Frauen-Fabrikarbeit und Frauenfrage: Eine prinzipielle Antwort auf die Frage der Ausschliessung der verheirateten Frauen aus der Fabrik [Reprint 2021 ed.] 9783112508107, 9783112508091

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Frauen-Fabrikarbeit und Frauenfrage: Eine prinzipielle Antwort auf die Frage der Ausschliessung der verheirateten Frauen aus der Fabrik [Reprint 2021 ed.]
 9783112508107, 9783112508091

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Die Kartelle der gewerblichen Unternehmer. Eine Studie über -ie großindustriellen Organisationen -er Gegenwart von

Dr. L. Pohle, Privatdozent an der Universität Leipzig.

gr. 8.

1898.

geheftet 8 M 20

FRAUEN-FABRIKARBEIT UND

FRAUENFRAGE. EINE PRINZIPIELLE ANTWORT AUF DIE FRAGE DER

AUSSCHLIESSUNG DER VERHEIRATETEN FRAUEN

AUS DER FABRIK.

Von

Dr. LUDWIG POHLE, PRIVATDOZENTEN AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG.

LEIPZIG,

VERLAG VON VEIT & COMP.

1900.

Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.

MEINER LIEBEN FRAU ELISE

Vorwort. Es ist ein eigentümlich Ding um die Aufstellung von Arbeiter­

schutzforderungen, von denen die Partei, welche die Vertretung der

Interessen der lohnarbeitenden Klasseri auf ihre Fahne geschrieben

hat, und die man jetzt auch wohl oder übel als „die" Vertreterin der Arbeiterklasse anerkennen muß, nichts wissen will, die sie vielmehr grundsätzlich bekämpft.

In einer solchen sonderbaren

Lage befinde ich mich, wenn ich eine Einschränkung der Fabrik­

arbeit verheirateter Frauen befürworte.

Aus dieser Lage der

Dinge ergiebt sich die Aufgabe, zunächst das falsche Ideal von

seinem Götzenaltar herabzustoßen und zu zertrümmern, das die

Arbeiterklasse hindert, die Notwendigkeit der betreffenden Arbeiter­ schutzforderung einzusehen. Die eigenartige Aufgabe, die mir so gestellt war, erklärt die auf den ersten Blick wohl etwas verwunderlich erscheinende Anlage und Disposition der vorliegenden Arbeit, die dadurch zugleich den Cha­

rakter einer — allerdings in durchaus ruhigem Tone gehaltenen — Streitschrift erhalten hat. Im Grunde leugnet die Sozialdemokratie

ja nur deshalb die Durchführbarkeit des Verbots der ehe weiblichen

Fabrikarbeit, weil sie die Notwendigkeit der Maßregel nicht an­ erkennen will.

Da sie aber ihre prinzipiell ablehnende Stellung

hinter der Verneinung der Durchführbarkeit versteckt — an sich ein

ganz geschickter Schachzug! —, erwies es sich erforderlich, ihr

auf diesem Wege zu folgen und zunächst die Frage der Durch­

führbarkeit der Maßregel und dann erst die ihrer Notwendigkeit

zu erörtern, während sonst die beiden Fragen wohl besser in umgekehrter Reihenfolge behandelt und überhaupt der Stoff in mancher Beziehung anders angeordnet worden wäre.

Bei dem Versuch, die beteiligten Kreise von der Notwendigkeit der teilweisen Ausschließung der verheirateten Arbeiterinnen aus der Fabrikindustrie zu überzeugen, war ich mir des ScHOPENHAUER’schen

Wortes wohl bewußt, daß Moral predigen leichter sei, als Moral

beweisen. Die sittliche Richtigkeit einer vorgeschlagenen Maßnahme läßt sich überhaupt nur dann wirklich „beweisen", wenn man mit dem, dem man ihre Richtigkeit demonstrieren will, in Bezug auf das

Grundprinzip der Ethik übereinstimmt. Trifft diese Voraussetzung

nicht zu, dann gilt das Wort aus dem Lied von den beiden Königs­ kindern: „Sie können zusammen nicht kommen, das Wasser ist

viel zu tief."

Zwischen der individualistischen Weltanschauung,

die das Individuum und sein Glück zum letzten Zwecke aller

gesellschaftlichen Einrichtungen macht, und dem Sozialismus, der bei jeder Institution zuerst danach fragt, ob sie die Wohlfahrt

und den Fortschritt der Gesellschaft fördert, ist eine Verständigung

über das, was die Moral gebietet, nicht möglich; zwischen ihnen giebt es keine Verbindungsbrücke. Man kann daher einem über­

zeugten Individualisten niemals beweisen, daß eine Maßregel, die dem Einzelmenschen Opfer an persönlicher Freiheit und indivi­

duellem Glück zumutet, moralisch richtig sei. Unter diesen Umständen konnte es, da die marxistische Sozialdemokratie im schärfsten Gegensatz beispielsweise zu dem

Sozialismus eines Rodbertus immer mehr in das Fahrwasser des extremen Individualismus gelangt ist, bei dem Appell von der

schlecht unterrichteten an die besser zu unterrichtende Arbeiter­ schaft nur darauf ankommen, klar hervorzuheben, wie die Sozial-

demokratie, wenn sie die Einschränkung der eheweiblichen Fabrik­

arbeit bekämpft, nicht sozialistisch, sondern rein individualistisch handelt, sodaß sie ihren Namen eigentlich zu Unrecht trägt und sich in „Individualdemokratie" umtaufen lassen müßte.

Die ganze Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie erhält

ihre Rechtfertigung und ihre wahre Bedeutung erst durch folgende Erwägung: Ob es bei uns zu einem gesetzgeberischen Vorgehen in der Richtung einer mehr oder weniger vollständigen Einschränkung

der eheweiblichen Fabrikarbeit kommen wird, das liegt noch ganz im Dunkeln. Ein derartiges Vorgehen würde im Reichstage nicht nur dem von der Parteidoktrin gebotenen Widerstände der Sozial­

demokratie, sondern vor allem auch dem Widersprüche der Parteien begegnen, welche die Unternehmerkreise repräsentieren, die sich durch

ein Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit in ihren materiellen Inter­ essen benachteiligt glauben. Es würde großes Geschick dazu ge­ hören, eine Regierungsvorlage glücklich zwischen der sozialistischen

Scylla und der kapitalistischen Charybdis hindurchzusteuern. Ge­ lingt dies aber nicht oder kommt es gar nicht einmal zu einer solchen Regierungsvorlage, was bei dem neuesten sozialpolitischen

Kurs sehr leicht möglich erscheint, so kommt es für die zukünftige Entwicklung der ehe weiblichen Fabrikarbeit, ob sie sich immer weiter ausdehnt oder aber ob sie abnimmt, ganz wesentlich mit

darauf an, welche Anschauungen in den Arbeiterkreisen selbst über die Sitte, die Ehefrau ebenfalls in die Fabrik zu schicken,

herrschen.

Gewiß ist es richtig, daß die eheweibliche Fabrik­

arbeit zum großen Teile eine Lohnfrage ist, d. h. daß die Ehefrau durch zu geringen Verdienst des Mannes gezwungen ist, durch ihre Mitarbeit in der Fabrik das Familien-Einkommen auf eine solche

Höhe zu bringen, daß es 2jir Bestreitung der notwendigsten Aus­

gaben hinreicht.

Allein auch heute schon gilt das doch nicht

für sämtliche Fälle, in denen die Ehefrau die Fabrikarbeit des

Mannes teilt, wie am geeigneten Orte des Näheren nachgewiesen werden wird, und es wird immer weniger gelten, je mehr die Löhne der Männer die Tendenz haben, zu steigen.

Und glück­

licherweise ist das ja die Erscheinung, die sich im Gegensatz zu den Behauptungen der marxistischen Theorie von der zunehmenden Verelendung der großen Masse der Bevölkerung bei weiter fort­

schreitender kapitalistischer Entwicklung überall beobachten läßt.

Je weniger aber die Fabrikarbeit der Ehefrauen durch wirk­

liche Not veranlaßt und zugleich entschuldigt wird, um so wichtiger wird es, wenn das Gesetz der eheweiblichen Fabrikarbeit keine Grenzen zieht, den beteiligten Kreisen das Gewissen zu schärfen,

damit sie freiwillig dafür sorgen, daß die verheiratete Frau nicht länger als unbedingt nötig über der Fabrikarbeit ihr Hauswesen und vor allem die körperliche und geistige Pflege ihrer Kinder

vernachlässigt.

Denn eine Abnahme des Umfangs der ehe­

weiblichen Fabrikarbeit kann bei diesem Zustande nur durch

eine Änderung der Sitte, die Frau an der Fabrikarbeit teilnehmen zu' lassen, herbeigeführt werden.

Eine Reform der Sitten nach

dieser Richtung wird aber zum Mindesten nicht gefördert, wenn die Partei, die sich nun einmal der Führung der lohnarbeitenden

Klassen bemächtigt hat, unaufhörlich als ihr Glaubensbekenntnis

verkündet, daß die Frau ebenso wie der Mann außer dem Hause einem Berufe nachgehen müsse, damit sie vom Manne wirtschaftlich

unabhängig werde. Daher die Notwendigkeit für mich, den Kampf gegen die sozialdemokratische Weltanschauung in diesem Punkte

aufzunehmen und den Versuch zu machen, das falsche individua­ listische Ideal der Sozialdemokratie durch ein wahrhaft soziales zu ersetzen!

Für die Durchsetzung etwaiger gesetzgeberischer Maßnahmen behufs Einschränkung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen ist

übrigens der Widerstand der Sozialdemokratie weniger zu fürchten

als der der Unternehmerkreise. Aus dem letzteren Lager wird wohl wieder die alte Melodie ertönen, die man nun nachgerade zum Über­

druß gehört hat.

Einerseits werden die Propheten nicht fehlen,

die den Ruin der deutschen Industrie und besonders des deutschen

Exports von einem, wenn auch noch so vorsichtig begrenzten und

noch so schonend durchgeführten Verbot der eheweiblichen Fabrik­ arbeit voraussagen; andererseits wird man nach berühmten Mustern

das Verlangen nach Ausschließung der verheirateten Frauen aus der Fabrikindustrie als eine sozialdemokratische Forderung hin­

zustellen versuchen, obwohl dies gerade in diesem Falle der Gipfel des Widersinnes ist. Leuten der letzteren Art gegenüber will ich

mich nicht .darauf berufen, daß sich schon vor längerer Zeit

Nationalökonomen wie Ludwig Elster und Wilhelm Stieda für die Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik ausgesprochen

haben; denn sie würden das Zeugnis solcher „Kathedersozialisten“ doch nicht gelten lassen. Sie mögen sich vielmehr folgende Worte

ins Stammbuch schreiben, die der schärfste Gegner des Katheder­ sozialismus, der Verfasser der Streitschrift „Der Sozialismus und

seine Gönner“ der Frage der Frauen-Fabrikarbeit gewidmet hat.

Heinrich

von

Treitschke schreibt in seiner „Politik“ (Bd. I,

8. 259): „Wer wirklich ein Herz hat für die niederen Stände, der wird zu dem Schluß kommen, daß es Aufgabe der Sozial­

politik ist, soviel wie möglich dafür zu sorgen, daß gar keine Frauen mehr in den Fabriken thätig sind. Es muß dahin kommen, daß der Fabrikarbeiter allein genug erwirbt, um seine Familie

ernähren zu können.

Daß aber die Frau in die Fabrik geht,

und daß damit die Mahlzeit und alle Bequemlichkeiten des häus­ lichen Lebens fortfallen, führt zur völligen Zerstörung der Ehe.“

Schließlich sei nocli bemerkt, daß ich die Grundgedanken

der vorliegenden Arbeit schon am 13. Juni a. c. zum Gegen­

stände eines Vortrags in der „Sozialwissenschaftlichen Vereinigung“

zu Leipzig gemacht habe.

Die Ergebnisse der im vergangenen

Jahre von den Gewerbe-Inspektoren im amtlichen Auftrage in

ganz Deutschland angestellten Erhebungen über die Fabrikarbeit verheirateter Frauen habe ich nur benutzen können, soweit sie

bis Ende Juli der Öffentlichkeit unterbreitet waren. Dem besonderen

Ziele, das meine Arbeit verfolgt, thut es aber wohl keinen Eintrag, daß ich infolgedessen nur in der Lage war, die Berichte der badischen und der sächsischen Gewerbe-Inspektion für meine

Zwecke zu verwerten. Oberhof in Thüringen, August 1900.

Der Verfasser.

Inhalts-Übersicht. Seite

Einleitung............................................................................................... 1 Die Frage des Verbots der eheweiblichen Fabrikarbeit auf dem internationalen Arbeiterschutzkongreß von Zürich 1897 (S. 1—5). — Zusammenhang der Frage der eheweiblichen Fabrikarbeit mit der allgemeinen Frauenfrage (S. 5/6). — Formulierung und Begrenzung des Themas (8. 6—9). 1. Die Durchführbarkeit des Verbots der eheweiblichen Fabrikarbeit............................................................................................ 10 Die sozialdemokratischen Einwendungen gegen die Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik (8. 10/11). — I/IV. Die Durchführ­ barkeit des Verbots der eheweiblichen Fabrikarbeit vom Stand­ punkte der Industrie aus: Die Industrie kann auf die Mitarbeit der verheirateten Frauen nach dem Umfang, den die eheweibliche Fabrikarbeit nach der Gewerbezählung von 1895 besaß, ohne große Nachteile verzichten (8. 11—36). — V/VII. Die Durchführbarkeit der Maßregel vom Standpunkte der Arbeiterbevölkerung aus: Für einen Teil der Arbeiterschaft erscheint die Einnahme aus der Fabrikarbeit der Ehefrau entbehrlich, da die eheweibliche Fabrik­ arbeit nicht überall in wirklicher Not ihren Grund hat, und außer­ dem von der Ausschließung der Ehefrauen eine Steigerung der Löhne zu erwarten ist (S. 36—51). — VIII. Zur Frage der Einfüh­ rung eines Halbzeitsystems für verheiratete Arbeiterinnen (S. 52—57). — IX. Der angebliche volkswirtschaftliche Nutzen der eheweiblißhen Fabrikarbeit (S. 57—59). — X. Die Gefahr des Übergangs der verheirateten Frauen in die Hausindustrie im Falle ihrer Aus­ schließung aus der Fabrik (S. 59—62). — XI. Wird die Ein­ schränkung der eheweiblichen Fabrikarbeit eine Vermehrung der Konkubinate zur Folge haben? (8. 62—65). — XII. Ist die Ten­ denz der Entwicklung auf Zunahme oder Abnahme der eheweib­ lichen Fabrikarbeit gerichtet? (S. 65—71). 2. Die Notwendigkeit der Ausschließung der verheirateten Arbeiterinnen aus der Fabrik......................................................72 I/ITI. Darstellung und Kritik des sozialdemokratischen Ideals von der gesellschaftlichen Stellung der Frau und der sozialdemo-

kratischen Anschauungen über Liebe und Ehe, auf denen der Widerspruch der Sozialdemokratie gegen die Einschränkung der eheweiblichen Fabrikarbeit in letzter Linie beruht (8. 72—86). — IV. Zur Berichtigung der Theorie von dem abnehmenden Umfang der von der Hausfrau im Haushalte zu leistenden Arbeit (8. 86 bis 92). — V. Der extrem-individualistische und daher antisoziale Charakter der Bestrebungen des linken Flügels der modernen Frauenbewegung (8. 92—95). — VI/IX. Die Notwendigkeit der Ausschließung der verheirateten Frauen aus der Fabrikindustrie im Interesse des Fortschritts der Gesellschaft wegen der Nachteile der eheweiblichen Fabrikarbeit a) für die Gesundheit der verhei­ rateten Arbeiterinnen selbst; b) für die Ernährung und überhaupt die ganze Wirtschaftsführung der betreffenden Arbeiterfamilien; c) für die leibliche Pflege (erhöhte Kindersterblichkeit) und d) für die geistig-sittliche Erziehung des Nachwuchses der Arbeiterbe­ völkerung (8. 95—107). Schlußbetrachtungen.................................................................................108 Vorschläge, wie die Durchführung des Verbots der eheweiblichen Fabrikarbeit im einzelnen zu gestalten ist (8. 108—110). — Not­ wendigkeit, im Falle der Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik besser als bisher für die hauswirtschaftliche Ausbildung des weiblichen Teils der Bevölkerung zu sorgen, sowie die verhei­ ratete Frau möglichst unabhängig vom Manne zu stellen (8. 110 bis 112).

Nachträge und Berichtigungen. Auf Seite 66 ist hinter Zeile 19 v. o. einzuschalten: „Absolut nahm die Zahl der verheirateten Industrie-Arbeiterinnen von 1882 bis 1895 nach den Berufszählungen dieser Jahre von 69 215 auf 166 338 zu, sie hat sich also mehr als verdoppelt“. Zu Seite 70 Zeile 15 bis 19 v. o. ist nachzutragen, daß die dort an­ gegebenen Zahlen sich nicht auf das Gesamtgebiet des Deutschen Zollver­ eins, sondern nur auf die vier Länder Preußen, Bayern, Sachsen und Baden beziehen, die zusammen damals 85% 6er Bevölkerung des Zollvereins um­ faßten.

kratischen Anschauungen über Liebe und Ehe, auf denen der Widerspruch der Sozialdemokratie gegen die Einschränkung der eheweiblichen Fabrikarbeit in letzter Linie beruht (8. 72—86). — IV. Zur Berichtigung der Theorie von dem abnehmenden Umfang der von der Hausfrau im Haushalte zu leistenden Arbeit (8. 86 bis 92). — V. Der extrem-individualistische und daher antisoziale Charakter der Bestrebungen des linken Flügels der modernen Frauenbewegung (8. 92—95). — VI/IX. Die Notwendigkeit der Ausschließung der verheirateten Frauen aus der Fabrikindustrie im Interesse des Fortschritts der Gesellschaft wegen der Nachteile der eheweiblichen Fabrikarbeit a) für die Gesundheit der verhei­ rateten Arbeiterinnen selbst; b) für die Ernährung und überhaupt die ganze Wirtschaftsführung der betreffenden Arbeiterfamilien; c) für die leibliche Pflege (erhöhte Kindersterblichkeit) und d) für die geistig-sittliche Erziehung des Nachwuchses der Arbeiterbe­ völkerung (8. 95—107). Schlußbetrachtungen.................................................................................108 Vorschläge, wie die Durchführung des Verbots der eheweiblichen Fabrikarbeit im einzelnen zu gestalten ist (8. 108—110). — Not­ wendigkeit, im Falle der Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik besser als bisher für die hauswirtschaftliche Ausbildung des weiblichen Teils der Bevölkerung zu sorgen, sowie die verhei­ ratete Frau möglichst unabhängig vom Manne zu stellen (8. 110 bis 112).

Nachträge und Berichtigungen. Auf Seite 66 ist hinter Zeile 19 v. o. einzuschalten: „Absolut nahm die Zahl der verheirateten Industrie-Arbeiterinnen von 1882 bis 1895 nach den Berufszählungen dieser Jahre von 69 215 auf 166 338 zu, sie hat sich also mehr als verdoppelt“. Zu Seite 70 Zeile 15 bis 19 v. o. ist nachzutragen, daß die dort an­ gegebenen Zahlen sich nicht auf das Gesamtgebiet des Deutschen Zollver­ eins, sondern nur auf die vier Länder Preußen, Bayern, Sachsen und Baden beziehen, die zusammen damals 85% 6er Bevölkerung des Zollvereins um­ faßten.

Einleitung. Im Sommer 1897 fand, wie dem Leser aus den Zeitungs­ berichten vielleicht noch erinnerlich §1st, in Zürich ein inter­ nationaler Kongreß für Arbeiterschutz statt, der von Vertretern der verschiedensten sozialpolitischen Richtungen besucht war. Neben Abgeordneten der sozialdemokratischen Parteien Deutsch­ lands, Österreichs, der Schweiz, Belgiens u. s. w. waren Dele­ gierte der evangelischen und der katholischen Arbeitervereine der verschiedenen Länder in stattlicher Zahl erschienen, außerdem nahmen eine Reihe „Kathedersozialisten“ und andere hervorragende bürgerliche Sozialpolitiker als Gäste an den Beratungen teil. Trotz dieser heterogenen Zusammensetzung verlief der Kon­ greß im Allgemeinen sehr friedlich, und man einigte sich meist schnell und mit großer Majorität auf die ziemlich unverän­ derte Annahme der Resolutionen, die zu den einzelnen Gegen­ ständen der Tagesordnung (Sonntagsruhe; Kinderarbeit; Frauen­ arbeit; Arbeit erwachsener Männer; Nachtarbeit und Arbeit in gesundheitsgefahrlichen Betrieben; Mittel und Wege zur Ver­ wirklichung des internationalen Arbeiterschutzes) von den Sek­ tionen, -denen die Vorberatung der einzelnen Themata über­ tragen war, vorgeschlagen wurden. In der Hauptsache lag diese überraschende Einigkeit wohl darin begründet, daß, ungeachtet der Verschiedenheit der vertretenen Richtungen, alle Kongreß­ teilnehmer, entweder direkt im Interesse der von ihnen ver­ tretenen Kreise oder aus Gründen der allgemeinen Wohlfahrt, von der Notwendigkeit einer energischen Durchführung und Weiterentwicklung des Arbeiterschutzes überzeugt waren, daß dagegen das Schwergewicht der Unternehmer-Interessen, das als Pohle, Frauen-Fabrikarbeit.

1

Bremse am Wagen der Sozialpolitik dient, wenn er in allzu beschleunigtem Tempo dahinfahren will, auf dem Kongreß gar nicht vertreten war, oder doch wenigstens nicht durch Personen, welche' grundsätzlich nur vom Standpunkte der Arbeitgeber aus die behandelten Gegenstände betrachteten und im Namen der letzteren zu sprechen ein Mandat hatten. Dazu kam, daß die Thätigkeit des Kongresses der Natur der Sache nach darauf beschränkt war, Ideale für die Sozial­ politik kommender Jahrzehnte und Jahrhunderte aufzustellen. Hätte der Kongreß die Aufgabe gehabt, bindende Beschlüsse darüber zu fassen, welche Forderungen des Arbeiterschutzes so­ fort oder doch in allernächster Zeit in der Praxis verwirklicht werden sollen, so würden wohl trotz des Umstandes, daß alle Teilnehmer im Grunde* auf einen Ton gestimmt waren, schroffe Gegensätze zu Tage getreten sein. So aber war es leicht, einig zu sein, da es sich eben nur darum handelte, die letzten Ziele des Arbeiterschutzes zu formulieren und die allgemeine Rich­ tung zu bezeichnen, in der sich eine zielbewußte Politik auf den verschiedenen Gebieten des Arbeiterschutzes zu bewegen habe. In frommen Wünschen stimmen aber bekanntlich die Par­ teien, wie zumal in Wahlzeiten ihre Aufrufe und Programme zeigen, mehr überein als in dem, was sie ernstlich wollen und wirklich durchzuführen bereit sind. Daraus, daß der Kongreß darauf angewiesen war, sozusagen Theorie des Arbeiterschutzes zu treiben, ist ihm natürlich kein Vorwurf zu machen. Seine vornehmere Vorgängerin, die von offiziellen Regierungsdelegierten der Kulturstaaten beschickte Arbeiterschutzkonferenz, die auf Einladung unseres Kaisers 1890 in Berlin tagte, konnte ja eben­ falls nicht mehr thun, als die Forderungen, die sie zum Schutze der Arbeiter für notwendig hielt, mit der bescheidenen Formel einzuleiten: „II est dösirable que." Auch die zunächst nur theo­ retische Feststellung dessen, was auf dem Gebiete des Arbeiter­ schutzes „als ein zu erstrebendes Ziel ins Auge zu fassen ist", wie es in den auf dem Züricher Kongreß angenommenen Re­ solutionen heißt, bleibt indessen eine notwendige und wichtige Aufgabe. Wie sich gleich zeigen wird, war es aber notwendig, den rein theoretischen Charakter der Kongreßverhandlungen fest­ zustellen, und ich bitte, diese Thatsache auch weiterhin im Ge­ dächtnis zu behalten.

Nur hinsichtlich eines Gegenstandes endete die Harmonie der Beratungen mit einer schrillen Dissonanz. Der Punkt, bei dem die Einigkeit, die bis dahin geherrscht hatte, in die Brüche ging und es unmöglich wurde, die vorhandenen Gegensätze irgend­ wie zu überbrücken, war die Frage der Frauenarbeit. Der Streit über die scheinbar einfache Frage des Verbots der FrauenFabrikarbeit wuchs sich aus und vertiefte sich aus einem Gegen­ satz zwischen zwei einander widersprechenden sozialpolitischen Richtungen zu einem Kampf zweier sich zu einander wie Feuer und Wasser verhaltenden Weltanschauungen, wie schon auf dem Kongresse selbst erkannt und bemerkt wurde. Die Diskussion über das Thema „Frauenarbeit" stellte infolgedessen auch den Höhepunkt der Kongreßberatungen dar, und zwar nicht bloß für „Kongreßgourmands". Auf der einen Seite standen die Sozialisten und Sozialdemo­ kraten aller Schattierungen. Sie, die im übrigen, wenn man überhaupt eine solche Scheidung vornehmen will, den extremen linken Flügel des Kongresses bildeten — und in der That traten sie mit der radikalen Forderung des allgemeinen Achtstundentags in einen gewissen Gegensatz zu dem größten Teil der übrigen Kongreßteilnehmer, welche einen für jedes Gewerbe besonders festzusetzenden Maximalarbeitstag als das Wünschenswertere an­ sahen ; diese Meinungsverschiedenheit war aber nur ein schwaches Vorspiel der Differenzen, die am nächsten Tage über die Frauen­ arbeit offenbar werden sollten — wurden in der Frage der Frauenarbeit an Radikalismus von der Rechten des Kongresses, welche vor allem aus den Vertretern der katholischen Arbeiter­ vereine bestand, überboten und übertrumpft. „Rechter Hand, linker Hand, Alles vertauscht.“ Während die Forderungen der Sozialdemokraten zu Gunsten der arbeitenden Frauen, abgesehen von der Aufstellung des Grundsatzes, daß Frauen für die gleiche Arbeit ebenso wie Männer zu entlohnen seien, und von dem be­ kannten von der Gesetzgebung bereits mehrfach, nur noch nicht in genügendem Maße als berechtigt anerkannten Verlangen nach einer besonderen Schutzzeit für Wöchnerinnen, im Wesentlichen in der Anwendung und Übertragung ihrer allgemeinen Arbeiter­ schutzpostulate (wie z. Br des achtstündigen Maximalarbeitstages, der vollen Coalitionsfreiheit etc.) speziell auf die erwerbstätige Frau sich erschöpften, brachte der Wortführer der katholischen 1*

und christlich-sozialen Arbeitervereinigungen, der belgische Depu­ tierte Carton de Wiart, einen Antrag ein, der von dem Kongreß rundweg die Erklärung verlangte: „Die Arbeit der Frauen in den Bergwerken, Steinbrüchen und in der Großindustrie soll allmäh­ lich ganz abgeschafft werden", also mit anderen Worten eine Empfehlung des völligen Verbots der Frau en-Fabrikarb eit. Dieser Antrag entfesselte auf sozialdemokratischer Seite wahre Stürme der Entrüstung, da er die direkte Negation der sozia­ listischen Auffassung von der zukünftigen gesellschaftlichen Stellung der Frau bedeutete, und führte zu ebenso hitzigen wie interessanten Redekämpfen zwischen den Vertretern der beiden Weltanschauungen, die sich hier gegenüberstanden. Das schließliche Schicksal des Antrags de Wiart war, daß er mit 165 gegen 98 Stimmen, also gegen eine sehr ansehnliche Minorität, abgelehnt wurde. Zu der ablehnenden Majorität gehörten merkwürdigerweise auch die an­ wesenden Vertreter der nationalsozialen Partei, die eigentlich doch schon aus dem Grunde für ein Verbot der ehe weiblichen Fabrikarbeit hätten ein treten müssen, damit ihre Partei eine Arbeiterschutzforderung erhalte, durch die sie sich von der Sozial­ demokratie „reinlich" scheidet. Natürlich ist durch die Majoritätsentscheidung in Zürich darüber noch gar nichts endgiltig gesagt, ob die Ausschließung der Frauen aus der Fabrik nicht etwa doch als ein ideales Ziel für die zukünftige sozialpolitische Entwicklung anzusehen ist — Ma­ joritätsbeschlüsse sind ein ganz ungeeignetes Mittel zur Entschei­ dung so komplizierter Probleme —, vielmehr besteht die Haupt­ aufgabe der nachfolgenden Untersuchung darin, gerade über diesen Punkt erst Klarheit zu schaffen. Die etwaigen Schwierigkeiten, welche der Durchführung des Verbots der Frauen-Fabrikarbeit in der Praxis im Wege stehen, sind dabei erst in zweiter Reihe in Betracht zu ziehen; in erster .Linie ist zu prüfen, ob überhaupt ein Verbot der Frauen-Fabrikarbeit aus moralischen Erwägungen und aus Gründen der sozialen Zweckmäßigkeit, der allgemeinen Wohlfahrt, wünschenswert ist. Auch in Zürich handelte es sich ja zunächst um die Vorfrage, was als Ideal des Frauenschutzes anzusehen sei, ob die völlige Ausschließung der Frau aus der Fabrik oder nur die Einschränkung der Frauenarbeit, und darüber eben gingen die Meinungen total auseinander. In allen diesen Dingen steht an erster Stelle stets die ethische Frage: welche Forde-

rungen sind auf dem betreffenden Gebiete vom Standpunkte einer vernünftigen sozialen Moral aus zu stellen? Und dann erst kommt die wirtschaftspolitische Frage, ob und unter welchen Bedingungen die aufgestellten Forderungen sich verwirklichen lassen. Natür­ lich hängen aber beide Fragen, die ethische und die wirtschafts­ politische, insofern aufs Engste zusammen, als wir auf hören müssen, etwas als Ideal anzusehen und zu verfolgen, was praktisch undurchführbar ist, oder dessen Verwirklichung mehr Nachteile als Vorteile für das Gemeinwesen im Gefolge haben würde. Die ethische Überlegenheit neuer Gesetze und Institutionen wird nicht damit demonstriert, daß man sie als irgend einem willkürlich konstruierten sittlichen Ideal, mag dieses an" sich noch so vortreff­ lich sein und noch so sehr von der Lauterkeit unserer Absichten zeugen, gemäß bezeichnet und in der* Kongruenz mit letzterem ihre innere Rechtfertigung erblickt, sondern daß man sie als die unter den konkreten gegebenen Verhältnissen — auf diese Worte ist dabei der Hauptnachdruck- zu legen — der Wohl­ fahrt der Gesellschaft und ihrem Fortschritt am meisten dienenden Einrichtungen nachweist. Bevor wir diesen allgemeinen Gedanken, dessen Konsequenzen hier nicht weiter zu entwickeln sind, auf den uns jetzt speziell be­ schäftigenden Gegenstand anwenden, müssen wir zunächst noch eine Lehre aus den Züricher Verhandlungen ziehen sowie eine Beschränkung unseres Themas vornehmen. Wenn sich eins aus den in Zürich geflogenen Erörterungen zur Evidenz ergiebt, so ist es das: es ist nicht möglich, die Frage des Verbots der FrauenFabrikarbeit anders als auf dem Hintergründe der Frauenfrage im Allgemeinen zu behandeln. Hinter der sozialpolitischen Frage nach den Folgen der Beschäftigung der Frau in der Großindustrie erhebt sofort die Frage, wie die rechtliche und überhaupt die all­ gemeine gesellschaftliche Stellung der Frau in Zukunft beschaffen sein soll, ihr „Medusenhaupt“ — so möchte man im Hinblick auf die Gestalt, welche die Bestrebungen eines Teils der modernen Frauenrechtlerinnen angenommen haben, beinahe sagen. Sehr cha­ rakteristisch wird der Zusammenhang zwischen dem engeren und dem weiteren Problem dadurch angedeutet, daß das dem Züricher Kongreß zu dem Punkte Frauenarbeit erstattete Referat mit dem Satze aus Bebels Buch über die Frau begann: „Die Frau und der Arbeiter haben seit alter Zeit gemein, Unterdrückte zu sein.“

Auch wenn man nicht wollte, würde man also durch die natürliche Logik der Dinge dazu gezwungen werden, bei der Besprechung der Frauen-Fabrikarbeit auf die allgemeine Frauen­ frage mit einzugehen, weil die Principienfragen bei der Frage des Verbots der Frauen-Fabrikarbeit dieselben sind wie bei der Frauenfrage im allgemeinen. Der Schlüssel zum Verständnis des einen Problems schließt zugleich die Thür, hinter der sich das Geheimnis des anderen enthüllt. Begrenzen müssen wir weiter unser Thema insofern, als der Begriff der Frauenarbeit, um deren Verbot es sich handelt, noch näher zu präcisieren ist, und zwar nach zwei Richtungen hin. Einmal soll die Frauenarbeit nicht für das gesamte weib­ liche Geschlecht, sondern nur für solche weibliche Personen, auf welche bestimmte Voraussetzungen zutreffen, verboten werden; zum anderen soll das Verbot — hier ist freilich wohl die Ein­ schiebung eines „zunächst“ oder „vorläufig“ angebracht — über­ haupt nur auf gewisse Gebiete oder Teile des gewerblichen Lebens, nämlich auf die sogenannte Fabrik-Industrie, sich er­ strecken. In der ersteren Beziehung wurde schon in Zürich der vorhin erwähnte Antrag de Wiart auf Abschaffung der FrauenFabrikarbeit nachträglich dahin erläutert, daß unter Frau darin „Ehefrau“ zu verstehen sei. Dem ledigen Mädchen sowie der Wittwe sollte somit die Fabrikarbeit nach wie vor gestattet sein. Diese wichtige Einschränkung wurde in Zürich indessen in der Diskussion nicht ausreichend beachtet; wenigstens hätten sonst gegen den Antrag de Wiart nicht mehrere Einwände er­ hoben werden können, die zwar auf ein allgemeines Verbot der Frauen-Fabrikarbeit, aber nicht auf ein Verbot der Fabrikarbeit bloß der verheirateten Frauen oder doch auf dieses nur in sehr abgeschwächtem Maße zutrafen. Der in Zürich gemachte Vor­ behalt genügt indessen noch nicht. Zwar ist es auch für die kinderlose Ehefrau besser, wenn sie die Fabrikarbeit aufgiebt, weil sie die Pflichten gegen ihren Mann und ihr Hauswesen besser zu erfüllen im stände ist, wenn sie nicht ihre besten Kräfte in einer Sphäre ausgiebt, die neben ihrem Hauptberufe als Hausfrau immer nur als ein Nebenberuf erscheinen kann, der sie von der Erfüllung ihrer Hauptaufgabe abzieht. Allein nicht darum wird in erster Linie ein Verbot der Fabrikarbeit für Ehefrauen angestrebt, weil sie verheiratet sind und ein Haus-

wesen besitzen, sondern weil bei Ehefrauen der normale Fall der ist, daß sie zugleich Mutterpflichten zu erfüllen haben. Aus dem letzteren Umstande werden die wichtigeren und durch­ schlagenden Gründe für ein Verbot der eheweiblichen Fabrik­ arbeit abgeleitet werden; darum wird weiterhin aber auch nur die Ausschließung derjenigen Ehefrauen aus der Fabrik in Be­ tracht gezogen werden, welche wirklich Mutterpflichten zu er­ füllen haben. Für Deutschland ließe sich die Grenze, die hier zu ziehen ist, mit Rücksicht auf die Vorschrift in § 135, Abs. 1 der Gewerbe-Ordnung etwa so bestimmen, daß die Fabrikarbeit derjenigen Ehefrauen verboten wird, welche noch Kinder in einem Alter besitzen, in dem die Beschäftigung derselben in Fabriken nach der angezogenen Bestimmung untersagt ist. Daß sind die Jahre (vom 1. bis zum 13., bezw. je nach der Dauer der Schul­ pflicht auch bis zum 14. Jahre), in denen der Mutter die be­ deutsamsten Funktionen in der Erziehung und Beaufsichtigung der Kinder zufallen, in denen das Kind der Fürsorge und Leitung der Mutter in besonderem Maße bedarf. Voraussetzung dafür, daß die Mutter ihre Aufgaben gegen ihre Kinder wirksam und nutzbringend erfüllen kann, ist aber, daß sie im Hause anwesend ist und nicht den größten und wichtigsten Teil des Tages außer dem Hause beschäftigt ist. Endlich ist noch im Interesse derjenigen Ehefrauen eine Einschränkung des Verbots vorzunehmen, welche durch die Er­ werbsunfähigkeit ihres Gatten in die traurige Notlage versetzt sind, durch ihre Arbeit die Kosten des Unterhalts der ganzen Familie allein auf bringen zu müssen. Das Gleiche gilt selbstver­ ständlich auch für verwittwete Frauen, solange unsere Arbeiter­ versicherung noch nicht durch eine hinlängliche Unterstützung gewährende Wittwen- und Waisen-Versicherung ergänzt ist. Die Pflicht, durch eigene Erwerbsarbeit für den Unterhalt der ihrigen zu sorgen, behauptet bei den Frauen der beiden letztgenannten Kategorien zweifellos den Vorrang vor der Pflicht, die feineren, mehr auf hygienischem, intellektuellem und moralischem Gebiete liegenden Aufgaben zu erfüllen, welche einer Mutter gegen ihre Kinder obliegen. Ejst muß naturgemäß die Erhaltung des nackten Lebens gesichert sein, ehe an etwas anderes gedacht werden kann, mag dieses andere uns noch so sehr als das im Grunde Wichtigere und als das eigentliche Ziel der Entwicklung

der Menschheit erscheinen. Den Wittwen und den Frauen er­ werbsunfähig gewordener Männer, sowie den geschiedenen Frauen sind eventuell auch noch diejenigen Frauen gleichzustellen, deren Männer nicht im stände sind, ausreichenden Unterhalt für ihre Familie zu beschaffen, die beispielsweise nicht den ortsüblichen Tagelohn verdienen. Wegen der Begrenzung des Verbotes gerade nur auf die Fabrikarbeit ist schließlich noch zu bemerken, daß ein solches vorsichtiges Vorgehen den ersten Grundsätzen einer rationellen Sozialpolitik durchaus entspricht. Die Einschränkung auf die Fabrikarbeit war es, welche auf dem Züricher Kongreß den Zorn Bebels in besonderem Maße erregte. Nicht gerade sehr logisch und konsequent warf er mit Bezug hierauf den Befürwortern des Antrags de Wiart in demselben Atem einerseits vor, daß sie die Frau nicht bloß aus der Großindustrie entfernen wollten, sondern daß sie offenbar Gegner der gewerblichen Arbeit der Frauen überhaupt seien; andererseits fand er es charakteristisch, daß sie der Frau bloß die Fabrikarbeit verbieten, sie aber in der Haus­ industrie und der Landwirtschaft thätig sein lassen wollten. Die Gründe, das Verbot nur auf die Fabrikindustrie zu er­ strecken, sind die folgenden: Die Fabrikarbeit verheirateter Frauen ist ein Novum, welches die großindustrielle Entwicklung des letzten Jahrhunderts zur Erscheinung gebracht hat; die landwirtschaftliche und hausindustrielle Erwerbsthätigkeit ver­ heirateter Frauen dagegen, sowie ihre Arbeit um Tagelohn in anderen Haushaltungen war auch früheren Zeiten schon geläufig. Für die Fabrikbetriebe, die ohnehin schon der Aufsicht der Ge­ werbe - Inspektoren unterstellt sind, sind die Garantien gegeben, daß die Durchführung eines etwa erlassenen Verbotes auch wirk­ lich kontroliert werden kann. Die hausindustrielle Beschäftigung verheirateter Frauen ist zwar ebenfalls schädlich und gefährlich, sie zwingt die Hausfrau aber doch nicht, fortwährend ihr Haus­ wesen und ihre Kinder im Stich zu lassen. Somit erscheint es nur naturgemäß, daß man mit einem Verbot der Frauen-Fabrikarbeit anfängt. In der Fabrikindustrie im engeren Sinne des Wortes ist, wie wir noch sehen werden, außerdem die ganz über­ wiegende Mehrheit aller verheirateten Frauen, die überhaupt ge­ werblich thätig sind, beschäftigt. Ein Verbot der Frauen-Fabrikarbeit würde also einen sehr bedeutsamen Eingriff in das Erwerbs-

leben darstellen, und es wäre damit ein guter Anfang gemacht, dem Unwesen der regelmäßigen Erwerbsthätigkeit verheirateter Frauen außer dem Hause energisch zu Leibe zu gehen. Denn daß man mit einem Verbot der Frauen-Fabrikarbeit anfängt, be­ dingt ja nicht, daß man damit auch wieder aufhören und hierbei in alle Ewigkeit stehen bleiben muß. Gerade so wie die Gesetz­ gebung sich zunächst damit begnügte, die Arbeit von Kindern bis zum 13. bezw. 14. Jahre zunächst nur in Fabriken zu untersagen, wie sich jetzt aber überall Bestrebungen geltend machen, der Erwerbsthätigkeit von noch schulpflichtigen Kindern auch auf anderen Gebieten einen Riegel vorzuschieben, so wird wohl auch hier die Entwicklung nicht bei dem Verbot der ehe weiblichen Arbeit nur auf dem Gebiete der Fabrikindustrie Halt machen, sondern das Verbot wird nach und; nach auch die anderen Teile des Wirtschaftslebens ergreifen. f)as beweist aber gar nichts gegen die Richtigkeit eines vorsichtigen, schrittweisen Vorgehens, das die auf dem zuerst okkupierten Teile der Volkswirtschaft gesammelten Erfahrungen auf den erst später in Angriff zu neh­ menden zu verwerten gestattet.

1. Die Durchführbarkeit des Verbots der eheweiblichen Fabrikarbeit. Nach dem in der Einleitung Gesagten ist unser Thema also nunmehr folgendermaßen zu formulieren: Ist ein Verbot der Fabrikarbeit verheirateter Frauen, soweit sie Mutterpflichten in dem vorhin dargelegten Sinne zu erfüllen haben und nicht durch ganze oder teilweise Arbeitsunfähigkeit ihres Gatten zu eigener Erwerbs­ thätigkeit gezwungen sind, „als ein zu erstrebendes Ziel ins Auge zu fassen oder nicht“, um mit dem Züricher Kongreß zu sprechen? Ich will nicht länger Versteck spielen, sondern gleich offen Farbe bekennen; ich halte in der That ein Verbot der Frauen-Fabrik^ arbeit in den angegebenen Grenzen für ein Ziel, das aufs Innigste zu wünschen sowie auch ohne zu große Nachteile thatsächlich erreichbar ist. Ehe ich die positiven Gründe, die für diese Maß­ nahme sprechen, entwickle, möchte ich meine These noch da­ durch stützen, daß ich die gegen ein Verbot der Frauen-Fabrikarbeit ins Treffen geführten Argumente zu entkräften suche, gemäß dem alten Satze: primus sapientiae gradus est falsa intelligere, secundus vera cognoscere. Wir finden da so ziemlich alle Einwendungen, die sich über­ haupt gegen die gesetzliche Abschaffung der Frauen-Fabrikarbeit erheben lassen, von den sozialdemokratischen Gegnern des An­ trags de Wiart auf dem Züricher Kongreß geltend gemacht. In ihrem leidenschaftlichen Eifer, diesen Antrag zu Fall zu bringen, haben die sozialdemokratischen Diskussionsredner, unter denen sich solche Parteikoryphäen wie Bebel und Pernerstobeer, so­ wie die Damen Lily Braun und Clara Zetkin befanden, alles hübsch zusammengetragen, was sich nur irgend gegen ein Staat-

liebes Verbot der Frauen- Fabrikarbeit sagen läßt. Ihr blinder Eifer hat sie sogar manchmal über das Ziel hinausschießen und Dinge sagen lassen, durch die sie sich zu Hütern von Interessen aufwarfen, die denen des „klassenbewußten Proletariats“ entgegen­ gesetzt sind, ihm jedenfalls „Hekuba“ sein können.1 Nach sechs Hauptrichtungen hin werden von sozialdemokrati­ scher Seite Einwendungen gegen das Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit erhoben; eine solche Maßregel wird nämlich nach sozialdemokratischer Ansicht folgende Wirkungen nach sich ziehen: 1. Sie wird die Großindustrie empfindlich schädigen und deren Entwickelung aufhalten. 2. Sie ist sozialpolitisch gefährlich wegen des großen Lohn­ ausfalls, den die Arbeiterbevölkerung dadurch erleidet. 3. Sie führt zu einer Verringerung des Gesamteinkommens der Gesellschaft bez. einer Verlängerung der täglichen Ar­ beitszeit. 4. Sie wird im Grunde gar nichts helfen, da die Aus­ schließung der Ehefrau aus der Fabrik die Hausindustrie in un­ geheuerem Umfange wieder aufleben lassen wird, in der die aus der Fabrik ausgeschlossenen Frauen dann Beschäftigung fin­ den werden. 5. Sie ist sittlich bedenklich: „Das Verbot der Frauenarbeit wäre eine Prämie auf das Konkubinat.“ 6. Sie verstößt gegen die Tendenz der ganzen modernen Entwickelung; sie bedeutet den „utopistischen“ Versuch, eine der Vergangenheit an gehören de Gesellschaftsordnung künstlich wieder­ herstellen zu wollen. Prüfen wir diese Einwendungen der Reihe nach!

I.

Die empfindliche Schädigung, welche der Großindustrie aus der Durchführung des Verbots der Frauen-Fabrikarbeit erwachsen werde, hat insbesondere Bebel mit großem Nachdruck betont. Wie Bebel seinen christlich-sozialen Gegnern als Motiv ihres Antrags unterlegte, daß sie mit demselben die Axt an die Wurzel 1 Ich folge dabei den amtlichen Berichten des Organisationskomitees über den Züricher Kongreß, sowie dem in dem Schriftchen von Gustav Maier enthaltenen Berichte.

der kapitalistischen Gesellschaft legen und durch Vernichtung der Großindustrie das ihnen vorschwebende Ideal: Rückkehr zu einer kleinbürgerlichen Gesellschaftsordnung, fördern wollten, so war er offenbar auch selbst wirklich der Ansicht, daß der Großindustrie durch die Ausschließung der Frauen aus der Fabrik ein empfind­ licher Schlag zugefügt werden könne. Eine solche Maßnahme würde nach ihm „nichts Geringeres als eine soziale Revolution" bedeuten, da die kapitalistische Großproduktion aufs Engste mit der Frauenarbeit verwachsen sei. Wir müssen da zunächst die Zahlen, mit denen er hierbei operierte, richtig stellen. Bebel gab die Zahl der in den Fabriken Deutschlands insgesamt be­ schäftigten Arbeiterinnen auf mindestens % Millionen an, von denen, gering genommen, 28—3O°/o verheiratet seien. Er hat damit die Stärke der industriellen Frauen-Armee ebensosehr unterschätzt, wie er den Anteil der verheirateten Frauen an ihr überschätzt hat. Nach der gewerblichen Betriebszählung vom 14. Juni 1895 — bekanntlich der letzten ihrer Art — stellte das weibliche Geschlecht zu der Gesamtzahl der gewerblichen Arbeiter und Gehilfen insgesamt 1268967 oder 19,6%, darunter erwachsene 1141169 oder 17,6%? Verheiratet waren davon insgesamt 160498 oder 12,6% der Arbeiterinnen überhaupt und 14,1% der erwachsenen Arbeiterinnen. Hätte dagegen die Bebelsche Annahme zugetroffen, daß von den überhaupt gewerblich beschäftigten Frauen, „gering genommen, 28—30% verheiratet sind", so hätte es im Deutschen Reich 1895 rund etwa 350 000 verheiratete gewerblich thätige Frauen geben müssen, d. h. un­ gefähr mindestens noch einmal soviel als es thatsächlich gab. Von der Gesamtzahl der eigentlichen gewerblichen Arbeiter (also die mitarbeitenden Familienangehörigen, die keine Gehilfen im Sinne der Statistik sind, nicht eingerechnet), die sich auf 6474727 belief, machten die 160498 verheirateten Arbeiterinnen nur 2,5 % aus. Von den gewerblich thätigen Ehefrauen müssen gemäß den früher gemachten Einschränkungen nun zunächst diejenigen ab1 Diese sowie die folgenden statistischen Angaben sind, sofern nicht etwas anderes bemerkt ist, entnommen aus der „Statistik des Deutschen Reichs", herausgegeben vom Kaiserlich Statistischen Amt, Neue Folge, Band 119. Siehe insbesondere daselbst die Übersicht 10 nebst den Er­ läuterungen dazu auf S. 86 ff.

gezogen werden, die nicht in Fabriken beschäftigt sind. Die Gewerbestatistik unterscheidet bekanntlich drei große GewerbeAbteilungen, von denen weiterhin nur die mittlere, welche das eigentliche Gewerbe, d. h. die Umwandlung und Bearbeitung der Rohstoffe, umfaßt, für uns in Betracht kommt Auf die drei Gewerbe-Abteilungen verteilt sich die Gesamtzahl der gewerblich thätigen verheirateten Frauen in folgender Weise: Gewerbe - Abteilung

Verheiratete Arbeiterinnen

Prozent aller verheirateten Arbeiterinnen

A. Gärtnerei, Fischzucht etc. B. Industrie etc. C. Handel und Verkehr etc.

2 740 140 804 16 954

1,7 87,7 10,6

Die verheirateten Frauen gehören demnach weitaus in der Mehrzahl der eigentlichen Industrie an, während auf die Ab­ teilungen A und C nur ein geringer Bruchteil entfällt. Die 140804 in der Abteilung B gezählten Ehefrauen umfassen indessen nicht allein die in Fabriken beschäftigten verheirateten Arbeiterinnen, sondern in dieser Zahl sind auch die im Handwerk, sowie in der Hausindustrie thätigen verheirateten Arbeiterinnen mit inbegriffen» Der Abzug, der hiernach von der eben ermittelten Zahl noch ge­ macht werden muß, ist indessen nicht sehr beträchtlich, da be­ merkenswerter Weise in der Industrie die verheirateten Frauen ganz vorwiegend in den größeren Betrieben (mit über 20 Personen), die nach dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers sämtlich zu den Fabriken im Sinne der Gewerbe-Ordnung gehören, thätig sind» Die Gesamtzahl der in Abteilung B gezählten verheirateten Ar­ beiterinnen verteilte sich nämlich in nachstehender Weise auf die einzelnen Betriebsgrößenklassen: Grössenklasse

Betriebe mit 1— 5 Personen „ „ 6-20 „ „ über 20

5 887 verheiratete Arbeiterinnen 11 314 123 603

Da außerdem nach dem Begriff der Fabrik, wie er durch Ent­ scheidungen der Gerichte festgestellt ist, auch ein erheblicher Teil der Betriebe mit weniger als 20 Gewerbegehilfen als zu den Fabriken gehörig anzusprechen ist, können wir die Gesamtzahl der 1895 in der Fabrikindustrie beschäftigten Ehefrauen auf mindestens 130000 schätzen. Darunter befinden sich nun aber zweifellos viele, die

14 Die Durchführbarkeit des Verbots der eheweiblichen Fabrikarbeit. durch Arbeitsunfähigkeit des Mannes zur Erwerbsthätigkeit ge­ zwungen sind, und vor allem wohl eine noch weit größere Zahl solcher, deren Ehen kinderlos sind, bez. die noch nicht oder auch nicht mehr Mutterpflichten in dem früher dargelegten Sinne zu erfüllen haben, für die also auch entsprechend dem früher Aus­ geführten kein Verbot der Fabrikarbeit verlangt wird. Wie groß speziell dieser letztere Bruchteil ist, darüber wissen wir leider nichts Zuverlässiges. Es wäre aber sehr interessant gewesen, zu erfahren, wieviele der in Fabriken beschäftigten Ehefrauen Kinder in einem Alter haben, für welches das Verbot der Kinderarbeit in Fabriken, wie es in § 135, Abs. 1 der Reichs-Gewerbe-Ordnung formuliert ist, zutrifft Zweifellos stellt diese Kategorie einen sehr beträchtlichen Prozentsatz zu der Zahl der verheirateten Frauen, welche in der Industrie thätig sind. Nach den Unter­ suchungen von Rudolf Martin 1 hatten von den in der Streich­ garn-Industrie des Krimmitschauer Amtsgerichtsbezirks beschäftig­ ten Ehefrauen 41,5 °/0 keine Kinder unter 12 Jahren. Zu fast genau dem gleichen Ergebnis ist die Gewerbe-Inspektion Zittau bei ihren Erhebungen hierüber gelangt. Von den im Zittauer Inspektions­ bezirk am 1. Mai 1899 gezählten 3746 verheirateten Arbeiterinnen hatten etwas über 40°/o keine Kinder unter 14 Jahren. Hiernach sind wir berechtigt, schätzungsweise anzunehmen, daß in Deutsch­ land mindestens etwa der dritte Teil der verheirateten Fabrik­ arbeiterinnen noch nicht bez. nicht mehr Mutterpflichten in den oben bezeichneten Grenzen zu erfüllen hat, sodaß schon aus diesem Grunde, abgesehen von den sonst noch zu machenden Abzügen, nur etwa % der Gesamtzahl der verheirateten Arbeiterinnen, also statt 130 000 vielleicht 80 bis 90 000 von dem Verbot der Frauen-Fabrikarbeit betroffen werden würden. Die industriell thätigen verwittweten und geschiedenen Frauen sind bei der Gewerbezählung von 1895 nicht ermittelt worden. Für verwittwete und geschiedene Frauen dürfen wir also von der vorhin festgestellten Gesamtzahl der verheirateten Arbeiterinnen nichts ab setzen. Um eine Vorstellung davon zu geben, in welchem Umfang verwittwete und geschiedene Frauen industriell thätig sind, sei aber nebenbei kurz erwähnt, daß 1899 in, der Textil-

1 Rudolf Martin, Die Ausschließung der verheirateten Frauen aus der Fabrik. Eine Studie an der Textil industrie. Sonderabdruck aus der „Zeit­ schrift für die Gesamte Staatswissenschaft“. 1896. I. u. III. Heft, S. 62.

Industrie nach Angaben der Berufsgenossenschaften neben 97 000 verheirateten Arbeiterinnen 17 000 verwittwete. und 4800 ge­ schiedene Frauen beschäftigt waren.1 Aber selbst wenn die für den hier vertretenen Standpunkt ungünstigere Zahl von 130 000 aus der Fabrik auszuschließenden Ehefrauen zu Grunde gelegt wird, ist den Behauptungen Bebels gegenüber entschieden zu leugnen, daß die Ausschließung der eheweiblichen Arbeit aus der Fabrik „eine soziale Revolution“ be­ deuten würde. Das Kaiserliche statistische Amt hat vielmehr vollkommen Recht, wenn es zu der Zahl der ermittelten ver­ heirateten Arbeiterinnen bemerkt: „Die Prozentsätze, mit welchen verheiratete Frauen als Arbeiterinnen im Gewerbe vorkommen, sind weder im Vergleich zur Gesamtzahl der Arbeiter, noch im Ver­ gleich speziell zur Zahl der weiblichen Arbeiter besonders erheblich. Immerhin handelt es sich um 160 498 Haushaltungen, in denen die Frau außerhalb ihres Haushaltes auf gewerbliche Arbeit geht.“ Mit diesen Worten ist sehr richtig angedeutet, daß die Zahl der in Deutschland vorhandenen verheirateten Fabrikarbeiterinnen zwar bedenklich groß scheint, wenn man die dadurch verur­ sachte Zerstörung des Familienlebens der Arbeiter und die schwere Vernachlässigung in Betracht zieht, welche infolgedessen die leibliche und geistig-sittliche Erziehung des Nachwuchses der Arbeiterbevölkerung erleidet, daß sie dagegen nicht so be­ trächtlich ist, um die Schwierigkeiten der Durchführung eines Verbotes der eheweiblichen Fabrikarbeit all zu groß oder gar unüberwindlich erscheinen zu lassen. Wo unter diesen Umständen durch ein Verbot der FrauenFabrikarbeit das von Bebel heraufbeschworene Gespenst einer sozialen Revolution herkommen soll, ist mir unerfindlich. In doppelter Hinsicht könnte man doch nur von einer der Groß­ industrie durch ein Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit zu­ gefügten Schädigung sprechen: einmal könnte man denken, daß in gewissen Produktionszweigen die Zahl der verheirateten Ar­ beiterinnen so groß wäre, daß durch das Verbot, sie fernerhin zu 1 Diese Zahlen sind dem Gutachten der Handelskammer Leipzig vom 7. Februar 1900 entnommen.'* Die auf viel kleinere Zahlen sich beziehenden Angaben, welche ich sonst über das Verhältnis der verwittweten und ge­ schiedenen zu den verheirateten Arbeiterinnen gefunden habe, stimmen hiermit im Wesentlichen überein.

beschäftigen, die geordnete Weiterführung des Betriebes in Frage gestellt würde, weil es unmöglich wäre, in der hierfür bestimm­ ten Frist eine entsprechende Zahl von Ersatz-Arbeitskräften zu beschaffen. Sodann aber könnte man die Schädigung der Großindustrie und die soziale Revolution darin erblicken wollen, daß das Verbot der Frauen - Fabrikarbeit gegebenenfalls zu einer Lohnerhöhung und somit zu einer Steigerung der Pro­ duktionskosten der Unternehmer führt. Nach beiden Richtungen hin vermag ich Bebels Befürchtungen nicht zu teilen; außerdem muß ich ihm, wie überhaupt der Sozialdemokratie das Recht be­ streiten, gerade aus diesen Momenten ein Argument gegen das Verbot der Frauen-Fabrikarbeit abzuleiten. II. Untersuchen wir zunächst die Frage, ob die Gefahr besteht, daß ein Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit erhebliche Be­ triebsstörungen hervorruft, weil die Heranziehung der nötigen Ersatz-Arbeitskräfte Schwierigkeiten bereitet. Um hierüber ur­ teilen zu können, müssen wir wissen, welchen Anteil die ver­ heirateten Arbeiterinnen von der Gesamtzahl aller Arbeiter, sowie weiter insbesondere von der Zahl der weiblichen Arbeiter aus­ machen. Vorhin wurde schon erwähnt, daß die verheirateten Arbeiterinnen von der Gesamtzahl aller Arbeiter 2,5 und speziell von der der weiblichen 12,6% betrugen. Mit diesen großen Durchschnittszahlen ist hier aber nicht viel anzufangen.' Auch auf die Berechnungen der Reichs-Statistik über den Anteil der verheirateten Arbeiterinnen an der Gesamt­ arbeiterschaft sowie der weiblichen Arbeiterschaft der einzelnen Gewerbegruppen darf man noch keine Schlüsse bauen wollen. Immerhin will ich dieselben der Vollständigkeit wegen hier mit an­ führen. Die eheweibliche Fabrikarbeit war 1895 in den verschie­ denen Gewerbegruppen folgendermaßen vertreten (s. Tab. I, S. 17). Diese Durchschnittszahlen sind nach mancher Richtung ganz interessant. Sie lehren vor allem folgendes, was allerdings von vornherein auch gar nicht anders zu erwarten war: Wieviel ver­ heiratete Arbeiterinnen ein Industriezweig unter der Gesamtzahl seiner Arbeiter hat, das hängt in erster Linie davon ab, in welchem Umfange er überhaupt weibliche Arbeitskräfte beschäftigt. Darüber aber wieder entscheidet hauptsächlich die technische

erwachsenen Arbeiterin-

1133 22 1171 8276 4917 1440 2713 410 66287 5556 1352 2299 19665 5793 1451 2258 15 2422 13 258 352

21,1 60,0 2,2 2,8 1,7 1,3 1,9 7,5 2,6 h8 2,2 8,6 7,1 14,6 1,1 1,4 15,0 56,5 — 10,6 82,1

36,5 8,6 15,6 12,4 10,6 3,7 8,5 22,3 3,6 11,3 12,3 12,7 9,g 24,0 6,3 12,9 47,5 20,7 35,2 19,1 12,0

42,4 31,4 82,2 84,8 87,7 95,0 89,6 70,2 93,8 86,9 85,5 78,7 83,1 61,4 92,6 85,7 37,5 22,8 64,8 70,3 5,9

6,0 0,8 0,3 1,9 1,2 0,3 3,2 1,3 9,7 5,1 1,5 0,8 3,4 1,8 0,2 2,5 0,4 2,3 2,4 0,3 2,2

24,4 19,8 8,8 19,6 14,2 12,7 19,4 11,1 19,1 14,2 16,2 12,9 17,2 4,9 17,1 1-3,0 5,6 7,9 37,5 27,5 3,3

26,4 21,2 9,3 21,9 16,7 14,1 21,0 12,5 21,3 16,1 17,8 14,6 18,9 5,8 18,4 14,9 6,4 8,7 37,5 28,1 3,5

24,5 4,0 3,1 9,9 8,5 2,6 16,5 11,8 50,8 35,5 9,1 6,1 20,1 37,6 1,1 18,6 7,2 29,2 6,4 0,9 66,9

160498 17414 15281 127803

10,9

9,5

79,6

2,5

12,6

14,1

19,6

5887 11314 *123603

4,2

8,0

87,8

2,5

14,9

16,8

17,0

2987

64,4

17,6

18,0

1,9

5,4

5,8

36,0

2670 70 1425 9762 5604 1515 3029 584 70655 6390 1581 2922 23656 9439 1567 2635 40 10623 21 367 5943

6—20

563 42 31 275 93 20 59 44 1856 115 34 251 1668 1382 17 36 6 6004 — 39 4879

974 6 223 1211 594 55 257 130 2512 719 195 372 2323 2264 99 341 19 2197 8 70 712

21 und mehr bis 5

21 und 6—20 mehr

17

Gewerbe überhaupt Davon in Gewerbeabteilung B. Industrie, einschL Bergbau und Baugewerbe (III bis XVII)................................................... C. Handel und Verkehr, einschl. Gast- u. Schank­ wirtschaft (XVIII bis XXI).........................

Arbeiterin­ nen über­ haupt

Kunst- und Handelsgärtnerei.................... Tierzucht und Fischerei.......................... Bergbau, Hütten- und Salinenwesen . . Industrie der Steine und Erden . . . Metallverarbeitung.................................... Industrie der Maschinen, Instrumente etc. Chemische Industrie.................................... Industr. d, Leuchtstoffe, Seifen, Fette, Öle Textilindustrie.............................................. Papierindustrie ................................... r* . Lederindustrie.............................................. Industrie der Holz- und Schnitzstoffe Industrie der Nahrungs- und Genußmittel Bekleidungs- und Reinigungsgewerbe. . Baugewerbe ................................................... Polygraphische Gewerbe.......................... Künstlerische Gewerbe............................... Handelsgewerbe......................................... Versicherungsgewerbe............................... Verkehrsgewerbe......................................... Beherbergungs- und Erquickungsgewerbe

Arbeitern im ganzen

I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV. XV. XVI. XVII. XVIII. XIX. XX. XXL

bis 5

Die Durchführbarkeit des Verbots der eheweiblichen Fabrikarbeit.

P ohle, Frauen-Fabrikarbeit.

Gewerbegruppe:

Von 100 verheirateten Davon sind beschäf­ Arbeiterinnen sind Es sind verheiratete tigt in Betrieben mit Arbeiterinnen unter beschäftigt in Betrie­ je 100 . . . Personen ben mit... Personen

Unter je 100 Arbeitern überhaupt sind weib­ liche Arbeiter

Verteilung der verheirateten Arbeiterinnen auf die Gewerbegruppen im Jahre 1895. Verheiratete Arbei­ terinnen

Tabelle I.

140804

16954 10922

3045

Natur der betreffenden Arbeitsverrichtungen. Erfordern sie eine erhebliche Kraftanstrengung, so werden sie im allgemeinen männlichen Arbeitskräften übertragen werden müssen. Andere Arbeiten wiederum werden vielleicht nicht nur ebensogut, sondern sogar besser von weiblichen als von männlichen Arbeitern aus­ geführt werden. . Welcher Bruchteil der weiblichen Arbeiter eines Gewerbe­ zweigs verheiratet ist, das hängt nicht von derartigen Umständen, sondern vorwiegend von der Alterszusammensetzung der weiblichen Arbeiterschaft ab. Sind relativ viel jugendliche Arbeiterinnen in einem Gewerbezweig beschäftigt, so wird es in ihm nicht soviele verheiratete Arbeiterinnen geben wie wenn nur erwachsene Arbeite­ rinnen beschäftigt würden. Bei gleicher Alterszusammensetzung der weiblichen Arbeiterschaft wird daher, wenn es sich nur um genügend große Zahlen handelt, der Anteil der verheirateten Arbeiterinnen an der Gesamtzahl der weiblichen Arbeiter keine allzugroßen Schwankungen zeigen. Die Alterszusammensetzung der Arbeiterschaft eines Industriezweigs ihrerseits wird wieder wesentlich dadurch bestimmt, ob derselbe mehr in den Groß­ städten oder auf dem platten Lande betrieben wird. Denn be­ kanntlich ist die Altersgruppierung der Bevölkerung auf dem Lande durchaus verschieden von der in den großen Städten. Sieht man hiervon ab, so kann man sagen, daß, wenn der Anteil, den die weiblichen Arbeiter und speziell die erwachsenen weib­ lichen Arbeiter von der Gesamtarbeiterzahl ausmachen, gegeben ist, damit innerhalb gewisser Grenzen auch der Anteil der ver­ heirateten Arbeiterinnen an der Gesamtarbeiterzahl bestimmt ist, da eben von so und so viel erwachsenen Arbeiterinnen immer ein gewisser Prozentsatz verheiratet sein wird. Eine auffallende Ausnahme von dieser Kegel machen unter den Gewerbegruppen III bis XVII, die uns hier, wie gesagt, einzig und allein angehen, die künstlerischen Gewerbe (XVII) und die Bekleidungs- und Reinigungs-Gewerbe (XIV). Bei den ersteren ist darauf indessen kein besonderes Gewicht zu legen, da die Erscheinung bei der niedrigen absoluten Zahl verheirateter Arbeiterinnen, um die es sich handelt, auch auf einem reinen Zufall beruhen kann. Anders bei der Gruppe der Bekleidungs­ und Reinigungs-Gewerbe, bei denen die insgesamt 9439 ver­ heirateten Arbeiterinnen nur den 21. Teil der weiblichen Arbeiter

ausmachen, während sonst etwa der 5. bis 8. Teil der weiblichen Arbeiterschaft verheiratet ist. Zur Erklärung dieser Erscheinung könnte man vermuten, daß hier vielleicht ähnliche Gründe es sind, welche die verheiratete Frau abhalten, sich den betreffenden Berufen zu widmen, wie die bei der letzten Gewerbegruppe (Be­ herbergung und Erquickung) wirksamen, bei der sich die geringe Anzahl der Ehefrauen daraus erklärt, daß ebensowenig wie zum Dienstboten, der Tag und Nacht im Hause der Herrschaft zu bleiben hat, sich eine verheiratete Frau zur Kellnerin oder zum Hotelmädchen eignet, das Kost und Wohnung vom Arbeitgeber erhält. Diese Annahme ist indessen nach der Natur der Gewerbe­ zweige, die in Gruppe XIV vereinigt sind, ausgeschlossen. Es liegt hier vielmehr wohl weiter nichts vor als ein von dem allgemeinen Durchschnitt besonders stark abweichender Fall der Alterszu­ sammensetzung der weiblichen Arbeiterschaft. Während sonst in sämtlichen Gewerbegruppen mit nur zwei Ausnahmen (VIII und XVII), die aber wegen der kleinen Zahlen, die in Betracht kommen, keine Bedeutung beanspruchen können, die Zahl der verheirateten Frauen in den Betrieben mit mehr als 20 Personen die der Arbeiterinnen unter 16 Jahren übertrifft und zwar meist ganz erheblich, ist in der Gewerbegruppe XIV das Verhältnis gerade um­ gekehrt: hier stehen in der genannten Betriebsgrößen-Klasse 5793 verheiratete Frauen 7171 jugendlichen Arbeiterinnen gegenüber. Wenn die jugendlichen Arbeiterinnen zwischen 14 und 16 Jahren in so beträchtlicher Zahl auftreten, dann ist aber die Wahrschein­ lichkeit groß, daß auch die nächstbenachbarten Altersklassen unter der weiblichen Arbeiterschaft noch besonders stark vertreten sein werden. Unter den weiblichen Arbeitern im Alter von 16—f23 Jahren giebt es naturgemäß aber weniger Verheiratete als in der Alters­ klasse von 24—30 Jahren und überhaupt in den höheren Alters­ klassen. So erklärt sich die auffallend niedrige Vertretung der verheirateten Frauen in Gewerbegruppe XIV ganz ungezwungen aus dem Altersaufbau ihrer weiblichen Arbeiterschaft. Nach dieser Zwischenbemerkung kehren wir zu der Er­ örterung der Frage zurück, ob von einem Verbot der FrauenFabrikarbeit erhebliche Betriebsstörungen zu erwarten sind. Die vorhin mitgeteilten Durchschnittszahlen für ganze Gewerbe­ gruppen vermögen uns hierbei nichts zu nützen. Für die Be­ urteilung der eben aufgeworfenen Frage kommt es nicht darauf an, 2*

wieviel Ehefrauen durchschnittlich in den großen Gewerbegruppen beschäftigt sind, sondern darauf, ob es etwa einzelne Gewerbe­ zweige und zwar solche von beträchtlichem Umfange giebt, die vorwiegend auf der Einrichtung der eheweiblichen Fabrikarbeit beruhen, deren Arbeiterschaft vielleicht zur Hälfte oder zu einem noch größeren Bruchteil aus verheirateten Arbeiterinnen besteht. Ein niedriger Durchschnittssatz in der ganzen Gewerbegruppe kann ja auch auf die Weise zu stände kommen, daß denjenigen Gewerbezweigen, welche eine große Zahl verheirateter Arbeiterinnen beschäftigen, andere Gewerbezweige gegenüberstehen, welche wenig oder vielleicht so gut wie keine verheirateten Arbeiterinnen auf­ weisen. Wir dürfen also, wenn wir eine einigermaßen zuverlässige Antwort auf die uns hier beschäftigende Frage bekommen wollen, nicht bei den Gewerbegruppen stehen bleiben, sondern müssen soviel als möglich spezialisieren, d. h. von den Gewerbegruppen zu den Gewerbe-Klass en und Gewerbe-Arten herabsteigen. Am Besten wäre es, wenn man feststellen könnte, wieviel ver­ heiratete Arbeiterinnen in den einzelnen Betrieben vorhanden sind, so daß man beispielsweise sagen könnte: in der Gewerbe-Art Y giebt es unter den Betrieben mit 51 bis 100 oder den mit 201 bis 500 Personen a Betriebe mit weniger als 5 h ,, „ 5 10 o ,, 10 15 d „ „ 15 20 etc.

Proz. verheirateten Arbeiterinnen „ ), „ ,, ,, „ „ „ „ etc.

Ein so spezialisiertes Eindringen gestattet die Statistik nach dem über die Ergebnisse der letzten Gewerbezählung veröffent­ lichten Material indessen nicht. Immerhin erlaubt sie aber doch, die von uns gestellte Frage viel genauer zu beantworten als dies auf Grund der vorhin für die Gewerbegruppen mitgeteilten Zahlen möglich ist. Auf Grund der Tabelle II (s. 8. 22), die an der Hand der amtlichen Publikationen über die Gewerbezählung vom 14. Juni 1895 zusammengestellt bez. berechnet ist, dürfte es sehr wohl mög­ lich sein, sich ein den Thatsachen entsprechendes Urteil darüber zu bilden, ob und in welchem Umfang durch ein Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit etwa Betriebsstörungen entstehen können. Die Tabelle erstreckt sich nämlich nur auf die ungünstig­ sten Fälle. Es sind in ihr nur diejenigen — im ganzen 31 —

Gewerbe-Arten berücksichtigt, in denen am Zahltage in den Betrieben mit mehr als 20 Personen nahezu 1000 oder über 1000 verheiratete Arbeiterinnen beschäftigt waren. Es ist nun allerdings an sich nicht notwendig, daß in den betreffenden Ge­ werbezweigen die verheirateten Arbeiterinnen auch relativ immer am stärksten vertreten sind. Im allgemeinen trifft dies aber zu. Und wo ausnahmsweise einmal in einer der in der Tabelle nicht mit aufgeführten Gewerbe-Arten die verheirateten Arbeiterinnen rela­ tiv besonders stark vertreten sind, stärker als in den in der Tabelle berücksichtigten Gewerbe Arten, wie z. B. in GewerbeArt III dB (Braunkohlenbergwerke), in der der Anteil der ver­ heirateten Arbeiterinnen an der Gesamtzahl *der Arbeiter zwar ge­ ring ist, die verheirateten Arbeiterinnen aber bald die Hälfte der beschäftigten weiblichen Arb eiter jausmachen — ähnlich liegen die Verhältnisse auch noch in einigen anderen Gewerbe-Arten —, da ist dann die Zahl der verheirateten Arbeiterinnen absolut so gering, daß es keine großen Schwierigkeiten machen kann, sie durch andere Arbeitskräfte zu ersetzen. Damit stimmt überein, daß die in der Tabelle aufgeführten 31 Gewerbe-Arten für sich allein zusammen fast 100000 verheiratete Arbeiterinnen, also beinahe 3/4 der Gesamtzahl derselben, beschäftigen, während auf die 240 übrigen Gewerbe-Arten zusammen nur ungefähr 1/4 ent­ fällt. Dabei ist noch ausdrücklich hervorzuheben, daß in der Tabelle nicht berechnet ist, wie sich die Zahl der in jeder Gewerbe-Art insgesamt beschäftigten verheirateten Arbeiterinnen zu der Gesamtarbeiterzahl etc. verhält, sondern daß sich die Untersuchung nur auf die Betriebe mit mehr als 20 Personen erstreckt. Bei einer Berechnung nach der ersteren Methode wäre das Bild viel günstiger geworden, weil, wie schon früher betont, die größeren Betriebe relativ die meisten verheirateten Arbeiterinnen zählen? Es sollten jedoch gerade die schlimmsten Fälle, die überhaupt in der Wirklichkeit vorkommen, hier dargestellt werden, und von diesem Standpunkte aus bitte ich die Tabelle II zu be­ trachten. Was lehrt nun dieselbe? Sie zeigt, daß im Durchschnitt der in Betracht gezogenen ungünstigen Fälle die verheirateten Arbeiterinnen 6,71 °/0 oder rund den fünfzehnten Teil der ge­ samten Arbeiterschaft und 19,94 °/0 oder knapp den fünften Teil der weiblichen Arbeiterschaft ausmachten. Auch hier indessen

22

Die Durchführbarkeit des Verbots der ehe weiblich en Fabrikarbeit.

Tabelle II. Verzeichnis der Gewerbearten, in denen in den Betrieben mit 21 und mehr Personen am 14. Juni 1895 mehr als 1000 oder nahezu 1000 ver­ heiratete Frauen beschäftigt waren.

2,56 4,67 5,25 4,44 7,39 10,72 9,88 10,09 19,45 10,58 13,60 6,93 13,61 10,14 19,80 12,79 14,24 6,53 8,75 5,26 7,70 4,94 1,66 23,04 14,20 4,32 6,75 3,61 9,18 0,32 3,32

22,06 15,08 19,90 18,46 20,39 21,26 17,36 15,36 27,74 18,81 19,46 13,21 28,53 18,05 29,97 23,03 25,57 10,88 27,30 18,10 22,15 9,84 19,82 30,36

97972 1459571 491229

6,71

19,94

Arbeiter

136321 31682 17445 24498 14871 13098 44994 19585 8369 68647 7486 31303 104495 20880 5555 99346 49960 32374 15533 26062 40920 18717 90604 6797 101690 26540 15031 32616 7040 307069 40043

frauen

15838 9818 4872 5888 5390 6603 25603 12871 5869 38609 5232 16421 49853 11726 3670 55135 27825 19429 4979 7581 14210 9499 7604 5158 64091 21192 6854 9552 5499 6170 8188

3494 1481 916 1087 1099 1404 4444 1977 1628 7261 1018 2170 14222 2117 1100 12695 7115 2114 1359 1372 3148 935 1507 1566 14441 1146 1014 1177 646 990 1329

weibliche

Von je 100 weiblichen Arbeitern sind Ehe­

(Ziegelei, Thonröhrenfabrikation) .... (Porzellanfabrikation).................................... (V erfertig. v. Gold-, Silber- u. Bijouteriewaren) (Blechwarenfabrikation)............................... (Herstellung von Explosivstoffen) .... (Wollbereitung).............................................. (Wollenspinnerei).............................................. (Flachs- und Hanfspinnerei und -Hechelei) (Jutespinnerei)................................................... (Baumwollenspinnerei) . . .......................... (Vigognespinnerei)......................................... (Seidenweberei) ............................................... (Wollweberei)................................................... (Leinenweberei).............................................. (Juteweberei)................................................... (Baumwollenweberei).......................... (Weberei von anderen u. gemischten Waren) (Strumpfwarenfabrikation)............................... (Wollfärberei, -Druckerei etc.)..................... (Baumwollbleicherei, -Färberei etc.) . . . (Verfertigung von Papier und Pappe) . . (Buchbinderei)................................................... (Rübenzuckerfabrikation und -Raffinerie) . (Konserven- und Senffabrikation) .... (Tabakfabrikation)......................................... (Kleider- und Wäschekonfektion) .... (Hutmacherei und Filzwarenfabrikation) (Schuhmacherei).............................................. (Waschanstalten, Plätterei).......................... (Bauunternehmung)......................................... (Buchdruckerei)..............................................

Arbeiter überhaupt

IVdl IV d 6 Val Vc4 VII el IX a 2 IX b 3 IXb 5 IXbß IX b 7 IXb8 IXcl IX c 2 IX c 3 IX c 4 IX c 5 IX c 6 IX e IX g 2 IX g 4 Xa2 Xbl XIII a 4 XIII c XIII f XIV a 3 XIV a 7 XIV b XIV d 2 XV*al XVIbl

verheiratete Arbeiterinnen

Gewerbeart:

Von je 100 Arbeitern im ganzen sind verheir. Arbeiterinnen

In den Betrieben mit mehr als 20 Ar­ beitern sind beschäftigt:

22,53

5,41 14,80 12,32 11,75* 16,05 16,23

kommt es weniger auf den allgemeinen Durchschnitt als auf die nach der ungünstigen Seite hin extremen Fälle an. Da ist es nun wichtig, folgendes festzustellen: auch in dem allerungünstig­ sten Falle, nämlich bei der Conserven-Fabrikation (XIII c), be­ tragen die verheirateten Arbeiterinnen noch nicht x/4 der Ge­ samtarbeiterschaft und noch nicht 1/8 der Zahl der weiblichen Arbeiter; die Gesamtzahl, die dabei in Betracht kommt, ist in­ dessen nicht sehr erheblich. Abgesehen von zwei weiteren Fällen (IX b 6 und IX c 4), in denen die verheirateten Arbeiterinnen nahezu 1/6 der Gesamtarbeiterschaft und fast 3/10 der weiblichen Arbeiterschaft ausmachen — in beiden zusammen handelt es sich aber um noch nicht 3000 Personen —, sind dann vor allem die Gewerbearten Wollenweberei, Baum wollenWeberei, Weberei von anderen und gemischten Waaren, -sowie Tabakfabrikation ins Auge zu fassen. Bei ihnen umfassen die verheirateten Arbeite­ rinnen rund 1/7 der Gesamtzahl der Arbeiter; dazu kommt außer­ dem, daß die Zahl der von diesen vier Gewerbezweigen be­ schäftigten verheirateten Frauen auch absolut sehr ins Gewicht fällt: es handelt sich hier um fast 50 000 verheiratete Frauen, also ein reichliches Drittel der Gesamtzahl der industriell thätigen Ehefrauen. Diese vier Gewerbearten sind weiter zugleich auch diejenigen, bei denen die verheirateten Arbeiterinnen besonders hohe und den Durchschnitt nicht unerheblich übersteigende Prozentsätze von der Zahl der weiblichen Arbeiter umfassen. Der Anteil der verheirateten Frauen an der Gesamtheit der weiblichen Arbeiter schwankt bei ihnen zwischen 22,53 und 28,53 °/0. Überdurch­ schnittlich stark vertreten unter der weiblichen Arbeiterschaft sind die verheirateten Frauen ferner namentlich noch in der Ziegelei und Thonröhrenfabrikation, sowie in der Verfertigung von Papier und Pappe; ich erwähne diese Gewerbezweige des­ halb noch besonders, weil auch der absolute Umfang der ehe­ weiblichen Fabrikarbeit in ihnen beträchtlich ist. Auf Grund dieser Ausführungen können wir die vorhin ge­ stellte Frage jetzt dahin präcisieren: Giebt der Umstand, daß die verheirateten Frauen in gewissen wichtigen Industriezweigen rund den 7. Teil der gesamten und den 4. Teil der weiblichen Arbeiter­ schaft ausmachen, Anlaß zu der Befürchtung, daß ein Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit Betriebsstörungen und vielleicht

sogar Krisen in den betreffenden Industrien zur Folge haben könnte? Ich glaube, daß man diese Frage im allgemeinen mit gutem Gewissen verneinen darf. Zunächst reducieren sich ja die angegebenen Prozentsätze ganz wesentlich noch dadurch, daß ein Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit nach unseren Vorschlägen, vorsichtig gerechnet, höchstens etwa 2/3 der verheirateten Arbeite­ rinnen betreffen würde, weil nur soviele von letzteren nach den früheren Feststellungen Mutterpflichten zu erfüllen haben, ganz abgesehen von den durch ganze oder teilweise Erwerbs-Unfähig­ keit des Mannes zur Fabrikarbeit gezwungenen Frauen. An Stelle des 4. Teils der weiblichen Arbeiterschaft würde infolgedessen nur etwa der 6. bis 7. Teil von einem etwaigen Verbot betroffen werden. Bei Arbeitseinstellungen und Aussperrungen kann man aber oft sehen, wie in kurzer Zeit noch wesentlich größere Bruchteile der Arbeiterschaft eines Betriebes als der 6. oder 7. ausgewechselt werden, ohne daß die Fortführung des Betriebes dadurch unmög­ lich gemacht wird. Es wird ja auch niemand verlangen, daß das Verbot mit einem Schlage durchgeführt wird, sondern es wäre der Industrie gegebenenfalls ein längerer Zeitraum einzuräumen, um sich allmählich an die neue Ordnung zu gewöhnen und den Betrieb dementsprechend einzurichten. Die schonendste Form für die Durchführung des Verbotes würde die sein, daß nur die Neueinstellung verheirateter Frauen untersagt, die Weiterbeschäf­ tigung der an einem gewissen Zeitpunkte thätig gewesenen Frauen dagegen gestattet würde. Wird die Maßregel in dieser Weise durchgeführt, dann sind von ihr jedenfalls nicht so große Betriebsstörungen zu erwarten, wie sie die Erfüllung verschiedener sozialdemokratischer Postulate, so vor allem die Einführung eines für alle Industriezweige gleich­ mäßig auf acht Stunden festgesetzten Maximalarbeitstages, nach sich ziehen müßte. Die Sozialdemokratie hat also kein Recht, das Verbot der Frauen-Fabrikarbeit mit dem Hinweis auf die im Ge­ folge der Maßregel eintretenden Betriebsstörungen zu bekämpfen. III. Bei der Beantwortung der Frage, ob es ohne große Schwierig­ keiten gelingen wird, für die verheirateten Frauen entsprechende Ersatz-Arbeitskräfte zu beschaffen, kommt es indessen nicht bloß auf die Zahl der Ehefrauen an, welche in den einzelnen In-

dustriezweigen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Arbeiter be­ schäftigt werden. Hervorragend wichtig ist dabei weiter der Um­ stand, welcherlei Arbeitsthätigkeiten von den verheirateten Ar­ beiterinnen verrichtet werden. In dieser Beziehung ist zu sagen: Ein sehr großer, oder sagen wir direkt: der bei Weitem größte Teil der verheirateten Arbeiterinnen, wie der weiblichen Fabrik­ arbeiter überhaupt, leistet keine qualificierten Arbeiten, d. h. keine Arbeiten, zu deren Verrichtung es einer langen Lehrzeit und langer Übung bedarf, sondern Arbeiten, die von jedermann in verhältnismäßig kurzer Zeit erlernt werden können. Dieses Moment ist von der größten Bedeutung. Im Hinblick hierauf dürfen wir die Frage, ob der deutsche Arbeitsmarkt im stände sein wird, für die 90 000 verheirateten Frauen, die 1895 von einem Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit im Maximum betroffen werden konnten, den nötigen Ersatz zu liefern, unbedenklich bejahen. Von der Sozialdemokratie muß diese Frage eigentlich ohne weiteres' unbedingt bejaht werden; mit Rücksicht auf die Behauptungen, die von ihrer Seite beständig über die Zahl der Arbeitslosen in der modernen Volkswirtschaft, über den Umfang der „industriellen Reservearmee" aufgestellt werden, hat sie jedenfalls kein Recht, die Durchführbarkeit des Verbots der Frauen-Fabrikarbeit nach dieser Richtung zu leugnen. Aber auch wenn man sich nicht zu der marxistischen Lehre von der industriellen Reservearmee bekennt, darf man die vorhin gestellte Frage ruhig mit Ja beantworten, und zwar eben mit Rück­ sicht darauf, daß die verheirateten Frauen zum allergrößten Teile nicht als qualificierte, sondern als ungelernte Arbeiterinnen thätig sind. Gelernte Arbeiter, zu deren Ausbildung eine längere, vielleicht mehrjährige Lehrzeit erforderlich ist wie bei vielen Handwerkern, können nicht sofort dem Arbeitsmarkte in beliebiger Anzahl entnommen werden. Wächst hier die Nachfrage plötzlich, so kann es sehr lange dauern, bis das Angebot der gestiegenen Nachfrage zu genügen vermag. Für ungelernte Arbeiter ist es dagegen viel leichter, Ersatz zu finden. An die Stelle eines ungelernten Arbeiters kann jeder normal beanlagte Mensch treten; in wenigen Wochen wird er in der Regel im stände sein, dasselbe zu leisten wie sein Vorgänger. Daher kommt es auch, daß auf dem Arbeitsmarkte für ungelernte Arbeiter das Angebot fast stets die Nachfrage an Umfang ganz bedeutend übertrifft, weil das

Angebot unter Umständen auch von allen den gelernten Arbei­ tern, die in ihrem eigentlichen Berufe augenblicklich kein Unter­ kommen finden können, sowie überhaupt allen Beschäftigungslosen verstärkt wird. In der Hauptsache wird es wohl sogar gelingen, die durch die Ausschließung der verheirateten Frauen frei werdenden Stellen wieder mit weiblichen Arbeitern zu besetzen. Es genügt dazu bereits eine, noch dazu auf eine längere Reihe von Jahren zu verteilende, Zunahme der weiblichen Arbeiterschaft um ca. 10°/0, also eine Zunahme, die nicht als etwas Ungeheuerliches an­ gesehen werden kann. Hat doch die Zahl der industriellen Ar­ beiterinnen von 1882 bis 1895 um rund 8O°/o zugenommen! In zweiter Linie wird die Industrie die jüngeren Jahrgänge der männlichen Arbeiterschaft, deren Löhne noch nicht den vollen Satz für erwachsene männliche Arbeiter erreicht haben, zum Er­ satz heranzuziehen suchen. Sollte man auch damit noch nicht zum. Ziele kommen, so würde ich es nicht als ein Unglück be­ trachten, wenn die Ausschließung der verheirateten Arbeiterinnen aus der Fabrik für die Unternehmer ein Anlaß würde, ihre Be­ triebe einmal daraufhin zu revidieren, an welchen Punkten die Frauenarbeit besser durch Männerarbeit zu ersetzen ist. Daß hier viel gesündigt wird, daß dem Weib wegen seiner Billigkeit vielfach Arbeiten zugemutet werden, die seine Kräfte übersteigen und den weiblichen Organismus schädigen, und die daher besser von Männern verrichtet würden, wie sie früher auch thatsächlich von Männern verrichtet worden sind, ist ja eine wohlbekannte Thatsache. So weist z. B. die Gewerbe-Inspektion Chemnitz in ihrem Jahresberichte für 18991 daraufhin, daß jetzt in einer ganzen Reihe von Industriezweigen Frauen zu Arbeiten verwendet werden, die besser den Männern vorbehalten blieben, und zwar seien es meist verheiratete Frauen, die sich den betreffenden Arbeiten unterziehen. Soll sich der Ersatz der verheirateten Fabrikarbeiterinnen durch andere, sei es weibliche, sei es männliche Arbeitskräfte ohne Nachteil für die Industrie vollziehen, so kommt vor allem viel auf die Wahl des richtigen Zeitpunktes für die Durchführung der Maßregel an. Während sonst meist Perioden des allgemeinen geschäftlichen Aufschwungs als die geeignete Zeit zur Erreichung 1 Jahresberichte der Kgl. Sachs. Gewerbe-Inspektoren für 1899, S. 98.

sozialpolitischer Fortschritte wie Verkürzungen der Arbeitszeit, Auf­ besserungen der Löhne etc. betrachtet werden — die Politik der Gewerkvereine besteht ja wesentlich darin, günstige geschäftliche Konjunkturen systematisch zur Erzielung von Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen auszunützen —, scheint es mir für eine Maßregel wie das Verbot der ehe weiblichen Fabrikarbeit richtiger, ihre Durchführung in den absteigenden Ast der geschäftlichen Bewegung, in die Periode der wirtschaftlichen Depression, die der Periode des Aufschwungs über kurz oder lang zu folgen pflegt und gewöhnlich einen um so größeren Rückgang zeigt, je jäher vorher der Aufschwung war, zu verlegen. In solchen Zeiten, in denen Arbeiter-Entlassungen an der Tagesordnung sind, .Be­ triebserweiterungen dagegen sowie Neugründungen von Unter­ nehmungen nur selten vorkommen, ist es naturgemäß viel leichter, für den Ausfall an Arbeitskräften Deckung zu finden, der durch die Ausschließung der verheirateten Frauen aus der Fabrik ent­ stehen wird. Gerade in der jetzigen Zeit — Frühjahr 1900 — könnte, das sei offen zugestanden, bei den abnormen Verhält­ nissen, die augenblicklich noch, aber wohl nicht mehr auf lange, ans dem Arbeitsmarkt herrschen, indem in mehreren der wichtigsten Geschäftszweigen der Nachfrage nach Arbeit nicht entfernt genügt zu werden vermag, eine sofortige Durchführung des Verbots der Frauen-Fabrikarbeit große Schwierigkeiten hervorrufen. Auch im Frühjahr 1899 war schon die gleiche Erscheinung zu beob­ achten, während in den vorhergehenden Jahren das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte beständig in der entgegengesetzten Richtung gestört war. Es wird ja aber kein vernünftiger Mensch daran denken, die Maßregel unter so abnormen Umständen plötzlich durchführen zu wollen. Dieser bisher ganz unerhörte Arbeitermangel wird wohl nur eine vorüber­ gehende Erscheinung sein und, wenn erst die Folgen der jetzigen Überspannung der Spekulation und der Produktion sich zu zeigen beginnen, wenn an den Börsen die auf unerfüllbaren Hoffnungen übertrieben hoch aufgebauten Kursgebäude zusammen zu brechen anfangen, bald einem ebenso großen Überangebot an Arbeits­ kräften Platz machen. Dann ist der Moment gekommen, um ohne Schaden für die Industrie das Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit durchzuführen. Das momentan fast geleerte Re­ servoir ungelernter Arbeitskräfte, das sonst stets reich gefüllt in

jeder Volkswirtschaft zur Verfügung steht, wird dann mit Leichtig­ keit im Stande sein, den nötigen Ersatz für die aus der Fabrik ausgeschlossenen verheirateten Arbeiterinnen zu liefern. Ist aber erst die Durchführung der Maßregel ohne besondere Schwierig­ keiten von statten gegangen, so können weitere nachteilige Folgen für die Entwicklung der Industrie aus ihr kaum noch entstehen, bezw. auf etwaige Klagen in dieser Beziehung braucht keine Rück­ sicht genommen zu werden. Da das Gesetz jetzt den Unter­ nehmern einmal gestattet hat, die verheiratete Frau dem Pro­ duktionsprozeß mit einzugliedern, wodurch es sich zum Mitschul­ digen an der daraus resultierenden Zerstörung des Familienlebens der Arbeiterbevölkerung gemacht hat, ist es auch nur recht und billig, daß der bestehende Zustand unter möglichster Schonung der bisher als berechtigt anerkannten Interessen abgeändert wird. Ist dies aber erst geschehen, so scheidet die verheiratete Frau ein für alle Mal aus dem Angebot auf dem Arbeitsmarkt aus, und es gilt für den Unternehmer, alle Berechnungen wegen der zukünftigen Erweiterung oder Neugründung von Unternehmungen auf der Basis des in dieser Weise neu regulierten und quantitativ beschränkten Arbeitsangebots anzustellen. Die Verlegung der Durchführung des Verbots in eine Periode rückgehender geschäftlicher Konjunktur entspricht aber nicht nur den Interessen der Unternehmer, sondern ebenso auch denen der Arbeiter. Der Arbeitsmarkt, der in solchen Zeiten regelmäßig an einem Überangebot von Arbeitskräften leidet, würde dadurch etwas entlastet werden. Dies wird die für die Arbeiter günstige Wirkung haben, daß der allgemeine Rückgang der Löhne, der in derartigen Perioden einzutreten pflegt, nicht oder doch wenigstens nicht in dem Maße wirksam wird, in dem er sonst wohl vor sich gegangen wäre.

IV. Wir kommen damit zur Erörterung des Einflusses des Verbots der eheweiblich en Fabrikarbeit auf den Stand der Arbeits­ löhne. Wenn auch die Beschaffung des nötigen Ersatzes für die verheirateten Arbeiterinnen ohne Schwierigkeiten vor sich geht, so könnte die Großindustrie doch immer noch dadurch empfindlich geschädigt werden, daß im Gefolge der Maßregel eine Steigerung der Löhne und damit eine Erhöhung der Produktionskosten eintritt.

Der Sozialdemokratie muß allerdings auch hier wieder das Recht abgesprochen werden, diesen Umstand als ein Argument gegen das Verbot der Frauen-Fabrikarbeit zu verwerten. Die Sozial­ demokratie fordert bekanntlich: Gleichheit der Löhne bei Gleich­ heit der Arbeit, ohne Unterschied, ob Mann oder Frau. Sie ver­ langt also völlige Gleichstellung der Frauenlöhne mit den Männer­ löhnen. Die allgemeine Durchführung dieses Grundsatzes würde eine Verteuerung der industriellen Produktionskosten bewirken, im Vergleich zu der die durch das Verbot der Frauen-Fabrikarbeit bewirkte Produktionskosten-Steigerung verschwindend er­ scheinen würde. Denn allerdings glaube ich, daß im Gefolge des Verbots der Frauen-Fabrikarbeit die Tendenz sich geltend machen wird, die Frauenlöhne den Männerlöhnen näh^r- zu bringen und die Span­ nung, die jetzt zwischen beiden besteht, zu verringern. Das Steigen der Frauenlöhne wird sich zunächst aber vielleicht weniger auf industriellem Gebiete fühlbar machen, als in der Hauswirtschaft, indem die Löhne der Dienstboten in die Höhe gehen. Und um die Frauenlöhne mit einem Schlage auf die Höhe der Männer­ löhne zu bringen, dazu scheint mir die Verminderung des Angebots an weiblichen Arbeitskräften, welche das Verbot der FrauenFabrikarbeit herbeiführen würde, nach dem früher Gesagten bei weitem nicht groß genug. Auch ist ja die Industrie, wie schon dargelegt wurde, bei der Beschaffung des Ersatzes für die verheirateten Arbeiterinnen durchaus nicht nur auf weibliche Arbeitskräfte angewiesen, sondern sie wird in großem Umfange auch männliche Arbeitskräfte heranzuziehen suchen, und zwar um so mehr, je mehr die Differenz zwischen den Löhnen für das männliche und das weibliche Geschlecht sich vermindert. Der Hauptgrund für die immer stärker zunehmende Verwendung weib­ licher-Arbeitskräfte in der Industrie liegt doch — darüber darf man sich keiner Täuschung hingeben — in der relativen Niedrig­ keit der Löhne für weibliche Arbeiter. Fällt dieser Umstand hinweg, dann haben die Unternehmer keinen Grund mehr, das weibliche Geschlecht bei der Anstellung so zu bevorzugen, wie dies bisher geschah. Die Erklärung der Erscheinung, daß die ortsüblichen Tage­ löhne der erwachsenen männlichen Arbeiter bei uns in Deutsch­ land sich im Durchschnitt etwa wie 8:2 zu den Löhnen der er-

wachsen en weiblichen Arbeiter verhalten, also einen 50 prozentigen Zuschlag zu den letzteren bedeuten, ist nicht so einfach. Diesen Unterschied etwa aus der auf vielen Gebieten allerdings vorhan­ denen geringeren Leistungsfähigkeit des Weibes erklären zu wollen, geht deshalb nicht an, weil die Frau auch da, wo sie genau das­ selbe leistet wie der Mann, regelmäßig schlechter bezahlt wird als der letztere. Gewöhnlich verweist man daher zur Erklärung der niedrigeren Löhne für weibliche Arbeiter darauf, daß auf dem Arbeitsmarkte für letztere das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage den Arbeitern ungünstiger sei als auf dem für männ­ liche Arbeiter. Dies stimmt indessen mit den Thatsachen nicht überein. Nach der in der Zeitschrift „Der Arbeitsmarkt“ ver­ öffentlichten Statistik der Ergebnisse einer größeren Anzahl ge­ meinnütziger, besonders kommunaler Arbeitsnachweise kamen auf 100 offene Stellen Arbeitsuchende im Jahre 1896 beim weiblichen Geschlecht 95,5, „ männlichen „ 152,5; im Jahre 1897 beim weiblichen Geschlecht 90,6, „ männlichen „ 134,3. Das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage war also in beiden Jahren den Arbeitsuchenden weiblichen Geschlechts viel günstiger als denen männlichen Geschlechts. Wenn dies auch daran mit liegen mag, daß die offenen Stellen für weibliche Stellen­ suchende, welche die betreffenden Arbeitsnachweise vermitteln, zu einem gewissen Teile solche für Dienstboten, Köchinnen etc. sind, und wir ja anerkanntermaßen an Dienstbotenmangel leiden,, so kann man doch hiernach jedenfalls nicht allgemein behaupten, daß das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bei Ar­ beiterinnen immer besonders ungünstig sei. Zur Erklärung der allgemein niedrigeren Löhne für weibliche Arbeiter dürfte unter diesen Umständen nur noch die Annahme übrig bleiben, daß bei der Bemessung der Frauenlöhne die Vor­ aussetzung maßgebend ist, daß die Frau von ihrem Lohne nur sich selbst zu erhalten hat, bez. daß derselbe einen Zuschuß zu dem Verdienste des Mannes darstellt, während die Bildung der Löhne für erwachsene männliche Arbeiter unter Beobachtung des sozialen Gesichtspunktes erfolgt, daß der Lohn zum Unterhalt einer ganzen Familie ausreichen muß. Aus diesem Grunde glaube ich auch, daß das sozialdemo-

kratische Ziel der Gleichstellung der Frauen- mit den Männer­ löhnen in der heutigen Wirtschaftsordnung nur in einem Sinne erreichbar ist, wie ihn sich die Sozialdemokratie wohl nicht vorgestellt hat. Sollte das sozialdemokratische Ideal der öko­ nomischen Unabhängigkeit auch der verheirateten Frau je all­ gemein verwirklicht werden, d. h. sollte es dahin kommen, daß es zur Regel wird, daß jede verheiratete Frau außer dem Hause einem Berufe nachgeht, durch dessen Ausübung sie sich selb­ ständig ihren Lebensunterhalt erwirbt, so stände dann allerdings der Gleichstellung der Frauen- mit den Männerlöhnen der vorhin angeführte soziale Gesichtspunkt nicht mehr entgegen, der jetzt verhindert, dass die Löhne für erwachsene Männer auf das Niveau der Frauenlöhne herabsinken. Es würden dann aber nicht die Frauenlöhne den Männerlöhnen, sondern umgekehrt: die Männer­ löhne den Frauenlöhnen gleichgestellt sein. Das und nichts an­ deres wäre voraussichtlich der Erfolg der ökonomischen Selbständigmachung der Frau in der heutigen Gesellschaft, und das der Sinn, in dem heute einzig und allein eine Gleichstellung der Frauen- mit den Männerlöhnen erreichbar erscheint! Diesen Zustand wird aber gewiß niemand als „ein zu erstrebendes Ziel“ ansehen. Von der Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik da­ gegen ist eine Annäherung der Frauen- an die Männerlöhne in einem für die Arbeiterklasse günstigeren Sinne zu erwarten. Allerdings ist im Hinblick auf die Zahl der verheirateten Frauen, welche von dem Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit eventuell betroffen werden würden, auch nicht anzunehmen, daß die aus der Untersagung der Frauen-Fabrikarbeit sich ergebende Verminde­ rung des Angebots von weiblichen Arbeitskräften die Wirkung haben könnte, die Frauenlöhne den Männerlöhnen vollkommen gleichzu­ stellen. -Eine Erhöhung der weiblichen Arbeitslöhne wird aber gleichwohl ein treten, und zwar nicht nur, weil das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte für weib­ liche Arbeiter dadurch zu Gunsten der Arbeitsuchenden beein­ flußt wird, sondern auch noch aus einem anderen Grunde. Für die Lohnbildung ist nämlich nicht allein das numerische Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage entscheidend; es kommt daneben auch ganz wesentlich noch auf die Art und Weise an, wie sich Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte gegen-

überstehen, ob sie organisiert, d. h. in Vereinigungen zusammen­ gefaßt sind oder nicht. Der isolierte, der vereinzelte Arbeiter steht dem Unternehmer, zumal dem Unternehmer der Groß­ industrie, der viele Hunderte von Arbeitern beschäftigt, bei der Festsetzung des Lohnes, wie überhaupt der Arbeitsbedingungen so gut wie ohnmächtig gegenüber. Der Arbeiter hat hier nur die Wahl, ob er zu den vom Unternehmer einseitig festgesetzten Bedingungen die Arbeit annehmen will oder nicht. Wirksamen Einfluß auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in einem Großbetriebe vermögen die Arbeiter nur zu erlangen, wenn sie dem Unternehmer als Einheit entgegentreten. Daß es der weib­ lichen Arbeiterschaft aber fast gar nicht gelingen will, sich in Gewerkvereinen zu organisieren, — 1899 waren nur 19 000 Ar­ beiterinnen — 2,35 o/o der weiblichen Industrie-Arbeiter Deutsch­ lands gewerkschaftlich organisiert — daran tragen die industriell thätigen verheirateten Frauen einen großen Teil der Schuld. Ich führe dafür die folgenden bezeichnenden Sätze an, die ich einem Aufsatze von Gertrud Dyhrenfurth 1 über die Organi­ sationsfähigkeit der Arbeiterinnen entnehme, in dem über eng­ lische Erfahrungen berichtet wird: „Unverheiratete Frauen be­ zeichnet der Sekretär des weiblichen Buchdruckerverbandes als die besseren (Gewerkvereins-Mitglieder; vor allem.darum, weil die Lohnfrage eine Existenzfrage für sie sei. Die Mädchen, welche auf den eigenen Erwerb angewiesen sind, haben ein Lebens­ minimum zu verteidigen, während die große Masse der unterstützten Frauen um eines Zu Verdienstes willen nicht in entbehrungs­ reiche Kämpfe treten mag. Ein Beispiel! Vor einiger Zeit hatten wir einen Ausstand in Nord-London; 75 Frauen streikten um eine Lohnerhöhung. Alles ging glatt . . . Die Mitglieder erhielten am Wochenschluß Streikgeld, und man war entschlossen, fest auszuharren. Nun stelle man sich unsere Entrüstung vor, als am Montag sieben oder acht Frauen die Arbeit zum alten Lohn­ sätze wieder aufnahmen. Das Resultat war, daß der Ausstand im Sande verlief, und Nachforschungen ergaben, daß die Streik­ brecherinnen verheiratete Frauen waren, und zwar die Gattinnen von Männern in gut bezahlten Beschäftigungen, darunter einer mit einem Wochengehalte von 40 M.« Mit diesem Hinweis auf das Verhältnis der Frau zur Familie hat man nach unserer An1 „Soziale Praxis“, IX. Jahrgang, Nr. 40.

sicht auf die bleibende Ursache hingewiesen, welche hemmend auf die Organisation der weiblichen Arbeiterschaft einwirkt. Die Familie verbraucht Zeit und Kräfte der erwerbstätigen Frau mehr als die des Mannes und läßt dadurch das Berufsinteresse schwächer entwickelt, als bei ihm. Und andererseits bildet die Familie mit der unendlichen Mannigfaltigkeit ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage die eigentliche Unterlage für die Existenz der Ehefrauen und (der Taschengeld beziehenden) Haustöchter, die dem entsprechend mit ebenso abweichenden und schwankenden Lohnansprüchen auf den Arbeitsmarkt treten. — Frauen gehören den gleichen -Berufszweigen an, haben aber keine gleiche Lebenshaltung zu verteidigen. Das Aufrechthalten von ein­ heitlichen Lohnsätzen ist in weiblichen Industrien darum doppelt schwer. Und das übereinstimmend^ Interesse an der Bezahlung der Arbeit bildet doch schließlich das stärkste Motiv für den Zusammenschluß und das Zusammenhalten in der Gewerkschaft. Diese Thatsachen darf man als ein realistischer Beurteiler der Frage nicht übersehen und in ihrer Bedeutung nicht unterschätzen. Denn mit einer Zukunftsfrau, für welche die Bindungen des Familienlebens nicht mehr existieren, und die infolgedessen im Berufsleben den gleich günstigen Start hat wie der Mann, wollen wir nicht rechnen.“ Aus diesen Ausführungen ergiebt sich der Schluß, daß die ledigen Industrie-Arbeiterinnen ein doppeltes Interesse an dem Verbot der ehe weiblichen Fabrikarbeit haben: einmal weil da­ durch das Angebot auf dem Arbeitsmarkte vermindert wird, und zum andern, weil ihre Gewerkvereine besser gedeihen werden, wenn die verheirateten Frauen nicht mehr den Hemmschuh für die Entfaltung des Gewerkvereinswesens abgeben.1 Diese beiden *~Die Unternehmer schätzen von ihrem Standpunkte aus die verhei­ rateten Frauen natürlich gerade aus diesem Grunde besonders hoch und bevorzugen sie als Industrie-Arbeiterinnen. In einer Eingabe des Verbandes der Textil-Industriellen von Chemnitz und Umgegend wird dies sehr ver­ ständlich angedeutet, indem von der grösseren „Willigkeit“ der verheirateten Frauen zur Arbeit gesprochen und betont wird, dass die verheirateten Frauen nicht so leicht die Arbeitsstelle wechseln wie die weniger gebundenen unver­ heirateten Arbeiterinnen. Für den Gesetzgeber darf dies selbstredend aber kein Grund sein, deshalb von einem Verbot der ehe weiblichen Fabrikarbeit abzusehen. Auf solche „Bedürfnisse“ der Industrie braucht der Gesetzgeber keine Rücksicht zu nehmen.

Momente wirken in der gleichen Richtung, nämlich auf eine Hebung der Lohnsätze für weibliche Arbeiter. Daneben wird die Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik vor allem auch die Tendenz haben, das allgemeine Lohn­ niveau, also namentlich auch die Löhne für erwachsene männliche Arbeiter, wenigstens für bestimmte Gruppen derselben, zu erhöhen. Einmal weil dadurch voraussichtlich die Nachfrage nach männ­ lichen Arbeitskräften ebenfalls vermehrt wird, sodann vor allem aber auch aus dem vorhin (8. 30) entwickelten sozialen Gesichts­ punkt, der zur Erklärung der Verschiedenheit der Lohnsätze bei männlichen und weiblichen Arbeitern heranzuziehen ist. Wird übrigens die Durchführung des Verbots in eine Periode des Niedergangs der allgemeinen geschäftlichen Conjunktur ver­ legt, so glaube ich nicht einmal, daß positive Lohnerhöhungen im Gefolge der Maßregel auftreten werden, sondern ihre Wirkung wird zunächst nur die sein, einen sonst vielleicht unvermeidlich gewesenen Rückgang der Löhne zu verhindern. Eine große Ge­ fahr vom Standpunkte der Industrie aus ist hierin wohl nicht zu erblicken. Die eheweibliche Fabrikarbeit ist, wie vorhin gezeigt wurde, im Gegensatz zu den Behauptungen von sozial­ demokratischer Seite glücklicherweise noch nicht so eng mit der kapitalistischen Großproduktion verwachsen, daß die Entwickelung der letzteren durch ein Verbot der Frauen-Fabrikarbeit ernstlich gefährdet werden könnte. Speziell den Erwägungen, die in dieser Hinsicht von den zahlreichen Freunden und Interessenten der Export-Industrie geltend gemacht werden könnten, ist von einem höheren Stand­ punkte aus die Berechtigung zu versagen. Man könnte von dieser Seite behaupten wollen — und in der That giebt z. B. die Handels­ kammer zu Leipzig in ihrem Bericht vom 7. Februar 1900 über die Fabrikarbeit verheirateter Frauen derartigen Gedanken Aus­ druck —, daß die Aufrechterhaltung oder die weitere Aus­ dehnung des deutschen Exports davon abhänge, daß auch die verheiratete Frau mit zur Verfügung der Industrie stehe. In­ sofern die Männerlöhne da, wo auch die Frau durch ihre Arbeit mit zum Familienunterhalt beiträgt, niedriger sein können als da, wo von dem Lohn des Mannes allein die Kosten des gesamten Familienhaushalts bestritten werden müssen, liegt ja allerdings die Möglichkeit vor, daß das Land, in dem die industrielle Thätig-

keit der verheirateten Frau am meisten entwickelt ist, einen Vor­ sprung für den Absatz seiner Waren in allen anderen Staaten erhält. Ich vertrete demgegenüber aber folgende Auffassung: Sollte es wirklich in einzelnen Fällen zutreffen, daß die Ausfuhr einer bestimmten Warengattung nur durch eine weitgehende Aus­ nutzung der Mitarbeit der verheirateten Frauen aufrechterhalten werden kann, so wird damit nicht dem Verbot der FrauenFabrikarbeit, sondern vielmehr der betreffenden Export-Industrie das Todesurteil gesprochen. Eine Export-Industrie, die sich nur durch die Zerstörung des Familienlebens der Arbeiterbevölkerung am Leben zu erhalten vermag, ist nicht wert, fortzubestehen, und ihr Untergang kann vom Standpunkte der Gesamtheit nicht als ein wirklicher Verlust angesehen werden. Ich stehe da mutatis mutandis ganz auf dem Standpunkte, wi^. ihn schon Malthus mit den Worten einnahm: „Ich kenne nichts Elenderes als die Idee, die arbeitenden Klassen wissentlich dazu zu verurteilen, daß sie sich in Lumpen kleiden und in miserabeln Hütten wohnen, um etwas mehr von unseren Stoffen und unseren Calicots ins Ausland zu zu verkaufen"1, oder wie er noch besser in den folgenden Worten eines von Herkner zitierten amerikanischen Nationalökonomen zum Ausdruck kommt: „Eine Volkswirtschaft, welche ihre Ge­ werbeprodukte für den Weltmarkt fortgesetzt mittels übermäßiger Arbeitszeit und dürftigen Lohnes billig produziert, bietet dem Auslande den köstlichen Anblick eines Volkes dar, das ganz aus freien Stücken einen großen Bestandteil seiner Angehörigen ohne alle Gegenleistung seitens des Auslandes verurteilt, sich für fremde Nationen abzuquälen. Seine gewerblichen Arbeiter müssen auf die Entfaltung ihrer Persönlichkeit verzichten, damit die Fabri­ kanten und Großhändler den Markt, den sie im Inlande zerstört, im Auslande wieder errichten. Ihre Persönlichkeit ist nicht mehr Selbstzweck, sondern einseitig der Persönlichkeit anderer dienstbar geworden." 2 Sollte aber der Fall eintreten, daß nach Durchführung des Verbots der Frauen-Fabrikarbeit die einheimischen Produ­ zenten in ihrem inländischen Absatz durch die Konkurrenz 1 Angeführt bei Ludwig Stein, Die soziale Frage im Lichte der Philo­ sophie, Stuttgart 1897, S. 418. 2 Angeführt in dem Vortrage von Oldenberg : „Über Deutschland als Industriestaat" (Verhandlungen des 8. evangelisch-sozialen Congresses, S. 100).

von Ländern bedrängt werden, in denen die industrielle Ver­ wendung der verheirateten Frau noch uneingeschränkt gestattet ist, so wird man dieser Gefahr durch die Einführung eines ent­ sprechenden Schutzzolls auf die betreffenden Artikel wirksam be­ gegnen können. Die Berechtigung solcher „sozialen" Schutzzölle, die erhoben werden, damit nicht die einheimische Produktion infolge der ihr aufgelegten sozialpolitischen Lasten durch eine weniger belastete ausländische Konkurrenz, der vielleicht noch die Ausbeutung der Frauen- und Kinderarbeit bis aufs äußerste er­ laubt ist, vom Inlandmarkte verdrängt werde, wird niemand leugnen wollen. Für derartige Fälle hat sogar ein sozialdemokratischer Reichstagsredner schon im Jahre 1877 die Zustimmung auch seiner Partei, die sonst grundsätzlich auf freihändlerischem Stand­ punkte steht, zur Einführung von Schutzzöllen zugesagt. Auf die Konsequenzen, die sich aus der Inangriffnahme einer durch­ greifenden Sozialreform für die allgemeine Wirtschafts- und speciell die Handelspolitik eines Staates ergeben, kann indessen hier nicht näher eingegangen werden.

V.

Bisher wurde nur die Bedeutung eines eventuellen Verbots der Frauen-Fabrikarbeit für die Industrie, insbesondere für die Unternehmer, ins Auge gefaßt. Es ist jetzt an der Zeit, den Einfluß der Maßregel auf die wirtschaftliche Lage der Arbeiter­ bevölkerung selbst, d. h. auf ihre Einkommensverhältnisse zu würdigen. Wir können da unmittelbar an das im letzten Ab­ schnitt Ausgeführte anknüpfen. Wir haben dort die Verände­ rungen der Löhne, die nach dem Erlaß des Verbots der ehe­ weiblichen Fabrikarbeit voraussichtlich eintreten werden, schon dargelegt. Während aber dort die Bedeutung dieser Lohnver­ änderungen vom Standpunkte des Lohnzahlers, des Unternehmers, aus beurteilt wurde, müssen sie hier unter dem Gesichtswinkel des Lohnempfängers, des Arbeiters, betrachtet werden, gemäß der doppelten Bedeutung, die dem Arbeitslohn in der modernen Volkswirtschaft zukommt: nämlich erstens für den Arbeitgeber ein wichtiger Bestandteil der Produktionskosten und zweitens für den Arbeitnehmer Einkommensquelle und zwar in der Regel ein­ zige Einkommensquelle zu sein.

Von sozialdemokratischer Seite wird, wie sich aus den Ver­ handlungen des Züricher Arbeiterschutzkongresses ergiebt, an­ genommen, daß der Mann der Frauenarbeit bedürfe, um die Familie zu erhalten, und daß demgemäß ein Verbot der Frauen-Fabrikarbeit einen empfindlichen Rückgang des Einkommens der Arbeiter­ familie zur Folge haben werde. Als weitere Folge der Maßregel prophezeit man von dieser Seite, daß der Mann dann gezwungen sein werde, um nur den notdürftigen Unterhalt für seine Angehörigen zu verdienen, seine Kräfte bis aufs äußerste anzuspannen und sich durch Leistung von Überstunden etc. ganz seiner Familie zu ent­ ziehen. „Verbieten Sie die Erwerbsthätigkeit der Frauen, und Sie zwingen Millionen von Männern zu noch härterer Arbeit für den Unterhalt und setzen sie völlig außer Stand, sich um ihre Kinder zu kümmern" — so drückte- sich eine hervorragende sozialdemokratische Kongreßrednerin aus. Schon auf dem Züricher Kongreß selbst wurden dieser pessi­ mistischen Auffassung einige Sätze aus dem MARx’schen Kapital entgegengehalten, die ihrer Wichtigkeit wegen hier ebenfalls im Wortlaut angeführt seien. Der theoretische Begründer des mo­ dernen Sozialismus schreibt über den Einfluß der als Begleit­ erscheinung des Übergangs zur Fabrik auftretenden industriellen Frauen- und Kinderarbeit auf den Stand der Löhne für er­ wachsene männliche Arbeiter folgendes:1 „Der Wert der Arbeits­ kraft [d. h. aus der Terminologie von Marx in die gewöhnliche nationalökonomische Sprache übersetzt: die Lohnhöhe] ist be­ stimmt nicht nur durch die zur Erhaltung des individuellen er­ wachsenen Arbeiters, sondern durch die zur Erhaltung der Arbeiterfamilie nötige Arbeitszeit. Indem die Maschinerie alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft, verteilt sie den Wert der Arbeitskraft des Mannes über seine ganze Familie. Sie entwertet daher seine Arbeitskraft. Der Ankauf der in vier Arbeitskräfte z. B. parzellierten Familie kostet vielleicht mehr als früher der Ankauf der Arbeitskraft des Familienhaupts, aber dafür treten vier Arbeitstage an die Stelle von einem, und ihr Preis fällt im Verhältnis zum Überschuß der Mehrarbeit der Vier über die Mehrarbeit des Einen. Vier müssen nun nicht nur Arbeit, sondern Mehrarbeit für das Kapital liefern, damit 1 Das Kapital, 1. Band, 4. Auflage, Hamburg 1890, S. 359.

eine Familie lebe. So erweitert die Maschinerie von vornherein mit dem menschlichen Exploitationsmaterial, dem eigensten Aus­ beutungsfeld des Kapitals, zugleich den Exploitationsgrad." Falls man diese Sätze gelten läßt, so muß man dann aber auch zugeben, daß im umgekehrten Falle, d. h. wenn die ver­ heiratete Frau gesetzlich gezwungen wird, ihr Angebot vom Arbeitsmarkte zurückzuziehen, eine Erhöhung der Männerlöhne die natürliche Folge sein wird. Dann muß eben der Lohn des erwachsenen männlichen Arbeiters allein wieder ausreichen, die Arbeiterfamilie zu ernähren. Mit demselben Rechte, mit dem die Sozialdemokratie glaubt, daß eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit ohne dauernde Beeinträchtigung der Lohnverhältnisse möglich ist, darf man auch annehmen, daß das Verbot der Frauen Fabrikarbeit zu keiner definitiven Verschlechterung der materiellen Lage der Arbeiterklasse führen wird. Auch aus dem ehernen Lohngesetz Lasalles ergiebt sich, nebenbei bemerkt, dieser Satz als eine selbstverständliche Konsequenz. Wenn Käthe Dunker1 ausruft: „Die Entwicklung beschreibt hier einen verhängnisvollen Kreis; die niederen Löhne der Männer treiben die Frauen zur Erwerbsthätigkeit, und die Teilnahme der Frauen am Erwerbsleben drückt die Löhne der Männer noch mehr herunter. Wie diese Entwicklung enden wird, ist nicht abzusehen; sicher ist nur, daß sie fortschreitet", so ist ihr zu entgegnen, daß diese verhängnisvolle Zirkelbewegung eben nur durch ein Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit zum Stillstand ge­ bracht werden kann. Von dieser einzigen Maßregel, die hier helfen kann, will freilich leider gerade die Partei, welche die Vertretung der Interessen der lohnarbeitenden Klassen auf ihre Fahne ge­ schrieben hat, nichts wissen. Im Einklang hiermit habe ich ja schon vorhin ausgeführt, daß von dem Verbot der Frauen-Fabrikarbeit nicht sowohl die Wirkung einer völligen Gleichstellung der Frauen- mit den Männerlöhnen, als vielmehr die einer allgemeinen Erhöhung der Löhne und zwar insbesondere auch derjenigen für erwachsene männ­ liche Arbeiter zu erwarten ist. Im Laufe der Zeit muß diese Wir1 „Über die Beteiligung des weiblichen Geschlechts an der Erwerbs­ thätigkeit". Hamburg 1899. Verlag der Generalkommission der Gewerk­ schaften Deutschlands, 8. 5.

kung unbedingt eintreten. Auf die Dauer wird also die Lebens­ haltung der arbeitenden Klassen dadurch nicht verschlechtert werden, daß die verheiratete Frau zum Verdienst des Mannes durch Fabrikarbeit nichts mehr beitragen kann. Im Gegenteil wird sich die ökonomische Lage der Arbeiterbevölkerung dadurch heben, daß bei gleichem Einkommen die Frau, deren „freie Arbeit im häuslichen Kreis, innerhalb sittlicher Schranke, für die Familie selbst, die Zwangsarbeit für den Kapitalisten bis dahin ebenfalls ursurpierte“ (Marx), ihre Kräfte nunmehr dem Haushalte und den Kindern widmen kann. Man könnte hiergegen freilich einwenden, daß die Anzahl der Arbeiter, deren Ehefrauen industriell thätig sind, nicht groß genug sei, um aus dem Aufhören der eheweiblichen Fabrikarbeit eine Beeinflußung der Löhne der erwachsenen männlichen Arbeiter hervorgehen zu lassen. Wenn es nur als ganz seltene Ausnahme vorkäme, daß Ehefrauen von Fabrikarbeitern in Fabriken be­ schäftigt werden, dann wäre allerdings kaum zu erwarten, daß die Ausschließung der verheirateten Arbeiterinnen aus der Fabrik eine Steigerung der Löhne für Männer hervorrufen wird. Und es hat in der That zunächst den Anschein, als ob in Deutsch­ land nur ein kleiner Bruchteil der Fabrikarbeiter - Ehefrauen Fabrikarbeit verrichte. Es gab in Deutschland 1895 in der Berufsabteilung Industrie rund 2 240 000 verheiratete männliche Arbeiter, also beträchtlich mehr, als der Zahl der insgesamt in der Industrie damals vorhandenen 140 000 verheirateten Arbeite­ rinnen entspricht. Diese 140 000 brauchen ja ferner nicht sämtlich gerade Ehefrauen von Industrie - Arbeitern zu sein, sondern sie werden sich zu einem erheblichen Teile aus anderen Schichten der Bevölkerung rekrutieren; es werden darunter beispielsweise Frauen von unteren Beamten, Eisenbahnangestellten, kleinen Hand­ werkern, Hausierhändlern etc. sein. Genaueres wissen wir hier­ über leider nicht. Der Fragebogen, welcher in Preußen den für das Jahr 1899 angeordneten Erhebungen über die Beschäftigung verheirateter Arbeiterinnen in Fabriken zu Grunde gelegt ist, enthält zwar eine Frage * nach dem Beruf des Ehemannes, ob diese Erhebung aber zuverlässige Resultate ergeben wird, erscheint mir sehr zweifelhaft. Wenn ich trotzdem glaube annehmen zu dürfen, daß ein Verbot der Frauen-Fabrikarbeit die Männer-Löhne steigern wird,

so stütze ich mich darauf, daß die eheweibliche Fabrikarbeit in der Hauptsache in einigen wenigen Gewerbe-Arten konzentriert ist, und weiter, daß, was noch wichtiger ist, in diesen GewerbeGewerbe-Arten dann allerdings — wie die sorgfältigen Unter­ suchungen Martins lehren, auf die ich mich hier wiederum be­ ziehe — bei bestimmten Arbeiterkategorien in großem Umfange die Gewohnheit besteht, die Ehefrauen in der Fabrik arbeiten zu lassen. Dies geht für das von Martin untersuchte Gebiet schon daraus hervor, daß von 750 Ehemännern der in der Crim­ mitschauer Streichgarn - Industrie beschäftigten verheirateten Arbeiterinnen 411, also rund 55 °/0, als Fabrikarbeiter in dieser Industrie thätig waren. Noch wichtiger für unsere Zwecke sind aber folgende Angaben Martins über das Verhältnis, in dem einzelne Kategorien von Fabrik-Arbeitern ihre Ehefrauen in der Fabrik arbeiten ließen. Von den Stuhl-Arbeitern (Webern) sandten nicht weniger als 167 ihre Ehefrauen in die Fabrik. Da es nach Martin im Crimmitschauer Bezirk nicht mehr als 500 verheiratete Stuhlarbeiter geben dürfte, so ließ also ziemlich genau der dritte Teil der verheirateten männlichen Arbeiter seine Frauen in der Fabrik mitarbeiten. Noch ungünstiger gestaltete sich das Verhältnis bei zwei anderen Arbeiterkategorien: von höchstens 200 verheira­ teten Färberei-Arbeitern schickten nicht weniger als 88 ihre Frauen in die Fabrik und von etwa 100 verheirateten Krempelausputzern liessen 43 ihre Frauen in den Textilfabriken auf Arbeit gehen. In derartigen Fällen wie diesen von Martin angeführten wird die Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik entschieden in der Richtung wirken, daß eine Aufbesserung der Löhne für erwachsene Männer erfolgt. Wenn die Lehre der Nationalökonomie irgendwie zutrifft, daß die gewohnheitsmäßige Lebenshaltung einer Arbeiterklasse, d. h. diejenige Art der Lebenshaltung, die nicht nur die betreffenden Arbeiter selbst, sondern vor allem auch die gebildeten und besitzenden Klassen und speziell die Arbeitgeber als zum standesgemäßen Unterhalt einer Arbeiter­ familie der fraglichen Art notwendig anerkannt haben, ihren durchschnittlichen Lohn bestimmt, und zwar in der Weise bestimmt, daß sie die untere Grenze darstellt, unter die der Lohn nur ausnahmsweise herabsinkt, so folgt auch unweigerlich, daß ein Verbot der Frauen-Fabrikarbeit die Tendenz haben muß, die Männerlöhne zu erhöhen. Im wesentlichen hiermit überein-

stimmend heißt es in dem Jahresbericht der badischen FabrikInspektion für 1899:1 „In den Industriezweigen, in denen mehr oder weniger ausschließlich nur Männer beschäftigt werden, reicht ihr Verdienst jetzt schon in normalen Fällen zur Erhaltung der Familie hin. Dasselbe kann man von Industriezweigen mit starker Frauenarbeit nicht sagen. In diesen Industriezweigen bewirkt daher die Möglichkeit, weibliche Arbeiter in großem Umfange zu be­ schäftigen, in den Arbeiterfamilien die Notwendigkeit, sie auch thatsächlich eintreten zu lassen." Je kleiner allerdings verhältnismäßig die Zahl der Ehefrauen, die an der Fabrikarbeit ihrer Männer teilnehmen, in einem Ge­ werbezweige oder bei einer Arbeiterkategorie*ist, um so geringer ist die Aussicht, daß durch die Ausschließung der verheirateten Frauen aus der Fabrik die Löhne d$r Männer erhöht werden. Hier kommt nun aber ein anderer Gesichtspunkt in Betracht. Martin hat überzeugend nachgewiesen, daß der Umfang, in dem die Ehefrauen einer Arbeitergruppe Beschäftigung in der Fabrik suchen, wesentlich von der Höhe der Männerlöhne abhängt, worauf später noch zurückzukommen sein wird. Es läßt sich nach ihm in dieser Beziehung sogar ganz genau eine Grenze, d. h. eine Lohnstufe, angeben, bei der die Fabrikarbeit der Ehe­ frau aufhört. „Ein Fabrikarbeiter, der 20 oder mehr pro Woche Lohn hat, wird fast niemals seine Frau in die Fabrik gehen lassen." Die vorhin genannten Arbeiterkategorien der Streichgarn-Industrie, bei denen die eheweibliche Fabrikarbeit eine sehr häufige Erscheinung ist, gehören demgemäß auch zu den niedriger entlohnten Arbeitergruppen. Ihre DurchschnittsWochenlöhne bewegen sich sämtlich unter 20 JL Wo der Lohn diese Grenze dagegen erreicht, da tritt die eheweibliche Fabrik­ arbeit sofort in erheblich geringerem Umfange auf, um immer weiter äbzunehmen, je höher das Einkommen der betreffenden Arbeiterklasse ist. Von ca. 200 erwachsenen männlichen Selfaktor­ spinnern, die zum größten Teil verheiratet waren, ließen im Crim­ mitschauer Bezirk nur 25 ihre Ehefrauen in die Fabrik gehen. Und bei den sogenannten Meistern in dieser Industrie, deren Jahreslöhne im Durchschnitt etwa 1650 bis 1700 JH betragen, kommt es überhaupt nur ganz vereinzelt vor, daß die Frau in der 1 S. 85.

Fabrik arbeitet. Diese relativ gut gestellten Arbeiterkategorien werden daher von einem Verbot der Frauen-Fabrikarbeit nur selten betroffen werden, und wenn sie ausnahmsweise betroffen werden, dann sind sie jedenfalls am ehesten in der Lage, eine Lohneinbuße zu ertragen. Man könnte hiernach versucht sein, folgenden allgemeinen Satz aufzustellen, der freilich in der Wirk­ lichkeit durch mancherlei Ausnahmen durchbrochen sein wird: In Bezug auf diö Folgen eines Verbots der Frauen-Fabrikarbeit für die materielle Lage der arbeitenden Klassen sind zwei Fälle zu unterscheiden; da, wo die eheweibliche Fabrikarbeit in doppelter Beziehung stark ins Gewicht fällt — einmal, weil ein relativ großer Teil der Ehefrauen einer Arbeiterkategorie industriell thätig ist; zum andern, weil die Lohneinnahme der Frau im Verhältnis zum Verdienst des Mannes sehr beträchtlich ist und daher einen wesentlichen Bestandteil des Familieneinkommens ausmacht —, da ist auch die Aussicht am größten, daß die Löhne der Männer nach der Ausschließung der Frauen aus der Fabrik eine solche Steigerung erfahren, daß sie allmählich den durch den Wegfall des Zuschußverdienstes der Frau entstandenen Ein­ kommensrückgang auszugleichen im stände sind. Wo dagegen die Ehefrauen nur in so geringem Umfange in der Fabrik arbeiten, daß ihre Ausschließung die Löhne der Männer gar nicht oder nur wenig zu steigern vermag, da ist auch anzunehmen, daß es sich um so gut bezahlte Arbeiter handelt, daß der Lohnverdienst der Frau keine sehr wesentliche Bolle im Haushalt der Arbeiterfamilie spielt, sondern relativ leicht entbehrt werden kann. Ehe das Verbot der Frauen-Fabrikarbeit seine die MännerLöhne erhöhende Wirkung äußert, wird freilich zunächst eine mit mancherlei Schwierigkeiten und Entbehrungen für viele Ar­ beiterfamilien verknüpfte Übergangsperiode überstanden werden müssen. Ökonomische Gestaltungstendenzen setzen sich in der Wirklichkeit nicht gleich Gesetzen der Mechanik unmittelbar und wie mit einem Schlage durch, sondern es bedarf in der Begel einer längeren Frist, bis die notwendigen Wirkungen einer sozial­ politischen oder wirtschaftlichen Maßregel auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens, die von ihr betroffen werden, sich fühlbar machen. In der Übergangszeit werden die Löhne der Männer noch nicht die Höhe haben, um den mit dem Wegfall der Frauen-

Fabrikarbeit verbundenen Verdienstentgang vollständig auszu­ gleichen. Zeitweilig wird also allerdings die Durchführung der Maßregel zu einem Rückgang der Einkommensverhältnisse der von ihr betroffenen Arbeiterfamilien führen. Ich stimme hier ganz dem bei, was Prof. H. Herkner zu diesem Punkte ausgeführt hat. Er sagt1: „Eine erhebliche Vermindung der Frauenarbeit legt der Arbeiterklasse für den Anfang große Opfer im Interesse der Ge­ samtheit auf. Man sollte sich deshalb hüten, den Arbeiterschutz, wie es so häufig geschieht, lediglich aus dem Gesichtspunkte einer Wohl that, welche den Arbeitern erwiesen werde, zu beurteilen. Er ist vielmehr in vielen Beziehungen eine Reform im Interesse der ganzen Nation, eine Reform, deren Lasten in der schwierigen Übergangszeit nicht nur auf die Unternehmer, sondern in noch weit empfindlicherer Weise auf die Arbeiter selbst fallen.“

VI.

Man darf sich die der Arbeiterklasse auferlegten Opfer und Entbehrungen aber auch nicht übertrieben groß vorstellen. So hoch ich die Autorität Wörishoffers schätze, so vermag ich seinen Satz doch nicht zu unterschreiben, daß die Fabrikarbeit ver­ heirateter Frauen schon jetzt gemieden werde, wo sie wirtschaft­ lich nicht nötig sei. An diese merkwürdige Harmonie kann ich nicht glauben. Die Not wird ja gewöhnlich als Ursache der Verbreitung der eheweiblichen Fabrikarbeit angegeben; die bittere Not soll die Ehefrauen in die Fabrik treiben, damit nur die Familie den notwendigsten Lebensunterhalt habe. Dem mag in einer großen Zahl von Fällen auch wirklich so sein, allein ich leugne, daß die eheweibliche Fabrikarbeit in ihrem jetzigen Um­ fange Ausschließlich aus wirklicher Not zu erklären ist. Not ist ja ein durchaus relativer Begriff. Von „Not" als Ursache der eheweib­ lichen Fabrikarbeit sollte man eigentlich nur da sprechen, wo die Löhne der betreffenden Ehemänner so niedrig sind, daß der Lohn­ verdienst der Frau unbedingt erforderlich ist, damit die Familie nur leben kann. Wo die& nicht zutrifft, da hat die eheweibliche Fabrikarbeit ihre Ursache nicht in wirklicher Not, sondern in dem 1 Die Arbeiterfrage, 2. Auflage, Berlin 1897. 8. 158.

an sich durchaus berechtigten Streben, die Lebenshaltung der Familie zu verbessern. Im einzelnen Falle ist es natürlich ungemein schwer festzustellen, ob der eine oder der andere Fall vorliegt. Dazu würde eine ganz genaue Kenntnis der Einkom­ mens- etc. Verhältnisse jeder einzelnen Familie gehören. Ich glaube nun aber, daß bei einem nicht unerheblichen Teil der Fälle, in denen der zu geringe Verdienst des Mannes als Grund der Fabrikthätigkeit der Ehefrau angegeben wird, nicht wirkliche Not, sondern Motive der zweiten Art die Frau zur Fabrikarbeit ver­ anlaßt haben. Dies wird auch durch die Jahresberichte der Sächsischen Gewerbe-Inspektoren für 1899 bestätigt. Ein ganz einheitliches Bild der Ursachen der eheweiblichen Fabrikarbeit läßt sich aus ihnen allerdings nicht gewinnen. Während ein Teil der Inspektoren nach den von ihnen angestellten Er­ hebungen auf dem Standpunkte steht, daß die verheirateten Ar­ beiterinnen entweder sämtlich oder doch ganz überwiegend „wegen zu geringen Verdienstes des Mannes zur Fabrikarbeit genötigt ge­ wesen sind," scheint ein anderer Teil das nur für die verwitweten und geschiedenen Frauen gelten lassen zu wollen, auf die dies ja auch zweifellos zutrifft, bezeichnet im übrigen aber als Gruud der eheweiblichen Fabrikarbeit das Streben, „die wirtschaftlichen Verhältnisse zu verbessern" und eine höhere Lebenshaltung zu er­ zielen. Einige Inspektoren versuchen sogar ziffernmäßig festzu­ stellen, in welchem Umfang die eheweibliche Fabrikarbeit in wirklicher Not, und in welchem Umfang sie nur in dem Begehren, die wirtschaftliche Lage der Familie günstiger zu gestalten, ihre Ursache hat. Die Gewerbe-Inspektion Plauen nimmt dabei nach ihren Erfahrungen als „ziemlich sicher" an, „daß etwa 3/4 der ver­ heirateten Arbeiterinnen hauptsächlich durch zwingende Verhält­ nisse und nur 1/4 aus anderen Gründen die Fabrikbeschäftigung aufsucht". Etwas größer berechnen den auf die letztere Kategorie entfallenden Bruchteil die Gewerbe-Inspektionen Dresden und Chemnitz. Diese Feststellungen können wohl nur den Wert von Schätzungen beanspruchen; eine zuverlässige Statistik hierüber ist der Natur der Sache nach, nämlich eben wegen der Unbestimmt­ heit der Begriffe „Not" und „zwingende Verhältnisse"' gar nicht möglich. Jedenfalls sind wir hiernach aber berechtigt zu sagen, daß in einer großen Zahl von Fällen, in denen sich die Frau

neben dem Manne der Fabrikarbeit hingiebt, die Löhne der Männer allein schon über das zur Erhaltung der Familie notwendige Existenzminimum hinausgehen.1 Es handelt sich da nicht um Löhne, die, wie man in England sagt, gerade hin­ reichen, „um Leib und Seele zusammenzuhalten “; der Lohn der Frau stellt vielmehr häufig nur einen erwünschten Zuschuß­ verdienst zu dem Einkommen des Mannes dar, einen Zuschuß­ verdienst, der es der Familie ermöglicht, ihre Konsumtion etwas weiter auszudehnen und sich gewisse kleine Annehmlichkeiten zu verschaffen, auf die sie sonst verzichten müßte, ohne doch gerade Mangel an den zum Leben unentbehrlichen Gütern leiden zu müssen. Ich kann es mir nicht versagen, die hiermit ganz übereinstimmenden interessanten Beobachtungen, die Martin bei seinen Untersuchungen über den gleichen Gegenstand gemacht hat, in extenso anzuführen; er sagt2: „Es ist ein großer und häufiger Irrtum, wenn man meint, die Fabrikarbeit verheirateter Frauen entspringe regelmäßig oder auch nur meistens dem Be­ dürfnisse nach Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes der Familie. Wäre dem so, so würde die Fabrikarbeit verheirateter Frauen da am häufigsten zu finden sein, wo die Löhne am niedrigsten sind, und umgekehrt würden in Gegenden, wo die Löhne hoch sind, die verheirateten Frauen nicht zu finden sein. In Wirklichkeit trifft aber so ziemlich das Gegenteil zu. Die verheirateten Frauen suchen eben sehr häufig die Fabrik nur auf, um ihre und ihrer Familie Anstands- oder auch Luxus­ bedürfnisse zu befriedigen. Sie arbeiten leider sehr vielfach aus keinem anderen Grunde in der Fabrik, als um sich besser zu kleiden, um die Wohnung eleganter einzurichten, um Ersparnisse für das Alter zu machen, oder mit ihrem Manne und ihren Kindern sich Vergnügungen oder Ausflüge an Feiertagen gönnen zu können. Sicher sind diese Motive an sich keine verwerflichen, sondern hochachtbare. Aber über diesem Bestreben nach ver­ mehrter Befriedigung der Anstands- und Luxusbedürfnisse ver1 Einzelne konkrete Fälle aus dem Eheleben der Arbeiter, bei denen die Frau noch lange nicht unter dem Vorwalten besonders drückender wirt­ schaftlicher Verhältnisse der Fabrikthätigkeit nachgeht, werden z. B. aus dem Gewerbe-Inspektionsbezirk Leipzig angeführt. Jahresberichte der König­ lich Sächsischen Gewerbe-Inspektoren für 1899. S. 216. 2 A. a. 0. 8. 384, 385.

säumen diese Frauen in leider sehr ausgedehntem Maße die höchsten Pflichten, welche sie überhaupt haben, die Mutterpflichten gegen ihre neugeborenen Finder." Martin unterscheidet mit Bezug hierauf, gestützt auf ähn­ liche Wahrnehmungen, welche der verdienstvolle badische Fabrik­ inspektor Oberregierungsrat Wörishoffer in Mannheim gemacht hat, sogar direkt zwischen einer wahren und einer falschen Arbeiter-Aristokratie — einer wahren, welche ihre Ehefrauen nicht in die Fabrik sendet, auch wenn der Lohn gerade nur zum Aus­ kommen reicht, und einer falschen, welche die Ehefrauen in die Fabrik schickt, um sich durch ihr höheres Einkommen aus der Masse der gewöhnlichen Arbeiter etwas herauszuheben. Ich brauche nun wohl nicht erst ausdrücklich zu versichern, daß ich an sich jedem Arbeiter von Herzen einen möglichst hohen Lohn gönne, einen Lohn, der ihm gestattet, nicht nur ge­ rade das zum Leben unbedingt Notwendige sich zu beschaffen, sondern auch die über der bloßen Lebensfristung liegenden höheren Bedürfnisse, die sogenannten Anstands- und Luxus­ bedürfnisse zu befriedigen. Allein darum handelt es sich hier nicht, sondern die Frage muß folgendermaßen gestellt werden: Was ist notwendiger und wichtiger für die Arbeiterfamilie und damit auch für die ganze Nation; daß die Arbeiterfrau durch den Bei­ trag, den sie durch ihre Fabrikarbeit zu dem Einkommen des Mannes liefert, der Familie die Möglichkeit gewährt, etwas besser leben und sich auch einige kleine — an sich für jede Arbeiter­ familie erwünschte — Bequemlichkeiten und Vergnügungen er­ lauben zu können, oder daß die Arbeiterfrau zu einer vollkom­ meneren Erfüllung ihrer Hausfrauen- und Mutterpflichten in den Stand gesetzt wird? Ich glaube, die Antwort hierauf kann nicht zweifelhaft sein. Die Einkommenserhöhung, welche die Mitarbeit der Frau bewirkt, wird unverhältnismäßig teuer erkauft. Der materielle Nutzen der Erwerbsthätigkeit der Frau, die Vorteile der dadurch ermöglichten etwas besseren Lebenshaltung, halten mit den idealen Werten, welche durch die Entführung der Frau aus dem Hause verloren gehen, oder richtiger, an deren Produktion die Frau durch die Fabrikarbeit, die sie zur Vernach­ lässigung ihrer häuslichen und mütterlichen Pflichten zwingt, gehindert wird, keinen Vergleich aus, wie später noch näher dar­ zulegen sein wird.

Wenn die Ehefrau gezwungen wird, auf die Fabrikarbeit zu verzichten und sich den Aufgaben, die ihrer in ihrem Haus­ wesen warten, mehr zu widmen, so braucht dies übrigens auch rein wirtschaftlich für die Arbeiterfamilie keineswegs einen Ver­ lust zu bedeuten, der der Größe des bisher von der Frau in der Fabrik erzielten Verdienstes ganz entspräche. Ich will dabei ganz davon absehen, daß ein Verbot der eheweiblichen Fabrik­ arbeit den Ehefrauen ja durchaus noch nicht alle Erwerbsquellen verschließt. Stellten doch im Jahre 1895 die Fabrikarbeite­ rinnen von der Gesamtheit der im deutschen Reiche erwerbs­ tätigen Frauen nur etwa ein 1/7 bis 1/6 dar. Wir hatten 1895 im ganzen 4 843 152 erwerbstätige Personen weiblichen Geschlechts im Alter von 16 Jahren und darüber (ausschließlich der dienenden), davon waren aber nachrden Berichten der Fabrik­ inspektoren nur 664116 Fabrikarbeiterinnen. Ein Verbot der Frauen-Fabrikarbeit nimmt der verheirateten Arbeiterin also zu­ nächst noch nicht jede Erwerbsmöglichkeit; sie kann in der Landwirtschaft oder in der Hausindustrie oder auch im Handel Beschäftigung suchen, oder sie kann Aufwartungen übernehmen, als Kochfrau oder Pflegerin gehen etc. Hiervon aber abgesehen meine ich, daß, auch wenn eine Frau nach dem Verbot der Frauen-Fabrikarbeit sich lediglich auf ihre häusliche Thätigkeit beschränkt, hierdurch nicht bloß ein wirtschaftlicher Verlust entsteht, sondern daß diesem Verlust­ posten auf der anderen Seite auch Gewinnposten gegenüberstehen. Die Frau wird nunmehr ihre Kräfte ungeteilt dem Haushalt widmen, sie wird daher jetzt eher als früher in der Lage sein, ihn wirtschaftlich zweckmäßig einzurichten, kleine Vorteile, die sie ehemals nicht so wahrnehmen konnte, genau auszunützen, und durch ihre erhaltende und ausbessernde Thätigkeit manche Aus­ gabe ganz zu ersparen u. s. f. Diese auf der „Kreditseite" stehenden Posten darf man nicht vergessen, wenn man eine Bilanz über den Einfluß des Verbots der Frauen-Fabrikarbeit auf die mate­ rielle Lage der Arbeiterbevölkerung aufstellen will.

VII. Schließlich darf noch ein anderer Gesichtspunkt hier nicht uner­ wähnt bleiben. Wie mir verschiedene Ärzte, die das Familienleben

und die Wirtschaftsführung der Arbeiterbevölkerung zu beobachten Gelegenheit hatten, versichert haben — in den Jahresberichten der Gewerbe-Inspektionen Leipzig, Plauen i. V. und Meißen für 1899 wird übrigens auf die gleiche Erscheinung hingewiesen, die in der sozialdemokratischen Presse dagegen gewöhnlich mit dem Mantel der Nächstenliebe zugedeckt wird —, ist es in Arbeiterkreisen keine seltene Erscheinung, daß der Mann von seinem Einkommen der Frau nur einen relativ geringen Teil zur Bestreitung der Kosten des Haushalts giebt, einen relativ großen Teil aber für sich selbst, zur Befriedigung seiner rein persönlichen Bedürfnisse zurückbehält. Wenn z. B. ein Schriftsetzer mit einem Wochenlohn von 35 Jt seiner Frau nur 20 JL abgiebt, die von dieser Summe alle Kosten des Hausstandes: Wohnung, Kleidung, Heizung, Ernährung u. s. w. decken soll, während er für seinen persönlichen Bedarf, d. h. ins Praktische übersetzt, für Bier, Zigarren nnd Vergnügungen 15 Mark zurückbehält, so ist das entschieden ein Mißverhältnis. Es soll sogar vorkommen, daß der Ehemann der Frau so gut wie kein Wirtschaftsgeld giebt, obwohl er ein ganz leidliches Ein­ kommen bezieht, sondern von den Ausgaben des gemeinsamen Hausstandes nur die Miete bezahlt, sodaß die Frau es ist, welche von ihrem Verdienst die Familie ernähren muß. In solchen Fällen würde ein Verbot der Frauen-Fabrikarbeit, falls der Ehemann noch die nötige Energie besitzt, um der süßen Gewohnheit des Aufenthalts in Kneipen und Wirtshäusern ent­ sagen zu können, nur dazu führen, daß der Mann nicht mehr so wie bisher seinem Egoismus fröhnen könnte, sondern einen größeren Teil seines Einkommens, als es ehedem der Fall war, an die Frau abgeben müßte. Die „Entbehrungen", die der Arbeiterklasse durch das Verbot der eheweiblichen Fabrik­ arbeit auferlegt werden, brauchen in einem solchen Falle in weiter nichts als in einer Einschränkung des persönlichen Konsums des Ehemannes an Bier, Branntwein, Tabak u. s. w. zu bestehen, die Ernährung der Familie kann an sich aber die gleiche bleiben wie früher. Der Egoismus in dem eben dargelegten Sinne,, der sich an einer Reihe von Ehemännern der Arbeiterklasse beobachten laßt, hat seine Wurzel vor allem wohl darin, daß der Arbeiter in der heutigen Wirtschaftsordnung das ihm überhaupt erreichbare Lohn­ maximum gewöhnlich schon in relativ jungen Jahren erreicht, in

Jahren, in denen er normalerweise noch nicht verheiratet ist. Er ist dadurch in den Stand gesetzt, verhältnismäßig viel für Genuß­ mittel und Vergnügungen ausgeben zu können, und hat er sich diese Bedürfnisse erst einmal angewöhnt, so giebt er sie so leicht nicht wieder auf. Insbesondere sucht er, wenn er heiratet, seine bisherigen Lebensgewohnheiten und den bisherigen Umfang seines persönlichen Verbrauchs beizubehalten, und die Möglichkeit hierzu eröffnet sich ihm dadurch, daß er die Frau mitverdienen und sie einen unverhältnismäßig großen Teil der Kosten des Hausstandes tragen läßt. Diesem egoistischen Gebühren durch Weitergestattung der ehe weiblichen Fabrikarbeit Vorschub zu leisten, hat die Sozialpolitik keinen Grund.. Was für ein Heim und was für ein Familienleben vermag eine Frau, die selbst den größten Teil des Tages genau so wie der Mann auf Fabrikarbeit abwesencs ist, ihrem Manne freilich auch zu bieten! Man kann es dem Manne unter solchen Um­ ständen nicht verargen, wenn er seine Erholung nicht in seiner Wohnung, in der es an Ordnung und Sauberkeit fehlt, sondern außer dem Hause sucht! Wie nicht der Umstand, daß der Lohn verdienst der Frau zum Familienunterhalt unbedingt mit erfordert wird, es ist, der die Frau in die Fabrik treibt, sondern das — wie ich immer wiederhole, an sich ganz berechtigte — Streben nach einer ver­ besserten Lebenshaltung, nach der Befriedigung auch der weniger dringlichen Bedürfnisse, dafür schließlich noch zwei interessante Beobachtungen aus den Untersuchungen Martins. Martin deutet an verschiedenen Stellen an, daß gerade die relative Höhe der Löhne, welche die verheirateten Arbeiterinnen verdienen können, sie in die Fabrik lockt. „Der größte Teil der nicht zur Textil­ industrie gehörigen Ehemänner wird ohne Zweifel gerade durch die verhältnismäßig hohen, in der mechanischen Textilindustrie gezahlten Löhne dazu verführt, ihre Ehefrauen dorthin zu senden. Wäre diese Arbeitsgelegenheit für ihre Ehefrauen nicht vorhanden, so würden sie sich eben mit einem geringeren Familien-Gesamteinkommen begnügen müssen.“ Das heißt also mit anderen Worten: Um eines Wochenlohnes von beispielsweise etwa 4 oder 5 Mark willen läßt der Arbeiter seine Frau noch nicht in die Fabrik gehen, da weiß er zu gut, daß die wirtschaftliche Thätig­ keit der Frau im Hause ihm sicher ebenso viel wert ist. Bei Pohle, Frauen-Fabrikarbeit

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einem Wochenlohn von 7—10 Mark und darüber erliegt er dann aber der Versuchung, das Familieneinkommen auf Kosten der Ordnung im Haushalt sowie der Pflege und Erziehung der Kinder zu steigern. Der badische Fabrikinspektor spricht mit Bezug hierauf sogar von einem „Rechenexempel“, bei dem man dazu kommt, „daß die Frau in der Fabrik arbeitet und sich ein gering bezahltes Dienstmädchen hält, weil dabei noch ein Nutzen von vielleicht 100 Mark jährlich herausgerechnet wird." Noch beweiskräftiger für unsere These ist folgende wichtige Thatsache. Nach den Beobachtungen Martins hatten von 100 ver­ heirateten Fabrikarbeiterinnen 41,5 keine iKinder unter 12 Jahren, 12 30,3 hatten 1 Kind 2 Kinder 12 16,2 12 7,2 3 „ 12 2,5 4 „ 12 0,6 5 „ 12 0,3 6 „

Ganz die gleiche Beobachtung hat auch die Gewerbe-Inspektion Zittau gemacht. Nach den Ermittlungen der letzteren hatten von den 4449 verheirateten Fabrikarbeiterinnen, hinsichtlich deren sie über diesen Punkt Auskunft erhielt, im Ganzen keine Kinder bis zum 14. Lebensjahre • „ je 1 Kind » 14. „ 2® Kinder „ 14. „ 14. ,, 2 ,, „ 14. „ 4 „ „ 14. ' „ 14. » b ,, „ 14. n

1971 1277 699 301 136 39 15 11

nach Abzug der Verwitweten und Geschiedenen 1500 1139 654 280 118 35 12 8

Entgegen der gewöhnlichen Annahme, daß die Frauen um so mehr zur Fabrikarbeit gezwungen sind, je größer die Nach­ kommenschaft ist, liegt die Sache also vielmehr so: Je weniger Kinder die Ehefrauen der arbeitenden Klassen besitzen, umso leichter gehen sie in die Fabrik. Je mehr Kinder sie dagegen zu besorgen haben, umso mehr bleiben sie zu Hause. Wäre der Lohn der Frau zur Bestreitung des Familienunterhaltes unbedingt notwendig, so wäre dies natürlich aber unmöglich; dann würde die Arbeiterfrau im Gegenteil, je größer die Anzahl ihrer Kinder

wird, umso mehr auch gezwungen sein, durch ihre Arbeit den Ver­ dienst des. Mannes auf die zur Lebensfristung unentbehrliche Stufe zu bringen. Aus alledem ergiebt sich, daß die Opfer und Entbehrungen, welche der Arbeiterklasse durch ein Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit in dem früher bezeichneten Umfange auferlegt werden würden, durchaus nicht unerschwinglich sind und nicht zu be­ sonderen Bedenken Anlaß geben. Und würde das Verbot in der Weise durchgeführt, daß nur die Neu-Einstellung verheirateter Frauen untersagt, den bisher schon beschäftigten Frauen für ihre Person aber gestattet würde, ihre Thätigkeit noch solange fort­ zusetzen, als ihnen beliebt, so könnte von einem wirklichen „Opfer" überhaupt nicht mehr die Rede sein. Denn dann brauchte keine einzige Arbeiterfamilie auf etwas zu verzichten, was sie bis dahin besessen hätte; sondern nur für die Arbeiterklasse als Ganzes betrachtet ergäbe sich ein lucrum cessans — aber auch nur scheinbar; denn durch die lohnsteigernde Wirkung des Verbotes würde der entgangene Gewinn bald ausgeglichen werden. Die Entbehrungen, welche das Verbot für einzelne Familien eventuell im Gefolge hat, können weiter noch dadurch auf ein Minimum reduziert werden, daß man eine Ausnahme zu gunsten derjenigen verheirateten Arbeiterinnen macht, deren Männer nicht voll erwerbsfähig sind. Eine Einschränkung des Verbotes nach dieser Richtung hin ist ja von uns von Anfang an als notwendig bezeichnet worden. Die Grenze könnte hierbei etwa so gezogen werden, daß als „nicht voll erwerbsfähig" diejenigen Männer gelten, die nicht imstande sind, den an dem betreffenden Orte üblichen Tagelohn für ungelernte erwachsene männliche Arbeiter zu ver­ dienen. Wie der Nachweis hierüber zu erbringen wäre, das müßte selbstverständlich ganz genau im einzelnen geregelt werden, und zwar am Besten wohl im Anschluß an die Einrichtungen der Arbeiterversicherung. Dann wäre für die Fälle, in denen die Fabrikarbeit der Ehefrau durch wirkliche Not veranlaßt ist, hin­ reichend gesorgt, und nur die Fälle würden von dem Verbot be­ troffen werden, in denen die Fabrikarbeit der Ehefrau nur dazu dient, um der Arbeiterfamilie bezw. speziell dem Familienoberhaupte unter Vernachlässigung wichtigerer Aufgaben die Befriedigung ge­ wisser, nicht unbedingt notwendiger Luxusbedürfnisse zu er­ möglichen.

VIII.

Zur Erleichterung der Durchführung des Verbots der ehe­ weiblichen Fabrikarbeit hat man den interessanten Vorschlag ge­ macht, nicht sofort mit der völligen Ausschließung der vorhin bezeichneten Kategorien von Ehefrauen aus der Fabrik zu beginnen, sondern zunächst als Übergangsmaßregel ein Halbzeitsystem für verheiratete Arbeiterinnen einzuführen. Beispielsweise könnte man die Bestimmung so treffen, daß verheiratete Arbeiterinnen nur die Hälfte der Zeit beschäftigt werden dürfen, welche erwachsene weibliche Arbeiter im allgemeinen thätig sein dürfen; oder man dehnt die Vorschrift des § 135, Abs. 2 der Gewerbe-Ordnung ein­ fach auch auf Ehefrauen aus, sodaß diese gleich Kindern unter 13 bezw. 14 Jahren nur 6 Stunden täglich beschäftigt werden dürfen. Der Vorschlag der Einführung eines solchen Halbzeitsystems ist in der wissenschaftlichen Litteratur wohl zuerst von Professor Herkner1 gemacht worden, während ihn in der gesetzgeberischen Praxis zuerst die Centrumspartei vertreten hat. Man erreicht auf diese Weise, daß die Mütter unter allen Umständen wenigstens einen halben Tag zu Hause bleiben; sie gehen nur noch entweder Vor­ mittags oder Nachmittags zur Fabrik und können die übrige Zeit der Besorgung ihres Hauswesens und der Wartung und Er­ ziehung ihrer Kinder widmen. Die Vorzüge dieses Vorschlags lassen sich nicht verkennen. Er dürfte aber in vielen Fällen Wirkungen haben, an die seine Befürworter nicht gedacht haben, und ich glaube daher, daß der Erlaß eines völligen Verbotes der eheweiblichen Fabrikarbeit der Einführung eines solchen Halbzöitsystems vorzuziehen ist. Ein Halbzeitsystem für verheiratete Arbeiterinnen wird nämlich einerseits vielfach gleich zur völligen Ausschließung der verheirateten Frauen aus der Fabrik führen, andererseits wird es voraussichtlich häufig eine Zunahme der eheweiblichen Fabrik­ arbeit bewirken. Wie geht das zu, daß dieselbe Maßregel so ganz entgegengesetzte und scheinbar einander völlig ausschließende Folgen haben soll? Die Lösung des Rätsels ist sehr einfach. Es kommt dabei einmal auf die besondere Natur der verschiedenen Fabrikationszweige — ob nämlich die einzelnen Arbeitsverrich1 Herkner, Die Arbeiterfrage, 2. Aufl., 8. 158.

tungen bei ihnen in einem solchen inneren Zusammenhänge stehen, daß das Ausscheiden einzelner Glieder eine Störung dieses Zu­ sammenhangs zur Folge haben würde —, sodann aber auch auf die Motive an, welche die Ehefrauen zum Aufsuchen der Fabrikarbeit veranlaßt haben. Eine Abnahme der eheweiblichen Fabrikarbeit wird die Ein­ führung des Halbzeitsystems da zur Folge haben, wo die Frauen nur infolge der Höhe des Verdienstes, der ihnen in der Fabrik winkte, sich der Fabrikarbeit zuwandten. Können sie nicht mehr 8—12, sondern nur 4 — 6 M. wöchentlich in der Fabrik verdienen, dann fällt für diese Frauen der Anlaß weg, noch weiter in die Fabrik zu gehen, wie die Beobachtungen Martins lehren. Zu dem gleichen Ergebnis führq> ganz andere Erwägungen auf Seiten der Unternehmer. Die Unbequemlichkeiten, welche dem Halbzeitsystem anhaften, indem bei diesem Nachmittags bezw. Vormittags eine andere Arbeiterin an die Stelle der verhei­ rateten Frau, die täglich im Maximum bloß 6 Stunden arbei­ ten darf, treten muß, werden die Unternehmer in einer Reihe von Produktionszweigen veranlassen, auf die ehe weibliche Arbeit ganz zu verzichten, die dadurch für sie (durch die VersicherungsBeiträge etc.) auch relativ teurer wird. Ebenso haben ja wegen der besonderen Vorschriften, welche jetzt für die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter gelten, viele Fabriken es vorgezogen, die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter ganz einzustellen. Das sind die Momente, welche bei der Einführung des Halb­ zeitsystems darauf hinwirken werden, die ehe weibliche Fabrik­ arbeit gleich gänzlich zu beseitigen. Viel stärker werden indessen andere Umstände sein, welche auf eine Zunahme der Zahl der verheirateten Arbeiterinnen hinarbeiten. Diejenigen Unterneh­ mungen, in denen die Betriebsverhältnisse die Durchführung des Halbzeitsystems ohne besondere Unbequemlichkeiten gestatten, werden sofort eine starke Nachfrage nach verheirateten Arbeite­ rinnen entwickeln. Denn den Platz, den in der Vormittagsschicht eine verheiratete Arbeiterin inne hatte, wird im allgemeinen in der Nachmittagsschicht auch wieder nur eine verheiratete Ar­ beiterin anzunehmen bereit sein. Das Streben der unverheirateten Arbeiterinnen dagegen wird im allgemeinen mit Recht dahin gehen, den ganzen Tag über vollbeschäftigt zu sein. Die Ein-

führung des Halbzeitsystems für verheiratete Fabrikarbeiterinnen hat somit die Tendenz, die Zahl der in Fabriken beschäftigten Frauen zu vermehren, nämlich insoweit, als nicht Kinder unser 14 Jahren, die ebenfalls nach dem Gesetz nur höchstens 6 Stunden täglich beschäftigt werden dürfen, in der Lage sind, in Schicht­ wechsel mit den verheirateten Arbeiterinnen zu treten, was aber wohl nur selten der Fall sein wird. Der ganze Effekt der Maßregel würde also schließlich vielleicht der sein, daß an die Stelle von 150 000 Frauen, die höchstens 11 Stunden täglich arbeiten, 300 000 treten, die nur bis 6 Stunden täglich arbeiten. Ob der letztere Fall wirklich sozialpolitisch das kleinere Übel bedeutet, getraue ich mich nicht so ohne weiteres zu ent­ scheiden. Die Wünsche der Unternehmer nach vermehrter Einstellung von verheirateten Arbeiterinnen werden dabei mit den Neigungen und Bedürfnissen der Arbeiterfrauen selbst Zusammentreffen. Durch die Einführung des Halbzeitsystems wird nämlich, um mich der im Jahresbericht der badischen Fabrikinspektion für 1899 gebrauchten Worte zu bedienen, „vielen verheirateten Frauen, welche bei dem Zwange, eine 11 stündige oder doch eine lO1^stündige Arbeitszeit einzuhalten, vor die Wahl gestellt wären, entweder auf die Nutzbarmachung ihrer verfügbaren Arbeitszeit zu verzichten, oder ihr Hauswesen verkommen zu lassen, ermög­ licht, in der Fabrik zu arbeiten". Wie die Verkürzung der Ar­ beitszeit unter das Maß von lO1^ oder. 11 Stunden sofort die an­ ziehende Kraft der Fabrikarbeit auf die verheirateten Frauen ver­ mehrt, geht deutlich aus den in Baden gemachten Beobachtungen hervor, über welche die badische Fabrikinspektion in ihrem Jahres­ berichte für 1899 berichtet. Es heißt da:1 „Die auf Landorten be­ findlichen Cigarrenfabriken haben sich dadurch die Arbeit der ver­ heirateten Frauen im weitesten Umfange gesichert, daß sie denselben eine bestimmte Arbeitszeit überhaupt nicht vorschreiben, sondern daß sie Kommen und Gehen ganz in ihr Belieben stellen. Ihre Arbeitszeit ist daher ganz verschieden. Sie schwankt zwischen 6 und lO1^ Stunden. Die Fabrikanten haben diese Einrichtung zwar getroffen, um sich eine möglichst große Zahl von Arbeitskräften zu sichern. Es ist hierdurch aber auch vielen verheirateten Frauen, 1 8. 86.

welche bei dem Zwange, eine 11 stündige oder doch eine 10^stün­ dige Arbeitszeit einzuhalten, vor die Wahl gestellt wären, entweder auf die Nutzbarmachung ihrer verfügbaren Arbeitszeit zu verzichten oder ihr Hauswesen verkommen zu lassen, ermöglicht, in der Fabrik zu arbeiten. Die Zahl der verheirateten Frauen ist daher in diesem Industriezweige am größten, nämlich 34 °/0 sämtlicher über 16 Jahre alten Arbeiterinnen. Diese ausnahmsweise Behandlung der Arbeitszeit ist in diesem Industriezweige und in einigen anderen unbedeutenden Beschäftigungen nur möglich, weil jeder für sich arbeitet. Für den Arbeitgeber ergiebt sich hieraus keine Störung des Betriebes, sondern nur eine nicht volle Ausnützung sämtlicher Arbeitsplätze während des ganzen Tages.“ Eine derartige Einrichtung ist natürlich nur da möglich, wo die einzelnen Arbeitsverrichtungen nieht in einem inneren Zu­ sammenhänge stehen, nicht wie die Glieder einer Kette in ein­ ander greifen; in allen mechanisch betriebenen Anlagen wird sie also im allgemeinen nicht durchführbar sein. Ein Halbzeitsystem für verheiratete Arbeiterinnen würde sich dagegen wohl auch in den meisten mechanischen Betrieben durchführen lassen. Und die nötige Zahl von Arbeitskräften würde dafür voraussichtlich sofort vorhanden sein, da eben die Zahl der Ehefrauen, welche auf 6 Stunden aus ihrem Hauswesen abkömmlich sind, naturgemäß viel größer ist als die Zahl der Frauen, welche eine lO1^- bis 11 stündige Fabrikarbeit mit gutem oder eigentlich mit schlechtem Gewissen auf sich nehmen können. Wird ein Halbzeitsystem für verheiratete Arbeiterinnen ein­ geführt, so muß es selbstverständlich ein obligatorisches sein. Eine Nachahmung des in § 137, Abs. 4 der Gewerbe-Ordnung gewählten Vorgehens würde dagegen an den bestehenden Zuständen nicht viel ändern. An der angezogenen Stelle heißt es bekannt­ lich: „Arbeiterinnen über 16 Jahre, welche ein Hauswesen zu besorgen haben, sind auf ihren Antrag eine halbe Stunde vor der Mittagspause zu entlassen, sofern diese nicht mindestens ein und eine halbe Stunde beträgt.“ Wollte man etwa das Halbzeit­ system für verheiratete Arbeiterinnen auch zu einer derartigen „Arbeiterschutzmaßregel auf Antrag“ machen, so würde man die gleiche Erfahrung machen, die man mit dem § 137, Abs. 4 in der Praxis gemacht hat. Die Berichte der Gewerbe-Inspektoren wissen regelmäßig jedes Jahr von Fällen zu erzählen, in denen

Unternehmer Arbeiterinnen, die den Antrag gestellt hatten, sie zur Besorgung ihres Hauswesens eine halbe Stunde vor der Mittagspause zu entlassen, nicht bloß für diese halbe Stunde, sondern gleich ganz entlassen haben. Die Arbeiterinnen wissen dies auch selbst ganz genau und sehen daher von der Stellung solcher Anträge ab, durch die sie fürchten müssen, ihre Stelle ganz zu verlieren. Alle derartigen fakultativen Arbeiterschutzvor­ schriften können es nie zu großer Wirksamkeit bringen, sie führen in der Hauptsache nur auf dem Papiere ihr Dasein und geben den Schein für die Wirklichkeit. Graf Posadowsky hat zwar kürzlich im Reichstage erklärt, die Bedeutung solcher Vorschriften beruhe darauf, daß sie Anstandsregeln aufstellten, von denen man erwarten könne, daß wenigstens alle anständigen Unternehmer sich ihnen fügen würden, allein dieser Trost erscheint recht schwach. Der Druck der Konkurrenz und das schlechte Beispiel der anderen Unternehmer verdirbt nur zu leicht die guten Sitten der anständigen Unternehmer. Vom Standpunkte der Unternehmer-Interessen aus würde es allerdings das Ideal der Sozialpolitik sein, wenn alle Arbeiter­ schutzbestimmungen nur fakultative Geltung hätten, wenn sie den Arbeitern nur auf Antrag bewilligt zu werden brauchten. Darum kann man aus Unternehmerkreisen auch öfter Wünsche hören, den Arbeiterschutz zu einer fakultativen Einrichtung umzugestalten. Besonders ist mir dieses Bestreben in Bezug auf die Vorschrift in § 137 Abs. 1 der Gewerbe-Ordnung entgegengetreten, daß Arbeite­ rinnen am Sonnabend sowie an Vorabenden der Festtage nicht nach 51/2 Uhr Nachmittags beschäftigt werden dürfen. Würde diese Vorschrift nach dem Vorbilde derjenigen in Abs. 4 des gleichen Paragraphen ebenfalls zu einer Schutzmaßregel auf Antrag de­ gradiert, so würde sie im selben Augenblicke alle Bedeutung ver­ lieren, indem alle die Arbeiterinnen, die Ansprüche nach dieser Richtung geltend machen wollten, einfach ihre Entlassung zu gewärtigen hätten. Es ist übrigens sehr bezeichnend, daß die beiden einzigen Bestimmungen unserer Gewerbe-Ordnung, in denen sich eine gewisse Rücksichtnahme auf die Pflichten der Arbeiterin als Hausfrau ausspricht, von den Unternehmern entweder möglichst ignoriert oder doch wenigstens als besonders störend empfunden werden. Es zeigt dies klar und deutlich, wie schwer die Bedürf­ nisse des industriellen Betriebs mit den Anforderungen, welche die

Besorgung des Hauswesens und die Erfüllung der Mutterpflichten an die Arbeiterfrau stellen, zu vereinigen sind. Die verheiratete Frau fügt sich nur dann ohne Schwierigkeiten in den Fabrik­ betrieb ein, wenn sie ihr Hauswesen und ihre Kinder vernach­ lässigt; sowie sie auch nur einigermaßen in der Lage sein soll, sich um Haus und Familie zu kümmern, verursacht sie Störungen in der Ordnung des Fabrikbetriebs. So hat sich z. B. der Fabri­ kanten-Verein zu Großenhain, wie der Gewerbe-Inspektor für Meißen berichtet, dahin geäußert, die Beschäftigung von Frauen, welche in der Fabrik das Nähren ihrer Kinder zu besorgen ge­ dächten, könne als „Unordnung“ nicht geduldet werden. Die verheiratete Frau paßt eben nicht in die Organisation der Fabrik! IX.

Die beiden Haupteinwände, die sich gegen das Verbot der ehe weiblichen Fabrikarbeit erheben lassen, wären damit erledigt. Die Besprechung der vier sonst noch von sozialdemokratischer Seite ins Treffen geführten Argumente wird sich sehr schnell ab­ machen lassen. Zunächst einige Worte über die Behauptung, daß die ausschließliche Verweisung der Frau auf die häuslichen Arbeiten und Aufgaben „eine Vergeudung produktiver Kräfte im großen Wirtschaftsorganismus“1 sei, die Teilnahme der verhei­ rateten Frauen an der öffentlichen Produktion dagegen das ge­ sellschaftliche Gesamtprodukt erhöhe, bezw. die gesellschaftliche Arbeitszeit vermindere. Demgemäß soll auch in dem BEBELschen Zukunftsstaat die Frau ebenso wie der Mann ein „produktiv nütz­ liches" Glied der Gesellschaft werden; sie soll, genau wie der Mann, ihre Pflichten erfüllen und ihre Rechte beanspruchen. Insbesondere wird nach Bebel im Zukunftsstaat auch für alle arbeitsfähigen Frauen die Verpflichtung bestehen, das Maß von Arbeit für die Gesellschaft zu leisten, das zur Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse notwendig ist. Während es jetzt doch immer noch die Ausnahme bildet, daß die verheiratete Frau einem Berufe außer dem Hause nachgeht, soll dies in der sozia­ listischen Gesellschaft die Regel werden. Uber die Zustände im Zu1 Diese Auffassung vertritt Schönfeldt in einem Aufsatze in der „Neuen Zeit“, 17. Jahrg. 1. Bd. S. 372.

kunftsstaat will ich mir kein Urteil erlauben, für die Gegenwart aber behaupte ich: die Steigerung des Gesamtprodukts der Nation, welche aus der Fabrikarbeit der verheirateten Frauen resultiert, ist keine ausreichende Kompensation für den in der Unterlassung der häuslichen Pflichten liegenden Schaden. Die zum großen Teile „immateriellen Werte“, welche die Frau in der Familie schafft, sind, wie Bücher mit Recht hervorgehoben hat, für die Nation weit kost­ barer als eine noch so große Steigerung der Güterproduktion. Das eine läßt sich überhaupt mit dem anderen nicht vergleichen. Das gilt aber nicht bloß für die Nation als Ganzes; auch für viele Familien ist, wie die Gewerbe-Inspektion Plauen LV.1 aus ihrer Kenntnis der Praxis heraus bemerkt, „der durch die Arbeit der Frau und Mutter vermehrte Verdienst nicht immer ein Segen, mindestens aber wird er von vielen Arbeitern und Arbeiterinnen zu hoch eingeschätzt, da der wirkliche Nutzeffekt der so vergrößerten Kaufkraft durch das, was im Haushalte dafür unterbleiben, im Familienleben dafür wieder preisgegeben werden muß, sehr herab­ gedrückt wird". Hiervon aber ganz abgesehen kann man sagen, daß in der Gegenwart die Frauen durch ihr Angebot von „billigen Händen“ eher vermindernd auf das Gesamtprodukt der Gesellschaft, bezw. verlängernd auf die durchschnittliche Arbeitszeit einwirken als umgekehrt. Und zwar geht dies so zu. Es ist ein allgemeines Gesetz, daß je niedriger der Arbeitslohn steht, um so geringer das Interesse der Unternehmer ist, durch verbesserte Betriebs­ einrichtungen, namentlich durch Anwendung neuer Maschinen, an Arbeit zu sparen. Wegen der Niedrigkeit der Löhne unserer ländlichen Arbeiter macht bei uns in Deutschland die Verwen­ dung landwirtschaftlicher Maschinen viel geringere Fortschritte als in Nordamerika. Aus dem gleichen Grunde wirkt das An­ gebot billiger Frauenarbeit — und dieses Angebot geht, wie ich früher gezeigt habe, zum großen Teil gerade von den ver­ heirateten Frauen aus, die ihre Lohneinnahme nur als einen Zu­ schuß zu dem Verdienst des Mannes betrachten — wie ein Hemmschuh auf den technischen Fortschritt der Industrie. So ist es zum mindesten sehr fraglich, ob durch die Teilnahme der Frauen an der Produktion deren Ertrag wirklich gesteigert wird, 1 A. a. 0. 8. 330.

oder ob nicht, wenn das Arbeits-Angebot der Ehefrauen vom Arbeitsmarkte verschwände, die gleiche Arbeit mit Hilfe vervoll­ kommneter Betriebsanlagen im Durchschnitt ein größeres Produkt erzielen würde als jetzt.1

X.

Den tiefsten Eindruck auf unbefangen Urteilende wird von allen sozialdemokratischen Einwendungen die Behauptung machen, daß ein Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit im Grunde gar nichts helfen könne, da die Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik nur die Folge haben werde, die Hausindustrie in un­ geheurem Umfange wieder aufleben zu lassen, in der die aus der Fabrik vertriebenen Frauen dann Beschäftigung suchen würden. In Zürich wurde dieses Argument speziell von Frau Lily Braun vorgetragen. Die Behauptung, daß das Verbot der eheweiblichen Fabrik­ arbeit die verheirateten Arbeiterinnen zum Übergang in die Hausindustrie zwinge, kann in einem doppelten Sinne aufgefaßt werden. Entweder ist man der Meinung, daß aus diesem Grunde die gleichen Industriezweige, in denen jetzt der größte Teil der verheirateten Arbeiterinnen Beschäftigung gefunden hat, eine Rück­ bildung in hausindustrielle Betriebsformen durchmachen werden — dieser Ansicht war anscheinend die Züricher Kongreßrednerin —, oder aber man stellt sich vor, daß die verheirateten Frauen in Zukunft in anderen als ihren jetzigen' Gewerbezweigen und zwar in solchen, in denen das Verlagssystem üblich ist, Unterkunft finden werden. Die Gefahr des Übergangs der verheirateten Frauen zur Haus­ industrie in dem ersteren Sinne ist nicht sehr groß. Um dies zu erkennen, braucht man sich nur zu vergegenwärtigen, auf welche Gewerbezweige der größte Teil der verheirateten Arbeiterinnen entfällt. Oder sollte wirklich jemand im Ernst glauben, daß die mechanischen Spinnereien und Webereien, bloß weil sie künftig keine verheirateten Frauen mehr ein stellen dürfen, auf alle Vor­ teile des maschinellen Großbetriebs verzichten und sich wieder in eine Reihe hausindustrieller Einzelbetriebe auflösen werden? 1 Der gleiche Gedanke bei Martin, a. a. 0. 8. 69, 70.

Die Zittauer Gewerbe-Inspektion hält es in ihrem Jahresbericht für 1899 allerdings nicht für ausgeschlossen, daß in der Weberei in diesem Falle der elektrisch angetriebene mechanische Webstuhl den früheren Handstuhl in der Hausindustrie ersetzen könnte. Undenkbar erscheint es ferner, daß Produktionszweige wie die Ziegel- und Thonröhrenfabrikation, die Herstellung von Explosiv­ stoffen, die Anfertigung von Papier und Pappe, die Buchbinderei — bei dieser ist überhaupt erst seit der Einführung des maschi­ nellen Großbetriebs die Verwendung weiblicher Arbeitskräfte in größerem Umfange möglich geworden —, die Kartonnagenfabrikation, die Rübenzuckerfabrikation und noch einige andere mehr bloß wegen des Verbots der eheweiblichen Fabrikarbeit den Übergang zur Hausindustrie vollziehen könnten. Auf die genannten Gewerbearten und einige weitere ihnen hinsichtlich ihrer Betriebsorganisation ganz gleichzustellende Gewerbearten wie die Wollkämmerei, die Färbereien, Bleichereien und Druckereien etc. entfallen aber zusammen mindestens % von der Gesamtzahl der industriell thätigen Ehefrauen. Die Gefahr der Umwandlung der betreffenden Fabriken in hausindustrielle Betriebe im Falle eines Verbots der Fabrik­ arbeit verheirateter Frauen liegt meines Erachtens nur in ganz vereinzelten Produktionszweigen vor, so bei einigen Gewerbearten der Industrie der Holz- und Schnitzstoffe und in ganz beson­ derem Naße bei der Tabakverarbeitung. Bei der letzteren ist dieser Gefahr auch insofern größeres Gewicht beizulegen, als sie eine recht erhebliche Zahl von verheirateten Arbeiterinnen, rund 11% der Gesamtzahl, aufweist. Was dann den zweiten der vorhin erörterten Fälle angeht, näm­ lich den Übergang der verheirateten Fabrikarbeiterinnen aus ihren bisherigen in andere und zwar hausindustriell betriebene Gewerbe­ zweige, so ist diese Möglichkeit natürlich nicht von der Hand zu weisen. Immerhin aber darf der Umfang, in dem diese Gefahr besteht, auch nicht überschätzt werden. Die verheiratete Frau ist in der Wahl ihres Erwerbsortes beschränkt; sie ist im all­ gemeinen darauf angewiesen, an dem Orte, an dem ihr Mann seinen Wohnsitz hat, oder in dessen nächster Umgebung Arbeit zu suchen. Bloß deshalb aber, weil die Arbeitskraft eines Teils der verheirateten Frauen nach Verwertung drängt, wird es an einem Orte, an dem bisher die Hausindustrie entweder ganz fehlte oder

doch nur unbedeutend vertreten war, nicht zur Entstehung neuer oder zur weiteren Ausdehnung der schon bestehenden Zweige der Hausindustrie kommen. Dagegen werden allerdings in den Orten, die, wie viele Großstädte, neben ihrer Fabrikindustrie zugleich eine ausgebildete Hausindustrie besitzen, besonders etwa auf dem Gebiet der Bekleidungs-Industrie (Konfektion!), welche 1895 zu­ sammen .mit der Gewerbegruppe Textil-Industrie 77,5°/0 der Ge­ samtzahl der in der Hausindustrie beschäftigten Personen um­ faßte , die aus der Fabrik ausgeschlossenen Frauen in der letzteren Arbeit zu bekommen suchen. Steht denn nun aber, so müssen wir fragen, der Gesetzgeber einem solchen Umwandlungsprozeß vollkommen ohnmächtig gegen­ über? Daß jetzt die Gefahr des Übergangs zur Hausindustrie vor­ liegt, daran trägt der Gesetzgeber selbst einen großen Teil der Schuld, indem er die Hausindustrie von den Lasten des Arbeiter­ schutzes und der Arbeiter Versicherung im großen und ganzen bisher so gut wie frei ließ. In dem Maße, als sich dies ändert, als die Arbeiterschutz- und die Arbeiterversicherungs-Gesetzgebung auch auf die Hausindustrie ausgedehnt wird, wird auch für die Unter­ nehmer der Anreiz geringer werden, diese Betriebsform an Stelle des Fabriksystems zu wählen. In welcher Weise die Hausindustrie am zweckmäßigsten in die Arbeiterschutz- und Versicherungsgesetzgeb'-ng einzubeziehen ist, und welches die spezifische Form des Arbeiterschutzes für Heimarbeiter ist, darauf kann in diesem Zusammenhang indessen nicht näher eingegangen werden. Es muß genügen, den Weg zur Überwindung der hier drohenden Gefahren nur ganz allgemein anzudeuten. Schließlich kommt hierbei auch noch folgender Gesichts­ punkt in Betracht. Zweifellos stellt die Fabrik im Vergleich zur Hausindustrie das sozialpolitisch günstiger zu beurteilende ge­ werbliche Betriebssystem dar. Die Arbeitsbedingungen des Fabrik­ arbeiters sind im Durchschnitt erheblich besser, und seine Lage ist hoffnungsvoller als die des Heimarbeiters. Trotzdem scheint mir aber für die verheiratete Arbeiterin im Gegensatz zu der Ansicht von Frau Gnauck1 die hausindustrielle Thätigkeit immer noch das kleinere Übel zu sein gegenüber der Fabrikarbeit. Die Fabrik­ arbeit hält die Hausfrau und Mutter regelmäßig den größten Teil 1 Bericht über die Verhandlungen des 6. ev.-sozialen Kongresses, 8. 98.

des Tages von ihrem Hauswesen und ihren Kindern fern. Die hausindustrielle Thätigkeit bietet ihr dagegen die Möglichkeit, sich nebenbei etwas um das Hauswesen und die Kinder zu kümmern. Wenn es sein muß, kann sie die Arbeit einmal stunden- oder tageweise aussetzen, um die nötigsten Verrichtungen im Hause vorzunehmen und sich der Wartung der Kinder zu widmen; sie kann vor allem auch ihre Kinder länger nähren, als wenn sie in die Fabrik geht. Diese relativen Vorzüge der hausindustriellen Beschäftigung der Ehefrau im Vergleich zur fabrikmäßigen dürfen nicht übersehen werden, wenn man auf der anderen Seite auch die Nachteile nicht verkennen darf, welche die gleichzeitige Be­ nutzung der ohnehin eng genug bemessenen Wohnung als Werkund Arbeitsstätte für das ganze Familienleben und die Gesund­ heit der Arbeiterfamilie hat. XI. Unter den sozialdemokratischen Argumenten gegen die Aus­ schließung der Ehefrauen aus der Fabrik fehlt interessanterweise auch der Hinweis nicht, daß das Verbot der Frauen-Fabrikarbeit eine Prämie auf das Konkubinat sein und sittlich bedenkliche Folgen haben werde. Dieses Argument berührt insofern eigen­ tümlich aus dem Munde erklärter Sozialdemokraten, als die Ehe­ form, welche hervorragenden Führern der Sozialdemokratie als Ideal vorschwebt, mit dem, was man gewöhnlich als Konkubinat bezeichnet, eine verzweifelte Ähnlichkeit besitzt. Frau Lily Braun, von der das Wort herrührt, daß das Verbot der FrauenFabrikarbeit eine Prämie auf das Konkubinat sei, schien auch selbst das Bollenwidrige ihres Ausspruchs zu fühlen und fand es daher nötig, ihn durch die Worte zu ergänzen, daß ihnen zwar der Bund, den die Liebe geweiht habe, heilig sei, daß aber die heutige Form des Konkubinats die Frau erniedrige und ein Un­ glück für die unehelichen Kinder sei. Ich vermag die Befürchtungen der Frau Braun wegen einer starken Zunahme der Konkubinate überhaupt nicht zu teilen. Dazu habe ich viel zu viel Zutrauen zu dem gesunden Sinn und den mütterlichen Instinkten des weiblichen Teils unserer Arbeiter­ bevölkerung. Um des kleinen Vorteils willen, in der Fabrik weiter arbeiten zu dürfen, werden sie nicht geneigt sein, auf die dauernden großen Vorteile zu verzichten, welche sie und ihre

künftigen Kinder dann erhalten, wenn sie die Rechte von Ehe­ frauen und die letzteren die Rechte von ehelichen Kindern er­ langen. Die Frau müßte schlecht rechnen können, die nicht bei einer Überlegung hierüber zu diesem Ergebnis käme! Auch be­ deutet ja, wie schon früher gezeigt wurde, die Ausschließung aus der Fabrik noch nicht das Abschneiden jeder Erwerbsmöglich­ keit für die Ehefrau. In dieser Auffassung bestärkt mich eine Wahrnehmung, die der Reichstagsabgeordnete Dr. HiTze gemacht hat. Dr. Hitze berichtete im Reichstage von einem Fabrikanten, der die Gepflogen­ heit hatte, seine Arbeiterinnen am Tage der Hochzeit mit einem Geschenk zu entlassen. Die Mädchen wareTi mit dieser Einrich­ tung vollkommen zufrieden. „Sie lehnten es ab, die Hand fürs Leben einem Manne zu reichen, deH. ihnen zugemutet hätte, in die Fabrik zu gehen. Sie hätten nach ihrer Heirat in andere Fabriken eintreten können, aber ein solches Beispiel ist mir nicht bekannt geworden. Das bestätigt mir, das auch im Arbeiterstande das natürliche richtige Gefühl herrscht, wenn nicht Not oder schlechte Gewohnheiten Einfluß üben/1 Auch die Gewerbe - Inspektoren bejahen die Frage, ob von der Einschränkung der eheweiblichen Fabrikarbeit eine Zunahme der Konkubinate zu befürchten sei, durchaus nicht sämtlich; der Gewerbe-Inspektor für Zwickau teilt z. B. mit, daß die von ihm be­ fragten Arbeiter die Frage, ob die Verminderung des Verdienstes der Frauen die Neigung der männlichen Arbeiter, in den Ehe­ stand zu treten, vermindern und eine Vermehrung des Konkubinats zur Folge haben würde, durchgängig verneint haben. Die Ge­ werbe-Inspektion Leipzig vermag im Hinblick auf die Sorglosig­ keit und Unüberlegtheit, mit welcher junge Leute in die Ehe treten, die Befürchtungen, daß das Leben im Konkubinat infolge eines Verbots der eheweiblichen Fabrikarbeit weitere Verbreitung erlangen werde, nur zum Teil für richtig zu halten. Und die GewerbeInspektion Plauen teilt hierzu eine sehr charakteristische Äuße­ rung einer mit den Familienverhältnissen der Arbeiter vertrauten Persönlichkeit mit, die folgendermaßen lautet: „Die Vermutung, daß viele Ehen geschlossen, werden, weil die Frau mitverdient, ist zweifellos begründet; daß aber durch die erwähnte Beschrän­ kung eine Vermehrung des Konkubinats herbeigeführt, Ehe­ schließungen also verhindert oder erschwert werden würden, läßt

sich im allgemeinen bezweifeln, da es bei Schließung der Ehe, auch wenn nur der Mann verdient, gewöhnlich ,langt6 und Mangel und Not sich erst später einstellen." Dieser durchaus „realistischen" Beurteilung schließe ich mich im wesentlichen an. Jedenfalls leugne ich entschieden, daß das Leben im Konkubinat lediglich infolge der Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrikindustrie stärkere Verbreitung im Ar­ beiterstande erlangen wird. Höchstens nach der Richtung wird von der Maßregel vielleicht eine leise Wirkung zu verspüren sein, daß alsdann die Eheschließungen in Arbeiterkreisen nicht mehr gar zu früh und gar so leichtsinnig vorgenommen werden. Aus solchen frühzeitig geschlossenen Ehen, die oft freilich sogenannte Mußehen infolge des voraufgegangenen geschlechtlichen Verkehrs sind, zu dem die mangelhafte Trennung beider Geschlechter in den Arbeitsräumen oder das Schlafstellenunwesen verführt hat, entsteht häufig nur Not und Elend materieller und moralischer Art. Dr. Prinzing1 hat den interessanten Nachweis erbracht, daß die Kriminalität der verheirateten Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren höher ist als die der ledigen der gleichen Altersklasse, während sonst beim männlichen Geschlecht das Familienleben die Kriminalität vermindert, was sich bereits in der Altersklasse der Männer von 25 bis 30 Jahren voll bemerkbar macht. Trägt die Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik dazu bei, die Zahl der zu frühzeitigen Ehen — dazu rechne ich solche, bei denen der männliche Teil noch nicht 24 und der weibliche nicht mindestens 18 Jahre alt ist — einzuschränken und über­ haupt von der leichtsinnigen Begründung eines Hausstandes ab­ zuhalten, so kann man das daher nur mit Freude begrüßen. Diese günstige Wirkung wird ein Verbot der Fabrikarbeit verheirateter Frauen allerdings um so weniger haben, je später es in Kraft tritt: Beginnt die Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik sofort mit dem Tage der Eheschließung, so wird die Wirkung am stärksten sein; weniger stark wird die Wirkung schon sein, wenn man nach dem Vorschlag von Fr. Collet2 erst nach Eintritt der Schwangerschaft die weitere Verwendung der Frau als Arbeiterin 1 Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. III. Folge, 15. Bd., 8. 293 ff. 2 Die Frau als Industrie-Arbeiterin. Ein Beitrag zur Lösung der Arbeiterfrage. Berlin 1900. 8. 37.

untersagt, noch weniger stark, wenn man das Verbot erst nach der Geburt des ersten Kindes beginnen läßt, und am schwächsten, wenn man dazu gar erst die Geburt des zweiten lebenden Kindes abwartet.

XII. Der letzte und höchste Trumpf, der von den sozialdemokra­ tischen Rednern und Rednerinnen in Zürich gegen das Verbot der ehe weiblichen Fabrikarbeit ausgespielt wurde, war die Be­ hauptung, daß ein solches Verbot ein Ankämpfen gegen den naturgemäßen Gang der ökonomischen Entwicklung bedeute. Wer sich gegen die Naturgesetze der Entwicklung auflehnt, der ist in den Augen der orthodoxen Marxisten gerichtet. Die natür­ liche Entwicklung hemmen wollen, dieses Unterfangen spielt in der sozialdemokratischen Religion die Rolle der Sünde gegen den heiligen Geist. Dabei halten sich die Sozialdemokraten allein für berufen, festzustellen, welchen Gesetzen die Entwicklung denn folgt, und sie sind seit Engels immer schnell mit der Aufstellung aller möglichen allgemeinen Entwicklungsgesetze zur Hand gewesen, wie überhaupt vorschnelles Generalisieren auf Grund einzelner Wahrnehmungen immer ihre Schwäche war. Von diesem Standpunkte aus sprach Bebel in Zürich davon, daß man es bei der eheweiblichen Fabrikarbeit mit einer gesell­ schaftlichen Erscheinung zu thun habe, die nicht willkürlich hervorgerufen wurde, und die daher auch nicht willkürlich geändert werden könne. Die Hoffnung der Gegner gehe dahin, die Ent­ wicklung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu hemmen und womöglich zurückzuzwingen. Allein die Wiederherstellung einer der Vergangenheit an gehörenden Gesellschaftsordnung sei eine Utopie. Und in dem gleichen Sinne äußerte sich der Öster­ reicher Pernerstorfer: „Wir wissen, daß wir nicht durch Ab­ stimmungen auf diesem Kongreß, sondern durch den unaufhalt­ samen Gang der Entwicklung siegen werden.“ Geht die Entwicklung nun aber wirklich dahin, daß die Fabrikarbeit der Ehefrauen eine immer häufigere Erscheinung wird? Wenn es eine allgemeine Eigenschaft der kapitalistischen Pohlh, Frauen-Fabrikarbeit.

5

Gesellschaft sein soll, daß die Frau des Arbeiters ebenfalls Fabrik­ arbeiterin ist, dann muß es zunächst auffallen, daß es 1895 nach einer mehr als 50jährigen kapitalistischen Entwicklung in Deutsch­ land in der gesamten Industrie nur 140804 verheiratete Arbeite­ rinnen gab, während im gleichen Jahre in der Berufsabteilung Industrie von den erwerbstätigen Arbeitern 2239575 verheiratet waren. Indessen wäre es ja immerhin denkbar, daß wir noch so in den Anfängen der kapitalistischen Entwicklung darin stecken, daß die eheweibliche Fabrikarbeit noch keine Zeit hatte, sich als allgemeine Einrichtung einzubürgern. Dann müßte aber, nach­ dem der Kapitalismus speziell in den letzten Jahrzehnten wahre Riesenfortschritte bei uns gemacht hat, wenigstens in der neuesten Zeit die Tendenz zur Vergrößerung der Armee der gewerblich thätigen Ehefrauen recht deutlich hervorgetreten sein. Die Berufs­ statistik erweckt auch in der That den Anschein, als ob eine solche Tendenz vorhanden wäre. Nach der Berufsstatistik von 1882 waren von je 100 in der Industrie als Arbeiterinnen be­ schäftigten Frauen 12,69, also jede achte verheiratet; nach der Berufsstatistik von 1895 dagegen 16,76 °/0 oder bereits jede sechste. Auch nach den Beobachtungen der badischen Fabrikinspektion ist die Zahl der verheirateten Frauen in der Industrie (allerdings ein­ schließlich der verwitweten und geschiedenen), seitdem eine zuver­ lässige Zählung derselben stattfindet, absolut und relativ gewachsen. Es betrug nämlich die Zahl der in Fabriken beschäftigten ver­ heirateten, verwitweten und geschiedenen Frauen in Baden: 1892 1893 1894 1895 1896

.....

10159 --10467 = 10878 = 11782 = 12345 =

28,27o/o 27,14o/o 27,05 0/0 27,85 % 28,77 °/0

der erwachsenen Arbeiterinnen „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

1897 13359=30,08 °/0„„ „ 1898 .......................... 14198 --- 3O,39O/o „ „ „ 1899 15046 = 31,27O/o „ „ statistischen „ Amtes Nach den Berechnungen des Kaiserlichen

dagegen hat die Zahl der verheirateten Arbeiterinnen im Deutschen Reich sich zwischen 1875 und 1895 zwar absolut vermehrt, aber sie hat im Verhältnis zur weiblichen Arbeit in der Industrie über­ haupt abgenommen. In den Betrieben mit mehr als 5 Gehilfen waren nämlich nach dieser Quelle beschäftigt:

im Jahre 1875 1890 n 1895 >>

verheiratete Arbeiterinnen . . . . . 81233 . . . . . 130079 . . . . . 134917

°/0 der erwachsenen Arbeiterinnen 21,7 — 16,3

Ob die Beschäftigung verheirateter Arbeiterinnen seit 1895 noch zugenommen oder abgenommen hat, läßt sich nach Ansicht des Kaiserlichen statistischen Amtes schwer beurteilen. „Zwar bringen die Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für 1897 mancherlei statistische Nachweise über das Vorkommen ver­ heirateter Fabrikarbeiterinnen, doch lassen sich daraus allgemeine Schlüsse nicht ziehen. Während aus den Bezirken Magdeburg, Hannover, Münster und Meißen über eine Abnahme der Zahl verheirateter Arbeiterinnen berichtet *wird, wird für Baden und Eeuß ä. L. eine Zunahme festgestellt.“ Zu dem gleichen Thema sei noch folgendes Material ange­ führt: Im Königreich Sachsen wurden bei der Gewerbezählung von 1895 erst 34343, bei der Fabrikarbeiterzählung vom 1. Mai 1899 dagegen 50762 verheiratete Arbeiterinnen gezählt. Diese Zunahme erscheint um so beträchtlicher, als die Fabrikarbeiterzählungen nicht alle Betriebe umfassen, welche der Gewerbezählung unter­ liegen. Indessen ist die Zunahme zum großen Teil nur eine schein­ bare; sie ist daraus zu erklären, daß bei der Gewerbezählung von 1895 die verwitweten und geschiedenen Frauen nicht mit zu den verheirateten gezählt worden sind (vgl. S. 14), während dies bei der Erhebung von 1899 allerdings geschehen ist. Die verwitweten und geschiedenen Frauen machen im letzteren Falle aber mindestens 20—25 °/0 der Gesamtzahl aus. Immerhin lassen die sächsischen Zahlen auch auf eine Zunahme der verheirateten Arbeiterinnen ausschließlich der verwitweten und geschiedenen schließen. Eine beträchtliche Vermehrung der Zahl der verheirateten Arbeiterinnen hat ferner seit 1895 in der Textilindustrie statt­ gefunden, wenn die freilich nur auf Schätzungen beruhenden An­ gaben der Textilberufsgenossenschaft richtig sind. Während nämlich in der Textilindustrie. bei der Gewerbezählung von 1895 insgesamt 70655 verheiratete Arbeiterinnen gezählt wurden, schätzte die Textilberufsgenossenschaft 1899 die Zahl der in diesem Industrie­ zweige beschäftigten verheirateten Arbeiterinnen auf 97000, die der verwitweten auf 17000 und die der geschiedenen auf 4800. 5*

An der Hand der statistischen Unterlagen kommt man also über die Frage, ob die Tendenz der Entwicklung auf Zunahme oder Abnahme der eheweiblichen Fabrikarbeit geht, nicht zu einem klippen und klaren Urteil, sondern nur zu einem: non liquet. Ein Entwicklungsgesetz, daß die Zahl der verheirateten Arbeite­ rinnen regelmäßig wächst, läßt sich mit Sicherheit jedenfalls nicht nachweisen. Sehen wir uns, da uns die Statistik somit im Stich läßt, nach anderen Unterlagen zur Entscheidung der aufgeworfenen Frage um! Ich möchte in dieser Beziehung zunächst eine unge­ mein charakteristische Äußerung des badischen Fabrikinspektors, des Ober-Regierungsrats Wörishoffer, anführen1: „Wo in einzelnen Industriezweigen die Verdienste der Männer allgemein, oder wo sie in Industrien mit geringen Löhnen bei einzelnen qualifizierten Arbeitern für die Existenz einer Familie ausreichend sind, denken die Frauen nicht daran, in Fabriken zu gehen. Diese Arbeiter, die in der Regel gleichzeitig die intelligenteren sind, dulden eine solche Beschäftigung ihrer Frauen im allgemeinen auch gar nicht. Sie sind vielmehr der Ansicht, daß ihre Frauen genug zu thun hätten, wenn sie die sämtlichen Geschäfte des Haushalts und die Instand­ haltung der Kleider und Wohnung allein besorgen und wenn sie sich außerdem noch um die Erziehung der Kinder bekümmern. Sogar vom ökonomischen Standpunkte aus kommen sie zu dem Ergebnisse, daß es vorteilhafter sei, wenn die Frau im Hause thätig sei. Bei diesen Kategorien von Arbeitern ist man nicht dazu gekommen, daß die Frau in der Fabrik arbeitet und sich ein gering bezahltes Dienstmädchen hält, weil dabei noch ein Nutzen von vielleicht 100 Mark jährlich herausgerechnet wird. Solche Arbeiter fassen überhaupt die Frage nicht als ein Rechen­ exempel auf." Ferner möchte ich hier noch einmal an den bereits früher in anderem Zusammenhänge citierten Satz Martins erinnern2: „Ein Fabrikarbeiter, der 20 M. oder mehr pro Woche Lohn hat, wird fast niemals seine Frau in die Fabrik gehen lassen." D. h. mit anderen Worten: die eheweibliche Fabrikarbeit läßt umso mehr nach, je höher der Lohn ist. Ganz die gleiche Beobach-

tung haben die Gewerbe-Inspektoren in Plauen i. V., sowie in Zwickau1 gemacht. Die Tendenz der gegenwärtigen volkswirt­ schaftlichen Entwicklung geht nun. aber zweifellos dahin, daß die Löhne steigen. Diese Erscheinung, die einesteils aus der Thätigkeit der Gewerkvereine, anderenteils aus der den Arbeitern günstigen Konjunktur auf dem Arbeitsmarkte zu erklären ist, muß sich ja jedem Beobachter der Lage der Arbeiter in der Gegenwart so sehr aufdrängen, daß sogar die Sozialdemokratie ihre Theorie von der zunehmenden Verelendung der Massen in der heutigen Gesellschaft aufzugeben sich genötigt sah. Steigen aber die Löhne eines immer größeren Teils der Arbeiterschaft auf- eine leidliche Höhe, so wird, so müssen Wir weiter schließen, demgemäß auch der Umfang der eheweiblichen Fabrikarbeit von selbst allmählich immer geringer werdet - Oder wenn letztere auch unter relativ so günstigen Verhältnissen wie den heutigen weiter zunimmt, so kann wenigstens nicht mehr die Rede davon sein, daß die Not zu ihr treibt, sondern es ist dann lediglich mangelndes Verständnis für die Bedeutung einer richtigen Erfül­ lung der Hausfrauen- und Mutterpflichten, was die Zunahme ver­ anlaßt. Die weitere Zunahme der Fabrikarbeit der Ehefrauen unter solchen Umständen ist als Unsitte, als grober. Unfug, ja geradezu als ein soziales Vergehen zu bezeichnen, und der Gesetz­ geber hat die Pflicht, ihr entgegenzutreten. Durch Rücksichten auf ein angebliches Entwicklungsgesetz, auf Grund dessen notwendig eine Zunahme der Frauenfabrik­ arbeit in der heutigen Gesellschaft sich vollzieht, darf er sich dabei nicht beirren lassen. Das Wachstum der eheweiblichen Erwerbsarbeit während der letzten 100 Jahre beruht nicht auf irgend einem Naturgesetz, sondern einfach auf einer Unterlassungs­ sünde des Gesetzgebers. Die mittelalterlichen Zünfte hatten es verstanden, die gewerbliche Thätigkeit der Frauen nach Möglichkeit einzuschränken, wenn zu gewissen einfacheren Arbeitsverrichtungen, wie dem Kämmen der Wolle, dem Garnziehen, dem Spulen auch immer weibliche Arbeitskräfte mit verwendet worden sind. Anr Ende des 17. Jahrhunderts war der-Ausschluß der Frauen von allen zünftigen Gewerben nu der Hauptsache vollendet. Mit der 1 Jahresberichte der Kgl. Sachs. Gewerbe-Inspektoren für 1899, 8. 181 und 324.

Entstehung der Hausindustrie im 16. und 17. und ihrer weiteren Verbreitung im 18. Jahrhundert begann die gewerbliche Frauen­ arbeit aber wiederum sich mehr auszudehnen, und zwar be­ sonders in der Textilindustrie, der Spinnerei, Wirkerei, Stickerei, auch der Weberei u. s. w. Noch größere Bedeutung erlangte die Frauenarbeit seit dem Übergang zum mechanischen Groß­ betrieb. Die moderne Entwicklung des Maschinenwesens setzte ja gerade bei der Spinnerei und etwas später bei der Weberei ein, also bei Zweigen, in denen die Frauenarbeit schon eine wichtige Rolle spielte. Infolgedessen hat in diesen Zweigen die weibliche Arbeit von Anfang an eine erhebliche Rolle gespielt. Nach den vom Deutschen Zollverein angeordneten Gewerbezählungen wurden 18.46 in der Kammgarnspinnerei 2817 und 1861 sogar schon 4330 weib­ liche Arbeiter gezählt, und zwar haben in der Kammgarnspinnerei die weiblichen Arbeiter von Anfang an die männlichen an Zahl übertroffen. In der Baumwollspinnerei stieg von 1846 bis 1861 die Zahl der weiblichen Arbeiter von 8300 auf 16 700 und über­ holte damit die der männlichen.1 Daß die Frauenarbeit, und zwar auch die Arbeit der Ehe­ frauen, in den neu entstehenden Fabrikbetrieben einen so großen Umfang erlangen konnte, war aber doch nur dadurch möglich, daß der Gesetzgeber dem Streben des Kapitals nach „billigen Händen" keinerlei Schranken zog, sondern es frei schalten und walten ließ und ihm insbesondere auch gestattete, die Arbeiterfrauen ihren Hausfrauen- und Mutterpflichten zu entfremden und sie zur Fabrik­ arbeit mit heranzuziehen. Hätte der Gesetzgeber hier gleich im Anfang seine Aufgabe richtig erkannt und dem rücksichtslosen Drängen des Kapitals, sich frei von allen Banden frommer Scheu zu verwerten, gewisse Grenzen gesetzt, so würde die Sozialdemokratie jetzt gar nicht in der Lage sein, ihr Entwicklungsgesetz von dem regelmäßigen Wachstum der Frauen-Fabrikarbeit zu konstruieren2! 1 Neue Zeit, 11. Jahrg. 2. Bd. 8. 661, 662. 9 Die Notizen über die geschichtliche Entwicklung der Frauenarbeit sind dem Vortrage von Karl Bücher über „Die Frauenfrage im Mittelalter", Tübingen 1892, 8. 8 ff. entnommen. Vgl. dazu den Artikel von Professor Pierstorff über „Frauenarbeit und Frauenfrage" im „Handwörterbuch der Staatswissenschaften", 2. Ausl., 3. Bd., 8. 1207. Sehr interessantes Material über das Verhältnis zwischen männlicher und weiblicher Arbeit in der Textil­ industrie auf früheren Wirtschaftsstufen findet sich ferner bei Martin, a. a. O. 8. 4 ff. Martin vertritt da die Ansicht, daß die Revolution der Technik

Und der Gesetzgeber würde damit auch gar nicht der natür­ lichen Entwicklung sich entgegengestemmt, sondern vielmehr sie unterstützt und ihr gemäß gehandelt haben. „Denn das muß vor allem festgehalten werden", wie Karl Bücher auf Grund seiner historischen Studien über die Frauenarbeit in früheren Geschichts­ perioden sagt, „durch die ganze Geschichte und namentlich durch die Geschichte unseres Volkes geht ein mächtiger Zug, der darauf hinführt, die Frau mehr und mehr von der schweren aufreibenden Mühsal des Erwerbs zu entlasten und diese auf die stärkeren Schultern des Mannes zu laden, dem Manne die schaffende, die werbende Arbeit der Gütererzeugung, der Frau die verwaltende und erhaltende Thätigkeit in der Hauswirtschaft, dem Manne den waglichen Kampf ums Dasein, der Frau die behagliche Gestal­ tung desselben zuzuweisen. Diesen Zug der Entwicklung nach Möglichkeit zu fördern, ist die Aufgabereiner gesunden, historisch aufbauenden Sozialpolitik. Als Gehilfin des Mannes im Kähmen der Familie mag die Frau zum eigenen und allgemeinen Besten auch in der eigentlichen Erwerbs wirtschaft thätig sein, nimmer­ mehr jedoch als Konkurrentin des Mannes außerhalb dieses Rahmens." und Wirtschaft, welche seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eingetreten ist, dazu beigetragen hat, den Anteil der weiblichen und eheweiblichen Arbeit an der Gesamtarbeit in der Textilindustrie bedeutend einzuschränken. In der ohne Maschinen betriebenen Tuchmacherei verhielt sich nach ihm die Zahl der weiblichen zu der der männlichen Arbeiter wie 10 oder mindestens wie 8:3. In der mechanischen Tuchfabrikation der Gegenwart dagegen gestaltet sich das Verhältnis etwa wie 12 :-20. Erst die Einführung der Spinnmaschine hat überhaupt die Männerarbeit in grösserer Ausdehnung in die Spinnerei eingeführt.

2. Die Notwendigkeit der Ausschliessung der verheirateten Arbeiterinnen aus der Fabrik. Wenn eines aus den bisherigen Erörterungen klar hervor­ geht, so ist es das: alle Gründe, auf welche die Sozial­ demokratie bei ihrer ablehnenden Haltung gegen das Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit sich stützt, können nicht die wirk­ lichen Gründe sein, welche sie zu ihrer negativen Stellungnahme bewegen. Ich habe mich daher im vorhergehenden auch bemüht, bei jedem einzelnen der von sozialdemokratischer Seite vorgebrachten Argumente nachzuweisen, daß die Sozialdemokratie entsprechend dem Standpunkt, den sie sonst in den betreffenden Fragen ein­ nimmt, kein Recht hat, das Verbot der Frauen-Fabrikarbeit des­ halb zu verwerfen, zumal es sich in Zürich nur um „theoretische' Sozialpolitik handelte, d. h. darum, festzustellen, ob die Aus­ schließung der verheirateten Arbeiterinnen aus der Fabrikindustrie überhaupt ein zu erstrebendes Ziel sei. Alle die Gründe, welche die Sozialdemokratie zur Erklärung ihrer Haltung anführt: die angebliche schädliche Wirkung des Verbots auf die Industrie und auf die materielle Lage der Arbeiter, der Vorschub, den es dem wilden Zusammenleben der Geschlechter leiste, seine Wert­ losigkeit wegen der Möglichkeit, es durch Verwandlung der Fabrikin hausindustrielle Betriebe zu umgehen, endlich sein Widerstreiten gegen die Naturgesetze der Entwicklung, sind offensichtlich nur Vorwände, bestimmt, den eigentlichen letzten Grund der Ablehnung des Verbots etwas aufzuputzen und zu verbrämen.

I. Worin besteht nun aber der letzte Grund der ablehnenden Haltung der Sozialdemokratie? Wenn man kleinlich und boshaft sein wollte, so könnte man ihn in einigen unbedachten Worten, die Frau Zetkin in Zürich entschlüpften, finden. Nach ihr ist das, was die Sozialisten he-

stimmt, sich dem Verbot der Frauen-Fabrikarbeit zu widersetzen, die Absicht, „dem Heere des proletarischen Klassenkampfs neue Streitermassen zuzuführen." „Die Auffassung und das Denken der dem Kapital fröhnenden Proletarierin wird schneller und gründlicher revolutioniert, als die Auffassung und das Denken der Frau, die nicht unmittelbar im Bannkreis des modernen Wirt­ schaftslebens steht. Die berufsthätige Frau wird deshalb leichter zur bewußten Klassenkämpferin, wie die Nichts - als - Haus­ frau." Über diese unglaublich doktrinäre Politik, der das Wohl ganzer Generationen gleichgültig ist, wenn nur die Partei blüht und gedeiht, ist kein Wort zu verlieren. Es sind indessen auch gar nicht derartige Rücksichten der politischen Taktik, welche die Sozialdemokratie hierbei leiten, sondern zu ihrer ablehnenden Haltung bestimmt sie das Ideal, das sie jn Bezug auf die gesell­ schaftliche Stellung der Frau und die ^zweckmäßigste Form des Instituts der Ehe hat. Hier ist daher der Punkt, wo sich die Frage der eheweiblichen Fäbrikarbeit mit der allgemeinen Frauen­ frage berührt, und wo die erstere Frage nicht ohne Bezugnahme auf die letztere gelöst werden kann. Die Sozialdemokratie verlangt in ihrem Programm für alle „ohne Unterschied des Geschlechts gleiche Rechte und gleiche Pflichten"; sie bekämpft „jede Art der Unterdrückung und Aus­ beutung in der heutigen Gesellschaft, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, ein Geschlecht oder eine Rasse." Die heutige ökonomische Unselbständigkeit der Frau erscheint ihr dabei als eine besondere Form der Unterdrückung und Abhängigkeit, die beseitigt werden muß. „Die moderne Einzelfamilie ist gegründet auf die offene oder verhüllte Haussklaverei der Frau," sagt Fr. Engels; „der Mann ist in der Familie der Bourgeois, die Frau repräsentiert das Proletariat." Demgemäß will die Sozial­ demokratie, wie man aus unzähligen schriftlichen und mündlichen sozialdemokratischen Auslassungen über die Frauenfrage ent­ nehmen kann, daß die verheiratete Frau in Zukunft ökonomisch auf eigenen Füßen stehen, daß jede Ehefrau selbständig einen Beruf betreiben und dadurch von ihrem Manne wirtschaftlich unabhängig werden soll. Der Sozialismus bezw. die Großindustrie soll die Frau aus ihrem jetzigen „Privatdienst" und „Magdtum" befreien und ihr den Weg zur Teilnahme an der gesellschaft­ lichen Produktion wieder eröffnen.

Zu diesen von der Sozialdemokratie allgemein geteilten Anschauungen gesellen sich bei einer ganzen Reihe hervor­ ragender Sozialdemokraten Ansichten und Forderungen, welche den eben gekennzeichneten Standpunkt der offiziellen Sozial­ demokratie speziell noch in Bezug auf die zukünftige Gestaltung der Ehe konsequent fortentwickeln und ausbauen. Ihren präg­ nantesten Ausdruck haben diese weitergehenden Forderungen in dem bekannten Buche Bebels: „Die Frau und der Sozialismus“1 gefunden. Die Sozialdemokratie bezeichnet die darin vor­ getragenen Anschauungen zwar mit Vorliebe als die rein persön­ lichen Ansichten des Verfassers, die für die Partei nicht bindend seien; es sei jedem Genossen gestattet, sich in Bezug auf Familie, Ehe, Kindererziehung etc. seine eigene Meinung zu bilden, genau so wie die religiöse Überzeugung jedes Genossen dessen „Privat­ sache“ sei. Daß die „Privatansichten“ Bebels eine so ungeheure Verbreitung in der deutschen Arbeiterwelt erlangt haben — von Bebels Frau sind bis jetzt nicht weniger als 30 Auflagen er­ schienen —, das kommt aber doch nur daher, daß sie die An­ schauungen des ersten Führers, sozusagen des ungekrönten Königs der Sozialdemokratie, sind. Die meisten Leser des Buchs werden wohl auch kaum einen Unterschied zu machen im stände sein zwischen dem, was die Sozialdemokratie offiziell lehrt, und dem, was die unmaßgebliche Privatansicht Bebels ist. Beides wird unter­ schiedslos und kritiklos gläubig hingenommen. Auch steht Bebel mit seinen Anschauungen über Ehe und Liebe in Parteikreisen durch­ aus nicht etwa vereinzelt da, sondern seine Anschauungen sind die in einem großen Teil der Parteikreise herrschenden und für sie typischen. Das geht schon daraus hervor, daß in Zürich die sozialdemokratischen Kongreßteilnehmer unter Führung Bebels und der Damen Braun und Zetkin , die zweifellos Bebels Standpunkt in der Frauenfrage in allen wesentlichen Punkten teilten, sämtlich gegen das Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit stimmten, und daß auch bei anderen Gelegenheiten die Sozial­ demokratie ihren grundsätzlichen Widerspruch gegen eine der­ artige Arbeiterschutzmaßregel betont hat. Der Ausgangspunkt Bebels bei seinen Betrachtungen über Liebe und Ehe ist der Satz: „Die Befriedigung des Geschlechts1 Die Citate daraus sind der 28. Auflage entnommen.

triebs ist ebenso jedes Einzelnen persönliche Sache wie die Be­ friedigung jedes anderen Naturtriebs.“ Mit diesem Grundsatz soll im Zukunftsstaat Ernst gemacht werden. Die Frau soll in der Liebeswahl gleich dem Manne frei und ungehindert sein. „Sie freit oder läßt sich freien und schließt den Bund aus keiner anderen Rücksicht als auf ihre Neigung. Dieser Bund ist ein Privatvertrag ohne Dazwischentreten irgend eines Funktionärs.“ „Stellt sich zwischen zwei Menschen, die einen Bund schlossen, Unverträglichkeit, Enttäuschung oder Abneigung heraus, so ge­ bietet die Moral, die unnatürlich und darum unsittlich gewordene Verbindung zu lösen.“ „Unsittlich“ nennt Bebel eine solche Verbindung mit Berufung auf die Worte der George Sand: „Was den Ehebruch konstituiert, ist nicht die Stunde, welche die Frau dem Geliebten gewährt, sondern die Nacht, die sie danach mit ihrem Manne zubringt.“ In diesen Anschauungen offenbart sich deutlich der extrem in­ dividualistische Standpunkt Bebels. Von diesem Geiste des Indivi­ dualismus sind wir übrigens fast alle in Bezug auf die hier erörterte Frage durch die Romane, die wir lesen, und durch die Theater­ stücke, die wir sehen, schon mehr oder weniger angesteckt, und zwar meist mehr als wir glauben. Bebel kritisiert die Institution der Einehe, die doch in erster Linie ein Mittel zur Erreichung wichtiger Zwecke der Gesamtheit, der menschlichen Gattung, ist, lediglich von dem Gesichtspunkte aus, ob sie zu dem Ziele j ederzeitigen subjektiven Wohlbehagens des einzelnen Ehemannes und der einzelnen Ehefrau führt. Bebel ist ajif diesem Gebiete übrigens nur der Nachfolger Friedrich Engels’, der bei seiner Kritik der monogamischen Eheform ebenfalls nur die subjektiven Wünsche und Neigungen der beiden Ehegatten in Betracht zog, auf die Kinder, neben Mann und Frau den dritten und im Grunde den wichtigsten Faktor, bei der Beurteilung der Einehe aber keine Rück­ sicht nahm. Professor Platter1 hat diese Art der Kritik der Mono­ gamie treffend dahin gekennzeichnet, daß sie bloß danach frage, ob die Einehe dem Zwecke entspreche, „eine Vergnügungsanstalt für geschlechtsreife Individuen“ zu sein. Der Grundfehler der Anschauungsweise, wie sie Engels und Bebel vertreten, ist der, daß sie „die landläufige, 1 Kritische Beiträge zur Erkenntnis unserer sozialen Zustände und Theorien. 1894, S. 111.

dekadente Ansicht von der Absolutheit des Geschlechtstriebs“ acceptieren, indem sie die Familie in eine vorwiegend physio­ logische und daneben allenfalls noch wirtschaftliche Institution auf lösen wollen. Masaryk1 hat durchaus Recht, wenn er diese Ansicht als ein Kennzeichen nicht der Kraft, sondern der Schwäche, nicht des Fortschritts, sondern des Verfalls charakterisiert. In der ENGELSSchen Lehre von der freien Liebe komme die alte Roman­ tik mit all ihrer geschlechtlichen Sentimentalität zum Vorschein; diese Lehre laufe auf einen „Fetischismus des Geschlechtslebens“ hinaus. Thatsächlich berührt sich auch Engels in seinen Aus­ lassungen hierüber sehr nahe mit den Äußerungen einiger hyper­ modernen Schriftsteller. Wie Engels verkündet hatte, daß die individuelle Geschlechtsliebe beim Manne früher aufhöre als bei der Frau, und daß daher die Scheidung nötig sei, so will ein Bleibtreu sogar in vollem Ernste die Zeit bestimmen, bis zu wel­ cher die Liebe regelmäßig dauern könne — nämlich drei Jahre; auch belehrt er uns, daß sie sich höchstens fünf Mal. im Leben einstellen könne. Im Hinblick darauf, daß solche Anschauungen in der sozialdemokratischen Presse mit Vorliebe Vertretung und Verbreitung finden, hat ein anderer hervorragender Sozialdemokrat, Eduard Bernstein, bemerkt, daß er mit dem größten Bedauern sehe, wie sich in der Arbeiterpresse hier und da ein Ton des litte­ rarischen Dekadententums breit mache, der nur verwirrend und schließlich korrumpierend wirken könne. Eine aufstrebende Klasse brauche eine gesunde Moral und keine Verfallsblasirtheit. 2

n. Zur Kritik der Anschauungen von Engels und Bebel möchte ich mich auf die Worte eines Mannes berufen, dessen allgemeine Weltanschauung ich zwar im übrigen nicht teile, der aber, ob­ wohl er seine Worte nicht speziell auf Bebel und Engels gemünzt hat, durch sie den individualistischen Standpunkt der letzteren so treffend wie nur möglich kritisiert. Ich ziele damit auf einige Sätze Eduard von Hartmanns ab, die er in einem Aufsatze über den 1 Masaryk, Die philosophischen und soziologischen Grundlagen des Marxismus, Wien 1899, 8. 381. 2 Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozial­ demokratie, 1890, 8. 187.

Individualismus der Gegenwart1 ausgesprochen hat. Er sagt da: „Ist die Geschlechtsvereinigung nur der Individuen wegen da, welche sie vollziehen, so ist die freie Liebe oder doch eine mög­ lichst lose und leicht lösliche Form der Ehe ihre zweckmäßigste Gestalt." „Der Individualismus verlangt Ausbildung der eigenen Persönlichkeit und lehrt den Mann, das weibliche Geschlecht ver­ achten und sich vor der Ausbeutung durch dasselbe in Acht nehmen, das Weib aber, sich in ihrem höherem Streben zu vornehm dünken für die niedrigen physiologischen Leistungen im Interesse der Gattung. Kann der Mann seiner Natur nach die Weiber nicht entbehren, so wird er als konsequenter Individualist sich ihrer zwar als Mittel seines Selbstgenusses und seiner ästhe­ tischen Anregung bedienen, aber ohne sich von ihnen dauernd fesseln zu lassen." „Von alledem verlangt das Prinzip der gene­ rellen Vervollkommnung das Gegenteil ... Wie die natürliche Zuchtwahl, so dient auch die geschlechtliche nicht dem Behagen oder der Vollkommenheit des Einzelnen, sondern der Veredelung des Gattungstypus. Auch die leidenschaftliche Geschlechtsliebe ist nicht um der Liebenden willen, sondern um der Kinder willen da. Vom Standpunkte des Individualismus wäre sie entweder wegen der damit verbundenen Opfer an Freiheit und Gemütsruhe zu bekämpfen oder in eine unfruchtbare freie Liebe umzubiegen. Wird aber aus dem Vervollkommnungsprinzip gefolgert, daß der Mensch sich nicht bloß fortpflanzen solle, sondern auch empor, so müssen die Individuen sich diese Einbuße gefallen lassen. Andererseits behaupten die romantischen Individualisten, daß jede nicht aus leidenschaftlicher Liebe entspringende Geschlechts­ vereinigung des Menschen unwürdig und insbesondere von Seiten des Weibs ein herabwürdigender Verkauf ihrer Person sei. Nun ist aber die leidenschaftliche Geschlechtsliebe zweier Personen zu einander etwas viel zu seltenes, als daß auf sie allein auch nur die Erhaltung der Gattung gebaut werden könnte, geschweige denn ihre Vermehrung. Andererseits kann das ästhetisch Ab­ stoßende und Unsaubere der körperlichen Vereinigung nicht durch gesteigerten Sinnesreiz und Nervenkitzel der Beteiligten vergeistigt und geadelt werden, sondern nur durch Ethisierung des Natür­ lichen, d. h. durch sittliche Eingliederung beider Gatten in die 1 Preußische Jahrbücher, 96. Bd., 8. 52.

Individualität höherer Ordnung, die Familie. Der sittliche Or­ ganismus der Familie kann aber ohne leidenschaftliche Liebe ebensowohl vorhanden sein, und kann bei letzterer fehlen. Die große, hohe Liebe ist also eine Blume, die nur selten blüht, und auf deren Blüte man nicht über die Zeit warten darf, wenn nicht die generelle Entwicklung Schaden leiden soll." „Wie die Ehe und Familie nicht der Eltern, sondern nur der Kinder wegen da ist, so ist auch um der Vervollkommnung der Kinder willen die Erziehung durch die Eltern zu fordern. Nur weil die menschliche Kindheit so lange dauert und von den Gatten, die zur Erziehung der Erstgeborenen vereinigt bleiben müssen, immer wieder Kinder nachsprießen, nur darum muß die Ehe beim Menschen lebenslänglich und möglichst schwer lösbar sein. Denn die Kinder bedürfen der vereinten Sorgfalt beider Eltern zu ihrer gedeihlichen Entwicklung, und bis das letzt­ geborene Kind ihrer nicht mehr bedarf, ist die Ehe gewöhnlich schon durch den Tod gelöst. Oft genug müssen die Gatten sich große persönliche Überwindung auferlegen, um das ihnen unleid­ lich gewordene Zusammenleben um der Kinder willen fortzusetzen, und doch dürfen sie aus Sozialevolutionismus nicht dem Indivi­ dualismus nachgeben, der die Trennung ohne Rücksicht auf das Wohl der Kinder fordert." Der Individualist wird seine Kinder, wie Hartmann weiter bemerkt, allerdings gern fremden Pflegern in oder außer dem Hause und später berufsmäßigen Erziehern übergeben, um sich nicht durch sie in seiner individuellen Vervollkommnung oder Vergnügungssucht stören zu lassen. Hartmann hat mit diesen Worten auch in der That das Erziehungssystem, das Bebel für seinen Zukunftsstaat als Ideal vorschwebt, richtig charakterisiert. Denn die Jugenderziehung soll in der sozialisierten Gesellschaft nach Bebels Vorschlägen im Wege der allgemeinen, für beide Geschlechter gemeinsamen Anstaltserziehung erfolgen. Insoweit Bebel diesen Vorschlag damit begründet, daß der großen Mehr­ zahl der Eltern die Zeit dazu fehlt, sich der Erziehung ihrer Kinder genügend zu widmen, und daß die häuslichen Einrich­ tungen der weitaus größten Zahl der Kinder so dürftige sind, daß sie weder die nötige Bequemlichkeit noch die Ordnung und Ruhe finden, ihre Schularbeiten zu Hause anzufertigen, beruht er auf einem Denkfehler. Da es ja diese und alle ähnlichen Miß-

stände im Zukunftsstaate, wo alle bei kurzer Arbeitszeit ein be­ quemes Leben führen können, nach Bebels Versicherung nicht mehr geben wird, fällt eigentlich auch der Anlaß zur Einfüh­ rung der Anstaltserziehung weg. Die Anstaltserziehung braucht Bebel freilich notwendig zur Durchführung des von ihm ver­ kündeten Systems der freien Liebe. Denn wenn die Kinder sämtlich in Anstalten untergebracht sind und dort auf Staats­ kosten erzogen werden, kommt eine Hauptschwierigkeit, die sonst bei Ehescheidungen entsteht, in Wegfall, und das Zusammenleben und Wiederauseinandergehen der Geschlechter je nach wechseln­ der Neigung und Laune erscheint eher durchführbar. Eine ganz andere Frage ist es aber, ob die Anstaltserziehung das Ideal einer Erziehung vom pädagogischen Standpunkte aus darstellt. Bebel beruft sich auf die heute bestehenden Anstalten dieser Art, in denen auch wohlhabendere Eltern ihre Kinder erziehen ließen. Er scheint aber gar nicht zu wissen, daß die meisten Eltern nur der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb (Verschiedenheit des Wohnorts; Vorschrift der Erziehung in der Anstalt etc.) ihre Kinder in solche Anstalten geben. Mögen solche Internate — von ihren spezifischen Gefahren will ich hier ganz absehen — unter der Leitung sorgfältig ausgewählter Lehrer auch geeignet sein, in den Kindern die sozusagen gröberen und mehr äußer­ lichen sozialen Haupttugenden zu erwecken, in einem wichtigen Punkte können sie die Erziehung im Schoße der Familie wohl niemals ersetzen: nur der Verkehr in einer durch Blutsverwandt­ schaft und gegenseitige herzliche' Zuneigung verbundenen Fa­ milie vermag jenen Tugenden erst die wahre Vertiefung zu geben; ihr Vollgehalt erhält erst im Haus auch jene Wohlgestalt, die sich vor allem in der zarten Rücksichtnahme auf andere aus­ drückt, durch die erst der Verkehr unter Menschen auf eine höhere Stufe gehoben wird. Wie Bebel somit vom Standpunkte der freien Liebe aus zur Forderung der Anstaltserziehung an Stelle der Familienerziehung kommt, so ist auch seine Forderung, daß die Frau genau wie der Mann ein „produktiv nützliches Glied der Gesellschaft“ werden, d. h. daß jede Frau und zwar auch jede verheiratete Frau irgend einen Beruf ausüben soll, eine Konsequenz, die sich aus dem von ihm vorgeschlagenen System der freien Liebe mit Not­ wendigkeit ergiebt. Bebel hat richtig erkannt, daß die freie

Liebe, nur bestehen kann, wenn die Frauen wirtschaftlich selb­ ständig gemacht werden. Es erscheint unglaublich, ist aber doch wahr, daß Bebel diese Forderungen speziell im Interesse des weiblichen Geschlechts aufstellt. Die Interessen des letzteren als des seit Alters „unterdrückten" Geschlechts will Bebel seiner Behauptung nach vertreten. In Wahrheit würden natürlich die Frauen derjenige Teil sein, der unter der Herrschaft der freien Liebe am schlechtesten fahren würde. Mag die rechtliche Stellung der Frau speziell in Bezug auf das Eherecht und ihre soziale Lage noch so verbesserungsbedürftig sein — mit dieser Bemerkung will ich mich aber durchaus nicht den radikalen Stürmern und Drängern in der Frauenbewegung anschließen, welche in Verkennung der bedeutsamen Fortschritte, die das neue bürgerliche Gesetzbuch in Bezug auf die rechtliche Stellung der Frau gebracht hat,1 gegen dasselbe gleich nach seinem Inkrafttreten eine Agitation in Szene zu setzen drohten, wie sie die Welt noch nicht erlebt habe; diese Agitation ist aber nach kurzer Zeit kläglich im Sande verlaufen, — durch Beseitigung der Einehe, nach deren Aufhebung die Tendenz der Entwicklung auch gar nicht hinstrebt,2 wie Bebel be­ hauptet, würde jedenfalls nichts gebessert, sondern der Frau nur die stärkste Schutzwehr einer wirklich unabhängigen Stellung ge­ nommen werden. Die Männerwelt fürwahr könnte sich nichts bequemeres wünschen als die freie Liebe. Den schlechten In­ stinkten des Mannes nach Abwechslung in der Liebe kommt dieses System am meisten entgegen. Er kann sich dann jedes Jahr ein neues, jüngeres Liebchen suchen, ohne für die verlassene Geliebte sorgen zu müssen. Diese steht ja wirtschaftlich auf eigenen Füßen und für die Kinder muß der Staat sorgen! Bebels Forderung, daß alle Frauen neben ihren häuslichen Aufgaben noch einen Beruf haben sollen, ist also an sich folge1 Vgl. hierzu Planck, Die rechtliche Stellung der Frau nach dem Bür­ gerlichen Gesetzbuch, Göttingen 1898; ferner Hebm. Jastrow, Das Recht der Frau nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, Berlin, 1897. 2 „Die ganze bisherige Entwicklung, die Lehren der größten Gesetz­ geber der Moral, die Vorschriften der christlichen Kirchen und die Ideale der besten Männer und Frauen der Neuzeit weisen alle nach einer Richtung: daß die Menschheit einer absoluten Monogamie zustrebt. Damit sie möglich werde, bedarf es neben den nötigen wirtschaftlichen Reformen einer ethischen und geistigen Reform auf der ganzen Linie." Masaryk, a. a. 0., S. 386.

richtig gedacht. Wo freie Liebe herrschen soll, da muß die Frau dem Manne ökonomisch vollkommen unabhängig gegenüberstehen. Nun verstehen wir erst, warum sich die Sozialdemokratie so hartnäckig gegen das Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit stemmt. Wenn die Erwerbsthätigkeit der Ehefrauen eingeschränkt würde, so würde auch die Durchführung ihres Ideals der freien Liebe bedroht und erschwert werden. Martin kennzeichnet daher den wahren Sachverhalt sehr richtig, wenn er sagt, daß der Kapitalismus in der Fabrikarbeit verheirateter Frauen eine echt sozialdemokratische Einrichtung als Glied in seinen Gesellschafts­ körper ausgenommen habe, um so den ganzen Körper zu zerrütten. Und ebenso recht hat er, wenn er ausführt, daß die Sozialdemo­ kratie, wenn sie ihr eigenes Wesen nicht aufgeben wolle, von der Fabrikarbeit verheirateter Frauen niemals lassen könne. Die Bedeutung der Forderung der Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik beruht wesentlich mit darauf, daß hier auf dem Ge­ biete des Arbeiterschutzes der Punkt erreicht ist, an dem sich die Geister scheiden. Eine wahrhaft konservative Politik müßte darum gerade diese Forderung in den Mittelpunkt ihres Arbeiter­ schutzprogrammes stellen. Der alte von Kleist-Retzow hat sich, als das Centrum in der Reichstags-Session 1890/91 seinen schon 1884 gestellten Antrag auf Einführung des Halbzeitsystems für verheiratete Fabrikarbeiterinnen erneut einbrachte, auch warm des­ selben angenommen, die heutigen Konservativen jedoch haben vor lauter Mittelstandspolitik das Interesse am Arbeiterschutz verloren.

III.

Es liegt nahe zu fragen, wie können die Sozialdemokraten ihre ablehnende Haltung im Hinblick auf die schweren Nachteile aufrecht erhalten, welche die eheweibliche Fabrikarbeit für das Familienleben und die Kindererziehung in der Arbeiterbevölkerung unleugbar hat? Sind sie ganz mit Blindheit geschlagen oder tragen sie Scheuklappen vor den Augen, daß sie diese Schäden nicht wahrnehmen, die doch so offen zu Tage liegen, daß sie sozusagen mit Händen zu greifen sind? Ganz können sich natürlich auch die Sozialdemokraten der Erkenntnis der schädlichen Einflüsse, welche die eheweibliche Fabrikarbeit notwendig im Gefolge hat, nicht verschließen. Pohle, Frauen- Fabrikarbeit. 6

In einem Aufsatze der „Neuen Zeit“1 werden sie beispielsweise mit folgenden Worten klar anerkannt: „Die bedenklichste Sache ist die Entfernung der Mutter aus dem Hause. Die bloße Kon­ statierung dieser Thatsache enthüllt eine entsetzliche Gefahr körperlicher, geistiger und sittlicher Verwahrlosung der Arbeiter­ jugend. Von der Größe des körperlichen Elends legen die hohe Sterblichkeitsziffer für Arbeiterkinder und die Fülle von Unglücks­ fällen, die sich infolge mangelhafter Beaufsichtigung der Kleinen ereignen, ein beredtes Zeugnis ab; die geistige und sittliche Not lassen sich nicht in Zahlenreihen auflösen, nur ahnen.“ Der extrem individualistische Standpunkt des sozialdemokra­ tischen Verfassers läßt nun aber nicht zu, aus diesen Vorder­ sätzen den einzig richtigen Schluß zu ziehen, daß die Fabrikarbeit verheirateter Frauen, soweit irgend möglich, verboten und die Mütter ihren Kindern zurückgegeben werden müssen. Mittels eines logischen salto mortale kommt der Verfasser vielmehr zur Ab­ lehnung dieser Forderung, und zwar aus folgenden Gründen: „Es ist ein dringendes Kulturbedürfnis, der modernen Entwicklung der Frauenarbeit nicht strangulierende Fesseln anzulegen. Ein allgemeines Verbot der Frauenarbeit wäre gleichbedeutend mit der Zurückversetzung der Frau in die alte absolute wirtschaftliche Ab­ hängigkeit vom Manne und nicht im Interesse der für die Hebung der Kultur eminent wichtigen Emanzipation des weiblichen Ge­ schlechts. Zudem wäre die ausschließliche Verweisung des Weibes auf die häusliche Arbeit eine Verletzung des Rechtes der Persön­ lichkeit.“ Die Teilnahme der Frauen an der öffentlichen Produktion dagegen ergiebt nach dem Verfasser die günstigsten Wirkungen; sie soll geeignet sein, den Anschauungskreis, das gesamte Geistes- und Willensleben des Weibes zu erweitern und zu stählen, wie auch das Familienleben zu bessern, die Kultur der Gesellschaft zu heben u. s. w. Auch von anderer sozialdemokratischer Seite werden der ehe­ weiblichen Erwerbsthätigkeit die günstigsten Folgen nachgerühmt. Es ist geradezu unglaublich, was in dieser Beziehung geleistet worden ist, und man hat Mühe, an den Ernst derer zu glauben, die solche Behauptungen aufstellen. Besonders hervor in dieser Beziehung that sich in Zürich Frau Zetkin. Nach ihr ist die Berufsarbeit der Frau die materielle Grundlage einer Entwicklungsfreiheit, die 1 17. Jahrg., 1. Bd., S. 370 ff.

der Frau ermöglicht, den Inhalt der Familie zu bereichern und zu vertiefen. Durch die Berufsarbeit kommt die Frau erst zur freien, harmonischen, allseitigen Entfaltung ihrer Individualität. „Diese Entfaltung erstrebt die Frau nicht bloß um ihrer selbst willen, sondern gerade auch zum Zwecke höherer Pflichtleistungen als Gattin und Mutter, idealeren Wirkens im Heim und in der Welt. Die als Persönlichkeit harmonisch kraftvolle Frau wird die wirkliche Gefährtin des Mannes sein, sein bester Freund, die Trägerin und Hegerin seiner Ideale, die thatkräftige, verständnisvolle Förderin seiner besten Bestrebungen ... Sie giebt dem Heim erst seine wahre Bedeutung, denn sie schafft es um zu einer Stätte fruchtbarer Anregung, geistig sittlicher Förderung. Ebenso kann nur die Frau, die selbst ein Vollmensch ist, ihre Kinder zu Vollmenschen erziehen?" Man faßt sich unwillkürlich an /len Kopf, wenn man diese Tiraden liest, und fragt sich: Wie kann ein vernünftiger Mensch solche Wirkungen davon erwarten, daß die Ehefrau 10—11 Stunden — denn so lange dauert jetzt die tägliche Arbeitszeit der Frauen im allgemeinen — jeden Tag hinter der Maschine stehen muß? Denn darum allein handelt es sich doch hier. Eine hervorragende Künstlerin oder Sängerin mag vielleicht durch die innere Be­ friedigung, die ihr die Ausübung ihres Berufs gewährt, befähigt sein, auch ihr Familienleben reicher auszugestalten und ihren An­ gehörigen wertvolle Anregungen zu geben. Wie aber durch eine regelmäßige 10—11 stündige Fabrikarbeit solche Wirkungen ent­ stehen sollen, das vermag ich nicht einzusehen. Eine Frau, die den besten Teil ihrer Kraft in der ^anstrengenden Fabrikarbeit ausgeben muß, wird dann notwendig so ermüdet sein, daß sie kaum ihr Hauswesen notdürftig wird in Ordnung halten können, ge­ schweige denn, daß von ihr fruchtbare Anregungen auf geistigem Gebiete ausgehen könnten. Und um sich viel um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, dazu fehlt ihr einfach die Zeit. Ich schließe mich hier ganz dem von einer Frau aufgestellten Satze an: „Daß eine Frau im stände sei, ihren Berufspflichten und denen der Hausfrau und Mutter gleichmäßig obzuliegen, ist undenkbar."1 Damit ist der wahre Sachverhalt ebenso zutreffend wie nüchtern 1 Frau Dr. jur. E. Kempin in einem Aufsatze über „Grenzlinien der Frauenbewegung" (Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung etc. 21. Jahrgang, 8. 1201). Dieser Aufsatz erscheint mir als das Beste und Reifste, was von weiblicher Seite über die Frauenfrage geschrieben worden ist. 6*

festgestellt. Die bombastischen Auslassungen der Frau Zetkin dagegen beziehen sich auf irgend ein Wölkenkuckucksheim, aber nicht auf die reale Welt. Und doch rechnete Frau Zetkin bei den betreffenden Äußerungen nicht etwa „mit einer Zukunftsfrau, für welche die Bindungen des Familienlebens nicht mehr existie­ ren", sondern sie that sie, um damit das Verbot der eheweiblichen Fabrikarbeit in der Gegenwart zu bekämpfen und ihre Stellung­ nahme gegen diese Forderung zu motivieren. Ebenso unrealistisch wie die Auffassung der Frau Zetkin ist die der Frau Lily Braun. Auch sie ist eine Gegnerin jeder Einschränkung der Berufsarbeit der verheirateten Frau. Die Frau soll nach ihrer Anschauung „selbständig auf eigenen Füßen stehen und, einmal verheiratet, nicht durch Küche und Kinder­ stube, Groschenzählen und Wäscheflicken abgehalten werden, an den großen Fragen der Menschheit lebendigen Anteil zu nehmen und da thätig zu sein, wo Talent und Neigung sie hin­ führen." Sehr charakteristisch ist nun, daß Frau Braun, ein wichtiges Mittel, um zahllose Frauen vor geistiger Verkümmerung zu retten und ihnen Zeit zu einem selbständigen Berufe zu geben, in der Errichtung von Centralküchen und Centralwaschanstalten, der Einführung der Centralheizung und durchgehender Beleuchtung mit elektrischem Licht erblickt. Wer wird denn, so muß man da sofort fragen, die Arbeit in derartigen Centralküchen und Central­ waschanstalten — angenommen, daß es zu ihrer Errichtung kommt — verrichten? Zum größten Teil wird dies wohl Frauen­ arbeit sein. Wenn der „selbständige Beruf", zu dem die Frau durch die Errichtung solcher Centralbetriebe Zeit gewinnt, aber in nichts anderem besteht, als daß die Frau, anstatt hinter ihrem eigenen Herd zu stehen, nun in einer großen Centralküche die gleichen Arbeiten verrichtet, die sie vorher im eigenen Haus­ halt besorgte, so vermag ich darin keinen Fortschritt und keine wirkliche Verbesserung ihrer Lage zu sehen. Die große Menge der Frauen wird sich aber immer solchen Berufen zuwenden müssen, weil in den höheren Berufsarten, in denen die Arbeit durch die Befriedigung, die sie gewährt, ihren Lohn eigentlich schon in sich selbst trägt, immer nur für wenige Auserwählte Platz sein wird. Die große Masse der Bevölkerung wird in jeder Wirtschaftsorganisation immer mit Arbeiten mehr mechanischer Natur beschäftigt sein.

Man verstehe mich nicht falsch! Ich habe änlich durchaus nichts gegen die Errichtung solcher Centralanlagen, in denen für viele Haushaltungen zugleich die betreffenden Leistungen her­ gestellt werden, vorausgesetzt, daß damit ein zweifelloser und wirklich ins Gewicht fallender ökonomischer Fortschritt erzielt wird. Solange diese Voraussetzung nicht zutrifft — und gegen­ wärtig ist dies entschieden noch nicht der Fall, wenigstens nicht in Bezug auf Centralküchen. Auch will die Mehrheit der Menschen jetzt noch nichts davon wissen, ihre Mahlzeiten regelmäßig in großen Speise-Anstalten einzunehmen, wie selbst von sozialistischer Seite zugegeben wird1; die Versorgung der einzelnen Wohnungen mit Wärme von einer Centralheizungsanlage aus erscheint da­ gegen schon eher denkbar —, solange kann ich mich für ihre Errichtung nicht erwärmen. Denn derjberufsmäßigen Verrichtung der betreffenden Arbeiten kann ich an sich nicht die Vorzüge beimessen, die ihnen Frau Braun vor der hauswirtschaftlichen andichtet. Zunächst braucht die Frau, welche bei einer 10 bis 11 stündigen Berufsarbeit in einem solchen Centralbetriebe nicht „geistig verkümmert", ebenfalls nicht zu verkümmern, wenn sie dem häuslichen Berufe der Kinderwärterin und Haushälterin sich widmet, von dem Bebel so wegwerfend spricht. Sodann aber hat die Arbeit in der Hauswirtschaft vor der berufsmäßigen Arbeit entschiedene Vorzüge voraus, die wir nicht unterschätzen dürfen, wenn sie auch nicht spezifisch ökonomischer Natur sind. „So unzweifelhaft der Fortschritt zur Berufsteilung," bemerkt Oldenberg 2 treffend, ,,auf der einem Seite bedeutet den Fort­ schritt in der Technik und im Komfort, ebenso sicher hat er von vornherein einen gewaltigen Rückschritt gebracht auf den Ge­ bieten menschlichen Lebens, die der exakten Messung und Zäh­ lung nicht so zugänglich sind wie die Verbilligung der Produktions­ kosten. ... Es sind im wirtschaftlichen Fortschritt Momente, enthalten, die unwirtschaftlich in großem Maßstabe wirken Das eine ist — beim Verlassen der Eigenwirtschaft — die inner­ liche Verarmung der wirtschaftlichen Thätigkeit; es geht der Affektionswert verloren. Man arbeitet nicht mehr für den eigenen 1 Vgl. z. B. die Äußerung eines englischen Sozialisten in der „Biblio­ thek für Sozialwissenschaft", Bd. 11, S. 197. 2 Deutschland als Industriestaat, Göttingen 1897, S. 11.

Bedarf, für c^en Bedarf der eigenen Familie, d. h. man arbeitet ohne einen mehr als formalen Zweck, nur des Verdienstes wegen, ohne Lust und Liebe; und man verzehrt nicht das Erzeugnis der eigenen Hand, sondern fremdes gekauftes Produkt. Sowohl in der Produktion, wie in der Konsumtion ist das wirtschaftliche Leben zwar komfortabler geworden, aber innerlich verarmt. Der unvergleichliche Reiz der geschlossenen Eigenheit ist verflogen/4 Diesem Moment kommt aber gerade für einen Teil der hier in Frage stehenden Arbeiten große Bedeutung zu. In diese Arbeiten läßt sich, wenn sie in der Hauswirtschaft ausgeübt werden, viel mehr Individualität hineinlegen, wenn ich mich so ausdrücken darf, darum aber auch aus ihnen viel mehr Befrie­ digung herausziehen, als wenn ihre Produkte als Massenartikel für unbekannte Konsumenten hingestellt werden. Ferner handelt es sich hier teilweise um wenig angenehme Verrichtungen. Un­ angenehme Arbeiten werden aber immer leichter übernommen, wenn dies im Interesse von Personen, die uns durch Bande der Liebe oder des Blutes verbunden sind, geschieht, als wenn sie berufsmäßig für den Bedarf des Herrn Omnes nach dem Princip von Leistung und Gegenleistung ausgeführt werden. Denen gegenüber, welche über den Beruf der Frau als Haushälterin und Kinderwärterin so geringschätzig urteilen, sei außerdem noch betont, daß „es unter Umständen viel bequemer ist, in einseitiger Berufsarbeit seine Kräfte anzuspannen, als Tag für Tag die tausenderlei Geschäfte des Haushalts zu besorgen, oder im Kreise seiner Kinder seine Nervenstärke und Gemüts­ heiterkeit zu beweisen.“ 1

IV.

Eine starke Stütze finden die, welche für die Berufsarbeit der Ehefrauen eintreten, an der Theorie von dem ab­ nehmenden Umfang der Arbeit, welche die Hausfrau im Haushalte zu bewältigen hat. Diese Theorie spielt in der mo­ dernen Frauenbewegung eine große Rolle; einige Autoren gehen sogar soweit, hauptsächlich mit Berufung auf sie die ganze heu1 Frau Dr. Kempin, a. a. 0. S. 1201.

Die Notwendigkeit der Ausschließung der verheirateten Arbeiterinnen.

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tige Frauenbewegung erklären und rechtfertigen zu wollen. Namentlich auch Frau Dr. Gnauck-Kühne hat in dem Vortrage, den sie 1895 auf dem evangelisch - sozialen Kongreß in Erfurt über die soziale Lage der Frauen hielt, diese Theorie mehr als mir recht und billig erscheint, in den Vordergrund ihrer Be­ trachtungen gestellt. Ihre Ausführungen erwecken den Eindruck, als ob die verheiratete Frau in ihrem Haushalt jetzt nicht mehr genug zu thun habe, seitdem ihr durch die moderne ökonomisch­ technische Entwicklung die Arbeiten des Spinnens und Webens, des Nähens und Schneiderns, des Brotbackens und Bierbrauens, des Seifekochens und Lichterziehens, sowie noch manche andere Thätigkeiten abgenommen worden sind. Das ist ja zweifellos richtig, daß die Frau als Produzentin jetzt in ihrem Haushalte eine viel weniger hervortretende Rolle.spielt als vor hundert oder auch noch vor fünfzig Jahren. „Die Site Hauswirtschaft kommt als Produktionsstätte zum Verdorren“ (Pierstorff). Indessen darf man diese Entwicklung auch nicht zu sehr verallgemeinern auf Grund der Erscheinungen, welche die großen Städte zeigen. In den kleinen Städten und auf dem platten Lande, ferner aber auch in gewissen, den mittleren Einkommensklassen angehörigen Bevölkerungskreisen der Großstädte bildet das Schneidern im Hause, wenigstens was die Kleider des weiblichen Teils der Familie anbetrifft, noch die Regel, und ebenso wird dort die Wäsche oft noch im Hause gewaschen. Vor allem aber gilt hier der Satz: Was die Frau auf dem Gebiete der Produktion an Aufgaben verloren hat, das, wenn nicht noch mehr, hat sie in der gleichen Zeit auf dem Gebiete der Konsumtion an Aufgaben neu gewonnen, entsprechend der Verfeinerung und Vermannigfachung der Be­ dürfnisse, welche in allen Schichten der Bevölkerung im letzten Jahrhundert sich vollzogen hat. Je mehr es aber Sitte wird, fertige Produkte zu kaufen, umso mehr kommt es auch darauf an, daß die Hausfau die schwierige Kunst des Einkaufs versteht, daß sie die besten und billigsten Bezugsquellen aufzufinden weiß. Und gerade für die Gattin des Lohnarbeiters, deren Etat sehr knapp bemessen ist, ist es von doppelter Wichtigkeit, daß sie Verständnis hierfür besitzt und aus wenig viel zu machen weiß. Welche Fortschritte die durchschnittliche Lebenshaltung im letzten Jahrhundert gemacht hat, wie in allen Klassen der

Gesellschaft, nicht bloß in den bürgerlichen Kreisen die An­ sprüche. speziell in Bezug auf die Wohnungseinrichtung und -Aus­ stattung gewachsen sind, hat Schmoller 1 neuerdings in höchst anschaulicher Weise geschildert: „Die gewöhnlichen Wohnungen der Alten wie der mittelalterlichen Menschen waren elende, kleine, dunkle Räume; noch im Patrizierhause des 14.—16. Jahrhun­ derts hatte man kaum Zimmer, in denen aufrecht zu stehen, ein Fest zu feiern war; das fand im Stadt- oder Gildehause statt. Erst seit dem 16.—18. Jahrhundert erhielten zuerst die oberen Klassen und dann auch der Mittelstand Zimmer mit Heizung, mit Licht, mit soviel Raum, wie wir heute für nötig halten. Und das wurde doch wesentlich erleichtert durch die Scheidung der Wohngelasse und der Produktionsstätten. Erst im 18. und 19. Jahrhundert entstand mit Hilfe der fortschreitenden Technik und Kunst, unterstützt durch Feuer- und Baupolizei, aus den alten, höhlenartigen Schlupfwinkeln die neuere Kulturwohnung mit ihren Empfangs-, Wohn-, Eß- und Schlafzimmern, ihren Küchen, Kellern, Badezimmern, Wasser- und Gasleitung und all dem anderen Komfort. Die Mehrzahl der Kulturmenschen wohnt seit einigen Generationen besser als je zuvor. Und wenn die großstädtische Menschenanhäufung für die unteren Klassen die Ansprüche teil­ weise wieder vermindert hat, wenn es als allgemeiner öffentlicher Mißstand empfunden wird, daß viele Familien nur einen oder zwei Räume haben, daß sie in ihren Wohnräumen zugleich ihre Geschäfte besorgen und arbeiten müssen, daß ihre Familien­ wohnungen nicht isoliert von denen anderer sind, so beweist das nur, wie hoch die Ansprüche gegen frühere Zeiten gestiegen sind, wo fast alle Menschen mit Vieh und Ungeziefer zusammen zu hausen gewohnt waren." Eine solche größere Wohnung mit all dem, was zu ihrer Einrichtung an Möbeln der verschiedensten Art, Teppichen, Vor­ hängen, Fenstern, Zimmerschmuck etc. gehört — Dingen, die unseren Vorfahren zum Teil ganz unbekannt waren, jetzt aber, wenn auch vielleicht nur in billigen Surrogaten und Nach­ ahmungen einen Teil der notwendigen Einrichtung jedes groß­ städtischen Arbeiterhaushalts darstellen —, in der rechten Ordnung zu halten, erfordert natürlich eine viel größere Arbeit 1 Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Teil I, S. 248.

als die Instandhaltung der engen, dürftig eingerichteten Be­ hausungen früherer Jahrhunderte. Dazu kommt, daß unsere Ansprüche in Bezug auf Reinlichkeit ganz andere geworden sind. Das gilt sowohl von der Reinlichkeit und Sauberkeit auf den öffentlichen Straßen und Plätzen als auch von der im Hause. Die Hausfrau muß jetzt den täglichen „kleinen Krieg gegen Staub und Verderbnis“ mit viel größerer Energie führen als früher. Dies zeigt sich schon darin, daß es jetzt zu diesem Zweck eine ganze Reihe von stark differenzierten Geräten und Apparaten giebt, die früheren Geschlechtern unbekannt waren. Ich erinnere ferner daran, daß eine moderne Hausfrau viel reichere Wäscheschätze zu besitzen pflegt, als sie die Bürgersfrau der guten alten Zeit hatte. Auch in wohlhabenden Bürgerfamilien war es in früheren Jahrhunderten allgemein üblich, daß beide Ge­ schlechter aus Ersparnisrücksichten ganz nackend zu Bett gingen. Und wenn wir aus den letzten Jahrhunderten des Mittelalters von der Zahl der Hemden lesen, die damals zur Brautausstattung einer Prinzessin gehörten, oder wenn in damaliger Zeit das Geschenk einer geringen Anzahl Exemplare dieses Kleidungs­ stücks an eine Fürstin als eine anscheinend besonders noble Spende hingestellt wird, so läßt das alles erkennen, wieviel größere Ansprüche wir jetzt zu machen gewöhnt sind. Die Ver­ waltung der jetzigen größeren Wäschebestände verursacht selbst­ verständlich aber auch mehr Arbeit. Dazu gesellt sich noch ein zweites wichtiges Moment. Zurück­ gegangen ist die Bedeutung der Hausfrau als Produzentin nur auf dem Gebiete der Produktion materieller Werte, in Bezug auf die Produktion ideeller Werte dagegen werden jetzt im Vergleich mit ehedem erhöhte Anforderungen an sie gestellt, wie die Ent­ wicklung überhaupt immer mehr dahin führt, die Familie aus einem Produktions- und Erwerbsorganismus in ein vorwiegend der sittlichen Lebensgemeinschaft gewidmetes Institut zu ver­ wandeln. Die körperliche Pflege der Kinder, die jetzt in viel rationellerer Weise als früher geschieht — das Gleiche gilt von der Krankenpflege erwachsener Familienmitglieder, die ja eben­ falls in der Hauptsache Her Hausfrau zufällt —, setzt ein größeres hygienisches Verständnis bei der Frau voraus, als es die Durchschnittshausfrau der guten alten Zeit besaß. Befreit von der Last einer Reihe von zeitraubenden Verrichtungen, welche

die neuere wirtschaftliche Entwicklung dem Hause abgenommen hat, kann sich die Hausfrau jetzt auch mehr um die geistig­ sittliche Leitung und Erziehung ihrer Kinder kümmern und hat mehr Zeit, sich das dazu erforderliche größere pädagogische Verständ­ nis durch geeignete Lektüre zu erwerben — das Beste auf diesem Gebiete muß der Mutter freilich von der Natur mitgegeben sein. Zusammenfassend können wir hiernach mit Schmoller1 sagen: „Bei gesunder Wohnweise ist die Hausfrau auch heute voll be­ schäftigt und wird es künftig noch mehr sein, trotz aller sie unterstützenden Schulen, Kaufläden und Gewerbe, trotzdem daß sie in steigendem Maße fertige Produkte, ja fertiges Essen ein­ kauft. Und neben ihrer Hauswirtschaft soll sie Zeit für Lektüre, Bildung, Musik, gemeinnützige und Vereinsthätigkeit haben, gerade auch bis in die untersten Klassen hinein. Ohne das giebt es keine soziale Rettung und Heilung.“2 Wenn es trotzdem manchmal den Anschein hat, als ob die Ehefrau der besitzenden und gebildeten Klassen nicht genug in ihrem Haushalte zu thun habe, — bei der Arbeiterfrau, die sich kein Dienstmädchen halten kann, wird niemand dies behaupten wollen — so liegt das nicht daran, daß die Frau nicht hinreichende Arbeit finden könnte, sondern daran, daß sie sich nicht genug Beschäf­ tigung sucht, indem sie mehr als nötig den Dienstboten überläßt, sowohl in Bezug auf die Pflege der Kinder als auf die sonstigen häus­ lichen Verrichtungen. Hinsichtlich der Dienstbotenhaltung sollte der Grundsatz sich wieder mehr Bahn brechen: „Zahl und Gattung 1 A. a. 0. 8. 253. a Ganz in Übereinstimmung hiermit führt ein ungenannter Verfasser im „Deutschen Wochenblatt“ (VIII. Jahrgang, 8. 525) aus: „Die Verfeinerung des Lebens, die erhöhten Ansprüche auf jedem Gebiete, die Erweiterung der sogenannten geselligen Pflichten, die weitaus vermehrte Sorgfalt in allen sani­ tären Verhältnissen, vor allem aber die immer höher gesteigerten Ansprüche an die körperliche und geistige Erziehung und Ausbildung der Kinder bei stets wachsenden Gefahren und Hindernissen — das alles hat die Lücken, die in die Berufspflichten der Frau gerissen wurden, zum großen, ja zum größten Teil ausgefüllt. Bringt man daneben in Anschlag, daß die Frauen der höheren Stände heute durchschnittlich mit einer bedeutend vermin­ derten körperlichen Leistungsfähigkeit und Widerstandskraft zu rechnen haben, so ergiebt sich, daß die Frau, d. h. zunächst die Hausfrau der Jetzt­ zeit vollauf, ja vielfach überreichlich beschäftigt ist und es wahrlich nicht nötig hat, einen Beruf außer dem Hause zu suchen.“

der irn Haushalt beschäftigten Hilfskräfte soll nach keinen anderen Rücksichten bestimmt werden als nach dem Umfang der Arbeiten, die nach voller, ausreichender Beschäftigung der Hausfrau noch vorliegen." Die einzelne Hausfrau kann sich dabei je nach ihren individuellen Neigungen und Anlagen eine solche aus­ reichende Beschäftigung bald mehr nach dieser, bald mehr nach jener Richtung suchen. An die eigentlich groben Arbeiten wird keine heranzutreten brauchen, obschon selbst diese an sich nicht unter der Würde der Hausfrau sind, und keine Hausfrau sich schämen sollte, sie zu verrichten. Die Voraussetzung dafür, daß die Hausfrauen so handeln, ist freilich, daß sie nicht gering von ihrem* Berufe denken. In der modernen Frauenbewegung jedoch wird über den Beruf der Frau als „Haushälterin und Kinderwärterin" so geringschätzig wie nur möglich geurteilt. Man bekommt dort den Eindruck, als ob der Mann aus lauter Bosheit und Verachtung für die Frau diese zur Verrichtung der unwürdigsten und sozial am wenigsten wertvollen Arbeiten zwinge, während er sich die angenehmsten und gesellschaftlich wichtigsten Arbeiten vorbehalten habe. Solchen irrigen Vorstellungen gegenüber sei nur kurz auf zwei Punkte hingewiesen: Einmal giebt es in allen Berufen, auch in den am höchsten stehenden geistigen Berufen> wie denen des Gelehrten und des Staatsmannes, Arbeiten, bei denen kaum von einer in der Arbeit selbst liegenden inneren Befriedigung die Rede sein kann, bei denen vielmehr nur das strengste Pflichtgefühl hilft, sie zu Ende zu führen. Die berufliche Arbeit des Mannes ist weiter für jeden einzelnen Mitarbeiter stets nur „ein arbeitsteiliges Stück­ werk, dessen Resultate das Individuum oft gar nicht, oft erst spät übersieht. Die Arbeit der Frauen im Hause umschließt einen kleineren, aber einen vollendeten harmonischen Kreis; die Frau sieht jeden Tag und jede Stunde die Früchte ihres Thuns vor sich und weiß, daß in ihrem kleinen Reiche Anfang und Ende alles menschlichen Strebens liegt." Der Beruf des Weibes als Hausfrau und Mutter steht also eher höher als der außerhalb des Hauses liegende des Mannes, weil der erstere „unmittelbar und naturnotwendig die menschliche Persönlichkeit zum Gegenstände hat, weil die Seele des Menschen gerade in ihrer ersten, bild­ samsten, für alle Zeit bestimmenden Entwicklungsstufe ganz in die Hand der Frau gelegt ist." Die Frau baut mit ihrer Arbeit

die Urzelle der Gesellschaft. Ohne diese Urzelle wird die Gesell­ schaft nie auskommen können trotz aller Umgestaltungen und Verluste, welche die Familie und die Hauswirtschaft durch die ökonomische Entwicklung schon erfahren hat und noch weiter er­ fahren wird. Im Gegenteil, je komplizierter, vielgestaltiger und beweglicher das Leben wird, desto notwendiger wird nach Schmollers Wort ein sicherer, nach außen geschlossener engster Kreis der Liebe, des Vertrauens, des Behagens, wie ihn allein die Familie gewährt.

V.

Die Theorie von dem abnehmenden Umfang der Arbeit, welche der Hausfrau obliegt, ist somit nur in sehr bedingter Weise richtig. Selbst wenn sie aber vollkommen richtig wäre, würde ich sie doch für ungeeignet halten, die moderne Frauenbewegung ohne Rest zu erklären. Den eigentlichen Inhalt und die Wurzel der letzteren sehe ich mit Frau Dr. Kempin darin, daß sich seit den letzten Jahrzehnten eines großen Bruchteils der Frauenwelt wie mit einem Schlage eine ungemein intensive Sehnsucht nach größerem individuellen Leben bemächtigt hat. Als eine direkte Folge bloß des Umstandes, daß die Frau als Pro­ duzentin im Haushalte entbehrlicher geworden ist, vermag ich diese Erscheinung aber nicht anzusehen; sie ist das Produkt äußerst komplizierter Verhältnisse. Bei ihrer Entstehung haben sehr verschiedene Ursachen zusammengewirkt, die wir hier nicht einzeln analysieren können. Die moderne Frauenbewegung steht in engem Zusammenhang mit den Strömungen und Ideenrichtungen, welche das Geistesleben der Kulturvölker während des 19. Jahr­ hunderts beherrschten, und die fast alle ihren Ausgangspunkt von der großen französischen Revolution genommen haben. Wir wollen uns hier über die Ursachen der Frauenbewegung nicht den Kopf zerbrechen; genug, sie ist da und verlangt für die Frauen Entwicklung ihrer Persönlichkeit, Ausleben ihrer Individualität; die Frau will im sozialen Ganzen nicht mehr bloß als Mittel zum Zweck behandelt, sondern auch als Selbstzweck anerkannt werden. Sie behauptet, daß ihr Leben bisher ganz in den Dienst des Sozialgebildes, das wir Familie nennen, ge-

stellt worden sei, und daß diese Einseitigkeit nun ihr Ende er­ reichen müsse. Für die Gesellschaft ergiebt sich hieraus das Problem, ihre Einrichtungen so zu treffen, wie Frau Dr. Kempin es richtig for­ muliert hat, „daß auf die Entwicklung der Persönlichkeit der Frauen Rücksicht genommen und gleichzeitig die Interessen der Familie und die in letzterer wurzelnde Stellung der Frau nicht aus den Augen verloren werden." Nach Frau Dr. Kempin läßt sich beides vereinigen, und zwar dann, wenn man den Grund­ satz befolgt: das Leben der jungen Mädchen muß durch Thätig­ keit und Erkenntnis bereichert und sie müssen so erzogen wer­ den, wie wenn sie niemals eine Familie gründeten, und doch so, daß sie den Anforderungen, welche die Familie an sie stellt, voll­ kommen gewachsen sind. Während man diesen vortrefflichen Gedanken und Vorschlägen, deren spezielle Ausführung uns hier nicht obliegt, nur beipflichten kann, schießt ein Teil der Anhängerinnen der modernen Frauen­ bewegung, und zwar gerade der Teil, der in der Öffentlichkeit stärker hervortritt und das große Wort führt, unter der Führung einer Marie Stritt und anderer mit seinen Bestrebungen weit über dieses Ziel hinaus. Dieser linke Flügel der Frauenbe­ wegung verlangt nicht weniger als volle Gleichberechtigung und Gleichstellung beider Geschlechter auf allen Gebieten, im privaten und im öffentlichen Recht, im Erwerbs- wie im Familienleben, in Staat und Gesellschaft. Diese Richtung der bürgerlichen Frauenbewegung hält enge Fühlung «mit der Sozialdemokratie, deren Ziele in Bezug auf die zukünftige Stellung der Frau eben auch ganz die ihrigen sind; sie will darum auch von einer Ein­ schränkung der eheweiblichen Fabrikarbeit nichts wissen, weil da­ durch die völlige wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau vom Manne verhindert werden würde. Um der Erreichung des Zieles willen, die Frau ökonomisch selbständig zu machen, ignoriert sie die gewaltigen Schäden, welche den künftigen Generationen und der ganzen Gesellschaft von der Fabrikarbeit der verheirateten Frauen drohen. In philosophischer Beziehung stehen diese Frauen, wie man sieht, und wie schon Pierstorff treffend hervorgehoben hat, auf dem Boden des reinsten, abstrakten Individualismus. Der die Grenzen seiner Berechtigung nicht kennende Individualismus feiert

in den Reden und Schriften dieser Frauenrechtlerinnen wahre Orgien. Die Frau ist ja, möchte ich sagen, von Natur gleichsam prädestiniert zum Individualismus, weil ihr Gefühlsleben stärker entwickelt ist als ihr Verstandesleben — Wenigstens war dies bis­ her so. Mag diese Bemerkung den radikal-individualistischen Standpunkt vieler Frauenrechtlerinnen einigermaßen erklärlich erscheinen lassen, so entbindet das doch nicht von der Pflicht, die ungeheuren Gefahren dieses Standpunktes für die Gesamtheit auf das nachdrücklichste zu betonen. Alles Verstehen heißt noch nicht alles Verzeihen. Der Individualismus, d. h. die Weltanschauung, daß der einzelne Mensch Selbstzweck ist und daß alle gesellschaftlichen Einrichtungen nur dem subjektiven Glück der Individuen zu dienen haben, hat im Grunde aber keine selbständige Existenzberechtigung. Denn er hat in sich niemals einen Grund zur Selbstbeschränkung, sondern schweift, wenn ihm nicht durch supraindividualistische Prinzipien Grenzen gezogen werden, ins Maßlose.1 Das Individualprinzip ist darum nur möglich innerhalb des Sozialprinzips, d. h. vor der Rücksicht auf das Behagen der In­ dividuen steht stets die Rücksicht auf die Wohlfahrt und den Fortschritt der Gesellschaft. Nur insoweit die Interessen der Ge­ samtheit dadurch nicht geschädigt werden, ist es möglich und sitt­ lich erlaubt, das Maß der den Einzelpersonen eingeräumten Rechte und Freiheiten zu erweitern. Der allgemeine Fortschritt der Kultur besteht nun allerdings darin, daß im Verlauf der Ent­ wicklung die Sphäre, die das Individuum für sich zu seiner freien Verfügung erhält, immer größer wird; allein das Maß dieses Fortschritts ist jeweilig immer bestimmt durch die Anforderungen, die im Interesse der Gattung, der Gesellschaft an das Individuum gestellt werden müssen, mag dieses vielleicht auch einen viel größeren Spielraum für sich zur freien Bethätigung begehren. Der Individualismus, der diese Grenzen überschreiten will, ist gesellschaftsfeindlich und verliert die Existenzberechtigung. Es nützt dem Menschen nichts, wenn er sich im Streben nach freiem Ausleben seiner Persönlichkeit gegen die Schranken auflehnt, 1 Vgl. hierzu den schon früher citierten Aufsatz von Eduard von Hart­ über den Individualismus der Gegenwart (Preuss. Jahrb., Bd. 96, S. 30 ff.).

mann

welche diesem Streben durch das Gattungsinteresse gezogen sind, dessen Anforderungen übrigens im Verlauf der Kulturentwicklung wechseln und im allgemeinen die Tendenz haben, abzunehmen. Hier heißt es sich bescheiden und sich den Gesetzen der sozialen Zweckmäßigkeit einfügen und unterordnen. Wer nach dieser Norm handelt, für den gilt der Satz, daß die Resignation die höchste aller Tugenden ist. Der Unterschied des Menschen vom Tier und von der Pflanze besteht mit Bezug hierauf nicht in einer absolut größeren Freiheit des ersteren, sondern nur darin, daß er im Gegensatz zu letzteren die Möglichkeit hat, sich den Gesetzen der Naturordnung bewußt und mit Einsicht in ihre Zweckmäßig­ keit zu unterwerfen, gemäß dem ScniLLEs/schen Wort: Suchst Du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es Dich lehren. Was sie willenlos ist, sei Du es wollend — ,das ist’s!

VI.

Damit haben wir den prinzipiellen Standpunkt gewonnen, von dem aus die ganze Frage zu entscheiden ist. Es bleibt nun nur noch übrig, die konkreten Momente zu bezeichnen, welche im Interesse der Erhaltung der Gattung und des Fortschreitens der Gesellschaft, ungeachtet der entgegenstehenden Wünsche eines Teils der Frauenwelt, die Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik fordern. Der eine oder andere der hierbei in Betracht kommenden Gesichtspunkte ist schon früher im Vorübergehen gestreift worden; jetzt handelt es sich nur darum, sie kurz systematisch zusammenzufassen. Die schädlichen Folgen der eheweiblichen Fabrikarbeit äußern sich hauptsächlich in folgenden vier Punkten: 1. Die Gesundheit der Ehefrauen, der Mütter der kommen­ den Geschlechter, leidet bei diesem Zustande. 2. Das Hauswesen der betreffenden Arbeiterfamilien wird notwendig unordentlich und unwirtschaftlich verwaltet, wodurch insbesondere die Ernährung der ganzen Familie leicht eine mangel­ hafte wird. 3. Die körperliche Pflege der Kinder wird vernachlässigt, was in der erschreckend hohen Säuglingssterblichkeit in Gegenden, wo die Frauen-Fabrikarbeit stark vertreten ist, deutlich zu Tage tritt.

4. Der Nachwuchs der Arbeiterbevölkerung entbehrt der rechten Beaufsichtigung und Erziehung und läuft daher Gefahr, in moralischer Beziehung zu verwahrlosen. Was zunächst die Nachteile der Fabrikarbeit für die Ge­ sundheit der verheirateten Arbeiterinnen betrifft, so wird sich allerdings kaum nachweisen lassen, daß die Fabrikarbeit an und für sich bei Ehefrauen, abgesehen von einigen wenigen ganz be­ stimmten Gewerbezweigen, besondere Gesundheitsschädigungen im Gefolge habe. Ich stimme in dieser Richtung ganz mit dem überein, was in dem letzten Jahresbericht der badischen Fabrik­ inspektion hierüber gesagt wird. Dort heißt es: „Es ist nicht festgestellt worden, daß die verheirateten Frauen durch die Fabrik­ arbeit besonderen Schädigungen, welche nur bei ihnen bemerkbar wären, ausgesetzt seien." In dem gleichen Sinne äußern sich auch fast sämtliche sächsischen Gewerbe-Inspektoren. Wenn trotzdem die verheirateten Frauen, die zugleich Fabrik­ arbeiterinnen sind, von besonderen Gefahren für ihre Gesundheit bedroht sind, so ist daran nicht die Fabrikarbeit an sich schuld, sondern die Verbindung der Fabrikarbeit mit der Besor­ gung des Hauswesens, das, wenn es auch noch so dürftig und oberflächlich in Stand gehalten wird, doch der Hausfrau noch eine große Arbeitslast aufbürdet. In der Reichstagssitzung vom 21. Januar 1898 wurde diese Thatsache vom Centrumsabgeordneten Dr. Hitze in vortrefflicher Weise beleuchtet. Dr. Hitze wies zunächst darauf hin, daß die seit 1891 übliche 10 —11 stündige tägliche Arbeitszeit an die Leistungsfähigkeit des weiblichen Organismus noch sehr hohe Anforderungen stelle, was ja auch von den Gewerbe-Inspektoren schon wiederholt hervorgehoben worden ist. Dann fuhr er fort: „Nun aber denken Sie sich dazu die hohe weitere Arbeitsbelastung der verheirateten Frau durch die häus­ liche Wirtschaft. Morgens früh, wenn der Mann noch schläft, muß die Frau aufstehen, Frühstück bereiten, die Kinder kleiden, zur Schule schicken, die ersten Aufräumungsarbeiten verrichten; Mittags muß sie das Essen bereiten; Abends, wenn sie müde nach Hause kommt, geht das Schaffen von Neuem an. Das ist eine Überlastung mit Arbeit, welche die Frau auf die Dauer nicht aushält. Nun nehmen Sie dazu die besonderen Lasten und Sorgen der Frau als Mutter, die Verhältnisse der Schwangerschaft, die Sorge für das kleine Kind, das ihr selbst Nachts nicht Ruhe läßt,

die Schwächung der Konstitution infolge des Wochenbetts, so ist die Gefahr einer Überlastung bis zur Erdrückung unleugbar. Krankheit, Siechtum, Schwindsucht etc. sind hiervon die Folgen. Hierunter leidet aber nicht nur die Frau, sondern zugleich auch das Kind, oft schon im Mutterschoß.“ Hiermit übereinstimmend sagt die Gewerbe-Inspektion Plauen i. V. in ihrem letzten Jahres­ bericht:1 „Es ist zweifellos, daß die Kräfte der Tags über in Fabriken beschäftigten Frauen, die bestrebt sind, ihr Heim be­ sonders bei größerer Familie in sauberem und ordentlichem Stand zu erhalten, durch die notwendigen häuslichen Arbeiten, welchen sie einen großen Teil des Abends opfern müssen, überanstrengt werden, wodurch ein vorzeitiges Altern solcher Frauen unaus­ bleiblich ist.“ Es sei mir gestattet, auch nochrdas ganz im gleichen Sinne ausgefallene Zeugnis der badischen Fabrik-Inspektion anzuführen: „Eine elfstündige tägliche reine Arbeitszeit, ganz abgesehen von der zeitweisen Überarbeit, ist,“ so bemerkt diese, „mit den Wegen von und nach der Arbeitsstätte an sich schon eine genügende Anstrengung. Kommen noch häusliche Verpflichtungen hinzu, so findet sich für sie kaum die Zeit, und es mag hieraus zu erklären sein, warum so viele Arbeiterinnen schon von den mittleren Jahren an den Eindruck des Abgehetztseins und der Abspannung machen. Ganz besonders ist dies der Fall bei den verheirateten Arbeite­ rinnen, auf denen neben der gewerblichen Arbeit eine solche Menge häuslicher Verpflichtungen ruht, daß sie dieselben über­ haupt nicht ordnungsmäßig erfüllen können. Schon das Gefühl, ihren Verpflichtungen nicht genügen zu können, und der Anblick ihres immer mehr verkommenden Haushalts ist allein, sofern diese Arbeiterinnen nicht völlig abgestumpft sind, mindestens nicht ge­ sundheitsfördernd.“ 2

VII.

Ganz vorzugsweise liegen die Nachteile der Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken indessen nicht auf dem eben be­ sprochenen, sondern auf dem Gebiete des wirtschaftlichen und des Familienlebens. Wenn auch von den beiden letzteren Gebieten 1 A. a. 0. 8. 326. 2 A. a. 0. 8. 90. Pohle, Frauen-Fabrlkarbeit.

7

98

Die Notwendigkeit der Ausschließung der verheirateten Arbeiterinnen.

wieder dem des Familienlebens im engeren Sinne eine unvergleich­ lich größere Bedeutung zukommt als dem rein wirtschaftlichen, so darf doch auch die Bedeutung der Thätigkeit der Frau im Hauswesen und speziell die ihr obliegende Verwaltung der Kon­ sumtionswirtschaft nicht unterschätzt werden. Dem Satz in der Schrift von Käthe Dunkeb: „Die Thätigkeit der Frau im Haus­ halte wäre wohl zu ersetzen", vermag ich mich daher nicht an­ zuschließen. Bei den beschränkten Mitteln, über welche die Arbeiterfamilie nur verfügt, kommt es darauf an, Hausrat und Kleidung durch Ausbesserung jedes kleinen Schadens möglichst lange zu erhalten, damit Neuanschaffungen nicht so bald nötig werden. Eine solche pflegliche Behandlung aller Gegenstände kann aber nicht von gemieteten Arbeitskräften, sondern nur von der Hausfrau erwartet werden. In der großen Mehrzahl der Fälle stehen den verheirateten Fabrikarbeiterinnen auch weder verwandte noch fremde Personen zur Verfügung, denen sie die Besorgung des Hauswesens überlassen könnten. Nach den interessanten Erhebungen, welche die Gewerbe-Inspektion Zittau hierüber veranstaltet hat, mußten von den 4449 verheirateten Arbeiterinnen des Zittauer Inspektionsbezirks, für welche über diesen Punkt Auskunft zu erlangen war, nicht weniger als 3261 ihren Haushalt selbst besorgen. Nur in 1085 Fällen konnten dies an Stelle der Hausfrau Familien-Angehörige übernehmen und in 103 Fällen besorgten Fremde den Haushalt. Um die Nachteile der eheweiblichen Fabrikarbeit für die Hauswirtschaft näher darzulegen, möchte ich zunächst wieder dem Abgeordneten Dr. Hitze das Wort geben. Er führte zu diesem Punkte in der oben erwähnten Reichstagssitzung aus: „Ist die Frau den ganzen Tag vom Hause fort, dann gerät das Haus in Unordnung und Schmutz. Der Mann findet kein ordentliches Essen, den ganzen Tag giebt es kalte Küche: Kaffee, Kartoffeln, Wurst, Käse; und so wird das Gefühl der Behaglichkeit in der Familie nicht aufkommen." Der Jahresbericht der badischen Fabrikinspektion für 18991 ergänzt diese Darlegung durch folgende Schilderung der Folgen, welche die Fabrikarbeit verheirateter Frauen speziell für die Ernährungsverhältnisse der Arbeiterbevölkerung hat: „Daß der in 1 8. 89.

der Fabrik beschäftigten verheirateten Frau eine Bereitung der Mahlzeiten nicht möglich ist, auch wenn sie eine halbe Stunde vor der Mittagszeit aus der Arbeit entlassen wird, bedarf keines weiteren Eingehens. Das Mittagsessen muß in solchen Fällen entweder schon am frühen Morgen oder am Abend vorher bereitet werden. Die halbe Stunde, welche den Arbeiterfrauen bestenfalls Mittags zur Verfügung steht, ist gerade nur für das Aufwärmen genügend, wenn die Familie sich nicht nur mit sogenanntem Kaffee als Mittagsmahlzeit begnügen will oder kann. Ein schon lange vorher bereitetes Essen ist aber vielfach schwer verdaulich, und soweit Kartoffeln in Frage kommen, oft kaum genießbar. Die in dem Essen enthaltenen, zudem öfter nicht zureichenden Nahrungsstoffe kommen daher in solchen Fällen nicht zur Wirk­ samkeit, weil sie von dem Körper nicht assimiliert werden. Durch eine solche Lebensweise entwöhnen sich die Arbeiterfrauen über­ haupt einer geordneten Führung des Haushalts, auch wenn sie hierzu jemals die Fähigkeit besaßen. Die Bestrebungen, die Arbeiterinnen in der Führung des Haushalts zu unterweisen, können daher nur denen zu Gute kommen, die eine Ehe eingehen, in welcher sie nicht zur Fabrikarbeit genötigt sind. Für die in der Fabrik dauernd beschäftigten Arbeiterinnen müssen diese Be­ strebungen unwirksam bleiben, auch wenn sie Gelegenheit hatten, an einem solchen Unterrichte mit Erfolg teilzunehmen. Es muß eben gekocht werden, was am wenigsten Zeit erfordert, nicht was am nahrhaftesten ist, und was die auf das Essen verwendeten Ausgaben am wirksamsten zur Geltung bringt.“ Die GewerbeInspektion Zwickau i. 8. bemerkt zu dem gleichen Thema folgendes:1 „Ein weiterer gesundheitlicher Nachteil, der durch die Fabrik­ arbeit der Frauen hervorgerufen wird, ist der, daß die letzteren aus Mangel an Zeit nicht in der Lage sind, schmackhafte und bekömmliche warme Speisen zuzubereiten, sodaß Mann und Kinder Mittags nur kalte Speisen oder im günstigsten Falle am vorher­ gehenden Abend gekochtes und vor der Mahlzeit aufgewärmtes Essen erhalten. Die hierüber befragten Krankenkassenärzte gaben an, daß ein nicht unerheblicher Teil der bei Fabrikarbeitern an­ zutreffenden Erkrankungen der Verdauungsapparate durch die mangelhafte Zubereitung der warmen Speisen und durch die 1 A. a. 0. 8. 183.

Bevorzugung der kalten Speisen verursacht wird." Ähnlich äußert sich auch der Gewerbe-Inspektor für Plauen i. V. Zusammenfassend können wir hiernach die Einwirkung der eheweiblichen Fabrikarbeit auf die Haushaltung der Arbeiter­ bevölkerung dahin charakterisieren: Es werden bei ihr unver­ hältnismäßig viel Güter genußlos verzehrt, d. h. der objektive Ge­ brauchswert vieler Güter wird bei ihr nicht richtig ausgenützt; andererseits werden viele Bedürfnisse nur sehr unvollkommen bezw. mit einem unverhältnismäßig großen Kostenaufwande befriedigt.

VIII. Noch viel schwerer als diese Folgen wiegt aber der ungünstige Einfluß, den die Frauen-Fabrikarbeit auf die Pflege und Erziehung des heranwachsenden Geschlechts ausübt. Auf diesem Gebiete ist die Thätigkeit der Frau absolut unentbehrlich. „Keine Warte­ frau, keine Krippe und Bewahrschule kann das Auge, die Hand, das Herz der Mutter ersetzen" (Hitze). Die Kleinkinderbewahr­ anstalt ist kein wirklicher Ersatz, sondern nur ein schlechtes Surrogat für die Thätigkeit der Mutter. Besonders in einem Punkte ist das Kind der Fabrikarbeiterin benachteiligt; seine Mutter ist außer stände, es selbst zu nähren, abgesehen von den ersten 4 bis 6 Wochen nach der Geburt, in denen das Gesetz die Be­ schäftigung der Wöchnerinnen in Fabriken verbietet. Weil sie aber wissen, daß sie die Fabrikarbeit doch nach einigen Wochen wieder aufnehmen werden, verzichten viele verheiratete Fabrik­ arbeiterinnen gleich von vornherein darauf, ihrem Kinde die natürliche Ernährung zu teil werden zu lassen. Andere haben keine Lust, die damit verbundenen Unbequemlichkeiten auf sich zu nehmen, wieder andere sind durch die regelmäßige Fabrik­ arbeit bei oft ungenügender Ernährung zum Stillen ihrer Kinder zu schwach geworden. Es kann kein Zweifel bestehen, daß in der künstlichen Ernährung der Säuglinge die Hauptursache der großen Säuglingssterblichkeit in der Arbeiterbevölkerung zu erblicken ist. Martin führt dafür aus seinen in Crimmitschau gemachten Erfahrungen den bezeichnenden Satz an: „Unter 100 Eltern gaben mir mehr als 90 auf ausdrückliches Befragen an, daß das gestorbene Kind von der Geburt an nie anders als auf künstliche Weise ernährt worden sei." An sich können ja

auch bei künstlicher Ernährung die Kinder recht gut gedeihen, allein den Vorzug verdient doch unbedingt immer die natürliche Ernährung. Der ungeheure Vorzug der natürlichen Ernährungs­ weise tritt in folgenden Zahlen deutlich zu Tage.1 Die Berliner Volkszählung von 1890 wies den Anteil der mit der Mutterbrust genährten Kinder unter den Lebenden zu 52,9 °/0 aus. Dagegen belief sich der Prozentanteil der Brustmilchkinder bei den Ge­ storbenen im Durchschnitt der zehn Jahre von 1884—1893 nur auf 15,7o/o! Ganz besonders gilt es aber für die lohnarbeitenden Klassen, daß die natürliche Ernährung immer den Vorzug verdient, weil in diesen Kreisen die künstliche Ernährung nicht mit der nötigen Vorsicht und Sorgfalt durchgeführt werden kann, sondern oft auf eine direkt gesundheitsschädliche Weise erfolgt. Zu der Häufigkeit des Vorkommens der künstlichen Ernährung in Arbeiterkreisen trägt aber der gegenwärtige Umfang der ehe­ weiblichen Fabrikarbeit entschieden viel bei, und wir sind daher gezwungen, zwischen der Höhe der Säuglings- bezw. überhaupt der Kindersterblichkeit und dem Umfang, in dem verheiratete Frauen in Fabriken thätig sind, einen inneren Zusammenhang anzunehmen. Dieser Zusammenhang offenbart sich in den nachstehenden Zahlen, die Dr. Prinzing in einem kürzlich in Conrads Jahrbüchern erschienenen Aufsatze2 mitteilt, sehr deut­ lich. In der Kreishauptmannschaft Dresden waren nach der Fabrikarbeiterzählung vom 1. Mai 1891 von je 1000 Frauen über 16 Jahren 55,2 in Fabriken beschäftigt, die Kindersterblichkeit betrug in der Periode 1890/95: 24,36. In der Kreishauptmann­ schaft Leipzig waren 1891 von je 1000 erwachsenen Frauen 79,1 in Fabriken thätig und die Kindersterblichkeit betrug in der angegebenen Periode 26,30; in der Kreishauptmannschaft Zwickau endlich waren unter 1000 erwachsenen Frauen 128,0 Fabrikarbeiterinnen und die Kindersterblichkeit betrug 31,99* Die Kreishauptmannschaft Bautzen habe ich zunächst weggelassen; dafür seien jetzt die betreffenden Zahlen für die vier Amts1 G. von Mayr, Bevölkerungsstatistik, 8. 286. (Handbuch des öffent­ lichen Rechts, herausgegeben von Max von Seydel , Einleitungsband. 6. Abteilung.) 2 III. Folge, Bd. 17, 8. 595.

102 Die Notwendigkeit der Ausschließung der verheirateten Arbeiterinnen.

hauptmannschaften derselben nach den Angaben von Dr. Pbinzing mitgeteilt: Amts­ hauptmannschaft :

Unter 1000 Frauen über 16 Jahren waren am 1. Mai 1891 in Fabriken:

Kamenz Bautzen Löbau Zittau

43,6 61,8 127,6 186,3

Kindersterblichkeit: 1890/95

1880/89 20,4 22,8 26,1 33,4

21,66 21,17 23,76 29,87

Diese Zahlen zeigen ebenso wie die auf die Kreishauptmann­ schaft bezüglichen, daß die Kindersterblichkeit fast überall mit der Zunahme der Zahl der Fabrikarbeiterinnen wächst. Die gleiche Beobachtung hat man übrigens auch in England gemacht. Nach Dr. Reid sind, wie Dr. Pbinzing mitteilt, die im allge­ meinen gleiche sanitäre Bedingungen bietenden Städte der Graf­ schaft Stafford in drei Gruppen einzuteilen. In der ersten Gruppe von Städten, in der viel Frauen der Fabrikarbeit nachgingen, be­ trug die Kindersterblichkeit 19,5; in der zweiten Gruppe, in den Städten, in denen wenig Frauen in den Fabriken beschäftigt waren, betrug die Kindersterblichkeit 16,6, und bei den der dritten Gruppe angehörenden Städten, in denen die Frauenfabrikarbeit nicht vorkam, stellte sich die Kindersterblichkeit nur auf 15,2. Auch verschiedene sächsische Gewerbe-Inspektoren weisen in ihren Berichten über die Fabrikarbeit verheirateter Frauen auf den Zusammenhang zwischen Säuglingssterblichkeit und ehe­ weiblicher Fabrikarbeit hin. So teilt die Gewerbe-Inspektion Plauen i. V.1 folgendes Gutachten des Königlichen Bezirksarztes in Plauen mit: „Die Säuglingssterblichkeit ist in Plauen, während die Gesamtsterblichkeit erheblich abgenommen hat, mit der Zu­ nahme der Fabriken beträchtlich gestiegen. Im Mittel befanden sich unter 100 Sterbefällen; in den Jahren 1800—1824 1825—1839 8 1850—1899 1875—1899 i) » ,,

33,8 Säuglinge 32,4 n 39,8 und 43,9

Die letzte Zahl ist ganz auffällig hoch, weil seit dem Jahre 1875 Pockenepidemien nicht vorgekommen sind, die früher 1 A. a. 0. 8. 327.

8 Soll wohl heißen 1849?

wesentlich zur Erhöhung der Säuglingssterblichkeit beigetragen haben." Und die Gewerbe-Inspektion Zwickau1 hebt hervor, daß im Jahre 1899 die Zahl der im ersten Lebensjahre verstorbenen Kinder in Crimmitschau 27,3, in Kirchberg 28,2, in Meerane 29,9 und in Werdau sogar 34,8 °/0 der Zahl der Geburten betrug, während in der Stadt Wildenfels, in welcher sich nur wenig Fabriken befinden, die Zahl der gestorbenen Säuglinge nur 16,3 °/0 der Zahl der Geburten ausmachte. Wenn ich so den Zusammenhang zwischen Kindersterblich­ keit und Frauenfäbrikarbeit betone, so soll damit aber nicht etwa gesagt werden, daß die Höhe der Säuglings- *und Kindersterblich­ keit eines Bezirkes lediglich von dem Umfange der Frauen-Fabrikarbeit in ihm abhänge. Zur Erklärung- der Verschiedenheit der Kindersterblichkeit in den einzelnen Ländern und Landesteilen sind vielmehr auch ganz andere Momente mit heranzuziehen. Es geht dies schon daraus hervor, daß bekanntlich auch in verschiedenen Gegenden mit ganz überwiegend landwirtschaftlicher Bevölkerung, namentlich in einigen Bezirken Süddeutschlands und der Schweiz, die Kindersterblichkeit einen sehr hohen Grad erreicht. In den betreffenden ländlichen Bezirken trägt an der hohen Sterblichkeit übrigens ebenfalls meist der Umstand die Schuld, daß die künst­ liche Ernährung die natürliche verdrängt hat, zum Teil nicht bloß aus schlechter Gewohnheit, sondern weil die Frauen physisch zu geschwächt sind, um dem Kinde die Brust reichen zu können.

IX. Zu den Fällen, in denen die Kinder von in Fabriken beschäf­ tigten Ehefrauen infolge vernachlässigter Pflege oder mangelhafter Beaufsichtigung einem frühen Tode anheimfallen, gesellen sich die statistisch nicht erfaßbaren Fälle, in denen die Kinder aus den gleichen Ursachen zu Krüppeln oder doch in ihrer ganzen Konsti­ tution so geschwächt werden, daß sie nur mit einer geringen Wider­ standskraft ausgerüstet in den Kampf ums Dasein hinaustreten. Das Schwergewicht ist indessen nicht sowohl auf die Vernachlässigung der leiblichen Pflege der Kinder als vielmehr auf die Vernachlässigung 1 A. a. O. 8. 182.

ihrer geistig-sittlichen Erziehung zu legen. Diese muß aber not­ wendig da ungenügend sein, wo die Mutter den ganzen Tag vom Hause abwesend ist. Man darf sich hierüber wie über die sonstigen mit der eheweiblichen Fabrikarbeit verbundenen Mißstände nicht mit der Annahme hinwegsetzen wollen, daß für die betreffenden Kinder schon durch eine den Hausstand der Arbeiterfamilie teilende Tante, Großmutter oder eine andere Person gesorgt sein werde. Die badische Fabrikinspektion hat demgegenüber darauf auf­ merksam gemacht, daß die Fälle, in denen die Hausfrau und Mutter im Hause entbehrlich erscheine, weil eine ältere Verwandte den Haushalt besorge, durchaus nicht die Hegel bildeten, sondern seltene Ausnahmen seien. Außerdem seien die alten Angehörigen, die den Haushalt besorgten, sehr häufig Personen, die durch den auf ihnen lastenden Druck und durch die Einförmigkeit ihres Lebens stumpfsinnig geworden seien. Für die Erziehung der Kinder eigneten sich solche Leute daher nicht. Die Zittauer Gewerbe-Inspektion hat den interessanten Ver­ such unternommen, festzustellen, durch wen die Beaufsichtigung der Kinder erfolgt, deren Mütter durch Fabrikarbeit vom Hause fern­ gehalten werden. Es ist ihr dies allerdings nur bei 4449 von den 8437 insgesamt in ihrem Bezirk vorhandenen verheirateten, verwitweten und geschiedenen Fabrikarbeiterinnen gelungen. Auch hatten 1971 von diesen Frauen keine Kinder unter 14 Jahren, so daß die betreffende Statistik sich im ganzen nur auf 2478 Fa­ milien erstreckt. In 1549 Fällen erfolgte die Aufsicht über die Kinder durch Familien-Angehörige, in 710 durch fremde Personen oder Anstalten; in 219 Fällen endlich waren die Kinder ohne Aufsicht. Als „aufsichtslos" hat die Zittauer Gewerbe-Inspektion die Kinder allerdings, und das mit Recht, auch dann betrachtet, wenn ältere Geschwister, die aber selbst noch nicht 14 Jahre alt waren, mit ihrer Überwachung betraut waren. Welche Folgen es für die geistig-sittliche Entwicklung der Kinder haben muß, wenn sie so ohne mütterliche Aufsicht und Erziehung heranwachsen, das ist nicht schwer zu erraten. Man hat kein Recht, sich über Verrohung der Arbeiterjugend zu ver­ wundern, wenn beide Eltern zur Fabrik gehen müssen und die Kinder vielfach wild aufwachsen. Ich stehe nicht an, die Zunahme des jugendlichen Verbrechertums in unserer Zeit direkt mit der jetzigen Ausdehnung der Fabrikarbeit verheirateter Arbeiterinnen

in Zusammenhang zu bringen. Auch in dem Jahresbericht der badischen Fabrikinspektoren wird dieser Zusammenhang sehr ver­ ständlich angedeutet. Wie kann man ferner erwarten, daß Kinder, die unter so traurigen Verhältnissen aufwachsen, dereinst gute Väter und Mütter werden? Und man glaube nur nicht, daß die Kinder keine Empfindung dafür haben, was sie entbehren müssen. Eine dunkle Ahnung sagt ihnen, daß etwas nicht richtig ist, wenn sie die Mutter den ganzen Tag nicht zu sehen bekommen. In der Schrift von Collet über die Frau als Industrie-Arbeiterin wird aus den Kindheits-Erinnerungen eines Arbeiters dafür ein be­ zeichnendes Beispiel angeführt. Der betreffende Arbeiter teilt aus seiner Jugendzeit folgende Erinnerungen mit: „Kaum drei Jahre alt, wanderte ich an jedem Morgen um 8 Uhr, ohne meine Eltern, die um 6 Uhr sich schon in der Fabrik befinden mußten, gesehen zu haben, nachdem eine Nachbarin mich angekleidet, ein Butterbrot in der Hand, in die Bewahrungsanstalt, jenes Erzeugnis einer vielgepriesenen Humanität, deren Ursprung der Egoismus ist. „Schule" nannten wir die Anstalt, in der wir unsere Zeit mit Auswendiglernen von Sprüchen und Liedchen, dem Erlernen der Anfangsgründe des Rechnens und Lesens und mit Spielen zubrachten .... Die Anstalt wurde Abends um 6 Uhr geschlossen, und die zwei Stunden, welche bis zur Rück­ kehr meiner Eltern von der Arbeit blieben, brachte ich bei Nachbarn zu. Nun begann eigentlich erst der schönste Teil des Tages; ich genoß ja die Gegenwart der Eltern, die vielen andern Kindern während des ganzen Tages beschieden ist. Wenn nur nicht dieser Genuß von so kurzer Dauer gewesen wäre! Es gab für die Eltern noch mancherlei häusliche Verrichtungen zu be­ sorgen, ich war dabei schlecht zu gebrauchen und so brachte man mich zeitig zu Bett. Man könnte zu dem Schluß kommen, daß dieses Leben für ein Kind nicht unerträglich zu nennen sei, da in dem Alter das Gefühl nicht fein genug sei, um die Härten zu empfinden, der Verstand nicht genug geschärft, um Vergleiche anstellen zu können .... Mit meinem fünften Lebensjahre waren aber Verstand und GefühJ soweit herangebildet und geschärft, daß ich es begreifen und nachempfinden konnte, wie widernatür­ lich der kleine Weltbürger behandelt wurde und infolge der Zu­ stände behandelt werden mußte, durch dessen Ankunft sich unsere

Familie vermehrt hatte. Schlafend oder wachend, um 6 Uhr morgens (die Arbeitszeit begann damals, im Winter, um 7 Uhr), wurde das kleine Brüderchen gewaschen, angekleidet, in ein Tuch eingewickelt und zu der etwa 10 Minuten entfernt wohnenden „Verwahrfrau" gebracht Als ich mit dem sechsten Jahre zur Elementarschule kam, war ich außer der Schulzeit mir selbst überlassen. Zwar bezahlten die Eltern eine Nachbarin dafür, daß sie mir nachmittags eine Tasse Kaffee zu meinem Vesper­ brot und Unterkunft gab, aber wer verargt es einem Bürschchen, wenn es lieber draußen herumlungert, als sich in dem dumpfen Zimmer einer Mietskaserne aufhält? Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn nicht in diesen Jahren der Vater strenge Zucht geübt und die Mutter mit fortwährenden Ermahnungen ihren Einfluß auf das kindliche Gemüt geltend gemacht hätte." Bezüglich der Erfahrungen, welche die Schule mit den in­ folge der Fabrikarbeit der Mutter mangelhaft beaufsichtigten Kindern gemacht hat, hat die Gewerbe-Inspektion Plauen i. V. eine Umfrage bei den Direktoren der niederen Schulen in den Städten Plauen und Reichenbach i. V. veranstaltet. Während mehrere der befragten Direktoren von besonderen nachteiligen Wirkungen der Fabrikarbeit der Mütter auf das Verhalten und Betragen der Kinder nichts bemerkt haben wollten, sprachen sich zwei Direktoren in folgender bemerkenswerter Weise1 aus; der eine berichtete: „Bei 45 Kindern von 285, deren Mütter in Fabriken beschäftigt sind, wird schlechtes Betragen, Mangel an Fleiß, Unreinlichkeit u. s. w. direkt auf den Mangel mütterlicher Aufsicht zurückgeführt; bei den anderen Kindern war dieser Nach­ weis nicht zu führen." Und der andere schrieb: „Im ganzen läßt sich behaupten, daß ein verhältnismäßig großer Teil der zu Pflichtvernachlässigungen, Trägheit, mutwilligen Schulversäum­ nissen, Unreinlichkeiten, Unsittlichkeiten neigenden Kinder aus solchen Familien stammt, in denen die Mutter außer dem Hause beschäftigt ist; anderenteils giebt es aber auch aus letzteren Familien viele Kinder, die in keiner Beziehung etwas zu wünschen übrig lassen. . . . Nur bei den Kindern in der Hilfsschule (Ab­ teilung für minderbegabte Kinder mit 103 Zöglingen), deren Mütter in den Fabriken arbeiten, ist das Resultat in jeder Be1 A. a. 0. S. 328.

ziehung ein ungünstiges und läßt sich wohl in vielen Fällen auf die Entziehung der Mütter aus der Familie zurückführen* Zusammenfassend können wir hiernach sagen: Die Kinder aus Familien, in denen die Führung eines geordneten Familien­ lebens unmöglich ist, weil die Mutter regelmäßig der Fabrikarbeit nachgeht, stellen sowohl in leiblicher wie in geistig-sittlicher Hin­ sicht ein minderwertiges Material für die menschliche Gesellschaft dar. Die Gefahr, daß ihre Anlagen verkümmern und sie physisch oder moralisch zu Grunde gehen, ist bei diesen Kindern besonders groß. In allen diesen Beziehungen zeigen die Kinder aus solchen Ehen eine große Ähnlichkeit mit den Parias der Gesellschaft, den unehelichen Kindern, die meist schon in früher Kindheit dahingerafft werden und, wenn sie ausnahmsweise ein höheres Alter erreichen, gewöhnlich „auf der untersten Stufe der sozialen Leiter stehen bleiben*, wenn sie nicht gar dem Verbrechertum anheimfallen, aus dem sie den Rückweg in geordnete Verhält­ nisse schwerer als andere wieder finden.1 Nur kurz angedeutet sei schließlich noch, daß nicht bloß die Kinder, sondern auch der Ehemann und die Ehefrau selbst in ethischer Hinsicht unter der eheweiblichen Fabrikarbeit not­ wendig leiden. Bestimmte Seiten ihres Wesens werden bei diesem Zustande entweder gar nicht oder doch nur mangelhaft ausgebildet. Wo die Frau dem Manne kein sauberes und ordentliches Heim zu bieten vermag, wo infolgedessen auch von einem wirklichen Familien­ leben nicht die Rede sein kann, da bleibt das ganze Empfindungs­ und Gefühlsleben bei Mann und Weib so gut wie unentwickelt, und die reichen Schätze und reinen Freuden, die sonst das Familien­ leben in sich birgt, bleiben ungehoben und ungenossen. 1 Diese Charakteristik der allgemeinen Unterwertigkeit der unehelich Geborenen beruht auf den Untersuchungen von Neumann über „die jugend­ lichen Berliner unehelicher Herkunft* (Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, 8. Bd«, S. 548).

Schlufsbetrachtungen. Das praktische Programm, daß sich aus den voran gegangenen Darlegungen ergießt, sei zum Schluß noch kurz in folgenden Sätzen zusammengefaßt: Man öffne der ledigen Frau, wenn auch nicht mit einem Schlage, sondern schrittweise, alle Berufe, in denen die Frau ohne Schaden für den weiblichen Organismus und für ihre Weiblichkeit etwas Tüchtiges zu leisten im stände ist. Man beseitige jedoch die Berufsarbeit verheirateter Frauen, soweit es sich nicht in den gelehrten oder künstlerischen Be­ rufen darum handelt, begabten Frauen Gelegenheit zur Ver­ wertung ihres Talents zu geben, und man verbiete insbesondere zunächst die eheweibliche Fabrikarbeit in den früher bezeichneten Grenzen, d. h. für Frauen, deren Männer noch leben und ein ausreichendes Auskommen beziehen, und die zu Hause Kinder in vorschulpflichtigem oder schulpflichtigem Alter haben. , Daß die Ausschließung der Ehefrauen aus der Fabrik innerhalb dieser Grenzen ohne wesentliche Nachteile für alle beteiligten Faktoren möglich und durchführbar ist, das glaube ich im ersten Teile erwiesen zu haben; daß sie zugleich absolut notwendig ist im Interesse der körperlichen und geistig-sittlichen Gesundung und fortschreitenden Entwicklung der Nation, das darzulegen war die Aufgabe des zweiten Teils. Was nun die spezielle Durchführung der Maßregel an­ betrifft, so wäre es wohl das Beste und Einfachste, die regel­ mäßige, d. h. die über eine bestimmte Zeitdauer, etwa 2 bis 3 Monate im Jahre, hinausgehende Fabrikarbeit verheirateter Frauen von dem Besitz eines Zulassungsscheins abhängig zu machen dergestalt, daß die Unternehmer nur Frauen, die mit dem Zulassungsschein versehen sind, anstellen dürfen, bei An­ nahme anderer Frauen aber straffällig werden. Nach den Vor-

schlagen von katholischer Seite1 soll die Erteilung des Zulassungs­ scheins an folgende drei Bedingungen geknüpft werden: 1. an die Vorlegung eines von einem approbierten Arzte ausgestellten Zeugnisses, daß die betreffende Frau die Arbeit, um die es sich handelt, ohne Gefährdung ihrer Gesundheit ver­ richten kann; 2. an den Nachweis des wirtschaftlichen Bedürfnisses der Nachsuchenden, welches durch die Armenverwaltung festgestellt werden soll; 3. an den Nachweis, daß für ausreichende Pflege und Be­ aufsichtigung der Kinder, die noch nicht 12 Jahre alt sind, ge­ sorgt ist. Von diesen drei Voraussetzungen kann die erste wohl ohne Weiteres wegfallen. Irgend ein ärztliches Attest über ihre Taug­ lichkeit zu jeder Art von Fabrikarbeit beizubringen, wird jede Frau ohne Schwierigkeit im stände sein. Dieses Zeugnis wäre eine bloße Formalität und kann daher als überflüssig angesehen werden. Auch kann man ja, wie früher ausgeführt wurde, nicht sagen, daß die Fabrikarbeit an sich die Gesundheit der verheirateten Frauen besonders gefährde. Es ist infolgedessen auch nicht notwendig, an die physische Beschaffenheit der Ehefrauen, welche die Fabrik­ thätigkeit aufnehmen wollen, besondere Anforderungen zu stellen. Nur ein generelles Verbot gewisser Fabrikationszweige für alle Ehe­ frauen, kräftige wie schwächliche, kann in Betracht kommen, näm­ lich ein Verbot derjenigen Fabrikationszweige insbesondere, welche durch ihre Natur leicht Fehl- und Frühgeburten hervorrufen. Auch Bedingung 3 halte ich für überflüssig. Liegt ein absolut zwingender Grund für die eheweibliche Fabrikarbeit vor, z. B. Arbeitsunfähigkeit des Mannes, so wird man dieselbe, auch ohne daß dem unter Nr. 3 erwähnten Erfordernis genügt wird, gestatten müssen, einfach, weil Not kein Gebot kennt. So bleibt also nur die an zweiter Stelle aufgeführte Be­ dingung bestehen. Bei ihrer näheren Ausführung wird das Hauptgewicht darauf zu legen sein, daß allgemeine Normen darüber aufgestellt werden, wann das Vorhandensein eines wirt­ schaftlichen Bedürfnisses für die Gestattung der eheweiblichen 1 F. Hitze, Die Arbeiterfrage und die Bestrebungen zu ihrer Lösung. 10. bis 12. Tausend. Berlin 1900. S. 80, 81.

Fabrikarbeit anerkannt werden soll. Es würde dabei z. B. auf die Höhe des Verdienstes des Ehemannes im Verhältnis zum ortsüblichen Tagelohn für erwachsene männliche Arbeiter, ferner gegebenen Falls auf die Dauer der Arbeitslosigkeit des Ehe­ mannes und andere derartige Umstände mehr Rücksicht zu nehmen sein. Fehlen solche allgemeine Vorschriften, wann der Er­ laubnisschein zur Fabrikarbeit der Ehefrau zu gewähren ist und wann nicht, wird vielmehr alles dem diskretionären Ermessen der betreffenden Behörde anheimgestellt, so würden sehr ver­ schiedene Kegeln für die Erteilung oder Verweigerung des Er­ laubnisscheins entstehen, es könnte dabei sehr willkürlich und ungerecht verfahren werden, und es würden schließlich ganz un­ haltbare Zustände entstehen. Mit der Beschränkung der Arbeiterfrau auf das Haus ist es aber noch nicht allein gethan. Das sei zum Schluß noch nach­ drücklich betont. Es gilt dann vor allem, die Frau auf die ihrer im Hause harrenden Aufgaben auch besser vorzubereiten durch Einführung eines obligatorischen Haushaltungsunterrichts oder anderer den gleichen Zweck verfolgenden Einrichtungen, wie etwa eines obligatorischen hauswirtschaftlichen Dienstjahres für alle Mädchen, das sie absolviert haben müssen, ehe sie mündig werden, oder ehe sie sich verheiraten. Dieses der Erlernung der Hauswirtschaft gewidmete Jahr könnte nach Belieben entweder in besonderen für diesen Zweck errichteten Schulen oder Anstalten zugebracht werden oder noch einfacher in der Weise, daß die betreffenden Mädchen sich ein Jahr als Dienstboten vermieten. Im letzteren Falle würde der mit der Einrichtung verfolgte Zweck allerdings nur dann voll erreicht werden, wenn das Dienstmädchen einen Haushalt findet, dem eine erfahrene und geschickte Haus­ frau vorsteht. Immerhin wäre ein solches Dienstjahr, auch wenn diese Voraussetzung nicht überall zutrifft, immer noch besser als gar nichts; ein gewisses Maß von hauswirtschaftlichen Kenntnissen wird auf diese Weise den zukünftigen Hausfrauen auf jeden Fall zugeführt. Von den Sozialdemokraten freilich würde dieses „Ein­ jährigen- Jahr“ des weiblichen Geschlechts wohl als Wiederein­ führung des Zwangsgesindedienstes bekämpft werden. Eine Überfüllung des Dienstbotenberufs braucht man von dieser Einrichtung übrigens nicht zu befürchten. Wir hatten nach der Berufszählung von 1895 in Deutschland 1313 957 weih-

liehe Dienstboten. Andererseits war in Deutschland nach der letzten Volkszählung das weibliche Geschlecht in jeder der Alters­ klassen vom 14. bis zum 20. Jahre durchschnittlich mit nicht ganz einer halben Million vertreten. Da nun ein Teil der jungen Mädchen seiner „Dienstpflicht“ in Privatanstalten genügen wird, so kann man annehmen, dass nur etwa der dritte Teil des jetzigen Bestandes an Dienstboten durch die in Erfüllung ihrer Dienst­ pflicht Dienenden gestellt werden würde. Der Zuwachs, welchen die Einrichtung des obligatorischen Dienstjahres dem Dienst­ mädchenstande bringen wird, wird daher vielleicht nicht einmal groß genug sein, um den Mangel an Dienstboten, unter dem wir jetzt leiden, völlig zu beseitigen. Auch in den Gutachten der Gewerbe-Inspektoren wird mehr­ fach auf die Notwendigkeit einer besseren hauswirtschaftlichen Schulung der Fabrikarbeiterinnen hingewiesen. So empfiehlt die Gewerbe-Inspektion Plauen i. V.1 in ihrem letzten Jahresbericht zu diesem Zweck die Schaffung von Fortbildungsschulen für Mädchen, welche diese bis zum vollendeten 16. Jahre zu be­ suchen hätten, ein Vorschlag, der auch sonst schon mehrfach gemacht worden ist In diesen Mädchen - Fortbildungsschulen soll das Hauptaugenmerk auf den Unterricht in den Haushaltungs­ gegenständen, wenn thunlich, auch im Kochen, gerichtet werden. Gleichzeitig hiermit soll nach dem Vorschläge der gleichen Stelle jungen Mädchen vor dem Alter von 16 Jahren die Beschäf­ tigung in Fabriken und gewerblichen Anlagen untersagt werden, damit diese mehr den hauswirtschaftlichen Beschäftigungen zu­ geführt werden. Die Gewerbe-Inspektion Zittau macht zwar keinen speziellen Vorschlag hierüber, aber sie bezeichnet es geradezu als die Voraussetzung eines Verbotes der eheweiblichen Fabrikarbeit, daß „zuvor Mittel und Wege gefunden werden, den zukünftigen Frauen und Mädchen das für die Führung eines Haushaltes er­ forderliche Wissen und Können beizubringen und eine jede so in den Stand zu setzen, auch mit bescheidenen Mitteln haus­ zuhalten, dem Manne ein behagliches Heim zu bereiten und ihn an Haus und Familie zu fesseln.“ Ferner aber wird es imvFalle der Ausschließung der verheirateten Arbeiterinnen aus der Fabrik gelten, die allgemeine rechtliche 1 A. a. 0. 8. 337.

Stellung der Frau dem Manne gegenüber zu stärken und zu sichern. Wer der verheirateten Frau im Prinzip die Möglichkeit verschließt, wirtschaftlich selbständig zu werden, für den ist das eine Ehrenpflicht. Und in dieser Hinsicht hat wohl das neue Bürgerliche Gesetzbuch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Wenn es auch der verheirateten Frau manche Vorteile auf diesem Gebiete gebracht hat, die sie bis dahin nicht besaß, so eine Aus­ dehnung ihrer sogenannten Schlüsselgewalt, so kann doch die Stellung der Frau gegenüber dem Manne in Bezug auf das eheliche Güter­ recht sowohl, das für die Arbeiterbevölkerung allerdings geringere Bedeutung besitzt, wie in anderer Beziehung noch wesentlich selb­ ständiger, unabhängiger und sicherer gestaltet werden. Zu einer Emanzipation der Frauen nach dieser Richtung kann auch der die Hand bieten, der von der verheirateten Frau im Erwerbsleben im allgemeinen wenig wissen will.

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