Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im globalen Zeitalter [1 ed.] 9783428528820, 9783428128822

Die "soziale Frage" ist in ihren nationalen und internationalen Aspekten längst zum globalen Anliegen und zum

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Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im globalen Zeitalter [1 ed.]
 9783428528820, 9783428128822

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Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Band 170

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im globalen Zeitalter Herausgegeben von

Thomas Giegerich und Andreas Zimmermann unter Mitwirkung von

Ursula E. Heinz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS GIEGERICH / ANDREAS ZIMMERMANN (Hrsg.)

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im globalen Zeitalter

Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Herausgegeben von J o s t D e l b r ü c k, T h o m a s G i e g e r i c h und A n d r e a s Z i m m e r m a n n Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht 170

Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Christine Chinkin London School of Economics

Eibe H. Riedel Universität Mannheim

James Crawford University of Cambridge

Allan Rosas Court of Justice of the European Communities, Luxemburg

Lori F. Damrosch Columbia University, New York Vera Gowlland-Debbas Graduate Institute of International Studies, Geneva Rainer Hofmann Johann Wolfgang GoetheUniversität, Frankfurt a.M. Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis

Bruno Simma International Court of Justice, The Hague Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im globalen Zeitalter Herausgegeben von

Thomas Giegerich und Andreas Zimmermann unter Mitwirkung von

Ursula E. Heinz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 978-3-428-12882-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis Thomas Giegerich Steuern Völker- und Europarecht die Globalisierung „im Geiste der Brüderlichkeit“? – Einführender Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans-Joachim Cremer Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – eine sinnvolle Normenkategorie? .............................................................

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Eibe Riedel Zur Durchsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Meinhard Hilf Globaler Handel und kulturelle Vielfalt – WTO gegen UNESCO? . . . . . . . . . . . .

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Thorsten Kingreen Die Universalisierung sozialer Rechte im europäischen Gemeinschaftsrecht . . . . 109 Hennie Strydom Social and Economic Rights in Africa: The Nagging Issues of African Statehood and Economic Development . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Anja Seibert-Fohr Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in der Organisation Amerikanischer Staaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Steuern Völker- und Europarecht die Globalisierung „im Geiste der Brüderlichkeit“? – Einführender Überblick Von Thomas Giegerich Das Schicksal der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte im heutigen globalen Zeitalter war Gegenstand einer Ringvorlesung, die das WaltherSchücking-Institut für Internationales Recht der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in den Jahren 2006 und 2007 durchführte. Die Herausgabe der schriftlichen Fassungen der in diesem Rahmen gehaltenen Vorträge macht einige übergreifende Überlegungen notwendig, um ein Gesamtbild entstehen zu lassen.

A. Die Internationalisierung von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) Im Dezember dieses Jahres werden wir den 60. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte begehen, die am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet wurde.1 Aus Art. 1 dieser Erklärung stammt das Zitat im Titel dieses Beitrags, das dort als Aufforderung formuliert ist: Die Menschen, die alle frei und gleich an Würde und Rechten geboren und mit Vernunft und Gewissen begabt sind, „sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit [spirit of brotherhood/esprit de fraternité] begegnen“. Dieser Auftrag, der auf einen Entwurf des französischen Delegierten René Cassin zurückgeht,2 nimmt den klassischen Dreiklang in der Devise der Französischen Revolution auf, in der fraternité gleichberechtigt neben liberté und égalité genannt wurde.3 Im 18. Jahrhundert, als 1

Res. 217 A (III); deutsche Übersetzung in Sartorius II: Internationale Verträge – Europarecht, Nr. 15. 2 Tore Lindholm, Article 1, in: Gudmundur Alfredsson/Asbjørn Eide (eds.), The Universal Declaration of Human Rights, 1999, 41 (42 ff.). 3 Die Devise „liberté, égalité, fraternité“ wurde als Wahlspruch der Französischen Republik übernommen von Art. 2 Abs. 4 der französischen Verfassung von 1958 (deutsche

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Thomas Giegerich

die englischen und französischen Begriffe für „Mensch“ und „Mann“ synonym verwendet wurden (man bzw. homme), bildete sich der geschlechtsspezifische Begriff „Brüderlichkeit“ heraus,4 ohne dass damit Frauen unbedingt ausgeschlossen sein sollten.5 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die selbst ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts enthält,6 identifiziert abweichend von dieser Tradition in der ersten Erwägung ihrer Präambel begrifflich alle Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft („all members of the human family/tous les membres de la famille humaine“) als Rechtsträger und lässt ihren Art. 1 mit „All human beings/Tous les êtres humains“ beginnen, behält dann jedoch den eingeführten Begriff der „Brüderlichkeit“ trotzdem bei.7 So stehen am Beginn der kontinentaleuropäischen ebenso wie der universellvölkerrechtlichen Menschenrechtstradition Erkenntnis und Bekenntnis, dass der Mensch nicht allein von Freiheit und Gleichheit leben kann, wie wichtig sie auch sein mögen, sondern darüber hinaus auf Gemeinschaft und Solidarität angewiesen bleibt. „Brüderlichkeit“ bedeutet Eingliederung in eine soziale und kulturelle Gemeinschaft, welche die Individuen bindet (Bindungsanteil), aber auch auffängt (Solidaritätsanteil). Art. 29 Ziff. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte spitzt den Bindungsanteil dahingehend zu, dass jedem Menschen allein in der Gemeinschaft die freie und volle Entfaltung seiner Persönlichkeit möglich ist und er deshalb dieser Gemeinschaft gegenüber Pflichten hat. Das „Menschenbild“ der Allgemeinen Erklärung entspricht damit demjenigen des etwa gleichzeitig entstandenen Grundgesetzes, das den Menschen als eigenverantwortliche, aber in die soziale Gemeinschaft eingebundene Persönlichkeit betrachtet.8 Zum Solidaritäts-

Übersetzung in: Adolf Kimmel/Christiane Kimmel (Hrsg.), Verfassungen der EUMitgliedstaaten, 6. Aufl. 2005, 169 ff.). 4 Vgl. die Déclaration des droits de l’homme et du Citoyen vom 26.8.1789 (zitiert nach Jacques Godechot, Les Constitutions de la France depuis 1789, 1979, 33 ff.); Thomas Paine, Rights of Man, 1791/1792 – hier zitiert nach der Ausgabe Penguin Books, 1984. Siehe aber bereits Olympe de Gouges, Déclaration des droits de la Femme et de la Citoyenne vom 14.9.1791 (http://www.mdx.ac.uk/www/study/xolyf.htm); Mary Wollstonecraft, A Vindication of the Rights of Woman, 1792 – hier zitiert nach der Ausgabe Penguin Books, 1992. 5 Vgl. Friedrich Schillers Ode „An die Freude“ von 1785: „Alle Menschen werden Brüder …“ 6 Art. 2 Abs. 1. Vgl. bereits Art. 1 Abs. 3, 55 Buchst. c der UN-Charta. 7 Näher Johannes Morsink, The Universal Declaration of Human Rights, 1999, 116 ff. 8 Vgl. zuletzt BVerfG, Urt. v. 1.4.2008 (1 BvR 1620/04), Absatz-Nr. 71 (http://www. bverfg.de). Vorher bereits u.a. BVerfGE 7, 198 (205); 24, 119 (144). Zum „genetischen Zusammenhang“ zwischen den Grundrechten des Grundgesetzes und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte umfassend Thilo Rensmann, Wertordnung und Verfassung, 2007.

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anteil der Brüderlichkeit, der in Deutschland vor allem im Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG) zu verorten ist, bleibt mehr zu sagen.

B. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als Ausfluss der „Brüderlichkeit“ In Frankreich fand der Solidaritätsanteil der fraternité zunächst keinen unmittelbaren Ausdruck im Katalog der „natürlichen“ Menschenrechte der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26.8.1789,9 sondern erst in ihrer Neufassung, die der nie wirksam gewordenen Verfassung vom 24.6.1793 vorangestellt wurde.10 Gut hundertfünfzig Jahre später zieht die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus der Brüderlichkeitsvorgabe konkrete Folgerungen in Form von Solidaritätsansprüchen: Sie propagiert in ihren Art. 22 bis 28 eine ganze Reihe wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Individualrechte – auf soziale Sicherheit, Arbeit, gerechten Lohn, Erholung und Freizeit, angemessenen Lebensstandard, Bildung sowie Teilhabe an Kultur und Wissenschaft. Nach Art. 28 hat jeder Anspruch auf („is entitled to“) eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Allgemeinen Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können. In ihrem zweiten Aspekt der gerechten „internationalen Ordnung“ lässt Art. 28 die später formulierten Menschenrechte der „dritten Generation“ oder Solidaritätsrechte der Völker anklingen, insbesondere das von der Dritten Welt immer wieder eingeforderte „Recht auf Entwicklung“.11

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Deutsche Übersetzung in: Kimmel/Kimmel (Anm. 3), 191 f. Demgegenüber zählte Art. I der Virginia Declaration of Rights vom 12.6.1776 bemerkenswerterweise die „Mittel, Eigentum zu erwerben und zu besitzen“ (the means of acquiring and possessing property) zu den natürlichen Rechten (http://www.yale.edu/lawweb/avalon/virginia.htm). 10 Vgl. insbesondere Art. 21 (soziale Unterstützung) und 22 (Bildung) der neugefassten Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (zit. nach Godechot (Anm. 4), 79 ff.). 11 Eibe Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, Europäische Grundrechte-Zeitschrift (EuGRZ) 1989, 9 ff.; kritischer Christian Tomuschat, Human Rights – Between Idealism and Realism, 2003, 24 ff., 48 ff. Zum Recht auf Entwicklung vgl. insbesondere die Deklaration der UN-Generalversammlung vom 4.12.1986 (A/RES/41/128); dazu Werner Meng, Völkerrecht als wirtschaftlicher Ordnungsfaktor und entwicklungspolitisches Steuerungsinstrument, in: Das internationale Nord-Süd-Verhältnis, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 41 (2005), 1 (13 ff.).

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Thomas Giegerich

C. Soziale Gerechtigkeit als Voraussetzung für den Weltfrieden: ILO (1919) und UNO (1945) Ideologisch begründet werden die vorgenannten Versubjektivierungen des großen Ziels weltweiter sozialer Gerechtigkeit in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Diese erkennt in ihrer ersten Erwägung die angeborene Würde und die gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft als Grundlage nicht nur der Freiheit, sondern auch der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt an.12 Bereits drei Jahrzehnte zuvor war die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gegründet worden, weil universeller und dauerhafter Frieden nur auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit gesichert werden könne.13 Die ILO spielt eine wichtige Rolle im schwierigen Interessenausgleich zwischen Ländern mit hohen und solchen mit niedrigen Arbeits- und Sozialstandards. Wenn die erstgenannten ihre Märkte gegen Wirtschaftsgüter aus den letztgenannten abschotten, blockieren sie möglicherweise gerade deren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, der ihnen angeblich am Herzen liegt. Hier ermöglicht die ILO eine gemeinsame Bildung von Mindeststandards im Konsens. Die Welthandelsorganisation hat mehrfach deutlich gemacht, dass die Setzung und Durchsetzung von Sozialstandards der ILO überlassen bleiben sollen, und sich ihrer Einbeziehung in das WTO-Recht verweigert.14 Die vielleicht wichtigste Gegenwartsaufgabe der ILO und der internationalen Gemeinschaft insgesamt besteht darin, die durch die Globalisierung gewissermaßen entfesselte Geschäftswelt rechtlich und tatsächlich in die soziale Verantwortung einzubinden. Vor allem gilt es, die Menschenrechte einschließlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte durchzusetzen gegenüber transnationalen Konzernen, die an Macht und Einfluss zahlreichen Staaten überlegen sind.15 12

Vgl. das entsprechende Bekenntnis des Deutschen Volkes in Art. 1 Abs. 2 GG, das freilich zu keiner nennenswerten Verbürgung wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Grundrechte führt, sondern in das viel offenere Sozialstaatsprinzip mündet (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG). 13 1. Erwägung der Präambel der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation von 1919 (http://www.ilo.org/ilolex/english/constq.htm). Vgl. Klaus Samson/Kenneth Schindler, The Standard-Setting and Supervisory System of the International Labour Organisation, in: Raija Hanski/Markku Suksi (eds.), An Introduction to the International Protection of Human Rights, 2nd ed. 1999, 185 ff.; Angelika Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, 2005, 249 ff. 14 Sebastian Puth, WTO und Sozialstandards, in: Meinhard Hilf/Stefan Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, 2005, 637 (641). 15 Karsten Nowrot, Die UN-Norms on the Responsibility of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights, Beiträge zum Transnationa-

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In der zweiten Erwägung ihrer Präambel zitiert die Allgemeine Erklärung die berühmte „Four Freedoms Speech“ des früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der neben die Redefreiheit, die Glaubensfreiheit und die Freiheit von Furcht gleichberechtigt die Freiheit von Not überall auf der Welt gestellt – und dabei in einem geschickten Kunstgriff den Anspruch auf sozialen Ausgleich in ein Freiheitsrecht umgemünzt hatte.16 Seine Ehefrau, Eleanor Roosevelt, war Vorsitzende der Menschenrechtskommission, welche die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erarbeitete. In der fünften Präambel-Erwägung dieser Erklärung wird schließlich die Charta der Vereinten Nationen als Beleg dafür genannt, dass die Völker der UNO beschlossen hätten, sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen in größerer Freiheit zu fördern. Eine entsprechende Verlautbarung findet sich in der Tat in der Präambel der UN-Charta.17 Diesen „Völkerbeschluss“ setzt die Charta in ihren operativen Bestimmungen jedoch nur in sehr allgemeiner Form um: Art. 1 Ziff. 3 zählt die Herbeiführung einer internationalen Zusammenarbeit zur Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu den Zielen der Vereinten Nationen. Art. 55 verpflichtet die Vereinten Nationen zur Förderung bestimmter Zwischenziele, um als Endziel „jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbeizuführen, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche … Beziehungen herrschen“. Als solche Zwischenziele definiert Buchst. a die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg; Buchst. b die Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Art sowie die internationale Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und der Erziehung; Buchst. c schließlich die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion. Nach Art. 56 verpflichten sich die Mitgliedstaaten, gemeinsam und jeder für sich mit der UNO zusammenzuarbeiten, um die in Art. 55 dargelegten Ziele zu erreichen. Mit anderen Worten findet sich in der UN-Charta keine Spur von konkreten wirt-

len Wirtschaftsrecht, Heft 21/2003; Promotion and Protection of All Human Rights, Civil, Political, Economic, Social and Cultural Rights, including the Right to Development. Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie (A/HRC/8/5), 7 April 2008. 16 Jahresbotschaft des Präsidenten an den Kongress vom 6.1.1941 (deutsche Übersetzung in: Herbert Schambeck/Helmut Widder/Marcus Bergmann (Hrsg.), Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, 1993, 472 ff.). 17 Vgl. die 4. Erwägung (deutsche Übersetzung in: Sartorius II (Anm. 1), Nr. 1).

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schaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten, wie sie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte proklamiert. Hierin liegt das Kernproblem: Die UN-Charta, ein weltumspannender völkerrechtlicher Vertrag, der seinen 192 Parteien Rechtspflichten auferlegt, die vor allen ihren anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen Vorrang haben,18 erschöpft sich in abstrakten Verlautbarungen hehrer Zwischen- und Endziele im Sinne nationaler und internationaler sozialer Gerechtigkeit. Spezifische subjektive Rechte, mit deren Hilfe konkrete Schritte in Richtung auf diese Ziele eingefordert werden könnten, verschiebt sie hingegen in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Damit entkleidet sie diese Rechte weitgehend ihrer Rechtswirkung, weil die Allgemeine Erklärung als Resolution der UN-Generalversammlung ihrerseits lediglich Empfehlungscharakter hat.19 Dementsprechend versteht sich die Erklärung nach ihrer Präambel selbst nur als von allen Völkern und Nationen zu erreichendes gemeinsames Ideal. An Versuchen, ihre Artikel in völkerrechtliche Menschenrechtsverbürgungen umzudeuten, hat es freilich nicht gefehlt. Man mag sie als deklaratorische Wiedergabe von Normen des Völkergewohnheitsrechts20 oder von allgemeinen Rechtsgrundsätzen21 ansehen oder sie als quasi-authentische Anreicherung der o.g. menschenrechtlichen Generalklauseln der UN-Charta einstufen.22 So plausibel diese Versuche jedenfalls für die grundlegenden abwehrrechtlichen Gewährleistungen der Allgemeinen Erklärung auch sein mögen, bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten stoßen sie auf die zusätzliche Schwierigkeit, dass die Staaten gegenüber der Gewährung solcher Rechte deutlich zurückhaltender sind.

D. Die Umgießung des abstrakten Solidaritätsziels in konkrete völkerrechtliche Verpflichtungen: IPBPR und IPWSKR von 1966 Die Umgießung der feierlich proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in verbindliches Völkervertragsrecht dauerte noch beinahe drei Jahrzehnte und war nur um den Preis einer Aufspaltung des französischen Dreiklangs möglich: Liberté und égalité gerannen zu einem Menschenrechtsvertrag, die fraternité zu einem parallelen zweiten. Erst 1966 konnte man sich auf deren Text18

Art. 103 UN-Charta. Art. 10 ff., insbesondere Art. 13 Abs. 1 Buchst. b UN-Charta. 20 Art. 38 Abs. 1 Buchst. b des IGH-Statuts (deutsche Übersetzung in Sartorius II (Anm. 1), Nr. 2). 21 Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des IGH-Statuts. 22 Art. 38 Abs. 1 Buchst. a des IGH-Statuts. 19

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fassungen einigen: den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte23 mit den sogenannten Menschenrechten der ersten Generation und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte24 mit den Menschenrechten der zweiten Generation; 1976 traten beide dann endlich in Kraft. Der Ansatz des letztgenannten „Brüderlichkeits“-Pakts ist im Vergleich zum „Freiheits- und Gleichheits“-Pakt deutlich vorsichtiger. Beispielsweise müssen die Vertragsstaaten nach Art. 2 IPBPR die im Pakt anerkannten Erstgenerationsrechte achten und gewährleisten, die notwendigen gesetzgeberischen und sonstigen Schritte unternehmen, um ihnen Wirksamkeit zu verleihen, und Rechtsbehelfe für Verletzungsfälle schaffen. Demgegenüber verpflichten sich die Vertragsstaaten nach Art. 2 Abs. 1 IPWSKR nur, einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit unter Ausschöpfung aller ihrer Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Maßnahmen die volle Verwirklichung der im IPWSKR anerkannten Zweitgenerationsrechte zu erreichen. Auch hinsichtlich der Durchsetzungsmechanismen fällt der IPWSKR hinter den IPBPR zurück. Der erstgenannte sieht nur ein Staatenberichtsverfahren vor, wobei die Staatenberichte vom UN-Wirtschafts- und Sozialrat überprüft werden sollen,25 einem politischen, mit weisungsgebundenen Staatenvertretern besetzten Organ.26 Dieser hat 1985 allerdings von sich aus einen Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aus unabhängigen Experten gebildet, der die Überwachungsaufgaben praktisch selbstverantwortlich wahrnimmt.27 Demgegenüber verfügt der IPBPR von Anfang an über ein solches unabhängiges Expertengremium, den Ausschuss für Menschenrechte.28 Außerdem kennt der IPBPR neben dem obligatorischen Staatenberichtsverfahren29 ein fakultatives Staatenbeschwerdeverfahren, dem nur diejenigen Vertragsstaaten unterliegen, die eine besondere Unterwerfungserklärung abgegeben haben.30 Während bisher noch kein Staatenbeschwerdeverfahren durchgeführt wurde, hat das Individualbeschwerdeverfahren große praktische Bedeutung. Es ist durch das Fakultativprotokoll zum IPBPR von 1966 eingeführt worden und gilt nur für diejenigen Vertragsstaaten des Paktes, die diesem Protokoll gesondert beigetreten sind.31 Langjährige Bestrebungen, jedenfalls die justitiablen Bestimmungen des IPWSKR durch ein solches Individualbeschwer23 24 25 26 27 28 29 30 31

UNTS, Vol. 999, 171 (deutsche Übersetzung in: Sartorius II (Anm. 1), Nr. 20). UNTS, Vol. 993, 3 (deutsche Übersetzung in: Sartorius II (Anm. 1), Nr. 21). Art. 16 ff. IPWSKR. Art. 61 UN-Charta. Resolution 1985/17 vom 28.5.1985. Art. 28 ff. IPBPR. Art. 40 IPBPR. Art. 41 IPBPR. UNTS, Bd. 999, 302 (deutsche Übersetzung in Sartorius II (Anm. 1), Nr. 20a).

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deverfahren zu effektuieren, sind bislang noch nicht von Erfolg gekrönt worden.32 Eibe Riedel führt uns unter dem Titel „Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und seine Fortentwicklung durch das CESCR“ an die Problematik heran und lässt Hoffnung aufkommen, dass ein Individualbeschwerdeverfahren doch noch eingerichtet wird.33 Offensichtlich stoßen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte gegenüber den bürgerlichen und politischen in ihrer Verwirklichung nicht nur auf größere faktische Schwierigkeiten, sondern auch auf entschiedenere mentale Widerstände. Die hierfür mitverantwortliche unterschiedliche Normstruktur der Erst- und Zweitgenerationsrechte und das Ineinandergreifen der beiden Rechtekategorien untersucht Hans-Joachim Cremer in seinem Beitrag „Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – eine sinnvolle Normkategorie?“ näher.34 Die Erstgenerationsrechte verpflichten Staaten primär dazu, Eingriffe zu unterlassen (Abwehrrechte), und sekundär, vor Verletzungen seitens Dritter zu schützen (Schutzpflicht). Demgegenüber müssen Staaten zur Erfüllung häufig auch noch miteinander konkurrierender Zweitgenerationsrechte (Leistungsansprüche) in erster Linie ihre ohnedies schon überbeanspruchten Ressourcen aktiv einsetzen. Welchen Inhalt solche Leistungsansprüche haben, ob sie ein bestimmtes Resultat verlangen oder nur eine Bemühensverpflichtung auferlegen, ist jeweils sorgfältig zu prüfen.35 Staaten sind immer noch eher bereit, sich in Bezug auf die Gewährleistung von Abwehrrechten und Schutzpflichten internationaler Kontrolle zu unterwerfen als in Bezug auf die Erfüllung solcher viel unbestimmteren Leistungsansprüche. Dort wollen sie ihren sozial-, haushalts- und finanzpolitischen Entscheidungsspielraum unüberwacht bewahren. Dieses Bestreben geht so weit, dass die Staaten eine internationale Kontrolle ihrer Sozialpolitik selbst am Maßstab der Gleichheit zu vermeiden suchen. Deshalb stößt es immer noch auf Ablehnung, dass der Ausschuss für Menschenrechte das Diskriminierungsverbot des Art. 26 IPBPR auch 32 Dafür z.B. Thilo Marauhn, Individualbeschwerde für völkerrechtlich gewährleistete wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte?, in: Manfred Aschke u.a. (Hrsg.), Selbstbestimmung und Gemeinwohl, Festschrift Zezschwitz, 2005, 243 ff. Dagegen z.B. Michael J. Dennis/David P. Stewart, Justiciability of Economic, Social, and Cultural Rights, American Journal of International Law 98 (2004), 462 ff.; Christian Tomuschat, An Optional Protocol for the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights?, in: Klaus Dicke u.a. (Hrsg.). Weltinnenrecht. Liber amicorum Jost Delbrück, 2005, 815 ff. 33 In diesem Band S. 71. 34 In diesem Band S. 35. 35 Thilo Marauhn, Social Rights Beyond the Traditional Welfare State: International Instruments and the Concept of Individual Entitlements, in: Eyal Benvenisti/Georg Nolte (eds.), The Welfare State, Globalization, and International Law, 2004, 275 ff.

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auf – als solche außerhalb des Anwendungsbereichs des IPBPR liegende – soziale Leistungsansprüche anwendet.36 Und deshalb ratifizieren die Europaratsstaaten nur schleppend das 12. Protokoll zur EMRK, welches das Diskriminierungsverbot auf derartige Ansprüche erstreckt. Ablehnung dieser universellen und regional-europäischen Völkerrechtsentwicklungen wird gerade auch aus Deutschland laut.37 Ungeachtet aller Widerstände wird auf UN-Ebene immer wieder zu Recht betont, dass alle Menschenrechte allgemeingültig und unteilbar sind, einander bedingen und miteinander zusammenhängen und dass die internationale Gemeinschaft sie daher weltweit in fairer und gleicher Weise, auf derselben Basis und mit demselben Nachdruck behandeln muss.38 Inwieweit auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte einklagbare Mindeststandards enthalten können, wird derzeit in Deutschland für die auf Landesebene neu eingeführten Studiengebühren anhand des Art. 13 Abs. 2 Buchst. c IPWSKR wissenschaftlich diskutiert und richterlich entschieden.39

E. UNESCO und WTO als Teile des internationalen Mosaiks der Solidarität Ein Überblick über die auf universeller Ebene bestehenden Mechanismen zur Sicherung der Brüderlichkeit wäre unvollständig ohne einen Hinweis auf die annähernd gleichzeitig mit der UNO gegründete UN-Sonderorganisation der

36

Vgl. Manfred Nowak, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2nd ed. 2005, Art. 26 Rn. 13; Nußberger (Anm. 13), 339 ff. 37 Thomas Giegerich, Völkerrechtliche Grundlagen des europäischen und deutschen Antidiskriminierungsrechts, in: Ursula Rust/Josef Falke (Hrsg.), AGG, 2007, 33 ff., Rn. 40 ff., 65, 175 ff. 38 Abschnitt I.5. der Wiener Erklärung und des in ihr enthaltenen Aktionsprogramms der Weltkonferenz der Vereinten Nationen über Menschenrechte vom 25.6.1993, EuGRZ 1993, 520 (521); 5. Erwägung der Resolution 53/168 der UN-Generalversammlung zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1998 (http:// www.un.org/Depts/dhl/resguide/r53.htm). 39 VG Minden, DÖV 2007, 617; OVG Münster, Urt. v. 9.10.2007 (15 A 1596/07), BeckRS 2007, 27349. Eibe Riedel/Sven Söllner, Studiengebühren im Lichte des UN-Sozialpakts, Juristenzeitung 2006, 270 ff.; Stefan Lorenzmeier, Völkerrechtswidrigkeit der Einführung von Studienbeiträgen und deren Auswirkung auf die deutsche Rechtsordnung, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2006, 759 ff.; Sven Söllner, Studiengebühren und das Menschenrecht auf Bildung, 2007.

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Thomas Giegerich

UNESCO.40 Diese beruht nach der Präambel ihrer Verfassung auf der Überzeugung, dass Kriege im Geiste der Menschen entstehen und deshalb auch der Frieden dort zu verankern sei. Dazu sollen durch Zusammenarbeit der Staaten Kultur weit verbreitet und die Erziehung zu Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden gestärkt werden. Um den Frieden vor dem Scheitern zu bewahren, müsse er auf der geistigen und moralischen Solidarität der Menschheit errichtet werden. Ziel der UNESCO ist es nach Art. I Abs. 1 ihrer Verfassung, zur Wahrung von Frieden und Sicherheit beizutragen, indem sie die Zusammenarbeit zwischen den Völkern durch Bildung, Wissenschaft und Kultur fördert, um auf diese Weise in der ganzen Welt die Achtung vor der Gerechtigkeit, der Herrschaft des Rechts und den Menschenrechten und Grundfreiheiten ohne Diskriminierung zu stärken. Die UNESCO-Verfassung verbürgt ihrerseits keine kulturellen Menschenrechte, doch hat die Organisation ein Popularbeschwerdeverfahren etabliert, um zur Durchsetzung derjenigen Menschenrechte beizutragen, die in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen. Als „kulturrelevant“ in diesem Sinne gelten vor allem die in den Art. 19, 26 und 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte proklamierten Rechte auf Meinungs- und Informationsfreiheit, Bildung, Teilhabe an Kultur und Wissenschaft sowie Urheberschutz.41 Dieses vertrauliche Beschwerdeverfahren dient in erster Linie der gütlichen Beilegung von Konflikten. Ein „Tropfen sozialen Öls“ findet sich selbst im WTO-Recht. Schon das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) von 1947 ist laut seiner Präambel seit jeher dem Ziel verpflichtet gewesen, die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen der Vertragsparteien auszubauen, um u.a. den Lebensstandard zu erhöhen, Vollbeschäftigung zu verwirklichen und ein hohes und ständig steigendes Niveau des Realeinkommens zu erreichen. Teil IV „Handel und Entwicklung“ (Art. XXXVI– XXXVIII GATT) zieht daraus Schlussfolgerungen zugunsten der weniger entwickelten Vertragsparteien.42 Das WTO-Übereinkommen von 1994 übernimmt die genannten Zielvorstellungen des GATT in seine eigene Präambel und fügt die Erkenntnis hinzu, „dass es positiver Bemühungen bedarf, damit sich die Entwicklungsländer, insbesondere die am wenigsten entwickelten unter ihnen, einen Anteil

40

Verfassung der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 16.11.1945 (http://www.unesco.de/verfassung.html?&L=0). 41 Grundlage ist die Entscheidung 104 EX 3.3 des Exekutivrats vom 26.4.1978. Näher Fons Coomans, UNESCO and Human Rights, in: Hanski/Suksi (Anm. 13), 219 ff. 42 http://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/legal_e.htm (deutsche Übersetzung in: Sartorius II (Anm. 1), Nr. 510).

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am Wachstum des internationalen Handels sichern, der den Erfordernissen ihrer wirtschaftlichen Entwicklung entspricht“.43 Die Umsetzung dieser Zielvorgaben in den operativen Bestimmungen des Welthandelsrechts ist allerdings nur unvollkommen gelungen, weil diese die Handelsschranken beseitigen, den Ausgleich sozialer Verwerfungen aber der Verantwortung der einzelnen WTO-Mitglieder überlassen. So verteilen sich Globalisierungsgewinne und -verluste derzeit offensichtlich ungleich auf Industriestaaten, Schwellenländer und Entwicklungsländer sowie dort jeweils auf reichere und ärmere Schichten. Doch zeigen die zähen Verhandlungen der Doha-Runde, wie schwierig hier ein Ausgleich ist, zumal wenn nicht zuletzt die Interessen der Armen in der Ersten Welt und der viel Ärmeren in der Dritten Welt aufeinander treffen: wenn z.B. die Industriestaaten ihre Landbevölkerung dadurch unterstützen, dass sie Agrarprodukten aus Entwicklungsländern den Zugang zu ihren Märkten erschweren und gleichzeitig ihren eigenen Agrarprodukten durch Subventionen auf den Weltmärkten einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffen.44 Immerhin hat ein spektakuläres Beispiel in den letzten Jahren bewiesen, dass sich die soziale Verantwortung unter dem Druck der öffentlichen Meinung in der Welt auch in der WTO durchzusetzen vermag: die Überwindung des von transnationalen Pharmakonzernen beanspruchten Patentschutzes für lebenswichtige Medikamente, um den Armen in den Entwicklungsländern kostengünstige Generika z.B. zur AIDS- oder Malaria-Bekämpfung zugänglich zu machen.45 Einem möglichen Konflikt zwischen der Wahrung kultureller Vielfalt als Anliegen der UNESCO und dem Freihandel als Anliegen der WTO geht Meinhard Hilf in seinem Beitrag „Globaler Handel und Kulturelle Vielfalt – WTO gegen UNESCO?“ nach.46 Seine Frage knüpft an die Auswirkungen des UNESCOÜbereinkommens über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen vom 20.10.2005 auf die lang anhaltende Debatte über eine „kulturelle 43 http://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/legal_e.htm (deutsche Übersetzung in: Sartorius II (Anm. 1), Nr. 500). 44 Vgl. Saskia Hörmann, Post-Uruguay-Prozess, in: Hilf/Oeter (Anm. 14), 681 ff.; Werner Meng, Die Doha-Runde der WTO – Entwicklungsmöglichkeiten der Welthandelsordnung, in: Rainer Pitschas (Hrsg.), Handel und Entwicklung im Zeichen der WTO – ein entwicklungspolitisches Dilemma, 2007, 23 (48 ff.). 45 Meinhard Hilf/Saskia Hörmann, Die WTO – Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten?, Archiv des Völkerrechts 43 (2005), 397 (426 ff.). Neuere Entwicklungen bei Holger P. Hestermeyer, Canadian-made Drugs for Rwanda: The First Application of the WTO Waiver on Patents and Medicines, ASIL Insight, vol. 11, Issue 28 (Dec. 10, 2007) (http://www.asil.org/insights/2007/12/insights071210.html). 46 In diesem Band S. 95.

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Bereichsausnahme“ vom Welthandelsrecht. Diese Debatte geht vor allem auf das französische Anliegen zurück, sich vor einer kulturellen Überwältigung durch die US-amerikanische Kulturindustrie (Hollywood) zu schützen. Die französische Vorstellung beruht auf einem eher kollektiven Verständnis von Kultur im Sinne des Rechts einer Gruppe, in einer bestimmten kulturellen Umgebung zu leben, das durch staatliche Kulturpolitik zu schützen und zu fördern ist, während die USA kulturelle Rechte als Individualrechte verstehen, so dass jeder seine eigene Kultur auch durch Konsum fremder Kulturprodukte definieren kann.47

F. Die „Brüderlichkeit“ im regionalen Völkerrecht: Afrika, Amerika, Europa I. Verwirklichung von Zweitgenerationsrechten in Afrika: Einheitsmodell Auf der regional-völkerrechtlichen Ebene finden sich Verbürgungen von Zweitgenerationsrechten in Afrika, Amerika und Europa. Die Afrikanische (Banjul) Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker vom 26.6.198148 fasst nach dem Modell der Allgemeinen Erklärung die Menschenrechte aller drei Generationen in einem Vertrag zusammen (Einheitsmodell). In der 7. Erwägung ihrer Präambel formulieren die 53 Vertragsparteien die Überzeugung, „dass die bürgerlichen und politischen Rechte nicht von den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen getrennt werden können, weder in ihrer Konzeption noch in ihrer Universalität, und dass die Befriedigung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte eine Garantie für die Ausübung der bürgerlichen und politischen Rechte ist“. Um die Einhaltung der Chartaverpflichtungen zu überwachen, ist eine Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker eingerichtet worden. Durch ein Protokoll von 1998 ist ihr ein Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker an die Seite gestellt worden.49 Dieses Protokoll ist zwar 2004 in Kraft 47 Dominic McGoldrick, Culture, Cultures, and Cultural Rights, in: Mashood A. Baderin/Robert McCorquodale (eds.), Economic, Social and Cultural Rights in Action, 2007, 447 (468 ff.); Georg Nolte, Kulturelle Vielfalt als Herausforderung für das Völkerrecht, in: Pluralistische Gesellschaften und Internationales Recht, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 43, 2008, 1 (10 f., 25 ff.). 48 http://www.africa-union.org/root/au/Documents/Treaties/Text/Banjul%20Charter.pdf (deutsche Übersetzung in: Bruno Simma/Ulrich Fastenrath (Hrsg.), Menschenrechte, 5. Aufl. 2004, 707 ff.). 49 http://www.africa-union.org/root/au/Documents/Treaties/Text/africancourt-human rights.pdf.

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getreten, doch hat der Gerichtshof seine Arbeit noch nicht aufgenommen. Hennie Strydom beleuchtet in seinem Beitrag „Social and Economic Rights in Africa: The Nagging Issues of African Statehood and Economic Development”, wie ernsthaft man dort an den rechtlichen Grundlagen arbeitet, um den Afrikanern einen menschenwürdigen Mindestlebensstandard zu ermöglichen. In einem Exkurs geht er näher auf die Rechtslage in Südafrika ein.50

II. Verwirklichung von Zweitgenerationsrechten in Amerika: Trennungsmodell Anders als in Afrika folgt der Menschenrechtsschutz auf dem amerikanischen Doppelkontinent im Wesentlichen dem Trennungsmodell der universellen Ebene. Auch in Amerika steht am Anfang eine politische Deklaration, die Amerikanische Deklaration der Rechte und Pflichten des Menschen von 1948,51 die eine Reihe wirtschaftlicher und sozialer Rechte mit auflistet. Die Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22.11.1969 verbürgt dann konkret nur Individualrechte der ersten Generation.52 Immerhin findet sich ein eigenes mit „Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ überschriebenes Kapitel, das allerdings nur aus einem einzigen Artikel besteht (Art. 26 „Fortschreitende Entwicklung“). In seiner Struktur Art. 2 Abs. 1 IPWSKR vergleichbar, verpflichtet dieser die Vertragsstaaten, durch geeignete Mittel schrittweise die volle Realisierung von außerhalb der AMRK zu suchenden einschlägigen Rechten zu erreichen: nämlich von Rechten, die implizit enthalten seien in den wirtschaftlichen, sozialen, bildungsmäßigen, wissenschaftlichen und kulturellen Standards der Charta der Organisation Amerikanischer Staaten in der Fassung des Protokolls von Buenos Aires von 1967. Erst das Zusatzprotokoll zur AMRK von San Salvador schreibt 1988 dann einen echten Katalog wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte fest.53 Bisher haben es jedoch nur 14 der 25 AMRK-Staaten ratifiziert. Anja Seibert-Fohr zeigt in ihrem Beitrag „Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in der Organisation Amerikanischer Staaten“ näher, wie die Inter-Amerikanische Kommission und der InterAmerikanische Gerichtshof für Menschenrechte sich um die Durchsetzung dieser Rechte bemühen und welche faktischen und rechtlichen Schwierigkeiten dabei zu überwinden sind.54 50

In diesem Band S. 147. http://www.cidh.oas.org/Basicos/English/Basic2.American%20Declaration.htm. 52 http://www.oas.org/juridico/english/treaties/b-32.html (deutsche Übersetzung in: Simma/Fastenrath (Anm. 48), 685 ff. = EuGRZ 1980, 435 ff.). 53 http://www.oas.org/juridico/english/treaties/a-52.html. 54 In diesem Band S. 183. 51

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III. Verwirklichung von Zweitgenerationsrechten in Europa: Trennungsmodell Das im Vergleich mit Afrika und großen Teilen Amerikas relativ reiche Europa ist stolz auf „sein“ Sozialmodell, das den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt unter Ausgleich sozialer Gegensätze und Bekämpfung sozialer Ausgrenzung zur Aufgabe der europäischen Staaten, internationalen und supranationalen Organisationen macht.55 Dennoch sind auch auf unserem Kontinent wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nicht unangefochten verbürgt und erst recht nicht endgültig verwirklicht. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950 als grundlegendes Menschenrechtsinstrument des größeren Europarats-Europa mit 47 Mitgliedstaaten will nach der letzten Erwägung ihrer Präambel eine kollektive Garantie „bestimmter in der Allgemeinen Erklärung aufgeführter Rechte“ einrichten.56 In die EMRK aufgenommen worden sind aber nur Menschenrechte der ersten Generation. Daran hat auch die Ergänzung des Rechtekatalogs durch spätere Protokolle nichts Grundlegendes geändert, wenn man von dem Recht auf Bildung in Art. 2 des Zusatzprotokolls von 195257 absieht.58 Im Laufe der Zeit hat aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte immerhin aus einigen Konventionsbestimmungen sozialrechtliche Folgewirkungen abgeleitet.59 Eigentliche Zweitgenerationsrechte sind jedoch in die Europäische Sozialcharta (ESCh) von 1961 ausgelagert worden,60 so dass Europa als Erfinderin des Trennungs-

55 Vgl. u.a. Ziff. II der Berliner Erklärung anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge vom 25.3.2007; dazu Thomas Oppermann, Die Berliner Erklärung vom 25. März 2007, in: Jörn Ipsen/Bernhard Stüer (Hrsg.), Europa im Wandel. Festschrift für Hans-Werner Rengeling, 2008, 609 ff. – Text der Erklärung abgedruckt auf S. 613 f.; abrufbar auch unter http://www.eu2007.de/de/News/download_docs/Maerz/0324RAA/German.pdf. 56 http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/005.htm (deutsche Übersetzung in: Sartorius II (Anm. 1), Nr. 130). 57 http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/009.htm (deutsche Übersetzung in: Sartorius II (Anm. 1), Nr. 131). 58 Dazu im Einzelnen Christine Langenfeld, Das Recht auf Bildung, in: Rainer Grote/ Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG – Konkordanzkommentar, 2006, 1346 ff. 59 Näher Angelika Schmidt, Europäische Menschenrechtskonvention und Sozialrecht, 2003; Christoph Grabenwarter, Sozialstandards in der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: Ulrich Becker u.a. (Hrsg.), Die Implementierung internationaler Sozialstandards, 2006, 83 ff. 60 http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/035.htm (deutsche Übersetzung in: Sartorius II (Anm. 1), Nr. 115). Europarat (Hrsg.), Die Europäische Sozialcharta: Ein Leitfaden, 2002; Rolf Birk, European Social Charter (September 2007), in: Roger Blanpain

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modells gelten kann. Es hat sein soziales Gewissen offenbar nicht überstrapazieren wollen. Die nicht von allen Konventionsstaaten ratifizierte ESCh unterscheidet sich grundlegend von der EMRK: Anders als diese legt sie nur Staatenpflichten fest, gewährleistet aber keine in der nationalen Gerichtsbarkeit einklagbaren subjektiven Rechte.61 Zweitens beruht die ESCh auf einem „à la carte“-Ansatz – die Vertragsstaaten sind nicht an den gesamten Rechtekatalog gebunden, sondern können sich nach näherer Maßgabe des Art. 20 ESCh die Rechte aussuchen, an die sie sich binden wollen. Drittens verbürgt die ESCh keine Jedermann-Rechte, sondern schützt Ausländer nur, falls diese Staatsangehörige einer anderen Vertragspartei sind und ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet der betreffenden Vertragspartei haben oder dort ordnungsgemäß beschäftigt sind.62 Werden Drittausländer allein wegen ihrer Staatsangehörigkeit von Sozialleistungen ausgeschlossen, kann dies aber die EMRK verletzen: Das akzessorische Diskriminierungsverbot in Art. 14 EMRK verbietet in Verbindung mit dem Eigentumsrecht aus Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK, das auch Ansprüche auf Sozialleistungen erfasst, eine solche Schlechterbehandlung, wenn die Staatsangehörigkeit dafür keinen sachlichen Grund gibt.63 Viertens schließlich ist zur Durchsetzung der Charta-Verpflichtungen in Art. 21–29 ESCh allein ein Staatenberichtsverfahren vorgesehen, während die EMRK seit dem 11. Protokoll von 1994 ein für alle Konventionsstaaten obligatorisches Individualverfahren und ein ebensolches Staatenbeschwerdeverfahren kennt.64 Beide Verfahren münden, falls sich Beschwerden als begründet erweisen, in ein nach Art. 46 EMRK verbindliches Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Demgegenüber endet das Staatenbeschwerdeverfahren nach der ESCh bestenfalls mit einer Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats (Art. 29 ESCh). Ergänzungen und Reformen des unzulänglichen Schutzsystems der ESCh kranken daran, dass sie nicht von allen Vertragsstaaten mitgetragen worden sind. Insbesondere Deutschland hat bisher kein einziges der einschlägigen Protokolle ratifiziert: nicht das Zusatzprotokoll von 1988, das weitere Rechte verbürgt;65 nicht

(ed.), International Encyclopaedia for Labour Law and Industrial Relations (http://www. kluwerlawonline.com). 61 Vgl. die Erläuterung zu Teil III im Anhang zur ESCh, der nach Art. 38 ESCh Vertragsbestandteil ist. 62 Vgl. die Festlegung des persönlichen Geltungsbereichs im Anhang zur ESCh (Art. 38 ESCh). 63 EGMR, Urt. v. 30.9.2003 (No. 40892/98 – Koua Poirrez ./. Frankreich) (http://www. echr.coe.int/echr). 64 Art. 33, 34 EMRK in der seit 1.11.1998 geltenden Fassung. 65 http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/128.htm.

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das Turiner Protokoll zur Reform des Kontrollmechanismus von 1991;66 nicht das Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden durch Nichtregierungsorganisationen (Koalitionen) von 1995;67 nicht die Revidierte ESCh (RevESCh) von 1996.68 Diese Zurückhaltung bei der Übernahme neuer oder der Verstärkung bestehender völkerrechtlicher Verpflichtungen im Sektor soziale Sicherheit beruht auf verschiedenen Gründen: auf einer nach wie vor bestehenden grundsätzlichen Skepsis gegenüber sozialen Rechten, auf Haushaltsproblemen, dem Zwang zur Senkung der Abgabenlast angesichts wachsenden globalen Wettbewerbsdrucks und dem Unwillen, sich den politischen Spielraum bei der notwendigen Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an den demographischen Wandel einschränken zu lassen. Die deutsche Zurückhaltung gegenüber konkreten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten zeigt sich auch daran, dass das Grundgesetz solche Rechte – im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung von 191969 und zu etlichen Landesverfassungen70 – nicht abbildet, sondern sich mit den viel unbestimmteren Garantien der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG) begnügt.71 Am 29.6.2007 hat Deutschland die RevESCh immerhin unterzeichnet.

G. Die „Brüderlichkeit“ in der Europäischen Union I. Solidarität im Innern der EU 1. Von den Römischen Verträgen (1957) über die Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (1989) zum Vertrag von Lissabon (2007) Das kleinere EU-Europa mit heute 27 Mitgliedstaaten baut auf der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 auf, die gegründet worden ist, um u.a. den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt der Mitgliedstaaten zu sichern, die 66

http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/142.htm. http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/158.htm. 68 http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/163.htm. 69 Insbesondere Art. 151 ff. WRV. 70 Vgl. z.B. Art. 18, 20, 22, 25, 28, 32 der Verfassung von Berlin vom 23.11.1995. 71 Art. 3 Abs. 2 Satz 2 und Art. 6 Abs. 4, 5 GG bestätigen als Ausnahmen die Regel. Vgl. Wolfgang Rüfner, Leistungsrechte, in: S. Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte Bd. II, 2006, 679 ff. Zur Lage in der Schweiz vgl. Astrid Epiney/Bernhard Waldmann, Soziale Grundrechte und soziale Zielsetzungen, in: dies. (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte Bd. VII/2, 2007, 611 ff. 67

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Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Völker stetig zu verbessern sowie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete zu verringern.72 Dementsprechend erklärte es Art. 2 EWGV zur Aufgabe der Gemeinschaft, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten u.a. eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung zu fördern. Schon die Ursprungsfassung des EWG-Vertrags enthielt einen Abschnitt über die Sozialpolitik (Art. 117–128). Darin zeigten sich die Mitgliedstaaten entschlossen, eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte zu erreichen, um eine Angleichung auf höherem Niveau zu ermöglichen (Art. 117). Eigenständige arbeits- und sozialrechtliche Kompetenzen wurden der EWG nicht übertragen, dafür aber ein Europäischer Sozialfonds eingerichtet, der durch Zuschüsse die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitskräfte im Gemeinsamen Markt verbessern und damit zur Hebung der Lebenshaltung beitragen sollte (Art. 123–127 EWGV). Im Laufe der Zeit ist die soziale Dimension der europäischen Integration deutlich verstärkt worden. Man wollte damit deutlich machen, dass die EG auch den wirtschaftlich und sozial Schwächeren Vorteile bringt. Damit sollte die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz der europäischen Einigung gesichert werden. 1986 kam durch die Einheitliche Europäische Akte der Titel „Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt“ (heute Art. 158–162 EGV) in den Vertrag, der die Grundlage der europäischen Regionalpolitik bildet. Er setzt die schon 1957 formulierte Zielvorstellung um, die Entwicklungsunterschiede zwischen den verschiedenen Regionen zu verringern, um die Lebensverhältnisse der Europäer auf hohem Niveau einander anzugleichen. Der Vertrag von Amsterdam hat 1997 einen eigenen Titel „Beschäftigung“ in den EGV eingeführt und den Titel „Sozialpolitik“ unter nochmaliger Inbezugnahme der ESCh und der Gemeinschaftscharta (Art. 136 Abs. 1) erheblich ausgebaut. Seither verfügt die EG nach Art. 137 EGV über eigene Kompetenzen zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, wenn auch nur auf abschließend aufgezählten Gebieten und nur zur Ergänzung der mitgliedstaatlichen Tätigkeit. Überdies gilt Art. 137 EGV nach seinem Absatz 5 ausdrücklich nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht. Der E(W)G-Vertrag enthielt von Anfang an eine begrenzte Ausnahme vom prägenden Grundprinzip einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (Art. 4 Abs. 1 EGV) in Art. 86 Abs. 2 EGV zugunsten von Unternehmen mit Daseinsvorsorgeaufgaben. Der Vertrag von Amsterdam hat durch Einfügung von Art. 16 EGV unterstrichen, dass die EG und ihre Mitgliedstaaten in ihrem jeweiligen 72 Vgl. die Präambel des EWG-Vertrags vom 25.3.1957 (http://eur-lex.europa.eu/de/ treaties/index.htm).

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Zuständigkeitsbereich dafür verantwortlich sind, die gemeinwohlverträgliche Erbringung von Daseinsvorsorgeleistungen durch „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ sicherzustellen. Im Einklang damit hat der EuGH anerkannt, dass staatliche Zuschüsse, die nur als Ausgleich für diejenigen Kosten dienen, die bestimmten Unternehmen durch die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen entstehen, keine „Beihilfe“ im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EGV darstellen und daher von vornherein nicht dem grundsätzlichen Beihilfenverbot des Vertrages unterliegen.73 Ganz bruchlos ist die Entwicklung zum „sozialen Europa“ allerdings auch in der EG/EU keineswegs verlaufen. Ein Markstein in dieser Entwicklung – die Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9.12.198974 – hatte gleich drei Geburtsfehler: Erstens war (und ist) diese Charta nur eine feierliche Deklaration politischer Grundsätze, die von den Mitgliedstaaten oder der EG im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten noch rechtlich umzusetzen waren (und sind). Zweitens formuliert sie im Anschluss an Art. 117 EWG-Vertrag (heute Art. 136 EGV) Rechte nur für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, die Arbeitnehmer. Drittens wurde sie zunächst nur von elf der damals zwölf Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten getragen, nicht aber vom Vereinigten Königreich unter Premierministerin Margaret Thatcher. Erst nach der Ablösung der konservativen durch die Labour-Regierung im Mai 1997 konnte der am 22.10.1997 unterzeichnete Vertrag von Amsterdam in der 4. Erwägung der Präambel des EUV Bezugnahmen auf die ESCh und die Gemeinschaftscharta unterbringen und damit die Bedeutung bestätigen, die den sozialen Grundrechten in der EU zugemessen wird. Der momentan in der Ratifikationsphase befindliche Vertrag von Lissabon verdeutlicht die positive Einstellung der EU zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten weiter.75 Deren Wertekanon umfasst jetzt ausdrücklich eine Gesellschaft, die sich u.a. durch Nichtdiskriminierung, Gerechtigkeit und Solidarität auszeichnet (Art. 2 Satz 2 EUV n.F.). Zu den Zielen und Aufgaben der EU zählt nach Art. 3 Abs. 3 EUV n.F. eine soziale Marktwirtschaft, die ihrerseits auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt. Die Union hat nunmehr die Aufgabe, auch soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen zu bekämpfen sowie soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes zu fördern. Darüber hinaus soll die EU den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten fördern. Schließlich erhält die Union die Aufgabe, den Reichtum ihrer kulturellen 73 74 75

EuGH, Slg. 2003, I-7747 (Rs. C-280/00 – Altmark Trans). Sartorius II (Anm. 1), Nr. 190. Vom 13.12.2007 (ABl. Nr. C 306/1) – noch nicht in Kraft.

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und sprachlichen Vielfalt zu wahren sowie für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas zu sorgen. Es bleibt freilich dabei, dass die EU diese Ziele nur entsprechend den Zuständigkeiten verfolgen kann, die ihr in den Verträgen übertragen sind (Art. 3 Abs. 6 EUV n.F.). Die Stellung der „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ wird in Art. 14 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) künftig noch weiter ausgebaut und durch ein eigenes Protokoll über Dienste von allgemeinem (auch nichtwirtschaftlichem) Interesse betont. In Art. 1 dieses Protokolls wird u.a. „ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung und Förderung des universellen Zugangs und der Nutzerrechte“ zu den gemeinsamen Werten der Union gerechnet.

2. Die Charta der Grundrechte der EU (2000/2007) a) Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in der ursprünglichen Fassung Die am 7.12.2000 vom Europäischen Rat in Nizza feierlich proklamierte Charta der Grundrechte der EU (GRCh)76 bekräftigt laut ihrer Präambel die Rechte, wie sie sich u.a. „aus den von der Gemeinschaft und vom Europarat beschlossenen Sozialchartas“ ergeben. Die Praämbel macht weiterhin deutlich, dass sich die Union gründet auf „die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität“. „Solidarität“ erscheint als moderner und geschlechtsunspezifischer Begriff für „Brüderlichkeit“. Die EU-Grundrechtecharta will schon jetzt als ungeschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts geltende Grundrechte sichtbarer machen und kann daher als Beleg für die lex lata herangezogen werden, wenngleich sie – vor dem In-KraftTreten des Vertrags von Lissabon – als solche nicht förmlicher Bestandteil des primären Gemeinschaftsrechts ist. Vor allem in ihren Kapiteln III (Gleichheit) und IV (Solidarität) listet sie eine Reihe wichtiger wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte auf, was nicht ohne Kritik geblieben ist.77 Primärer Adressat dieser Rechte sind nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh die Organe und Einrichtungen der EU, sekundär auch die Mitgliedstaaten, aber nur insoweit, als sie das Recht der Union durchführen. Art. 51 Abs. 2 GrCh bekräftigt, 76

ABl. Nr. C 364/1 (= Sartorius II (Anm. 1), Nr. 146). Kritisch z.B. Jürgen Basedow, Das Sozialmodell von Lissabon: Solidarität statt Wettbewerb?, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZW) 2008, 225. 77 Vgl. Ulrich Becker, Schutz und Implementierung von EU-Sozialstandards, in: ders. (Anm. 59), 139 (155 ff.).

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dass die Charta weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für EG und EU begründet und die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben nicht ändert. Dementsprechend betont Art. 51 Abs. 1 Satz 2 GRCh, dass die EUOrgane und -Einrichtungen nur gemäß ihren vertraglich verliehenen Zuständigkeiten die Rechte der Charta achten, sich an deren Grundsätze halten und deren Anwendung fördern dürfen. Damit soll dem Eindruck entgegengewirkt werden, dass die EG/EU befugt oder gar verpflichtet sei, umfassend auf die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in Europa hinzuwirken.

b) Einschränkung der Tragweite dieser Rechte durch die Überarbeitung Die überarbeitete Fassung der EU-Grundrechtecharta,78 die aus dem Europäischen („Valéry Giscard d’Estaing“-)Konvent und den nachfolgenden Verhandlungen um den Vertrag von Lissabon hervorgegangen ist, wird nach dessen In-Kraft-Treten mittels Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 n.F. EUV auch förmlich zum gleichrangigen Bestandteil der Verträge erhoben.79 Nach schweizerischer Terminologie handelt es sich um eine „Nachführung“, d.h. eine Anpassung des Vertragstextes an das in bisher ungeschriebener Form fortentwickelte Primärrecht. In Bezug auf die fraternité hat die Überarbeitung der Charta keine wesentlichen Änderungen gebracht, aber eine nicht unwichtige Klarstellung. Schon in ihrer ursprünglichen Fassung von 2000 unterschied sie im letzten Absatz der Präambel zwischen Rechten, Freiheiten und Grundsätzen,80 ohne daraus allerdings Folgerungen abzuleiten. Die Überarbeitung hat hierzu Art. 52 um einen Absatz 5 ergänzt, der die Rechtswirkung der „Grundsätze“ erheblich einzuschränken versucht: „Die Bestimmungen dieser Charta, in denen Grundsätze festgelegt sind, können durch Akte der Gesetzgebung und der Ausführung der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union in Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten umgesetzt werden. Sie können vor Gericht nur bei der Auslegung dieser Akte und bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden.“81 Mit anderen Worten sollen aus „Grundsätzen“ in der Regel keine einklagbaren Individualrechte etwa im Sinne von Leistungsansprüchen, ja nicht einmal allgemeingültige Interpretationshilfen abgeleitet werden. Nach dem Text der EU-Grundrechtecharta bleibt 78

Vom 17.12.2007 (ABl. Nr. C 303/1). „Die Verträge“ sind der Vertrag über die Europäische Union und der gleichrangige Vertrag über die Arbeitsweise der EU als Nachfolger des bisherigen EG-Vertrags (Art. 1 Abs. 3 Satz 1 EUV n.F., Art. 1 Abs. 2 AEUV). 80 Im letzten Absatz der Präambel. Jürgen Meyer, in: ders. (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl. 2006, Präambel, Rn. 51 ff. 81 Hervorhebungen ergänzt. 79

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aber weiterhin offen, in welchen Artikeln nur derartige „Grundsätze“ verbürgt werden, denn der Begriff wird in den materiellen Bestimmungen der Charta nicht verwendet.

c) Die amtlichen Erläuterungen und ihr rechtlicher Stellenwert Anhaltspunkte für die Abgrenzung zwischen Rechten und Grundsätzen bieten jedoch die „Erläuterungen“. Diese waren unter der Leitung des Präsidiums des „Roman Herzog“-Konvents formuliert worden, der die EU-Grundrechtecharta geschaffen hatte, und wurden unter der Verantwortung des Europäischen („Valéry Giscard d’Estaing“-)Konvents, auf den der Entwurf des Vertrages über eine Verfassung für Europa zurückgeht, aktualisiert. Der Europäische Konvent und im Anschluss daran die Regierungskonferenz zum Vertrag von Lissabon haben diese Erläuterungen durch zweifache Inbezugnahme in der Charta selbst aufgewertet: In der fünften Erwägung der Präambel und in Art. 52 Abs. 7 werden die Gerichte der EU und der Mitgliedstaaten nun verpflichtet, die Erläuterungen bei der Auslegung der Charta gebührend zu berücksichtigen.82 Die Regierungskonferenz hat eine weitere Verpflichtung zur gebührenden Berücksichtigung der Erläuterungen bei der Auslegung der Charta in den neugefassten Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV eingeführt. In Anlehnung an die Terminologie der common law-Systeme zur Präjudizienbindung, die zwischen den strikt verbindlichen Präjudizien übergeordneter Gerichte (binding authority) und den abgeschwächt verbindlichen Präjudizien gleichgeordneter Gerichte (persuasive authority) unterscheidet, kann man die Erläuterungen als persuasive authority einstufen: Ihre Verbindlichkeit reicht daher grundsätzlich so weit wie ihre Überzeugungskraft, für die Gerichte Polens und des Vereinigten Königreichs jedoch möglicherweise weiter.83 82

„… with due regard to the explanations“; „… prenant dûment en considération les explications“. Dementsprechend sind die Erläuterungen im Anschluss an die Neufassung der Charta im ABl. 2007 Nr. C 303/17 veröffentlicht worden. 83 In der dritten Erwägung der Präambel des Protokolls über die Anwendung der Charta der Grundrechte der EU auf Polen und das Vereinigte Königreich im Anhang zum Vertrag von Lissabon heißt es nämlich: „IN DER ERWÄGUNG, das der genannte Artikel 6 [n.F. EUV] vorsieht, dass die Charta von den Gerichten Polens und des Vereinigten Königreichs streng im Einklang mit den in jenem Artikel erwähnten Erläuterungen anzuwenden und auszulegen ist“ („WHEREAS the aforementioned Article 6 requires the Charter to be applied and interpreted by the courts of Poland and of the United Kingdom strictly in accordance with the explanations referred to in that Article; „CONSIDÉRANT que l’article 6 précité dispose que la Charte doit être appliquée et interprétée par les juridictions de la Pologne et du Royaume-Uni en stricte conformité avec les explications visées à cet article“). Anscheinend sollen die Gerichte dieser beiden Staaten strikter gebunden sein als diejenigen

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Zur Unterscheidung zwischen Rechten und Grundsätzen bemerken diese Erläuterungen, subjektive Rechte seien zu beachten, Grundsätze hingegen einzuhalten. Letztere begründeten keine direkten Ansprüche auf den Erlass positiver Maßnahmen durch die Organe der Union oder die Behörden der Mitgliedstaaten. Dies stehe sowohl mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs als auch mit dem Ansatz der Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten zu „Grundsätzen“, insbesondere im Bereich des Sozialrechts, in Einklang. Zu den in der Charta anerkannten Grundsätzen gehören nach den „Erläuterungen“ beispielsweise Art. 25 (Rechte [sic!] älterer Menschen), Art. 26 (Integration von Menschen mit Behinderung)84 und Art. 37 (Umweltschutz). In einigen Fällen könne ein Charta-Artikel sowohl Elemente eines Rechts als auch eines Grundsatzes enthalten, wie beispielsweise Art. 23 (Gleichheit von Männern und Frauen), 33 (Familien- und Berufsleben) und 34 (Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung). Demnach werden gerade wirtschaftliche und soziale Rechte zu Grundsätzen herabgestuft. Ob und inwieweit dies überzeugend ist, werden letztlich die Gerichte zu beurteilen haben, die ja an die Erläuterungen nicht strikt gebunden sind.

d) Britisch-polnischer Widerstand gegen eine Aufwertung der Grundrechte-Charta Polen und das Vereinigte Königreich waren mit diesen Abschwächungen der Grundrechtecharta immer noch nicht zufrieden, sondern bestanden auf einem Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich zum Vertrag von Lissabon, das nach Art. 51 n.F. EUV Bestandteil des Vertrages ist, also Primärrechtsrang hat. Unter anderem in der Erwägung, dass die Charta sowohl Bestimmungen bürgerlicher und politischer Art als auch Bestimmungen wirtschaftlicher und sozialer Art enthält, heißt es in Art. 1 Abs. 2 dieses Protokolls: „Insbesondere – und um jeden Zweifel auszuräumen – werden mit Titel IV der Charta keine für Polen oder das Vereinigte Königreich geltenden einklagbaren Rechte geschaffen, soweit Polen bzw. das Vereinigte Königreich solche Rechte nicht in seinem nationalen Recht vorgesehen

der anderen Mitgliedstaaten. Nach Art. 51 n.F. EUV haben die Protokolle zwar Primärrechtsrang, doch gibt die Präambelerwägung den Inhalt des Art. 6 n.F. EUV offensichtlich unrichtig wieder, ohne klar auszusprechen, dass diese Bestimmung in Bezug auf Polen und das Vereinigte Königreich einen anderen Inhalt haben soll, was zudem mit dem Grundsatz der Gleichheit der Mitgliedstaaten und ihrer Bürger vor dem EU-Recht (Art. 4 Abs. 2 Satz 1, Art. 9 Satz 1 EUV n.F.) in Konflikt geraten würde. 84 Art. 26 formuliert „den Anspruch (sic!) von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit“.

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hat.“ Titel IV der Charta umfasst unter dem Titel „Solidarität“ grundlegende wirtschaftliche und soziale Rechte. Polen war dies anscheinend peinlich, denn es gab folgende Erklärung zur Schlussakte der Regierungskonferenz ab: „Polen erklärt, dass es in Anbetracht der  Tradition der sozialen Bewegung der „Solidarno “ und ihres bedeutenden Beitrags zur Erkämpfung von Sozial- und Arbeitnehmerrechten die im Recht der Europäischen Union niedergelegten Sozial- und Arbeitnehmerrechte und insbesondere die in Titel IV der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigten Sozial- und Arbeitnehmerrechte uneingeschränkt achtet.“ Das Interesse der polnischen Regierung an dem Protokoll betraf anscheinend weniger die Minimierung von Zweitgenerationsrechten. Vielmehr wollte man offenbar in erster Linie verhindern, dass in Deutschland ansässige Vertriebene die Grundrechtecharta als Grundlage für Restitutions- oder Entschädigungsansprüche in Bezug auf verlorenes Eigentum benutzen könnten.

3. Stiefmütterliche Behandlung der ESCh im Vergleich zur EMRK im EU-Recht Letztendlich fällt die Befangenheit des EU-Rechts zugunsten der EMRK und zulasten der ESCh auf. Nur die EMRK, nicht dagegen die ESCh wird in der EUGrundrechtecharta ausdrücklich zum Bezugspunkt für die Auslegung von Rechten (Art. 52 Abs. 3 Satz 1) und zum nicht unterschreitbaren Mindeststandard (Art. 53) erklärt. Als Erkenntnisquelle für die ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze (Grundrechte) des Gemeinschaftsrechts nennt Art. 6 Abs. 2 EUV neben den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten allein die EMRK, obwohl auch die ESCh bzw. die RevESCh von allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist.85 Dass die ESCh-Parteien sich völkerrechtlich darauf verständigt haben, in der Sozialcharta keine unmittelbar einklagbaren Individualrechte zu verbürgen, hindert nach dem Günstigkeitsprinzip86 keine von ihnen daran, die ESCh-Artikel in ihrer eigenen Rechtsordnung oder in einer von mehreren gemeinsam getragenen supranationalen Rechtsordnung zu Individualrechten aufzuwerten. Immerhin können die ESCh-Bestimmungen als Interpretationshilfe und Fortbildungsansatz für das Gemeinschaftsrecht dienen.87 Schließlich wird der durch den Vertrag von 85

Ebenso zukünftig Art. 6 Abs. 3 EUV i.d.F. des Vertrags von Lissabon. Art. 32 ESCh, Art. H RevESCh. 87 Manfred Zuleeg, Der Schutz sozialer Rechte in der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft, EuGRZ 1992, 329 (334); ders., La protection des droits sociaux fondamentaux dans l’ordre juridique communautaire, in: Julia Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), La protection des droits sociaux fondamentaux dans les États membres de l’Union européenne. 86

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Lissabon revidierte EU-Vertrag die Union in Art. 6 Abs. 2 zum Beitritt zur EMRK, nicht aber zur ESCh verpflichten. Der Grund für diese Zurückhaltung liegt vermutlich in den jeweils unterschiedlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten infolge des „à la carte“-Ansatzes der ESCh.

II. Grenzen der Solidarität nach innen: „Sozialtourismus“ und „Lohndumping“ Der Streit um die Grenzen der Solidarität nach innen hat in der EG derzeit zwei Brennpunkte: den „Sozialtourismus“ und das „Lohndumping“ durch Arbeitnehmerentsendung. Mit dem erstgenannten Problem setzt sich der Beitrag „Die Universalisierung sozialer Rechte im europäischen Gemeinschaftsrecht“ von Thorsten Kingreen unter dem positiv gewendeten Titel „Sozialbürgerschaft“ auseinander:88 Wie viel an Solidarität kann ein ausländischer Unionsbürger im Inland beanspruchen? Wo findet sein Freizügigkeitsrecht (Art. 18 EGV), das ihm den Anspruch auf Inländerbehandlung (Art. 12 EGV) auch hinsichtlich der Sozialleistungen eröffnet, seine Grenzen? Den zweiten Diskussionsgegenstand bildet die Kollision zwischen dem marktwirtschaftlich-wettbewerblichen Anliegen der Grundfreiheiten des Binnenmarktes einerseits und dem Schutz der sozialen Errungenschaften andererseits. Eine solche Kollision tritt bei der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung auf, weil es innerhalb der EG ein erhebliches Lohngefälle in Nord-Süd-Richtung, seit der Erweiterung von 2004 aber vor allem in West-Ost-Richtung gibt: Ein Bauunternehmer aus Portugal oder aus Lettland kann nach Art. 49 EGV Bauleistungen z.B. in Deutschland oder Schweden günstiger anbieten als dort ansässige Konkurrenten, weil er seinen zur Bauausführung entsandten Arbeitnehmern nach heimischen Standards wesentlich geringere Löhne zahlen muss. Der europäische Gesetzgeber89 und der Europäische Gerichtshof90 haben es schon vor längerer Zeit als legitimes Interesse des Zielmitgliedstaats der Arbeitnehmerentsendung eingestuft, den ent-

Étude de droit comparé, 2000, 27 (33). Es gibt dafür allerdings nur wenige Beispiele aus der Rechtsprechung, etwa EuGH, Slg. 1978, 1365 (1379) – Defrenne III; 1988, 379 (403) – Blaizot. 88 In diesem Band S. 109. 89 Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom 16.12.1996 (ABl. 1997 Nr. L 18/1 = Sartorius II (Anm. 1), Nr. 181). 90 Vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 24.1.2002 (Rs. C-164/99 – Portugaia Constuções Lda), EuZW 2002, 245.

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sandten Arbeitnehmern einen Mindestschutz vor Ausbeutung zu gewähren, soweit ihr Heimatrecht dafür nicht ausreicht. Kürzlich hat der EuGH auch das Interesse des Aufnahmemitgliedstaats, die einheimischen Arbeitnehmer vor „Lohndumping“ zu schützen,91 als zwingenden Grund des Allgemeininteresses des jeweiligen Aufnahmemitgliedstaats identifiziert. Zu diesem Zweck dürfe dieser die Dienstleistungsfreiheit des entsendenden Unternehmens durch verhältnismäßige Maßnahmen beschränken.92 Denn die EG verfolge nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine soziale Zielrichtung. Deshalb müssten die Grundfreiheiten des Binnenmarktes gegen die mit der Sozialpolitik verfolgten Ziele abgewogen werden. Der Sache nach hat der EuGH damit ein Sozialstaatsprinzip in den EG-Vertrag hineingelesen. Andererseits hat er deutlich gemacht, dass der Aufnahmemitgliedstaat die Schrankenschranke der Verhältnismäßigkeit ernst nehmen muss. Denn auf der Seite des EG-ausländischen Unternehmers stehen auch die schutzwürdigen Interessen der entsandten Arbeitnehmer, die durch eine zu starke Abschottung der Märkte in den Hochlohnländern beeinträchtigt würden. Daran können auch gesetzliche Tariftreueklauseln scheitern.93

III. Solidarität nach außen 1986 kam durch die Einheitliche Europäische Akte der Titel „Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt“ (heute Art. 158–162 EGV) in den EG-Vertrag, der die Grundlage der europäischen Regionalpolitik bildet. Er setzt die schon 1957 formulierte Zielvorstellung um, die Entwicklungsunterschiede zwischen den verschiedenen Regionen zu verringern, um die Lebensverhältnisse der Europäer auf hohem Niveau einander anzugleichen. Durch den Vertrag über die Europäische Union von 1992 ist ferner die Entwicklungszusammenarbeit zur Aufgabe der EG gemacht worden (jetzt Art. 177–181 EGV). Von Anfang an schon hatte sich die 91 Der auch vom EuGH verwendete Begriff „Lohndumping“ ist irreführend, wenn das entsendende Unternehmen den entsandten Arbeitnehmern Löhne zahlt, wie sie im Entsendestaat üblich sind. 92 EuGH, Urt. v. 18.12.2007 (Rs. C-341/05 – Laval), Rn. 103 ff. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 11.12.2007 (Rs. C-438/05 – International Transport Workers’ Federation), Rn. 77 ff. Norbert Reich, Free Movement v. Social Rights in an Enlarged Union: The Laval and Viking Cases before the European Court of Justice, German Law Journal, vol. 9, No. 2, 1 February 2008 (http://www.germanlawjournal.org/). 93 EuGH, Urt. v. 3.4.2008 (Rs. C-346/06 – Rüffert). Vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.7.2006 (1 BvL 4/00), das eine entsprechende Tariftreueregelung des Berliner Landesrechts für verfassungsmäßig gehalten hatte.

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E(W)G in der Verantwortung gesehen, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der in Anhang II aufgelisteten nichtsouveränen „Überseeischen Länder und Gebiete“ mit besonderen Beziehungen zu einigen ihrer Mitgliedstaaten zu fördern (heute Art. 182–188 EGV). Mit den unabhängig gewordenen ehemaligen Kolonien in Afrika, der Karibik und im pazifischen Raum (AKP-Staaten), zu denen einige der ärmsten Staaten der Welt gehören, besteht seit den siebziger Jahren ein Assoziierungsverhältnis auf der Grundlage von Art. 310 EGV. Das aktuelle gemischte Partnerschaftsabkommen von Cotonou zwischen der EG und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den 79 AKP-Staaten andererseits ist nach seinem Art. 1 Abs. 1 geschlossen worden, „um – im Sinne eines Beitrags zu Frieden und Sicherheit und zur Förderung eines stabilen und demokratischen politischen Umfelds – die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung der AKP-Staaten zu fördern und zu beschleunigen“.94 Nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 des Partnerschaftsabkommens ist die „Achtung sämtlicher Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Achtung der sozialen Grundrechte“ fester Bestandteil einer nachhaltigen Entwicklung. In Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 bekräftigen die Vertragsparteien, dass die Menschenrechte universellen Charakter haben, unteilbar sind und untereinander in engem Zusammenhang stehen. Sie „verpflichten sich, sämtliche Grundfreiheiten und Menschenrechte zu fördern und zu schützen, und zwar sowohl die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen als auch die bürgerlichen und politischen Rechte.“ Die Achtung der Menschenrechte gilt nach Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 4 als wesentliches Element des Partnerschaftsabkommens. Nach seinem Art. 96 berechtigt die Nichterfüllung der Verpflichtung auf die Menschenrechte durch eine Partei die anderen zu Reaktionen, äußerstenfalls bis hin zur Aussetzung der Anwendung des Abkommens. Die von der EG nur den AKP-Staaten, nicht jedoch gleich situierten anderen Entwicklungsländern gewährten Handelspräferenzen sind mit dem Meistbegünstigungsgrundsatz (Art. I:1 GATT) unvereinbar. Auf Antrag der EG gewährte die Ministerkonferenz von Doha dafür eine Ausnahmegenehmigung (waiver) gemäß Art. IX:3 WTO, die bis 31.12.2007 befristet war.95 Der Vertrag von Lissabon unterstreicht die Aufgabe der EU, einen Beitrag unter anderem zu globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte zu leisten (Art. 3 Abs. 5 Satz 2 EUV n.F.).

94 Partnerschaftsabkommen von Cotonou vom 23.6.2000, ABl. Nr. L 317/3, in Kraft seit 1.4.2003. 95 WT/MIN(01)/15.

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H. „… to ensure that globalization becomes a positive force for all the world’s people“ Am 18.12.2000 hat die UN-Generalversammlung, ausnahmsweise als Weltgipfel in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs der UN-Mitgliedstaaten, die United Nations Millennium Declaration verabschiedet, aus der das Zitat in der Überschrift stammt.96 Danach sehen es die UN-Mitglieder als zentrale Herausforderung an sicherzustellen, dass die Globalisierung eine positive Kraft für alle Menschen der Welt wird.97 Gegenwärtig seien ihre Erträge ebenso wie ihre Kosten sehr ungleich verteilt. Entwicklungsländer und Schwellenländer sähen sich besonderen Schwierigkeiten gegenüber, diese zentrale Herausforderung zu bestehen.98 Zu den fundamentalen Werten, die für die internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert essentiell seien, zählen die Staats- und Regierungschefs die Freiheit auch von Hunger und Furcht und die Solidarität: Globale Herausforderungen müssten so bewältigt werden, dass die Kosten und Lasten im Einklang mit der Billigkeit und sozialen Gerechtigkeit fair verteilt würden.99 Wie der zweite Weltgipfel fünf Jahre später bestätigt hat, ist dies ganz wesentlich auch ein Problem des Entwicklungsrückstands weiter Teile der Welt, den es zu beseitigen gilt.100 Auf die Millennium Declaration gehen die acht Millennium Development Goals zurück, nach denen bis 2015 Armut, Hunger, Krankheit, Diskriminierung, Bildungsmängel und Umweltschäden mit Hilfe einer globalen Partnerschaft entscheidend reduziert werden sollen.101 Der Auftrag für das 21. Jahrhundert ist damit deutlich formuliert: Will das Völkerrecht den Weltfrieden dauerhaft wahren und das Europarecht es dabei tatkräftig unterstützen, müssen beide für soziale Gerechtigkeit innerhalb und zwischen den Staaten sorgen. Dass die „soziale Frage“ in ihren nationalen und internationalen Aspekten längst zum globalen Anliegen geworden ist, zeigt gerade die grundsätzliche Anerkennung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte. Selbstverständlich kann das Recht allein Armut und Unterentwicklung nicht besei96

A/RES/55/2. Bewusst verwendet die Millennium Declaration mehrfach den Begriff „all the world’s people“ in der Einzahl und spricht nicht, wie noch die Präambel der UN-Charta, von „peoples“. Damit nimmt sie nicht nur die soziale Gerechtigkeit zwischen den Völkern der Erde, sondern auch zwischen den Mitgliedern jedes einzelnen Volkes in den Blick. 98 Ebd., Ziff. 5. 99 Ebd., Ziff. 6. 100 World Summit Outcome vom 16.9.2005, A/RES/60/1, Ziff. 17 ff. 101 Meng (Anm. 11), 19 ff. Vgl. den Bericht des UN-Generalsekretärs „In larger freedom: towards development, security and human rights for all“ vom 21.3.2005, A/59/2005 (http://www.un.org/largerfreedom/contents.htm). 97

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tigen. Es scheint indessen, dass es derzeit selbst den ihm möglichen Beitrag dazu noch nicht ausreichend leistet, weil sich die Staaten nur zögernd dazu entschließen, in dieser Hinsicht konkrete völker- und europarechtliche Verpflichtungen zu übernehmen. Die nachfolgend veröffentlichten sieben Beiträge versuchen nicht, eine definitive Antwort auf die im Titel gestellte Frage zu finden, sondern beleuchten einzelne aktuelle Aspekte der Problematik. Sie regen zum Weiterdenken und zur Weiterarbeit an. Das Walther-Schücking-Institut wird andere Teile des großen Themas „internationale soziale Gerechtigkeit“ in der Focus Section von Band 51 (2008) des German Yearbook of International Law aufgreifen, dessen Erscheinen für das Frühjahr 2009 vorgesehen ist. Meine eigene tastende Antwort auf die im Titel dieser Einführung formulierte Frage lautet: Zwar durchweht der „Geist der Brüderlichkeit“ schon längst das Völkerrecht wie das Europarecht, doch fehlt es ihm noch an Stärke, um seine Steuerfunktion effektiv erfüllen zu können. In unserer Verantwortung liegt es, dafür zu sorgen, dass dieser Geist auffrischt.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – eine sinnvolle Normenkategorie? Von Hans-Joachim Cremer

Einleitung Bilden wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (wsk-Rechte) eine sinnvolle Normenkategorie? Im Folgenden wird versucht, auf diese Frage eine Antwort zu geben. In einem ersten kursorischen Überblick (A.) werden dabei Möglichkeiten untersucht, Kategorien von Normen zu bilden (B.). Hierzu wird – nach der Unterscheidung retrospektiver (richterlicher) und prospektiver (rechtsberatender) Normanwendung (B. I. 1.) und einem kurzen Vergewissern, was Rechtsnormen kennzeichnet (B. I. 2. und 3.) – ein Modell zur Darstellung von Normen vorgestellt. Danach sind Normen Problemlösungskonzepte in Form von Verhaltensvorgaben: Sie sind auf bestimmte Problemlagen zugeschnitten und geben Verhalten vor (B. I. 4.). Dies eröffnet die Möglichkeit, Normen nach der Art der von ihnen angesprochenen Problemlagen oder aber nach der Art der Verhaltensvorgaben zu kategorisieren. Die Rechte des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte1 (nachfolgend: Sozialpakt oder IPwirtR) lassen sich jedoch nach diesen Kriterien nicht einer einzigen spezifischen Normenkategorie zuordnen. Gleiches gilt für den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte2 (nachfolgend: Zivilpakt oder IPbürgR). Folglich können die Rechte beider Pakte nicht schon nach ihrer Normstruktur voneinander abgegrenzt werden (B. I. 5.). Insbesondere bilden die Rechte des Sozialpakts nach der Struktur der Verhaltensvorgaben keine eigenständige Kategorie, die sie von den Gewährleistungen des Zivilpaktes unterschieden: Wenn Verhaltensvorgaben in modellhafter Vereinfachung so verstanden werden, dass sie rechtswidriges von rechtmäßigem Verhalten abschichten, können zwar Verbote, Gebote, Erlaubnisse und Ermächtigungen unterschieden werden 1 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 19.12.1966, UNTS, Bd. 993, 3; BGBl. 1973 II, 1570. 2 International Covenant on Civil and Political Rights, 19.12.1966, UNTS, Bd. 999, 171; BGBl. 1973 II, 1534.

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(B. I. 5. b) aa)). Die Rechte sowohl des IPwirtR als auch des IPbürgR fallen jedoch insoweit in die Kategorie von Ermächtigungen, als sie den einzelnen Menschen in die Lage versetzen, einem Paktstaat gegenüber ein bestimmtes Verhalten zu verlangen, damit eine Verpflichtung dieses Staates auszulösen und rechtstheoretisch gesehen eine „individuelle Norm zu setzen“ (z.B. ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen); gerade die Rechte des Sozialpakts – auch wenn dies sie nicht kategorial, sondern lediglich in ihrer Typizität von den Gewährleistungen des Zivilpakts unterscheidet – weisen aber vielfach die Besonderheit auf, dass die Inhaber der Rechte von einem Paktstaat nicht ein bestimmtes positives Tun verlangen können; die einzelnen Rechte sind nicht unmittelbar wirksam, mit dem Recht korrespondiert vielmehr eine Bandbreite von Verhaltensoptionen, unter denen der Staat bei der Erfüllung der dem Recht entsprechenden Verpflichtung wählen kann (B. I. 5 b) bb)). Diese Struktur ist freilich bedeutsam. Denn von ihrer Hauptzielrichtung her sollen wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Freiheit nicht nur unter dem „process aspect“, sondern unter dem „opportunity aspect“ (Amartya Sen) in einem substantiellen Sinn gewährleisten. Aus der Warte der einzelnen Menschen ist dies ein sinnvoller Ansatz des Menschenrechtsschutzes (C.). Indem die Sozialpaktrechte nach ihrer typischen (obgleich nicht exklusiven) Normstruktur die rechtlich verpflichteten Vertragsstaaten nicht auf ganz bestimmte Verhaltensweisen festlegen, sondern „Korridore“ zulässiger, freiheitsfördernder Aktivitäten ausweisen, belassen sie den einzelnen Gemeinwesen den notwendigen politischen Spielraum, um die Entscheidungen zu treffen, die nach den jeweiligen Besonderheiten ihres Landes zur Erfüllung des Gebots der fortschreitenden Verwirklichung der Paktrechte (Art. 2 Abs. 1 IPwirtR) erforderlich sind (D.). Auch dies ist sinnvoll. Im öffentlichen Diskurs demokratischer Gesellschaften, wie ihn der Sozialpakt voraussetzt, spielen dabei bürgerliche und politische Rechte, wie sie der Zivilpakt gewährleistet, eine entscheidende Rolle. Die Rechte von IPbürgR und IPwirtR ergänzen einander (E.). Dass den einzelnen Rechten des Zivilpakts teils eine Bandbreite von Verhaltensoptionen der Vertragsstaaten entspricht (B. I. 5 b) bb)), ist ihrem Gewährleistungsgehalt angemessen. Dass der IPwirtR keine eigenständige spezifische Kategorie von Normen zusammenfasst, ist ein Vorteil.

A. Ausgangspunkte Die folgenden Überlegungen beschränken sich der Einfachheit halber auf die beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1966, den IPwirtR und den IPbürgR. Diese Pakte sind völkerrechtliche Verträge, in denen die Vertragsstaaten Pflichten zur Verwirklichung von Menschenrechten übernommen haben; die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN-Gene-

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ralversammlung vom 10. Dezember 19483 entfaltete Thematik ist durch die Pakte in zwei Teile aufgespalten worden,4 deren einer bürgerliche und politische Rechte, deren anderer wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte betrifft.5 Die Themenstellung dieser Abhandlung impliziert vor diesem Hintergrund, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte eine „Normenkategorie“ bilden. „Kategorie“ dürfte nicht im aristotelischen Sinn als eine „Aussageweise des Seins“ zu verstehen sein, sondern sehr viel schlichter als eine Art, eine Gruppe. Eine Normenkategorie stellt also als eine Art von Normen dar. Dann aber muss diese Art sich von anderen Arten unterscheiden – und das, wenn wir überschneidungsfreie Gruppen bilden wollen, in trennscharfer Weise. Verschaffen wir uns einen Überblick über die in den beiden Pakten jeweils gewährleisteten Rechte, so zeigt sich rasch, dass es schwerfällt, die Gewährleistungen der beiden Pakte zu kategorisieren.6 Insbesondere geht die Vorstellung fehl, bei wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten handele es sich um positive Verpflichtungen der von der Norm Gebundenen (aus der Warte der Begünstigten also insbesondere um Teilhabe- und Leistungsrechte), bei bürgerlichen und politischen dagegen um negative Verpflichtungen (aus Sicht der Begünstigten also um Abwehrrechte und Unterlassungsansprüche).7 Denn zum einen enthält der IPbürgR den Anspruch der Familien auf Schutz nicht zuletzt auch durch den Staat (Art. 23 Abs. 1 IPbürgR); auch gewährleistet er jedem Kind ohne Diskriminierung das Recht auf diejenigen Schutzmaßnahmen durch seine Familie, die Gesellschaft und den Staat, die seine Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert (Art. 24 IPbürgR). Ferner trifft die Vertragsstaaten die Pflicht, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Ehegatten gleiche Rechte und Pflichten bei der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben; zudem haben die Vertragsstaaten für den nötigen Schutz der Kinder im Falle einer Auflösung der Ehe Sorge zu tragen (Art. 23 Abs. 4 IPbürgR). Schon diese Regelungen gehen über die Statuierung von Unterlassungspflichten und damit korrespondierenden Unterlassungsansprüchen oder Eingriffen entgegensetzbaren Abwehrrechten offenbar hinaus. Während also dem IPbürgR schon nach einem ersten flüchtigen Blick auf seine Fassung positive Verpflichtungen nicht fremd sein dürften, ist umgekehrt der 3

GAOR, 3rd Sess., Resolutions, Part I, 71. M. Craven, The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 1995, 16 ff.; H. J. Steiner/Ph. Alston, International Human Rights in Context, 2nd ed. 2000, 237 ff. 5 H. Shue, Basic Rights, 1980, 6. 6 Siehe schon Shue (Anm. 5), 7 ff. et passim. 7 Vgl. Shue (Anm. 5), 35 ff., 51, freilich zu Rechten im moralischen, nicht im rechtlichen Sinn, siehe ebd., ix, 13 ff., 51, 54 f. 4

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IPwirtR prima facie nicht frei von negativen Verpflichtungen der Vertragsstaaten. Wenn etwa das Recht auf Arbeit auch das Recht jedes einzelnen auf die Möglichkeit umfasst, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen, so müssen sich die Staaten grundsätzlich der Beschränkung dieser Freiheit enthalten. Wenn das Recht eines jeden anerkannt wird, zur Förderung und zum Schutz seiner wirtschaftlichen und sozialen Interessen Gewerkschaften zu bilden oder einer Gewerkschaft eigener Wahl allein nach Maßgabe ihrer Vorschriften beizutreten, so schützt auch dies klar vor staatlicher Einflussnahme oder Behinderung. Ähnlich kann man in den Gewährleistungen zugunsten des Schutzes der Familie, der Mütter vor und nach der Niederkunft, der Kinder und Jugendlichen, aber auch in der Anerkennung der Freiheit der Eheschließung, der Achtung der Freiheit von Eltern, für ihre Kinder andere als öffentliche Schulen zu wählen, oder in der Freiheit von wissenschaftlicher Forschung und schöpferischer Tätigkeiten ohne viel Phantasie negatorische Komponenten entdecken. Die Vertragsstaaten würden aber auch den Garantien des Rechts auf soziale Sicherheit, auf einen angemessenen Lebensstandard, auf ein individuell mögliches Höchstmaßes an Gesundheit oder auf Bildung gewiss auch dann zuwiderhandeln, wenn sie z.B. den Fonds, den ein Unternehmer in Absprache mit seinen Arbeitnehmern zur Gewährung einer Betriebsrente eingerichtet hat, konfiszieren, kurz vor der jährlichen Ernte die Felder eines in karger Subsistenzwirtschaft lebenden Dorfes niederbrennen, dem Trinkwasser in einem „Gesellschaftsexperiment“ unerprobte Stoffe zur Minderung des Keimbestands zusetzen oder die Verteilung von Schulbüchern und Unterrichtsmaterial in einem Landesteil unterbinden würden.8

B. Normkategorien Dies alles sind assoziative Gedanken bei einem ersten Zugriff auf die Frage, ob wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte eine Normkategorie bilden. Die Frage nach Normenkategorien lässt sich aber abstrakter und theoretischer angehen: Die Themenstellung impliziert, dass „wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ Normen seien. Nur dann können sie auch in eine Normenkategorie fallen. Sind aber die „wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ des IPwirtR tatsächlich Normen? „Was denn sonst?“, könnte man fragen. Doch was ist eine Norm? Dieser Frage soll genauer nachgespürt werden – und zwar unter Fokussierung auf Rechtsnormen. Denn wenn wir Klarheit darüber haben, was eine (Rechts-) Norm ist, dann können wir Anhaltspunkte finden, an Hand derer (Rechts-)Normen ihrer Art nach unterschieden und kategorisiert werden können. 8

Vgl. auch Shue (Anm. 5), 40.

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I. Was ist eine (Rechts-)Norm? – Vorschlag eines Modells 1. Der retrospektive und der prospektive Ansatz der Rechtsanwendung Im juristischen Alltag gehen wir ständig mit Rechtsnormen um. Dabei können wir vereinfachend zwei Ansätze unterscheiden: Zum einen „lösen“ wir „Fälle“, „subsumieren“ dabei einen Sachverhalt unter eine Norm und machen daraufhin bestimmte Aussagen – etwa, ob ein Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig war und welche Rechtsfolge an dieses geknüpft ist. Insofern beurteilen wir ein vergangenes Geschehen an Maßstäben des Rechts und erklären, indem wir Rechtsfolgen bezeichnen und beschreiben, wie darauf zu reagieren ist. Diesen juristischen Ansatz können wir den retrospektiven oder richterlichen Ansatz nennen. Zum anderen machen wir Aussagen darüber, welches Verhalten einer Person offensteht, was sie unter Geltung des Rechts tun oder lassen darf oder gar „muss“9 und insbesondere wie sie bestimmte Folgen herbeiführen kann – zivilrechtlich gedacht: etwa wie ein Vater seinen Sohn von der Erbfolge ausschließen kann, öffentlich-rechtlich gedacht: etwa wie der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde auf das Umkippen eines Baggersees reagieren kann; menschenrechtlich gedacht: ob ein Staat in Reaktion auf interne gesellschaftliche Spannungen das Tragen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit oder auch nur in öffentlichen Einrichtungen wie Universitäten10 untersagen darf, ob er den Studierenden an seinen Hochschulen 9

Der Ausdruck „soll“ dürfte hier an sich präziser sein. Solche Fragen betreffen Art. 18 IPbürgR. Unter der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) einschlägig ist deren Art. 9. Hierzu hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Sache Leyla ùahin ./. Türkei, Urt. v. 29.6.2004, Beschwerde Nr. 44774/98 (= EuGRZ 2005, 31 ff.), §§ 97 ff., 115, entschieden, dass dem Laizismus Vorrang vor der durch Art. 9 EMRK geschützten Bekenntnisfreiheit zukomme, soweit sie dazu genutzt wurde, an einer türkischen Universität das islamische Kopftuch zu tragen. Dabei geht der Gerichtshof hypothetisch davon aus, die Gewährleistung des Art. 9 EMRK erstrecke sich auch auf das Recht, das islamische Kopftuch zu tragen (ebd., § 71). Das generelle Kopftuchverbot der Universität sei konventionsgemäß. Denn es sei vom Gesetz vorgesehen, verfolge mit dem Schutz der öffentlichen Ordnung und der Rechte und Freiheiten anderer ein legitimes Ziel und entspreche den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit (ebd., §§ 103–115). Nach türkischem Recht ging es konkret um Laizismus und Gleichheit (ebd., § 104 i.V. mit §§ 34, 36); siehe zur Bedeutung der Rechte der Frauen im türkischen Verfassungssystem ebd., § 107 i.V.m. § 28, § 110, sowie zum Aspekt der Abwehr von gesellschaftlichem Druck zur Einhaltung religiöser Bekleidungspflichten ebd.,§ 108 sowie § 99 mit Verweis auf EGMR, Refah Partisi (Wohlfahrtspartei) ./. Türkei, Urt. v. 13.2.2003 (Große Kammer), Beschwerde Nrn. 41340/98, 41342/98, 41343/98, 41344/98, Reports of Judgments and Decisions 2003-II, 209 (= EuGRZ 2003, 206 ff.), § 95, 10

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Studiengebühren auferlegen darf11 oder wie er rechtlich auf eine Hungersnot zu reagieren verpflichtet ist. Diesen Ansatz können wir als den prospektiven oder vorsorglich rechtsberatenden Ansatz bezeichnen. Bei diesem nach vorn schauenden Ansatz weisen Rechtsvorschriften den Weg zur Lösung von Problemen oder begrenzen die Möglichkeiten zu handeln, schreiben gar ein bestimmtes Verhalten zwingend vor: Recht schaut in die Zukunft. Beim zuerst genannten, retrospektiven, richterlichen Ansatz akzeptieren wir, dass das Recht den Maßstab zur Beurteilung vergangenen Verhaltens bildet, nicht zuletzt auch deswegen, weil wir von der Vorstellung ausgehen, dass es zu dem vergangenen Zeitpunkt schon galt und damals für die Zukunft den oder die zulässigen Wege wies. Denn wir würden uns mit Recht dagegen wehren, unser zurückliegendes Verhalten an Maßstäben messen zu lassen, die erst nachträglich aufgestellt werden – erscheint dies doch, allein schon weil wir unser Verhalten an den rückwirkend geänderten Normen gar nicht mehr auszurichten vermögen, manipulativ, willkürlich und im Widerspruch zu unserer grundsätzlich vorausgesetzten Freiheit.

2. Normen als zukunftsgerichtete, das äußere Verhalten von Menschen zueinander regelnde Sollenssätze Recht stellen wir uns also im Grundansatz als zukunftsgerichtet vor. Als soziales Instrument ordnet es menschliches Verhalten, indem es Vorschriften enthält,12 die bestimmen, wie wir uns verhalten sollen.13 Das sehen wir auch an den beiden Menschenrechtspakten: Sie stellen Verhaltensregeln für die Staaten auf. Das Recht

dieses wiederum verweisend auf EKMR, Karaduman ./. Türkei, Entsch. v. 3.4.1993, Decisions and Reports 74, 93). 11 Siehe etwa E. Riedel/S. Söllner, Studiengebühren im Lichte des UN-Sozialpakts, Juristenzeitung 2006, 270–277. 12 Rechtsnormen müssen nicht mit solchen Vorschriften gleichgesetzt werden. Im juristischen Alltag begegnen uns Normen, die an die Erfüllung des Tatbestandes als Rechtsfolge nicht die Pflicht zu einem bestimmten Verhalten knüpfen, sondern den Erwerb einer Rechtsposition. Für den Einzelmenschen im Völkerrecht besonders relevant ist insoweit etwa die Staatsangehörigkeit. 13 Siehe nur P. Koller, Theorie des Rechts, 2. Aufl. 1997, 65 ff. Vgl. demgegenüber N. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1995, 134, der den Begriff der Norm als „kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartung“ definiert; siehe hierzu H.-J. Cremer, Anwendungsorientierte Verfassungsauslegung, 2000, 523.

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enthält Sollenssätze. Diese Sollenssätze machen Verhaltensvorgaben. Menschen, juristische Personen, Staaten sollen ihr Verhalten danach ausrichten. Diese Sollenssätze können wir als Normen bezeichnen. Sie richten sich an Menschen – und zwar letztendlich immer an einzelne, willensund handlungsfähige14 Menschen, wenn auch ggf. in spezifischer Funktion –, um deren äußeres Verhalten, ihr Verhalten zueinander zu regeln, soweit ihre Handlungen, sei es unmittelbar oder mittelbar, aufeinander Einfluss haben können.15 Im weitesten Sinn geht es dem Recht darum, das Zusammenleben von Menschen zu ordnen – mit der Zielrichtung, dieses Zusammenleben zu ermöglichen oder zu erleichtern.16 Normen in diesem Sinne können sowohl individuell als auch generell sein. Individuelle Normen werden für eine einzelne Person aufgestellt; im Recht kennen wir sie in Form eines Gerichtsurteils oder eines Verwaltungsakts, sie können aber auch als Folge eines Vertragsschlusses entstehen.17 Wenn nach wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten gefragt ist, so sind aber offensichtlich Normen gemeint, die für eine nicht abgeschlossene Vielzahl von Personen aufgestellt sind, mithin generelle Normen, die im Weiteren betrachtet werden sollen.

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Koller (Anm. 13), 66. Vgl. I. Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797/98), Werkausgabe in zwölf Bänden, Band VIII, hrsg. v. Wilhelm Weischedel, 9. Aufl. 1991, § B, 337. 16 Wir merken hier, wie rasch wir dabei sind, die Funktion des Rechts ethisch aufzuladen. So etwa, wenn wir hobbesianisch das Recht als Mittel zur Überwindung eines „Naturzustands“ betrachten, wenn wir es kantisch als „Inbegriff der Bedingungen“ verstehen, „unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“ (Kant (Anm. 15)) oder wenn wir die Funktion des Rechts darin erblicken wollen, eine „gerechte“ Verteilung von Gütern oder Chancen herbeizuführen und aufrechtzuerhalten. Der Sinn, den wir dem Recht zuschreiben, verbindet sich mit bestimmten Vorstellungen davon, wie das Zusammenleben von Menschen gestaltet sein soll. Dies gilt wohl auch, wenn wir wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als Normenkategorie ansprechen. 17 Die Verknüpfung einer generellen Norm mit einer individuellen Norm lässt sich als das verstehen, was im juristischen Sprachgebrauch „Subsumtion“ genannt wird, Koller (Anm. 13), 80; gerade das Gerichtsurteil oder der Verwaltungsakt sprechen als Ergebnis einer rechtsanwendenden Subsumtion eine individuelle Norm aus. Siehe näher zur Differenzierung zwischen generellen und individuellen Normen Koller (Anm. 13), 69 ff., speziell zu Rechtsnormen 76 ff. 15

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3. Besonderheiten rechtlicher Normen Normen im Sinne von Sollenssätzen gibt es nicht nur in Form rechtlicher Vorschriften. Mit dem Begriff können auch soziale Verhaltensregeln gemeint sein. Einen kurzen Blick auf sie zu werfen lohnt sich des Kontrasts wegen. Die Befolgung sozialer Regeln lässt sich durch Beobachtung feststellen.18 So mag man herausfinden, dass in einer Gesellschaft etwa jedermann jeden Samstag den Bürgersteig kehrt oder jüngere den älteren Menschen in der U-Bahn ihren Sitzplatz überlassen. Solche Regeln einzuhalten erlaubt den Einzelnen, sich gruppenkonform zu verhalten, nicht „aus der Reihe zu tanzen“, also nicht aufzufallen und – jedenfalls vom Verhalten her – „dazuzugehören“. Es schützt die Einzelnen davor, dass andere sich von ihnen abwenden, sich von ihnen distanzieren, sie nicht als gruppenzugehörig behandeln oder auch nur als unhöflich oder unsozial kritisieren. Bei sozialen Regeln lässt sich häufig ein Urheber gar nicht ausmachen. Vielmehr wird ein Verhalten lediglich allgemein geübt, aber auch allgemein erwartet19 – „it’s understood“. Die allgemeine Erwartung einer Verhaltensweise mag mitunter auf bloßer Gewöhnung oder Gewohnheit beruhen („Es ist schon immer so gewesen!“); nicht selten aber wird sie von der – zumindest von einer Mehrheit geteilten – Überzeugung getragen, dass die Einhaltung dieser Regel das gedeihliche Zusammenleben fördert oder gar erst ermöglicht. Bei Rechtsnormen finden wir ähnliche Erscheinungen im Bereich des Gewohnheitsrechts. Denn ähnlich wie bei sozialen Regeln fehlt es hier an einem isolierten Akt der Setzung der Regel zu einem bestimmten Zeitpunkt; vielmehr ist die Norm das Produkt von longa consuetudo und opinio iuris vel necessitatis.20 Die Rechtsüberzeugung dürfte dabei jeweils eine Auskristallisierung der Vorstellung sein, dass ein bestimmtes Verhalten für das Zusammenleben geboten, wenn nicht unerlässlich ist. Schon seit geraumer Zeit befindet sich das Gewohnheitsrecht jedoch auf dem Rückzug. Recht wird überwiegend „gesetzt“. Das bedeutet: Rechtsnormen sind das Produkt eines – vielfach förmlichen – Verfahrens, was es erlaubt, eine Rechtsnorm einer Person oder einer Institution als deren Akt, deren Setzung zuschreiben. In Gang gesetzt wird dieses Verfahren schon mit einer bestimmten Intention. 18

Siehe zur Unterscheidung eines internen und eines externen Standpunkts der Normbeobachtung H. L. A. Hart, The Concept of Law, 1961/1994, 56 f., 88 ff., 99, 102 f., 104, 108, 115 f., 117, 201, 242, 254 f.; siehe auch 9 ff. 19 Siehe zu Verhaltenserwartungen Luhmann (Anm. 13), 131 ff. 20 Zum Gewohnheitsrecht: K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl. 2001, 525 ff.; B. Rüthers, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2005, 171 ff.

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Diese besteht, wie sich allgemein – ja, zunächst viel zu allgemein – sagen lässt, darin, ein bestimmtes Problem zu lösen. Das Problem kann darin bestehen, dass zwischen Personen immer wieder eine bestimmte Art von Konflikt ausbricht, für den ein „Beendigungs-“ oder „Beilegungskonzept“ gesucht wird. Es kann aber auch gerade darum gehen zu verhindern, dass ein Konflikt, zu dem es bei ungehindertem Lauf der Dinge vorhersehbar kommen wird, überhaupt erst entsteht. Das Problem kann aber auch darin liegen, Verhalten zu ermöglichen, etwa – und dies ist auch durchaus menschenrechtlich relevant, siehe Art. 16 IPbürgR – die vollauf gleichberechtigte Teilnahme am Rechtsverkehr, indem alle Menschen grundsätzlich als weitestgehend rechts- und geschäftsfähig anerkannt werden. Wesentlich aber ist, dass die Problemlösung in der Form des Rechts gesucht wird: Das von der Norm abweichende Verhalten wird als „rechtswidrig“ gekennzeichnet; Sanktionen für „rechtswidriges“ Verhalten sind wiederum im Recht definiert; für ihre Festlegung gelten zumeist bestimmte, vom Procedere der Gesetzgebung abweichende Verfahren; deren Durchführung wird bestimmten Institutionen anvertraut. Gerade in der Möglichkeit, zur Durchsetzung von Rechtsnormen letztlich Zwang anzuwenden, kann man ein Charakteristikum des Rechts sehen, das es insbesondere von sonstigen sozialen Verhaltensregeln unterscheidet.21 Nicht minder wichtig aber ist, dass Normen gezielt in einem rechtlich zugelassenen oder auch vorgeschriebenen Verfahren von bestimmten Akteuren geändert werden können. Diese Einbettung von Rechtsnormen in einen – engeren oder weiteren – Kontext des Rechts unterscheidet sie von sozialen Regeln.22 Im Folgenden soll von dieser Einbettung in den Rechtskontext – jedenfalls vorläufig – abgesehen werden, insbesondere von Fragen der Rechtsdurchsetzung (auf die aber nachher23 kurz eingegangen werden soll). Denn die beiden Menschenrechtspakte könnten sich schon unabhängig von diesen Aspekten in der Struktur der in ihnen enthaltenen Normen voneinander derart unterscheiden, dass wir bestimmte Normenkategorien ausmachen könnten. Eine Rechtsnorm24 regelt das äußere Verhalten von Menschen. Dabei geht es, wie erwähnt, letztlich um Vorgaben für das faktische25 Verhalten einzelner Menschen. Wenn wir demgegenüber davon sprechen, eine juristische Person, ein Staatsorgan oder gar ein Staat oder eine internationale Organisation habe gehandelt, so beruht dies genau besehen auf einer rechtlichen und damit künstlichen Zuschrei21

Siehe insbes. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, 34 ff. Siehe hierzu Hart (Anm. 18), 3; J. Finnis, Natural Law and Natural Right, 1980/ 2001, 267 ff. 23 Siehe unten im Haupttext bei Anm. 32, nach Anm. 50, bei Anm. 54. 24 Siehe zum Folgenden H.-J. Cremer (Anm. 13), 515 ff. 25 Vgl. Kant (Anm. 15), § B, 337. 22

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bung. Juristische Person, Staatsorgan, Staat, internationale Organisation sind gedankliche Konstrukte des Rechts. Real und konkret konfligieren kann nur das Verhalten von Einzelmenschen, auch wenn diese in ihrer besonderen Eigenschaft als Funktionsträger für die Allgemeinheit oder als Repräsentanten eines Staates oder einer internationalen Organisation handeln und ihre Handlungen rechtlich einer anderen, freilich gedanklich konstruierten Einheit zugerechnet werden.

4. Vorschlag, Normen als Problemlösungskonzepte in Form von Verhaltensvorgaben zu verstehen Normen als Verhaltensvorgaben sprechen nur bestimmte Ausschnitte menschlichen Verhaltens in spezifischen Problemlagen an. Die Perspektive ist bisweilen sogar recht eng: Durch die abstrakte Definition von „Tatbeständen“ werden bestimmte Problemlagen isoliert; für diese wird sodann eine Verhaltensvorgabe aufgestellt.26 Insofern ist es uns Juristen vertraut, Rechtstexte nach den Strukturen „Tatbestand“ und „Rechtsfolge“ zu durchforsten.27 Da diese Begriffe allzu technisch verstanden werden könnten, soll im Weiteren – schon des gedankenanregenden Verfremdungseffekts wegen – die Terminologie „Problemlage“ und „Problemlösungskonzept in Form einer Verhaltensvorgabe“ benutzt werden.

5. Die Suche nach einer Normenkategorie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte Auf der Suche danach, ob wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als eine bestimmte Art von Norm zu qualifizieren sind, lassen sich beide Seiten einer so verstandenen Norm analysieren. Betrachten wir zunächst einmal die erfassten „Problemlagen“. Ist ihnen etwas gemeinsam, was es rechtfertigt, sie in eine Gruppe einzustellen?

a) Eigenart der Problemlagen als Kriterium zur Abgrenzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte? Der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte enthält eine Vielzahl von Rechten, welche die Vertragsstaaten schrittweise, unter Ausschöpfung ihrer 26 Dadurch werden die Verhaltensvorgaben unter Bedingungen gestellt, siehe Koller (Anm. 13), 78 f. In der Regel sind individuelle Normen (anders als generelle) unbedingt gefasst, Koller (Anm. 12), 79. 27 Siehe Koller (Anm. 12), 78 f., 83.

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jeweiligen Möglichkeiten, nach und nach voll zu verwirklichen sich verpflichtet haben. In Kurzform geht es um: das Recht auf Arbeit, welches das Recht jedes einzelnen auf die Möglichkeit umfasst, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen (Art. 6 IPwirtR); das Recht eines jeden auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen (Art. 7 IPwirtR); das Recht, Gewerkschaften zu bilden oder einer Gewerkschaft nach eigener Wahl beizutreten (Art. 8 Abs. 1 lit. a IPwirtR); das Recht der Gewerkschaften, sich untereinander zusammenzuschließen und sich frei zu betätigen (Art. 8 Abs. 1 lit. b und c IPwirtR); das Streikrecht (Art. 8 Abs. 1 lit. d IPwirtR); das Recht auf Soziale Sicherheit, welches die Sozialversicherung einschließt (Art. 9 IPwirtR); das Recht auf Schutz und Beistand der Familie (Art. 10 Abs. 1 Satz 1 IPwirtR); die Freiheit der Eheschließung (Art. 10 Abs. 1 Satz 2 IPwirtR); den Schutz der Mütter vor und nach der Niederkunft (Art. 10 Abs. 2 IPwirtR); Schutz und Beistand für Kinder und Jugendliche, insbesondere vor wirtschaftlicher oder sozialer Ausbeutung, vor schädlichen oder gefährlichen Arbeiten und vor entgeltlicher Beschäftigung vor dem Erreichen eines Mindestalters (Art. 10 Abs. 3 IPwirtR); das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung sowie auf Verbesserung der Lebensbedingungen (Art. 11 IPwirtR); das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit (Art. 12 IPwirtR); das Recht auf Bildung (Art. 13 IPwirtR); das Recht eines jeden, am kulturellen Leben teilzunehmen, an den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung teilzuhaben und den Schutz der geistigen und materiellen Interessen zu genießen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen (Art. 15 Abs. 1 IPwirtR); die Freiheit zu wissenschaftlicher Forschung und schöpferischer Tätigkeit (Art. 15 Abs. 3 IPwirtR). Es fällt auf Anhieb nicht leicht, eine Gemeinsamkeit der Problemlagen zu entdecken, für die sie geschaffen wurden. Dass es um den Menschen jeweils in verschiedenen sozialen Kontexten geht, erscheint nach unseren Vorüberlegungen nicht verwunderlich, regelt doch Recht das äußere Verhalten von Menschen zueinander. Indessen ist gleichzeitig klar, dass es bei diesen Rechten nur zum Teil – etwa beim Schutz der Familie oder bei der Forschungsfreiheit – darum geht, einzelnen Menschen Sphären zu freiheitlicher Tätigkeit zu reservieren und sie gegen negative Beeinflussung schlicht abzuschirmen (die Schutzrichtung müssen wir später noch einmal genauer betrachten). Es geht um die Beförderung oder Ermöglichung eines Lebens, das in der Präambel des Paktes angesprochen ist als „the ideal of free human beings enjoying freedom from fear and want“, also das Ideal, dass Menschen frei sind und frei von Furcht und Not oder Mangel leben. Dies ist aber nicht die Freiheit im Idyll des Schlaraffenlandes. Vielmehr lassen sich zwei Problemschwerpunkte erkennen, auf welche sich die Gewährleistungen

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beziehen, nämlich auf Selbsterhaltung und Selbstentfaltung von Menschen – Selbsterhaltung und Selbstentfaltung, die Menschen aus eigener Kraft leisten können sollten, was aber nur unter entsprechend günstigen Bedingungen möglich ist. Zu diesen Bedingungen gehört nicht zuletzt die Abwesenheit von Zwangslagen, welche der vorausgesetzten Freiheit entgegenstünden. Es leuchtet rasch ein, dass man die Problemkreise Selbsterhaltung und Selbstentfaltung nicht scharf trennen kann. Die Selbsterhaltung ist die Grundvoraussetzung für Selbstentfaltung. Mit Hilfe der Paktrechte können wir konkreter sagen: Gesundheit, Nahrung, Kleidung, eine Behausung sind die Grundvoraussetzungen dafür, dass ein Mensch sich durch seiner Hände Arbeit unterhalten, sich bilden, am kulturellen Leben teilnehmen kann. Dieser jeder Selbstentfaltung vorausliegenden Selbsterhaltung dient auch das Recht auf Soziale Sicherheit, über das Risiken bestimmter Lebenslagen abgesichert und im Notfall für die Befriedigung von Grundbedürfnissen gesorgt wird.28 Die Familie als soziale Kerneinheit ist ein Schutzraum, der nicht nur Kindern und Jugendlichen zur Selbsterhaltung dient, an dessen Anfang wir vielmehr auch die auf freier Entscheidung beruhende Eheschließung sehen können, die sich wiederum als einen Teilaspekt der Selbstentfaltung begreifen lässt. Auch der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist in einem guten Sinn doppelbödig, dient er doch sowohl der Bewahrung vor Gefahren oder Schäden als gleichzeitig auch der Ermöglichung einer kind- und jugendgerechten persönlichen Entwicklung. Der Aspekt des Schutzes vor freiheitsbedrohenden Zwangslagen kommt im Sozialpakt insbesondere dort zum Vorschein, wo es um das geht, was soeben Selbstentfaltung genannt wurde: so etwa bei den Bedingungen, zu denen jemand arbeitet. Sie sollen nach Art. 7 IPwirtR gerecht und günstig sein; doch erscheint die Realisierung solch fairer Arbeitsbedingungen heikel, sieht der Pakt den Arbeitgeber doch offensichtlich als strukturell überlegen an. Mittel der Abhilfe ist u.a. die bis hin zum Streikrecht garantierte Gewerkschaftsfreiheit (Art. 8 IPwirtR). Sie schafft ein Gegengewicht und wirkt der Gefahr einer Übervorteilung bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen entgegen. Vor Ausbeutung geschützt werden sollen auch Kinder und Jugendliche, die aus der Warte des Art. 10 Abs. 3 IPwirtR nicht zuletzt durch bestimmte Beschäftigungen moralisch oder gesundheitlich gefährdet, in Lebensgefahr gebracht oder in ihrer normalen Entwicklung behindert werden können; insbesondere auf Grund ihres geringen Lebensalters sind sie der strukturell schwächere Part. Spricht der IPwirtR so gesehen Probleme der Selbsterhaltung und der Selbstentfaltung an, so müssen wir doch bezweifeln, dass wir mit dieser Beschreibung der 28 Siehe zum Recht auf soziale Sicherheit E. Riedel, Introduction, in: ders. (Hrsg.), Social Security as a Human Right, 2006, 17 ff.

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normativ geregelten Problemlage schon ein Kriterium gefunden haben, mit dem wir wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als eine „Normenkategorie“ insbesondere von bürgerlichen und politischen Rechten eindeutig abgrenzen könnten. Denn wenn wir fragen, für welche Problemlagen der Zivilpakt Lösungen sucht, so können wir auch hier wiederum Fragen sowohl der Selbsterhaltung als auch Selbstentfaltung angesprochen finden. Selbsterhaltung erscheint freilich zu einem Gutteil als Wahrung der Integrität gegenüber Bedrohung von dritter, insbesondere staatlicher, Seite – zu denken ist insoweit insbesondere an den Schutz des Lebens (Art. 6 IPbürgR), die Unzulässigkeit von Folter, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Art. 7 IPbürgR), das Verbot der Sklaverei, Leibeigenschaft, Zwangs- und Pflichtarbeit (Art. 8 IPbürgR)29, Garantien für die Freiheit der Person (Art. 9 IPbürgR),30 die Fairness gerichtlicher, insbesondere strafgerichtlicher Verfahren (Art. 14 IPbürgR),31 den nullum-crimen-nulla-poena-Satz (Art. 15 IPbürgR), den Schutz von Privatleben, Familie, Wohnung und Schriftverkehr (Art. 17 IPbürgR); wiederum geht es um die Mäßigung oder Beseitigung von Zwangslagen. Selbsterhaltung ist damit möglicherweise weniger als im IPwirtR auf die Ermöglichung oder Beförderung einer Eigenaktivität des Individuums gerichtet, die seinem Überleben und Wohlbefinden dient. Doch erfasst der Sozialpakt – etwa beim Schutz der Familie (Art. 10 Abs. 1 IPwirtR) oder bei der Forschungsfreiheit (Art. 15 Abs. 3 IPwirtR) – durchaus auch eine Abschirmung von Freiheitssphären, die wesentlich auf das In-Ruhe-gelassen-Werden – also, wenn man so will: auf die schwächste Form einer Ermöglichungsbedingung – ausgerichtet ist. Der IPbürgR beschränkt sich aber nicht auf Aspekte der Integritätswahrung. Gegenstand sind auch Probleme der Selbstentfaltung. Man denke nur an die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 18 IPbürgR), insbesondere soweit die Freiheit gewährt ist, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden (Art. 18 Abs. 1 Satz 2 IPbürgR). Die auf kommunikative Interaktion ausgerichtete Meinungsäußerungsund die Versammlungsfreiheit (Art. 19, 21 IPbürgR), aber auch die Freizügigkeit (Art. 12 IPbürgR) lassen sich der Selbstentfaltung zuordnen. Die einschlägigen Grundbedürfnisse des Menschen sind offenbar zwar eher geistiger Art, während es 29

Siehe auch Art. 11 IPbürgR zum Verbot, jemanden nur deswegen in Haft zu nehmen, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen. 30 Siehe auch Art. 10 IPbürgR zur Behandlung von Personen, denen die Freiheit entzogen worden ist. 31 Siehe auch Art. 13 IPbürgR, der für Fälle der Ausweisung von Ausländern Verfahrens- und Rechtsbehelfsgarantien aufstellt.

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bei den Rechten des IPwirtR eher um materielle Bedürfnisse geht. Doch ist etwa das Recht auf Bildung des Sozialpakts nicht nur als Recht auf Berufsausbildung gedacht. Vielmehr ist Bildung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 IPwirtR auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet. Sie soll die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten stärken, die Verständigung zwischen Völkern und rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen fördern und die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Erhaltung des Friedens unterstützen. Lediglich zusätzlich soll Bildung auch jedermann ermöglichen, eine „nützliche“ Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen. Zusammenfassend können wir sagen, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von der Art der Problemlagen, für die sie geschaffen sind und zu deren Lösung sie beitragen sollen, keine eigenständige, insbesondere von den Gewährleistungen des Zivilpakts klar abgrenzbare Gruppe von Normen bilden. Welches Netz wir auch immer auswerfen, wir ziehen neben wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten auch bürgerliche und politische Rechte an Bord. Freilich ist unser Fanganteil bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten durchaus größer, wenn unsere Aufmerksamkeit auf die Bedingungen der Ermöglichung von Selbsterhaltung und Selbstentfaltung richten, die darüber hinausgehen, Menschen in Ruhe zu lassen. Doch auch dann noch gehen uns einige wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte durch die Maschen.

b) Eigenart der Struktur der Verhaltensvorgaben als Kriterium zur Abgrenzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte? Wenn also die Problemlagen sich nicht eindeutig voneinander unterscheiden lassen, so könnten doch die im IPbürgR und IPwirtR je enthaltenen Normen sich in der Eigenart der Struktur der Verhaltensvorgabe gegeneinander abgrenzen und zu Kategorien zusammenfassen lassen. Wie aber können wir die Verhaltensvorgaben beschreiben? Hier sollten wir uns auf die Funktion des Rechts besinnen, Wege für zukünftiges Verhaltens zu weisen. Denn dies geschieht dadurch, dass Verhalten als rechtmäßig und damit zulässig und möglich ausgewiesen oder aber als rechtswidrig ausgeschlossen wird. So verstanden (insbesondere unter Ausblendung der Problematik, mit welcher Motivation sie befolgt werden, und der damit zusammenhängenden Problematik, wie sie durchgesetzt werden können) reduzieren sich Rechtsnormen dann darauf, einem Menschen in seinem Verhalten einem anderen Menschen gegenüber dadurch Verhaltensvorgaben zu machen, dass sie die dem Menschen zur Verfügung stehenden Verhaltensoptionen als rechtmäßig oder als rechtswidrig ausweisen. Wir können dabei – auf der Grundlage der Vorstellung, dass alles, was nicht verboten ist, erlaubt ist – die Reduktion sogar bis

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hin zu der Annahme treiben, dass Verhaltensvorgaben dadurch aufgestellt werden, dass denkbare Verhaltensoptionen ausgeschlossen werden.

aa) Vereinfachendes Modell normativer Verhaltensvorgaben Diese negative Abschichtung von Verhaltensoptionen gibt uns ein sehr einfaches Modell normativer Verhaltensvorgaben an die Hand. Dabei sei bei der Betrachtung des Verhältnisses zweier Personen angesetzt. Denn wir hatten ja gesehen, dass Recht das äußere Verhältnis zwischen Menschen betrifft; und das einfachste solcher Verhältnisse ist eben zweipolig. Mit Hilfe dieses Modells lassen sich Verbote, Gebote, Erlaubnisse und Ermächtigungen rekonstruieren. Verbote schließen eine Verhaltensoption oder ein Bündel von gleichen oder ähnlichen Verhaltensoptionen aus. Im Text des IPbürgR finden sich zahlreiche Beispiele von Verboten wie etwa Art. 8 Abs. 1: „Niemand darf in Sklaverei gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten.“ Um befolgbar zu sein, muss ein Verbot klar und eindeutig sein. Die Grenzziehung zwischen Verbotenem und Zulässigem darf nicht verschwimmen (auch wenn dies auf Grund der Interpretationsbedürftigkeit der Sprache wohl allenfalls annähernd gelingen kann, soll für die modellhafte Betrachtung doch von der Möglichkeit scharfer Grenzziehung ausgegangen werden). Gebote schließen, wenn sie eindeutig sind, alle bis auf eine einzige Verhaltensoption aus. Wie klar und eindeutig ein Gebot ist, hängt davon ab, wie präzise die Verhaltensoption definiert ist. Fraglich ist, ob wir von einem Gebot noch sprechen können, wenn lediglich ein Ziel vorgegeben wird und mehrere Möglichkeiten der Realisierung offengelassen werden. Der Adressat hat eine Wahl; gesollt ist nicht ein bestimmtes Verhalten, sondern nur eines aus einer Menge. Erlaubnisse betreffen – im Grundfall – die Verhaltensoption der einen Person, in Bezug auf welche gegenüber der anderen Person ein Verbot erlassen wird, die erste Person an dem Verhalten zu hindern und sie in diesem Verhalten zu behindern. Erlaubnisse sind insoweit das Ergebnis der „Zusammenschaltung“ zweier Sollenssätze, zweier Verbote. Eine Erlaubnis selbst als „Sollenssatz“ zu bezeichnen könnte auf Widerstand stoßen, weil sie selbst nur Ausdruck dafür ist, dass eine oder mehrere Verhaltensoptionen abgesichert werden – eben durch die Ausweisung interferierender Verhaltensoptionen eines anderen als rechtswidrig. Als solche Erlaubnisse können wir die Garantie von Freiräumen, Freiheitssphären begreifen. Ob wir insoweit bereits von einem Freiheitsrecht sprechen sollten, erscheint indessen fraglich, weil keine Aussage darüber getroffen ist, inwieweit die

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begünstigte Person über die Erlaubnis disponieren darf (deutlicher wird dies bei der Kontrastierung von Erlaubnis und Ermächtigung, siehe dazu sogleich). Nur angemerkt sei: Hier geht es um etwas anderes als um den Streit, ob subjektive Rechte des Einzelmenschen im Völkerrecht nur insoweit eingeräumt werden, als ihnen zugleich eine Durchsetzungsmacht verliehen wird,32 insbesondere in Form eines Individualbeschwerdeverfahrens, das beim IPwirtR im Gegensatz zum Fakultativprotokoll des IPbürgR bekanntlich nicht eröffnet ist. Es geht um den Inhalt der den Einzelnen begünstigenden Position. Bewusst soll ja von Durchsetzungsproblemen hier abgesehen werden. Die inhaltliche, materielle Frage sollte klarer werden, wenn wir die nächste Gruppe von Normen betrachten, nämlich „Ermächtigungen“. Ermächtigungen geben – im Zwei-Personen-Verhältnis – der einen Person die Befugnis, der anderen Person gegenüber eine Norm zu erlassen: Die eine Person kann ermächtigt sein, der anderen Person ein Verhalten zu verbieten oder aber ein Verhalten zu gebieten. Geht es wirklich nur um ein Zwei-Personen-Verhältnis, so handelt es sich bei der Norm, die auf Grund der Ermächtigung erlassen wird, um eine individuelle Norm: Sie richtet sich nur an diese einzelne andere Person. Als eine solche Ermächtigung zu individueller Normsetzung können wir gerade auch subjektive Rechte verstehen: Wenn nämlich eine Person von einer anderen Person etwas verlangen kann, dann ist sie in der Lage, ein bestimmtes Verhalten dieser anderen Person auszulösen, also etwas zu verbieten oder zu gebieten. Sie vermag darüber zu verfügen, ob die Verhaltensvorgabe „ausgelöst“ wird. Nur angemerkt sei, dass die Verleihung von Kompetenzen (insbesondere an staatliche Akteure) die Form von Ermächtigungen zu individueller33 oder genereller34 Normsetzung haben. Uns geht es aber um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Solche Rechte bestehen offenbar insbesondere gegenüber den Vertragsstaaten. Freilich wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die in den Pakten garantierten Rechte auch von Privaten respektiert werden müssten; dies müsste man aber genauer betrachten; im vorliegenden Kontext kann dies ausgeblendet werden.

32 Siehe hierzu V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 7, Rn. 1 ff., 95 ff. m.w.N. 33 Hier geht es um Befugnisse etwa zum Erlass von Verwaltungsakten oder gerichtlichen Entscheidungen. 34 Klarstes Beispiel ist die Gesetzgebung.

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bb) Nutzung des Modells zur Beschreibung der Verhaltensvorgaben durch die Rechte des IPwirtR Betrachten wir die Formulierung der Rechte im IPwirtR, so begünstigen sie den einzelnen Menschen. Damit liegt die Vermutung nahe, dass sie die Struktur von „Ermächtigungen“ im soeben beschriebenen Sinne aufweisen. Diese Ermächtigung richtete sich jeweils gegen einen Vertragsstaat, den wir – weil der Pakt ja Staaten als Völkerrechtssubjekte bindet – als eine Person ansehen. Wären die Rechte zutreffend als Ermächtigungen beschrieben, so verliehen sie den Einzelnen die Befugnis, dem Staat gegenüber ein individuelles Gebot oder Verbot zu erlassen. Genauer könnte der Einzelne dem Staat gebieten oder verbieten, ihm gegenüber eine bestimmte Verhaltensoption zu nutzen. Die Betonung liegt auf zweierlei: „ihm gegenüber“ (es geht nur um das Verhältnis eines Menschen zu einem Vertragsstaat) und „bestimmte“ (die Verhaltensoption muss hinreichend klar abgegrenzt werden). So weit die Vermutung. Der IPwirtR enthält in seinem Artikel 2 allerdings nähere Aussagen zu den Verpflichtungen der Vertragsstaaten; von Bedeutung ist hier insbesondere sein erster Absatz, welcher lautet: Each State Party to the present Covenant undertakes to take steps, individually and through international assistance and co-operation, especially economic and technical, to the maximum of its available resources, with a view to achieving progressively the full realization of the rights recognized in the present Covenant by all appropriate means, including particularly the adoption of legislative measures.35

Daraus erwachsen auch Konsequenzen für den Inhalt der einzelnen Rechte: Denn die Vertragsstaaten übernehmen Pflichten, in ihrem Hoheitsbereich Indivi35

Vgl. damit Art. 2 IPbürgR: (1) Each State Party to the present Covenant undertakes to respect and to ensure to all individuals within its territory and subject to its jurisdiction the rights recognized in the present Covenant, without distinction of any kind, such as race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, property, birth or other status. (2) Where not already provided for by existing legislative or other measures, each State Party to the present Covenant undertakes to take the necessary steps, in accordance with its constitutional processes and with the provisions of the present Covenant, to adopt such legislative or other measures as may be necessary to give effect to the rights recognized in the present Covenant. (3) Each State Party to the present Covenant undertakes: (a) To ensure that any person whose rights or freedoms as herein recognized are violated shall have an effective remedy, notwithstanding that the violation has been committed by persons acting in an official capacity; (b) To ensure that any person claiming such a remedy shall have his right thereto determined by competent judicial, administrative or legislative authorities, or by any other competent authority provided for by the legal system of the State, and to develop the possibilities of judicial remedy; (c) To ensure that the competent authorities shall enforce such remedies when granted.

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dualrechtsverhältnisse auszugestalten, die zwischen dem Einzelnen und dem Staat und wohl auch zwischen dem Einzelnen und anderen nichtstaatlichen oder privaten Rechtssubjekten bestehen – man denke nur an die Pflichten zur Gewährleistung gerechter und günstiger Arbeitsbedingungen, die als Auftrag zu entsprechender arbeitsrechtlicher Gesetzgebung verstanden werden können, Art. 7 i.V. mit Art. 2 Abs. 1 IPwirtR („vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen“36). Die im IPwirtR enthaltenen Rechte sollen nach und nach immer weiter verwirklicht werden37 („with a view to achieving progressively the full realization38 of 36

Siehe dazu den General Comment No. 3 des Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Ziff. 3: The means which should be used in order to satisfy the obligation to take steps are stated in article 2 (1) to be „all appropriate means, including particularly the adoption of legislative measures“. The Committee recognizes that in many instances legislation is highly desirable and in some cases may even be indispensable. For example, it may be difficult to combat discrimination effectively in the absence of a sound legislative foundation for the necessary measures. In fields such as health, the protection of children and mothers, and education, as well as in respect of the matters dealt with in articles 6 to 9, legislation may also be an indispensable element for many purposes, sowie Ziff. 4: The Committee notes that States parties have generally been conscientious in detailing at least some of the legislative measures that they have taken in this regard. It wishes to emphasize, however, that the adoption of legislative measures, as specifically foreseen by the Covenant, is by no means exhaustive of the obligations of States parties. Rather, the phrase „by all appropriate means“ must be given its full and natural meaning. While each State party must decide for itself which means are the most appropriate under the circumstances with respect to each of the rights, the „appropriateness“ of the means chosen will not always be self-evident. It is therefore desirable that States parties’ reports should indicate not only the measures that have been taken but also the basis on which they are considered to be the most „appropriate“ under the circumstances. However, the ultimate determination as to whether all appropriate measures have been taken remains one for the Committee to make, UN doc. E/1991/23 v. 14. Dezember 1990, Annex III; die General Comments sind im Internet zugänglich unter www2.ohchr.org/english/bodies/cescr/comment.htm (besucht am 19.2.2008). 37 Siehe in diesem Zusammenhang den General Comment No. 3 (Anm. 36), Ziff. 2: … Thus while the full realization of the relevant rights may be achieved progressively, steps towards that goal must be taken within a reasonably short time after the Covenant’s entry into force for the States concerned. Such steps should be deliberate, concrete and targeted as clearly as possible towards meeting the obligations recognized in the Covenant. Siehe auch den General Comment No. 1 des Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Ziff. 7: In this regard, the Committee wishes to note that the Covenant attaches particular importance to the concept of „progressive realization“ of the relevant rights and, for that reason, the Committee urges States parties to include in their periodic reports information which shows the progress over time, with respect to the effective realization of the relevant rights. By the same token, it is clear that qualitative, as well as quantitative, data are required in order for an adequate assessment of the situation to be made, UN doc. E/

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the rights“, Art. 2 Abs. 1 IPwirtR). Ein fortschreitender Prozess soll in Gang gesetzt werden. Dann aber droht der Gehalt der „Rechte“ – mehr noch als infolge der Schwierigkeiten, den Vertragstext stringent auszulegen – zu verschwimmen. Es wird unklar, was der Einzelne von einem Vertragsstaat verlangen kann. Denn die Staaten können nicht nur unterschiedlich schnell vorgehen, sondern unterschiedliche Wege einschlagen, um die in dem Pakt anerkannten Rechte zu verwirklichen.39 Sie können das Verhältnis des Einzelnen zum Staat (oder zu Privaten) also 1989/22 v. 24.02.1989, Annex III, im Internet zugänglich siehe Anm. 36 a.E. Siehe auch den General Comment No. 3 (Anm. 36), Ziff. 11: The Committee wishes to emphasize, however, that even where the available resources are demonstrably inadequate, the obligation remains for a State party to strive to ensure the widest possible enjoyment of the relevant rights under the prevailing circumstances. 38 Siehe in diesem Zusammenhang auch den General Comment No. 1 (Anm. 37), Ziff. 6: A fifth objective is to provide a basis on which the State party itself, as well as the Committee, can effectively evaluate the extent to which progress has been made towards the realization of the obligations contained in the Covenant. For this purpose, it may be useful for States to identify specific benchmarks or goals against which their performance in a given area can be assessed. Thus, for example, it is generally agreed that it is important to set specific goals with respect to the reduction of infant mortality, the extent of vaccination of children, the intake of calories per person, the number of persons per health-care provider, etc. In many of these areas, global benchmarks are of limited use, whereas national or other more specific benchmarks can provide an extremely valuable indication of progress (Hervorhebungen vom Verf.). 39 Siehe den General Comment No. 3 (Anm. 36), Ziff. 9: The principal obligation of result reflected in article 2 (1) is to take steps „with a view to achieving progressively the full realization of the rights recognized“ in the Covenant. The term „progressive realization“ is often used to describe the intent of this phrase. The concept of progressive realization constitutes a recognition of the fact that full realization of all economic, social and cultural rights will generally not be able to be achieved in a short period of time. In this sense the obligation differs significantly from that contained in article 2 of the International Covenant on Civil and Political Rights which embodies an immediate obligation to respect and ensure all of the relevant rights. Nevertheless, the fact that realization over time, or in other words progressively, is foreseen under the Covenant should not be misinterpreted as depriving the obligation of all meaningful content. It is on the one hand a necessary flexibility device, reflecting the realities of the real world and the difficulties involved for any country in ensuring full realization of economic, social and cultural rights. On the other hand, the phrase must be read in the light of the overall objective, indeed the raison d’être, of the Covenant which is to establish clear obligations for States parties in respect of the full realization of the rights in question. It thus imposes an obligation to move as expeditiously and effectively as possible towards that goal. Moreover, any deliberately retrogressive measures in that regard would require the most careful consideration and would need to be fully justified by reference to the totality of the rights provided for in the Covenant and in the context of the full use of the maximum available resources.

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verschieden ausgestalten – insbesondere in Abhängigkeit von ihren Möglichkeiten und Ressourcen: Auch wenn jeder Vertragsstaat diese bis zum Maximum ausschöpfen muss („to the maximum of its available resources“, Art. 2 Abs. 1 IPwirtR), scheint sich doch ein variabler Standard zu ergeben.40 In der literarischen Diskussion41 wird in diesem Zusammenhang – unter Nutzung einer von der International Law Commission entwickelten Terminologie – davon gesprochen, der IPwirtR enthalte „obligations of result“ und weniger „obligations of conduct“.42 Allerdings betont das Komitee für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der Sozialpakt unterscheide sich zwar gerade durch die Fassung des Art. 2 Abs. 1 IPwirtR von dem Verpflichtungsansatz des Zivilpakts,43 enthalte jedoch durchaus beide Arten von Verpflichtungen und etliche Pflichten seien unmittelbar wirksam („of immediate effect“).44 Dazu zähle nicht nur die Beachtung des Diskriminierungsverbotes (Art. 2 Abs. 2 IPwirtR),45 sondern auch die an keine 40

Siehe aber auch den General Comment No. 3 (Anm. 36), Ziff. 10: In order for a State party to be able to attribute its failure to meet at least its minimum core obligations [dazu sogleich im Haupttext, d. Verf.] to a lack of available resources it must demonstrate that every effort has been made to use all resources that are at its disposition in an effort to satisfy, as a matter of priority, those minimum obligations. 41 Allgemeine Information zu dem Progressivitätsprinzip bei Craven (Anm. 4), 129 ff. 42 A. Eide, Realization of Social and Economic Rights and the Minimum Threshold Approach, Human Rights Law Journal (HRLJ) 10 (1989), 35 (41). 43 General Comment No. 3, Ziff. 9 (Anm. 39), wo gleich zu Beginn gerade die allgemeine Pflicht aus Art. 2 Abs. 1 IPwirtR als eine „obligation of result“ angesprochen wird. Die allgemeinen Verpflichtungsklauseln des Art. 2 IPbürgR sind oben in Anm. 35 wiedergegeben. 44 General Comment No. 3 (Anm. 36), Ziff. 1. 45 General Comment No. 3 (Anm. 36), Ziff. 1. Zu dem Diskriminierungsverbot des Art. 2 Abs. 2 IPwirtR hat sich der Ausschuss nicht in einem eigenen General Comment geäußert. Einen definitorischen Hinweis findet man in den Reporting Guidelines zu Art. 6 IPwirtR: … any distinctions, exclusion, restrictions or preferences, be it in law or in administrative practices or in practical relationships, between persons or groups of persons, made on the basis of race, colour, sex, religion, political opinion, nationality or social origin, which have the effect of nullifying or impairing the recognition, enjoyment or exercise of euqality of opportunity or treatment in employment or occupation, Reporting Guidelines, UN Doc. E/1991/23 v. 17.6.1991, Annex IV, B, Ziff. 3, www.unhchr.ch/tba/doc. nfs/(symbol)/E.C.12.1991.1.En?Opendocument; vgl. Craven (Anm. 4), 163 f.; ein weiterer Hinweis findet sich in General Comment No. 16 des Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Ziff. 10: … it prohibits differential treatment of a person or group of persons based on his/her or their particular status or situation, such as race, colour, sex, language, religion, political and other opinion, national or social origin, property, birth, or other status, such as age, ethnicity, disability, marital, refugee or migrant status, UN Doc. E/C.12/2005/4 v. 11.8.2005, im Internet zugänglich siehe Anm. 36 a.E.

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weiteren Bedingungen geknüpfte Pflicht „to take steps“, also Maßnahmen zur vollen Verwirklichung der Paktrechte zu treffen.46 Überdies bestehe eine „core obligation“ (Kernverpflichtung) eines jeden Staates, einen Mindeststandard aller Rechte („minimum essential levels of each of the rights“) sicherzustellen. So versäume ein Vertragsstaat, in dem die Grundbedürfnisse einer erheblichen Zahl von Menschen an Nahrung, Gesundheitsfürsorge, Unterbringung und Wohnung oder Bildung nicht erfüllt seien, prima facie seine Pflichten unter dem Pakt.47 In der Literatur wird ferner immer wieder darauf hingewiesen, dass stets drei Verpflichtungsschichten staatlicher Verantwortung für Menschenrechte zu unterscheiden sind: „the obligation to respect, the obligation to protect, and the obligation to fulfil human rights“.48 „To respect“ bedeutet, Eingriffe zu unterlassen, „to protect“, Schutzpflichten zu erfüllen, „to fulfil“ lässt sich aufspalten in „to facilitate“ (also die Verwirklichung der Freiheit zu erleichtern und zu befördern) und in „to provide“ (verstanden als echte Handlung zur Erfüllung eines Bedürfnisses). Schon oben (bei A.) hatte uns eingeleuchtet, dass die Gewährleistungen des IPwirtR eindeutige negatorische Anforderungen enthalten. Ein Vertragsstaat darf – vorbehaltlich besonderer Rechtfertigung – Menschen nicht daran hindern, erwerbstätig zu sein, gegen Risiken von Alter oder Krankheit vorzusorgen, in Familien zu leben, frei zu forschen usw. Soweit der Einzelne durch die Rechte ermächtigt ist, solche beeinträchtigenden Verhaltensweisen auszuschließen – in der Terminologie des Modells: entsprechende individuelle Verbote zu erlassen (in normaler juristischer Terminologie: Unterlassungs- oder Abwehransprüche geltend zu machen) – haben die Gewährleistungen die Struktur von subjektiven Rechten. Betroffen ist die erste Verpflichtungsebene, die „obligation to respect“. Dass auch auf der zweiten Ebene die „obligation to protect“ – freilich ausnahmsweise – dazu zwingen kann, eine ganz bestimmte Maßnahme zu ergreifen, 46

General Comment No. 3 (Anm. 36), Ziff. 2. General Comment No. 3 (Anm. 36), Ziff. 10: … If the Covenant were to be read in such a way as not to establish such a minimum core obligation, it would be largely deprived of its raison d’être. By the same token, it must be noted that any assessment as to whether a State has discharged its minimum core obligation must also take account of resource constraints applying within the country concerned. … 48 A. Eide, Realization of Social and Economic Rights and the Minimum Threshold Approach, HRLJ 10 (1989), 35 (41). Siehe hierzu insbes. auch schon Shue (Anm. 5), 52 f., 55 ff., der, moralische Rechte untersuchend (siehe oben Anm. 7), es für verfehlt hält, zwischen negativen und positiven Rechten zu unterscheiden, statt dessen aber fordert, zwischen verschiedenen Pflichten zu differenzieren; dabei ordnet er jedem „basic right“ unabhängig von seiner Kennzeichnung als negativ oder positiv drei Typen von Pflichten zu, deren ‚Erfüllung für die Achtung des Rechts erforderlich sind: (1) „duties to avoid depriving“; (2) „duties to protect from deprivation“ und (3) „duties to aid the deprived“. 47

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ist ein Phänomen, das uns aus der Diskussion um grundrechtliche Schutzpflichten im deutschen Verfassungsrecht vertraut ist. Aber auch auf der dritten Ebene kann eine „obligation to fulfil“ insbesondere in der Ausprägung als „obligation to provide“ sich zu einer konkreten spezifischen Handlungspflicht verdichten: Dies wird leicht verständlich etwa am Beispiel des Rechts auf ausreichende Ernährung (Art. 11 Abs. 1 IPwirtR), wenn jemand zu verhungern droht, völlig außerstande, sich die nötige Nahrung zu verschaffen: Dann muss der Staat für seine Ernährung sorgen, ihm zu essen geben. Dass eine einzige Verhaltensoption als rechtmäßig ausgewiesen wird, erscheint mithin auch bei den Normen des IPwirtR möglich. Strukturell dürfte dies jedoch die Ausnahme sein. Im Regelfall, wie ihn Art. 2 Abs. 1 IPwirtR anspricht, werden die Normen des IPwirtR dem Staat ein Bündel oder, wie im Folgenden gesagt wird, einen „Korridor“ von Optionen zur Verfügung stellen. Damit aber entsprechen die Regelungen des IPwirtR so recht keiner unserer Normenkategorien. Immerhin aber können wir ihre Struktur in unser Norm-Modell durchaus übertragen und sie abbilden: Die Position des Einzelnen kann unter Geltung von Art. 2 Abs. 1 IPwirtR allenfalls als eine Modifikation der beiden bisher betrachteten Formen einer Ermächtigung verstanden werden: Der Einzelne kann allenfalls ermächtigt sein, dem Staat gegenüber die (individuelle) Norm zu setzen, dass dieser aus einem Spektrum von Verhaltensoptionen, welche einen Fortschritt in Richtung der Verwirklichung der im Pakt enthaltenen „Rechte“ verspricht, die eine oder die andere, oder mehrere nutzt.49 Dass er in der Regel nicht verlangen kann, dass der Staat aus der Menge der die „Rechte“ befördernden Verhaltensoptionen eine ganz spezifische auswählt, liegt nicht zuletzt an der Endlichkeit der dem Staat verfügbaren Ressourcen, die er ja zur Verwirklichung einer ganzen Vielzahl von Gewährleistungen einsetzen muss: nicht nur zur Implementierung des „Rechts auf Arbeit“ und gerechter und günstiger Arbeitsbedingungen, sondern auch etwa zum Schutz von Familie, Kindern und Jugendlichen, zur Sicherung eines angemessenen Lebensstandards, der Gesundheit und Bildung.50 Dies steht im Kontrast zu den Verpflichtungen aus dem IPbürgR: Dessen Art. 2 Abs. 1 enthält die Verpflichtung der Vertragsstaaten, die in dem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen zu gewährleisten. Auch wenn Abs. 2 und 49

Vgl. in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von „perfect“ und „imperfect obligations“ bei A. Sen, Elements of a Theory of Human Rights, Philosophy & Public Affairs 32 (2004), 315 (319, 321 ff.). 50 Siehe dazu, dass eine gegenwärtig bestehende Unmöglichkeit, wirtschaftliche und soziale Freiheiten zu realisieren, die Sinnhaftigkeit wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte nicht in Frage stellt, Sen (Anm. 49), 320, 322 ff.

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3 des Art. 2 IPbürgR erkennen lassen, dass auch insoweit von den Vertragsstaaten zusätzliche aktive Maßnahmen gefordert sind, um den Rechten in ihrem jeweiligen Hoheitsbereich Wirksamkeit zu verleihen und zu ihrer Durchsetzung insbesondere effektiven Rechtsschutz zu gewähren, so ist doch die in Art. 2 Abs. 1 IPwirtR statuierte Pflicht „to respect and to ensure“ unabhängig davon ausgesprochen. Insbesondere soweit sich die Garantien des IPbürgR als Abwehrrechte verstehen lassen, ergeben sich aus ihnen Verbote, die unabhängig von weiterer Konkretisierung und Ausgestaltung bestehen – man lese nur Art. 8 Abs. 1 Satz 1 HS 1 IPbürgR: „Niemand darf in Sklaverei gehalten werden; …“ oder Art. 9 Abs. 1 Satz 2 IPbürgR: „Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden“. Wenn sich IPwirtR und IPbürgR in ihrem – in dem jeweiligen zweiten Artikel umschriebenen – Gehalt der Gewährleistungsverpflichtungen unterscheiden, könnte gerade dies die Unterscheidung der Art der Rechte, mithin ihre Kategorisierung ermöglichen. Schauen wir dazu aber noch einmal auf die Struktur der Rechtsgehalte nach dem IPwirtR: Es scheint, so hatten wir gesagt, allenfalls denkbar, dass der Einzelne den Staat dazu verpflichten kann, aus einem Spektrum von Verhaltensoptionen eine auszuwählen, ohne einen Anspruch auf die Nutzung einer bestimmten Verhaltensoption zu besitzen. Betrachten wir jedoch noch einmal das Bild von der Abschichtung der Verhaltensoptionen. Dieses legt Folgendes nahe: Zwar kann der Einzelne dem Staat nicht „gebieten“, eine ganz bestimmte Verhaltensoption zu nutzen; er kann nur verlangen, dass der Staat zu seinen Gunsten aktiv wird. Dem Staat versagt ist damit streng genommen zunächst nur die Verhaltensoption der Untätigkeit. Doch lässt sich unschwer erkennen, dass zugleich darüber hinaus ganz bestimmte Verhaltensoptionen ausgeschlossen sind. So darf ein Staat Hilfsgüter, die er von humanitären Organisationen zur Bekämpfung einer durch Dürre verursachten Hungersnot in einem Landesteil erhalten hat, nicht zur Aufbesserung der Ausstattung seiner ohnehin ordentlich versorgten Armee verwenden, will er nicht gegen Art. 11 IPwirtR verstoßen. Die in Art. 13 Abs. 2 lit. a IPwirtR gebotene unentgeltliche Gewährung von Grundschulunterricht darf nicht durch die Forderung unterlaufen werden, die Schüler müssten sich – für viele unerschwingliche – Schulbücher oder -uniformen selbst kaufen. Soweit also die Sozialpaktrechte „obligations to fulfil“ erzeugen, schließen sie, auch wenn sie nicht zu einer konkreten und bestimmten positiven Handlungspflicht kondensieren, doch eindeutig gewisse Verhaltensoptionen aus. Dieser Ausschluss aber geht deutlich über die Unzulässigkeit bloßer Untätigkeit hinaus. Soweit er reicht, kommt den zugrunde liegenden Rechten auch eine (negatorische) Verpflichtungsdimension zu, erzeugen sie also auch eine „obligation to respect“. Verengen wir unsere Perspektive auf diesen negativen Verpflichtungsaspekt, so vermögen wir eine echte „Ermächtigung“ im

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Sinne unserer Ausgangsüberlegungen zu extrapolieren, eine Ermächtigung im Sinne eines negatorischen Rechts – etwa ein Recht auf Unterlassung des Missbrauchs der Hilfslieferungen oder ein Recht auf Abschaffung der Pflicht, dass Eltern Schulbücher oder -uniformen für den Grundschulunterricht selbst finanzieren. Wie aber steht es mit der durch die Pakt-Gewährleistungen auf einen „Korridor“ zwar verengten, aber nicht auf eine einzige reduzierten Verhaltensoption? Insoweit ist klar, dass es kein Recht auf eine bestimmte Verhaltensoption gibt. Doch lässt sich – zumindest rechtskonstruktiv – ein Recht auf die Wahl einer der möglichen Verhaltensoptionen annehmen, wenn nämlich die Voraussetzungen vorliegen, wie sie uns aus dem Verwaltungsrecht mit der Figur des Anspruchs auf rechtsfehlerfreie Ermessensausübung wohlvertraut ist: Im Fall einer „Ermessensreduktion auf Null“ verengt sich der Korridor auf eine einzige Verhaltensoption; es besteht ein Recht auf ein bestimmtes Verhalten. Aber gehen wir zurück zu der Situation, in der dem Staat eine echte Auswahl offensteht. Erinnern wir uns daran, dass unser Normenmodell dazu gedacht ist, Normen als Sollenssätze abzubilden. Im Fall eines Korridors von Verhaltensoptionen lässt sich keine der Optionen als „gesollt“ bezeichnen. Die Verhaltensvorgabe ist undeutlich, ungenau, soweit wir die Optionen innerhalb des Korridors betrachten – nicht jedoch soweit es um den Ausschluss von Optionen geht. Wie gehen wir mit einer insofern unvollkommen erscheinenden Norm um? Zunächst können wir an die oben erwähnten beiden juristischen Grundsituationen erinnern, die retrospektiv richterliche und die prospektiv rechtsberatende Situation. Wollen wir von der Gegenwart aus zeigen, welches Verhalten in der Zukunft rechtmäßig ist, so können wir auf die Optionen innerhalb des Korridors verweisen. Erst wenn sich dieser Korridor so weit verengt, dass nur noch eine Option als rechtmäßig bestehen bleibt, ist die verpflichtete Person in ihrem Verhalten vollständig gebunden. Zu einer solchen Verengung kann es insbesondere durch das Einwirken weiterer Normen auf die verpflichtete Person kommen. Dies führt dann eine Klärung des „Sollens“, eine Determination des gesollten Verhaltens herbei. In solchen Situationen können wir die Ausgangs-„Norm“ als „non-self-executing“ bezeichnen: Um zu einem echten Sollenssatz aufzuwachsen, bedarf sie der Ergänzung durch weitere Normgebung. Sie ist insofern also nicht unmittelbar anwendbar. Man könnte insofern, als eine „Norm“ einen non-self-executing Charakter hat, also der Ergänzung durch andere Normen bedarf, um eindeutig ein Verhalten als „gesollt“ auszuweisen und auf diese Weise zu einem vollständigen und klaren Sollenssatz zu werden, an ihrer Qualität als echter Norm zweifeln. Allerdings enthält sie doch eine – wenn auch unscharfe – Verhaltensvorgabe.

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Dies wird klar, wenn wir die dem Richter vertraute Perspektive einnehmen und einen vergangenen Sachverhalt beurteilen: Steht uns dabei als Standard allein die „Norm“ zur Verfügung, die nur einen Korridor von Verhaltensoptionen als rechtmäßig ausweist, so können wir sagen, dass die durch die „Norm“ (verpflichtete) Person, soweit sie eine Verhaltensoption „innerhalb des Korridors“ gewählt hat, keine Rechtspflicht verletzt hat. Diese Aussage können wir treffen.51 Zu weiteren Aussagen sind wir dagegen – in Ermangelung ergänzender Normen – nicht in der Lage. Mit anderen Worten: Hier endet strukturell die Justitiabilität der „Norm“ – verstanden als die Möglichkeit der richterlichen Beurteilung des vergangenen Sachverhalts am Maßstab dieser Norm.52 Nach diesem Verständnis sind die Justitiabilität einer Norm und ihr Charakter als self-executing freilich zwei Seiten derselben Medaille. Denn auch für die Beurteilung eines vergangenen Sachverhalts am Maßstab einer Norm muss man wissen, welches Verhalten – aus einer Sicht ex ante – normativ gesollt war.53 Weitere Einschränkungen der Wirkkraft einer Norm, die wir als Grenzen ihrer Justitiabilität ansprechen können, ergeben sich auf zwei Ebenen, der völkervertraglichen und der innerstaatlichen. Es erscheint durchaus aufschlussreich, zwischen diesen Ebenen hin- und herzuspringen. 51 Weshalb der im Deutschen gebräuchliche Ausdruck, eine Norm sei nicht „unmittelbar anwendbar“, weniger klar ist als der englische, eine Norm sei „non-self-executing“, sofern man unter einer non-self-executing Norm wie im Haupttext eine Norm versteht, die nicht eindeutig ein ganz bestimmtes Verhalten als gesollt ausweist. 52 Vgl. zum Begriff auch A. Eide, Realization of Social and Economic Rights and the Minimum Threshold Approach, HRLJ 10 (1989), 35 (41), der „justiciable“ als „manageable by third party judicial settlement“ definiert. 53 Siehe hierzu auch General Comment No. 3 (Anm. 36), Ziff. 5, der sich auf Art. 2 Abs. 1 IPwirtR (zitiert oben bei Anm. 35) bezieht: Among the measures which might be considered appropriate, in addition to legislation, is the provision of judicial remedies with respect to rights which may, in accordance with the national legal system, be considered justiciable. The Committee notes, for example, that the enjoyment of the rights recognized, without discrimination, will often be appropriately promoted, in part, through the provision of judicial or other effective remedies. Indeed, those States parties which are also parties to the International Covenant on Civil and Political Rights are already obligated (by virtue of arts. 2 (paras. 1 and 3), 3 and 26) of that Covenant to ensure that any person whose rights or freedoms (including the right to equality and non-discrimination) recognized in that Covenant are violated, „shall have an effective remedy“ (Art. 2 (3) (a)). In addition, there are a number of other provisions in the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, including articles 3, 7 (a) (i), 8, 10 (3), 13 (2) (a), (3) and (4) and 15 (3) which would seem to be capable of immediate application by judicial and other organs in many national legal systems. Any suggestion that the provisions indicated are inherently non-self-executing would seem to be difficult to sustain. (Hervorhebung vom Verf.).

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Beginnen wir beim IPwirtR. Dieser selbst sieht nicht vor, dass eine gerichtliche Instanz geschaffen wird, die mit der Frage, ob ein Vertragsstaat seine Vertragspflichten nicht erfüllt hat, oder mit der spezielleren Frage, ob eine Einzelperson in seinen aus dem Pakt folgenden Rechten verletzt worden ist, befasst werden könnte. Es existiert lediglich ein quasigerichtliches Berichtsverfahren durch den Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Auch auf der innerstaatlichen Ebene können Grenzen der Justitiabilität bestehen. Denn von der Art und Weise der Umsetzung von Völkerrecht in innerstaatliches Recht oder von der Wirkung von Völkerrecht in der innerstaatlichen Rechtsordnung hängt es ab, ob und inwieweit nationale Gerichte Fragen der Gewährleistungen des IPwirtR entscheiden können und ob und inwieweit ein einzelner Mensch Rechte aus dem Pakt vor nationalen Behörden und Gerichten geltend machen kann. Hierbei kann wieder die Struktur von Normen, wie wir sie entwickelt haben, eine Rolle spielen. Selbst wenn wir mit der offenbar vorherrschenden Meinung der deutschen Staats- und Völkerrechtswissenschaft davon ausgehen, dass dem Einzelnen subjektive Rechte nach Völkerrecht nur insoweit zustehen, als dem durch einen Rechtssatz begünstigten Einzelnen im Völkerrecht eine Durchsetzungsbefugnis eingeräumt wird,54 könnte doch mit der Umsetzung von individualbegünstigenden Völkerrechtsnormen in nationales Recht wenigstens im innerstaatlichen Rechtsraum dem Einzelnen ein subjektives Recht zuwachsen, wenn und soweit er diese Position mit Hilfe nationaler Behörden oder Gerichte durchsetzen könnte. Eine solche Möglichkeit wird man gewiss überall dort in Betracht ziehen können, wo wir im Sinne meines Modells Rechte haben, also Ermächtigungen zur Setzung einer individuellen Norm, die ein eindeutiges konkretes Verbot oder Gebot enthält. Als schwieriger stellt sich die – jedenfalls für manche Aspekte wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte durchaus typische – Situation dar, dass allenfalls eine Ermächtigung zur Eingrenzung von Verhaltensoptionen des Staates (auf einen „Korridor“) eingeräumt ist, nicht aber zur Reduktion dieser Optionen auf eine einzige. Hier ist fraglich, ob nicht schon auf völkerrechtlicher Ebene, kraft des IPwirtR, ein individueller Anspruch auf Nutzung einer der rechtmäßigen Optionen jedenfalls dann strikt ausgeschlossen ist, wenn dies auf einen Anspruch auf Initialisierung eines Gesetzgebungsverfahrens hinausliefe. Dass die – schrittweise zu verwirklichenden – Ziele des IPwirtR wohl keineswegs selten nur dadurch erreicht werden können, dass ein Staat seine Gesetzgebung ändert, scheint Art. 2 Abs. 1 IPwirtR selbst zu sehen. Denn zu den Mitteln zur Realisierung der Paktrechte zählt 54

Dazu Epping (Anm. 32), § 7, Rn. 5 f., 96 f.

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er insbesondere („particularly“) die gesetzgeberischen Maßnahmen. Sieht man von der Frage der fehlenden Durchsetzungsbefugnis auf völkerrechtlicher Ebene ab, so könnte folglich ein Anspruch auf „the adoption of legislative measures“, wie es im Pakt heißt, bestehen. Dies gilt, zumal ein solcher Anspruch ja nicht auf einen konkreten Gesetzesinhalt gerichtet sein müsste; er könnte sich ja auf eine – in ihrer Tendenz dem Anliegen des Paktes förderliche – legislative Aktivität beschränken. Doch bestünden dagegen schon vom IPwirtR her Bedenken: Könnte ein einzelner Mensch beispielsweise von einem Vertragsstaat verlangen, dass dieser etwa arbeitsrechtliche Gesetze erlässt, die einen jährlichen Urlaubsanspruch in bestimmtem Umfang festschreiben, so würde dieser Einzelne ein Handeln des Staates nicht nur zu seinen Gunsten beanspruchen, sondern würde zugleich die Begünstigung aller Personen in gleicher Lage mitbewirken. In der Modell-Terminologie ausgedrückt: Der Einzelne wäre zwar im Verhältnis zum Staat dazu befugt, eine individuelle Norm zu setzen, dem Staat also eine Verhaltensvorgabe zu machen; doch in seinem Verhältnis als Einzelner zum Staat dürfte er vom Staat verlangen, dass dieser eine nicht nur für ihn selbst, sondern für einen weiteren Personenkreis geltende generelle Norm setzt. Der Einzelne würde mit seinem Recht zugleich die Rechte aller anderen Menschen in gleicher Situation wahrnehmen. Prozessual übersetzt ließe sich sagen: Er würde tendenziell zu einem Prozessstandschafter zugunsten aller anderen in gleicher Lage Befindlichen, zu einem allgemeinen Menschenrechtsanwalt. Einer solchen Annahme aber widerstreitet schon das Versäumnis der Vertragsstaaten, den Pakt von vornherein mit einem Individualbeschwerdeverfahren55 auszustatten (gegenwärtige Bestrebungen, Individualrechtsschutz auf internationaler Ebene zu installieren,56 dürften dem Einzelnen kaum eine Prozessstandschaft für andere verleihen). Gegen die Annahme, der Pakt verleihe Einzelmenschen ein Recht auf Gesetzgebung, dürfte auch stehen, dass es ein solches Recht in den meisten nationalen Rechtsordnungen wohl nicht gibt. Gerade dem deutschen Recht ist ein Anspruch des Einzelnen auf Tätigwerden des Gesetzgebers, zumal auf den Erlass inhaltlich bestimmter förmlicher Gesetze, fremd.57 Dies hat seine Ursache im Staatsorganisa55 Siehe zum gegenwärtigen Berichtsverfahren Art. 16 ff. IPwirtR, die (vorläufige) Verfahrensordnung des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1989 mit Änderungen von 1990 und 1993, UN doc. E/C.12/1990/4/Rev. 1 v. 1.9.1993, http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/G93/183/98/PDF/G9318398.pdf?OpenElement (besucht am 19.2.2008), sowie General Comment No. 1 (Anm. 37). 56 Siehe Ch. Tomuschat, An Optional Protocol for the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights?. in: K. Dicke (Hrsg.), Weltinnenrecht – Liber amicorum Jost Delbrück, 2005, 815 ff. 57 Siehe Ch. Calliess, Schutzpflichten, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, 963 m.w.N.

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tionsrecht, insbesondere im Demokratieprinzip und in dem Prinzip der Gewaltenteilung. Der Sozialpakt selbst hebt in seinem Art. 2 Abs. 1 gesetzgeberische Maßnahmen als Mittel zur progressiven58 Verwirklichung der in dem Pakt anerkannten Rechte hervor. Wenn diese Form der Umsetzung der Paktverpflichtungen durch Art. 4 IPwirtR zugleich in den Kontext des allgemeinen Wohls in einer demokratischen Gesellschaft gestellt wird,59 so vertrüge sich dies kaum mit der Annahme, ein demokratischer Gesetzgeber dürfe durch Entscheidungen der Gerichte überspielt werden, die ihn zum Erlass inhaltlich determinierter Normen verpflichteten.

6. Versuch einer Zwischenbilanz Versuchen wir unsere bisherigen Überlegungen zusammenzufassen, so ergibt sich: a) Die in den beiden UN-Menschenrechtspakten von 1966 gewährleisteten Rechte lassen sich nicht trennscharf bestimmten Normenkategorien zuordnen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die jeweils angesprochenen Problemlagen als auch im Hinblick auf die Struktur der Verhaltensvorgaben. b) Allenfalls lässt sich eine gewisse Typizität ausmachen: aa) Von der Art der durch die Regelungen angesprochenen Problemlagen her spricht der IPwirtR Schwierigkeiten der Selbsterhaltung und Selbstentfaltung an. Schwerpunkt bilden die Bedingungen der Ermöglichung von Selbsterhaltung und Selbstentfaltung, die darüber hinausgehen, Menschen in Ruhe zu lassen. Die Ermöglichung von Selbsterhaltung und Selbstentfaltung ist insbesondere dort in 58

Allgemeine Information zu dem Progressivitätsprinzip bei Craven (Anm. 4), 129 ff. Der Demokratiebegriff des IPwirtR ist freilich denkbar weit, wie General Comment No. 3 (Anm. 36), Ziff. 8 zeigt: The Committee notes that the undertaking „to take steps … by all appropriate means including particularly the adoption of legislative measures“ neither requires nor precludes any particular form of government or economic system being used as the vehicle for the steps in question, provided only that it is democratic and that all human rights are thereby respected. Thus, in terms of political and economic systems the Covenant is neutral and its principles cannot accurately be described as being predicated exclusively upon the need for, or the desirability of a socialist or a capitalist system, or a mixed, centrally planned, or laisser-faire economy, or upon any other particular approach. In this regard, the Committee reaffirms that the rights recognized in the Covenant are susceptible of realization within the context of a wide variety of economic and political systems, provided only that the interdependence and indivisibility of the two sets of human rights, as affirmed inter alia in the preamble to the Covenant, is recognized and reflected in the system in question. The Committee also notes the relevance in this regard of other human rights and in particular the right to development. 59

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Frage gestellt, wo sich der Einzelne einer Zwangslage, zumal von nichtstaatlicher Seite, ausgesetzt sieht. bb) Von der Struktur der Verhaltensvorgabe her weisen die Normen des IPwirtR vielfach nicht ein spezifisches Verhalten als geboten, sondern einen breiten „Korridor“ rechtmäßiger Verhaltensoptionen aus, die von den Vertragsstaaten genutzt werden können. Schon auf völkerrechtlicher Ebene erscheint, selbst wenn wir von der Notwendigkeit einer Durchsetzungsbefugnis des Einzelnen als Voraussetzung für ein subjektives Recht absehen, fraglich, ob diese Normen insoweit echte „Rechte“ gewähren, als sie einen Anspruch auf Gesetzgebung statuieren würden. c) Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte stellen mithin keine Normkategorie dar, sondern weisen bestimmte typische Strukturen auf, die sie von bürgerlichen und politischen Rechten nicht scharf und eindeutig trennen.

C. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – ein sinnvoller Ansatz aus der Warte der einzelnen Menschen Können wir folglich nur bestimmte typische Erscheinungen von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten beschreiben, die sie nicht zu einer eigenständigen Kategorie zusammenfassen, so schließt dies keineswegs die Frage aus, ob solche Rechte sinnvoll sind. Einen Teil der Typizität macht es aus, dass die Rechte von ihrer Problemausrichtung her auf die Bedingungen der Ermöglichung von Selbsterhaltung und Selbstentfaltung bezogen sind. Ist es nun sinnvoll, diese Probleme mit den Mitteln menschenrechtlicher Gewährleistungen anzugehen? Schon oben sind die Aspekte der Selbsterhaltung und Selbstentfaltung mit der Präambel zum IPwirtR in Verbindung gebracht worden, die von „the ideal of free human beings enjoying freedom from fear and want“ spricht. Freiheit hat hier einen doppelten Bezug. Zum einen geht es um die Freiheit des Menschen („free human beings“), zum anderen um dessen Freiheit von Furcht und Not oder Mangel („freedom from fear and want“). Es ist zunächst unklar, wie sich die eine Freiheit zur anderen verhält. Offenbar aber gibt es verschiedene Dimensionen menschlicher Freiheit. Die damit verbundenen – philosophisch durchaus reizvollen – Fragen lassen sich hier nicht hinreichend entfalten. Doch sei ein im Zusammenhang mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten ausgesprochen wichtiger Ansatz ein wenig näher vorgestellt. Es geht um Überlegungen von Amartya Sen. Dieser hat in

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einem Aufsatz aus dem Jahr 2004 „Elements of a Theory of Human Rights“ entwickelt.60 Darin geht es ihm um eine ethische Theorie der Menschenrechte. Insbesondere zielt er nicht eigentlich auf das rechtliche Konzept oder den rechtlichen Status von Menschenrechten. Seine Überlegungen, so sagt er, hätten für rechtliche Fragen allenfalls insoweit eine Bedeutung, als sie die Motivation hinter der rechtlichen Gewährleistung der Menschenrechte beleuchteten.61 Sen schreibt: „The importance of human rights relates to the significance of the freedoms that form the subject matter of these rights“.62 Freiheiten versteht Sen dabei – im Kontrast zu Rechten, die Forderungen gegen andere umfassten – als in erster Linie deskriptive Eigenschaften der Befindlichkeit einer Person („conditions of persons“).63 Sodann unterscheidet er zwei Aspekte der so verstandenen Freiheit: „opportunity“ und „process“.64 Im Folgenden seien sie der Optionsaspekt und der prozessuale Aspekt der Freiheit genannt. Der prozessuale Aspekt der Freiheit ist immer dann betroffen, wenn ein Mensch zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird; er verliert die Freiheit, sein Verhalten selbst zu wählen; es wird ihm aufgedrückt. Der Optionsaspekt ist damit verkoppelt und doch eigenständig: Er ist zusätzlich zum prozessualen Aspekt der Freiheit beeinträchtigt, wenn jemand gezwungen wird, etwas zu tun, das nicht will.65 Ein Beispiel kann dies verständlicher machen: Nehmen wir an, eine Regierung verhänge eine nächtliche Ausgangssperre. Dann ist die Freiheit derjenigen Menschen, die ihr Haus verlassen wollten, sowohl in dem prozessualen als auch in dem Optionsaspekt beeinträchtigt. Dagegen sind die, die ohnehin zu Hause bleiben wollten, allein in dem prozessualen Aspekt ihrer Freiheit betroffen. Der Optionsaspekt der Freiheit lässt sich mit Hilfe des Konzepts der „capability“ beleuchten, den Sen entwickelt hat.66 Eine „capability“ ist die Möglichkeit, wertvolle Kombinationen menschlicher „functionings“ zu verwirklichen.67; „functionings“ sind Zustände oder Tätigkeiten („beings“ und „doings“). Mit Hilfe einer „capability“ wird also eine Aussage darüber gemacht, dass und inwieweit ein Mensch in der Lage ist, eine Wahl darüber zu treffen, wie er sein Leben einrichtet – sein „Sein“ 60

Sen (Anm. 49), 315–356. Sen (Anm. 49), 318. 62 Sen (Anm. 49), 319. 63 Sen (Anm. 49), 328. 64 Sen (Anm. 49), 330 ff. 65 Sen (Anm. 49), 331. Siehe zu dem prozessualen Aspekt der Freiheit auch Amartya Sen, Opportunities and Freedoms, in: ders., Rationality and Freedom, 2004, 583 ff. 66 Sen (Anm. 49), 332. Siehe dazu etwa Amartya Sen, Inequality Reexamined, 1992, 6 ff., 39 ff., 71 ff., 79 ff.; siehe auch 84: „Capabilitiy represents freedom“. 67 Sen (Anm. 49), 332. 61

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und sein „Tun“.68 Die Betrachtung von „capabilities“ erlaubt es, eine wichtige Unterscheidung zu treffen, nämlich die zwischen 1. dem, was jemand zu sein oder zu tun für wertvoll hält, und 2. den Mitteln, die dieser Person zur Verfügung stehen, um das zu verwirklichen, was sie möchte. Die Betrachtung von „capabilities“ beschränkt also insbesondere den Blick nicht auf die Mittel. Dass eine solche Beschränkung zu Fehlschlüssen über die Freiheit eines Menschen führen kann, lässt sich an einfachen Beispielen zeigen:69 Wenn wir annehmen, A und B haben jeweils ein Einkommen von 2000 Euro im Monat, so heißt dies noch nicht, dass beide – im Sinne einer Beschreibung ihres Zustands – dadurch gleich frei wären. Wenn etwa A körperlich behindert ist, muss er vielleicht einen Gutteil seiner 2000 Euro schon aufwenden, um überhaupt den gleichen Grad an Mobilität zu erreichen, wie ihn B als Gesunder ohne weiteres besitzt. Folglich kann die Möglichkeit, sein Leben so einzurichten, dass er z.B. verreisen kann, für A deutlich stärker eingeschränkt sein als für B. Das Beispiel zeigt die Berechtigung, daran zu zweifeln, dass Aussagen über durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen oder überhaupt über in Geld bemessenes Einkommen valide Rückschlüsse auf den Grad individueller Freiheit in einer Gesellschaft erlauben. Auch die Verfügbarkeit eines spezifischen Mittels, etwa eines Nahrungsmittels wie z.B. Milch, kann für zwei Personen, C und D, zwar gleich sein; doch wenn D eine Milcheiweißallergie hat, ist Milch für seine Ernährung möglicherweise gänzlich wertlos, während C die Proteine und das Fett verwerten kann. Die gleiche Verfügbarkeit von Mitteln garantiert also nicht gleiche Freiheit. Der Optionsaspekt der Freiheit lässt sich darum mit dem „capabilities“-Konzept exakter beschreiben. Was für die Verfügbarkeit von Mitteln gilt, lässt sich auch auf den prozessualen Aspekt der Freiheit übertragen: Ist für E und F beide gleichermaßen die Freiheit von Zwang verwirklicht, so heißt dies noch lange nicht, dass sie – in einem deskriptiven Sinn – gleich frei sind. Wenn sie etwa beide weder von der Staatsgewalt noch von dritten Personen gezwungen werden, sich einer Lebensgefahr auszusetzen, so sagt dies noch nichts darüber aus, ob sie aus eigener Kraft in der Lage sind, sich zu ernähren oder vor den Unbilden des Wetters zu schützen. Ist also der prozessuale Aspekt der Freiheit verwirklicht, so ist die Freiheit – verstanden als Zustand des menschlichen Befindens einschließlich seiner in „capabilities“ erfassbaren Entfaltungsperspektiven – nicht notwendig gleich. 68 Nach Sen (Anm. 66), 39 ff., steht das Verhältnis von „capabilities“ und „well-being“ im Vordergrund. 69 Siehe ausführlich auch Sen (Anm. 66), 26 f., 28 ff., 33 ff.; siehe auch 102 ff., 107 ff.

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Übertragen wir diese Gedanken auf das Recht: In rechtlicher Hinsicht korrespondiert mit prozessualer Freiheit die „klassische“ Vorstellung liberaler Freiheitsrechte: Würden staatliche Bedrängung und Bedrückung beseitigt, so seien alle gleich frei. Eine solche Aussage bleibt rein formal. Sie berücksichtigt nicht die Unterschiede zwischen den Menschen, die sich darstellen können als: persönliche Unterschiede (z.B. auf Grund von Behinderung, Neigung zu bestimmten Erkrankungen); Umweltunterschieden (z.B. was das Klima, die Bedrohung durch Epidemien oder durch Kriminalität betrifft); Unterschiede in nicht-persönlichen Ressourcen (z.B. in der Art des öffentlichen Gesundheitssystems oder im sozialen Zusammenhalt); Unterschiede in relativen Positionen zu anderen (so hängt es, wie Sen ein Beispiel Adam Smiths70 aufgreift, von den Kleidungs- oder Verhaltensgewohnheiten in einer Gesellschaft ab, welche Bekleidung oder sonstigen Mittel jemand benötigt, um ohne Scham in der Öffentlichkeit zu erscheinen). Indem wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sich typischerweise auf die Bedingungen der Ermöglichung von Selbsterhaltung und Selbstentfaltung beziehen, erscheinen sie als geeignet, den Optionsaspekt („opportunity aspect“) der Freiheit sichtbar zu machen und zu befördern. Der Neigung, diesen Freiheitsaspekt zu übersehen oder in seiner Bedeutung zu unterschätzen, wirken sie entgegen. Allein die wenigen, flüchtigen Beispiele erweisen dies als sinnvolle Funktion wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte. Mit der Analyse der „capabilities“ eines Menschen können wir dessen Freiheitssituation präziser darstellen, als wenn wir uns mit der Feststellung begnügen, der Staat übe auf diesen Menschen keinen Zwang aus. Denn sie beleuchten den Optionsaspekt der Freiheit. „Capabilities“ dürfen dabei aber klar als Verwirklichungspotentiale verstanden werden; sie bezeichnen die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Verhaltensoptionen zu wählen, die sich daraus ergeben, dass ver70 Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, vols. I and II, ed. by R. H. Campbell/A. S. Skinner, textual ed. W. B. Todd, Indianapolis, 1981 (reprint, orig. published Oxford 1976), V.ii.k, para. 3, 869 f.: „By necessaries I understand, not only the commodities which are indispensibly necessary for the support of life, but whatever the custom of the country renders it indecent for creditable people, even of the lowest order, to be without. A linen shirt, for example, is, strictly speaking, not a necessary of life. … But in the present times, through the greater part of Europe, a creditable daylabourer would be ashamed to appear in public without a linen shirt, the want of which would be supposed to denote that disgraceful degree of poverty, which, it is presumed, no body can well fall into without extreme bad conduct. Custom, in the same manner, has rendered leather shoes a necessary of life in England. The poorest creditable person of either sex would be ashamed to appear in public without them. … Under necessaries, therefore, I comprehend, not only those things which nature, but those things which the established rules of decency have rendered necessary to the lowest rank of people. …“

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schiedene faktische Zustände oder verschiedene Tätigkeiten miteinander unterschiedlich kombiniert werden können. „Capabilities“ geben Auskunft über die Freiheit einer Wahl („freedom of choice“) – und zwar grundsätzlich bezogen auf einen individuellen Menschen und dessen Befindlichkeit. Dabei ist keineswegs vorausgesetzt, dass sich Optionen allesamt zugleich oder auch nur nacheinander tatsächlich realisieren lassen.71 „The freedom to have any particular thing can be distinguished from actually having that thing,“ sagt Sen,72 der immer wieder den intrinsischen Wert der Freiheit betont. Berücksichtigen wir bei einem faktischen, deskriptiven Vergleich der Freiheitssituation zweier Personen den Optionsaspekt ihrer Freiheit und damit ihre „capabilities“, so wird deutlich, welche materiellen Freiheitsunterschiede zwischen ihnen bestehen. Auf diese Weise können wir einen Ansatz dafür finden, eine Gleichstellung beider zu fordern. Gehen wir dabei freiheitsfördernd vor, so müssten wir die „capabilities“ der weniger freien Person erweitern, sie also unterstützen. Was könnte dabei unser Ziel sein? Wenn wir „the ideal of free human beings enjoying freedom from fear and want“ vor Augen haben, dann geht es um die Ermöglichung von Selbsterhaltung und Selbstentfaltung. Letztlich soll sich also der einzelne Mensch frei entwickeln. Was jeder mit seiner Freiheit macht, fällt im Ergebnis notgedrungen verschieden aus. Die Angleichung der Freiheitssituation kann sich dann sinnvoll nur auf die Ausgangsposition beziehen; die freie Entfaltung nimmt dann so viele Pfade, wie es Menschen gibt. Menschen in ihrer Freiheitssituation in einer Ausgangssituation gleichzustellen, ist gewiss praktisch unrealisierbar. Das dürfte schon bei zwei Personen so sein, erst recht bei einer großen Menge, weil es zu viele Unterschiede gibt, um sie überhaupt zu erfassen, geschweige denn auszugleichen. Hinzu kommt das Problem der Beschränktheit der Ressourcen. Der „Capabilities“-Ansatz leugnet ja nicht die Relevanz der Ressourcenfrage, sondern verknüpft sie lediglich mit der Frage, welche Zustände oder Tätigkeiten ein Mensch zu verwirklichen für wertvoll hält. Wenn wir aber Menschen hinsichtlich ihrer „capabilities“ praktisch kaum wirklich gleichzustellen vermögen, dann kann es auch wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten darum ernsthaft nicht gehen. Denn Recht soll ja das reale Handeln von Menschen in ihrem äußeren Verhältnis zueinander regeln. Man muss einfacher ansetzen und zum einen eine Auswahl an grundlegenden „basic capabilities“ vornehmen, deren Erfüllung nicht völlig ausgeschlossen erscheint. Zum anderen muss die Ressourcenausstattung derjenigen, die durch die Rechte in die Pflicht genommen werden sollen, Berücksichtigung finden. Beides können wir im IPwirtR 71 72

Sen (Anm. 49), 334 ff. Sen (Anm. 49), 335.

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entdecken. Die Sozialpaktrechte schneiden wichtige Aspekte der Selbsterhaltung und Selbstentfaltung aus einem denkbar breiten Spektrum heraus. Der Pakt verpflichtet die Vertragsparteien nur – aber immerhin – dazu, die ihnen verfügbaren Ressourcen maximal auszuschöpfen (noch einmal erinnert sei an Art. 2 Abs. 1 IPwirtR: „Each State Party to the present Covenant undertakes to take steps … to the maximum of its available resources, with a view to achieving progressively the full realization of the rights recognized in the present Covenant …“). Inwieweit es tatsächlich gelingt, die Verwirklichung der Rechte dabei voranzutreiben, lässt sich ferner mit dem „capabilities“-Ansatz jedenfalls prinzipiell erfassen.

D. Umverteilungsentscheidungen und Offenheit des politischen Prozesses Freilich muss auch die Frage gestellt werden, woher die Ressourcen zur Beförderung der „capabilities“ denn kommen. Ressourcen stehen den Vertragsstaaten nicht notwendig zur Verfügung; oft besitzen sie sie nicht in gebrauchsfertiger Form. Um sie sich zu verschaffen, müssen sie dann entweder bestimmte Güter bei den auf ihrem Territorium lebenden Bürgern requirieren oder Steuern erheben, mit Hilfe derer sie sich auf Märkten die notwendigen Güter beschaffen können. Ob durch Konfiskation, Enteignung oder Besteuerung und fiskalische Wirtschaftstätigkeit, die Güterbeschaffung zur Erweiterung der Freiheit der einen wird zwangsläufig die Freiheit anderer belasten. Denn es geht um Umverteilung!73 Wegen der mit wohl jeder Umverteilung verbundenen Freiheitsbelastungen zieht ihr das Recht Grenzen, denkbar wiederum in der Form menschenrechtlicher Gewährleistungen (wobei auffällt, dass in beiden Pakten von 1966 der Eigentumsschutz fehlt). Die Umverteilung erfolgt innerhalb der Gesellschaft. Diese ist im Rahmen des IPwirtR als Gesellschaft eines Vertragsstaats zu verstehen; denn nur blass ausgeprägt sind die internationalen Verpflichtungen, welche die Vertragsstaaten im Rahmen des IPwirtR zur Gewährung gegenseitiger Hilfe und Unterstützung bei der Verwirklichung der definierten Rechte übernommen haben (vgl. Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1, Art. 11 Abs. 2, Art. 15 Abs. 4 IPwirtR). Die Möglichkeiten, aber auch die Wege einer Umverteilung sind abhängig von der Gesellschaftsordnung, insbesondere von ihrem Wirtschaftssystem – dies dürfte der IPwirtR u.a. dadurch anerkennen, dass 73

Siehe hierzu G. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, 257 ff., der freilich ebd., 267, davor warnt, eine Politik der Umverteilung schlechthin mit der Verwirklichung von Sozialstaatlichkeit gleichzusetzen; nicht ohne weiteres sei es so, dass der umverteilende Staat soziale Gerechtigkeit verwirkliche und soziale Nöte lindere; er bleibe Machtstaat und erfahre durch die Mittel der Umverteilung eine außerordentliche Erweiterung seines Machtpotentials. Darin liegt eine Gefahr für individuelle Freiheit.

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er in Art. 1 Abs. 1 das Recht der Völker auf Selbstbestimmung hervorhebt, kraft dessen die Völker frei über ihren politischen Status entscheiden und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung in Freiheit gestalten; ferner gesteht Art. 1 Abs. 2 allen Völkern zu, für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel zu verfügen.74 Der IPwirtR geht offenbar davon aus, dass die Gesellschaft demokratisch geordnet ist (vgl. Art. 4).75 Die Umverteilung von Gütern erscheint als eine bedeutende gesellschaftspolitische Frage, für welche sich die unterschiedlichsten Lösungen vorstellen lassen. Dann aber erscheint es richtig, ihre Beantwortung der freien, demokratischen Entscheidungsfindung zu überlassen.76 Die Freiheit der politischen Entscheidungsfindung wird aber verengt, je stringenter einem Staat konkrete Pflichten aus wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten erwachsen. Die offene normative Struktur, die wir als für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte typisch erkannt hatten, lässt dagegen politischem Erfindungsreichtum Raum. Von daher erscheint die typische Normstruktur des IPwirtR durchaus als sinnvoll, weil sie eine übermäßige Bevormundung des politischen Prozesses vermeidet. Verschiedene Wege können zum Ziel führen. Darum wird ein breiter Korridor an zulässigen Verhaltensweisen offengelassen. Eine Verengung auf eine bestimmte Verhaltensoption findet erst statt, wenn die Normen des IPwirtR durch weitere Normen ergänzt worden sind, die gerade auch im Wege nationaler Gesetzgebung erlassen werden können.

E. Keine kategoriale Trennung, sondern wechselseitige thematische Ergänzung der Rechte von Sozial- und Zivilpakt Wenn aber über Umverteilungen zugunsten der Angleichung von „basic capabilities“ – und damit über den Optionsaspekt („opportunity aspect“) der Freiheit – der politische Prozess entscheiden soll, der durch die im IPwirtR gewährten 74 Auf die Frage, was „reale“ Gleichheit und Freiheit denn bedeuten, lässt sich nicht eine ein für allemal gültige Antwort geben. Die Lösung müsse, so betont etwa Haverkate (Anm. 73), 271, in einem Gemeinwesen reversibel bleiben, weshalb sie nicht sinnvoll in dessen Verfassung festgelegt werden könne. Inwieweit eine Gleichheit tatsächlicher Freiheit durch staatliche Fürsorge angestrebt werden soll, sollte daher vom Gesetzgeber entschieden werden. Siehe auch Sen (Anm. 49), 388 ff. 75 Zur Weite des Demokratiebegriffs des IPwirtR schon oben Anm. 59. 76 In diesem Zusammenhang erscheint bedeutsam, dass Sen (Anm. 49), 336, betont, dass das Konzept der „capability“ zur Behandlung der Fragen des prozessualen Aspekts von Freiheit nicht tauge, da „capabilities“ typisch für individuelle Vorteile seien und hinreichende Aussagen über die Fairness und Gerechtigkeit von Verfahren nicht zuließen.

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Rechte grundsätzlich nur in bestimmte Richtungen gelenkt und auf bestimmte „outcomes“ ausgerichtet wird, gewinnen bürgerliche und politische Rechte eine zentrale Bedeutung. Bürgerliche und politische Rechte sichern den Menschen insbesondere die Möglichkeit, ihre Anliegen zu äußern und am öffentlichen Diskurs zu partizipieren und an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten oder an Wahlen teilzunehmen. Mit anderen Worten: Vertieft sich die Entfaltung von Freiheit durch die Beförderung der Bedingungen der Ermöglichung von Selbsterhaltung und Selbstverwirklichung und geschieht dies aus der Perspektive des IPwirtR nicht zuletzt durch einen zu nationaler, die Paktrechte befördernden Gesetzgebung hinführenden innerstaatlichen politischen Prozess, so erweisen sich die Gewährleistungen des IPbürgR als grundlegend auch für die Rechte des IPwirtR. Hier greifen – gerade auf Grund der typischen Normstruktur der Rechte des IPwirtR– die Gewährleistungen von IPbürgR und IPwirtR ineinander. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte bilden mithin keine eigenständige, von bürgerlichen und politischen Rechten abgrenzbare Normenkategorie. Sie setzen aber typischerweise mit der Betonung des Optionsaspekts von Freiheit andere Akzente. Sie sind einerseits vielfach auf Ergänzungen durch Gesetzgebung angewiesen, welche die Ausübung bürgerlicher und politischer Rechte beeinflussen können sollte. Andererseits sichern wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte dem Einzelnen auch wichtige Grundlagen dafür, dass er faktisch überhaupt dazu in der Lage ist, sich bürgerlicher und politischer Freiheiten zu bedienen. Wer weit ab auf dem Land hungernd und krank in einem Zelt liegt, hat weder die Kraft zu demonstrieren noch zur Wahl bis in die nächste Stadt zu laufen. Das Thema „Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – eine sinnvolle Normkategorie?“ darf uns nicht dazu verleiten, ihre Verwebung mit der Garantie bürgerlicher und politischer Freiheit zu übersehen.

Zur Durchsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte im Völkerrecht* Von Eibe Riedel

Bekanntlich wurde im Dezember 1948 die Universelle Menschenrechtserklärung (UMRE) von der UN-Generalversammlung verabschiedet, und zwar ohne Gegenstimme bei acht Enthaltungen.1 1945 war es nicht gelungen, die wesentlichen Menschenrechtsforderungen in den Text der UN-Charta aufzunehmen. Es finden sich dort nur allgemeine Hinweise auf Menschenrechtsverpflichtungen in der Präambel und einige wenige, verstreute Hinweise auf Menschenrechtsschutz im Text der Charta.2 Immerhin gelang es, eine Menschenrechts-Kommission einzurichten, deren erste Aufgabe die Ausarbeitung eines umfassenden Menschenrechtsvertrages sein sollte. Das gelang zunächst nicht. Man einigte sich lediglich auf eine rechtstechnisch gesprochen unverbindliche Deklaration, in der aber sämtliche bis dahin diskutierten Rechte zusammengestellt wurden.3 Staatsbürgerlich-politische und wirtschaftlich-soziale und kulturelle Rechte wurden in einem Dokument zusammengefasst, weil man der Meinung war, dass neben den klassischen Rechten der 1. Generation auch diejenigen der 2. Generation, oder besser Dimension, zu den aus der Menschenwürde fließenden unveräußerlichen Rechten gehören.4 Ohne Mindestansprüche im Arbeitsleben, Gesundheitsschutz, Erziehungssystem und ohne Garantie einer der Menschenwürde entsprechenden Gewährleistung eines adäquaten Lebensstandards, eines „Überlebenskorbes“ – „survival kit“ –, der das Existenzminimum zum Schutzstandard erhebt, wären auch alle anderen Men*

Der Beitrag basiert auf dem Stand vom April 2008. Vgl. statt vieler Eibe Riedel, Universeller Menschenrechtsschutz – Vom Anspruch zur Durchsetzung, in: Eibe Riedel, Die Universalität der Menschenrechte, 2003, 105–137, m.w.N. 2 Präambel, Art. 1 (3), 13 (1), 55c, 62 (2), 68, 73 und 76c UN-Charta. 3 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, UNGA Res. 217A (III), in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Menschenrechte, Dokumente und Deklarationen, 4. Aufl. 2004, 54 ff. 4 Vgl. Eibe Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, in: Riedel (Anm. 1), 329–362. 1

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schenrechte bedeutungs- und wirkungslos:5 Meinungsfreiheit für einen Verhungernden allein macht keinen Sinn. In der Präambel der UN-Charta werden die drei Hauptziele der Organisation, Friedenssicherung, Garantie der Herrschaft des Rechts und der Menschenrechte sowie – was westliche Staaten häufig überlesen – als dritte Aufgabe die Förderung des sozialen Fortschrittes und eines besseren Lebensstandards in größerer Freiheit bereits deutlich angesprochen. Im Prinzip war man sich auch einig, dass die Internationalisierung des Menschenrechtsdiskurses eine wichtige Neuentwicklung des Völkerrechts darstellte. Doch kamen die Regierungen solchen Menschenrechtsforderungen nicht mit Begeisterung nach. Sie merkten schnell, dass mit Menschenrechtsverträgen der Panzer der Souveränität durchstoßen werden kann und dass in bislang unbekannter Intensität die traditionell inneren Angelegenheiten der Staaten plötzlich auf eine internationale Überprüfungsplattform gehoben wurden. Indem man frühzeitig die Völkervertragsschiene wählte, hoffte so manche Regierung, die Zügel in der Hand zu behalten, denn im Vertragsrecht gilt das Prinzip „do ut des“ im Verhältnis der Staaten untereinander, und letztlich blieb das Entscheidungsrecht stets beim souveränen Staat. Die bedeutsamste und erst Jahrzehnte später in voller Brisanz erkannte Änderung war aber, dass anders als bei normalen bi- und multilateralen Verträgen, bei denen Interessen ausgetauscht wurden, die neuen Menschenrechtsverträge plötzlich eine völlig neue Funktion erhielten. Anstelle des Austausches von Staateninteressen traten die Interessen von Individuen innerhalb der Staaten. Menschenrechtsverträge schützen nicht Staaten, sondern die in ihnen lebenden Individuen. Damit veränderte sich auch radikal die Rolle der Staaten. Von Nutznießern der Verträge wurden sie zu Treuhändern, deren Aufgabe darin bestand, die Durchsetzung ihrer Menschenrechtsverpflichtungen sicherzustellen. Dafür ist das klassische Vertragsmodell nicht besonders gut geeignet. Doch seit 1945 hat es mittlerweile fast 200 Verträge mit menschenrechtlichem Gehalt gegeben, worauf man verzichtet hätte, wenn man diesen Weg für eine Sackgasse gehalten hätte. Nachdem es also 1948 nicht gelang, eine „Universal Bill of Rights“ zu verabschieden, konzentrierte sich die „standard-setting community“ auf zwei unterschiedliche Strategien: Zum einen befasste sich die Menschenrechtskommission (MRK) mit der Ausarbeitung der beiden UN-Pakte, die 1966 verabschiedet wurden und 1976 in Kraft traten,6 wobei klar war, dass es sich um komplementäre 5

Vgl. Eibe Riedel, International Law Shaping Constitutional Law, in: Eibe Riedel, Constitutionalism – Old Concepts, New Worlds, 2004, 105–121 (121). 6 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR), UNGA Res. 2200A (XXI) vom 16. Dezember 1966, in Kraft seit 3. Januar 1976; Internationaler Pakt über staatsbürgerliche und politische Rechte (ICCPR), UNGA Res. 2200A (XXI) vom 16. Dezember 1966, in Kraft seit 23. März 1976.

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Verträge handelte, die den Bestimmungen der UMRE von 1948 konkrete Vertragsgestalt geben. Der zweite Ansatz war die Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts und allgemeiner Rechtsgrundsätze als weiterer Rechtsquellen des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes.7 Dieser Weg wurde vor allem in der akademischen Literatur entwickelt und lag nahe, solange es vertragsrechtlich keine Spezialregelungen gab. Aus diesem Ansatz sprießt noch heute das sogenannte „Charter-based system of human rights protection“, das sich aus der UN-Charta direkt ergebende System des Menschenrechtsschutzes. Vorteil dieses Systems ist, dass es dafür keiner Ratifikation und damit Unterwerfung unter ein Vertragsregime bedarf. Mit den Resolutionen 1235 und 15038 des Wirtschafts- und Sozialrates wurde ein Petitionsverfahren entwickelt, bei dem im Falle massiver und schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen („gross and massive violations, reliably attested“) der betreffende Staat vor der MRK gerügt werden konnte. Daraus hat sich in der Folgezeit ein spezielles Überprüfungsverfahren entwickelt, das trotz aller Mängel bedeutsam war. Denn erstmals konnte ein Staat auf internationaler Ebene an den Pranger des Weltgewissens gestellt werden. Da keinem Staat der Ruf eines Menschenrechtsverletzers angenehm ist, liegt in diesem „Prangerverfahren“ ein doch erhebliches Menschenrechtspotential, auch wenn konkrete Abhilfe nur selten dadurch gewährleistet wird. Hauptvorteil dieses Verfahrens ist aber, dass auf diese Weise die „bad guys“, die Staaten, in denen systematische und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorkommen, auch ohne vertragliche Bindungen an Menschenrechtsverträge zur Rechenschaft gezogen werden können. In den folgenden Jahrzehnten politisierte sich jedoch die Arbeit der MRK, und als Ergebnis jahrelanger Reformüberlegungen wurde schließlich 2006 die MRK abgeschafft und durch den Menschenrechtsrat ersetzt.9 Die Umwandlung sollte eine Aufwertung der Charta-basierten Schutzmechanismen bewirken. Es darf aber bezweifelt werden, ob das letztlich gelang. Auf Einzelheiten möchte ich hier nicht näher eingehen.

7 Zum Ganzen statt vieler Eibe Riedel, in: Bundeszentrale (Anm. 3), Einleitung, 15; Henry J. Steiner/Philip Alston/Ryan Goodman, International Human Rights in Context, 3. Aufl. 2008, 136 ff.; Hurst Hannum, The Status of the Universal Declaration of Human Rights in National and International Law, Georgia Journal of International and Comparative Law 25 (1995/1996), 287 ff. 8 Res. 1235 (XLII) vom 6. Juni 1967 sowie Res. 1503 (XLVIII) des Wirtschafts- und Sozialrates vom 27. Mai 1970. 9 Der Menschenrechtsrat wurde durch UNGA Res. 60/251 errichtet. Gleichzeitig wurde die Menschenrechtskommission abgeschafft. Zum Ganzen vgl. Meghna Abraham, Building the New Human Rights Council, Friedrich-Ebert-Stiftung, Occasional Paper Nr. 33, August 2007.

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Auf der Vertragsrechtsschiene kam es in der Zwischenzeit zunächst auf regional-völkerrechtlicher Ebene zur Verabschiedung von Menschenrechtskonventionen in Europa und Lateinamerika, allerdings mit Schwerpunkt auf staatsbürgerlichen und politischen Rechten. Erst die Banjul- Charta der Afrikanischen Union von 1969 bezog sämtliche Rechte der Universellen Menschenrechtserklärung wieder ein und ergänzte sie sogar um eine kollektive Dimension, die sogenannten „peoples’ rights“ – Völkerschaftsrechte.10 Die Trennung der UMRE von 1948 in zwei separate UN-Pakte war notwendig geworden, weil der zunehmende ideologische Graben zwischen westlichen und östlichen Staaten eine einheitliche Betrachtung aller Menschenrechte immer schwieriger werden ließ. So forderten westliche Staaten in erster Linie staatsbürgerliche und politische Rechte, die dem Einzelnen Abwehrrechte gegenüber dem Staat eröffnen, während östliche Staaten in erster Linie wirtschaftliche und soziale Menschenrechte einforderten, angeblich, weil Rechte in der Arbeit, Sozialversicherung, Krankheitsschutz, Familienunterstützung und Bildungsgarantien in sozialistischen Staaten leichter verwirklicht werden könnten. Staatsbürgerliche und politische Rechte wurden dagegen nur als Rechte zum Staat, zur Verwirklichung der sozialistischen Staatsphilosophie verstanden. Umgekehrt lehnten westliche Staaten zumindest eine Gleichbehandlung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten (wsk-Rechten) mit staatsbürgerlichen und politischen Rechten (bp-Rechten) ab, da bp-Rechte ohne weiteres gewährt werden könnten, während wsk-Rechte tiefe Einschnitte in die soziale und wirtschaftliche Struktur des Staates beinhalteten. Wenn nicht gar eine Festlegung auf eine sozialistische Staatsform darin zum Ausdruck käme, so würde auf jeden Fall die staatliche Gestaltungsfreiheit der Wirtschaftsordnung gravierend eingeengt. Deshalb bestanden die westlichen Staaten auch darauf, dass die gewählte Sprache bei beiden UN-Pakten unterschiedlich war: Während die Rechte des Zivilpakts als unmittelbar anwendbar formuliert wurden, ist der Wortlaut in Bezug auf die Garantien des Sozialpakts von vornherein unbestimmter. So verpflichten sich die Vertragsstaaten des wskPakts, die Bestimmungen des Vertrages „nach und nach“ zu verwirklichen; außerdem richten sich die Verpflichtungen nur an die Staaten, eröffnen dem strikten Wortlaut nach für Individuen nur indirekte Wirkung. Aus der Formulierung des Art. 2 (1) Sozialpakt haben westliche Staaten – allen voran die USA, die den Sozialpakt gezeichnet, aber nie ratifiziert haben – herausgelesen, dass dieser nur Programmsätze und allenfalls Gesetzgebungsaufträge enthalte, im Unterschied zum Zivilpakt, der unmittelbare Wirkung entfalten könne.11 Wegen der unter-

10 11

Vgl. hierzu statt vieler Steiner/Alston/Goodman (Anm. 7), 925 ff. Zum Ganzen Riedel (Anm. 5), 106 ff.

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schiedlichen Interpretationsweisen dauerte es auch fast 10 Jahre, bis die beiden UN-Pakte in Kraft treten konnten. Seither hat sich im Menschenrechtsbereich jedoch viel getan, was in der deutschen Literatur zum Thema oft übersehen wird: Inzwischen haben 158 Staaten den Sozialpakt und 161 Staaten den Zivilpakt ratifiziert. Lediglich Andorra, Bahrain, Belize, Botswana, Haiti, Mosambik, Süd-Afrika und die USA haben bislang nur den Zivilpakt ratifiziert. Aus dem Ratifikationsproblem allein wird bereits deutlich, dass inzwischen die meisten Staaten der Welt (160 von 190) beide UN-Pakte als wesentliche Konkretisierungen der Universellen Menschenrechtserklärung ansehen. Spätestens seit der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz von 1993 werden die Interdependenz, Unteilbarkeit, Gleichwertigkeit und Wechselbezüglichkeit aller Menschenrechte als „Mantra“ der Menschenrechtsgemeinde betont.12 Nachdem 1976 zunächst nur dem Zivilpakt ein Menschenrechtsausschuss zur Überprüfung von Staatenberichten, Staatenbeschwerden und in einem Zusatzprotokoll auch ein Individualkommunikationsverfahren beigegeben wurde, beschloss der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) bereits Ende der siebziger Jahre, eine Arbeitsgruppe zur Überprüfung der Staatenberichte zum Sozialpakt einzurichten. Dieser durch Resolution eingesetzte Ausschuss wurde dann 1985 als wsk-Ausschuss mit 18 Mitgliedern eingesetzt, um zunächst nur ein Staatenberichtsverfahren zu entwickeln. In der Praxis des Ausschusses, der inzwischen fast 200 Staatenberichte behandelt hat, wurde eine weitgehende Gleichstellung mit den übrigen, durch Verträge geschaffenen Vertragsorganen (treaty bodies) erreicht. Der Unterschied in der Etablierung des Ausschusses ist deshalb in der UN-Praxis weitgehend bedeutungslos geworden. Theoretisch könnte der ECOSOC aber durch schlichte Resolution den Ausschuss wieder abschaffen, in der Praxis denkt daran jedoch – außer Saudi-Arabien – niemand. Im Zusammenhang mit der noch zu erörternden Schaffung eines Fakultativprotokolls zum Sozialpakt wird vielmehr erörtert, wie die Rechtsstellung des Ausschusses in Zukunft den anderen Vertragsorganen angeglichen werden kann. Verschiedene Lösungswege sind dafür vorgeschlagen worden. Wohl die einfachste Lösung wäre ein rein prozeduraler Abänderungsantrag, der von den Vertragsstaaten angenommen werden müsste. Dabei entstünden Interimsprobleme, die ähnlich dem Implementierungsabkommen zum Seerechtsübereinkommen gelöst werden könnten. Gefährlich könnte es werden, wenn über diesen Weg eine Substanzdebatte über 12

Vgl. Wiener Deklaration und Aktionsprogramm, Weltkonferenz über Menschenrechte, Wien, 25. Juni 1993, § 75/II. Vgl. hierzu auch den Überblick bei Catarina de Albuquerque, A Complaints Procedure for Violations of Economic, Social and Cultural Rights: The Optional Protocol, in: CIDESC (ed.), Globalization and the Future of Economic, Social and Cultural Rights, Lissabon, 24–26 November 2005, 2005, 161–171 (165).

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die geschützten Rechte eröffnet würde. Wie bei allen Menschenrechtsverträgen muss darauf geachtet werden, dass der acquis des droits d l’homme in keinem Falle geschmälert würde. Fast jeder Staat findet Dinge, die seiner Auffassung nicht entsprechen. Die Abschließenden Bemerkungen („Concluding Observations“) enthalten häufig Empfehlungen, die nur mühsam umgesetzt werden können – und dies gilt für Entwicklungsländer in gleichem Maße wie für Industrieländer. Die Versuchung wäre groß, den Bestand der durch Organisationspraxis und Ausschussinterpretationen geklärten Verpflichtungsebenen für die Staaten wieder zu verringern. Alle UNO-Reformbestrebungen im Bereich der Menschenrechte gehen deshalb davon aus, dass lediglich prozedurale Verfahrensregeln neu geregelt werden können, der einmal erreichte Bestand jedoch keinesfalls angetastet werden darf. Stattdessen hat sich das vertragliche Menschenrechtssystem inhaltlich ausgefächert: Spezialkonventionen zum Schutze der Frauen vor Diskriminierung, zur Verhinderung von Rassendiskriminierung, zum Schutze von Kinderrechten, Personen mit Behinderungen sowie der Wanderarbeiter und ihrer Familien und nicht zu vergessen die Anti-Folter Konvention greifen allgemein gehaltene Bestimmungen der „Universal Bill of Rights“ auf und errichten eigene Berichts- und Überprüfungssysteme. Inzwischen haben vier von acht Ausschüssen die Befugnis erhalten, neben den Verfahren von Staatenberichten auch solche von Individualkommunikationen und Staatenbeschwerden durchzuführen.13 Ein Wort zum Begriff der Kommunikationsverfahren: Kritiker der Erweiterung des UN-Vertragsüberprüfungssystems setzen diesem Verfahren mit der Verwendung des Begriffs „Individualbeschwerde“ einen Akzent, der etwas suggeriert, was diese Verfahren keineswegs bedeuten: Echte Individualbeschwerden gibt es nur im regionalen Menschenrechtsschutz, und dort bilden sie meist eine Vorstufe zur vollen gerichtlichen Überprüfung von Verletzungshandlungen der Staaten. Man muss aber sorgfältig unterscheiden zwischen judiziären, quasi-judiziären und politischen Überprüfungsverfahren. Auf universeller Ebene gibt es außer im internationalen Strafrecht (Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC)) keinerlei judiziäre Streiterledigung. Alle Vertragsorgane auf universeller Ebene haben zunächst nur ein politisches Überprüfungsverfahren, das die Staatenberichte würdigt und abschließende Empfehlungen und Anregungen bietet, mehr nicht. 13

Zwei weitere Konventionen zum Kernbereich der Menschenrechte sind hinzugekommen: die Konvention über die Rechte von Personen mit Behinderungen, UNGA Res. 61/106 vom 13. Dezember 2006, die soeben, am 3. Mai 2008, in Kraft getreten ist, sowie die Internationale Konvention zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen („Enforced Disappearances“), noch nicht in Kraft, UNGA Res. 61/177 vom 20. Dezember 2006.

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Bei vier von acht gegenwärtig bestehenden Menschenrechtsverträgen gibt es daneben für die Staaten, die sich dem gesondert unterwerfen, noch ein quasijudiziäres, letztlich aber auch politisches Verfahren, bei dem Individual- und Gruppenkommunikationen geprüft werden können und am Schluss mit Empfehlungen der Ausschüsse enden, sog. „Views“. Es sind keineswegs Entscheidungen, die judiziären Feststellungsurteilen entsprechen würden, so gerne Nichtregierungsorganisationen (NGOs) dies sähen. In ihrer Wirkung sind solche rechtlich letztlich nicht verbindlichen Empfehlungen jedoch sehr wirksam, denn die Staaten behandeln diese Empfehlungen häufig, als ob es Entscheidungen gerichtlicher Art wären. Der Menschenrechtsausschuss hat deshalb auch dargelegt, dass immerhin ca. 30 % seiner „Views“ tatsächlich befolgt würden und zur Abhilfe in konkreten Streitfällen geführt hätten. Beim Sozialpakt-Ausschuss, auf den ich mich jetzt ausschließlich konzentriere, hat sich eine Überprüfungspraxis ergeben, die den einzelnen Sozialpaktbestimmungen zunehmend klarere Konturen verliehen hat. Dabei hat sich in der Praxis des Ausschusses die Auffassung durchgesetzt, dass entsprechend General Comment No. 3 der Sozialpakt nicht nur „non-self-executing treaty obligations“, nicht nur nicht-selbstvollziehende Bestimmungen enthält, sondern dass in jedem Paktrecht Elemente enthalten seien, die unmittelbarer Anwendung zugänglich sind. Dahinter verbirgt sich eine überbewertete akademische Diskussion über die sogenannte Justiziabilität der wsk-Rechte.14 Dieser schillernde Begriff kann Verschiedenes bedeuten: Er kann sich auf die nationale Umsetzung und Durchsetzung der Paktrechte beziehen oder aber die Überprüfung auf internationaler Ebene thematisieren. In der Praxis des Ausschusses werden die Paktrechte so gelesen, dass die Verpflichtungen der Vertragsstaaten verschiedene Aspekte gleichzeitig ansprechen: „obligations to respect, protect and fulfil“ – Respektierungs-, Schutz- und Erfüllungspflichten.15

14 Vgl. den Überblick bei Jacob Schneider, Die Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, Deutsches Institut für Menschenrechte, 2004. 15 Im Anschluss an die Limburg und Maastricht Prinzipien, vgl. Eibe Riedel, Allgemeine Bemerkungen zu Bestimmungen des Internationalen Paktes über Wirtschaftliche Soziale und Kulturelle Rechte der Vereinten Nationen, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Die „General Comments“ zu den UN-Menschenrechtsverträgen, 2005, 160–171 (169 f.); Limburg Principles on the Implementation of the ICESCR, 1986, Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights, 1997, abgedr. in: International Commission of Jurists (ed.), Economic, Social and Cultural Rights, A Compilation of Essential Documents, 1997, 65 ff.

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Respektierungspflichten – die zumeist unmittelbare Verpflichtungen implizieren – erfassen zum Beispiel die Verpflichtung, dass der Vertragsstaat nicht von sich aus bestehende Gleichbehandlungsgrundsätze bei der Verwirklichung der garantierten Rechte verletzt. Bei Schutzverpflichtungen wandelt sich die Respektierungspflicht um: Anstelle des direkt verantwortlichen Staates als Akteur treten häufig Dritte, denen vormals staatliche Aufgaben übertragen werden – etwa im Falle der Privatisierung vormals staatlicher Wohnungswirtschaft. Hier behält der Vertragsstaat eine Schutzpflicht, wonach sichergestellt werden muss, dass Machtmissbrauch und Menschenrechtsverstößen durch Dritte Einhalt geboten wird, wie dies bei Monopolverstößen der Fall ist. Bei Erfüllungspflichten muss der Vertragsstaat Schritte unternehmen, um den Schutz der garantierten Rechte nach und nach zu verbessern, etwa durch Programme, Strategien, administrative oder legislatorische Schritte. Es bleibt allerdings stets im Ermessen des Vertragsstaates, welche konkreten Schritte national ergriffen werden. Der Sozialpaktausschuss verlangt nur, dass der Vertragsstaat anlässlich seines nächsten Staatenberichtes über Erfolg oder Misserfolg der ergriffenen Maßnahmen berichtet. Bekanntlich hat der wsk-Ausschuss den Inhalt und die Reichweite der Sozialpaktbestimmungen seit 1989, also seit fast 20 Jahren, kontinuierlich präzisiert, und über Abschließende Bemerkungen („Concluding Observations“)und sog. Allgemeine Kommentare („General Comments“) erheblich konkretisiert und fassbarer gemacht.16 Nur wenige Staaten haben diesen Präzisierungsbemühungen des Ausschusses widersprochen. Bezeichnenderweise sind es hauptsächlich die Vereinigten Staaten, die sich als Gegner der Gleichbehandlung von wsk- und bp-Rechten erweisen. So wird dort nach wie vor die Auffassung vertreten – allerdings immer zaghafter und von zahlreichen US-amerikanischen Wissenschaftlern vehement widersprochen –, dass wsk-Rechte überhaupt keine Menschenrechte seien. Vielmehr stellten diese ein Anliegen der „Charity“ dar, der staatlichen oder privaten Wohltätigkeit, die in den USA schließlich von über 2.500 Kirchen getätigt würde. Dass die „Universal Bill of Rights“ ganz maßgeblich von Franklin D. Roosevelts vier Freiheiten („freedom of speech and expression, freedom of every person to worship God in its own way, freedom from want, freedom from fear“) aus dem Jahre 1941 und von Eleanor Roosevelts Kampf für die Schaffung einer universellen Menschenrechtscharta beeinflusst wurde, wird schlicht übergangen. Vor allem aber – und da dürfte der Hauptgrund für den Widerstand gegenüber wsk-Rechten als gleichzustellenden Rechten liegen – ist die Bilanz der Verwirklichung von wsk-Rechten in einem der reichsten Länder der Erde keineswegs beeindruckend: Suppenküchen im Winter vor U-Bahn-Stationen in Washington, D.C., zunehmende Obdachlosigkeit, ein Krankenversicherungssystem, das ärmeren und ärmsten Bevölkerungsschichten 16

Vgl. Anm. 15.

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so gut wie keinen oder nur völlig unzureichenden Gesundheitsschutz vermittelt, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, zeigen jedenfalls, dass überhaupt kein Grund besteht, elementare Menschenrechtsforderungen im wsk-Bereich für die USA auszunehmen. Wer sich als moralische Instanz für die Herrschaft des Rechts sieht, zu der der Schutz aller elementaren Menschenrechte zwingend gehört, sollte zunächst im eigenen Hause Menschenrechtsverbesserungen schaffen, ehe die Bemühungen auf internationaler Ebene pauschal kritisiert werden. Gleichwohl ist Kritik gegenüber der Praxis des universellen Menschenrechtsschutzsystems durchaus angebracht. Sicher wäre es gut, wenn ein Weltmenschenrechtsgerichtshof geschaffen würde, der verbindliche Entscheidungen treffen könnte, ähnlich zumindest den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Aber das ist leider noch ferne Zukunftsmusik – davon sind die Staaten noch weit entfernt. Aber es hat auch 50 Jahre gedauert, ehe die Forderungen nach einem Weltstrafgerichtshof in die Praxis umgesetzt wurden. Der Sozialpakt enthält im Einzelnen fünf Teile, deren erster gleichlautend mit dem Zivilpakt das Selbstbestimmungsrecht der Völker thematisiert. Teil II – Artikel 2–5 – formuliert eine Reihe von Grundprinzipien, die als „Chapeau“ für sämtliche wsk-Rechte dienen, die dann in Teil III aufgezählt werden. Dazu zählen zunächst Rechte in der Arbeit, das Recht auf gerechte und faire Arbeitsbedingungen (Art. 6 und 7), das Recht, Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten (Art. 8), das Recht auf soziale Sicherheit, einschließlich soziale Versicherung und Sozialhilfe – Letzteres durch Auslegung zusammen mit Art. 11 –, sodann die Anerkennung von Familien-, Mutterschafts- und Kinderrechten (Art. 10), das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, einschließlich des Rechts auf Ernährung, Bekleidung, Wohnung (Art. 11), das Recht auf Gesundheit (Art. 12), das Recht auf Bildung (Art. 13 und 14) und schließlich das Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben und auf den Nutzen wissenschaftlicher Fortschritte, einschließlich des Schutzes geistigen Eigentums (Art. 15). In Teil IV wird ein Berichts- und Implementierungssystem angesprochen, während Teil V die üblichen Schlussbestimmungen enthält. Die Kernaussagen des Sozialpakts finden sich in der zentralen Vorschrift des Art. 2 (1), wo es heißt: Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit, insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art, unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen.

Einige Staaten, vor allem westliche Staaten, haben diese Bestimmung mit ihren zahlreichen Relativierungen und vagen Umschreibungen als Beweis für die nur programmatische Geltung des gesamten Sozialpakts genommen. Dem hat der Ausschuss und mit ihm fast die gesamte relevante Völkerrechtsliteratur aber von Anbe-

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ginn widersprochen. Die Gegenstimmen – vorwiegend von der offiziösen USamerikanischen Regierungsposition inspiriert und in Deutschland etwa von Christian Tomuschat widergespiegelt17 – basieren ihre Auffassung auf dem Stand der Menschenrechtsdiskussion auf der Höhe des Kalten Krieges der sechziger Jahre und berücksichtigen nicht die z.T. fundamentalen Änderungen, die seit dem Zerfall der Sowjetunion und seit der Menschenrechtskonferenz von 1993 stattgefunden haben. Symbol dafür ist die Schaffung des UN-Menschenrechtskommissars und die besondere Betonung der wsk-Rechte seit der Millennium-Deklaration und den Millennium-Entwicklungszielen (MDGs).18 Die Ausgangslage im internationalen Menschenrechtsschutz ist heute eine völlig andere als 1966. Die Einsicht, dass wskRechte genauso wichtig wie bp-Rechte sind, wird im internationalen Kontext heute praktisch von niemandem mehr bestritten. Im Übrigen hat der wsk-Ausschuss sich große Mühe gemacht, den Inhalt des zugegebenermaßen missverständlich formulierten Art. 2 (1) nach und nach zu präzisieren. Eine Auslegung des Art. 2 (1), die zu keiner Rechtsverbindlichkeit des Paktes führt, kann daraus nicht abgeleitet werden. Zwar sind die Verpflichtungen allgemein gehalten und offen formuliert und stellen insgesamt nur schwache Verpflichtungsgrade auf, aber immerhin handelt es sich um echte Vertragspflichten, die im Zusammenlesen mit konkreteren Verpflichtungen des Teils III des wskPakts ihre Bedeutung erhalten. Jeder Staat ist folglich verpflichtet, die im Sozialpakt verbürgten Rechte so weit wie möglich zu verwirklichen, und dies Schritt für Schritt, bis zur Grenze seiner vorhandenen Ressourcen („to the maximum of its available resources“), nicht mehr und nicht weniger. Wenn also ein Tsunami-betroffener Staat nicht die Mittel besitzt, um wenigstens die Überlebensnotwendigkeiten seiner Bürger zu gewährleisten, verpflichtet Art. 2 (1) ihn zu begründen, weshalb und wie viel er dennoch geleistet hat und ob er internationale ökonomische und technische Hilfe von anderen, reicheren Staaten angefordert hat, um die Menschenrechtslage seiner Bevölkerung zu verbessern. In seinen „Concluding Observations“ geht der Ausschuss penibel darauf ein, ob der Staat tatsächlich alles in seiner Macht Stehende getan hat, um elementare soziale Menschenrechte zu gewährleisten und die wenigen zur Verfügung stehenden Mittel gerecht, d.h. diskriminierungsfrei, zu verteilen. Verletzungen von Gleichbehandlungsgeboten sind 17

Vgl. Christian Tomuschat, An Optional Protocol for the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights?, in: Klaus Dicke et al. (Hrsg.), Weltinnenrecht, Liber amicorum Jost Delbrück, 2005, 815–834; für die US-amerikanische Position vgl. Michael J. Dennis/David P. Stewart, Justiciability of Economic, Social and Cultural Rights: Should There Be an International Complaints Mechanism to Adjudicate the Rights to Food, Water, Housing and Health?, American Journal of International Law (AJIL) 98 (2004), 462–515. 18 Vgl. zur Millennium Deklaration UNGA Res. 55/2 vom 8. September 2000.

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nicht primär ressourcenabhängig und können von armen genauso wie von reichen Staaten abgestellt werden. Im Ergebnis spiegelt Art. 2 (1) Sozialpakt nur die sehr unterschiedliche Ausgangslage der Staaten wider, und dies wird im Staatenberichtsverfahren auch stets angemessen berücksichtigt und gewürdigt. Doch liegt die Beweislast stets bei dem Berichtsstaat, nicht beim Ausschuss. Insgesamt bedeutet dies, dass nach ganz herrschender Meinung Art. 2 (1) des Sozialpakts eine zwar allgemein und je nach den Bedingungen des jeweiligen Einzelstaates formulierte, aber rechtlich verbindliche Verpflichtung enthält, an der das Verhalten des Vertragsstaates gemessen werden kann. Um den zum Teil vagen Begriffen des Paktes Konturen zu verleihen, ohne selber zu legeferieren, was allein den Vertragsstaaten zukäme, hat der Ausschuss auf ausdrückliche Bitten des ECOSOC und der MRK, aber auch einzelner Vertragsstaaten mittlerweile 19 „General Comments“ (GCs) verabschiedet, die inzwischen über 150 Seiten ausmachen, um einzelne Paktrechte näher zu qualifizieren und auszulegen. Solche „General Comments“ dienen dem Zweck, die Rechtsauffassung des Ausschusses zu erklären – die 18 Ausschussmitglieder kommen aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen –, daneben dienen sie den Mitgliedstaaten bei der Erstellung ihrer Staatenberichte als Richtschnur, aber vor allem auch den internationalen und nationalen Nichtregierungsorganisationen bei der Erstellung ihrer Parallelberichte und bei ihrer Lobbyarbeit im nationalen Kontext. Auch die UNSonderorganisationen, die bei der Ausarbeitung solcher „General Comments“ stets frühzeitig angehört werden, verwenden diese GCs für ihre eigenen programmatischen und Normsetzungsaufgaben. Neben den bereits verfassten 19 GCs sind drei weitere (über Teilnahme am kulturellen Leben und Nichtdiskriminierung gemäß Art. 2 (2) wsk-Pakt sowie über Indikatoren und Benchmarks) in der „Pipeline“. Die Allgemeinen Kommentare befassen sich im Einzelnen mit allgemeinen und Einzelpaktbestimmungen im besonderen, so mit dem Staatenberichtsverfahren; internationaler technischer Hilfe gemäß Art. 22; der Rechtsnatur der Staatenverpflichtungen nach Art. 2 (1); dem Recht auf Wohnung und Schutz vor Zwangsräumung; dem Schutz behinderter Personen; dem Schutz älterer Personen; den Auswirkungen und Begrenzungsnotwendigkeiten bei Wirtschaftssanktionen; der Anwendung des Paktes im innerstaatlichen Recht; den Rechten nationaler Menschenrechtsinstitutionen; Grundschulerziehung und Recht auf Bildung; dem Recht auf Nahrung; dem Recht auf Gesundheit; dem Recht auf Wasser; dem Schutz vor Ungleichbehandlung von Männern und Frauen; dem Schutz geistigen Eigentums als Autorenrechte und dem Recht auf soziale Sicherheit. Zweck dieser GCs ist es, den Staaten bei der Abfassung ihrer Berichte Hinweise zu geben, auf welche Aspekte des konkreten Rechtes der Ausschuss besonderen Wert legt und

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was er ggf. zum Gegenstand eingehender Befragung bei der mündlichen Behandlung des Berichtes aufgreifen wird. Die GCs dienen spiegelbildlich den Ausschussmitgliedern als Wegweiser, der es ihnen ermöglicht, fundierte und fokussierte Fragen an die Staatenvertreter zu stellen. Die bereits 1991 revidierten Richtlinien zur Erstellung der Staatenberichte werden gegenwärtig vollständig überarbeitet und vermutlich noch 2008 in ihrer Neufassung veröffentlicht. Dabei werden die Einzelheiten der „General Comments“ umfassend mitberücksichtigt werden. Rechtlich sind solche GCs nach ganz überwiegender Meinung nicht verbindlich. Es handelt sich vielmehr um Standards, die man anlegen kann, aber nicht muss.19 Ein Staat, der einen Standard des Ausschusses nicht erfüllt, muss gleichwohl damit rechnen, dass der Ausschuss ihn beim nächsten Staatenberichtsverfahren ausführlich dazu befragt. Lehnt er dies ab, wird der Ausschuss in seinen „Concluding Observations“ sehr nachdrücklich formulierte Empfehlungen aussprechen, die zumindest große Publizität im Berichtsstaat selber auslösen können, vor allem dann, wenn NGOs innerstaatlich entsprechenden Druck ausüben. Die bisherigen GCs sind aber von den meisten Staaten sehr wohlwollend aufgenommen worden und in späteren Berichten zum Teil auch zitiert worden. In einem Fall hat ein Vertragsstaat, dessen Bericht zur mündlichen Verhandlung kurz bevor stand, in einer nichtöffentlichen Sitzung mit Ausschussmitgliedern und Staatenvertretern sich kritisch über diese Ausschusspraxis geäußert. Die Ausschussmitglieder mussten sich jedoch nicht selber verteidigen, da dies von den übrigen Vertragsstaatenvertretern eloquent übernommen wurde. Die faktische Bewertung solcher „General Comments“ ist folglich groß, so dass es auf ihre Rechtsnatur letztlich fast überhaupt nicht ankommt. Das ist Juristen, die am traditionellen positivistischen Rechtssatzmodell geschult wurden, oft nur schwer zu vermitteln. Bei der Verwirklichung der Menschenrechte zählt am Ende des Tages aber immer nur, ob sie tatsächlich beachtet werden, nicht so sehr, ob sie als Recht überhaupt anerkannt oder justiziabel im engeren Sinne sind. Da „Concluding Observations“ und „General Comments“ bislang immer im Konsensverfahren verabschiedet wurden, dauert es oft lange, bis ein neuer GC schließlich verabschiedet wird. Über soziale Sicherheit wurde fast 18 Monate verhandelt, ehe der GC im November 2007 vom Ausschuss verabschiedet wurde. Das Konsensverfahren stellt überdies sicher, dass über alle kulturellen Differenzen hinweg ein consensus omnium sichergestellt wird, der allzu weitreichende Neuerungen 19

Zu völkerrechtlichen Standards vgl. Eibe Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, insbes. Kapitel VII, 260 ff.; ders., Standards and Sources: Farewell to the Exclusivity of the Sources Triad in International Law?, European Journal of International Law (EJIL) 2 (1991), 58–84.

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in aller Regel ausschließt. Das Beispiel des Rechts auf Wasser mag exemplarisch sein.20 Im Wortlaut des Paktes findet sich dieses Recht nicht ausdrücklich. Der GC verwendet viel Platz darauf nachzuweisen, dass sich dieses Recht aus der allgemein gehaltenen Sicherung des Lebensstandards ergibt und dass die Erwähnung einzelner Grundbedürfnisse wie Gesundheit, Wohnung, Bekleidung und Ernährung nicht abschließend gemeint seien, sondern Regelbeispiele darstellen. Immerhin ist der Zugang zur Trinkwasserversorgung mindestens genauso wichtig wie der zur Basisernährung. Spätere Konventionen wie die Kinderrechtskonvention nehmen Wasserversorgung deshalb auch schon auf. Seit Verabschiedung dieses GC hat es in der internationalen Literatur fast ausschließlich positive Stellungnahmen gegeben. Der GC dürfte mittelfristig Ausgangspunkt für die Erarbeitung von „Guiding Principles“ – Leitlinien –, sodann einer Menschenrechtserklärung zum Recht auf Wasser bis hin zur Erarbeitung einer Spezialkonvention zu einem späteren Zeitpunkt bilden. Ein unabhängiger Experte des Menschenrechtsrates wird vermutlich im nächsten oder übernächsten Jahr dieses Recht fokussieren. Neben „General Comments“ haben aber auch sog. „Committee Statements“ eine definitorische Rolle gespielt. Auf Bitten der Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrates zur Schaffung eines Fakultativprotokolls zum Sozialpakt hat der Ausschuss im Mai 2007 ein Statement verabschiedet, wie der Ausschuss die Ressourcenfrage gemäß Art. 2 (1) im Falle eines Individualverfahrens behandeln würde.21 General Comments können nur zu bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen beschlossen werden; für diese eher hypothetische Frage bot sich deshalb nur die Form einer Erklärung des Ausschusses. Unter Berufung auf den GC Nr. 3 verabschiedete der Ausschuss seine Erklärung und behandelte nacheinander die Frage der „progressiven Verwirklichung“, der „Ressourcenfrage“, die Formulierung „to the maximum of its available resources“ und was passiert, wenn nach Auffassung des Ausschusses ein Mitgliedsstaat seine Verpflichtungen aus den Einzelbestimmungen des Paktes nicht erfüllt. Dabei prüft der Ausschuss die konkrete Maßnahme, die der Vertragsstaat ergriffen hat, seien es legislative oder administrative Maßnahmen. Bei der Frage, ob solche Maßnahmen „angemessen“ („adequate or reasonable“) seien, könne der Ausschuss – so in § 8 – folgende Überlegungen anstellen: a) ob die ergriffenen Maßnahmen zielgerichtet, konkret und beabsichtigt seien, um die Erfüllung der wsk-Rechte sicherzustellen;

20 Vgl. hierzu Eibe Riedel, The Human Right to Water, in: Dicke et al. (Anm. 17), 585– 696; siehe ferner ders./Peter Rothen (ed.), The Human Right to Water, 2006, passim. 21 Statement on Evaluation of the Obligation to Take Steps to the „Maximum of Available Resources“ under an Optional Protocol to the Covenant, 10 May 2007, E/C.12/2007/1.

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b) ob der Vertragsstaat sein Ermessen in nicht-diskriminierender Art und Weise und willkürfrei ausgeübt habe; c) ob die staatliche Entscheidung, Finanzmittel nicht oder in welchem Umfang bereitzustellen, mit den eingegangenen Menschenrechtsverpflichtungen übereinstimmt; d) wo verschiedene Politikoptionen offen stehen, ob der Vertragsstaat diejenige Lösung gewählt hat, die die Menschenrechtsverpflichtungen am wenigsten beschränkt (kurz das Erforderlichkeitskriterium des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach deutschem Verfassungsverständnis); e) der Zeitrahmen, der für die ergriffenen Maßnahmen abgesteckt wird, und f) ob die ergriffenen Maßnahmen die besondere Situation benachteiligter und marginalisierter Individuen und Bevölkerungsgruppen hinreichend berücksichtigt haben und ob schwerwiegende Situationen oder Risiken mitbedacht wurden. In § 10 widmet sich die Erklärung sodann der Frage, welche Auswirkung die Berufung auf Ressourcenknappheit haben würde. Der Ausschuss würde – entsprechend seiner bisherigen Praxis im Berichtsverfahren – auch hier folgende Kriterien berücksichtigen: a) die allgemeine Entwicklungslage des Staates; b) die Schwere der Vertragsverletzung, insbesondere ob Kernverpflichtungen eines Einzelrechtes betroffen seien; c) die wirtschaftliche Lage des Staates, insbesondere, ob der Vertragsstaat eine Periode wirtschaftlicher Rezession durchlaufe; d) andere ernsthafte Ansprüche gegenüber den begrenzten Mitteln des Staates, etwa im Gefolge einer Naturkatastrophe oder aufgrund von Bürgerkriegsoder Kriegsereignissen; e) ob der Staat sich um Niedrigkosten-Optionen bemüht hat; f) ob internationale Hilfe und Kooperation gesucht wurde. Einige Staaten haben vorhandene Hilfsmöglichkeiten schlicht ausgeschlagen, statt dadurch der Bevölkerung Nothilfe zukommen zu lassen. Wenn der Vertragsstaat sich darauf berufe, seine Ressourcenknappheit verhindere eine volle Erfüllung seiner Pflichten, so würde der Ausschuss – wie im Berichtsverfahren erprobt – immerhin vom Staat verlangen, dass er sich für sein Verhalten rechtfertigt und gute Gründe für sein Verhalten aufbietet. Die Beweislast läge beim Mitgliedsstaat.

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Im Rahmen eines solchen Verfahrens meint der Ausschuss – siehe § 13 der Erklärung –, Empfehlungen nach Maßgabe folgender Kategorien geben zu können: a) Vorschlag von Abhilfemaßnahmen, wie etwa Entschädigungszahlungen im Einzelfall; b) Aufforderung an den Mitgliedsstaat, die Ursachen der Menschenrechtsverletzungen durch wirksame Maßnahmen zu beseitigen; c) fallweise Vorschlag eines Bündels von Maßnahmen, um die Ausschussempfehlungen umzusetzen, vor allem durch Maßnahmen mit geringen Kostenfolgen. Stets bliebe es aber im Ermessen des Staates, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden; d) die Empfehlung schließlich eines Folgemechanismus, um die fortlaufende Verantwortlichkeit des Vertragsstaats sicherzustellen. Üblicherweise würde dies bedeuten, dass der Vertragsstaat in seinem nächsten Staatenbericht über die ergriffenen Maßnahmen berichtet und welche Schritte er unternommen hat, um die Verletzung von wsk-Rechten rückgängig zu machen bzw. für die Zukunft zu beseitigen. Der Ausschuss betonte dabei aber besonders, dass jeder Mitgliedstaat einen großen Ermessensspielraum besitze, der allerdings auch nicht unbegrenzt sei. Eine Reihe von Staaten, die bislang einem Fakultativprotokoll zum Sozialpakt kritisch gegenüberstanden, haben daraufhin ihre Skepsis aufgegeben. Nach der Sitzungsperiode im Juli 2007, bei der schon die erste Lesung eines Textentwurfes für das Fakultativprotokoll erfolgte, wurde ein hohes Maß an Übereinstimmung erzielt. Bekanntlich hatte der Sozialpakt-Ausschuss bereits 1996 einen Vertragsentwurf für ein Fakultativprotokoll vorgelegt, zu dem die Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 aufgerufen hatte. Die Hauptargumente für ein solches Protokoll, die auch heute noch ihre Gültigkeit behalten, waren: – die Unteilbarkeit aller Menschenrechte; – keine zweitklassige Behandlung der wsk-Rechte; – größere Publizität und Bewusstwerdung der wsk-Rechte; – auch würde sich allmählich eine Art Fallrecht entwickeln, das bei der Interpretation der Paktrechte von Bedeutung sein könnte; – die bestehenden Durchsetzungsmodalitäten der wsk-Rechte im nationalen Kontext seien sehr langsam und sporadisch; ein Fakultativprotokoll würde zur Fokussierung der Diskussion auf nationaler Ebene führen, wo wskRechte ja primär durchzusetzen seien.

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In der Folgezeit gelang es, wenigstens für die Frauenrechtskonvention ein solches Fakultativprotokoll zu verabschieden, das inzwischen auch in Kraft getreten ist. Allerdings beschränkt sich dieses Verfahren auf Nichtdiskriminierungsfragen und Gleichbehandlungsanliegen. Im Jahre 2003, nach mehreren Expertenanhörungen und Seminaren, die von NGOs, Kroatien, Deutschland, Finnland und Portugal organisiert wurden, beschloss die MRK dann die Einsetzung einer intergouvernementalen Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines Fakultativprotokolls zum Sozialpakt (OP ICESCR), zunächst allerdings nur mit dem Mandat, verschiedene Optionen näher zu untersuchen, einschließlich der Option, keine Option zu eröffnen.22 Die Arbeitsgruppe, bei der von Anbeginn zwischen 80 und 100 Staatenvertreter anwesend waren – womit zunächst niemand gerechnet hatte –, hat inzwischen vier jährliche Arbeitssitzungen von je 14 Tagen absolviert und dabei sämtliche strittigen Fragen, zum Teil wiederholt, erörtert. Im Juli 2007 schließlich lag der Arbeitsgruppe ein Entwurf eines Vertragtextes vor und wider Erwarten konnte in dieser Zeit eine erste Lesung abgeschlossen werden.23 Eine 2. und 3. Lesung fand im Frühjahr 2008 (im Februar und April) statt, die den Abschluss der Verhandlungen der Arbeitsgruppe bedeuteten, da ein Vertragsentwurf im Konsensverfahren verabschiedet werden konnte, dem allerdings eine Reihe von Erklärungen seitens einzelner Regierungsvertreter beigegeben wurde.24 Dieser Vertragsentwurf wird jetzt an den Menschenrechtsrat weitergeleitet und vermutlich im Juni 2008 dort behandelt. Danach ist mit einer weiteren Befassung im Dritten Ausschuss der Generalversammlung zu rechnen. Es zeichnet sich eine deutliche Mehrheit für einen „comprehensive approach“ ab, wonach sämtlich Rechte dem Verfahren zugänglich gemacht werden sollen, statt nur eines „à la carte“ oder „Smørgasbord“-Ansatzes, der bei der Europäischen Sozialcharta (ESCh) gewählt worden war. Dort hatte man erwartet, dass die Staaten, welche zunächst nur einige ESCh-Verpflichtungen übernommen hatten, deren Umsetzung keine Schwierigkeiten bereiten würde, im Laufe der Zeit weitere Charta-Verpflichtungen für sich akzeptieren würden. Genau das ist aber nicht erfolgt. Die Staaten haben stets nur den minimalistischen Ansatz verfolgt, eine volle 22

Resolution 2003/18 der Menschenrechtskommission vom 22. April 2003, nachdem vorher ein unabhängiger Experte eingesetzt worden war, der 2002 und 2003 berichtete; vgl. E/CN.4/2003/53. 23 Vgl. dazu Revised Draft Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, A/HRC/WG.4/2 vom 24. Dezember 2007. 24 Vgl. dazu A/HRC/8/7, Annex, vom 28. April 2008; siehe auch den vorletzten Entwurf vom März 2008, A/HRC/8/WG.4/2/Rev.1, in dem die zu diskutierenden Fragen noch enthalten waren.

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Akzeptanz der wsk-Rechte im regionalen Kontext jedoch abgelehnt. Es ist durchaus damit zu rechnen, dass auf universeller Ebene ähnlich verfahren werden würde. Deshalb hat sich dieser Ansatz in der Arbeitsgruppe trotz entsprechender Versuche einiger, vor allem westlicher Staaten nicht durchgesetzt. In diesem Falle wäre eine Vorbehaltsregelung natürlich sinnlos. Überhaupt muss gefragt werden, ob Vorbehalte bei Menschenrechtsinstrumenten nicht äußerst restriktiv gehandhabt werden sollten, da sie eigentlich immer „object and propose“, den Wesenskern des Abkommens betreffen. Vor die Wahl gestellt, eine „opt in/opt out“ oder „à la carte“-Selektion von Paktrechten zu akzeptieren oder generell bestimmte Vorbehalte zuzulassen, würde ich aufgrund der Negativerfahrungen im Regionalvölkerrecht für das Fakultativprotokoll die Vorbehaltslösung vorziehen, vor allem, weil in jedem Staatenberichtsverfahren die Staaten aufgefordert werden können, ihre Vorbehalte zurückzuziehen, was die Staaten in der Vergangenheit mehrfach getan haben. Der Entwurfstext vom April 2008 hat sich dafür entschieden, keine Bestimmung über Vorbehalte vorzusehen. Damit gelten die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze über die Zulässigkeit von Vorbehalten. Die zwischenzeitliche Abschaffung der MRK und Ersetzung durch den Menschenrechtsrat (HRC) hatte zunächst eine retardierende Wirkung: Man wollte abwarten, wie der neue Rat seine Aufgaben definieren würde und ob nicht zwischenzeitlich eine umfassende Neuordnung der Vertragsgremien durch eine mögliche Zusammenlegung aller Vertragsorgane erfolgen sollte. Die Arbeitsgruppe bestand aber darauf, ihre Untersuchung schnellstmöglich abzuschließen, da die Frage der Einrichtung eines Individualverfahrens in jedem Falle zu entscheiden wäre, ganz egal für welches Reformmodell man sich entscheiden würde. Ich selber würde eine Zusammenlegung der Individualverfahren nach der „Universal Bill of Rights“ propagieren und die Staatenberichtsverfahren als separate Verfahren weiterlaufen lassen.25 Nach einiger Zeit könnten dann sämtliche Individualverfahren in einem besonderen Ausschuss zusammengezogen werden, wobei eine Professionalisierung der Ausschussmitglieder unerlässlich wäre. Gegenwärtig hat aber der Widerstand vor allem von Mitgliedern der verschiedenen bestehenden Vertragsausschüsse dazu geführt, dass lediglich eine Modifizierung des Berichtssystems vorgenommen wird. Die Staaten sollen danach ein ständig zu revidierendes gemeinsames Kerndokument (common core document) abliefern, das die für sämtliche Vertragsorgane relevanten gemeinsamen Parameter vor die Klammer zieht, ehe für jeden Vertragsausschuss die besonderen Vertragspflichten darzulegen sind. Auf diese Weise kann möglicherweise eine zu häufige Wiederholung der Fragen, die bereits in anderen Ausschüssen gestellt wurden, vermieden werden. Ich bin aber 25 Vgl. Peter Rothen/Eibe Riedel/Jane Connors, UN Treaty Body Reform, Berlin Workshop 2007, Report, 2008 (im Druck).

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äußerst skeptisch, ob das gelingen wird. Im Sozialpakt-Ausschuss wurde mehrfach vor Beginn des Staatendialoges verabredet, solche Fragen, die schon in extenso etwa im Menschenrechtsausschuss oder im Frauenrechtsausschuss abgehandelt worden waren, nicht erneut aufzugreifen. Nur leider halten sich manche Mitglieder nicht daran. Natürlich sind fortbestehende massive Menschenrechtsverletzungen Grund genug, auch nach relativ kurzer Zeit erneut kritische Fragen an den Vertragsstaat zu richten. Der Mehrwert gegenüber dem bisherigen System dürfte m.E. aber relativ gering sein. Allerdings könnten harmonisierte Richtlinien für die Erstellung von Staatenberichten gewisse Verbesserungen im System bewirken. Auf diese Frage kann ich hier nicht näher eingehen. Nimmt man alle Reformversuche zusammen, so lässt sich behaupten, dass seit der Errichtung des neuen Menschenrechtsrates die Reformbereitschaft generell zugenommen hat und dass vor allem die viele Jahre stiefmütterliche Behandlung der wsk-Rechte ein Ende hat. Ich rechne damit, dass zur 60-Jahr-Feier der Universellen Menschenrechtserklärung im Dezember 2008 ein Vertragsentwurf von der Generalversammlung angenommen werden könnte, wenn nicht noch unvorhergesehene Ereignisse dazwischen kommen. Da dieses Protokoll in jedem Falle fakultativ wäre, ist mit der Annahme des Textes noch im Jahre 2008 durchaus zu rechnen. Der Entwurf müsste dann im Mai/Juni 2008 im Menschenrechtsrat und im Sommer/Herbst 2008 im 3. Ausschuss der Generalversammlung behandelt werden. Wenn es dort keine großen Widerstände gibt, könnte in der Tat das Abkommen im Dezember 2008 verabschiedet werden. Symbolische Daten wie die 60-Jahr-Feier der UMRE sind dabei erfahrungsgemäß gute Zusatzargumente. Bis zum In-Kraft-Treten eines solchen Abkommens nach der Hinterlegung der 10. Ratifikationsurkunde dürfte aber einige Zeit vergehen. Abschließend möchte ich noch einige wenige Anmerkungen zum Inhalt des Entwurfs eines Fakultativprotokolls (OP) machen. Der im April 2007 verteilte Entwurf der Arbeitsgruppe über ein Fakultativprotokoll (WG OP)26 folgt im Aufbau und Inhalt wesentlich dem Muster des Fakultativprotokolls zur Frauenrechtskonvention (OP CEDAW). Es gibt also für viele prozedurale Schritte Präzedenzfälle; in der UN-Sprache heißt das „agreed language“, was langwierige Formulierungsdebatten weitgehend überflüssig macht. Es sind im Wesentlichen vier strittige inhaltliche Fragen, für die eine Lösung gefunden werden muss: (1) Die Staatenvertreter legen großen Wert auf die Feststellung, dass „policy choices“, Auswahl der Politiken, die von nationalen Parlamenten im demokratischen Prozess erarbeitet wurden, vom Ausschuss nicht infrage gestellt würden. 26

A/HRC/6/WG.4/2.

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Aus der Praxis der Staatenberichtsverfahren ergibt sich aber unzweifelhaft, dass der „margin of discretion“, der staatliche Beurteilungsspielraum, sein Ermessen, in keiner Weise abbedungen würde. Um ein Beispiel beim Recht auf Wasser zu nennen: Ob der Staat bei der Wasserversorgung staatliche, gemischte („public private partnerships“ (PPPs)) oder private Netzwerke gesetzlich präferiert, wäre niemals Gegenstand der Ausschussüberprüfung. Lediglich die Frage, ob im Rahmen der gewählten Option die Rechte der betreffenden Bevölkerung adäquat berücksichtigt werden, könnte vom Ausschuss erfragt werden. Im Falle privatwirtschaftlicher Organisation hätte der Vertragsstaat allerdings nachzuweisen, dass er seinen Schutzpflichten gegenüber seinen Bürgern hinreichend nachkommt. (2) Die Frage der Ressourcenabhängigkeit von wsk-Rechten spielte in jeder Sitzung der Arbeitsgruppe eine Rolle. Einige, vor allem westliche Staaten der Common Law-Tradition, blieben hier skeptisch. Das oben dargestellte Verfahren des Ausschusses in seinem Statement zur Ressourcenabhängigkeit hat nach meinem Eindruck aber dazu geführt, dass die Hauptwiderstände durchbrochen sind. (3) Einige Staaten befürchten nach wie vor, dass bei Annahme eines Fakultativprotokolls praktisch eine actio popularis eingeführt würde. Das Beispiel des EGMR wurde ausdrücklich genannt. Alle Erfahrungen mit den bislang bestehenden Protokollen widerlegen diese Vermutung jedoch. Die allermeisten Verfahren enden schon in der Zulässigkeitsfrage. So hat der MRA bislang nur ca. 500 „Views“ behandelt. Beim Sozialpakt dürfte diese Zahl – zumindest in den ersten Dezennien – ähnlich klein ausfallen. (4) Immer wieder musste schließlich darauf hingewiesen werden, dass der Ausschuss in einem quasi-judiziären Kommunikationsverfahren kein Urteil, keine Entscheidung im judiziären Sinne verabschiedet, sondern „Views“ als Empfehlungen und Anregungen formuliert, die es dem Staat überlassen, auf welche Art und Weise die Paktverpflichtungen, deren Verletzung gerügt wurde, eingehalten werden. Über die Art und Weise der Durchsetzung der Paktverpflichtungen hält sich der Ausschuss – wie alle seine Parallelgremien – sehr zurück. Auch hier ist dem Vertragsstaat ein breiter Ermessensspielraum eingeräumt. Im Einzelnen enthält der inzwischen von der Arbeitsgruppe verabschiedete Entwurf des Fakultativprotokolls die üblichen prozeduralen Bestimmungen, wie sie auch schon im Fakultativprotokoll zum Zivilpakt und im Zusatzprotokoll zur Frauenrechtskonvention enthalten sind. Strenge Zulässigkeitskriterien spielten in den ersten Beratungsrunden eine große Rolle, da zahlreiche Staaten mit einer Flut von Beschwerden – „Communications“ – rechneten. Im Ergebnis übernahm man deshalb die entsprechenden Bestimmungen der anderen Ausschüsse nahezu unverändert.

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Breiten Raum nahm die Überprüfung der Frage in Anspruch, ob neben Individualverfahren auch Gruppenverfahren zulässig sein sollten. Der Ausschuss hatte in seinem Entwurf von 1996 noch dagegen argumentiert, unter Hinweis darauf, dass dann möglicherweise wie im europäischen Kontext nur ein kollektives Verfahren übrigbleiben könnte, das in der Praxis wenig erfolgreich war. Das Verfahren nach der Europäischen Sozialcharta hatte sich bekanntlich ganz am ILO-Modell ausgerichtet, wo ja nur Gruppenvertreter repräsentiert sind (je ein Drittel Vertreter der Regierungen, der Arbeitnehmervertreter und der Arbeitgebervertreter). Individuen haben danach keinerlei Möglichkeit, ihre Menschenrechtsanliegen vorzutragen, es sei denn, einer der Gruppenvertreter übernähme dieses Anliegen als seines. Die Arbeitsgruppe verzichtete jedoch auf ein Kollektivverfahren, auch um Überschneidungen mit Verfahren der ILO zu vermeiden, wenngleich das nicht zwingend war. Die Notwendigkeit, einstweilige Anordnungen – „Interim Measures“ – vorzusehen (§ 5), wurde erstaunlicherweise ohne viel Diskussion akzeptiert. Hier könnte auf Verletzerstaaten erheblicher zusätzlicher Druck entstehen. Der Ausschuss hat in seinem Staatenberichtsverfahren gelegentlich eine Art von „Interim Measures“ eingefordert, so etwa gegenüber Israel bezüglich der besetzten Palästinagebiete. Statt den Vertragsstaat erst wieder nach fünf Jahren, dem üblichen Zyklus der Berichterstattung, vor sich zu zitieren, wurde diese Berichtfrist auf zwei Jahre verkürzt, um der Dringlichkeit der Angelegenheit Nachdruck zu verleihen. Auf diesem prozeduralen Wege ist also eine Art Interimberichterstattung eingefordert worden, woran sich Israel trotz großem Protest letztlich gehalten hat. Bei dem Streit ging es um die Frage, ob Israel überhaupt verpflichtet sei, über Gebiete jenseits der sog. „Green Line“, die nicht annektiert seien, vor dem Sozialpaktausschuss zu berichten. Der Ausschuss stellte sich auf den Standpunkt – der im Übrigen von allen anderen Vertragsorganen geteilt wurde –, dass Israel als Besatzungsmacht solange für die besetzten Gebiete (OPTs) mitverantwortlich sei, wie ein palästinensischer Staat nicht existiert und solange Israel de facto eine Kontrolle über die OPTs ausübt. Israel als Vertragsstaat des Sozialpakts müsse sich deshalb Menschenrechtsverletzungen in den Palästinensergebieten zurechnen lassen, soweit der israelische Staat Kontrollfunktionen über das Gebiet ausübte. Dies gelte sogar für diejenigen Territorien, in denen der palästinensischen Regierung Autonomierechte eingeräumt sind, sofern Übergänge von verschiedenen Zonen betroffen seien – etwa Krankenhaustransporte aus Autonomiegebieten in andere Zonen. Der Staat Israel lehnte diese Auffassung des Ausschusses vehement ab und meinte, dass es dabei um Fragen von Frieden und Sicherheit gehe, um Fragen des humanitären Völkerrechts, die allesamt außerhalb der Zuständigkeit der Menschenrechtsvertragsorgane lägen. Wie alle anderen Ausschüsse und wie auch der Rechtsberater des UN-Generalsekretärs bestätigten, wird diese Auffassung Israels von

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niemandem geteilt. In dem Fakultativprotokoll zum Sozialpakt werden InterimMaßnahmen deshalb sicher eine gewisse Bedeutung erlangen. Die Ausschussarbeit würde dadurch vermutlich gestärkt werden. Breiten Raum nahm auch die Diskussion über die Erschöpfung des nationalen und eventuell auch des regionalen Rechtsweges, soweit vorhanden, und die Suche nach gütlicher Einigung in Anspruch. Immerhin wurde erörtert, dass dadurch eine überlange Verfahrensdauer zu befürchten wäre, zumal in solchen Fällen, in denen die Garantien des Sozialpakts weiterreichen als diejenigen im regionalen Kontext. Eine Mehrheit der Äußerungen dazu legte nahe, dass man diese Frage den Verfahrensregeln des Ausschusses überlassen sollte, statt eine rigide Regelung im Fakultativprotokoll vorzusehen. Die Frage, ob Staatenbeschwerden möglich sein sollten, stieß auf wenig Gegenliebe, da dies zu einer Politisierung des Verfahrens führen könnte, blieb aber aus Gleichbehandlungsgründen im Textentwurf, obgleich es bekanntlich im Fakultativverfahren nach dem Zivilpakt bis heute keinen einzigen solchen Fall gegeben hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Krähe keiner anderen ins Auge pickt, ist bei diesem Verfahren sehr groß. Selbst im EMRK-System gibt es nur wenige Beispielsfälle – dann allerdings mit großer Brisanz (etwa Türkei, Griechenland unter den Obristen, Zypernfrage). Im Entwurfstext ist dieses Verfahren einstweilen beibehalten worden, auch weil am Schluss im Wege des Konsenses vereinbart wurde, dass das Fakultativprotokoll sich nicht auf Teil I, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, beziehen solle. Man befürchtete, dass sonst eine halbe Hundertschaft an Staaten allein aus diesem Grunde dem Fakultativprotokoll nicht beitreten würde. Diese Frage wird vermutlich im weiteren Verhandlungsablauf noch einmal erörtert werden. Zustimmung fand hingegen die Einbeziehung eines Anhörungsverfahrens – „Inquiry Procedure“ – mit Länderbesuchen (on site-visits) und der Möglichkeit, „Follow Ups“ – Folgemaßnahmen – zu ergreifen (Art. 10 und 11). Größter Streitpunkt blieben bis zuletzt die Artikel 13 und 14 des Entwurfs, wonach die Modalitäten internationaler Kooperation und technischer Hilfe angesprochen wurden, die eigentlich nur auf das Staatenberichtsverfahren passen, von der afrikanischen Staatengruppe aber als essentiell eingestuft wurden. Auch Art. 14, der die Einrichtung eines „Voluntary Fund“ vorsieht, eines Unterstützungsfonds für notleidende Staaten, die konkrete Abhilfe bei Paktverletzungen nicht leisten können, war sehr umstritten. Gegner argumentieren mit einigem Recht, dass sich Verletzerstaaten dadurch aus ihrer Verantwortung stehlen könnten. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass eine solche Taktik dem Ausschuss nicht entgehen würde. Die neuen Mehrheiten im UN-Menschenrechtsrat (westeuropäische und andere Gruppen: 7, Osteuropa: 6; Gruppe der lateinamerikanischen und karibischen Länder: 8; Afrika: 13;

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Asien: 13) lassen hier noch schwierige Verhandlungen erwarten. Auch das neue „Universal Periodic Review“-Verfahren des Menschenrechtsrates sieht die Einrichtung eines „Voluntary Fund“ vor. Ob sich allerdings genügend freiwillige Beitragsleister dafür finden lassen werden, erscheint einstweilen höchst fraglich. Die Entwicklungsländer lassen aber insoweit keine Gelegenheit aus, zusätzliche finanzielle Unterstützung und technische Hilfe von den entwickelten Staaten einzufordern, und machen zunehmend – vor dem Hintergrund ihrer neuen Mehrheiten – ihre Zustimmung zu gewünschten Kompromisslösungen von entsprechenden Zusagen abhängig. Breiteren Raum nahm auch die Frage möglicher Vorbehalte (Art. 21 des Entwurfs) in den Verhandlungsrunden im Jahre 2006 und 2007 ein. Im Entwurf war lapidar formuliert, dass Vorbehalte generell unzulässig sein sollten. Diese Frage wurde aber erst ganz zum Schluss entschieden, als über den „comprehensive approach“ oder über „à la carte“-Lösungen zu entscheiden war. Beim „comprehensive approach“ werden sämtliche Paktrechte einbezogen, beim „à la carte“Modell können einzelne Rechte durch „opt in“- oder „opt out“-Erklärungen ausgewählt werden, denen sich der Vertragsstaat unterwirft. Letzteres Modell in Kombination mit der Vorbehaltslösung würde allerdings zu einem „Overkill“ führen und erscheint deshalb unsinnig. Wie schon ausgeführt, würde ich den „comprehensive approach“ mit begrenzten Vorbehaltslösungen präferieren, möglicherweise mit der Einschränkung, dass solche Vorbehalte nur für fünf bis zehn Jahre gelten, um eine Anpassung der innerstaatlichen Regelungen ohne Zeitdruck zu ermöglichen. Doch bestanden hier keine unüberwindlichen Widerstände der Staaten, die sich dazu in der Arbeitsgruppe geäußert hatten. In der Abschlusssitzung im April 2008 wurde dann als Kompromiss entschieden, dass keine Vorbehaltsklausel vorgesehen werden sollte. Da am Ende ein – bis auf die Herausnahme des Teils I – umfassender Anwendungsbereich aller in Teil II und III enthaltenen Paktrechte im Konsens beschlossen wurde, wird die Vorbehaltsfrage vermutlich keine zentrale Rolle spielen. Die Tatsache, dass Kritiker und skeptische Staaten ja ohnehin Interpretationserklärungen abgegeben haben, die sie bei einer möglichen Ratifikation wiederholen könnten, entschärft diese Problematik ein wenig. Am Ende des Tages kann immer darauf verwiesen werden, dass es den Staaten freisteht, ob sie das Fakultativprotokoll letztlich für sich akzeptieren oder nicht. Es ist ein Fakultativprotokoll, ohne Obligatorium, also rein optional, und sollte deshalb auch vom umfassenden Anwendungsbereich der Sozialpaktgarantien ausgehen. Die Bundesregierung hat zuletzt in allen diesen Fragen vorsichtige Zustimmung signalisiert. Das federführende Arbeitsministerium hat seinen jahrelangen Widerstand dem Vernehmen nach inzwischen aufgegeben. Ich bin deshalb insgesamt auch optimistisch, dass es bald zur Verabschiedung eines Fakultativprotokolls zum

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Sozialpakt kommen wird. Ob allerdings die Bundesrepublik zu den frühen Zeichnern eines solchen Abkommens gehören wird, bleibt abzuwarten. Ein solches Verfahren ist aber 60 Jahre nach der Verabschiedung der Universellen Menschenrechtserklärung mehr als überfällig.

Globaler Handel und kulturelle Vielfalt – WTO gegen UNESCO? Von Meinhard Hilf*

A. „WTO und“-Themen haben Konjunktur Der auf der „Seebühne“ des WTO-Sitzes in Genf vorgesehene Spielplan ist eng besetzt: Da steht u.a. WTO und Umwelt, WTO und Entwicklung, WTO und Menschenrechte, WTO und Gesundheit, WTO und Wettbewerb oder auch nunmehr WTO und Klimaschutz. Hinzu kommt das kürzlich fertig gewordene Stück „WTO und kulturelle Vielfalt“.1 Wie kann in Zeiten weltumspannender Kommunikations-, Informations- und Unterhaltungsindustrien eine nationale Kulturpolitik möglich bleiben und geschützt werden? Sind die Beibehaltung eigener kultureller Traditionen und die stetige Fortentwicklung des internationalen Han* Der Verfasser möchte seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Anna Bodemann für die Unterstützung danken. 1 Siehe z.B. T. Voon, UNESCO and the WTO: A Clash of Cultures?, International and Comparative Law Quarterly 55 (2006), 635–652; M. Hahn, A Clash of Cultures? The UNESCO Diversity Convention and International Trade Law, Journal of International Economic Law (JIEL) 9 (2006), 515–552; C. Graber, The New UNESCO Convention on Cultural Diversity: A Counterbalance to the WTO?, JIEL 9 (2006), 553–574; V. MetzeMangold, Zwischen Welthandel und kultureller Vielfalt – Welchen Spielraum lassen WTO und UNESCO für die Regulierung der audiovisuellen Medien?, Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie an der Universität zu Köln, Heft 212 (2006); T. Broude, Taking „Trade and Culture“ Seriously: Geographical Indications and Cultural Protection in WTO Law, University of Pennsylvania Journal of International Economic Law (U. Pa. J. Int’l Econ. L.) 26 (2005), 623–692; F. Theune, § 35. WTO und Kultur, in: M. Hilf/S. Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, 2005, 665–679; M. Krajewski, Auswirkungen des GATS auf Instrumente der Kulturpolitik und Kulturförderung in Deutschland, Rechtsgutachten erstellt im Auftrag der Deutschen UNESCO-Kommission, 2005, abgerufen am 31.7.2007 unter http:// www.unesco.de/c_arbeitsgebiete/kkv_gutachten.pdf.; I. Bernier, Die Schlacht um die kulturelle Vielfalt, Société Suisse des Auteurs, Sonderdruck, 2004, 1–6; C. Graber, Handel und Kultur im Audiovisionsrecht der WTO, 2003; K. Kish, Protectionism to Promote Culture: South Korea and Japan, A Case Study, U. Pa. J. Int’l Econ. L. 22 (2001), 153–184; M. Footer/C. Graber, Trade Liberalisation and Cultural Policy, JIEL 3 (2000), 115–144.

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dels mit Kulturgütern, der den heimischen Markt mit Zeugnissen anderer Kulturen überschwemmt, miteinander vereinbar? Der volle Spielplan der WTO, in dem eigentlich alle Problemstücke zunehmend nachgefragt sind, ohne dass sie aufgrund einer Verständigung aller WTO-Mitglieder vom Spielplan abgesetzt werden könnten, ist zurzeit sicherlich nicht nur dem G8-Gipfel in Heiligendamm vom Juni 2007 geschuldet. Nach der überraschenden Inkraftsetzung des WTO-Gründungsübereinkommens zum 1. Januar 1995 mit seinen umfassenden Zuständigkeiten für Handel, Dienstleistungen und geistiges Eigentum sind zunehmend Themen in den Vordergrund gerückt, für die die WTO eigentlich keine unmittelbare Zuständigkeit besitzt. Das weltumspannende Aufgabengebiet der WTO berührt alle eingangs genannten übrigen Bereiche, allerdings zumeist nur mit sporadischen Hinweisen in den Gründungstexten. Größere Änderungen im Spielplan sind nicht abzusehen. Die Doha-Runde mit ihren verschiedenen Ideen und Vorschlägen kommt kaum von der Stelle.2 Die WTO verfolgt strikt das Konsensus-Prinzip und weist damit einen ausgesprochen hinkenden Status auf: Rechtsetzungskompetenzen und Aufgaben sind begrenzt, im Gegensatz zu den landläufigen Befürchtungen, die WTO könne einen radikalen und einseitigen Liberalisierungsdruck auslösen.3 Das Konsensus-Prinzip verhindert generell eine vorsorgliche Befassung mit den auf dem Spielplan angekündigten Problemstücken. So hat etwa der WTO-interne Ausschuss „WTO und Umwelt“ hat noch keine nennbaren Ergebnisse erbracht.4 Im Gegensatz dazu kommt das parallel ablaufende Streitbeilegungsverfahren, das für alle 151 WTO-Mitglieder obligatorisch ist, zu bindenden und zwingenden Ergebnissen. Infolge des bei der Streitbeilegung geltenden Grundsatzes des negativen Konsenses kann die Nichtbefolgung von dort erzielten Ergebnissen sogar sanktioniert werden.5 Die Europäische Union ist bereits daran gewöhnt, in einer gerichtlich abgesicherten Rechtsgemeinschaft zu leben, doch ist es z.B. für die Vereinigten Staaten noch rätselhaft, warum sie sich selbst dem Streitbeilegungsmechanismus unterworfen haben, da sie mit ansehen müssen, wie sie ein Verfahren nach dem anderen vor der WTO verlieren. Freilich hat auch China als neues WTO-Mitglied, welches sonst zu keinen internationalen Streitbeilegungsverfahren 2

S. Hörmann, § 36. Post-Uruguay-Prozess, in: Hilf/Oeter (Anm. 1), 693. Siehe die Darstellung bei P. van den Bossche, The Law and Policy of the WTO, 2005, 11–35. 4 S. Puth, § 30. WTO und Umwelt, in: Hilf/Oeter (Anm. 1), 586; M. Hilf, Freiheit des Welthandels contra Umweltschutz, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 19 (2000), 481– 490 (489). 5 S. Ohlhoff, C.I.2. Die Streitbeilegung in der WTO, in: H.-J. Prieß/G. Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, 2003, Rn. 117 ff. 3

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bereit ist, im Falle der WTO das obligatorische Verfahren akzeptiert. Zusammenfassend lässt sich folglich das WTO-System charakterisieren als effektiv in der Rechtskontrolle, aber fast unbeweglich in der Rechtssetzung und -steuerung: also eine Organisation mit hinkendem Status. Die Praxis zeigt immer deutlicher, dass die umfassende internationale Regelung des Wirtschaftsverkehrs zunehmend Auswirkungen auf Rechtsbereiche hat, die in den WTO-Übereinkommen kaum angesprochen werden. Diese „osmotischen Rechtsbeziehungen“6 verändern den Spielplan der WTO: Im Rahmen des Stücks „WTO und Menschenrechte“ sei an den Fall erinnert, dass der US-Bundesstaat Massachusetts ausländischen Firmen die Beteiligung an öffentlichen Auftragsverfahren verweigerte, sofern sich diese an Ausschreibungen für öffentliche Aufträge in Burma beteiligt hatten, solange in Burma ein menschenrechtsverachtendes Regime herrschte.7 Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen ist sicher Gegenstand eines plurilateralen Sonderabkommens im Rahmen der WTO. Menschenrechte werden aber als Sekundärzwecke nicht erwähnt. Ein anderer Fall betrifft die Stadt München, die sich in ihren Ausschreibungsbedingungen gegen ausbeuterische Kinderarbeit wenden wollte.8 Bekannt sind beim Thema „WTO und Gesundheit“ die schmerzhaften Entscheidungen der Streitbeilegungsinstanzen der WTO zu den gentechnisch veränderten bzw. hormonbehandelten Lebensmitteln.9 „WTO und nachhaltige Entwicklung“ und „WTO und die Auswirkungen auf das nationale Arbeits- und Sozialrecht“ werden ebenso in den Fokus gerückt wie nunmehr der Konflikt zwischen „WTO und kultureller Vielfalt“. Die kulturelle Vielfalt ist in der noch nicht in Kraft getretenen Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Art. 22 verankert und in Art. 151 I EGV ebenfalls genannt. Die kulturelle Vielfalt ist zurzeit gefährdet durch die weltweit agierenden multinationalen Kulturkonzerne, die sich auf die Liberalisierung der Handels- und Kommunikationsströme stützen und sich durch die immer neuen technischen Möglichkeiten nahezu jeder nationalen Kontrolle entziehen können. Die Globalisierung macht vor der Kultur keinen Halt.10 6

M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 6. Auflage 2007, § 9, Rn. 126. US – Measure Affecting Government Procurement, Constitution of the Panel Established at the Request of the European Communities and Japan, Communication from the DSB Chairman, WT/DS88/4 und WT/DS95/4 vom 11.1.1999, Panelverfahren am 10.2.1999 auf Betreiben der Parteien ausgesetzt. 8 Hierzu J.-C. Gaedtke, Politische Auftragsvergabe und Welthandelsrecht, 2006, 99 ff., 114, 187 und 206 sowie 179 ff. 9 Siehe T. Makatsch, Gesundheitsschutz im Recht der Welthandelsorganisation (WTO), 2004. 10 Siehe z.B. S. Oeter, Rundfunkregulierung im Zeitalter der Globalisierung – Was bleibt für die Länder?, Referat für die 48. Bitburger Gespräche (2007), in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2007/I, 95-106. 7

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Diese Reihe von Konfliktthemen für die WTO könnte mühelos verlängert werden. Überall treten Spannungen auf zwischen international vereinbarten handelspolitischen Regelungen, die auf Liberalisierung und Austausch ausgerichtet sind, und den weiterhin national geregelten anderen Bereichen mit legitimen Regulierungsbedürfnissen, die zudem auf nationaler Ebene demokratisch gesteuert und beeinflusst werden. Im Scheinwerferlicht der Bühne leuchten darum „WTO und Demokratie“ und „WTO und allgemeines Völkerrecht“; auch die „WTO als ein in sich geschlossenes self-contained regime“ tritt auf. Es werden Diskussionslinien zur Fragmentierung des Völkerrechts sichtbar, wenn miteinander zusammenhängende Rechtsbereiche in die rechtsetzende Verantwortlichkeit verschiedener völkerrechtlicher Einheiten fallen.11 Auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm sind zwangsläufig einige dieser „WTO und …“ Themen berührt worden, obgleich wahrscheinlich häufiger draußen auf der „grünen Wiese“ als drinnen am gedeckten und beladenen Konferenztisch. Die kulturelle Vielfalt könnte am Rande zur Sprache gekommen sein im Zusammenhang mit Überlegungen zu Fortschritten für Entwicklungsländer und die weitere Öffnung der Dienstleistungsmärkte, auf denen die Vereinigten Staaten eine dominierende Rolle spielen. Die Kernfrage lautet in diesem Zusammenhang, ob man kulturelle Fragen grundsätzlich vom Wirtschaftsrecht trennen sollte, im Sinne einer „exception culturelle“, die vor allem Frankreich bis zuletzt 1993 für das damals gesamte GATT erfolglos gefordert hatte.12 Oder ist ein integrierter Lösungsansatz möglich und erstrebenswert? Kultur zeichnet sich durch eine Doppelnatur aus. Sie ist nicht nur Zeugnis eigener Traditionen und Geschichte, sondern zugleich auch ein bestimmendes Wirtschaftsgut,13 das z.B. – zusammen mit der Luftfahrtindustrie – an der Spitze der amerikanischen Außenwirtschaftsbilanz zu finden ist.14 Diese Zwitterstellung der Kultur ist bislang völkerrechtlich noch wenig erschlossen. Im WTO-System finden sich kaum normative Anknüpfungspunkte. Neue Impulse im Ringen um 11 Siehe dazu z.B. P. Lamy, The Place of the WTO and its Law in the International Legal Order, European Journal of International Law (EJIL) 17 (2006), 969–984; E. Vranes, Jurisdiction and Applicable Law in WTO Dispute Settlement, German Yearbook of International Law 48 (2005), 265–289. 12 Siehe dazu J.-M. Baer, L’exception culturelle, En Temps Réel 11 (2003), abgerufen am 31.7.2007 unter http://en.temps.reel.free.fr/Cahier11.pdf; C. Graber, Exception culturelle. Une revendication dépassée, Courrier de la Planète 55 (2000), 46–47; J. Prowda, US Dominance in the „Marketplace of Culture“ and the French „Cultural Exception“, New York University Journal of International Law and Politics 29 (1996/1997), 193–210. 13 Siehe z.B. S. von Schorlemer, Kulturpolitik im Völkerrecht verankert, Vereinte Nationen 53 (2005), 217 (222). 14 Graber, Handel und Kultur (Anm. 1), 36 ff.

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den Schutz der kulturellen Vielfalt einerseits und einen möglichst freien Welthandel auch mit Kulturerzeugnissen andererseits könnte das am 20. Oktober 2005 im Rahmen der UNESCO verabschiedete und am 18. März 2007 in Kraft getretene „Übereinkommen über den Schutz und die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ geben.15 Bevor allerdings näher auf diese Konvention eingegangen werden kann, muss die Bühne der WTO auf ihre Standsicherheit und daraufhin überprüft werden, inwieweit die WTO von sich aus für Bereiche der Kultur zuständig ist oder sich mit dem für die Kultur geschaffenen Schutzbereich berührt. Wo könnten folglich Konfliktfelder mit dem neuen UNESCO-Übereinkommen liegen?

B. WTO und Kultur im GATT- und im GATS-Übereinkommen I. Normative Anknüpfungspunkte Im Rahmen der WTO werden der Begriff der Kultur und die Forderungen nach Schutz und spezieller Förderung der Kultur nicht erwähnt. Im GATT-Übereinkommen zum Warenverkehr finden sich nur ansatzweise spezielle Regelungen zum Handel mit Kulturgütern. Auch der Katalog mit Ausnahmen in Art. XX 15 Siehe z.B. R. Neuwirth, „United in Divergency“: A Commentary on the UNESCO Convention on the Protection and Promotion of the Diversity of Cultural Expressions, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 66 (2006), 819–862; Graber, The New UNESCO Convention (Anm.1); Hahn (Anm. 1); von Schorlemer (Anm. 13); J. Pauwelyn, The UNESCO Convention on Cultural Diversity, and the WTO: Diversity in International Law-Making?, ASIL Insight vom 15. November 2005, abgerufen am 31.7.2007 unter http://www.asil.org/insights/2005/11/insights051115.html; T. Broude, Comment: Cultural Diversity and the WTO: A Diverse Relationship, ASIL Insight vom 21. November 2005, abgerufen am 31.7.2007 unter http://www.asil.org/ insights/2005/11/insightcomment 051121_000.html; Zwischenbericht der Arbeitsgruppe des Deutschen Bundestages und der Assemblée Nationale zum Thema kulturelle Vielfalt in Europa vom 14. Februar 2007, 8–15, abgerufen am 31.7.2007 unter http://www.unesco.de/fileadmin/medien/Dokumente/Kultur/ Fachkonferenz/ diversite_rapport_etape_allemand-1.pdf; Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.), Übereinkommen über Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen – Magna Charta der Internationalen Kulturpolitik, 2006, abgerufen am 31.7.2007 unter http://www.unesco.de/fileadmin/medien/Dokumente/Kultur/Fachkonferenz/Broschuere_ Uebereinkommen_kulturelle_Vielfalt.pdf; V. Metze-Mangold, Internationale Kulturpolitik in Zeiten der Globalisierung, unesco heute online 12 (2005), abgerufen am 31.7.2007 unter www.unesco-heute.de/1205/lissabon-rede.htm; A. Brouder, The UNESCO Convention on Cultural Diversity: Treacherous Treaty or Compassionate Compact?, Policy Papers on Transnational Law 18 (2005), 1–7.

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GATT spricht nicht allgemein von Maßnahmen zum Schutze und zur Förderung der Kultur, jedoch werden unter Buchstabe f) Maßnahmen zum Schutze „nationalen Kulturgutes von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert“ erlaubt. Gemeint sind hier allerdings Ausfuhrbeschränkungen, die jedoch im heute strittigen audiovisuellen Bereich kaum bestehen dürften.16 Im GATT-Recht sind überdies die traditionellen kulturspezifischen Sonderbestimmungen für Spielzeitkontingente für Kinofilme aus Art. IV in Verbindung mit Art. III:10 GATT zu beachten. Sie haben in der EG seit 1965 keine Bedeutung mehr und könnten auch nicht in moderner Auslegung etwa auf Fernsehproduktionen erstreckt werden.17 Zumindest leuchtet an dieser Stelle die verbreitete Sensibilität im Hinblick auf kulturpolitische Maßnahmen auf, ohne diese jedoch in ein besonderes Gesamtkonzept außerhalb des GATT zu stellen.18

II. Streitbeilegungsverfahren Die bisherige Kasuistik gibt Grund zu der Annahme, das WTO-Recht beschränke staatliche kulturpolitische Gestaltungsmaßnahmen. Im CanadaPeriodicals-Fall griffen die USA erfolgreich kanadische Marktinterventionen an, d.h. ein Importverbot bestimmter Wochenzeitschriften, die eine primär auf den kanadischen Markt zielende, von der im Heimatmarkt vertriebenen Ausgabe verschiedene Werbung beinhalteten, sowie eine Steuer in Höhe von 80 % des Werts der in diesen split-run-Ausgaben enthaltenen Werbung. Die Entscheidung des Panels, das Importverbot stelle einen Verstoß gegen Art. XI:1 GATT dar,19 hielt der Appellate Body aufrecht und stellte zudem fest, die Besteuerung verstoße gegen Art. III:2 S. 2 GATT.20 Der Fall Turkey-Taxation on Foreign Film Revenues21 beinhaltete ein Verfahren, das die USA gegen die Türkei anstrebten, die Kinokarten für ausländische Filme gesondert besteuerte und damit deren Marktzugang kontrollierte. Eine Panel-Entscheidung zu dem geltend gemachten Verstoß gegen die 16

Theune (Anm. 1), 671. G. Sander, Cultural Exception in the WTO, in: A. Dittmann u.a. (Hrsg.), Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien, 1997,179 ff., 182. 18 Grundlegend hierzu S. Seelmann-Eggebert, Internationaler Rundfunkhandel im Recht der WTO und der EG, 1998. 19 Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, WTO, Report of the Panel, WT/DS31/R, 1997 WL 371097 vom 14.3.1997. 20 Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, WTO, Report of the Appellate Body, WT/DS31/AB/R, 1997 WL 398913 vom 30.6.1997. 21 Turkey – Taxation of Foreign Film Revenues, Notification of Mutually Agreed Solution, WT/DS43/3 vom 24.7.1997. 17

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Pflicht zur Inländergleichbehandlung gemäß Art. III GATT wurde durch eine Einigung, in der die Türkei sich zu einer Angleichung der Besteuerung für alle Kinofilme verpflichtete, vermieden. Auch der Fall Canada-Measures Affecting Film Distribution Services,22 in dem die EG rügte, Kanada diskriminiere unter Verstoß gegen Art. II, III:1 GATS europäische gegenüber amerikanischen Filmverleihern, endete bereits im Konsultationsstadium. Das europäische Unternehmen, auf dessen Initiative das Verfahren begonnen worden war, war zwischenzeitlich von einem kanadischen Unternehmen übernommen worden, so dass kein wirtschaftliches Interesse mehr an der Fortführung des Verfahrens bestand.

C. Die Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen vom 20. Oktober 2005 Erstmalig ist im Völkerrecht im Jahre 2005 eine multilaterale Konvention zum Schutze der kulturellen Vielfalt unter Beteiligung von 148 Staaten abgeschlossen worden. 60 Staaten sowie die EG haben sie inzwischen ratifiziert.23 In einem rekordverdächtigen Verhandlungsmarathon haben Experten zwischen 2003 und Oktober 2005 einen Text vorgelegt, an dem auf deutscher Seite Frau Sabine von Schorlemer mitgewirkt hat.24 Bei vier Enthaltungen haben die Vereinigten Staaten und Israel mit „nein“ gestimmt. Die Konvention ist also nicht wie das alte GATT 1947 im amerikanischen Senat gescheitert und im „graveyard of treaties“ wie auch zuletzt das Rom-Statut zum UN-Kriegsverbrecher-Tribunal und der Kyoto-Vertrag bestattet worden. Die Schutzkonvention konnte bereits die amerikanische Regierung nicht überzeugen. Die hohe Zahl an Zustimmungen ist sicherlich auch auf den geringen Verpflichtungsgrad der Konvention zurückzuführen. Auch die EG sowie alle einzelnen EU-Mitgliedstaaten haben sie ratifiziert. Dem Deutschen Bundestag wurde nur eine kurze Denkschrift vorgelegt, die im Wesentlichen unterstrich, dass die Konvention für den Bund keine Kosten verursachen würde.25 Für die EG bestimmt Art. 151 EGV, dass die Gemeinschaft bei ihrer Tätigkeit der Wahrung und Förderung der 22

Canada – Measures Affecting Film Distribution Services, Request for Consultations by the European Communitites, WT/DS 117 vom 22.1.1998. 23 Stand 30.5.2007. 24 Siehe von Schorlemer (Anm. 13) sowie dies., Kunst und Freihandel – Der UNESCO Streit um kulturelle Vielfalt, Blätter für deutsche und internationale Politik 2005, 619–626. Frau von Schorlemer wurde erneut von UNESCO-Generaldirektor K. Matsuura als Expertin für einen Expertenausschuss vom 10.–12.7.2007 berufen, auf dem Empfehlungen zur Umsetzung der Konvention ausgearbeitet werden sollen. 25 Deutscher Bundestag, Drucksache 16/3711 vom 1.12.2006.

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Vielfalt ihrer Kulturen Rechnung tragen soll. Die EU hatte nach Art. 27 III der Konvention eine Beitrittserklärung abzugeben und dabei die Aufteilung der Verantwortung im Verhältnis zu ihren Mitgliedstaaten offenzulegen. Noch im Jahre 2004 hatte der Bundestag eine Beteiligung der EU im Kulturbereich abgelehnt.26 Jetzt aber wird die EU-Kommission nach Maßgabe eines internen Verhaltenskodexes doch eine wichtige Rolle spielen können.27

I. Inhaltliche Ausgestaltung der Konvention Es ist nicht einfach, Inhalt sowie Bedeutung und Rang der Konvention näher zu bestimmen. Es gibt kein etabliertes Prinzip der kulturellen Vielfalt im Völkerrecht.28 Die Konvention umfasst relativ wortreich 35 Artikel und einen Anhang, in dem sich zum Teil kunstvolle Wortkaskaden zusammengestellt finden, die auch für den Einzelfall Optionen bzw. Verpflichtungen der Staaten kennzeichnen. Eine Interpretin nannte sie nicht ganz unzutreffend eine Zusammenstellung des notions phares s’adossant les unes aux autres.29 Diese Bündel von diffusen Leuchtturmstrahlen werden also weit und vielgestaltig gesehen, was auch die 21 Erwägungsgründe, die die Vorstellungen der Konventionspartner abdecken, bezeugen. Es wird allerdings nicht deutlich, ob mit kultureller Vielfalt die kulturelle Vielfalt im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander gemeint ist, oder ob sich diese Vielfalt nur innerhalb der einzelnen Staaten darstellen und erhalten soll.30 Die gegenwärtig zu beobachtende Nivellierung des kulturellen Angebots spricht für ein umfassendes Verständnis, das beide Deutungsweisen einschließt.31 Hervorgehoben wird insbesondere die Doppelnatur der kulturellen Aktivitäten, Güter und Dienstleistungen in ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Natur. Sie werden als Träger von Identitäten, Werten und Sinn bezeichnet (Art. 1 lit. g). Die Globalisierung wird als eine Voraussetzung für eine bessere Interaktion zwischen den Kulturen gesehen. Gleichwohl stellt diese auch eine Herausforderung für die 26

Vgl. von Schorlemer (Anm. 13), 220 f. Vgl. von Schorlemer (Anm. 13), 221. 28 A. von Bogdandy, Die Europäische Union als Situation, Exekutive und Promotorin des Völkerrechts kultureller Vielfalt, These 21 des Thesenpapiers für die 30. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 2007 in Halle, abgerufen am 31.7.2007 unter http:// www2.jura.uni-halle.de/dgvr2007/Fotos_Videos_etc_/von_Bogdandy_Thesen.pdf. 29 M. Cornu, La Convention pour la protection et la promotion de la diversité des expressions culturelles, Journal du Droit International 2006, 929, 932. 30 Vgl. Präambel und Art. 4 der Konvention. 31 von Schorlemer (Anm. 13), 217, 221. 27

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kulturelle Vielfalt dar, insbesondere im Hinblick auf die Gefahr von Ungleichgewichten zwischen reichen und armen Ländern. Die Konvention ist in sieben Teile gegliedert. In Teil I. werden neun Ziele und acht Grundsätze des Völkerrechts herausgestellt (Art. 1, 2). Diese beginnen mit den Menschenrechten und Grundfreiheiten, die zur Entfaltung der Kulturen und zum Schutze sowie zur Förderung erforderlich sind. Diese Grundsätze des Völkerrechts werden fast lehrbuchartig als notwendig vorangestellt, wobei vor allem die Anerkennung der souveränen Rechte aller Staaten, in ihren Hoheitsgebieten Maßnahmen zum Schutze und zur Förderung der Vielfalt zu ergreifen (Art. 1 lit. h), betont wird. Unter II. wird der Geltungsbereich des Übereinkommens mit Blick auf die Politik und die Maßnahmen der Vertragsparteien festgelegt. Teil III enthält Begriffsbestimmungen zur kulturellen Vielfalt, zum kulturellen Inhalt und zu kulturellen Ausdrucksformen im Waren- und Dienstleistungsbereich. Von zentraler Bedeutung ist Teil IV., in dem eine Auflistung der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien vorgenommen wird. Im Vordergrund stehen Bemühungsverpflichtungen zum Schutze und zur Förderung der jeweiligen Schutzgüter. Hervorgehoben sind die Entwicklungsländer im Hinblick auf eine finanzielle Unterstützung, insbesondere durch einen internationalen Fonds mit freiwilligen Beiträgen und eine generelle Vorzugsbehandlung (Art. 14–16). Diese verstößt nicht gegen das Meistbegünstigungsprinzip der WTO, da auch in der WTO selbst die bevorzugte Unterstützung der Entwicklungsländer gefordert wird. In Teil V. wird das Verhältnis der Konvention zu anderen Übereinkünften geregelt, auf welches im Folgenden gesondert eingegangen wird. Die Organe des Übereinkommens werden in Teil VI. bestimmt. Die zentrale Konferenz der Konventionsstaaten wird ergänzt durch einen engeren zwischenstaatlichen Ausschuss mit Unterstützung des Sekretariats der UNESCO. Im abschließenden Teil VII. zu den Schlussbestimmungen ist vor allem die Beilegung von Streitigkeiten in Art. 25 zu erwähnen. Eine obligatorische Streitbeilegung wie in der WTO fehlt in der Konvention naturgemäß. Vorgesehen sind nur die klassischen Instrumente der Verhandlungen, der guten Dienste bzw. der Vermittlung oder abschließend ein Vergleichsverfahren. In diesem wird von den Vertragsparteien nur verlangt, den abschließenden Vergleichsvorschlag nach Treu und Glauben zu prüfen. Überdies kann dieses Verfahren in der Ratifikationsurkunde ausgeschlossen werden. Im Folgenden wird auf das in Teil V. der Konvention geregelte Verhältnis zu anderen „Übereinkünften“ – so die konzertierte deutsche Übersetzung der englischen bzw. französischen Begriffe „instruments“ näher eingegangen. Bei diesen sehr vielschichtigen Begriffen scheint die Übersetzung mit „Übereinkunft“ durchaus treffend zu sein.

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II. Das Verhältnis der Konvention zur WTO Das Verhältnis zwischen der Vielfalts-Konvention und dem WTO-Recht könnte durch Spezialität gekennzeichnet sein oder auch dem lex posterior-Grundsatz unterliegen. Die Wiener Vertragsrechtskonvention enthält in Art. 30 Maßstäbe zur Behandlung von zeitlich nachfolgenden Verträgen, die Vertragsparteien über denselben Gegenstand schließen. Im Falle des Übereinkommens über die kulturelle Vielfalt handelt es sich auf den ersten Blick nicht um ein nachfolgendes Übereinkommen mit denselben Vertragsparteien im Hinblick auf die WTO. Es ist daher ausgeschlossen, die lex posterior- oder die lex specialis-Regel anzuwenden. Zwar könnte erwogen werden, den Begriff „alle Vertragsparteien“ in Art. 30 III WVK im Hinblick auf die über 150 Mitgliedsstaaten der WTO etwas großzügiger zu verstehen, so dass eine geringe Zahl von Abweichlern durchaus unberücksichtigt gelassen werden könnte. Aber abgesehen von der wohl klaren Unzulässigkeit einer solchen Ausgrenzung bleibt nicht ohne Bedeutung, dass es sich bei einem der abseits stehenden Staaten um die Vereinigten Staaten von Amerika (und Israel) handelt, also eines eindeutig dominierenden Staates in der WTO. Von einer derartigen Sonderstellung einer Vertragspartei handelt die Wiener Vertragsrechtskonvention nicht. Der Vorrang eines Vertrages „über denselben Gegenstand“ gemäß Art. 30 WVK, der hier kaum auch nur in Umrissen erkennbar wäre, existiert nur, wenn eine Unterordnungsklausel ausdrücklich vereinbart ist. Es ist folglich davon auszugehen, dass die Vorrangregelung des Art. 30 WVK keine Anwendung finden kann. Das Rangverhältnis von Vielfalts-Konvention und WTO-Recht könnte sich jedoch bereits durch Auslegung der entsprechenden Vertragswerke zeigen, wobei Ausgangspunkt die Feststellung ist, dass die Normen des WTO-Rechts anderen völkerrechtlichen Regelungen nicht vorgehen.32 Zwar enthalten internationale Übereinkommen ausgesprochen selten eigene Abgrenzungsvorschriften zu anderen über- bzw. untergeordneten Übereinkommen, doch die Vielfalts-Konvention besitzt eine ausdrückliche vertragliche Regelung über ihr Verhältnis zu anderen Übereinkünften. Sie stellt in Art. 20 I selbstbewusst fest, dass kein Fall der Unterordnung unter andere Verträge vorliege. Gefordert werden von den Vertragsparteien vielmehr eine wechselseitige Unterstützung, Komplementarität und eine Erfüllungsverpflichtung nach Treu und Glauben bzw. eine Berücksichtigungspflicht im Hinblick auf andere Verträge, deren Vertragsparteien die Vertragsstaaten der Konvention sind. Mit Nachdruck wird in Art. 20 II der Konvention festgehalten, dass Rechte 32

Lamy (Anm. 11), 978, 982.

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und Pflichten aus anderen Verträgen, zu denen die Verträge des WTO-Rechts zählen, unberührt bleiben. Folglich ordnet die UNESCO-Konvention die Fortgeltung des anerkannten pacta sunt servanda-Grundsatzes in Bezug auf die für ihre Vertragsstaaten geltenden völkerrechtlichen Verträge und die aus ihnen erwachsenden Verpflichtungen an, stellt aber gleichzeitig fest, dass die aus ihr selbst entstammenden Rechte und Pflichten nicht niederrangig sind. Die Regelung des Art. 20 zielt im Ergebnis primär auf den Ausgleich und die Harmonisierung der Konventions-Vorschriften mit anderen völkerrechtlichen Verträgen.33 Dem Wortlaut kann die Bedeutung der Norm als ausdrückliche Ausnahmeklausel für Kultur im Rahmen des WTO-Rechts vor allem im Hinblick auf die Anweisung zur Einhaltung anderer völkervertraglicher Pflichten als denen der Vielfalts-Konvention nicht entnommen werden.34 Eine derartige Klausel müsste zudem im Rahmen des WTO-Regelwerks erlassen werden. Dieses Ergebnis wird von der Entstehungsgeschichte der Vielfalts-Konvention gestützt. Während ein früherer Textentwurf noch die Formulierung „The provisions of this Convention shall not affect the rights and obligations of any State Party deriving from any existing international instrument, except where the exercise of those rights and obligations would cause serious damage or threat to the diversity of cultural expressions“35 enthielt, besitzt der endgültige Vertragstext keine Anordnung zu einer ausdrücklichen Vorrangstellung der Vielfalts-Konvention auch nur in Ausnahmefällen. Im Vorfeld des Abschlusses der Vielfalts-Konvention wurden viele potenzielle Konflikte mit dem WTO-Recht diskutiert. Zu strittigen Punkten zählen vor allem weit verbreitete nationale Beihilfen, Quotenregelungen, local-content-Vorschriften und Maßnahmen zur Investitionskontrolle. Genannt seien nur zwei auf der Hand liegende potenzielle Konflikte zwischen der Konvention und der WTO:36 Die kulturelle Vielfalt soll auch durch finanzielle Leistungen bzw. Subventionen gesichert werden können. Eine vertragswidrige Diskriminierung von Angehörigen anderer WTO-Mitglieder könnte vermieden werden, wenn von vornherein keine spezifische Verpflichtungserklärung unter dem GATS abgegeben wird. Bisher haben die EG bzw. die USA in ihren konkreten Verpflichtungszusagen alle Bereiche der Sektoren Bildung und Kultur bzw. Medien ausgenommen. Allerdings 33

Hahn (Anm. 1), 541. von Schorlemer (Anm. 13), 222; prägnant Hahn (Anm. 1), 546: „The Diversity Convention bows to the WTO […]“. 35 UNESCO Doc. CLT/CPD/2005/CONF.203/6 vom 3.3.2005, Preliminary Report of the Director General containing two preliminary drafts of a Convention on the Protection of the Diversity of Cultural Contents and Artistic Expression, 36. 36 Näheres bei von Schorlemer (Anm. 13), 217, 223. 34

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gilt nach Art. XIX GATS die allgemeine Pflicht zur weiteren Liberalisierung. Es bleibt abzuwarten, wie diesen gegenläufigen Verpflichtungen nachgekommen werden kann. Die in Art. 12 der Konvention vorgesehene Förderung der internationalen Zusammenarbeit müsste die Meistbegünstigung gemäß Art. II GATS beachten. Angemeldete Ausnahmen würden jetzt nach zehn Jahren auslaufen.37 Zurzeit ist nicht abzusehen, wann die Dienstleistungsverhandlungen im Rahmen der Doha-Runde abgeschlossen sein und welche Liberalisierungsschritte im Kulturbereich zugestanden oder ausgenommen werden. So sollte es nicht mehr vorkommen, dass – wie in den 90er Jahren – Neuseeland eine vielleicht sogar legitime Quotenregelung für nationale Rundfunk-Programme aufheben musste, nur weil es versäumt hatte, im Dienstleistungsbereich eine entsprechende Ausnahme eintragen zu lassen.38 Im Hintergrund wird letztlich das Verhältnis der WTO zum Kulturbereich durch das WTO-Streitbeilegungsverfahren erfasst werden, zumal es als einziges in der Lage ist, zu verbindlichen Ergebnissen zu führen. Die Vielfalts-Konvention kann selbst in diese Verfahren allenfalls indirekt einbezogen werden, weil das Streitbeilegungsverfahren der WTO auf die Anwendung der eigenen Regeln begrenzt ist. An dieser Stelle würde sich die Diskussion aufdrängen, inwieweit das WTORecht ein „self-contained“ Regime ist, das als autonome Teilrechtsordnung des Völkerrechts selbstgenügsam abgesondert ist und keine WTO-fremden Normen in sich aufnimmt. Der Appellate Body hat beispielsweise das umweltrechtliche Vorsorgeprinzip nicht berücksichtigt, sondern es dem abgesonderten internationalen Umweltrecht zugeschrieben.39 Vorzugswürdig erscheint das von Jan Neumann entwickelte Störungsverbot für internationale Regime, das letztlich zu dem Versuch einer harmonisierenden Auslegung aller beteiligten Regime führen sollte.40 Dieser Gedanke kann überleiten zu einem Austausch in der nachfolgenden Aussprache – wie im Theater, wenn der Vorhang fällt.

37

Hierzu ausführlich Krajewski (Anm. 1), 9 ff. Siehe die Darstellung bei Krajewski (Anm. 1), 10 f. 39 European Commuities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), WTO, Report of the Appellate Body, WT/DS26, 48/AB/R vom 13.2.1998. 40 So J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, 2002. Hierzu J. Grätz, Welthandel und Umwelt, Kritische Justiz 2006, 39 ff., 52 f. Vgl. auch die Diskussion bei Krajewski (Anm. 1), 35 f., zur Ablehnung der Vorstellung, die WTO sei ein in sich geschlossenes System. Im Ergebnis u.a. G. Marceau, A Call for Coherence in International Law, Journal of World Trade 33 (1999), Issue No. 5, 87 ff. (105 ff.). 38

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D. Zusammenfassung und Ausblick Das von den Staaten selbst geschriebene Bühnenstück „WTO und kulturelle Vielfalt“ wird viele Besucher, wenn auch überwiegend nur aus der Zivilgesellschaft, haben. Viele aus dem Publikum werden enttäuscht sein: Das Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen enthält weder neue präzise Verpflichtungen der Staaten noch einklagbare Rechte, kein effektives Streitbeilegungsverfahren und keine Stärkung der Minderheitenrechte nach Art. 27 IPBPR und der dort garantierten Rechte zur „Pflege ihres eigenen kulturellen Lebens“. Es drängt sich die Frage auf, ob die Konvention nicht ein aufwändig ausgehandelter „Papiertiger“ ist?41 Sie gewährleistet kaum eine effektive Eingrenzung der Marktkräfte, und Staaten haben viele Ausweichoptionen aufgrund der positiven und negativen Ausnahmen in den Liberalisierungslisten des GATS, da ein Marktzugang in diesem Bereich nur nach Maßgabe der positiven Listen gemäß Art. XVI und XVII erfolgt. Die Gewährung der Meistbegünstigung kann nur gelesen werden mit einer Reihe von negativen Ausnahmen, die zu Art. II Abs. 2 GATS festgeschrieben worden sind. Im Ergebnis existiert also weiterhin eine Fülle abgestufter Rechtsbeziehungen. Kommt die kulturelle Ausnahme – die „exception culturelle“ – wieder und dieses Mal durch die Hintertür der Listeneintragungen zum GATS? Und werden die Vorteile, die den Entwicklungsländern insbesondere in den Art. 12 bis 18 der Konvention versprochen werden, auch effektiv sein? In rechtlicher Einschätzung scheint eine kohärente und ausgleichende Beziehung zwischen der WTO und dem Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt durchaus gelungen zu sein. Das Bühnenbild ist nicht nur in schwarz-weiß gehalten. Im Konfliktfalle wird es keinen Vorrang, keine Unterordnung und auch keine umfassende „exception culturelle“ geben, sondern es wird letztlich ein Bemühen um einen verhältnismäßigen Ausgleich der betroffenen Rechtsgüter bestehen und auch gefordert werden. Ein Instrument zur Änderung des bestehenden WTO-Rechts dürfte die Konvention daher nicht abgeben. Über die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im WTO-Recht wurde viel gestritten. Auch in diesem Bereich wollten die USA zunächst kein in den Ergebnissen kaum abschätzbares Abwägungsprinzip akzeptieren, wobei es sich dennoch in der Spruchpraxis des Appellate Bodys – wenn auch mit Verspätung – durchzusetzen scheint.42 Insgesamt werden Staaten die künftige Sicherung der kulturellen Vielfalt selbst in zunehmendem Maße verant41

Vgl. Cornu (Anm. 29), 932. M. Hilf/S. Puth, The Principle of Proportionality on its Way into WTO/GATT Law, in: A. von Bogdandy u.a. (Hrsg.), European Integration and International Co-ordination, Festschrift für Claus-Dieter Ehlermann, 2002, 199–218. 42

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worten müssen. Die eigentliche Gestaltung der Kultur bleibt jedoch den gesellschaftlichen Kräften überlassen, die sich zunehmend mehr Gehör verschaffen. Die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika wird immer wichtiger werden. Ihrer Steuerung der weltweiten Marktkräfte auch im Kultursektor wird nur gemeinsam begegnet werden können. Ein erneuter Austritt der USA aus der UNESCO – wie bereits zwischen 1985 und 2003 – scheint nicht zu drohen. Dafür ist aber in naher Zukunft eine Fülle von bilateralen und regionalen Freihandelsabkommen abzusehen oder sogar zu befürchten, die auch den Kultursektor mit erfassen würde. Fraglich bleibt, ob diese den universell drohenden Problemen begegnen oder gerade den Kultursektor mehr gefährden würden. Die USA haben einschlägige Freihandelsabkommen bilateral jüngst mit fünf Staaten geschlossen.43 Auch hier scheinen nur universelle Antworten und Strategien wirksam zu sein. Eine erste unter ihnen ist zweifellos die vorgestellte multilaterale Pariser Konvention zum Schutze der kulturellen Vielfalt, auch wenn bei ihrer Anwendung wohl viel souffliert werden muss.44 Wenn ich es richtig sehe, werden die Stücke auf dem Genfer Seeufer noch viele weitere Aufführungen sehen, wobei die Drehbücher häufig ergänzt und neu geschrieben werden müssen.

43

Bernier (Anm. 1), 4. Siehe dazu I. Bernier, Die Umsetzung der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen: Nächste Schritte, in: Deutsche UNESCO-Kommission (Anm. 15), 15–39. 44

Die Universalisierung sozialer Rechte im europäischen Gemeinschaftsrecht* Von Thorsten Kingreen

A. Das traditionelle Konzept: Akzessorische Sozialpolitik Die Sozialpolitik war im europäischen Gemeinschaftsrecht lange Zeit ein Anhängsel des Binnenmarktprojekts. Hans-Peter Ipsen widmete ihr in seinem monumentalen Lehrbuch „Europäisches Gemeinschaftsrecht“ gerade einmal neunzehn Seiten.1 Dabei war der normative Befund auf den ersten Blick gar nicht so mager, denn bereits die Art. 117–128 EWGV enthielten umfangreiche Regelungen über die Sozialpolitik. Doch die herausgehobene Stellung der Sozialpolitik unmittelbar nach den Normen über die Wettbewerbs- und Wirtschaftspolitik, die, so Ipsen, „der Bedeutung des Sozialbereichs in der modernen öffentlichen Ordnung durchaus entsprechen würde“, fand „im normativen Zuständigkeits- und Ermächtigungsgehalt der Art. 117–128 EWGV keinen zulänglichen Ausdruck“.2 Kernfragen der Sozialpolitik wie Ausbildung, Arbeitsplatz, Arbeitsentgelt, Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheit erschienen im positiven Gemeinschaftsrecht, „nicht in einer dem Sozialstaatsgebot adäquaten Gemeinschaftsausstattung, wenn es in den Vertragsformulierungen auch am sozialpolitischen Aspekt und Impuls nicht fehlt“.3 Zwar wurde die Vergemeinschaftung der Sozialpolitik seinerzeit kontrovers unter den Gründungsstaaten diskutiert, insbesondere zwischen Frankreich und

*

Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine nur unwesentlich aktualisierte Fassung des in Europarecht (EuR) 2007, Beiheft 1, 43–74, abgedruckten Aufsatzes. 1 H.-P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 931 ff. Darin lag eine realistische Einschätzung der Bedeutung der europäischen Sozialpolitik und keine Geringschätzung: Ipsen selbst war bereits auf der Göttinger Staatsrechtslehrertagung im Jahre 1951 dafür eingetreten, das Sozialstaatsprinzip auch normativ im Sinne einer staatlichen Verantwortung für das Soziale ernst zu nehmen, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 10 (1952), 74 ff. 2 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht (Anm. 1), 932. 3 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht (Anm. 1), 932.

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Deutschland.4 Doch beschränkte sich die Debatte auf den möglichen Einfluss, den Unterschiede in den Sozialpolitiken der Mitgliedstaaten auf das Funktionieren des Binnenmarktes haben würden. Umstritten war, ob die Harmonisierung bestimmter sozialer Bedingungen Voraussetzung (so die Position Frankreichs) oder nur, so die deutsche Position, mögliche Folge eines funktionierenden Binnenmarktes sei.5 Die grundsätzliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Sozialpolitik stand indes nicht zur Disposition. Das Gemeinschaftsrecht war also in seinen Ursprüngen geprägt durch eine akzessorische Sozialpolitik. Akzessorisch deshalb, weil sie stets in Abhängigkeit von den Funktionsbedingungen des Binnenmarktes thematisiert wurde, aber keinen darüber hinaus gehenden, eigenständigen Bedeutungsgehalt hatte. Schließlich fiel die Gründungsphase der Europäischen Gemeinschaft noch in die Nachkriegszeit, die alle sechs Vertragsstaaten durch einen erheblichen Ausbau ihrer sozialen Sicherungssysteme zu bewältigen suchten. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit wurde daher die Zuständigkeit für das Zusammenhang stiftende soziale Sicherheitsversprechen den Staaten zugewiesen; besonders in Deutschland, wo der Sozialstaat unter den fünf in Art. 20 Abs. 1 GG genannten Staatszielbestimmungen noch die wenigsten Verletzungen aus der nationalsozialistischen Zeit davongetragen hatte.6 Die traditionelle Akzessorietät zwischen Sozialpolitik und Binnenmarkt beschränkt sich nicht auf die Rechtsetzungskompetenzen, sondern lässt sich auch im Bereich der sozialen Rechte nachweisen. Das Gemeinschaftsrecht erfasst den Einzelnen „nicht als integrale Persönlichkeit, sondern nur funktional insoweit (…), als ihm Freiheit und Gleichheit zur Erfüllung der ökonomischen Ziele der Gemeinschaften gewährleistet wird“.7 Auch Träger sozialer Rechte ist er nur als Marktbürger.8 Das Gemeinschaftsrecht gewährleistet dementsprechend keine eigenständigen sozialen Rechte, sondern trägt nur zu deren partieller Erstreckung auf transnationale Konstellationen bei, soweit dies für den Zweck der Etablierung des Binnenmarktes erforderlich ist (Art. 40, 42 EGV). So zielt die sog. Wanderarbeitnehmerverordnung

4

Ausführlich zur Entwicklung der europäischen Sozialpolitik H. Berié, Europäische Sozialpolitik. Von Messina bis Maastricht, in: G. Kleinhenz (Hrsg.), Soziale Integration in Europa I, 1993, 31 ff. 5 R. Sprung, in: E. Wohlfahrt/U. Everling/H.-J. Glaesner/R. Sprung (Hrsg.), Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, 1960, Vorb. vor Art. 117, Anm. 3, 4. 6 Der Sozialstaat hat nach 1945 keine „Stunde Null“ erlebt: M. Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, 2003, 209 ff. 7 E. Grabitz, Europäisches Bürgerrecht zwischen Marktbürgerschaft und Staatsbürgerschaft, 1970, 68. 8 Zu dieser heuristischen Figur Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht (Anm. 1), 187, 250 ff.

Die Universalisierung sozialer Rechte im europäischen Gemeinschaftsrecht

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1408/719 darauf ab, diejenigen Hindernisse im mitgliedstaatlichen Sozialrecht zu beseitigen, die geeignet sind, den Einzelnen von der Wahrnehmung seiner grenzüberschreitenden Freizügigkeit abzuhalten.10 Das geschieht nicht durch Harmonisierung, sondern durch Koordinierung der nationalen Sozialrechtsordnungen. Die Verordnung stellt zu diesem Zweck, insoweit vergleichbar mit dem Internationalen Privatrecht, Kollisionsregeln auf, die bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zur Vermeidung von Doppelbelastungen und -begünstigungen über das anwendbare Recht entscheiden; in der Regel ist dies das für den Beschäftigungsort geltende Recht, Art. 13 Abs. 2 lit. a) VO (EWG) 1408/71.11 Sie enthält ferner wichtige Sachregeln, die verhindern, dass Grenzübertritt und Staatsangehörigkeit zu sozialrechtlichen Brüchen und Benachteiligungen führen: ein Verbot der sozialrechtlichen Diskriminierung von EG-Ausländern, den Grundsatz der Tatbestandsgleichstellung, der fingiert, dass bestimmte sozialrechtlich relevante Ereignisse, die in einem Mitgliedstaat eingetreten sind, so behandelt werden, als seien sie im Gebiet des zuständigen Staates verwirklicht worden, ferner das Gebot der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten und schließlich den Grundsatz des Leistungsexports.12 Der sachliche Geltungsbereich der Wanderarbeitnehmerverordnung erfasst allerdings nicht alle sozialen Leistungen, insbesondere nicht die Sozialhilfe (Art. 4 Abs. 4 VO (EWG) 1408/71) und die Studienförderung.13 Gemäß Art. 7 Abs. 2 der VO (EWG) 1612/68 (sog. Freizügigkeitsverordnung) genießen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen aber auch insoweit einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Die sozialen Rechte, die das europäische Sozialrecht auf transnationale Sachverhalte erstreckt, sind zweckgebundene Begleitrechte der Personenverkehrsfreiheiten (Art. 39, 43 EGV). Deshalb beschränkt sich der persönliche Schutzbereich der Wanderarbeitnehmerverordnung weitgehend auf Erwerbstätige und deren Familienangehörige, Art. 2 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71. Die Entterritorialisierung sozialer Rechte ist also funktional beschränkt. Sie dient der Sicherung grenzüberschreitender 9 Diese wird ersetzt werden durch die Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl.EG Nr. L 166/1 v. 30.4.2004, sobald die nach Art. 91 VO/EG 883/2004 erforderlichen Durchführungsbestimmungen erlassen werden. 10 Vgl. etwa M. Fuchs, Europäisches Sozialrecht – eine Einführung, in: M. Fuchs (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl. 2005, Rn. 35. 11 Dazu T. Kingreen, Doppelbelastung und Doppelbefreiung im grenzüberschreitenden Sozialrecht, in: U. Becker/W. Schön (Hrsg.), Steuer- und Sozialstaat im europäischen Systemwettbewerb, 2005, 265 ff. 12 Vgl. zusammenfassend etwa W. Brechmann, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 42 EGV, Rn. 15 ff. 13 Vgl. näher E. Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, Rn. 330 ff.; H.-D. Steinmeyer, in: Fuchs (Anm. 10), Art. 7 VO (EWG) 1612/68, Rn. 9.

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Erwerbstätigkeit, lässt sich von dieser aber nicht lösen. In dieser Zweckbindung der transnationalen sozialen Rechte äußert sich die Akzessorietät einer europäischen Sozialpolitik, die nicht den universalistischen Anspruch einer von der Staatsangehörigkeit unabhängigen sozialen Absicherung erhebt. Ihr liegt ein „funktionalistisch reduziertes Personenkonzept“14 zugrunde, das „einem tief verwurzelten nationalstaatlichen Verständnis von Angehörigkeit und Bürgerschaft“15 entspringt und daher den Einzelnen als Sozialbürger nur wahrnimmt, wenn er zugleich Marktbürger ist.

B. Die Verselbstständigung transnationaler sozialer Rechte Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ist bis heute wesentlich durch das Konzept einer nur akzessorischen Sozialpolitik geprägt. Nach wie vor fehlen der Gemeinschaft die wesentlichen Rechtsetzungskompetenzen und Instrumente zur Beeinflussung gesellschaftlicher Verteilungs- und Umverteilungsentscheidungen.16 Art. 137 EGV enthält nur vergleichsweise marginale Harmonisierungskompetenzen17 und auch die derzeit besonders im Bereich der Sozialpolitik propagierte offene Methode der Koordinierung18 kann allenfalls ein „freiwilliges Parallelverhalten“19 der Mitgliedstaaten anregen. Im Bereich der sozialen Rechte hingegen ist, anders als bei den Rechtsetzungskompetenzen, seit einigen Jahren ein Ablösungsprozess zu beobachten, der die Akzessorietät der Sozialpolitik vom Binnenmarkt zunächst relativiert hat und nunmehr zunehmend auflöst. Zu beobachten ist eine Emanzipation der transnationalen sozialen Rechte von bestimmten Aufenthaltszwecken, die wesentlich durch den EuGH vorangetrieben worden ist; konkret: durch die Rechtsprechung zur grenzüberschreitenden Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen (I.) und zur Sozialbürgerschaft (II.). 14

J. Habermas, Die postnationale Konstellation, 1998, 142. C. Schönberger, Unionsbürger, 2005, 2. 16 Vgl. etwa A. Hatje, Wirtschaftsverfassung, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 683 (720). 17 T. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund. Gemeinschaftsrechtliche Einflüsse auf das deutsche Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003, 295 ff. 18 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Stärkung der sozialen Dimension der Lissabonner Strategie: Straffung der offenen Koordinierung im Bereich Sozialschutz“, KOM 2003/261 endg./2. 19 R. Streinz, Sozialpolitische Zuständigkeit der EU im Rahmen der offenen Methode der Koordinierung, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes 53 (2005), 29 (44). 15

Die Universalisierung sozialer Rechte im europäischen Gemeinschaftsrecht

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I. Das universalistische Potenzial der Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten bilden die Sinnmitte des Binnenmarktes (Art. 14 Abs. 2 EGV). Es mag daher auf den ersten Blick erstaunen, dass sie den Prozess der Universalisierung transnationaler sozialer Rechte vorangetrieben haben sollen. Tatsächlich brechen sie aber mit einer Unterscheidung, die das Bild der Marktbürgerschaft entscheidend prägt, nämlich derjenigen zwischen Erwerbs- und Nichterwerbstätigen. Konzeptionelle Grundlage dieser Weiterung ist die Konstruktion einer passiven Freiheit bei den Produktverkehrsfreiheiten (Art. 28, 49 EGV). Persönlich schützen diese nämlich nicht nur den Hersteller und Lieferanten einer Ware und den Erbringer einer Dienstleistung, sondern auch den jeweiligen Empfänger. Das kann nun, anders als bei der aktiven Freiheit, jeder Unionsbürger unabhängig von seinem sozioökonomischen Status sein.20 Bereits 1989, also vor Einführung der Unionsbürgerschaft, hat es daher der EuGH als Verstoß gegen die passive Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV) angesehen, dass ein britischer Tourist, der in der Pariser Metro überfallen worden war, nur deshalb keine Opferentschädigung bekam, weil er kein französischer Staatsangehöriger war.21 Auch die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen basiert auf der passiven Seite der Produktverkehrsfreiheiten: Aus der passiven Waren- und Dienstleistungsfreiheit folgt für jeden Versicherten das Recht, ambulante und, mit Abstrichen, auch stationäre Leistungen grenzüberschreitend in Anspruch zu nehmen (sog. Kohll/Decker-Rechtsprechung).22 Der gegenüber der aktiven Freiheit weitere persönliche Schutzbereich der passiven Freiheit ebnet also die traditionelle Unterscheidung des Gemeinschaftsrechts zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen ein. Er löst damit die transnationalen sozialen Rechte von ihrer Bindung an die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit. Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist daraus ein zweigleisiges Anspruchssystem entstanden, das durchaus erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Voraussetzungen, der Abwicklung und des Inhalts der Leistungen aufweist: Gesundheitsleistungen können einerseits auf der Grundlage der §§ 19 ff., 22 ff. VO (EG) 1408/71, also der akzessorischen sozialen Rechte, andererseits über den 20

S. Völker, Passive Dienstleistungsfreiheit im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1990,

73. 21

EuGH, Rs. 186/87 (Cowan), Slg. 1989, 195, Rn. 15, 17; vgl. bereits EuGH, verb. Rs. 286/82 u. 26/83 (Luisi und Carbone), Slg. 1984, 377, Rn. 16. 22 EuGH, Rs. C-120/95 (Decker), Slg. 1998, I-1831, Rn. 35 f.; Rs. C-158/96 (Kohll), Slg. 1998, I-1931, Rn. 34 f.; Rs. C-157/99 (Smits und Peerboms), Slg. 2001, I-5473, Rn. 68 f.; Rs. C-385/99 (Müller-Fauré/van Riet), Slg. 2003, I-4509, Rn. 44; Rs. C-8/02 (Leichtle), Slg. 2004, I-2641, Rn. 37.

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durch die passive Komponente der Produktverkehrsfreiheiten veranlassten § 13 Abs. 4 und 5 SGB V in Anspruch genommen werden.23

II. Die europäische Sozialbürgerschaft Die transnationalen sozialen Rechte verdanken ihre Ablösung vom Tatbestand der Erwerbstätigkeit aber vor allem der Rechtsprechung des EuGH, der aus den Art. 12 Abs. 1, 17 und 18 Abs. 1 EGV einen bürgerschaftlich fundierten Anspruch auf sozialrechtliche Inländerbehandlung ableitet. Geburtsstunde dieser Rechtsprechung ist die EuGH-Entscheidung Martínez Sala. Deren Kernaussage lautet: Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, hat einen grundsätzlichen Anspruch auf Gewährung der Inländern zustehenden Leistungen unter den für diese geltenden Bedingungen. Grundlage dieses Anspruchs ist die Trias Art. 12 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 EGV. Mit diesen Bestimmungen war es unvereinbar, dass eine spanische Staatsangehörige beim Bezug von deutschem Erziehungsgeld gegenüber deutschen Staatsangehörigen benachteiligt wurde24 und dass einem belgischen Studenten, der zum Ende seines Studiums in Frankreich auf staatliche Unterstützung angewiesen war, wegen seiner Staatsangehörigkeit keine Sozialhilfe geleistet wurde.25 Auch war es ein Verstoß gegen das sozialrechtliche Diskriminierungsverbot, dass einer belgischen Staatsangehörigen von ihrem eigenen Mitgliedstaat nur deshalb der Anspruch auf ein Überbrückungsgeld für Schulabgänger versagt wurde, weil sie ihren Schulabschluss in Frankreich erworben hatte.26 Weitere Entscheidungen betrafen eine Beihilfe für Arbeit Suchende in Großbritannien,27 nochmals die belgische Sozialhilfe28 und schließlich ein Darlehen zur Finanzierung der Studiengebühren in Großbritannien.29 Weil der sozialrechtliche Anspruch auf Inländerbehandlung an die Voraussetzung des rechtmäßigen Aufenthalts geknüpft wird, haben es die Mitgliedstaaten allerdings grundsätzlich in der Hand, den Umfang der Inanspruchnahme sozialer

23 Dazu näher T. Kingreen, Ein neuer rechtlicher Rahmen für einen Binnenmarkt für Gesundheitsleistungen, Neue Zeitschrift für Sozialrecht 2005, 505–512 (506). 24 EuGH, Rs. C-85/96 (Martínez Sala), Slg. 1998, I-2691, Rn. 62 ff. 25 EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Slg. 2001, I-6193, Rn. 33. 26 EuGH, Rs. C-224/98 (D’Hoop), Slg. 2002, I-6191, Rn. 30 f. 27 EuGH, Rs. C-138/02 (Collins), Slg. 2004, I-2703, Rn. 65. 28 EuGH, Rs. C-456/02 (Trojani), Slg. 2004, I-7573, Rn. 31 ff. 29 EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119, Rn. 31 ff.

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Leistungen durch die Ausgestaltung des Aufenthaltsrechts zu steuern.30 Sie müssen zwar „bei der Organisation und Anwendung ihres Sozialhilfesystems eine gewisse finanzielle Solidarität mit den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten“ zeigen; es steht ihnen aber frei, darauf zu achten, dass die Gewährung sozialer Leistungen an EU-Ausländer nicht zu einer übermäßigen Belastung wird, die sich insgesamt auf das Niveau der sozialen Leistung auswirkt.31

III. Ein neues Sozialrechtsverhältnis Man kann also zwei Rechtsprechungslinien ausmachen, die praktisch gleichzeitig32 die funktionalistische Reduzierung der transnationalen sozialen Rechte auf Begleitrechte zu den Personenverkehrsfreiheiten überwunden haben: die Profilierung der passiven Seite der Produktverkehrsfreiheiten auf der einen und der Ausbau der Unionsbürgerschaft zur Sozialbürgerschaft auf der anderen Seite. Beide kann man, in einem noch sehr allgemeinen Sinne, als Versuch des EuGH interpretieren, einen Beitrag dazu zu leisten, dass Europa als eigenständiges politisches Gemeinwesen wahrgenommen wird, das soziale Zu- und Zusammengehörigkeit auch jenseits des Nationalstaates vermittelt.33 Der dadurch in Gang gesetzte Ablösungsprozess zeigt sich auch im neuen persönlichen Anwendungsbereich der Wanderarbeitnehmerverordnung, die nicht mehr zwischen Erwerbstätigen/Studierenden und anderen Unionsbürgern differenziert, Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004. Dennoch gibt es einen bedeutsamen Unterschied zwischen den beiden Rechtsprechungslinien, der es rechtfertigt, dass das Augenmerk im Folgenden allein auf die Rechtsprechung des EuGH zur Sozialbürgerschaft gerichtet wird: Diese begründet nämlich, weil sie auf eine Personen- und nicht auf die Produktverkehrsfreiheit gestützt ist, ein neues Sozialrechtsverhältnis!34 Die Kohll/Decker-Rechtsprechung basiert auf den Produktverkehrsfreiheiten, also der Warenverkehrs- und der Dienstleistungsfreiheit (Art. 28, 49 EGV); der 30

EuGH, Rs. C-456/02 (Trojani), Slg. 2004, I-7573, Rn. 45. EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119, Rn. 56. 32 Die Ausgangsentscheidungen beider Rechtsprechungslinien (EuGH, Rs. C-120/95 (Decker), Slg. 1998, I-1831; Rs. C-158/96 (Kohll), Slg. 1998, I-1931 für die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen auf der einen und EuGH, Rs. C-85/96 (Martínez Sala), Slg. 1998, I-2691 für den diskriminierungsfreien Zugang zu sonstigen Sozialleistungen auf der anderen Seite) liegen gerade einmal zwei Wochen auseinander! 33 Vgl. zur Diskussion um das Identität stiftende Potenzial der Unionsbürgerschaft etwa S. Kadelbach, Unionsbürgerschaft, in: von Bogdandy (Anm. 16), 571 ff. 34 Vgl. zum Sozialrechtsverhältnis H. Bley/R. Kreikebohm/A. Marschner, Sozialrecht, 8. Aufl. 2001, Rn. 51 ff. 31

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grenzüberschreitende Bezug wird hier nicht primär durch die handelnde Person hergestellt, die sich im Zielstaat niederlässt, sondern durch ein Produkt, das dort vertrieben oder erworben wird. Weil nun die handelnde Person ihren durch Aufenthalt/Erwerbstätigkeit bestimmten Mitgliedstaat nicht verlässt, wenn sie Gesundheitsleistungen in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch nimmt, bleibt das Sozialrechtsverhältnis, das die rechtliche Grundlage dieser Leistungsinanspruchnahme bildet, unberührt. Das vorhandene Sozialrechtsverhältnis wird entterritorialisiert, seine Parteien und damit die ökonomische Basis des Sozialleistungsanspruchs aber nicht tangiert: Es bleibt derjenige Träger verpflichtet, der aufgrund dieses Rechtsverhältnisses Gläubiger von Beiträgen oder anderen Abgaben des Berechtigten ist. Mit den Parteien des sozialrechtlichen Rechtsverhältnisses bleibt also zugleich der – je nach Art der Finanzierung mehr oder weniger enge – Zusammenhang zwischen Abgabenpflicht des Berechtigten und Leistungspflicht des Trägers bestehen. Die Rechtsprechung zur Sozialbürgerschaft hat ihre Grundlage hingegen in einer Personenverkehrsfreiheit, in Art. 18 Abs. 1 EGV.35 Diese allgemeine Freizügigkeitsgarantie ist nicht zweckgebunden. Es kann daher ein rechtmäßiger Aufenthalt begründet werden, ohne dass dieser der Erwerbstätigkeit dienen muss. Damit kann, im Falle sozialer Bedürftigkeit, ein neues Sozialrechtsverhältnis begründet werden, das keinerlei sachlichen Bezug zu einer ausgeübten oder vorangegangenen wirtschaftlichen Betätigung hat. Der Aufnahmemitgliedstaat wächst allein aufgrund des rechtmäßigen Aufenthalts in die sozialpolitische Verantwortung hinein, die zuvor dem Herkunftsstaat oblag. Die sozialpolitische Abgrenzung zwischen innen und außen, zwischen sozialer Inklusion und sozialer Exklusion und damit letztlich die Grenze zwischen Zugehörigen und Nichtzugehörigen verschiebt sich zu Lasten des Aufnahmestaates.36 Die Etablierung eines neuen Sozialrechtsverhältnisses beinhaltet damit einen qualitativen Sprung in der Geschichte sozialer Rechte im europäischen Gemeinschaftsrecht. Die Gewährleistung eines von einem konkreten Aufenthaltszweck gelösten sozialen Leistungsrechts beseitigt die traditionelle Akzessorietät zwischen Sozialpolitik und Binnenmarkt. Das neue sozialrechtliche Rechtsverhältnis wirft allerdings die fundamentale Frage nach dem Grund und dem Grad der „finanzielle(n) Solidarität mit den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten“37 auf. Die Prämisse, dass das Verhältnis zwischen Unionsbürgern und jedem der Mitgliedstaaten eine besondere Qualität besitzt, die den Unionsbürger sozialrechtlich zum Zugehörigen desjenigen Mitgliedstaates befördert, in dem er sich 35

Näher unten III. 2. b). Zur Kategorie der Angehörigkeit vgl. Schönberger (Anm. 15), 128 ff.; zum Verhältnis von Angehörigkeit und Freizügigkeit noch näher unten III. 2. a). 37 So zu Recht EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119, Rn. 56 sowie bereits EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Slg. 2001, I-6193, Rn. 44. 36

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rechtmäßig aufhält, bedarf eines normativen Fundaments, das dieses grenzüberschreitende Solidarprinzip näher ausformt. Das leitet über zu den normativen Grundlagen der Sozialbürgerschaft.

C. Die normativen Maßstäbe der Sozialbürgerschaft Der EuGH präsentiert zur Begründung dieser Angehörigkeit drei Normen, nämlich Art. 12 Abs. 1, 17 und 18 Abs. 1 EGV. Ihr Verhältnis untereinander bleibt aber weitgehend im Dunkeln und damit auch ihr Anteil an der gefundenen Entscheidung. Der EuGH scheint dem methodischen Irrglauben zu verfallen, dass mit der Anzahl der präsentierten Normen auch das Gewicht der Argumentation steigt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Gerichtshof – ein festes Ziel vor Augen – das „mühselige Geschäft vollständiger, offener und rationaler Normkonkretisierung“38 scheut und sich daher ungern auf eine Zuordnung seiner Aussagen zu konkreten Normen einlässt.39 Für die Legitimität der Rechtsprechung ist das aber unerlässlich.

I. Art. 17 EGV Die wesentliche Begründung für die Eröffnung des Anwendungsbereiches des EG-Vertrages findet man in einem für den EuGH typischen Bandwurmsatz: „Der Unionsbürgerstatus (…) ist dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen.“40 Art. 17 Abs. 2 EGV knüpfe an den Status des Unionsbürgers die im Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten, wozu neben dem allgemeinen Diskriminierungsverbot (Art. 12 Abs. 1 EGV)41 auch die allgemeine Freizügigkeit (Art. 18 EGV)42 zähle.

38

B. Pieroth, Materiale Rechtsfolgen grundgesetzlicher Kompetenz- und Organisationsvorschriften, Archiv des öffentlichen Rechts 114 (1989), 422–450 (438). 39 Insoweit nicht zu Unrecht kritisch K. Hailbronner, Die Unionsbürgerschaft und das Ende rationaler Jurisprudenz durch den EuGH?, Neue Juristische Wochenschrift 2004, 2185–2189 (2186 ff.). 40 EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Slg. 2001, I-6193, Rn. 31. 41 EuGH, Rs. C-85/96 (Martínez Sala), Slg. 1998, I-2691, Rn. 62. 42 EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Slg. 2001, I-6193, Rn. 33.

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1. Die Unionsbürgerschaft als Quelle sozialer Rechte? Die These von der Bürgerschaft als Quelle auch sozialer Rechte der Unionsbürger hat einen durchaus anziehenden Charme. Schließlich reflektiert der Status des Bürgers schon in der Antike das besondere Verhältnis einer politischen Ge meinschaft zu ihren Angehörigen. Bereits der griechische   und der römische civis standen für den Anspruch, als gleichberechtigtes Mitglied einer bestimmten Gemeinschaft anerkannt zu werden.43 Die Bürgerschaft vermittelt eine besondere, eine verdichtete Form der Zugehörigkeit, die den Bürger nach innen mit Rechten und Pflichten ausstattet und ihn nach außen von Nichtbürgern abgrenzt. Als besonders wirkmächtige Tradierung44 der Konzeption der Bürgerschaft gilt Thomas Marshalls Vorlesung „Citizenship and social class“45 an der Universität Cambridge im Jahre 1950. Marshalls Erkenntnisinteresse galt der Spannung zwischen dem formellen Staatsbürgerstatus und der sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft. Staatsbürgerschaft behaupte, so Marshall, eine Art grundsätzlicher menschlicher Gleichheit, die mit der Vorstellung einer vollen Mitgliedschaft in der Gemeinschaft verbunden sei – eine Gemeinschaft, die nicht mehr nach den Kriterien der Tradition oder Hierarchie strukturiert ist. Unter der Voraussetzung, dass die „Gleichheit des Staatsbürgerstatus anerkannt ist“,46 akzeptiert Marshall auch die in der modernen Wettbewerbsgesellschaft selbstverständliche soziale Ungleichheit. Denn die Mitgliedschaft im Staat sei die Quelle von Rechten. Insoweit begreift er die Entstehung des modernen Staatsbürgerstatus als eine über drei Jahrhunderte verlaufende Entwicklung, die den gesellschaftlichen und politischen Differenzierungsprozess in der Moderne nachvollzieht und deren Schritte jeweils auf die Herstellung von Chancengerechtigkeit gerichtet sind. Die drei Elemente, die dieser Prozess hervorgebracht hat, sind der bürgerliche, der politische und der soziale Status:47 „Alle, die diesen Status innehaben, sind hinsichtlich der Rechte und

43 Dazu ausführlich M. Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. I, 1972, 672 ff. 44 R. Dahrendorf, Der moderne soziale Konflikt, 1994, 60: „Juwel der Sozialanalyse“; J. Mackert, Citizenship und Immigration: Heterogenisierung des Nationalstaates und neue Formen der Zugehörigkeit. Neuere Beiträge zur Diskussion um Staatsbürgerschaft, Berliner Journal für Soziologie 1996, 249–264 (263): „Beginn einer politischen Soziologie der Staatsbürgerschaft“. 45 T. H. Marshall, Bürgerrechte und soziale Klassen. Zur Soziologie des Wohlfahrtsstaates, 1992 (von E. Rieger übersetzte Ausgabe der Publikation „Citizenship and Social Class“, 1981). 46 Marshall (Anm. 45), 38. 47 Marshall (Anm. 45), 40 ff.

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Pflichten, mit denen der Status verknüpft ist, gleich.“48 Die Unterscheidung zwischen bürgerlichen, politischen und sozialen Rechten verbindet er mit dem Anspruch, „die Entstehungsgeschichte der verschiedenen Stufen je einem anderen Jahrhundert zuzuordnen – bürgerliche Rechte dem achtzehnten, politische Rechte dem neunzehnten, und soziale Rechte dem zwanzigsten Jahrhundert“;49 eine Unterscheidung, die Engländer naturgemäß eher überzeugt als Deutsche. Während die bürgerlichen und politischen Rechte bereits herkömmlicherweise mit dem Bürgerstatus in Verbindung gebracht worden waren, betritt Marshall mit dem im 20. Jahrhundert herausgebildeten sozialen Bürgerstatus Neuland. Unter sozialen Rechten versteht Marshall „eine ganze Reihe von Rechten, vom Recht auf ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Wohlfahrt und Sicherheit, über das Recht an einem vollen Anteil am gesellschaftlichen Erbe, bis zum Recht auf ein Leben als zivilisiertes Wesen entsprechend den gesellschaftlich vorherrschenden Standards“.50 Die Bürgerschaft ist also Marshalls wesentliche argumentative Grundlage für den Anspruch auf soziale Inklusion. Man könnte daraus folgern, dass mit der Anerkennung einer zwar aus der mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeit abgeleiteten, aber diese doch übergreifenden Unionsbürgerschaft (Art. 17 EGV) die wesentliche normative Grundlage für ein grenzüberschreitendes Solidarprinzip geschaffen wurde, welches die Mitgliedstaaten verpflichtet, den sozialen Schutz eines jeden Unionsbürgers sicherzustellen, der sich in seinem Hoheitsgebiet aufhält. Aus der Unionsbürgerschaft folgte dann die Sozialbürgerschaft, aus Art. 17 EGV die erforderliche normative Grundlage für die Ausdehnung der sozialpolitischen Verantwortung des einzelnen Mitgliedstaates. Tatsächlich wird gerade in der Einführung der Unionsbürgerschaft regelmäßig die Grundlage für eine neben die nationale tretende, besondere transnationale Loyalität gesehen.51

2. Der Sozialstaat als Territorialstaat Die Dinge liegen indes, was ein transnationales Solidarprinzip angeht, doch etwas komplizierter. Der Sozialstaat ist zwar, zumal in Deutschland, als Nationalstaat entstanden und hat wesentlich dazu beigetragen, diesem die erforderliche innere Legitimation zu verschaffen.52

48 49 50 51 52

Marshall (Anm. 45), 53. Marshall (Anm. 45), 42 f. Marshall (Anm. 45), 40. Vgl. etwa S. Magiera, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 17 EGV, Rn. 18. Vgl. Kingreen (Anm. 17), 170 ff.

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Tatsächlich waren Staatsbürgerschaft bzw. Heimat im vorindustriellen Armenrecht die entscheidenden Anknüpfungspunkte für die Gewährung sozialer Leistungen.53 Das führte allerdings zu der aus heutiger Sicht eher befremdlichen Konsequenz, dass bedürftig gewordene Personen noch nach langer Zeit in ihre Heimatgemeinde zurückgeschickt werden durften, zu der sie jegliche Bindungen verloren hatten.54 Es stellt also ein erhebliches Mobilitätshindernis dar, soziale Leistungsrechte von der Staatsangehörigkeit abhängig zu machen. Das Recht der mobilen Gesellschaft macht daher die Entstehung von Sozialrechtsverhältnissen, von wenigen Ausnahmen abgesehen,55 nicht von der ethnischen Zugehörigkeit abhängig.56 Die Übernahme sozialer Verantwortung entspringt zudem dem Bedürfnis des Staates, auf seinem Territorium für Frieden und Sicherheit zu sorgen. Der Sozialstaat übernimmt daher eine räumliche Einstandspflicht für jeden, der sich auf seinem Staatsgebiet mit einer gewissen Dauerhaftigkeit aufhält. Er ist also vor allem Territorialstaat. Beitragsverpflichtungen und Leistungsversprechen knüpfen aus diesem Grunde auch im deutschen Sozialrecht an territorialen Merkmalen an. Dabei muss man freilich differenzieren:57 Bei steuerfinanzierten Sozialleistungen wie der Sozialhilfe (§§ 24 Abs. 1, 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII), der Kinder- und Jugendhilfe (§ 6 SGB VIII), dem Wohngeld (§ 1 WoGG) und dem Kindergeld (§ 62 EStG) wird die Leistungsberechtigung in der Regel an den Aufenthalts- und/oder den Wohnort (§ 30 SGB I) des Leistungsberechtigten geknüpft. Die beitragsfinanzierten Systeme der Sozialversicherung erklären hingegen grundsätzlich den Beschäftigungsort zum Anknüpfungspunkt für die Entstehung der Mitgliedschaft (§ 3 SGB IV). Soziale Zugehörigkeit und soziale Inklusion werden also, nicht nur im deutschen Sozialrecht, durch den Aufenthalt oder die Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet eines bestimmten Mitgliedstaates, nicht aber durch eine (staats-)bürgerliche Angehöri53

Vgl. dazu E. Eichenhofer/C. Abig, Zugang zu steuerfinanzierten Sozialleistungen nach dem Staatsangehörigkeitsprinzip?, 2004, 33 ff. 54 Schönberger (Anm. 15), 351. 55 Beispiel: § 24 SGB XII, wonach Sozialhilfeleistungen im Ausland nur an Deutsche erbracht werden. 56 Vgl. H. F. Zacher, Westdeutschland – ein offener Sozialstaat, in: P. Kirchhof/M. Lehner/A. Raupach/M. Rodi (Hrsg.), Staaten und Steuern. Festschrift für Klaus Vogel zum 70. Geburtstag, 2001, 65 (68), sowie ders., Deutschland den Deutschen? Die wechselvolle Geschichte des sozialen Einschlusses im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts, in: M. Brenner/P. M. Huber/M. Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel. Festschrift für Peter Badura zum 70. Geburtstag, 2004, 639 ff. 57 Vgl. näher R. Giesen, Die Vorgaben des EG-Vertrages für das Internationale Sozialrecht, 1999, 7 ff., und H.-D. Steinmeyer, Das nationale Recht grenzüberschreitender Sachverhalte, in: B. von Maydell/F. Ruland (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, 3. Aufl. 2003, D. 31, Rn. 42 ff., 73 ff.

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genbeziehung begründet. Es gilt das Territorialitätsprinzip; die wohlfahrtsstaatliche Staatsgewalt wird also auf das Staatsgebiet, nicht auf das Staatsvolk bezogen.58 Die Unionsbürgerschaft hingegen ist, wie die Staatsbürgerschaft (wenn auch auf einer höheren Ebene), Ausdruck des Personalitätsprinzips.59 Weil nun aber die Staatsangehörigkeit keine entscheidende Kategorie für soziale Rechte ist, ist es bei der aus ihr abgeleiteten Unionsbürgerschaft nicht anders. Nicht jeder Unionsbürger ist daher in jedem Mitgliedstaat Sozialbürger; umgekehrt ist aber auch nicht jeder Sozialbürger ein Unionsbürger.60 Art. 17 EGV ist somit keine taugliche Grundlage für ein gemeineuropäisches Solidarprinzip. Wie die Staatsbürgerschaft beschreibt auch die Unionsbürgerschaft einen Status, an den subjektive Rechte anknüpfen (Art. 17 Abs. 2 EGV), der aber selbst kein solches ist.61 Die aus der Sozialbürgerschaft folgende qualifizierte soziale Zugehörigkeit leitet sich also nicht aus dem Status selbst ab, sondern aus den subjektiven Rechten, die diesen prägen.

II. Art. 18 Abs. 1 EGV Der Umstand, dass der Sozialstaat wesentlich Territorialstaat ist, der eine Verantwortung für alle Personen übernimmt, die sich auf seinem Hoheitsgebiet aufhalten, leitet über zu derjenigen Norm, die diesen Aufenthalt subjektiv-rechtlich ermöglicht. Es ist die in Art. 18 EGV garantierte Freizügigkeit.

1. Freizügigkeit und soziale Fürsorge Das antike und das mittelalterliche Gemeinwesen wurden durch Wanderbewegungen kaum berührt, weil Herrschaft über einen bestimmten Personenkreis, nicht über ein Territorium ausgeübt wurde; Aufenthalt führte also nicht automatisch zu politischer und sozialer Inklusion. Im Territorialstaat hingegen ist Aufenthalt das

58 M. Rossi, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Juristenzeitung (JZ) 2002, 351–353 (353). 59 U. Becker, Unionsbürgerschaft und soziale Rechte, Zeitschrift für Europäisches Sozial- und Arbeitsrecht (ZESAR) 2002, 8–12 (12); Schönberger (Anm. 15), 233 f. 60 E. Eichenhofer, Unionsbürgerschaft – Sozialbürgerschaft?, Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht 2003, 404–417 (411 ff.); ferner etwa F. Welti, Anmerkung, ZESAR 2005, 356–360 (359). 61 S. Kadelbach, Unionsbürgerrechte, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, § 21, Rn. 13: „Rahmen eines umfassend angelegten Systems der Rechte“; J. Ziekow, Die Freizügigkeit des Unionsbürgers, in: O. Dörr (Hrsg.), Ein Rechtslehrer in Berlin. Symposium für Albrecht Randelzhofer, 2004, 101 (103 f.).

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„Kernelement aller Angehörigkeitsbeziehungen zu Territorialverbänden“.62 Deshalb nimmt der Staat auch nur seine eigenen Angehörigen von der Entscheidung darüber aus, ob sie Zugang zum Staatsgebiet haben oder nicht.63 In föderalen Ordnungen ist das Aufenthaltsrecht zudem das verbindende Element zwischen den Gliedstaaten. Die bundesrechtliche Aufenthaltsgarantie vermittelt Freizügigkeit über deren Grenzen hinaus und erklärt damit, soweit sie reicht, die personale Zugehörigkeit zu einem Gliedstaat für irrelevant. Mit der Gewährleistung grenzüberschreitender Mobilität vereinbaren die beteiligten Staaten, dass sie ihre Staatsangehörigen wechselseitig nicht mehr als Fremde ansehen, sondern ihren eigenen Angehörigen grundsätzlich gleichstellen möchten. Die Freizügigkeit zwischen den Gliedstaaten hat daher stets eine zentrale Bedeutung bei der Entstehung föderaler Ordnungen gehabt, sei es in Deutschland, der Schweiz oder in den Vereinigten Staaten.64 Allerdings gibt es durchaus Abstufungen. Nicht stets folgt aus der Bundesangehörigkeit ein voraussetzungs- und unterschiedslos gewährleistetes Aufenthaltsrecht, das mit demjenigen vergleichbar ist, das den Einzelnen mit seinem Gliedstaat verbindet. Oftmals behalten die Gliedstaaten die Befugnis, den Aufenthalt von Angehörigen anderer Gliedstaaten zu beenden, was gegenüber den eigenen Staatsangehörigen ausgeschlossen ist (vgl. Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG). Wegen der territorialen Ausrichtung sozialer Leistungen besteht ein enger Zusammenhang zwischen Aufenthaltsrecht und Fürsorgepflicht, die Ausdruck der Solidarität eines Verbandes mit seinen Angehörigen ist. Soziale Bedürftigkeit hat daher in der Geschichte stets die Frage aufgeworfen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Bedürftige dem zuständigen Verband angehört oder nicht; sie ist daher wesentlicher Anknüpfungspunkt auch für Abstufungen beim Aufenthalt.65 Es besteht also eine enge Wechselwirkung zwischen Aufenthaltsrecht und der Pflicht zur sozialen Fürsorge: Weil der Sozialstaat Territorialstaat ist, setzt der Anspruch auf soziale Leistungen regelmäßig den Aufenthalt voraus. Aufenthalt bewirkt soziale Inklusion. Das Aufenthaltsrecht Angehöriger anderer Gliedstaaten wird daher in Frage gestellt, wenn soziale Bedürftigkeit eintritt. Als Territorialstaat kann sich der Sozialstaat seiner Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums eben nur durch aufenthaltsbeendende Maßnahmen entziehen. Soziale Bedürftigkeit ist damit stets eine Art Lackmustest für den Grad der Verfestigung des Aufenthaltsrechts und damit für die Qualität der bundesrechtlich vermittelten Angehörigkeit: Je mehr die personale Zuordnung der Bürger durch die Bundes- und nicht durch 62

Schönberger (Anm. 15), 301. R. Brubaker, Staats-Bürger: Deutschland und Frankreich im historischen Vergleich, 1994, 49. 64 Schönberger (Anm. 15), 305. 65 Schönberger (Anm. 15), 131 ff. 63

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die gliedstaatliche Ebene erfolgt, desto weniger wird das Aufenthaltsrecht in einem Gliedstaat durch soziale Bedürftigkeit berührt.

2. Beschränkungen und Bedingungen der Freizügigkeit Art. 18 Abs. 1 EGV ist nun Ausdruck eben dieser ambivalenten Beziehung zwischen Aufenthalt und sozialer Bedürftigkeit. Er garantiert Freizügigkeit unabhängig von der Arbeitnehmereigenschaft, ist also eine aus dem ökonomischen Kontext gelöste Grundfreiheit.66 Doch gewährleistet er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nur vorbehaltlich der im EG-Vertrag und seinen Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen. Daraus kann man schließen, dass die nicht zweckgebundene allgemeine Freizügigkeit weiter gehenden Einschränkungen unterliegt als die traditionellen Personenverkehrsfreiheiten (Art. 39 und 43 EGV), die einen solchen Vorbehalt nicht enthalten. Das Gemeinschaftsrecht hält damit die traditionelle Unterscheidung zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen partiell aufrecht. Während es davon ausgeht, dass aufgrund der Erwerbstätigkeit sozialrechtliche Bedürftigkeit gar nicht erst entstehen und es daher grundsätzlich unbeschränkte Freizügigkeit gewähren kann, macht es den Aufenthalt bei Nichterwerbstätigen von sozialrechtlichen Voraussetzungen im Sekundärrecht abhängig, insbesondere fehlender Bedürftigkeit und einem ausreichenden Krankenversicherungsschutz.67 Art. 18 Abs. 1 EGV ist ein Gleichheitsrecht, das auf Zugang und Aufenthalt abzielt, damit Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten einen Inländern insoweit vergleichbaren Status erlangen.68 Er garantiert aber nicht alle tatsächlichen Voraus66

Str.; vgl. näher C. Calliess, Der Unionsbürger: Status, Dogmatik und Dynamik, in: A. Hatje/P. M. Huber (Hrsg.), Unionsbürgerschaft und soziale Rechte, EuR 2007, Beiheft 1, 7–42; Kingreen (Anm. 17), 572; Schönberger (Anm. 15), 327 ff.; S. Seyr/H.-C. Rümke, Das grenzüberschreitende Element in der Rechtsprechung des EuGH zur Unionsbürgerschaft, EuR 2005, 667–675 (672 f.). – Für die Einstufung als Grundrecht etwa A. Hatje, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 18 EGV, Rn. 1, und tendenziell auch E. Pache, Begriff, Geltungsgrund und Rang der Grundrechte der EU, in: Heselhaus/C. Nowak (Hrsg.), Handbuch der europäischen Grundrechte, 2006, § 4, Rn. 70. Differenzierend B. Schöbener, in: P. J. Tettinger/K. Stern (Hrsg.), Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechtecharta, 2006, Art. 45, Rn. 5. 67 Näher unten IV. 2. 68 Sieht man hingegen in Art. 18 Abs. 1 EGV ein Freiheitsrecht (so A. von Bogdandy/S. Bitter, Unionsbürgerschaft und Diskriminierungsverbot. Zur wechselseitigen Beschleunigung der Schwungräder unionaler Grundrechtsjudikatur, in: C. Gaitanides/S. Kadelbach/G.

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setzungen, die für den Zugang und den Verbleib erforderlich sind.69 Sein sachlicher Schutzbereich beschränkt sich auf das „Ob“ des Aufenthalts; die Modalitäten (das „Wie“) des Aufenthalts sind hingegen nicht Gegenstand der allgemeinen Freizügigkeitsgarantie. Aus eben diesem Grund gewährleistet die Freizügigkeitsgarantie daher auch keinen Anspruch auf die Gewährung von Sozialleistungen durch den aufnehmenden Mitgliedstaat. Im Gegenteil wird ja das Aufenthaltsrecht davon abhängig gemacht, dass gerade keine sozialrechtliche Bedürftigkeit vorliegt oder einzutreten droht. Art. 18 EGV enthält also ein Recht auf Aufenthalt, ist aber keine Grundlage für Rechte im Aufenthalt.70 Der EuGH leitet aus eben diesem Grunde sozialrechtliche Teilhabeansprüche von Unionsbürgern zu Recht nicht aus Art. 18 Abs. 1 EGV, sondern aus Art. 12 Abs. 1 EGV ab.71

III. Art. 12 Abs. 1 EGV Das leitet über zu Art. 12 Abs. 1 EGV, der ein Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit statuiert, wenn und soweit der Anwendungsbereich des Vertrages eröffnet ist.

C. Rodríguez Iglesias (Hrsg.), Europa und seine Verfassung, Festschrift für Manfred Zuleeg, 2005, 309 (321)), muss dieser Maßstab auch für die Rechte im Aufenthalt gelten mit der auch von diesen Autoren als hochproblematisch empfundenen Konsequenz, dass die Freizügigkeit zur Expansion unionaler Grundrechte führt. Vgl. näher zum hier vertretenen Zusammenhang zwischen Zugangsrecht und gleichheitsrechtlicher Interpretation Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Anm. 12), Art. 28–30 EGV, Rn. 65, 68. 69 U. Becker, Freizügigkeit in der EU – auf dem Weg vom Begleitrecht zur Bürgerfreiheit, EuR 1999, 522–533 (529, 533); S. Bode, Europarechtliche Gleichbehandlungsansprüche Studierender und ihre Auswirkungen in den Mitgliedstaaten, 2005, 216 ff. A. A. etwa D. Scheuing, Freizügigkeit als Unionsbürgerrecht, EuR 2003, 744–792 (783 f.), und wohl auch Magiera, in: Streinz (Anm. 51), Art. 18 EGV, Rn. 16. 70 Zu dieser Unterscheidung auch Becker (Anm. 59), 8. 71 Vgl. etwa die klare Trennung zwischen Art. 18 EGV und Art. 12 EGV in EuGH, Rs. C-456/02 (Trojani), Slg. 2004, I-7573, Rn. 30–38 und 39–45; weniger deutlich noch in EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Slg. 2001, I-6193, Rn. 30 ff. Keine andere Beurteilung rechtfertigt EuGH, Rs. C-224/98 (D’Hoop), Slg. 2002, I-6191, Rn. 29 ff., wo der Gerichtshof allein Art. 18 EGV heranzieht: Die Ablehnung der sozialen Vergünstigung durch den zuständigen Träger beruhte nämlich nicht auf der Staatsangehörigkeit, sondern auf einem früheren Gebrauchmachen von der Freizügigkeit (Schulausbildung in einem anderen Mitgliedstaat).

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1. Der Grundsatz der Inländerbehandlung Für das Gleichheitsgebot ist die föderal gegliederte Fläche eine „offene Flanke“:72 Föderale Systeme bergen die Gefahr, dass die Gliedstaaten den Wettbewerb untereinander durch Bevorzugung ihrer Mitglieder zu beeinflussen suchen (föderale Gefährdungslagen).73 Bundesstaatliche Verfassungen reagieren darauf mit innerföderalen Gleichbehandlungsansprüchen. Diese beinhalten das Verbot, die Zugehörigkeit zu einem Mitgliedstaat zur Grundlage einer Differenzierung durch einen anderen Mitgliedstaat zu machen. Das Gebot der Inländerbehandlung zielt auf die „Überwindung des Fremdenstatus“:74 Die Gliedstaaten kommen überein, dass sie die Angehörigen der anderen Gliedstaaten rechtlich nicht mehr als Fremde, sondern wie ihre eigenen Staatsangehörigen behandeln. Derartige Normen finden sich in vielen bundesstaatlichen Verfassungen, wobei ihre Bedeutung vom Grad der bundesrechtlichen Unitarisierung abhängt. In dem Maße, in dem die Rechtsordnung des Gesamtverbandes vereinheitlicht wird, geht ihre praktische Bedeutung zurück.75 Daher sind zwar das Diskriminierungsverbot in Art. 12 Abs. 1 EGV und die Grundfreiheiten bedeutende Bausteine des europäischen Verfassungsverbundes, wohingegen der bundesdeutsche Art. 33 Abs. 1 GG mittlerweile das triste Dasein eines „verfassungsrechtlichen Fossils“76 fristet.

2. Der Anwendungsbereich des Vertrages Art. 12 Abs. 1 EGV war bis zum Maastrichter Vertrag das einzige subjektivöffentliche Recht im primären Gemeinschaftsrecht, das nicht an den Tatbestand der Erwerbstätigkeit anknüpft. Allerdings gewährleistet er innerföderale Gleichbehandlung nur „im Anwendungsbereich des Vertrages“. Daraus hat man lange Zeit geschlossen, dass ein irgendwie gearteter Bezug zum Binnenmarkt gegeben sein 72 G. Dürig, in: T. Maunz/G. Dürig u.a. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Loseblattslg., Art. 3 Abs. 1 (1973), Rn. 233. 73 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, 27; die Kennzeichnung ist nicht pejorativ, sondern ein am subjektiv-öffentlichen Recht auf bundesweite Gleichbehandlung ansetzender Befund (zutreffend Schönberger (Anm. 15), 383). 74 A. von Bogdandy, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Loseblattslg., Art. 12 EGV (2005), Rn. 1. 75 Vgl. bereits P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, 5. Aufl. 1911, 186, für Art. 3 Abs. 1 RV 1871. 76 So bereits H.-U. Gallwas, Zur Aktualität des Prinzips bundesstaatlicher Gleichheit, in: H. Spanner u.a. (Hrsg.), Festschrift für Theodor Maunz, 1971, 103 (111).

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muss. Der EuGH übersetzt die Wendung dahingehend, dass eine „gemeinschaftsrechtlich geregelte Situation“77 vorliegt bzw. der Fall „Berührungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte“ aufweist, „auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt“.78 Er hat dies in zwei Urteilen aus dem Jahre 1988 lediglich durch die Bemerkung eingeschränkt, dass der „gegenwärtige Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts“79 zu berücksichtigen sei. So fiel beim damaligen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts die finanzielle Förderung der Studierenden (BAföG) nicht in den Anwendungsbereich des Vertrages, weil Bildungs- und Sozialpolitik als Sache der Mitgliedstaaten galt.80 Diese Rechtsprechung sieht der EuGH allerdings durch unionsrechtliche Fortentwicklungen als überholt an. Nunmehr soll auch die finanzielle Förderung ausländischer Studierender, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen.81 Der EuGH begründet diese neue Einsicht damit, dass durch den Vertrag über die Europäische Union ein Kapitel über die allgemeine und berufliche Bildung sowie die Unionsbürgerschaft in den EG-Vertrag aufgenommen worden seien.82 Diese Begründung ist nur partiell überzeugend:83 Aufgaben- und Befugnisnormen der Union besagen nichts darüber, welche Diskriminierungen durch die Mitgliedstaaten, die ja Ausübung mitgliedstaatlicher, nicht unionaler Kompetenzen sind, in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen.84 Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit sind Ausdruck föderaler Gefährdungslagen und treten daher nur dort auf, wo die Union gerade keine Kompetenzen hat. Abgesehen davon würde auch das Kapitel über die allgemeine und die berufliche Bildung nicht die spätere Aussage des

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EuGH, Rs. 186/87 (Cowan), Slg. 1989, 195, Rn. 10. EuGH, Verb. Rs. 35 u. 36/82 (Morson), Slg. 1982, 3723, Rn. 16. 79 EuGH, Rs. 39/86 (Lair), Slg. 1988, 3161, Rn. 15; Rs. 197/86 (Brown), Slg. 1988, 3205, Rn. 18. 80 EuGH, Rs. 39/86 (Lair), Slg. 1988, 3161, Rn. 14 f.; Rs. 197/86 (Brown), Slg. 1988, 3205, Rn. 17 f. 81 EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Slg. 2001, I-6193, Rn. 35. 82 EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Slg. 2001, I-6193, Rn. 35; Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119, Rn. 39. 83 Kritisch etwa auch S. Bode, Unterhaltsbeihilfen für ausländische Studenten ohne Daueraufenthaltsstatus. Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 15.3.2005, Rs. C-209/03 (Bidar), Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2005, 279–282 (280 f.), und Schönberger (Anm. 15), 399 f. 84 Vgl. näher T. Kingreen, Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, § 13, Rn. 8, 10. 78

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EuGH stützen, dass die (unabhängig von Bildungsangeboten gewährte) Sozialhilfe in den Anwendungsbereich des Vertrages fällt.85 Gehaltvoller ist demgegenüber der Begründungsansatz über die Unionsbürgerschaft. Zwar ist diese selbst kein subjektiv-öffentliches Recht.86 Sie schafft aber einen rechtlichen Status, der neben die nationale Staatsbürgerschaft tritt. An diesen Status knüpft das Unionsrecht transnationale Rechte wie Art. 18 EGV. Dieser begründet nur für Unionsbürger ein Recht auf Freizügigkeit, das seinerseits die Voraussetzung dafür ist, dass soziale Leistungen in Anspruch genommen werden können. Art. 18 Abs. 1 EGV eröffnet damit den Anwendungsbereich des Vertrages im Sinne von Art. 12 Abs. 1 EGV: Wer von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht, indem er sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt und sich dort rechtmäßig aufhält, wird grundsätzlich durch das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EGV geschützt.87 Das allgemeine Diskriminierungsverbot ist damit eine „funktionelle Verlängerung der Freizügigkeitsvorschriften“.88 Es ergänzt das Recht auf Aufenthalt durch ein Recht im Aufenthalt. In diesem Sinne wird man auch den EuGH verstehen können:89 Der Gerichtshof begründet seine veränderte Rechtsprechung zwar mit der Unionsbürgerschaft, bezieht aber Art. 18 Abs. 1 EGV in allen seinen Entscheidungen unmittelbar auf die Prüfung des Anwendungsbereiches des Gemeinschaftsrechts i.S.v. Art. 12 Abs. 1 EGV.90 Dagegen wird nun vorgebracht, dass Art. 18 Abs. 1 EGV keine Vollintegration bewirken solle und daher allein das Gebrauchmachen von der Freizügigkeit nicht

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EuGH, Rs. C-456/02 (Trojani), Slg. 2004, I- 7573, Rn. 42. Vgl. oben 1. b). 87 So auch von Bogdandy/Bitter (Anm. 68), 317; W. Cremer, Unterhaltsstipendien für Studierende aus anderen Mitgliedstaaten nach dem Grzelczyk-Urteil des EuGH – Ausbildungsförderung für alle?, Wissenschaftsrecht 36 (2003), 128–155 (147); Hatje (Anm. 66), Art. 18 EGV, Rn. 7; R. Kanitz/P. Steinberg, Grenzenloses Gemeinschaftsrecht? Die Rechtsprechung des EuGH zu Grundfreiheiten, Unionsbürgerschaft und Grundrechten als Kompetenzproblem, EuR 2003, 1013–1036 (1018). 88 GA Poiares Maduro, Rs. C-72/03 (Carbonati Apuani), Slg. 2004, I-8027, Ziff. 67, unter Berufung auf K. Lenaerts, L’égalité de traitement en droit communautaire. Un principe unique aux apparences multiples, Cahiers de Droit européen 1991, 3 ff. 89 Ziekow (Anm. 61), 105; tendenziell auch F. Wollenschläger, Studienbeihilfen für Unionsbürger?, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2005, 1023–1026 (1024). 90 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119: „in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, auf Art. 12 EG berufen“ (Rn. 32). „Zu diesen Situationen gehören auch (…) diejenigen, die die Ausübung der durch Art. 18 EG verliehenen Freiheit (…) betreffen“ (Rn. 33; Hervorhebung nur hier). 86

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automatisch zur Eröffnung des Anwendungsbereiches des Diskriminierungsverbotes führen dürfe.91 Doch trifft diese Kritik nicht den Kern der Problematik. Art. 18 Abs. 1 EGV kann nämlich den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts nur so weit eröffnen, wie er selbst reicht. Zwar ist das Gemeinschaftsrecht über lange Zeit nach dem Prinzip „Alles oder nichts“ verfahren:92 Die sozialen Rechte der nach Art. 39 EGV Freizügigkeitsberechtigten wurden uneingeschränkt auf transnationale Sachverhalte ausgedehnt, für alle anderen ist eine transnationale Leistungsberechtigung hingegen schon dem Grunde nach verneint worden. Tertium non datur. Art. 18 Abs. 1 EGV eröffnet nun aber für die sonstigen Freizügigkeitsberechtigten die Möglichkeit differenzierter Integration, indem er seine Gewährleistung unter den Vorbehalt der Beschränkungen und Bedingungen des Unionsrechts stellt. Die Prüfung des Anwendungsbereiches des Gemeinschaftsrechts kann daher nicht auf ein binäres „Entweder-oder“ reduziert werden; sie muss vielmehr fragen, wie weit dieser im konkreten Fall reicht.93 Nur bei dieser Interpretation behält die Wendung auch in Art. 12 Abs. 1 EGV eine sinnvolle Funktion und löst sich das Gemeinschaftsrecht von den Alternativen Voll- oder Nullintegration. Art. 18 Abs. 1 EGV eröffnet daher zwar prinzipiell den Anwendungsbereich des Vertrages, bleibt aber im weiteren Verlauf der Prüfung des Art. 12 Abs. 1 EGV präsent und eröffnet daher auch die Möglichkeit für Differenzierungen zwischen In- und Ausländern. Das Verhältnis zwischen Aufenthaltsrecht auf der einen und diskriminierungsfreiem Zugang zu Sozialleistungen auf der anderen Seite ist damit dogmatisch kein Problem des Anwendungsbereiches des Gemeinschaftsrechts, sondern lässt sich im Rahmen der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit abarbeiten.94 Das hat zur Konsequenz, dass zwar jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, einen grundsätzlichen Anspruch auf Gleichbehandlung nach Art. 12 Abs. 1 EGV hat, sein aufenthaltsrechtlicher Status aber zum Anknüpfungspunkt für Differenzierungen genommen werden kann.95

91 Ausführliche Kritik vor allem bei Bode (Anm. 69), 252 ff.; ebenso etwa W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Anm. 12), Art. 18 EGV, Rn. 5. 92 Schönberger (Anm. 15), 410. 93 Näher Kingreen (Anm. 84), § 13, Rn. 8 ff. 94 Näher unten V. 1. 95 J. Martínez Soria, Die Unionsbürgerschaft und der Zugang zu sozialen Vergünstigungen, JZ 2002, 643 (646).

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IV. Das Gemeinsame Indigenat Die europäische Sozialbürgerschaft besteht damit aus zwei Komponenten: der Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten (Art. 18 EGV) und dem Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 12 EGV). Es ist also weder die Unionsbürgerschaft selbst noch sind es soziale oder sonstige Grundrechte, die soziale Leistungsrechte in anderen Mitgliedstaaten begründen. Die normative Basis der Sozialbürgerschaft findet sich vielmehr in den klassischen transnationalen Integrationsnormen, die sich spezifisch dem Abbau föderaler Gefährdungslagen verschrieben haben.96 Dieser enge Zusammenhang zwischen Freizügigkeit und Diskriminierungsverbot ist in der Rechtsprechung des EuGH angedeutet, aber nicht wirklich ausgearbeitet. Dabei sind historisch und rechtsvergleichend Aufenthaltsrecht und Inländerbehandlung die beiden prägenden Merkmale der Bundesangehörigkeit in föderalen Ordnungen. Die deutsche Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts hat sie im Begriff des gemeinsamen Indigenats zusammengefasst.97 Das gemeinsame Indigenat bildet eine dritte Angehörigkeitsbeziehung zwischen dem Einzelnen und der Hoheitsgewalt ab: Neben die Beziehung zum eigenen Mitgliedstaat und zum Bund tritt das Verhältnis zur Hoheitsgewalt anderer Gliedstaaten, das durch die subjektiven Rechte auf Aufenthalt und Inländerbehandlung geprägt ist.98 Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Rechten lässt sich etwa auch in der Schweizer und der US-amerikanischen Verfassung nachweisen. Nirgends ist er aber so klar profiliert worden wie in der Weimarer Reichsverfassung: Gemäß Art. 110 Abs. 2 WRV hatte jeder Deutsche „in jedem Lande des Reiches die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst“. Im unmittelbar anschließenden Art. 111 WRV wurde dieses Gebot der Inländerbehandlung durch die Garantie der Freizügigkeit und des Aufenthalts im ganzen Reich ergänzt. Im Grundgesetz konnte dieser Zusammenhang durch die Auslagerung von Art. 33 Abs. 1 GG aus dem Grundrechtsabschnitt auseinander gerissen werden, nachdem eine Landesstaatsangehörigkeit nicht mehr existiert99 und damit föderale Gefährdungslagen nur noch eine untergeordnete Rolle im bundesstaatlichen Diskurs spielen.

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Vgl. zur Unterscheidung zwischen den der supranationalen Legitimation dienenden Grundrechten und den auf transnationale Integration gerichteten Grundfreiheiten T. Kingreen, Grundfreiheiten, in: von Bogdandy (Anm. 16), 652 ff. 97 Vgl. dazu etwa O. Bockshammer, Das Indigenat des Art. 3 der deutschen Reichsverfassung, 1896. 98 Schönberger (Anm. 15), 208 f.; vgl. bereits Kingreen (Anm. 73), 28 ff. 99 Vgl. etwa J. Masing, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 16, Rn. 42.

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Damit ist zumindest dem Grunde nach die Ausgangsfrage nach den normativen Grundlagen für die Universalisierung sozialer Rechte im europäischen Gemeinschaftsrecht beantwortet: Art. 12 Abs. 1 und Art. 18 Abs. 1 EGV bilden die wesentlichen verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Begründung eines neuen Sozialrechtsverhältnisses, das allerdings recht voraussetzungsvoll ist: Die Inanspruchnahme sozialer Leistungen setzt zwar einerseits den Aufenthalt auf dem Territorium des zuständigen Staates voraus; sie löst aber andererseits stets die Frage nach der Aufenthaltsberechtigung aus. Anders gewendet: Je mehr Möglichkeiten der Differenzierung Art. 12 Abs. 1 EGV im Hinblick auf die über Art. 18 Abs. 1 EGV zuwandernden Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten eröffnet, desto weniger besteht die Notwendigkeit aufenthaltsverweigernder oder -beendender Maßnahmen. Trotz dieses engen Zusammenhanges lassen sich aber im konkreten Fall die hier auftretenden Fragen im Hinblick auf die Prüfungsmaßstäbe getrennt abarbeiten:100 – Art. 18 Abs. 1 EGV garantiert das Recht auf Aufenthalt (das „Ob“ des Aufenthaltes). Er ist daher Maßstab für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Aufenthalt verweigert bzw. beendet werden kann, wenn soziale Leistungen in Anspruch genommen werden. – Art. 12 Abs. 1 EGV hingegen enthält das zentrale Recht im Aufenthalt (das „Wie“ des Aufenthaltes). Er ist der entscheidende Maßstab für die Frage, ob und ggf. in welchem Maße ein Mitgliedstaat bei der Gewährung sozialer Leistungen zwischen den eigenen Staatsangehörigen und anderen Unionsbürgern differenzieren darf. Methodisch bedeutet dies, dass zwischen Art. 12 Abs. 1 und Art. 18 Abs. 1 EGV kein Verhältnis der Spezialität besteht.101 Wegen der sachlich aufeinander aufbauenden Gewährleistungsgehalte (hier das „Ob“, dort das „Wie“ des Aufenthalts) überschneiden sich beide vielmehr überhaupt nicht, so dass sich die Frage nach der Konkurrenz nicht stellt.

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Auch der stellt nur auf Art. 18 Abs. 1 EGV und nicht auch auf Art. 12 Abs. 1 EGV ab, wenn das Aufenthaltsrecht wegen sozialer Bedürftigkeit, nicht aber die sozialrechtliche Gleichbehandlung selbst in Rede steht; vgl. EuGH, Rs. C-413/99 (Baumbast und R), Slg. 2002, I-7091, Rn. 84 ff. 101 So aber etwa von Bogdandy/Bitter (Anm. 68), 318; Magiera (Anm. 51), Art. 18 EGV, Rn. 8.

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D. Recht auf Aufenthalt: Art. 18 Abs. 1 EGV I. Aufenthaltsrechtliche Regelungen in der Freizügigkeitsrichtlinie Art. 18 Abs. 1 EGV ist trotz des Vorbehaltes primär- und sekundärrechtlicher Beschränkungen und Bedingungen unmittelbar anwendbar102 und damit als höherrangiges Recht auch Maßstab für die Setzung und Anwendung des sekundären Gemeinschaftsrechts. Zugleich wird er durch eben dieses Recht geprägt. Daraus erwächst ein kompliziertes Wechselspiel zwischen verfassungsrechtlichem Maßstab und einfach-rechtlicher Ausgestaltung: Der einfache Gesetzgeber ist befugt, das subjektiv-öffentliche Verfassungsrecht auszugestalten, aber zugleich an dasselbe gebunden. Diese Wechselbeziehung wird vor allem durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gesteuert: Das Sekundärrecht ist daher zunächst im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips primärrechtskonform auszulegen. Rechtsakte des sekundären Gemeinschaftsrechts, die selbst unverhältnismäßig sind und nicht primärrechtskonform ausgelegt werden können, stellen sich als fehlgeschlagene einfach-rechtliche Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Freizügigkeitsgarantie dar; sie sind unzulässige Eingriffe.103 Das Sekundärrecht prägt daher zwar die Prüfung des Einflusses sozialer Bedürftigkeit auf das Aufenthaltsrecht, wird aber durch primärrechtliche Vorgaben beeinflusst: Aufenthaltsverweigerung und Ausweisung tangieren Art. 18 Abs. 1 EGV und sind daher nur primärrechtskonform, wenn sie verhältnismäßig sind.104 Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat das Freizügigkeitsrecht zunächst in Gestalt von bereichsspezifischen Richtlinien geregelt, die überwiegend bereits älter sind als die verfassungsrechtliche Freizügigkeitsgarantie selbst.105 An deren Stelle ist am 29. 4. 2004 die sog. Freizügigkeitsrichtlinie getreten, die einen einheitlichen Rechtsrahmen für Freizügigkeit und Aufenthalt der Unionsbürger und ihrer Fami-

102 EuGH, Rs. C-413/99 (Baumbast und R), Slg. 2002, I-7091, Rn. 84 ff.; vgl. für Nachweise auf die bis dahin kontroverse Debatte Bode (Anm. 69), 208 ff. 103 Vgl. zur Problematik normgeprägter Grundrechte B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 22. Aufl. 2006, Rn. 209 ff.; ausführlich M. Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005. 104 Weiter gehend für die Reduzierung des Vorbehalts sozialer Absicherung auf einen Missbrauchsvorbehalt Scheuing (Anm. 69), 771 ff. 105 Vgl. die Aufstellung im 4. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl.EG Nr. L 158/77.

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lienangehörigen implementiert.106 Für nicht erwerbstätige Unionsbürger sind danach aufenthaltsrechtlich drei Stadien zu unterscheiden: – Gemäß Art. 6 RL 2004/38 haben Unionsbürger und ihre Familienangehörigen aus Drittstaaten grundsätzlich ein Recht auf Aufenthalt von bis zu drei Monaten, ohne dass es dafür weiterer materiell-rechtlicher Voraussetzungen bedürfte. – Für einen Aufenthalt von über drei Monaten bis zu fünf Jahren haben Unionsbürger gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38 ein Aufenthaltsrecht, wenn sie für ihr eigenes Auskommen und dasjenige ihrer Familienangehörigen Sorge tragen können. – Nach fünf Jahren rechtmäßigem Aufenthalt erwerben dann gemäß Art. 16 RL 2004/38 der Unionsbürger und seine Familienangehörigen ein Daueraufenthaltsrecht.

II. Sozialrechtlicher Einfluss auf das Aufenthaltsrecht Der sozialrechtliche Status knüpft an diese aufenthaltsrechtliche Differenzierung an: Bei einem Aufenthalt bis zu drei Monaten (1) bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie Unionsbürgern Sozialhilfe gewähren. Wenn sie dies tun, darf das Aufenthaltsrecht nach Art. 14 Abs. 1 RL 2004/38 aber nur beendet werden, wenn Leistungen unangemessen in Anspruch genommen werden.107 Nach Ablauf von 5 Jahren rechtmäßigen Aufenthalts (3) berühren demgegenüber soziale Bedürftigkeit bzw. ein fehlender/unzureichender Krankenversicherungsschutz das Aufenthaltsrecht gar nicht mehr. Problematisch ist daher vor allem der unter (2) genannte Zeitraum: Ein Aufenthalt von über drei Monaten und unter fünf Jahren setzt hingegen gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b), d) RL 2004/38 voraus, dass der eingereiste Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen. Außerdem müssen sie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen.

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Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl.EG Nr. L 158/77; dazu C. Schönberger, Die Unionsbürgerschaft als Sozialbürgerschaft, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 2006, 226–231 (227 ff.) 107 Dazu kritisch K. Hailbronner, Unionsbürgerschaft und Zugang zu den Sozialsystemen, JZ 2005, 1138–1144 (1142 f.).

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1. Sozialhilferechtliche Bedürftigkeit Hinsichtlich der sozialrechtlichen Bedürftigkeit werden im Wesentlichen zwei Fragen diskutiert. Erstens wird diskutiert, ob der Einreisende selbst die erforderlichen Existenzmittel nachweisen muss oder ob er sich auch auf finanzielle Ressourcen anderer, ihm nahe stehender Personen berufen kann. Da das einschlägige Sekundärrecht nur fordert, dass der Einreisende über erforderliche Existenzmittel „verfügen“ muss, kommt es nach Ansicht des EuGH auf die Herkunft der Mittel grundsätzlich nicht an.108 Es muss sich also jedenfalls nicht um eigene Mittel handeln. Fraglich ist allerdings, ob der (Rechts-)Grund der Leistungen, die die Existenz sichern, eine Rolle spielt. So könnte man überlegen, dass Mittel anderer Personen nur berücksichtigt werden müssen, wenn diese aufgrund rechtlicher Verpflichtungen, insbesondere also bürgerlich-rechtlicher Unterhaltspflichten, fließen. Nach Ansicht des EuGH wäre es indes unverhältnismäßig, eine rechtliche Beziehung zwischen Leistendem und Begünstigten zu fordern. Der Wegfall ausreichender Existenzmittel stelle stets ein latentes Risiko dar, und zwar auch für den Fall, dass Dritte zur Erbringung der Leistungen gesetzlich verpflichtet sind.109 Das überzeugt nicht: Es geht nämlich bei der Frage des Rechtsgrundes nicht um das tatsächliche Risiko der Zahlungsfähigkeit, sondern um die Möglichkeit des Staates, Rückgriff (§ 33 SGB II, §§ 93 f. SGB XII) bei einem zwar zahlungsfähigen, aber nicht zahlungswilligen Dritten zu nehmen. Problematisch ist zweitens, ob das anfängliche Fehlen ausreichender Existenzmittel genauso zu behandeln ist wie deren nachträglicher Wegfall. Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38 garantiert nämlich jedem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat ein Recht auf gleiche Behandlung. Dieses umfasst gemäß Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38 nach drei Monaten rechtmäßigem Aufenthalt auch einen Anspruch auf Sozialhilfe. Wenn nun aber die Inanspruchnahme der Sozialhilfe stets aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach sich ziehen würden, würde sich dieser Anspruch als Danaergeschenk erweisen. Die Ausweisung würde den territorialen Kontakt mit dem Aufnahmemitgliedstaat unterbinden, der seinerseits Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Leistungen ist. Eine derart bedingungslose Verknüpfung zwischen Bedürftigkeit und Ausweisung würde das durch Art. 18 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 EGV begründete neue Sozialrechtsverhältnis weitgehend ins Leere laufen lassen. Aus diesem Grunde werden Sozialhilfeanspruch und Aufenthaltsrecht auch partiell entkoppelt. Diese Ablösung ist bereits in der Entscheidung Grzelczyk angelegt: Danach darf die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nicht automatisch zum Verlust des Aufenthaltsrechts führen, insbesondere wenn die Schwierigkeiten des 108 109

EuGH, Rs. C-200/02 (Zhu und Chen), Slg. 2004, I-9925, Rn. 30. EuGH, Rs. C-408/03 v. 23.3.2006 (Kommission/Belgien), Slg. 2006, I-2647, Rn. 47.

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Aufenthaltsberechtigten vorübergehender Natur sind.110 Insoweit vermittelt Art. 18 Abs. 1 EGV also primärrechtlichen Schutz, den auch das sekundäre Aufenthaltsrecht und das dieses umsetzende nationale Recht achten müssen. Tatsächlich finden sich die genannten Einschränkungen der Ausweisungsbefugnis in Art. 14 Abs. 3 RL 2004/38 sowie im 16. Erwägungsgrund der Richtlinie. Dieser enthält zudem die Erläuterung, dass alle Umstände des Einzelfalls (Dauer des Aufenthalts, persönliche Umstände, gewährter Sozialhilfebetrag) bei der Entscheidung über die Ausweisung zu berücksichtigen seien. Letztlich hängt die Zulässigkeit der Ausweisung damit von einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ab, die insoweit als verfassungsrechtliche Schranken-Schranke der Ausweisungsbefugnis fungiert.111 Der deutsche § 4 FreizügG/EU vollzieht diese partielle Entkoppelung hingegen bislang noch nicht, kann aber europarechtskonform entsprechend ausgelegt werden.

2. Umfassender Krankenversicherungsschutz Auch das Erfordernis eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes ist im Lichte von Art. 18 Abs. 1 EGV auszulegen. Daher bedarf es auch insoweit der Prüfung, ob eine Ausweisung wegen unzureichender Krankenversicherung verhältnismäßig ist. Die Richtlinie enthält dazu, anders als bei der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen, keine weiteren Regelungen. Der EuGH hatte allerdings in der Entscheidung Baumbast Gelegenheit, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Eine britische Ausländerbehörde hatte es abgelehnt, einem deutschen Staatsangehörigen und seinen Familienangehörigen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil seine deutsche Krankenversicherung keine Notfallversorgung im Vereinigten Königreich abdeckte. Der EuGH hat darin einen Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 EGV gesehen: Die Beschränkungen und Bedingungen i.S.v. Art. 18 Abs. 1 EGV sind danach „unter Einhaltung der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grenzen und im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, anzuwenden. Das bedeutet, dass unter diesem Gesichtspunkt erlassene nationale Maßnahmen zur Erreichung des 110

EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Slg. 2001, I-6193, Rn. 43 f.: Im konkreten Fall hatte der Betreffende bereits drei Jahre im Aufnahmestaat studiert, ohne Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen und war erst in seinem vierten und letzten Studienjahr bedürftig geworden, weil er sein Studium wegen der nahenden Abschlussprüfungen nicht mehr durch zeitaufwändige Nebentätigkeiten finanzieren konnte. Zum Problem, das Kriterium der nur vorübergehenden Bedürftigkeit zu konkretisieren, Cremer (Anm. 87), 150. 111 von Bogdandy/Bitter (Anm. 68), 315.

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angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich sein müssen.“112 Insoweit sei von Belang, dass der Betreffende erstens unstreitig über ausreichende Existenzmittel verfüge, „dass er zweitens mehrere Jahre lang, zunächst als Arbeitnehmer und dann als Selbstständiger, im Aufnahmemitgliedstaat gearbeitet und somit rechtmäßig gewohnt hat, dass drittens in dieser Zeit auch seine Familie im Aufnahmemitgliedstaat wohnte und nach Beendigung seiner dortigen unselbstständigen und selbstständigen Erwerbstätigkeit in diesem Staat verblieben ist, dass viertens weder Herr Baumbast noch seine Familienangehörigen die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats belastet haben und dass schließlich sowohl Herr Baumbast als auch seine Familie in einem anderen Mitgliedstaat in vollem Umfang krankenversichert sind“113. Die Nichterteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sei unter diesen Gesichtspunkten ein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 18 Abs. 1 EGV.

E. Recht im Aufenthalt: Art. 12 Abs. 1 EGV I. Dogmatische Verarbeitung unmittelbarer Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit Die gemeinschaftsrechtliche Rechtstellung im Aufenthalt wird vor allem durch Art. 12 Abs. 1 EGV geprägt. Dieser ist Maßstab, wenn ein Mitgliedstaat Staatsangehörige aus anderen Mitgliedstaaten sozialrechtlich schlechter behandelt als Inländer. Darin liegt eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit: Der Mitgliedstaat stützt die Benachteiligung nämlich allein auf den gegenüber Inländern abgeschwächten aufenthaltsrechtlichen Status des Berechtigten, der seinerseits Folge der Staatsangehörigkeit ist. Während die eigenen Staatsangehörigen ein prinzipiell unbeschränktes Aufenthaltsrecht besitzen, ist dieses bei Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten abgestuft und damit beschränkt. Unmittelbare Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit ziehen eine klare Linie zwischen Zugehörigen und Fremden und bringen dies auch deutlich zum Ausdruck. Sie wagen es, Grenzen, auch und gerade des innerföderalen Solidarprinzips, zu ziehen. Diese abzubauen, ist indes gerade die wesentliche Funktion des Bundesrechts im föderalen Verbund. Unmittelbare Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit gelten daher als schwerwiegende Belastungsproben für ein föderales Gemeinwesen und werden bundesrechtlich entsprechend sanktioniert. Das mag ein wesentlicher Grund dafür sein, dass im Schrifttum sogar die Ansicht vertreten wird, dass unmittelbare Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit 112 113

EuGH, Rs. C-413/99 (Baumbast und R), Slg. 2002, I-7091, Rn. 91. EuGH, Rs. C-413/99 (Baumbast und R), Slg. 2002, I-7091, Rn. 92.

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überhaupt nicht vor Art. 12 Abs. 1 EGV gerechtfertigt werden können,114 während der EuGH der Frage trotz einschlägiger Fallgestaltungen regelmäßig ausweicht.115 Nur vereinzelt finden sich Ansätze, die darauf hinauslaufen, dass der Gerichtshof unmittelbare Diskriminierungen jedenfalls einer strengeren Rechtfertigungsprüfung unterwerfen möchte als mittelbare Diskriminierungen, die selbst nicht an der Staatsangehörigkeit anknüpfen, sondern andere Anforderungen enthalten, die jedoch typischerweise denselben Effekt haben wie eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit.116 Das ist nicht einsichtig: Warum sollten unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen unterschiedlich behandelt werden? Die Differenzierung des EuGH fördert den versteckten Protektionismus, der Benachteiligungen wegen der Staatsangehörigkeit nur geschickt verschleiert, statt sie offen zu legen. Und für den benachteiligten Ausländer kann es ohnehin keinen Unterschied machen, ob er durch eine unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Maßnahme oder durch eine sonstige Maßnahme diskriminiert wird, die im Ergebnis wie eine Ungleichbehandlung wegen der Staatsangehörigkeit wirkt.117 Die Tatsache, dass unmittelbare Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit nach wie vor mit Samthandschuhen angefasst werden, hat bislang verhindert, dass die Frage abgestufter innerföderaler Solidarität Eingang in die Rechtfertigungsdogmatik des Art. 12 Abs. 1 EGV gefunden hat. Das Problem ist zwar in Einzelfällen aufgetreten, aber doch nicht grundlegender thematisiert worden, weil es, so die traditionelle Vorstellung, unmittelbare Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit angesichts des fortgeschrittenen Integrationsprozesses eigentlich nicht (mehr) geben darf.118 Bei genauerem Hinsehen sind es aber gerade die Vertiefung des Integrationsprozesses und das Ausgreifen des Unionsrechts in alle Lebensbereiche, die einen Beitrag zur Enttabuisierung unmittelbarer Diskriminierungen leisten. Denn gerade dieser umfassende politische Anspruch bewirkt, dass das Unionsrecht auch in diejenigen Bereiche vordringt, die traditionell als Reservate der Nationalstaaten gelten. Diese Reservate, etwa Teilbereiche des öffentlichen Dienstes und der Verteidigung, bleiben nach wie vor durch die Kategorie der Staatsangehörigkeit geprägt (vgl. nur Art. 39 Abs. 4 EGV). Dann kann es aber den

114

Holoubek, in: Schwarze (Anm. 66), Art. 12 EGV, Rn. 55. S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, 131 f. 116 Vgl. EuGH, Rs. C-388/01 (Kommission/Italien), Slg. 2003, I-721, Rn. 19, 21, sowie dazu Kingreen (Anm. 84), § 13, Rn. 19. 117 So im Ergebnis auch A. Epiney in: Calliess/Ruffert (Anm. 12), Art. 12 EGV, Rn. 42; M. Rossi, Das Diskriminierungsverbot nach Art. 12 EGV, EuR 2000, 197, 213 f. 118 Diesen Eindruck erweckt deutlich EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119, Rn. 49, 54; vgl. auch den Befund von Schönberger (Anm. 15), 407 ff. 115

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Mitgliedstaaten auch nicht grundsätzlich verwehrt sein, zwischen Zugehörigen und Fremden zu unterscheiden. Diese an der Staatsangehörigkeit anknüpfende Differenzierungsbefugnis lässt sich auch normativ stützen, wenn man noch einmal den Bogen zurückschlägt zu der bereits thematisierten Frage des Anwendungsbereiches des Gemeinschaftsrechts i.S.v. Art. 12 Abs. 1 EGV. Dieser wird ja ausgestaltet durch die Normen, die seine Eröffnung bewirken, hier also Art. 18 Abs. 1 EGV. Weil die Verknüpfung zwischen Staatsangehörigkeit und sozialer Leistungsberechtigung über den durch Art. 18 Abs. 1 EGV ermöglichten und begrenzten aufenthaltsrechtlichen Status des Betroffenen erfolgt, muss die rechtliche Beurteilung sozialrechtlicher Differenzierungen die normativen Vorgaben des Aufenthaltsrechts einbeziehen. Wenn und soweit die Mitgliedstaaten aufenthaltsrechtliche Differenzierungen vornehmen dürfen, müssen sie also auch zu sozialrechtlicher Differenzierung, die am Aufenthaltsrecht anknüpft, befugt sein. Die Einbeziehung der aufenthaltsrechtlichen „Beschränkungen und Bedingungen“ (Art. 18 Abs. 1 EGV) in die Prüfung der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 12 Abs. 1 EGV) bildet also die Grundlage für eine differenzierte sozialrechtliche Integration, die die parallele Vermittlung von Zugehörigkeit durch Mitgliedstaaten und Gemeinschaft abbildet. Sie ist damit auch der Schlüssel zur Öffnung des binären Schematismus von Voll- oder Nullintegration.

II. Möglichkeiten differenzierter sozialrechtlicher Integration 1. Die „Welfare Magnets Thesis“ Das vorherrschende Argumentationsmuster für sozialrechtliche Differenzierungen zwischen Zugehörigen und Fremden ist die sog. Welfare Magnets Thesis.119 Sie beruht, vereinfacht gesagt, auf zwei Prämissen: – Gliedstaaten mit vergleichsweise hohen Sozialleistungen ziehen Bedürftige aus anderen Gliedstaaten an. – Das bisherige Sozialleistungsniveau kann nicht gehalten werden, wenn die Gliedstaaten mit vergleichsweise üppigen Sozialleistungen Neuankömmlingen Leistungen in der gleichen Höhe gewährleisten müssten wie ihren eigenen Staatsangehörigen. Die Gliedstaaten müssten daher entweder restrik-

119 Vgl. zum Folgenden grundlegend und rechtsvergleichend A. Graser, Dezentrale Wohlfahrtsstaatlichkeit im föderalen Binnenmarkt?, 2001, 27 ff.

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tivere Aufnahme- und Aufenthaltsbestimmungen erlassen120 oder ihre sozialen Leistungen auf ein Niveau reduzieren, das Aufenthaltswillige abschreckt.121 Die beiden Prämissen sind wissenschaftlich allerdings ebenso umstritten wie die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind: Es ist unklar, ob und ggf. in welchem Maße Sozialleistungen tatsächlich Einfluss auf Umzugsentscheidungen haben.122 Und es ist nicht gesichert, ob die Wanderungsbewegungen ein Ausmaß erreichen, das sich tatsächlich negativ auf das Sozialleistungsniveau auswirkt. So ist wegen der sprachlichen Barrieren etwa die Wanderungsbereitschaft innerhalb der Europäischen Union weniger stark ausgeprägt als in den USA. Vermutlich lässt sich die Welfare Magnets Thesis nicht allgemein verifizieren. Ihre argumentative Kraft hängt vielmehr von bestimmten Rahmenbedingungen ab, die in bündischen Systemen sehr unterschiedlich sein können. Entscheidend dürfte vor allem sein, wie stark das Wohlfahrtsgefälle zwischen den Mitgliedstaaten ist. Je geringer dieses ist (und sein Abbau ist jedenfalls bislang eine der großen Leistungen des europäischen Projekts), desto weniger dürften Sozialleistungen ein Grund für einen Umzug sein. Die Überzeugungskraft der „Welfare Magnets Thesis“ hängt daher vom Grad der sozialrechtlichen Integration ab. Ein bündisches Gemeinwesen, das sozialrechtlich so weitgehend integriert ist wie Deutschland, kann sich auf Zuständigkeitsvorschriften beschränken (vgl. etwa §§ 97ff. SGB XII), um eine angemessene Lastenteilung unter den zuständigen Gebietskörperschaften herbeizuführen. Materiell differenziert es hingegen nicht zwischen den Angehörigen der einzelnen Länder, weil diese keine sozialrechtlich relevante Zugehörigkeit begründen. Umgekehrt wird sozialrechtliche Zugehörigkeit im europäischen Verfassungsverbund zwar maßgeblich durch die Mitgliedstaaten (und zwar durch die Verknüpfung des Aufenthaltsrechts mit der Staatsangehörigkeit) vermittelt, aber durch Unionsbürgerschaft und Freizügigkeitsrecht ergänzt.123 Cum grano salis kann man also sagen, dass die argumentative Kraft der Welfare Magnets Thesis in dem Maße steigt, in dem sozialrechtliche Zugehörigkeit durch die Gliedstaaten und nicht durch den Gesamtstaat vermittelt wird. Ferner kommt es auf die Art der sozialen Leistung an: Eine soziale Mindestsicherung, die ohnehin nicht mehr als die Existenz sichert, ist jedenfalls dann wenig attraktiv, wenn ein Mindeststandard auch im Herkunftsland garantiert ist. Anders ist es hingegen bei sonstigen sozialen Leistungen, die nicht allein der Lebensstan120

von Bogdandy/Bittner (Anm. 68), 315. EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119, Rn. 56; vgl. auch Cremer (Anm. 87), 154. 122 Skeptisch Schönberger (Anm. 106), 231. Vgl. ferner die Nachweise auf die USamerikanische Diskussion bei Graser (Anm. 119), 29 ff. 123 Dazu noch gleich unten b). 121

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dardsicherung dienen, sondern im weitesten Sinne der gleichberechtigten Teilhabe an gesellschaftlichen Subsystemen, insbesondere etwa Bildungseinrichtungen. Sicherlich kann man einen Vergleich zwischen Herkunfts- und Zielstaat bei Bildungsgängen nicht auf monetäre Unterstützungsleistungen beschränken. Doch ist es durchaus plausibel, dass ein attraktives Stipendiensystem auf der einen und hohe Studiengebühren auf der anderen Seite einer Grenze durchaus Wanderungsbewegungen auslösen können. Und daraus könnte sich, so wird befürchtet,124 ein „Wettstreit um das schlechteste Fördermodell“ entwickeln. Unter diesem Aspekt sind auch unterschiedliche Zulassungsbeschränkungen bei Studiengängen nicht ganz unproblematisch, so etwa beim Fach Medizin zwischen den Nachbarstaaten Deutschland und Österreich.125 Österreich hatte den aus dem deutschen Numerus Clausus erwachsenden „Ansaugeffekt“ dadurch zu unterbinden versucht, dass alle Studienwilligen in Österreich nachweisen mussten, dass sie auch im Herkunftsstaat die Voraussetzungen zum Zugang zu den Universitäten nachweisen mussten – was bei den nicht unter den Numerus Clausus fallenden Studierwilligen gerade nicht der Fall war. Der zur Rechtfertigung dieser Diskriminierung vorgebrachte Hinweis Österreichs auf die „Einheitlichkeit des österreichisches Bildungssystems“ hat den EuGH freilich nicht überzeugt.126 Der zuletzt genannte Fall belegt indes auch die Relativität der Welfare Magnets Thesis. Die Gliedstaaten können nämlich, ungeachtet der Belastungen durch soziale Leistungen, im Einzelfall durchaus ein Eigeninteresse an Zuwanderung haben. So versuchen die deutschen Hochschulen bekanntermaßen seit Jahren, den Anteil ausländischer Studierender in Deutschland zu erhöhen, um den Bildungsstandort im internationalen Wettbewerb um die besten Kräfte zu stärken, wobei sich stets die Frage stellt, ob die ausländischen Studierenden nach Abschluss ihrer Ausbildung tatsächlich in demjenigen Mitgliedstaat verbleiben, der ihre Ausbildung finanziert hat. Man kann aber immerhin festhalten, dass es politisch gewünschte Zuwanderung gibt, für die auch die Notwendigkeit von zu tätigenden Sozialinvestitionen (in Gestalt von Studienplätzen und -beihilfen) zunächst in Kauf genommen wird, dass hingegen eine Zuwanderung allein aus Gründen der sozialrechtlichen Bedürftigkeit unerwünscht ist. Aus diesem Grunde unterscheidet etwa das deutsche Aufenthaltsgesetz beim Aufenthaltstitel Aufenthaltserlaubnis zwischen Aufenthaltszwecken, für die jeweils unterschiedliche Voraussetzungen gelten (§ 7 Abs. 1 AufenthG).

124 125 126

So Cremer (Anm. 87), 155. Dazu P. Hilpold, Hochschulzugang und Unionsbürgerschaft, EuZW 2005, 647–652. Vgl. EuGH, Rs. C-147/03, Slg. 2005, I-1245, Rn. 49 ff. (Kommission/Österreich).

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2. Die gemeinsame Vermittlung sozialrechtlicher Zugehörigkeit durch Mitgliedstaaten und Union Die Rechtfertigung sozialrechtlicher Differenzierungen hängt also maßgeblich davon ab, welche Ebene eines bündischen Systems soziale Zugehörigkeit vermittelt. Das Verhältnis zwischen Union und Mitgliedstaaten entzieht sich allerdings, was die Vermittlung von Zugehörigkeit angeht, eindeutigen Zuordnungen. Die europäischen Verträge bilden gemeinsam mit den Verfassungen der Mitgliedstaaten einen Verfassungsverbund, der das Monopol der Nationalstaaten, Gemeinwohlverantwortung wahrzunehmen und Zugehörigkeit zu vermitteln, relativiert: „Nur im Verbund von nationaler und europäischer Verfassungsebene wird die vom Bürger jeweils konstituierte, legitimierte und auf ihn wirkende Verfassungsordnung in vollem Umfang erkennbar als das, was ehedem die Fülle der legitimen Staatsgewalt war und heute auf die verschiedenen Ebenen öffentlicher Verantwortung verteilt ist.“127 Das überkommene „Denken in Einheiten“,128 das sich durch die deutsche politische Philosophie von Hobbes’ Leviathan über Hegels Staat als „Wirklichkeit der sittlichen Idee“ bis zu von Steins sozialem Königtum zieht,129 wird konfrontiert mit einem „polyzentrischen und fragmentierten Verhandlungssystem“,130 d.h. mit der Dezentralisierung des politischen Prozesses, der auch vor der Sozialpolitik nicht halt macht. Auch der Bürger als Träger sozialer Rechte ist mit diesem Verantwortungsverbund konfrontiert, der sinnfällig zum Ausdruck kommt in der Unionsbürgerschaft und der aus ihr folgenden Freizügigkeit, die eine neue Ebene der Zugehörigkeit einziehen, die neben die nationale Staatsangehörigkeit, aber nicht an deren Stelle tritt (Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGV).131 Die Staatsangehörigkeit ist daher zwar nach wie vor legitime Grundlage für aufenthalts- und daher auch sozialrechtliche Differenzierungen. Ihre primäre Zuständigkeit für sozialrechtliche Inklusion und Exklusion dürfen die Mitgliedstaaten aber nur nach Maßgabe der sozialen Teilhaberechte der Unionsbürger ausüben, die 127

I. Pernice, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23, Rn. 21. 128 U. Haltern, Europäischer Kulturkampf, Der Staat 37 (1998), 591 (591 ff.); zum staatstheoretischen Hintergrund des Einheitsideals C. Möllers, Staat als Argument, 2000, 221 ff. 129 Näher dazu Kingreen (Anm. 73), 26 ff., 74 ff., 89 ff. 130 A. von Bogdandy, Supranationaler Föderalismus als Wirklichkeit und Idee einer neuen Herrschaftsform, 1999, 43 ff.; A. Hatje, Europäische Union, Europäische Gemeinschaften, in: W. Heun/M. Honecker/M. Morlok/J. Wieland (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 486 (502). 131 Dazu näher Kingreen (Anm. 16), 381 ff., 411 ff.

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Art. 12 Abs. 1 und 18 Abs. 1 EGV vermitteln. Konkret bedeutet dies, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich befugt sind, soziale Leistungsansprüche an die Bedingung einer qualifizierten Zugehörigkeit zum Aufnahmestaat zu knüpfen, dass an diese Zugehörigkeit aber keine unverhältnismäßigen Anforderungen gestellt werden dürfen. Art. 18 Abs. 1 und 12 Abs. 1 bilden das Nebeneinander einer durch die Mitgliedstaaten begründeten sozialrechtlichen Zugehörigkeit und den materiellen Grenzen, die das Unionsrecht für die Begründung dieser Zugehörigkeit setzt, ab: Es wird zwar Freizügigkeit gewährt, aber nur nach Maßgabe bestimmter „Beschränkungen und Bedingungen“ i.S.v. Art. 18 Abs. 1 EGV. Diese sind maßgeblich auch für die Frage der Zulässigkeit sozialrechtlicher Differenzierung nach Art. 12 Abs. 1 EGV, und zwar deshalb, weil ja erst Art. 18 Abs. 1 EGV, samt der „Beschränkungen und Bedingungen“, den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts i.S.v. Art. 12 Abs. 1 EGV eröffnet. Die eigentliche Feinjustierung zwischen den beiden Ebenen sozialer Zugehörigkeitsvermittlung und damit letztlich auch die Bestimmung des Grades innerföderaler Solidarität ist daher primär Aufgabe des Gemeinschaftsgesetzgebers, der die „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit formuliert.

3. Das Erfordernis der qualifizierten Zugehörigkeit in einzelnen Sozialleistungsbereichen Die qualifizierte Zugehörigkeit zum Aufnahmestaat kann entweder durch bestimmte Ereignisse in der Vergangenheit entstanden sein oder sie kann durch Verhaltensweisen in der Gegenwart begründet werden, die belegen, dass sich die Betreffenden „bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft dieses Staates integriert haben“.132

a) Soziale Entschädigungsleistungen für Kriegsschäden Einzelne soziale Entschädigungsleistungen kompensieren schädigende Ereignisse aus der Vergangenheit, für die der entschädigende Mitgliedstaat eine spezielle Verantwortung übernommen hat. Diese wird begründet durch Sonderopfer, die Einzelne im Interesse der Allgemeinheit, und zwar einer durch das Staatsvolk definierten Allgemeinheit, erbracht haben. Deshalb ist es nach Ansicht des EuGH etwa zulässig, die eigenen Staatsangehörigen bei der Kriegsopferversorgung133 zu bevorzugen: Diese habe nämlich ihren wesentlichen Grund „in den Diensten, die die 132 133

EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119, Rn. 57. Vgl. S. Muckel, Sozialrecht, 2. Aufl. 2007, § 15, Rn. 3 ff.

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Begünstigten in Kriegszeiten ihrem eigenen Land erwiesen haben“. Ihr wesentlicher Zweck bestehe darin, „diesen Staatsangehörigen eine Vergünstigung im Hinblick auf die für dieses Land erduldeten Prüfungen zu gewähren“.134 b) Soziale Basissicherung Sozialleistungen, die gegenwärtige Bedürftigkeit befriedigen, können hingegen grundsätzlich auch von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten in Anspruch genommen werden. Die erforderliche qualifizierte Zugehörigkeit wird bei Leistungen, die der Existenzsicherung dienen (also insbesondere Sozialhilfeleistungen), durch einen rechtmäßigen, nicht nur vorübergehenden Aufenthalt begründet.135 Der bereits erwähnte Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG konkretisiert das nunmehr dahingehend, dass ab einem Aufenthalt von drei Monaten grundsätzlich ein sozialhilferechtlicher Gleichbehandlungsanspruch besteht. Der Aufnahmestaat kann sich dieser Verpflichtung dann nur noch durch aufenthaltsbeendende Maßnahmen entziehen, wobei Art. 18 Abs. 1 EGV zu beachten ist.136 Bei zweckgebundenen Leistungen kann der Anspruch von weiteren Bedingungen abhängig gemacht werden, die der Erfüllung dieses Zwecks dienen. Leistungen für Arbeitssuchende etwa setzen „eine tatsächliche Verbindung des Arbeitssuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaates“ voraus. Diese kann sich, so der EuGH, u.a. aus der Feststellung ergeben, „dass der Betroffene während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat gesucht hat“.137 Diese Voraussetzung dürfte allerdings regelmäßig auch für Arbeitsförderungs- und Entgeltausgleichsmaßnahmen (vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III) zugunsten der eigenen Staatsangehörigen gelten und ist schon aus diesem Grunde nicht zu beanstanden. c) Studienbeihilfen Problematischer ist die transnationale Ausweitung von Ansprüchen auf Studienbeihilfen. Nach herkömmlichem Verständnis setzt ein solcher Anspruch eine Ver134

EuGH, Rs. 207/78 (Even), Slg. 1979, 2019, Rn. 23 f. Vgl. auch EuGH, Rs. C-386/02 (Baldinger), Slg. 2004, I-8411, Rn. 17: Die Entschädigung werde gewährt, um „einen Beweis der nationalen Anerkennung für die erduldeten Prüfungen zu geben, und wird daher als Gegenleistung für die ihrem Land erwiesenen Dienste gezahlt.“ 135 EuGH, Rs. C-456/02 (Trojani), Slg. 2004, I-7573, Rn. 37. 136 Vgl. oben IV. 2. 137 EuGH, Rs. C-138/02 (Collins), Slg. 2004, I-2703, Rn. 69 f.; vgl. bereits EuGH, Rs. C-224/98 (D’Hoop), Slg. 2002, I-6191, Rn. 38.

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bindung zum Tatbestand der Erwerbstätigkeit voraus.138 Studierende nutzen ihre Freizügigkeit aber regelmäßig nicht zum Zwecke der Arbeitsaufnahme, sondern der wissenschaftlichen Ausbildung an einer Hochschule eines anderen Mitgliedstaates. Fraglich ist daher, ob auch diese sog. „Nur-Studierenden“, gestützt auf Art. 12 Abs. 1 EGV, in den Genuss einer Inländern gewährten Studienförderung kommen können. In der Entscheidung Bidar hatte es der EuGH mit einem solchen Fall zu tun. Das britische Recht der Ausbildungsförderung für Studierende machte die Gewährung von Darlehen von einem dreijährigen gewöhnlichen Wohnsitz im Vereinigten Königreich abhängig, der zudem nicht einer Vollzeitausbildung dienen durfte. Der EuGH hat das Wohnsitzerfordernis als solches akzeptiert, weil es die erforderliche Integration in die Gesellschaft des Aufnahmestaates sicherstelle;139 allerdings dürfe hier keine Verbindung zum nationalen Arbeitsmarkt verlangt werden.140 Er hat aber die daran geknüpfte Bedingung, dass der Drei-Jahres-Zeitraum nicht der Vollzeitausbildung dienen dürfe, als unzulässige Diskriminierung angesehen. Denn das ist eine Voraussetzung, die Staatsangehörige aus anderen Mitgliedstaaten gar nicht erfüllen können. Wenn sie den Zeitraum zu einer Erwerbstätigkeit nutzen oder sich als Familienangehörige im Vereinigten Königreich aufhalten, genießen sie ja bereits den Schutz des allgemeinen Diskriminierungsverbotes (Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68).141 Der „Nur-Studierende“ hält sich aber nicht erst drei Jahre im Zielstaat auf, ohne sich einer Ausbildung zu widmen. Art. 24 Abs. 2 RL/EG 2004/38 nimmt daher Studienbeihilfen wesentlich weiter gehend als Sozialhilfeleistungen von der Pflicht zur innerföderalen Gleichbehandlung aus. Sie müssen erst gewährt werden, nachdem das Recht auf Daueraufenthalt erworben wurde, also erst nach fünf Jahren (Art. 16 Abs. 1 RL/EG 2004/38). Die Differenzierung ist aufgrund der unterschiedlichen Funktion und der unterschiedlichen Anziehungskraft von existenzsichernden Unterhaltsbeihilfen auf der einen und Studienbeihilfen auf der anderen Seite grundsätzlich legitim und dürfte vermutlich vom EuGH auch noch akzeptiert werden.142 Das deutsche Recht der Ausbildungsförderung enthält allerdings noch nicht einmal nach fünf Jahren einen Leistungsanspruch. Es privilegiert Unionsbürger nämlich nur, wenn sie nach § 3 FreizügG/EU als Familienangehörige von in Deutschland lebenden Unionsbürgern freizügigkeitsberechtigt sind (§ 8 Abs. 1 Nr. 8 BAföG) oder wenn sie selbst einen Bezug zum deutschen Arbeitsmarkt haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 BAföG). Das BAföG verharrt damit auf dem überkommenen Verständnis der Binnenmarktakzessorietät 138 139 140 141 142

230 f.

Dazu näher etwa Bode (Anm. 69), 340 ff. EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119, Rn. 59. EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119, Rn. 58. Dazu oben II. 1. So auch Bode (Anm. 69) 281; rechtspolitische Kritik: Schönberger (Anm. 106),

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sozialer Rechte: Sie werden nur eingeräumt, wenn und soweit ein Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EGV) oder der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) besteht. Die weit gehende Ablösung dieser Rechte vom Tatbestand der Erwerbstätigkeit hat es nicht mitvollzogen.143 Nachdem am 1.5.2006 die zweijährige Umsetzungsfrist (Art. 40 Abs. 1 RL/EG 2004/38) abgelaufen ist, haben nunmehr EU-Ausländer, die nach Art. 16 Abs. 1 RL/EG 2004/38 ein Recht auf Daueraufenthalt haben, einen Anspruch auf die Inländern gewährten Studienbeihilfen. Problematisch sind zudem die an den Tatbestand der Ausbildung anknüpfenden sozialhilferechtlichen Regelungen. Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB XII haben nämlich u.a. Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. „Dem Grunde nach“ sind alle Personen berechtigt, die grundsätzlich gemäß den §§ 2–7 BAföG einen Förderungsanspruch haben, auch wenn sie in concreto persönliche Voraussetzungen wie eben die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 8 BAföG) nicht erfüllen.144 Damit soll vermieden werden, dass eine versteckte Ausbildungsförderung über die Sozialhilfe erfolgt.145 EU-Ausländer hätten dann aber weder einen Anspruch auf Sozialhilfe (§ 23 SGB XII) noch auf Ausbildungsförderung. Zwar sieht § 22 Abs. 1 S. 2 SGB XII vor, dass in besonderen Härtefällen Hilfe zum Lebensunterhalt als Beihilfe oder als Darlehen geleistet werden kann. Das wird man bejahen können bei vorübergehenden Notlagen, insbesondere zum Ende einer Ausbildung. Paradigma ist Rudi Grzelczyk, der nach einem dreijährigen Studium im vierten Studienjahr bedürftig wurde, weil er aufgrund der Anforderungen des Studiums nicht mehr in der Lage war, sein Studium durch Nebentätigkeiten selbst zu finanzieren.146 Doch haben EU-Ausländer nach Art. 24 Abs. 2 RL/EG 2004/38 ohnehin bereits nach 3 Monaten einen Anspruch auf Gleichbehandlung bei der existenzsichernden Sozialhilfe, also nicht nur in besonderen Härtefällen, sondern stets bei Bedürftigkeit. Auch insoweit ist Art. 24 Abs. 2 RL/EG 2004/38 unmittelbar geltende Anspruchsgrundlage. Allerdings können die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht verpflichtet sein, Sozialhilfe auf dem Niveau der Ausbildungsförderung zu leisten. Anderenfalls würde der weitgehende Ausschluss von Ansprü-

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Das gilt auch für OVG Berlin, NVwZ-Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht (NVwZ-RR) 2002, 118–121 (120): Das Gericht stellte noch 2001 (kurz vor der Entscheidung Grzelczyk) die heute kaum mehr vertretbare These auf, dass das Gemeinschaftsrecht einen über Art. 7 VO (EG) 1612/68 hinaus gehenden Anspruch auf Ausbildungsförderung nicht geschaffen habe. 144 A. Brühl, in: J. Münder u.a., LPK-SGB XII, 7. Aufl. 2005, § 22 SGB XII, Rn. 4. 145 BVerwGE 61, 352 (357); 94, 224 (226). 146 Vgl. EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Slg. 2001, I-6193, Rn. 10 f.

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chen auf Ausbildungsförderung durch den vergleichsweise früh einsetzenden Gleichbehandlungsanspruch bei der Sozialhilfe umgangen.

F. Schluss Der frühere französische Staatspräsident Georges Pompidou hat die Europäische Gemeinschaft zu Beginn der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts einmal etwas despektierlich als „Gemeinschaft der Kaufleute und Krämer“ bezeichnet.147 Vermutlich hätte er nicht im Traum daran gedacht, dass sein Landsmann Michel Trojani einmal zu europarechtlichem Ruhm gelangen würde: Ein französischer Vagabund, der in Belgien ein Leben auf Campingplätzen, in Jugendherbergen und bei der Heilsarmee fristet und auf Sozialhilfe angewiesen ist,148 dürfte in der Welt eines auf ökonomische Transaktionen fixierten Binnenmarkts nicht vorkommen. Doch diese Welt existiert so nicht mehr. Sicherlich haben die Mitgliedstaaten nicht geahnt, welches sozialpolitische Potenzial die Grundfreiheiten und vor allem die Unionsbürgerschaft und die daran anknüpfende Freizügigkeit in der Rechtsprechung des EuGH entfalten würden. Doch hat der EuGH den ganzheitlichen, nicht mehr auf den Binnenmarkt beschränkten politischen Anspruch, den vor allem die Unionsbürgerschaft erhebt, nur konsequent (wenn auch dogmatisch nicht immer konsistent) umgesetzt. Die Rechtsprechung ist dabei ein Spiegelbild des Integrationsprozesses, der zunehmend auch im Bereich der sozialen Sicherung durch ein Nebeneinander von nationaler und supranationaler Verantwortung geprägt ist. Der EuGH löst die transnationalen sozialen Rechte von ihrer funktionalen Ausrichtung auf den Binnenmarkt, ohne daraus aber einen ausnahmslosen sozialrechtlichen Gleichbehandlungsanspruch abzuleiten. Er leistet damit einen weiteren wichtigen Beitrag zur Entkräftung der These, die das europäische Gemeinschaftsrecht als Bedrohung für die überkommene Sozialstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten ansieht. In einem „Europa der Bürger“ ist nämlich auch für einen armen Schlucker wie Michel Trojani Platz.

147 Zitiert nach P. Karpenstein, Chancen für ein europäisches Arbeitsrecht in einem vereinten Europa, in: D. Merten/R. Pitschas (Hrsg.), Der europäische Sozialstaat und seine Institutionen, 1993, 153 (158). 148 EuGH, Rs. C-456/02 (Trojani), Slg. 2004, I-7573, Rn. 9 f.

Social and Economic Rights in Africa: The Nagging Issues of African Statehood and Economic Development By Hennie Strydom

A. Introduction It is a truism that the concern shown by international law for the treatment of individuals by their own governments is a post-WW II development. As an illustration that states would no longer be free to treat their citizens as they pleased, the UN Charter itself holds up a mirror of faith in fundamental human rights, in the dignity and worth of the human person, and in the equal rights of men and women.1 In the attainment of this common end the UN also took upon itself to act as a center for the harmonization of the actions of its members in working towards this and other goals,2 an undertaking that was certainly reinforced by the conviction that international stability and peaceful coexistence amongst nations also depended upon the successful promotion of universal respect for and observance of human rights and fundamental freedoms.3 We now know that the collective and separate action member states promised to take4 in making this goal a reality contributed significantly to the international standard-setting process and the wide acceptance of core principles relating to civil and political rights as well as socio-economic rights. However, at the level of effective implementation and the making available of effective remedies where human rights breaches have occurred, the practice of states in some regions of the world is far removed from the promises and undertakings embodied in international instruments on the subject-matter. African states fall in this category where for years human rights instruments and the organs created for their enforcement existed on the periphery of African societies and in the shadow of political institutions whose survival in the interest of governing elites assumed an overarching significance in the post-colonial quest for independent statehood. As the sole 1 2 3 4

Preamble of the UN Charter. Arts. 1(3) and (4) UN Charter. Art. 55 UN Charter. Art. 56 UN Charter.

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viable mechanism through which African leaders could maintain their power and seek other goals, the “preservation and if possible strengthening of the state became the overriding priority of government, not only within domestic politics but equally in foreign policy.”5 As addressees of the human rights obligations in the UN Charter and other international instruments the now defunct UN Commission for Human Rights6 was mandated to develop, newly independent African states were anachronistic institutions. They arrived on the post-war scene with, or in due course became atrophied by weak administrative structures, fragile economies and patronage systems whose entrenchment through the machinery of the state became a question of the personal survival of the ruler and his consumption-oriented form of political management developed to appease both co-opted and rival groups. A state managed in this way, Clapham has pointed out, lacks the capacity to create a sense of moral community between government and citizens.7 Nor, one should add, can such a state develop a public law system with sufficient depth to provide meaningful guarantees to its citizens. The purpose of this chapter is to place the issue of the protection and realization of socio-economic rights on the African continent within the context of the political and economic developments that are so characteristic of the post-colonial period of state-formation on the continent. It is this reality that provides insight into the prospects and obstacles of a future human rights regime that everybody hopes will be markedly different from what we have experienced up until now.

B. From the OAU to the AU It was recently observed that the “realization of socio-economic rights on the African continent, even at a minimum level, remains poor. The majority of Africans live in poverty, disease and ignorance; they lack food and basic necessities such as water.” What followed in the wake of the OAU Charter were “military dictatorships, poor leadership, corruption … The provision of social services broke

5

C. Clapham, Africa and the International System: The Politics of State Survival, 1996,

57. 6 In 2006 the Commission was replaced by the UN Council for Human Rights, see GA Res. 60/251 of 3 April 2006. 7 Clapham (note 5), 56–59.

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down, the debt burden increased to unacceptable levels, the state withdrew from the provision of essential services …”8 In a 2005 report on the building of effective states in Africa the World Bank pointed out that on current trends Africa will fall far short of meeting the 2015 Millennium Development Goals. The continent is lagging in the global struggle to reduce poverty. Growth has not been adequate. Poor governance and corruption still plague many countries. And the lack of capacity for an effective state is a binding constraint.9

Fortunately, since the nineties African states themselves have demonstrated an atypical readiness for introspection by openly acknowledging the steady decline in Africa’s economic performance, the deterioration since the eighties in most of the productive and infrastructural facilities, the drastic fall in per capita income and the sharp decline in the quality of life as spending in African countries on public health, housing and education and other social services had to be curtailed because of the dire socio-economic situation across the continent.10 In the field of human rights the First OAU Ministerial Conference on Human Rights in Africa (1999) illustrated equal frankness by stating that the protection of human rights is a matter of “priority for Africa” and that there is a need for carrying out a “comprehensive analysis of, and reflection on, the mechanisms for the protection of human rights to guarantee human rights for accelerated development of the continent.”11 Amongst the causes for the dismal human rights record of many countries the Ministerial Conference listed mismanagement, bad governance and corruption, lack of government accountability, monopoly in the exercise of power, lack of independence of the judiciary, lack of independent human rights institutions, lack of press freedom and nepotism.12 For current purposes it must also be noted that the Conference affirmed the principle that human rights are universal, indivisible, interdependent and inter-related and that governments were urged “to give parity to economic social and cultural rights as well as civil and political rights.”13

8

C. Mbazira, A Path to Realizing Economic, Social and Cultural Rights in Africa? A Critique of the New Partnership for Africa’s Development, African Human Rights Law Journal 4 (2004), 34. 9 World Bank Task Force on Capacity Development in Africa, Building Effective States, Forging Engaged Societies, 2005, 1. 10 Declaration on the Political and Socio-Economic Situation in Africa and the Fundamental Changes Taking Place in the World, OAU Doc. AHG/Decl.1 (XXVI) 1990, para. 6. 11 First OAU Ministerial Conference on Human Rights in Africa, 12–16 April 1999, Grand Bay, Mauritius, OAU Doc. CONF/HRA/DEC 1, 1. 12 Ibid., 2. 13 Ibid.

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Looking back from this historical juncture in the post-colonial experimentation with political power, it is often conceded that the lack of realization of the economic, good governance and human rights objectives in Africa can be traced back to the predominance of the political liberation agenda through which the independence of those still under colonial rule had to be secured.14 But this independence, once cast in the form of statehood, needed protection which the OAU Charter sought to achieve through provisions on non-interference in internal affairs, sovereign equality of states, territorial integrity and independence, political self-determination and peaceful settlement of disputes.15 But in the case of most African states these were mere formal attributes of statehood at the time, in reality unmatched by their substantive equivalent. Clapham’s striking assessment of these developments warrants emphasis: The pretence that formally independent states should be treated ‘as if’ they possessed the full attributes of sovereignty, even if they evidently did not in fact do so, was used to cover the cracks in the façade, under the assumption that these cracks would eventually be sealed, and that artificial states would solidify into the real thing. Both superpowers and former colonial powers helped to maintain the states for whose protection they assumed responsibility, by means of diplomatic support, economic aid and, if need be, direct military intervention. These state-supporting activities were condoned and indeed encouraged by Third World international organizations, despite their general condemnation of ‘imperialism’, through the adoption of a doctrine of sovereignty that upheld the power of the government of any particular state, and recognized the right of that government to call on external assistance for its own protection. In the process little attention was given to the domestic structures of the state itself or, in the grossest cases, to the levels of repression and corruption that it embodied.16

Another deficit was the lack of substantive and enforceable human rights provisions in the OAU Charter. With the focus primarily on the protection of the state and not the individual, the OAU’s concern with human rights “went little beyond the notion of self-determination in the context of decolonization and apartheid in South Africa,”17 or as one commentator observed at the time “… the OAU appears to be an institution of the African heads of state, by the heads of state and for the heads of state.”18 It is now a historical fact that this state of affairs was in large part the result of throwing caution to the wind as far as the substantive considerations for proper 14

See also Declaration on the Political and Socio-Economic Situation in Africa (note 10), para. 12. 15 See Articles 2 and 3 of the Charter of the Organization of African Unity, 1963. 16 C. Clapham, The Challenge to the State in a Globalized World, Development and Change 33 (2002), 775, 782. 17 R. Murray, Human Rights in Africa: From the OAU to the Africa Union, 2004, 7, 8. 18 K. Mathews, The Organization of African Union, in: D. Mazzeo (ed.), African Regional Organizations, 1984, 79.

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statehood were concerned in the face of the decolonization frenzy. The classical example remains General Assembly Resolution 1514 (XV) which stated categorically that “inadequacy of political, economic, social or educational preparedness should never serve as a pretext for delaying independence.”19 By stigmatizing the range of considerations that could codetermine the quality and sustainability of political governance as something more apparent than real (pretext), the Resolution conveniently foreclosed the question on the content and substance of political rule that was taking shape under the self-determination campaign. Ironically, this was also the script for the coming into being of states whose sovereignty and political independence were more apparent than real, and eventually they became the prime violators of the very codes of conduct on non-intervention and human rights protection the General Assembly so energetically developed for the old colonial powers.20 The first signs of changing perspectives on the relevance of a regional human rights agenda started to take shape in the seventies through encouragement at the level of the UN for regional human rights instruments, lobbying by NGO’s and a change of heart in the OAU itself.21 Of special significance in the latter instance was the adoption in 1979 of a decision on human and peoples’ rights in Africa by the OAU Heads of State and Government.22 In drawing on the UN Charter and the Universal Declaration of Human Rights (1948), the Heads of State and Government, in the preamble of the Decision, stressed the importance of respect for human dignity and fundamental human rights while recognizing that human and peoples’ rights are not confined to civil and political rights but also cover economic, social and cultural rights and that economic and social development is a human right. In the operative part, the Decision called on the Secretary-General of the OAU to organize as soon as possible a restricted meeting of experts to prepare a preliminary draft of an African Charter on Human and Peoples’ Rights, which should also provide for the establishment of bodies to promote and protect human and peoples’ rights.23 This set in motion the diplomatic process24 that ended in the 19

GA Res. 1514 (XV) of 14 December 1960, para. 3. See also D. Rauschning, Das Ende des Treuhandsystems der Vereinten Nationen durch die Staatwerdung der ihm unterstellten Gebiete, Jahrbuch für internationales Recht, vol. 12 (1965), 158, 176 et seq. 20 See inter alia, GA Res. 2131 (XX) Rev.1 of 14 January 1966 and GA Res. 2144 (XXI) of 26 October 1966. 21 For a more detailed account of these developments see F. Ouguergouz, The African Charter of Human and Peoples’ Rights, 2003, 20 et seq.; Murray (note 17), 22 et seq. 22 Decision on Human and Peoples’ Rights in Africa, AHG/Dec (XVI) Rev. 1 (1979), reprinted in: C. Heyns (ed.), Human Rights Law in Africa, vol. 1, 2004, 230. 23 Ibid., para. 2(b). 24 On this see Ouguergouz (note 21), 44 et seq.

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adoption of the Africa Charter on Human and Peoples’ Rights on 27 June 1981 in Banjul.25 In 1986 the Banjul Charter, as it is also known, came into force. Intended to be a uniquely African document on human rights, the Preamble of the Charter highlights the defining characteristics of the African regional system for the protection of human rights in the following terms: Taking into consideration the virtues of their historical tradition and the values of African civilization which should inspire and characterize their reflection on the concept of human and peoples’ rights; Recognizing on the one hand, that fundamental human rights stem from the attributes of human beings which justifies their national and international protection and on the other hand that the reality and respect of peoples rights should necessarily guarantee human rights; Considering that the enjoyment of rights and freedoms also implies the performance of duties on the part of everyone; Convinced that it is henceforth essential to pay particular attention to the right to development and that civil and political rights cannot be dissociated from economic, social and cultural rights in their conception as well as universality and that the satisfaction of economic, social and cultural rights is a guarantee for the enjoyment of civil and political rights.

Unique features of the Charter include the recognition of duties of the individual towards family, society and the state (Arts. 27, 28, 29) and the recognition of so-called third generation collective rights such as the right to development (Art. 22), self-determination (Art. 20) and a satisfactory environment (Art. 24). Since the focus of this chapter is on socio-economic rights, it is to that subjectmatter that we must now turn. The Charter includes the right to property (Art. 14), the right to work and equal pay (Art. 15), the right to the best attainable standard of mental and physical health (Art. 16), the right to education (Art. 17) and the right to the protection of the family (Art. 18). Not regulated in the Charter are the right to food and social security and the right of access to adequate housing. At the national level several African countries have adopted constitutional provisions on socio-economic rights but this is no indication that the subject-matter is dealt with in a satisfactory manner or that the enforcement of the rights in question is of an acceptable level. Of the 53 African countries 40 have adopted some form of national provision on education; 40 on the right to work; 32 on social security; 34 on health; 9 on housing; 8 on food and water; 28 on the environment; and 25 on development.26 In 2000 the African Charter-based system for the protection of human rights was supplemented with a new political-institutional arrangement that transformed 25 26

See International Legal Materials 21 (1982), 58. Heyns (note 22), vol. 2, 854, 857.

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the OAU into the African Union (AU), a process that coincided with a new development blueprint, known as the New Economic Partnership for Africa’s Development (NEPAD) by the OAU in 2000. This latter initiative, initially called the New Africa Initiative (NAI), originated in the OAU mandated Millennium Africa Recovery Plan (MAP) by Presidents Mbeki of South Africa, Obasanjo of Nigeria and Bouteflika of Algeria and the separately developed OMEGA plan of President Wade of Senegal, both of which were presented at the 5th Extraordinary Summit of the OAU in Sirte, Libya in March 200127 and renamed the New Economic Partnership for Africa’s Development in October of that same year.28 In a parallel process, the remodeling of the OAU through the establishment of the AU, largely mirroring the European Union and its organs, reached completion on 26 May 2001 with the entering into force of the Constitutive Act of the African Union.29 While the OAU lacked any meaningful focus on human rights guarantees, the AU acknowledges the integral role of human rights, good governance and the rule of law in achieving the many political and economic goals set out in the Union’s Constitutive Act.30 Also noteworthy is that amongst the principles according to which the Union must realize its objectives we now find included respect for democratic principles and human rights, the rule of law and good governance as well as an extraordinary right of intervention by the Union in a member state in the case of war crimes, crimes against humanity and genocide.31 Under NEPAD the human rights, good governance and rule of law concerns have received even greater prominence. Another positive development is that apart from external factors, such as colonial exploitation, structural problems in the world economy and the negative consequences of globalization, the NEPAD document makes no secret about the internal factors that contributed to Africa’s economic woes and underdevelopment. So, although post-colonial Africa “inherited weak states and dysfunctional economies” the situation was further aggravated by 27 See E. Baimu, Human Rights in NEPAD and its Implications for the African Human Rights System, African Human Rights Law Journal 2 (2002), 301. 28 See Communique issued at the end of the meeting of the Implementation Committee of Heads of State and Government on the New Partnership for Africa’s Development Abuja, Nigeria, 23 October 2001, para. 5, available at http://www.nepad.org/2005/files/ documents/38.pdf, visited on 20 September 2007. 29 The Constitutive Act was first adopted during the 36th ordinary session of the Assembly of Heads of State and Government on the 11 July 2000 in Lomé, Togo. It was amended through the Protocol on Amendments to the Constitutive Act of the African Union, adopted by the 1st extraordinary session of the Assembly of the African Union in Addis Ababa, 3 February 2003, see http://www.africa-union.org. 30 Art. 3 Constitutive Act. See also preamble, para. 9. 31 Ibid., Art. 4 paras. (h) and (m).

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“poor leadership, corruption and bad governance in many states”;32 the rate of sustainable growth in the “post colonial period has not been sufficient to rebuild societies in the wake of colonial underdevelopment, or to sustain improvement in the standard of living”;33 and the “net effect of these processes has been the entrenchment of a vicious circle, in which economic decline, reduced capacity and poor governance reinforce each other, thus confirming Africa’s peripheral and diminishing role in the world economy.”34 In terms of NEPAD African Heads of State acknowledge that unless something new and radical is done, this cycle will not be broken. Consequently, a number of initiatives are proposed, each with a detailed programme of action to consolidate democracy and sound economic development on the continent. Of relevance here is the initiative to promote, at the national level and regional levels, peace, security, democracy and political governance, which, together with sound economic management, are considered to be conditions for sustainable development.35 This assessment goes hand in hand with the undertaking by African states to “respect the global standards of democracy, the core components of which include political pluralism, allowing for the existence of several political parties and workers’ unions, fair, open, free and democratic elections periodically organized to enable the populace choose their leaders freely.”36 To meet these commitments, the purpose of the democracy and governance initiative, while identifying the lack of capacity within African states as one of the major obstacles, is also meant to contribute to the strengthening of the “political and administrative framework of participating countries, in line with the principles of democracy, transparency, accountability, integrity, respect for human rights and promotion of the rule of law.”37 With this development one of the basic requirements for a successful regional system for the protection of human rights has been addressed, namely the strengthening of the constituent parts, i.e. the individual member states whose shared political ideals are also, in the substantive sense of the word, oriented towards basic human rights guarantees and their effective enforcement. Where this is lacking any regional system for the protection of human rights is bound to display the same weaknesses as its constituent parts. 32 The New Partnership for Africa’s Development, 2001, para. 22, reprinted in: Heyns (note 22), vol. 1, 187. 33 Ibid., para. 25. 34 Ibid., para. 26. 35 Ibid., para. 71. 36 Ibid., para. 79. 37 Ibid., para. 80.

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C. Enforcement Mechanisms The enforcement of the Banjul Charter is still the responsibility of a single, under-funded and under-resourced body, the African Commission on Human and Peoples’ Rights, established in terms of Article 30 of the Charter. The Commission’s mandate includes the promotion of human and peoples’ rights; research and the dissemination of information; the formulation of principles and rules aimed at solving human rights questions; interpretation of the Charter provisions; and perhaps more importantly, ensuring the protection of human and peoples’ rights.38 It is in this latter function that the Commission has failed to live up to expectations and over the years had to endure criticism from many quarters. At the heart of the problem are some institutional and organizational problems that warrant some mention here. The investigative function of the Commission can, as in the other regional systems, be based on member state reports,39 inter-state complaints40 and individual complaints.41 The problem, however, is that measures recommended by the Commission remain confidential until such time as the Assembly of Heads of State and Government decides otherwise42 and this even applies to recommendations and findings involving serious or massive violations of human and peoples’ rights.43 Another long-standing problem is the Commission’s lack of independence. Despite the Charter’s instruction that the eleven members of the Commission shall be personalities of the highest reputation and known for their high morality, integrity and impartiality44 the inclusion of ambassadors and senior government officials amongst its members is simply unwise, especially given the many other deficiencies in the system. Murray has, for instance, alluded to evidence of an actual lack in impartiality such as one-sided missions to states, selective release of mission reports and the publication of communications years after a state visit.45 Another matter of considerable concern from an enforcement point of view is the lack of follow-up action to establish whether rulings given by the Commission have been implemented or not, nor is there a consistent effort to 38

Article 45 of the Charter. Article 62 of the Charter. 40 Articles 47–52 of the Charter. 41 Article 55 of the Charter. 42 Article 59 of the Charter. 43 Article 58 read with Article 59 of the Charter. 44 Article 31 of the Charter. 45 R. Murray, The African Charter on Human and Peoples’ Rights 1987–2000: An Overview of its Progress and Problems, African Human Rights Law Journal 1 ( 2001), 1, 7. 39

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monitor national developments through the mechanism of state reports.46 In a recent and commendable study an obscure issue, namely the status of state compliance with the Commission’s findings, was brought to light.47 Already in 1998 the Commission itself has indicated that the lack of state compliance with its recommendations “constituted one of the major factors of the erosion of the Commission’s credibility.”48 The data that formed the basis of the said study relates to cases since 1994, when the first activity report of the African Commission containing its findings was published, up to 2003 with the publication of the 16th annual activity report. Over this period the Commission found violations in 44 communications involving 17 of the 53 member states that are party to the African Charter. The outcome of the study showed an overall lack of compliance, with full compliance registered in only six cases. Also of significance is the study’s investigation into the variable factors that could possibly shed light on variations in compliance by different states.49 With regard to the nature of the violated right as a variable, it was found that when compliance occurred, “it is likely to pertain to the violation of civil and political rights” and that in the three instances in which socio-economic rights were invoked, “all fall in the category of full noncompliance, suggesting that states may still deem these rights less justiciable.”50 Moreover, in terms of compliance, “state parties seem to find it easier to respect rights, than to protect or fulfill rights.”51 With regard to the scale of violations as a variable, the study concluded that the majority of cases of clear non-compliance concerned violations on a massive scale. One of the reasons for this result, it was pointed out, relates to the lack of action by the Assembly of Heads of State and Government under Article 58 of the African Charter. In all such matters the Commission reported that it had submitted communications to the Assembly but that the Assembly never took any steps in response thereto. As a result the Commission seized itself of all such referrals.52 46

Ibid., 11. See F. Viljoen/L. Louw, State Compliance with the Recommendations of the African Commission on Human and Peoples’ Rights, 1993–2004, American Journal of International Law (AJIL) 101 (2007), 1. 48 African Commission of Human and Peoples’ Rights, Non-Compliance of State Parties to Adopted Recommendations of the African Commission: A Legal Approach, 24th Ordinary Session, Banjul, 22–31 October 1998, Doc/OS/50b (XXIV) para. 2, reprinted in: R. Murray/M. Evans, Documents of the African Commission on Human and Peoples’ Rights, 2001, 758. 49 Viljoen/Louw (note 47), 12 et seq. 50 Ibid., 18. 51 Ibid., 20. 52 Ibid., 21. 47

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The Commission’s innovative interpretation of the Charter provisions has attracted more positive responses. A case in point, dealing with socio-economic rights, is The Social and Economic Rights Action Centre (SERAC) and the Center for Economic and Social Rights v. Nigeria (2001).53 According to the communication in this matter the military government of Nigeria has been directly involved in oil production through the state oil company, which was a majority shareholder in a consortium with Shell Petroleum Development Corporation. The oil production operations, it was alleged, have caused environmental degradation and health problems among the Ogoni people through the contamination of water, soil and air, resulting in skin infections, gastrointestinal and respiratory ailments, increased risk of cancer and neurological and reproductive problems. By placing the legal and military powers of the state at the disposal of the oil companies, the Nigerian government, it was further alleged, condoned and facilitated these violations. In addition, the government failed to monitor the operations nor required safety measures or environmental impact studies as are standard for the industry. It also turned out that security forces have attacked, burned and destroyed several Ogoni villages and killed residents under the pretext of dislodging officials and supporters of a local resistance group, with no effort made by the government to investigate the attacks. Finally, the communication alleges that the Nigerian government has destroyed and threatened food sources through the contamination of soil and water upon which farming and fishing depended, and the killing of livestock during security force raids on villages. In dealing with the merits of the case the Commission started off by listing four levels of duties for a state that undertakes to adhere to a human rights regime regardless of whether civil and political or socio-economic rights are involved, namely the duty to respect, protect, promote and fulfill the rights in question.54 The duty to respect, the Commission found, means that the state should refrain from interfering in the enjoyment of the rights concerned. Applied to socio-economic rights, this duty means that the state “is obliged to respect the free use of resources owned or at the disposal of the individual alone or in any form of association with others, including the household or the family, for the purpose of rights-related needs.”55 The duty to protect obliges the state to protect rights-holders against other subjects through legislation and effective remedies in response to political, economic and 53

Reprinted in: C. Heyns/M. Kilander (eds.), Compendium of Key Human Rights Documents of the African Union, 2006, 171; see also African Commission on Human and Peoples’ Rights, Fifteenth Activity Report, Annex V, 155/96, available at www.achpr.org/ english/activity_reports/activity15_en.pdf, visited on 29 November 2007. 54 See also D. Marcus, The Normative Development of Socioeconomic Rights Through Supranational Adjudication, Stanford Journal of International Law 42 (2006), 53 84 et seq. 55 SERAC case (note 53), para. 45.

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social interferences.56 This duty, the Commission found, corresponds to a large degree with the third duty, namely the duty to promote the enjoyment of all rights, which the state should realize by making it possible for individuals to exercise their rights and freedoms through the promotion of tolerance, the raising of awareness and even the building of infrastructure.57 The duty to fulfill was considered by the Commission as a positive expectation on the part of the state to move its machinery towards the actual realization of the rights,58 a duty the Commission also justified by invoking Article 2(1) of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR) – to which Nigeria is a party – which determines that: “Each State Party to the present Covenant undertakes to take steps, individually and through international assistance and co-operation, especially economic and technical, to the maximum of its available resources, with a view to achieving progressively the full realization of the rights recognized in the present Covenant by all appropriate means, including particularly the adoption of legislative measures.”59 On this basis the Commission then proceeded to deal with each of the rights in the African Charter that formed the basis of the complaint against the Government of Nigeria. First considered were Articles 16 and 24. In terms of the former every individual is entitled to the best attainable state of physical and mental health and states parties are obligated to take the necessary measures to protect the health of their people and to ensure that they receive the medical attention they need. In terms of the latter all people have the right to a general satisfactory environment favorable to their development. These provisions, according to the Commission, recognize the importance of a clean and safe environment that is closely linked to economic and social rights “in so far as the environment affects the quality of life and safety of the individual.”60 Apart from the general obligations regional and international treaties place on states parties to give effect to these rights61 government compliance, according to the Commission, also includes ordering or permitting independent scientific monitoring of threatened environments, requiring and disseminating environmental and social impact studies prior to any major industrial development, undertaking monitoring and providing information to communities exposed to hazardous activities, and providing meaningful opportunities for individuals to be heard and to participate in decisions affecting their communities.62 On 56

Ibid., para. 46. Ibid. 58 Ibid., paras. 47, 48. 59 See also Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 14 (2000), E/C.12/2000/4 of 11 August 2000, paras. 30 et seq. 60 SERAC case (note 53), para. 5. 61 See ibid., para. 52. 62 Ibid., para. 53. 57

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the facts presented to the Commission, and with reference to Article 21 of the African Charter guaranteeing a peoples’ right to free disposal of their wealth and natural resources, as well as the state’s obligation to prevent interference with a right by another private entity,63 the Commission concluded that despite its obligation to protect persons against interference in the enjoyment of their rights, the government of Nigeria facilitated the destruction of the Ogoniland. Contrary to its Charter obligations and despite such internationally established principles, the Nigerian government has given the green light to private actors, and the oil companies in particular, to devastatingly effect the well-being of the Ogonis. By any measure of standards, its practice falls short of the minimum conduct expected of governments, and therefore, is in violation of Article 21 of the African Charter.64

Of special meaning is the Commission’s treatment of the right to housing and shelter, both of which are not explicitly covered in the African Charter. However, the corollary of a combination of provisions, such as the right to enjoy the best attainable state of mental and physical health, the right to property, and the protection the family is entitled to, justified, the Commission concluded, reading into the Charter a right to shelter and housing, “because when housing is destroyed, property, health, and family life are adversely affected.”65 This right then requires the state to prevent the violation of any individual’s right to housing by any other individual or non-state actors like landlords, property developers, and landowners, and where infringements have occurred, to provide access to legal remedies, obligations the Nigerian government has failed to comply with by its participation in the destruction of Ogoni houses and villages.66 A similar approach was followed by the Commission with regard to the right to food which is also not explicitly guaranteed in the African Charter. In this instance the right to food was linked to the right to life (Article 4), the right to health (Article 16), and the right to economic, social and cultural development (Article 22), and by violating these rights, the Commission found, the Nigerian government has not only disregarded the explicitly protected rights, but also the right to food which is implicitly guaranteed by these rights.67 Relying on general international law and the African Charter, the Commission also construed a minimum core of the right to food, which requires that the Nigerian government must refrain from destroying or contaminating food sources, or allowing private parties from doing 63

See in this regard also Velàsques Rodrígues v. Honduras, Inter-American Court on Human Rights, Series C, No. 4, 19 July 1988; X and Y v. The Netherlands, European Court of Justice, Series A: Judgments and Decisions, vol. 91 (1985), para. 23, both cases referred to by the Commission in SERAC (note 53), para. 57. 64 SERAC case (note 53), para. 58. 65 Ibid., para. 60. 66 Ibid., paras. 61, 62. 67 Ibid., para. 64.

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so.68 These obligations have not been complied with and by participating in the destruction of food sources, preventing, through terror, Ogoni communities from feeding themselves, or not acting against private entities guilty of the destruction of food sources, the Nigerian government has “fallen short of what is expected of it under the provisions of the African Charter and international human rights standards …”69 Commenting on the SERAC case, which is still an exceptional incident, given the scant attention socio-economic rights in the African Charter have received over the years, Heyns has observed that [a]s with the claw-back clauses, the approach of the Commission in filling in the gaps in the Charter in the SERAC case could be seen as a creative and bold move on the part of the Commission, but it leaves the Charter exposed as an outdated document in need of revision to ensure that it actually says, loud and clear, what it has been interpreted by the Commission to say. The current discrepancy between the wording of the Charter and the interpretation of the Commission undermines the principle of the rule of law above the rule by the people.70

One must also see the contribution of the Commission in this regard against the general enforcement and other problems the Commission is facing and which were referred to earlier on. It is therefore understandable that the process for the establishment of effective institutional structures that will consolidate the gains of the last couple of decades “has become a struggle in its own right” and that the real task is to “establish legal and political systems on the national level that protect human rights.” Instead, “regional attempts to change the human rights practices of the continent, and to create safety nets for those cases not effectively dealt with on the national level, are assuming increased importance.”71 A first illustration is the adoption in 1998 of the Protocol on the Establishment of an African Court on Human and Peoples’ Rights which entered into force in January 2004. The first judges were sworn in during the July 2006 Summit meeting of the African Union in Banjul, the Gambia, but no cases have been heard as yet by the Court. In terms of the Protocol the Court is intended to complement the protective mandate of the Commission.72 A welcome improvement is that in terms of the Protocol states parties undertake to comply with the judgment of the Court in any case to which

68

Ibid., para. 65. Ibid., para. 66. 70 C. Heyns, The African Regional Human Rights System: The African Charter, Penn State Law Review 108 (2003/04), 679, 691. 71 Ibid., 680. 72 Protocol on the Establishment of an African Court on Human and Peoples’ Rights, 2004, Art. 2, reprinted in: Heyns/Killander (note 53), 35; also available at www.achpr.org/ english/_info/court_en.html, visited on 29 November 2007. 69

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they are parties and to guarantee its execution.73 The Council of Ministers of the African Union is the body mandated to monitor the execution of judgments on behalf of the Assembly of the Union.74 A second institutional development is the establishment of the African Court of Justice75 which is the judicial organ of the African Union after the example of the European Court of Justice, and like its European counterpart is likely to contribute to the development of a human rights jurisprudence in fulfilling its mandate with regard to the interpretation, application or validity of Union treaties and all subsidiary legal instruments adopted within the framework of the Union, any question of international law, and all acts, decisions, regulations and directives of the organs of the African Union. However, it must be noted that during the July 2004 Summit of the African Union a resolution was adopted to merge the African Human Rights Court and the African Court of Justice into one body. This process is still under consideration and its outcome shrouded in uncertainty. At the regional institutional level mention must be made of the African Peer Review Mechanism (APRM) created by NEPAD as a possible further (non-judicial) development in the context of enforcing human rights standards at the national level. The APRM is an instrument voluntarily acceded to by member states of the African Union76 as an African self-monitoring mechanism on matters of internal governance. As such the APRM’s mandate is to ensure that the policies and practices of participating states conform to the agreed political, economic and corporate governance values, codes and standards contained in the Declaration on Democracy, Political, Economic and Corporate Governance.77 In this Declaration African states have, inter alia, recommitted themselves to the enhancement of democratic rule and good governance and to accord a new urgency to the protection of fundamental rights and to do more to advance its cause.78 The many goals, 73

Protocol (note 72), Art. 30. Ibid., Art. 29. 75 See Constitutive Act of the African Union, Art. 5 (1)(d) and Art. 18 and especially the Protocol of the Court of Justice of the African Union, 2003, Arts. 2 and 19. The Protocol was adopted by the 2nd Ordinary Session of the Assembly of the African Union, Maputo, 11 July 2003, instruments available at www.africa-union.org. 76 By January 2006, the following countries had signed the Memorandum of Understanding regarding the African Peer Review Mechanism (APRM): Algeria, Angola, Benin, Burkina Faso, Cameroon, Congo, Egypt, Ethiopia, Gabon, Ghana, Kenya, Lesotho, Malawi, Mali, Mauritius, Mozambique, Nigeria, Rwanda, Sao Tome & Principe, Senegal, Sierra Leone, South Africa, Sudan, Tanzania, Uganda, and Zambia. 77 AHG/235 (XXXVIII) of 2002, para. 28, reprinted in: Heyns/Killander (note 53), 293, also available as “Important Documentation” at www.nepad.org/aprm/. 78 Ibid., paras. 7–13. 74

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objectives and undertakings spelled out in the Declaration are also accompanied by a plan of action by means of which the commitments agreed upon must be fulfilled. However, the real test for the enforcement of the principles underlying the Declaration will be the functioning of the APRM in monitoring and providing thorough and objective assessments of country-specific situations. In terms of the APRM’s own base document79 the peer review instrument must be technically competent, credible and free of political manipulation.80 The peer review process covers four types of review, undertaken by a Panel of between five and seven Eminent Persons. On acceding to the peer review process, a member state must submit a clearly-defined, time-bound Programme of action for implementing the Declaration and will then be subjected to: (a) a first country review to be carried out within eighteen months after accession to the process, followed by (b) a periodic review every two to four years. Also foreseen is (c) an additional review on request by the country concerned, or (d) a review in response to early signs of impending political and economic crisis in a member country.81 The first stage of investigation involves a study of the political, economic and corporate governance and development environment of the enlisted country, based on information provided by national, sub-regional, regional and international institutions. The second stage involves a country visit coupled with the widest possible range of consultations with government, political parties and civil society organizations. The information gathered in the course of these stages forms the basis of a draft report to which the government can respond before a final report is submitted to the participating Heads of State and Government.82 If a country under investigation shows a demonstrable will to remedy the shortcomings identified in the report, it will be incumbent upon the participating governments to provide assistance to the country reviewed. If there is a lack of political will, a process of constructive dialogue with the recalcitrant member follows. Where this does not deliver the desired results the country in question is then put on notice about the collective intention of the Heads of State and Government to proceed with appropriate measures by a certain date.83 Under current conditions, the to-be-realized results of the African Peer Review Mechanism could hold the following prospects for the future. Firstly, it could 79 Adopted at the 6th Summit of the NEPAD Heads of State and Government Implementation Committee, March 2003, Abuja, Nigeria, reprinted in: Heyns/Killander (note 53), 298, also available as “Base Documentation” at www.nepad.org./aprm/. 80 Ibid., para. 4. 81 Ibid., paras. 13, 14. 82 Ibid., paras. 18–23. For country reports go to www.saiia.org.za. 83 Ibid., para. 24.

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upset the entrenched patron-client relations and patrimonial power structures that rendered the post-colonial state incapable of responding to the political, security, economic and social needs of its citizens. Secondly, the changes foreseen at the governance and economic integration levels have the potential, for the first time, in creating what is referred to as multilevel governance associated with regional arrangements that have developed into a well-integrated political, legal and economic union of member states where regulatory powers, exercised and overseen by institutions at different levels, including below and above the nation-state, are rule-bound and incapable of being over-accumulated in one area at the expense of another. What remains crucial, however, is that national institutions and their legal frameworks for the protection of human rights are strengthened and developed to the extent that citizens can rely with confidence on the availability of a remedy at the national level and supported by a trustworthy judicial system of adjudication and enforcement.

I. Excursus: the South African Experience The question whether constitutionally recognized socio-economic rights are justiciable, i.e. judicially enforceable, is a well-known bone of contention in many parts of the world. Consequently, when the new South African constitutional dispensation was negotiated in the early nineties, the inclusion of socio-economic rights in the Bill of Rights also had to content with opposing views on the feasibility of enforcing such rights in a constitutional democracy. The arguments are wellknown and, briefly stated, point out that in order to provide people with basic socio-economic rights the state must become involved in a positive manner which raises difficulties with regard to the legal remedy in the case of non-performance; the judicial function changes with unelected judges being called upon to adjudicate economic and policy issues that normally fall within the province of the executive which could blur the distinction between the executive and judicial branches of government; and lastly, the effective enforcement of such rights is dependent on the availability of resources.84 84 See also G. Erasmus, Socio-Economic Rights and Their Implementation: The Impact of Domestic and International Instruments, International Journal of Legal Information 32 (2004), 243, 244; M. J. Dennis/D. P. Stewart, Justiciability of Economic, Social and Cultural rights: Should There Be an International Complaints Mechamism to Adjudicate the Rights to Food, Water, Housing and Health?, AJIL 98 (2004), 462, 463, 464; D. M. Davis, The Case Against the Inclusion of Socio-Economic Demands in the Bill of Rights Except as Directive Principles, South African Journal on Human Rights (SAJHR), 8 (1992), 475 et seq.; D. Brand, Introduction to Socio-Economic Rights in the South African Constitution, in: D. Brand/C. Heyns (eds.), Socio-Economic Rights in South Africa, 2005, 1, 21.

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Developing South African jurisprudence on the matter since the coming into force of the new constitution85 has caused many of the opposing arguments to run out of steam, a result that is also partly due to the constitutional system and the structure it provides for the enforceability of socio-economic rights.86 Included in the Bill of Rights are the following socio-economic rights: housing (s 26); health care, food, water and social security (s 27); children (s 27); and education (s 29). The protection and enforcement of these rights take place at different levels. First, the Bill of Rights enumerates a number of duties the state has to give effect to, i.e. the state must respect, protect, promote and fulfill the rights embodied in the Bill of Rights.87 This must be read against the supremacy clause, which also determines that obligations imposed by the constitution must be fulfilled.88 Secondly, the rights in the Bill of Rights are also protected as statutory entitlements, due to the fact that the constitution, in a number of instances, instructs the legislature to enact legislative measures to give effect to the rights in the constitution. This is also the case with socio-economic rights, where, for instance, sections 26(2) and 27(2) require that the state takes “reasonable legislative and other measures … to achieve the progressive realization” of the rights in question. In giving effect to these instructions, the legislature has enacted a wide range of legislative measures aimed not only at facilitating or providing access to basic resources but also at empowering structures and institutions and setting in place processes for the implementation of such rights. Commenting on this development, it has been observed that [s]tatutory entitlements are likely to be more detailed and concrete in nature than the vaguely and generally phrased constitutional rights forming their background, and are consequently more direct in the access to resources that they enable people to leverage. In addition, courts are likely to enforce statutory entitlements more robustly than they would constitutional rights, because they are enforcing a right, duty or commitment defined by the legislature itself, rather than a broadly phrased constitutional right to which they have to give content.89

Since the state is also constitutionally obligated to take “other measures” to give effect to constitutional rights, the realization of socio-economic rights is possible through a third level of state action, i.e. administrative decisions and the adoption of government policies to guide the interpretation and realization of socio-economic rights. As in the case of legislative measures, these “other mea85

Constitution of the Republic of South Africa, Act 108 of 1996. See also P. Nolette, Lessons Learned From the South African Constitutional Court: Toward a Third Way of Judicial Enforcement of Socio-Economic Rights, Michigan State University Journal of International Law 12 (2003/04), 92 et seq. 87 Constitution (note 85), 7(2). 88 Ibid., 2. 89 Brand (note 84), 14. 86

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sures” remain subject to review by the courts against what the constitution allows or disallows, with the result that socio-economic rights are less subject to legislative fiat than could be the case in other jurisdictions where such rights appear as legislative entitlements only. A fourth and perhaps most important level of protection is through judicial intervention. In this regard some important constitutional provisions warrant attention. According to section 8, the Bill of Rights applies to all law and binds the legislature, the executive, the judiciary and all organs of state. In addition it binds a natural or juristic person if, and to the extent that the Bill of Rights is applicable, taking into account the nature of the right and the nature of any duty imposed by the right. The second is section 36, generally known as the limitation clause and a crucial element in any constitutionally authorized limitation of, or interference with, a fundamental right or freedom. It has rightfully been observed that the “introduction of a limitation clause is a hallmark of the modern constitution and represents an attempt to create a structure in which a balance can be achieved between the will of a democratically elected government, on the one hand, and constitutionally protected rights, on the other.”90 For a limitation to be lawful, section 36 requires it to be based on a law of general application and be reasonable and justifiable in an open and democratic society based on human dignity, equality and freedom, while taking into account all relevant factors including (a) the nature of the right; (b) the importance of the purpose of the limitation; (c) the nature and extent of the limitation; (d) the relation between the limitation and its purpose; and (e) less restrictive means to achieve the purpose.91 In the South African context this means that fundamental rights, including socio-economic rights … are entrenched in the Constitution. It follows that any limitation of these entrenched rights must pass constitutional muster, in that the limitation must be reasonable and justifiable in an open and democratic society. Any limitation must also meet the five requirements laid down in section 36 of the Constitution. They serve as the test for proportionality in general – an examination of the means used to achieve the required ends.92

Thirdly, in terms of section 39 of the Constitution, a court, when interpreting the Bill of Rights, must promote the values that underlie an open and democratic society based on human dignity, equality and freedom; it must consider international law and may consider foreign law. Furthermore, when interpreting any 90

M. H. Cheadle/D. M. Davis/N.R.L. Haysom, South African Constitutional Law: The Bill of Rights, 2002, 10. See also S v. Makwanyane, Constitutional Court of South Africa, 1995 (6), BCLR 665 (CC), para. 104. 91 For an extensive analysis of the limitation clause see I. Rautenbach/R. Malherbe, Constitutional Law, 4th ed. 2004, 317 et seq. 92 Y. Burns/M. Beukes, Administrative Law under the New Constitution, 2006, 415.

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legislation and when developing the common law, a court must promote the spirit, purport and object of the Bill of Rights. The importance of international law in the process of interpretation was already recognized under the Interim Constitution in the well-known case of S v. Makwanyane where the Constitutional Court, referring to the interpretation of the Bill of Rights in Chapter 3 of the Interim Constitution (now chapter 2 of the 1996 Constitution), stated as follows: International agreements and customary international law accordingly provide a framework within which Chapter 3 can be evaluated and understood, and for that purpose decisions of tribunals dealing with comparable instruments … may provide guidance as to the correct interpretation of particular provisions of Chapter 3.93

Lastly, there is section 172 of the Constitution which empowers the courts, when deciding a constitutional matter, to declare any law or conduct that is inconsistent with the Constitution invalid to the extent of the inconsistency and to make any order that is just and equitable. This then is the constitutional framework within which the courts exercise their constitutional right of review. How the courts have in practice approached the justiciability of socio-economic rights within this framework may be illustrated with reference to some seminal judgments. A first, rather tentative view of note is the certification judgment by the Constitutional Court in 1996.94 In this matter the Court had to decide whether the spirit and substance of the new (1996) Constitution complied with the constitutional principles the Interim Constitution contained as a yardstick for the writing of the final constitution.95 Faced with the argument that socio-economic rights were not justiciable and therefore not enforceable by the courts, the Constitutional Court ruled that they were at least to some extent justiciable, in the sense that at the very minimum they can be protected from improper invasion.96 If any scepticism about the justiciability of social and economic rights still prevailed after the Certification judgment, the Grootboom case97 should have put it finally to rest. But even more importantly, the Grootboom case has demonstrated how essential it is for the realization of social and economic rights to have a constitutional review system in place with the power to scrutinize the legislative, administrative and executive measures of the state giving effect to these rights. Providing a legal remedy that, strictly speaking, allows citizens to monitor the 93

S v. Makwanyane (note 90), para. 35. In re Certification of the Constitution of the Republic of South Africa, Constitutional Court of South Africa, 1996 (10), BCLR 1253 (CC). 95 See Schedule 4 of the Constitution of the Republic of South Africa, Act 200 of 1993. 96 Certification judgment (note 94), para. 78. 97 Government of the Republic of South Africa and Others v. Grootboom and Others, Constitutional Court of South Africa, 2001 (1) SA 46 (CC). 94

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suitability and progress of state programmes in these instances is indispensable in view of the fact that the full realization of at least some social and economic rights, especially in developing countries, cannot be achieved in a short period of time and also because implementation is often dependent on prioritization in resource allocations. The leeway granted to states to “progressively achieve the full realization” of social and economic rights and subject to “available resources” speaks of realism, but also provides a golden opportunity for states to use such criteria for escaping their responsibilities or delaying implementation. From the citizen’s point of view, monitoring state action in such circumstances can be excessively burdensome or even impossible. By providing effective legal remedies for monitoring state action citizens are made less powerless in the face of capricious state action and conduct, and governments are given the opportunity to make adjustments in their policies and programmes. These are also the lessons we can learn form the judgment in Grootboom’s case, which deals with the obligation of the South African government to progressively provide access to adequate housing by means of reasonable legislative and other measures within the state’s available resources. This obligation which derives from section 26(1) and (2) of the Constitution was also interpreted in Grootboom’s case with reference to similar formulations in the ICESCR,98 but differences were pointed out. For instance, the Covenant provides for a “right to adequate housing”99 while section 26 of the South African Constitution provides for a “right of access” to adequate housing. Regarding state obligations the Covenant requires states to take “appropriate steps”100 including legislative measures, while section 26 instructs the government to take “reasonable” legislative and other measures. At the instance of the amici curiae briefs, the Court also took note of the General Comments of the Committee on the interpretation of appropriate state obligations in terms of the Covenant and came to the conclusion that the Committee’s observation, namely that states parties are bound to fulfil a “minimum core obligation” with regard to the social and economic rights in the Covenant, means that regard must be had to “the needs of the most vulnerable group that is entitled to the protection of the right in question” and that it is in “this context that the concept of minimum core obligation must be understood in international law.”101 In the South African context, the Constitutional Court pointed out that this requirement presents particular difficulties in view of the different needs of people in that category and in view of insufficient information, in casu, to determine what would comprise the minimum 98

Ibid., paras. 26–27. Art. 11(1) ICESCR. 100 Ibid., Art. 2(1). 101 Grootboom (note 97), paras. 29–31. 99

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core obligation in the context of the Constitution.102 However, when the Court analyzed the appropriateness of the South African measures, it by implication used a criterion which in essence is nothing but a minimum core obligation to be fulfilled by the state in the circumstances of the case and one which is unmistakenly informed by the Court’s own criterion of the “needs of the most vulnerable”103 mentioned above. For instance, in finding that the main thrust of the government’s housing development policy did not contemplate the provision of housing falling short of this development goal, the Court stated as follows: In other words there is no express provision to facilitate access to temporary relief for people who have no access to land, no roof over their heads, for people who are living in intolerable conditions and for people who are in crisis because of natural disasters such as floods and fires, or because their homes are under threat of demolition. These are people in desperate need. Their immediate need can be met by relief short of housing which fulfils the requisite standards of durability, habitability and stability encompassed by the definition of the housing development act.104

The minimum core obligation reference of the Court above is based on the Committee’s General Comment No. 3 on the general obligations of states in terms of Article 2(1) of the Covenant which also recognizes that any assessment of as to whether a state has discharged its minimum core obligation must also take account of the resource constraints in the country concerned.105 However, in General Comment No. 4, which specifically deals with the right to adequate housing, the Committee has clearly indicated that states parties “must give due priority to those social groups living in unfavorable conditions by giving them particular consideration.”106 What must be noted here is that the appropriateness test of the Covenant is one that cannot be decided without taking into account the margin of appreciation condition inherent in most conventional obligations and dealt with earlier on in this chapter. Likewise, since the minimum core obligation requirement will assume different meanings in different national settings and depending on the socio-economic right in question, narrowing it down to the needs of the most vulnerable is an interpretation that is not unequivocally borne out by the Committee’s assessment of the matter. In the Treatment Action Campaign case,107 in which the government’s aids policy under the state’s health care services was challenged, the 102

Ibid., para. 33. See also ibid., para. 36: “The poor are particularly vulnerable and their needs require special attention. It is in this context that the relationship between sections 26 and 27 and the other socio-economic rights is most apparent.” 104 Ibid., para. 52. 105 UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.5, 20, para. 10. 106 Ibid., 25, para. 11. 107 Minister of Health v. Treatment Action Campaign (No. 2), Constitutional Court of South Africa, 2002 (5) SA 721 (CC). 103

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minimum core obligation requirement was considered not to be a self-standing right, but linked to the question whether the state has taken reasonable legislative and other measures within its available resources to achieve the progressive realization of the right in question.108 Accordingly, the minimum core obligation would at least include “the minimum decencies of life consistent with human dignity” meaning that “no one should be condemned to a life below the basic level of dignified human existence.” All that can be expected of the state is that it “act reasonably to provide access to the socio-economic rights identified in ss 26 and 27 on a progressive basis.”109 If the nature of the eviction in the Grootboom case, and the circumstances under which it took place,110 are considered, reference should be made to the guidelines laid down in the Committee’s General Comment No. 7 (1997)111 on state obligations in the case of forced evictions. This Comment considers the demolition of property as a punitive measure,112 as inconsistent with the Covenant and instructs states parties to ensure “prior to carrying out any evictions, and particularly those involving large groups, that all feasible alternatives are explored in consultation with the affected persons, with a view to avoiding, or at least minimizing, the need to use force.” Moreover, those affected by eviction orders must be provided with legal remedies or procedures and states must see to it that all individuals have a right to adequate compensation for any property which is affected.113 In the case of a justified eviction, the eviction must be carried out in “strict compliance with relevant provisions of international human rights law and in accordance with general principles of reasonableness and proportionality.”114 Evictions should not result in “individuals being rendered homeless or vulnerable to the violation of other human rights.”115 “Appropriate procedural protection”, according to the Committee, will include the following:

108

See 27 (2) of the Constitution. Treatment Action Campaign (note 107), paras. 28, 35. 110 The applicants in the case were forcefully and prematurely evicted and left homeless at the beginning of the cold and wet Cape winter. Their homes were also bulldozed and burnt and their possessions destroyed. The Court raised the possibility of the state’s unlawful and unconstitutional conduct before, during and after the eviction, but did not consider the matter further because no arguments in this regard were put forward, see Grootboom (note 97), paras. 85–90. 111 UN Doc. HR/GEN/1/rev.5, 49. 112 Ibid., 51, para. 12. 113 Ibid., para. 13. 114 Ibid., 52, para. 14. 115 Ibid., para. 16. 109

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– An opportunity for genuine consultation with those affected; – adequate and reasonable notice of the eviction; – information on the reasons for the proposed evictions to be made available in reasonable time to all those affected; – government presence during the eviction, especially in the case of the eviction of groups of people; – clear identification of persons responsible for carrying out the eviction; – avoidance of evictions during bad weather or at night, unless persons affected consent otherwise; – provision of legal remedies to affected persons; and – provision of legal aid where applicable to persons in need of seeking redress from the courts.116 In conjunction with the above measures, which deal with different aspects of the requirement of appropriateness in terms of the Covenant, one must consider the Court’s views in the Grootboom case on what would constitute “reasonable legislative and other measures” in light of the South African Constitution. The Court’s test of reasonableness in this context is linked to the fulfilment of four conditions: the government’s housing programme must involve co-ordination between the different spheres of government with a view to making available the needed financial and human resources in terms of a national legislative framework;117 the housing programme must be coherent and directed towards the progressive realization of the right of access to adequate housing within available means;118 legislative measures must be supported by other measures such as executive policies and programmes which are reasonable both as regards their conception and implementation119 taking into consideration social, economic and historical factors and the Bill of Rights provisions must be complied with.120 With regard to the latter condition, the Court considered it fundamental to an evaluation of the reasonableness of state action that account be taken of the inherent dignity of human beings when the state adopts and implements measures for the realization of section 26 of the Constitution.121

116 117 118 119 120 121

Ibid., para. 15. Grootboom (note 97), paras. 39–40. Ibid., para. 41. Ibid., paras. 42–43. Ibid., para. 44. Ibid., para. 83.

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The constitutional requirement of progressive realization was considered by the Court to be in harmony with what the Covenant stipulated, with the result that the Committee’s interpretation was found to be adequate in determining what was meant by progressive realization. Hence, the state is required to move as expeditiously and effectively towards the goal of progressively facilitating access to adequate housing and to remove legal, administrative, operational and financial hurdles over time.122 The rate of achieving these goals as well as the reasonableness of the measures employed to achieve the necessary results will depend on the further qualification, namely the availability of resources and the various demands on them.123 The state’s role, imposed by the rule of law in a constitutional democracy, in providing the necessary mechanisms for citizens to resolve disputes in the case of conflicting rights and interests, is certainly not unrelated to the core idea of realizing socio-economic rights in general. This has been illustrated by the Constitutional Court’s ruling in the Modderklip Boerdery case.124 In this matter the respondent’s farm was illegally occupied by people evicted from a nearby informal settlement by the local city council. The respondent, whose farming activities were seriously curtailed by the illegal occupation, sought in vain to solicit the state in removing the 40,000 odd trespassers from his property. Even efforts by the respondent company to extricate itself by means of court orders were frustrated by the ineffectiveness of the mechanisms provided by the state and by a series of appeals against the orders. In finally ruling on the matter, the Constitutional Court concluded that the state’s obligations were by no means limited to legislative and judicial mechanisms for the resolution of disputes of this nature. It is also obliged “to take reasonable steps, where possible, to ensure that large-scale disruptions in the social fabric do not occur in the wake of the execution of court orders, thus undermining the rule of law.”125 By standing by and doing nothing, the state has failed to “take reasonable steps to ensure that Modderklip was … provided with an effective remedy” and has accordingly “breached Modderklip’s constitutional rights to an effective remedy as required by the rule of law and entrenched in section 34 of the Constitution.”126

122

Ibid., para. 45. Ibid., para. 46. 124 President of the Republic of South Africa and Another v. Modderklip Boerdery (Pty) Ltd., Constitutional Court of South Africa, 2005 (5) SA 3 (CC). 125 Ibid., at para. 43. 126 Ibid., paras. 48, 51. See also M. Swart, Left Out in the Cold: Crafting Constitutional Remedies for the Poorest of the Poor, SAJHR 21 (2005), 215. 123

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The relative success of adjudicating socio-economic rights in the South African constitutional order has been ascribed to the importance of having the judiciary working with the legislature and the executive on practical solutions in reaching the aspirational goals of the Constitution.127 Built into this relationship are certain constraints that must be honored for the edifice on which it is built to retain its legitimacy and to ensure a sustainable and balanced enforcement and realization of the rights in question. The constraints in question relate to upholding the fundamental rule on the separation of powers, the consideration of resource implications and allowing, within reasonable limits, the legislature and the executive to pursue a range of possible measures in addressing social ills. However, there are also commentators who believe that judicial review of government action and decisions under the new constitutional dispensation has entered a dangerous phase.128 Under the common law position, largely influenced by English doctrine on judicial review, South African courts have always followed the rule that in reviewing government action a court cannot prescribe policy to government or interfere with the merits of a decision in the case of a discretionary power given to the executive. Hence, the courts were concerned more about the legality of the decision and the way in which it was arrived at and eventually implemented. With the adoption of the new Constitution and the changes it has brought about with regard to judicial powers of review, coupled with the social and political transformation policy of the government, it is now argued that the distinction between policy an legality has become dramatically obscured, also in view of the fact that a whole range of fundamental rights guarantees, in particular those relating to socio-economic rights, will inevitably codetermine the content and scope of government policy. Where policies are further determined by the underlying constitutional values it will be unavoidable for the courts to become codeterminators of government policy in giving effect to those values and the rights that could be potentially affected. The efforts made by the Constitutional Court to honor the distinction between legality and policy129 are more apparent than real and in some instances the courts have made no secret about the fact that the courts’ judicial review powers are no longer restricted to the way in which a decision was reached but now extend to the sub-

127

Cf. Nolette (note 86), 118. See M. Wiechers, Quo Vadis Geregtelike Hersiening van Administratiewe Handelinge?, Journal of South African Law 2005, 469, 473 et seq. 129 See inter alia, Bato Star Fishing (Pty) Ltd. v. Minister of Environmental Affairs and Tourism, Constitutional Court of South Africa, 2004 (7) BCLR 687 (CC); Minister of Health v. New Clicks (Pty) Ltd., Constitutional Court of South Africa, 2006 (1) BCLR 1 (CC). 128

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stance and merits of a decision.130 Thus, the question is whether courts in the exercise of their review powers over government decisions and the interpretation and application of government policies run the risk of being drawn into the political arena and an inevitable confrontation with government. South Africa is a young democracy with more than a faire share of social and political ills, with the result that an assessment of how this will unfold remains for now a matter for speculation.

D. The Return to Proper Statehood Although the developments described in the preceding pages offer some hope for the advancement of socio-economic rights protection on the African continent, it must be understood that a missing element remains state capacity and stateinstitutional efficiency by means of which the resources and mechanisms for providing effective remedies must be brought into being. For a variety of reasons and in pursuit of different objectives these issues have gained significant importance in political and economic debates in the course of the last two decades and can therefore not be ignored when human rights protection and related issues of government-citizen interaction are considered. The concern over state strength, writes Fukuyama in 2004, has since the end of the Cold War under the intellectual dominance of economists identified political institutional capacity, and not economics, as the most critical variable in development.131 This concern, also known under a variety of other names such as “governance” or “state and institutional capacity” has in the meantime become the subjectmatter of a number of international and regional efforts “to advance the emerging consensus on the primacy of the capable state to sustain peace and security, promote the flourishing of civil society and the private sector, create an enabling environment for sustainable growth and development, and ensure a more just and equitable society.”132 Most notably amongst these efforts are the World Bank reports on the

130

Romans v. Williams NO., Cape High Court, 1997 (9) BCLR 1267 (C), 1275. See also the minority judgment of J. Mokgoro/J. Sachs, in: Bel Porto School Governing Body v. Premier of the Western Cape Province, Constitutional Court of South Africa, 2002 (9) BCLR 891 (CC), para. 164. 131 F. Fukuyama, State-Building, Governance and World Order in the 21st Century, 2004, 21, 22. 132 Economic Commission for Africa, African Governance Report 2005, www.uneca. org, visited on 18 October 2006.

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building of effective states (2005),133 on governance indicators (2006)134 and on policy discussions in respect of fragile states (2006);135 the Economic Commission for Africa’s African Governance Report (2005);136 Tony Blair’s Commission for Africa Report (2005);137 the European Union’s Strategy for Africa (2005)138 and the joint statement by the European Parliament, Council, and Commission on development (2006),139 also known as the European Consensus on Development which will find application in terms of the new economic partnership agreements of the postLomé economic development arrangements between the European Union and the African, Caribbean and Pacific (ACP) states. In these documents and in commentaries on the subject-matter Africa draws much of the interest because it is the only region that lags behind in reaching the millennium development goals and has the largest concentration of states that are considered weak or dysfunctional. The great irony of all this is that while questions of effective governance and institutional capacity were blown away by the winds of change Harold MacMillan140 warned about in the sixties, the international and regional communities of states were forced by subsequent events to return to this fundamental question and to confront it head on. Even in the 2001 base document of the New Partnership for Africa’s Development (NEPAD) there is a strong recognition of the need for 133

World Bank Task Force on Capacity Development in Africa, Building Effective States, Forging Engaged Societies, 2005, www.worldbank.org, visited on 15 October 2006. 134 D. Kaufmann/A. Kraay/M. Mastruzzi, Governance Matters V: Aggregate and Individual Governance Indicators for 1996–2005, www.worldbank.org, visited on 15 October 2006. 135 In World Bank parlance these states are referred to as Low-Income Countries Under Stress (LICUS), see www.worldbank.org/eig/licus/findings.html, visited on 20 October 2006. 136 Economic Commission for Africa Report (note 132). 137 Our Common Interest, Report of the Commission for Africa (2005) www. commissionforafrica.org, visited on 10 October 2006, see especially chapters 4 and 5 of the Report. 138 European Commission Document COM (2005) 489 of 12 October 2005. 139 OJ 2006/C 46/01 of 24 February 2006. 140 In 1960, the British Prime Minister, Harold MacMillan, gave his famous “winds of change” speech in the South African Parliament in which he made the following pertinent observation: “It is basic principle of our modern Commonwealth that we respect each other’s sovereignty in matters of internal policy. At the same time we must recognize that in this shrinking world in which we live today the internal policies of one nation may have effect outside it. We may sometimes be tempted to say to each other, “Mind your own business,” but in these days I would myself expand the old saying so that it runs: “Mind your own business, but mind how it affects my business too,” see Harold MacMillan, Pointing the Way, 1972, 473 et seq.

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building the capacity of states in Africa for i.a. determining and enforcing the legal framework and maintaining law and order. This return to first principles was brought about by mainly two occurrences: the unhappy experiment with economic reforms in developing countries since the seventies and, more recently, the concern with the interconnectedness between fragile or dysfunctional states and questions of international peace and security. The interesting aspect is that the preconditions for statehood and the question of state capacity, which was forgotten in the text of Article 4 of the UN Charter under the domineering influence of post-colonial sentiments, were forced onto the world scene towards the beginning of the nineties, not so much through the efforts of the main political organs of the UN, but through the policy and research papers of international and regional donor institutions. Already towards the end of the eighties a World Bank Report, coproduced by a large number of African researchers, acknowledged that the successful transformation of African economies is not only dependent on sound macro-economic policies and an efficient infrastructure. The root cause of weak economic performance, the Report finds, has been the failure of public institutions. Thus, it was concluded that: Underlying the litany of Africa’s development problems is a crisis of governance. By governance is meant the exercise of political power to manage a nation’s affairs. Because countervailing power has been lacking, state officials in many countries have served their own interests without fear of being called to account. In self-defense individuals have built up personal networks of influence rather than hold the all-powerful state accountable for its systemic failures. In this way politics becomes personalized, and patronage becomes essential to maintain power.141

Barely ten years later, in the wake of new economic and security challenges after the end of the Cold War, the United Nations’ Committee for Development Planning came to a similar conclusion as is clear from the following excerpt: In many developing countries, economic reforms and economic development are made impracticable by an unfavourable political process and mode of governance. There are countries where there is a lack of transparency in government decision-making, a lack of government accountability to the populace, and the denial of fundamental human rights to large segments of the population. Such situations are attributable to vested interest groups wielding economic and political power, averse to social change and broad-based economic progress for fear that their own particular interests would be undermined.142

141

World Bank, Sub-Saharan Africa: From Crisis to Sustainable Growth, 1989, 60, 61. UN Committee for Development Planning, Poverty Alleviation and Sustainable Development: Goals in Conflict, 1992, 5, 6; see also K. Ginther/P.J.I.M. de Waart, Sustainable development as a matter of good governance: an introductory view, in: K. Ginther/E. Denters/P.J.I.M. de Waart (eds.), Sustainable Development and Good Governance, 1995, 1 et seq. 142

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Another element of considerable significance, and pertinent to the issue of the availability of resources, is regional economic integration. In 1994 it was observed that the “track record of regional cooperation in Africa has been a major cause of concern. Three decades of continued efforts have ended in near bankruptcy, which has given rise to a growing worry about the direction in which the cooperation drive is heading”.143 The “three decades of continued efforts” is also littered with a multitude of sub-regional organizations144 which have emerged in an uncoordinated fashion all over Africa only to produce a myriad of problems and disappointing outcomes. The genesis, growth, decline and stagnation of the regional institutionbuilding efforts on economic integration are well-captured in the following assessment by Gruhn: The usual life-cycle of an inter-African organization started with a series of inter-state conferences, which culminated in a charter-signing ceremony attended by heads of states, and the selection of a headquarters sight. This was followed by the creation of an organizational bureaucracy, which then generally encountered financial difficulties, bureaucratic disarray, loss of interest by the organization’s members, and decline (and sometimes demise) of the organization. It has become a common observation that many inter-African organizations are merely paper organizations.145

In 2006, the Economic Commission for Africa still recorded lack of substantial progress and mentioned rationalization of regional economic communities as one of the main challenges confronting Africa in its quest for full economic integration. Although progress has been made in the areas of trade, infrastructure, regional public goods and peace and security, the Commission pointed out that only a fifth of the regional economic communities have achieved their targets for trade among members. Common labour laws, free movement of labour, and rights of residence and establishment have still not been undertaken by most regional economic communities, and most are also lagging on almost all critical elements necessary for the success of an economic union … Progress in harmonizing tax policies, deregulating, financial sectors, liberalizing the capital account, and other areas has been insufficient. Even with sectoral programmes needed to deepen African integration, a third to a half 143

A. Aly (ed.), Economic Cooperation in Africa: In Search of Direction, 1994, 1. The following sub-regional organizations exist with the common purpose to achieve economic integration in the areas under their jurisdiction: Central Africa: Economic Community of Central African States (ECCAS); Central African Economic and Monetary Community (CEMAC); Economic Community of Great Lakes Countries (CEPGL); East and Southern Africa: Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA); East African Community (EAC); Inter-Government Authority on Development (IGAD); Indian Ocean Commission (IOC); Southern African Development Community (SADC); Southern African Customs Union (SACU); West Africa: West African Economic and Monetary Union; Manu River Union; ECOWAS; North Africa: Arab Mahgreb Union (UMA), replaced by the Community of Sahel-Saharan States. 145 I. V. Gruhn, Regionalism Reconsidered: The Economic Commission for Africa, 1979, 5; see also S. Asante, The Political Economy of Regionalism in Africa, 1985, 28. 144

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of the regional economic communities acknowledge shortcomings in the effectiveness of their initiatives towards the integration goals.146

Underlying causes for this malaise, according to the Commission, are, i.a., overlapping membership in the different organizations, duplication of programmes, institutional inefficiency and ineffectiveness and poor coordination at the continental level.147 However, despite many set-backs and uninspiring progress the ideal of regional economic integration is still high on the agenda and for obvious reasons: without regional economic integration inter-state trade in Africa will remain at its current low levels and the enlargement of internal African markets for sustainable economic growth, especially in countries with small economies, will remain nothing but an aspiration. Hence, a renewed effort was made in the Lagos Plan of Action which recognized that rapid self-reliance, sustainable development and economic growth are linked, i.a., to the economic integration of the African region. Hence, the proposal for an African Economic Community to be set up by 2000 by means of which the economic, social and cultural integration of the African continent must be effected.148 Although this process was set in motion by the adoption in 1991 of the Treaty establishing the African Economic Community (AEC), outlining a staged process of economic integration over a 34 year period, which included the strengthening of the existing regional communities,149 the Community’s future existence as an autonomous entity for facilitating economic integration on the continent is uncertain. Since its objectives are now fully integrated within the African Union and NEPAD objectives, the AEC might become subsumed under the former.150 In any event, most regional economic communities are behind on the stages set by the Treaty establishing the AEC and it is difficult to see how the process will unfold if the whole project for regional economic integration is going to be taken over by the African Union under the NEPAD initiatives. Whatever vehicle is chosen for economic integration, the process itself as well as its sustainability and successful implementation cannot be separated from finding a solution to the lack of institutional capacity and good governance at the na146

United Nations Economic Commission for Africa, Assessing Regional Integration in Africa II, 2006, xvi et seq., www.uneca.org, visited on 10 November 2006. 147 Ibid., chapters 3–5. 148 Lagos Plan of Action for the Economic Development of Africa, preamble and Annex I, adopted by the Assembly of Heads of State and Government of the OAU in Lagos, Nigeria, 28–29 April 1980. 149 Treaty establishing the African Economic Community, paras. 1, 2 and 6, adopted by the Heads of State and Government of the OAU in Abuja, Nigeria, on 3 June 1991. 150 See also E. Baimu, The African Union, African Economic Community and NEPAD, in: C. Heyns (ed.), Human Rights Law in Africa, vol. 1, 2004, 99, 103.

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tional level. Strong and effective regional institutions are unthinkable without national states that have the capacity and will to work towards the common good at the regional level. This precondition is implicit in the Economic Commission for Africa’s assessment of the poor national underpinnings for regional efforts towards economic integration. According to the Commission progress is hampered by weak institutions lacking coordinating capacity within national governments; little translation of economic community goals into national plans; poor implementation of agreed programmes due to a lack of effective integration mechanisms at the national level; weak legislative processes for integration; poor fulfillment of financial obligations to regional organizations; and a poor understanding of economic integration issues amongst the general population.151 According to the European Union’s 2005 Strategy for Africa152 the period between 2005 and 2015 will be a watershed period in relations between Europe and Africa. The Strategy, whose main objective is the achievement of the UN Millennium Development Goals in Africa, is based on extensive consultations with the African Union and the African regional economic communities. In assisting African countries in making better progress towards achieving the Millennium Goals, the Strategy aims at (1) strengthening EU support in priority areas; (2) increase EU financing for Africa; and (3) develop and implement a more effective EU approach to development.153 Of importance though, is the Strategy’s unambiguous declaration that peace and security for citizens and good and effective governance are central prerequisites for sustainable development for which government reforms will have to be undertaken in a number of areas.154 Support for African initiatives, such as the African Peer Review Mechanism, forms part of the Strategy’s approach. For the purpose of establishing a more comprehensive, integrated and long-term framework for future development arrangements with ACP countries, bilateral economic partnership agreements (EPAs) between donor and recipient countries or economic communities will be the instruments of sustainable development and of the ACP countries’ integration into the global economy. The fundamental principles and objectives of the EPAs are defined by the 2002 Cotonou Agreement which is the new legal framework covering development assistance, trade and political relations between the EU and the ACP countries.

151 152 153 154

Economic Commission for Africa Report (note 132), 69 et seq. EU Strategy for Africa (note 138). Ibid., 9. Ibid., 4, 21 et seq.

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E. Conclusion The rule of law is usually associated with legally circumscribed government conduct, independent judicial control over laws and the exercise of government powers and functions, and the protection of human rights guarantees. Even if this very limited understanding of the rule of law is relied on, the gap between formal acceptance and substantive enforcement of the principle is notoriously wide on the African continent. In contrast to the abundance of rhetorical confessions to abide by the rule of law, wide-spread ratifications of the major international and regional human rights instruments and ceremonial references to the globally accepted codes of conduct in this regard in national constitutions, the mechanisms for enforcing the principles in question remain weak and precarious. The picture darkens if one considers some other elements of the rule of law which are often conveniently left out of the equation, such as the accessibility of the judicial system, effective remedies, effective law enforcement and prosecutions and the willingness and ability of the state to comply with court judgments. On the issue of policing in general, one of the surprisingly few studies on the role of the police in post-colonial Africa concluded that despite the political changes of the nineties most aspects of post-colonial policing in African states have remained unchanged. Consequently, the protection of regimes from internal threats, accommodating new rulers and adapting to new political environments and their peculiar economic awards still overshadow the catching of criminals and the protection of life and property.155 Commenting on the steep decline in state capacity in post-apartheid South Africa’s safety and security and home affairs departments, a country where crime and corruption have reached critical levels, Kenneth Good has wisely noted that it is important to consider in such circumstances who might gain and who might lose from institutional erosion and resource dissipation.156 If the gains are on the side of an elite of politicians, bureaucrats and their business associates, the profiting leadership will be unconcerned with corruption and would prefer to keep performance and standards low in the police services. This might also support the conclusion that the many anticorruption and good-governance campaigns of recent years are in practice of little relevance to the reality of crime in the region and elsewhere, since the trade in drugs, gems, weapons and so on is either tremendously profitable for many politicians or is quite outside state and police control anyway.157 155 A. Hill, Policing Africa: Internal Security and the Limits of Liberalization, 2000, 15 et seq., 59 et seq., 187. 156 K. Good, Accountable to Themselves: Predominance in Southern Africa, Journal of Modern African Studies 35 (1997), 547, 554. 157 Hill (note 155), 61.

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The obstacles in making the rule of law real in citizens’ lives are well-known: lack of resources, capacity and training; lack of independence and security of tenure amongst the judiciary; unreliable, ineffective and corrupt law enforcement agencies etc.158 However, of even greater concern for the future establishment of real constitutional democracies with well-functioning judicial and law enforcement systems and in overcoming these deficiencies is how to disentangle the state and its institutional apparatus from the warlord politics of the incumbents of power.159 To sustain some semblance of state sovereignty, and of an internal functioning state, the rulers of bureaucratically weak and internally insecure states in Africa must cultivate systems of patronage that are based on control over state resources, and in conflict zones, on the commercialization of conflict goods. Such a network of rulers and clients, bound together through an exchange of largesse, removes the need for building strong, neutral and law-bound bureaucracies, since the patronage network itself is relied on as a (shadow) state bureaucracy that upholds the semblance of a functioning state. Thus, the “term weak state signifies a spectrum of conventional bureaucratic state capabilities that exists alongside (generally very strong) informal political networks.”160 The difference between this style of organization and a conventional state “lies in the fact that the inhabitants do not enjoy security by right of membership in a state. Security is coincidental; it is reliant on the venture’s profitability and the degree to which it satisfies the shared interests of the members of the organization.”161 In such circumstances there exist no institutionalized or widespread personal acculturation of the rule of law as constitutive of the state and of the powers and functions of state organs. Instead the (rule of) law is seen as part of the state apparatus, i.e. a complex of instruments the incumbents of power (or their opponents) can appropriate to achieve objectives that are intimately tied up with their personal aspirations, fears and positions and the need to wield influence over followers and competitors. Thus, as has been noted elsewhere, the establishment of the rule of law can “imply either a strengthening of state capacities or a weakening of state power. It can represent the imposition of a set of state-determined rules governing private behavior or the imposition of constraints on the personalized nature of government.”162

158

See, i. a., African Governance Report (note 132), 171 et seq. See W. Reno, Warlords Politics and African States, 1998. 160 Ibid., 2. 161 Ibid., 3; see also N. Cooper, State Collapse as Business: The Role of Conflict Trade and the Emerging Control Agenda, Development and Change 33 (2002), 935 et seq. 162 S. Rose-Ackerman, Establishing the Rule of Law, in: R. I. Rotberg (ed.), When States Fail: Causes and Consequences, 2004, 182, 183. 159

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Regional and international reforms in this area face the further obstacle of changing the underlying pervasive influence of the instrumentalization of the state since decolonization to undertake rescue operations in almost every area of human endeavor. Even in the case of regime transition or reform the contents of the constitution or the need to design new legal rules become points of contestation, often not for reasons of remedying the mischief in the old system, but to gain access to resources monopolized by the previous regime or to ensure benefits from state patronage or business opportunities that come in the wake of state capture under the pretext of reform or transformation.163 Inasmuch as the current concern with good governance and effective state institutions has forced the international community to revisit the constitutive elements of statehood, a debate on the distinction between the state and the aims pursued in its name, and between the constitutive and regulatory elements of the rule of law is long overdue. Under the instrumentalist conception of the state and of the law, these distinctions have become blurred or obscured and have smoothed the way for some dangerous experiments with state power since decolonization. What needs to take root is the insight that as long as an instrumentalist view of law and state prevails, the idea of legally circumscribed and limited state power remains an oxymoron. Under an instrumentalist paradigm state power simply follows and coincides with state aims and objectives, and whatever qualifies as a state aim or objective from time to time is at the same instant the subject-matter of legal regulation and legitimization. Under current conditions, the combined results of the African Peer Review Mechanism and the mechanisms created by the Cotonou Agreement could hold the following prospects for the future. Firstly, it could upset the entrenched patronclient relations and patrimonial power structures that rendered the post-colonial state incapable of responding to the political, security, economic and social needs of its citizens. Secondly, the changes foreseen at the governance and economic integration levels have the potential, for the first time, in creating what is referred to as multilevel governance associated with regional arrangements that have developed into a well-integrated political, legal and economic union of member states where regulatory powers, exercised and overseen by institutions at different levels, including below and above the nation-state, are rule-bound and incapable of being over-accumulated in one area at the expense of another. In the European Union this process has been largely facilitated by a fairly homogenous political and legal culture with roots deep in a common enlightenment experience.

163

See also M. Bratton/N. van de Walle, Democratic Experiments in Africa, 1997, 88.

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For African states both prospects raise interesting questions. Firstly, since the replacement of political rule that is not commensurate with good governance could pose a threat to the economic and other interests of a ruling elite and its clientele, both the resistance to or exploitation of change and what it will take to overcome the resistance may impair or even lead to a reconsideration of outcomes. It will be shortsighted to ignore the realistic assessment that in many African countries neopatrimonialism will live on, albeit within the context of nominally democratic politics. In Africa’s big man democracies, public life will continue to be dominated by executive presidents and their networks of personal loyalty. The prospects for the deepening of democracy will hinge on the strength of the permanent state apparatus relative to the ability of nongovernmental actors to exert countervailing powers. At the same time, the survival of these new regimes is by no means assured; their fates are likely to be just as divergent as prior regime forms and transition trajectories. Despite the striking changes of the early 1990s, new democracies are likely to coexist alongside familiar and reinvented forms of governance.164

164

Bratton/van de Walle (note 163), 260. See also the following at 259: “The high degree of continuity between the political personnel of the old and new regime and their reliance on private patronage during the transition have implications for the consolidation of democracy in Africa. First, neopatrimonial politics will persist after the transition; both by habit and by necessity, the victorious politicians will resort to clientelism to consolidate their own power. Over time, these tendencies may well intensify. Because security of office is more tenuous in regimes where leaders are chosen in elections, incumbents will quicken the quest for personal gain while they still have the opportunity to do so. Against this tendency, the human rights and good government activists in the prodemocracy coalition can initially temper the corruption and clientelism of the new government. But over time, these activists are eclipsed when they come into conflict with the leadership over issues of political expediency and are purged by old-style politicians.”

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in der Organisation Amerikanischer Staaten Von Anja Seibert-Fohr

A. Die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lage in Lateinamerika Während in der Zeit der Diktaturen in Mittel- und Südamerika der Schutz bürgerlicher und politischer Rechte durch die Organisation Amerikanischer Staaten vordringlich war, ist heutzutage eines der drängendsten Probleme die Bekämpfung der Armut. In Lateinamerika gibt es die weltweit größten Unterschiede zwischen Arm und Reich.1 Viele Staaten sind infolge der Diktaturen und Bürgerkriege hoffnungslos überschuldet und haben demzufolge Ausgaben im Bereich Gesundheit, Bildung und anderer Sozialleistungen drastisch zurückgefahren.2 Korruption, hohe Arbeitslosigkeit, Diskriminierung von Frauen und soziale Ausgrenzung von indigenen Völkern, Migranten und anderen Minderheiten kennzeichnen die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Situation auf dem panamerikanischen Kontinent.3 Mittlerweile betreffen die meisten so genannten „gross and systematic human rights violations“ die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen (wsk-)Rechte. Um dieser Entwicklung wirksam zu begegnen, bedarf es nicht nur der Verbürgung dieser Rechte auf internationaler Ebene, sondern auch eines effektiven Verfahrens zur Durchsetzung der entsprechenden staatlichen Pflichten. Wenn im Folgenden dargestellt wird, wie auf inter-amerikanischer Ebene die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte geschützt werden, soll daher ein Haupt1 Inter-American Commission of Human Rights (IACHR), Annual Report 1993, O.A.S. Doc. OEA/Ser.L/V/II.85 doc. 9 rev.1 (1994), 524–525; Samuel A. Morley, Structural Adjustments and the Determinants of Poverty in Latin America, in: Nora Lustig (ed.), Coping with Austerity: Poverty and Inequality in Latin America, 1995, 42; vgl. auch Quito Declaration on the Enforcement and Realization of Economic, Social, and Cultural Rights in Latin America and the Caribbean, 24 July 1998, Preamble para. 5, Yale Human Rights and Development Law Journal 2, 215. 2 Beispiele sind die strukturellen Anpassungsprogramme von Argentinien, Peru und Ecuador. 3 Vgl. auch Part IV der Quito Declaration (Anm. 1).

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augenmerk auf den Rechtsschutzmöglichkeiten liegen. Dabei wird es sowohl darum gehen, die bisherigen Entwicklungen aufzuzeigen, als auch der Frage nachzugehen, ob das Menschenrechtssystem der Organization of American States (OAS) in seiner heutigen Form dem Schutz der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte gerecht wird.

B. Vertragsrechtliche Grundlagen für den Schutz der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in der OAS Betrachtet man die wichtigsten Instrumente, die der OAS im Kampf gegen Verletzungen der wsk-Rechte zur Verfügung stehen, fällt der Blick zunächst auf ihre Satzung.4 In den Artikeln 45–49 OAS-Charta wird u.a. Bezug genommen auf die Rechte auf Arbeit, auf Bildung und auf Teilnahme am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben.5 Allerdings handelt es sich hierbei nur um Zielbestimmungen für die Zusammenarbeit, in denen sich die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, jegliche Anstrengung zur Anwendung dieser Grundsätze zu unternehmen.6 Die Mitgliedstaaten werden außerdem dazu aufgerufen, ein leistungsfähiges Sozialversicherungssystem und Entwicklungspläne im Bereich Bildung, Wissenschaft und Kultur zu entwickeln.7 An die Verbürgung von unmittelbar anwendbaren Rechten war hierbei nicht gedacht.8 Zur Garantie von Menschenrechten wurde vielmehr 1948 die Amerikanische Menschenrechtserklärung angenommen. Diese umfasst in Art. XI–XVI die Rechte

4

Charter of the Organization of American States, 30 April 1948, U.N.T.S., vol. 119, 3. Zum Menschenrechtsschutz der OAS allgemein vgl. Thomas Buergenthal/Dinah Shelton (Hrsg.), Protecting human rights in the Americas: Cases and Materials, 4. Aufl. 1995. Weitere Dokumente, die einen Bezug zu wsk-Rechten aufweisen: Declaration on Social Guarantees; Art. 5 und 6 Inter-American Convention on the Prevention, Punishment, and Eradication of Violence Against Women (Convention of Belem do Para), 9 June 1994, International Legal Materials (ILM) 33 (1994), 1534; Article III Inter-American Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Persons with Disabilities, AG/RES. 1608, 7 June 1999. 5 Auf die Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lage in den Mitgliedstaaten wird auch verwiesen in Art. 33, 44, 48 OAS-Charta. 6 Siehe Chapeau von Art. 45 OAS-Charta. Vgl. auch die Überschrift des entsprechenden Kapitel VII, die lautet „Integral Development“. 7 Art. 45 b und 47 OAS-Charta. 8 Vgl. IACHR, Annual Report 1983–1984, 138.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in der OAS

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auf Gesundheit, Bildung, Teilnahme am kulturellen Leben, Arbeit,9 Freizeit und soziale Sicherung.10 Hiermit wurden erstmalig wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte auf internationaler Ebene anerkannt. Allerdings handelt es sich um eine Deklaration, nicht etwa um ein Vertragswerk, und ein Verfahren zur Durchsetzung dieser Rechte ist dementsprechend in der Erklärung nicht vorgesehen.11 Um diesem Manko zu begegnen, wurde die Amerikanische Menschenrechtskonvention verabschiedet.12 Jedoch sucht man hier vergeblich nach einem Katalog von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Statt, wie auf universeller Ebene, zwei Vertragswerke zu schaffen, zum einen für bürgerliche und politische Rechte, zum anderen für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, handelt es sich hierbei um ein einheitliches Instrument mit deutlichem Schwergewicht auf den bürgerlichen und politischen Rechten. Nur Art. 26 sieht unter der Überschrift „Fortschreitende Entwicklung“ vor, dass sich die Vertragsstaaten verpflichten, Maßnahmen zu ergreifen, um die volle Realisierung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu erreichen. Zwar wird Bezug genommen auf die ökonomischen, sozialen, bildungsmäßigen, wissenschaftlichen und kulturellen Standards der Charta, aber die Rechte werden im Einzelnen nicht spezifiziert. Bemerkenswert ist, dass – anders als in Art. 2 Abs. 1 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – kein Bezug genommen wird auf die in den Staaten vorhandenen Ressourcen. Ein umfangreicher Katalog von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten wurde 1988 angenommen mit dem Zusatzprotokoll zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, kurz genannt das Protokoll von San Salvador, welches 1999 in Kraft trat.13 Im Einzelnen werden hierin garantiert: das Recht auf Arbeit und faire Arbeitsbedingungen (Art. 6–7), die Gewerkschaftsfreiheit und das Streikrecht (Art. 8), das Recht auf soziale Sicherheit (Art. 9), das Recht auf Gesundheit (Art. 10), das 9 Vgl. auch Charter of Social Guarantees, in der soziale Garantien für Arbeiter verbürgt werden, Res. XXIX, Final Act, 29, International Conferences of American States, Second Supplement, 1942–1954, 1958, 229, 262. 10 Verwandte Rechte sind die Vereinigungsfreiheit (Art. XXII), der Schutz von Müttern und Kindern (Art. VII), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. IX) und das Recht auf faires Verfahren (Art. XXIV). 11 Zur Entwicklung eines Verfahrens auf der Grundlage der Deklaration siehe unter D. I. 12 OAS, Official Records OEA/Ser.K/XVI/I.I, Document 65. 13 Zur Entstehungsgeschichte vgl. Matthew Craven, The Protection of Economic, Social and Cultural Rights under the Inter-American System of Human Rights, in: David J. Harris/ Stephen Livingstone (Hrsg.), The Inter-American System of Human Rights, 1998, 289, 307 ff.; Lawrence J. LeBlanc, Economic, Social, and Cultural Rights and the Interamerican System, Journal of Interamerican Studies and World Affairs 19 (1977), 61–82.

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Recht auf gesunde Umwelt (Art. 11), das Recht auf Ernährung (Art. 12), das Recht auf Bildung (Art. 13) sowie das Recht, am kulturellen Leben teilzunehmen (Art. 14). Inhaltlich folgt das Protokoll in weiten Teilen dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Zwar fehlt im Zusatzprotokoll ein Recht auf Wohnung,14 dafür sind aber die Bestimmungen über soziale Sicherung detaillierter als im UN-Pakt,15 und mit der Aufnahme der Rechte des Kindes (Art. 16) sowie dem Schutz der Familie (Art. 15), alter und behinderter Menschen (Art. 17–18) geht das Zusatzprotokoll sogar über den Pakt hinaus. Auch die Bestimmung über das Recht auf Gesundheit (Art. 10) ist umfassender als Art. 12 des Internationalen Pakts.16 Allerdings fehlt mit einer Bestimmung zum Schutz von indigenen Völkern und Wanderarbeitern ein Element, welches gerade im Bereich der OAS von großer Dringlichkeit ist. Hier wird leider deutlich, dass das Zusatzprotokoll sich weitgehend an dem entsprechenden internationalen Pakt orientiert, ohne auf die spezifischen Bedürfnisse des Kontinents zugeschnitten zu sein. Ein weiteres Problem besteht in der eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeit, die das Zusatzprotokoll zur Verfügung stellt. Zwar gibt es ein Staatenberichtsverfahren,17 aber Art. 19 Abs. 6 des Zusatzprotokolls sieht eine individuelle Beschwerdemöglichkeit vor der Inter-Amerikanischen Kommission für Menschenrechte und dem Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte nur für die Gewerkschafts-18 und Ausbildungsfreiheit19 vor.

C. Die Haltung der Kommission zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten allgemein Angesichts dieser eingeschränkten Möglichkeiten zur Durchsetzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten war die Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte, die laut Charta dazu berufen ist, die Beachtung der Menschenrechte zu überwachen,20 am Anfang ihrer Tätigkeit durchaus zurückhaltend in ihrer Beschäftigung mit dieser Art von Rechten. Zunächst war man 14

Vgl. Art. 11 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 (IPwirtR), BGBl. 1973 II, 1570. 15 Vgl. Art. 9 IPwirtR. 16 Art. 10 des Protokolls von San Salvador umfasst neben der körperlichen und geistigen auch die soziale Gesundheit. Die von den Staaten zu ergreifenden Maßnahmen in Art. 10 Abs. 2 sind umfangreicher als die von Art. 12 Abs. 2 IPwirtR. 17 Art. 19 Abs. 1–3 Protokoll von San Salvador. 18 Art. 8 lit. a Protokoll von San Salvador. 19 Art. 13 Protokoll von San Salvador. 20 Art. 145 OAS Charter.

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noch der Ansicht, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte beträfen die Wirtschaftspolitik, die Sache der Staatensouveränität sei.21 Im Übrigen hoffte man, dass der Schutz von Arbeit, Gesundheit, Bildung und Wohnung automatisch aus einer demokratischen Grundordnung und der Garantie von bürgerlichen und politischen Rechten erwüchse.22 Bald zeigte sich jedoch die Interdependenz dieser Rechte. So ließen sich Verletzungen des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit häufig auf die Vernachlässigung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in einem Land zurückführen.23 Dennoch wurde dem Schutz der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte noch keine unabhängige Bedeutung beigemessen.24 Vielmehr sollten wirtschaftliche und soziale Maßnahmen insbesondere dem Schutz bürgerlicher und politischer Rechte dienen. Ein Umdenken der Kommission erfolgte, nachdem sie von der Generalversammlung der OAS 1990 aufgefordert worden war, eine Studie zum Stand der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte durchzuführen.25 Anders als 1980 erkannte die Kommission darin an, dass es sich hierbei um eigenständige Rechte handelt, deren Garantie keinen übermäßigen Eingriff in die Staatensouveränität bedeutet. Heutzutage folgt die Kommission in der Auslegung der staatlichen Pflichten zur Verwirklichung dieser Rechte weitgehend der des UN-Wirtschafts- und Sozialausschusses: Trotz Anerkennung der Ressourcenknappheit muss jeder Staat ein Mindestmaß an wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten für alle garantieren.26 Zwar gibt Art. 26 die fortschreitende Verwirklichung auf, aber dadurch werden auch unmittelbare Pflichten begründet, nämlich die Pflicht, überhaupt Schritte zu unternehmen und nicht zu diskriminieren. Mit steigendem Entwicklungsstand sollen dann mehr Mittel zur Gewährleistung dieser Rechte verwandt werden.27

21

IACHR, Annual Report 1979–1980, OEA/Ser.L/V/II.50, Doc. 13, Rev. 1, 1980, 151–153. 22 IACHR, Annual Report 1983–1984, 137. 23 IACHR, Annual Report 1978–1980: „organic relationship between the violation of the rights to physical security … and neglect of economic and social rights“. 24 Vgl. IACHR, Annual Report 1978–1980, 151. 25 Resolution AG/Res. 1044 (1990). Der erste Bericht ist enthalten in IACHR, Annual Report 1991, 290–305. 26 So bereits IACHR, Annual Report 1993, 524. Vgl. Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment 3, The nature of States parties’ obligations (Fifth session, 1990), para. 10, U.N. Doc. E/1991/23, annex III, 86 (1990). 27 IACHR, Annual Report 1993, 524.

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Primär muss den Ärmsten und Verwundbarsten geholfen werden.28 Und eine effektive und gerechte Verwendung der vorhandenen Ressourcen ist notwendig, um einen Mindestlebensstandard für alle zu garantieren.29 In Hinblick auf die Kürzung von Ausgaben im Sozialbereich30 hat die Kommission die Staaten dazu aufgerufen, die hohe Staatsverschuldung nicht als Vorwand zu benutzen, um Menschenrechten weniger Beachtung zu schenken.31 Vielmehr sollen soziale Ungleichgewichte und daraus resultierende strukturelle Menschenrechtsverletzungen abgebaut werden. Die vorhandenen Mittel müssen effektiv eingesetzt werden, wobei soziale Maßnahmen insbesondere zugunsten der Schwächsten und Benachteiligten in der Gesellschaft zu treffen sind.32

D. Ausweitung der Rechtsschutzmöglichkeiten Das soeben beschriebene Umdenken der Kommission in ihrer Behandlung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten ging einher mit einer Ausweitung der Rechtsschutzmöglichkeiten. Hierbei ist zu differenzieren zwischen Beschwerden gegen Staaten, die Vertragsstaaten der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (und ggf. auch des Zusatzprotokolls) sind, und solchen, die lediglich die OAS-Charta ratifiziert haben. I. Rechtsschutz gegen Nichtmitgliedstaaten der Konvention Bei letzteren kommt lediglich in Betracht, Verletzungen der Amerikanischen Menschenrechtserklärung geltend zu machen. Obwohl dort kein Individualbeschwerdeverfahren vorgesehen ist, hat sich im Laufe der Zeit ein solches Verfahren entwickelt. Das Statut und die Verfahrensregeln der Kommission in ihrer heutigen Fassung sehen vor, dass auch gegen Staaten, die die Amerikanische Menschenrechtskonvention nicht ratifiziert haben, Beschwerden anhängig gemacht werden können, die Verletzungen der Deklaration zum Gegenstand haben.33 28

IACHR, Annual Report 1993, 524–526. IACHR, Annual Report 1993, 524, 533. 30 Mit dieser Problematik beschäftigt sich die Kommission aktuell im Fall Sindicato Nacional de Trabajadores del Ministerio de Salud de Ecuador. 31 IACHR, Annual Report 1993, 526. 32 IACHR, Annual Report 1993, 533. 33 Art. 20 Statute of the IACHR, O.A.S. Res. 447 (IX-0/79), O.A.S. Off. Rec. OEA/ Ser.P/IX.0.2/80, vol. 1, 88; IACHR, Annual Report, OEA/Ser.L/V/11.50 doc.13 rev. 1, 10 ff. (1980); Art. 51 ff. Regulations of the IACHR, in: Basic Documents Pertaining to Human Rights in the Inter-American System, OEA/Ser.L.V/II.82 doc.6 rev.1, 103 (1992). 29

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Begründet wird dies mit dem Auftrag an die Kommission in Art. 145 OAS-Charta, die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen. Die Bezugnahme auf die Menschenrechte wird als Verweis auf die Amerikanische Menschenrechtserklärung gedeutet.34 Dies wurde durch die Annahme des Kommissionsstatuts von der OASGeneralversammlung bestätigt. Auf dieser Grundlage hat die Kommission bis heute eine ganze Reihe von Individualbeschwerden unter Anwendung der Deklaration entschieden. Darunter sind auch Fälle, in denen indigene Völker u.a. Eingriffe in ihr soziales und kulturelles Leben geltend machten.35 Ein Beispiel ist der Fall Mary and Carrie Dann v. United States. Hier ging es um einen Indianerstamm, dessen historische Eigentumsrechte von den amerikanischen Gerichten nicht anerkannt wurden. Über ihre Ansprüche waren zusammen mit denen anderer Stämme entschieden worden, ohne dass sie eigens in diesen Verfahren vertreten waren. Die Danns machten wegen der Wegnahme des Landes u.a. eine Verletzung des Rechts auf kulturelle Identität geltend. Begründet wurde das damit, dass ihre Teilnahme am kulturellen Leben ihrer Heimat gefährdet sei. Die Kommission stellte eine Verletzung der Deklaration in Bezug auf das Recht auf Eigentum, faires Verfahren und das Diskriminierungsverbot fest.36 Sie machte zwar keine Aussage über das Eigentumsrecht der Beschwerdeführer,37 forderte aber, dass der Umfang dieses Rechts durch ein effektives und faires Verfahren bestimmt werden müsse.38 Dadurch, dass die Danns seinerzeit nicht hinreichend über die laufenden Verfahren informiert und an diesen beteiligt worden waren, hatten

34

Art. 1 Abs. 2 Statute of the IACHR (Anm. 33). Vgl. auch Inter-American Court of Human Rights, Interpretation of the American Declaration of the Rights and Duties of Man within the Framework of Article 64 of the American Convention on Human Rights, Advisory Opinion OC-10/89 of 14 July 1989, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. A, No. 10 (1989). Für Vertragsstaaten der Amerikanischen Menschenrechtskonvention sind die Konventionsrechte maßgebend. 35 Yanomami Indians v. Brazil, Case 7615, IACHR, Annual Report 1984–1985, 24–34; Case 1802 (Paraguay), IACHR, Annual Report 1977, 30–44, 55–57 (Verfolgung des Aché Tribe in Paraguay); vgl. auch Case 2137 (Argentina), IACHR, Annual Report 1978, 43–47 (Jehovas Zeugen). Hier ging es um die Verletzung von Art. XII der Deklaration. 36 Mary and Carrie Dann v. United States, Case 11.140, IACHR, Decision of 15 October 2001, Report No. 113/01; vgl. auch Decision of 27 December 2002, Report No. 75/02, Doc. 5 rev. 1, 860. 37 Mary and Carrie Dann v. United States, Decision of 15 October 2001 (Anm. 36), para. 146. 38 Ibid., paras. 140, 142.

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die Vereinigten Staaten ihr Recht auf Eigentum und faires Verfahren39 und damit die Amerikanische Menschenrechtserklärung verletzt. Ähnlich wie in früher entschiedenen Beschwerden fällt auf, dass sich die Kommission auf die Analyse von bürgerlichen Rechten beschränkte.40 Obwohl die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Rechte auf Schutz der Familie, auf Arbeit und Religionsfreiheit ausdrücklich in der Deklaration verbürgt sind, konzentrierte man sich auf das Recht auf faires Verfahren. Auf das außerdem vorgebrachte Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben wurde nicht eingegangen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Kommission zwar einen Weg findet, sich mit wsk-Fällen zu beschäftigen, weiterhin aber Zurückhaltung in Bezug auf die unmittelbare Anwendung reiner wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte übt, obwohl auch diese Bestandteile der Deklaration sind. Offensichtlich bestehen weiterhin Zweifel an deren Justiziabilität im Rahmen von Individualbeschwerden. Inzwischen ist die Bedeutung der Deklaration aufgrund der zunehmenden Anzahl von Staaten,41 die die Konvention ratifiziert haben, stark zurückgegangen. In diesen Fällen geht die Konvention vor.

II. Rechtsschutz gegen Mitgliedstaaten der Amerikanischen Menschenrechtskonvention Ob und wie Verletzungen von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten unter der Amerikanischen Menschenrechtskonvention geltend gemacht werden können, ist eine der derzeit umstrittensten Fragen.42 39

Art. XXVIII und XXIII Amerikanische Menschenrechtsdeklaration. Vgl. auch die Entscheidung im Fall Yanomami Indians v. Brazil (Anm. 35), in dem lediglich eine Verletzung des Rechts auf Leben, Gesundheit und Freizügigkeit festgestellt wurde, obwohl von den Beschwerdeführern auch das Recht auf Gesundheit und auf Bildung geltend gemacht worden waren. 41 Derzeit sind von den insgesamt 34 OAS-Mitgliedstaaten 25 auch Vertragsstaaten der Konvention. 42 Zur aktuellen Diskussion vgl. James L. Cavallaro/Emily J. Schaffer, Less as More: Rethinking Supranational Litigation of Economic and Social Rights in the Americas, Hastings Law Journal 56, 217–281; Tara J. Melish, Rethinking the „Less as More“ Thesis: Supranational Litigation of Economic, Social, and Cultural Rights in the Americas, New York University Journal of International Law and Politics ( N.Y.U.J. Int’l L. & Pol.) 39, 171– 343; James L. Cavallaro/Emily J. Schaffer, Rejoinder: Justice Before Justiciability: Inter-American Litigation and Social Change, N.Y.U.J. Int’l L. & Pol. 39, 345–383; Mónica Ferra Tinta, Justiciability of Economic, Social, and Cultural Rights in the Inter40

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1. Art. 26 als Grundlage für Individualbeschwerden? Zwar enthält Art. 26 einen Verweis auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Er lautet: Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sowohl innerstaatlich als auch im Rahmen internationaler Zusammenarbeit Maßnahmen – insbesondere ökonomischer und technischer Art – zu ergreifen, die zum Ziel haben, durch Gesetzgebung oder sonstige geeignete Mittel schrittweise die volle Verwirklichung der Rechte zu erreichen, die in den wirtschaftlichen, sozialen, auf das Bildungswesen bezogenen, wissenschaftlichen und kulturellen Normen der Charta der Organisation Amerikanischer Staaten – in der durch das Protokoll von Buenos Aires geänderten Fassung – mit inbegriffen sind.

Ob aber das Individualbeschwerdeverfahren43 hierauf anwendbar ist, ist seit längerem Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen.44 Dies wurde ursprünglich von der Kommission bejaht.45 Es gibt mehrere Fälle, in denen Beschwerden wegen der Verletzung von Art. 26 von der Kommission ratione materiae zugelassen wurden.46 Dabei wurden die Rechte des Protokolls von San Salvador, wie z.B. das Recht auf Gesundheit, in Art. 26 hineingelesen.47 Dies änderte sich allerdings mit dem Urteil des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Five Pensioners im Jahr 2003. Hier ging es um die drastische Kürzung von Renten in Bezug auf eine kleine Gruppe ehemaliger hoher Staatsdiener. Die Kommission brachte den Fall vor den Gerichtshof mit der Behauptung, dies stelle eine Verletzung der fortschreitenden Verwirklichung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte dar. Zwar erkannte das Gericht an, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte generell eine kollektive und eine individuelle Komponente haben. Geschuldet sei jedoch in Art. 26 die fortschreitende Verwirklichung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten in Hinblick auf die Gesamtbevölkerung, und nicht etwa in Bezug auf eine sehr begrenzte Gruppe.48 Da die Gruppe der fünf Beschwerdeführer nicht repräsentativ American System of Protection of Human Rights: Beyond Traditional Paradigms and Notions, Humans Rights Quarterly 29 (2007), 431–459. 43 Art. 44–51 Amerikanische Menschenrechtskonvention. 44 Zu der Diskussion, ob mit Art. 44 ff. auch Verletzungen von Art. 26 gemeint sind vgl. Craven (Anm. 13), 301. 45 Die Kommission hat damit versucht, durch ein Hineinlesen der wsk-Rechte in Art. 26 das Individualbeschwerdeverfahren auch auf diese Rechte zu erweitern. 46 Amilcar Menéndez et al. v. Argentinia, Case 11.670, IACHR, Report No. 3/01, OEA/ Ser.L/V/II.111 Doc. 20 rev., 95 (2000). 47 Jorge Odir Miranda Cortez et al. v. El Salvador, Case 12.249, IACHR, Report No. 29/01, OEA/Ser.L/V/II.111 Doc. 20 rev., 284 (2000), para. 47. 48 Inter-American Court of Human Rights, Five Pensioners Case, Judgment of 28 February 2003, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 98 (2003), para. 147.

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für die Situation in Peru sei, lehnte es das Gericht ab, über eine Verletzung von Art. 26 zu befinden. Es ist zweifelhaft, ob nach dieser Entscheidung überhaupt noch Individualbeschwerden zugelassen werden können, in denen Art. 26 geltend gemacht wird.49 Zwar kritisierte der Gerichtshof, dass nur wenige Personen im Five PensionersFall betroffen waren. Man könnte deshalb zunächst vermuten, dass eine Beschwerde, die sich gegen allgemeine Kürzungen richtet, mehr Aussicht auf Erfolg hätte. Jedoch wäre eine Individualbeschwerde gegen eine Verletzung der Rechte der Gesamtbevölkerung von vornherein unzulässig.50 Erforderlich ist nämlich die Geltendmachung eines individuellen Rechts. Das Beschwerdeverfahren gemäß Art. 44 dient nicht dazu, die Situation der Bevölkerung insgesamt zu überwachen. Dies ist Aufgabe des Berichtsverfahrens gemäß Art. 19 Abs. 1–3 des Protokolls von San Salvador. Obwohl der Gerichtshof prinzipiell die Existenz individueller wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte anerkannte, ergibt sich aus dem Urteil, dass es sich bei Art. 26 nicht um die Verbürgung eines justiziablen Individualrechts handelt, sondern um ein Kollektivrecht. Dies ist auch sachgerecht. Zwar ist dieser Teil der Konvention mit „wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ überschrieben, aber die Vertragsstaaten verpflichten sich hierin nur ganz allgemein dazu, Maßnahmen zu ergreifen, um schrittweise die Realisierung der in der Charta enthaltenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu erreichen. Diese fortschreitende Verpflichtung spricht gegen ein unmittelbares, justiziables Recht des Einzelnen. Dass ein Hineinlesen individueller Rechte nicht gewünscht war, zeigen auch die Entstehungsgeschichte der Konvention und das Protokoll von San Salvador.51 Dessen hätte es ansonsten nicht bedurft. Und warum sollten etwa die OAS-Staaten das Individualbeschwerdeverfahren im Protokoll auf zwei eng umrissene Rechte beschränken, wenn es eine umfassende Verbürgung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten in der Konvention gäbe, die sodann im Rahmen des allgemeinen Beschwerdeverfahrens geltend gemacht werden könnten? Die Kommission hat dementsprechend ihre Rechtsprechung geändert und im Fall Persons Living with HIV/AIDS, in dem das Recht auf Gesundheit geltend ge49

Anders Melish (Anm. 42), 268. So auch Richter Carlos Vicente de Roux-Rengifo in seinem Votum im Five Pensioners Case (Anm. 48). Nach seiner Ansicht kann der Gerichtshof nur Fälle behandeln, wenn es um die Verletzung von Individualrechten geht. Dabei können auch mehrere Personen betroffen sein. Anders scheinbar Richter Sergio García Ramírez in seinem Sondervotum, der dafür argumentiert, dass wsk-Rechte auch von Sektoren der Gesellschaft geltend gemacht werden können. 51 So auch schon Cavallaro/Schaffer, Rejoinder (Anm. 42), 362–363. 50

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macht wurde, nicht Art. 26, sondern Art. 4 – das Recht auf Leben – für anwendbar erklärt.52 Hier hätte sich angeboten, eine Verletzung von Art. 26 anzunehmen, denn der Staat hatte die Behandlung von HIV-Kranken insgesamt aus Kostengründen eingestellt. Insoweit unterscheidet er sich von dem Five Pensioners-Fall, der nur eine kleine Gruppe betraf. Mit der Entscheidung der Kommission im HIV-Fall gegen Art. 26 ist es unwahrscheinlich, dass in Zukunft noch Fälle unter dieser Vorschrift behandelt werden. Es scheint, dass die Kommission die Justiziabilität der Verpflichtung zur fortschreitenden Erfüllung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten nun doch in Frage stellt. Zumindest wird eine Anknüpfung an die bürgerlichen und politischen Rechte bevorzugt.53 Sobald eine Verletzung dieser Rechte festgestellt wird, verzichten Kommission und Gerichtshof auf eine Untersuchung von reinen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten.

2. Bürgerliche Rechte der Konvention als Grundlage für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Beschwerden Welche bürgerlichen Rechte als Anknüpfungspunkte dienen, zeigt der soeben erwähnte Fall Persons Living with HIV/AIDS. Die Beschwerdeführer forderten hierin die kostenlose Abgabe von HIV-Medikamenten an Bedürftige. Obwohl die Kommission sich weigerte, ein umfassendes Individualrecht auf Gesundheit aus Art. 26 herzuleiten, stellte sie fest, dass es zwei unmittelbare Pflichten in Bezug auf den Gesundheitsschutz gibt, nämlich das Diskriminierungsverbot und den Schutz des Leben im Falle unmittelbarer, ernsthafter Lebensgefahr.54

a) Die weite Auslegung des Rechts auf Leben Ausgangspunkt für letzteres ist eine weite Auslegung von Art. 4. Der InterAmerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Street Children-Fall ent52

Persons Living with HIV/AIDS (Luis Rolando Cuscul Pivaral et al. v. Guatemala), Case 642/03, IACHR, Decision on Admissibility of 7 March 2005, Report No. 32/05, OEA/Ser.L/V/II.124 Doc. 5 (2005), para. 44. Vgl. auch die Entscheidung im Acevedo Jaramillo-Fall, in dem die Kommission darauf verzichtete, eine Verletzung von Art. 26 vor dem Gerichtshof geltend zu machen, Inter-American Court of Human Rights, Acevedo Jaramillo et al. v. Peru, Judgment of 7 February 2006, Inter-Am. Ct. H.R., Ser.C, No. 144 (2006), para. 86. 53 Vgl. Acevedo-Jaramillo et al. v. Peru (Anm. 52), para. 285. 54 Persons Living with HIV/AIDS (Anm. 52), paras. 43 f.

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schieden, dass Art. 4 ein Recht auf eine menschenwürdige Existenz beinhaltet.55 In seiner Entscheidung im Fall Indigenous Community Yakye Axa v. Paraguay vom Jahr 2005 hat er diese Rechtsprechung weitergeführt. Danach gibt es ein Recht, nicht am Zugang zu menschenwürdigen Lebensbedingungen gehindert zu werden. Welche Maßnahmen zu diesem Zweck ergriffen werden müssen, ergibt sich nach Ansicht des Gerichtshofs aus Art. 4, ausgelegt im Lichte von Art. 26 und dem Protokoll von San Salvador.56 Dabei nimmt er ausdrücklich Bezug auf folgende Bestimmungen des Zusatzprotokolls: das Recht auf Gesundheit, gesunde Umwelt, Ernährung, Bildung und Kultur.57 Was unter menschenwürdigen Bedingungen zu verstehen ist, bestimmt sich also nach Maßgabe dieser wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Die daraus resultierenden Pflichten für die Vertragsstaaten der Konvention werden im Rahmen des Kapitels über Funktion und Inhalt der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte im Einzelnen dargestellt.58 Für eine Herleitung weiterer wsk-Rechte kommt auch das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit in Betracht. In den bisherigen Fällen, in denen bereits eine Verletzung des Rechts auf Leben bejaht wurde, wurde allerdings auf eine darüber hinausgehende Untersuchung von Art. 5 Abs. 1 verzichtet.

b) Das Recht auf Eigentum, der Schutz des Kindes und die Vereinigungsfreiheit Einen weiteren Anknüpfungspunkt bietet das Recht auf Eigentum (Art. 21). Das zeigt sich insbesondere in den zahlreichen Fällen, in denen indigene Völker die Rückgabe ihrer traditionellen Gebiete geltend gemacht haben. Ein Beispiel ist der bereits erwähnte Fall Yakye Axa v. Paraguay. Der Gerichtshof und die Kommission gingen bei der Auslegung von Art. 21 speziell auf die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Bedürfnisse der Indigenen ein. Dementsprechend schützt das Recht auf Eigentum ihrer Ansicht nach u.a. den kollektiven Landanspruch und umfasst nicht nur die Anerkennung des Eigentumstitels, sondern auch den Anspruch auf die kulturelle und soziale Nutzung der traditionellen Gebiete sowie das Recht auf die natürlichen Ressourcen, die das Überleben eines Volkes sichern. So sollen die besondere kulturelle Identität, die Sozialstruktur, das Wirtschaftssystem, 55

Inter-American Court of Human Rights, Street Children Case (Villagrán Morales et al. v. Guatemala), Judgment of 19 November 1999, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 63 (1999), para. 144. 56 Inter-American Court of Human Rights, Indigenous Community Yakye Axa v. Paraguay, Judgment of 17 June 2005, Inter-Am. Ct. H.R. Ser. C, No. 125 (2005), para. 163. 57 Ibid. 58 Siehe unter E.

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die Gebräuche und Traditionen des Volks bewahrt werden.59 In die Konventionsrechte werden somit kulturelle, soziale und wirtschaftliche Komponenten hineingelesen. Dies geschieht wiederum im Rückgriff auf andere Vertragswerke,60 hier die ILO-Konvention betreffend indigene Völker und Stämme in unabhängigen Gebieten. Diese sieht vor, dass Staaten die kulturelle Bedeutung des Lands für indigene Völker berücksichtigen müssen.61 Dem Gerichtshof gelingt es also immer wieder, bestimmte Aspekte der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in die Konvention mit aufzunehmen. Dies lässt sich auf eine weite Auslegung der betreffenden Rechte zurückführen. Nach Ansicht des Gerichts ist bei der Auslegung der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskonvention der Fortentwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes Rechnung zu tragen.62 Dabei greift er, wie bereits erwähnt, auch auf das Zusatzprotokoll über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zurück. So legte er beispielsweise den Schutz des Kindes in Art. 19 im Lichte des Zusatzprotokolls aus und leitete so das Recht auf kostenlose Schulbildung her.63 Dabei wird auf Artikel 26 und 29 der Konvention verwiesen.64 Die Argumentation mit 59 Nach Ansicht des Gerichtshofs muss der Staat auch effektiv die Nutzung des Landes garantieren, so dass das Volk seine Kultur weiter leben und weitergeben kann, Indigenous Community Yakye Axa v. Paraguay (Anm. 56), para. 155; vgl. auch Case of the Saramaka People v. Suriname, Judgment of 28 November 2007, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 172 (2007), paras. 121–122. 60 Begründet wurde der Rückgriff mit der Auslegungsregel des Art. 29 der Amerikanischen Konvention, wonach die Konventionsrechte nicht so ausgelegt werden dürfen, dass sie Rechte aus anderen Verträgen einschränken. 61 Art. 13 Convention Concerning Indigenous and Tribal Peoples in Independent Countries, ILO Convention No. 169, 27 June 1989, ILM 28 (1989), 1382. 62 Inter-American Court of Human Rights, Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay, Judgment of 29 March 2006, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 146 (2006), para. 117. 63 Inter-American Court of Human Rights, The Yean and Bosico Children v. The Dominican Republic, Judgment of 8 September 2005, Inter-Am Ct. H.R., Ser. C, No. 130 (2005), para. 185; so auch die Kommission in Jorge Odir Miranda Cortez et al. v. El Salvador, Case 12.249, IACHR, Decision of 7 March 2001, Report No. 29/01, OEA/Ser.L/V/ II.111 Doc. 20 rev., 284, para. 36; vgl. auch Advisory Opinion on Juridical Conditions and Human Rights of the Child, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. A, No. 17, OC-17/2002 (2002) . 64 Vgl. auch Laura Tena Colunga et al. v. Mexico, Case 2582/02, IACHR, Decision of 13 October 2004, Report No. 44/04, OEA/Ser.L/V/II.122 Doc. 5 rev. 1, 632 (2004), para. 40: „It must be noted, however, that the Commission can consider this Protocol in the interpretation of other applicable provisions of the American Convention and other treaties over which the Commission has competence ratione materiae, in view of the provisions of Articles 26 and 29 of the American Convention.“

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Art. 29 ist allerdings fragwürdig, denn es handelt sich hierbei um eine reine Auslegungsregel, in dem Sinne, dass sie andere Vorschriften unberührt lässt, und nicht etwa in die Konvention inkorporiert. Erstaunlicherweise erfolgt der Rückgriff auf das Zusatzprotokoll unabhängig davon, ob dieses im konkreten Fall anwendbar ist. Das zeigt der Fall Baena, Ricardo et al. v. Panama, in dem es um die Entlassung von 270 Beamten aufgrund ihrer Gewerkschaftangehörigkeit ging.65 Obwohl das Zusatzprotokoll hier nicht anwendbar war, verwies die Kommission bei ihrer Auslegung der Vereinigungsfreiheit (Art. 16 Amerikanische Menschenrechtskonvention) auf die in Art. 8 Abs. 3 des Protokolls verbürgte Gewerkschaftsfreiheit.66 Nach Ansicht des Gerichtshofs ist die Gewerkschaftsfreiheit Bestandteil des „corpus juris of human rights“67 und wurde daher in den Schutzbereich des Art. 16 hineingelesen.68 Die zielgerichtete Entlassung der Gewerkschaftsführer und -mitglieder wurde als Eingriff in Organisation und Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften und damit als Verletzung der Vereinigungsfreiheit gewertet. Dabei nahm das Gericht auch mehrfach Bezug auf die ILO-Standards und die betreffende Rechtsprechung. Obwohl der Verweis auf andere Konventionen, wenn diese nicht anwendbar sind, äußerst fragwürdig erscheint, so ist doch die Herleitung der Gewerkschaftsfreiheit aus der Vereinigungsfreiheit durchaus schlüssig. Für die Zukunft wäre zu wünschen, dass der Gerichtshof und die Kommission sich stärker auf die Herleitung aus der Konvention selbst konzentrieren. Dies ist letztlich für die Vertragsstaaten der Konvention überzeugender als ein Verweis auf andere Verträge, die vielleicht gar nicht anwendbar sind oder nur ganz eingeschränkte Rechtsschutzmöglichkeiten vorsehen. Die Auslegung der Konvention im Lichte des Zusatzprotokolls und des so genannten corpus juris der Menschenrechte führt faktisch zu einer Ausweitung der Rechtsschutzmöglichkeiten, obwohl das Zusatzprotokoll das Beschwerdeverfahren nur in Bezug auf die Gewerkschafts- und Bildungsfreiheit vorsieht. Allerdings bedeutet dies nicht, dass alle Rechte des Protokolls so einer Beschwerdemöglichkeit zugeführt werden. Nur insoweit, als tatsächlich ein Anknüpfungspunkt in der Konvention ausgemacht werden kann – wenn beispielsweise eine unmittelbare, 65

Inter-American Court of Human Rights, Baena, Ricardo et al. v. Panama (270 Workers v. Panama), Judgment of 2 February 2001, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 72 (2001), para. 160. 66 Baena, Ricardo et al. v. Panama (Anm. 65), para. 159. Für den Rückgriff auf das Protokoll vgl. auch Indigenous Community Yakye Axa v. Paraguay (Anm. 56), para. 163; The Yean and Bosico Children v. The Dominican Republic (Anm. 63), para. 185. 67 Baena, Ricardo et al. v. Panama (Anm. 65), para. 158. 68 Ibid. para. 156.

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ernste Lebensgefahr besteht – ist dies möglich. Dass bestimmte Aspekte der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte auf diese Weise in den Schutzbereich der bürgerlichen, politischen Rechte aufgenommen werden, entspricht der Interdependenz dieser Rechte und zeigt, dass sie sich nicht strikt voneinander trennen lassen. Insbesondere dort, wo aus den bürgerlichen Rechten nicht nur Abwehrrechte, sondern auch Schutz- und Leistungspflichten hergeleitet werden, gibt es zahlreiche Überschneidungen.

c) Das Recht auf effektiven Rechtsschutz Einen mittelbaren Schutz erzielt der Gerichtshof mit Hilfe der justiziellen Rechte (Art. 8 und 25). Oft gehen nämlich Verletzungen von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten einher mit schleppenden Gerichtsverfahren und unzureichendem Rechtsschutz. Der Gerichtshof hat daher in mehreren Fällen die Staaten wegen der Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz verurteilt, auch wenn primär wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte betroffen waren.69 In dem Fall Acevedo-Jaramillo v. Peru ging es beispielsweise um die Entlassung von Beamten der Stadt Lima aufgrund der Teilnahme an einer Gewerkschaftsdemonstration.70 Obwohl ein nationales Gericht die Wiedereinstellung forderte, kam der Staat der Anordnung nicht nach. Der Inter-Amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte stellte eine Verletzung von Art. 25 (dem Recht auf effektiven Rechtsschutz) fest und forderte die Wiedereinstellung der Beamten entsprechend der Anordnung der nationalen Gerichte. Inzwischen sind die justiziellen Rechte zu einem der wichtigsten Anknüpfungspunkte in wsk-Fällen geworden. Das liegt vor allem daran, dass aus diesen ein Recht auf Gerechtigkeit hergeleitet wird.71 Von dort ist es nur ein kleiner Schritt etwa zu der Annahme eines Rechts auf soziale Gerechtigkeit.

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Melish bezeichnet dies als „indirect approach“, während der Weg über z.B. Art. 4 als „integration approach“ bezeichnet wird, siehe Tara J. Melish, Protecting Economic, Social and Cultural Rights in the Inter-American Human Rights System: A Manual on Presenting Claims, 2002, 193–334. 70 Acevedo-Jaramillo et al. v. Peru (Anm. 52). 71 Zur weiten Auslegung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten vgl. das Sondervotum von Richter Antonio A. Cançado Trindade im Five Pensioners Case. Er konstatiert ein Recht auf Gerechtigkeit, Concurring Opinion of Judge Antonio A. Cançado Trindade, Five Pensioners Case (Anm. 48), para. 2.

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d) Das Diskriminierungsverbot Schließlich bewirkt auch das Verbot der willkürlichen Ungleichbehandlung einen mittelbaren Schutz von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Ähnlich wie Art. 26 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR) wird nämlich Art. 24 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention als allgemeiner Gleichheitssatz ausgelegt, der eine Gleichbehandlung in allen Lebensbereichen verlangt. Dies sei anhand des Falls María Eugenia Morales de Sierra v. Guatemala dargestellt, der ähnlich wie die Fälle Zwaan-de Vries v. The Netherlands und Broeks v. The Netherlands vor dem Menschenrechtsausschuss entschieden wurde.72 Die Beschwerde richtete sich gegen eine Bestimmung des Zivilgesetzbuchs von Guatemala, wonach Frauen nur dann erwerbstätig sein dürften, wenn dies ihre Rolle als Mütter und Hausfrauen nicht beeinträchtigt. Die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission konnte eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes feststellen, weil sie Art. 24 i.S. eines allgemeinen Nichtdiskriminierungssatzes ausgelegte. Anders als Art. 14 EMRK sieht das Recht auf Gleichbehandlung in der Amerikanischen Menschenrechtskonvention ganz allgemein vor, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.73 Das Diskriminierungsverbot bezieht sich also nicht nur auf die in der Konvention verbürgten Rechte. In ihrer Auslegung nahm die Kommission Bezug auf das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, wonach jede ungerechtfertigte Ungleichbehandlung in Bezug auf bürgerliche, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Grundrechte verboten ist.74 Obwohl die Amerikanische Menschenrechtskonvention keine Bestimmung über das Recht auf Arbeit enthält, konnte also dem Anliegen der Beschwerdeführerin mittels des Diskriminierungsverbots entsprochen werden.

72

F. H. Zwaan-de Vries v. The Netherlands, Communication No. 182/1984, UN Doc. Supp. No 40 (A/42/40), 160 (1987); S. W. M. Broeks v. The Netherlands, Communication No. 172/1984, UN Doc. CCPR/C/OP/2, 196 (1990). 73 Fast wortgleich ist die Garantie in Art. 26 IPbürgR vom 19. Dezember 1966, BGBl. 1973 II, 1534; vgl. aber Art. 14 EMRK, der lediglich zur Gleichbehandlung in Bezug auf die in der Konvention garantierten Rechte verpflichtet, Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, Fassung vom 17. Mai 2002, BGBl. 2002 II, 1054. 74 María Eugenia Morales de Sierra v. Guatemala, Case 11.625, IACHR, Decision of 19 January 2001, Report No. 4/00, OEA/Ser.L/V/II.111 Doc. 20 rev. 929 (2000), para. 32; vgl. Art. 1, 15 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979, BGBl. 1985 II, 648.

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e) Zwischenergebnis: Fokussierung auf bürgerliche Rechte Des Weiteren wurden im Fall María Eugenia Morales de Sierra v. Guatemala Verletzungen des Rechts auf Achtung der Privatsphäre (Art. 11) und auf Schutz der Familie (Art. 17) festgestellt, denn die Regelung, dass verheiratete Frauen eine Berufstätigkeit nur mit Zustimmung des Ehemannes aufnehmen konnten, schränkte ihre Autonomie und gleichberechtigte Stellung in der Ehe ein. Neben den bisher behandelten Rechten sind u.a. auch das Verbot von Zwangsarbeit (Art. 6), die Religionsfreiheit (Art. 12) und das Recht auf Freizügigkeit und Wohnsitzwahl (Art. 22) als mögliche Anknüpfungspunkte für wsk-Fälle genannt worden.75 Bei der Behandlung von Beschwerden auf der Grundlage der Konvention zeigt sich also, ebenso wie bei den oben darstellten Fällen betreffend die Deklaration, eine Fokussierung auf die bürgerlichen und politischen Rechte und eine Zurückhaltung bei der unmittelbaren Anwendung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Insoweit ist der Gerichtshof seiner bereits im Vorfeld zum Protokoll von San Salvador geäußerten Haltung treu geblieben. Danach gefragt, ob wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte einer gerichtlichen Prüfung unterzogen werden können, wies das Gericht darauf hin, dass bürgerliche und politische Rechte leichter zu individualisieren und dementsprechend gerichtlich zu schützen seien.76 Einige wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte fungierten als subjektive Rechte, die einklagbar seien; andere aber könnten nicht so wie bürgerliche und politische Rechte gerichtlich durchgesetzt werden.

f) Sicherung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Interessen im Wege des Schadensersatzes Schließlich sei darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof, sobald er eine Anknüpfung in der Konvention gefunden hat, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Nachteile der Betroffenen bei der Bestimmung des Schadensersatzes berücksichtigt.

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Melish nennt weiterhin folgende Rechte: das Recht auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit (Art. 3); das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 7); die Meinungsfreiheit (Art. 13), das Versammlungsrecht (Art. 15) und das Recht auf Freizügigkeit (Art. 22), Melish (Anm. 69), 233–334. 76 Vgl. Insoweit die Ausführung von Richter Antonio A. Cançado Trindade, A justiciabilidade dos direitos economicos, sociais e culturais no plano internacional, in: Inter-American Institute of Human Rights (ed.), Presente y Futuro de los Derechos Humanos: Ensayos en honor a Fernando Volio Jiménez, 1998, 190, 190–191.

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Das zeigt sich im bereits erwähnten Acevedo-Jaramillo-Fall, wo es um die Entlassung der städtischen Beamten ging. Zwar wurde nicht die Entlassung selbst als Verletzung der Konvention beurteilt, sondern die fehlende Umsetzung der Wiedereinstellungsurteile.77 Der Gerichtshof beschäftigte sich aber mit der Entlassung und deren Konsequenzen für die Sozialversicherung im Schadensersatzteil. Dass das Gericht den Rechten von Arbeitnehmern einen hohen Stellenwert einräumt, zeigt folgende Ausführung: The Court considers that the violations due to the non-compliance with the judgments … are particularly serious as they implied that during many years the labor rights guaranteed by said judgments have been impaired. This fact shall be taken into account by the Court when deciding on the reparations.

Wie bereits erwähnt, wurden dem Staat die Wiedereinstellung entsprechend der nationalen Gerichtsanordnungen und die Absicherung der Beschwerdeführer in der Sozialversicherung aufgegeben.78 Auch wenn es also kein unmittelbar durchsetzbares Recht auf Arbeit gibt, so kann der Anspruch auf Wiedereinstellung doch im Wege des Schadensersatzes durchgesetzt werden – zumindest dann, wenn es zuvor keinen effektiven nationalen Rechtsschutz gab. In einem anderen Fall hat das Gericht ausgeführt, dass die Staaten gemäß Art. 8 i.V.m. Art. 25 die Pflicht hätten, bei der Einräumung effektiver Rechtschutzmöglichkeiten die wirtschaftlichen und sozialen Besonderheiten der Beschwerdeführer gebührend zu berücksichtigen.79 Es ist denkbar, dass sich auf diese Weise auch andere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Interessen sichern lassen.80

3. Rückgriff auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Amerikanischen Menschenrechtsdeklaration? Ob darüber hinaus ein Rückgriff auf die Deklaration möglich ist, wenn es keine Anknüpfung in der Konvention gibt, ist zweifelhaft. Zwar hat die Kommission im Jahr 2001 im Fall Amilcar Menéndez v. Argentinien entschieden, dass sie auch bei 77 Der Gerichtshof verzichtete ausdrücklich auf die Untersuchung von Art. 26 i.V.m. dem Recht auf Arbeit, Acevedo-Jaramillo et al. v. Peru (Anm. 52), para. 285. 78 Acevedo-Jaramillo et al. v. Peru (Anm. 52), paras. 285, 330; vgl. auch Baena, Ricardo et al. v. Panama, wo es um Entlassung aufgrund der Teilnahme an einer Demonstration ging. Als Schadensersatz für die Verletzung der Demonstrationsfreiheit und des Grundsatzes des fairen Verfahrens wurde Panama die Wiedereinstellung der Beschwerdeführer aufgegeben, Baena, Ricardo et al. v. Panama (Anm. 65), para. 203. 79 Indigenous Community Yakye Axa v. Paraguay (Anm. 56), para. 63. 80 Vgl. Aloeboetoe et al v. Suriname, Reparations, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 15 (1993), 24; Caso Masacre Plan de Sánchez v. Guatemala, Reparations, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 116 (2004), paras. 110–111.

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Vertragsstaaten der Konvention die Rechte der Deklaration anwenden kann, falls diese nicht in der Konvention enthalten sind,81 aber dies wurde bisher nicht vom Gerichtshof bestätigt.82 In dem Fall ging es um die Nichtanpassung von Rentenansprüchen trotz rasanter Inflation und um verschleppte Gerichtsverfahren. Die Kläger hatten neben der Verletzung der justiziellen Rechte der Konvention auch eine Verletzung des Rechts auf Arbeit, Gesundheit und soziale Sicherheit83 gerügt. Die Kommission berief sich auf Art. 29 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention, wonach die Konvention nicht so ausgelegt werden darf, dass sie die Wirkung der Deklaration beschränkt. Daraus leitete die Kommission ihre Zuständigkeit ab, auch über Verletzungen des Rechts auf Gesundheit und soziale Sicherung zu befinden.84 Leider ist die Entscheidung in der Hauptsache noch nicht ergangen. Bedenken bestehen jedenfalls nicht nur gegen die Auslegung von Art. 29, sondern auch ob und inwieweit diese Rechte tatsächlich justiziabel sind. Berücksichtigt man, dass die Kommission bisher wsk-Fälle gegen Nichtvertragsstaaten i.d.R. auf der Grundlage der bürgerlichen und politischen Rechte und nicht etwa auf der Grundlage von Art. 26 entschieden hat,85 ist kaum zu erwarten, dass sie unmittelbar auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Deklaration zurückgreifen wird, wenn sie keinen Anknüpfungspunkt in der Konvention findet. Zumindest wäre das eine Trendwende in der Rechtsprechung. Wahrscheinlicher ist, dass die Konvention, ähnlich wie bisher vom Gerichtshof, weit – unter Berücksichtigung der Deklaration – ausgelegt werden wird.

E. Funktion und Inhalt der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte Wenn bisher dargestellt wurde, inwieweit es den Rechtsprechungsorganen der OAS gelingt, eine Anknüpfung für den Schutz von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten in der Konvention zu finden, soll es nun um die Frage gehen, welche Pflichten im Einzelnen daraus für die Mitgliedstaaten abgeleitet werden. 81

Amilcar Menéndez v. Argentinien (Anm. 46), para. 42. Es ist fraglich, ob Beschwerden über die Verletzung der Deklaration überhaupt vor den Gerichtshof gebracht werden könnten, vgl. Cavallaro/Schaffer, Rejoinder (Anm. 42), 349. 83 Vgl. Art. XI, XIV, XVI, XXXV und XXXVII der Amerikanischen Menschenrechtsdeklaration. 84 Amilcar Menéndez et al. v. Argentinien (Anm. 46), para. 42. 85 Siehe oben die Analyse des Falls Mary and Carrie Dann v. United States (Text zu Anm. 36–40). 82

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I. Abwehr-, Verfahrens-, Schutz- und Leistungsrechte Das Hauptaugenmerk lag zunächst auf der abwehrrechtlichen Komponente der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. In der Regel ging es in den bisherigen Fällen um staatliche Eingriffe, z.B. um die Kürzung von Rentenansprüchen, Massenentlassungen von Gewerkschaftlern und um Bergbaukonzessionen zum Nachteil indigener Völker. Teilweise sind auch Verfahrensrechte anerkannt worden. So wurde z.B. den Staaten aufgeben, die Gebietsansprüche von indigenen Völkern durch die Schaffung eines Verfahrens für die Abgrenzung und Anerkennung ihres Eigentums abzusichern.86 In der neuesten Rechtsprechung werden zunehmend auch positive Schutzpflichten und Leistungsrechte bejaht. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Konventionsbestimmungen, die den Staaten ausdrücklich den Schutz bestimmter Rechte aufgeben. Ein Beispiel ist Art. 19, der ein Recht des Kindes auf Schutzmaßnahmen vorsieht. Wie bereits erwähnt, hat der Gerichtshof daraus ein Recht auf kostenlose Schulausbildung hergeleitet. Dass auch das Recht auf Leben ein aktives Tun des Staates erfordert,87 ist eine neue Entwicklung, die sich anhand des Urteils im Fall Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay aus dem Jahr 2006 darstellen lässt. Hier ging es wiederum um ein indigenes Volk, welches unter menschenunwürdigen Bedingungen lebte, weil sein Eigentum nicht anerkannt wurde. Das Land der Sawhoyamaxa war bereits im 19. Jahrhundert verkauft und verteilt worden. Von den neuen Eigentümern wurden sie ausgebeutet, und sie waren schließlich gezwungen, am Rande der Straße ohne angemessene Ernährung, Sanitäranlagen, Wohnraum und Gesundheitsfürsorge zu leben. Infolgedessen starben 18 ihrer Mitglieder. Der Gerichtshof entschied, dass das Recht auf Leben in Art. 4 nicht nur eine negative Verpflichtung begründet, sondern auch die positive Pflicht, geeignete

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Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Anm. 62), para. 248. Im Fall Awas Tingni Community hatte der Gerichtshof bereits gefordert: „measures necessary to create an effective mechanism for delimitation, demarcation, and titling of the property of indigenous communities“, Inter-American Court of Human Rights, The Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua, Judgment of 31 August 2001, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 79 (2001), para. 173. 87 So bereits der Gerichtshof im Fall Street Children. Zu Art. 4 führte er Folgendes aus: „… the right that he will not be prevented from having access to the conditions that guarantee a dignified existence. States have the obligation to guarantee the creation of the conditions required in order that violations of this basic right do not occur“, Street Children Case (Anm. 55), para. 144.

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Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht auf Leben zu schützen.88 Das beinhaltet Maßnahmen, die verhindern, dass man am Zugang zu Bedingungen gehindert wird, die ein anständiges Leben („decent life“) ermöglichen.89 Im Sawhoyamaxa-Fall hätte Paraguay den Indianern die Rückkehr in ihre traditionellen Gebiete ermöglichen müssen, denn diese stellten ihre Lebensgrundlage dar. Weil der Staat nicht handelte, obwohl ihm die lebensbedrohliche und menschenunwürdige Situation der Indianer bekannt war, verletzte er das Recht auf Leben. Paraguay wurde neben der Rückgabe des Landes aufgegeben, in der Übergangszeit die Grundversorgung für deren Überleben sicherzustellen.90 Das umfasste die Bereitstellung von Trinkwasser, Essen, Gesundheitsfürsorge, Sanitäranlagen und Schulausbildung.91 Außerdem sollte der Staat ein Informationssystem schaffen, wodurch in Notfällen Kontakt zu den staatlichen Gesundheitsbehörden aufgenommen werden kann.92

88 Die Herleitung erfolgte aus Art. 4 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention, Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Anm. 62), para. 152. Das Gericht verwies dabei auf folgende Urteile: Case of the Pueblo Bello Massacre, Judgment of 31 January 2006, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 140, para. 120; Case of the Mapiripán Massacre, Judgment of 15 September 2005, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 134, para. 232; Case of Huilce Tecse, Judgment of 3 March 2005, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 121, para. 66; Case of the Juvenile Reeducation Institute, Judgment of 2 September 2004, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 112, para. 158; Case of the Brothers GómezPaquiyauri, Judgment of 8 July 2004, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 110, para. 129; Case of 19 Merchants, Judgment of 5 July 2004, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C No. 109, para. 153; Case of Myrna Mack Chang, Judgment of 25 November 2003, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 101 (2003), para. 153; Case of Juan Humberto Sánchez, Judgment of 7 June 2003, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 99, para. 110; Case of Bámaca-Velásquez, Judgment of 25 November 2000, Inter-Am. Ct. H.R., Ser. C, No. 70, para. 172; Street Children Case (Anm. 55), paras. 144–146. 89 Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Anm. 62), para. 153. Siehe auch Indigenous Community Yakye Axa v. Paraguay (Anm. 56), para. 161; Street Children Case (Anm. 55), para. 144; Case of the Juvenile Reeducation Institute (Anm. 88), para. 156. 90 Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Anm. 62), para. 248. Vgl. auch Indigenous Community Yakye Axa v. Paraguay: Der Gerichtshof verpflichtete Paraguay, dem Volk der Yakye Axa eine Grundversorgung für deren Überleben zu Verfügung zu stellen, bis diese ihr Land zurückerhalten, Indigenous Community Yakye Axa v. Paraguay (Anm. 56), para. 242. 91 Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Anm. 62), para. 230. 92 Ibid., para. 232.

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II. Voraussetzungen und Grenzen von staatlichen Pflichten Berücksichtigt man, dass Schutzpflichten u.U. erhebliche Ausgaben für den Staat erfordern, die an anderer Stelle fehlen, stellt sich die Frage nach deren Umfang. Im Fall des Sawhoyamaxa-Stamms waren die Kosten überschaubar, in anderen Fällen, wie z.B. bei der HIV-Behandlung, sieht das schon anders aus. Das Gericht hat ausdrücklich unterstrichen, dass der Staat nicht für alle Situationen verantwortlich ist, in denen das Recht auf Leben gefährdet ist.93 Es wird anerkannt, dass Schutzpflichten einen Bereich politischer Entscheidungen betreffen, die notwendigerweise Prioritäten setzen und sich nach den vorhandenen Ressourcen richten müssen.94 Es dürfen nur solche positive Schutzpflichten hergeleitet werden, die keine unmögliche, unverhältnismäßige Bürde für den Staat darstellen.95 Voraussetzung für die Annahme einer Schutzpflicht ist, dass in Kenntnis der Behörden eine unmittelbare und sichere Todesgefahr für eine Person oder Gruppe besteht, und dass die Maßnahme im Bereich dessen liegt, was vernünftigerweise von staatlichen Behörden erwartet werden kann, um diese Gefahr abzuwenden.96 Welche Maßnahmen konkret zu ergreifen sind, richtet sich nach den besonderen Bedürfnissen der Betroffenen.97 In Zukunft wird sich zeigen, ob der Gerichtshof gewillt ist, aus dem Recht auf menschenwürdiges Leben positive Leistungspflichten, wie die kostenlose Abgabe von HIV-Medikamenten, medizinische Grundversorgung und soziale Sicherung abzuleiten. Meines Erachtens ist trotz des progressiven Ansatzes des Gerichtshofs in der Sawhoyamaxa-Entscheidung Vorsicht geboten. Ihr kann nämlich nicht entnommen werden, dass die Staaten gemäß Art. 4 verpflichtet wären, umfassende Maßnahmen im Bereich Gesundheit, Ernährung, Wohnraum, Bildung und anderer wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte zu ergreifen.98 Zwar beinhaltet ein 93

Ibid., para. 155. Ibid., para. 155. 95 Ibid., para. 155, mit Verweis auf Case of the Pueblo Bello Massacre (Anm. 88), para. 124; EGMR, Kiliç v. Turkey, Application No. 22492/93, Reports of Judgments and Decisions 2000-III, 96, para. 63. 96 Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Anm. 62), para. 155, mit Verweis auf Case of the Pueblo Bello Massacre (Anm. 88), paras. 123 and 124; Kiliç v. Turkey (Anm. 95); EGMR, Öneryildiz v. Turkey, Application No. 48939/99, Reports of Judgments and Decisions 2004-XII, para. 93; EGMR, Osman v. the United Kingdom, Application No. 23452/94, Reports of Judgments and Decisions 1998-VIII, 3159–3160, para. 116. 97 Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Anm. 62), para. 154. 98 Demgegenüber scheint die Kommission Art. 4 weiter auszulegen. Im Fall Persons Living with HIV/AIDS stellte sie fest, dass das Recht auf Leben auch das Recht auf körper94

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menschenwürdiges Leben auch andere Aspekte als das bloße Überleben, erforderlich ist aber eine lebensbedrohliche bzw. menschenunwürdige Situation. Das Gericht hat ausdrücklich auf extreme Armut, Ausschluss aus der Gesellschaft und die Bedürfnisse der Kinder abgestellt.99 Selbst dann ist der Staat nicht für alle lebensbedrohlichen Situationen verantwortlich. Die Hauptverantwortung liegt beim Einzelnen selbst. Dort wo der Gerichtshof bereits positive Pflichten anerkannt hat, sind das zumeist Schutzpflichten gegen Eingriffe von Seiten Dritter. Die Annahme von Leistungsrechten ist eher ein Ausnahmefall. Dass Paraguay im Fall der Sawhoyamaxa aufgegeben wurde, bis zur Rückgabe für deren Ernährung, Gesundheit und Bildung zu sorgen, bedeutet nicht etwa, dass entsprechende Primärpflichten bestünden. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Form des Schadensersatzes zur Wiedergutmachung der Verletzung des Rechts auf menschenwürdiges Leben aufgrund der fehlenden Rückgabe des Grundeigentums.100

F. Bewertung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die inter-amerikanische Rechtsprechung zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten in den letzten 30 Jahren eine deutliche Fortentwicklung vollzogen hat. Zwar hält sich der Gerichtshof in Individualbeschwerdeverfahren mit der primären Anwendung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, insbesondere mit der von Art. 26 der Konvention, zurück.101 Das bedeutet jedoch nicht, dass es keinen Rechtsschutz gegen die Verletzung dieser Rechte gäbe. Um auch wsk-Fälle behandeln zu können, knüpft das Gericht an die bürgerlichen Rechte der Konvention an. Das gelingt durch eine weite Auslegung z.B. des Rechts auf Leben. Dadurch, dass dabei auch auf das Zusatzprotokoll zurückgegriffen wird, werden wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in den Schutzbereich der Konventionsrechte – wenn auch nur partiell – aufgenommen. So wurden bisher aus der Konvention beispielsweise das Recht auf kostenlose Schulbildung, die Gewerkschaftsfreiheit, das Recht indigener Völker auf kulturelle, liche Unversehrtheit, zusammen mit anderen wirtschaflichen, sozialen und kulturellen Rechten umfasse, Persons Living with HIV/AIDS (Anm. 52), para. 46; anders auch Melish (Anm. 42), 343. 99 Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Anm. 62), para. 154. 100 Vgl. ibid., para. 228. 101 Artikel 26 scheidet inzwischen als Rechtsgrundlage für die Geltendmachung von Verletzungen individueller wsk-Rechte aus. Der Gerichtshof lehnt es ab, die Individualrechte der Deklaration bzw. des Protokolls von San Salvador, wie z.B. das Recht auf soziale Sicherung, in Art. 26 hineinzulesen.

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soziale und wirtschaftliche Nutzung ihrer traditionellen Gebiete und das Recht auf ein menschenwürdiges Leben unter Berücksichtigung des Rechts auf Gesundheit, gesunde Umwelt, Ernährung, Bildung und Kultur hergeleitet. Ein mittelbarer Schutz von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten wird mit Hilfe der justiziellen Rechte und des Gleichheitssatzes erzielt. Bezüglich der Frage, ob das Menschenrechtssystem der OAS den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten gerecht wird, ist zum einen hervorzuheben, dass der Gerichtshof überhaupt einen Weg gefunden hat, auch diese in Individualbeschwerden zu behandeln. Dabei hat er bislang das notwendige Maß im Umgang mit diesen Rechten gefunden, ohne den Staaten Unmögliches abzuverlangen. Der Gerichtshof erkennt die Ressourcenknappheit der Staaten an und berücksichtigt dies auch im Bereich der konstatierten Schutzpflichten. Bei den bisher entschiedenen Fällen geht es um die Ärmsten der Armen, Kinder und Randgruppen, deren Existenz gefährdet ist. Dass der Staat sich hier nicht zurückziehen, geschweige denn dazu beitragen darf, dass sie ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebensgrundlage beraubt werden, leuchtet wohl jedem ein. Würde man aber die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in ihrer Gesamtheit einer gerichtlichen Prüfung unterziehen, so ginge man nicht nur weit über die Konvention und das Zusatzprotokoll hinaus, sondern würde letztlich diesen Garantien auch nicht gerecht. In bestimmten Bereichen erscheint ein wirksames Berichtsverfahren geeigneter als Individualbeschwerden. Dass der Gerichtshof bisher keine übertriebenen Anforderungen an die Staaten gestellt hat, trägt zur Glaubhaftigkeit seiner Rechtsprechung und so letztlich auch zur Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte bei, denn diese bedarf der Einsicht und Mitwirkung der Mitgliedstaaten. Die Bedeutung des inter-amerikanischen Schutzsystems liegt auch darin, dass durch die zahlreichen Fälle vor der Kommission und dem Gerichtshof die Staaten öffentlich unter Druck geraten. In einigen Fällen hat dies zu Verhandlungen mit den zuvor unnachgiebigen Heimatregierungen und zu außergerichtlichen Einigungen geführt, wie z.B. in den Fällen Asociación de Communidades Aborigenes und Mercedes Julia Huenteao Beroiza. Andererseits weist der vom Gerichtshof beschrittene Weg aber auch Defizite auf: Wenn man versucht, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in die bürgerlichen und politischen Rechte hineinzulesen, so wird man ihrer vollen Dimension nicht ganz gerecht. Es wird immer Aspekte geben, die dann außen vor bleiben. In dem oben erwähnten Fall Mary and Carrie Dann v. Vereinigte Staaten beispielsweise ging es den Beschwerdeführern eigentlich primär darum, ihr Land weiterhin zu kulturellen und sozialen Zwecken nutzen zu können. Wenn die Kommission sich darauf beschränkte, das Recht auf gerichtliche Feststellung von Eigentumsrechten

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zu untersuchen, und ausdrücklich darauf verzichtete, über die Eigentumsansprüche der Danns zu befinden, so war das vielleicht ein geschickter politischer Schachzug, der aber dem Fall nicht ganz gerecht wird.102 Außerdem ist es eine Sache, Eingriffe wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art lediglich als Schaden zu behandeln, der aus der Verletzung eines bürgerlichen Rechts folgt, aber eine ganz andere, diese als Rechtsverletzung zu charakterisieren. Letztlich wird das Unrecht besser erfasst, wenn man die multiplen Rechtsverletzungen als solche benennt. Leitet man wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aus den bürgerlichen Rechten her, so hat das den Anschein, als würde man sie in den Dienst der bürgerlichen und politischen Rechte stellen. Dadurch wird die Eigenständigkeit und Gleichwertigkeit der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in Frage gestellt.103 Dies ist jedoch nicht etwa der Fehler des Gerichtshofs, sondern Folge des unterschiedlichen Rechtsschutzsystems und dementsprechend in der Konvention und dem Protokoll von San Salvador so angelegt. Hier unterscheidet sich die OAS nicht vom Menschenrechtsschutz auf europäischer, universeller und zumeist auch auf nationaler Ebene. Im Vergleich zu den übrigen internationalen Schutzsystemen hat das interamerikanische allerdings das Potential, in der Praxis zu zeigen, ob und inwieweit wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte justiziabel sind. Das inter-amerikanische System bietet Möglichkeiten für die Durchsetzung dieser Rechte, die über die aktuellen Durchsetzungsmechanismen auf universeller Ebene hinausgehen: Das liegt zum einen daran, dass das einschlägige Zusatzprotokoll, anders als der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Individualbeschwerden immerhin in Bezug auf bestimmte Rechte zulässt. Sofern sich dieses in der Praxis bewährt, könnte das durchaus ein wichtiges Argument für die Einführung eines entsprechenden Individualbeschwerdeverfahrens auf universeller Ebene sein. Zum anderen haben der Inter-Amerikanische Gerichtshof und die Kommission die Auslegung der Konvention so fortentwickelt, dass zumindest bestimmte Aspekte der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in Individualbeschwerden geltend gemacht werden können. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zum universellen Menschenrechtsschutz, denn der Menschenrechtsausschuss war 102

Ein weiteres Beispiel ist der oben beschriebene Fall María Eugenia Morales de Sierra. Hier wurden der Gleichheitsgrundsatz, das Recht auf Privatsphäre und der Schutz der Familie, nicht aber das Recht auf Arbeit, welches unmittelbar betroffen war, als verletzt beurteilt, María Eugenia Morales de Sierra v. Guatemala (Anm. 74). 103 Zu der Diskussion darüber, ob der Weg über die bürgerlichen und politischen Rechte weiterverfolgt werden soll, und zu dessen Defiziten siehe Melish (Anm. 42), 312–333; Cavallaro/Schaffer, Rejoinder (Anm. 42), 380.

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bisher eher zurückhaltend, sich in Individualbeschwerden auch mit diesen Rechten zu befassen.104 In Zukunft wird sich zeigen, wie weit der von der Organisation Amerikanischer Staaten beschrittene Weg tatsächlich gangbar ist. Die dabei gemachten Erfahrungen dürften jedenfalls für die Ausgestaltung des künftigen Zusatzprotokolls zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von Bedeutung sein, und zwar sowohl in Bezug auf die vorgenannten Fortschritte als auch Defizite.

104 Mittelbar hat er sich mit der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lage im Rahmen des Art. 26 IPbürgR beschäftigt, denn dieser ist nach Ansicht des Ausschusses als allgemeiner Gleichheitsgrundsatz zu verstehen, unabhängig davon, ob es um eine Diskriminierung in Bezug auf bürgerliche und politische oder wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte geht, vgl. F. H. Zwaan-de Vries v. The Netherlands (Anm. 72); S. W. M. Broeks v. The Netherlands (Anm. 72); Edward Young v. Australia, Communication No. 941/2000, UN Doc. CCPR/C/78/D/941/2000 (2003); General Comment No. 18, Non-discrimination (1989), HRI/GEN/1/Rev. 7 (2004); Haraldsson and Sveinsson v. Iceland, Comunication No. 1306/ 2004, UN Doc. CCPR/C/91/D/1306/2004 (2007). Im Rahmen von Art. 27 hat sich der Ausschuss mit den sozialen und kulturellen Rechten von Minderheiten und indigenen Völkern beschäftigt, vgl. u.a. Menschenrechtsausschuss Sandra Lovelace v. Canada, Communication No. 24/1977, UN Doc. CCPR/C/13/D/24/1977 (30 July 1981); Ilmari Länsman et al. v. Finland, Communication No. 511/1992, UN Doc. CCPR/C/52/D/511/1992 (8 November 1994); vgl. auch Art. 8 (3), 22 (1) IPbürgR.

Autorenverzeichnis Prof. Dr. Hans-Joachim Cremer, Universität Mannheim Prof. Dr. Thomas Giegerich, LL.M. (University of Virginia), Direktor des WaltherSchücking-Instituts für Internationales Recht, Universität Kiel Prof. Dr. Meinhard Hilf, Bucerius Law School, Hamburg Prof. Dr. Thorsten Kingreen, Universität Regensburg Prof. em. Dr. Eibe H. Riedel, Mitglied im UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Anja Seibert-Fohr, LL.M., S.J.D., Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg Prof. Hennie Strydom, Faculty of Law, University of Johannesburg, South Africa