Β. in der Behauptung der hier noch zu zeigenden physiologischen Grundlagen der Vernunft, geht aber wesentlich weiter als dieser. Vgl. Ottmann, Philosophie und Politik, S. 169f. Zum Verhältnis Kant-Nietzsche: Ackermann und die entsprechenden Arbeiten in Wellner. Zum folgenden vgl. Kaulbach, Nietzsches Idee, S. 61ff. und ders., Kant und Nietzsche. 228 Vgl. GT, 1, S. 118. 229 AC, 6, S. 176; vgl. GD, 6, S. 121. 230 NF, 12, S. 17; vgl. JGB, 5, S. 54. 231 Vgl. NF, 12, S. 315. 232 Aussagen zu Leiblichkeit und Diätetik sind zusammengestellt und gedeutet bei Schipperges, Am Leitfaden des Leibes. Zur Kritik an Vernunft und Moral und ihrer Rückbin­ dung an den Leib vgl. auch Longo. 233 Vgl. WL, 1, S. 875. 234 M , 3, S. 113. 235 Vgl. Z, 4, S. 39f. sowie NF, 11, S. 577 und NF, 12, S. 106. 236 Vgl. HL, 1,S. 329. 237 Vgl. NF, 11, S. 279f., 282, 576ff. 238 Das heißt nicht, daß sich nicht eine Fülle von Beziehungen der Philosophie Nietzsches zur Tradition aufzeigen ließe, worauf hier aber verzichtet werden mußte. 239 Djurić, Nietzsche, S. 100, vgl. S. 97ff. 240 Vgl. Z, 4, S. 40. 241 Vgl. Kaulbach, Nietzsches Interpretation der Natur, der in dieser Konzeption die Möglichkeit zum Ausgleich zwischen der Freiheit der Natur und der Freiheit des Menschen sieht. 242 Vgl. GD, 6, S. 150. 243 Vgl. zum Beispiel Lukács, S. 270ff. 244 Trotz der zentralen Stellung des Lebensbegriffes ist daher die häufig zu findende Kennzeichnung der Lehren Nietzsches als Lebensphilosophie nur bedingt richtig. 245 Daß das Rationale in Nietzsches Philosophie letztlich überwiegt, wird deutlich bei Wilcox, der nach kognitivistischen und nonkognitivistischen Elementen bei Nietzsche fragt. 246 Vgl. JGB, 5, S. 35ff.; NF, 9, S. 538; NF, 10, S. 656; NF, 11, S. 194, 209; NF, 12, S. 207. 247 Und beide nähern sich in ihrer Arbeitsweise einander an. Dazu: Abel, Wissenschaft und Kunst. 248 Vgl. GT, 1, S. 14. 249 FW, 3, S. 626. 250 Insofern ist Jürgen Habermas zuzustimmen, daß Nietzsche mit dem Positivismus den

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Anmerkungen zu S. 50-53 Wisscnschaftsbegriff teilt. Ob seine insofern sicher gegebene Befangenheit im Positivismus allerdings der Grund dafür ist, daß er die Selbstreflexion der Erkenntnis nicht akzeptieren kann und stattdessen das aufgespürte erkenntnisleitende Interesse naturalistisch verankert, erscheint fraglich, denn Nietzsches Denken liegt von Anfang an auf einer anderen Ebene als es die von Erkenntnis und Interesse ist. Vgl. Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 353ff. 251 Wie gut Nietzsche über Einzelheiten überhaupt informiert war, wäre zu untersuchen. Er bestellt 1881 die Zeitschrift »Kosmos«, die eine einheitliche Weltanschauung auf der Grundlage der Entwicklungstheorie vertritt, und die »Philosophischen Monatshefte«, die die ganze zeitgenössische Diskussion zwischen Neukantianern, Hegelianern und Materialisten widerspiegelt. F. A. Langes Kritik des Materialismus macht ihn mit den englischen Positivisten bekannt. Er kennt andeutungsweise Bentham, beschäftigt sich ausführlich aber nur mit J . St. Mill und wohl auch mit H. Spencer. Vgl. Janz, Bd. 1, S. 199, Bd. 2, S. 83 und Ottmann, Philosophie und Politik, S. 131f. 252 Vgl. GM, 5, S. 398ff. und FW, 3, S. 575ff. 253 JGB, 5, S. 85. 254 In seinem Hinweis darauf, daß Wissenschaft in der heutigen Form nicht erklärt, sondern beschreibt, klingt nach Kaulbach die Mach-Kirchhoffsche Deutung naturwissenschaftlicher Theorien an. Erklärung heißt bei Nietzsche Wesenserkenntnis. Vgl. NF, 11, S. 209; dazu Kaulbach, Nietzsches Interpretation der Natur, S. 443. 255 NF, 12, S. 315. 256 HL, 1,S. 290. 257 Habermas, Nachwort, S. 515. 258 Eine neue kritischere Richtung des Positivismus entsteht jedoch schon im letzten Viertel des Jahrhunderts im deutschen Raum mit dem »Empiriokritizismus«, den Richard Avenarius und Ernst Mach unabhängig voneinander begründen, und der bereits nicht mehr dem klassischen Positivismus zuzurechnen ist. Der modifizierte, auf Wissenschaftstheorie eingegrenzte Positivismus des 20. Jahrhunderts ist, vor allem in Verbindung mit der Sprachanalytik, von den metaphysischen Restbeständen im Prinzip befreit. 259 Vgl. HL, 1,S. 299. 260 Vgl. Oexle, »Historismus«, S. 129ff. 261 Vgl. MA, 2, S. 24f., 299 und M, 3, S. 86f. 262 Vgl. Fleiter. 263 GD, 6, S. 138f.; vgl. NF, 13, S. 238. Dazu Baier, Die Gesellschaft. 264 NF, 12, S. 208, vgl. S. 342. 265 HL, 1, S. 317; NF, 11, S. 210; vgl. AC, 6, S. 171 und NF, 13, S. 191. 266 GD, 6, S. 113. 267 Vgl. M, 3, S. 108. 268 Eine Bewertung der Wissenschaft, die Kaulbach als »Wissensmoral« faßt, gemäß der sokratischen Gleichsetzung von Tugend und Wissen. Vgl. Kaulbach, Das Drama in der Auseinandersetzung. 269 HL, 1, S. 305. Vgl. Grau, Ideologie und Wille zur Macht, S. 259. 270 Vgl. Z, 4, S. 376f. und NF, 11, S. 13. 271 NF, 7, S. 62. 272 NF, 13, S. 442. 273 FW, 3, S. 412, vgl. S. 411f. 274 Vgl. Janz, Bd. 1, S. 239f., 254. 275 Dazu Schlechta u. Anders.

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Anmerkungen zu S. 53-55 276 Das erhaltene Ausleihverzeichnis der Basler Bibliothek gibt Zeugnis davon. Vgl. Schlechta u. Anders, S. 88f., 118f. 277 Johann Karl Friedrich Zöllner, 1834-1882, Astronom und Astrophysiker, veröffentlichte 1872 »Über die Natur der Cometen. Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntnisse«, ein Buch, das ebenso großes Aufsehen erregte wie Ablehnung erfuhr. Er griff darin auch den zeitgenössischen Wissenschaftsbetrieb an, vor allem den Mangel an erkenntnistheoretischer Fundierung. Vgl. Schlechta u. Anders, S. 122ff. Der Neukantianer African Spir, 1837-1890, bot mit seinem Hauptwerk »Denken und Wirklichkeit. Versuch einer Erneuerung der kritischen Philosophie« (1873) eine systematisch entwickelte Erkenntnistheorie, die die zeitgenössische Philosophie und Naturwissenschaft einbezog. Er ist für Nietzsches Metaphysikkritik von besonderer Bedeutung. Vgl. Ottmann, Philosophie und Politik, S. 188ff. 278 Zusammengestellt bei Schlechta u. Anders, S. 162ff. 279 Janz, Bd. 1, S. 319. Auch für Löwith bleibt Nietzsche in diesem Metier ein »philosophierender Dilettant«. Vgl. Nietzsches Philosophie, S. 206. 280 Mittasch, S. 44ff., versucht sie zu einer eigenen Naturphilosophie Nietzsches zusammenzustellen. 281 Nietzsche kannte den Darwinismus nicht nur durch die entsprechende Lektüre, sondern auch durch den Streit seines Basler Kollegen Rütimeyer mit dem Darwinisten Haeckel über die Selektionstheorie. 282 GD, 6, S. 121. 283 Vgl. FW, 3, S. 585f. 284 Zum Verhältnis Nietzsche-Darwinismus vgl. Ottmann, Philosophie und Politik, S. 114ff., 266ff. 285 Vgl. zum Beispiel NF, 11, S. 442. 286 Galton, 1822-1911, englischer Anthropologe und Psychologe, Begründer der Eugenik. 287 Vgl. AC, 6, S. 170. Dazu Janz, Bd. 2, S. 275. Im übrigen ist die fatale Nähe mancher späten Äußerungen Nietzsches zum zeitgenössischen Rassismus, der ihm wohl nicht unsympathisch ist, nicht zu übersehen. Er kannte Gobineau, dem er allerdings seine Auffassung von der positiven Wirkung der Rassenvermischung entgegensetzt. Zudem darf nicht vergessen werden, daß das Biologische bei Nietzsche immer nur ein Element ist. Dazu Ottmann, Philosophie und Politik, S. 246ff., 259, 262ff. 288 1852-1907, Nervenarzt und Internist an der Salpêtrière in Paris. 289 Montinari, S. 76. Vgl. auch Ottmann, Philosphie und Politik, S. 338f. NF, 13, S. 433 ist eine wörtliche Übersetzung aus Féré. 290 Vgl. Abel, Die Dynamik, S. 43ff. 291 Rugjer Yosip Bošković, 1711-1787, kroatischer M athematiker und Naturphilosoph, bekämpfte die Atomtheorie. 292 Vgl. Abel, Die Dynamik, S. 85ff. 293 1881 erschienen. Der Anatom W. Roux, 1850-1924, ist der Begründer der Entwick­ lungsphysiologie. Zu Einfluß und Verarbeitung seines Werkes durch Nietzsche Müller-Lauter, Der Organismus als innerer Kampf. 294 Vgl. z. B. NF, 9, S. 498, 502, 534f., 553f. 295 NF, 12, S. 216. 296 Dazu Löwith, Nietzsches Philosophie, S. 205ff. und Ottmann, Philosophie und Politik, S. 237f. 297 Dies wird betont bei Abel, Die Dynamik, S. 187ff. Ein Hinweis auf die Untrennbarkeit auch schon bei Bueb, S. 143ff.

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Anmerkungen zu S. 55-59 298 Vgl. Janz, Bd. 2, S. 74. 299 Dazu Bauer. 300 1814-1878, Arzt, Materialist, hatte gleichzeitig aber unabhängig von Helmhotz dem Grundsatz von der Erhaltung der Substanz den von der Erhaltung der Energie angefügt. Die »Mechanik der Wärme« erschien 1874 in 2. Auflage. 301 Die Entstehung und die Diskussion um die Thermodynamik im Zusammenhang mit der allgemeinen kulturellen Entwicklung zeigt Brush. 302 Abel, Die Dynamik, S. 397f., sieht in Nietzsches Raumbegriff deutliche Einflüsse der Arbeit Zöllners »Über die Natur der Cometen«. 303 Abel, ebd., S. 402ff., erkennt hier Gemeinsamkeiten mit der Position Ernst Machs zum Energieerhaltungssatz und zur Mechanistik, wie dieser sie in »Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit« (1872) vertritt. 304 Vgl. ebd., S. 382ff. 305 Zu Nietzsches Versuch des naturwissenschaftlichen Beweises der ewigen Wiederkehr vgl. Ottmann, Philosophie und Politik, S. 362ff., Mittasch, S. 251ff. und ausführlicher Becker. 306 Zur Auseinandersetzungen mit den Widerlegungen und ihrer Entkräftung vgl. Abel, Die Dynamik, S. 197ff. 307 Vgl. ebd., S. 268ff. 308 Vgl. Ottmann, Philosophie und Politik, S. 367. 309 Vgl. Grau, Ideologie und Wille zur Macht, S. 131, 271. 310 Löwith, Nach sechzig Jahren, S. 463. 311 Vgl. Ottmann, Philosophie und Politik, S. 369. 312 Janz, Bd. 1,S. 175. 313 Vgl. Janz, Bd. 2, S. 150 und Mittasch, S. 42, 282. 314 Vgl. NF, 12, S. 368. 315 Vgl. GD, 6, S. 75f. und dazu Mittasch, S. 4 1 , 234. 316 Sie umfaßt im wesentlichen »Menschliches, Allzumenschliches«, die »Morgenröte« und die »Fröhliche Wissenschaft«. 317 Schon Paul Rée und Jakob Burckhardt fühlten sich bei der Lektüre des ersten Buches von »Menschliches Allzumenschliches« an den Positivismus erinnert. Vgl. Janz, Bd. 1, S. 818. Auch Lou Andreas-Salomé, z. Β. S. 17, 96f., 126, bezeichnet mit dem Blick auf das Gesamt­ werk diese mittlere Phase fraglos als eine positivistische. 318 Vgl. MA, 2, S. 144. 319 Ebd., S. 186. 320 EH, 6, S. 374. 321 Vgl. Fink, S. 50ff. 322 Z, 4, S. 311. 323 Vgl. NF, 12, S. 367f. 324 Z, 4, S. 134, 312. 325 Vgl. AC, 6, S. 225f, 228. 326 Vgl. GM, 5, S. 402. 327 Dazu Ottmann, Philosophie und Politik, S. 217f., Fleiter, S. 63f. und Grau, Ideologie und Wille zur Macht, S. 292ff. 328 Vgl. NF, 9, S. 354. 329 Ottmann, Philosophie und Politik, S. 217f., vgl. S. 216ff., 236. 330 Vgl. NF, 11, S. 533. 331 Ausdrücklich gegen die Interpretation der Wiederkehr als Mythos Abel, Die Dynamik, S. 320ff.

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Anmerkungen zu S. 59-64 332 333 334 335 336 337 338 339 340 341 342

Dazu Magnus: Ottmann, Philosophie und Politik, S. 374f. Ries, S. 18. Vgl. landmann, S. 79f. Vgl. Grau, Ideologie und Wille zur Macht, S. 270. Ottmann, Philosophie und Politik, S. 368. Vgl. ders., Nietzsches Stellung. Vgl. NF, 11, S. 294f., und Ottmann, Nietzsches Stellung, S. 24ff. Janz, Bd. 1, S. 303. Ottmann, Nietzsches Stellung, S. 9. Kaulbach, Nietzsches Idee, S. 143. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 117. MA, 2, S. 209.

III. Wahlverwandtschaft: Das Verhältnis Weber - Nietzsche 1 Bekanntermaßen wurde dies unterstützt durch die geschickte Legendenbildung der Schwester Nietzsches als Verwalterin seines Werkes und der Erinnerung an seine Person. Dazu Kaufmann, S. 1ff., zur Nietzsche-Rezeption außerdem S. 479ff. sowie Pütz, vor allem S. 7ff. und 58ff.; Deesz sowie Nolte, S. 209ff.; vgl. auch Gerhardt, 100 Jahre nach Zarathustra. 2 Wie vielfältig und zahlreich die Reaktionen auf Nietzsche zwischen 1889 und 1918 waren, zeigt die Dokumentation von Krummel. 3 Vgl. Benz, vor allem S. 84fY. 4 Kaufmann, S. 486. 5 Neben dieser bei Baumgarten, S. 554f. Anm., wiedergegebenen Aussage sind es vor allem auch die zahlreichen Randbemerkungen, die sich in Webers Handexemplar von Simmeis »Schopenhauer und Nietzsche« finden, die als Beleg für eine intensive Beschäftigung Webers mit Nietzsche häufig herangezogen werden. Vgl. dazu vor allem den Anmerkungsteil bei Eden, Political Leadership. 6 Mommsen, Die antinomische Struktur, S. 39. 7 Zum Beispiel bei Löwith, Max Weber und Karl Marx. 8 Vgl. z. B. ebd., S. 335, 339, 360, Anm., und Prinzhorn, S. 134. 9 Vgl. z. B. Bendix u. Roth, S. 22f., und vor allem Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 79, 83, 191f., 201f. jeweils Anm. 10 Fleischmann, De Weber à Nietzsche; Mommsen, Universalgeschichtliches und politisches Denken, vor allem S. 107f. und 129ff. 11 Da mittlerweile in zahlreichen Arbeiten der Einfluß Nietzsches auf Max Weber kurz behandelt wird, seien nur die wichtigsten genannt: Eden, Bad Conscience for a Nietzschean Age; ders., Political Leadership; ders., Max Weber und Friedrich Nietzsche; Hennis, Max Webers Fragestellung, S. 167ff.; Shapiro, B. S. Turner; ders. u. Stauth; Schroeder, Nietzsche and Weber; auch Peukert geht an zahlreichen Stellen auf Nietzsche ein; vgl. auch die Hinweise auf Nietzsche bei Zängle. 12 Vor allem bei Fleischmann und Shapiro. Daß Webers Werk ohne Nietzsche undenkbar wäre, ist weit übertrieben. 13 Vgl. Bergsträsser, S. 217. 14 Vgl. Hennis, Max Webers Fragestellung, S. 77. 15 Vgl. dazu vor allem die Arbeiten in Mommsen u. Schwentker.

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Anmerkungen zu S. 64-70 16 Vgl. Max Webers Fragestellung, S.170, 190; ähnlich Peukert, S. 38. 17 Hennis, Max Webers Fragestellung, S. 179. 18 Ebd., S. 170. Ähnlich sieht es auch Scaff, Weber before Weberian Sociology, S. 196, bzgl. Webers früh vorgetragener Angriffe gegen eudämonistische Haltungen: »... it was not so much ... a direct borrowing of Substantive ideas, but rather a similarity in the form of his questioning«. 19 Diese auch bei Peukert, z. Β. S. 12, 13, 93, verwendete Bezeichnung kennzeichnet das Verhältnis Weber-Nietzsche wohl am treffendsten. 20 Hennis, Max Webers Fragestellung, S. 186. 21 Ebd., S. 3ff. 22 Vgl. Fleischmann, S. 238; Marianne Weber, S. 690. 23 Webers Abneigung gegen alle irrationalen, mythenbildenden Bewegungen vor allem auch im politischen Bereich zeigt Mommsen, Rationalisierung und Mythos bei Max Weber. 24 Wird von Weber, wenngleich in unterschiedlichen Zusammenhängen, in einem sehr frühen Text, der »Antrittsrede« von 1895, wie in einem relativ späten, der Rede »Wissenschaft als Beruf« von 1917, zitiert. Vgl. PS, S. 12, WL, S. 588. Zu den Abkürzungen der Arbeiten Webers siehe das Abkürzungsverzeichnis. 25 Peukert, S. 36. 26 Vgl. Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 191f. 27 MA, 2, S. 323. 28 WL, S. 595, 607. 29 WL, S. 609.

IV. Die »Entzauberung« der Welt 1 Zur Unterscheidung vgl. Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 339ff. Allgemein zur Religion bei Weber Bily. 2 Die Entdeckung des »Ressentiments« durch Nietzsche hält Weber allerdings für bedeutsam, lehnt es als Erklärung für die religiöse Ethik aber ab. Vgl. RS, I, S. 241, 248. 3 Kuenzlen weist dies an einzelnen Punkten nach. 4 So bereits in seiner Promotionsschrift: Die Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter (1889), in: GASW, S. 312ff. 5 RS, I, S. 12. 6 Ebd., S. 12, vgl. S. 12f. 7 Weber hatte auch ihnen ausführliche Untersuchungen widmen wollen, konnte dies jedoch nicht mehr durchführen. Bei Beachtung der eingeschränkten Fragestellung, die Weber sehr deutlich gemacht hat, wird manche Kritik an seinen religionssoziologischen Untersuchungen überflüssig. Zur Diskussion seiner Darstellungen vgl. die von Schluchter herausgegebenen Aufsatzsammlungen zu Webers Religionssoziologie. Zu persönlichen und wissenschaftlichen Hintergründen der Entstehung der ›Wirtschaftsethik‹ vgl. den Einleitungsteil zu MWG I/19. 8 Vgl. RS, L S . 1ff., Zitat S. 3. 9 Ebd., S. 11. 10 Ebd., S. 1. Zur großen Bedeutung der »Vorbemerkung« für die Einsicht in Webers Forschungsziele: Nelson.

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Anmerkungen zu S. 70-77 11 RS, I, S. 12. Zum Rationalisierungsprozeß in Webers Arbeiten vgl. vor allem Abramowski; Schluchter, Die Entwicklung; ders., Die Paradoxie der Rationalisierung; ders. Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 382ff. 12 Die bisher zu wenig beachtete Musiksoziologie und ihre Beziehung zu Person und Gesamtwerk Webers erarbeitet nun die umfassende Studie von Braun. 13 RS, I, S. 537. 14 Ebd., S. 11, 62. 15 Webers Rationalismusbegriff und insbesondere die Beziehung seiner verschiedenen Dimensionen untereinander sind dementsprechend bis heute nicht restlos geklärt. Allgemein zum Rationalismusbegriff bei Weber Rossi, Vom Historismus zur historischen Sozialwissenschaft, S. 63ff.; Kalberg; Brubaker, zu folgendem vor allem S. 49ff. 16 Im Hinblick auf sein politisches Denken hat Mommsen, Die antinomische Struktur, dies herausgearbeitet. 17 WuG, S. 13. 18 Vgl. WL, S. 432ff., Zitat S. 432. 19 WuG, S. 12. 20 Ebd. 21 Vgl. ebd., S. 44f. 22 Ebd., S. 59. 23 Ebd., S. 45. 24 RS, I, S. 11f 25 Tenbruck, Das Werk Max Webers, sieht Weber in Bezug auf die Religion »im Lager des zeitgenössischen Evolutionismus« (S. 682). Zängle entdeckt bei Weber gar eine teleologische Geschichtsphilosophie, vgl. S. 148ff. 26 Vgl. z. B. gegen Lamprecht WL, S. 24f. Anm., gegen Breysig WL, S. 234ff. Dazu Roth, Anhang; Mommsen, Max Webers Begriff der Universalgeschichte. Zu Lamprechts Position, zeitgenössischen Reaktionen und Webers Haltung Whimster, Die begrenzten Entwicklungsmöglichkeiten. Im Entwicklungsgedanken liegt einer der bedeutendsten Unterschiede zwischen Weber und dem Marxismus. Dazu Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 93ff. 27 In diesem Sinn interpretiert heute auch Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 269ff, 411ff., Webers Entwicklungsbegriff und nimmt damit seinen eigenen Ansatz zurück, in dem ursprünglich von Webers »evolutionstheoretischem Minimalprogramm« die Rede war. Vgl. ders., Die Entwicklung, ζ. Β. S. 12. 28 In Kapitel V.2. 29 Vgl. WuG, S. 245ff. 30 Vgl. ebd., S. 285ff., Zitat S. 311. Die animistischen Auffassungen des magischen Weltverhältnisses entsprechen dem naturgebundenen Leben des Bauerntums. Das Ideal von Ordnung und Ruhe, der nüchterne Rationalismus des weltordnenden Bürokraten prägen den Konfuzianismus wie das ritterliche Glaubenskämpfertum des unterwerfenden Kriegers den Islam. Das Christentum, ursprünglich eine Religion »wandernder Handwerksburschen«, zeigt als rational-ethische Erlösungslehre eine deutliche Neigung zum rational bestimmten Leben der Handwerker und Händler. In gleicher Weise erscheinen der weltordnende Magier des Hinduismus, der weltdurchwandernde Bettelmönch des Buddhismus und die wandernden Händler des Judentums als typische Vertreter der jeweiligen Religiosität. 31 Vgl. ebd., S. 288ff., 319. 32 RS, III, S. 7. 33 Vgl. ebd., S. 328ff.

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Anmerkungen zu S. 77-88 34 Vgl. RS, II, S. 370 und RS, III, S. 237. 35 WuG, S. 260f. 36 Vgl. ebd., S. 268ff. 37 Ebd., S. 304; vgl. auch zum folgenden S. 304ff. 38 Vgl. ebd., S. 279ff. 39 Ebd., S. 313. 40 Ebd., S. 307f. 41 Vgl. ebd., S. 348ff. 42 Vgl. ebd., S. 314ff. und RS, I, S. 571f. 43 Vgl. RS, I, S. 542ff. 44 Vgl. ebd., S. 567ff. 45 Ebd., S. 541f. 46 Im religionssoziologischen Kapitel in WuG und in der »Zwischenbetrachtung«. Zur Ökonomie vgl. WuG, S. 352ff. und RS, I, S. 544ff. 47 Zitate RS, I, S. 544 und WuG, S. 353. 48 Vgl. WuG, S. 355ff. und RS, I, S. 546ff. 49 WuG, S. 357. 50 Ebd., S. 361. 51 Vgl. ebd., S. 362ff. und RS, I, S. 556ff. 52 Vgl. WuG, S. 365ff. und RS, I, S. 554ff. 53 RS, I, S. 558. 54 WuG, S. 365. 55 Ebd. 56 Vgl. RS, I, S. 564ff., Zitat S. 564. In WuG fehlt die Darstellung des Verhältnisses von Religion und Wissenschaft noch. 57 WL, S. 593. 58 Ebd., S. 594. 59 RS, I, S. 564. 60 Vgl. WuG, S. 311, 343f., 379f. 61 RS, I, S. 566. 62 Ebd., S. 564. 63 Ebd., S. 569. 64 So Weber in einem Brief an Tönnies 1908. Zitiert bei Baumgarten, S. 399. 65 RS, I, S. 1f. Zu China vgl. ebd., S. 443, 484; zu Indien RS, II, S. 165ff. 66 Zunächst die, inwieweit seine Einschätzung der »wissenschaftlichen« Bemühungen anderer Kulturen angemessen ist. Zu China vgl. Sivin. 67 Vgl. WuG, S. 249f. 68 WL, S. 596. 69 Ebd. 70 RS, I, S. 205. Ausdrücklich unter Berufung auf Weber untersucht Merton die Beziehung zwischen dem Ethos des Puritanismus und der Institutionalisierung der Wissenschaft im England des siebzehnten Jahrhunderts in Zusammenhang mit Gesellschaft und Kultur. 71 Vgl. RS, I, S. 141 Anm., 184f. 72 WL, S. 597f., 598.

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Anmerkungen zu S. 89-98

V. Max Webers »entzauberte« Wissenschaft 1 Die genaue Datierung der berühmten Reden Webers »Wissenschaft als Beruf« und »Politik als Beruf« war lange Zeit umstritten. Die Herausgeber der Max Weber Gesamtausgabe haben nun für die erste den 7. November 1917 ermittelt, für die zweite den 28. Januar 1919. Beide Reden erschienen in der Druckfassung 1919. Zum historischen Kontext und den Entstehungsgeschichten vgl. MWG I/17. 2 Vgl. WL, S. 215, 217, Zitate S. 217, 217f. 3 Henrich, S. 5. In ähnlicher Weise erscheint die Wissenschaftsichre schon bei v. Schelting. 4 Vgl. ζ. Β. Tenbruck, Die Genesis. 5 Dazu Hansen; Wittkau, S. 59ff. Zu Webers Haltung in diesem Streit Jaeger, S. 38ff. und Hennis, Max Webers Fragestellung, S. 117ff. 6 Einen Überblick über die zentralen Diskussionspunkte gibt die Aufsatzsammlung von Albert u. Topitsch. 7 WL, S. 500. 8 Ebd., S. 489, vgl. S. 499. 9 Ebd., S. 313, 127 Anm. 10 Vgl. Brecht, S. 242ff., 252ff. 11 WL, S. 601f. 12 Ebd., S. 523. 13 Ebd., S. 152. 14 Ebd., S. 501. 15 Ebd., S. 602. 16 Ebd., S. 497, 509f. 17 Ebd., S. 156, 157. 18 Vgl. ebd., S. 154f., 499. 19 Vgl. auch zum folgenden ebd., S. 489ff. 20 Ebd., S. 600, 491, vgl. S. 493. Zur Unterscheidung von Humboldts »Bildung durch Wissenschaft« und Webers »Wisssenschaft als Beruf« Schnädelbach, S. 42ff. 21 WL, S. 492. 22 Ebd., S. 591. 23 Ebd., S. 154. 24 Ebd., S. 151, vgl. S. 497. 25 Vgl. ebd., S. 6, 170f., 230. 26 Vgl, ebd., S. 111f, 178f. 27 Ebd., S. 179. 28 Vgl. ebd., S. 78, 82, 173f. 29 Vgl. ebd., S. 178ff. 30 Vgl. ebd., S. 112ff., 136, 173, 178f. 31 Vgl. ebd., S. 90f. 32 Vgl. in der WL »Über einige Kategorien...«; deutlicher wird der Sachverhalt jedoch in WuG. 33 Vgl. ebd., S. 558. 34 Vgl. ebd., S. 136. 35 Vgl. ebd., S. 268ff. Dazu Itassi, Max Weber und die Methodologie, S. 35ff.; zur Herkunft und möglichen Bedeutung bei Weber Turner u. Factor. 36 WL, S. 287.

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Anmerkungen zu S. 98-105 37 Ebd., S. 532, 173. 38 Allgemein zur Verstehensproblematik in dieser Zeit Schnädelbach, S. 138ff. 39 Zu Definition und Herkunft des Begriffs Diemer, »Geisteswissenschaften«. 40 Die Versuche, Gemeinsamkeiten zwischen Weber und Dilthey zu finden, sind daher nicht sehr erfolgreich. Vgl. z. B. Loos, S. 18ff. und Wanstrat. Webers Beziehung zur Position Diltheys und anderen geschichtswissenschaftlichen Methoden seiner Zeit bei Mommsen, Max Weber und die historiographische Methode. 41 Dazu Prewo, S. 153ff. Allgemein zum Verstehen bei Weber Weiß, Max Webers Grundlegung der Soziologie, S. 45ff.; Munch; Nusser, Hermeneutik als offene Theorie. 42 Vgl. WL, S. 542. 43 Vgl. ebd., S. 48f., 552f., 439. 44 Vgl. ebd., S. 64, 67f., 137, 226. 45 Ebd., S. 149. 46 Vgl. ebd., S. 428. 47 Vgl. ebd., S. 326. 48 Vgl. ebd., S. 543ff. 49 Vgl. ebd., S. 70, 118. 50 Ebd., S. 428, vgl. auch zum folgenden S. 100, 108, 119, 437, 543f., 549. 51 Vgl. z. B. ebd., S. 543. 52 Vgl. ebd., S. 543. 53 Ebd., S. 173, 555, vgl. S. 12f. Anm. 54 Vgl. ebd., S. 542; WuG, S. 1f. Zur Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Sinn bei Weber und im Rahmen der Entwicklung abendländischen Denkens vgl. Bendix, Objektiver und subjektiver Sinn. 55 Vgl. WL, S. 547f. 56 Vor dem Hintergrund der Konstruktion des Weberschen Idealtypus macht Hekman dies deutlich. Auch Gabriel zeigt, daß Weber beide Aspekte zusammen sieht, die später in der Systemtheorie bzw. der phänomenologischen Soziologie einseitig dargestellt werden. 57 WL, S. 607, vgl. S. 149f., 311, 517, 529. 58 Vgl. ebd., S. 531f. 59 Ebd., S. 503, vgl. S. 149. 60 Vgl. ebd., S. 150. 61 Ebd., S. 151. 62 Vgl. ebd., S. 508, 510, 511. 63 Ebd., S. 150. 64 Vgl. ebd., S. 508. 65 Ebd., S. 151. 66 Ebd., S. 503. 67 Ebd., S. 510. 68 Ebd., S. 503. 69 Ebd., S. 151. 70 Vgl. ebd., S. 607. 71 Ebd., S. 508. 72 Vgl. ebd., S. 150, 509ff., 530. 73 Zu diesen Vorwürfen vgl. Marcuse; Lukács, S. 532ff. 74 Vgl. WL, S. 254, 511. 75 Vgl. ebd., S. 92 Anm. 76 Vgl. ebd., S. 86, 290.

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Anmerkungen zu S. 105-113 77 Ebd., S. 171, vgl. S. 12 Anm. 78 Ebd., S. 177. 79 Vgl. ebd., S. 177, 281 Anm., 315f. 80 Vgl. ebd., S. 75 Anm., 92 Anm. 81 Ebd., S. 171. 82 Vgl. ebd., S. 177ff. 83 Vgl. ebd., S. 54. 84 Ebd., S. 165, vgl. S. 175. 85 Ebd., S. 180, vgl. S. 180f. 86 Vgl. ebd., S. 259f. 87 Vgl. ebd., S. 252. 88 Ebd., S. 124. 89 Ebd., S. 124 Anm., 253, vgl. S. 9 1 , 123ff., 253f. 90 Ebd., S. 260. 91 Vgl. ebd., S. 101 Anm., 124 Anm., 125. 92 Ebd., S. 214. 93 Ebd., S. 232. 94 Ebd., S. 281 Anm., vgl. S. 178. 95 Vgl. ebd., S. 234ff. 96 Ebd., S. 184. 97 Ebd., S. 122f. 98 Ebd., S. 184. 99 Vgl. ebd., S. 182. 100 Ebd., S. 253. 101 Ebd., S. 183. 102 Ebd., S. 182. 103 Ebd., S. 259, vgl. S. 261f. 104 Ebd., S. 303, 206. 105 Vgl. ebd., S. 518ff. 106 Vgl. ebd., S. 592. 107 Ebd., S. 592f. 108 Vgl. ebd., S. 63, 167, 401. 109 Ebd., S. 213. 110 Vgl. ebd., S. 598f. 111 Ebd., S. 184. 112 Ebd., S. 213. 113 Ebd., S. 599f. 114 Ebd., S. 599. 115 Ebd., S. 213. 116 Ebd., S. 170. 117 Ebd., S. 157. 118 Ebd., S. 184, 155, vgl. S. 261. 119 Vgl. auch zum folgenden Kocka, Max Webers Bedeutung, S. 18f. 120 WL, S. 124 Anm. 121 Vgl. ebd., S. 214. 122 Kocka, Karl Marx und Max Weber, S. 354. 123 WL, S. 212. 124 Noch bei Küttler u. Lozek, S. 174, 181f.

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Anmerkungen zu S. 113-119 125 Vgl. Kocka, Max Webers Bedeutung, S. 18; Zingerle, Max Webers historische Soziologie, S. 35f. Zur Zusammenfassung der marxistischen Position und zum begründenden Hintergrund Weiß, Das Werk Max Webers, S. 32ff. 126 WL, S. 166. 127 Ebd., S. 412f. Comte hatte, ähnlich wie später John St. Mill, eine Hierarchie der Grundwissenschaften konstruiert, die von den einfachen Phänomenen zu den komplexen führt. Sie sind nicht auseinander abzuleiten, aber die Bearbeitung dieser setzt die Kenntnis jener voraus. Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie, Biologie und Soziologie entwickeln dabei eine je eigene, auf jeder Stufe komplizierter werdende Methode, die aber prinzipiell die Gesetzeserkenntnis anstrebt. 128 Aus der umfangreichen Literatur zum Idealtypus seien nur einige Titel genannt: Bienfait; Seiterich; Pfister; Janoska-Bendl·, Baier, Soziologie als Handlungswissenschaft, S. 151ff., zur Geschichte des Typusbegriffs S. 174ff.; Prewo, S. 85ff.; Bruun, S. 201ff.; Hekman, S. 18ff. 129 WL, S. 195. 130 Ebd., S. 126. 131 Ebd., S. 109f. 132 Ebd., S. 190. 133 Vgl. ebd., S. 208ff. 134 Ebd., S. 191. 135 Vgl. ebd., S. 194f. 136 Ebd., S. 192, 190, vgl. S. 194. 137 Dazu Burger, S. 140ff. Pfister sieht daher im Idealtypus Webers gelungenen Vermittlungsversuch zwischen Gesetzes- und Individualerkenntnis und daher zwischen der Theoretischen und der Historischen Schule der Nationalökonomie. 138 WL,S. 561. 139 Ebd., S. 207, 208, vgl. S. 206. 140 Vgl. ebd., S. 190. 141 Ebd., S. 535f. 142 Vgl. ebd., S. 190, 198. 143 Ebd., S. 193. 144 Vgl. ebd., S. 131. 145 Ebd., S. 200, vgl. S. 192. Zur Übernahme der Bezeichnung »Idealtypus« von Jellinek Bruun, S. 209. 146 Vgl. Pfister, S. 170ff.; Hekman, S. 39ff. Ähnlich auch Aron, S. 194ff. 147 Dazu Steinvorth, S. 53ff.; ähnlich Jaeger, S. 134 und bereits Weippert, S. 274f. 148 WL, S. 205. 149 Vgl. ebd., S. 532f., 560. 150 Vgl. ebd., S. 196f. 151 Ebd., S. 396, 536, 537. 152 Ebd., S. 204, 205. Allgemein zu methodischen Unterschieden zwischen Weber und dem Marxismus Kocka, Karl Marx und Max Weber. Zur Kritik an Webers Idealtypen von marxistischer Seite Korf. 153 WL, S. 561f., vgl. 435. 154 Vgl. ebd., S. 193f. 155 Ebd., S. 130, 428. 156 Vgl. ebd., S. 514, 567. 157 Vgl. ebd., S. 430, 432, 436, 544f. 158 Ebd., S. 207, vgl. S. 427 Anm., 535.

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Anmerkungen zu S. 119-125 159 Ebd., S. 609. 160 Vgl. Oexle, Geschichtswissenschaft, S. 32. 161 Hennis, Max Webers Fragestellung, S. 54. 162 WL, S. 598. 163 Mar. Weber, S. 324. Dennoch ergeben die verschiedenen Elemente in Webers Wissenschaftslehre keine Widersprüche, wie Oakes, Methodological Ambivalence, demgegenüber behauptet. 164 Dazu Köhnke, S. 213ff., 317. 165 Köhnke, dessen Arbeit Philosophiegeschichte als Teilaspekt der allgemeinen Geschichte sieht, arbeitet heraus, daß auch die politische Entwicklung nach 1848 zu dieser Verwissenschaftlichung der Philosophie beiträgt. Vgl. ebd., z. B. S. 123f. 166 Vgl. Runciman, S. 9, 11, 12; Fleischmann, S. 198, spricht lediglich von »Ces rapports, de pure politesse ...«; eher zurückhaltend, aber differenzierter äußert sich auch Hennis, Max Webers Fragestellung, S. 183ff. 167 Vgl. Prewo, S. 26ff.; Burger, S. 3ff.; Loos, S. 4ff.; Weiß, Max Webers Grundlegung, S. 20ff.; Bruun, S. 84ff. 168 Vgl. Merz; Oakes, Max Weber und die Südwestdeutsche Schule; ders., Die Grenzen; Wagner u. Zipprian, Methodologie und Ontologie; dies., Tenbruck, Weber und die Wirklichkeit. 169 Vgl. Mar. Weber, S. 216, 239. 170 Zitiert ebd., S. 273. 171 Das Werk erlebte bis 1929 fünf Auflagen und wurde für jede von Rickert überarbeitet und erweitert. Da Weber sich auf die Erstausgabe von 1896/1902 bezieht, wurde diese und zusätzlich die endgültige Fassung hier herangezogen. Auf Rickerts erkenntnistheoretische Schrift »Der Gegenstand der Erkenntnis« geht Weber nirgends ein. Gleichwohl ist sie wichtig zum Verständnis der Rickertschen Position. Hier wurde die endgültige sechste Auflage von 1928 verwendet, die ebenfalls überarbeitet, aber inhaltlich seit der zweiten maßgeblichen Ausgabe von 1903 nicht verändert wurde. 172 Vgl. WL, S. 7 Anm., 12 Anm., 15 Anm., 53 Anm. und öfter. 173 Vgl. Grenzen, S. 337ff.; zur Verteidigung der Möglichkeit einer solchen Begriffsbildung S. 326ff. 174 Vgl. ebd., vor allem S. 342ff. 175 Ebd., S. 255. 176 Ebd., S. 298. 177 Vgl. ebd., S. 264ff., 480ff. 178 Vgl. ebd., S. 415ff. 179 Vgl. ebd., S. 410ff. 180 Vgl. ebd., S. 369. Der Terminus Wirklichkeitswissenschaften wird bereits bei Georg Simmel verwendet, worauf Rickert hinweist, vgl. S. 301. 181 Die Unterscheidung zwischen Natur und Geist als Kriterium lehnt Ricken ausdrücklich ab, vgl. Grenzen, S. 219ff., 551ff. 182 Vgl. ebd., S. 577ff. 183 Vgl. ebd., S. 371ff. 184 Vgl. ebd., S. 363ff. 185 Eine ausführliche zusammenfassende Darstellung der Methodologie und Erkenntnistheorie Rickerts bietet Merz, S. 70ff. 186 WL, S. 7 Anm. 187 Die Erprobungssituation und deren Folge: »ein ausgeprägter Anteil an eigener

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Anmerkungen zu S. 125-131 konzeptioneller Arbeit« (S. 277) werden besonders hervorgehoben in der von Merz vorgelegten Gegenüberstellung von Weber und Rickert. 188 Vgl. Mar. Weber, S. 273. Rickerts Terminologie setzt sich über Weber hinaus bekanntlich auch nicht durch. 189 Grenzen, 5. Auflage, Vorwort zur dritten und vierten Auflage 1923, S. XXV. 190 Vgl. ebd., S. 32ff. 191 WL, S. 75 Anm., vgl. S. 12 Anm., 34 Anm., 290. 192 Vgl. Henrich, S. 11ff.; Merz, S. 254; Loos, S. 6. Dagegen Schaaf, S. 42, der Webers Wirklichkeitsauffassung mit Kants Chaos der Empfindungen gleichsetzt. 193 WL, S. 214. 194 So bereits Wegener, S. 273. 195 Ab 1907. In »Stammlers Überwindung ...« ist nur noch an einer Stelle von der Mannigfaltigkeit des Gegebenen die Rede, WL, S. 341. 196 Vgl. Grenzen, S. 287ff., 294. 197 Vgl. ebd., S. 429ff., WL, S. 275f. 198 Näher ausgeführt bei Merz, S. 310ff., 381ff. 199 Vgl. Grenzen, S. 264ff., 480ff. 200 Grenzen, 5. Auflage, S. 441. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Idealtypen in Wirtschaft und Gesellschaft für Rickert reine Gattungsbegriffe sind. Vgl. ebd., S. 263 Anm. 201 Erste Hinweise finden sich in der zweiten Auflage der »Grenzen« von 1913. In WL, S. 541, 427 Anm. verweist Weber auf diese Bemerkungen Rickerts zum Verstehen. Ausgearbeitet findet sich Rickerts Entwurf erst in der 3. und 4. Auflage der Grenzen von 1921. 202 Vgl. Grenzen, 5. Auflage, S. 536f., 557ff., 588. 203 Vgl. WL, S. 12f. Anm. 204 Vgl. Grenzen, S. 563ff., Zitat S. 567. 205 Gegen Rickert: Cassirer, Zur Logik der Kulturwissenschaften, S. 37. Gegen Weber Schaaf, S. 73. Zängle, vor allem S. 156ff., wendet sich gegen beide und geht noch einen Schritt weiter, wenn er in der Wertbeziehung in jedem Fall eine zirkuläre Methodologie zu erkennen meint, die das hineinlegt, was sie dann als kausalanalytische Erkenntnis aus der Wirklichkeit herausholt. 206 Vgl. WL, S. 91, 116, 122. 207 Vgl. ebd., S. 181f. 208 Vgl. Grenzen, S. 357ff., 571ff., Grenzen, 5. Auflage, S. 646. 209 Zum Beispiel WL, S. 181. 210 Vgl. Grenzen, S. 389ff. 211 Ebd., S. 640. 212 Vgl. ebd., S. 631f. 213 Vgl. ebd., S. 578. 214 Vgl. Merz, S. 329, 332f. Ähnlich schon Henrich, S. 30ff. Auch Schaaf, S. 58f., sieht das Wesen des Wertes bei Weber und Rickert gleich bestimmt. 215 Prewo,S. 55, vgl. S. 50ff. 216 WL, S. 180. 217 Dazu v. Schelting, S. 230ff. 218 Burger, S. 87ff., sieht dagegen eher eine Übereinstimmung mit Rickert bezüglich der Begründung von Objektivität durch das Auswahlprinzip. Dies erscheint nicht haltbar. 219 Vgl. WL, S. 184. 220 Vgl. ebd., S. 213. 221 Nach Oakes, Die Grenzen, vor allem S. 141ff., ist dies nicht möglich. Weil Werte auch

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Anmerkungen zu S. 131-135 die Reichweite der Kausalerklärung bestimmen, bleibt deren Objektivität abhängig von derjenigen der erkenntnisleitenden Werte. Da Rickert diese nicht schlüssig belegt, sieht er ihn und Weber am Objektivitätsproblem scheitern. 222 Ebd., S. 146. 223 Merz, S. 325. 224 Die Erkenntnistheorie Rickerts ist im Rahmen seiner Beziehung zu Weber erst in jüngerer Zeit überhaupt berücksichtigt worden. So bei Burger, S. 60ff., Prewo, S. 35ff. und vor allem bei Merz. 225 Vgl. Gegenstand, S. 361. 226 Vgl. ebd., S. 361. 227 Vgl. ebd., S. 30. Diese Position wird von Ricken im ersten Teil des Buches ausführlich begründet. 228 Ebd., S. 115, vgl. S. 115ff., 208f., 213, 359. 229 Vgl. ebd., S. 6, 124f. 230 Vgl. ebd., S. 184f. 231 Vgl. ebd., S. 197f. 232 Vgl. ebd., S. 198f., 201. 233 Vgl. ebd., S. 234, 236, 274. 234 Vgl. ebd., S. 213f., 360, 394. 235 Merz, S. 121. 236 Vgl. Gegenstand, S. IX, 195. 237 Vgl. ebd., S. 272f., 363ff., 195. 238 Vgl. ebd., S. 371ff. 239 Vgl. ebd., S, 392f. 240 Vgl. ebd., S. 395ff. 241 Vgl. ebd., S. 203f., Grenzen, S. 683. 242 Merz, S. 131. 243 Vgl. Gegenstand, S. 47, 58. 244 Vgl. ebd., S. 45ff., 398f., 402; Grenzen, S. 674. 245 Vgl. Gegenstand, S. 202f., 213. 246 Grenzen, S. 671. 247 Ebd., S. 665. 248 Vgl. Gegenstand, S. 218ff., 368, 402ff., 430f. 249 Ebd., S. 186. 250 Ebd., S. 437, vgl. S. 293, 309; Grenzen, S. 697. 251 Grenzen, S. 673; vgl. Gegenstand, S. 309. 252 Vgl. Grenzen, S. 683, 697. 253 Vgl. Gegenstand, S. 434ff.; Grenzen, S. 699. 254 Erster Teil: Allgemeine Grundlegung der Philosophie. Eine weitere Ausarbeitung ist Rickert nicht mehr gelungen. 255 Ebd., S. 114. 256 Vgl. Gegenstand, S. 438ff., Zitat S. 438; vgl. Grenzen, S. 704, 706f. 257 Vgl. System der Philosophie, ζ. Β. S. 48, 319. 258 Vgl. Köhnke, S. 388ff., 410ff., 416ff. Auch Willey, S. 22, sieht kulturelle und politische Implikationen in der Theorie der Südwestdeutschen Schule. Vgl. auch zum folgenden, Schnädelbach, S. 198ff. 259 System der Philosophie, S. VIII. 260 Schnädelbach, S. 223.

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Anmerkungen zu S. 135-141 261 Vgl. Wagner, S. 11. 262 Dazu Willey, S. 43, 50ff.; Poggi u. Röd, S. 295ff. 263 Dazu Schnädelbach, S. 201ff. 264 Vgl. Wagner, S. 13, 57ff. 265 Vgl. Gegenstand, S. 345ff. 266 Vgl. Wagner, S. 143f.; Cassirer, Zur Logik der Kulturwissenschaften, S. 37. 267 Zitiert bei Mar. Weber, S. 72. 268 Vorwort zur 3. und 4. Auflage der Grenzen 1921, 5. Auflage, S. XXV. 269 WL, S. 309. 270 Ähnlich schon Henrich, S. 104, der darauf hinweist, daß Webers Idee von Erkenntnislehre eher den Begriffen Kants entspricht. 271 Vgl. Gegenstand, S. 408ff., 421. 272 Vgl. ebd., S. 405f. 273 Vgl. WL, S. 134, 303. 274 Vgl. Merz, S. 230, 234f., 365. 275 Wovon Merz, S. 260ff., ausgeht. 276 Ohne dies mit Kant in Verbindung zu bringen kommt Burger, S. 62f., zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn er bei Weber drei Stufen unterscheidet: einen formlosen Inhalt (das unmittelbar sinnlich Gegebene), einen kategorial geformten Inhalt (die konkreten Fakten) und die methodologisch geformte Darstellung der Fakten (der wissenschaftliche Begriff). 277 Vgl. Grenzen, 5. Auflage, S. 333ff., 429f. 278 Vgl. Mar. Weber, S. 324, Grenzen, 5. Auflage, S. 758. 279 So z. B. Wagner, S. 158 Anm.; Hennis, Max Webers Fragestellung, S. 208. Dagegen verweist Oexle, »Der Teil und das Ganze«, ausdrücklich auf den Zusammenhang der Weberschen Wissenschaftsauffassung mit derjenigen Kants, vgl. S. 381ff.; ähnlich schon ders., ›Wissenschaft‹ und ›Leben‹, S. 153, und ders., Geschichtswissenschaft, S. 32, 44f. Auf die kantischen Grundlagen der Weberschen Wissenschaftslehre verweist auch Schluchter immer wieder; Religion und Lebensführung, zum Beispiel Bd. 1, S. 81ff., 171f., Bd. 2, S. 311f. Anm. 280 WL, S. 208. 281 Vgl. Mar. Weber, S. 48, 93f., 165. 282 Vgl. Köhnke, S. 381ff., Zitat S. 383. 283 Vgl. Jaspers, Max Weber, S. 47. Eine von Hennis, Max Webers Fragestellung, S. 208 Anm., angeführte Briefstelle widerspricht dem allerdings: »Max Weber wußte kaum etwas von kantischen Ideen ...« (Jaspers an H. Arendt). 284 Vgl. Rombach, S. 7, 15ff. 285 Kritik der reinen Vernunft, Β XIII. 286 Rombach, S. 14, vgl. S. 15, 17, 287 Vgl. ebd., S. 45. 288 Ebd, S. 16. 289 Kritik der reinen Vernunft, Β 534. 290 Rombach, S. 13. 291 Vgl. WL, S. 317. 292 Mit der Frage, ob auch die Strukturen der menschlichen Vernunft historisch wandel­ bar und an einen kulturellen Kontext gebunden sind, die heute unter den Stichworten Konventionalismus und Kontextualismus diskutiert wird, scheint Weber noch keine Schwie­ rigkeiten gehabt zu haben; man denke an den »Chinesen«. Zur »historistischen Wissenschafts­ philosophie« und ihren Problemen Scholtz, Historismus und Wahrheit.

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Anmerkungen zu S. 141-153 293 Dies arbeitet Baier, Soziologie als Handlungswissenschaft, S. 52ff., mit Bezug auf Webers Loslösung vom Neukantianismus heraus. 294 Wagner u. Zipprian, Wertfreiheit, erkennen diesen ersten Schritt in Webers Objektivitätsauffassung, mit der er sich vom Neukantianismus löst.

VI. Die rationalisierte Welt: Freiheit und Zwang 1 RS, I, S. 252. Dazu Lepsius, Interessen und Ideen; Schluchter, Die Entwicklung, S. 39ff. Die Frage nach dem Verhältnis von Interessen und Ideen, verstanden als Analyse des Problems kulturellen Wandels, ist für Schroeder, Weber and the Sociology of Culture, das zentrale Thema der Soziologie Webers. 2 RS I, S. 238. 3 Vgl. WuG, S. 260ff. 4 Vgl. ebd., S. 348ff. 5 Vgl. ebd., S. 337ff. 6 Vgl. ebd., S. 321ff. 7 Vgl. ebd., S. 324ff. 8 Ebd., S. 327. 9 Vgl. auch zum folgenden ebd., S. 334ff. 10 Ebd., S. 336. 11 Ebd., S. 337. 12 Vgl. RS, I, S. 86, 40 Anm. 13 Ebd., S. 33. 14 Ebd., S. 7. Klärende Ergänzungen zur Protestantischen Ethik in der Aufsatzsammlung bei Seyfarth u. Sprondel, Seminar: Religion. 15 RS, I, S. 12. 16 Ebd., S. 94f. 17 Ebd., S. 93. 18 Ebd., S. 101. 19 Ebd., S. 72. 20 Vgl. ebd., S. 63ff. 21 Vgl. ebd., S. 102ff. 22 Ebd., S. 115f. 23 Vgl. ebd., S. 150ff., 207ff. 24 Vgl. ebd., S. 165ff. 25 Ebd., S. 198. 26 Ebd., S. 198f., 200, 178. 27 Vgl. WuG, S. 367ff., RS, I, S. 122. 28 RS, I, S. 37. 29 Vgl. ebd., S. 49, 54, 56. 30 Ebd., S. 203. 31 Ebd., S. 203f. Zur Metapher vom stahlharten Gehäuse Tiryakin. 32 RS, I, S. 4. 33 Weber ist in seiner Kapitalismusanalyse also nicht gar so weit entfernt von Marx, dessen Konsequenzen er allerdings für falsch hielt, denn im Prinzip bejaht Weber die kapitalistische Wirtschaftsordnung. Dazu Mommsen, Max Weber als Kritiker des Marxismus.

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Anmerkungen zu S. 153-161 34 Vgl. auch zum folgnden WuG, S. 126ff., 551ff. 35 Ebd., S. 562. 36 Ebd., S. 563. 37 Ebd., S. 836, 835. 38 GASS, S. 414. 39 Vgl. PS, S. 515ff. Dazu Hufnagel, S. 237ff.; Kocka, Hintze, Weber und das Problem der Bürokratie, S. 83; Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, S. 180ff. 40 WuG, S. 836. Zu Webers Sozialismuskritik in diesem Punkt und allgemein zu einer Kritik seiner Bürokratisierungsthese Lenhardt. 41 Vgl. WuG, S. 78, 565. 42 WL, S. 226, vgl. S. 132. 43 Vor diesem Hintergrund untersucht Levine Webers Rationalitätsbegriff. 44 RS, I, S. 204. 45 Dazu Abramowski, S. 162ff. 46 WL, S. 517. 47 RS, I,S. 521. 48 Ebd., S. 204; vgl. WL, S. 598. Zur Kulturkritik bei Weber und Nietzsche Peukert, S. 27ff. 49 Schon Karl Löwith war bewußt, daß der Kapitalismus für Weber zum Problem wurde, weil er sich auf die Befindlichkeit des ganzen Menschen auswirkt; vgl. Löwith, Weber und Marx, S. 324f. Besonders betont wird dieser Problembereich bei Hennis, der das besondere Interesse Webers an der Entwicklung des »Menschentums« und am Verhältnis von Persönlichkeit und Lebensordnungen herausgearbeitet hat. Es sind jedoch Zweifel angebracht, ob es sich hier tatsächlich, wie Hennis behauptet, um die zentrale Fragestellung und das eigentliche Thema Webers handelt, denn auch Menschentum und Lebensordnungen werden für ihn interessant, weil sie vom (okzidentalen) Rationalismus geprägt sind, der so der oberste Orientierungspunkt bleibt. Vgl. Hennis, Max Webers Fragestellung, vor allem S. 3ff., 59ff. 50 WL, S. 605. 51 Dazu Weiß, On the Irreversibility. 52 GASS, S. 414. 53 Ebd. 54 RS, I, S. 204. 55 WL, S. 604f. 56 Ebd., S. 605. 57 Ebd., S. 507. 58 Ebd., S. 517, vgl. S. 463f. 59 Ein Vergleich zwischen Troeltschs und Webers Haltung bei Kracauer. Eine Gegenüberstellung der Positionen Troeltschs, Webers und Nietzsches im Hinblick auf das Wertproblem und die Objektivitätsfrage der Geschichte bietet Oexle, Von Nietzsche zu Max Weber; ähnlich bereits ders., »Historismus«, S. 129ff. Zu den engen persönlichen und fachlichen Beziehungen Troeltschs und Webers Graf. 60 Vgl. Rickert, Vom System der Werte. 61 WL, S. 507. 62 Ebd., S. 507f. 63 Ebd., S. 612, 613, vgl. S. 519, 605, 609. Die »Forderung des Tages« wie der »Dämon« sind Goethe-Zitate, aus »Maximen und Reflexionen« bzw. der ersten Stanze der »Urworte. Orphisch«, wo der Dämon als die eigentliche Individualität des Menschen, die stärkste

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Anmerkungen zu S. 161-165 Schicksalsbestimmung, das einheitschaffende Lebensgesetz verstanden wird. Vgl. dazu Hoffmeister. 64 WL, S. 508, vgl. S. 612. 65 So Weber in einem Diskussionsbeitrag auf der Tagung des Vereins für Sozialpolitik 1909; GASS, S. 419. Daß das Wertfreiheitspostulat für Weber in erster Linie nicht ein wissenschaftstheoretisches Problem ist, sondern ein praktisch moralisches hat jüngst Hennis, Der Sinn der Wertfreiheit, dargelegt. Die gleiche These vertritt Hennis in einer Untersuchung des Wertfreiheitspostulats im Zusammenhang mit der Theoretischen und Historischen Schule der Nationalökonomie und Webers Beiträgen zur zeitgenössischen Diskussion um die Universitätsstrukturen: The pitiless ›sobriety of judgement«. 66 GASS, S. 420. 67 PS, S. 558. 68 Ebd., S. 550. 69 Vgl. Mommsen, Die antinomische Struktur, S. 40 und Kocka, Hintze, Weber und das Problem der Bürokratie, S. 99. 70 Dies wird exemplarisch deutlich an seiner distanzierten Haltung zum Kreis um Stefan George; vgl. Mar. Weber, S. 464ff. 71 In einem Diskussionsbeitrag 1964 bezeichnete Habermas Carl Schmitt als »legitimen Schüler« Webers: Ein Diskussionsbeitrag, S. 85. Korrigierend zum Verhältnis Weber-Schmitt Löwith, Max Weber und seine Nachfolger, S. 414ff.; ders., Max Webers Stellung zur Wissenschaft, S. 434ff. Anm. Ob als Dezisionismus, Relativismus, Nihilismus oder Subjektivismus formuliert, diese Vorwürfe an Weber beinhalten stets das gleiche und lassen sich nur vom Standpunkt einer objektiven Werdehre erheben, jedoch von gänzlich verschiedenen Seiten: vgl. Habermas, Technik und Wissenschaft als Ideologie, vor allem S. 121f.; Strauss, vor allem S. 43ff.; Voegelin, S. 33ff. 72 Vgl. Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 165ff., 335ff. Schluchter wendet sich ausdrücklich gegen Roth, Max Webers zwei Ethiken, in dessen Beitrag allerdings deutlich wird, wie schwierig die Frage, wer welche Ethik vertritt, in der Praxis häufig zu beantworten ist. Weil wir heute in einer völlig anderen Situation leben (Atomzeitalter), hält Roth die politische Anwendbarkeit der Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik, wie sie gelegentlich auch bei Weber vorkommt (Syndikalisten als Gesinnungsethiker), für nicht mehr gegeben. 73 Vgl. Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 173ff. 74 Vgl. WL. S. 505. 75 Vgl. Schluchter, Rationalismus, S. 41ff., und Lepsius, Max Weber in München. Erläuterungen zum historischen Kontext und zur Entstehungsgeschichte in MWG I/17. 76 PS, S. 551f.; zur Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik vgl. auch v. Schelting, S. 42ff. 77 Vgl. PS, S. 552, 553. 78 Ebd., S. 559, vgl. S. 558. Webers Anerkennung gesinnungsethischer Positionen zeigte sich auch in seinem persönlichen Leben immer wieder, zum Beispiel an seiner Beziehung zu dem Sozialisten Robert Michels; dazu Mommsen, Robert Michels und Max Weber. 79 Ebd., S. 559. 80 WL, S. 132, vgl. S. 132f., 152. 81 Weiß, Die Entzauberung der Welt, S. 19. 82 WL, S. 38. 83 PS, S. 558.

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Anmerkungen zu S. 165-172 84 Vgl. Schluchter, Die Entwicklung; ders., Rationalismus, S. 41ff.; ders., Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 200ff. Da der jüngere Ansatz Schluchters das Umfassendste ist, was bisher zu diesem Thema erschien, folgen die weiteren Überlegungen zu Webers Ethik im wesentlichen seinem Ansatz. 85 Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 171. 86 Ebd., S. 171, 182. 87 Zu dieser Differenz zwischen Weber und Kant vgl. Barker. 88 Vgl. Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 286f. 89 Ebd., S. 286, 312, vgl. S. 208f. Anm. 71. 90 Vgl. Rickert, Lebenswerte und Kulturwerte. 91 Vgl. Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 290ff.; zu Windelband auch Schnädelbach, S. 219ff. 92 Vgl. Rickert, Vom System der Werte. 93 Vgl. Schluchter, Die Entwicklung, S. 30ff., der mit dem Rückgriff auf Windelband seine damalige Position jedoch korrigiert. 94 Vgl. auch zu folgendem Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 297ff. 95 WL, S. 148. 96 Ebd., S. 155. 97 Vgl. ebd., S. 504, 506f. 98 Dazu Whimster. The Secular Ethic. 99 Vgl. Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 303. 100 Ebd., S. 208. 101 Vgl. WL, S. 183. 102 Vgl. ebd., S. 334ff. 103 Vgl. RS, I, S. 33ff. 104 Vgl. Schluchter, Religion und Lebnsführung, Bd. 1, S. 203ff., 213ff., 218f. 105 Vgl. ebd., S. 219ff. 106 Kritik der praktischen Vernunft, Α 54. 107 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 66, 67. 108 Vgl. ebd., BA 75. 109 Schluchter weist selbst darauf hin, daß dies eine grobe Vereinfachung, ja Verzeichnung der kantischen Position ist, hält zur typologischen Einordnung aber an der Kennzeichnung als Gesinnungsethik fest. Vgl. Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 235ff. 110 Vgl. ebd., S. 225ff. 111 Vgl. auch zu folgendem ebd., S. 249ff. Der Terminus Verantwortungsethik wird von Weber in einer doppelten Bedeutung verwendet: einmal zur Charakterisierung eines Strukturtyps der Ethik, sodann als Brückenprinzip für jede Ethik mit Gesinnungswert. Dementsprechend nutzt Schluchter den Begriff einmal als reflexives Prinzip zur Bestimmung eines Gesinnungswertes, als Universalisierungsgrundsatz und außerdem als Brückenprinzip, als formale ethische Maxime zur Bestimmung des Verhältnisses von Gesinnungs- und Erfolgswert, was im folgenden deutlich wird. Vgl. ebd., S. 262f. 112 Ebd., S. 253. 113 Soweit Weber in einem Brief an Ferdinand Tönnies aus dem Jahr 1908; abgedruckt bei Baumgarten, S. 398f. 114 So Weber in einem erhaltenen Fragment von 1912; wiedergegeben ebd., S. 400. 115 Die Bezeichnung »individuelles Gesetz« findet sich bei Georg Simmel, dem Schluchter wegen der lebensphilosophischen Implikationen berechtigterweise inhaltlich aber nur in Grenzen folgt. Doch ist Simmeis Gedanke, auf dem Wege der immanenten Transzendenz aus

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Anmerkungen zu S. 173-181 dem eigenen Leben heraus das Gesetz für dieses Leben zu finden, der Weberschen Position nicht unähnlich. Vgl. Simmel. 116 Vgl. Henrich, S. 115ff. 117 WL,S. 503. 118 Vgl. Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 211f., 250ff., 305ff., 327. 119 Vgl. ebd., S. 299ff. 120 Bereits Kant macht diese Unterscheidung; vgl. Kritik der praktischen Vernunft, Α 269. 121 Schluchter gibt zu, daß Webers Ansatz mit gleichem Recht zu einer relativistischen Verantwortungsethik zusammengefaßt werden könnte und verweist auf die Bedeutung eines Vorgehens, das mit Weber teilweise gegen ihn argumentiert. Vgl. Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 332f. 122 Vgl. ebd., S. 312ff. Schluchter sieht die an Webers Ansatz orientierte kritizistische Verantwortungsethik in der Nähe der Position Albrecht Wellmers, Ethik und Dialog, Frankfurt 1986, und führt die Auseinandersetzung mit der Diskursethik vor diesem Hintergrund. 123 Vgl. Weiß, Die Entzauberung der Welt, S. 37ff.

VII. Die Rolle der Wissenschaft in der rationalisierten Welt 1 Vgl. WL, S. 510. 2 Ebd., S. 122. 3 Vgl. ebd., S. 151. 4 Ebd., S. 608. 5 GASS, S. 418. 6 Vgl. WL, S. 150f., 312f., 499, 501, 510f., 608. 7 So Weber in einem Brief an seine Schwester Clara Mommsen vom April 1920. Zitiert bei Mar. Weber, S. 702. 8 WL, S. 150. 9 Ebd. 10 Dazu Eden, Bad Conscience for a Nietzschean Age. 11 WL, S. 247. 12 Hufnagel, S. 333f. 13 Albert, Theorie und Praxis, S. 249. 14 Ebd. 15 WL, S. 608. 16 Ebd. 17 Vgl. Schluchter, Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 217f. 18 »Denn Fachwissen ist Technik, lehrt technische Mittel«, heißt es in einem Brief an Else Jaffé1907; MWG II/5, S. 403. 19 WL,S. 502. 20 Ebd., S. 540. 21 Hufnagel, S. 276.

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Register 1. Personenregister Abel, G. 56 Aristoteles 15, 86, 123 Avenarius, R 198 Bacon, F. 13 Baudelaire, Ch. 34 Bošković, FL Y. 54, 199 Brandes, G. 62 Brecht, A. 92 Breysig, K. 74 Calvin, J. 149f. Clausius, R 55 Comte, A. 13, 50, 51f., 57, 101, 105, 113, 208 Darwin, Ch. 15, 53, 63, 199 Descartes, R 42 Dilthey, W. 98f., 124, 127, 159 Du Bois-Reymond, E. 11 Durkheim, E. 74 Féré, Ch. 54, 199 Fleischmann, E. 64, 65 Freud, S. 69 Galton, F. 54, 199 George, St. 62 Gobineau, J. A. de 199 Habermas, J . 174f., 197f., 215 Haeckel, E. 12, 199 Hartmann, E. v. 24 Hegel, G. W. F. 10, 24, 74, 105 Heidegger, M. 27, 62 Helmholtz, H. 55 Hennis, W. 64, 65, 214

Heraklit 35 Hesse, H. 10 Hintze, O. 10 Hobbes, Th. 64 Hume, D. 92 Jaspers, K. 17, 62, 138 Jellinek, G. 117 Kant, I. 12, 13, 37, 4 1 , 42, 47, 53, 92, 122, 123, 126, 131, 132, 133, 135, 136, 137ff., 166f., 168, 169, 170, 171f., 173, 186, 188, 197 Kaufmann, W. 63 Kaulbach, F. 46f. Kopernikus, N. 15, 22, 28 Kries, J . v. 97 Lamarck, J . B. 54 Lamprecht, K. 74 Löwith, K. 40, 62 Lotze, R. H. 136 Lukács, G. 60 Luther, M. 149f. Mach, E. 57, 198, 200 Mann, Th. 10 Marx, K. 63, 64, 69, 74, 105, 113, 118, 120 Merz, P-U. 131 Meyer, E. 106 Meyer, J . R. 54, 55, 200 Mill, J . St. 50, 52, 92, 97, 208 Mommsen, W. 64 Montinari, M. 54 Oakes, G. 131 Overbeck, F. 20

Parsons, T. 16f. Plato27, 35, 37, 39, 41, 59, 62, 87, 131, 160 Poincaré, H. 55 Radbruch, G. 97 Ranke, L. v. 14 Rickert, H. 121ff., 159f., 165, 166, 167, 175 Rilke, R M . 17 Roux, W. 54, 199 Schluchter, W. 66, 162, 188, 165ff. Schopenhauer 28f. 34, 57, 166 Simmel, G. 100, 107, 216f. Sokrates 21f., 49, 52, 62 Sombart, W. 74 Spencer, H. 13, 50, 51, 56, 74, 101 Spengler, O. 63 Spir, A. 53, 199 Thomson, W. 55 Tocqueville, A. de 64 Tolstoi, L. N. 121 Treitschke, H. v. 94 Troeltsch, E. 10, 14, 159, 160, 175 Vogt, J . G. 56 Wagner, R 34, 57, 60 Wellmer, A. 172, 174 Windelband, W. 122, 135, 167 Zöllner, J . K. F. 53, 199

230 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

2. Sachregister adäquate Verursachung 97f., 115, 127 Askese 145ff., 149ff. asketisches Ideal 37, 50 Aufklärung 11, 12, 58, 59f., 156, 166, 181, 185 Begriffsbildung 31, 41f., 87, 88, 100, 114f., 119, 123f., 126, 127, 131, 136, 140 Bürokratie 147, 153ff., 158, 179, 187 Charisma 75, 77, 85, 144, 154, 180, 181 Christentum 26ff., 30, 35, 37f., 39, 4 1 , 52, 59, 62, 70, 77f., 81, 83, 85, 118, 146, 158, 171, 203 décadence 34f., 49, 52, 54 Dezisionismus 104, 162, 165, 174, 175, 178 Diskursethik 175 Empirie 11, 12, 15, 22, 25, 50, 63, 80, 84, 86, 88, 92, 95, 100, 101, 107, 112f., 114, 116, 122, 134, 139, 144, 176 Entwicklungsgedanke 24f., 73f., 76, 82, 117 Entzauberung 18, 65, 74, 75ff., 80, 84, 142, 149, 150, 158, 164, 182 Erklären 14, 96ff., 100ff., 107, 112, 116, 124, 126f., 131 Ethik, Moral 19, 26f., 29f., 36ff., 64, 69, 76, 77, 78, 79ff., 142ff., 147ff., 151, 155, 162ff., 168ff, 179, 187 ewige Wiederkehr 29f., 33f., 35, 40, 48, 54ff., 59f., 185 Experimentalphilosophie 46f., 49, 58f. Fortschritt 11, 15, 21, 29, 35, 63, 65, 74, 109f., 120, 121, 140, 156, 180 freie Geister 40, 4 1 , 46, 58, 66, 120, 184f. Freiheit 28, 39, 99, 120, 124, 155ff., 160, 165, 182, 187 Geschichtswissenschaft 13f., 23ff., 51, 86, 89, 96ff., 111, 117, 122ff., 126, 129, 137, 138 Gesetzeserkenntnis 13, 90, 96f., 101, 106, 111, 117, 118, 124, 126, 129

Gesinnung, -sethik 19, 143, 146, 150, 158, 162ff., 170f., 176, 179 Handlungstheorie 71f., 99ff., 118f., 127f., 141 historisches Individuum 107, 108, 117, 123f., 128f. Historismus 13f., 15, 51, 110, 140, 159, 186 Idealismus 11, 12, 14, 15, 37, 39, 47, 57, 74, 92, 114, 132, 134, 136, 159, 167 Idealtypus 72, 74, 114ff., 127, 139, 164, 179 Interesse, wissenschaftliches 104f., 107ff., 129 Kampf 32, 35, 38, 39, 49, 65, 159 - der Werte 81f., 92f., 95, 108, 120, 130, 131, 158ff., 165, 166, 171, 172, 173, 175, 187 Kapitalismus 30, 69f., 82, 116, 147ff., 158, 179, 187 Kausalität 22, 35, 4 1 , 42, 54, 84, 9 1 , 102, 105, 133, 137 Kosmos 15, 79f., 8 1 , 82, 84, 85f., 87, 143, 149, 151 Kultur- u. Wissenschaftskrise 14ff., 17f., 26, 29, 56, 63, 89, 121, 135, 183 Kulturkritik 17, 2 1 , 62, 65, 152ff., 156ff., 187 Kunst 33, 46, 47, 50, 57, 58, 59f., 70, 78, 83, 127, 147, 184 Leben b. Nietzsche 10, 23, 24, 25, 31ff., 34, 35, 37f., 43, 44, 45, 46, 47, 49, 50, 52, 53, 57, 58, 61,66, 67f., 99, 184f. letzte Menschen 30, 34, 88, 157 Magie 10, 75ff., 80, 82, 84, 85, 87, 142ff., 148f., 170, 203 Materialismus 11f., 50 Metaphysik 12, 13, 15, 26, 27ff., 31, 35, 37, 38, 39, 42, 45, 50f., 57, 65, 67f., 76, 78, 80, 84, 87, 92, 99, 114, 122, 124, 131, 135f., 140f., 166f., 172, 182, 183, 184, 187

231 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3

Moral, s. Ethik Mythos 59f., 6 6 , 157, 185, 198 Naturwissenschaft 11ff., 14, 15, 19, 2 2 , 2 5 , 49f., 5 1 , 53ff., 6 3 , 74, 86, 8 8 , 96ff., 100f., 106, 109, 110f., 112, 114f., 116, 117, 122, 123f., 126, 130, 134, 137, 186, 199 Neukantianismus 19, 121ff., 166f., 197 Nihilismus 18, 25ff., 34f., 36, 37ff., 4 1 , 4 7 , 5 9 , 60, 6 5 , 6 7 , 159, 178, 183, 184, 185

Ressentiment 36f., 69 Sinn 2 2 , 2 7 , 30, 4 0 , 4 3 , 4 4 , 4 7 , 50, 52, 6 5 , 7 5 , 7 7 , 7 8 , 79f., 8 1 , 84, 85f., 8 8 , 9 2 , 9 5 , 99ff., 102, 106, 108, 115, 118, 1 2 1 , 124, 127f., 130, 135, 136, 143, 146, 149, 159f., 185 Soziologie 51f., 6 3 , 9 7 , 9 9 , 1 0 1 , 117, 118, 126f. Sprache 41f., 48 Subjektivismus 4 4 , 9 0 , 113 Subjektivität 111f., 174, 175, 188

objektive Möglichkeit 97f., 115, 116, 127 Objektivismus 13, 9 0 , 105, 113, 121 Objektivität 2 2 , 2 4 , 5 1 , 6 0 , 9 8 , 111ff., 119, 121, 128ff., 131ff., 137, 167, 173, 174, 183, 186f. Opfer des Intellekts 38, 8 5 , 160

Thermodynamik 55f.

Persönlichkeit 2 3 , 2 5 , 9 4 , 150, 157, 162, 164f. Perspektivität 3 3 , 38f., 43ff., 50, 52, 106ff., 116, 119, 129, 140, 172, 180, 184f. Positivismus 12f., 14, 15, 4 1 , 50ff., 57f., 6 1 , 6 3 , 6 7 , 6 8 , 74, 9 0 , 9 1 , 9 2 , 1 0 1 , 109, 113f., 120, 122, 140f., 183, 185, 186, 187, 197f., 198

Verantwortung, -sethik 19, 3 9 , 4 0 , 142, 158, 162ff., 165, 170, 171ff., 176ff., 179, 187, 216 Verstehen 14, 98ff., 102, 103, 1 1 1 , 116, 127, 1 4 1 , 176, 186

Rationalität, Rationalismus 9, 15, 16, 4 3 , 4 9 , 6 0 , 6 6 , 70ff., 7 8 , 8 0 , 83ff., 104, 110, 119f., 1 4 6 , 1 4 8 , 155f., 1 5 7 , 1 6 5 , 168, 187, 178f., 184, 185, 186, 188, 2 0 3 , 214 -, materiale 72f., 82, 84f., 152, 155, 168 -, formale 72f., 82, 84f., 8 5 , 152ff., 158, 168f., 179f. -, Zweck- 71f., 7 3 , 8 2 , 8 3 , 8 5 , 99f., 118f., 152, 156f., 164, 168f., 175, 187 -, Wert- 71f., 7 3 , 83, 8 5 , 143, 164, 168 Rationalisierung 18, 70f., 73ff., 7 8 , 79ff., 84, 8 7 , 142f., 152, 155, 156, 157f., 165, 173, 175, 180, 182, 183, 187 Rechtschaffenheit, intellektuelle 6 6 , 6 8 , 8 6 , 92, 94, 114, 1 3 1 , 160, 173, 175, 179, 181, 186, 187 Redlichkeit, intellektuelle 2 7 , 2 8 , 4 1 , 58, 6 1 , 6 6 , 112, 185 Regeln 96f., 118, 126

Übermensch 30, 33f., 4 0 , 53f., 6 2 , 6 3 , 6 7 , 162 Unendlichkeit 8 1 , 1 0 5 , 108, 1 0 9 , 1 2 1 , 125f., 140

Wahrheit 2 2 , 24, 2 5 , 26f., 2 8 , 37, 4 1 , 42ff., 4 7 , 4 9 , 50f., 52, 58, 5 9 , 6 1 , 6 5 , 6 7 , 6 8 , 8 5 , 87f., 109, 110, 120, 1 2 1 , 133f., 136, 140, 1 4 1 , 1 6 8 , 1 7 1 , 174, 1 7 9 , 184f. Weltanschauung 11f., 5 1 , 5 2 , 92f., 94f., 104, 110, 135, 160, 178, 188 Wertbeziehung 104ff., 112, 114, 115f., 117, 119, 124, 128ff., 138, 177, 186 Wertdiskussion, -analyse 102ff., 107, 112, 128, 173, 174, 176ff., 188 Wertfreiheit 19, 91ff., 103f., 109, 110, 112, 113f., 117, 119f., 124, 138, 1 6 1 , 177f., 180f., 186, 187, 188 Wertrelativismus 14, 15, 24, 5 1 , 135, 159f., 1 6 1 , 167, 174, 175, 187 Wille zur Macht 32ff., 38f., 4 0 , 4 1 , 4 2 , 43ff., 4 7 , 49f., 54, 5 5 , 57, 5 9 , 159, 184f. Wirklichkeit 4 5 , 5 9 , 9 6 , 9 7 , 105f., 107, 1 1 1 , 113f., 115f., 123, 124, 125f., 128, 1 3 1 , 132f., 134, 136, 137, 139, 1 4 1 , 163, 164, 184 Wirklichkeitswissenschaft 9 6 , 124, 135

232 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35768-3