Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht 9783161548710

Obwohl viele Rechtsgebiete mittlerweile harmonisiert worden sind, regeln EU-Rechtsakte häufig nicht die Frage, welche Re

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Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht
 9783161548710

Table of contents :
Cover
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Sekundärrechtsakte
1. Teil: Einleitung
§ 1 Problemstellung und Gang der Darstellung
A. Unbestimmte (Zivil‑)Rechtsfolgen im Primär- und Sekundärrecht
B. Konkretisierung unbestimmter Rechtsfolgen durch den EuGH
C. Fragestellung
D. Gang der Darstellung
§ 2 Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung
A. Unionsrechte als Ergebnis europäischen Richterrechts
I. Effet utile als bestimmende Auslegungsmethode
II. Rechtsprechungsphasen
B. Die 1960er Jahre
I. Van Gend & Loos: Rechte des Einzelnen als Attribut einer neuen Rechtsordnung
II. Costa/ENEL: Gemeinschaftsrecht als autonome und vorrangige Rechtsquelle
C. Die 1970er Jahre
I. Grundfreiheiten und sonstige Vertragsvorschriften als subjektive Rechte
II. Anerkennung der Gemeinschaftsgrundrechte
III. Rewe und Comet: „Entdeckung“ des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots
D. Die 1980er und 1990er Jahre
I. Die Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren
II. Verschärfung des Effektivitätsgebots
III. Der Grundsatz der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionierung
IV. Entwicklung neuer Rechtsbehelfe im öffentlichen Recht
1. San Giorgio: Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
2. Factortame I: Einstweiliger Rechtsschutz
3. Francovich: Staatshaftung
4. Rechtsbehelfe im Antidiskriminierungs‑, Umwelt-und Vergaberecht
V. Revision der Rechtsprechung ab Mitte der 1990er Jahre?
E. Die Jahre ab 2000
I. Überblick
II. Entwicklung neuer privatrechtlicher Rechtsbehelfe
1. Courage und Manfredi: Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch
2. Muñoz: Lauterkeitsrechtliche Ansprüche betroffener Konkurrenten
3. Mangold und Kücükdeveci: Unmittelbar wirkende Diskriminierungsverbote im Privatrecht
4. Heininger, Schulte und Crailshaimer Volksbank: Rechtsfolgen bei nicht ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung
III. Konkretisierung unbestimmter Privatrechtsfolgen
1. im Reiserecht
2. im Verbrauchervertragsrecht
3. im Produkthaftungsrecht
IV. Verstärkte Einwirkung auf das nationale Zivilprozessrecht
F. Ergebnis
2. Teil: Grundlegung
§ 3 Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte
A. Auf der Suche nach einer Theorie der Unionsrechte: Mission impossible?
B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren
I. Rechtsvergleichende und historisch-vergleichende Grundlegung
1. Die Entwicklung auf dem europäischen Kontinent
a) Vom prozessualen zum materiellen Rechtsdenken
b) Die Anspruchskonzeptionen Savignys und Windscheids
c) Verschränkung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht in romanischen Rechtsordnungen
d) Neuere Entwicklungen: Materialisierung des Prozessrechts. Klagen ohne Anspruch
2. Das remedy-Konzept des common law
a) Ursprünge des aktionenrechtlichen Denkens
b) Tendenzen zur Überwindung des aktionenrechtlichen Denkens in England
3. Auswertung
II. Das unionsrechtliche Verständnis
1. Autonome Begrifflichkeit
a) Unionsrechte, subjektive Rechte, Rechte des Einzelnen, individuelle Rechte
b) Subjektives Recht und objektives Recht
c) Subjektives Recht und Rechtsschutz
d) Reihenfolge zwischen Rechtsentstehung und Rechtsschutzgewährleistung
2. Typologie der Unionsrechte
a) Subjektiv-öffentliche und subjektiv-private Unionsrechte
b) Claim-rights, liberties and powers
c) Weitere Kategorien
3. Rechtsbehelfe und Verfahren
a) Geschriebenes Sekundärrecht
b) Rechtsprechung des EuGH
c) Folgerungen für die Auslegung der Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, 47 Abs. 1 GRC
4. Materiell-rechtliches oder prozessuales Verständnis der Unionsrechte?
a) Ermessen der Mitgliedstaaten
b) Rezeptionsmöglichkeiten im öffentlichen Recht
c) Rezeptionsmöglichkeiten im Privatrecht
d) Auswertung
C. Unionsrechte und unmittelbare Wirkung
I. Unzureichende Differenzierung in der Judikatur des EuGH
II. Unionsrechte ohne unmittelbare Wirkung
III. Unionsrechte als Folge der unmittelbaren Wirkung?
1. Defensive Durchsetzung des Unionsrechts: Evokationsrecht (invocabilité)
2. Offensive Durchsetzung des Unionsrechts
a) Allgemeiner Normenvollzugsanspruch?
b) Allgemeiner Schutz reiner Vermögensinteressen?
c) Stellungnahme
3. Unmittelbare Wirkung und Richtlinienumsetzung: Zwei Kategorien der Rechtsbegründung?
IV. Ergebnis
D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten
I. Mobilisierung des Einzelnen zur Durchsetzung des Unionsrechts
1. Ineffizienz der zentralen Durchsetzung des Unionsrechts
2. Funktionalisierung der subjektiv-öffentlichen Rechte
a) Rechtsprechung des EuGH
b) Demokratietheoretische Einwände gegen das Konzept der Funktionalisierung
c) Überlastung der Gerichte?
d) Berechtigte Interessen Dritter
3. Funktionalisierung der subjektiv-privaten Rechte
a) Rechtsprechung des EuGH
b) Eindimensionale effet utile-Rechtsprechung: Gefahren für die europäische Privatrechtsgesellschaft?
c) Funktionalisierung des Haftungsrechts durch Einführung eines Strafschadensersatzes?
II. Effet utile versus effektiver Rechtsschutz
1. Divergenzen zwischen dem Rechtsschutz zur Durchsetzung und zur Abwehr des Unionsrechts
a) Zugang zu den nationalen Gerichten und zu den Unionsgerichten
b) Vorläufiger Rechtsschutz gegen unionsrechtswidriges nationales Recht und gegen primärrechtswidriges Unionsrecht
2. Konflikte zwischen dem effet utile und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes bei Durchführung des Unionsrechts
a) Effet utile versus Vertrauensschutz bei Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen
b) Effet utile versus reformatio in peius
c) Spezifische Konfliktlagen im Privatrecht
III. Ergebnis
IV. Folgerungen für die Ermittlung der Unionsrechte
E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte
I. Grundlegung
1. Direkt und indirekt begründete Unionsrechte
2. Meinungsspektrum
a) im öffentlichen Recht
b) im Privatrecht
3. Folgefragen
II. Einheitliche Konzeption der Unionsrechte?
1. Kontext
2. Bedeutung der prozessualen Ausgangssituation für die Ermittlung der Unionsrechte
a) Vorabentscheidungsverfahren
b) Vertragsverletzungsverfahren
c) Nichtigkeitsklagen
3. Einheitliche Kriterien für sämtliche Rechtsquellen?
4. Differenzierung zwischen subjektiv-öffentlichen und subjektiv-privaten Unionsrechten?
a) Unionsrechtliche Perspektive
b) Verbindungslinien zwischen den subjektiv-öffentlichen und subjektiv-privaten Rechten aus deutscher Perspektive
c) Rechtsgutorientierte Differenzierung im Unionsrecht
5. Ergebnis
III. Normcharakter der Verhaltensnorm
1. Normqualität: Primär- und Sekundärrecht, völkerrechtliche Verträge
2. Hinreichende Bestimmtheit der Verhaltensnorm
3. Inhaltliche Unbedingtheit der Verhaltensnorm
4. Bestimmbarkeit des Schuldners
IV. Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlicher und privater Durchsetzung
1. Primat der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung in einigen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen
2. Kein Primat der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung im Unionsrecht
V. Schutzcharakter der verletzten Unionsnorm
1. Mitgliedstaatliche Kriterien zur Eingrenzung der Anspruchs- bzw. Klagebefugnis
a) Der Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte: Individualrechtsschutz versus objektive Rechtmäßigkeitskontrolle
b) Der Schutz subjektiv-privater Rechte bei Gesetzesverstößen: Schutzzwecklehre versus offener Deliktstatbestand
2. EuGH-Rechtsprechung
a) Umweltrecht
b) Vergaberecht
c) Verbraucherrecht
d) Staatshaftungsrecht
e) Außervertragliche Haftung der Union
f) Sonstiges Zivilrecht
g) Anwendung der Schutznormtheorie im Fall Peter Paul?
h) Verfahrensvorschriften
3. Systematisierung der unionsrechtlichen Kriterien
a) Keine Unterscheidung zwischen Allgemein- und Individualinteressen
b) Personaler Bezug des geschützten Rechtsguts
c) Schutz ideeller Interessen?
d) Personelle Reichweite der Unionsrechte
aa) Ausschluss der Popularklage
bb) Tatsächliche Betroffenheit in einem geschützten Rechtsgut
cc) Rein faktisch betroffene Dritte – Rechtsschutz für „jedermann“?
dd) Personenmehrheiten, insbesondere juristische Personen, Verbände
e) Inhaltliche Reichweite der Unionsrechte
aa) Übergreifende Gesichtspunkte
bb) Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden: Orientierung am sachlichen Schutzzweck der Norm?
VI. Abschied von der Schutznormtheorie?
§ 4 Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts für die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten
A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts
I. Begriffsklärung
1. „Verfahrensautonomie“
2. „Durchführung“ und Anwendungsbereich des Unionsrechts
II. Verfahrensautonomie als notwendige Voraussetzung der mitgliedstaatlichen Unionsrechtsdurchführung
III. Verfahrensautonomie als primärrechtlicher Grundsatz des Unionsrechts?
1. Fragestellung
2. Gang der Darstellung
IV. Primärrechtliche Grundlagen der Verfahrensautonomie
1. Keine Gesamtregelungskompetenz der EU zur Harmonisierung der Rechtsfolgen
2. Bereichsspezifische Annexkompetenzen der Union zur Harmonisierung der Rechtsfolgen
3. Art. 291 AEUV als Rechtsgrundlage der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie?
4. Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip
5. Zwischenergebnis
V. Einheitliche Wirksamkeit des Unionsrechts vs. mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie
1. Einheitliche Anwendung und Wirksamkeit als prinzipielle Forderungen des Unionsrechts
2. Kollision des Grundsatzes der einheitlichen Wirksamkeit mit mitgliedstaatlichem Durchführungsrecht
a) Konfliktlagen
b) Direkte und indirekte Kollisionen
3. Einheitliche Wirksamkeit als eigenständige Grenze der nationalen Gestaltungsfreiheit?
4. Bewältigung des Konflikts zwischen einheitlicher Wirksamkeit und Verfahrensautonomie über das Effektivitätsgebot
VI. Mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie und Auslegung des Unionsrechts
1. Fließender Übergang zwischen direkter und indirekter Kollision
2. Mandat des EuGH zur Rechtsfortbildung
3. Grenzen der Rechtsfortbildung
4. Kompetenz des EuGH zur Konkretisierung von Sekundärrechtsakten, insbesondere von Richtlinien
a) Streitstand
b) Konkretisierungskompetenz als Auslegungsfrage
c) Harmonisierungsgrad und Konkretisierungskompetenz
5. Grenzen der Konkretisierungskompetenz
a) Funktionale Grenzen der Konkretisierung im Vorabentscheidungsverfahren
b) Ausdrücklicher Verweis auf mitgliedstaatliches Recht
aa) Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten als Grundsatz
bb) Einschränkende Auslegung ausdrücklicher Verweisnormen in besonderen Fällen
cc) Verweisnormen mit einseitiger Schutzrichtung
c) Impliziter Verweis auf mitgliedstaatliches Recht
aa) Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten als begründungsbedürftige Ausnahme
bb) Fehlende oder nicht ausgeübte Rechtssetzungskompetenz
cc) Berücksichtigung der gewählten Kompetenzgrundlage
dd) Fehlende unionsrechtliche Konkretisierungsmöglichkeiten
6. Zwischenergebnis
VII. Ergebnis
B. Grundfreiheiten und nationale Rechtsfolgen
I. Eigenständige Kontrolle nationaler Rechtsfolgen am Maßstab der Grundfreiheiten
1. Die verschiedenen Konstellationen
2. Konsequenzen der Grundfreiheitenkontrolle
II. Kontrolle straf- und verwaltungsrechtlicher Sanktionen am Maßstab der Grundfreiheiten
1. Rechtsprechung des EuGH
2. Auswertung
III. Kontrolle zivilrechtlicher Rechtsfolgen am Maßstab der Grundfreiheiten
1. Keine Bereichsausnahme für privatrechtliche Normen
2. Eingrenzungsversuche
3. Rechtsprechung des EuGH zum allgemeinen Zivilrecht und Zivilprozessrecht
a) Handelsbeschränkung bei bloßen Rechtsunterschieden „zu ungewiss und indirekt“
b) Ergänzender Rückgriff auf das allgemeine Diskriminierungsverbot
4. Rechtsprechung des EuGH zur Kontrolle von Zivilrechtsfolgen
a) Unterlassungsklagen zur Durchsetzung von Verbotsgesetzen
b) Nichtigkeit von Rechtsgeschäften bei Verstoß gegen behördliche Anzeigepflichten
c) Schadensersatz bei Verstoß gegen (tarif‑)vertragliche Pflichten
IV. Auswertung
C. Das Effektivitätsgebot
I. Die verschiedenen Ausformungen des Effektivitätsgebots
1. Effet utile und Effektivitätsgebot
2. Objektiv-rechtliche und subjektiv-rechtliche Dimension des Effektivitätsgebots
3. Effektivitätsgebot und Recht auf effektiven Rechtsschutz
a) Die unterschiedlichen Quellen des Rechts auf effektiven Rechtsschutz
b) Ist das Rewe-Effektivitätsgebot mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz deckungsgleich?
c) Die eigenständige Bedeutung der justiziellen Grundrechte gegenüber dem Rewe-Effektivitätsgebot
4. Sekundärrechtliche Konkretisierungen
a) Kodifikation des Grundsatzes der wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen
b) Kodifikation des Gebots effektiven Rechtsschutzes
II. Anwendungsvoraussetzungen des Effektivitätsgebots
1. Anwendungsbereich des Unionsrechts
2. Keine vorrangig anwendbare Unionsnorm
3. Mindestharmonisierung und Effektivitätsgebot
4. Vollharmonisierung und Effektivitätsgebot
III. Kriterien zur Beurteilung der Effektivität
1. Ausgangsfragen
a) Einheitliche Kriterien trotz unterschiedlicher Ausprägungen des Effektivitätsgebots?
b) Kontextbezogene Anwendung des Effektivitätsgebots
2. Praktische Wirksamkeit der betreffenden Maßnahme
a) Handlungs- und Unterlassungspflichten der Mitgliedstaaten
b) Prinzip der Mindesteffektivität
c) Verwirklichung der vom Unionsrecht vorgegebenen Ziele
d) Praktische Wirksamkeit und empirische Erkenntnisse
e) Wertende Rechtsvergleichung und Effektivitätsgebot
f) Leitbilder
3. Abschreckende Wirkung
a) Abschreckung als Teil der Wirksamkeit
b) Abschreckende Wirkung zivilrechtlicher Rechtsbehelfe?
c) Abschreckung durch Prävention, nicht Repression
4. Verhältnismäßigkeit der Sanktionen
a) Verhältnismäßigkeit als Obergrenze straf-und verwaltungsrechtlicher Sanktionen
b) Verhältnismäßigkeit zivilrechtlicher Rechtsfolgen?
IV. Rechtsformenermessen der Mitgliedstaaten
1. Sanktionsarten
a) Indifferenz des Unionsrechts gegenüber nationalen Ordnungskategorien
b) Bestimmung der Sanktionsart nach unionsrechtlichen Kriterien
2. Grundsatz der Wahlfreiheit
a) Rechtsprechung des EuGH
b) Sekundärrechtliche Klarstellungen
3. Kombination verschiedener Sanktionssysteme
a) Zulässige Kombination verschiedener Sanktionsarten
b) Notwendige Kombination verschiedener Sanktionsarten
4. Pflicht zur Einführung bestimmter Sanktionsarten
a) Funktionale Äquivalenz der Teilrechtsordnungen?
b) Strafrechtliche Sanktionen
c) Verwaltungsrechtliche Sanktionen
d) Zivilrechtliche Rechtsfolgen
5. Rechtsgebietsübergreifende Wirkung unionsrechtlicher Vorgaben nach Ausübung mitgliedstaatlichen Rechtsformenermessens?
a) Präzisierung der Fragestellung am Beispiel der Finanzmarktrichtlinien
b) Keine Autonomie der zivilrechtlichen Haftungssanktionen gegenüber den Finanzmarktrichtlinien
6. Ergebnis
V. Weiterentwicklung der Effektivitätsrechtsprechung anhand des Modells der wechselseitigen Auffangordnungen
1. Das Modell der wechselseitigen Auffangordnungen
a) Grundgedanke
b) Ökonomische Theorie der optimalen Rechtsdurchsetzung
c) Zur normativen Verbindlichkeit des Modells
2. Staatliche und private Rechtsdurchsetzung im Vergleich
a) Zugang zu Informationen
b) Sanktionswahrscheinlichkeit
c) Festsetzung der optimalen Sanktion
3. Private Rechtsdurchsetzung als komplementäres Steuerungsinstrument
VI. Ergebnis
D. Das Äquivalenzgebot
I. Inhalt
II. Praktische Bedeutung
III. Normative Verankerung im allgemeinen Diskriminierungsverbot
IV. Zusammenwirken von Äquivalenz- und Effektivitätsgebot
V. Voraussetzungen für einen Verstoß gegen das Äquivalenzgebot
1. Aufgabenverteilung zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten
2. Vergleichsfähiges innerstaatliches Recht: „Rein“ nationales Recht
3. Vergleichbarkeit der Klagen
a) Allgemeine Vorgaben
b) Bestimmung der Vergleichsgrundlage durch den EuGH
4. Ungünstigere Behandlung unionsrechtlich determinierter Sachverhalte
5. Beispiele für Verstöße gegen das Äquivalenzgebot
VI. Rezeption des Äquivalenzgebots in den Mitgliedstaaten
1. Deutschland
2. Frankreich
3. England
VII. Ergebnis
E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot
I. Funktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze
1. Allgemeine Funktionen
2. Begrenzung des Effektivitätsgebots durch allgemeine Rechtsgrundsätze
a) EuGH-Rechtsprechung
b) Verweis auf allgemeine Grundsätze des Unionsrechts oder nationalen Rechts?
3. Erweiterung des Effektivitätsgebots durch allgemeine Rechtsgrundsätze?
a) Verfahrensgarantien
b) Allgemeine Grundsätze des Privatrechts?
II. Das Rechtsmissbrauchsverbot als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts
1. Einordnung des Rechtsmissbrauchsverbots
2. Bestandsaufnahme
a) Rechtsprechung des EuGH im öffentlichen Recht
b) Rechtsprechung des EuGH im Privatrecht
c) Kodifikation des Rechtsmissbrauchsverbots im Sekundärrecht
3. Unionsrechtliches oder nationales Rechtsmissbrauchsverbot?
a) Vorrang des Unionsrechts
b) Aufgabenverteilung zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten
III. Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs
1. Formale Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen – Abgrenzung zum Betrug
2. Widerspruch zum Zweck der unionsrechtlichen Vorschrift
3. Subjektive Elemente
4. Begrenzung des Rechtsmissbrauchsverbots durch negative Voraussetzungen
IV. Rechtsfolgen und Wirkungen des Rechtsmissbrauchs
V. Ungeklärte Fallgruppen des Rechtsmissbrauchsverbots
1. Professionelle Diskriminierungskläger („AGG-Hopper“)
2. Scheinunternehmer
3. Verwirkung verbraucherschützender Widerrufsrechte
VI. Ergebnis
F. Zusammenfassung
§ 5 Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht
A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung
I. Grundlegung
1. Begriff und Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung
2. Materiell-rechtliche Folgen der unmittelbaren Wirkung
a) Negative unmittelbare Wirkung
b) Positive unmittelbare Wirkung
3. Prozessuale Folgen der unmittelbaren Wirkung
a) Autonome Klagerechte qua unmittelbarer Wirkung?
b) Anwendung unmittelbar wirkender Normen von Amts wegen?
II. Primärrecht
1. Vertikale unmittelbare Wirkung
a) Geschriebenes und ungeschriebenes Primärrecht
b) Äquivalenz- und Effektivitätsgebot, Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz
2. Horizontale unmittelbare Wirkung
a) Geschriebenes und ungeschriebenes Primärrecht
b) Äquivalenz- und Effektivitätsgebot, Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz
III. Verordnungen
1. Allgemeine Rechtswirkungen
2. Unmittelbare Wirkung
IV. Richtlinien
1. Vertikale Direktwirkung und Verbot der Privatbelastung
2. Negative unmittelbare Wirkung von Richtlinien in Privatverhältnissen?
a) Multipolare Rechtsbeziehungen unter Behördenbeteiligung
b) Verstöße gegen die Informations-RL 83/189
c) Argumente für eine negative unmittelbare Richtlinienwirkung
d) Argumente gegen eine negative unmittelbare Richtlinienwirkung
e) Ergebnis
3. Richtlinienkonforme Rechtsfindung
a) Richtlinienkonforme Rechtsfindung und unmittelbare Wirkung
b) Unionsrechtliche Vorgaben für die richtlinienkonforme Rechtsfindung
aa) Grundsätze
bb) Interpretatorische Vorzugsregel
cc) Äquivalenzgebot und richtlinienkonforme Rechtsfindung
dd) Effektivitätsgebot und richtlinienkonforme Rechtsfindung
ee) Ergebnis
c) BGH-Rechtsprechung
d) Unionsrechtliche Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfindung
aa) Allgemeine Rechtsgrundsätze, insb. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz
bb) Sonstige Grenzen?
e) Nationale (deutsche) Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfindung
aa) Contra legem-Grenze
bb) Bewusste Umsetzungsverweigerung
cc) Vollständiger Funktionsverlust
dd) Rechtssicherheit und Vertrauensschutz
4. Kumulative Anwendung von Richtlinien und Primärrecht
a) Vor-Mangold-Rechtsprechung
b) Die Entscheidungen Mangold und Kücükdeveci
aa) Die Urteile des EuGH
bb) Allgemeines Verbot der Altersdiskriminierung
cc) Kombinierte Anwendung von Primär- und Sekundärrecht
dd) Der Honeywell-Beschluss des BVerfG
c) Übertragung der Mangold-Doktrin auf sonstige Unionsgrundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze?
aa) Gleichheitsrechte
bb) Freiheitsrechte; Grundsatz des Verbraucherschutzes
cc) Kritik
d) Präzisierung der Mangold-Rechtsprechung im Fall Association de médiation sociale
V. Horizontale Direktwirkung des Äquivalenz- und Effektivitätsgebots und des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz?
1. Problemstellung
2. Bisherige Rechtsprechung des EuGH
3. Zum Stand der Dogmatik
4. Folgerungen aus der Mangold-Rechtsprechung
VI. Ergebnis
B. Justizielle Durchsetzung des Unionsprivatrechts im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens
I. Fehlender Individualzugang des Einzelnen zum EuGH in Zivilsachen
1. Rechtsschutzlücken auf der Ebene des zentralen Rechtsschutzes
2. Recht auf Vorlageerzwingung aufgrund des Gebots effektiven Rechtsschutzes?
a) Kohärenz der Rechtsschutzebenen
b) Keine gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen
c) Art. 6 Abs. 1 EMRK
3. Ergebnis
II. Unionsrechtliche Sanktionsmöglichkeiten bei Vorlagepflichtverletzung
1. Vertragsverletzungsverfahren
2. Staatshaftungsanspruch
3. Unionsrechtliche Pflicht zur Wiederaufnahme des Verfahrens?
a) Grundsätze
b) Durchbrechung der Rechtskraft und Effektivitätsgebot
c) Durchbrechung der Rechtskraft und Äquivalenzgebot
d) Sonstige Wirkungen der Rechtskraft
4. Vorbeugend: Abstrakte Normenkontrolle zur Überprüfung nationalen Rechts?
5. Einführung einer Revision zum EuGH?
III. Sanktionierung der Vorlagepflichtverletzung nach deutschem Recht
1. Einfachrechtliche Rechtsbehelfe
2. Urteilsverfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG
a) Der EuGH als gesetzlicher Richter
b) Darlegungspflicht des Beschwerdeführers und Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde
c) Willkürmaßstab in der bisherigen Rechtsprechung
d) Neuere Rechtsprechung
e) Auswertung
f) Begründungspflicht der Fachgerichte
3. Sonstige Urteilsverfassungsbeschwerden
IV. Ergebnis
3. Teil: Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionenim Primär- und Sekundärrecht
§ 6 Grundfreiheiten
A. Die subjektiv-rechtliche Dimension der Grundfreiheiten
B. Die Grundfreiheiten als transnationale Wirtschaftsrechte
I. Berechtigte der Grundfreiheiten
1. Unionsbürger
2. Personenmehrheiten innerhalb der EU
3. Drittstaatsangehörige und Personenmehrheiten außerhalb der EU
4. Unternehmer und Verbraucher. P2P-Geschäfte
II. Transnationaler Charakter der Grundfreiheiten
III. Wirtschaftsbezogener Charakter der Grundfreiheiten
IV. Unionsbürgerfreizügigkeit als „Grundfreiheit ohne Markt“
C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte
I. Vom Diskriminierungs- zum Beschränkungsverbot
II. Marktzugang als entscheidendes Kriterium
1. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit
2. Arbeitnehmerfreizügigkeit
3. Kapitalverkehrsfreiheit
4. Warenverkehrsfreiheit
a) Keck-Rechtsprechung
b) Neuere Judikatur
5. Ergebnis
III. Gleichheits- oder freiheitsrechtliche Interpretation des Marktzugangs?
IV. Präzisierung des Marktzugangskriteriums
1. Bestimmung des relevanten Markts
2. Marktzugangshindernisse durch unmittelbare Diskriminierungen und Mehrfachbelastungen
3. Unterschiedslos anwendbare Maßnahmen unterhalb der Schwelle einer absoluten Marktzugangsschranke
a) Differenzierung zwischen Marktzugangs-und Marktausübungsregeln?
b) Unmittelbare oder direkte Beeinträchtigung als Kriterium?
c) Spürbarkeitstest in der Rechtsprechung des EuGH
d) Konkretisierung des Spürbarkeitskriteriums
aa) Produktverkehrsfreiheiten
bb) Personenverkehrsfreiheiten
V. Die Grundfreiheiten als Marktaustrittsrechte
D. Die Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte
I. Rechte gegenüber den Mitgliedstaaten
1. Abwehrrechte
2. Teilhaberechte
3. Originäre Leistungsrechte?
4. Recht auf hoheitliche Schutzgewähr
5. Sekundäre Rechtspositionen
6. Verfahrensrechte
II. Rechte gegenüber der Europäischen Union
E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte
I. Überblick
II. Rechtsprechung des EuGH
1. Personenverkehrsfreiheiten
2. Produktverkehrsfreiheiten
a) Bisherige Judikatur zur Warenverkehrsfreiheit
b) Das Fra.bo-Urteil
c) Sonstige Produktverkehrsfreiheiten
III. Sperrwirkung der Wettbewerbsregeln?
1. Komplementärverhältnis
2. Die verschiedenen Konstellationen
3. Konkretisierung des Spürbarkeitstests bei Handeln Privater
IV. Horizontale Direktwirkung versus mittelbare Drittwirkung
1. Einwände gegen das Konzept der horizontalen Direktwirkung
2. Das Konzept der mittelbaren Drittwirkung
3. Übereinstimmungen zwischen beiden Konzepten
4. Unterschiede zwischen beiden Konzepten
5. Ergebnis
V. Rechtsfolgen der horizontalen Direktwirkung
1. Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts
2. Nichtigkeit von Rechtsgeschäften
3. Schadensersatzansprüche
4. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche
5. Kontrahierungszwang?
F. Ergebnis
§ 7 Kartellrecht
A. Grundstrukturen und Entwicklungslinien
I. Zweispuriges Sanktionssystem
1. Kartellbehördliche Aufsicht
2. Zivilrechtliche Sanktionen
3. Verhältnis zwischen verwaltungs- und zivilrechtlichen Sanktionen
4. Wechselwirkungen zwischen zentralem und dezentralem Rechtsschutz
II. Praktische Bedeutung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung in Europa
1. Rückblick
2. Vergleich mit dem US‑amerikanischen Kartellrecht
3. Früheres Freistellungsmonopol der Kommission als Hindernis für die private Kartellrechtsdurchsetzung
III. Paradigmenwechsel im Europäischen Kartellrecht
1. Dezentralisierung der Kartellrechtsdurchsetzung durch die VO 1/2003
2. Stärkung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung
a) Der Weg zur Kartellschadensersatz-RL 2014/104
b) Überblick über die Kartellschadensersatz-RL 2014/104
IV. Das deutsche Kartellrecht nach der 7. und 8. GWB-Novelle
1. Leitlinien der Reform
2. Ausgestaltung des Individualschadensersatzes
3. Verbandsklagen
4. Zwischenergebnis
B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen und hieran anknüpfende Rechtsfolgen
I. Nichtigkeit bei Verstoß gegen das Kartellverbot (Art. 101 AEUV)
1. Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV
a) Unionsrechtlicher Begriff
b) Absolute Nichtigkeit
c) Nichtigkeit ex lege
d) Nichtigkeit ex tunc
e) Keine Verjährung
2. Ergänzender Rückgriff auf nationales Recht
3. Auswirkungen der Nichtigkeit auf die Gesamtvereinbarung
a) Grundsatz der Teilnichtigkeit
b) Gesamtnichtigkeit bei fehlender Trennbarkeit der Klauseln
c) Rechtsfolgen der Teilnichtigkeit nach nationalem Recht
4. Auswirkungen der Nichtigkeit auf Ausführungs-und Folgeverträge
a) Ausführungsverträge
b) Folgeverträge
aa) Rechtsprechung des EuGH
bb) Praxis der Kommission
cc) Rechtslage in den Mitgliedstaaten
dd) Auswertung
II. Nichtigkeit bei Verstoß gegen das Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV)
1. Keine direkten unionsrechtlichen Vorgaben
2. Indirekte Vorgaben des Unionsrechts
3. Fallgruppen
4. Nationaler Rechtsrahmen
III. Herausgabeansprüche
1. Unionsrechtliche Vorgaben
2. Ausgestaltung der Rückabwicklung in den Mitgliedstaaten
3. Vorgaben für das deutsche Recht
a) Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 Halbs. 1 BGB)
b) Gesetzesverstoß (§ 817 S. 2 BGB)
c) Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB)
IV. Sonstige Ansprüche
V. Harmonisierungsbedarf?
C. Schadensersatzansprüche
I. Grundsätze
1. Hybrider Anspruch
2. Auslegung und Überprüfung der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 im Lichte der EuGH-Rechtsprechung
3. Primärrechts- und richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts
4. Horizontale Direktwirkung der primär- und sekundärrechtlichen Vorgaben?
5. Funktionen des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs
a) Der Schadensersatzanspruch zwischen Institutionen- und Individualrechtsschutz
b) Effektivität des Unionsrechts versus effektiver Rechtsschutz
c) Meinungsstand
d) Auswertung
e) Zwischenergebnis
II. Haftungsauslösendes Verhalten
1. Verstoß gegen Art. 101, 102 AEUV
2. Nachweis eines Wettbewerbsverstoßes
a) Zugang zu Beweismitteln
b) Beweislast und Beweismaß
c) Bindung an Entscheidungen der Kommission
d) Bindung an Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden
III. Anspruchsberechtigung
1. Kartellbeteiligte
2. Wettbewerber
3. Direktabnehmer
4. Folgeabnehmer
a) Primärrechtliche Vorgaben
b) Die ORWI-Entscheidung des BGH
c) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104
5. Sonstige mittelbar Betroffene
a) Unbegrenzte Anspruchsberechtigung?
b) Kausalität zwischen Wettbewerbsverstoß und Schaden als Frage des Unionsrechts oder des nationalen Rechts?
c) Unionsrechtliche Anforderungen an die Feststellung der Kausalität
d) Rückgriff auf Schutzzweckerwägungen?
6. Zwischenergebnis
IV. Passivlegitimation und gesamtschuldnerische Haftung
1. Anspruchsgegner
2. Gesamtschuldnerische Haftung
3. Privilegierung von Kronzeugen
4. Privilegierung von KMU
V. Art und Umfang des Schadensersatzes
1. Ersatzfähiger Schaden
a) Primärrechtliche Vorgaben
b) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104
2. Ermittlung des ersatzfähigen Schadens
3. Einwand der Schadensabwälzung
a) Problemaufriss
b) Rückgriff auf die Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Erstattungsanspruch?
c) Die ORWI-Entscheidung des BGH
d) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104
4. Verhinderung einer Über- und Unterkompensation
a) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104
b) Streitverkündung
c) Innenausgleich zwischen den Geschädigten?
d) Verfahrenskonzentration
VI. Verschulden?
1. Offene Fragen
2. Übertragbarkeit der Antidiskriminierungs-und Staatshaftungsrechtsprechung?
3. Zwischenergebnis
VII. Mitverschulden und Obliegenheit zur Schadensminderung
VIII. Verjährung
IX. Zugang zu Beweismitteln
1. Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104
2. Keine Offenlegung von Kronzeugenerklärungen
a) Primärrechtliche Vorgaben
b) Primärrechtswidrige Privilegierung von Kronzeugen in der Kartellschadensersatz-RL 2014/104
3. Zwischenergebnis
X. Kollektive Schadensersatzklagen
1. Ausgangssituation
2. Pläne der Europäischen Kommission
3. Auswertung
XI. Zusammenfassende Bewertung
D. Negatorischer Rechtsschutz
I. Praktische Bedeutung
II. Unionsrechtliche Vorgaben
1. Individueller Rechtsschutz
2. Sonderfall „Kontrahierungszwang“
a) Verstöße gegen das Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV)
b) Verstöße gegen das Kartellverbot (Art. 101 AEUV)
3. Kollektiver Rechtsschutz
III. Ausgestaltung in den Mitgliedstaaten
1. Individueller Rechtsschutz
2. Kollektiver Rechtsschutz
IV. Perspektiven
E. Bedeutung des EU‑Wettbewerbsrechts für das europäische Haftungsrecht
I. Ausstrahlung auf das nationale Wettbewerbsrecht
II. Ausstrahlung auf das nationale Haftungsrecht
III. Auf dem Weg zu einem europäischen Haftungsrecht
IV. Fazit
§ 8 Das beihilferechtliche Durchführungsverbot
A. Private Durchsetzung des Beihilferechts
B. Aufgabenverteilung zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten
I. Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit durch die Kommission
II. Sanktionierung formell rechtswidriger Beihilfen durch die mitgliedstaatlichen Gerichte
III. Probleme der Aufgabenverteilung
1. Bisherige Rechtslage
2. Neuere EuGH-Rechtsprechung: Bindungswirkung von Eröffnungsbeschlüssen der Kommission
3. Auswertung
C. Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen im Verhältnis zwischen Beihilfegeber und Beihilfenehmer
I. Anwendung des nationalen Rechts
II. Nichtigkeit oder schwebende Unwirksamkeit des beihilfegewährenden Vertrags?
1. Die Rechtsprechung des BGH
2. Die CELF-Rechtsprechung des EuGH
3. Folgerungen für das deutsche Recht
III. Reichweite des Durchführungsverbots
1. Unionsrechtliche Vorgaben: Keine zwingende Gesamtnichtigkeit des Vertrags
2. Aufrechterhaltung des Vertrags mit beihilferechtskonformem Inhalt
IV. Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung
1. Anspruchsgrundlage
2. Kein Ausschluss der Rückforderung nach §§ 814, 817 S. 2 BGB
3. Vertrauensschutz und Wegfall der Bereicherung
4. Verzinsung des Rückforderungsbetrags
V. Einstweiliger Rechtsschutz
D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten bei Verstößen gegen das Durchführungsverbot
I. Rechtsschutzauftrag der einzelstaatlichen Gerichte
1. Das Durchführungsverbot als subjektives Recht
2. Klagebefugnis und Rechtsschutzinteresse
3. Mögliche Rechtsbehelfe des Konkurrenten
II. Unionsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung mitgliedstaatlicher Rechtsbehelfe
1. Anwendung des nationalen Rechts
2. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den Beihilfegeber
3. Schadensersatzansprüche gegen den Mitgliedstaat
4. Ansprüche gegen den Beihilfeempfänger?
5. Einstweiliger Rechtsschutz
III. Rechtslage in Deutschland
1. Überblick
2. Deliktische Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den Beihilfegeber
3. Lauterkeitsrechtliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den Beihilfegeber
4. Schadensersatzansprüche gegen den Beihilfegeber und Staatshaftungsansprüche
5. Ansprüche gegen den Beihilfeempfänger?
6. Einstweiliger Rechtsschutz
IV. Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten
1. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche
2. Schadensersatzansprüche
V. Praktische und rechtliche Probleme der Konkurrentenklage
E. Perspektiven
§ 9 Antidiskriminierungsrecht
A. Diskriminierungsverbote, subjektive Rechte und Privatautonomie
I. Marktbezogene und sozialpolitische Diskriminierungsverbote
II. Unbestimmte Rechtsfolgen, Sanktionsverpflichtung und subjektive Rechte
III. Diskriminierungsschutz und Privatautonomie
IV. Gang der Untersuchung
B. Diskriminierungsverbote im Primärrecht und ihre Sanktionierung
I. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit (Art. 157 AEUV)
1. Ursprüngliche Konzeption als objektiv-rechtliche Norm
2. Anerkennung als subjektives Recht
3. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich
4. Konkretisierung der Zivilrechtsfolgen durch den EuGH
II. Der Gleichbehandlungsgrundsatz als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts
1. Entwicklungslinien
2. Horizontale Direktwirkung?
C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung
I. Überblick über den Stand der Rechtsentwicklung
1. Diskriminierungsverbote im Arbeitsrecht
2. Diskriminierungsverbote im allgemeinen Zivilrecht
II. Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts zur Ausgestaltung der Rechtsfolgen
1. Grundsatz der Wahlfreiheit
2. Konkretisierung der Zivilrechtsfolgen durch den EuGH
a) Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung
b) Diskriminierende Entlassung
c) Generelle Pflicht zur Einführung zivilrechtlicher Sanktionen?
d) Abstrakte Diskriminierungen
3. Ergebnis
III. Schadensersatz bei Verstoß gegen Diskriminierungsverbote
1. Sekundärrechtliche Vorgaben
a) Art. 18, 25 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54
b) Art. 8 Abs. 2 Gender-RL 2004/113
c) Art. 8 Abs. 2 Antirassismus-RL 2000/43
2. Funktionen des Schadensersatzes
3. Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung
4. Umfang des Schadensersatzes
a) „Schadenersatz oder Entschädigung“ im Sinne des Art. 18 S. 1 RL 2006/54
b) Ersatzfähigkeit materieller und immaterieller Schäden
c) Haftungshöchstgrenzen
5. Ausschluss- und Verjährungsfristen
IV. Sonstige zivilrechtliche Rechtsfolgen
1. Kein Kontrahierungszwang nach Unionsrecht
2. Unwirksamkeit diskriminierender Rechtsgeschäfte und hieran anknüpfende Rechtsfolgen
3. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche
V. Beteiligung von Verbänden
VI. Notwendigkeit flankierender öffentlich-rechtlicher Sanktionen?
1. Rechtslage in den Mitgliedstaaten
2. Vorgaben des Unionsrechts
D. Folgerungen für das deutsche Recht
I. Regelungsstruktur des AGG
II. Ausgestaltung der Rechtsfolgen im Arbeitsrecht
1. Verschuldensabhängiger Schadensersatzanspruch
2. Haftungsobergrenze für immaterielle Schadensersatzansprüche
3. Ausnahme diskriminierender Kündigungen vom Anwendungsbereich des AGG
III. Ausgestaltung der Rechtsfolgen im allgemeinen Zivilrecht
1. Verschuldensabhängiger Anspruch auf Ersatz materieller Schäden
2. Kein Schutz vor Viktimisierung
IV. Keine Sanktionen bei abstrakter Diskriminierung
V. Ergebnis
E. Ausblick: Das Sanktionssystem in den ACQP und im DCFR
I. Regelungsgehalt
II. Auswertung
§ 10 Verbraucherrecht
A. Einleitung
I. Revision des Verbraucherrechts und Harmonisierung des Europäischen Privatrechts
II. Unbestimmte Rechtsfolgen im Verbraucherrecht
III. Gang der Darstellung
B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts
I. Ausgangssituation nach den Römischen Verträgen (1957 – 1975)
II. Verbraucherschutzpolitik in der zweiten Phase (1975 – 1985)
III. Die dritte Phase (1985 – 2001)
1. Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarkts und Einheitliche Europäische Akte
2. Maastricht – Amsterdam – Lissabon: Das Modell des „confident consumer“
3. Das Problem der Mindestharmonisierung
IV. Die vierte Phase (2001 – )
1. Revision des Europäischen Verbraucherrechts
a) Die neue Strategie: Horizontaler Ansatz und Vollharmonisierung
b) Überprüfung des Verbraucherrechts
c) Der Richtlinienvorschlag aus dem Jahr 2008
d) Die neue VRRL 2011/83
2. Der akademische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen
3. Der Verordnungsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht
4. Die Legislativvorschläge zum digitalen Binnenmarkt
V. Gegenwärtiger Bestand des Verbraucherrechts
1. Europäisches Verbraucherrecht
a) Verbraucherrecht als Rechtsgebiet
b) Systematik des europäischen Verbraucherrechts
aa) Allgemeiner Teil
bb) Besonderer Teil
cc) Rechtsdurchsetzung
2. Europäisches Privatrecht jenseits des Verbraucherrechts
a) Europäisches Reiserecht
b) Europäisches Finanzdienstleistungsrecht
c) Dienstleistungen von allgemeinem Interesse
d) Reiner B2B-Bereich
3. Mitgliedstaatliche Gesetzgebungstechniken bei Umsetzung verbraucherschützender Richtlinien
a) Umsetzung in Einzelgesetzen
b) Umsetzung im Verbrauchergesetzbuch
c) Gemischte Ansätze
d) Integration unionsrechtlicher Vorgaben in das Zivilgesetzbuch
4. Ergebnis
C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich
I. Private Rechtsdurchsetzung
1. Individuelle und kollektive Rechtsbehelfe
2. Unterlassungsklagen
3. Kollektive Schadensersatzklagen
a) Überblick
b) Gruppenklagen
c) Verbandsklagen
d) Musterverfahren
4. Außergerichtliche Streitbeilegung
a) Unionsrechtliche Vorgaben
b) Kritik
II. Rechtsdurchsetzung durch Verwaltungsbehörden
1. Unionsrechtliche Vorgaben: Die CPC-VO 2006/2004
2. Rechtslage in den Mitgliedstaaten
a) Administrative Rechtsdurchsetzung
b) Rein private Rechtsdurchsetzung
III. Strafrechtliche Sanktionen
1. Überblick
2. Frankreich
3. Vereinigtes Königreich
IV. Folgerungen für die deutsche Rechtslage
1. Auswertung
2. Sanktionsdefizite im deutschen Recht bei Streuschäden
3. Administrative Durchsetzung des Verbraucherrechts in Deutschland?
4. Kein Bedarf an strafrechtlichen Sanktionen
5. Ergebnis
D. Vorvertragliche Informationspflichten
I. Das Informationsparadigma
1. Informationspflichten als Kernbestandteil des Verbraucherrechts
2. Grenzen des Informationsmodells
II. Systematisierung der verbraucherschützenden Informationspflichten
1. Individual- und marktordnungsrechtliche Funktion vorvertraglicher Informationspflichten
2. Gründe für das Entstehen von Informationspflichten
a) Situative und vertragstypbezogene Informationspflichten
b) Allgemeine verbraucherschützende Informationspflichten
3. Informationsinhalte
4. Formale Anforderungen: Transparenz- und Formerfordernisse
5. Zeitpunkt der Informationserteilung
6. Auswertung
III. Rechtsbehelfe und Sanktionen im geschriebenen Unionsrecht
1. UKlaRL 2009/22
2. UGP-RL 2005/29
a) Informationspflichtverstöße als unlautere Geschäftspraktik
b) Regelung der Sanktionen in der UGP-RL 2005/29
c) Keine Pflicht zur Einführung individueller Rechtsbehelfe des Verbrauchers
d) Ausgestaltung der Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten . .
e) Ergebnis
3. VRRL 2011/83
4. FDL-FARL 2002/65, VerbrKrRL 2008/48 und Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17
5. TSRL 2008/122
6. KaufRL 99/44
7. Klausel-RL 93/13
8. Sonstiges Sekundärrecht
IV. Systematisierung der Rechtsfolgen unter Berücksichtigung der effet utile-Rechtsprechung
1. Systematisierung, Konkretisierung und Herleitung von Zivilrechtsfolgen bei Informationspflichtverstößen
2. Zustandekommen und Wirksamkeit des Vertrags
a) Vorvertragliche Pflichtangaben als essentialia negotii?
b) Mangelndes Erklärungsbewusstsein aufgrund unterlassener Pflichtangaben
c) Keine absolute Nichtigkeit des Vertrags bei unterlassener Information
d) Rechtsvergleich
3. Vertragsinhalt
a) Keine Bindung an ungünstige Vertragsbestandteile bei unterlassener Information
b) Bindung an „unzutreffende“ vorvertragliche Informationen
c) Exkurs: Öffentliche Aussagen des Unternehmers als Angebot?
4. Anspruch auf Information?
5. Vertragslösungsrechte
a) Begründung eines ungeschriebenen unionalen Vertragslösungsrechts?
b) Sperrwirkung der Widerrufsregeln?
c) Vertragslösungsrechte im deutschen Recht
aa) Anfechtungsrechte
bb) Culpa in contrahendo
d) Vertragslösungsrechte im DCFR
6. Schadensersatzansprüche
a) Vorgaben des EuGH in den Fällen Schulte und Crailshaimer Volksbank
b) Bedeutung der EuGH-Entscheidungen für die Schadensersatzhaftung bei Informationspflichtverstößen im Allgemeinen
c) Schadensersatzansprüche in den ACQP und im DCFR
7. Unterlassungsansprüche?
8. Sonstige Rechtsfolgen
V. Auswertung
1. Individuelle Rechtsbehelfe
2. Bedarf an flankierenden überindividuellen Sanktionen
E. Widerrufsrechte
I. Bestand der verbraucherschützenden Widerrufsrechte
1. Inkohärente Regelungen im Sekundärrecht
2. Ratio und Effektivität der Widerrufsrechte
II. Voraussetzungen des Widerrufs
1. Widerrufsfrist
a) Reguläre Widerrufsfrist
b) Beginn der regulären Widerrufsfrist
c) Verlängerte Widerrufsfrist bei Verstoß gegen Informationspflichten
aa) Verstoß gegen Widerrufsbelehrungspflichten
bb) Verstoß gegen sonstige Informationspflichten
d) Maximalfrist vs. ewiges Widerrufsrecht
e) Verwirkung des Widerrufsrechts?
2. Ausübung des Widerrufsrechts
III. Rechtslage während der Widerrufsfrist
1. Schwebende Wirksamkeit des Vertrags
2. Verbot des Leistungsaustauschs
3. Erlöschen des Widerrufsrechts bei Erfüllung
IV. Rechtsfolgen des Widerrufs
1. Allgemeine Wirkungen des Widerrufs
2. Pflichten des Unternehmers
3. Pflichten des Verbrauchers
a) Rückgewähr der Waren und Rücksendekosten
b) Wertersatz für Waren
c) Wertersatz für Dienstleistungen
4. Akzessorische Verträge
V. Ergebnis
F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln
I. Zum gegenwärtigen Harmonisierungsstand
1. Status quo
2. Keine Harmonisierung durch die Verbraucherrechte-RL 2011/83
3. ACQP und DCFR
II. Allgemeine Missbrauchskontrolle gem. Art. 3 Klausel-RL 93/13
1. Konzept der Klausel-RL 93/13
a) Erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten
b) Verstoß gegen Treu und Glauben
c) Weitere Kriterien
2. Bedeutung des Richtlinienanhangs
a) Frühere EuGH-Rechtsprechung
b) Neuere EuGH-Rechtsprechung
3. Konkretisierung des Missbrauchstatbestands in der Rechtsprechung des EuGH
4. Rechtsfolgen
a) Unverbindlichkeit missbräuchlicher Klauseln
b) Verbot der geltungserhaltenden Reduktion
c) Restgültigkeit des Vertrags ohne missbräuchliche Klausel
d) Lückenfüllung durch Rückgriff auf dispositives Recht und ergänzende Vertragsauslegung?
e) Erstattungsansprüche
5. Unionsrechtliche Vorgaben für das nationale Gerichtsverfahren
III. Das Transparenzgebot gem. Art. 5 Klausel-RL 93/13
1. Maßstab für die Klauseltransparenz
a) Klarheit und Verständlichkeit von Klauseln
b) Das Transparenzgebot als Informationsobliegenheit
c) Leitbilder
d) Vertragsschlussbegleitende Umstände
2. Rechtsfolgen
a) Auslegung intransparenter Klauseln
b) Unverbindlichkeit von Klauseln bei reiner Intransparenz?
c) Ausgestaltung der Rechtsfolgen im mitgliedstaatlichen Recht
3. Auswertung
IV. Kollektive Verfahren der Rechtsdurchsetzung gem. Art. 7 Klausel-RL 93/13
1. Überblick
2. Administrative Kontrolle missbräuchlicher Klauseln
3. Gerichtliche Kontrolle missbräuchlicher Klauseln
a) Ausgestaltung der Unterlassungsklage
b) Auswirkungen eines Unterlassungsurteils auf Individualverträge
c) Einführung eines Folgenbeseitigungsanspruchs?
d) Weitere unionsrechtliche Vorgaben für das nationale Gerichtsverfahren
4. Erweiterung der Klagemöglichkeiten durch die UGP-RL 2005/29?
5. Auswertung
V. Ergebnis
G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter
I. Begrenzte Harmonisierungswirkung der Verbrauchsgüterkauf-RL 99/44
II. Recht des Verbrauchers auf Abhilfe
1. Hierarchie der Rechtsbehelfe
2. Wahlrecht des Verbrauchers zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung
3. Umfang der geschuldeten Abhilfe
a) Ausgangssituation nach der Verbrauchsgüterkauf-RL 99/44
b) In der Richtlinie ungeregelte Fragen
4. Vorgaben des EuGH im Fall Quelle
a) Kein Anspruch des Verkäufers für gezogene Nutzungen und künftige Vermögensvorteile bei Neulieferung
b) Wertersatzanspruch des Verkäufers bei Verschlechterung oder Untergang der zurückzugebenden Sache?
5. Vorgaben des EuGH im Fall Gebr. Weber & Putz
a) Verschuldensunabhängiger Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz von Folgekosten in den Einbaufällen
b) Kein Verweigerungsrecht des Verkäufers bei absoluter Unverhältnismäßigkeit, aber Herabsetzung des Kostenerstattungsanspruchs
6. Ungeklärte Folgefragen
a) Ort der Abhilfehandlungen
b) Selbstvornahmerecht des Verbrauchers?
c) Ersatz weiterer mangelbedingter Folgeschäden?
III. Recht des Verbrauchers auf Minderung und Vertragsauflösung
1. Gemeinsame Voraussetzungen
a) Ablauf einer angemessenen Abhilfefrist
b) Abhilfe mit erheblichen Unannehmlichkeiten: Minderung und Vertragsauflösung trotz erfolgreicher Abhilfe?
2. Minderung
3. Vertragsauflösung
a) Ausschluss bei geringfügiger Vertragswidrigkeit
b) Folgen der Vertragsauflösung
IV. Unionsrechtliche Vorgaben für das nationale Gerichtsverfahren
1. Allgemeine Grundsätze
2. Berücksichtigung der Richtlinienvorgaben von Amts wegen?
V. Ergebnis
H. Zusammenfassung und Thesen
4. Teil: Schlussbetrachtung und Zusammenfassung
§ 11 Perspektiven der Harmonisierung
A. Harmonisierungsbedarf
I. Status quo
II. Stärkung der Effektivität des Unionsrechts
III. Abbau von Wettbewerbsverzerrungen
IV. Spezifische Probleme bei grenzüberschreitenden Verstößen
V. Wettbewerb der Rechtsordnungen?
VI. Berücksichtigung nationaler Rechtskulturen
VII. Judikative oder legislative Rechtsangleichung?
B. Rechtssetzungskompetenz
I. Bereichsspezifische Annexkompetenzen
II. Binnenmarktkompetenz
III. Subsidiaritätsgrundsatz
IV. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
C. Ergebnis und Ausblick
§ 12 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
A. Ausgangsbefund
B. Grundlegung
C. Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Primär- und Sekundärrecht
D. Perspektiven der Harmonisierung
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 212

Martin Ebers

Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht

Mohr Siebeck

Martin Ebers, geboren 1970; Studium der Rechtswissenschaften und Philosophie an der FU Berlin; 2001 Promotion; Wissenschaftlicher Assistent an der WWU Münster; Forschung und Lehre in Barcelona, Budapest, Salamanca, Berlin; 2016 Habilitation an der HU-Berlin; seit 2015 Vertretungsprofessuren an der Leibniz Universität Hannover und an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. e-ISBN PDF 978-3-16-154871-0 ISBN 978‑3‑16‑154870‑3 ISSN 0940‑9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016  Mohr Siebeck Tübingen.  www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

It is a vain thing to imagine a right without a remedy; for want of right and want of remedy are reciprocal. Holt, C. J., Ashby v. White [1703] 92 E.R. 126, 136

Vorwort Der europäische Integrationsprozess steckt gegenwärtig in einer tiefen Krise. Der Ausbruch der immer noch nicht bewältigten globalen Finanz- und europäischen Staatsschuldenkrise, der in letzter Sekunde abgewendete Austritt Griechenlands aus der Wirtschafts- und Währungsunion im Jahre 2015, das Aufkeimen EU‑kritischer und rechtspopulistischer Parteien in ganz Europa, die Zersetzung demokratischrechtsstaatlicher Strukturen in Ungarn und Polen, der faktische Zusammenbruch des Schengen- und Dublin-Raums im Zuge der Flüchtlingskrise, und nicht zuletzt das Brexit-Referendum aus dem Jahre 2016 haben ins Bewusstsein gerufen, wie fragil die Idee einer „immer engeren Union der Völker Europas“ (Art. 1 Abs. 2 EUV) letztlich ist. Angesichts dieser Entwicklungen mehren sich die Stimmen derjenigen, die an der Leistungsfähigkeit des Rechts überhaupt zweifeln und dem Konzept der Europäischen Union als „Rechtsgemeinschaft“ (Walter Hallstein) kritisch gegenüberstehen. Richtig ist, dass in einer supranationalen Rechtsordnung wie der Europäischen Union nicht allein das Recht die große Aufgabe bewältigen kann, die bestehenden historischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen und in den Mitgliedstaaten zu überbrücken. Richtig ist aber auch, dass die für einen supranationalen Staatenverbund beispiellose Erfolgsgeschichte der Europäischen Union in den letzten Jahrzehnten wesentlich auf dem schrittweisen Ausbau der Unionsrechtsordnung und auf der rechtsfortbildenden Effektivitäts-Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union beruht. Teilt man diese Ansicht, so folgt daraus, dass gerade in Krisenzeiten verstärkt auf die integrierende und legitimierende Kraft des (Unions‑)Rechts gesetzt werden muss. Gerade insoweit besteht dringender Handlungsbedarf. Nicht nur ist die gegenwärtige Situation darauf zurückzuführen, dass vereinbarte Regeln systematisch missachtet wurden. Häufig fehlt es auch an wirksamen Mechanismen, mit denen Verstöße gegen das geltende Unionsrecht effektiv sanktioniert werden können. Die vorliegende Arbeit, die im Wintersemester 2015/2016 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Habilitationsschrift angenommen wurde, widmet sich einem Teilaspekt dieser Problematik, wenngleich aus ganz anderer Perspektive, indem sie den Fokus auf das Unionsprivatrecht richtet: Welche Ansprüche haben Privatpersonen und Unternehmen, wenn gegen unionsrechtlich fundierte Normen verstoßen wird? Unter welchen Voraussetzungen bestehen Abwehr‑, Unterlassungs‑, Bereicherungs- oder Schadensersatzansprüche, wenn dem EU Recht zuwider gehandelt wird? – Um diese Fragen zu untersuchen, wird der Versuch unternommen, die weit verästelte Effektivitäts-Rechtsprechung des EuGH systematisch zu rekonstruieren und eine allgemeine Theorie der im Unionsrecht wurzelnden (subjektiven) Rechte zu entwickeln. Außerdem wird danach gefragt, wie ein Verstoß gegen Unionsnormen im nationalen (Privat‑)Recht sanktioniert werden muss. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Grundfreiheiten, dem Kartell- und Bei-

VIII

Vorwort

hilferecht sowie dem Antidiskriminierungs- und Verbraucherrecht. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur konnten bis Juni 2016 weitgehend berücksichtigt werden; alle Nachweise aus dem Internet wurden bis zu diesem Datum überprüft. Nachdem der Verordnungsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht Ende 2014 von der Europäischen Kommission zurückgezogen wurde, habe ich einschlägige Abschnitte – auch mit Blick auf den großen Umfang der Arbeit – für die Drucklegung herausgenommen. Für die vorliegende Arbeit habe ich vielfältige Unterstützung erhalten. Mein großer Dank gilt zunächst meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, für die in jeder Hinsicht gewährte Förderung, Unterstützung und kritische Begleitung während der Entstehung der Arbeit. Herrn Prof. Dr. Hans-W.  Micklitz danke ich für anregende Gespräche, die letztlich dazu geführt haben, über das Thema zu schreiben. Ebenso danke ich meinem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Axel Metzger, für wertvolle weiterführende Kritik und das der Arbeit entgegengebrachte Interesse. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Reiner Schulze sowie Herrn Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke danke ich, dass ich während meiner Zeit als Wissenschaftlicher Assistent an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster an zahlreichen Forschungsprojekten für die Europäische Kommission mitwirken sowie an den spannenden Sitzungen der Acquis Group teilnehmen konnte. Auch bei meinen ausländischen Kollegen und Freunden möchte ich mich herzlich für ihren Zuspruch und ihre Gesprächsbereitschaft bedanken. Besonders verpflichtet bin ich meinen Kollegen von der Universitat de Barcelona, insbesondere Prof. Dr. Ferran Badosa Coll, Prof. Dra. Esther Arroyo Amayuelas und Prof. Dr. Jordi Nieva Fenoll, sowie Prof. Dra. Susana Navas Navarro von der Universitat Autònoma de Barcelona und Prof. Dr. Sergio Cámera Lapuente von der Universidad de la Rioja. Für Gastfreundschaft und weiterführende Gespräche in Oxford danke ich Prof. Dr. Simon Whittaker, St. John’s College. Mein Dank gilt ferner Herrn Dr. Gillig und dem Verlag Mohr Siebeck für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Jus Privatum sowie der VG Wort für einen großzügig gewährten Druckkostenzuschuss. Einschließen in meinen Dank möchte ich ferner Frau Jessica Balcke und Herrn Cristian Oganesian, die mich tatkräftig bei der Aktualisierung der Fußnoten unterstützt haben. Besonderen Dank schulde ich meiner Mutter, die das gesamte Manuskript mehrmals Korrektur gelesen hat. Herzlich danken möchte ich schließlich meinen Freunden, Kollegen und Diskussionspartnern, namentlich PD Dr. André Janssen, PD Dr. Olaf Meyer, Dr. Christian Nabe, Boglárka Balogh und Dr. Gabór Rekettye. Gewidmet ist diese Schrift meiner Tochter Sofía, die mit ihren strahlenden Augen für manchen Lichtblick in der Zeit gesorgt hat, in der diese Arbeit entstanden ist. Berlin, im September 2016

Martin Ebers

Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLI Verzeichnis der zitierten Sekundärrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLVII

1. Teil Einleitung § 1 Problemstellung und Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Unbestimmte (Zivil‑)Rechtsfolgen im Primär- und Sekundärrecht B. Konkretisierung unbestimmter Rechtsfolgen durch den EuGH . . . . C. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 3 4 7 9

§ 2 Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Unionsrechte als Ergebnis europäischen Richterrechts . . . . . . . . . . . B. Die 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die 1970er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die 1980er und 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Die Jahre ab 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 11 15 17 20 33 43

2. Teil Grundlegung § 3 Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte . . . . . . . . . . . . . A. Auf der Suche nach einer Theorie der Unionsrechte: Mission impossible? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Unionsrechte und unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4 Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts für die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Grundfreiheiten und nationale Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 52 87 97 126 195 196 234

X

Inhaltsübersicht

C. Das Effektivitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das Äquivalenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot . . . . . . F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5 Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung B. Justizielle Durchsetzung des Unionsprivatrechts im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249 327 344 375 379 379 430

3. Teil Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Primär- und Sekundärrecht § 6 Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die subjektiv-rechtliche Dimension der Grundfreiheiten . . . . . . . . . B. Die Grundfreiheiten als transnationale Wirtschaftsrechte . . . . . . . . . C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte D. Die Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte . . . . . . . . . . . . . E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

457 457 458 468 491 498 521

§ 7 Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Grundstrukturen und Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen und hieran anknüpfende Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Negatorischer Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Bedeutung des EU‑Wettbewerbsrechts für das europäische Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

525 526

§ 8 Das beihilferechtliche Durchführungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Private Durchsetzung des Beihilferechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Aufgabenverteilung zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen im Verhältnis zwischen Beihilfegeber und Beihilfenehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten bei Verstößen gegen das Durchführungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

645 645

§ 9 Antidiskriminierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Diskriminierungsverbote, subjektive Rechte und Privatautonomie B. Diskriminierungsverbote im Primärrecht und ihre Sanktionierung C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

695 695 698

543 566 628 638

648 655 669 692

703

Inhaltsübersicht

XI

D. Folgerungen für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Ausblick: Das Sanktionssystem in den ACQP und im DCFR . . . . .

726 732

§ 10 Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts . . . . C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . D. Vorvertragliche Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Widerrufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln . . . . . . . . . . . G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Zusammenfassung und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

735 735 737 770 798 856 878 921 957

4. Teil Schlussbetrachtung und Zusammenfassung § 11 Perspektiven der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Harmonisierungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtssetzungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

967 967 982 989

§ 12 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ausgangsbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Primär- und Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Perspektiven der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

991 991 991 998 1005

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1007 1109

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLI Verzeichnis der zitierten Sekundärrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLVII

1. Teil Einleitung § 1 Problemstellung und Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Unbestimmte (Zivil‑)Rechtsfolgen im Primär- und Sekundärrecht B. Konkretisierung unbestimmter Rechtsfolgen durch den EuGH . . . . C. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 3 4 7 9

§ 2 Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Unionsrechte als Ergebnis europäischen Richterrechts . . . . . . . . . . . I. Effet utile als bestimmende Auslegungsmethode . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsprechungsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Van Gend & Loos: Rechte des Einzelnen als Attribut einer neuen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Costa/ENEL: Gemeinschaftsrecht als autonome und vorrangige Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die 1970er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundfreiheiten und sonstige Vertragsvorschriften als subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anerkennung der Gemeinschaftsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . III. Rewe und Comet: „Entdeckung“ des Effektivitätsund Äquivalenzgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die 1980er und 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verschärfung des Effektivitätsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Grundsatz der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Entwicklung neuer Rechtsbehelfe im öffentlichen Recht . . . . . . 1. San Giorgio: Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch . . . 2. Factortame I: Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Francovich: Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 11 11 14 15 15 16 17 17 19 19 20 21 23 25 26 26 27 28

XIV

Inhaltsverzeichnis

4. Rechtsbehelfe im Antidiskriminierungs‑, Umweltund Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Revision der Rechtsprechung ab Mitte der 1990er Jahre? . . . . . . E. Die Jahre ab 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwicklung neuer privatrechtlicher Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . 1. Courage und Manfredi: Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Muñoz: Lauterkeitsrechtliche Ansprüche betroffener Konkurrenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mangold und Kücükdeveci: Unmittelbar wirkende Diskriminierungsverbote im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Heininger, Schulte und Crailshaimer Volksbank: Rechtsfolgen bei nicht ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konkretisierung unbestimmter Privatrechtsfolgen . . . . . . . . . . . 1. im Reiserecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. im Verbrauchervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. im Produkthaftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verstärkte Einwirkung auf das nationale Zivilprozessrecht . . . . F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30 32 33 33 35 35 35 36 37 38 38 39 40 40 43

2. Teil Grundlegung § 3 Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte . . . . . . . . . . . . . A. Auf der Suche nach einer Theorie der Unionsrechte: Mission impossible? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsvergleichende und historisch-vergleichende Grundlegung 1. Die Entwicklung auf dem europäischen Kontinent . . . . . . . . a) Vom prozessualen zum materiellen Rechtsdenken . . . . . . b) Die Anspruchskonzeptionen Savignys und Windscheids . c) Verschränkung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht in romanischen Rechtsordnungen . . . . . . . . . d) Neuere Entwicklungen: Materialisierung des Prozessrechts. Klagen ohne Anspruch . . . . . . . . . . . . . 2. Das remedy-Konzept des common law . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ursprünge des aktionenrechtlichen Denkens . . . . . . . . . . . b) Tendenzen zur Überwindung des aktionenrechtlichen Denkens in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das unionsrechtliche Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Autonome Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unionsrechte, subjektive Rechte, Rechte des Einzelnen, individuelle Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 52 54 54 54 56 58 60 62 62 64 66 68 68 68

Inhaltsverzeichnis

b) Subjektives Recht und objektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektives Recht und Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Reihenfolge zwischen Rechtsentstehung und Rechtsschutzgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Typologie der Unionsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Subjektiv-öffentliche und subjektiv-private Unionsrechte b) Claim-rights, liberties and powers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsbehelfe und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschriebenes Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgerungen für die Auslegung der Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, 47 Abs. 1 GRC . . . . . . . . . . . 4. Materiell-rechtliches oder prozessuales Verständnis der Unionsrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermessen der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rezeptionsmöglichkeiten im öffentlichen Recht . . . . . . . . c) Rezeptionsmöglichkeiten im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . d) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Unionsrechte und unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unzureichende Differenzierung in der Judikatur des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unionsrechte ohne unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unionsrechte als Folge der unmittelbaren Wirkung? . . . . . . . . . . 1. Defensive Durchsetzung des Unionsrechts: Evokationsrecht (invocabilité) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offensive Durchsetzung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Normenvollzugsanspruch? . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeiner Schutz reiner Vermögensinteressen? . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unmittelbare Wirkung und Richtlinienumsetzung: Zwei Kategorien der Rechtsbegründung? . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mobilisierung des Einzelnen zur Durchsetzung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ineffizienz der zentralen Durchsetzung des Unionsrechts . . . 2. Funktionalisierung der subjektiv-öffentlichen Rechte . . . . . . a) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Demokratietheoretische Einwände gegen das Konzept der Funktionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Überlastung der Gerichte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Berechtigte Interessen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Funktionalisierung der subjektiv-privaten Rechte . . . . . . . . . a) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eindimensionale effet utile-Rechtsprechung: Gefahren für die europäische Privatrechtsgesellschaft? . . .

XV 69 70 72 73 73 75 76 77 78 78 80 81 82 83 85 87 87 87 89 90 90 92 93 93 94 95 96 97 97 97 99 99 101 102 103 104 104 106

XVI

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c) Funktionalisierung des Haftungsrechts durch Einführung eines Strafschadensersatzes? . . . . . . . . . II. Effet utile versus effektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Divergenzen zwischen dem Rechtsschutz zur Durchsetzung und zur Abwehr des Unionsrechts . . . . . . a) Zugang zu den nationalen Gerichten und zu den Unionsgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorläufiger Rechtsschutz gegen unionsrechtswidriges nationales Recht und gegen primärrechtswidriges Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . 2. Konflikte zwischen dem effet utile und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes bei Durchführung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Effet utile versus Vertrauensschutz bei Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Effet utile versus reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Spezifische Konfliktlagen im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Folgerungen für die Ermittlung der Unionsrechte . . . . . . . . . . . . E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Direkt und indirekt begründete Unionsrechte . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) im öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einheitliche Konzeption der Unionsrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung der prozessualen Ausgangssituation für die Ermittlung der Unionsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorabentscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertragsverletzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nichtigkeitsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einheitliche Kriterien für sämtliche Rechtsquellen? . . . . . . . . 4. Differenzierung zwischen subjektiv-öffentlichen und subjektiv-privaten Unionsrechten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unionsrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbindungslinien zwischen den subjektiv-öffentlichen und subjektiv-privaten Rechten aus deutscher Perspektive c) Rechtsgutorientierte Differenzierung im Unionsrecht . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Normcharakter der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normqualität: Primär- und Sekundärrecht, völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hinreichende Bestimmtheit der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . 3. Inhaltliche Unbedingtheit der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . 4. Bestimmbarkeit des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

110 114 114 115 117 119 119 120 121 123 125 126 126 126 127 127 129 130 130 130 131 131 132 133 135 136 136 139 140 141 141 141 143 145 146

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IV. Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlicher und privater Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Primat der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung in einigen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . 2. Kein Primat der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Schutzcharakter der verletzten Unionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mitgliedstaatliche Kriterien zur Eingrenzung der Anspruchs- bzw. Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte: Individualrechtsschutz versus objektive Rechtmäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Schutz subjektiv-privater Rechte bei Gesetzesverstößen: Schutzzwecklehre versus offener Deliktstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Staatshaftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Außervertragliche Haftung der Union . . . . . . . . . . . . . . . . f) Sonstiges Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Anwendung der Schutznormtheorie im Fall Peter Paul? h) Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systematisierung der unionsrechtlichen Kriterien . . . . . . . . . . a) Keine Unterscheidung zwischen Allgemeinund Individualinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personaler Bezug des geschützten Rechtsguts . . . . . . . . . . c) Schutz ideeller Interessen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Personelle Reichweite der Unionsrechte . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausschluss der Popularklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tatsächliche Betroffenheit in einem geschützten Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rein faktisch betroffene Dritte – Rechtsschutz für „jedermann“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Personenmehrheiten, insbesondere juristische Personen, Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Inhaltliche Reichweite der Unionsrechte . . . . . . . . . . . . . . aa) Übergreifende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden: Orientierung am sachlichen Schutzzweck der Norm? VI. Abschied von der Schutznormtheorie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XVII 147 148 149 150 150 150 153 157 157 161 162 163 163 164 164 166 170 170 172 173 174 174 175 178 180 183 183 185 190

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§ 4 Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts für die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Verfahrensautonomie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Durchführung“ und Anwendungsbereich des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfahrensautonomie als notwendige Voraussetzung der mitgliedstaatlichen Unionsrechtsdurchführung . . . . . . . . . . . III. Verfahrensautonomie als primärrechtlicher Grundsatz des Unionsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Primärrechtliche Grundlagen der Verfahrensautonomie . . . . . . . 1. Keine Gesamtregelungskompetenz der EU zur Harmonisierung der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bereichsspezifische Annexkompetenzen der Union zur Harmonisierung der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 291 AEUV als Rechtsgrundlage der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie? . . . . . . . . . . . . 4. Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Einheitliche Wirksamkeit des Unionsrechts vs. mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einheitliche Anwendung und Wirksamkeit als prinzipielle Forderungen des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . 2. Kollision des Grundsatzes der einheitlichen Wirksamkeit mit mitgliedstaatlichem Durchführungsrecht . . . . . . . . . . . . . a) Konfliktlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Direkte und indirekte Kollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einheitliche Wirksamkeit als eigenständige Grenze der nationalen Gestaltungsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bewältigung des Konflikts zwischen einheitlicher Wirksamkeit und Verfahrensautonomie über das Effektivitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie und Auslegung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fließender Übergang zwischen direkter und indirekter Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mandat des EuGH zur Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzen der Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kompetenz des EuGH zur Konkretisierung von Sekundärrechtsakten, insbesondere von Richtlinien . . . . a) Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkretisierungskompetenz als Auslegungsfrage . . . . . . . c) Harmonisierungsgrad und Konkretisierungskompetenz

195 196 196 196 197 200 201 201 203 203 203 204 206 208 209 210 210 211 211 212 213 215 217 217 219 220 222 222 224 225

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5. Grenzen der Konkretisierungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktionale Grenzen der Konkretisierung im Vorabentscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausdrücklicher Verweis auf mitgliedstaatliches Recht . . . aa) Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten als Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einschränkende Auslegung ausdrücklicher Verweisnormen in besonderen Fällen . . . . . . . . . . . . . cc) Verweisnormen mit einseitiger Schutzrichtung . . . . . c) Impliziter Verweis auf mitgliedstaatliches Recht . . . . . . . . aa) Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten als begründungsbedürftige Ausnahme . . . . . . . . . . . . . bb) Fehlende oder nicht ausgeübte Rechtssetzungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Berücksichtigung der gewählten Kompetenzgrundlage dd) Fehlende unionsrechtliche Konkretisierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Grundfreiheiten und nationale Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eigenständige Kontrolle nationaler Rechtsfolgen am Maßstab der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die verschiedenen Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konsequenzen der Grundfreiheitenkontrolle . . . . . . . . . . . . . II. Kontrolle straf- und verwaltungsrechtlicher Sanktionen am Maßstab der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kontrolle zivilrechtlicher Rechtsfolgen am Maßstab der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Bereichsausnahme für privatrechtliche Normen . . . . . 2. Eingrenzungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsprechung des EuGH zum allgemeinen Zivilrecht und Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Handelsbeschränkung bei bloßen Rechtsunterschieden „zu ungewiss und indirekt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergänzender Rückgriff auf das allgemeine Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsprechung des EuGH zur Kontrolle von Zivilrechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterlassungsklagen zur Durchsetzung von Verbotsgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtigkeit von Rechtsgeschäften bei Verstoß gegen behördliche Anzeigepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schadensersatz bei Verstoß gegen (tarif‑)vertragliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIX 226 226 226 226 227 228 229 229 230 230 231 232 233 234 235 235 236 237 237 238 239 239 239 241 241 243 244 245 246 247 248

XX

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C. Das Effektivitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die verschiedenen Ausformungen des Effektivitätsgebots . . . . . 1. Effet utile und Effektivitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektiv-rechtliche und subjektiv-rechtliche Dimension des Effektivitätsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Effektivitätsgebot und Recht auf effektiven Rechtsschutz . . . a) Die unterschiedlichen Quellen des Rechts auf effektiven Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ist das Rewe-Effektivitätsgebot mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz deckungsgleich? . . . . . . . . . . . c) Die eigenständige Bedeutung der justiziellen Grundrechte gegenüber dem Rewe-Effektivitätsgebot . . . 4. Sekundärrechtliche Konkretisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kodifikation des Grundsatzes der wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen . . . . . b) Kodifikation des Gebots effektiven Rechtsschutzes . . . . . II. Anwendungsvoraussetzungen des Effektivitätsgebots . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine vorrangig anwendbare Unionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mindestharmonisierung und Effektivitätsgebot . . . . . . . . . . . 4. Vollharmonisierung und Effektivitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . III. Kriterien zur Beurteilung der Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einheitliche Kriterien trotz unterschiedlicher Ausprägungen des Effektivitätsgebots? . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontextbezogene Anwendung des Effektivitätsgebots . . . 2. Praktische Wirksamkeit der betreffenden Maßnahme . . . . . . a) Handlungs- und Unterlassungspflichten der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prinzip der Mindesteffektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verwirklichung der vom Unionsrecht vorgegebenen Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Praktische Wirksamkeit und empirische Erkenntnisse . . . e) Wertende Rechtsvergleichung und Effektivitätsgebot . . . . f) Leitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abschreckende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abschreckung als Teil der Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . b) Abschreckende Wirkung zivilrechtlicher Rechtsbehelfe? . c) Abschreckung durch Prävention, nicht Repression . . . . . . 4. Verhältnismäßigkeit der Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnismäßigkeit als Obergrenze strafund verwaltungsrechtlicher Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnismäßigkeit zivilrechtlicher Rechtsfolgen? . . . . . . IV. Rechtsformenermessen der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sanktionsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Indifferenz des Unionsrechts gegenüber nationalen Ordnungskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249 250 250 251 253 253 256 257 260 260 264 266 266 267 268 269 271 271 271 272 274 274 274 276 277 279 280 282 282 284 286 286 286 288 291 291 291

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b) Bestimmung der Sanktionsart nach unionsrechtlichen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsatz der Wahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sekundärrechtliche Klarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kombination verschiedener Sanktionssysteme . . . . . . . . . . . . a) Zulässige Kombination verschiedener Sanktionsarten . . . b) Notwendige Kombination verschiedener Sanktionsarten . 4. Pflicht zur Einführung bestimmter Sanktionsarten . . . . . . . . . a) Funktionale Äquivalenz der Teilrechtsordnungen? . . . . . . b) Strafrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verwaltungsrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zivilrechtliche Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsgebietsübergreifende Wirkung unionsrechtlicher Vorgaben nach Ausübung mitgliedstaatlichen Rechtsformenermessens? . . . . . . . . . . . . . a) Präzisierung der Fragestellung am Beispiel der Finanzmarktrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Autonomie der zivilrechtlichen Haftungssanktionen gegenüber den Finanzmarktrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Weiterentwicklung der Effektivitätsrechtsprechung anhand des Modells der wechselseitigen Auffangordnungen . . . 1. Das Modell der wechselseitigen Auffangordnungen . . . . . . . . a) Grundgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ökonomische Theorie der optimalen Rechtsdurchsetzung c) Zur normativen Verbindlichkeit des Modells . . . . . . . . . . . 2. Staatliche und private Rechtsdurchsetzung im Vergleich . . . . a) Zugang zu Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sanktionswahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Festsetzung der optimalen Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Private Rechtsdurchsetzung als komplementäres Steuerungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das Äquivalenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Normative Verankerung im allgemeinen Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenwirken von Äquivalenz- und Effektivitätsgebot . . . . V. Voraussetzungen für einen Verstoß gegen das Äquivalenzgebot 1. Aufgabenverteilung zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergleichsfähiges innerstaatliches Recht: „Rein“ nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleichbarkeit der Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXI 292 295 295 296 297 297 299 299 299 301 302 304 305 305 307 309 310 310 310 311 313 315 316 318 320 322 324 327 327 328 329 330 332 332 332 334 334

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b) Bestimmung der Vergleichsgrundlage durch den EuGH 4. Ungünstigere Behandlung unionsrechtlich determinierter Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beispiele für Verstöße gegen das Äquivalenzgebot . . . . . . . . . VI. Rezeption des Äquivalenzgebots in den Mitgliedstaaten . . . . . . . 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot . . . . . . I. Funktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begrenzung des Effektivitätsgebots durch allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verweis auf allgemeine Grundsätze des Unionsrechts oder nationalen Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erweiterung des Effektivitätsgebots durch allgemeine Rechtsgrundsätze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahrensgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Grundsätze des Privatrechts? . . . . . . . . . . . . . . II. Das Rechtsmissbrauchsverbot als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einordnung des Rechtsmissbrauchsverbots . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung des EuGH im öffentlichen Recht . . . . . . b) Rechtsprechung des EuGH im Privatrecht . . . . . . . . . . . . c) Kodifikation des Rechtsmissbrauchsverbots im Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unionsrechtliches oder nationales Rechtsmissbrauchsverbot? a) Vorrang des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufgabenverteilung zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formale Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen – Abgrenzung zum Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Widerspruch zum Zweck der unionsrechtlichen Vorschrift 3. Subjektive Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Begrenzung des Rechtsmissbrauchsverbots durch negative Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen und Wirkungen des Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . V. Ungeklärte Fallgruppen des Rechtsmissbrauchsverbots . . . . . . . 1. Professionelle Diskriminierungskläger („AGG-Hopper“) . . 2. Scheinunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verwirkung verbraucherschützender Widerrufsrechte . . . . . . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

336 337 337 339 339 341 341 343 344 345 345 346 346 348 349 349 350 353 353 355 355 357 359 360 360 362 363 363 364 365 366 367 369 369 370 372 374 375

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§ 5 Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung I. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung . . . 2. Materiell-rechtliche Folgen der unmittelbaren Wirkung . . . . a) Negative unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Positive unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prozessuale Folgen der unmittelbaren Wirkung . . . . . . . . . . . a) Autonome Klagerechte qua unmittelbarer Wirkung? . . . . b) Anwendung unmittelbar wirkender Normen von Amts wegen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertikale unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschriebenes und ungeschriebenes Primärrecht . . . . . . . b) Äquivalenz- und Effektivitätsgebot, Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Horizontale unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschriebenes und ungeschriebenes Primärrecht . . . . . . . b) Äquivalenz- und Effektivitätsgebot, Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertikale Direktwirkung und Verbot der Privatbelastung . . . 2. Negative unmittelbare Wirkung von Richtlinien in Privatverhältnissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Multipolare Rechtsbeziehungen unter Behördenbeteiligung b) Verstöße gegen die Informations-RL 83/189 . . . . . . . . . . . c) Argumente für eine negative unmittelbare Richtlinienwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Argumente gegen eine negative unmittelbare Richtlinienwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Richtlinienkonforme Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Richtlinienkonforme Rechtsfindung und unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unionsrechtliche Vorgaben für die richtlinienkonforme Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Interpretatorische Vorzugsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Äquivalenzgebot und richtlinienkonforme Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Effektivitätsgebot und richtlinienkonforme Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXIII 379 379 379 379 380 380 381 382 382 383 384 384 384 385 386 386 388 389 389 389 390 390 392 393 395 396 398 400 401 401 402 402 403 403 404 406

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c) BGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unionsrechtliche Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Rechtsgrundsätze, insb. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige Grenzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Nationale (deutsche) Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Contra legem-Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewusste Umsetzungsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . cc) Vollständiger Funktionsverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rechtssicherheit und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . 4. Kumulative Anwendung von Richtlinien und Primärrecht . . a) Vor-Mangold-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Entscheidungen Mangold und Kücükdeveci . . . . . . . . aa) Die Urteile des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Allgemeines Verbot der Altersdiskriminierung . . . . . cc) Kombinierte Anwendung von Primär- und Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der Honeywell-Beschluss des BVerfG . . . . . . . . . . . . c) Übertragung der Mangold-Doktrin auf sonstige Unionsgrundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze? . . aa) Gleichheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Freiheitsrechte; Grundsatz des Verbraucherschutzes . cc) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Präzisierung der Mangold-Rechtsprechung im Fall Association de médiation sociale . . . . . . . . . . . . . . V. Horizontale Direktwirkung des Äquivalenz- und Effektivitätsgebots und des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bisherige Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zum Stand der Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Folgerungen aus der Mangold-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Justizielle Durchsetzung des Unionsprivatrechts im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fehlender Individualzugang des Einzelnen zum EuGH in Zivilsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsschutzlücken auf der Ebene des zentralen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Recht auf Vorlageerzwingung aufgrund des Gebots effektiven Rechtsschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kohärenz der Rechtsschutzebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen . . . . . . . . c) Art. 6 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

407 408 408 410 411 411 412 413 414 415 415 416 416 418 418 419 420 420 421 421 423 424 424 425 426 427 429 430 431 431 432 432 433 434 435

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II. Unionsrechtliche Sanktionsmöglichkeiten bei Vorlagepflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragsverletzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatshaftungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unionsrechtliche Pflicht zur Wiederaufnahme des Verfahrens? a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchbrechung der Rechtskraft und Effektivitätsgebot c) Durchbrechung der Rechtskraft und Äquivalenzgebot . . d) Sonstige Wirkungen der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorbeugend: Abstrakte Normenkontrolle zur Überprüfung nationalen Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einführung einer Revision zum EuGH? . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sanktionierung der Vorlagepflichtverletzung nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einfachrechtliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Urteilsverfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der EuGH als gesetzlicher Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Darlegungspflicht des Beschwerdeführers und Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . c) Willkürmaßstab in der bisherigen Rechtsprechung . . . . . . d) Neuere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Begründungspflicht der Fachgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Urteilsverfassungsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

435 435 436 437 437 438 439 439 440 441 443 443 445 445 446 447 449 450 450 452 453

3. Teil Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Primär- und Sekundärrecht § 6 Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die subjektiv-rechtliche Dimension der Grundfreiheiten . . . . . . . . . B. Die Grundfreiheiten als transnationale Wirtschaftsrechte . . . . . . . . . I. Berechtigte der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsbürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personenmehrheiten innerhalb der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Drittstaatsangehörige und Personenmehrheiten außerhalb der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unternehmer und Verbraucher. P2P-Geschäfte . . . . . . . . . . . II. Transnationaler Charakter der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . III. Wirtschaftsbezogener Charakter der Grundfreiheiten . . . . . . . . . IV. Unionsbürgerfreizügigkeit als „Grundfreiheit ohne Markt“ . . . C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte I. Vom Diskriminierungs- zum Beschränkungsverbot . . . . . . . . . . II. Marktzugang als entscheidendes Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . .

457 457 458 459 459 459 459 460 462 463 465 468 468 469 469

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2. Arbeitnehmerfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keck-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Neuere Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gleichheits- oder freiheitsrechtliche Interpretation des Marktzugangs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Präzisierung des Marktzugangskriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung des relevanten Markts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Marktzugangshindernisse durch unmittelbare Diskriminierungen und Mehrfachbelastungen . . . . . . . . . . . . 3. Unterschiedslos anwendbare Maßnahmen unterhalb der Schwelle einer absoluten Marktzugangsschranke . . . . . . . a) Differenzierung zwischen Marktzugangsund Marktausübungsregeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbare oder direkte Beeinträchtigung als Kriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Spürbarkeitstest in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . d) Konkretisierung des Spürbarkeitskriteriums . . . . . . . . . . . aa) Produktverkehrsfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Personenverkehrsfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Grundfreiheiten als Marktaustrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte . . . . . . . . . . . . . I. Rechte gegenüber den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abwehrrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teilhaberechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Originäre Leistungsrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Recht auf hoheitliche Schutzgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sekundäre Rechtspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechte gegenüber der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Personenverkehrsfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Produktverkehrsfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bisherige Judikatur zur Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . b) Das Fra.bo-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Produktverkehrsfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sperrwirkung der Wettbewerbsregeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Komplementärverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die verschiedenen Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konkretisierung des Spürbarkeitstests bei Handeln Privater . IV. Horizontale Direktwirkung versus mittelbare Drittwirkung . . . 1. Einwände gegen das Konzept der horizontalen Direktwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

470 471 471 471 472 473 473 477 477 478 479 479 480 481 484 485 487 488 491 491 492 492 493 494 496 497 497 498 498 499 499 501 501 503 504 505 505 505 508 510 510

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2. Das Konzept der mittelbaren Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . 3. Übereinstimmungen zwischen beiden Konzepten . . . . . . . . . 4. Unterschiede zwischen beiden Konzepten . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolgen der horizontalen Direktwirkung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nichtigkeit von Rechtsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kontrahierungszwang? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 7 Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Grundstrukturen und Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zweispuriges Sanktionssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kartellbehördliche Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zivilrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis zwischen verwaltungs- und zivilrechtlichen Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wechselwirkungen zwischen zentralem und dezentralem Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Praktische Bedeutung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergleich mit dem US‑amerikanischen Kartellrecht . . . . . . . . 3. Früheres Freistellungsmonopol der Kommission als Hindernis für die private Kartellrechtsdurchsetzung . . . . . . . III. Paradigmenwechsel im Europäischen Kartellrecht . . . . . . . . . . . 1. Dezentralisierung der Kartellrechtsdurchsetzung durch die VO 1/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stärkung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . a) Der Weg zur Kartellschadensersatz-RL 2014/104 . . . . . . . b) Überblick über die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 IV. Das deutsche Kartellrecht nach der 7. und 8. GWB-Novelle . . . 1. Leitlinien der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgestaltung des Individualschadensersatzes . . . . . . . . . . . . 3. Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen und hieran anknüpfende Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nichtigkeit bei Verstoß gegen das Kartellverbot (Art. 101 AEUV) 1. Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unionsrechtlicher Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Absolute Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nichtigkeit ex lege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nichtigkeit ex tunc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Keine Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

525 526 526 526 528 528 529 531 531 533 534 534 534 535 535 537 539 539 539 541 543 543 544 545 545 545 546 546 547

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2. Ergänzender Rückgriff auf nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen der Nichtigkeit auf die Gesamtvereinbarung . a) Grundsatz der Teilnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesamtnichtigkeit bei fehlender Trennbarkeit der Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen der Teilnichtigkeit nach nationalem Recht 4. Auswirkungen der Nichtigkeit auf Ausführungsund Folgeverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausführungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgeverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Praxis der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtslage in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nichtigkeit bei Verstoß gegen das Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine direkten unionsrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . 2. Indirekte Vorgaben des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nationaler Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Herausgabeansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgestaltung der Rückabwicklung in den Mitgliedstaaten 3. Vorgaben für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 Halbs. 1 BGB) . . . . . . . . b) Gesetzesverstoß (§ 817 S. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonstige Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Harmonisierungsbedarf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hybrider Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegung und Überprüfung der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 im Lichte der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Primärrechts- und richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Horizontale Direktwirkung der primärund sekundärrechtlichen Vorgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Funktionen des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs . a) Der Schadensersatzanspruch zwischen Institutionenund Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Effektivität des Unionsrechts versus effektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

547 548 548 548 549 551 551 552 552 552 552 553 555 555 555 556 558 559 559 561 562 562 563 564 564 565 566 566 566 567 568 568 569 569 571 572 573 574

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II. Haftungsauslösendes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verstoß gegen Art. 101, 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachweis eines Wettbewerbsverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zugang zu Beweismitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beweislast und Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bindung an Entscheidungen der Kommission . . . . . . . . . . d) Bindung an Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anspruchsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kartellbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wettbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Direktabnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Folgeabnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Primärrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die ORWI-Entscheidung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 . . . . . . 5. Sonstige mittelbar Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unbegrenzte Anspruchsberechtigung? . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kausalität zwischen Wettbewerbsverstoß und Schaden als Frage des Unionsrechts oder des nationalen Rechts? c) Unionsrechtliche Anforderungen an die Feststellung der Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rückgriff auf Schutzzweckerwägungen? . . . . . . . . . . . . . . 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Passivlegitimation und gesamtschuldnerische Haftung . . . . . . . . 1. Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesamtschuldnerische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Privilegierung von Kronzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Privilegierung von KMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Art und Umfang des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ersatzfähiger Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Primärrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 . . . . . . 2. Ermittlung des ersatzfähigen Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einwand der Schadensabwälzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rückgriff auf die Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Erstattungsanspruch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die ORWI-Entscheidung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 . . . . . . 4. Verhinderung einer Über- und Unterkompensation . . . . . . . . a) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 . . . . . . b) Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Innenausgleich zwischen den Geschädigten? . . . . . . . . . . . d) Verfahrenskonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verschulden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXIX 574 574 575 575 576 578 579 580 581 582 582 583 583 585 587 588 588 589 590 592 593 594 594 595 596 597 598 598 598 599 599 601 601 603 605 606 607 607 607 608 608 610 610

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2. Übertragbarkeit der Antidiskriminierungsund Staatshaftungsrechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Mitverschulden und Obliegenheit zur Schadensminderung . . . . VIII. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Zugang zu Beweismitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 . . . . . . . . . 2. Keine Offenlegung von Kronzeugenerklärungen . . . . . . . . . . a) Primärrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Primärrechtswidrige Privilegierung von Kronzeugen in der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Kollektive Schadensersatzklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pläne der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Negatorischer Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individueller Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonderfall „Kontrahierungszwang“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verstöße gegen das Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstöße gegen das Kartellverbot (Art. 101 AEUV) . . . . . 3. Kollektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausgestaltung in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individueller Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kollektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Bedeutung des EU‑Wettbewerbsrechts für das europäische Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausstrahlung auf das nationale Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . II. Ausstrahlung auf das nationale Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . III. Auf dem Weg zu einem europäischen Haftungsrecht . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 Das beihilferechtliche Durchführungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Private Durchsetzung des Beihilferechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Aufgabenverteilung zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit durch die Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sanktionierung formell rechtswidriger Beihilfen durch die mitgliedstaatlichen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Probleme der Aufgabenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bisherige Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

611 613 614 615 617 617 619 619 620 621 622 622 624 625 627 628 628 629 629 630 630 632 633 634 634 636 637 638 638 640 641 642 645 645 648 648 650 652 652

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2. Neuere EuGH-Rechtsprechung: Bindungswirkung von Eröffnungsbeschlüssen der Kommission . . . . . . . . . . . . . 3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen im Verhältnis zwischen Beihilfegeber und Beihilfenehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendung des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nichtigkeit oder schwebende Unwirksamkeit des beihilfegewährenden Vertrags? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die CELF-Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgerungen für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reichweite des Durchführungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrechtliche Vorgaben: Keine zwingende Gesamtnichtigkeit des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufrechterhaltung des Vertrags mit beihilferechtskonformem Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Ausschluss der Rückforderung nach §§ 814, 817 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertrauensschutz und Wegfall der Bereicherung . . . . . . . . . . . 4. Verzinsung des Rückforderungsbetrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten bei Verstößen gegen das Durchführungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsschutzauftrag der einzelstaatlichen Gerichte . . . . . . . . . . . 1. Das Durchführungsverbot als subjektives Recht . . . . . . . . . . . 2. Klagebefugnis und Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mögliche Rechtsbehelfe des Konkurrenten . . . . . . . . . . . . . . . II. Unionsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung mitgliedstaatlicher Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendung des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den Beihilfegeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schadensersatzansprüche gegen den Mitgliedstaat . . . . . . . . . 4. Ansprüche gegen den Beihilfeempfänger? . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtslage in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Deliktische Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den Beihilfegeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lauterkeitsrechtliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den Beihilfegeber . . . . . . . . . . . 4. Schadensersatzansprüche gegen den Beihilfegeber und Staatshaftungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ansprüche gegen den Beihilfeempfänger? . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXI 653 655 655 656 657 658 659 661 662 663 663 665 665 665 666 667 668 669 670 670 671 673 674 674 674 676 678 679 680 680 681 682 683 684 685

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IV. Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Praktische und rechtliche Probleme der Konkurrentenklage . . . E. Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9 Antidiskriminierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Diskriminierungsverbote, subjektive Rechte und Privatautonomie I. Marktbezogene und sozialpolitische Diskriminierungsverbote II. Unbestimmte Rechtsfolgen, Sanktionsverpflichtung und subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Diskriminierungsschutz und Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Diskriminierungsverbote im Primärrecht und ihre Sanktionierung I. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit (Art. 157 AEUV) . . . . . . . . 1. Ursprüngliche Konzeption als objektiv-rechtliche Norm . . . 2. Anerkennung als subjektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . 4. Konkretisierung der Zivilrechtsfolgen durch den EuGH . . . . II. Der Gleichbehandlungsgrundsatz als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Horizontale Direktwirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung I. Überblick über den Stand der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . 1. Diskriminierungsverbote im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diskriminierungsverbote im allgemeinen Zivilrecht . . . . . . . . II. Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts zur Ausgestaltung der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz der Wahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkretisierung der Zivilrechtsfolgen durch den EuGH . . . . a) Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung . . . . . . . b) Diskriminierende Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Generelle Pflicht zur Einführung zivilrechtlicher Sanktionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abstrakte Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schadensersatz bei Verstoß gegen Diskriminierungsverbote . . . . 1. Sekundärrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art. 18, 25 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54 b) Art. 8 Abs. 2 Gender-RL 2004/113 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art. 8 Abs. 2 Antirassismus-RL 2000/43 . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionen des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung . . . . . . . . 4. Umfang des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Schadenersatz oder Entschädigung“ im Sinne des Art. 18 S. 1 RL 2006/54 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

687 687 688 690 692 695 695 695 695 696 697 698 698 698 699 699 701 702 702 702 703 703 703 704 705 705 706 706 707 707 708 709 709 709 709 711 711 711 713 713 713

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b) Ersatzfähigkeit materieller und immaterieller Schäden . . . c) Haftungshöchstgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausschluss- und Verjährungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonstige zivilrechtliche Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Kontrahierungszwang nach Unionsrecht . . . . . . . . . . . . 2. Unwirksamkeit diskriminierender Rechtsgeschäfte und hieran anknüpfende Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . V. Beteiligung von Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Notwendigkeit flankierender öffentlich-rechtlicher Sanktionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtslage in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorgaben des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Folgerungen für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungsstruktur des AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgestaltung der Rechtsfolgen im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . 1. Verschuldensabhängiger Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . 2. Haftungsobergrenze für immaterielle Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahme diskriminierender Kündigungen vom Anwendungsbereich des AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausgestaltung der Rechtsfolgen im allgemeinen Zivilrecht . . . . . 1. Verschuldensabhängiger Anspruch auf Ersatz materieller Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Schutz vor Viktimisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Keine Sanktionen bei abstrakter Diskriminierung . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Ausblick: Das Sanktionssystem in den ACQP und im DCFR . . . . . I. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 10 Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Revision des Verbraucherrechts und Harmonisierung des Europäischen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unbestimmte Rechtsfolgen im Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts . . . . I. Ausgangssituation nach den Römischen Verträgen (1957 – 1975) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verbraucherschutzpolitik in der zweiten Phase (1975 – 1985) . . . III. Die dritte Phase (1985 – 2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarkts und Einheitliche Europäische Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maastricht – Amsterdam – Lissabon: Das Modell des „confident consumer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Problem der Mindestharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Die vierte Phase (2001 – ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Revision des Europäischen Verbraucherrechts . . . . . . . . . . . . a) Die neue Strategie: Horizontaler Ansatz und Vollharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überprüfung des Verbraucherrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Richtlinienvorschlag aus dem Jahr 2008 . . . . . . . . . . . d) Die neue VRRL 2011/83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der akademische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Verordnungsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Legislativvorschläge zum digitalen Binnenmarkt . . . . . . . V. Gegenwärtiger Bestand des Verbraucherrechts . . . . . . . . . . . . . . . 1. Europäisches Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verbraucherrecht als Rechtsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematik des europäischen Verbraucherrechts . . . . . . . . aa) Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Besonderer Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäisches Privatrecht jenseits des Verbraucherrechts . . . . a) Europäisches Reiserecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Europäisches Finanzdienstleistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . c) Dienstleistungen von allgemeinem Interesse . . . . . . . . . . . d) Reiner B2B-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mitgliedstaatliche Gesetzgebungstechniken bei Umsetzung verbraucherschützender Richtlinien . . . . . . . a) Umsetzung in Einzelgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umsetzung im Verbrauchergesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gemischte Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Integration unionsrechtlicher Vorgaben in das Zivilgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . I. Private Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individuelle und kollektive Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterlassungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kollektive Schadensersatzklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gruppenklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Musterverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Außergerichtliche Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsdurchsetzung durch Verwaltungsbehörden . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrechtliche Vorgaben: Die CPC-VO 2006/2004 . . . . . . 2. Rechtslage in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

742 742 742 743 744 745 746 749 750 752 752 752 754 754 755 756 756 756 757 760 762 763 763 764 765 766 769 770 770 770 771 772 772 773 775 776 777 777 778 780 780 781

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a) Administrative Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rein private Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Strafrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Folgerungen für die deutsche Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sanktionsdefizite im deutschen Recht bei Streuschäden . . . . . 3. Administrative Durchsetzung des Verbraucherrechts in Deutschland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kein Bedarf an strafrechtlichen Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Vorvertragliche Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Informationsparadigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Informationspflichten als Kernbestandteil des Verbraucherrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen des Informationsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematisierung der verbraucherschützenden Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individual- und marktordnungsrechtliche Funktion vorvertraglicher Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gründe für das Entstehen von Informationspflichten . . . . . . a) Situative und vertragstypbezogene Informationspflichten b) Allgemeine verbraucherschützende Informationspflichten 3. Informationsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Formale Anforderungen: Transparenz- und Formerfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zeitpunkt der Informationserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsbehelfe und Sanktionen im geschriebenen Unionsrecht 1. UKlaRL 2009/22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. UGP-RL 2005/29 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Informationspflichtverstöße als unlautere Geschäftspraktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelung der Sanktionen in der UGP-RL 2005/29 . . . . . . c) Keine Pflicht zur Einführung individueller Rechtsbehelfe des Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausgestaltung der Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. VRRL 2011/83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. FDL-FARL 2002/65, VerbrKrRL 2008/48 und Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. TSRL 2008/122 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. KaufRL 99/44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Klausel-RL 93/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Sonstiges Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

781 783 785 785 786 787 790 790 791 793 795 798 798 799 799 801 802 802 804 804 805 807 808 809 811 811 812 812 812 813 813 814 815 815 816 817 818 818 821

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IV. Systematisierung der Rechtsfolgen unter Berücksichtigung der effet utile-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematisierung, Konkretisierung und Herleitung von Zivilrechtsfolgen bei Informationspflichtverstößen . . . . 2. Zustandekommen und Wirksamkeit des Vertrags . . . . . . . . . . a) Vorvertragliche Pflichtangaben als essentialia negotii? . . . b) Mangelndes Erklärungsbewusstsein aufgrund unterlassener Pflichtangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine absolute Nichtigkeit des Vertrags bei unterlassener Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Bindung an ungünstige Vertragsbestandteile bei unterlassener Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bindung an „unzutreffende“ vorvertragliche Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Öffentliche Aussagen des Unternehmers als Angebot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anspruch auf Information? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vertragslösungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründung eines ungeschriebenen unionalen Vertragslösungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sperrwirkung der Widerrufsregeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertragslösungsrechte im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . aa) Anfechtungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vertragslösungsrechte im DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgaben des EuGH in den Fällen Schulte und Crailshaimer Volksbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung der EuGH-Entscheidungen für die Schadensersatzhaftung bei Informationspflichtverstößen im Allgemeinen . . . . . . . . . c) Schadensersatzansprüche in den ACQP und im DCFR 7. Unterlassungsansprüche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Sonstige Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individuelle Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedarf an flankierenden überindividuellen Sanktionen . . . . . E. Widerrufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestand der verbraucherschützenden Widerrufsrechte . . . . . . . . 1. Inkohärente Regelungen im Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ratio und Effektivität der Widerrufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen des Widerrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Widerrufsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reguläre Widerrufsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beginn der regulären Widerrufsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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c) Verlängerte Widerrufsfrist bei Verstoß gegen Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verstoß gegen Widerrufsbelehrungspflichten . . . . . . . bb) Verstoß gegen sonstige Informationspflichten . . . . . . d) Maximalfrist vs. ewiges Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . e) Verwirkung des Widerrufsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausübung des Widerrufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtslage während der Widerrufsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schwebende Wirksamkeit des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbot des Leistungsaustauschs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erlöschen des Widerrufsrechts bei Erfüllung . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen des Widerrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Wirkungen des Widerrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichten des Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rückgewähr der Waren und Rücksendekosten . . . . . . . . . b) Wertersatz für Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wertersatz für Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Akzessorische Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln . . . . . . . . . . . I. Zum gegenwärtigen Harmonisierungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Harmonisierung durch die Verbraucherrechte-RL 2011/83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. ACQP und DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Missbrauchskontrolle gem. Art. 3 Klausel-RL 93/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konzept der Klausel-RL 93/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstoß gegen Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung des Richtlinienanhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Frühere EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Neuere EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konkretisierung des Missbrauchstatbestands in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unverbindlichkeit missbräuchlicher Klauseln . . . . . . . . . . b) Verbot der geltungserhaltenden Reduktion . . . . . . . . . . . . c) Restgültigkeit des Vertrags ohne missbräuchliche Klausel d) Lückenfüllung durch Rückgriff auf dispositives Recht und ergänzende Vertragsauslegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Erstattungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unionsrechtliche Vorgaben für das nationale Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXXVIII

Inhaltsverzeichnis

III. Das Transparenzgebot gem. Art. 5 Klausel-RL 93/13 . . . . . . . . . 1. Maßstab für die Klauseltransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klarheit und Verständlichkeit von Klauseln . . . . . . . . . . . . b) Das Transparenzgebot als Informationsobliegenheit . . . . . c) Leitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vertragsschlussbegleitende Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslegung intransparenter Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unverbindlichkeit von Klauseln bei reiner Intransparenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgestaltung der Rechtsfolgen im mitgliedstaatlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kollektive Verfahren der Rechtsdurchsetzung gem. Art. 7 Klausel-RL 93/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Administrative Kontrolle missbräuchlicher Klauseln . . . . . . . 3. Gerichtliche Kontrolle missbräuchlicher Klauseln . . . . . . . . . a) Ausgestaltung der Unterlassungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen eines Unterlassungsurteils auf Individualverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einführung eines Folgenbeseitigungsanspruchs? . . . . . . . . d) Weitere unionsrechtliche Vorgaben für das nationale Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erweiterung der Klagemöglichkeiten durch die UGP-RL 2005/29? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begrenzte Harmonisierungswirkung der Verbrauchsgüterkauf-RL 99/44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Recht des Verbrauchers auf Abhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hierarchie der Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahlrecht des Verbrauchers zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umfang der geschuldeten Abhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangssituation nach der Verbrauchsgüterkauf-RL 99/44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) In der Richtlinie ungeregelte Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorgaben des EuGH im Fall Quelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein Anspruch des Verkäufers für gezogene Nutzungen und künftige Vermögensvorteile bei Neulieferung . . . . . . b) Wertersatzanspruch des Verkäufers bei Verschlechterung oder Untergang der zurückzugebenden Sache? . . . . . . . . . 5. Vorgaben des EuGH im Fall Gebr. Weber & Putz . . . . . . . . . a) Verschuldensunabhängiger Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz von Folgekosten in den Einbaufällen . . . . . . . .

901 901 901 902 902 904 905 905 906 908 909 910 910 911 911 911 912 914 915 915 918 919 921 921 924 924 925 926 926 927 928 928 930 931 931

Inhaltsverzeichnis

XXXIX

b) Kein Verweigerungsrecht des Verkäufers bei absoluter Unverhältnismäßigkeit, aber Herabsetzung des Kostenerstattungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ungeklärte Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ort der Abhilfehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbstvornahmerecht des Verbrauchers? . . . . . . . . . . . . . . . c) Ersatz weiterer mangelbedingter Folgeschäden? . . . . . . . . III. Recht des Verbrauchers auf Minderung und Vertragsauflösung . 1. Gemeinsame Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ablauf einer angemessenen Abhilfefrist . . . . . . . . . . . . . . . b) Abhilfe mit erheblichen Unannehmlichkeiten: Minderung und Vertragsauflösung trotz erfolgreicher Abhilfe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Minderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertragsauflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausschluss bei geringfügiger Vertragswidrigkeit . . . . . . . . b) Folgen der Vertragsauflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unionsrechtliche Vorgaben für das nationale Gerichtsverfahren 1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berücksichtigung der Richtlinienvorgaben von Amts wegen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Zusammenfassung und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

935 937 937 939 941 943 944 944 945 947 948 948 951 952 952 953 955 957

4. Teil Schlussbetrachtung und Zusammenfassung § 11 Perspektiven der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Harmonisierungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stärkung der Effektivität des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abbau von Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Spezifische Probleme bei grenzüberschreitenden Verstößen . . . . V. Wettbewerb der Rechtsordnungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Berücksichtigung nationaler Rechtskulturen . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Judikative oder legislative Rechtsangleichung? . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtssetzungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bereichsspezifische Annexkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Binnenmarktkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Subsidiaritätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

967 967 967 970 973 974 975 977 979 982 982 984 986 988 989

§ 12 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ausgangsbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

991 991 991

XL

Inhaltsverzeichnis

C. Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Primär- und Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Perspektiven der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

998 1005

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1007 1109

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. E. a. a. O. ABGB ABl.

anderer Ansicht am Ende am angegebenen Ort (Österreichisches) Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften; seit 1.2.2003 Amtsblatt der Europäischen Union Abs. Absatz AC Appeal Cases ACQP Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) ADC Anuario de Derecho Civil AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AfP Archiv für Presserecht AG Amtsgericht; Die Aktiengesellschaft AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz All E.R. All England Reports Alt. Alternative Am. Econ. Rev. American Economic Review AöR Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichtes AP Art. Artikel Aufl. Auflage BAG Bundesarbeitsgericht BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter BB Betriebsberater BeckOK BGB Beck’scher Online-Kommentar BGB BeckRS Beck-Rechtsprechung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen BKR Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht BR‑Drucks. Bundesratsdrucksache BT‑Drucks. Bundestagsdrucksache Bull. civ. Bulletin des arrets de la Cour de Cassation, chambres civiles (I, II, III), commerciale (IV), sociale (V) BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts C.A. Court of Appeal C.J. Chief Justice C.M.L.R. Common Market Law Reports Cass. Com. Cour de Cassation, Chambre Commerciale CC Civil Code; Code civil

XLII CCons CCR 2013

Abkürzungsverzeichnis

(Französischer) Code de la consommation Consumer Contracts (Information, Cancellation and Additional Charges) Regulations 2013 Ch., Ch.D. Chancery Division, Law Reports CLJ Cambridge Law Journal CMLR Common Market Law Review Cmnd Command Paper Colum. L. Rev. Columbia Law Review Consumer Law Journal Consum. L. J. Contr. e impr. Contratto e impresa Cornell Int’l L. J. Cornell International Law Journal CPRs The Consumer Protection from Unfair Trading Regulations 2008 CR Computer und Recht CYELS The Cambridge Yearbook of European Legal Studies D. Le Dalloz DB Der Betrieb DCESL Draft Common European Sales Law DCFR Draft Common Frame of Reference dms Der moderne Staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management DÖV Die Öffentliche Verwaltung DStR Deutsches Steuerrecht DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt DZWiR Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht E.I.P.R. European Intellectual Property Review E.R. English Reports EAT Employment Appeal Tribunal EBLR European Business Law Review EBOR European Business Organization Law Review ECLA European Competition Law Annual ECLR European Competition Law Review Ed. Edition EG Europäische Gemeinschaft; Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, konsolidierte Fassung mit den Änderungen durch den Vertrag von Nizza EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrags über die Europäische Union v. 7.2.1992 (Maastrichter Fassung) EJCL Electronic Journal of Comparative Law EJRR European Journal of Risk Regulation EL Ergänzungslieferung ELJ European Law Journal ELRev. European Law Review EMRK Europäische Menschenrechtskonvention ERCL European Review of Contract Law ErfK Erfurter Kommentar ERPL European Review of Private Law ErwGr Erwägungsgrund/‑gründe EStAL European State Aid Law Quarterly et al. et alii EU Europäische Union EuG Gericht (früher Europäisches Gericht erster Instanz) EuGH Gerichtshof (früher Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften) EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift

Abkürzungsverzeichnis

EuGVÜ

XLIII

EWG-Übereinkommen v. 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und ­Handelssachen EuLF The European Legal Forum EuR Europarecht EUV Vertrag über die Europäische Union (Lissabonner Fassung) EuZA Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWGV EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht FK Frankfurter Kommentar Fn. Fußnote FS Festschrift G/H/N Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union GA Generalanwalt/‑anwältin; Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Geo. L. J. The Georgetown Law Journal German L. J. German Law Journal GG Grundgesetz GPR Zeitschrift für Privatrecht der Europäischen Union (zuvor: Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht) GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR-RR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Rechtsprechungsreport GRUR Int. Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Internationaler Teil GS Gedächtnisschrift GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen H.C. High Court H.L. House of Lords Harv.L.Rev. Harvard Law Review Hdb. Handbuch HFR Humboldt Forum Recht HGB Handelsgesetzbuch HKK-BGB Historisch-kritischer Kommentar zum BGB Hrsg. Herausgeber HS Halbsatz I.C.L.Q. International & Comparative Law Quarterly I.C.R. Incorporated Council of Law Reporting For England & Wales i. d. F. in der Fassung InDret Revista para el Análisis del Derecho (www.indret.com) IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Internationales Steuerrecht IStR iVm in Verbindung mit J. Legal Stud. The Journal of Legal Studies J. Pol. Econ. Journal of Political Economy Journal of Law and Economics J.L. & Econ. JbJZ Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler JBl. Juristische Blätter JCP Journal of Consumer Policy (bis einschließlich Jahrgang 1981 Zeitschrift für Verbraucherpolitik [ZVP]) Jura Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung KomE Entscheidung der Europäischen Kommission

XLIV

Abkürzungsverzeichnis

KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft L.Q.R. Law Quarterly Review Ld Raym Lord Raymonds King’s Bench Reports LG Landgericht LIEI Legal Issues of European Integration, Legal Issues of Economic Integration LMK Lindenmaier-Möhring – Kommentierte BGH-Rechtsprechung Maastricht J. Maastricht Journal of European and Comparative Law Mod. L. Rev. Modern Law Review Münchener Kommentar MüKo m. w. N. mit weiteren Nachweisen NJW Neue Juristische Wochenschrift NK‑BGB Nomos Kommentar BGB NuR Natur und Recht NVersZ Neue Zeitschrift für Versicherungsrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZA Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZBau Neue Zeitschrift für Baurecht NZKart Neue Zeitschrift für Kartellrecht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht ÖBA Österreichisches Bankarchiv OGH Oberster Gerichtshof (Österreich) OJLS Oxford Journal of Legal Studies ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung OLG Oberlandesgericht Ordo Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft OZK Zeitschrift für Kartell- und Wettbewerbsrecht P. & C.R. Property, Planning and Compensation Reports PECL Principles of European Contract Law, hrsg. von Ole Lando u. a. PETL Principles of European Tort Law, erstellt von der European Group on Tort Law PR CESL Proposal for a Regulation on a Common European Sales Law (Vorschlag für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht) Q.J.Econ. Quaterly Journal of Economics QB Queens Bench Division RdA Recht der Arbeit RDP Revista de Derecho Privado RdP Revista de derecho patrimonial RDPub Revue de droit public et de la science politique en France et à l’étranger REALaw Review of European Administrative Law Rec. Recueil REDP Revue européenne de droit public reg. Regulation RIW Recht der Internationalen Wirtschaft RL Richtlinie Rs. Rechtssache RTD Com. Revue trimestrielle de droit comercial et de droit économique S. Satz; Seite SchlA Schlussanträge sec. Section(s) Steuer und Wirtschaft StuW Tulane J. Int. Tulane Journal of International and Comparative Law & Comp. L. U. Chi. L. Rev. University of Chicago Law Review U. Pa. L. Rev. University of Pennsylvania Law Review

Abkürzungsverzeichnis

XLV

U. S. United States Supreme Court Reports UAbs. Unterabsatz UKlaG Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen Urt. Urteil UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. versus; vom verb. Rs. verbundene Rechtssache VersR Versicherungsrecht VersWissStud. Versicherungswissenschaftliche Studien VerwArch Verwaltungsarchiv VfSlg Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des [österreichischen] ­Verfassungsgerichtshofes vgl. vergleiche VO Verordnung VuR Verbraucher und Recht VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VVE Entwurf für einen Vertrag über eine Verfassung für Europa W.L.R. Weekly Law Reports WBl Wirtschaftsrechtliche Blätter WM Wertpapier-Mitteilungen WRP Wettbewerb in Recht und Praxis WuW Wirtschaft und Wettbewerb WuW/E WuW-Entscheidungssammlung zum Kartellrecht YEL Yearbook of European Law z. B. zum Beispiel ZBB Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft ZESAR Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZEuS Zeitschrift für europarechtliche Studien ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht ZfRV Zeitschrift für Rechtsvergleichung ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZGS Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (früher: Zeitschrift für die gesamte ­Insolvenzpraxis) ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium ZPO Zivilprozessordnung ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZUR Zeitschrift für Umweltrecht ZVersWiss Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft ZVglRWiss Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft ZWeR Zeitschrift für Wettbewerbsrecht ZZP Zeitschrift für Zivilprozeß Die Reform der europäischen Verträge durch den am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon hat die Gerichtsbarkeit verändert. Dem bisherigen Gemeinschaftsorgan „Gerichtshof“ ist der „Gerichtshof der Europäischen Union“ nachgefolgt. Dieser umfasst den Gerichtshof, das Gericht und die Fachgerichte (Art. 19 Abs. 1 EUV). Diese Nomenklatur ist wenig geglückt. Nachstehend werden daher auch künftig die Bezeichnungen „EuGH“ und „Gerichtshof“ unterschiedslos Verwendung finden; das bisherige Gericht erster Instanz wird demgegenüber als „EuG“ abgekürzt.

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Sekundärrechtsakte

A. Richtlinien RL 68/151

RL 75/117

RL 76/207

RL 77/91

RL 77/187

RL 77/388

RL 77/780

RL 78/660

RL 80/987

Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. 1968 L 65/8 (zitiert: PublizitätsRL 68/151) Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, ABl. 1975 L 45/19 (zitiert: Entgelt-Gleichbehandlungs-RL 75/117) Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. 1976 L 39/40 (zitiert: Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207) Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. 1977 L 26/1 (zitiert: Zweite Gesellschafts-RL 77/91) Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen, ABl. 1977 L 61/26 (zitiert: Betriebsübergangs-RL 77/187) Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ABl. 1977 L 145/1 (zitiert: Sechste Mehrwertsteuer-RL 77/388) Erste Richtlinie 77/780/EWG des Rates vom 12. Dezember 1977 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, ABl. 1977 L 322/30 (zitiert: Erste Banken-RL 77/780) Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. 1978 L 222/11 (zitiert: Jahresabschluss-RL 78/660) Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeit-

XLVIII

RL 83/189 RL 85/337 RL 85/374

RL 85/577 RL 86/653

RL 87/102 RL 88/627

RL 89/104 RL 89/299 RL 89/592 RL 89/646

RL 89/665

RL 90/314 RL 92/13

RL 92/43

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Sekundärrechtsakte

nehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. 1980 L 283/23 (zitiert: Arbeitnehmer-Insolvenzschutz-RL 80/987) Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. 1983 L 109/8 (zitiert: Informations-RL 83/189) Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. 1985 L 175/40 (zitiert: UVP-RL 85/337) Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. 1985 L 210/29 (zitiert: Produkthaftungs-RL 85/374) Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. 1985 L 372/31 (zitiert: HWiRL 85/577) Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABl. 1986 L 382/17 (zitiert: HandelsvertreterRL 86/653) Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. 1987 L 42/48 (zitiert: VerbrKrRL 87/102) Richtlinie 88/627/EWG des Rates vom 12. Dezember 1988 über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen, ABl. 1988 L 348/62 (zitiert: Transparenz-RL 88/627) Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, ABl. 1989 L 40/1 (zitiert: Markenrechts-RL 89/104) Richtlinie 89/299/EWG des Rates vom 17. April 1989 über die Eigenmittel von Kreditinstituten, ABl. 1989 L 124/16 (zitiert: Eigenmittel-RL 89/299) Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. 1989 L 334/30 (zitiert: Insider-RL 89/592) Zweite Richtlinie 89/646/EWG des Rates vom 15. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG, ABl. 1989 L 386/1 (zitiert: Zweite Banken-RL 89/646) Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Lieferund Bauaufträge, ABl. 1989 L 395/33 (zitiert: Allgemeine RechtsmittelRL 89/665) Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABl. 1990 L 158/59 (zitiert: PRRL 90/314) Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. 1992 L 76/14 (zitiert: Sektoren-RechtsmittelRL 92/13) Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. 1992 L 206/7 (zitiert: Habitat-RL 92/43)

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Sekundärrechtsakte

RL 92/49

RL 92/96

RL 92/100

RL 93/104 RL 93/13 RL 94/19 RL 94/47

RL 95/46

RL 97/7

RL 97/9 RL 97/67

RL 97/80 RL 98/6

RL 98/27

XLIX

Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung), ABl. 1992 L 228/1 (zitiert: Dritte RL Schaden 92/49) Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung), ABl. 1992 L 360/1 (zitiert: LV‑RL 92/96) Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ABl. 1992 L 346/61 (zitiert: Vermiet- und Verleih-RL 92/100) Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. 1993 L 307/18 (zitiert: Arbeitszeit-RL 93/104) Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. 1993 L 95/29 (zitiert: KlauselRL 93/13) Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme, ABl. 1994 L 135/5 (zitiert: Einlagensicherungs-RL 94/19) Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABl. 1994 L 280/83 (zitiert: TSRL 94/47) Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. 1995 L 281/31 (zitiert: Datenschutz-RL 95/46) Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz – Erklärung des Rates und des Parlaments zu Artikel 6 Absatz 1 – Erklärung der Kommission zu Artikel 3 Absatz 1 erster Gedankenstrich, ABl. 1997 L 144/19 (zitiert: FARL 97/7) Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger, ABl. 1997 L 84/22 (zitiert: Anlegerentschädigungs-RL 97/9) Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität, ABl. 1998 L 15/14 (zitiert: PostdienstRL 97/67) Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABl. 1998 L 14/6 (zitiert: Beweislast-RL 97/80) Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse, ABl. 1998 L 80/27 (zitiert: Preisangaben-RL 98/6) Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. 1998 L 166/51 (zitiert: UKlaRL 98/27)

L RL 99/44

RL 99/93 RL 2000/13

RL 2000/31

RL 2000/35 RL 2000/43

RL 2000/78

RL 2001/23

RL 2001/29

RL 2001/83

RL 2001/84 RL 2001/95 RL 2002/8

RL 2002/21

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Sekundärrechtsakte

Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. 1999 L 171/12 (zitiert: KaufRL 99/44) Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABl. 2000 L 13/12 (zitiert: Signatur-RL 1999/93) Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, ABl. 2000 L 109/29 (zitiert: LebensmitteletikettierungsRL 2000/13) Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. 2000 L 178/1 (zitiert: ECRL 2000/31) Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl. 2000 L 200/35 (zitiert: Verzugs-RL 2000/35) Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. 2000 L 180/22 (zitiert: AntirassismusRL 2000/43) Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000 L 303/16 (zitiert: RahmenRL 2000/78 arbeitsrechtliche Gleichbehandlung) Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, ABl. 2001 L 82/16 (zitiert: Betriebsübergangs-RL 2001/23) Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. 2001 L 167/10 (zitiert: InfoSoc-RL 2001/29) Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. 2001 L 311/67 (zitiert: HumanarzneimittelRL 2001/83) Richtlinie 2001/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerks, ABl. 2001 L 272/32 (zitiert: Folgerechts-RL 2001/84) Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. 2002 L 11/4 (zitiert: Produktsicherheits-RL 2001/95) Richtlinie 2002/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen, ABl. 2003 L 26/41 (zitiert: Prozesskostenhilfe-RL 20023/8) Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektroni-

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Sekundärrechtsakte

RL 2002/22

RL 2002/65

RL 2002/83 RL 2002/92 RL 2003/6 RL 2003/71

RL 2003/88 RL 2004/35

RL 2004/39

RL 2004/48 RL 2004/109

RL 2004/113

RL 2005/29

LI

sche Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie), ABl. 2002 L 108/33 (zitiert: Telekommunikations-Rahmen-RL 2002/21) Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und ‑diensten (Universaldienstrichtlinie), ABl. 2002 L 108/51 (zitiert: Universaldienst-RL 2002/22) Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. 2002 L 271/16 (zitiert: FDLFARL 2002/65) Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen, ABl. 2002 L 345/1 (zitiert: LV‑RL 2002/83) Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember 2002 über Versicherungsvermittlung, ABl. 2003 L 9/3 (zitiert: IMD 2002/92) Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. 2003 L 96/16 (zitiert: MAD 2003/6) Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. 2003 L 345/64 (zitiert: Prospekt-RL 2003/71) Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. 2003 L 299/9 (zitiert: Arbeitszeit-RL 2003/88) Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl. 2004 L 143/56 (zitiert: UmwelthaftungsRL 2004/35) Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. 2004 L 145/1 (zitiert: MiFID I 2004/39) Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. 2004 L 157/45 (zitiert: Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum) Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. 2004 L 390/38 (Transparenz-RL 2004/109) Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. 2004 L 373/37 (zitiert: Gender-RL 2004/113) Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/

LII

RL 2006/54

RL 2006/73

RL 2006/114

RL 2006/123 RL 2007/64

RL 2008/1

RL 2008/48

RL 2008/52 RL 2008/95

RL 2008/122

RL 2009/22

RL 2009/65

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Sekundärrechtsakte

EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), ABl. 2005 L 149/22 (zitiert: UGP-RL 2005/29) Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung), ABl. 2006 L 204/23 (zitiert: Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54) Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. 2004 L 373/37 (zitiert: MiFID I-DurchführungsRL 2006/73) Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), ABl. 2006 L 376/21 (zitiert: RL 2006/114 über irreführende und vergleichende Werbung) Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. 2006 L 376/36 (zitiert: Dienstleistungs-RL 2006/123) Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG, ABl. 2007 L 319/1 (zitiert: PSD I 2007/64) Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (kodifizierte Fassung), ABl. 2008 L 24/8 (zitiert: IVU-RL 2008/1) Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. 2008 L 133/66 (zitiert: VerbrKrRL 2008/48) Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2008 L 136/3 (zitiert: Mediations-RL 2008/52) Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte Fassung), ABl. 2008 L 299/25 (zitiert: Markenrechts-RL 2008/95) Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Januar 2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen, ABl. 2009 L 33/10 (zitiert: TSRL 2008/122) Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (kodifizierte Fassung), ABl. 2009 L 110/30 (zitiert: UKlaRL 2009/22) Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), ABl. 2009 L 302/32 (zitiert: OGAW-RL 2009/65)

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Sekundärrechtsakte

RL 2009/72

RL 2009/73

RL 2009/101

RL 2009/138

RL 2010/75

RL 2011/7 RL 2011/83

RL 2011/92

RL 2013/11

RL 2013/36

RL 2014/17

RL 2014/57

LIII

Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. 2009 L 211/55 (zitiert: Elektrizitäts-RL 2009/72) Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. 2009 L 211/94 (zitiert: Erdgas-RL 2009/73) Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. 2009 L 258/11 (zitiert: Publizitäts-RL 2009/101) Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl. 2009 L 335/1 (zitiert: Solvabilitäts‑II-RL 2009/138) Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), ABl. 2010 L 334/17 (zitiert: IED-RL 2010/75) Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl. 2011 L 48/1 (zitiert: Verzugs-RL 2011/7) Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. 2011 L 304/64 (zitiert: VRRL 2011/83) Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. 2012 L 26/1 (zitiert: UVPRL 2011/92) Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten), ABl. 2013 L 165/63 (zitiert: ADR-RL 2013/11) Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl. 2013 L 176/338 (zitiert: EigenkapitalRL IV 2013/36) Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010, ABl. 2014 L 60/34 (zitiert: Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17) Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation

LIV

RL 2014/65

RL 2014/104

RL 2015/849

RL 2015/2302

RL 2015/2366

RL 2016/97

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Sekundärrechtsakte

(Marktmissbrauchsrichtlinie), ABl. 2014 L 173/179 (zitiert: CRIM-MAD 2014/57) Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. 2014 L 173/349 (zitiert: MiFID II 2014/65) Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. 2014 L 349/1 (zitiert: KartellschadensersatzRL 2014/104) Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/ EG der Kommission, ABl. 2015 L 141/73 (zitiert: GeldwäscheRL 2015/849) Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, ABl. 2015 L 326/1 (zitiert: PRRL 2015/2302) Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG, ABl. 2015 L 337/35 (zitiert: PSD II 2015/2366) Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung), ABl. 2016 L 26/19 (zitiert: IDD 2016/97).

B. Verordnungen VO 17/62 VO 2988/95 VO 659/1999 VO 1346/2000 VO 44/2001

EWG Rat: Verordnung Nr. 17: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, ABl. 1962 13/204 Verordnung Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 L 312/1 (zitiert: Sanktions-VO 2988/95) Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG‑Vertrags, ABl. 1999 L 83/1 (zitiert: BeihVerf-VO 659/1999) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, ABl. 2000 L 160/1 (zitiert: InsolvenzverfahrensVO 1346/2000) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2001 L 12/1 (zitiert: Brüssel I-VO 44/2001)

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Sekundärrechtsakte

VO 1049/2001 VO 1206/2001

VO 1/2003 VO 2201/2003

VO 261/2004

VO 805/2004 VO 2006/2004

VO 1896/2006 VO 717/2007

VO 861/2007

VO 864/2007

VO 1371/2007

VO 1393/2007

LV

VO 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABl. 2001 L 145/43 (zitiert: Transparenz-VO 1049/2001) Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, ABl. 2001 L 174/1 (zitiert: Beweisaufnahme-VO 1206/2001) Verordnung Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1/1. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, ABl. 2003 L 338/1 (zitiert: Brüssel IIa-VO 2201/2003) Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, ABl. 2004 L 46/1 S. 1 (zitiert: Fluggastrechte-VO 261/2004) Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. 2004 L 143/15 Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden („Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz“), ABl. 2004 L 364/1 (zitiert: CPC-VO 2006/2004) Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. 2006 L 399/1 (zitiert: Mahnverfahrens-VO 1896/2006) Verordnung (EG) Nr. 717/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2007 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 2002/21/EG, ABl. 2007 L 171/32 (zitiert: Roaming-VO 717/2007) Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. 2007 L 199/1 (zitiert: Small Claims VO 861/2007) Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II), ABl. 2007 L 199/40 (zitiert: Rom II-VO 864/2007) Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr, ABl. 2007 L 315/14 (zitiert: Eisenbahn-Fahrgastrechte-VO 1371/2007) Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABl. 2007 L 324/79 (zitiert: Zustellungs-VO 1393/2007)

LVI VO 593/2008

VO 207/2009 VO 924/2009

VO 1060/2009 VO 1177/2010

VO 181/2011

VO 531/2012

VO 1215/2012

VO 524/2013

VO 596/2014

VO 1286/2014

VO 2015/847

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Sekundärrechtsakte

Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. 2008 L 177/6 (zitiert: Rom I-VO 593/2008) Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (kodifizierte Fassung), ABl. 2009 L 78/1 (zitiert: Gemeinschaftsmarken-VO 207/2009) Verordnung (EG) Nr. 924/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001, ABl. 2009 L 266/11 Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen, ABl. 2009 L 302/1 (zitiert: Rating-VO 1060/2009) Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004, ABl. 2010 L 334/1 (zitiert: Schifffahrt-Fahrgastrechte-VO 1177/2010) Verordnung (EU) Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004, ABl. 2011 L 55/1 (zitiert: Busverkehr-Fahrgastrechte-VO 181/2011) Verordnung (EU) Nr. 531/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunk­ netzen in der Union (Neufassung), ABl. 2012 L 172/10 (zitiert: RoamingVO 531/2012) Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2012 L 351/1 (zitiert: Brüssel I-VO 1215/2012) Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten), ABl. 2013 L 165/1 (zitiert: ODRVO 524/2013). Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/ EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. 2014 L 173/1 (zitiert: MAR 596/2014) Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP), ABl. 2014 L 352/1 (zitiert: PRIIP-VO 1286/2014) Verordnung (EU) 2015/847 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über die Übermittlung von Angaben bei Geldtransfers und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1781/2006, ABl. 2015 L 141/1 (zitiert: Geldtransfer-VO 2015/847)

1. Teil

Einleitung

§ 1  Problemstellung und Gang der Darstellung A. Unbestimmte (Zivil‑)Rechtsfolgen im Primär- und Sekundärrecht Mit der fortschreitenden Europäisierung weiter Teile des nationalen Rechts wird zunehmend sichtbar, dass das geltende Recht der Europäischen Union an einem nahezu chronischen Rechtsfolgen- und Sanktionsdefizit leidet. Obwohl mittlerweile viele Rechtsgebiete in großem Umfang harmonisiert worden sind, bleibt häufig unklar, ob die betreffenden Normen dem Einzelnen Rechte verleihen, welcher Art diese Rechte sind und welche Rechtsbehelfe und Sanktionen zur Durchsetzung im nationalen Recht vorgesehen werden müssen. Das europäische Primär- und Sekundärrecht formuliert zwar eine Reihe von Gebots- und Verbotsnormen, die im Rechtsverkehr zu beachten sind. Einen eindeutigen Hinweis darauf, inwieweit mit diesen Verpflichtungen zugleich korrespondierende Rechte zugunsten des Einzelnen verbunden sind, enthalten diese Normen jedoch in aller Regel nicht. Auch soweit einzelne Rechtsakte konkrete Rechte oder Ansprüche zugunsten des Einzelnen begründen, bleibt regelmäßig offen, wie diese auszugestalten sind. Dieser Befund trifft in besonderem Maße für das Unionsprivatrecht1 zu. So steht zwar mittlerweile fest, dass die Grundfreiheiten nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern unter gewissen Voraussetzungen auch Private binden und den beeinträchtigten Marktteilnehmern subjektiv-private Rechte vermitteln, die von den mitgliedstaatlichen Gerichten zu schützen sind. Welche Rechtsfolgen sich bei einem Verstoß Privater gegen die Grundfreiheiten ergeben, ist jedoch weitgehend ungeklärt. Entsprechendes gilt für das EU‑Wettbewerbsrecht. Das geschriebene Primärrecht regelt die zivilrechtlichen Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Art. 101, 102 AEUV nur unvollständig. In den Unionsverträgen findet sich lediglich in Art. 101 Abs. 2 AEUV die Anordnung der Nichtigkeit von Vereinbarungen und Beschlüssen, die nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verboten sind. Die offensive Durchsetzung, etwa in Form von Bereicherungs‑, Unterlassungs- oder Belieferungsansprüchen, wird demgegenüber im geschriebenen Primärrecht ebenso wenig geregelt, wie Ansprüche auf Schadensersatz. Auch für das beihilferechtliche Durchführungsverbot (Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV) ist offen, welche (privatrechtlichen) Rechtsfolgen bei einem Verstoß im Verhältnis zwischen Beihilfegeber und Beihilfenehmer eintreten und welche Ansprüche Wettbewerber nach dem Unionsrecht haben.

1   Vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags: Gemeinschaftsprivatrecht. Begriffsprägend MüllerGraff, NJW 1993, 13; ders., GPR 2008, 105: Unionsprivatrecht ist das kraft Unionsrecht in allen bzw. für alle Mitgliedstaaten verbindliche Privatrecht, in Abgrenzung zum völkerrechtlich begründeten Konventionsprivatrecht einerseits und dem gemeineuropäischen Privatrecht bzw. „ius commune“, verstanden als Gesamtheit der in allen oder den meisten Mitgliedstaaten übereinstimmenden privatrechtlichen Rechtssätze, andererseits.

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§ 1  Problemstellung und Gang der Darstellung

Nichts anderes gilt für die zahlreichen Sekundärrechtsakte mit privatrechtlichem Bezug, so beispielsweise für die Antidiskriminierungsrichtlinien sowie für Richtlinien mit verbraucherschützender Zielsetzung. Während viele Verhaltenspflichten, die ein Unternehmer im Rechtsverkehr mit Verbrauchern zu beachten hat, in den letzten Jahren vollständig harmonisiert worden sind, werden die Rechtsbehelfe und Sanktionen nur zum Teil und gerade nicht abschließend geregelt. Der Unionsgesetzgeber beschränkt sich in vielen Richtlinien und Verordnungen auf die allgemeine Vorgabe, dass Verstöße „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ zu sanktionieren sind.2 Die Sanktionierung unionsrechtlicher Normen liegt damit bei den Mitgliedstaaten, die – so das traditionelle Verständnis – die Sanktionen und Rechtsschutzinstrumente nach eigenem Ermessen wählen und das Verfahren ausgestalten können, um unionsrechtlichen Vorgaben Rechnung zu tragen. Die Mitgliedstaaten verfolgen dabei ganz unterschiedliche Strategien, um zu gewährleisten, dass das Unionsrecht durchgesetzt wird. So setzen viele Mitgliedstaaten beispielsweise im Verbraucherrecht3 nicht nur auf die private Rechtsdurchsetzung durch Einzelne und Verbände, sondern zusätzlich auf behördliche Ermittlungs‑, Eingriffs- und Sanktionsbefugnisse. In einigen Ländern werden diese Maßnahmen sogar durch strafrechtliche Sanktionen flankiert. Daneben greifen Selbstregulierungsmechanismen, denen jedoch von Land zu Land ganz unterschiedliche Bedeutung zugemessen wird. Angesichts dieser Unterschiede erscheinen die im Unionsrecht ungeregelten Rechtsfolgen geradezu als Ausdruck einer notwendigen Zurückhaltung, die erforderlich ist, um dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV) Rechnung zu tragen und eine behutsame Rechtsharmonisierung zu ermöglichen.

B. Konkretisierung unbestimmter Rechtsfolgen durch den EuGH Der EuGH schien diese Auffassung zumindest in seiner früheren Rechtsprechung zu teilen. In den Entscheidungen Rewe4 und Comet5 (1976) sowie Deutsche Milchkontor6 (1982) hob der Gerichtshof hervor, dass auf nationales Recht zurückzugreifen ist, soweit das Gemeinschaftsrecht keine Rechtsfolgen anordne. Die Ausgestaltung der Rechtsbehelfe und Sanktionen stand indessen bereits in den genannten Entscheidungen unter der Prämisse, dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung gemeinschaftsrechtlich vorgegebener Verpflichtungen treffen und alle Maßnahmen unterlassen, welche die Verwirklichung der Vertragsziele gefährden könnten (Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit; jetzt Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 – 3 EUV). Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof zentrale Rechtsgrundsätze entwickelt, die auf die Ausgestaltung nationaler Rechtsfolgen Einfluss nehmen. Hierzu gehören neben dem Vorrang und der unmittelbaren Wirkung vor allem die Gebote der Effektivität und Äquivalenz. Ihre eigentliche Sprengkraft haben die vom EuGH aufgestellten Grundsätze durch die Zuerkennung subjektiver Rechte erlangt. Der Gerichtshof hatte bereits in der 2

  Vgl. die umfangreichen Nachweise bei § 4 C.I.4.a.  Ausführlich infra, § 10 C. 4   EuGH, Rs. 33/76 (Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral). 5   EuGH, Rs. 45/76 (Comet). 6   EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor). 3

B. Konkretisierung unbestimmter Rechtsfolgen durch den EuGH

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Rechtssache van Gend & Loos damit begonnen, dem einzelnen Bürger ungeschriebene Rechte zuzusprechen. Über eine völkerrechtliche Sichtweise hinausgehend sieht das Unionsrecht nicht mehr nur Staaten als Rechtssubjekte an, sondern auch den Unionsbürger (Art. 20 AEUV) als Träger von Rechten und Pflichten. Da subjektive Rechte ohne Rechtsmacht (und damit auch ohne Rechtsschutz) nicht denkbar sind, geht mit ihrer Anerkennung im Unionsrecht notwendigerweise das Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes einher: Ubi ius ibi remedium. Oder, wie Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV nunmehr formuliert: „Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“. Der Gerichtshof hat den Schutz subjektiver Rechte im Unionsrecht schrittweise ausgebaut und, gestützt auf die zuvor genannten Grundsätze, ein eigenständiges Sanktionssystem entwickelt, das intensiv in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen eingreift und die nationalen Rechtsschutzsysteme überlagert. Im Primärrecht haben insbesondere die Grundfreiheiten, das Kartellverbot, das beihilferechtliche Durchführungsverbot und die Diskriminierungsverbote eine immer stärker individualschützende Ausrichtung erfahren. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich im Sekundärrecht ab. Auch hier hat der Gerichtshof in zahlreichen Entscheidungen subjektive Rechte des Einzelnen ausdrücklich anerkannt und auf dieser Grundlage die Rechtsfolgen nach unionsrechtlichen Maßstäben bestimmt. Holzschnittartig ergibt sich folgender Befund: – Seit der Rechtssache San Giorgio7 steht fest, dass das Unionsrecht die Existenz eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gebietet, so beispielsweise, wenn von einem Mitgliedstaat in unionsrechtswidriger Weise Abgaben erhoben worden sind. Der EuGH urteilte, dass das Recht auf Erstattung „eine Folge und eine Ergänzung der Rechte darstellt, die den Einzelnen durch die gemeinschaftlichen Vorschriften eingeräumt worden sind.“ – Der Gerichtshof hat ferner – beginnend mit der Rechtssache Francovich8 – einen Staatshaftungsanspruch entwickelt, der in seinen haftungsbegründenden Voraussetzungen und Rechtsfolgen vorwiegend unionsrechtlichen Kriterien unterliegt. Nach Ansicht des EuGH folgt die Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die dem Einzelnen durch mitgliedstaatliches, unionsrechtswidriges Handeln entstehen, dabei „aus dem Wesen der mit dem EWG-Vertrag geschaffenen Rechtsordnung“. – Im Fall Factortame I9 wurde ein aus dem Gemeinschaftsrecht folgendes Recht auf einstweiligen Rechtsschutz anerkannt. – Im Europäischen Umweltrecht10 betonte der Gerichtshof in einer Reihe von Entscheidungen, dass Sekundärrechtsvorschriften zum Grundwasserschutz und zur Luft- und Trinkwasserqualität „Rechte und Pflichten des Einzelnen begründen“. Die Einzelnen müssten daher durch die Umsetzungsgesetzgebung in die Lage versetzt werden, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können.  7

  EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 12. Dazu infra, § 2 D.IV.1.   EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 35; dazu infra, § 2 D.IV.3.  9   EuGH, Rs. C‑213/89 (Factortame u. a. – „Factortame I“); dazu infra, § 2 D.IV.2. 10  Näher infra, § 2 D.IV.4. und § 3 E.V.2.a.  8

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§ 1  Problemstellung und Gang der Darstellung

– Im Kartellrecht hat der EuGH die Rechtsfolgen bei Nichtigkeit einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung in einer Reihe von Entscheidungen ausgeformt. In den Rechtssachen Courage11 und Manfredi12 hob der Gerichtshof zudem hervor, dass die volle Wirksamkeit des Kartellverbots (jetzt Art. 101 AEUV) beeinträchtigt wäre, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch wettbewerbsbeschränkendes Verhalten entstanden ist.13 – Im Antidiskriminierungsrecht leitete der Gerichtshof im Fall Mangold14 aus dem Primärrecht ein ungeschriebenes Verbot der Altersdiskriminierung her. Daneben konkretisierte er in einer Vielzahl von Entscheidungen Schadensersatzansprüche, die einem Diskriminierungsopfer zustehen.15 – Für das Lauterkeitsrecht urteilte der Gerichtshof im Fall Muñoz,16 dass Mitbewerber in bestimmten Fällen die Möglichkeit haben müssen, gegenüber Konkurrenten die Beachtung unionsrechtlich vorgegebener Marktverhaltensregeln im Wege des Zivilprozesses durchzusetzen. – Im Verbraucherrecht17 präzisierte der EuGH für viele Sekundärrechtsakte die nur rudimentär geregelten Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen. – Viele Urteile des EuGH greifen zudem in das mitgliedstaatliche Prozessrecht18 ein. Die Entscheidungen des Gerichtshofs betreffen den Zugang zu Gericht, Fragen der Beweislast, Prozesskosten, Verfahrensdauer und ‑fristen, aber auch Grundprinzipien des Prozesses, wie beispielsweise die Grundsätze der Parteiherrschaft und der richterlichen Passivität. Die effet utile-Rechtsprechung ist im Schrifttum auf scharfe Kritik gestoßen.19 Dem EuGH wird vorgeworfen, er setze den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit zu Lasten der Kompetenzen der Mitgliedstaaten ein20 und nutze diesen als Grundlage für die Schaffung von Rechtsinstituten, für die es keinen konkreten Anhaltspunkt im Unionsrecht gebe.21 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs sei durch Eindimensionalität gekennzeichnet, da er sich in seinen Entscheidungen allein am Zweck der auszulegenden Unionsnorm orientiere, ohne die von der Unionsnorm nicht geschützten Interessen anderer Betroffener einzubeziehen.22 Dies führe zu einer Präponderanz der 11

  EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage).   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.). 13  Näher infra, § 2 E.II.1. und § 7 C. 14   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold). Dazu infra, § 2 E.II.3 und § 5 A.IV.4. 15  Ausführlich infra, §  9 B. – C. 16   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz); dazu infra, § 2 E.II.2. 17  Ausführlich infra, § 2 E.III.2. und § 10 D. – G. 18  Näher infra, § 2 E.IV. 19   Vgl. nur die Kritik an EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold) bei Herzog/Gerken, Stoppt den Europäischen Gerichtshof, FAZ v. 8.9.2008, S. 8; Gerken/Rieble/Roth/Stein/Streinz, „Mangold“ als ausbrechender Rechtsakt, 2009. Zur Staatshaftungsrechtsprechung Ossenbühl, DVBl. 1992, 993, 995 („Rechtsschöpfung in ihrer reinsten Form“, unzulässiger Eingriff in die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten); v. Danwitz, JZ 1994, 335, 338 f. Zur Kritik an EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) vgl. Weyer, GRUR Int. 2002, 57, 58 f. 20   v. Danwitz, DVBl. 1998, 421, 432; Schoch, Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, 2000, S. 22, 47 f. 21  So zur Staatshaftungsrechtsprechung Cornils, Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch, 1995, S. 173 ff.; Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 215 („keine dogmatisch tragfähige Grundlage“). 22   Für das europäische Verwaltungsrecht Schoch, JZ 1995, 109, 117 f. Für das europäische Privatrecht Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 459 ff.; ders., in: FS Maurer, 2001, S. 889, 902 f.; 12

C. Fragestellung

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vom Unionsrecht geschützten Interessen, die im Privatrecht, das auf den Ausgleich gegenläufiger Interessen abziele, nicht akzeptabel sei. Andere sehen im effet utile demgegenüber eine Auslegungsmethode, die den Besonderheiten des Unionsrechts in angemessener Weise Rechnung trägt.23 Eine neuere Untersuchung gelangt zu dem Schluss, dass sich der Vorwurf einer einseitigen Handhabung des effet utile in der Judikatur des EuGH nicht nachweisen lässt.24 Dieses breite Meinungsspektrum deutet darauf hin, dass sich pauschale Aussagen verbieten. Erst eine genauere Rechtsprechungsanalyse zu einzelnen Teilrechtsgebieten kann Aufschluss darüber geben, ob die geäußerte Kritik auf berechtigter Grundlage steht.

C. Fragestellung Angesichts der weitreichenden Vorgaben, die der EuGH in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, setzt sich diese Arbeit zum Ziel, die unionsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten im Allgemeinen (Teil 2: Grundlegung) sowie mit Blick auf verschiedene Rechtsgebiete im Speziellen (Teil 3: Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Primär- und Sekundärrecht) einer kritischen Analyse zu unterziehen. In einem ersten Schritt sind Konzeption, Funktion und Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte zu untersuchen. Klärungsbedürftig ist zunächst die aus kontinentaleuropäischer Sicht merkwürdige Unterscheidung zwischen Rechten (rights) und Rechtsbehelfen (remedies), die nicht nur der Rechtsprechung des EuGH,25 sondern auch dem geschriebenen Unionsrecht26 zugrunde liegt. Vor diesem Hintergrund ist zu analysieren, welche Kriterien der Gerichtshof für die Herleitung (ungeschriebener) subjektiver Unionsrechte verwendet: Ist die unmittelbare Wirkung notwendige, vielleicht sogar hinreichende Voraussetzung für das Entstehen subjektiver Unionsrechte? Ist die Behauptung zutreffend, dass der Einzelne durch die Zuerkennung subjektiver Unionsrechte mobilisiert oder instrumentalisiert werden soll? Wird dem effet utile des Unionsrechts gar Vorrang gegenüber dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz eingeräumt? Trifft die Annahme zu, dass Schutzzweckerwägungen bei der Ermittlung der Unionsrechte überhaupt keine Rolle spielen? Oder ist eine unionsrechtlich „aufgeladene“ Schutznormtheorie auch in der Rechtsprechung des EuGH nachweisbar? Daneben stellt sich das Problem, welche allgemeinen Vorgaben das Unionsrecht in seiner Interpretation durch den EuGH für die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten trifft. Klärungsbedürftig ist vor allem der Grundsatz der Verfahrensautonomie, der nach ständiger Rechtsprechung immer dann greifen soll, soweit sich die bei einem Verstoß eintretenden Rechtsfolgen weder aus dem geschriebenen Unionsrecht noch aus einer (am effet utile orientierten) Auslegung ergeben: Schmid, Die Instrumentalisierung, 2010, S. 802, 814 f. Vgl. auch Herresthal, in: FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 1107, 1120 f.; Grigoleit, AcP 210 (2010), 354, 380 ff. 23   Kutscher, Thesen, 1976, I‑17; Calliess, NJW 2005, 929; Seyr, Der effet utile, 2008, S. 345. 24   Seyr, Der effet utile, 2008, S. 301 ff. Die Rechtsprechung des EuGH zum Privatrecht wird dabei allerdings nicht vollständig ausgewertet. 25  Vgl. infra, § 3 B.II. 26   Vgl. nur Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV.

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§ 1  Problemstellung und Gang der Darstellung

Handelt es sich bei diesem Grundsatz um ein primärrechtliches Prinzip, das den Mitgliedstaaten einen Abwehranspruch gegenüber unionsrechtlichen Einflüssen verleiht? Durch welche Institute und Prinzipien wird der Grundsatz der Verfahrensautonomie relativiert? Können nationale Rechtsfolgen am Maßstab der Grundfreiheiten kon­ trolliert werden? Welche Kriterien sind anzulegen, wenn mitgliedstaatliches Durchführungsrecht nach dem Effektivitäts- und Äquivalenzgebot überprüft wird? Kann aus dem Effektivitätsgebot eine Pflicht abgeleitet werden, einen Verstoß gegen unionsrechtlich begründete Pflichten durch Rechtsfolgen einer bestimmten Teilrechtsordnung (Strafrecht, Verwaltungsrecht, Zivilrecht) zu sanktionieren, selbst wenn sich der entsprechende Rechtsakt auf die allgemeine Forderung einer „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionierung beschränkt? Welche Rolle spielen die sonstigen allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts bei der Kontrolle nationalen Rechts? Sind diese Fragen geklärt, so ist weitergehend zu untersuchen, in welcher Weise das Unionsrecht im mitgliedstaatlichen Recht wirkt und durchgesetzt werden kann: Unter welchen Voraussetzungen kann ein Rechtsstreit von den nationalen Gerichten überhaupt auf der Grundlage einer bestimmten Norm des Unionsrechts entschieden werden? Verleihen unmittelbar wirkende Rechtspositionen zugleich autonome Klagerechte vor den nationalen Gerichten? Entfalten die vom EuGH aus dem Effektivitäts- und Äquivalenzgebot entwickelten Vorgaben eine unmittelbare Wirkung in Privatrechtsverhältnissen? In welcher Weise kann der Einzelne gegen unionsrechtswidrig erlassenes nationales Recht vorgehen und eine Klärung im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH erwirken? Über diese grundlegenden Fragen hinaus ist schließlich zu analysieren, welche konkreten Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen in speziellen Rechtsgebieten bestehen. Die Untersuchung verfolgt insoweit ein zweifaches Anliegen. Einerseits ist der Frage nachzugehen, in welchem Umfang das Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH bereits jetzt konkrete Rechtsbehelfe zur Verfügung stellt und ob der Vorwurf einer einseitigen Handhabung des effet utile berechtigt ist. Andererseits ist das Innovationspotenzial, das der effet utile-Rechtsprechung zugrunde liegt, für einzelne Rechtsgebiete auszuloten: Welche Vorgaben trifft das Unionsrecht für die Bereitstellung und Ausgestaltung zivilrechtlicher Rechtsbehelfe und sonstiger Sanktionen, wenn gegen die Grundfreiheiten, das Kartellverbot, das beihilferechtliche Durchführungsverbot, sozialpolitisch motivierte Diskriminierungsverbote oder Verbraucherschutzrecht verstoßen wird? Lassen sich aus der EuGH-Rechtsprechung weitere Rechtsbehelfe und Sanktionen ableiten? Sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Vertragslösungsrechte und Schadensersatzansprüche, Bereicherungs- und Unterlassungsansprüche vorzusehen? Wie müssen diese Rechtsbehelfe ausgestaltet werden? Entsprechen die im mitgliedstaatlichen (insbesondere deutschen) Recht vorgesehenen Mechanismen der Rechtsdurchsetzung diesen Vorgaben? Welche Ansatzpunkte lassen sich dem Unionsrecht für eine weitere Harmonisierung der Rechtsfolgen auf den genannten Gebieten entnehmen?

D. Gang der Darstellung

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D. Gang der Darstellung Die nachfolgend fortgesetzte Einleitung liefert zunächst einen chronologischen Überblick über die Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung, indem aufgezeigt wird, welche Rechte und Rechtsbehelfe der Gerichtshof im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt hat und mit welcher Intensität auf die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie Einfluss genommen wird (§ 2). Im Anschluss hieran konzentriert sich der zweite Teil dieser Arbeit auf die Konzeption, Funktion und Herleitung ungeschriebener Unionsrechte (§ 3), auf die allgemeinen Vorgaben des Unionsrechts für die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten (§ 4) sowie auf die Frage, wie diese im mitgliedstaatlichen Recht durchgesetzt werden können (§ 5). Der dritte Teil analysiert demgegenüber die Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen für ausgewählte Bereiche des Primär- und Sekundärrechts. Im Mittelpunkt stehen die Grundfreiheiten (§ 6), das Kartellrecht (§ 7), das beihilferechtliche Durchführungsverbot (§ 8), das Antidiskriminierungsrecht (§ 9) sowie das Verbraucherrecht (§ 10). Der Schlussteil fragt sodann nach den Perspektiven einer weiteren Harmonisierung (§ 11) und fasst die wichtigsten Ergebnisse am Ende der Schrift thesenartig zusammen (§ 12).

§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung A. Unionsrechte als Ergebnis europäischen Richterrechts I. Effet utile als bestimmende Auslegungsmethode Die Entwicklung der Unionsrechte wird maßgeblich durch die Rechtsprechung des EuGH geprägt. Zwar hatte die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften von Beginn an auch die Belange und Interessen Einzelner im Blick. Das geschriebene Gemeinschaftsrecht enthielt jedoch nur wenige Bestimmungen, die ausdrücklich darauf gerichtet waren, dem Einzelnen Rechte zu verleihen. Die meisten Normen waren an die Mitgliedstaaten adressiert. Es bedurfte daher einer regelrechten Transformation, damit zahlreiche Bestimmungen des Primär- und Sekundärrechts durch die Interpretationsleistung des Gerichtshofs als subjektive Rechte anerkannt wurden, auf die sich Einzelne vor den innerstaatlichen Gerichten berufen können. Auch die zur Durchführung des Unionsrechts1 entwickelten Regeln sind weitgehend das Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung. Das Unionsrecht wird in der Regel durch die Mitgliedstaaten angewandt und vollzogen (dezentrale Durchführung).2 Damit stellte sich von Anbeginn die Frage, wie eine effektive und möglichst einheitliche Anwendung des Unionsrechts sichergestellt werden kann. Angesichts der strukturellen Defizite der durch das Primärrecht zur Verfügung gestellten „zentralen“ Instrumente, die ein Tätigwerden einer EU‑Institution voraussetzt, kommt den dezentralen Durchführungsmechanismen, insbesondere der gerichtlichen Durchsetzung des Unionsrechts vor den einzelstaatlichen Gerichten eine besondere Rolle zu.3 Indem der Einzelne seine durch das Unionsrecht verliehenen Rechte vor den mitgliedstaatlichen Gerichten durchsetzt, wird zugleich die tatsächliche und effektive Beachtung unionsrechtlicher Vorgaben gefördert. Bislang existiert jedoch kein allgemeines Unionsverfahrensrecht. Die für die Durchsetzung des Unionsrechts erforderlichen Grundsätze mussten daher erst vom Gerichtshof entwickelt werden. Unter den Auslegungsmethoden, die der Gerichtshof im Rahmen seiner Rechtsprechung zu den subjektiven Unionsrechten immer wieder heranzieht, kommt innerhalb der grammatischen, historischen, systematischen und teleologischen Interpretationsmethodik insbesondere dem Telos, und dabei vor allem dem Gebot der „praktischen Wirksamkeit“, besondere Bedeutung zu. Dieses Auslegungskriterium, das in den französischen Fassungen der Entscheidungen des Gerichtshofs als effet 1

  Zum Begriff der „Durchführung“ infra, § 4 A.I.2.   Der direkte Vollzug des Unionsrechts durch EU‑Organe stellt die Ausnahme dar, wenngleich in den letzten Jahren verstärkt Europäische Agenturen errichtet wurden; Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 1740 ff.; Streinz, Europarecht, 10. Aufl., 2016, Rn. 583 ff., 587 ff. 3   Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 22 ff.; Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 391. 2

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§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

utile bezeichnet wird,4 und teils auch mit den Bezeichnungen „volle Wirksamkeit“ (pleine efficacité)5 oder „nützliche Wirkung“6 wiedergegeben wird, ohne dass sich daraus aber nennenswerte Bedeutungsunterschiede ergäben,7 lässt sich als besondere Ausprägung der teleologischen Methode betrachten.8 Auf ihm beruhen zahlreiche Rechtsinstitute, wie etwa der (Anwendungs‑)Vorrang des Unionsrechts, die unmittelbare Wirkung der Grundfreiheiten und anderer Vorschriften des Primärrechts, die unmittelbar vertikale Wirkung von Richtlinien, das Gebot richtlinienkonformer Auslegung, das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot sowie das Gebot effektiven Rechtsschutzes. Der Gerichtshof greift auf den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit darüber hinaus zurück, um die Einräumung spezifischer Rechtsbehelfe zu begründen. So orientiert sich etwa die Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch und die Schadensersatzhaftung Privater für Verstöße gegen das Unionskartellrecht an der Auslegungsregel der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts. Welchen konkreten Inhalt der effet utile hat, ist immer noch ungeklärt. Der Gerichtshof hat dem Begriff verschiedene Bedeutungen beigemessen, die auf einen unterschiedlichen Grad der Effektivität hindeuten.9 Nach einem engen Verständnis fordert der Grundsatz, keine Norm so auszulegen, dass sie völlig sinnlos ist. In diesem Sinne betont der Gerichtshof in einigen Entscheidungen, dass der effet utile verletzt ist, wenn einer Bestimmung des Unionsrechts „jede praktische Wirksamkeit genommen“10 würde oder Vorschriften „sinnentleert“11 bzw. „inhaltsleer“12 wären. In dieser Form war der Grundsatz des effet utile bereits im römischen Recht bekannt.13 Auch im Völkerrecht gilt der allgemeine Grundsatz, dass internationale Abkommen nicht derart auslegt werden dürfen, dass sie ihren Sinn verlieren.14 Darüber hinausgehend verlangt der effet utile, dass Vorschriften des Unionsrechts dahin auszulegen sind, dass ihr Zweck nach Möglichkeit erreicht wird, dass sie einen  4  Erstmals EuGH, Rs. 34/62 (Deutschland/Kommission). Zum EGKS-Vertrag bereits zuvor EuGH, Rs. 30/59 („De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg“/Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl).  5   In vielen Urteilen rekurriert der EuGH sowohl auf die „praktische Wirksamkeit“ (effet utile) als auch auf die „volle Wirksamkeit“ (pleine efficacité). Vgl. etwa EuGH, Rs. 14/68 (Walt Wilhelm) Rn. 4 und 6; Rs. 106/77 (Simmenthal II) Rn. 19/20 und 21/23; Rs. C‑213/89 (Factortame I) Rn.  21 – 22; Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26; Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 30.  6   Diese Formulierung findet sich vor allem in der deutschen Fassung früherer Urteile; vgl. EuGH, Rs. 9/70 (Grad) Rn. 5; Rs. 41/74 (van Duyn) Rn. 12. Auch das EuG greift auf diese Terminologie z. T. zurück; vgl. etwa EuG, Rs. T‑343/08 (Arkema Frankreich/Kommission) Rn. 169 f.  7   Die „praktische Wirksamkeit“ ist insbesondere kein Minus gegenüber der „vollen Wirksamkeit“; ausführlich Seyr, Der effet utile, 2008, S. 282 – 292. Auch Potacs, EuR 2009, 465, 467, geht zu Recht davon aus, dass die zitierten Formulierungen Ausdruck ein und derselben Auslegungsmethode sind.  8   Kutscher, Thesen, 1976, I‑44; Streinz, in: FS Everling, II, 1995, S. 1491, 1493; Zuleeg, EuR 1969, 97, 106 f. Andere sehen im effet utile einen eigenständigen Auslegungsgrundsatz; so z. B. Seyr, Der effet utile, 2008, S. 275 ff. Dagegen aber Ebers, ADC 2010, 313, 315.  9   Potacs, EuR 2009, 465, 467; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 45. 10   EuGH, verb. Rs. C‑143/88 und C‑92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen) Rn. 31; Rs. C‑102/ 97 (Kommission/Deutschland) Rn. 43; Rs. C‑15/03 (Kommission/Österreich) Rn. 38; Rs. C‑619/10 (Trade Agency) Rn. 45; Rs. C‑40/11 (Iida) Rn. 69. 11   EuGH, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 69 zur Wegzugsfreiheit nach den Grundfreiheiten. 12   EuGH, Rs. C‑390/95 P (Antillean Rice Mills u. a./Kommission) Rn. 67, zur außervertraglichen Haftung der Union. 13   Honsell, in: FS Krejci, Bd. 2, 2001, S. 1929, 1930 f. 14   Lerche, Die Umsetzung privatrechtsangleichender Richtlinien auf dem Prüfstand des effet utile, 2004, S. 36.

A. Unionsrechte als Ergebnis europäischen Richterrechts

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„praktischen Nutzen“ haben und ihre „Nutzwirkung“ entfalten. Der effet utile ist in diesem Falle auf die Auffindung von Gesichtspunkten gerichtet, die einer Vorschrift die vom Unionsgesetzgeber gewollte Wirksamkeit verleihen. Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses betont der Gerichtshof in vielen Entscheidungen, dass die praktische Wirksamkeit einer unionsrechtlichen Bestimmung nicht „ernsthaft gefährdet“15 bzw. der Unionsnorm nicht „ein nicht unerheblicher Teil ihrer praktischen Wirksamkeit genommen“16 werden darf. Der Grundsatz bezieht sich dabei sowohl auf die Auslegung im engeren Sinne als auch auf die Rechtsfortbildung.17 Ist eine Unionsnorm mehreren Auslegungen zugänglich und nur eine davon geeignet, ihre praktische Wirksamkeit sicherzustellen, dann ist dieser Auslegung der Vorzug zu geben.18 Der effet utile wird zum anderen zur Rechtsfortbildung herangezogen, um subjektive Rechte zu begründen und die zu ihrer Durchsetzung erforderlichen Rechtsbehelfe und Verfahren nach unionseinheitlichen Kriterien zu bestimmen. Im Schrifttum wird die effet utile-Rechtsprechung teils auch dahingehend verstanden, dass derjenigen Interpretation der Vorzug zu geben ist, bei der sich die Wirkung der Unionsnorm am stärksten entfaltet und ihr praktischer Nutzen am größten ist.19 In der Tat hat der Gerichtshof in einigen Entscheidungen verlangt, dass einer Unionsregelung die „größtmögliche Wirksamkeit“ beizulegen sei,20 oder davon gesprochen, dass die Wirksamkeit einer Maßnahme nicht „abgeschwächt“21 bzw. „geschmälert“22 werden dürfe. Speziell für Richtlinien findet sich in manchen Judikaten die Formulierung, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, „innerhalb der ihnen nach Art. 189 [jetzt Art. 288 AEUV] belassenen Entscheidungsfreiheit die Formen und Mittel zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit (effet utile) der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zwecks am besten eignen“.23 Diese Aussage ist jedoch vereinzelt geblieben. Der EuGH betont gerade in neueren Urteilen, dass mit der Forderung nach der bestmöglichen Umsetzung keine unbegrenzte Kontrollbefugnis durch den EuGH einhergeht.24 Dem entspricht, dass der Gerichtshof unter Rückgriff auf den effet utile Unionsrechte ableitet, die häufig nur rudimentär nach unionseinheitlichen Kriterien bestimmt werden, ansonsten aber hinsichtlich ihrer weiteren Anspruchsvoraussetzungen durch das mitgliedstaatliche Recht weiter ausgeformt werden müssen.25 15

  EuGH, Rs. C‑450/06 (Varec) Rn. 39 (zum Vergaberecht).   EuGH, verb. Rs. C‑68/94 & C‑30/95 (SCPA) Rn. 171 (zur Fusionskontrolle). 17   Der EuGH unterscheidet bekanntlich nicht zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung; die Grenzen zwischen teleologischer Auslegung und Rechtsfortbildung gehen fließend ineinander über. Vgl. nur BGHZ 179, 27, 34 f. = NJW 2009, 427, 428 f. (Quelle II) m. w. N. 18   EuGH, verb. Rs. C‑402 & 432/07 (Sturgeon u. a.) Rn. 47 m. w. N. 19   Buck, Auslegungsmethoden, 1998, S. 209; Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 46; Kutscher, Thesen, 1976, I‑43 f.; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 45. 20   EuGH, Rs. C‑286/90 (Poulsen) Rn. 11. 21   EuGH, Rs. C‑213/89 (Factortame I) Rn. 21; Rs. C‑287/98 (Linster) Rn. 32; Rs. C‑127/02 (Waddenzee) Rn. 66. 22   EuGH, Rs. 106/77 (Simmenthal II) Rn. 19/20. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 33 („gemindert“); sowie EuGH, Rs. C‑435/93 (Dietz) Rn. 31 („beträchtlich geschmälert“). 23  EuGH, Rs. 48/75 (Royer) Rn. 69/73; Herv. hinzugefügt. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑245/00 (SENA) Rn. 38. 24   EuGH, Rs. C‑245/00 (SENA) Rn. 38, 40. 25  Gerade dieser Ansatz führt zur Hybridisierung der Anspruchsgrundlagen; vgl. infra, § 3 E.V.3.e.aa. 16

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§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

Entgegen einer verbreiteten Annahme26 fordert der effet utile auch keine Auslegung im Sinne einer größtmöglichen Ausschöpfung der Unionsrechtsbefugnisse. Zwar mögen derartige Grundsätze die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung von Kompetenznormen am Beginn der Integration geprägt haben. Mit dem effet utile geht jedoch nicht notwendigerweise die Anerkennung ungeschriebener Kompetenzen (implied powers) einher. Die Auslegung nach dem effet utile bezieht sich zum einen nicht nur auf die Interpretation von Kompetenznormen, sondern betrifft die Auslegung des gesamten Unionsrechts.27 Darüber hinaus zeigen viele Entscheidungen, dass der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit gerade dann auf Anwendungsgrenzen stoßen kann, wenn es um die Ausweitung von Unionskompetenzen geht.28

II. Rechtsprechungsphasen Im Schrifttum werden mit Blick auf die Intensität der Einwirkung auf das mitgliedstaatliche Recht üblicherweise drei Rechtsprechungsphasen voneinander unterschieden.29 In einer ersten Phase habe der Gerichtshof den effet utile und das Effektivitätsgebot zurückhaltend angewendet. Die zweite Phase sei demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass der EuGH im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung konkrete Regeln für die Durchführung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts entwickelt habe. Die dritte Phase der Judikatur lasse demgegenüber eine stärkere Berücksichtigung der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie erkennen. Dem wird zum Teil eine vierte Phase hinzugefügt, die durch Rückkehr zu erhöhter Eingriffsintensität gekennzeichnet sein soll.30 Andere wiederum gruppieren die Rechtsprechung danach, inwieweit der EuGH zur Klärung des Umfangs und Gehalts subjektiver Rechte beigetragen hat, und unterscheiden im Wesentlichen zwei Phasen, nämlich die Entwicklung und Verstärkung der unmittelbaren Wirkung einerseits, und die Herausbildung eigenständiger Rechtsbehelfe andererseits.31 Der nachstehende chronologische Überblick kombiniert beide Ansätze. Die Judikatur des Gerichtshofs zu Unionsrechten und Rechtsbehelfen lässt sich nicht trenn26   Insbesondere das BVerfG versteht den Grundsatz des effet utile als „Vertragsauslegung im Sinne einer größtmöglichen Ausschöpfung der Unionsbefugnisse“; BVerfGE 89, 155, 210 = NJW 1993, 3047, 3057 (Maastricht). Gegen diese Interpretation zu Recht Everling, EuR 1994, 127, 128 (in Fn. 12); Calliess/Ruffert/Wegener, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 19 EUV Rn. 16. 27   Seyr, Der effet utile, 2008, S. 109. 28   W.‑H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 807 f., mit Verweis auf EuGH, Rs. C‑2/91 (Meng) Rn. 14 ff. (keine Anwendung des Art. 101 AEUV auf wirtschaftsregulierende Maßnahmen der Mitgliedstaaten mit bloß wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen ohne Beteiligung der Unternehmen an einer Vereinbarung); sowie EuGH, Rs. C‑379/98 (PreussenElektra) Rn. 63 – 65 (zur Reichweite des Beihilfeverbots). 29   v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 477 ff.; Komninos, CMLR 2002, 447, 464; König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 84 ff.; ähnlich Dougan, National Remedies, 2004, S. 227 ff.; vgl. auch Craig/de Búrca, EU Law, 6. Aufl., 2015, S. 231 ff. Lindholm, State Procedure and Union Rights, 2007, S. 127 ff., differenziert inhaltlich zwischen drei verschiedenen Rechtsprechungslinien, nämlich (i) dem „full effectiveness-approach“, (ii) dem „excessively difficultapproach“, und (iii) dem „contextual approach“. Gegen diese Einteilung Reich, in: Liber amicorum Brüggemeier, 2009, S. 381, 384 f. 30   Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 420 ff. 31   Eilmansberger, CMLR 2004, 1199, 1206 ff.; zustimmend Reich, in: Liber amicorum Brüggemeier, 2009, S. 381, 384 f.

B. Die 1960er Jahre

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scharf von den Regeln trennen, die der Gerichtshof zur Durchsetzung dieser Rechte entwickelt hat. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich daher nicht nur darauf, welche subjektiven Rechte und Rechtsbehelfe der Gerichtshof anerkannt hat, sondern zugleich auf die Frage, mit welcher Intensität der EuGH auf die mitgliedstaatliche Durchführungs- bzw. Verfahrensautonomie Einfluss genommen hat.

B. Die 1960er Jahre I. Van Gend & Loos: Rechte des Einzelnen als Attribut einer neuen Rechtsordnung Die Entwicklung subjektiver Unionsrechte nimmt ihren Ausgangspunkt bekanntlich in der Entscheidung van Gend & Loos vom 5. Februar 1963.32 In dem betreffenden Ausgangsverfahren wehrte sich eine niederländische Firma gegen einen nationalen Abgabenbescheid unter Hinweis auf Art. 12 EWGV (heute modifiziert Art. 30 AEUV). Das angerufene nationale Gericht legte daraufhin dem EuGH die Frage vor, ob die Einzelnen aus diesem Artikel unmittelbar Rechte herleiten können, die vom nationalen Richter zu beachten sind. Der Gerichtshof prüfte zunächst, ob der Vertrag grundsätzlich geeignet ist, solche Rechte zu vermitteln. Im Ergebnis wurde dies bejaht. Da der EWG-Vertrag auf die Schaffung eines gemeinsamen Marktes abziele, dessen Funktionieren die der Gemeinschaft angehörigen Einzelnen unmittelbar betreffe, sei der Vertrag mehr als ein Abkommen, das nur wechselseitige Verpflichtungen zwischen den vertragsschließenden Staaten begründe. Die Gemeinschaft stelle, so der Gerichtshof, „eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts“ dar, „zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben, eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind.“ Auch die Frage, ob Art. 12 EWGV dem Einzelnen Rechte verleiht, wurde vom EuGH positiv beantwortet. Zur Begründung verwies der Gerichtshof darauf, dass Rechte der Einzelnen nicht nur dann entstehen, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimme, sondern auch auf Grund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den Einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlege. Der Wortlaut von Art. 12 EWGV enthalte ein solches klares und uneingeschränktes Verbot. Der Gerichtshof hebt damit drei Aspekte hervor, die für die gesamte Dogmatik subjektiver Unionsrechte fortan eine entscheidende Rolle spielen sollten:33 Das Unionsrecht kann erstens dem Einzelnen expressis verbis Rechte verleihen. Zahlreiche Bestimmungen des Unionsrechts tun das, auch wenn sie in der Minderzahl sind. Solche Unionsbestimmungen finden sich auf primärrechtlicher Ebene, häufiger im Sekundärrecht, vor allem in Richtlinien. Rechte des Einzelnen können zweitens aber 32   EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos). Der Gerichtshof hatte bereits zwei Jahre zuvor, im Fall Humblet, zum Problem der Entstehung subjektiver Rechte Stellung bezogen; EuGH, Rs. 6/60 (Humblet); hierzu Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 59 f. Dem Urteil lassen sich jedoch keine allgemeinen Aussagen über die prinzipielle Eignung des Gemeinschaftsrechts zur Begründung subjektiver Rechte entnehmen; wie hier Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 107. 33   So auch Prechal, Directives, 1995, S. 133.

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§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

auch indirekt begründet werden, indem der Union oder den Mitgliedstaaten Pflichten auferlegt werden. In diesem Fall kann drittens die Verpflichtung des Einen ein korrelierendes Recht des Anderen begründen, unabhängig davon, ob der Adressat der verpflichtenden Norm ein Mitgliedstaat, die Union oder ein Einzelner ist. Der Umstand, dass als Adressat einer Norm der Mitgliedstaat benannt ist, steht der Annahme eines subjektiven Rechts nicht entgegen. Vielmehr können Rechte des Einzelnen auch dann bestehen, wenn die betreffende Bestimmung nur eine eindeutige Verpflichtung beinhaltet. Die Entscheidung van Gend & Loos enthält zudem aufschlussreiche Hinweise zu den Gründen für die Einräumung subjektiver Unionsrechte. Einerseits betont der Gerichtshof, dass ein Verstoß gegen Art. 12 EWGV nicht allein durch die Kommission im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens sanktioniert werden dürfe, da ansonsten jeder unmittelbare gerichtliche Schutz der individuellen Rechte der Einzelnen ausgeschlossen wäre. Andererseits hebt das Gericht aber auch die besondere Bedeutung des Einzelnen für die Durchsetzung des Unionsrechts hervor: „Die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen stellt eine wirksame Kontrolle dar, welche die durch die Kommission und die Mitgliedstaaten gemäß den Artikeln 169 und 170 ausgeübte Kontrolle ergänzt.“ – Damit wurden zugleich die Weichen für eine funktionale Theorie der subjektiven Rechte34 gestellt, die den Einzelnen nicht nur als Träger von Rechten und Pflichten begreift, sondern ihn zugleich in den Dienst einer effektiven Durchsetzung des Unionsrechts stellt.

II. Costa/ENEL: Gemeinschaftsrecht als autonome und vorrangige Rechtsquelle Während der EuGH in van Gend & Loos noch von einer „neuen Rechtsordnung des Völkerrechts“ gesprochen hatte, löste sich der Gerichtshof mit seiner Entscheidung Costa/ENEL35 im Jahre 1964 von einer völkerrechtlichen Sichtweise. Er betonte nun, dass der EWG-Vertrag im Unterschied zu gewöhnlichen internationalen Verträgen eine „eigene Rechtsordnung“ geschaffen habe, die bei seinem Inkrafttreten in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden sei. Aus alledem folge, dass dem vom Vertrag geschaffenen, somit „aus einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht“ wegen dieser seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen könnten, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden solle. Der EuGH stellte damit zugleich klar, dass die maßgebliche Rangregel zwischen EG‑Recht und nationalem Recht allein dem EG‑Recht zu entnehmen ist und insoweit der (Anwendungs‑)Vorrang gilt. Sechs Jahre später urteilte der Gerichtshof in der Rechtssache Internationale Handelsgesellschaft,36 dass sich die Vorrangwirkung des autonomen Gemeinschaftsrechts auch auf die nationalen Verfassungen erstreckt. Damit war geklärt, dass individuelle Rechte in vollem Umfang am Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts teilha34

  Ausführlich zu diesem Konzept infra, § 3 D.I.   EuGH, Rs. 6/64 (Costa/ENEL). 36   EuGH, Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft) Rn. 3. 35

C. Die 1970er Jahre

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ben.37 Die besondere Bedeutung des Vorrangs des EG‑Rechts für die Durchsetzung subjektiver Rechte wurde demgegenüber erst im Jahre 1978 im Fall Simmenthal38 hervorgehoben. Hier begründete der Gerichtshof den Vorrang des Gemeinschaftsrechts nicht nur, wie in Costa/ENEL, mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 5 Abs. 2 EWGV; jetzt Art. 4 Abs. 3 EUV), sondern zusätzlich mit der Notwendigkeit, die Rechte, die dem Einzelnen durch Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts erwachsen, wirksam gegenüber nationalen Maßnahmen zu schützen.39 Der Grundsatz des Vorrangs weist damit zugleich eine subjektive Rechtsschutzfunktion auf.40 In etwa die gleiche Zeit fällt auch die Anerkennung der vertikalen Direktwirkung von Entscheidungen (heute Beschlüsse genannt; vgl. Art. 288 UAbs. 4 AEUV) und Richtlinien.41 Auch diese Rechtsprechung ist von dem Gedanken geprägt, nicht nur die einheitliche Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, sondern zugleich dem Schutz von Individualinteressen Rechnung zu tragen.42

C. Die 1970er Jahre Die 1970er Jahre waren einerseits durch den Ausbau der Grundfreiheiten und weiterer Vertragsvorschriften zu subjektiven Rechten geprägt (I.). Andererseits entwickelte der Gerichtshof die Gemeinschaftsgrundrechte als zweite große Kategorie subjektiver Rechte des Gemeinschaftsrechts (II.). Daneben traten Mitte des Jahrzehnts die Gebote der Effektivität und Äquivalenz, die eine wirksame und nicht diskriminierende Durchsetzung der durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte sicherstellen sollen (III.).

I. Grundfreiheiten und sonstige Vertragsvorschriften als subjektive Rechte Mit Blick auf die Grundfreiheiten stellte der Gerichtshof bereits zu Anfang der 1970er Jahre klar, dass die Grundfreiheiten zugleich eine subjektiv-rechtliche Dimension beinhalten. Der in van Gend & Loos ausgesprochene Grundsatz, dass nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Bürger Rechtssubjekte der Gemeinschaftsrechtsordnung sind, wurde schrittweise auf sämtliche Grundfreiheiten erstreckt.43 Die Grundfreihei37  Diese Sichtweise wird bekanntlich nicht von allen mitgliedstaatlichen Verfassungsgerichten geteilt; vgl. die rechtsvergleichende Übersicht bei Mayer, Kompetenzüberschreitung und Letztentscheidung, 2000, S. 140 ff.; Streinz, in: FS Steinberger, 2002, S. 1437, 1456 ff. Zur Rechtslage in Deutschland BVerfGE 73, 339 = NJW 1987, 577 (Solange‑II); BVerfGE 75, 223 = NJW 1988, 1459 (Kloppenburg); BVerfGE 89, 155 = NJW 1993, 3047 (Maastricht); BVerfGE 123, 267 = NJW 2009, 2267 (Lissabon); BVerfGE 126, 286 = NJW 2010, 3422 (Mangold); hierzu Polzin, JuS 2012, 1. Für Frankreich Mayer/Lenski/Wendel, EuR 2008, 63; für Spanien Becker, EuR 2005, 353. 38   EuGH, Rs. 106/77 (Simmenthal). 39   EuGH, Rs. 106/77 (Simmenthal), Leitsatz 2. 40  Hierzu Ipsen, EuR 1979, 223, 228; R. Koch, Einwirkungen, 1994, S. 27. 41   EuGH, Rs. 9/70 (Grad) Rn. 5; Rs. 41/74 (van Duyn) Rn. 12. 42   Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 74 ff., 77. Der EuGH lehnt daher nicht nur eine umgekehrte vertikale Direktwirkung, sondern auch eine horizontale Direktwirkung von Richtlinien ab; siehe infra, § 5 A.IV.1. Für die Direktwirkung einer Richtlinie lässt sich nämlich gerade nicht die Verbesserung des Individualrechtsschutzes anführen, da jedem Rechtsgewinn eines Begünstigten spiegelbildlich der rechtliche Nachteil eines anderen gegenübersteht; Kadelbach, a. a. O., S. 85. 43   Die Anerkennung erfolgte zunächst für die Niederlassungsfreiheit EuGH, Rs. 2/74 (Reyners); dann für die Dienstleistungsfreiheit EuGH, Rs. 33/74 (Van Binsbergen); die Arbeitnehmerfreizügigkeit­

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§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

ten generieren damit seit Ablauf der Übergangszeiten44 nicht nur objektives Recht, sondern räumen dem Einzelnen zugleich das Recht ein, sich gegenüber den verpflichteten Rechtssubjekten auf sie zu berufen. Dieser Prozess wurde einerseits durch die tatbestandliche Ausweitung der Grundfreiheiten von Diskriminierungs- zu allgemeinen Beschränkungsverboten flankiert;45 im Gegenzug erweiterte der Gerichtshof den Kreis möglicher Rechtfertigungsgründe für grundfreiheitenbeschränkende staatliche Maßnahmen.46 Andererseits dehnte der Gerichtshof aber auch den individualrechtlichen Gehalt der Grundfreiheiten aus, indem er den Kreis der Berechtigten47 und Verpflichteten48 vergrößerte. Für das Privatrecht von Bedeutung ist dabei insbesondere die Anerkennung der horizontalen Direktwirkung der Personenverkehrsfreiheiten, die ihren Ausgangspunkt in den Urteilen Walrave49 (1974) und Donà50 (1976) nahm. Auch sonstige Vorschriften des geschriebenen Primärrechts wurden vom Gerichtshof drittschützend ausgelegt. So wurde insbesondere der Grundsatz der Lohngleichheit (Art. 119 EWGV; jetzt Art. 157 AEUV) – ähnlich wie die Grundfreiheiten – in der Defrenne II-Entscheidung51 aus dem Jahre 1976 nicht mehr als eine rein objektivrechtliche Norm verstanden, die gleiche Wettbewerbsbedingungen innerhalb des entstehenden Marktes sicherstellen sollte, sondern als individualschützendes subjektives Recht, das nicht nur im Verhältnis zu öffentlichen Arbeitgebern, sondern zugleich für privatrechtliche Beschäftigungsverhältnisse unmittelbare Wirkung entfaltet. Aus dem zwingenden Charakter des Art. 119 EWGV folge, so der Gerichtshof, dass das Verbot von Diskriminierungen zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern nicht nur für die öffentlichen Behörden verbindlich sei, sondern sich auch auf alle, die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden Tarifverträge und alle Verträge zwischen Privatpersonen erstrecke.52 Art. 119 EWGV begründe Rechte für die Bürger, welche die Gerichte zu schützen haben. Der Gerichtshof wiederholte und bestätigte in seinem Urteil zugleich den in van Gend & Loos aufgestellten Grundsatz, dass Unionsrechte nicht nur dann entstehen, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch aufgrund von eindeutigen Pflichten: Dass Art. 119 EWGV ausdrücklich die Mitgliedstaaten anspreche, schließe nicht aus, dass zugleich allen an der Einhaltung der so umschriebenen Pflichten interessierten Privatpersonen Rechte verliehen sein können.53 Die Defrenne‑II-Entscheidung wurde im Jahr 2000 wiederum vom Gerichtshof herangezogen, um im Fall Angonese54 zu begründen, dass die ArbeitnehEuGH, Rs. 41/74 (Van Duyn) Rn. 4 ff.; und schließlich für die Warenverkehrsfreiheit EuGH, Rs. 74/76 (Iannelli) Rn. 13 und Rs. 83/78 (Pigs Marketing Board). 44   Ablauf der ersten Übergangszeit: 31.12.1969 (vgl. Art. 7 i. V. m. Art. 247 Abs. 2 EWGV und der Gemeinsamen Bekanntmachung vom 27.12.1957, BGBl. II 1958, S. 1). Zu den weiteren Übergangszeiten siehe Art. 31, 33, 35, 48 Abs. 1, 52 Abs. 1, 59 Abs. 1 und Art. 67 EWGV. 45  Für die Warenverkehrsfreiheit EuGH, Rs. 8/74 (Dassonville), später eingeschränkt durch EuGH, verb. Rs. C‑267 – 268/91 (Keck und Mithouard) Rn. 16. Für die anderen Grundfreiheiten siehe infra, §  6 C.I. – II.1. – 3. 46   Für die Warenverkehrsfreiheit EuGH, Rs. 120/78 (Rewe-Zentral – „Cassis de Dijon“). 47  Hierzu infra, § 6 B.I.4. 48  Hierzu infra, § 6 E. 49   EuGH, Rs. 36/74 (Walrave) Rn. 16 ff. 50   EuGH, Rs. 13/76 (Donà) Rn. 17 f. 51   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II). 52   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 39. 53   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 30. 54   EuGH, Rs. C‑281/98 (Angonese) Rn. 34 ff.

C. Die 1970er Jahre

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merfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) nicht nur kollektiv handelnde Personengruppen, sondern auch einzelne private Unternehmen bindet.

II. Anerkennung der Gemeinschaftsgrundrechte Die Bedeutung subjektiver Rechte als qualifizierendes Merkmal der Gemeinschaftsrechtsordnung zeigte sich in den 1970er Jahren nicht nur an der integrations- und rechtsschutzfreundlichen Interpretation des geschriebenen Gemeinschaftsrechts, sondern auch an der Entwicklung ungeschriebener Rechtsgrundsätze, insbesondere der Herausbildung eines genuin europäischen Grundrechtsschutzes. Obwohl der ursprüngliche EWG-Vertrag keine allgemeinen Grundrechtsverbürgungen kannte, verlieh der Gerichtshof kraft Richterrechts dem einzelnen Bürger einen gemeinschaftsrechtlich garantierten Grundrechtsschutz. Ihren Ausgangspunkt nahm diese Rechtsprechung im Fall Stauder55 aus dem Jahre 1969, in dem es um eine Kommissionsentscheidung ging, welche die Abgabe verbilligter Butter an Sozialhilfeempfänger von der Individualisierung der Berechtigten auf dem Bezugsschein abhängig machte. Der Kläger sah sich durch dieses Erfordernis in seinen Grundrechten verletzt. Der EuGH befand auf Vorlage des zuständigen Gerichts, dass unverhältnismäßig in das Persönlichkeitsrecht eingegriffen werde, weil ein anonymisiertes Verfahren als milderes Mittel genüge. Damit war der Weg für die Anerkennung der Gemeinschaftsgrundrechte geebnet.56 Als Rechtsquelle führte der Gerichtshof dabei zunächst die allgemeinen Rechtsgrundsätze an, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern habe, und die unter Berücksichtigung der Struktur und der Ziele der Gemeinschaft aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten herzuleiten seien.57 Darüber hinaus nahm er in späteren Entscheidungen zunehmend auf die internationalen Verträge zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere auf die EMRK, Bezug.58

III. Rewe und Comet: „Entdeckung“ des Effektivitätsund Äquivalenzgebots Neben den Gemeinschaftsgrundrechten bildete der Gerichtshof eine Fülle weiterer allgemeiner Rechtsgrundsätze heraus.59 Unter diesen kommt den Grundsätzen der Effektivität und Äquivalenz eine herausragende Bedeutung für die Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Rechte zu. Der Gerichtshof urteilte im Jahre 1976 in den Fällen Rewe60 und Comet,61 dass die innerstaatlichen Gerichte entsprechend der in Art. 5 EWGV ausgesprochenen Mitwirkungspflicht den Rechtsschutz gewährleisten müssen, der sich für die Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt. Zwar sei es mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung grundsätzlich Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, 55

  EuGH, Rs. 29/69 (Stauder).   Zur Entwicklung Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 298 ff. Vgl. auch Schilling, EuGRZ 2000, 3, 11 ff. 57   EuGH, Rs. 11/70 (Internationale Handelsgemeinschaft) Rn. 4. 58  Vgl. insb. EuGH, Rs. 4/73 (Nold/Kommission) Rn. 13; Rs. 36/75 (Rutili) Rn. 32; Rs. 44/79 (Hauer) Rn. 17 f. 59   Vgl. die Übersicht bei Metzger, Extra legem, intra ius, 2009, S. 331 ff. 60   EuGH, Rs. 33/76 (Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral) Rn. 5. 61   EuGH, Rs. 45/76 (Comet) Rn. 11/18. 56

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§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Die nationalen Vorschriften dürften jedoch die Ausübung gemeinschaftsrechtlich verliehener Rechte nicht praktisch unmöglich machen und die Bedingungen auch nicht ungünstiger ausgestalten als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen. Beide Gebote, die der EuGH in seiner späteren Rechtsprechung als Effektivitätsgrundsatz und Äquivalenz- bzw. Gleichwertigkeitsgrundsatz bezeichnet hat,62 spielten allerdings bis Mitte der 1980er Jahre keine nennenswerte Rolle. Der Gerichtshof kam in seinen Entscheidungen ganz überwiegend zum Ergebnis, dass das anwendbare nationale Organisations- und Verfahrensrecht nicht zu beanstanden war.63 Der Hinweis auf beide Gebote diente in dieser frühen Phase allein dazu, restriktive Sonderregelungen der Mitgliedstaaten für gemeinschaftsrechtlich begründete Rechte auszuschließen.64 Zu diesem Befund passt, dass der Gerichtshof auch seine Funktion im Verhältnis zum Gemeinschaftsgesetzgeber äußerst zurückhaltend definierte.65 So bedauerte er zwar in vielen Urteilen das Fehlen gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften im Bereich des Verfahrensrechts.66 Gleichzeitig nahm er aber von einer Rechtsfortbildung Abstand und betonte stattdessen, dass es „nicht Aufgabe des Gerichtshofs [sei], allgemeine materiell- und verfahrensrechtliche Bestimmungen aufzustellen, die nur von den zuständigen Instanzen erlassen werden können.“67 Vor diesem Hintergrund stellte der EuGH im Jahre 1981 im Butterfahrten-Urteil68 gleichzeitig klar, dass der Vertrag „nicht zusätzlich zu den nach nationalem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen neue Klagemöglichkeiten zur Wahrung des Gemeinschaftsrechts vor den nationalen Gerichten schaffen wollte.“

D. Die 1980er und 1990er Jahre Mitte der 1980er Jahre trat die Rechtsprechung des EuGH in eine neue Phase. Der Gerichtshof entwickelte aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen das Gemeinschaftsgrundrecht auf effektiven Rechtsschutz sowie das Grundrecht auf ein faires Verfahren (I.). Darüber hinaus verschärfte er die sich aus dem Effektivitätsgrundsatz ergebenden Anforderungen, indem er im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung unter Zugrundelegung des effet utile zunehmend selbst Regeln für die Durchführung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts aufstellte (II.). Ergänzend hierzu wurde das Gebot der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionierung“ 62   So erstmals in EuGH, Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 27. Seitdem st. Rspr, vgl. EuGH, Rs. C‑231/ 96 (Edis) Rn. 34 ff.; Rs. C‑453/99 (Courage), Rn. 29; Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 46. 63  Vgl. EuGH, Rs. 33/76 (Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral) Rn. 5; Rs. 45/76 (Comet) Rn. 11/18; Rs. 68/79 (Just) Rn. 25 ff.; Rs. 61/79 (Denkavit Italiana) Rn. 25 – 27; verb. Rs. 119 & 126/79 (Lippische Hauptgenossenschaft und Westfälische Central-Genossenschaft) Rn. 8; Rs. 130/79 (Express Dairy Foods) Rn. 12; Rs. 811/79 (Ariete) Rn. 12 – 16; Rs. 826/79 (Mireco) Rn.  13 – 15. 64   So im Fall EuGH, verb. Rs. 66, 127 – 128/79 (Salumi) Rn. 21. 65   So auch König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 85 f. 66   Vgl. etwa EuGH, Rs. 130/79 (Express Dairy Foods) Rn. 12; Rs. 54/81 (Fromme) Rn. 4. 67   EuGH, Rs. 130/79 (Express Dairy Foods) Rn. 12; vgl. auch EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 24. 68   EuGH, Rs. 158/80 (Rewe Handelsgesellschaft Nord und Rewe-Markt Steffen) Rn. 44.

D. Die 1980er und 1990er Jahre

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entwickelt  (III.). Diese Rechtsprechungsphase wurde durch die Herleitung neuer Rechtsbehelfe begleitet, die dem Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt zustehen (IV. – V.).

I. Die Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren Der Gerichtshof hatte bereits Anfang der 1980er Jahre verschiedene Einzelgarantien anerkannt, die auf einen effektiven Rechtsschutz und ein faires Gerichtsverfahren abzielten.69 Damit war jedoch noch keine allgemeine Anerkennung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren verbunden. Die einzelnen Rechtsschutz- und Verfahrensgarantien wurden vielmehr zunächst im Wege der Auslegung sekundärrechtlicher Bestimmungen gewonnen.70 Erst die Johnston-Entscheidung71 aus dem Jahre 1986 brachte die entscheidende Wende. In dem zugrunde liegenden Fall trug die Klägerin des Ausgangsverfahrens vor, dass ihr Beschäftigungsverhältnis als Hilfspolizistin in Nordirland unter Verletzung des in der Allgemeinen Gleichbehandlungs-RL 76/207 statuierten Diskriminierungsverbots nicht verlängert worden war. Die Polizeibehörde rechtfertigte die beanstandete Diskriminierung unter Hinweis auf eine ministerielle Bescheinigung, nach der die betreffende Handlung zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorgenommen worden war. Eine solche Bescheinigung galt nach dem anwendbaren Verfahrensrecht als unwiderleglicher Beweis dafür, dass die betreffende Handlung zum behaupteten Zweck vorgenommen worden war. Hierin lag nach Auffassung des EuGH eine Versagung effektiven Rechtsschutzes, da der Klägerin jede Möglichkeit genommen wurde, die von den Polizeibehörden vorgetragenen Gründe für die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gerichtlich überprüfen zu lassen. Zur Begründung stützte sich das Gericht nicht nur auf Art. 6 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207, wonach jedermann, der sich durch eine Diskriminierung für beschwert hält, „seine Rechte gerichtlich geltend machen kann.“ Vielmehr qualifizierte es diese Vorschrift als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaten zugrunde liegt und auch in den Art. 6, 13 EMRK verankert ist.72 Nach diesem Grundsatz habe jedermann, der sich durch eine Handlung verletzt sehe, Anspruch auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes durch ein zuständiges Gericht. Den Mitgliedstaaten obliege es, eine effektive richterliche Kontrolle des innerstaatlichen Rechts sicherzustellen, das der Verwirklichung der in der Richtlinie vorgesehenen Rechte diene. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz wurde ein Jahr später im Fall Heylens73 auch im Zusammenhang mit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer anerkannt, auf weitere Gebiete übertragen und schließlich als allgemeiner Rechtsgrundsatz des 69   Vgl. EuGH, Rs. 78/79 (Pecastaing) Rn. 9 ff., zum Recht auf einen fairen Prozess; Rs. 155/79 (AM & S) Rn. 22 ff., zur Vertraulichkeit der Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant. 70   Schon früh hatte der Gerichtshof betont, dass er sich dem Verbot der Rechtsverweigerung (déni de justice) verpflichtet fühlt, und entschieden, dass eine Rechtsschutz gewährende Vorschrift im Zweifelsfall nicht zuungunsten des Rechtsunterworfenen einschränkend ausgelegt werden darf; vgl. EuGH, verb. Rs. 7/56, 3 – 7/57 (Algera); Rs. 6/60 (Humblet) LS 1; Rs. 25/62 (Plaumann/Kommission) LS 3. Zur Herleitung von Verfahrensgarantien aus sekundärrechtlichen Vorschriften vgl. auch EuGH, Rs. 78/ 79 (Pecastaing) Rn. 21 f. 71   EuGH, Rs. 222/84 (Johnston). 72   EuGH, Rs. 222/84 (Johnston) Rn. 18 f. 73   EuGH, Rs. 222/86 (Heylens) Rn. 14 ff.; vgl. auch EuGH, Rs. C‑340/89 (Vlassopoulou) Rn. 22.

22

§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

Gemeinschaftsrechts bestätigt.74 Damit stand endgültig fest, dass dieses Grundrecht auch ohne ausdrückliche sekundärrechtliche Regelung von den Mitgliedstaaten beachtet werden muss. Eine ähnliche Entwicklung, wenngleich zeitlich versetzt, durchlief das Recht auf ein faires Verfahren, das zunächst nur dem Handeln der Gemeinschaftsorgane Grenzen setzen sollte,75 im Anschluss an die Johnston-Entscheidung sukzessive als Grundrecht anerkannt wurde76 und seit 2003 zunehmend herangezogen wird, um mitgliedstaatliches Prozessrecht in Durchführungssituationen zu kontrollieren.77 Mittlerweile wurden in der Rechtsprechung zahlreiche Einzelausprägungen anerkannt, die auch für das Zivilverfahren Geltung beanspruchen.78 Hierzu zählen u. a. der Anspruch auf rechtliches Gehör einschließlich des Grundsatzes der Wahrung der Verteidigungsrechte und des kontradiktorischen Verfahrens,79 die prozessuale Waffengleichheit,80 das Recht auf anwaltliche Vertretung einschließlich des Rechts auf Vertraulichkeit der Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant,81 die angemessene Beteiligung der Parteien am Beweisverfahren,82 sowie der Anspruch auf zeitnahen Rechtsschutz in angemessener Frist.83 Wenngleich der Gerichtshof mit der Johnston-Entscheidung das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus dem allgemeinen Prinzip der effektiven Rechtsgeltung herausgelöst und auf eine neue, selbständige Basis gestellt hatte, ist die genaue Bedeutung und Reichweite des Gemeinschaftsgrundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nach wie vor unklar. Dies liegt vor allem daran, dass sich die Rechtsprechung des EuGH zur Bindung der Mitgliedstaaten an den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes weitgehend 74

  EuGH, Rs. C‑97/91 (Borelli/Kommission) Rn. 13 f.; Rs. C‑459/99 (MRAX) Rn. 101.   Der Gerichtshof erkannte bereits in der Anfangsphase des europäischen Integrationsprozesses die Existenz bestimmter Ausprägungen des „fairen Verfahrens“ an; so insbesondere den Anspruch auf rechtliches Gehör und den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte in EuGH, Rs. 26/63 (Pistoj/Kommission) LS 8, und Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission) Rn. 9, 11 sowie Rs. 322/82 (Michelin/Kommission) Rn. 7; sowie den Anspruch auf Entscheidung in einem angemessenen Zeitraum in EuGH, Rs. 120/73 (Lorenz) Rn. 4. 76   Erste Anklänge bereits in EuGH, Rs. 257/85 (Dufay) Rn. 10. Die endgültige Anerkennung des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren unter Bezugnahme auf Art. 6 EMRK erfolgte allerdings erst im Jahre 1999 durch EuGH, Rs. C‑185/95 P (Baustahlgewebe/Kommission) Rn. 20 f.; seitdem stRspr., EuGH, verb. Rs. C‑174 & 189/98 P (van der Wal/Kommission) Rn. 17; Rs. C‑7/98 (Krombach) Rn. 39; Rs. C‑276/01 (Steffensen) Rn. 72, 74 ff. 77   Paradigmatisch EuGH, Rs. C‑276/01 (Steffensen). Hierzu infra, § 4 C.I.3.b. 78  Vertiefend Heinze, EuR 2008, 654, 668 ff.; ders., in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. I, Tübingen 2009, Stichwort „Faires Verfahren“, S. 573 ff. Für einen Vergleich zwischen EuGH- und EGMR-Rechtsprechung Pache, NVwZ 2001, 1343 ff. 79   Die drei genannten Grundsätze werden in der Judikatur nicht klar voneinander abgegrenzt; vgl. EuGH, Rs. C‑341/04 (Eurofood) Rn. 66; Rs. C‑283/05 (ASML) Rn. 27; Rs. C‑450/06 (Varec) Rn. 46 f. Hierzu Heinze, EuR 2008, 654, 669 f. 80   EuGH, Rs. C‑13/99 P (TEAM/Kommission) Rn. 32 ff.; Rs. C‑64/98 P (Odette Nicos Petrides/ Kommission) Rn. 31 f.; EuGH, Rs. C‑341/04 (Eurofood) Rn. 66. Auch zum Grundsatz der Waffengleichheit hat sich noch keine gefestigte Rechtsprechungslinie entwickelt. Der Grundsatz wird teilweise mit dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens gleichgesetzt; Schorkopf, in: Hesselhaus/ Nowak (Hrsg.), Hdb. der Europäischen Grundrechte, 2006, § 53 Rn. 30. 81   EuGH, Rs. 155/79 (AM & S) Rn. 18 – 22; Rs. C‑305/05 (Ordre des barreaux francophones et germanophone) Rn. 32. 82   EuGH, Rs. C‑276/01 (Steffensen) Rn.  76 – 79. 83   EuGH, Rs. 120/73 (Lorenz/Kommission) Rn. 4; Rs. C‑185/95P (Baustahlgewebe/Kommission) Rn. 26 ff.; verb. Rs. C‑403 & 405/04 P (Sumitomo Metal Industries) Rn. 115. 75

D. Die 1980er und 1990er Jahre

23

mit seiner hiervon nur schwer abgrenzbaren Rechtsprechung zum allgemeinen Effektivitätsgrundsatz überschneidet.84 Formal betrachtet differenziert der Gerichtshof immer noch zwischen beiden Prinzipien. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz auf der einen und das Effektivitätsgebot auf der anderen Seite stehen selbst in der neueren Rechtsprechung als eigenständige Prinzipien nebeneinander, ohne dass beide zu einem allgemeinen Gebot der effektiven Durchsetzung des unionalen Rechts verschmolzen wären.85 Der Gerichtshof stützte sich auch nach der Johnston-Entscheidung in den Fällen sog. indirekter Kollisionen86 nicht auf das Gemeinschaftsgrundrecht auf effektiven Rechtsschutz, sondern auf das Effektivitätsgebot, um spezifische Anforderungen an die (gerichtliche) Durchsetzung von Gemeinschaftsrechten zu formulieren.

II. Verschärfung des Effektivitätsgebots Die sich aus dem Effektivitätsgebot ergebenden Anforderungen für den mitgliedstaatlichen Rechtsschutz wurden schrittweise verschärft. So entschied der Gerichtshof im Jahre 1983 im Fall San Giorgio,87 dass nicht nur solche nationalen Rechtssätze gegen das Effektivitätsgebot verstoßen, die die Verfolgung von gemeinschaftsrechtlich begründeten Rechten unmöglich machten, sondern bereits solche, die die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts übermäßig erschwerten. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe urteilte der EuGH in den Fällen San Giorgio88 und wenig später in Bianco und Girard,89 dass in einem Prozess über die Erstattung gemeinschaftswidrig erhobener Abgaben nicht einseitig zugunsten der öffentlichen Hand vermutet werden darf, dass es dem Abgabenpflichtigen gelungen ist, die Abgaben an den Markt weiterzureichen (passing on); insbesondere darf dem Abgabenpflichtigen nicht die Beweislast dafür auferlegt werden, dass keine Abwälzung stattgefunden hat. Auch die Rückforderung gemeinschaftswidriger Beihilfen wurde deutlich restriktiver gehandhabt. Hatte der Gerichtshof für die Rückforderung rechtswidriger Gemeinschaftsbeihilfen im Fall Deutsche Milchkontor90 (1982) noch die grundsätzliche Vereinbarkeit mitgliedstaatlicher Ausschlussgründe festgestellt, so wurde durch die Entscheidungen Deufil91 (1987), BUG-Alutechnik92 (1990) und Alcan II93 (1997) deutlich, dass für die Rückforderung gemeinschaftswidriger nationaler Beihilfen strenge Anforderungen gelten. Nach dieser Rechtsprechung kann sich der Beihilfeempfänger bei einem Rückforderungsbescheid nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, wenn er sich nicht über die Einhaltung der in Art. 108 AEUV vorgesehenen Verfahrensschritte informiert hat.94 84   Ebenso Ehlers/Gundel, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 27 Rn. 49 ff.; Nowak, in: Hesselhaus/Nowak (Hrsg.), Hdb. der Europäischen Grundrechte, 2006, § 51 Rn. 11. 85  Anders Heinze, JZ 2011, 709, 713, der eine Verschmelzung beider Prinzipien konstatiert. Ausführlich zum Verhältnis zwischen dem Unionsgrundrecht auf effektiven Rechtsschutz und dem Effektivitätsgebot infra, § 4 C.I.3. 86   Zum Begriff der indirekten Kollision infra, § 4 V.2.b. 87   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 14. 88   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 14. 89   EuGH, verb. Rs. 331, 376 & 378/85 (Bianco und Girard) Rn. 11 f. 90   EuGH, verb. Rs. 205 – 215 (Deutsche Milchkontor) Rn. 30 ff. 91   EuGH, Rs. 310/85 (Deufil) Rn. 20 ff. 92   EuGH, Rs. C‑5/89 (Kommission/Deutschland – „BUG-Alutechnik“) Rn. 14. 93   EuGH, Rs. C‑24/95 (Alcan II) Rn. 25. 94   Ausführlich zur Rechtsprechung infra, § 8 C.IV.3.

24

§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

Der EuGH kontrollierte des Weiteren auch mitgliedstaatliche Verjährungsvorschriften und Klagefristen verstärkt am Maßstab des Effektivitätsgebots. Während der Gerichtshof in früheren Fällen die Festsetzung von Ausschlussfristen nicht beanstandet und diese als Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit begriffen hatte,95 erklärte er mitgliedstaatliche Fristenregelungen ab Mitte der 1980er Jahre in einer Reihe von Entscheidungen für unvereinbar mit dem Effektivitätsgrundsatz. Die Rechtsprechung betraf dabei zum einen Verfahren, in denen die Mitgliedstaaten nach Erlass eines für sie ungünstigen Urteils durch die rückwirkende Einführung von Verjährungsfristen versucht hatten, Ansprüchen von Geschädigten zu entgehen. Dies wurde vom EuGH als unzulässig angesehen. Das Effektivitätsgebot verbietet den Mitgliedstaaten den Erlass von rückwirkenden Fristenregelungen, die Ansprüche des Geschädigten vollständig ausschließen.96 Zum anderen folgerte der Gerichtshof aus dem Effektivitätsgebot, dass eine rückwirkende Anwendung einer neuen, kürzeren und gegebenenfalls für den Einzelnen restriktiveren Frist nur dann zulässig ist, wenn die neu festgesetzte Frist nicht nur angemessen ist, sondern zugleich mit Übergangsregelungen versehen wird, die dem Einzelnen eine Frist einräumen, die ausreicht, um nach Erlass der Regelung seine Rechte geltend zu machen, die er unter der alten Regelung hätte geltend machen können.97 Besonders weitreichend waren aber die in Emmott98 im Jahre 1991 aufgestellten Grundsätze zur Verjährung von Ansprüchen des Einzelnen, die auf nicht rechtzeitig umgesetzten Richtlinien beruhen. Zwar erkannte der Gerichtshof grundsätzlich an, dass die Wahrung der Rechtssicherheit auch Verfahrensfristen erforderlich machen kann.99 Gleichzeitig betonte er jedoch, dass diese Fristen im Verhältnis zu Rechten aus nicht umgesetzten Richtlinien generell nicht zum Zuge kommen sollten. Solange eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt werde, sei der Einzelne, so der Gerichtshof, nicht in die Lage versetzt worden, in vollem Umfang von seinen Rechten Kenntnis zu erlangen.100 Dieser Zustand der Unsicherheit bestehe selbst dann fort, wenn der EuGH bereits in anderen Entscheidungen entschieden habe, dass Bestimmungen der Richtlinien hinreichend genau und unbedingt sind, um vor den nationalen Gerichten in Anspruch genommen werden zu können. Hieraus folgerte der Gerichtshof, dass „sich der säumige Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie nicht auf die Verspätung einer Klage berufen kann, die ein einzelner zum Schutz der ihm durch die Bestimmungen dieser Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben hat, und dass die Klagefrist des nationalen Rechts erst zu diesem Zeitpunkt beginnen kann.“101

 95

  Vgl. nur EuGH, Rs. 33/76 (Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral) Rn. 5.   EuGH, Rs. 309/85 (Barra) Rn. 19 ff.; Rs. 240/87 (Deville) Rn. 18. Widersprüchlich bleibt die Entscheidung EuGH, Rs. 24/86 (Blaizot). Obwohl es in den Fällen Blaizot und Barra um dieselbe belgische Regelung über Studiengebühren ging, die in EuGH, Rs. 293/83 (Gravier), für gemeinschaftswidrig erklärt worden war, beschränkte er die Wirkungen des Urteils Blaizot auf die Zukunft und ließ die zugrunde liegende Fristenregelung dementsprechend unbeanstandet; hierzu Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 140 – 143; Kokott/Henze, NJW 2006, 177, 181.  97   EuGH, Rs. C‑62/00 (Marks & Spencer) Rn. 37 f.; Rs. C‑255/00 (Grundig Italiana) Rn. 35 ff.  98   EuGH, Rs. C‑208/90 (Emmott).  99   EuGH, Rs. C‑208/90 (Emmott) Rn. 16 f. 100   EuGH, Rs. C‑208/90 (Emmott) Rn. 21. 101   EuGH, Rs. C‑208/90 (Emmott) Rn. 23.  96

D. Die 1980er und 1990er Jahre

25

Im Anschluss gingen Schrifttum und nationale Gerichte davon aus, dass Ansprüche des Einzelnen, die auf nicht rechtzeitig umgesetzten Richtlinien beruhen, durch nationale Antrags‑, Klage- oder Verjährungsfristen erst mit der ordnungsgemäßen Umsetzung anlaufen können.102 Von dieser „Emmott’sche Fristenhemmung“ nahm der Gerichtshof jedoch in späteren Entscheidungen deutlich Abstand. Er betont heute, dass eine Fristenhemmung nur unter besonderen Umständen greift, wenn dem Kläger durch den Ablauf der Klagefrist jede Möglichkeit genommen wird, den auf die Richtlinie gestützten Anspruch geltend zu machen.103 Das Recht des Bürgers darf mit anderen Worten nicht „in der Substanz berührt“ werden.104 Solange dies nicht der Fall ist, beginnt die Frist dagegen schon vor Umsetzung zu laufen.105 Aus dem Effektivitätsgrundsatz folgt also gerade keine allgemeine Fristenhemmung.

III. Der Grundsatz der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionierung Der Gerichtshof entwickelte Mitte der 1980er Jahre noch einen weiteren Grundsatz, der für die Ausgestaltung von Rechtsbehelfen von Bedeutung ist, nämlich den der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionierung. Ihren Ausgangspunkt nimmt diese Rechtsprechung im Jahre 1984 mit den Entscheidungen von Colson und Kaman106 und Harz.107 Wenig später bestätigte der Gerichtshof im Fall Griechischer Maisskandal108 ganz allgemein, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 5 EWGV (jetzt Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV) dazu verpflichtet sind, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten: „Dabei müssen die Mitgliedstaaten, denen allerdings die Wahl der Sanktionen verbleibt, namentlich darauf achten, daß Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein muß.“ Zwar betreffen diejenigen Fallgestaltungen, in denen der Gerichtshof auf die Formel der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen“ zurückgreift, nicht primär die Rechtsstellung des Einzelnen. Im Unterschied zum Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz und dem Effektivitätsgebot bezieht sich diese Forderung nämlich nicht auf die Durchsetzung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte des Einzelnen, sondern auf die Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Pflichten.109 Dennoch steht diese Rechtsprechungslinie mit der Judikatur zum effek102

  Zum damaligen Diskussionsstand Gundel, NVwZ 1998, 910, 914 f.   EuGH, C‑338/91 (Steenhorst-Neerings) Rn. 18 ff.; Rs. C‑410/92 (Johnson) Rn. 26; endgültig bestätigt durch Rs. C‑188/95 (Fantask) Rn. 51. Seitdem st. Rspr., vgl. EuGH, Rs. C‑228/96 (Aprile II) Rn. 41. 104   EuGH, Rs. C‑212/94 (FMC) Rn. 64. 105   EuGH, Rs. C‑188/95 (Fantask) Rn. 52; Rs. C‑228/96 (Aprile II) Rn. 42. 106   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann). 107   EuGH, Rs. 79/83 (Harz). 108   EuGH, Rs. 68/88 (Kommission/Griechenland – „Griechischer Maisskandal“) Rn. 23 f. 109   Im Schrifttum wird daher vielfach betont, dass es sich um eine andere Rechtsprechungslinie handelt, die mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht in Zusammenhang steht; Lindholm, State Procedure and Union Rights, 2007, S. 27. Rott, in: Wilhelmsson/Pannio/Pohjolainen (Hrsg.), Private Law and the Many Cultures of Europe, 2007, S. 305, 307, betont demgegenüber zu Recht die Verbindungslinien. 103

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§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

tiven Rechtsschutz in engem Zusammenhang, kann doch aus dem Grundsatz wirksamer Sanktionierung zugleich folgen, dass die Mitgliedstaaten öffentlich-rechtliche oder zivilrechtliche Rechtsbehelfe zur Verfügung stellen oder in bestimmter Weise ausgestalten müssen, damit eine wirksame Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts sichergestellt ist.110 Diese Rechtsschutzdimension wurde bereits in von Colson und Kaman111 deutlich: Der Gerichtshof entschied, dass die Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 die Mitgliedstaaten zwar nicht dazu verpflichtet, für Fälle der Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung besondere Rechtsfolgen oder Sanktionen vorzusehen. Jedoch müsse die Sanktion geeignet sein, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz gewährleisten und eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben. Entscheide sich der Mitgliedstaat dafür, als Sanktion für den Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot eine Entschädigung zu gewähren, so müsse diese deshalb jedenfalls in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen.

IV. Entwicklung neuer Rechtsbehelfe im öffentlichen Recht Der EuGH verschärfte nicht nur die Vorgaben für die inhaltliche Ausgestaltung und die verfahrensmäßige Durchsetzung gemeinschaftsrechtlich begründeter Rechte, sondern entwickelte im Wege der Rechtsfortbildung unter Zugrundelegung des effet utile darüber hinaus originär unionsrechtlich begründete Rechte und Rechtsbehelfe, die dem Einzelnen gegenüber einem Mitgliedstaat zustehen. Für einige Bereiche formulierte der Gerichtshof zugleich einheitliche Tatbestandsvoraussetzungen, um so Leitlinien für die verfahrensrechtliche Durchführung unionsrechtlich begründeter Rechte zu gewinnen. 1. San Giorgio: Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch Die Herleitung neuer Rechtsbehelfe beginnt mit der Entscheidung San Giorgio112 im Jahre 1983.113 Obwohl der Gerichtshof noch zwei Jahre zuvor im ButterfahrtenUrteil114 festgestellt hatte, dass der EG‑Vertrag nicht zusätzlich zu den nach nationalem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen neue Klagemöglichkeiten zur Wahrung des Gemeinschaftsrechts schaffen wollte, urteilte er, dass „das Recht auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts erhoben hat, eine Folge und eine Ergänzung der Rechte darstellt, die den Einzelnen durch die fraglichen Vorschriften eingeräumt sind.“115 Damit war klargestellt, dass das Gemeinschaftsrecht die Existenz eines öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs gebietet.116 Die tatbestandlichen Voraussetzungen 110

 Ausführlich infra, § 4 C.I.2.   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23.   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio). 113   Ähnlich die Rechtsprechungsanalyse von Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, 291; Eilmansberger, CMLR 2004, 1199, 1219. 114   EuGH, Rs. 158/80 (Rewe Handelsgesellschaft Nord und Rewe-Markt Steffen) Rn. 44. 115   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 12. 116   Zur Frage, ob das Unionsrecht auch einen privatrechtlichen Erstattungsanspruch gebietet, vgl. Hartkamp, in: FS Hondius, 2007, S. 291, 299 f.; ders., in: Hartkamp u. a. (Hrsg.), Towards a European Civil Code, 4. Aufl, 2011, S. 127, 139 ff. Vgl. auch § 7 B.III.1. – 2. und § 10 F.II.4.e. 111 112

D. Die 1980er und 1990er Jahre

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des Erstattungsanspruchs überantwortete der Gerichtshof dagegen dem mitgliedstaatlichen Recht.117 Da das Gemeinschaftsrecht keine positiven Regelungen zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs aufstellt, wird die Ausgestaltung des Erstattungsanspruchs nur durch die allgemeinen Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz kontrolliert.118 Selbst die dogmatische Einordnung des Erstattungsanspruchs überlässt der EuGH dem mitgliedstaatlichen Recht, vorausgesetzt, es steht ein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung.119 2. Factortame I: Einstweiliger Rechtsschutz Diese Entwicklung setzte sich im Jahre 1990 mit der Entscheidung Factortame I120 auf dem Gebiet des einstweiligen Rechtsschutzes zur Durchsetzung gemeinschaftsrechtlich begründeter Rechte fort. In dem zugrunde liegenden Ausgangsverfahren begehrten die Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz gegen ein britisches Gesetz. Dem stand jedoch der alte Grundsatz des common law entgegen, wonach gegen die Krone, also gegen die Regierung, keine einstweilige Anordnung ergehen konnte. Das House of Lords richtete daher im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die Frage an den EuGH, ob ein nationales Gericht in einer solchen Situation nach Gemeinschaftsrecht verpflichtet oder zumindest befugt ist, einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren. Der Gerichtshof entschied, dass einzelstaatliche Gerichte zum Erlass einstweiliger Anordnungen auch bei entgegenstehenden Vorschriften des nationalen Rechts verpflichtet sind, wenn dies zur vollen Wirksamkeit einer späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte erforderlich ist.121 Zur Begründung verwies der EuGH auf die in Simmenthal entwickelten Grundsätze zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts sowie auf die sich aus Art. 5 EWGV (jetzt Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 – 3 EUV) ergebende Pflicht der innerstaatlichen Gerichte, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für die Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt. Hieraus leitete er ab, dass es mit dem Prinzip der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts unvereinbar wäre, wenn im vorliegenden Fall kein einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden könnte. Ein nationales Gericht, das in einem bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu der Auffassung gelange, dem Erlass einstweiliger Anordnungen stehe eine Vorschrift des nationalen Rechts entgegen, dürfe diese Vorschrift nicht anwenden. Das House of Lords befolgte im Anschluss die vom EuGH aufgestellten Grundsätze und dehnte dabei den Anwen117

  EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 12 ff.  Hierzu Dougan, CYELS 1998, 233 ff.; Lange, Erstattung, 2008. Der Gerichtshof hat insbesondere für die passing on defence weitgehende Anforderungen aus dem Effektivitätsgrundsatz abgeleitet; hierzu infra, § 7 C.V.3.b. Darüber hinaus hat er in jüngeren Entscheidungen hervorgehoben, dass auch eine Verzinsung dem Grunde nach europarechtlich vorgegeben sei; EuGH, Rs. C‑591/10 (Littlewoods Retail) Rn. 25 f. Zu den übergreifenden Elementen des Erstattungsanspruchs Müller-Graff, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 815, 828 ff. 119   EuGH, Rs. C‑446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation) Rn. 201 ff.; sowie GA Geelhoed, SchlA, a. a. O., Rn. 129 ff. Auch die Rechtsprechung zur Haftung der Union ist uneinheitlich. Unklar ist insbesondere, ob der Erstattungsanspruch des Einzelnen gegenüber der EU als Bereicherungs- oder als Schadensersatzanspruch einzuordnen ist; vgl. EuG, Rs. T‑166/98 (Cantina Sociale di Dolianova u. a./Kommission) Rn. 84, 154 ff., 160; EuG, Rs. T‑333/03 (Masdar (UK)/Kommission) Rn. 59 ff.; EuGH, Rs. C‑47/07 P (Masdar (UK)/Kommission) Rn. 44 ff. Dazu Müller-Graff, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 815, 823 ff.; Williams, CMLR 2010, 555, 568 ff. 120   EuGH, Rs. C‑213/89 (Factortame I). 121   EuGH, Rs. C‑213/89 (Factortame I) Rn.  18 – 23. 118

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dungsbereich zugleich auf rein innerstaatliche Sachverhalte aus, um eine Diskriminierung von Inländern und Systembrüche zu vermeiden.122 Formal betrachtet äußerte sich der Gerichtshof nicht zu der Frage, ob aus dem Gemeinschaftsrecht eine originäre Pflicht folgt, einstweiligen Rechtsschutz zur Durchsetzung gemeinschaftsrechtlich begründeter Rechte zu gewähren. Im zugrunde liegenden Fall konnte einstweiliger Rechtsschutz bereits durch die Nichtanwendung der common law Regel gewährleistet werden. Insoweit bleibt offen, ob einstweiliger Rechtsschutz auch dann gewährt werden muss, wenn dieses Rechtsinstitut überhaupt nicht im nationalen Recht existiert.123 Nach richtiger Ansicht muss aber von der Existenz eines ungeschriebenen Rechts auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ausgegangen werden: Der vom Gerichtshof angewendete Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts setzt logischerweise voraus, dass es ein aus dem Gemeinschaftsrecht folgendes Recht auf einstweiligen Rechtsschutz gibt, denn anderenfalls könnte eine mitgliedstaatliche Regelung, die einstweiligen Rechtsschutz im Einzelfall verwehrt, nicht über den Vorrang des Gemeinschaftsrechts angegriffen werden.124 Während der Gerichtshof die Voraussetzungen für den Erlass vorläufiger Maßnahmen zur Durchsetzung EG‑rechtlich begründeter Rechte in Factortame I nicht weiter konkretisiert hatte, entwickelte er für den Rechtsschutz zur Abwehr gemeinschaftswidrigen Rechts in den Entscheidungen Zuckerfabrik Süderdithmarschen125 (1991) und Atlanta126 (1995) einheitliche Tatbestandsvoraussetzungen. Dies legte die Vermutung nahe, dass für den Rechtsschutz zur Abwehr von Gemeinschaftsrecht einerseits und für die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts andererseits die gleichen (einheitlich autonomen) Maßstäbe gelten.127 Dieser Ansicht erteilte der Gerichtshof jedoch im Jahre 2007 im Fall Unibet128 eine Absage: Geht es um den Rechtsschutz zur Abwehr unionsrechtswidrigen nationalen Rechts, so richten sich die Voraussetzungen für den Erlass vorläufiger Maßnahmen weiterhin nach nationalem Recht, solange die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität gewahrt sind.129 3. Francovich: Staatshaftung Kaum ein Judikat des EuGH aber erfuhr solche Aufmerksamkeit wie die FrancovichEntscheidung130 aus dem Jahre 1991. Während der Gerichtshof noch im Fall Russo131 im Jahre 1973 betont hatte, dass sich die Staatshaftung wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts allein nach nationalem Recht richtet, begründete er nun einen originär 122

  M v Home Office, [1994] 1 AC 377.  So Toth, CMLR 1990, 573, 585 f.; Harlow, in: Kilpatrick/Novitz/Skidmore (Hrsg.), The Future of Remedies in Europe, 2000, S. 69, 80 ff.; Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, 289, 294; Ward, Judicial Review, 2000, S. 27. 124   Im Ergebnis auch Arnull, in: Lonbay/Biondi (Hrsg.), Remedies for Breach of EC Law, 1997, S. 15, 17 f.; Eilmansberger, CMLR 2004, 1199, 1211; Oliver, CMLR 1992, 7, 16. Vorsichtiger Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, 289, 294. 125   EuGH, verb. Rs. C‑143/88 und C‑92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen) Rn.  20 – 33. 126   EuGH, Rs. C‑465/93 (Atlanta Fruchthandelsgesellschaft) Rn.  32 – 51. 127   GA Mischo, SchlA, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 55; Micklitz, in: Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl., 2003, Rn. 29.5.; Ward, Judicial Review, 2000, S. 32, 34. A. A. Dougan, National Remedies, 2004, S. 324 f.; Wiehe, Effektiver vorläufiger Rechtsschutz, 2000, S. 232. 128   EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn.  79 – 82. 129   Zu diesen auf den ersten Blick widersprüchlichen Aussagen vgl. infra, § 3 D.II.1.a. 130   EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.). 131   EuGH, Rs. 60/75 (Russo) Rn. 9. 123

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im Gemeinschaftsrecht wurzelnden Schadensersatzanspruch132 des Einzelnen gegen einen Mitgliedstaat bei nicht fristgerechter Umsetzung von Richtlinien. Viereinhalb Jahre später stellte der Gerichtshof klar, dass die Haftung nicht auf die mangelnde oder fehlerhafte Umsetzung von Richtlinien beschränkt ist, sondern auch für die Verletzung unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts, also auch des Primärrechts gilt.133 Kurze Zeit später wurde zudem entschieden, dass eine mitgliedstaatliche Haftung auch für ein der Exekutive zurechenbares Handeln besteht.134 Den vorläufigen Schlussstein setzte schließlich die Entscheidung Köbler135 aus dem Jahr 2003, in der ein Staatshaftungsanspruch auch für judikatives Unrecht bejaht wurde. Der Grundsatz der Haftung des Mitgliedstaates für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, folgt nach Ansicht des EuGH „aus dem Wesen der mit dem EWG-Vertrag geschaffenen Rechtsordnung“.136 Er soll zum einen den notwendigen Schutz der durch das EG‑Recht verliehenen Individualrechte gewährleisten und zum anderen dem Gemeinschaftsrecht zur vollen Wirksamkeit verhelfen.137 Aus diesen Grundsätzen schöpfte der EuGH zugleich seine Berechtigung, die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des Staatshaftungsanspruchs in höchst detaillierter Weise zu präzisieren. Der Staatshaftungsanspruch setzt nach ständiger Rechtsprechung138 voraus, dass (i) die verletzte gemeinschaftsrechtliche Norm die Verleihung von Rechten an den Einzelnen zum Ziel hat, (ii) der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und (iii) zwischen dem Verstoß und dem entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Diese Voraussetzungen wurden in der Rechtsprechung näher ausgeformt und sind nach Ansicht des EuGH „erforderlich und ausreichend, um für den Einzelnen einen Entschädigungsanspruch zu begründen“.139 Sie stellen insoweit Mindestvoraussetzungen dar, die nicht durch weitere haftungsbegründende Voraussetzungen verschärft werden dürfen. Für das deutsche Recht bedeutet dies, dass bei Anwendung des § 839 BGB auf unionsrechtliche Sachverhalte nahezu jedes einzelne Tatbestandsmerkmal anhand des Unionsrechts überprüft und gegebenenfalls modifiziert werden muss. So ist es etwa aus europäischer Sicht ohne Belang, ob eine drittbezogene Amtspflicht140 verletzt 132   Die Frage, ob es sich um einen eigenständigen unionsrechtlichen Anspruch oder um einen unionsrechtlich geprägten nationalen Anspruch handelt, ist umstritten; vgl. nur G/H/N/Jacob/Kottmann, 58. EL, 2016, Art. 340 AEUV Rn. 183 m. w. N. Der BGH hat eine Modifikation der im deutschen Recht bestehenden Haftungsgrundlagen (Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB, Art. 34 GG; enteignungsgleicher Eingriff) grundsätzlich abgelehnt. Soweit die in Betracht zu ziehenden Rechtsinstitute die unionsrechtlich gebotene Rechtsfolge nicht hergeben, bringt der BGH einen unmittelbar aus dem Unionsrecht folgenden Staatshaftungsanspruch zur Anwendung; BGHZ 134, 30, 33 (Brasserie du Pêcheur) = NJW 1997, 123, 124. 133   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame). 134   EuGH, Rs. C‑5/94 (Hedley Lomas). 135   EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler). 136   EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 35. 137   EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 31 ff. 138   Seit EuGH, verb. Rs. C‑46  & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 51; verb. Rs.  C‑178 – 179, 188 – 190/94 (Dillenkofer u. a.) Rn. 21. Die in Francovich genannte Haftungsvoraussetzung, dass der Inhalt des individualbegünstigenden Rechts auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden muss, ist demgegenüber in dem weiter gefassten Merkmal des qualifizierten Rechtsverstoßes aufgegangen; vgl. EuGH, Rs. C‑392/93 (British Telecommunications) Rn. 42. 139   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 66. 140   Zu diesem Erfordernis im Rahmen des § 839 BGB vgl. BGH, NJW 1971, 1699.

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wurde, solange nur gegen eine Rechtsnorm verstoßen wurde, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.141 Darüber hinaus ist für den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch auch ein Verschulden (§ 276 BGB) des Amtsträgers nicht erforderlich, stattdessen kommt es auf einen hinreichend qualifizierten Verstoß des Mitgliedstaats gegen seine unionsrechtlichen Pflichten an.142 Auch das Richterprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB darf bei Haftung für fehlerhafte gerichtliche Entscheidungen nicht angewendet werden.143 Während die materiellen Haftungsvoraussetzungen damit weitgehend durch das Unionsrecht vorgegeben sind, verweist der Gerichtshof hinsichtlich der Folgen des verursachten Schadens auf das nationale Haftungsrecht.144 Demzufolge bestimmt sich etwa nach nationalem Recht, ob ein Schaden vorliegt und in welcher Höhe dieser ersetzt werden muss.145 Der Gerichtshof hat zudem die Anwendung nationaler Regeln zum Mitverschulden,146 den Vorrang des Primärrechtsschutzes als Haftungsausschlussgrund147 sowie nationale Verjährungsfristen148 akzeptiert. Weiterhin bestimmen sich auch Beweisvorschriften nach nationalem Recht.149 Der den Mitgliedstaaten eröffnete Spielraum wird andererseits über die Gebote der Effektivität und Äquivalenz eingeengt.150 Dies hat dazu geführt, dass auch die Rechtsfolgen letztlich durch gemeinschaftsrechtlich determinierte Mindestvoraussetzungen überlagert werden. 4. Rechtsbehelfe im Antidiskriminierungs‑, Umwelt- und Vergaberecht Der EuGH entwickelte in den 1990er Jahren nicht nur primärrechtlich begründete Rechtsbehelfe, sondern verstärkte die Rechte des Einzelnen zudem bei Richtlinien durch eine am effet utile orientierte Auslegung. So entschied der Gerichtshof etwa im Fall Verholen,151 dass auch der nicht selbst diskriminierte Ehemann klagefähige Rechte aus der RL 79/7 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen herleiten kann. Das Gemeinschaftsrecht verlange, so der EuGH, ein von nationalen Rechtsvorschriften unbeeinträchtigtes Recht auf effektiven gerichtlichen Schutz und die praktische Möglichkeit der Durchsetzung der durch das Gemeinschaftsrecht begründeten Rechte. Dem klagenden Ehe141

  EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 72.   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 78 f. 143   Vgl. EuGH, Rs. C‑173/03 (Traghetti del Mediterraneo) Rn. 37 ff. Zwar schließt das deutsche Richterprivileg im Unterschied zum italienischen Recht, das der Rechtssache Traghetti del Mediterraneo zugrunde lag, die Haftung des Staats für judikatives Unrecht nicht generell für bestimmte Bereiche der Rechtsprechungstätigkeit aus. Da bei Anwendung des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB eine Staatshaftung für judikatives Unrecht weitgehend leerlaufen würde, wird im Schrifttum jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass diese Vorschrift keine Anwendung finden kann; Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 2140. 144   EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 42. 145   So bzgl. des Umfangs der Entschädigung EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 81 ff. Vgl. auch Deckert, EuR 1997, 203, 228 ff. 146   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 84. 147   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 85; Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) 60 – 64. 148   EuGH, Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) Rn. 27 ff. 149   EuGH, Rs. C‑228/98 (Dounias) Rn. 68 ff. 150   Vgl. EuGH, verb. Rs. 6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 43; Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 27; Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) Rn. 31. 151   EuGH, verb. C‑87 – 89/90 (Verholen) Rn. 23 ff. Vgl. auch die SchlA von GA Darmon, Rn. 32 ff. 142

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mann stünde in Anwendung dieser Kriterien und mit Blick auf sein „unmittelbares Interesse“ an der Beachtung des Diskriminierungsverbots das Recht zu, sich auf die Einhaltung der Vorschriften der Richtlinie zu berufen.152 Aufschlussreich sind darüber hinaus diejenigen Urteile, in denen der Gerichtshof aus Richtlinien eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Rechtsbehelfen herleitete, obwohl sich in den betreffenden Richtlinien überhaupt keine diesbezügliche Anordnung befand. Hierzu zählen vor allem die Entscheidungen zu den Richtlinien über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch gefährliche Stoffe, über Qualitätsanforderungen an Oberflächenwasser, Süßwasser und Muschelgewässer sowie die Richtlinien über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Schwebestaub und Blei in der Luft.153 In den zugrunde liegenden Fällen hatte die Kommission im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens beanstandet, dass mehrere Mitgliedstaaten (darunter Deutschland) die betreffenden Richtlinien nur durch interne Verwaltungsvorschriften, nicht aber durch Normen mit Außenverbindlichkeit umgesetzt hatten. Der Gerichtshof folgte der Auffassung der Kommission und hob in diesem Zusammenhang hervor, dass die betreffenden Richtliniennormen „Rechte und Pflichten“ der Einzelnen begründen und diese in die Lage versetzen sollen, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können.154 Diesen Ausführungen lässt sich nicht nur entnehmen, dass die Richtlinien durch allgemein zwingende Regelungen umgesetzt werden müssen. Sie sind vielmehr auch mit Blick auf die Rechtsposition des Einzelnen von Bedeutung, da der Gerichtshof in ihnen zugleich die klagerechtsbegründende Qualität der betreffenden Richtliniennormen klargestellt hat.155 Eine ähnliche Entwicklung ist auf dem Gebiet der öffentlichen Auftragsvergabe zu verzeichnen. Der Gerichtshof urteilte in mehreren Entscheidungen,156 dass die euro152   In EuGH, Rs. 343/92 (Roks) Rn. 42, konkretisierte der Gerichtshof seine Aussagen dahingehend, dass sich auf die Richtlinie nicht nur Personen berufen können, die in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, sondern auch Personen, die durch die Auswirkungen einer nationalen Regelung betroffen sind, durch die eine andere Person diskriminiert wird, die ihrerseits in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt. 153   Richtlinie 80/68/EWG über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe ABl. 1980 L 20/43; Richtlinie 75/440/EWG über die Qualitätsanforderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten, ABl. 1975 L 194/26; Richtlinie 78/659/EWG über die Qualität von Süßwasser, das schutz- oder verbesserungsbedürftig ist, um das Leben von Fischen zu erhalten, ABl. 1978 L 222/1, aufgehoben durch Richtlinie 2006/44/ EG, ABl. 2006 L 264/20; Richtlinie 79/923/EWG über die Qualitätsanforderungen an Muschelgewässer, aufgehoben durch Richtlinie  2006/113/EG, ABl. 2006 L 376/14; Richtlinie  80/779/EWG über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub, ABl. 1980 L 229/30; Richtlinie 82/884/EWG betreffend einen Grenzwert für den Bleigehalt in der Luft, ABl. 1982 L 378/15. 154   EuGH, Rs. C‑131/88 (Kommission/Deutschland – „Grundwasser“) Rn. 7, 61; Rs. C‑361/88 (Kommission/Deutschland – „Schwefeldioxid/Schwebestaub“) Rn. 16; Rs. C‑58/89 (Kommission/Deutschland – „Oberflächenwasser“) Rn. 14; Rs. C‑59/89 (Kommission/Deutschland – „Blei“) Rn. 19; Rs. C‑298/ 95 (Kommission/Deutschland – „Muschelgewässer“) Rn. 16. 155   Wie hier Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 394 f.; Jarass, Grundfragen, 1994, S. 58 f.; Ruffert, Subjektive Rechte, 1996, S. 159, 224; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1997, S. 119; Zuleeg, NJW 1993, 31, 37; vgl. auch Classen, EuZW 1993, 83, 85 (keine subjektiven Rechte, wohl aber Klagebefugnis). Nach a. A. lassen sich den Urteilen dagegen keine zwingenden Vorgaben zur Verleihung subjektiver Rechte bzw. einer Klagebefugnis entnehmen; Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 174 ff.; Everling, NVwZ 1993, 214, 215. Ausführlich infra, § 3 E.II.2.b. 156   EuGH, Rs. C‑433/93 (Kommission/Deutschland) Rn. 19, mit Verweis auf Rs. 31/87 (Beentjes) Rn. 42; Rs. C‑54/96 (Dorsch Consult) Rn. 40.

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§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

päischen Vergaberichtlinien nicht nur dem Interesse öffentlicher Haushalte an einer sparsamen Haushaltsführung dienen, sondern den Bietern europaweit gleiche Rechte im Interesse einer transparenten Binnenmarktverwirklichung verschaffen sollen. Bieter müssen nach nationalem Recht die Möglichkeit haben, sich gegenüber dem Auftraggeber auf die Richtlinienvorschriften zu berufen und gegebenenfalls deren Verletzung vor den nationalen Gerichten geltend zu machen. Die in Deutschland damals geltende sog. haushaltsrechtliche Lösung,157 die einem (übergangenen) Bieter keinerlei Rechte zugestanden hatte,158 konnte daher nicht mehr aufrechterhalten werden.

V. Revision der Rechtsprechung ab Mitte der 1990er Jahre? Im Schrifttum wird überwiegend konstatiert, der Gerichtshof sei Mitte der 1990er Jahre von einer strengen Handhabung des Effektivitätsgebots abgerückt; er berücksichtige in seinen Entscheidungen verstärkt mitgliedstaatliche Regelungsziele und nehme eine Abwägung zwischen dem Grundsatz der mitgliedstaatlichen Verfahrens­ autonomie und der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts vor.159 Dies komme in einer Reihe von Urteilen zum Ausdruck, die unter Berücksichtigung der Verfahrens­ autonomie der Mitgliedstaaten den Wirkungsanspruch des Gemeinschaftsrechts in Abhängigkeit von spezifischen Aufnahmebedingungen des mitgliedstaatlichen Rechts formulierten. Beispielhaft für diese Rechtsprechung werden die Urteile in den Rechtssachen Peterbroeck160 und van Schijndel161 angeführt, in denen der Gerichtshof erstmals festgestellt hat, dass bei Anwendung des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots die Grundsätze zu berücksichtigen sind, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie insbesondere der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens. Diese Analyse muss rückblickend betrachtet relativiert werden. Zwar ist es durchaus zutreffend, dass der EuGH seit den Entscheidungen Peterbroeck und van Schijndel dem Regelungsanliegen nationaler Verfahrensvorschriften verstärkt Rechnung trägt. Seit 2004 verwendet der Gerichtshof zudem ausdrücklich den Begriff der Verfahrensautonomie.162 Die Rechtsprechungsentwicklung zeigt jedoch, dass letztlich keine Abwägung zwischen dem Geltungsanspruch des Unionsrechts einerseits und der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten andererseits erfolgt: Der Gerichtshof prüft in seinen Urteilen vielmehr, ob die nationale Verfahrensregelung einen Zweck verfolgt, der sich im Einklang mit einem unionsrechtlich anerkannten Rechtsgrund157   §§ 57a bis c HGrG, eingefügt durch Gesetz v. 26.11.1993, BGBl. I 1993, S. 1928, in das Haushaltsgrundsätzegesetz v. 19.8.1969. 158  Das Konzept der haushaltsrechtlichen Lösung hatte zum Ziel, „individuelle, einklagbare Rechtsansprüche der Bieter nicht entstehen zu lassen“; BT‑Drucks. 12/4636, S. 12. 159   So der Befund bei Craig/de Búrca, EU Law, 6. Aufl., 2015, S. 239 ff.; de Búrca, in: Lonbay/ Biondi (Hrsg.), Remedies for Breach of EC Law, 1997, S. 37 ff.; v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 480 ff.; König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 89 ff. Nach Prechal, CMLR 1998, 681, 690 f., hat der EuGH in Peterbroek und van Schijndel eine „procedural rule of reason“ entwickelt, die es dem Gerichtshof erlaubt, zwischen dem Regelungsziel nationaler Normen und der Effektivität des Gemeinschaftsrechts einen Ausgleich zu finden. 160   EuGH, Rs. C‑312/93 (Peterbroeck) Rn. 20. 161   EuGH, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel) Rn. 21 f. 162  Erstmals EuGH, Rs. C‑201/02 (Wells) Rn. 67. Seitdem stRspr.; vgl. etwa EuGH, verb. Rs. C‑392 & 422/04 (i‑21 Germany) Rn. 57; Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 24.

E. Die Jahre ab 2000

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satz befindet.163 Ist dies der Fall, so können die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts das Festhalten an einer nationalen Verfahrensvorschrift legitimieren, selbst wenn dies einer effektiven Verwirklichung der in Rede stehenden Unionsnorm zuwiderläuft.164 Soweit eine nationale Norm einen Regelungszweck verfolgt, der mit einem unionsrechtlich anerkannten Rechtsgrundsatz übereinstimmt, folgt hieraus allerdings nicht zwangsläufig, dass nationales Recht mit dem Effektivitätsgrundsatz zu vereinbaren ist. Der Gerichtshof nimmt stattdessen eine Abwägung zwischen der Effektivität der fraglichen Unionsnorm und dem (unionsrechtlich anerkannten) Rechtsgrundsatz vor. Die Abwägung kann dabei, wie im Fall van Schijndel, zu dem Ergebnis führen, dass die Effektivität der in Rede stehenden Unionsnorm durch nationale Verfahrensvorschriften eingeschränkt werden darf, da diese einen unionsrechtlich anerkannten Rechtsgrundsatz adäquat konkretisieren. Denkbar ist aber auch, dass die nationale Verfahrensregel, wie in den zur Klausel-RL 93/13 entschiedenen Fällen,165 gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt, da dem Interesse an einer wirksamen Durchsetzung gegenüber dem unionsrechtlichen Rechtsgrundsatz Vorrang einzuräumen ist. In beiden Fällen gilt damit, dass der EuGH keine Abwägung zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Recht vornimmt. Der Gegensatz zwischen der nationalen Verfahrensregel und dem Durchsetzungsanspruch beruht vielmehr auf einem Interessengegensatz innerhalb des Unionsrechts selbst. Der Konflikt wird dementsprechend allein auf Unionsebene gelöst. Im Ergebnis ist es dennoch zutreffend, wenn davon gesprochen wird, dass durch den neuen Ansatz ein schonendes Gleichgewicht zwischen dem nationalen Verfahrensrecht und den Interessen der Union hergestellt werden kann. Indem der Gerichtshof den effet utile nicht mehr eindimensional anwendet, sondern die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts zusätzlich heranzieht, können nationale Regelungsziele und gegenläufige Interessen berücksichtigt und zum Ausgleich gebracht werden.166

E. Die Jahre ab 2000 I. Überblick Die beiden ersten Jahrzehnte ab 2000 werden in besonderem Maße durch Entscheidungen des EuGH mit privatrechtlichem Bezug geprägt.167 Hatte die Judikatur des 163   Andeutungsweise bereits EuGH, verb. C‑430 – 431/93 (van Schijndel) Rn. 21, mit Verweis darauf, dass das Prinzip der Parteiherrschaft „Ausdruck der von den meisten Mitgliedstaaten geteilten Auffassungen vom Verhältnis zwischen Staat und Individuum“ ist (Herv. v. Verf.) und dem Schutz der Verteidigungsrechte sowie dem ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens dient – Prinzipien, die der Gerichtshof in anderen Urteilen (vgl. § 2 D.I.) bereits als allgemeine Rechtsgrundsätze anerkannt hatte. Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 35 – 37 (Rechtskraft als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts) und Rn. 41 ff. (Fristenregelungen als Ausdruck des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Rechtssicherheit). 164   So bereits EuGH, Rs. C‑5/89 (BUG Alutechnik) Rn. 13. 165   Hierzu sogleich, infra, § 2 E.IV. 166  Ausführlich infra, § 4 E.I.2. 167   Die Rechtsprechung beschränkte sich nicht auf das Privatrecht. Im genannten Zeitraum ergingen auch wichtige Entscheidungen zur Ausgestaltung öffentlich-rechtlicher Rechtsbehelfe, die vorläu-

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§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

Gerichtshofs in den vorausgegangenen Dekaden zu einer Europäisierung des Verwaltungsrechts geführt, so zeigte sich bereits zu Beginn des neuen Millenniums mit den Rechtssachen Courage,168 Manfredi,169 Muñoz170 und Mangold,171 dass der Gerichtshof in zunehmendem Maße bereit ist, neue Rechtsbehelfe auch im Horizontalverhältnis zwischen Bürgern anzuerkennen (II.). Angesichts der fortgeschrittenen Europäisierung des Privatrechts ergingen zudem viele Entscheidungen, in denen der Gerichtshof richtlinienbegründete Rechte des Einzelnen in Privatrechtsverhältnissen stärkte und den Rechtsschutz vor allem im Verbraucherprivatrecht weiter ausbaute, indem er unbestimmte Rechtsfolgen konkretisierte (III.). Auch das nationale Zivilprozessrecht wird seit Beginn der Jahre 2000 in immer stärkerem Maße durch primärrechtliche Vorgaben überformt (IV.). Die Rechtsprechungsentwicklung ab 2000 ist eingebettet in die veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich durch den am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Lissabon Vertrag ergeben haben. Der Vertrag von Lissabon kodifiziert zum einen den Grundsatz „ubi jus, ibi remedium“, der vom EuGH bereits zuvor als ungeschriebenes Gemeinschaftsgrundrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz in Gestalt des Gebots effektiven Rechtsschutzes und in Form des Effektivitätsgebots anerkannt worden war: Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV stellt nunmehr ausdrücklich klar, dass die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist. Zum anderen ist die GRC, die bereits vor ihrem Inkrafttreten Vorwirkungen entfaltete,172 durch den Lissabon Vertrag für rechtsverbindlich erklärt worden (Art. 6 Abs. 1 EUV). Damit sind die Mitgliedstaaten zugleich an die justiziellen Grundrechte der Charta gebunden, soweit es um die „Durchführung des Rechts der Union“ geht (Art. 51 GRC). Zu den justiziellen Grundrechten zählt insbesondere das Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 47 GRC). Der Gerichtshof stützt sich in neueren Entscheidungen verstärkt auf diese Bestimmung, um das Gebot effektiven Rechtsschutzes zu untermauern und spezifische Anforderungen an die Ausgestaltung von Rechtsbehelfen sowie das Zivilverfahrensrecht zu formulieren.173

fig ausgeblendet werden, so etwa EuGH, Rs. C‑453/00 (Kühne und Heitz) – Pflicht zur Überprüfung bzw. Rücknahme unionsrechtswidriger Verwaltungsentscheidungen; Rs. C‑237/07 (Janecek) – Anspruch auf Erstellung eines umweltrechtlichen Aktionsplans; Rs. C‑115/09 (Trianel Kohlekraftwerk Lünen) – Anforderungen an die Umweltverbandsklage. 168   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage). 169   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.). 170   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). 171   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold). 172   Der EuGH zieht die GRC seit 2006 heran, um allgemeine Rechtsgrundsätze zu „bestätigen“; EuGH, Rs. C‑540/03 (Parlament/Rat – „Familienzusammenführungs-RL“) Rn. 38, 58; Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 37; Rs. C‑303/05 (Advocaten voor der Wereld) Rn. 46; Rs. C‑450/06 (Varec) Rn. 48. Das EuG rekurrierte bereits seit 2001 auf die Charta; EuG, Rs. T‑112/98 (Mannesmannröhren-Werke/ Kommission) Rn. 76; Rs. T‑54/99 (max.mobil Telekommunikation/Kommission) Rn. 48; Rs. T‑67/01 (JCB Service/Kommission) Rn. 36. 173   Nach Angaben der Kommission war Art. 47 GRC im Jahre 2011 das vom Gerichtshof in seinen Entscheidungen am häufigsten zitierte Recht der Grundrechtecharta. Es wurde in einem Drittel aller Entscheidungen erwähnt; Bericht 2011 über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, KOM (2012) 169 endg., S. 16.

E. Die Jahre ab 2000

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II. Entwicklung neuer privatrechtlicher Rechtsbehelfe 1. Courage und Manfredi: Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch Von besonderer Bedeutung für die Begründung subjektiver Unionsrechte und die Herausbildung eines europäischen Schadensersatzrechts ist die Entscheidung Courage174 aus dem Jahre 2001. Der Gerichtshof urteilte, dass die praktische Wirksamkeit (effet utile) des Kartellverbots (Art. 101 AEUV) beeinträchtigt wäre, wenn nicht „jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist.“ Ein solcher Schadensersatzanspruch erhöhe nämlich, so der Gerichtshof, die Durchsetzungskraft der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln und sei geeignet, von Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können. Für die nähere Ausgestaltung des Anspruchs verwies der EuGH demgegenüber auf das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot.175 Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch erweist sich damit, wie andere vom EuGH entwickelte Rechtsbehelfe auch, als hybrider Anspruch, der einerseits im Unionsrecht seine Grundlage hat, andererseits aber der näheren Ausgestaltung durch das nationale Recht bedarf.176 Fünf Jahre später bestätigte der Gerichtshof die in Courage entwickelten Grundsätze im Fall Manfredi.177 Dabei hob er abermals hervor, dass es mangels einschlägiger Gemeinschaftsregelung Sache des innerstaatlichen Rechts sei, die Einzelheiten des Schadensersatzanspruchs zu regeln. Gleichzeitig folgerte er jedoch aus dem Effektivitätsgrundsatz, dass ein Kartellopfer nicht nur Ersatz des Vermögensschadens, sondern auch des entgangenen Gewinns sowie die Zahlung von Zinsen verlangen können muss.178 Der den Mitgliedstaaten noch in Courage eröffnete Spielraum wurde vom Gerichtshof also wieder eingeschränkt, indem er den Effektivitätsgrundsatz heranzog, um Mindestanforderungen für die Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs zu entwickeln. 2. Muñoz: Lauterkeitsrechtliche Ansprüche betroffener Konkurrenten Auch für das Lauterkeitsrecht kreierte der Gerichtshof neue Rechtsbehelfe. Im Fall Muñoz179 aus dem Jahre 2002 stellte sich die Frage, ob es gemeinschaftsrechtlich geboten ist, dass ein Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit hat, die Beachtung der gemeinschaftlichen Regelungen über Qualitätsnormen für Tafeltraubensorten, die sich aus EG‑Verordnungen ergaben,180 im Wege der zivilrechtlichen Klage gegen einen Konkurrenten durchzusetzen. Obwohl die streitgegenständlichen Vorschriften einen derartigen Rechtsbehelf nicht vorsahen, bejahte der Gerichtshof diese Frage. Zur Begründung wies er unter Bezugnahme auf das Courage-Urteil darauf hin, dass 174

  EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26 f.   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 29. 176  Ausführlich infra, § 7 C.I.1. 177   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 89. 178   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 100. 179   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). 180   VO Nr. 1035/72 über eine gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse, ABl. 1972 L 118/1; VO Nr. 2200/96 über die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse, ABl. 1996 L 297/1. 175

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§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

eine solche Klagebefugnis die Durchsetzungskraft der gemeinschaftsrechtlichen Regelung der Qualitätsnormen verstärke und Klagen von Konkurrenten vor nationalen Gerichten besonders geeignet seien, wesentlich zur Sicherung eines lauteren Handels und der Markttransparenz in der Gemeinschaft beizutragen. Ob der EuGH nicht nur Unterlassungs‑, sondern auch Schadensersatzansprüche für erforderlich hält,181 geht aus dem Urteil Muñoz nicht eindeutig hervor.182 GA Geelhoed bezog sich in seinen Schlussanträgen auch auf Schadensersatzforderungen.183 Der Gerichtshof stellte dagegen nur ganz allgemein fest, dass es einem Wirtschaftsteilnehmer möglich sein muss, die Beachtung der betreffenden Normen „im Wege eines Zivilprozesses“ gegen einen Konkurrenten durchzusetzen.184 Der Rechtsprechung lassen sich andererseits auch Grenzen für die Anerkennung subjektiver Unionsrechte entnehmen. So stellte der Gerichtshof im Fall Dahms185 fest, dass aus einer Verordnung, welche die Aufnahme fakultativer Angaben über Auszeichnungen und Medaillen auf der Etikettierung einer Weinflasche regelt, keine subjektiven Rechte eines Weinerzeugers gegen einen privaten Weinbauverband hinsichtlich der Festlegung von Anstellgebühren bei Prämierungsveranstaltungen abgeleitet werden können. Die Verordnung diene, so der EuGH, dem Schutz der legitimen Interessen der Verbraucher und der Weinerzeuger, dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und der Förderung der Herstellung von Qualitätserzeugnissen. Aus der Verordnung folge das Recht, auf der Etikettierung auf Auszeichnungen oder Medaillen hinzuweisen. Konkurrierende Weinerzeuger könnten darüber hinaus gegen die Genehmigung der Verwendung von Weinetiketten vorgehen, wenn diese nach einem diskriminierenden Verfahren vergeben wurden. Die betreffenden Normen verfolgten jedoch nicht das Ziel, Verfahrensvorschriften für die Veranstaltung von Weinprämierungen festzulegen. Die Verordnung begründe dementsprechend keine subjektiven Rechte von Weinerzeugern gegen einen privaten Weinbauverband hinsichtlich der Höhe von Anstellgebühren. 3. Mangold und Kücükdeveci: Unmittelbar wirkende Diskriminierungsverbote im Privatrecht Die Mangold-Entscheidung186 aus dem Jahre 2005 trägt ebenfalls in weitestem Sinne zur Dogmatik subjektiver Unionsrechte bei. Der Gerichtshof leitete aus dem Primärrecht ein ungeschriebenes Verbot der Altersdiskriminierung her, das dazu führt, dass die diesen Rechtsgrundsatz konkretisierenden Richtlinien unmittelbare Wirkung auch in privaten Arbeitsverhältnissen entfalten. Dies legt den Schluss nahe, dass nicht nur das Verbot der ungleichen Entlohnung von Mann und Frau (Art. 157 AEUV)187 181  So Betlem, (2005) 64 CLJ 126, 134 ff.; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 415; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 200 ff., 206. 182   Im Verfahren vor dem High Court ging es sowohl um Unterlassungs- als auch Schadensersatzansprüche; Antonio Muñoz y Cia SA v. Frumar Ltd., [1999] 3 C.M.L.R. 684, 685 (H.C.) per Laddie J. Im EuGH-Urteil wird demgegenüber nur auf Unterlassungsansprüche Bezug genommen; EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 2. 183   GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 79. 184   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) LS. 185   EuGH, Rs. C‑379/04 (Dahms). 186   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold). 187   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II).

E. Die Jahre ab 2000

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und die den Grundfreiheiten inhärenten Diskriminierungsverbote,188 sondern auch der vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung anerkannte allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung in privaten Arbeitsverhältnissen und unter Umständen sogar allgemein im Privatrecht unmittelbare Wirkung entfalten könnte.189 Zwar bemühte sich der Gerichtshof in nachfolgenden Entscheidungen, ein weiteres Ausufern seiner Diskriminierungsrechtsprechung zu verhindern.190 Gleichzeitig bestätigte er aber im Jahre 2010 im Fall Kücükdeveci191 die Mangold-Doktrin und wiederholte in diesem Zusammenhang, dass es dem nationalen Gericht obliegt, in einem privaten Rechtsstreit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Beachtung des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Rahmen-RL 2000/78 zu gewährleisten, indem es erforderlichenfalls entgegenstehende Vorschriften des innerstaatlichen Rechts unangewendet lässt. 4. Heininger, Schulte und Crailshaimer Volksbank: Rechtsfolgen bei nicht ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung Aufschlussreich ist auch die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung privatrechtsangleichender Rechtsakte. Hervorzuheben sind insbesondere die Entscheidungen Heininger,192 Schulte193 und Crailshaimer Volksbank,194 die allesamt zur HWiRL 85/577 ergingen. Alle drei Fälle betrafen die Problematik des kreditfinanzierten Verkaufs von Schrottimmobilien und die Frage, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn der Verbraucher bei Abschluss des Vertrages nicht vom Unternehmer über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. Die HWiRL sieht keine spezifischen Rechtsfolgen bei Nichtbelehrung über das Widerrufsrecht vor. Der Gerichtshof folgerte dessen ungeachtet im Fall Heininger195 aus dem Wortlaut und Zweck der Richtlinie, dass die Widerrufsfrist bei unterlassener Belehrung zeitlich nicht begrenzt werden darf. Auch in den Fällen Schulte und Crailshaimer Volksbank betrieb der Gerichtshof Rechtsfortbildung: Wurde ein Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt und hätte er im Falle einer ordnungsgemäß erfolgten Belehrung die mit einer Kapitalanlage verbundenen Risiken vermeiden können, so sind die Mitgliedstaaten nach Art. 4 HWiRL 85/577 verpflichtet, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher vorzusehen. Es müsse, so der Gerichtshof, verhindert werden, dass die Verbraucher, „die es nicht vermeiden konnten, sich solchen Risiken auszusetzen, die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken tragen.“196 Zu den genannten Risiken 188

  Zur horizontalen Direktwirkung der Grundfreiheiten infra, § 6 E.  Näher infra, § 5 A.IV.4. Gegen eine horizontale Direktwirkung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes aber § 9 B.II.2. 190   Vgl. EuGH, Rs. C‑13/05 (Navas) – Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 darf wegen der in Art. 1 dieser Richtlinie abschließend aufgezählten Gründe nicht auf sonstige Diskriminierungen (konkret: Diskriminierung aufgrund von Krankheit) ausgedehnt werden; Rs. C‑427/06 (Bartsch) – Keine Anwendung der Mangold-Kriterien auf rein innerstaatliche Regelungen, die nicht der Umsetzung einer Richtlinie dienen und daher nicht im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts liegen; Rs. C‑101/08 (Audiolux) – Kein allgemeines Verbot der Diskriminierung von Minderheitsaktionären im Gesellschaftsrecht. 191   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci). 192   EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger). 193   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte). 194   EuGH, Rs. C‑229/04 (Crailshaimer Volksbank). 195   EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger) Rn. 46. 196   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte), LS 3 am Ende; Rs. C‑229/04 (Crailsheimer Volksbank), LS 2 am Ende. 189

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§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

zählen nach Ansicht des EuGH wirtschaftliche Einbußen, die Verbraucher durch eine falsche Bewertung der mithilfe eines Darlehensvertrags erworbenen Immobilien erlitten haben.197 Der Gerichtshof schuf damit eine neue Haftung für das Unterlassen einer (ordnungsgemäßen) Widerrufsbelehrung.198

III. Konkretisierung unbestimmter Privatrechtsfolgen Der EuGH präzisierte im genannten Zeitraum darüber hinaus für viele Sekundärrechtsakte die nur rudimentär geregelten Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen. Besonders ausgeprägt ist diese Rechtsprechung im Europäischen Reiserecht, im Verbrauchervertragsrecht sowie im Bereich der Produkthaftung. 1. im Reiserecht Im Fall Leitner199 leitete der Gerichtshof unter Verweis auf sonst drohende Wettbewerbsverzerrungen aus Art. 5 PRRL 90/314 die Verpflichtung ab, dass auch immaterielle Schäden für entgangene Urlaubsfreude zu ersetzen sind. Zur Fluggastrechte-VO 261/ 2004 ergingen zahlreiche Judikate, mit denen die Voraussetzungen für die Befreiung von der Ausgleichspflicht bei außergewöhnlichen Umständen näher bestimmt wurden.200 Besonders weitreichend waren aber vor allem die im Urteil Sturgeon201 getroffenen Aussagen. Obwohl die Fluggastrechte-VO 261/2004 Ausgleichsansprüche auf pauschalierten Schadensersatz nur bei Flugannullierung, nicht aber bei Flugverspätung gewährt, und im Übrigen in Art. 12 Abs. 1 S. 1 darauf verweist, dass weitergehende Schadensersatzansprüche durch die Verordnung unberührt bleiben, entschied der Gerichtshof, dass Fluggäste Ausgleichsansprüche auch dann geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Flugs bei der Ankunft einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden. Der Gerichtshof begründete dieses im Wege der Rechtsfortbildung gefundene Ergebnis202 im Wesentlichen mit dem Prinzip der praktischen Wirksamkeit (effet utile)203 und dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz.204 Da sich Fluggäste bei Annullierung und Verspätung in einer vergleichbaren Lage befänden, müssten Fluggäste bei einem verspäteten Flug ebenfalls den in Art. 7 VO 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können. Im Fall Sousa Rodríguez205 urteilte der EuGH zudem, dass der Begriff „Annullierung“ in Art. 2 lit. l der Verordnung auch Fälle erfasst, in denen ein Flugzeug abfliegt, dann aber zum Ausgangsflughafen zurückkehrt, und die Fluggäste auf andere unabhängig geplante Flüge umgebucht werden. 197

  EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 98 i. V. m. Rn. 52.   Zur dogmatischen Einordnung dieses Haftungsanspruchs infra, § 10 D.IV.6.a. 199   EuGH, Rs. C‑168/00 (Leitner). 200   EuGH, Rs. C‑396/06 (Kramme); Rs. C‑432/07 (Wallentin-Hermann); Rs. C‑529/08 (Schulze); Rs. C‑294/10 (Eglītis und Ratnieks). 201   EuGH, verb. Rs. C‑402 & 432/07 (Sturgeon u. a.) Rn. 61. 202   Kritisch zur methodischen Vorgehensweise Riesenhuber, in: Karakostas/Riesenhuber (Hrsg.), Methoden- und Verfassungsfragen der europäischen Rechtsangleichung, 2011, S. 41 ff.; Politis, EuZW 2014, 8 ff. 203   EuGH, verb. Rs. C‑402 & 432/07 (Sturgeon u. a.) Rn. 47. 204   EuGH, verb. Rs. C‑402 & 432/07 (Sturgeon u. a.) Rn.  48 – 61. 205   EuGH, Rs. C‑83/10 (Sousa Rodríguez u. a.). 198

E. Die Jahre ab 2000

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2. im Verbrauchervertragsrecht Für das Verbrauchervertragsrecht sind neben den bereits genannten Entscheidungen zur HWiRL 85/577 und den zahlreichen Judikaten zur Klausel-RL 93/13, die in erster Linie Aspekte des Prozessrechts betreffen,206 vor allem zwei Entscheidungen zur KaufRL 99/44 hervorzuheben, die sich durch eine verbraucherfreundliche Konkretisierung der Rechtsfolgen auszeichnen. Im Fall Quelle207 erkannte der EuGH im Jahre 2008 an, dass der Unternehmer vom Verbraucher keinen Wertersatz für die Nutzung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut verlangen kann. Diese am effet utile orientierte Rechtsprechung setzte sich im Jahre 2011 mit der Entscheidung Gebr. Weber & Putz208 fort. Danach ist der Verkäufer einer mangelhaften Sache, die vor der Entdeckung des Mangels bereits eingebaut worden ist, im Rahmen der Ersatzlieferung verpflichtet, entweder selbst den Ausbau der Sache vorzunehmen und die als Ersatz gelieferte Sache einzubauen oder die für den Aus- und Einbau notwendigen Kosten zu tragen. Dies gilt selbst dann, wenn der Einbau nicht zum vereinbarten Leistungsumfang des Verkäufers gehörte. Der in Art. 3 Abs. 2 und 3 KaufRL 99/44 geregelte verschuldensunabhängige Nacherfüllungsanspruch des Käufers wird damit auf Kosten erstreckt, die nach früher geltender deutscher Rechtslage209 nur im Rahmen eines (verschuldensabhängigen) Schadensersatzanspruchs ersatzfähig waren.210 Im gleichen Zeitraum ergingen andererseits Entscheidungen, in denen der Gerichtshof die Grenzen einer am effet utile orientierten Auslegung im Verbrauchervertragsrecht deutlich machte. So ist es etwa nach der HWiRL 85/577 grundsätzlich hinzunehmen, wenn die Mitgliedstaaten dem Unternehmer bei Widerruf eines Kreditvertrags einen Anspruch auf Rückzahlung der Valuta und einen Zinsanspruch zuerkennen, vorausgesetzt, es liegt eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung vor.211 Nach Hamilton212 darf das Widerrufsrecht selbst bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung erlöschen, wenn der Vertrag von beiden Seiten vollständig erfüllt wurde. Nach Friz213 verstößt auch die Anwendung der in der deutschen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze der „fehlerhaften Gesellschaft“ auf den Austritt aus einem geschlossenen Immobilienfonds nicht gegen die HWiRL. Der Schutz verbraucherschützender Richtlinien ist insofern, wie der Gerichtshof nunmehr in ständiger Rechtsprechung hervorhebt, nicht absolut.214 206

  Hierzu sogleich, infra, § 2 E.IV.   EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle). 208   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz). 209   Der BGH hatte für das deutsche Recht einen Anspruch des Käufers auf Einbau der mangelfreien Sache schon früher verneint, weil dieser nicht Gegenstand der ursprünglichen Verpflichtung des Verkäufers zur Lieferung einer mangelhaften Kaufsache sei; er könne nur im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs gefordert werden, der vom Verschulden des Verkäufers abhängt; BGHZ 177, 224 = NJW 2008, 2837, 2838, Rn. 18. Die Frage des Ausbaus wurde vom BGH dagegen für das deutsche Recht offen gelassen; BGH, NJW 2009, 1660, 1661, Rn. 13 ff. 210  Ausführlich infra, § 10 G.II.5. 211   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 93; Rs. C‑229/04 (Crailshaimer Volksbank) Rn. 49. 212   EuGH, Rs. C‑412/06 (Hamilton). 213   EuGH, Rs. C‑215/08 (Friz). 214   So zur HWiRL 85/577 EuGH, Rs. C‑412/08 (Hamilton) Rn. 39; Rs. C‑215/08 (Friz) Rn. 44. Zur Klausel-RL 93/13 EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 34 ff. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑233/94 (Deutschland/EP und Rat) Rn. 48: „[D]er Vertrag enthält jedoch keine Bestimmung, die den Gemeinschaftsgesetzgeber dazu verpflichtet, das höchste, in einem bestimmten Mitgliedstaat­ 207

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§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

3. im Produkthaftungsrecht Für die Produkthaftungs-RL 85/374 hob der Gerichtshof schließlich in einer Reihe von Judikaten hervor, dass die Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen in weitem Umfang einer autonomen Auslegung unterliegen und daher vorrangig nach Maßstäben des Unionsrechts zu konkretisieren sind. Dies betrifft etwa die Frage, unter welchen Voraussetzungen neben dem Hersteller auch noch Lieferanten haften,215 wann ein fehlerhaftes Produkt vorliegt216 und von einem Inverkehrbringen auszugehen ist,217 in welchem Umfang materielle Schäden zu ersetzen218 und wie bestimmte in der Richtlinie geregelte Haftungsbefreiungsgründe auszulegen sind.219

IV. Verstärkte Einwirkung auf das nationale Zivilprozessrecht Die zum Effektivitätsgebot und zum Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes vom EuGH entwickelten Anforderungen an die Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Rechte überformen mittlerweile auch das nationale Zivilprozessrecht, das im Unterschied zum materiellen Privatrecht bislang nicht Gegenstand intensiver Harmonisierungsbemühungen war.220 Dies zeigt sich plastisch bei grundlegenden Verfahrensmaximen des Zivilprozesses, wie etwa dem in allen Rechtsordnungen anerkannten Grundsatz der Parteiherrschaft und der richterlichen Passivität. Zwar hält der EuGH an der in van Schijndel221 getroffenen Aussage fest, dass „das Gemeinschaftsrecht es den nationalen Gerichten nicht gebietet, von Amts wegen die Frage eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsvorschriften aufzugreifen, wenn sie durch die Prüfung dieser Frage die ihnen grundsätzlich gebotene Passivität aufgeben müssten, indem sie die Grenzen des Rechtsstreits zwischen den Parteien überschreiten und sich auf andere Tatsachen und Umstände stützen, als sie die Prozesspartei, die ein Interesse an der Anwendung hat, ihrem bestehende Schutzniveau festzuschreiben.“ Besonders weitgehend EuGH, Rs. C‑166/11 (González Alonso) Rn. 27; hierzu Weatherill, ERCL 2012, 221. 215   EuGH, Rs. C‑52/00 (Kommission/Frankreich) Rn. 36 ff.; Rs. C‑402/03 (Skov und Bilka); Rs. C‑ 177/04 (Kommission/Frankreich) Rn. 47 ff.; Rs. C‑327/05 (Kommission/Dänemark). Vgl. auch EuGH, Rs. C‑127/04 (O’Byrne) Rn. 33 ff. Die Haftung von Dienstleistern liegt demgegenüber außerhalb des Anwendungsbereichs der Produkthaftungs-RL; EuGH, Rs. C‑495/10 (Centre hospitalier universitaire de Besançon). 216   EuGH, verb. Rs. C‑503 – 504/13 (Boston Scientific Medizintechnik) Rn. 36. 217   EuGH, Rs. C‑203/99 (Veedfald) Rn. 13 ff.; Rs. C‑127/04 (O’Byrne) Rn. 23 ff. 218   EuGH, Rs. C‑203/99 (Veedfald) Rn. 23 ff.; Rs. C‑285/08 (Moteurs Leroy Somer) Rn. 14 ff.; verb. Rs.  C‑503 – 504/13 (Boston Scientific Medizintechnik) Rn. 44. Der Ersatz immaterieller Schäden richtet sich dagegen nach nationalem Recht; vgl. infra, § 4 A.VI.5.b.aa. 219   Zur Haftungsfreistellung für Entwicklungsrisiken i. S. v. Art. 15 Produkthaftungs-RL 85/374 vgl. etwa EuGH, Rs. C‑300/95 (Kommission/Vereinigtes Königreich) Rn. 23 ff.; Rs. C‑52/00 (Kommission/Frankreich) Rn. 47. 220   Die Mehrzahl der Harmonisierungsmaßnahmen betreffen das internationale Zivilprozessrecht, nicht jedoch das nationale Zivilverfahrensrecht der Mitgliedstaaten, so z. B. Brüssel I-VO 1215/2012; Brüssel IIa-VO 2201/2003; Insolvenzverfahrens-VO 1346/2000; Beweisaufnahme-VO 1206/2001; Zustellungs-VO 1393/2007; Prozesskostenhilfe-RL 2002/8; VO 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen; Mahnverfahrens-VO 1896/2006; Small Claims VO 861/2007; Mediations-RL 2008/52. Nur vereinzelt finden sich in neueren Richtlinien und Verordnungen Annexregelungen mit prozessualem Gehalt, die aber zumeist nur punktuell bestimmte Einzelfragen regeln. 221   EuGH, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel) Rn. 22.

E. Die Jahre ab 2000

41

Begehren zugrunde gelegt hat.“222 Der Gerichtshof akzeptiert damit die in vielen Rechtsordnungen anerkannten Grundsätze der Parteiherrschaft und richterlichen Passivität, für das deutsche Recht also den Dispositions- und Beibringungsgrundsatz. Bereits im Fall van Schijndel hatte der EuGH indessen angedeutet, dass in Ausnahmefällen etwas anderes gelten könnte, wenn das „öffentliche Interesse“ bzw. der „ordre public“ ein Eingreifen des nationalen Gerichts von Amts wegen fordert.223 In der Folgezeit konkretisierte er sodann, dass zum ordre public communautaire insbesondere zwingende Vorschriften des Verbraucherrechts zählen.224 So folgt etwa aus dem zwingenden Charakter von Art. 6 Klausel-RL 93/13, dass sich die Aufgabe des nationalen Gerichts nicht auf die bloße Befugnis beschränkt, von Amts wegen über die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel zu entscheiden,225 sondern auch eine dahin gehende Verpflichtung besteht.226 Die Pflicht zur amtswegigen Prüfung bezieht sich auf sämtliche missbräuchlichen Klauseln.227 Sie umfasst nicht nur die rechtliche Würdigung (iura novit curia). Der Gerichtshof hat vielmehr entschieden, dass das nationale Gericht zugleich verpflichtet ist, von Amts wegen tatsächliche Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um festzustellen, ob eine Klausel in den Anwendungsbereich der Klausel-RL 93/13 fällt, und, falls dies zu bejahen ist, von Amts wegen zu beurteilen, ob eine solche Klausel möglicherweise missbräuchlich ist.228 Aus dem zwingenden Charakter des Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 folgt in materiell-rechtlicher Hinsicht, dass die Unwirksamkeit einer missbräuchlichen Klausel ipso iure eintritt und nicht vom Verbraucher geltend gemacht werden muss.229 Das nationale Gericht ist demgegenüber nicht verpflichtet, eine missbräuchliche Klausel für unverbindlich zu erklären, wenn der Verbraucher nach einem Hinweis des Gerichts die Missbräuchlichkeit und Unverbindlichkeit nicht geltend machen 222   Selbst im Verwaltungsprozess ist ein erstinstanzlich entscheidendes Gericht nach dem Effektivitätsgebot nicht dazu verpflichtet, von Amts wegen einen Verstoß gegen Richtlinienvorschriften zu prüfen; EuGH, verb. Rs. C‑222 – 225/05 (van der Weerd u. a.) Rn. 41 (zur Richtlinie 85/511/EWG zur Einführung von Maßnahmen der Gemeinschaft zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche). 223   EuGH, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel) Rn. 21. Der Gerichtshof spricht in dieser Entscheidung nur vom öffentlichen Interesse (public interest). In späteren Entscheidungen wird dieser Begriff aber ausdrücklich mit „public policy“, „ordre public“ bzw. „orden público“, gleichgesetzt; so EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 51 – 52, in der englischen, französischen sowie (rechtsverbindlichen) spanischen Fassung. Die deutsche Übersetzung des Urteils spricht dagegen missverständlicher Weise nur von „Bestimmungen, die im nationalen Recht zwingend sind“. 224   So zu Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 EuGH, Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 35 f.; Rs. C‑243/ 08 (Pannon) Rn. 31 f.; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 52. Zu Art. 11 Abs. 2 VerbrKrRL 87/102 (jetzt Art. 15 Abs. 2 VerbrKrRL 2008/48) EuGH, Rs. C‑429/05 (Rampion) Rn. 62 f.; zu Art. 10 Abs. 2 VerbrKrRL 2008/48 EuGH, Rs. C‑377/14 (Radlinger und Radlingerová) LS 2. Zu Art. 4 HWiRL 85/577 (jetzt Art. 6 Abs. 1 lit. h VRRL 2011/83) EuGH, Rs. C‑227/08 (Martín ­Martín) Rn. 28. Zu Art. 5 Abs. 3 KaufRL 99/44 EuGH, Rs. C‑497/13 (Faber) Rn. 56 f. Zum ordre public communautaire zählen ferner die Art. 101, 102 AEUV; vgl. EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 36, 39; verb. Rs.  C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 31, 39; Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands) Rn. 49. 225   So noch EuGH, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 29. 226   EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 32. 227   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 105. 228  EuGH, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 45 – 56; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn. 24. GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn.  107 – 116, hatte sich in ihren Schlussanträgen ausdrücklich gegen eine Pflicht des nationalen Gerichts ausgesprochen, von Amts wegen eine Untersuchung vorzunehmen, um die für die Beurteilung erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen festzustellen. 229   EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 24.

42

§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

möchte.230 Stellt das Gericht aufgrund der tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte fest, dass eine Klausel missbräuchlich ist, so folgt aus dem unionsrechtlichen Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens, dass das Gericht im Allgemeinen verpflichtet ist, die Parteien darüber zu informieren und sie aufzufordern, sich hierzu zu äußern.231 Diese Grundsätze gelten nicht nur im ordentlichen Zivilprozess, sondern zudem, wenngleich mit Einschränkungen,232 im Mahnverfahren vor Erlass eines Mahnbescheids,233 im Verfahren nach Widerspruch gegen einen Mahnbescheid,234 im Schiedsverfahren vor Erlass eines Schiedsspruchs und im Verfahren wegen Aufhebung eines Schiedsspruchs,235 sowie bei kollektiven Unterlassungsklagen.236 Darüber hinaus hat der Gerichtshof klargestellt, dass die einzelstaatlichen Gerichte von Amts wegen alle Konsequenzen ziehen müssen, damit eine im kollektiven Unterlassungsverfahren für missbräuchlich und unverbindlich erklärte Klausel „auch in der Zukunft“ (mithin auch in nachfolgenden Individualprozessen) unverbindlich ist.237 Auch der Grundsatz der Rechtskraft (res iudicata) unterliegt der Kontrolle nach dem Effektivitätsgebot. Zwar verlangt das Unionsrecht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften zur Rechtskraft abzusehen, selbst wenn die rechtskräftige Entscheidung gegen Unionsrecht verstößt.238 In gewissen Ausnahmefällen zwingt das Effektivitätsgebot jedoch zur Durchbrechung der Rechtskraft.239 Darüber hinaus verlangt das Äquivalenzgebot, dass Möglichkeiten der Durchbrechung der Rechtskraft, die für rein innerstaatliche Klagen bestehen, auf vergleichbare Klagen zur Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Rechte entsprechend erstreckt werden.240 Der Effektivitätsgrundsatz und das Gebot effektiven Rechtsschutzes haben darüber hinaus für das nationale Kostenrecht Bedeutung erlangt. So gebietet das Effektivitätsgebot etwa die Möglichkeit der Erstattung von Verfahrenskosten, wenn dies zur Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Ansprüche erforderlich ist.241 Art. 47 Abs. 3 GRC verlangt zudem, dass juristische Personen nicht pauschal von der Gewährung einer Prozesskostenhilfe ausgeschlossen werden.242 Der Anspruch auf 230

  EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 33.   EuGH, Rs. C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn. 31.  Ausführlich infra, § 10 F.II.5. 233   EuGH, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 57. 234   EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 32; Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 56. 235   EuGH, Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 39. Keine Pflicht zur amtswegigen Prüfung besteht dagegen im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens aus einem rechtskräftigen Schiedsspruch; EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 37; Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 45. Indessen kann die kombinierte Anwendung mit dem Äquivalenzgrundsatz zu einer solchen Pflicht führen; näher Ebers, ERPL 2010, 823, 839 ff. 236   EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 41. 237   EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 43. Hierzu Ebers, LMK 2012, 333520. 238   EuGH, Rs. C‑234/04 (Kapferer) Rn. 21; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑2/08 (Fallimento Olimpiclub) Rn. 23; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 37; Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 45; Rs. C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn. 23. 239   So zum Beihilferecht EuGH, Rs. C‑119/05 (Lucchini); Rs. C‑505/14 (Klausner Holz Niedersachsen); vgl. auch noch infra, § 5 B.II.3. 240   Vgl. EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 36 f.; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 59. Siehe auch EuGH, verb. Rs. C‑392 & 422/04 (i‑21 Germany und Arcor) Rn.  62 – 63, 69 – 72. 241   EuGH, Rs. C‑63/01 (Evans) Rn.  75 – 78. 242   EuGH, Rs. C‑279/09 (DEB) zu § 116 S. 1 Nr. 2 deutsche ZPO; Rs. C‑156/12 (GREP) zu § 63 Abs. 1 österreichische ZPO a. F. 231 232

F. Ergebnis

43

Prozesskostenhilfe wird gleichwohl nicht schrankenlos gewährleistet. Der Gerichtshof entwickelte daher Maßstäbe, die von den einzelstaatlichen Gerichten zu berücksichtigen sind. Selbst Regelungen des Vollstreckungsrechts müssen den Anforderungen der Effektivität genügen. So hat der Gerichtshof beispielsweise zum Markenrecht entschieden, dass die nationalen Gerichte verpflichtet sind, unter den im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen diejenigen zu treffen, die erforderlich sind, um die Beachtung des Verbots markenrechtsverletzender Handlungen nach Art. 98 Abs. 1 S. 1 Gemeinschaftsmarken-VO 40/94 sicherzustellen, selbst wenn die betreffenden Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht bei einer entsprechenden Verletzung einer nationalen Marke nicht getroffen werden könnten.243 Eine strafrechtliche Sanktion, die nur nach freier Entscheidung des nationalen Gerichts, auf Antrag des Markeninhabers und nur gegenüber einem Beklagten angewendet werden kann, der eine fortgesetzte Verletzung vorsätzlich oder fährlässig begeht, genügt diesen Anforderungen nicht.244 Schließlich unterliegen auch außergerichtliche Schlichtungsverfahren einer Kontrolle. Nach den Ausführungen des EuGH im Fall Alassini245 betreffend Art. 34 Universaldienst-RL 2002/22246 ist ein obligatorisches Schlichtungsverfahren mit dem Effektivitätsgebot und dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nur dann vereinbar, wenn dieses Verfahren (i) nicht zu einer die Parteien bindenden Entscheidung führt, (ii) keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung einer Klage bewirkt, (iii) die Verjährung der betroffenen Ansprüche hemmt, (iv) für die Parteien keine oder nur geringe Kosten mit sich bringt und (v) Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes in Ausnahmefällen möglich sind, in denen die Dringlichkeit der Lage dies verlangt. Der Zugang zum Schlichtungsverfahren darf ferner (vi) nicht allein auf elektronischem Wege gewährleistet werden.

F. Ergebnis Der vorstehende Überblick verdeutlicht, dass der Bestand subjektiver Rechte im Unionsrecht innerhalb der letzten 50 Jahre stetig gewachsen ist. Nach der Grundsatzentscheidung van Gend & Loos247 kann das Unionsrecht dem Einzelnen nicht nur expressis verbis Rechte verleihen. Denkbar ist auch, dass eine Unionsnorm indirekt Rechte zugunsten des Einzelnen begründet. Unter Zugrundelegung dieses Ansatzes hat der Gerichtshof zahlreiche Vorschriften des Primär- und Sekundärrechts als 243

  EuGH, Rs. C‑316/05 (Nokia) Rn.  57 – 60.   EuGH, Rs. C‑316/05 (Nokia) Rn. 51. Vgl. auch die SchlA von GA Sharpston, Rn. 41. 245  EuGH, verb. Rs. C‑317 – 320/08 (Alassini) Rn. 52 – 60, Tenor  2. Hierzu Davies/Szyszczak, ELRev. 2010, 695. 246   Nach Art. 34 Abs. 1 S. 1 Universaldienst-RL 2002/22 müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass zur Durchsetzung der Richtlinie transparente, einfache und kostengünstige außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von Streitfällen zur Verfügung stehen, an denen Verbraucher beteiligt sind. Die geänderte Universaldienst-RL i. d. F. der RL 2009/136 sieht nunmehr in Art. 34 Abs. 1 S. 3 ausdrücklich vor, dass diese Verfahren dem Verbraucher nicht seinen Rechtsschutz nach nationalem Recht entziehen dürfen. Für grenzüberschreitende Streitigkeiten gestattet Art. 5 Abs. 2 MediationsRL 2008/52 obligatorische Schlichtungsverfahren, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Parteien nicht daran gehindert werden, ihr Recht auf Zugang zum Gerichtssystem wahrzunehmen. 247   EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos). 244

44

§ 2  Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

Rechte interpretiert, die dem Einzelnen gegenüber den Mitgliedstaaten oder gegenüber anderen Privatpersonen zustehen. Gleichzeitig wurden viele Rechte mit Blick auf die erforderlichen Rechtsbehelfe näher konkretisiert. Zwar stellte der EuGH noch im Jahre 1981 im Butterfahrten-Urteil248 fest, dass der Vertrag „nicht zusätzlich zu den nach nationalem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen neue Klagemöglichkeiten zur Wahrung des Gemeinschaftsrechts vor den nationalen Gerichten schaffen wollte“. Diese Aussage hat der Gerichtshof jedoch mittlerweile revidiert. Inzwischen bekennt sich der EuGH offen dazu, dass das Unionsrecht unter bestimmten Umständen einen neuen Rechtsbehelf erfordern kann, wenn dies der einzige Weg ist, um sicherzustellen, dass ein Recht aus dem Unionsrecht geschützt werden kann.249 Vor diesem Hintergrund konkretisierte der Gerichtshof in den 1980er und 1990er Jahren zunächst die zur Durchsetzung subjektiv-öffentlicher Rechte erforderlichen Rechtsbehelfe. Die beiden ersten Jahrzehnte ab 2000 werden demgegenüber in besonderem Maße durch Entscheidungen des EuGH mit privatrechtlichem Bezug geprägt. Die Judikatur betrifft die Nichtigkeit von Verträgen, Vertragslösungsrechte, vertragliche und außervertragliche Schadensersatzansprüche, Bereicherungsansprüche, Unterlassungsansprüche sowie die Ausgestaltung kollektiver Rechtsschutzformen. Soweit das Unionsrecht – auch unter Zugrundelegung einer am effet utile orientierten Auslegung – keine Regelungen zur Ausgestaltung und Durchsetzung der Unionsrechte enthält, sind die Anspruchsvoraussetzungen, Rechtsfolgen und Verfahrensmodalitäten nach einzelstaatlichem Recht zu bestimmen. Dieser Grundsatz, der in missverständlicher Weise auch als Prinzip der Verfahrensautonomie bezeichnet wird, eröffnet den Mitgliedstaaten allerdings nur bedingt Gestaltungsspielräume. Die Mitgliedstaaten, insbesondere die einzelstaatlichen Gerichte trifft ein Rechtsschutzauftrag: Vermittelt eine Unionsnorm dem Einzelnen Rechte gegenüber den Mitgliedstaaten oder anderen Privaten, so sind die einzelstaatlichen Gerichte verpflichtet, den Schutz dieser Rechte zu gewährleisten. Dies folgt zum einen aus dem Effektivitätsgrundsatz. Hiernach dürfen die in den Mitgliedstaaten zur Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Rechte festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht so ausgestaltet werden, dass sie die Durchsetzung dieser Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Zum anderen ist der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes seit der Johnston-Entscheidung auch als ungeschriebenes Unionsgrundrecht anerkannt worden. Der Lissabon Vertrag kodifiziert diese Rechtsprechung (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV; Art. 6 Abs. 1 EUV i. V. m. Art. 47 GRC). Daneben sind die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung zu einer wirksamen, abschreckenden und verhältnismäßigen Sanktionierung von Unionsrechtsverstößen verpflichtet; auch aus diesem Postulat können sich konkrete Anforderungen für den Rechtsschutz ergeben. Schließlich greift ergänzend der Äquivalenzgrundsatz, demzufolge ein Kläger, der eine unionsrechtlich begründete Rechtsposition einklagt, nicht schlechter gestellt werden darf als derjenige, der ein vergleichbares mitgliedstaatlich gewährtes Recht geltend macht. 248

  EuGH, Rs. 158/80 (Rewe Handelsgesellschaft Nord und Rewe-Markt Steffen) Rn. 44.   EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 41. Vgl. auch GA Poiares Maduro, SchlA, verb. Rs. C‑222 – 225/ 05 (van der Weerd u. a.) Rn. 16; GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 35; sowie die Analyse der Unibet-Entscheidung bei Arnull, CMLR 2007, 1763, 1773 f. 249

F. Ergebnis

45

Die Anforderungen an die mitgliedstaatliche Durchführung subjektiver Unionsrechte wurden vom EuGH kontinuierlich verschärft. Während der Effektivitätsgrundsatz und das Gebot effektiven Rechtsschutzes in den 1970er Jahren keine nennenswerte Rolle spielten, ist der Gerichtshof seit Mitte der 1980er Jahre dazu übergegangen, die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen an den mitgliedstaatlichen Rechtsschutz nach strengeren Kriterien zu beurteilen, indem er zunehmend selbst Regeln für die Durchführung und Durchsetzung des Unionsrechts aufstellte. Anzeichen dafür, dass der EuGH seine Rechtsprechung seit Mitte der 1990er Jahre revidiert hätte und von einer strikten Handhabung des Effektivitätsgebots abgerückt wäre, sind nicht ersichtlich. Zwar trifft es zu, dass der Gerichtshof dem Regelungsanliegen nationaler Verfahrensvorschriften seit den Entscheidungen Peterbroeck250 und van Schijndel251 verstärkt Rechnung trägt, indem er den Effektivitätsgrundsatz in vielen Rechtssachen nicht mehr eindimensional anwendet, sondern zugleich prüft, ob die nationale Verfahrensregelung einen Zweck verfolgt, der sich im Einklang mit einem unionsrechtlich anerkannten Rechtsgrundsatz befindet. Letztlich handelt es sich dabei jedoch nicht um eine Abwägung zwischen den Kompetenzen der Union und der „Verfahrensautonomie“ der Mitgliedstaaten, sondern um den Ausgleich widerstreitender Prinzipien auf der Ebene des Unionsrechts. Die Entwicklung nach 2000 zeigt, dass die Rechtsprechung insbesondere im Privatrecht an Intensität zugenommen hat. Dies betrifft zum einen die bereits erwähnte Herleitung neuer Rechtsbehelfe sowie die Konkretisierung sekundärrechtlich nur rudimentär geregelter Rechtsfolgen. Zum anderen wird aber auch das nationale Zivilprozessrecht vom EuGH mittlerweile verstärkt am Maßstab effektiver Rechtsdurchsetzung gemessen.

250

  EuGH, Rs. C‑312/93 (Peterbroeck) Rn. 20.   EuGH, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel) Rn. 21 f.

251

2. Teil

Grundlegung

§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte A. Auf der Suche nach einer Theorie der Unionsrechte: Mission impossible? Nach wie vor fehlt es an einer Theorie subjektiver Rechte im Unionsrecht. Zwar besteht im Schrifttum mittlerweile Einigkeit darüber, dass die Qualifizierung von Normen des Unionsrechts als Grundlage subjektiver Rechte anhand autonomer ­unionsrechtlicher Kriterien erfolgen muss.1 Was der Gerichtshof unter Rechten, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen, versteht, und welche Maßstäbe zu ihrer Ermittlung gelten, ist jedoch immer noch ungeklärt. Ursächlich für diese Verständnisschwierigkeiten ist zunächst der Umstand, dass sich die Eigenarten der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht aus der Perspektive des mitgliedstaatlichen Rechts adäquat erfassen lassen. Zwar trennen alle nationalen Rechtsordnungen zwischen objektivem und subjektivem Recht. Das Denken in subjektiven Rechten ist jedoch insbesondere dem common law fremd; umgekehrt lässt sich dem Begriff des Rechtsbehelfs in vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen keine rechtlich relevante Systemstelle zuordnen. Daher ist bereits in terminologischer und rechtssystematischer Hinsicht unklar, was der EuGH meint, wenn er von Rechten, Rechtsbehelfen und Verfahren (rights, remedies and ­procedures) spricht, in welchem Verhältnis diese Konzepte zueinander stehen, und ob etwa die vom Gerichtshof entwickelten Rechte und Rechtsbehelfe als materielle Ansprüche oder als prozessuale Rechte auf Rechtsschutz zu verstehen sind. Zu diesen begrifflich-systematischen Fragen treten die konkreten Anwendungsprobleme, die sich daraus ergeben, dass die vom EuGH statuierten Unionsrechte häufig konträr zu den mitgliedstaatlichen Rechtsschutzsystemen liegen. Aus deutscher Sicht zeigen sich diese Divergenzen besonders deutlich, wenn es um die Anwendung der sog. Schutznormtheorie im Verwaltungs- oder im Zivilrecht geht. Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz dient – im Unterschied zu vielen anderen Rechtsordnungen2  – dem Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte. Wird ein subjektiv-öffentliches Recht nicht explizit durch den deutschen Gesetzgeber formuliert, muss durch Auslegung nach der sog. Schutznormtheorie ermittelt werden, ob die Norm zumindest auch dem Individualinteresse und nicht nur dem Allgemeininteresse dienen soll.3 Dieser Ansatz hat im europäischen Umweltrecht immer wieder dazu geführt, dass 1   Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996, S. 52; Classen, Europäisierung, 1996, S. 80; v. Danwitz, DÖV 1996, 481, 489; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 369 ff., S. 387 ff.; Langenfeld, DÖV 1992, 952, 962; Reich, ZfRV 2009, 148, 150; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 105 ff. m. w. N. zum früheren Meinungsstand. Umstritten ist allerdings, in welchem Umfang der Grundsatz autonomer Auslegung greift; hierzu infra, § 4 A.VI. 2  Ausführlich infra, § 3 E.V.1.a. 3   BVerfGE 27, 297, 307; 31, 33, 39 ff.; BVerwGE 3, 362 f.; 72, 226, 229 f.; 80, 259, 260; 92, 313, 317.

50

§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

deutsche Gerichte eine Klagebefugnis Dritter abgelehnt haben, während der EuGH klargestellt hat, dass Dritten bei Verletzung umweltrechtlicher Pflichten gerichtlich durchsetzbare Rechtspositionen zu gewähren sind.4 Im Privatrecht treten Unterschiede zwischen dem deutschen Recht und dem Unionsrecht insbesondere dann zu Tage, wenn der Ersatz reiner Vermögensschäden betroffen ist. Nach deutschem Recht werden reine Vermögensschäden im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB nur dann ersetzt, wenn eine Rechtsnorm verletzt wird, die nicht bloß die Interessen der Allgemeinheit im Auge hat, sondern die Belange des einzelnen Bürgers schützen will.5 Aus unionsrechtlicher Perspektive kann es dabei erforderlich sein, dass die Schutznormtheorie modifiziert, unter Umständen sogar aufgegeben werden muss. Das Beispiel des Kartellrechts zeigt dies deutlich. Vor der 7. GWB-Novelle richteten sich Schadensersatzansprüche bei einem Verstoß gegen die Art. 101, 102 AEUV nach § 823 Abs. 2 BGB. Die deutschen Gerichte schränkten dabei den Kreis der Anspruchsberechtigten durch verschiedene Kriterien ein. Insbesondere mittelbar Geschädigte (Zwischenhändler und Verbraucher) auf weiter entfernten Marktstufen wurden aus dem geschützten Personenkreis herausgenommen.6 Dieses Verständnis musste jedoch aufgegeben werden, nachdem der EuGH für das Kartellrecht herausgestellt hatte, dass jeder Geschädigte Ersatz verlangen kann.7 Der neu gefasste § 33 GWB verzichtet daher auf das Schutzgesetzerfordernis.8 Obwohl Unionsrechte in der Rechtsprechung des EuGH eine bedeutende Rolle spielen, hat der Gerichtshof bislang keine übergreifende Theorie hierzu entwickelt. Dies wird im Schrifttum mitunter beklagt.9 Nach dem Selbstverständnis der europäischen Richter gehört es allerdings gar nicht zu den Aufgaben des Gerichtshofs, allgemeine dogmatische Theorien aufzustellen, sondern die in einer Rechtssache konkret aufgeworfenen Fragen zu lösen.10

 4   Zur UVP-RL 85/337 vgl. BVerwGE 100, 238, 243 = NVwZ 1996, 788, 792; VGH München, NVwZ 1991, 490, 491; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, 407, 408; EuGH, Rs. C‑435/97 (WWF) Rn.  69 – 71; Rs.  C‑201/02 (Wells) Rn. 61. Zur Luftqualitäts-RL 96/62 BVerwG, NVwZ 2007, 695, 697 f. (Rn. 20 ff.); EuGH, Rs. C‑237/07 (Janecek) Rn. 37 – 42. Zur UVP-RL 85/337 i. d. F. der RL 2003/35 OVG Lüneburg, NVwZ 2008, 1144, 1145; EuGH, Rs. C‑115/09 (Trianel Kohlekraftwerk). Siehe auch BVerwGE 128, 388 = NVwZ 2007, 1074 („Mühlenberger Loch“) – Anwendung der Schutznormtheorie ohne Anrufung des EuGH; eine zuvor erhobene Verfassungsbeschwerde wegen Nichtvorlage an den EuGH blieb erfolglos; BVerfG, NVwZ 2001, 1148, 1149 f.  5   BGHZ 12, 146, 148; 100, 13, 14 f.; 106, 204, 206.  6   BGH, WuW/E BGH 1643, 1645 (BMW-Importe) = NJW 1980, 1224, 1225; BGH, WuW/E BGH 2451, 2457 (Cartier-Uhren) = NJW 1988, 2175, 2177. Nach BGHZ 141, 214, 223 f. (Altersrückstellung in der PKV) = NJW 1999, 2741, 2743, waren Verbraucher sogar bei unmittelbarer Betroffenheit nicht anspruchsberechtigt. Die Rechtsprechung verlangte darüber hinaus einen zielgerichteten Eingriff; BGHZ 86, 324, 330 (Familienzeitschrift) = NJW 1984, 2819, 2822; LG Berlin, WuW/E DE‑R 1325, 1326 f. (Berliner Transportbeton I).  7   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26.  8  Hierzu infra, § 7 A.IV.2.  9   Eilmansberger, CMLR 2004, 1199. 10   Vgl. nur die Bemerkungen des früheren finnischen Richters am EuGH Sevón, in: Bernitz/Nergelius (Hrsg.), General Principles of Community Law, 2000, S. 219, 220: „When you read judgements and orders of the Court it may be useful to bear in mind that the task of the Court is to decide cases. (. . .) The Court is not involved in an effort to create a general theory on the general principles. So far I have never experienced a discussion on the subject among the Members of the Court and certainly not at the deliberations.“ Ähnlich der frühere niederländische Richter am EuGH Timmermans, RabelsZ 77 (2013), 368, 376.

A. Auf der Suche nach einer Theorie der Unionsrechte: Mission impossible?

51

Der Gerichtshof verknüpft seine Rechtsprechung zur Einklagbarkeit subjektiver Rechte vor den einzelstaatlichen Gerichten regelmäßig mit Feststellungen zur unmittelbaren Wirkung. Exemplarisch hierfür sind etwa die Ausführungen in der Rechtssache Molkereizentrale Westfalen/Lippe,11 dass es für die Entstehung individueller Rechte „erforderlich, aber auch genügend [ist], dass sich die Vertragsvorschrift, aus der solche Rechte hergeleitet werden, ihrem Wesen dazu eignet, unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den ihrem Recht unterworfenen Einzelnen zu erzeugen“. Vor diesem Hintergrund wird davon ausgegangen, dass die Dogmatik der Rechte Einzelner auf dem Grundsatz der unmittelbaren Wirkung aufbaut.12 Die dem Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung unionsrechtlicher Bestimmungen erwachsenden Rechte seien sowohl Entstehungsgrund als auch Maßstab der unionsrechtlichen Anforderungen an den mitgliedstaatlichen Rechtsschutz. Zuweilen wird sogar vertreten, die unmittelbare Wirkung sei nicht nur notwendige, sondern zugleich hinreichende Bedingung für die Begründung subjektiver Rechte.13 Andere weisen demgegenüber darauf hin, dass die unmittelbare Wirkung einer Unionsnorm von der Frage zu trennen ist, ob eine Unionsbestimmung ein subjektives Recht beinhaltet.14 Die häufige Bezugnahme des EuGH auf den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit hat im Schrifttum zudem zu der Annahme geführt, dass das Unionsrecht vom Grundsatz her nicht zwischen objektiven und subjektiven Normen differenziere. In Anlehnung an die französische Konzeption sei die Rechtsprechung an einer möglichst effektiven Durchsetzung des gesamten Unionsrechts orientiert. Der Unionsbürger werde nicht nur zur Durchsetzung seiner eigenen Rechte, sondern als „private attorney general“15 auch zur Durchsetzung aller sonstigen Verpflichtungen der EU und der Mitgliedstaaten mobilisiert16 bzw. instrumentalisiert.17 Eine weitergehende Dogmatik des subjektiven Rechts über die des effet utile hinaus kenne das Unionsrecht nicht. Wenn der EuGH daher von „Rechten“ spreche, müsse berücksichtigt werden, dass dieser mit dem Terminus „Recht“ im Allgemeinen keine besondere Aussage verbinden wolle.18

11

  EuGH, Rs. 28/67 (Molkereizentrale Westfalen/Lippe).   v. Danwitz, DÖV 1996, 481; Eilmansberger, CMLR 2004, 1199, 1202 („creation of individual rights as corollary of the establishment of the principle of direct applicability“); Tonne, Effektiver Rechtsschutz, 1997, S. 271 („effektiver Rechtsschutz als Ausprägung der unmittelbaren Wirksamkeit“). Vgl. auch de Witte, in: Maduro/Azoulai (Hrsg.), The Past and Future of EU law, 2010, S. 9, 12 ff. 13   So für das öffentliche Recht v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 231 ff.; ders., DÖV 1996, 481, 483 f., 488 f.; ähnlich für das Privatrecht MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 BGB Rn. 391; ders., AcP 206 (2006) 352, 416. 14   Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 105; Jarass/Beljin, Casebook Grundlagen des EG‑Rechts, 2003, S. 61. 15   Kilpatrick, in: Kilpatrick/Novitz/Skidmore (Hrsg.), The Future of Remedies in Europe, 2000, S. 1, 2; Komninos, CMLR 2002, 447, 469. Ähnlich v. Danwitz, DÖV 1996, 481, 484 („procureur du droit“). Pernice, NVwZ 1990, 414, 424, spricht vom „status activus processualis“. 16   Masing, Mobilisierung, 1997, S. 51: „Dem Gemeinschaftsbürger wird prinzipiell die öffentliche Aufgabe zugeordnet, für einen effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts zu sorgen.“; Everling, NVwZ 1993, 209, 215 (Bürger wird für die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts „aktiviert“). 17   Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, 924, 934; Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996, S. 52; v. Danwitz, DÖV 1996, 481, 484; Hölscheidt, EuR 2001, 376, 384; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 389 ff. 18   Sagmeister, ZEuS 2011, 1, 23. 12

52

§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Angesichts dieser Schwierigkeiten werden die dogmatischen Bemühungen um eine Theorie der Unionsrechte als eine „mission impossible“ bezeichnet.19 Die Grenzen des Möglichen erschließen sich indessen erst, wenn das Unmögliche versucht wird. An dieser Stelle kann es noch nicht darum gehen, das Konzept der subjektiven Unionsrechte für sämtliche Teilbereiche auszuloten. Die nachfolgende Untersuchung konzentriert sich zunächst auf vier Hauptfragen: – Was versteht der Gerichtshof unter Rechten, Rechtsbehelfen und Verfahren? Wie verhalten sich Unionsrechte und Rechtsschutz zueinander? Orientiert sich der Gerichtshof an einem bestimmten mitgliedstaatlichen Rechtsverständnis oder wird ein autonomes Konzept zugrunde gelegt? Welche Qualität haben die zu schaffenden Rechtspositionen? Muss der nationale Gesetzgeber, um den Vorgaben des Unionsrechts zu genügen, materielle Rechtspositionen schaffen oder ist die Einräumung von rein prozessualen Rechtsschutzmöglichkeiten ausreichend? – Hierzu B. – In welchem Verhältnis stehen die Unionsrechte zum Institut der unmittelbaren Wirkung? Ist die unmittelbare Wirkung notwendige Voraussetzung für das Entstehen subjektiver Rechte? Ist die unmittelbare Wirkung einer Unionsnorm unter Umständen sogar hinreichende Bedingung für die Gewährleistung eines subjektiven Rechts? Wenn ja, welcher Art sind die Rechte, die aus der unmittelbaren Wirkung einer Unionsnorm erwachsen? – Hierzu C. – Welche Gründe stehen hinter der Gewährung subjektiver Unionsrechte? Ist die Behauptung zutreffend, dass der Einzelne durch das Unionsrecht mobilisiert oder gar instrumentalisiert wird? Wird dem effet utile des Unionsrechts gar der Vorrang gegenüber dem Gebot des effektiven Schutzes subjektiver Unionsrechte eingeräumt? Inwieweit werden die Kriterien für die Verleihung von Unionsrechten von den Gründen für die Gewährung von Unionsrechten beeinflusst? – Hierzu D. – Welche Kriterien legt der Gerichtshof für die Ermittlung subjektiver Unionsrechte zugrunde? Trifft die Annahme zu, dass Schutzzweckerwägungen überhaupt keine Rolle spielen? Oder ist eine unionsrechtlich „aufgeladene“ Schutznormlehre auch in der Rechtsprechung des EuGH nachweisbar? Welche normativen Kriterien sind letztlich entscheidend, um den Kreis der subjektiv Berechtigten zu bestimmen? Welche Anhaltspunkte ergeben sich aus der Rechtsprechung, um den inhaltlichen Umfang subjektiver Unionsrechte zu ermitteln? – Hierzu E.

B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren Die gegenwärtige Diskussion wird von der Unterscheidung zwischen Rechten (rights), Rechtsbehelfen (remedies) und Verfahren (procedures) geprägt. Der EuGH nimmt auf diese Begriffe in seiner ständigen Rechtsprechung Bezug. Auch das geschriebene Primär- und Sekundärrecht bedient sich dieser Terminologie. Modellhaft liegt die Bestimmung der Rechte ausschließlich in den Händen des EuGH, während die Rechtsbehelfe und Verfahren vorrangig nach mitgliedstaatlichem Recht bestimmt werden. Folgt man diesem Verständnis – das angesichts der weitreichenden 19

  van Gerven, CMLR 2000, 501, 502.

B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren

53

Vorgaben des EuGH bzgl. der Ausgestaltung der Rechtsbehelfe allerdings hinterfragt werden muss – so sind die Begrifflichkeiten unter Kompetenzgesichtspunkten von großer Bedeutung und allein deshalb klärungsbedürftig. Mit den Begriffen subjektives Recht, Rechtsbehelf und Verfahren verbinden sich in den nationalen Rechtsordnungen ganz unterschiedliche Vorstellungen. Die kontinentaleuropäische Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, insbesondere die jüngere Pandektenwissenschaft und unter ihrem Einfluss die Privatrechtsdogmatik des beginnenden 20. Jahrhunderts sahen im subjektiven Recht den Zentralbegriff des Privatrechts.20 Dies hat sich trotz verschiedentlich geäußerter Kritik21 nicht geändert. Die Figur des subjektiven Rechts nimmt in der heutigen Zivilrechtstheorie sowohl in Deutschland22 als auch in vielen anderen kontinentaleuropäischen Ländern23 nach wie vor eine dominierende Stellung ein. Das Denken in subjektiven Rechten ist demgegenüber dem common law immer noch fremd. Anstatt danach zu fragen, ob eine Person ein subjektives Recht bzw. einen Anspruch gegenüber einer anderen Person hat, wird traditionell darauf abgestellt, ob es möglich ist, auf dem Klagewege ein bestimmtes Verhalten durchzusetzen. Nicht die subjektiven Rechte, sondern die Rechtsbehelfe (remedies) bestimmen Art und Umfang des Rechtsschutzes. Der Begriff des remedy hat im common law dabei eine spezifische Bedeutung, für die es in vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen keine echte Entsprechung gibt.24 Zwar wird der Begriff des Rechtsbehelfs teils auch im deutschen Recht verwendet. Er bezeichnet dann aber – im Unterschied zum englischen Recht – lediglich ein verfahrensrechtliches Mittel zur Verwirklichung eines Rechts nach Beginn eines förmlichen Verfahrens, wie etwa Berufung, Revision oder Beschwerde.25 Für ein materiell-rechtliches Rechtsbehelfsverständnis ist demgegenüber aufgrund der im deutschen Recht bestehenden Trias (Ansprüche, Gestaltungsrechte und Einreden) kein Raum.26 Angesichts dieser unterschiedlichen Ausgangslagen muss sich eine Theorie der subjektiven Unionsrechte zunächst aus rechtsvergleichender und historisch-vergleichender Sicht der Grundlagen in den nationalen Rechtsordnungen vergewissern (I.), bevor das vom EuGH entwickelte und das dem Primär- sowie Sekundärrecht zugrunde liegende Verständnis näher untersucht wird (II.).

20

  Vgl. nur v. Thur, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts I, 1910, S. 53.   Zur Demontage des subjektiven Rechts durch Kelsen und den Rechtsrealismus Halfmeier, ­Popularklagen im Privatrecht, 2006, S. 234 ff. 22   Vgl. nur Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 10. Aufl., 2012, § 20. 23  Rechtsvergleichend Castán Tobeñas, in: Mascareñas (Hrsg.), Nueva Enciclopedia Jurídica Seix, T. VII, 1974, S. 102 ff. Für Frankreich Mazeaud/Chabas, Leçons de Droit civil, I‑1, 12. Aufl., 2000, S. 11; Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht, Bd. 1/1, 2. Aufl., 1994, 1 C 2. Für Spanien Albaladejo, Derecho Civil, I‑2, 14. Aufl., 1996, §§ 53 ff. 24   So für das deutsche und französische Recht Dedek, in: Sharpe/Roach (Hrsg.), Taking Remedies Seriously, 2009, S. 65 ff. 25   Köbler, Juristisches Wörterbuch, 16. Aufl., 2016, Stichwort „Rechtsbehelf“. 26   Vgl. nur Soergel/Wiedmann, BGB, 1990, Vor § 275 Rn. 25: „Materielle Rechtsbehelfe (remedies, recours) nennen wir Ansprüche oder Gestaltungsrechte, die für eine Vertragspartei aus Anlaß einer Vertragsstörung entstehen“. 21

54

§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

I. Rechtsvergleichende und historisch-vergleichende Grundlegung 1. Die Entwicklung auf dem europäischen Kontinent a) Vom prozessualen zum materiellen Rechtsdenken Jede Rechtsordnung kann, idealtypisch vereinfacht, entweder als ein System prozessualer Möglichkeiten oder aber als ein System materieller, subjektivrechtlicher Verhaltsnormen verstanden werden.27 Die erste Betrachtungsweise liegt dem aktionenrechtlichen Denken zugrunde. Sie fragt nach den prozessualen Handlungsmöglichkeiten, also insbesondere danach, welche Rechtsbehelfe bzw. Klagen einer Person in einem bestimmten Fall zur Verfügung stehen. Eine solche Vorstellung herrschte vor allem im römischen Privatrecht vor. Kern des römischen Privatrechts waren in der älteren und klassischen Zeit bekanntlich actiones, verfahrensbegründende und Rechtsschutz gewährende Instrumente des Rechtsgangs vor dem Prätor oder iudex.28 Jede actio verkörperte die Einheit von Verfahren und Recht. Nach dem römischen Aktionendenken ließ sich ein Anspruch nur dann verwirklichen, wenn hierfür eine geeignete Klage vorhanden war: Nulla actio sine lege.29 Durch die Rezeption des römischen Rechts entstand auf dem mittelalterlichen Kontinent zunächst eine aktionenrechtlich orientierte Prozesspraxis, bei der die Rechtsdurchsetzung – wie im klassischen römischen Formularprozess – von der Wahl der richtigen actio abhing.30 Zwar hatten bereits die Glossatoren eine Unterscheidung zwischen der actio und dem ius eingeführt31 und damit begonnen, das subjektive Recht als Ursache der actio anzusehen.32 Die actio behält im mittelalterlichen Schrifttum und in der Jurisprudenz dennoch ihre prozessuale Konnotation.33 Ausgehend von der bei Justinian aufgenommenen Bestimmung, derzufolge der Kläger die von ihm beabsichtigte actio benennen muss, damit der Beklagte sich entscheiden kann, ob er anerkennen oder streitig verhandeln soll,34 hielten die oberitalienischen Legisten des 12. Jahrhunderts die Angabe der römisch-rechtlichen Klagebezeichnung für erforderlich.35 Vor 27   Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, 1965, S. 30 f.; ders., AcP 186 (1986), 4 ff. Vgl. auch Friedmann, in: Cohen/McKendrick (Hrsg.), Comparative Remedies for Breach of Contract, 2005, S. 3 ff., der weitere Unterkategorien einführt. 28   Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 20. Aufl., 2014, § 80, S. 428 ff. 29   Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, II‑2, 1858, S. 360. 30   Vgl. zum Folgenden Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. I, 1985, S. 176 ff., und Bd. II, 1989, S. 274 f.; Kaufmann, JZ 1964, 482, 484 ff. 31   Accursius, Corpus Iuris Civilis, Gl. Quam ius zu Inst. 4, 6 pr.: actio est ius quo persequimur, sed obligatio est ius propter quod persequimur (Die Klage ist das Recht, mit dem wir gerichtlich vorgehen, aber die Verbindlichkeit ist das Recht, das wir dabei verfolgen); Übersetzung von N. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003, S. 315 (Fn. 301). 32   Accursius, Corpus Iuris Civilis, Gl. Actio autem zu Inst. 4, 6 pr.: obligatio est causa et mater actionis (Die Verbindlichkeit ist die Ursache und Mutter der Klage); Übersetzung von N. Jansen, a. a. O., S. 315 (Fn. 303). 33   Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 1986, S. 150 f.; Kriechbaum, Actio, ius und dominium, 1996, S. 425 ff.; Coing, in: Coing/Lawson/Grönförs (Hrsg.), Das subjektive Recht, 1959, S. 7, 13 f., nimmt demgegenüber an, dass sich bereits in der mittelalterlichen Jurisprudenz parallel zum Aktionensystem ein System von subjektiven Rechten entwickelt habe. 34   D. 2, 13, 1 pr. 35   Kaufmann, JZ 1964, 482, 484 ff.; Schlinker, Litis contestatio, 2008, S. 125 ff., m. w. N. zum damaligen Streitstand, ob die actio mit Namen benannt werden musste, oder ob es ausreichte, dass sich die actio aus dem vorgetragenen Sachverhalt eindeutig ergab.

B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren

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diesem Hintergrund entstand ab dem 13. Jahrhundert nicht nur eine umfangreiche aktionenrechtliche Libellliteratur, sondern zugleich die Praxis der römisches Recht anwendenden weltlichen Gerichte, dass der Kläger sich und das Gericht auf eine bestimmte actio festzulegen habe.36 Mit der Rezeption des römischen Rechts und des römisch-italienischen Prozesses gelangte das aktionenrechtliche Denken im 15. und 16. Jahrhundert auch nach Deutschland. So enthält etwa die Wormser Stadtrechtsreformation von 149837 nach Art der zeitgenössischen Klagspiegel eine Sammlung von Mustern für die Abfassung von Klagschriften aufgrund verschiedener Aktionen, die dem privatrechtlichen Abschnitt vorangestellt sind.38 Erst in der Neuzeit beginnen sich materielles Recht und Prozessrecht in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen allmählich auszudifferenzieren. Entscheidend für diese Entwicklung dürften vor allem zwei Faktoren gewesen sein. Zum einen entwickelte sich ein systematisches Rechtsdenken auf der Grundlage materieller Rechtspositionen, die unabhängig von der Möglichkeit ihrer prozessualen Durchsetzbarkeit gedacht wurden. Helmut Coing39 hat in diesem Zusammenhang nachgewiesen, dass bereits der französische Humanist Donellus40 im 16. Jahrhundert ein System des Privatrechts mit dem Ziel entwickelte, jeder Person einen eigenen Vermögens- und Herrschaftsbereich zuzuordnen. Donellus verstand das Privatrecht dabei nicht als ein System der Aktionen, sondern als System materieller (also subjektiver) Rechte. Die actio ist für ihn nichts anderes als das dem einzelnen subjektiven Recht zugeteilte Rechtsmittel, das remedium, das dem Schutz des einzelnen Privatrechts dient. Aufbauend auf dieser gedanklichen Trennung werden in den nachfolgenden Jahrhunderten Theorien entwickelt, die subjektive Rechte unabhängig von den mit ihnen verbundenen Rechtsschutzmöglichkeiten konzipieren. Hinzuweisen ist allein auf Hugo Grotius, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts den Begriff des natürlichen Individualrechts, d. h. der moralisch legitimen Forderung des einzelnen Rechtssubjekts, in den Mittelpunkt seines Naturrechtssystems stellte. Dem Einzelnen wird eine individuelle Rechtssphäre zugesprochen, die durch Macht über sich und über andere Personen, durch Sachenrechte sowie durch obligatorische Rechte ausgefüllt ist.41 Die rechtliche Zuordnung erfolgt dabei – in Abkehr vom römischen Aktionensystem – nicht mehr über bestehende Klagemöglichkeiten, sondern auf der Grundlage einer überzeitlich gültigen Rechts- und Moralordnung. Mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts wird der Begriff des subjektiven Rechts weiter mit vernunft- und naturrechtlichen Elementen angereichert. Das Postulat Immanuel Kants, es sei Aufgabe des Rechts, den Menschen als sittliche Vernunftwesen einen Freiheitsraum zu gewähren,42 begünstigte die Entwicklung der materiellrechtlichen Denk36

  Kaufmann, JZ 1964, 482, 486.  Vgl. Köbler (Hrsg.), Der Statt Wormbs Reformation, 1985, 3. Buch, 1. Teil, S. 78 ff. 38   Kaufmann, JZ 1964, 482, 487. Die Bemerkung von Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., 1967, S. 194, die Klagformeln hätten sich im Anhang befunden, trifft nicht zu. 39   Coing, in: Coing/Lawson/Grönförs (Hrsg.), Das subjektive Recht, 1959, S. 7, 14 – 17. Ihm folgend Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 1986, S. 157, 166 ff.; Chelidonis, Jura 2010, 726, 728; Chr. Hattenhauer, Einseitige private Rechtsgestaltung, 2011, S. 89 ff. Gegen diese These jedoch Du­ bischar, Zweiteilung, 1961, S. 48 ff. 40   Donellus, Commentarii de iure civili, lib. 2, cap. 7, §§ 4, 5. 41   Grotius, De Iure Belli ac Pacis, 1625, 1. Buch, 1. Kap., V. Dazu Auer, AcP 208 (2008), 484, 590 f.; Dubischar, Zweiteilung, 1961, S. 60 ff. 42   Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel-Ausgabe, VIII, 1968, S. 237: „Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemei37

56

§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

weise nachhaltig und verlieh dem subjektiven Recht zugleich ein moralisches Fundament.43 Die Auflösung des Aktionensystems wird zum anderen durch Änderungen in der Prozesspraxis vorangetrieben.44 Im Unterschied zur früheren Prozesspraxis musste der Kläger in der Klageschrift (Klaglibell) nicht mehr den Namen der actio nennen. Es reichte vielmehr aus, wenn er ein durch Tatsachenvortrag begründetes Begehren an das Gericht herantrug. Durch den Jüngsten Reichsabschied von 1654 wurde dieser Grundsatz allgemein für die Prozesspraxis des Reichskammergerichts festgeschrieben.45 Damit wurde der antiken und mittelalterlichen actio der prozesstatsächliche Boden entzogen. Die begonnene Verselbständigung des Prozessrechts wurde Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts durch die großen naturrechtlichen Kodifikationen formal besiegelt. So werden in Österreich die Allgemeine Gerichtsordnung (1781) und das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (1811), in Preußen die Allgemeine Gerichtsordnung (1793) und das Allgemeine Landrecht (1794) sowie in Frankreich der Code civil (1804) und der Code de procédure civile (1806)46 erlassen. b) Die Anspruchskonzeptionen Savignys und Windscheids Durch die historische Rechtsschule und die Pandektenwissenschaft wurden Mitte des 19. Jahrhunderts sodann die Grundlagen dafür gelegt, dass das Prozessrecht nicht nur rein äußerlich, sondern auch innerlich als selbständige Materie verstanden werden konnte. Friedrich Carl v. Savigny unterscheidet 1841 im 5. Band seines „Systems des heutigen Römischen Rechts“ das an sich bestehende materielle Recht scharf von dem zu seinem Schutz bestimmten Prozessrecht.47 Unter Anknüpfung an Überlegungen, die schon bei Donellus hervortraten, versucht v. Savigny die actio aus dem System des „heutigen“ römischen Rechts zu entfernen und als materiellrechtliches Aktionenrecht48 umzudeuten. Grundlage ist das materielle subjektive Recht, das bei seiner Verletzung „im Zustand der Vertheidigung“ die actio hervorbringt.49 Aus der Rechtsverletzung entstehe ein neues Rechtsverhältnis, und damit die „materielle“ Befugnis nen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht.“ 43   Coing, in: Coing/Lawson/Grönförs (Hrsg.), Das subjektive Recht, 1959, S. 7, 17 f.; Dubischar, Zweiteilung, 1961, S. 60 ff.; Auer, AcP 208 (2008), 484, 589 f. Nach Schapp, Das subjektive Recht, 1977, S. 139, soll sich das subjektive Recht dagegen nicht aufgrund der Freiheitsphilosophie, sondern als Folge von strukturellen Notwendigkeiten durchgesetzt haben. 44   Kaufmann, JZ 1964, 482, 487 f. 45   Nach § 34 des Jüngsten Reichsabschieds (Recessus Imperii Novissimus) von 1654 sollte ein jeder Kläger „seine Klag oder Libell nicht Articuls, sondern allein Summarischer Weiß, darinnen das Factum kurtz und nervose, jedoch deutlich und distincte (. . .) verfaßt und ausgeführt seye (. . .) übergeben (. . .)“; Text in Buschmann, Kaiser und Reich, 1994, S. 198. 46   Der Code de procédure civil beruhte seinerseits in weiten Teilen auf der Ordonnance civile von 1667, die unter Herrschaft Louis XIV. zustande kam. Der Code Louis gestaltete den rezipierten italienisch-kanonischen Prozess wesentlich um; das Verfahren war im Vergleich zum römischkanonischen Recht von der Freiheit der Formen geprägt; Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, 1994, S. 81. 47   v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. V., 1841, § 204, S. 3. Kaufmann, JZ 1964, 482, 488, sieht daher in v. Savigny einen Wegbereiter der Trennung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht. Anders Nörr, in: FS Flume, Bd. 1, 1978, S. 191 ff. (Aktionenrecht erlebt mit v. Savigny eine letzte Renaissance). 48   So die Bezeichnung Kaufmanns, JZ 1964, 482, 488. 49   v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. V., 1841, § 204, S. 2.

B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren

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des verletzten Rechtsinhabers gegen den Verletzer, die Aufhebung der Verletzung zu fordern.50 Die actio bzw. das Klagerecht ist mithin kein selbständiges Recht, sondern gehört „nur zu dem Entwicklungsprozeß oder der Metamorphose, die in jedem selbständigen Rechte eintreten kann (. . .).“51 Die endgültige Abkehr vom prozessualen Rechtsdenken hin zu einer materiellrechtlichen Betrachtungsweise wird in Deutschland aber erst durch Bernhard Windscheid eingeleitet.52 In seiner bahnbrechenden Schrift „Die Actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkte des heutigen Rechts“ (1856) plädiert er dafür, das prozessual orientierte Denken in Aktionen abzuschaffen und das, was in der Sprache der Aktionen ausgedrückt ist, in die Sprache der Rechte zu übersetzen.53 Für das heutige Rechtsbewusstsein sei „das Recht das Prius, die Klage das Spätere, das Recht das Erzeugende, die Klage das Erzeugte.“54 Ausgehend von diesen Prämissen zerlegt Windscheid den komplexen römisch-rechtlichen Begriff der actio in zwei Elemente: den Anspruch und das Klagerecht. Der Begriff des Anspruchs bezeichnet „die Befugnis zum Ansprechen, also die vom Rechte zuerkannte Befugniß, von einem Anderen etwas zu verlangen“.55 Der Anspruch ist dabei keine besondere Art des Rechts, sondern „eine Gestaltungsform, welche jedes Recht anzunehmen fähig ist“,56 bzw. eine „Function des Rechts“, nämlich „das Recht in seiner Richtung auf die Unterwerfung menschlichen Willlens“.57 Subjektive Rechte werden mit anderen Worten als eine dem einzelnen Anspruch vorgängige und umfassende Rechtspositionen gedacht. Der Anspruch selbst wird ebenfalls materiell-rechtlich verstanden. Im Unterschied zur römisch-rechtlichen actio enthält der Begriff des Anspruchs kein „Element des Gerichts, des gerichtlichen Gehörs und gerichtlichen Schutzes, der Möglichkeit der Erlangung richterlicher Zuerkennung für das Begehren, welches man hat“.58 Dennoch verhält sich Windscheid nicht ganz eindeutig zu der bis heute umstrittenen Frage,59 ob das Recht auf gerichtliche Durchsetzung integraler Teil des Anspruchs und somit eine materiell-rechtliche Rechtsposition ist (materiell-rechtliches Klagerecht) oder prozessual als Recht gegen den Staat auf Gewährung von Rechtsschutz zu verstehen ist (publizistisches Klagerecht). Auf der einen Seite hebt Windscheid hervor, dass die actio „die dem Recht als solchem innewohnende (. . .) Befugnis zur Klage“ sei;60 „ein Schatten des Rechts, ein Ding, das in diesem aufgeht, nur von ihm 50

  v. Savigny, a. a. O., § 205, S. 5 f.   v. Savigny, a. a. O., § 204, S. 3.  Hierzu Binder, Prozess und Recht, 1927, S. 16 ff.; H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 22 f., 293 ff.; J. Schmidt, in: FS Jahr, 1993, S. 401, 404 f.; G. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 400 ff.; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 374 ff. 53   Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 230: Die Actionen „wandeln wie Gespenster bei lichtem Tage umher. (. . .) Die Wissenschaft hat keine dringendere Aufgabe, als sie in das Grab zu legen, welches sie längst suchen. Sie muß das, was in der Sprache der Actionen ausgedrückt ist, in die Sprache der Rechte übersetzen.“ 54   Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 3. 55   Windscheid, Pandekten I, 1. Aufl., 1862, § 43, S. 89. 56   Windscheid, Pandekten I, 1. Aufl., 1862, § 43, S. 90. 57   Windscheid, Pandekten I, 3. Aufl., 1870, § 43, S. 95. Abgeschwächter dagegen die 5. Aufl., 1979, § 43, S. 102 f.: Anspruch als „rechtliche Zuständigkeit“. 58   Windscheid, Pandekten I, 5. Aufl., 1979, § 44, S. 106. 59   Zum Streitstand H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 292 ff.; G. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 399 f. 60   Windscheid, Pandekten I, 3. Aufl., 1870, § 44, S. 100. 51

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

sein Leben herleitet“.61 Dies deutet darauf hin, dass Windscheid die Klagebefugnis als einen integralen Bestandteil des Anspruchs betrachtet.62 Soweit Windscheid davon spricht, dass das Klagerecht als Recht auf „richterliche Hülfe“63 bzw. als „Hülfe des Staates“64 dem Prozessrecht zuzuordnen ist, spricht dies auf der anderen Seite für eine publizistische Sichtweise. Diese Differenzierung ermöglichte es der späteren Literatur, bei Leistungsverhältnissen zwischen materiell-rechtlichen Aspekten (materiell-rechtlicher Anspruch und materiell-rechtliche Klagebefugnis) und prozessualen Aspekten (prozessualer Anspruch, Streitgegenstand und prozessuale Klagebefugnis) zu unterscheiden.65 Die von Windscheid bewirkte Umstellung des Zivilrechts von der actio auf den Anspruch setzte sich in der Pandektenwissenschaft schnell durch, fand Eingang in die Beratungen des BGB und prägte die Struktur des BGB.66 Mit der Etablierung des „Anspruchs“ als „Recht von einem Anderen ein Thun oder ein Unterlassen zu verlangen“ (§ 194 Abs. 1 BGB) wurde das römisch-rechtliche Aktionendenken verabschiedet.67 Das BGB ist als ein System von materiell-rechtlichen Ansprüchen konzipiert worden, deren Klagbarkeit sich von selbst versteht: „Der Begriff des subjektiven Privatrechtes bedingt für das moderne Recht die gerichtliche Verfolgbarkeit. Die Klagbarkeit kann dem Anspruche fehlen, aber sie fehlt ihm nur, wenn sie ihm abgesprochen ist. Die Klagbarkeit der Rechte ist die selbstverständliche Regel.“68

Die seither erfolgte Ausdifferenzierung von materiellem subjektivem Recht und seiner prozessualen Verwirklichung führte in Deutschland – von Windscheid unbeabsichtigt – dazu, dass sich materielles Recht und Prozessrecht zusehends auseinander entwickelten. Privatrecht und Zivilprozessrecht werden, wie Wolfgang Zöllner im Jahre 1990 pointiert konstatiert hat, häufig als getrennte Materien verstanden, die sich von ihrer Rechtsnatur, von ihrem Gegenstand und von ihrem Ziel her grundlegend unterscheiden.69 c) Verschränkung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht in romanischen Rechtsordnungen Rechtsvergleichend zeigt sich, dass die Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht in anderen kontinentaleuropäischen Staaten längst nicht so ausgeprägt ist wie in Deutschland. Beispielhaft lassen sich diejenigen romanischen Rechtsordnungen anführen, die zeitlich vor dem BGB kodifiziert wurden und daher nicht 61

  Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 229.   Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 375 f.   Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 222. 64   Windscheid, Die Actio. Abwehr gegen Dr. Theodor Muther, 1857, S. 26. 65   H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 22 ff., 293 ff.; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 196 ff.; G. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 400 ff.; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 374 ff. 66   Zum Einfluss Windscheids auf die Etablierung des Anspruchsbegriffs in der 1. Kommission vgl. Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, 1996, S. 607 – 611. 67   Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Halbbd., 15. Aufl., 1960, S. 1361 ff.; HKK-BGB/Hermann, 2003, §§ 194 – 225 Rn. 19. 68   Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. I, 1888, S. 357; Herv. im Original. 69   Zöllner, AcP 190 (1990), 471. 62 63

B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren

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durch die Erkenntnisse der Pandektenwissenschaft geprägt werden konnten. So zeigt sich bereits im Wortlaut des französischen Code Civil oder spanischen Código Civil, dass zahlreiche Vorschriften nicht von subjektiven Rechten, sondern von Klagemöglichkeiten sprechen.70 Vor allem wurde aber die von Windscheid eingeführte Unterscheidung zwischen subjektivem Recht, Anspruch und Klagerecht in den romanischen Rechtsordnungen nur bedingt rezipiert.71 Dies gilt insbesondere für Frankreich. Die Rechtsfigur des Anspruchs ist dem französischen Recht fremd geblieben.72 Ansprüche gegenüber Dritten werden traditionell als Elemente des subjektiven Rechts verstanden. Lange Zeit ging die Lehre in Frankreich zudem davon aus, dass subjektives Recht und Klagerecht als eine Einheit zu begreifen sind. Erst in neuerer Zeit werden subjektives Recht und Klagerecht dogmatisch voneinander unterschieden. Das Klagerecht wird nicht mehr als das subjektive Recht im Zustand streitiger Geltendmachung verstanden, sondern als (prozessuales) Recht des Klagenden, vom Gericht zum Gegenstand seines Begehrens gehört zu werden.73 Unterschiedliche Auffassungen über das Verhältnis des materiellen Rechts zum Prozessrecht treten besonders deutlich bei den Vertragslösungsrechten hervor. Während Vertragslösungsrechte in Deutschland und in vielen anderen Ländern als (Gestaltungs‑)rechte betrachtet werden, die ohne richterliche Mitwirkung einseitig von einer Vertragspartei geltend gemacht werden können, gehen romanische Rechtsordnungen vom Grundsatz der richterlichen Vertragsaufhebung aus.74 Am stärksten war dieses Prinzip bislang in Frankreich ausgeprägt. Anfechtung und gesetzlicher Rücktritt (nullité, rescision oder résolution) erfolgten vor Inkrafttreten der Ordonnance no 2016-131 allein durch Klage.75 Der Berechtigte konnte den Vertrag nicht durch einseitige Erklärung zu Fall bringen, sondern musste Klage erheben, damit der Richter die Nichtigkeit des Vertrags bzw. die Vertragsauflösung durch Urteil erklärte. Bereits die französische Cour de cassation hatte indessen vor einigen Jahren die Möglichkeiten zur einseitigen Vertragsauflösung erweitert, indem sie dem Gläubiger bei schweren Vertragsverletzungen durch den Schuldner ein Recht zur einseitigen Aufhebung gewährte.76 Reformvorschläge zur Novellierung des französischen Zivilrechts sprachen sich dementsprechend dafür aus, ein Recht zur einseitigen Vertragsauflösung bei Nichterfüllung von Vertragspflichten einzuführen.77 Die am 1. Oktober 2016 in 70  Für Frankreich vgl. nur Art. 526, 529, 685, 1117, 1166, 1184, 1210, 1622, 1623, 1648, 2224 – 2227 Code civil i. d. F. vor Inkrafttreten der Ordonnance no 2016-131. Für Spanien insb. Art. 1121, 1124, 1502, 1510, 1511, 1517, 1597, 1623, 1659, 1722 Código Civil; hierzu López/Montés/A. M. López, Derecho Civil, parte general, 1992, S. 325 („acción y derecho subjetivo vendrían a ser la misma cosa“). 71  Hierzu Vaquer, ERPL 2009, 487 ff. 72   Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht, Bd. 1/1, 2. Aufl., 1994, 1 C 18. 73   Vgl. den im Jahre 1972 reformierten Art. 30 Code de procédure civile: „L’action est le droit, pour l’auteur d’une prétention, d’être entendu sur le fond de celle-ci afin que le juge la dise bien ou mal fondée.“; hierzu Ferid/Sonnenberger, a. a. O., 1 C 19 ff. 74   Chr. Hattenhauer, Einseitige private Rechtsgestaltung, 2011, S. 204 ff.; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl., 2009, S. 658 ff., 968 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, S. 496. Vgl. auch Flessner, ZEuP 1997, 255, 271. 75   Art. 1117, 1184 Code civil. 76   Cour de Cassation (1. ch. civ.), 13.10.1998, Bull. civ. I nr. 300; 20.2.2001, Bull. civ. I nr. 40. 77   Zu den unterschiedlichen Vorschlägen der drei Reformkommissionen Pizarro Wilson, ZEuP 2012, 229, 239 ff.; zu den Vorschlägen des Avant-projet Catala Chr. Hattenhauer, Einseitige private Rechtsgestaltung, 2011, S. 211 ff.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Kraft getretene Reform des französischen Obligationenrechts trägt diesen Forderungen nunmehr Rechnung. Mit der Ordonnance no 2016-13178 wurden in den Code civil Regelungen eingefügt, wonach der einseitig vom Gläubiger erklärte Rücktritt bei Vorliegen einer schweren Vertragsverletzung (Art. 1224, 1226 CC) gleichberechtigt neben das frühere Modell der richterlichen Vertragsaufhebung (Art. 1224, 1227 f. CC) tritt. Auch in anderen Bereichen zeigt sich, dass romanische Rechtsordnungen nicht der deutschen Trennung von subjektivem Recht, Anspruch und Klage folgen, so etwa im Verjährungsrecht. Die traditionelle Lehre in Frankreich legt nicht das auf Windscheid zurückgehende Konzept der materiellen Anspruchsverjährung zugrunde, sondern ordnet das Verjährungsrecht dem Prozessrecht zu. Zwar wird diese Auffassung im französischen Schrifttum heftig bestritten.79 Selbst das neue Verjährungsgesetz v. 17.6.200880 hat jedoch nicht für Klarheit gesorgt.81 Einerseits bezeichnet nämlich der neue Art. 2219 CC die Verjährung als „un mode d’extinction d’un droit“, also als materiell-rechtliches Institut. Andererseits sprechen aber zahlreiche Vorschriften von der Verjährung von Klagen (actions).82 d) Neuere Entwicklungen: Materialisierung des Prozessrechts. Klagen ohne Anspruch In jüngerer Zeit wird die strikte Dichotomie zwischen materiellem Recht und Prozessrecht auch in Deutschland zunehmend in Frage gestellt. Die traditionelle Vorstellung vom Zivilprozessrecht als einer Teilrechtsordnung, die im Dienste der Verwirklichung des materiellen Rechts steht83 und sich den Wertungen des Privatrechts gegenüber indifferent und unpolitisch verhält, erweist sich angesichts neuerer Entwicklungen als brüchig. Entscheidend für diesen Wandel sind zwei Faktoren, die vor allem auf den Einfluss des Unionsrechts zurückgeführt werden können. Zum einen ist seit geraumer Zeit eine Materialisierung des Prozessrechts zu beobachten.84 Nachdem in einer ersten Phase zunächst das materielle Recht Gegenstand umfangreicher Harmonisierungsbemühungen war und zu einer Materialisierung des Privatrechts geführt hat,85 wird nunmehr auch das Zivilprozessrecht verstärkt zur Durchsetzung spezifischer Schutzzwecke in Anspruch genommen. Gerade in neueren Richtlinien finden sich häufig Annexregelungen mit prozessualem Gehalt, die punktuell bestimmte prozessuale Einzelfragen mit dem Zweck regeln, die prozessuale 78   Ordonnance no 2016-131 du 10 février 2016 portant réforme du droit des contrats, du régime général et de la preuve des obligations. 79   Zum Meinungsstand Zimmermann, Set-off and Prescription, 2002, S. 71 f. Siehe auch Art. III.-7: 101 DCFR, Full Edition, 2009, Notes Rn. 2, S. 1142 m. w. N. 80   Loi du 17 juin portant réforme de la prescription en matière civile, Nr. 2008-561. 81   Fauvarque-Cosson/Francois, D. 2008, 2512; Mazeaud/Wintgen, D. 2008, 2523. Vgl. auch Institut suisse de droit comparé, Gutachten zum Recht der Verjährung, Avis 10 – 225, 2011, S. 20 f. 82   So etwa Art. 2224 – 2227 Code Civil. 83   Vgl. nur BGHZ 10, 350, 359 = NJW 1953, 1826, 1828: „Der Zivilprozeß hat die Verwirklichung des materiellen Rechts zum Ziele; die für ihn geltenden Vorschriften sind nicht Selbstzweck, sondern Zweckmäßigkeitsnormen, gerichtet auf eine sachliche Entscheidung des Rechtsstreits im Wege eines zweckmäßigen und schnellen Verfahrens“. Zur dienenden Funktion des Prozessrechts auch Zöllner, AcP 190 (1990), 471, 476 m. w. N. zu sonstigen Funktionen. 84   G. Wagner, ZEuP 2008, 6, 13 ff.; Heinze, JZ 2011, 709, 715 f. Zur Herausbildung eines Verbraucherprozessrechts Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, 2004, S. 177 ff.; Micklitz, in: 69. DJT, 2012, A 89; sowie zuvor H. Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990. 85  Hierzu Canaris, AcP 200 (2000), 273; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 17 ff.

B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren

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Waffengleichheit zum Schutze einer Partei zu durchbrechen.86 Der EuGH verstärkt diese Materialisierungstendenzen vor allem im Verbraucherrecht. Die bereits erörterten Urteile zur Klausel-RL 93/13 zeigen, dass der Gerichtshof grundlegende Prinzipien des Zivilprozesses wie die Verhandlungsmaxime und den Dispositionsgrundsatz an den verbraucherschützenden Zielen der Klausel-RL 93/13 misst87 und von den nationalen Gerichten fordert, die bestehende Ungleichheit zwischen Verbraucher und Unternehmer durch ein positives Eingreifen von dritter Seite prozessual auszugleichen.88 Aber auch außerhalb des Verbraucherrechts ist zu beobachten, dass das Verfahrensrecht zu Gunsten der Interessen einer Partei funktionalisiert wird, so etwa im Antidiskriminierungsrecht,89 im Immaterialgüterrecht,90 sowie im Wettbewerbsrecht.91 Das Prozessrecht verliert damit seine gegenüber dem materiellen Recht unabhängige Funktion und wird verstärkt mit materiellen Wertungen aufgeladen, indem es zur Durchsetzung spezifischer Wertungen des materiellen Rechts in Anspruch genommen wird. Zum anderen gerät das auf einem materiell-individuellen Anspruchsbegriff beruhende Zivilprozessrecht durch die Einführung überindividueller Klagebefugnisse unter Druck. Eine Reihe von Vorschriften des deutschen Rechts sieht im Einklang mit europäischen Vorgaben Popular- und Verbandsklagebefugnisse vor, ohne dass mit diesen Klagemöglichkeiten notwendigerweise subjektive Rechte bzw. materiell-rechtliche Ansprüche korrespondieren. Beispiele finden sich im Immaterialgüterrecht,92 im Wettbewerbsrecht und im Recht des unlauteren Wettbewerbs93 sowie im Verbraucherrecht.94 Charakteristisch für die Schwierigkeiten, überindividuelle Klagen in das geltende System einzufügen, ist der entbrannte Streit über die dogmatische Verortung der im UKlaG geregelten verbraucherschützenden Verbandsklage.95 Der deutsche Gesetzgeber hat im Jahre 2000 die überindividuelle Klagebefugnis mittels einer Fiktion kurzerhand zu einem materiellen Anspruch deklariert, um die Verbandsklage passfähig in das Individualrechtsschutzsystem zu integrieren.96 Der Streit um 86

 Vertiefend Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 626 ff.; Heinze, JZ 2011, 709, 714 f.  Siehe supra, § 2 E.IV. und § 10 F.II.5. 88   EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 31. 89   Vgl. nur die Regelungen zur Beweislast in Art. 19 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54; Art. 8 Antirassismus-RL 2000/43; Art. 9 Gender-RL 2004/113. 90   Die Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum enthält Sanktionen und verfahrensrechtliche Vorschriften, die die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums erleichtern sollen, so insb. Beweisvorlagepflichten des Verletzers (Art. 6), Beweissicherungsverfahren (Art. 7), Auskunftsrechte (Art. 8), bestimmte einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen (Art. 9), Abhilfemaßnahmen (Art. 10), Unterlassungsanordnungen (Art. 11) und Ersatzmaßnahmen (Art. 12), Anforderungen zu den Prozesskosten (Art. Art. 14) sowie die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen (Art. 15). 91   Vgl. Art. 5 Kartellschadensersatz-RL 2014/104. Um den Grundsatz der Waffengleichheit zu wahren, räumt die Richtlinie allerdings auch dem Beklagten einen Anspruch auf Offenlegung von Beweismitteln ein. Ausführlich infra, § 7 C.IX.1. 92   § 81 PatG; § 55 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG und § 55 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG i. V. m. § 8 Abs. 3 UWG. 93   §§ 33, 34a GWB; §§ 8, 10 UWG. 94   §§ 1, 2 UKlaG. 95   Zum Streitstand Greger, NJW 2000, 2457, 2462 m. w. N. 96   Durch das Gesetz v. 27.6.2000, BGBl. I 2000, S. 897, wurde in §§ 13 Abs. 2, 22 Abs. 3 AGBG a. F. (jetzt § 3 Abs. 1 UKlaG) statt der Formulierung „Anspruch kann geltend gemacht werden“ die Wendung „Anspruch steht zu“ gewählt. Die h. M. folgert hieraus, dass einem Verband ein eigener materiell-rechtlicher Anspruch i. S. v. § 194 Abs. 1 BGB zusteht; Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl., 2016, § 1 UKlaG Rn. 4. 87

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

die Rechtsnatur der Verbandsklage hat sich damit nicht erledigt. Popular- und Verbandsklagekompetenzen passen nicht zu einem aussagekräftigen Begriff des subjektiven Rechts oder materiell-rechtlichen Anspruchs.97 Bei ihnen lässt sich keine materielle Zuweisung einer Rechtsposition ausmachen, die man von der Klagemöglichkeit unterscheiden könnte. Systematische Friktionen bleiben daher nicht aus. Sie werden ersichtlich in Sonderregelungen zur verbraucherschützenden Verbandsklage, die an sich überflüssig wären, wenn eine überindividuelle Klagebefugnis mit einem materiellen Individualanspruch von der Rechtsnatur identisch wäre.98 Die dogmatische Einordnung von Verbandsklagen bereitet auch in anderen kontinentaleuropäischen Ländern Schwierigkeiten. Das Meinungsspektrum reicht – wie in Deutschland – von der Annahme eines eigenen materiell-rechtlichen Anspruchs der Verbände, über eine Prozessführungsbefugnis bzgl. fremder Kollektivrechte und einer gesetzlichen Prozessstandschaft bis hin zur Ansicht, dass die Verbände kein subjektives Recht wahrnehmen, sondern nur eine prozessuale Befugnis, die der Aufrechterhaltung einer objektiven Ordnung dient.99 Der Streit über die Rechtsnatur überindividueller Rechtsschutzformen zeigt, dass Verbandsklagen nicht den klassischen Rechtsmitteln entsprechen;100 sie sind – in den Worten von GA Alber – untypische Rechtsschutzformen, was ihre Rezeption in den Mitgliedstaaten überaus erschwert.101 Weniger Probleme bereitet die Einordnung der Verbandsklage dagegen in Rechtsordnungen, die wie das englische common law eher in prozessualen Handlungsmöglichkeiten als in der Kategorie subjektiver Rechte denken. Da das englische Rechtsdenken nicht so sehr durch das materielle Recht, sondern in entscheidender Hinsicht durch die remedies bestimmt wird, wird über die Rechtsnatur von Verbandsklagen zumeist kein Wort verloren. 2. Das remedy-Konzept des common law a) Ursprünge des aktionenrechtlichen Denkens Das angelsächsische Rechtsdenken basiert bis heute auf einem aktionenrechtlichen Ansatz. Die Ursprünge dieses Denkens liegen dabei nicht im römischen Recht, das in England weder im Mittelalter noch in der Neuzeit rezipiert wurde, sondern in dem System von Klagen (the register of writs), die im 13. Jahrhundert von den Königlichen Gerichten in Westminster entwickelt wurden.102 Danach musste jedes Begehren in eine bestimmte prozessuale Form (die sog. form of action bzw. writ) gekleidet sein. Konnte das Begehren nicht unter einen dieser writs subsumiert werden, war die Klage 97   Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, 2006, S. 250; Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2009, S. 362 ff. Vgl. auch GA Alber, SchlA, Rs. C‑372/99 (Kommission/Italien) Rn. 24; GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑70/03 (Kommission/Spanien) Rn. 12. 98  So Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2009, S. 263, mit Verweis auf die Bestimmungen zur abstrakten Urteilsformel (§ 9 UKlaG), zur Publizität des Unterlassungsanspruchs (§ 7 UKlaG) sowie zu den parteiübergreifenden Urteilswirkungen (§§ 10, 11 UKlaG). 99  Ausführlich Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, 2007, S. 101 – 138. 100  López/Montés/A. M. López, Derecho Civil, parte general, 1992, S. 309, spricht von der „Krise subjektiver Rechtskonzeptionen“. 101   GA Alber, SchlA, Rs. C‑372/99 (Kommission/Italien) Rn. 24. 102   J. H. Baker, An Introduction to English Legal History, 3. Aufl., 1990, S. 63 – 83; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, S. 182 ff. Für einen Vergleich zwischen englischem und römischem Recht H. Peter, Actio und Writ, 1957.

B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren

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abzuweisen. Das Verfahren wurde damit in entscheidender Hinsicht davon bestimmt, ob für das Begehren des Klägers eine Rechtsschutzmöglichkeit bestand und welche Voraussetzungen diese beinhaltete. Trotz der Abschaffung des Writsystems durch den Common Law Procedure Act 1852103 und Judicature Act 1873 (in Kraft getreten 1875)104 bleibt das englische Rechtsdenken weiterhin dem aktionenrechtlichen Denken verhaftet. „The forms of action we have buried“, so der berühmte Ausspruch des englischen Rechtshistorikers Frederic William Maitland Anfang des 20. Jahrhunderts, „but they will still rule us from their graves“.105 Ausgangspunkt privatrechtlicher Betrachtungen ist dementsprechend nicht die Frage, ob eine Person ein subjektives Recht und einen Anspruch gegenüber einer anderen Person hat, sondern vielmehr, ob es möglich ist, auf dem Klagewege ein bestimmtes Verhalten der Gegenseite durchzusetzen: „In England in the programatic way in which English law has developed, a man’s legal rights are in fact those which are protected by a cause of action. It is not in accordance (. . .) with the principles of English law to analyse rights as being something separate from the remedy given to the individuals.“106

Im Mittelpunkt stehen damit Rechtsbehelfe (remedies) und Klagemöglichkeiten (forms of actions). Ein subjektives Recht existiert – zugespitzt formuliert – nur, wenn es auch ein Rechtsmittel gibt, um dieses durchzusetzen: „remedies precede rights“, mit anderen Worten: ubi remedium ibi ius.107 Der Begriff des remedy wird im common law nicht einheitlich verwendet.108 Er umfasst zum einen die materiell-rechtlichen Rechtsbehelfe, wie etwa beim Kaufvertrag repair, replacement, reduction of purchase price oder recission of contract (final right to reject).109 Zum anderen zählen zu den remedies aber auch die prozessualen Rechtsbehelfe, also bestimmte Klagearten, wie beispielsweise die action for price, action for damages und action to deliver specific performance.110 Remedies bewegen sich damit an der Schnittstelle zwischen materiellem Recht und Prozessrecht. Douglas Laycock formuliert daher treffend: „The law of remedies falls somewhere between substance and procedure, distinct from both but overlapping with both.“111 103   Der Common Law Procedure Act 1852 führte dazu, dass keine spezifische form of action mehr im writ erwähnt werden musste. Diese behielten indessen Relevanz für das Verfahren im Übrigen. 104   Mit dem Judicature Act wurden die forms of action endgültig abgeschafft. 105   Maitland, The Forms of Action at Common Law, hrsg. von Chaytor/Whittaker, 1962, S. 2. 106   Kingdom of Spain v. Christe, Manson & Woods Ltd., [1986] 1 W.L.R. 1120, 1129, per Lord BrownWilkinson. 107   Lawson, Remedies of English Law, 1980, S. 1; ders., in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, 1959, S. 24 ff.; Samuel, CLJ 1987, 264 ff. Im Anschluss auch Legrand, I.C.L.Q 1996, 52, 70 f. 108   Vgl. die umfangreichen Nachweise bei Zakrzewski, Remedies reclassified, 2009, S. 7 – 42. Im Schrifttum ist teils der Vorschlag unterbreitet worden, den Begriff „remedy“ auf den prozessualen Schutz subjektiver Rechte zu beschränken; so z. B. Zakrzewski, a. a. O., S. 43 ff. Dieses enge Begriffsverständnis hat sich aber bislang nicht durchsetzen können; vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 176 f.; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 133 ff. 109   Der Consumer Rights Act 2015 bezeichnet diese Rechtsfolgen teils als „rights“ (vgl. sec. 19), teils als „remedies“ (so die Überschrift vor sec. 19). Kritisch zur uneinheitlichen Terminologie Whittaker, in: Chitty on Contracts, II, 32. Aufl., 2015, Rn. 38 – 444. 110   Vgl. Part VI Sale of Goods Act 1979. 111   Laycock, Modern American Remedies: Cases and Materials, 3. Aufl., 2002, S. 1. Vgl. auch Garner (Hrsg.), Black’s Law Dictionary, 9. Aufl., 2009, Stichwort „remedy“, S. 1407.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

b) Tendenzen zur Überwindung des aktionenrechtlichen Denkens in England Bereits seit geraumer Zeit zeichnet sich ab, dass in England zunehmend zwischen materiell-rechtlichem Recht und prozessualer Durchsetzung getrennt wird – eine Entwicklung, die durch Erlass der Civil Procedure Rules 1999 und den Einfluss internationalen Rechts, wie etwa der EMRK und des Unionsrechts einschließlich der Grundrechtecharta, weiteren Aufwind erfährt. Insbesondere im Schrifttum hat es nicht an Ansätzen gefehlt, das aktionenrechtliche Denken zu überwinden und das Rechtssystem von der Warte subjektiver Rechte her zu rekonstruieren.112 Auch in der Rechtsprechung ist zu beobachten, dass sich das englische Recht zunehmend von den Fesseln des Verfahrensrechts löst. Dies zeigt sich etwa bei der Anerkennung unmittelbar aus dem Vertrag erwachsender primary rights. Seit den 1960er Jahren unterscheiden englische Gerichte zwischen vertraglich begründeten Primärrechten (primary rights), die unabhängig von einer Rechtsverletzung existieren, und Sekundärrechten (secondary rights bzw. remedial rights), die bei breach of contract gewährt werden.113 Insoweit kann davon gesprochen werden, dass sich das englische Vertragsrecht mit Blick auf die primary rights zu einem System subjektiver Rechte entwickelt hat.114 Die Unterscheidung zwischen primary und secondary rights hat dessen ungeachtet nicht zu einer vollständigen Überwindung des Aktionensystems geführt. Primary rights sind nämlich nicht als solche einklagbar. Erst die remedies, die sich in einem Zwischenbereich zwischen Sach- und Prozessrecht bewegen und die gesonderten Entstehungsvoraussetzungen unterliegen, verleihen den primary rights ihre Durchsetzbarkeit.115 Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf Erfüllungsansprüche. Während klagbare Naturalerfüllungsansprüche in den meisten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen unmittelbar durch den Vertragsschluss begründet werden,116 kann der Gläubiger im englischen Recht die aus dem Vertrag folgenden primary rights nur durchsetzen, wenn für deren Durchsetzung ein remedy existiert und dessen Voraussetzungen gegeben sind. Der Abschluss eines Kaufvertrages begründet dementsprechend zwar die primary duty des Käufers, den Kaufpreis zu zahlen,117 nicht jedoch einen korrespondierenden Erfüllungsanspruch. Erst ein „breach“ einer solchen primary duty eröffnet hinsichtlich der Geldleistung den Weg zu einer „action for price“.118 Hinsichtlich der 112  Nach Samuel, ZEuP 1995, 375, 386 ff., mit Verweis auf Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, 1979, S. 139 – 216, lässt sich die Entwicklung einer stärker materiell-rechtlich ausgerichteten Denkweise für das Vertragsrecht bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Aus neuerer Zeit vgl. insbesondere die Arbeiten von Birks, OJLS 2000, 1 ff.; S. A. Smith, in: Robertson/Wu (Hrsg.), The Goals of Private Law, 2009, S. 113 ff.; R. Stevens, Torts and Rights, 2007; Weinrib, in: Rickett (Hrsg.), Justifying Private Law Remedies, 2008, S. 3; Zakrzewski, Remedies Reclassified, 2009. 113   Hardwick Game Farm v. Suffolk Agricultural Poultry Producers Association, [1966] 1 WLR 287, 341 (CA); Lep Air Services Ltd. v. Rolloswin Investments Ltd., [1973] AC 331, 350 (H.L.) per Lord Diplock; Photo Production Ltd v Securicor Transport Ltd., [1980] AC 827, 848 ff. (H.L.) per Lord Diplock. Hierzu Dickson, Oxford J. Legal Stud. 1989, 441, 448 ff.; Zakrzewski, Remedies Reclassified, 2009, S. 13 ff. 114   Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 140 ff. 115   Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, 5. Aufl., 1995, S. 90 f.; Zakrzewski, Remedies Reclassified, 2005, S. 103 ff. Vgl. auch Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 776 f.; sowie Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 175 ff., 263. 116   Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, S. 467 ff. 117   Sec. 27 Sale of Goods Act 1979. 118   Sec. 49 Sale of Goods Act 1979. Vgl. hierzu Treitel/Peel, The Law of Contract, 12. Aufl., 2007, Rn. 21.006, S. 1094 (Herv. im Original): „The action for the price is not available merely because the

B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren

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Erfüllung nicht monetärer Schulden ist das englische Recht bekanntlich noch restriktiver. Bei einem „breach of contract“ kommt als Rechtsfolge an erster Stelle ein Anspruch auf Schadensersatz in Betracht; nur unter besonderen Voraussetzungen wird Naturalerfüllung gewährt;119 da dieser Rechtsbehelf aus dem Billigkeitsrecht der equity stammt, steht die Gewährung der specific performance zudem im Ermessen des Gerichts.120 Sie wird grundsätzlich nur dann zugesprochen, wenn aufgrund der Besonderheiten des Falles eine adäquate Kompensation durch Schadensersatz nicht erreicht werden kann. Das englische Recht schützt das Erfüllungsinteresse des Gläubigers allerdings auf andere Weise. Da eine Naturalerfüllung i. d. R. nicht durchgesetzt werden kann, spricht das House of Lords in seiner neueren Rechtsprechung dem Gläubiger im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs unter Verweis auf das (primary) „right to performance“ auch den immateriellen Mehrwert (den sog. consumer surplus) zu, den der Vertrag erhält.121 Insoweit kann mit Whittaker davon gesprochen werden, dass die Lordrichter neuerdings einen subjektiv-rechtlichen Ansatz zugrunde legen: „in this way of thinking, the right precedes and even governs the remedy.“122 Auch im Deliktsrecht ist ein Wandel zu beobachten. Bereits im Jahre 1983 erkannte das House of Lords im Fall Garden Cottage Foods123 an, dass ein Verstoß gegen Art. 86 EWGV (jetzt Art. 102 AEUV) eine Schadensersatzpflicht wegen „breach of statutory duty“ auslösen kann. Diese Auffassung wurde von englischen Gerichten in vielen Fällen bestätigt, in denen andere aus dem Gemeinschaftsrecht bzw. Unionsrecht erwachsende Rechte verletzt wurden.124 Der im common law geltende Grundduty to pay the price has arisen. The contract specifies the duties of the parties, but the law determines their remedies“. 119   Die Voraussetzungen der specific performance sind in sec. 52 Sale of Goods Act 1979 geregelt. Anlässlich der Umsetzung der KaufRL 99/44 wurden die Beispiele für specific performance um die remedies „repair and replacement“ erweitert; vgl. sec. 48B Sale of Goods Act 1979 a. F. (jetzt sec. 23 Consumer Rights Act 2015). 120   Treitel, Remedies for Breach of Contract, 1991, S. 63. 121   Ruxley Electronics and Construction Ltd. v. Forsyth, [1996] AC 344, 356 ff., 360 f., 365 ff., 374 (H.L.); Alfred McAlpine Construction Ltd v. Panatown Ltd., [2001] 1 AC 518, 587, 589 (H.L.). Hierzu Weidt, Antizipierter Vertragsbruch, 2008, S. 24. 122   Whittaker, in: Pozzo/Jacometti (Hrsg.), Multilinguism and the Harmonisation of European Law, 2006, S. 45, 48. 123   Garden Cottage Foods Ltd. v. Milk Marketing Board, [1984] AC 130, 141 (H.L.), per Lord ­Diplock: „A breach of the duty imposed by article 86 not to abuse a dominant position in the common market or in a substantial part of it, can thus be categorised in English law as a breach of statutory duty that is imposed not only for the purpose of promoting the general economic prosperity of the common market but also for the benefit of private individuals to whom loss or damage is caused by a breach of that duty.“ 124   Zur Staatshaftung Bourgoin S.A. v. Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, [1986] AC 716 at 733 (C.A.) per Mann J.; R v. Secretary of State for Transport, Ex p Factortame Ltd (No. 5), [1998] 1 C.M.L.R. 1353, 1420 f. (QB) per Hobhouse L. J.; sowie Phonographic Performance Ltd v Department of Trade and Industry, [2004] 1 W.L.R. 2893, 2902 (Ch) per Sir Andrew Morritt V‑C. Zur Erstattung von Abgaben, die unter Verstoß gegen die Grundfreiheiten erhoben wurden, Deutsche Morgan Grenfell Group plc v Inland Revenue Commissioners, [2007] 1 A.C. 558, 565 (H.L.) per Lord Hoffmann; sowie Sempra Metals Ltd (formerly Metallgesellschaft Ltd) v. Inland Revenue Comrs, [2008] AC 561, 595 (H.L.) per Lord Nicholls of Birkenhead. Zu Art. 81 EGV (jetzt Art. 101 AEUV) Devenish Nutrition Ltd v. Sanofi-Aventis SA, [2009] Ch. 390 (C.A.). Diskutiert auch für Unionsrechte, die aus Verordnungen folgen, in Antonio Muñoz y Cia SA v. Frumar Ltd., [1999] 3 C.M.L.R. 684, 700 ff. (H.C.) per Laddie J. Anders High Court of Ireland, Tate v Minister for Social Welfare, [1995] 1 C.M.L.R. 825, 841 (H.C.) per Caroll J. (Staatshaftung wegen Nichtumsetzung von RL ist ein tort sui generis, der einem „breach of constitutional duty“ entspricht).

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

satz „ubi remedium ibi ius“ wird damit zusehends durchbrochen. Zwar ist immer noch ungeklärt, ob die statuierte Haftung als „Euro tort“ sui generis zu begreifen ist oder dem traditionellen „breach of statutory duty“ entspricht.125 Selbst bei Zugrundelegung der zuletzt genannten Ansicht dürfte der – im Gegensatz zu anderen torts nur wenig konturierte – „breach of statutory duty“ der Rechtsprechung aber genügend Spielraum lassen, um Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Haftung unter Rückgriff auf die im Unionsrecht wurzelnden Rechte zu konkretisieren. Ein zweites Einfallstor bildet der Human Rights Act (HRA) 1998, der die EMRK zum 2. Oktober 2000 in nationales Recht umsetzte. Seit Erlass des HRA 1998 sind Schrifttum und Rechtsprechung dazu übergegangen, von der Verleihung subjektiver Rechte auf die Notwendigkeit einer effektiven Rechtsdurchsetzung zu schließen. Diese Entwicklung blieb nicht auf das öffentliche Recht beschränkt, sondern erfasste auch das Privatrecht. In den betreffenden Fällen ging es vor allem um die Frage, ob bei Verletzung des in Art. 8 EMRK normierten Rechts auf Achtung des Privatlebens Schadensersatz verlangt werden kann. Zwar halten die Gerichte weiterhin an der Auffassung fest, dass es im common law keinen „general tort of invasion of privacy“ gibt.126 Auch der HRA 1998 veranlasste die Richter nicht dazu, neue Rechtsbehelfe zu schaffen. Im Gegenzug modifizierten die Gerichte jedoch die Tatbestandsmerkmale der „action for breach of confidence“, um der EMRK und der diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR127 Rechnung zu tragen.128 Angesichts dieser Entwicklungen konstatieren einige Autoren, dass die zunehmende Bezugnahme auf Grund- und Menschenrechte sowie unionsrechtlich verbürgte Rechtspositionen das Prinzip „ubi remedium ibi ius“ langsam aufweicht und so eine common law Version des Prinzips „ubi ius ibi remedium“ zur Entstehung bringt.129 3. Auswertung Der kursorische Überblick fördert ein disparates Bild zu Tage. Auf der einen Seite stehen die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, die dem Prinzip „ubi ius ibi remedium“ folgen. Kennzeichnend für diese Rechtsordnungen ist, dass das Prozessrecht als eine Teilrechtsordnung verstanden wird, die im Dienste der Verwirklichung des materiellen Rechts steht. Die Trennung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht ist im deutschen Recht besonders stark ausgeprägt. Der von Windscheid einge125   Zur Diskussion vgl. die Beiträge von Craig und Hoskin, in: Beatson/Tridimas (Hrsg.), New Directions in European Public Law, 1998, S. 75 ff. und S. 91 ff.; Stanton, L.Q.R. 2004, 324 ff. 126   Wainwright v. Home Office, [2004] 2 AC 406 (H.L.). 127   Der EGMR betont in st. Rspr., dass die Zivilgerichte dem Einzelnen geeignete Rechtsbehelfe zum Schutz seiner Privatsphäre zur Verfügung stellen müssen; vgl. nur EGMR, Urt. v. 24.6.2004 – 59320/00 (Caroline von Hannover/Deutschland), NJW 2000, 2647, 2649, Rn. 57. 128   Campbell v. MGN, [2004] 2 AC 457, 494 (H.L.) per Baroness Hale of Richmond: „The 1998 Act does not create any new cause of action between private persons. But if there is a relevant cause of action applicable, the court as a public authority must act compatibly with both parties’ Convention rights. In a case such as this, the relevant vehicle will usually be the action for breach of confidence“. Zum Urteil Amelung, ZEuP 2005, 638 ff. Vgl. auch Douglas v. Hello! Ltd (No. 3), [2006] QB 125 (CA). Ausführlich zur Entwicklung Balthasar, Der Schutz der Privatsphäre im Zivilrecht, 2006, S. 151 ff.; Neunhoeffer, Das Presseprivileg im Datenschutzrecht, 2005, S. 256 ff. 129   O’Callaghan, ERPL 2007, 659 ff.; ähnlich Whittaker, in: Pozzo/Jacometti (Hrsg.), Multilinguism and the Harmonisation of European Law, 2006, S. 45, 48 ff.

B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren

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führte Begriff des Anspruchs zieht zwischen den materiellen Rechten und den damit verbundenen Klagemöglichkeiten eine weitere Ebene ein, auf der die einzelnen Befugnisse des Rechtsinhabers auch unabhängig von einem Prozess beschrieben werden können.130 In anderen Rechtsordnungen, insbesondere im romanischen Rechtskreis, ist die Rechtsfigur des Anspruchs dagegen kaum rezipiert worden. Auf der anderen Seite stehen die Rechtsordnungen des common law, die wie das englische Recht dem aktionenrechtlichen Grundsatz „remedies precede rights“ bzw. „ubi remedium ibi ius“ folgen. Dessen ungeachtet zeigt sich aber rechtsvergleichend, dass sich beide Rechtskreise konvergent aufeinander zu bewegen.131 Einerseits führt die durch das Unionsrecht hervorgerufene Materialisierung des Prozessrechts und die Einführung kollektiver Rechtsschutzmöglichkeiten dazu, dass das Prozessrecht seine gegenüber dem materiellen Recht unabhängige Funktion verliert; die Einführung von Verbandsklagen begründet darüber hinaus Klagebefugnisse, die sich nicht mehr in sinnvoller Weise auf ein subjektives Recht oder einen materiell-rechtlichen Anspruch zurückführen lassen. Andererseits ist in England zu beobachten, dass die zunehmende Bezugnahme auf Grund- und Menschenrechte sowie unionsrechtlich verbürgte Rechtspositionen zur Überwindung des aktionenrechtlichen Denkens führt. Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für das Verständnis der Unionsrechte? Die eine Beobachtung geht mit H. Kaufmann dahin, dass es kein von Zeit und Raum unabhängiges richtiges Verständnis vom Verhältnis des materiellen Rechts zum Prozessrecht gibt.132 Wenn daher über die weitere Europäisierung des Privatrechts nachgedacht wird, sollte nicht einseitig ein bestimmtes Modell proklamiert werden.133 Die andere Beobachtung betrifft das Verhältnis von Unionsrecht und nationalen Rechtsordnungen. Sicherlich wäre es denkbar, dass sich der EuGH für ein bestimmtes nationales Konzept entscheidet. So wird im Schrifttum zuweilen konstatiert, dass im Unionsrecht das Denken in Aktionen überwunden sei.134 Andere meinen dagegen, dass der Gerichtshof wie ein „common law court“ agiere, da er zwischen Recht und Rechtsbehelf differenziere.135 Dieses Meinungsspektrum verdeutlicht, dass die Dinge komplizierter liegen. Eine einseitige Identifikation des Unionsrechts mit einer bestimmten mitgliedstaatlichen Ordnung riefe in den Mitgliedstaaten erhebliche Rezeptionsprobleme hervor. Der Gerichtshof bedient sich daher einer Terminologie und einer Konzeption, die den Geltungsanspruch des Unionsrechts zwar klar formulieren, dabei aber aufgrund ihrer Offenheit den Mitgliedstaaten grundsätzlich die Wahl der rechtlichen Konstruktionen überlassen.

130   Der Anspruch wird daher auch als Mittler zwischen materiellem subjektiven Recht und gerichtlichem Verfahren bezeichnet; Münch, Vollstreckbare Urkunde und prozessualer Anspruch, 1989, S. 59; ähnlich Dubischar, Zweiteilung, 1961, S. 109. 131   Legrand, I.C.L.Q 1996, 52, 70 f., führt das Denken in subjektiven Rechten und Aktionen dagegen ins Feld, um seine Grundthese („European legal systems are not converging“) zu bekräftigen. 132   Kaufmann, JZ 1964, 482, 488 133   So aber Weller, JZ 2008, 764, 772 f., der die Anspruchsstruktur des BGB für vorzugswürdig hält und dafür plädiert, das Rechtsbehelfsmodell in Europa ganz aufzugeben. 134   Reiling, Zu individuellen Rechten, 2004, S. 305. 135   Ruffert, CMLR 1997, 307, 333. Vgl. auch Caranta, CMLR 1995, 703, 717.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

II. Das unionsrechtliche Verständnis 1. Autonome Begrifflichkeit a) Unionsrechte, subjektive Rechte, Rechte des Einzelnen, individuelle Rechte Der Gerichtshof vermeidet es bewusst, sich in seiner Rechtsprechung zu den Unionsrechten einem bestimmten mitgliedstaatlichen Verständnis anzuschließen.136 So wurde dem EuGH in der Vergangenheit von italienischen Gerichten mehrfach die Frage vorgelegt, ob im Unionsrecht vorgesehene Rechte nach italienischer Terminologie als „subjektive Rechte“ (diritti sogettivi) oder als „rechtlich geschützte Interessen“ (interessi legitimi) zu qualifizieren sind.137 Der EuGH lehnt es indessen ab, zu solchen Fragen Stellung zu beziehen, und wies bereits im Jahre 1968 in der Rechtssache Salgoil138 darauf hin, dass es grundsätzlich Sache der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sei, wie die durch das Gemeinschaftsrecht geschützten Rechte des Einzelnen qualifiziert werden. Entscheidend sei allein, dass die Mitgliedstaaten und insbesondere die zuständigen Gerichte die Interessen der durch eine etwaige Verletzung des Gemeinschaftsrechts betroffenen Einzelnen wahren, indem sie diesen einen unmittelbaren und sofortigen Schutz gewährten. Dem Gerichtshof ist insoweit daran gelegen, die Konzeption der Unionsrechte von einem mitgliedstaatlich determinierten Vorverständnis soweit wie möglich freizuhalten. Dies kommt auch in der vom EuGH gewählten Terminologie zum Ausdruck. Der Gerichtshof spricht in aller Regel nicht, wie in der deutschen Rechtsterminologie üblich, von „subjektiven Rechten“, sondern von „Rechten des Einzelnen“,139 „individuellen Rechten“140 oder „Rechten des Bürgers“.141 Teils ist auch nur von der Ausübung der „Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt“, die Rede.142 Der Begriff „subjektives Recht“ taucht demgegenüber nur in einigen wenigen Entscheidungen auf.143 Der Gerichtshof vermeidet diesen Terminus zumeist. Dies gilt selbst dann, wenn 136

  Zum Folgenden ausführlich Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 159 ff.   EuGH, Rs. 13/68 (Salgoil); Rs. 380/87 (Enichem Base); Rs. C‑236/92 (Difesa della Cava). Die Abgrenzung zwischen „diritto soggettivo“ und „interesse legitimo“ ist im italienischen öffentlichen Recht vor allem für den Rechtsweg sowie für Staatshaftungsansprüche von Bedeutung; Caranta, CLJ 1993, 272, 286 – 291; v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 76 ff. 138   EuGH, Rs. 13/68 (Salgoil). 139   EuGH, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos); Rs. 6/64 (Costa/E.N.E.L.); Rs. 199/82 (San Giorgio) 12; verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 40; Rs. C‑54/96 (Dorsch Consult) Rn. 46; Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 27; Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 36; Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 38; Rs. C‑275/10 (Residex Capital IV) Rn. 27. 140  EuGH, Rs. 57/65 (Lütticke) LS 2; Rs. 28/67 (Molkereizentrale Westfalen/Lippe) LS 2; Rs. C‑37/98 (Savas) Rn. 68; Rs. C‑173/99 (BECTU) Rn. 48. 141   EuGH, Rs. 33/76 (Rewe) Rn. 5; Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 25; Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 39; Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 25. 142   EuGH, Rs. C‑591/10 (Littlewoods Retail Ltd u. a.) Rn. 27; Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 47; siehe auch EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom) Rn. 38. Art. 47 GRC spricht ebenfalls nur von „Rechten“. Die zudem genannten Freiheiten stellen demgegenüber einen Unterfall der Rechte dar; Jarass, GRC, 2. Aufl., 2013, Art. 47 Rn. 6. 143   Vgl. EuGH, Rs. C‑147/01 (Weber’s Wine World) Rn. 95; Rs. C‑540/03 (Parlament/Rat) Rn. 60; Rs. C‑578/08 (Chakroun) Rn. 41; Rs. C‑398/09 (Lady & Kid u. a.) Rn. 20. In der französischen Sprachfassung der genannten Entscheidungen wird durchgängig von „droit subjective“ gesprochen. Die englischen Sprachfassungen sind demgegenüber uneinheitlich; teils ist von „subjective right“ die Rede (so in Weber’s Wine World und Lady & Kid), teils von „individual right“ (Parlament/Rat und Chakroun). 137

B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren

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nationale Gerichte in ihren Vorlagefragen144 oder die Verfahrensbeteiligten in ihren Stellungnahmen vor dem EuGH145 auf den Begriff des subjektiven Rechts rekurrieren. Solange Einigkeit darüber besteht, dass die Unionsrechte nach autonomen Kriterien und nicht unter Rückgriff auf eine bestimmte nationale Rechtsordnung zu ermitteln sind, spricht dennoch nichts dagegen, von subjektiven Rechten zu sprechen.146 Die von der Unionsrechtsordnung verliehenen subjektiven Rechte lassen sich dabei als rechtliche Positionen beschreiben, die einer natürlichen oder juristischen Person nach dem Unionsrecht zugesprochen werden.147 Die im Schrifttum teils favorisierten Ausdrücke „Rechte des Einzelnen“148 oder „individuelle Rechte“149 können demgegenüber nicht das gesamte Spektrum der Unionsrechte abbilden. Denn zu den Unionsrechten zählen nicht nur diejenigen Rechte, die einer Person individuell verliehen werden, sondern auch Rechte, die Verbänden zur Geltendmachung überindividueller Interessen eingeräumt werden. Von Rechten Einzelner bzw. individuellen Rechten kann daher nur dann gesprochen werden, soweit es nicht um den kollektiven Rechtsschutz geht. b) Subjektives Recht und objektives Recht Rein formal betrachtet dient der Begriff des subjektiven Rechts oder des droit subjective in der deutschen und in der französischen Rechtsterminologie der Abgrenzung gegenüber dem objektiven Recht. Während das objektive Recht die generell geltenden, abstrakten Vorschriften und Verhaltensanweisungen umfasst, verschafft das subjektive Recht einer Person Ansprüche, Freiheiten oder Kompetenzen, die durch die jeweilige Rechtsordnung in je eigener Weise geschützt werden. Auch in der englischen Rechtssprache stehen mit der Unterscheidung zwischen „law“ und „right“ eigene Begrifflichkeiten zur Verfügung, um objektives Recht vom subjektiven Recht abzugrenzen.150 Das Unionsrecht basiert ebenfalls auf der Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Recht. Zwar wird diese Auffassung zuweilen bestritten. Insbesondere diejenigen, die im Einzelnen ein Instrument zur Verwirklichung des Unionsrechts sehen, nivellieren eine solche Differenzierung. Dabei wird vorgetragen, dass die Grenze zwischen subjektivem und objektivem Recht durchlässig sei, da subjektiver Rechtsschutz immer auch der Durchsetzung objektiven Rechtsschutzes diene.151 144   Vgl. etwa EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 14 (Vorlagefrage 4); Rs. C‑237/07 (Janecek) Rn. 21 (Vorlagefrage 1); Rs. C‑379/04 (Dahms) Rn. 11 (Vorlagefrage 1). 145   Vgl. EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 90. 146   Der Begriff der subjektiven Rechte wird daher überwiegend auch für die Unionsrechte verwendet; v. Danwitz, DÖV 1996, 481 ff.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 368 ff.; Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union, 1999, S. 48 f.; ders., EUI Working Paper Law 2009/10; Ruffert, Subjektive Rechte, 1996. 147  Ähnlich van Gerven, CMLR 2000, 501, 502: „legal position which a person recognized as such by the law (. . .) may have“; Lindholm, State Procedure and Union Rights, 2007, S. 26: „rights that primary and secondary Community legislation seek to confer upon natural and legal persons“; Nettesheim, AöR 132 (2007), 333, 345: „Rechtsposition (. . .), die einer Privatperson durch eine Rechtsnorm zugewiesen worden ist“; Trstenjak/Beysen, CMLR 2011, 95, 96: „legal position of an individual which it derives from law and which can be enforced by that individual before a court of law“. 148   Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 159 f. 149   Reiling, Zu individuellen Rechten, 2004, S. 309. 150   David, Sources of Law, in: International Encyclopedia of Comparative Law, II‑3, 1984, S. 6; Jarass/Beljin, Casebook Grundlagen des EG‑Rechts, 2003, S. 72. 151   Masing, Mobilisierung, 1997, S. 178, 181, 187.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Dass die Geltendmachung subjektiver Rechte auch der Verfestigung der objektiven Rechtslage dient, ist in dieser logischen Richtung sicherlich unbestritten. Bereits Jhering152 meinte, dass im Privatrecht jeder „Wächter und Vollstrecker des Gesetzes“ sei. Das „concrete Recht“, das er habe, sei nichts anderes als eine Ermächtigung, aus Anlass seines eigenen Interesses „für das Gesetz in die Schranken zu treten und dem Unrecht zu wehren“. Indem der Einzelne sein Recht behaupte, halte er das Recht aufrecht. „Das Interesse und die Folgen dieser seiner Handlungsweise“ gingen daher „über seine Person weit hinaus“. Diese Überlegungen zwingen aber nicht zu dem Schluss in umgekehrter Richtung. Nicht jede Rechtsregel, die im öffentlichen Interesse durchgesetzt wird, stärkt zugleich ein subjektives Recht. Bereits aus diesem Grunde ist die Aufspaltung in subjektives und objektives Recht zulässig und sinnvoll. Die nachfolgende Analyse zeigt darüber hinaus, dass nicht mit jedem objektiven Rechtssatz bzw. mit jeder mitgliedstaatlichen Pflicht zwangsläufig ein Recht des Einzelnen einhergeht. c) Subjektives Recht und Rechtsschutz Der Begriff des subjektiven Rechts wird in der Rechtstheorie häufig mit dem Element der rechtlichen Durchsetzbarkeit verbunden. So ist etwa nach der Kombinationstheorie, die Willens- und Interessentheorie miteinander verknüpft, das subjektive Recht als eine Rechtsmacht zu verstehen, die dem Einzelnen von der Rechtsordnung (objektives Recht) als ein Mittel zur Wahrung seiner Interessen verliehen ist.153 Ähnlich definiert Jellinek das (subjektiv-öffentliche) Recht als „die von der Rechtsordnung anerkannte und geschützte auf ein Gut oder Interesse gerichtete menschliche Willensmacht“.154 Nach Kelsen kann sogar nur dann von einem subjektiven Recht gesprochen werden, wenn die rechtliche Fähigkeit zur Durchsetzung besteht. Das subjektive Recht im spezifischen Sinn sei, so Kelsen, „die Rechtsmacht, die Erfüllung einer bestehenden Pflicht geltend zu machen“.155 Auch die Unionsrechte werden im Schrifttum zuweilen definiert, indem der Aspekt der materiellen Rechtsposition mit jenem der Durchsetzung kombiniert wird. So betont etwa Eilmansberger, dass ein vollständiger Rechtssatz nicht nur ein Verhaltensgebot enthält, sondern auch eine Regelung der rechtlichen Konsequenzen, die ein Verstoß gegen dieses Gebot nach sich zieht.156 Ruffert spricht von einer „zwingenden Verbindung“ von materiellem subjektivem Recht und Rechtsdurchsetzung.157 Auch Kingreen und Störmer greifen in ihrer Definition des subjektivöffentlichen Rechts auf die klassische Wendung der dem einzelnen Bürger verliehenen „Rechtsmacht“ zurück.158 Teils wird die Rechtsmacht dabei auf das Bestehen einer Klagemöglichkeit bezogen. So meint etwa J. Gebauer, dass sich die Möglichkeit des Einzelnen, einen Rechtssatz vor einem Gericht geltend machen zu können, im 152

  Jhering, Der Kampf um’s Recht, 1872, S. 54.   Regelsberger, Pandekten, Bd. I, 1893, § 14, S. 76; Ennecerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Halbband, 15. Aufl., 1959, S. 428 f. 154   Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., 1905, S. 44. 155   Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 269 (in Fn. 85); vgl. ferner ders., a. a. O., S. 110 f.; ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 139 ff. 156   Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 19. 157   Ruffert, DVBl. 1998, 69, 73. 158   Kingreen/Störmer, EuR 1998, 263. 153

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Schrifttum als übereinstimmende Mindestanforderung an das subjektive Recht herausgeschält habe.159 Dem ist entgegenzuhalten, dass eine Theorie, die den Begriff des subjektiven Rechts auf das Bestehen einer Klagemöglichkeit verengt, bereits im nationalen Recht zu kurz greift. Eine solche Definition kann nämlich nur diejenigen rechtlichen Positionen erfassen, die in der Rechtstheorie als „Recht auf etwas“ (claim-right) bzw. (nach deutschem Zivilrechtsverständnis) als Anspruch bezeichnet werden. Neben diesen Rechten schützt die Rechtsordnung indessen auch noch Freiheiten (liberties) und Kompetenzen (powers).160 Freiheiten dienen vornehmlich dem Schutz der persönlichen Integrität und der Zuweisung eines eigenverantwortlichen Handlungsspielraums. Diesem Zweck wird eine Theorie, die Freiheitsrechte auf Abwehrklagen reduziert, nicht gerecht.161 Auch die von einer Rechtsordnung verliehenen Kompetenzen, die ein Individuum in die Lage versetzen, durch eine Handlung die Rechtslage gestaltend zu verändern, können mit einem auf die Klagemöglichkeit fixierten Rechtsbegriff nicht angemessen erfasst werden. Kompetenzen (wie etwa ein privatrechtliches Gestaltungsrecht oder die Befugnis des Eigentümers zur Belastung seiner Sache) zeichnen sich gerade dadurch aus, dass die betreffenden Befugnisse nicht mit Hilfe einer zivilrechtlichen Klage durchgesetzt werden. Eine Theorie der Unionsrechte muss darüber hinausgehend selbst auf das Element der Rechtsdurchsetzung im Allgemeinen verzichten. Denn es gehört gerade zu den Eigenheiten der Verschränkung unionalen und nationalen Rechts, dass die Rechtsentstehung auf der Ebene des Unionsrechts erfolgt, während die Durchsetzung grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten liegt. Unionsrechte können auch dann entstehen, wenn sie für sich genommen nicht durchsetzbar sind, sondern die Mitgliedstaaten lediglich dazu verpflichten, die im Unionsrecht verankerten subjektiven Rechte zu schützen. Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch setzt daher nicht die Verletzung von Unionsnormen voraus, die klagefähige subjektive Rechte des Bürgers begründen. Es genügt vielmehr, dass die Norm die Verleihung bezweckt, also auf die künftige Verleihung eines hinreichend bestimmten subjektiven Rechts gerichtet ist.162 Bereits der Verstoß gegen das Gebot der ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie, die selbst noch keine einklagbaren subjektiven Rechte des Bürgers begründet, 159   J. Gebauer, Die Grundfreiheiten, 2004, S. 39 m. w. N. Vgl. auch Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union, 1999, S. 48: „Hier soll er [der Begriff des subjektiven Rechts; ME] die vom Gemeinschaftsrecht den Bürgern und Bürgerinnen der Union gewährten Rechte bezeichnen, die aus sich selbst heraus vor den Gerichten oder sonstigen Organen in den Mitgliedstaaten bzw. der Union/ Gemeinschaft durchgesetzt werden können.“ 160  Hierzu Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 171 ff.; Hart, Legal Rights, in: ders., Essays on Bentham, 1982, S. 166 ff.; Hohfeld, Fundamental Legal Conceptions, 1919; Bierling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe, 1965, 2. Teil, S. 49 ff. Näher infra, § 3 B.II.2.b. 161   G. Wagner, AcP 93 (1993), 319, 342. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 203 ff., unterscheidet bewehrte und unbewehrte rechtliche Freiheiten. In Anlehnung an Bentham, in: Bowring (Hrsg.), The Works of Jeremy Bentham, Bd. 3, 1962, S. 218, lässt sich auch von „vested“ und „naked“ liberties sprechen. 162   St. Rspr. seit EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 51. In EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul) Rn. 25 ff., prüft der Gerichtshof dagegen vorab, ob die Anleger einen Primäranspruch darauf haben, dass die zuständigen Behörden in ihrem Interesse Aufsichtsmaßnahmen treffen; kritisch Tison, CMLR 2005, 639, 668 – 670; Prechal, in: Prechal/van Roermund (Hrsg.), The Coherence of EU Law, 2008, S. 155, 167. Dies dürfte indessen damit zu erklären sein, dass der BGH ausdrücklich nach Primäransprüchen gefragt hatte.

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sondern nur darauf ausgerichtet ist, solche Rechte justiziabel zu machen, kann daher zur Haftung eines Staates führen.163 Die Frage nach dem Vorliegen eines Unionsrechts ist dementsprechend von der rechtlichen Fähigkeit zur Durchsetzung zu trennen. d) Reihenfolge zwischen Rechtsentstehung und Rechtsschutzgewährleistung Der Unionsrechtsordnung liegt ein zweispuriges Rechtsschutzsystem zugrunde. Die Verleihung subjektiver Rechte erfolgt durch das Unionsrecht, während der Rechtsschutz durch das nationale Recht realisiert wird, soweit nicht der direkte Rechtsweg zu den Unionsgerichten eröffnet ist oder ausnahmsweise Vorgaben des Unionsrechts für den mitgliedstaatlichen Rechtsschutz bestehen. Die Rechtsschutzgarantie stellt sich dabei, wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont, als „eine Folge und eine Ergänzung der Rechte dar (. . .), die den einzelnen durch die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften eingeräumt worden sind“.164 Ein solches Verständnis liegt auch Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV sowie Art. 47 Abs. 1 GRC zugrunde. Rechtsentstehung und Rechtsschutzgarantie stehen damit in einem hierarchischen Verhältnis zueinander. Gemäß der Maxime „ubi ius, ibi remedium“ sind Normen des Unionsrechts in der Lage, unter bestimmten Voraussetzungen aus sich heraus, also ohne Bezugnahme auf die Rechtsschutzmöglichkeiten, subjektive Rechte zu begründen.165 Die Möglichkeit der klageweisen Durchsetzung vor den nationalen Gerichten ist demgegenüber erst die Konsequenz subjektiver Unionsrechte. Hinter dieser Konstruktion steht folgende Überlegung: Ginge das Unionsrecht von einem strikt aktionenrechtlichen Ansatz aus, so hinge die Existenz subjektiver Rechte vom nationalen Prozessrecht ab. Denn die Zweispurigkeit des unionsrechtlichen Rechtsschutzsystems bedingt gerade einen Rückgriff auf die unterschiedlich ausgestalteten Prozessordnungen in den Mitgliedstaaten. Damit wäre jedoch die einheitliche Wirkung des Unionsrechts in Frage gestellt.166 Der Gerichtshof geht daher davon aus, dass das Unionsrecht subjektive Rechte aus sich heraus selbst festlegt und für diese einen prozessualen Mindeststandard vorgibt. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass im Unionsrecht das Denken in Aktionen vollständig überwunden ist.167 Gegen diese Aussage erheben sich drei Einwände. Erstens kennt das geschriebene Unionsrecht auch isolierte Klagebefugnisse, die einem Rechtssubjekt zur Durchsetzung der objektiven Rechtslage gewährt werden, ohne dass der Klagebefugnis ein materiell-subjektives Recht zugrunde läge. Derartige Klagerechte bestehen etwa zugunsten von Verbänden oder staatlichen Einrichtungen, insbesondere im Verbraucherrecht168 sowie im Umweltrecht. Für letzteres hat der 163   Zur Einordnung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs als Reaktion auf die Verletzung subjektiver Rechte Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2004, S. 513 – 524. 164   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 12. 165   Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 66; Reiling, Zu individuellen Rechten, 2004, S. 304 f. 166   Vgl. auch Lindholm, State Procedure and Union Rights, 2007, S. 26 (in Fn. 24): „It is unreasonable to conclude that Member States do not need to enforce a Community right because it is not a right unless enforced.“ 167   So aber Reiling, Zu individuellen Rechten, 2004, S. 305. 168   Vgl. insb. die UKlaRL 2009/29. Zur Umsetzung in Deutschland und der problematischen Fiktion eines materiell-rechtlichen Anspruchs der Verbände bereits supra, § 3 B.I.1.c. Ausführlich infra, § 10 C.I.2.

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EuGH im Fall Trianel169 ausdrücklich klargestellt, dass Umweltverbänden nach der UVP-RL 85/337 i. d. F. der RL 2003/35 ein Verbandsklagerecht zusteht, das nicht auf die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte beschränkt ist. Umweltverbänden muss daher die Möglichkeit eröffnet werden, vor Gericht die Verletzung einer Vorschrift geltend zu machen, die aus dem Unionsrecht hervorgegangen ist und den Umweltschutz bezweckt, selbst wenn diese Vorschrift nur die Interessen der Allgemeinheit und nicht die Rechtsgüter Einzelner schützt. Das Verbandsklagerecht stellt sich mit anderen Worten als eine Klagebefugnis dar, die nicht auf materiell-rechtlichen subjektiv-öffentlichen Rechten beruht. Zweitens greift der Gerichtshof mit seiner Unterscheidung zwischen Rechten und Rechtsbehelfen auf eine im common law gebräuchliche Rechtsfigur zurück, die den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen fremd ist. Schließlich wird sich drittens zeigen, dass die Mitgliedstaaten bei Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben grundsätzlich die Wahl haben, ob sie die dem Einzelnen durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte als materielle Rechtspositionen ausgestalten oder reine Klagerechte schaffen (infra, § 3 B.II.4.). Auch deswegen erscheint die Aussage, den Unionsrechten liege durchweg ein materiell-rechtliches Verständnis zugrunde, missverständlich. 2. Typologie der Unionsrechte a) Subjektiv-öffentliche und subjektiv-private Unionsrechte Der Begriff der subjektiv-öffentlichen Unionsrechte ist in den letzten beiden Jahrzehnten vor allem in der deutschsprachigen Rechtswissenschaft verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.170 Als subjektiv-öffentliche Unionsrechte werden diejenigen Rechte bezeichnet, die dem Einzelnen gegenüber den Hoheitsträgern der Mitgliedstaaten oder der Union eingeräumt werden.171 Parallel hierzu ließe sich von subjektiv-privaten Unionsrechten sprechen, wenn eine Unionsnorm das Rechtsverhältnis unter Privaten regelt. Eine solche Differenzierung hat zweifelsohne den Vorteil, dass die zunächst konturlos wirkende Definition des subjektiven Rechts einem bestimmten Rechtsgebiet zugewiesen und die Adressaten der betreffenden Rechtsnorm festgelegt werden. Sie ist dennoch nicht unproblematisch. Mit der Festlegung auf einen bestimmten Typus fallen bestimmte Adressaten a priori aus dem Anwendungsfeld der Unionsrechte heraus. Dem widerspricht der Befund, dass subjektive Rechte des Unionsrechts potenziell dazu geeignet sind, „rundum“ in alle Richtungen und gegenüber allen potenziellen Beeinträchtigungen zu wirken. So ist zwar anzunehmen, dass dem Einzelnen die im AEUV verankerten Grundfreiheiten im Regelfall nur gegenüber den Mitgliedstaaten zustehen sollen. Die Möglichkeit, dieses Recht auch gegenüber einem anderen Privaten geltend zu machen, bleibt jedoch denkbar und wird vom Gerichtshof im Einzelfall auch zuge169

  EuGH, Rs. C‑115/09 (Trianel Kohlekraftwerk Lünen).   Vgl. nur Classen, VerwArch 88 (1997), 645; von Danwitz, DÖV 1996, 481; Hölscheidt, EuR 2001, 377; Kingreen/Störmer, EuR 1998, 263; Ruffert, DVBl. 1998, 69. In anderen Rechtsordnungen wird eine solche Qualifikation gemeinhin nicht vorgenommen, da der Verwaltungsrechtsschutz in den meisten Mitgliedstaaten nicht wie in Deutschland primär dem Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte dient; hierzu infra, § 3 E.V.1.a. 171   Kingreen/Störmer, EuR 1998, 263. 170

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standen.172 J. Gebauer formuliert daher treffend: „Ein Recht, das – zunächst ohne den tatsächlich oder potenziell Verpflichteten mit in Blick zu nehmen – einem Einzelnen zugesprochen wird, ist von seiner Struktur her geeignet für eine Bindung, die eine Unterscheidung in öffentliche oder privatrechtliche Sphäre nicht notwendig voraussetzt.“173 Dem entsprechen die Ausführungen des Gerichtshofs im Fall Simmenthal174 zum Vorranganspruch des Unionsrechts: „Die unmittelbar geltenden Bestimmungen sind unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten für alle diejenigen, die sie betreffen, einerlei, ob es sich um die Mitgliedstaaten oder um Einzelpersonen handelt.“ Dass sich das Unionsrecht in vielen Bereichen gegenüber der Aufteilung in Öffentliches Recht und Privatrecht indifferent verhält, erklärt sich zunächst daraus, dass die Trennlinien zwischen beiden Rechtsgebieten von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat ganz unterschiedlich verlaufen.175 Einige Rechtsordnungen, wie etwa das englische und das irische Recht, trennen sogar erst seit kurzem zwischen diesen Rechtsmaterien.176 Vor diesem Hintergrund kann das Unionsrecht nicht auf die in den Mitgliedstaaten getroffenen Systementscheidungen Rücksicht nehmen.177 Für die korrekte Durchführung des Unionsrechts kommt es grundsätzlich nicht auf die in den Mitgliedstaaten vorgenommene Zuordnung zu einem bestimmten Rechtsgebiet, sondern auf eine effektive Umsetzung an, die zugleich dem Rechtsschutzgebot Rechnung trägt. Aus mitgliedstaatlicher Perspektive wird die Zuordnung sekundärrechtlich verankerter Unionsnormen zu einem bestimmten Rechtsgebiet dadurch erschwert, dass Richtlinien häufig nicht zu entnehmen ist, ob ein subjektives Recht gewährt werden soll und, wenn ja, ob dieses Recht gegenüber dem Staat oder gegenüber anderen Bürgern eingeräumt werden soll.178 Sowohl im Primärrecht als auch im Sekundärrecht finden sich andererseits Normen, die sich eindeutig einem bestimmten Rechtsgebiet zuordnen lassen.179 Manche Sekundärrechtsakte setzen eine Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht sogar ausdrücklich voraus. So sind die zum Europäischen Zivilverfahrensrecht180 sowie 172

  Zur horizontalen Direktwirkung der Grundfreiheiten infra, § 6 E.   J. Gebauer, Die Grundfreiheiten, 2004, S. 36 f. 174   EuGH, Rs. 106/77 (Simmenthal) LS 2; Herv. hinzugefügt. Vgl. auch GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 39 ff., insb. Rn. 45, 47. 175   Vgl. etwa den Schlosser-Bericht zum Brüssel I-Abkommen; ABl. 1979 C 59/71, Rn. 26 – 28; Tilmann, Die Klauselrichtlinie 93/13/EWG, 2003, S. 41 – 67. 176   So formulierte etwa Dicey (1835 – 1922), einer der einflussreichsten Theoretiker des öffentlichen Rechts, plastisch: „In England, (. . .) we know nothing of administrative law; and we wish to know nothing“; Zitat überliefert von Robson, The Political Quarterly 1932, 346. Zur Herausbildung des Verwaltungsrechts als eigenständiger Rechtsmaterie Tilmann, Die Klauselrichtlinie 93/13/EWG, 2003, S. 53 ff. 177   Zuleeg, ZEuP 2001, 533 ff. Zum Einfluss des Unionsrechts auf die Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht vgl. auch Skouris, EuR 1998, 111, 115 – 129. 178   Paradigmatisch für diese Probleme ist der in Deutschland entbrannte Streit, ob die in der Dritten RL Leben 92/96 geregelten Informationspflichten mit den Mitteln des öffentlichen Rechts oder (auch) privatrechtlich zu sanktionieren ist; dazu Ebers, in: Micklitz (Hrsg.), Verbraucherrecht in Deutschland, 2005, S. 253 ff. 179   Für das Primärrecht vgl. vor allem Art. 101 Abs. 2 AEUV. 180  Vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO 44/2001; Art. 2 Abs. 1 S. 1 VO 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen; Art. 2 Abs. 1 S. 1 Small Claims-VO 861/2007; Art. 2 Abs. 1 S. 1 Mahnverfahrens-VO 1896/2006. Art. 1 Abs. 1 Beweisaufnahme-VO 1206/2001; Art. 1 S. 1 Zustellungs-VO 1393/2007. Siehe auch Art. 1 Abs. 2 S. 1 Prozesskostenhilfe-RL 2003/8. 173

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zum Internationalen Privatrecht181 ergangenen Verordnungen nur anwendbar, wenn eine „Zivil- und Handelssache“ vorliegt. Der Begriff der „Zivil- und Handelssache“ ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH „als autonomer Begriff anzusehen, bei dessen Auslegung die Zielsetzungen und die Systematik des Übereinkommens sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben, berücksichtigt werden müssen“.182 Die Trennung des öffentlichen Rechts vom Privatrecht darf dabei nicht schematisch vorgenommen werden. Da der Begriff der „Zivil- und Handelssache“ über die Reichweite des den Verordnungen zugrunde liegenden Harmonisierungsanspruchs entscheidet, muss die Grenzziehung vielmehr dynamisch danach erfolgen, ob die betreffende Harmonisierungsmaßnahme funktional auf den betroffenen Lebenssachverhalt zugeschnitten ist.183 Die vom Gerichtshof zum Europäischen Zivilverfahrensrecht und Internationalen Privatrecht ergangenen Entscheidungen zur Abgrenzung beider Rechtsgebiete184 lassen daher nur bedingt Rückschlüsse darüber zu, ob ein von der Unionsrechtsordnung verliehenes Recht als subjektiv-öffentliches oder subjektiv-privates Recht zu qualifizieren ist. Damit lässt sich festhalten, dass im Unionsrecht ein spezifisch „subjektiv-öffentliches“ oder „subjektiv-privates“ Recht nicht existiert. Die Unterscheidung zwischen beiden Typen ist gleichwohl sinnvoll und notwendig. Zwar ist der EuGH in zunehmendem Maße bereit, die in einem öffentlich-rechtlichen Kontext entwickelten Kriterien zur Herleitung von Unionsrechten auch im Privatrecht anzuwenden. Besonders deutlich wird dies etwa im Haftungsrecht, wenn der EuGH den privatrechtlichen Schadensersatzanspruch bei Kartellverstößen anhand der Maßstäbe konkretisiert, die zum unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch entwickelt wurden.185 Die Anerkennung eines allgemeinen Grundsatzes im öffentlich-rechtlichen Bereich (wie etwa zur Staatshaftung) bedeutet jedoch nicht automatisch, dass dieser flächendeckend in der gesamten Unionsrechtsordnung Geltung beansprucht. Im Laufe dieser Untersuchung wird sich vielmehr zeigen, dass sich die dogmatischen Regeln zur Begründung und Anwendung subjektiv-privater Unionsrechte nicht in allen Punkten mit jenen des subjektiv-öffentlichen Rechts decken. Allein aus diesem Grunde muss es möglich sein, zwischen subjektiv-öffentlichen und subjektiv-privaten Rechten zu unterscheiden. b) Claim-rights, liberties and powers Die moderne Rechtstheorie unterscheidet im Anschluss an die Arbeiten Hohfelds186 und Alexys187 drei Grundkategorien subjektiv-rechtlicher Positionen, die bereits 181

  Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO 593/2008; Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO 864/2007.   EuGH, Rs. 29/76 (LTU) Rn. 3 (zum Brüssel I Abkommen); Rs. C‑420/07 (Apostolides) Rn. 41 (zur Brüssel I-VO 44/2001). Allgemein zum Grundsatz der autonomen und einheitlichen Auslegung im europäischen Zivilverfahrensrecht Hess, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2010, S. 247 f. 183  Zutreffend Arnold, ZEuP 2012, 315, 319. 184   Für die Abgrenzung zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht sind nach Ansicht des EuGH insbesondere die Natur der zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen und der Gegenstand des Rechtsstreits maßgeblich; EuGH, Rs. C‑167/00 (Henkel) Rn. 29. Streitigkeiten zwischen Behörden und Privatpersonen werden dem öffentlichen Recht zugeordnet, wenn es um die Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch die Behörde geht; EuGH, Rs. 814/79 (Rüffer) Rn. 8; Rs. C‑167/00 (Henkel) Rn. 26. 185  Ausführlich infra, § 7 E.III. 186   Hohfeld, Fundamental Legal Conceptions, 1919. 187   Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 171 ff. 182

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am Rande erwähnt wurden, nämlich „Rechte auf etwas“ (claim-rights), Freiheiten (liberties) und Kompetenzen (powers, competences). Unter die erste Kategorie fallen Rechte, die in der deutschen Rechtsterminologie als „Ansprüche“ bezeichnet werden, also Rechte des Einzelnen, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können. Freiheiten dienen demgegenüber vorrangig der Sicherung von Handlungsalternativen und der Beseitigung unterschiedlicher Arten von Handlungshindernissen; sie beinhalten die Erlaubnis, etwas zu tun, und die Erlaubnis, dasselbe nicht zu tun.188 Als Kompetenzen bzw. Gestaltungsrechte werden schließlich Rechte bezeichnet, durch Vornahme einer bestimmten Handlung eine Änderung der Rechtslage herbeizuführen. Beispiele für Kompetenzen sind etwa der Erlass eines Verwaltungsakts, der Vertragsschluss oder privatrechtliche Gestaltungsrechte.189 Im Schrifttum wird zuweilen der Versuch unternommen, die Unionsrechte anhand dieser Positionen näher zu klassifizieren. Insbesondere Hilson und Downes analysieren die EuGH-Rechtsprechung unter Anwendung der von Hohfeld eingeführten Kriterien.190 Die Autoren kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass die Rechtsprechung des EuGH hierdurch nur bedingt erklärt werden kann. So hilfreich eine Klassifizierung der Unionsrechte auch sein mag, um die hinter den Unionsrechten rechtlichen Positionen zu erklären, sie vermag als bloße Analyse insbesondere nicht zu klären, wem diese Rechte unter welchen Voraussetzungen zustehen, wenn das Unionsrecht keine konkreten Aussagen trifft.191 Hiervon abgesehen wurden die in der Rechtstheorie entwickelten Kategorien für „vollständige“ Rechtsordnungen aufgestellt, nicht jedoch für supranationale Rechtsordnungen, die wie die Unionsrechtsordnung im föderalen Gewaltenverbund steht. Eine an den Hohfeldschen Kriterien orientierte Analyse der Unionsrechte vermag daher nicht zu klären, in welchem Umfang bestimmte Positionen in das Unionsrecht oder in das Recht der einzelnen Mitgliedstaaten einzuordnen sind. c) Weitere Kategorien Ähnliche Einwände bestehen, soweit im Schrifttum versucht wird, die für das nationale Recht entwickelte Typologie subjektiver Rechte für die Erfassung der Unionsrechte nutzbar zu machen. Für das öffentliche Recht war es insbesondere Kadelbach, der vorgeschlagen hat, mit Blick auf die Unionsrechte zwischen Abwehrrechten, politischen Rechten, Leistungsrechten, Gestaltungsrechten, Gleichheitsrechten sowie Verfahrensrechten zu unterscheiden.192 Entsprechend könnten auch die subjektiv-privaten Unionsrechte in unterschiedliche Kategorien aufgefächert werden. So nennen etwa Larenz/Wolf193 für das deutsche Recht insgesamt acht Typen, nämlich absolute Herrschaftsrechte, persönliche Familienrechte, Forderungsrechte, Ansprüche, Gestaltungsrechte, Anteils- und Mitgliedschaftsrechte, Erwerbsrechte und Teilhaberechte. Die meisten der genannten 188

  Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 194 ff., 202 ff.   Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 212. 190   Hilson/Downes, ELRev. 1999, 121 ff. Ähnliche Ansätze bei Fichtner, Rechte des Einzelnen, 2005, S. 13 ff. 191   Hilson/Downes, ELRev. 1999, 121, 130 f. Im Ergebnis auch Prechal, CMLR 2000, 1047, 1058. 192   Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 406 ff. Vgl. zuvor auch Winter, DVBl. 1991, 657, 660 ff. 193   Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., 2004, § 15. 189

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Kategorien finden sich auch in der Rechtslehre romanischer Länder. In der französischen,194 italienischen195 und spanischen196 Rechtswissenschaft wird üblicherweise zwischen absoluten und relativen Rechten, Vermögens- und Nichtvermögensrechten sowie dinglichen und nicht-dinglichen bzw. persönlichen Rechten unterschieden. Des Weiteren werden – je nach Gegenstand des subjektiven Rechts – auch Familienrechte, Forderungsrechte sowie Mitgliedschaftsrechte genannt. Gestaltungsrechte werden dagegen zumeist nicht als eigenständiger Typus begriffen; vielmehr wird davon ausgegangen, dass derartige Rechte nur Ausfluss anderer subjektiver Rechte sind.197 Auch „Ansprüche“ werden im romanischen Rechtskreis, wie bereits erörtert, nicht als eigenständige Kategorie subjektiver Rechte betrachtet.198 Der theoretische Reiz einer Typenbildung liegt auf der Hand. Eine Typisierung der Unionsrechte ermöglicht eine Betrachtungsweise, die von der inhaltlichen Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse unabhängig ist. Eine solche Systematik könnte die Rezeption der Unionsrechte in den Mitgliedstaaten erleichtern, da auf diese Weise sowohl die materiell-rechtlichen Zusammenhänge zu den im nationalen Recht anerkannten Rechten deutlicher werden, als auch die Bezüge zu den Klagearten und prozessualen Situationen im gerichtlichen Verfahren stärker hervortreten. Soweit das Unionsrecht entsprechende Rückschlüsse zulässt, wird daher im Folgenden versucht, die betreffenden Typen herauszuarbeiten. Gleichzeitig sind aber die Grenzen eines solchen Ansatzes zu bedenken. Eine Systematisierung, die sich einseitig an den Kategorien des deutschen Rechts orientiert, sähe sich dem Einwand ausgesetzt, dass bestimmte Kategorien (wie etwa Ansprüche und Gestaltungsrechte) gerade nicht in anderen Rechtsordnungen akzeptiert werden und daher auch keine allgemeine Verbindlichkeit für das Unionsrecht beanspruchen können. Insbesondere ist zu beachten, dass das Unionsrecht den Rechtstypus auch offenlassen kann, um der Durchführungsautonomie der Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen. 3. Rechtsbehelfe und Verfahren Während der Begriff des Verfahrens (procedure) unzweifelhaft auf das Prozessrecht der Mitgliedstaaten verweist, wird der Terminus Rechtsbehelf (remedy) sowohl im geschriebenen Sekundärrecht (hierzu a) als auch in der Rechtsprechung des EuGH (hierzu b) uneinheitlich verwendet. Er kann einerseits auf die materiell-rechtlichen Rechtsfolgen verweisen, andererseits auf das Prozessrecht. Welches Verständnis zugrunde zu legen ist, ist nicht nur von theoretischem Interesse. Praktische Relevanz 194  Mazeaud/Chabas, Leçons de Droit civil, I‑1, 12. Aufl., 2000, S. 200 ff., unterscheidet „droits patrimoniaux et droits extra-patrimoniaux“, „droits réels, droits personnels et droits intellectuels“, „droits corporels et incurporels“ sowie „droits mobiliers et immobiliers“. Ähnlich Ghestin/Goubeaux, Traité de droit civil, Introduction générale, 3. Aufl., 1990, S. 154 ff., mit weiteren Unterscheidungen auf S.  186 – 190. 195   Trabucchi, Istituzioni di diritto civile, 40. Aufl., 2001, S. 60 ff., nennt vor allem „diritti patrimoniali e non patrimoniali“, „diritti assoluti e relativi“, „diritti trasmissibili e diritti intrasmissibili“ und „diritti principale e accessori“. 196   Albaladejo, Derecho Civil, I, Vol. 2, 1996, S. 18 ff., unterscheidet ebenfalls „derechos absolutos y relativos“, „derechos de la personalidad“, „derechos reales“, sowie „derechos patrimoniales y no patrimoniales“. 197   So insbesondere in der spanischen Rechtswissenschaft; vgl. Albaladejo, Derecho Civil, I, Vol. 2, 1996, S. 20 f. 198  Hierzu supra, § 3 B.I.1.c.

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erlangt das Problem vor allem bei der Auslegung der in Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV und Art. 47 Abs. 1 GRC vorgesehenen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist (hierzu c). a) Geschriebenes Sekundärrecht Im Sekundärrecht wird der Begriff des Rechtsbehelfs häufig in einem prozessualen Kontext verwendet.199 In anderen Sekundärrechtsakten wird der Begriff des Rechtsbehelfs demgegenüber in einem Kontext verwendet, der nach kontinentaleuropäischem Verständnis eindeutig materiell-rechtlich ist. So bezeichnet die KaufRL 99/44 in der englischen Fassung die dem Verbraucher bei Vertragswidrigkeit zustehenden Rechte nicht nur als rights,200 sondern zugleich als remedies;201 in der deutschen Fassung wird demgegenüber von Rechten oder Ansprüchen gesprochen. Viele Richtlinien stellen zudem klar, dass sie nationale Rechtsvorschriften in Bezug auf die allgemeinen vertraglichen Rechtsbehelfe (contractual legal remedies) unberührt lassen.202 Andere Richtlinien verwenden „Rechtsbehelf“ wiederum in einem doppeldeutigen Sinne. Beispielsweise fordert die Gender-RL 2004/113 unter der Überschrift von Kapitel II „Rechtsbehelfe und Rechtsdurchsetzung“ (remedies and enforcement) in Art. 8 sowohl einen Zugang zu Gerichten und Verwaltungsbehörden als auch Schadensersatzansprüche. Die Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum regelt im zweiten Kapitel unter dem Titel „Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe“ (measures, procedures and remedies) in Abschnitt 6 sowohl Schadensersatzansprüche als auch Ansprüche auf Ersatz von Prozesskosten. Die Datenschutz-RL 95/46 differenziert demgegenüber in den Art. 22 – 24 deutlich zwischen Klagemöglichkeiten (judicial remedies), Schadensersatz (liability) und Sanktionen (sanctions). b) Rechtsprechung des EuGH Auch in der Rechtsprechung des EuGH wird „Rechtsbehelf“ häufig mit „Klagemöglichkeit“ oder „Zugang zu Gericht“ gleichgesetzt. So führte der Gerichtshof etwa im UPA-Urteil203 aus, dass der EG‑Vertrag mit der Nichtigkeitsklage und dem Voraben­tscheidungsverfahren ein „vollständiges System von Rechtsbehelfen“ („complete system of legal remedies and procedures“) geschaffen habe, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe, mit der der Gemeinschaftsrichter betraut wird, gewährleisten soll. Die berühmte Formel, derzufolge der EG‑Vertrag nicht zusätzlich zu den nach nationalem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen 199   Vgl. Art. 11 FARL 97/7 (Rechtsbehelfe bei Gericht oder Verwaltungsbehörden = judicial or administrative redress); Art. 13 TSRL 2008/122 (Rechtsbehelfe bei Gericht oder Verwaltungsbehörden = judicial and administrative redress); Art. 56 Dritte RL Schaden 92/49 (Rechtsbehelf vor Gericht = right to apply to the courts); Art. 67 LV‑RL 2002/83 (Rechtsbehelf vor Gericht = right to apply to the courts). Vgl. auch ErwGr (21), Art. 11 Abs. 1 UAbs. 3 UGP-RL 2005/29; Art. 52 MiFID I 2004/39 (Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs = right of appeal). 200   So die Überschrift von Art. 3 KaufRL 99/44. 201   Vgl. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 und Art. 3 Abs. 5 KaufRL 99/44. 202   Vgl. nur ErwGr (14), (53), (60) und Art. 18 Abs. 4 VRRL 2011/83; Art. 1 Abs. 2 lit. a, 6 Abs. 1 TSRL 2008/122. 203   EuGH, Rs. C‑50/00 P (UPA) Rn. 40. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑402/05 P (Kadi) LS 4.

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neue Klagemöglichkeiten (new remedies) zur Wahrung des Gemeinschaftsrechts vor den nationalen Gerichten schaffen wollte,204 deutet ebenfalls auf ein prozessuales Verständnis hin. Gleiches gilt für andere Entscheidungen, in denen bestimmte Klagearten als „Rechtsbehelfe“ bezeichnet werden.205 Über dieses enge Verständnis hinaus wird der Begriff „Rechtsbehelf“ vom Gerichtshof in einem weiteren Sinne auf die konkrete Ausgestaltung des Gerichts- oder Verwaltungsverfahrens bezogen.206 Das unionsrechtlich verbürgte „Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“ gewährleistet damit nicht nur einen Zugang zu Gericht, sondern zugleich einen effektiven Rechtsschutz im Verfahren. Daneben bezeichnet der EuGH als Rechtsbehelf aber auch den (aus deutscher Sicht) materiellen Anspruch, der Grundlage für die Klage ist. Insbesondere die Forderung nach einer gleichwertigen und effektiven Ausgestaltung der Rechtsbehelfe wird vom Gerichtshof nicht nur auf Verfahrensregelungen, sondern zugleich auf materiellrechtliche Positionen bezogen. So dürfen nach ständiger Rechtsprechung die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten „materiellen und formellen Voraussetzungen“ nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen, und nicht so ausgestaltet sein, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen.207 In anderen Fällen verzichtet der Gerichtshof auf die Formel der „materiellen und formellen Voraussetzungen“; im Kontext der Entscheidungen wird dann aber zumeist deutlich, dass nicht nur die verfahrensrechtliche Durchsetzung, sondern auch die materiell-rechtliche Ausgestaltung der Rechtsbehelfe bzw. Ansprüche am Maßstab des Äquivalenzund Effektivitätsgebots gemessen werden.208 Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass der Begriff des Rechtsbehelfs sowohl im geschriebenen Unionsrecht als auch in der Rechtsprechung des EuGH ambivalent verwendet wird.209 Er umfasst zum einen die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Rechtsschutzes, und dabei nicht nur den Zugang zu Gericht und die Klagemöglichkeiten, sondern sämtliche Verfahrensmodalitäten; in dieser Bedeutung sind remedies kaum von den procedures zu unterscheiden. Der Begriff des Rechtsbehelfs bezieht sich zum anderen auf die materiell-rechtlichen Grundlagen, die einer Klage zugrunde liegen. Das unionsrechtliche Verständnis der Rechtsbehelfe bewegt sich damit – wie im common law210 – an der Schnittstelle zwischen materiellem Recht und Prozessrecht.

204   EuGH, Rs. 158/80 (Rewe Handelsgesellschaft Nord und Rewe-Markt Steffen – „Butterfahrten“) Rn. 44; Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn.  40 – 41. 205   Vgl. etwa EuGH, Rs. C‑372/99 (Kommission/Italien) Rn. 14 f.; Rs. C‑268/06 (Impact) Rn. 50; Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 30. 206   So auch Harlow, in: Kilpatrick/Novitz/Skidmore (Hrsg.), The Future of Remedies in Europe, 2000, S. 69, 73 f. 207   EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 43; verb. Rs. C‑94 – 95/95 (Bonifaci u. a.) Rn. 49; Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 27; Rs. C‑373/95 (Maso u. a.) Rn. 37; Rs. C‑470/03 (A.G.M.COS.MET) Rn. 89; Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) Rn. 31. Für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wird ebenfalls von den „materiellen und formellen Voraussetzungen“ gesprochen; EuGH, Rs. C‑22/97 (Mafar) Rn. 25. 208   Vgl. nur EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 100. 209   Im Ergebnis auch Harlow, in: Kilpatrick/Novitz/Skidmore (Hrsg.), The Future of Remedies in Europe, 2000, S. 69, 70 ff.; Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 145 in Fn. 99. 210  Hierzu supra, § 3 B.I.2.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

c) Folgerungen für die Auslegung der Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, 47 Abs. 1 GRC Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe (remedies) zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist. Nach Art. 47 Abs. 1 GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf (effective remedy). Im Schrifttum werden beide Vorschriften zumeist in einem prozessualen Sinn nur auf den Zugang zu Gericht und die Verfahrensmodalitäten bezogen, also auf die verfahrensrechtlichen Rechtsbehelfe.211 Mit der Rechtsprechung des EuGH, die durch den Lissabon-Vertrag in Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV212 und Art. 47 GRC213 kodifiziert werden sollte, ist indessen ein weites Verständnis zugrunde zu legen.214 Nach dem zuvor Gesagten zählen zu den Rechtsbehelfen auch die „materiellen“ Voraussetzungen einer Klage. Das unionsrechtliche Rechtsschutzgebot ist in dieser Hinsicht von den justiziellen Grundrechten der EMRK zu unterscheiden. Art. 6 EMRK verbürgt jedermann ein faires Verfahren vor einem „tribunal“ „in the determination of his civil rights“. Der EGMR lässt Art. 6 EMRK dabei nur dann eingreifen, wenn das nationale Recht einen materiellen Rechtsanspruch vorsieht. Art. 6 EMRK garantiert selbst keinen bestimmten Inhalt zivilrechtlicher Ansprüche (civil rights) im materiellen Recht eines Vertragsstaats.215 Damit stellt sich die Frage, wie verfahrensrechtliche Hürden vom Versagen des materiellen Rechts abzugrenzen sind. Im Urteil Osman216 verfuhr der EGMR noch sehr großzügig. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der englische Court of Appeal eine auf negligence gestützte Schadensersatzklage gegen die Polizei wegen Untätigkeit bei der Verbrechensaufklärung bzw.  –verhinderung mit der Begründung abgewiesen, dass eine Schutzpflicht der Polizei (duty of care) nicht bestehe, da Schadensersatzansprüche nach common law durch Immunitäten der Polizei beschränkt seien. Die hiergegen erhobene Beschwerde vor dem EGMR hatte Erfolg. Die Richter urteilten einstimmig, dass der Court of Appeal das Recht des Beschwerdeführers auf Zugang zu Gericht (Art. 6 Abs. 1 EMRK) verletzt habe, da die Immunitätenregel zu starr und unflexibel angewandt

211  Vgl. Calliess/Ruffert/Blanke, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 47 GRCh Rn. 8 ff.; Lenz/ Borchardt/Borchardt, EU‑Verträge, 6. Aufl., 2013, Art. 19 EUV Rn. 4; Jarass, GRC, 2. Aufl., 2013, Art. 47 Rn. 13 ff.; Calliess/Ruffert/Wegener, a. a. O., Art. 19 EUV Rn. 41. Siehe auch Reiling, Zu individuellen Rechten, 2004, S. 362. 212   Vgl. Calliess/Ruffert/Wegener, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 19 EUV Rn. 43 ff.; Schwarze/ Schwarze, EU‑Kommentar, 3. Aufl., 2012, Art. 19 EUV Rn. 48. Chalmers/Davies/Monti, EU Law, 2. Aufl., 2010, S. 312, gehen davon aus, dass Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV nicht nur als Kodifizierung der bisherigen Rechtsprechung interpretiert, sondern vom EuGH als Grundlage für eine weitergehende Harmonisierung der Rechtsbehelfe in Anspruch genommen werden könnte. 213   Vgl. die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C 303/17, 29 f.; ebenso bereits die Erklärungen zu Bestimmungen der Europäischen Verfassung, ABl. 2004 C 310/420, 450 f. 214   Im Ergebnis auch Reich, VuR 2012, 327, 334. 215   EGMR, 21.2.1986, Nr. 8793/79 (James and others/United Kingdom) Rn. 81; EGMR, 8.7.1986, Nr. 9006/80, 9262/81, 9263/81, 9265/81, 9266/81, 9313/81, 9405/81 (Lithgow and others/United ­Kingdom) Rn. 192: Art. 6 (1) „does not in itself guarantee any particular content for (civil) ‚rights and obligations‘ in the substantive law of the Contracting States“. 216   EGMR, 28.10.1998, Nr. 23452/94 (Osman/United Kingdom). Ausführliche Analyse der Entscheidung bei Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, 2007, S. 172 ff.

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worden sei.217 Im Anschluss hieran warfen englische Richter und Stimmen im Schrifttum dem EGMR vor, er schaffe über das Konventionsrecht Anforderungen an das englische materielle Haftungsrecht und dessen Tatbestandsvoraussetzungen.218 Das Gericht interpretiere die Immunität, die Tatbestandselement des materiellen Rechts sei, zu Unrecht als prozessuales Hindernis. Der EGMR reagierte auf diese Kritik, indem er in Folgeentscheidungen im nationalen Recht vorgesehene Haftungseinschränkungen dem materiellen Recht zuordnete und für mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar erklärte.219 Seither betont das Gericht, dass der EGMR nicht durch Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK einen materiellen Rechtsanspruch (material right) schaffen kann, der keine Rechtsgrundlage im Recht des betroffenen Staates hat.220 Dementsprechend muss geprüft werden, ob eine Beschränkung im staatlichen Recht verfahrensrechtlicher oder materieller Art ist.221 Sieht das staatliche Recht materielle Beschränkungen vor, kann nicht angenommen werden, dass ein Anspruch besteht. Das Gebot, zivilrechtliche Ansprüche vorzusehen, kann in diesen Fällen nicht aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folgen, sondern lediglich aus anderen Konventionsbestimmungen, für die dann wieder Art. 6 EMRK und ggf. auch Art. 13 EMRK eingreift.222 Im Unterschied hierzu enthält das unionsrechtliche Rechtsschutzgebot einen weitergehenden Rechtsschutzauftrag. Es bezieht sich nicht auf die im nationalen Recht anerkannten zivilrechtlichen Ansprüche („civil rights“), sondern auf die „vom Unionsrecht erfassten Bereich[e]“ (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV) bzw. auf die „durch das Recht der Union garantierte[n] Rechte“ (Art. 47 Abs. 1 GRC) in Durchführungssituationen (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC). Das Gebot effektiven Rechtsschutzes erstreckt sich dementsprechend nicht nur auf die verfahrensrechtlichen Rechtsbehelfe, sondern umfasst auch den vorgelagerten Bereich materieller Anspruchsgrundlagen, wie beispielsweise Schadensersatz und Bereicherungsausgleich. Dem EuGH ist es daher nicht verwehrt, die Unionsrechte mit Blick auf die erforderlichen Rechtsbehelfe zu konkretisieren.223 4. Materiell-rechtliches oder prozessuales Verständnis der Unionsrechte? Aus mitgliedstaatlicher Perspektive stellt sich die Frage, wie dem unionsrechtlichen Rechtsschutzgebot Rechnung getragen werden kann. Prinzipiell stehen zwei Mög217

  EGMR, 28.10.1998, Nr. 23452/94 (Osman/United Kingdom) Rn.  147 – 154.   Lord Hoffmann, Mod. L. Rev. 62 (1999), 159, 163 ff.; Barrett v. Enfield London Borough Council, [2001] 2 A.C. 550, 558 f., per Lord Browne-Wilkinson; Kent v Griffiths (No. 3), [2001] Q.B. 36, 50 f., per Lord Woolf. Kritisch auch Gearty, Mod. L. Rev. 64 (2001), 159 ff.; G. Monti, ICLQ 48 (1999), 757; Weir, CLJ 58 (1999), 4, 7. Zustimmend dagegen Hoyano, Mod. L. Rev. 62 (1999), 912, 920 ff. Zum Meinungsstand vor dem Osman-Urteil Wright, OJLS 18 (1998), 1, 17 ff. 219   EGMR, 10.5.2001, Nr. 29392/95 (Z and others/United Kingdom) Rn. 100; EGMR, 10.5.2001, Nr. 28945/95 (T.P. and K.M./United Kingdom) Rn. 101 ff. 220  EGMR, 19.10.2005, Nr. 32555/96 (Roche/Vereinigtes Königreich), NJOZ 2007, 865, 867, Rn. 117; EGMR, 14.12.2006, Nr. 1398/03 (Markovic and others/Italy), NJOZ 2008, 1087, 1093, Rn. 93; EGMR, 3.4.2012, Nr. 37575/04 (Boulois/Luxembourg) Rn. 91. 221  EGMR, 19.10.2005, Nr. 32555/96 (Roche/Vereinigtes Königreich), NJOZ 2007, 865, 867, Rn. 119; EGMR, 14.12.2006, Nr. 1398/03 (Markovic and others/Italy), NJOZ 2008, 1087, 1093, Rn. 94. 222   Für eine solche Konstellation EGMR, 10.5.2001, Nr. 29392/95 (Z and others/United Kingdom), Rn. 105 ff. 223   Zu Grenzen der autonomen Auslegung infra, § 4 A.VI. 218

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lichkeiten zur Verfügung. Entweder formuliert der Mitgliedstaat materielle subjektive Rechte bzw. Ansprüche und schafft damit die Voraussetzung für die Einklagbarkeit der Unionsrechte (materiell-rechtliche Lösung). Oder er gestaltet die Unionsrechte als bloß prozessuales Recht auf gerichtliche Erzwingung aus (prozessuale Lösung).224 a) Ermessen der Mitgliedstaaten Der EuGH betont in ständiger Rechtsprechung, dass die Mitgliedstaaten die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse ausgestalten dürfen.225 Vor diesem Hintergrund wird im Schrifttum zu Recht angenommen, dass das Unionsrecht eine Entkoppelung der Einklagbarkeit vom materiellen subjektiven Recht ermöglicht.226 Den Mitgliedstaaten steht es mit anderen Worten frei, den unionsrechtlich geforderten Rechtsschutz auf materiell-rechtlichem oder auf prozessualem Wege zu verwirklichen. Aus der Perspektive des Unionsrechts ist allein entscheidend, dass der Einzelne seine Unionsrechte vor den nationalen Gerichten geltend machen kann.227 Unter diesem Gesichtspunkt ist es gleichgültig, ob die Klage an materiell-rechtliche Positionen anknüpft oder nicht. Das Unionsrecht schreibt lediglich das „Ob“ des Zugangs zu Rechtsschutzverfahren vor, das „Wie“ wird demgegenüber den Mitgliedstaaten überlassen. Für ein Ermessen der Mitgliedstaaten spricht der Gedanke, dass ein „bloß“ prozessuales Recht auf gerichtliche Erzwingung für seinen Träger praktisch ebenso effektiv sein kann wie eine Kombination von materiellem und prozessualem Recht. Wer ein Recht auf den Erlass einer gerichtlichen Unterlassungsverfügung hat, dem kann es grundsätzlich gleichgültig sein, ob die Rechtsordnung daneben noch einen gesonderten Unterlassungsanspruch anerkennt.228 Auch im Sekundärrecht findet sich zuweilen die Klarstellung, dass die Mitgliedstaaten ein subjektiv-rechtliches oder ein aktionenrechtliches Konzept zugrunde legen können. So müssen die Mitgliedstaaten beispielsweise nach Art. 10a UVP-RL 85/337 i. d. F. der RL 2003/35 (jetzt Art. 11 Abs. 1 UVP-RL 2011/92) sicherstellen, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit bei Verletzung bestimmter umweltrechtlicher Vorschriften Klagemöglichkeiten haben, wenn sie „a)  ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwal224   Daneben besteht die Möglichkeit, dass Unionsrechte unmittelbar wirken und auf diese Weise autonome Klagerechte begründen; vgl. EuGH, Rs. C‑115/09 (Trianel Kohlekraftwerk) Rn.  56 – 59, sowie die Anschlussentscheidung BVerwG, NVwZ 2012, 176, 177 = ZUR 2012, 187, 189 (Rn. 28). Ausführlich infra, § 5 A.I.3.a. Unionsautonom begründete Klagerechte stellen jedoch die Ausnahme dar. 225   EuGH, Rs.  C‑87 – 89/90 (Verholen) Rn. 24; Rs. C‑13/01 (Safalero) Rn. 50; Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 42; Rs. C‑12/08 (Mono Car Styling) Rn. 49. 226   Classen, Europäisierung, 1996, S. 78 f.; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 235 ff.; Hong, JZ 2012, 380, 383; Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), 335, 356; Ruthig, BayVBl 1997, 289, 295; Schoch, NVwZ 1999, 457, 462; Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV Rn. 98. A. A. Stüber, Jura 2001, 798, 802, mit dem Argument, der vom EuGH verwendete Begriff „Rechte“ spreche gegen die Einräumung einer bloßen Klagebefugnis ohne Zuerkennung eines materiellen Anspruchs. Anders offenbar auch Beljin, Der Staat 46 (2007), 489, 500, der sich gegen eine prozessuale Lösung ausspricht, „weil Unionsrechte in der Regel nicht auf die Einklagbarkeit verengt werden dürfen“. 227  Vgl. Classen, Europäisierung, 1996, S. 78 f.: „Dem EuGH geht es nicht entscheidend um materielle Rechtspositionen. Primär denkt er in prozeßrechtlichen Kategorien. Gefordert sind Rechtsschutzansprüche.“ 228   Hong, JZ 2012, 380, 383.

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tungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert“. Ähnliche Formulierungen finden sich in Art. 16 Abs. 1 IVU-RL 2008/1 (jetzt Art. 25 Abs. 1 IED-RL 2010/75) sowie Art. 12 Abs. 1 Umwelthaftungs-RL 2004/35. Das Unionsrecht räumt den Mitgliedstaaten damit das Recht ein, sich bei der Ausgestaltung von Individualklagen entweder für das Modell der Interessentenklage oder das der Verletztenklage zu entscheiden.229 Grenzen des Gestaltungsspielraums folgen aus dem Gehalt der Unionsrechte und aus dem Grundsatz, dass die Anwendung nationalen Rechts nicht die Tragweite und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen darf. Können nicht alle Personen vor den nationalen Gerichten klagen, die nach den unionsrechtlichen Regelungen klagebefugt sein sollen, oder wird die Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auf sonstige Weise unzumutbar beschwert, wird der durch die Vorschriften gezogene Rahmen überschritten und damit Unionsrecht verletzt (effet utile und Effektivitätsgebot). Daneben ist der Grundsatz der Gleichwertigkeit bzw. Äquivalenz zu beachten, demzufolge Klagen mit Unionsbezug nicht schlechter gestellt werden dürfen als gleichartige Klagen des innerstaatlichen Rechts. b) Rezeptionsmöglichkeiten im öffentlichen Recht Steht nach dem zuvor Gesagten fest, dass die Mitgliedstaaten sowohl ein materiellrechtliches als auch ein prozessuales Verständnis zugrunde legen können, stellt sich weitergehend die Frage, wie die Unionsrechte in das deutsche Recht zu integrieren sind. Für das öffentliche Recht werden unterschiedliche Lösungsansätze angeboten.230 Nach einer Auffassung sollen unionsrechtliche Rechtspositionen losgelöst von einem subjektiv-öffentlichen Recht einklagbar sein; die Unionsrechte werden insoweit als gesetzliche Bestimmungen i. S. d. § 42 Abs. 2 1. HS VwGO gewertet (prozessuale Lösung).231 Andere stufen die durch das Unionsrecht eingeräumten Positionen dagegen als materielle Rechte i. S. d. § 42 Abs. 2 2. HS VwGO ein; nach dieser Auffassung erfordert die Europäisierung des Verwaltungsrechts eine unionsrechtlich aufgeladene Schutznormtheorie und dementsprechend auch eine extensive Auslegung der Vorschriften über die Klagebefugnis (materiell-rechtliche Lösung).232 Schließlich wird mit Blick auf eine effektive Durchsetzung de lege ferenda eine Ergänzung des § 42 Abs. 2 VwGO für erforderlich gehalten; der deutsche Gesetzgeber solle klarstel229   Vgl. EuGH, Rs. C‑137/14 (Kommission/Deutschland) Rn. 33 f. Dazu Hofmann, EuR 2016, 188 ff.; Ruffert, JuS 2015, 1138 ff. Etwas anderes gilt für die Umweltverbandsklage. Nach der UVPRL muss Umweltverbänden selbst dann ein Zugang zu Gericht eröffnet werden, wenn es um die Geltendmachung rein objektiven – also nicht auf den Schutz von Individualinteressen gerichteten – Umweltrechts geht; EuGH, Rs. C‑115/09 (Trianel Kohlekraftwerk) Rn. 45 ff. 230   Zum Meinungsstand Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 3931 ff. 231   Wahl, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 24. EL, 2012, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 128; für eine prozessuale Lösung offenbar auch Remmert, Die Verwaltung 29 (1996), 465, 485 f.; vgl. auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl., 2011, § 8 Rn. 16. Nach Zielrichtung der unionsrechtlichen Regelung differenzierend Gerstner, Die Drittschutzproblematik, 1995, S. 268 f. Sowohl für eine weite Interpretation der Schutznormtheorie als auch für gesetzliche Ausnahme offen: Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), 335, 349 f.; Schwarze, NVwZ 2000, 241, 248. 232   Calliess, NVwZ 2006, 1, 4; Classen, VerwArch (88) 1997, 645, 678; v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 521; Dörr, Rechtsschutzauftrag, 2003, S. 189 ff.; Reiling, Zu individuellen Rechten, 2004, S. 461 ff.; Schoch, NVwZ 1999, 457, 465 f. Zwischen Rechten, die infolge der unmittelbaren Wirkung und durch mitgliedstaatliche Umsetzungshandlungen entstehen, differenzierend Ruffert, DVBl. 1998, 69, 74.

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len, dass eine Klage auch dann zulässig ist, wenn der Kläger eine Beeinträchtigung von Interessen geltend macht, deren Verteidigung ihm durch Normen des europäischen Unionsrechts ermöglicht ist.233 Gegen die prozessuale Lösung spricht, dass § 42 Abs. 2 1. HS VwGO nur zur Anwendung gelangt, soweit gesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Eine Abweichung vom Modell der Verletztenklage erfordert ein formelles Gesetz, das dem Kläger explizit eine Klagebefugnis einräumt. Das Unionsrecht enthält in aller Regel aber keine derartigen Anordnungen, sondern verweist stattdessen auf das Recht der Mitgliedstaaten. Dementsprechend fehlt es regelmäßig an einer eindeutigen gesetzlichen Bestimmung.234 Angesichts der Flut unionsrechtlich bedingter Normen ist es auch dem deutschen Gesetzgeber kaum möglich, durch Spezialbestimmungen die Klagebefugnis für jede unionsrechtlich determinierte Rechtsposition positiv-rechtlich zu regeln.235 Eine Ausweitung der Klagebefugnis über § 42 Abs. 2 1. HS VwGO führt darüber hinaus bei der Begründetheitsprüfung zu Problemen. Da § 113 Abs. 1, 5 VwGO eine Verletzung des Klägers in seinen Rechten voraussetzt, verlagert sich die Frage nach der subjektiven Berechtigung letztlich auf die Ebene der Begründetheit.236 Die überwiegenden Gründe sprechen daher für den materiell-rechtlichen Ansatz und eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 42 Abs. 2 2. HS. VwGO, bevor eine Änderung von § 42 Abs. 2 VwGO erforderlich wird. Das deutsche Verwaltungsrecht wird damit auf eine Bewährungsprobe gestellt, die sich vor allem aus den zu Art. 19 Abs. 4 GG entwickelten Vorgaben ergeben: Zwar ist der Zugang zu den Verwaltungsgerichten in Deutschland wesentlich restriktiver ausgestaltet als in anderen Mitgliedstaaten, denn in den meisten Ländern hängt der Gerichtszugang nicht von der Trägerschaft materiell-subjektiver Rechte ab. Vielmehr gilt – in unterschiedlichen Schattierungen – in fast allen Ländern ein System der Interessentenklage, in dessen Rahmen eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle erfolgt.237 Dafür wird dem deutschen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz aber eine im europäischen Vergleich einzigartige Kontrolldichte attestiert.238 Aufgrund der in Art. 19 Abs. 4 GG geltenden Rechtsschutzgarantie gilt in Deutschland nämlich der Grundsatz, dass die Gerichte die Verwaltungstätigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig nachprüfen müssen.239 Im Vergleich hierzu haben andere Mitgliedstaaten die Kontrolldichte weitgehend zurückgenommen und beschränken sich auf eine Vertretbarkeitsund Willkürkontrolle.240

233   Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 295 f. Für eine Novellierung des § 42 Abs. 2 VwGO auch Winter, NVwZ 1999, 467, 473. Dagegen A. Schwerdtfeger, Verwaltungsrechtsschutz, 2010, S. 219 ff. 234   Vgl. auch Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 3995; Reiling, Zu individuellen Rechten, 2004, S. 458; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 295. 235   Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2009, S. 95. 236   v. Danwitz, DÖV 1996, 481, 488; Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 3926 ff. 237  Hierzu infra, § 3 E.V.1. 238   Ehlers, DVBl. 2004, 1441, 1448; Leidinger, NVwZ 2011, 1345, 1349 (hohe gerichtliche Kon­ trolltiefe ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern „singulär“). 239   BVerfGE 15, 275, 282 = NJW 1963, 803; BVerfGE 84, 34, 49 = NJW 1991, 2005; BVerfGE 103, 142, 156 = NJW 2001, 1121; BVerwGE 94, 307, 309 = NVwZ 1995, 707; BVerwGE 106, 263, 266 = NVwZ 1999, 75. 240   Vgl. zum englischen, französischen, italienischen und spanischen Recht nur v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 45 ff., 66, 82 ff., 120 ff.

B. Rechte, Rechtsbehelfe und Verfahren

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Ein strenges System der gerichtlichen Kontrolle, welches in einer sorgfältigen und umfassenden Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen besteht, bietet aus unionsrechtlicher Sicht indessen keinen Rechtfertigungsgrund dafür, den Zugang zu Gericht einzuschränken.241 Konsequenterweise stellt sich dann aber die Frage, ob das unionsrechtlich bedingte „Mehr“ beim Gerichtszugang durch ein „Weniger“ bei der gerichtlichen Kontrolldichte (und sonstigen Verfahrensmodalitäten) im nationalen Recht kompensiert werden kann.242 Grenzen ergeben sich in diesem Fall aus dem Effektivitätsgrundsatz. Ob dieser eine Absenkung der Kontrolldichte erlaubt, ist bislang ungeklärt. Zwar ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des Verwaltungsgerichtsprozesses einen Gestaltungsspielraum haben. Mit dem Effektivitätsgebot wäre es aber kaum zu vereinbaren, wenn der durch das Unionsrecht geforderte „weite Zugang“ zu den Gerichten243 durch eine zu geringe Kontrolldichte in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt wird und damit praktisch wirkungslos bleibt.244 c) Rezeptionsmöglichkeiten im Privatrecht Subjektiv-private Unionsrechte sind in Deutschland als materielle Rechte bzw. Ansprüche einzustufen, soweit es sich um Rechte des Einzelnen handelt. Jede andere Lösung wäre nicht systemkonform. Denn für das Zivilrecht wird seit langem als selbstverständlich vorausgesetzt, dass Rechtsschutz als prozessualer Annex zum individuellen Recht konstruiert wird. Das BGB ist als ein System von materiell-rechtlichen Ansprüchen konzipiert worden, deren Klagbarkeit sich von selbst versteht.245 Da Unionsrechte in aller Regel unvollständig sind und häufig nicht sämtliche Voraussetzungen und Rechtsfolgen festlegen, muss der Gesetzgeber die Unionsrechte weiter konkretisieren, damit diese aus nationaler Perspektive zu vollständigen Rechten bzw. Ansprüchen werden.246 241   EuGH, Rs. C‑115/09 (Trianel Kohlekraftwerk). Vgl. auch Rn. 77 der SchlA von GA Sharpston: „Ebenso wie ein Ferrari mit verschlossenen Türen hilft jedoch eine intensive Kontrolldichte in der Praxis wenig, wenn das System als solches für bestimmte Kategorien von Klagen nicht zugänglich ist.“ In diese Richtung bereits zuvor Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, S. 199: „Jedenfalls wird sich die justizpolitische Vorstellung, man könne die in Deutschland (zu) hohe gerichtliche Kontrollintensität dadurch ausgleichen, daß man den Rechtsschutz auf einen engen Tatbestand subjektiver Rechte begrenzt hält, im Zeichen europäischer Rechtsangleichung nicht durchhalten lassen.“ 242  Hierzu Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), 335, 368 f.; Schoch, NVwZ 1999, 457, 466 f.; Steinbeiß-Winkelmann, NJW 2010, 1233, 1237; Leidinger, NVwZ 2011, 1345, 1349; Gärditz, in: 71. DJT, Bd. 1, 2016, D 61 ff. 243  Vgl. Art. 10a Abs. 3 UVP-RL 85/337 i. d. F. der RL 2003/35; sowie EuGH, Rs. C‑263/08 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening) Rn. 45; Rs. C‑115/09 (Trianel Kohlekraftwerk) Rn.  46; verb. Rs.  C‑128 – 131 & 134 – 135/09 (Boxus) Rn. 53 ff.; Rs. C‑240/09 (Lesoochranárske zoskupenie – „Slowakischer Braunbär“) Rn. 51. 244   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑137/14 (Kommission/Deutschland) Rn. 80, mit Hinweis darauf, dass das mit Art. 11 UVP-RL 2011/92 und Art. 25 IED-RL 2010/75 angestrebte Ziel „nicht nur darin besteht, den rechtssuchenden Bürgern einen möglichst weitreichenden Zugang zu gerichtlicher Überprüfung zu geben, sondern auch darin, eine umfassende materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu ermöglichen.“ 245   Supra, § 3 B.I.1.b. 246   Unionsrechte sind daher häufig hybride Ansprüche, die einerseits im Unionsrecht ihre Grundlage haben, andererseits aber der näheren Ausgestaltung durch das nationale Recht bedürfen; vgl. hierzu die Diskussion zum Staatshaftungsanspruch, supra, § 2 D.IV.3., sowie zum kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch, infra, § 7 C.I.1.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes liegen die Dinge anders. Die vom deutschen Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 UKlaG gewählte Lösung, derzufolge den Verbänden eigene materiell-rechtliche Ansprüche zuerkannt werden, führt aufgrund des am Individualschutzmodell orientierten Zivilprozesses zu Systembrüchen.247 Vorzugswürdig ist daher, überindividuelle Rechte als reine Klagebefugnisse zu betrachten und für diese eine Sonderregelung zu schaffen. Da das Unionsrecht den Mitgliedstaaten bei der Rezeption der Unionsrechte einen Gestaltungsspielraum zubilligt, spricht grundsätzlich nichts dagegen, wenn in England bei Umsetzung privatrechtlicher Richtlinien keine materiellen Rechte bzw. Ansprüche, sondern remedies geschaffen werden. Bei einer solchen Lösung ist indessen zu beachten, dass die mitgliedstaatliche Durchführungsautonomie durch den Gehalt der Unionsrechte und den Grundsatz der Effektivität begrenzt wird. Problematisch ist insoweit – worauf vor allem Whittaker248 hingewiesen hat – die Umsetzung der in der KaufRL 99/44 geregelten Nacherfüllungsrechte (Nachbesserung und Ersatzlieferung) des Käufers bei Vertragswidrigkeit. Das common law kannte bis zur Umsetzung der Richtlinie keinen auf Nacherfüllung gerichteten Rechtsbehelf des Käufers. Erfüllungsansprüche in Form der specific performance waren nur ausnahmsweise durchsetzbar und standen im Ermessen des Gerichts. Zwar kennt das englische Recht nunmehr ein Recht auf Nacherfüllung (sec. 23 Consumer Rights Act 2015; zuvor: sec. 48B Sale of Goods Act 1979 a. F.). Gleichzeitig deutet die Formulierung in sec. 58 Consumer Rights Act 2015249 (zuvor: sec. 48E Sale of Goods Act 1979 a. F.) aber darauf hin, dass die Gewährung – entsprechend den allgemeinen Grundsätzen der specific performance – im Ermessen des Gerichts steht.250 Dies steht jedoch im Widerspruch zu den Mindestvorgaben der KaufRL 99/44.251 Nach der Richtlinie besteht gegenüber den anderen Rechtsbehelfen ein Vorrang der Nacherfüllung;252 der Gerichtshof hat diesen Vorrang in den Fällen Gebr. Weber & Putz253 deutlich hervorgehoben. Der Anspruch auf Nacherfüllung ist nur bei Unmöglichkeit oder Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen (Art. 3 Abs. 3 der RL). Darüber hinausgehende Ausschlussgründe werden von der Richtlinie nicht anerkannt.

247

 Hierzu supra, § 3 B.I.1.d.   Whittaker, in: Pozzo/Jacometti (Hrsg.), Multilinguism and the Harmonisation of European Law, 2006, S. 45, 57 (zum Sale of Goods Act 1979 a. F.). 249   Sec. 58 (2) Consumer Rights Act 2015: „On the application of the consumer the court may make an order requiring specific performance or, in Scotland, specific implement by the trader of any obligation imposed on the trader by virtue of section 23 [repair or replacement], 43 [repair or replacement] or 55 [repeat performance]“; Herv. und Zusätze hinzugefügt. Sec. 58 (3) – (4) Consumer Rights Act 2015 stellen zusätzlich klar, dass das Gericht die Befugnis hat, vom Antrag des Verbrauchers abzuweichen, wenn es dies für angemessen hält. 250   So (zum Sale of Goods Act 1979) Harris, L.Q.R. 2003, 541 ff.; V. Mak, Performance-Oriented Remedies in European Sale of Goods Law, 2009, S. 124 ff.; Whittaker, in: Pozzo/Jacometti (Hrsg.), Multilinguism and the Harmonisation of European Law, 2006, S. 45, 57. Im Ergebnis auch Mansel, AcP 204 (2004), 396, 448. 251   Wie hier (zum Sale of Goods Act 1979) V. Mak, Performance-Oriented Remedies in European Sale of Goods Law, 2009, S. 124 f.; Mansel, AcP 204 (2004), 396, 448; tendenziell auch Whittaker, in: Pozzo/Jacometti (Hrsg.), Multilinguism and the Harmonisation of European Law, 2006, S. 45, 59. A. A. Watterson, ERPL 2001, 197, 212. 252  Ausführlich infra, § 10 G.II.1. 253   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 44 ff. 248

C. Unionsrechte und unmittelbare Wirkung

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d) Auswertung Das Unionsrecht ist mit Blick auf eine materiell-rechtliche oder prozessuale Einordnung der Unionsrechte prinzipiell ergebnisoffen. Entscheidend ist in erster Linie die Möglichkeit des Einzelnen zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Rechte vor den mitgliedstaatlichen Gerichten. Ob dies durch prozessuale Klagerechte oder durch die Einräumung materiell-rechtlicher Rechtspositionen erfolgt, ist aus dieser Perspektive grundsätzlich unerheblich. Grenzen ergeben sich jedoch aus dem effet utile der Unionsrechte, dem Effektivitätsgebot sowie dem Äquivalenzgebot. Die Rezeptionsmöglichkeiten sind daher sowohl im öffentlichen Recht als auch im Privatrecht beschränkt. Soweit subjektiv-öffentliche Unionsrechte individualschützenden Charakter haben, müssen diese in Deutschland mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG als subjektiv-öffentliche Rechte eingestuft werden. Nach dem Äquivalenzgebot dürfen unionsrechtlich begründete klagbare Rechtspositionen im nationalen nämlich keinen ungünstigeren Bedingungen unterworfen werden als klagbare nationale Rechtspositionen. Subjektiv-private Unionsrechte sind in Deutschland ebenfalls als materielle Rechte bzw. Ansprüche einzustufen. Im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes liegen die Dinge dagegen anders. Popular- und Verbandsklagebefugnisse passen nicht zu einem aussagekräftigen Begriff des subjektiven Rechts oder materiell-rechtlichen Anspruchs. Vorzugswürdig ist daher, überindividuelle Rechte sowohl im öffentlichen Recht als auch im Privatrecht als reine Klagebefugnisse zu betrachten und für diese Sonderregelungen vorzusehen. Da den Mitgliedstaaten ein Gestaltungsspielraum zusteht, spricht nichts dagegen, wenn bei Umsetzung privatrechtlicher Richtlinien in anderen Mitgliedstaaten keine materiellen Rechte bzw. Ansprüche, sondern remedies geschaffen werden. Die konkrete Ausgestaltung darf dabei jedoch nicht die Effektivität unionsrechtlicher Vorgaben beeinträchtigen.

C. Unionsrechte und unmittelbare Wirkung I. Unzureichende Differenzierung in der Judikatur des EuGH In Rechtsprechung und Schrifttum ist das Verhältnis zwischen dem Konzept der unmittelbaren Wirkung254 und den Unionsrechten immer noch ungeklärt.255 Der EuGH unterscheidet zumeist nicht scharf zwischen beiden Figuren.256 In vielen Entscheidungen werden unmittelbare Wirkung und Unionsrechte in einem Atemzuge genannt. Manche Entscheidungen suggerieren, dass Rechte des Einzelnen stets begründet werden, wenn die verletzte Bestimmung des Unionsrechts unmittelbar wirkt. Die unmittelbare Wirkung wäre dann ein hinreichendes Kriterium für die Annahme eines Unionsrechts. Andere Entscheidungen könnten sogar dahingehend (miss‑)verstanden werden, dass die unmittelbare Wirkung nicht nur hinreichendes, 254

  Zum Begriff infra, § 5 A.I.1.   Vgl. nur Lenaerts/Corthaut, ELRev. 2006, 287: „It may be surprising, but over 40 years after Van Gend & Loos or Costa v ENEL the debate on how and when individuals can invoke EU law has not abated.“ 256  Kritisch Eilmansberger, CMLR 2004, 1199 ff.; Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 99 ff. 255

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

sondern zugleich notwendiges Kriterium, also Entstehungsvoraussetzung der Rechte Einzelner ist.257 Die begriffliche und dogmatische Verwirrung nimmt ihren Ausgangspunkt bereits mit den ersten Entscheidungen, in denen der EuGH das Institut der unmittelbaren Wirkung für verschiedene Normen des Primärrechts entwickelte. So urteilte der Gerichtshof in van Gend & Loos,258 dass Art. 12 EWGV (jetzt modifiziert Art. 30 AEUV) „dahin auszulegen ist, dass er unmittelbare Wirkungen erzeugt und individuelle Rechte begründet, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben.“ In Molkereizentrale Westfalen/Lippe259 führte der Gerichtshof aus, dass es für die Entstehung individueller Rechte „erforderlich, aber auch genügend [sei], dass sich die Vertragsvorschrift, aus der solche Rechte hergeleitet werden, ihrem Wesen nach dazu eignet, unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den ihrem Recht unterworfenen Einzelnen zu erzeugen.“ In Salgoil260 entschied der EuGH, dass sich Art. 31 EWGV seinem Wesen nach dazu eigne, unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den ihrem Recht unterworfenen Personen zu erzeugen. Die Vorschrift begründe „daher [sic!] individuelle Rechte, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben.“ In Ferweda261 sprach der Gerichtshof davon, dass dem „Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts (. . .) Rechte erwachsen.“ Umgekehrt urteilte der Gerichtshof im Fall Comitato,262 dass Art. 4 Abfall-Richtlinie 75/422 weder unbedingt noch hinreichend genau und damit auch nicht geeignet sei, Rechte zu verleihen, die Einzelne gegenüber dem Staat geltend machen können. Unmittelbare Wirkung und Unionsrechte werden auch in der Staatshaftungsrechtsprechung häufig miteinander vermengt. So führte Generalanwalt Tesauro in seinen Schlussanträgen zu Brasserie du Pêcheur263 aus, dass die erste Haftungsvoraussetzung (Verstoß gegen eine Norm, die den Schutz Einzelner bezweckt) „im Fall von Vorschriften mit unmittelbarer Wirkung – naturgemäß – immer erfüllt ist“. Der Gerichtshof trat diesen Ausführungen nicht entgegen und bejahte unter Verweis auf seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung in einem Satz, dass die in Rede stehenden Grundfreiheiten für den Einzelnen Rechte begründen, die die nationalen Gerichte zu wahren haben.264 Auch neuere Entscheidungen belegen, dass eine Unterscheidung zwischen unmittelbarer Wirkung und Unionsrechten häufig nicht gezogen wird. So meinte der Gerichtshof im Fall Danske Slagterier265, „dass Art. 28 EG [jetzt Art. 34 AEUV] in dem Sinne unmittelbare Wirkung hat, dass er dem Einzelnen Rechte verleiht, die er unmittelbar vor den nationalen Gerichten geltend machen kann, und dass die Verletzung dieser Bestimmung zu einer Entschädigung führen kann.“ 257  Nach Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 84 f., soll der EuGH-Rechtsprechung zu entnehmen sein, dass die unmittelbare Wirkung sowohl notwendige wie hinreichende Voraussetzung für die Eignung einer Norm zur Begründung von Individualrechten ist. Die Voraussetzungen für das Entstehen von Rechten Einzelner seien, so Eilmansberger, mit den Voraussetzungen, die auch über die unmittelbare Wirkung einer Gemeinschaftsnorm entscheiden, identisch. 258   EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos). 259   EuGH, Rs. 28/67 (Molkereizentrale Westfalen/Lippe). 260   EuGH, Rs. 13/68 (Salgoil). 261   EuGH, Rs. 265/78 (Ferweda) Rn. 10. 262   EuGH, Rs. C‑236/92 (Comitato) Rn. 8 ff., 15. 263   GA Tesauro, SchlA, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 56. 264   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 54. 265   EuGH, Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) Rn. 22.

C. Unionsrechte und unmittelbare Wirkung

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Ähnliche Ausführungen finden sich in der Rechtsprechung des EuGH zur Verantwortlichkeit Privater bei Verstößen gegen das Unionsrecht. Im Fall BRT I266 urteilte das Gericht, dass Art. 85 Abs. 1, 86 EWGV (jetzt Art. 101 Abs. 1, 102 AEUV) Rechte zugunsten des Einzelnen begründen, da die in diesen Artikeln „enthaltenen Verbote ihrer Natur nach geeignet sind, in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen zu erzeugen.“ Im Fall Courage267 befand der Gerichtshof, dass die praktische Wirksamkeit beeinträchtigt wäre, wenn nicht „jedermann“ Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Verstoß gegen das Kartellverbot entstanden ist. Zur Begründung verwies das Gericht gleich am Anfang der Ausführungen auf seine van Gend  & Loos-Rechtsprechung und die unmittelbare Wirkung des Kartellverbots.268 In Muñoz269 entschied der Gerichtshof, dass es einem Wirtschaftsteilnehmer möglich sein muss, die Beachtung einer im Verordnungswege vorgegebenen Qualitätsnorm gegen einen Konkurrenten im Wege eines Zivilprozesses durchzusetzen. Die Verordnung könne, so der Gerichtshof, „schon nach ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Gemeinschaftsrechts (. . .) Rechte der Einzelnen begründen, die die nationalen Gerichte schützen müssen.“

II. Unionsrechte ohne unmittelbare Wirkung Unmittelbare Wirkung und subjektive Rechte greifen häufig ineinander. Dass beide Figuren dennoch nicht deckungsgleich sind, wird in Fällen deutlich, in denen eine Unionsbestimmung nicht unmittelbar wirkt, gleichwohl aber darauf gerichtet ist, subjektive Rechtspositionen zugunsten des Einzelnen zu begründen. Ein typisches Beispiel bilden Richtlinien, die ohne den erforderlichen Umsetzungsakt für sich genommen nicht im Horizontalverhältnis zwischen Privaten wirken270 und unter Umständen selbst im Vertikalverhältnis nicht zur Anwendung gelangen, wenn die betreffende Norm derart unbestimmt ist, das sie einer näheren Konkretisierung durch den nationalen Gesetzgeber bedarf. Dass die in einer Richtlinie vorgesehenen Rechte nicht unmittelbar im innerstaatlichen Recht angewendet werden können, schließt dessen ungeachtet nicht aus, dass die betreffenden Normen Rechte und Pflichten formulieren. Es gibt direkte bzw. unmittelbar rechtsverleihende Unionsbestimmungen und indirekte bzw. mittelbare Unionsrechte. Auch letztere haben ihren Ursprung im Unionsrecht, bedürfen jedoch der Konkretisierung und Transformation durch den nationalen Gesetzgeber.271 Im Fall von Richtlinien entstehen individuelle Rechte in einem Verfahren gestufter Rechtssetzung.272 Verlangt eine Richtlinie die Begründung subjektiver Rechte, muss der nationale Gesetzgeber dafür Sorge tragen, dass die betreffenden Rechtspositionen im Wege der Umsetzungsgesetzgebung den Berechtigten eingeräumt werden.

266

  EuGH, Rs. 127/73 (BRT I) Rn. 16.   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26. 268   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 19 und 23. 269   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 27. 270  Hierzu infra, § 5 A.IV. 271   Beljin, Staatshaftung, 2000, S. 145; Nettesheim, AöR 132 (2007), 333, 349 f. 272   Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 225 f. Vgl. auch Götz, NJW 1992, 1849, 1852; Hailbronner, RIW 1992, 553, 556; Hilf, EuR 1993, 1, 4. 267

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Dass Unionsrechte bestehen können, ohne dass die Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung erfüllt sind, wird zudem durch die Staatshaftungsrechtsprechung belegt. Staatshaftungsansprüche kommen gerade dann in Betracht, wenn ein Primäranspruch des Unionsbürgers aus der Richtlinie wegen fehlender unmittelbarer Wirkung nicht begründbar ist, die Richtlinie aber gleichwohl darauf abzielt, dem Einzelnen bestimmte Rechte einzuräumen. Dies gilt nicht nur für nicht umgesetzte oder fehlerhaft umgesetzte Richtlinienbestimmungen, die aufgrund des Verbots der horizontalen Direktwirkung nicht unmittelbar in Privatrechtsverhältnissen wirken können, sondern auch für Situationen, in denen die vertikale Direktwirkung nicht zum Tragen kommt, weil es an einer hinreichend bestimmten und unbedingten Richtlinienbestimmung fehlt. So konnten sich etwa im Fall Francovich273 die betroffenen Arbeitnehmer mangels fristgemäß erlassener Durchführungsmaßnahmen nicht vor den nationalen Gerichten auf die Bestimmungen der Arbeitnehmer-InsolvenzschutzRL 80/987 berufen, da die Richtlinie nicht hinreichend klar und bestimmt regelte, wer Schuldner der Garantieansprüche ist. Dennoch war der Gerichtshof der Auffassung, dass die Vorschriften darauf abzielen, zugunsten der Arbeitnehmer ein Recht auf eine Garantie für die Befriedigung ihrer nicht erfüllten Ansprüche auf Arbeitsentgelt zu begründen.274 Der Gerichtshof folgte damit GA Mischo, der in seinen Schlussanträgen ausgeführt hatte, dass das Fehlen einer unmittelbaren Wirkung nicht bedeute, dass die Richtlinie dem Einzelnen keine Rechte gewähren wolle, sondern einzig und allein, dass diese Rechte nicht hinreichend bestimmt sind, um ohne Mitwirkung des betroffenen Mitgliedstaats ohne Weiteres in Anspruch genommen zu werden.275 Ob eine Unionsbestimmung ein subjektives Recht beinhaltet, sollte daher nicht mit der Frage vermengt werden, ob die vorgesehene Berechtigung im innerstaatlichen Recht unmittelbar wirkt. Die Entstehung von Individualrechten betrifft den Inhalt der Norm. Bei der unmittelbaren Wirkung geht es demgegenüber darum, ob sich der Einzelne vor den einzelstaatlichen Gerichten auf die betreffende Unionsnorm berufen und diese durchsetzen kann.276

III. Unionsrechte als Folge der unmittelbaren Wirkung? 1. Defensive Durchsetzung des Unionsrechts: Evokationsrecht (invocabilité) Seit langem wird im (deutschen) Schrifttum darüber gestritten, ob die unmittelbare Wirkung das Bestehen von subjektiven Rechten voraussetzt oder umgekehrt subjektive Rechte erst zum Entstehen bringt und welcher Art diese Rechte sind. Für Verwir273

  EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn.  23 – 27.   EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 44. 275   GA Mischo, SchlA, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 60. Der Staatshaftungsanspruch setzt gerade nicht voraus, dass die in Frage stehende Unionsbestimmung (wie bei der unmittelbaren Wirkung) „hinreichend bestimmt und inhaltlich unbedingt“ ist. Vielmehr reicht es für den Haftungsanspruch, dass der Inhalt der betreffenden Rechte „bestimmbar“ ist; EuGH, verb. Rs. C‑6/90 & C‑9/90 (Francovich u. a.) Rn. 40. Der verletzten Bestimmung müssen sich mit anderen Worten „Mindestrechte“ entnehmen lassen; vgl. EuGH, verb. Rs. C‑283, 291 – 292/94 (Denkavit) Rn. 39. 276  Ähnlich Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 105 (Herv. im Original): „The question whether a provision creates individual rights is, in my view, a matter of its content; the question whether a provision has direct effect relates to the quality ascribed to it, namely whether it can be invoked by those concerned within the national legal system.“ 274

C. Unionsrechte und unmittelbare Wirkung

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rung sorgte insbesondere die vom Gerichtshof im Fall Becker277 verwendete zweiteilige Formulierung, dass sich Einzelne auf Richtlinienbestimmungen „gegenüber allen innerstaatlichen, nicht richtlinienkonformen Vorschriften berufen“ können und sich „auf diese Bestimmungen auch berufen [können], soweit diese Rechte festlegen, die dem Staat gegenüber geltend gemacht werden können.“ Aus dem zweiten Teil der Formulierung wurde vielfach der Schluss gezogen, dass eine Richtlinienbestimmung nur dann unmittelbare Wirkung entfalten könne, wenn sie ein individuelles Recht Einzelner begründet.278 Vom Boden der deutschen Schutznormtheorie aus betrachtet ist eine solche Sichtweise verständlich. Im Unterschied zu anderen Rechtsordnungen, wie etwa der französischen, kennt das deutsche Verwaltungsrecht keine objektive Rechtskontrolle;279 der Einzelne kann sich nach herkömmlichem Verständnis nur dann auf eine Norm berufen, wenn er in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist. Der Gerichtshof hat indessen weder in der Becker-Entscheidung noch in seiner nachfolgenden Judikatur das Bestehen subjektiver Rechte gefordert, um die unmittelbare Wirkung zu begründen. Eine Reihe von Entscheidungen macht vielmehr deutlich, dass die unmittelbare Wirkung nicht notwendigerweise eine den Bürger berechtigende Zielrichtung der Norm voraussetzt.280 Im Fall Großkrotzenburg281 hatte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland angestrengt und dabei geltend gemacht, dass deutsche Behörden zur Berücksichtigung der UVP-RL 85/337 verpflichtet seien. Die deutsche Regierung hatte demgegenüber eingewandt, eine solche Verpflichtung bestehe schon deshalb nicht, weil die betreffenden Normen keine Rechte der Einzelnen begründeten.282 GA Elmer widersprach in seinen Schlussanträgen dieser Auffassung und stimmte den Ausführungen der Kommission zu, dass die Möglichkeit des Einzelnen, sich auf unbedingte und hinreichend genaue Richtlinienvorschriften zu berufen, „nicht Voraussetzung für die Anerkennung der unmittelbaren Wirkung dieser Vorschriften, sondern lediglich eine Folge dieser Wirkung“ sei.283 Der Gerichtshof folgte (implizit) den Schlussanträgen und führte aus, dass die Möglichkeit des Einzelnen, sich gegenüber dem Staat unmittelbar auf unbedingte sowie hinreichend klare und genaue Vorschriften einer nicht umgesetzten Richtlinie zu berufen nichts damit zu tun habe, dass Deutschland die sich unmittelbar aus der Richtlinie ergebende Verpflichtung zur Prüfung der Umweltverträglichkeit des betreffenden Projekts nicht erfüllt habe.284 Auch in anderen Entscheidungen machte der Gerichtshof deutlich, dass die unmittelbare Wirkung zum Tragen kommen kann, wenn eine Vorschrift des Unionsrechts keine individuellen Rechtspositionen vermittelt. So urteilte der Gerichtshof etwa in Unilever Italia,285 dass sich Einzelne in einem privaten Rechtsstreit 277

  EuGH, Rs. 8/81 (Becker) Rn. 25.   Calliess, NVwZ 1996, 339, 341 f.; Furrer/Epiney, JZ 1995, 1025, 1027; Pernice, NVwZ 1990, 414, 424 ff.; weitere Nachweise bei Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 288 AEUV Rn. 66 ff. 279   Rechtsvergleichend, insbesondere mit Blick auf das französische Modell des recours pour excès de pouvoir, Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozeß, 1979; Classen, Europäisierung, 1996; Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 370 ff. 280   Ruffert, CMLR 1997, 312 ff., 321; ders., DVBl. 1998, 69, 70 f. 281   EuGH, Rs. C‑431/92 (Großkrotzenburg). 282   EuGH, Rs. C‑431/92 (Großkrotzenburg) Rn. 24. 283   GA Elmer, SchlA, Rs. C‑431/92 (Großkrotzenburg) Rn. 11. 284   EuGH, Rs. C‑431/92 (Großkrotzenburg) Rn. 26. 285   EuGH, Rs. C‑443/98 (Unilever Italia) Rn. 50 f. 278

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

darauf berufen können, dass technische Vorschriften des nationalen Rechts nicht gem. Art. 8 Informations-RL 83/189 der Kommission mitgeteilt worden sind, und begründete diese Ausnahme vom Verbot der horizontalen Direktwirkung mit dem Hinweis, dass die betreffende Richtlinie weder Rechte noch Pflichten für Einzelne begründe. Diese Zusammenhänge belegen, dass das Konzept der unmittelbaren Wirkung von der Geltendmachung individueller Rechte zu unterscheiden ist. Die unmittelbare Wirkung gestattet es dem Unionsbürger, sich auch auf solche Normen des Unionsrechts berufen zu können, die für sich genommen keine Rechte zugunsten des Einzelnen begründen oder eine Rechtsverleihung bezwecken. Aus diesem Grunde kann sich, um ein von Sacha Prechal gebildetes Beispiel aufzugreifen,286 nicht nur der unmittelbar diskriminierte Arbeitnehmer gegenüber dem Staat auf eine nicht umgesetzte Antidiskriminierungsrichtlinie berufen, sondern auch der Arbeitgeber, um sich in einem Strafverfahren gegen den Vorwurf zu verteidigen, er habe gegen ein nationales diskriminierendes Nachtarbeitsverbot für Frauen verstoßen.287 Die Möglichkeit des Unionsbürgers, sich auf hinreichend genaue und unbedingte Vorschriften zu berufen, ist daher, wie mittlerweile auch das BVerwG288 und mit ihm ein Großteil des Schrifttums289 anerkennt, nicht Voraussetzung, sondern lediglich Folge der unmittelbaren Wirkung. Insoweit kann davon gesprochen werden, dass die unmittelbare Wirkung dem Einzelnen ein prozessuales Recht verleiht, in einem laufenden Verfahren Bestimmungen des Unionsrechts geltend zu machen (Evokationsrecht; invocabilité).290 2. Offensive Durchsetzung des Unionsrechts Der Rechtsprechung des EuGH lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob die unmittelbare Wirkung neben dem Evokationsrecht weitergehende Rechtsbehelfe auslöst: Kann sich der Einzelne aufgrund der unmittelbaren Wirkung nicht nur in einem laufenden Verfahren defensiv auf das Unionsrecht berufen, sondern die betreffenden Vorschriften zugleich offensiv durchsetzen, um Abwehr‑, Beseitigungs‑, Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche geltend zu machen? Beinhaltet die unmittelbare Wirkung also nicht nur das Recht auf (vorrangige) Anwendung der Unionsnorm in einem laufenden Verfahren, sondern gegebenenfalls auch das Recht auf ein Verfahren?291

286

  Prechal, Directives in EC Law, 2. Aufl., 2005, S. 99 f.   EuGH, Rs. C‑345/89 (Stoeckel). 288   BVerwGE 100, 238, 242 = NVwZ 1996, 788, 789. 289   v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 512 f.; v. Gerven, CMLR 2000, 501, 507; Rengeling/Middeke/Gellermann/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, 2. Aufl., 2003, § 33 Rn. 30; Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 54 ff.; Jarass/Beljin, JZ 2003, 768, 771; Klein, Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung von europäischem Gemeinschaftsrecht, 1988, S. 20 f.; Prechal, CMLR 2000, 1047, 1056; Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 288 AEUV Rn. 68. 290   Davon zu unterscheiden ist eine etwaige Verpflichtung der nationalen Gerichte, das Unionsrecht von Amts wegen anzuwenden; ausführlich infra, § 5 A.I.3.b. 291   So die prägnante Formulierung von Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 91. 287

C. Unionsrechte und unmittelbare Wirkung

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a) Allgemeiner Normenvollzugsanspruch? Nach Auffassung von Thomas v. Danwitz292 folgt aus der unmittelbaren Wirkung ein allgemeiner Normenvollzugsanspruch gegenüber dem Mitgliedstaat. Die Zugehörigkeit der Anspruchsteller zum Kreis der normativ Begünstigten, der Inhalt gemeinschaftsrechtlich gewährter Ansprüche und die Passivlegitimation der Mitgliedstaaten fungieren ihm zufolge zwar als allgemeine Voraussetzungen für die Zuerkennung von Ansprüchen, die ihre Grundlage im Gemeinschaftsrecht finden.293 Sie stellen jedoch, so von Danwitz, keine materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Unterscheidung objektiven Rechts von subjektiv-öffentlichen Gemeinschaftsrechten dar und bilden auch keine qualifizierenden Bedingungen für die gerichtliche Einklagbarkeit objektiven EG‑Rechts. Die Einklagbarkeit gemeinschaftsrechtlicher Normen diene im Konzept der unmittelbaren Wirkung als unumgängliche Voraussetzung, damit Richtlinienbestimmungen von den staatlichen Gerichten als ein gültiger Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung berücksichtigt werden könnten.294 Der invocabilité von Richtlinienbestimmungen komme eine ausschließlich prozessuale Aufgabe zu, die darin bestehe, als Transmissionsriemen für eine möglichst effektive Durchsetzung von objektivem Gemeinschaftsrecht zu sorgen. Der Einklagbarkeit werde eine primär dienende Funktion zur praktischen Einlösung objektiven EG‑Rechts zugewiesen und der Unionsbürger zugleich als „procureur du droit“ instrumentalisiert. Diese Vorstellung entstamme letztlich dem objektiv-rechtlich ausgestalteten recour pour excès de pouvoir im französischen Verwaltungsrecht. Das Integrationsprinzip werde zur eigentlichen Maxime für das Bestehen von Klagerechten der Unionsbürger.295 Das Rechtsinstitut der Einklagbarkeit begründe damit für das deutsche Verwaltungsrecht die Verpflichtung, die europarechtlich begründete invocabilité objektiver Normen den subjektiv-öffentlichen Rechten im deutschen Verwaltungsrecht auch materiell gleichzustellen.296 Über diesen Umweg erstarke der rein prozessuale Ansatz der invocabilité zu einer materiellen Rechtsposition, die den subjektiv-öffentlichen Rechten im deutschen Verwaltungsrecht funktional gleichwertig sei. b) Allgemeiner Schutz reiner Vermögensinteressen? In ähnlicher Weise postuliert Gerhard Wagner für das Zivilrecht eine allgemeine Schadensersatzklage zugunsten der durch einen Unionsrechtsverstoß faktisch Betroffenen. Soweit eine Norm unmittelbar gelte – sei es kraft Primärrechts, sei es aufgrund europäischen Verordnungsrechts, sei es aufgrund nationalen Rechts, das die Vorgaben einer Richtlinie transformiert – halte der EuGH privatrechtliche Schadensersatzansprüche bei Zuwiderhandlungen nicht nur für möglich, sondern im Interesse einer effektiven Durchsetzung des Unionsrechts sogar für geboten.297 Der Individualschutzzweck der verletzten Norm spiele dabei bislang überhaupt keine Rolle. Die 292   v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 231 ff.; ders., DÖV 1996, 481, 483 f., 488 f. Ähnliche Ansätze finden sich bei Masing, Mobilisierung, 1997, S. 19 ff., 47; Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996, S. 52, 55; Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, 924, 934; Klein, Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung von europäischem Gemeinschaftsrecht, 1988, S. 20. 293   v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 232. 294   v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 236. 295   v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 241. 296   v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 245. 297  MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 BGB Rn. 391.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Haftung hänge nicht davon ab, dass die verletzte Verhaltensnorm dem Schutz der Ersatz begehrenden Partei zu dienen bestimmt war, vielmehr sei jeder „Betroffene“ aktivlegitimiert, was letztlich immer der Fall sei, wenn der Rechtsverstoß einen Vermögensschaden verursacht habe, um dessen Ersatz gestritten werde.298 c) Stellungnahme Beiden Ansichten ist entgegenzuhalten, dass eine solche Sichtweise in unzulässiger Weise das Konzept der unmittelbaren Wirkung mit der Frage nach den subjektiven Rechten vermengt. Zwar ist die unmittelbare Wirkung grundsätzlich geeignet, den in einer Unionsnorm angelegten Rechten des Einzelnen zur Durchsetzung zu verhelfen.299 Die Möglichkeit einzelner Bürger, Bestimmungen des Unionsrechts offensiv durchzusetzen, ist indessen nur eine mögliche, nicht aber eine zwangsläufige Folge der unmittelbaren Wirkung. Dies wird bereits in jenen Fällen deutlich, in denen der Gerichtshof die unmittelbare Wirkung der in Frage stehenden Normen anerkennt, gleichzeitig aber hervorhebt, dass die Vorschrift keine (weitergehenden) subjektiven Rechte verleiht.300 Der Gerichthof betont inzwischen selbst, dass die unmittelbare Verpflichtung staatlicher Stellen von der Frage zu trennen ist, ob eine Unionsbestimmung ein subjektives Recht verleiht.301 Die unmittelbare Wirkung einer Norm ist ein objektives Phänomen, bei dem sich auf einer zweiten Stufe die Frage nach dem subjektiven Recht anschließen kann, aber nicht muss. Auch im Unionsrecht finden sich Normen, die der Einzelne nicht (offensiv) einklagen kann,302 und solche, die ihm (durchsetzbare) Rechte verleihen. Die Grenzlinie zwischen subjektivem und objektivem Recht ist im Unionsrecht allerdings schwer zu ziehen. Da nach der van Gend & Loos-Rechtsprechung Rechte des Einzelnen auch indirekt entstehen können, also aufgrund eindeutiger Verpflichtungen, die das Unionsrecht den Mitgliedstaaten oder Einzelnen auferlegt, und der Gerichtshof die vom Unionsrecht verliehenen Rechte als ein Instrument begreift, mit dessen Hilfe die Durchsetzungskraft des Unionsrechts gestärkt werden soll, verfährt das Unionsrecht bei der Zuerkennung von Ansprüchen und Klagerechten tendenziell großzügiger als dies in vielen Rechtsordnungen der Fall ist. Ein allgemeiner Normenvollzugsanspruch ist damit jedoch nicht verbunden.303 298   G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 416. Ähnlich Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 281 ff.; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 208. 299   Vgl. zu Verordnungen etwa EuGH, Rs. 43/71 (Politi) Rn. 9. Auch das Muñoz-Urteil kann in diesem Sinne verstanden werden; EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). In der betreffenden Passage (Rn. 27) führt der Gerichtshof nämlich nur aus, dass die Verordnung ihrer Rechtsnatur nach Rechte der Einzelnen begründen kann. 300   Vgl. EuGH, Rs. C‑443/98 (Unilever Italia) Rn. 50 f. 301   Vgl. EuGH, Rs. C‑431/92 (Großkrotzenburg) Rn. 26. 302   Vgl. nur EuGH, Rs. 380/87 (Enichem Base); Rs. C‑222/02 (Paul); Rs. C‑379/04 (Dahms). 303   Im Ergebnis auch BVerwGE 128, 358, 367 = NVwZ 2007, 1074, 1076: „Wenn eine Richtlinie nicht unmittelbar wirkt, kann sich der Einzelne schon aus diesem Grund nicht auf sie berufen; hat die Richtlinie unmittelbare Wirkung, folgt daraus nicht, dass jeder Einzelne die Gerichte anrufen kann, wenn die Richtlinie nicht beachtet wurde (. . .). Einen allgemeinen Anspruch auf Vollziehung unmittelbar wirkender Richtlinien oder eine Popularklagebefugnis kennt das Gemeinschaftsrecht nicht (. . .).“ Aus dem Schrifttum Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 405; Rengeling/Middeke/Gellermann/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, 2. Aufl., 2003, § 36 Rn. 17; Nettesheim, AöR 132 (2007), 333, 384 f.; Reiling, Zu individuellen Rechten, 2004, S. 327 ff.; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 163 ff.

C. Unionsrechte und unmittelbare Wirkung

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Wenn der EuGH im Umweltrecht den „Betroffenen“ die Möglichkeit gibt, die Vorgaben einer Richtlinie einzuklagen, die der Reinhaltung der Luft und dem Schutz von Trinkwasser, Grundwasser, Süßwasser sowie Muschelgewässer dient,304 und im Kartellrecht die Verpflichtung statuiert, dass „jedermann“ Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch einen Verstoß gegen das Kartellverbot entstanden ist,305 so ist eine solche Sichtweise zwar aus deutscher Perspektive weder im Verwaltungsrecht (§ 42 Abs. 2 VwGO) noch im Zivilrecht (§ 823 Abs. 2 BGB) mit der traditionellen Schutznormtheorie vereinbar. Dennoch handelt es sich aus der Perspektive des Unionsrechts um eigene Rechte der Betroffenen und um schützenswerte Individualinteressen. Dem EuGH genügt es zur Herleitung ungeschriebener Unionsrechte keinesfalls, wenn der Einzelne aus ideellen oder altruistischen Motiven das Ziel verfolgt, der allgemeinen Rechtmäßigkeit oder jedenfalls Rechten Dritter zur Geltung verhelfen zu wollen. Der Verstoß gegen eine Unionsnorm reicht für sich genommen nicht aus, um den faktisch Betroffenen subjektive Rechte zu vermitteln. Vielmehr müssen weitere (im Einzelnen noch näher zu bestimmende) Faktoren hinzukommen, damit eine Unionsnorm von den Betroffenen offensiv in Anspruch genommen werden kann.306 3. Unmittelbare Wirkung und Richtlinienumsetzung: Zwei Kategorien der Rechtsbegründung? Eine vermittelnde Theorie (für das öffentliche Recht) hat Matthias Ruffert vorgestellt. Nach Ruffert soll es im Unionsrecht zwei Kategorien subjektiver Rechte geben.307 Einerseits subjektive Rechte, die aus der unmittelbaren Wirkung von Primär- oder Sekundärrecht folgen, und andererseits solche, die ihren Ursprung im Richtlinienrecht haben, jedoch zur Entstehung gebracht werden müssen. Nur im zweiten Fall spiele der individualschützende Gehalt der Richtlinienvorschrift eine gewisse Rolle. Eine Richtlinienvorschrift müsse im nationalen Umsetzungsrecht nur dann Rechte Einzelner hervorbringen, wenn diese Einzelnen von dem nach objektiven Kriterien zu ermittelnden Regelungszweck der Vorschrift erfasst und andererseits tatsächlich und individualisiert betroffen seien, wobei die Anforderungen an die normative Schutzintention und faktische Betroffenheit im Unionsrecht abgesenkt seien. Im ersten Fall, also bei der Rechtsbegründung qua unmittelbarer Wirkung, komme es dagegen für die materielle Berechtigung überhaupt nicht darauf an, ob die betreffende Norm dem Einzelnen subjektive Rechte verleihe. Aus der unmittelbaren Wirkung soll dennoch kein allgemeiner Normenvollzugsanspruch resultieren. Für die prozessuale Durchsetzung von Rechten, die aus der unmittelbaren Wirkung folgen, bedürfe es nämlich, so Ruffert, eines unmittelbaren Interesses, zu dessen Ausfüllung letztlich Kriterien maßgeblich seien, wie sie im Kontext der Richtlinienumsetzung formuliert wurden.308 Die von Ruffert favorisierte Unterscheidung führt zu der (von ihm selbst so bezeichneten)309 merkwürdigen Konsequenz, dass ein in der Richtlinie angelegtes individuelles Recht vor seiner Umsetzung weiter reicht, als dies nach Umsetzung 304

  Zusammenfassend EuGH, Rs. C‑237/07 (Janeczek) Rn. 39.   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26 f.   Infra, § 3 E. 307   Ruffert, Subjektive Rechte, 1996, S. 163, 175 ff., 186; ders., DVBl. 1998, 69, 71 – 73. 308   Ruffert, Subjektive Rechte, 1996, S. 176 ff.; ders., DVBl. 1998, 69, 73 f. 309   Ruffert, DVBl. 1998, 69, 72 f. 305 306

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

der Fall ist. Ein solcher Ansatz lässt sich nicht mit dem Grundsatz vereinbaren, dass Richtlinien auch nach erfolgter Umsetzung in den Mitgliedstaaten einen fortdauernden Wirkungsanspruch entfalten.310 Die Verpflichtung, das nationale Recht an die Vorgaben der Richtlinie anzupassen, erschöpft sich nicht in dem legislativen Umsetzungsakt, sondern ist eine fortwährende Verpflichtung, die den Gesetzgeber auch in Zukunft bindet. Die einzelstaatlichen Gerichte haben das nationale Umsetzungsrecht im Lichte der Richtlinie auszulegen. Der Kreis derjenigen Personen, die ihre Rechte aufgrund der unmittelbaren Wirkung einklagen können, muss daher mit denjenigen Personen, die im nationalen Recht bei ordnungsgemäßer Umsetzung zu berechtigen sind, identisch sein. Letztlich wird dies auch von Ruffert so gesehen. Zwar soll die Rechtsentstehung (unmittelbare Wirkung) keine subjektiven Rechte voraussetzen; für die Rechtsdurchsetzung und die Klagebefugnis soll es demgegenüber auf unionsrechtlich zu definierende subjektive Rechtspositionen ankommen.311 Gegen die Auffassung Rufferts sprechen daher nicht zuletzt konstruktive Bedenken. Warum soll dem Einzelnen bei unmittelbarer Wirkung materiell-rechtlich zunächst ein allgemeiner Vollzugsanspruch zugestanden werden, der ihm anschließend durch prozessuale Beschränkungen wieder genommen wird? Für die Zuschreibung isoliert materiell-subjektiver Positionen besteht, wie im Schrifttum zutreffend hervorgehoben wird,312 kein Bedarf. Eine solche Sichtweise widerspricht auch dem Grundsatz, dass die im Unionsrecht verankerte Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, Art. 47 Abs. 1 GRC) einen an die Mitgliedstaaten gerichteten Auftrag enthält, die im Unionsrecht verankerten Rechte zu schützen und die zur Durchsetzung erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen. Zwischen Recht und Rechtsschutz muss eine Parallelität bestehen. Die Einklagbarkeit individueller Rechte ist Folge individueller Rechte, die dem Einzelnen durch das Unionsrecht verliehen werden.

IV. Ergebnis Die vorangegangenen Überlegungen legen es nahe, zwischen unmittelbar wirkenden Unionsbestimmungen in ihrer Funktion als Abwehrrechte einerseits und Anspruchsgrundlagen bzw. Klagerechten andererseits zu differenzieren. Während der Einzelne in reinen Abwehrsituationen das Recht hat, sich in einem laufenden Verfahren auf sämtliche unmittelbar wirkenden Vorschriften des Unionsrechts zu berufen, ohne dass ein subjektives Recht erforderlich ist, können unmittelbar wirkende Unionsbestimmungen nur dann offensiv in Anspruch genommen werden, wenn sich die betreffende Vorschrift nicht nur für den Bürger begünstigend auswirkt, sondern darüber hinaus ein subjektives Recht im weitesten Sinne verleiht. Ähnliche Unterscheidungen werden auch im Schrifttum313 sowie von einigen Generalanwälten vorgenommen. So berief sich GA Elmer etwa im Fall Kraaijeveld314 in seinen Schlussanträgen auf das Urteil Becker und unterschied zwei Fol310   Wie hier Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 139; Reiling, Zu individuellen Rechten, 2004, S. 329. 311  Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 288 AEUV Rn. 75. 312   Nettesheim, Die mitgliedstaatliche Durchführung von EG‑Richtlinien, 1999, S. 95 (in Fn. 231). 313   Jarass, NJW 1990, 2420, 2422 f.; ders., NJW 1991, 2665, 2667; Classen, VerwArch 88 (1997), 645, 654. 314   GA Elmer, SchlA, Rs. C‑72/95 (Kraaijeveld) Rn. 68.

D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten

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gen der unmittelbaren Wirkung, nämlich zum einen die Möglichkeit des Einzelnen, sich auf Richtlinienbestimmungen zu berufen, um sich „gegen die Anwendung mit ihnen unvereinbarer nationaler Vorschriften zu wehren“, und zum anderen, „um sich die aus ihnen ableitbaren Rechte zu sichern“. GA Kokott hat sich dieser Auffassung im Fall Herzmuschelfischerei315 angeschlossen. Aus der unmittelbaren Wirkung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts folge nicht zwangsläufig, so die Generalanwältin, dass jeder Einzelne die Gerichte anrufen könne, wenn diese Bestimmung nicht beachtet wurde. Der Gerichtshof unterscheide vielmehr zwischen der Dimension unmittelbar anwendbarer Bestimmungen als Abwehrrechte und ihrer Dimension als Anspruchsgrundlagen. Während Abwehrrechte gegenüber jeder entgegenstehenden mitgliedstaatlichen Vorschrift ins Feld geführt werden könnten, müssten Ansprüche in der jeweiligen Bestimmung angelegt sein. Diesen Ausführungen ist vollumfänglich zuzustimmen.

D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten I. Mobilisierung des Einzelnen zur Durchsetzung des Unionsrechts Im Unionsrecht lassen sich mit Blick auf die Gründe für die Einräumung von Unionsrechten zwei Ansätze voneinander unterscheiden. Einerseits dienen die Unionsrechte dem Schutz des Einzelnen. Sie sind insoweit Ausdruck, dass das Unionsrecht eine „eigene Rechtsordnung“ geschaffen hat, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind.316 Unionsrechte dienen andererseits der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten: Die von der Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte sollen zugleich dazu beitragen, dass das Unionsrecht in den Mitgliedstaaten beachtet und durchgesetzt wird. 1. Ineffizienz der zentralen Durchsetzung des Unionsrechts Die private, dezentrale Durchsetzung des Unionsrechts vor den nationalen Gerichten soll vor allem die Vollzugsdefizite kompensieren, die aus der Ineffizienz der zentralen Rechtsdurchsetzung resultieren. Zwar wird der Kommission mit dem Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV) die Rolle zugewiesen, als „Hüterin des Vertrags“317 die ihr bekannt gewordenen Verstöße gegen das Unionsrecht zu verfolgen.318 Die zentrale Rechtsdurchsetzung erweist sich jedoch aus mehreren Gründen als ineffizient. Die Kommission kann angesichts begrenzter Ressourcen und der Größe des Unionsraums nicht jeden Verstoß verfolgen. Sie verfügt darüber hinaus mit Blick auf das 315   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑127/02 (Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging  – „Herzmuschelfischerei“) Rn.  138 – 142. 316   EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos); Rs. 6/64 (Costa/ENEL). 317   EuGH, verb. Rs. C‑20 & 28/01 (Kommission/Deutschland) Rn. 30 m. w. N. 318   Inwieweit die Kommission dieser Aufgabe tatsächlich nachkommt, lässt sich anhand statistischer Daten nicht ermitteln. Obwohl sich die Zahl der Mitgliedstaaten seit 2004 fast verdoppelt hat, hat sich die Anzahl der von der Kommission gegen Mitgliedstaaten eröffneten Vertragsverletzungsverfahren im Zeitraum 2004 – 2011 halbiert; auch die beim EuGH erhobenen Vertragsverletzungsklagen sind im gleichen Zeitraum zurückgegangen. Auf welchen Gründen dieser Rückgang beruht, kann den veröffentlichten Daten jedoch nicht entnommen werden; Editorial Comments: A rivival of the Commission’s role as guardian of the treaties?, CMLR 2012, 1553 ff.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Vertragsverletzungsverfahren über einen weiten Ermessensspielraum, der gerichtlich nicht kontrolliert werden kann. Unionsbürger können die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nur im Wege der Beschwerde anregen,319 nicht aber justiziell erzwingen.320 Pragmatische und politische Gründe führen häufig dazu, dass nicht jeder bekannt gewordene Verstoß von der Kommission verfolgt wird.321 Vertragsverletzungsverfahren enden häufig, wenn ein Mitgliedstaat die Umsetzung von Richtlinien nach Brüssel gemeldet hat; von Seiten der Kommission erfolgt dann zumeist keine Kontrolle mehr, ob die Umsetzungsvorschriften inhaltlich den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechen.322 Das Vertragsverletzungsverfahren ist zudem intransparent ausgestaltet.323 Unionsbürger und Europäisches Parlament haben keinen Zugang zum Schriftwechsel, der zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten geführt wird.324 Das Europäische Parlament hat die Kommission bislang vergeblich dazu aufgefordert, ein spezifisches Verfahren für den Zugang der Beschwerdeführer und die Mitglieder des Europäischen Parlaments zu den Unterlagen und zum Inhalt des Schriftwechsels mit dem Mitgliedstaat zu beschließen.325 Das Vertragsverletzungsverfahren ist ferner sehr zeitaufwändig.326 Selbst die durch den Maastricht-Vertrag eingeführte und durch den Lissabon erweiterte Möglichkeit der Kommission, die Zahlung eines Pauschalbetrages oder Zwangsgeldes gegen den säumigen Mitgliedstaat zu beantragen (Art. 260 Abs. 2 UAbs. 2, Abs. 3 AEUV), hat bislang nicht dazu geführt, dass Unionsrechtsverstöße zügig beseitigt werden.327 Eine erfolgreiche Vertragsverletzungsklage führt abgesehen hiervon nur zu einer Abstellung des Verstoßes für die Zukunft. Eine Folgenbeseitigungspflicht besteht demgegenüber in aller Regel nicht.328 Der Ersatz etwaiger Schäden kann nur vor den einzelstaatlichen Gerichten im Wege der Staatshaftungsklage geltend gemacht werden. 319  Ungefähr die Hälfte der von der Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren beruht auf Beschwerden von Bürgern, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und anderen Einrichtungen; vgl. den 28. Jahresbericht der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des EU‑Rechts (2010), KOM (2011) 588 endg., S. 3. 320   EuGH, Rs. 247/87 (Star Fruit) Rn. 11; Rs. C‑196/97 P (Intertronic) Rn. 12; Rs. C‑422/97 P (Sateba) Rn. 42; EuG, Rs. T‑126/95 (Dumez) Rn. 33 ff. 321   Zur selektiven Vorgehensweise der Kommission Rawlings, ELJ 2000, 4 ff.; Rösler, Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts, 2012, S. 59 f., 133 f. Vgl. auch die Ankündigung der Kommission, sich in der Wirtschaftskrise angesichts der knappen Ressourcen auf sog. Schlüsselbereiche mit dem größten Wachstumspotenzial zu konzentrieren; KOM (2012) 259 endg. 322   Hartlapp, Die Kontrolle der nationalen Rechtsdurchsetzung durch die Europäische Kommission, 2005, S. 232 f., zu fünf arbeitsrechtlichen Richtlinien der 1990er Jahre. 323   Vgl. die Kritik bei M. Smith, ELRev. 2008, 777 ff. 324   Nach st. Rspr. kann die Kommission den Zugang zu Dokumenten eines laufenden Vertragsverletzungsverfahrens verweigern; EuG, Rs. T‑309/97 (Bavarian Lager/Kommission); EuG, Rs. T‑191/99 (Petrie u. a./Kommission); Siehe auch EuGH, Rs. C‑28/08 P (Kommission/Bavarian Lager); sowie Harlow/Rawlings, ELRev. 2006, 447, 455 f. 325   Europäisches Parlament, Bericht über den 21. und 22. Jahresbericht der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (2003 und 2004), A6-0089/2006, Nr. 30. 326   Laut Angaben der Kommission aus dem Jahre 2008 betrug die Zeit durchschnittlich 50 Monate; vgl. SEC (2008) 2851, 4.1.1. Nach Angaben aus dem Jahr 2012 reicht die durchschnittliche Dauer anhängiger Vertragsverletzungsverfahren nunmehr von einem Jahr bis zu drei Jahren; IP/12/1080. 327   Chalmers/Davies/Monti, European Union Law, 2. Aufl., 2010, S. 345; Wennerås, CMLR 2012, 145 ff. Positiver dagegen die Einschätzung von Streinz, Europarecht, 10. Aufl., 2016, Rn. 638. 328   Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 2634.

D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten

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Schließlich machen auch die Mitgliedstaaten von der in Art. 259 AEUV eingeräumten Möglichkeit, gegen einen anderen Mitgliedstaat Vertragsverletzungsklage zu erheben, aus politischer Rücksichtsnahme bislang nur in sehr begrenztem Umfang Gebrauch.329 Im Ergebnis kann durch die zentrale Rechtsdurchsetzung daher nicht ausreichend gewährleistet werden, dass das Unionsrecht in den Mitgliedstaaten befolgt wird. 2. Funktionalisierung der subjektiv-öffentlichen Rechte a) Rechtsprechung des EuGH Der EuGH betonte vor diesem Hintergrund bereits in seiner van Gend & Loos-Entscheidung die Bedeutung des Rechtsschutzes des Einzelnen vor den mitgliedstaatlichen Gerichten: „Die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen stellt eine wirksame Kontrolle dar, welche die durch die Kommission und die Mitgliedstaaten gemäß den Artikeln 169 und 170 [jetzt Art. 258, 259 AEUV] ausgeübte Kontrolle ergänzt.“330

Die vom EuGH entwickelten Institute des Vorrangs, der unmittelbaren Wirkung und der richtlinienkonformen Auslegung zielen in ähnlicher Weise darauf ab, mit Hilfe des zur Anrufung der nationalen Gerichte ermächtigten Einzelnen sowie des Vorabentscheidungsverfahrens widerwillige mitgliedstaatliche Gesetzgeber und Verwaltungen „auf Kurs“ zu bringen, um so das Unionsrecht effektiver durchzusetzen. In seiner Grundsatzentscheidung van Duyn begründete der Gerichtshof die unmittelbar vertikal-begünstigende Wirkung von Richtlinien mit folgenden Worten: „Insbesondere in den Fällen, in denen etwa die Gemeinschaftsbehörden die Mitgliedstaaten durch Richtlinie zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, würde die nützliche Wirkung (‚effet utile‘) einer solchen Maßnahme abgeschwächt, wenn die Einzelnen sich vor Gericht hie­ rauf nicht berufen und die staatlichen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts berücksichtigen könnten.“331

Dass die Unionsrechte als Instrumente zur dezentralen Kontrolle der Anwendung des Unionsrechts eingesetzt werden, kommt auch in der Staatshaftungsrechtsprechung zum Ausdruck. Ausgangspunkt der in Francovich begründeten Haftung des Staates sind die Grundsätze des „effet utile“ und der Gemeinschaftstreue.332 GA Thesauro hat die hinter der Staatshaftungsrechtsprechung stehenden Motive in seinen Schlussanträgen zu Brasserie du Pêcheur wie folgt zusammengefasst: „Die Betrachtungsweise war somit eine solche der Mittel, die dazu bestimmt sind, durch die Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes, der den durch die gemeinschaftlichen Vorschriften begründeten Rechtspositionen gewährt wird, die Wirksamkeit dieser Vorschriften zu stärken, und die außerdem dazu dienen, die Vertragsverletzungen der Mitgliedstaaten nicht ohne, auch spürbare Folgen zu lassen. Genau zu diesen Zwecken wird also die Position des einzelnen 329   Bis zum Jahre 2012 sind nur vier Vertragsverletzungsverfahren auf der Grundlage von Art. 259 AEUV vom Gerichtshof entschieden worden; EuGH, Rs. 141/78 (Frankreich/Vereinigtes Königreich); Rs. C‑388/95 (Belgien/Spanien); Rs. C‑145/05 (Spanien/Vereinigtes Königreich); Rs. C‑364/10 (Ungarn/Slowakei). 330   EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos). 331   EuGH, Rs. 41/74 (van Duyn) Rn. 12. 332   EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 32 – 34 und Rn. 36.

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benutzt und zu ihrer rechten Bedeutung erhoben. Die vermögensmäßige Haftung des Staates gegenüber den einzelnen in Höhe des durch gesetzgeberische Untätigkeit verursachten Schadens ist vom Gerichtshof letzten Endes als ein Instrument geschaffen worden, das den Schutz der einzelnen und dadurch auch eine ordnungsgemäße Durchführung des Gemeinschaftsrechts gewährleisten soll“.333

Besonders deutlich tritt die am effet utile orientierte Konzeption der Unionsrechte darüber hinaus in jenen Entscheidungen hervor, in denen der Gerichtshof die klagerechtsbegründende Qualität zahlreicher Richtlinienvorschriften im Bereich des Antidiskriminierungs‑, Umwelt- und Vergaberechts hervorgehoben hat, obwohl die betreffenden Normen nach deutschem Verständnis gerade nicht als subjektive Rechte einzustufen waren.334 Für das öffentliche Recht wird daher bereits seit geraumer Zeit hervorgehoben, dass der Unionsbürger zur Durchsetzung des Unionsrechts mobilisiert335 bzw. instrumentalisiert336 wird. So meint etwa Masing, dass subjektive Rechte im Unionsrecht vorrangig dazu dienen, „Allgemeininteressen zur Durchsetzung zu verhelfen“. Individualbefugnisse stünden, so die These, „nach europarechtlichem Verständnis in erster Linie im Gemeinschaftsinteresse“.337 Das Unionsrecht ziele auf eine „Mobilisierung des Bürgers“, um die objektiven Regelungsanliegen mit dessen Hilfe „von unten“ gegen die Mitgliedstaaten durchzusetzen. In der Konsequenz dieses Ansatzes liegt es, dass subjektive Rechte des Unionsrechts als Instrumente angesehen werden, deren ausschließlicher oder vorrangiger Zweck es ist, den Vollzug des Unionsrechts integrationspolitisch zu fördern.338 Ruffert spricht ganz ähnlich von einer funktionalen Subjektivierung.339 Der Sanktionsgedanke trete an die Stelle der Individualbezogenheit des Rechtssatzes. Nach dem Unionsrecht könnten Rechte auch geschaffen werden, um das Interesse Einzelner am Schutz von Allgemeininteressen anzuerkennen und sie zu deren Durchsetzung zu ermächtigen. Im Unionsrecht sei eine deutliche tendenzielle Verschiebung in Richtung der Funktionalisierung von Klagen einzelner zur objektiven Rechtskontrolle zu verzeichnen. Die Gewährung von Rechten erfolge auch und vor allem um der effektiven Wirksamkeit des Unionsrechts willen. Wo die Individualberechtigung zu einer deutlichen Vollzugsverbesserung des Unionsrechts führen kann, sei über diesen Grundsatz die Auflockerung der Anforderungen an den normativ individualschützenden Gehalt einer Vorschrift wie an die tatsächliche Individualisierung der Betroffenheit im jeweils geschützten Interesse zu begründen.340 Infolge des unionsrechtlichen Strukturprinzips der funktionalen Subjektivierung seien die Anforderungen an den normativ individualschützenden Gehalt der jeweiligen Unionsnorm sowie an 333

  GA Tesauro, SchlA, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 17.  Hierzu supra, § 2 D.IV.4. 335   Masing, Mobilisierung, 1997, S. 51: „Dem Gemeinschaftsbürger wird prinzipiell die öffentliche Aufgabe zugeordnet, für einen effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts zu sorgen.“; Everling, NVwZ 1993, 209, 215 (Bürger wird für die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts „aktiviert“). 336   Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, 924, 934; Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996, S. 52; v. Danwitz, DÖV 1996, 481, 484; Hölscheidt, EuR 2001, 376, 384; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 389 ff. 337   Masing, Mobilisierung, 1997, S. 176. 338   Masing, Mobilisierung, 1997, S. 178. 339   Ruffert, Subjektive Rechte, 1996, S. 220 ff.; ders., DVBl. 1998, 69, 71. 340   Ruffert, Subjektive Rechte, 1996, S. 223. 334

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die personelle und räumliche Individualisierung betroffener Interessen erheblich zu lockern, um so durch ein Element der objektiven Rechtskontrolle den Abbau von Vollzugsdefiziten im Unionsrecht zu fördern.341 b) Demokratietheoretische Einwände gegen das Konzept der Funktionalisierung Die vom Gerichtshof zugrunde gelegte Konzeption der Unionsrechte ist vor allem im deutschen Schrifttum auf scharfe Kritik gestoßen. Aus demokratietheoretischer Sicht wird vorgetragen, dass der Einzelne durch das Unionsrecht auf eine bloße Zubringerfunktion reduziert werde. Die deutsche Schutznormtheorie beruhe auf „guten demokratisch-funktionalen“ Gründen.342 Sie sei Ausdruck über das Verhältnis von Gerichtsbarkeit und politischem Prozess im Verfassungsstaat. Subjektive Rechte dürften nur dort bestehen, wo es um isolierte Individualinteressen gehe. Demgegenüber herrsche in jenem Bereich, in dem eine Parallelität derartiger Interessen bestehe oder lediglich öffentliche Interessen gefördert werden, objektives Recht. Dem (deutschen) Verständnis subjektiver Rechte liege eine Konzeption der Stellung Einzelner im politischen Gemeinwesen zugrunde, demzufolge diese sich zwar als Hüter und Wahrer ihrer Interessen begreifen könnten. Die Förderung und der Schutz öffentlicher Güter liege jedoch jenseits ihrer rechtlichen Kompetenzen; gleiches gelte für die Beeinträchtigung eigener Rechtsgüter, wenn sie alle gleichermaßen treffe. Dem Bürger sei es daher verwehrt, sich im Prozess der Rechtsanwendung zum Sachwalter von Allgemeininteressen zu machen. Er müsse auf den allgemeinen demokratischen Prozess der parlamentarischen Steuerung und Kontrolle verwiesen werden. Was alle betreffe, müsse auch von allen entschieden werden.343 In einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bedarf es indessen grundsätzlich keiner besonderen Legitimation, wenn dem positiven Recht zu effektiver Durchsetzung verholfen werden soll.344 Das demokratisch gesetzte Recht repräsentiert gerade eine Entscheidung „durch alle“. Die gerichtliche Verwaltungskontrolle ist „verlängerter Arm der Gesetzgebung“, sie unterwirft die Verwaltung dem im Gesetz formulierten Volkswillen.345 Die dem deutschen Verwaltungsprozess zugrunde liegende Konzeption des Individualrechtsschutzes widerspricht dagegen dem weithin geteilten Ideal vom mündigen Staatsbürger. Sie setzt dem demokratischen Recht auf Gemeinwohlengagement enge Grenzen, da sie ihn auf die Wahrung nur seiner privaten Interessen reduziert. Im demokratischen Verfassungsstaat ist der Bürger jedoch geradezu aufgerufen, Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen. Das Recht, sich für die Entwicklung des Gemeinwesens zu interessieren und objektives Recht durchsetzen zu können, darf nach dem dem Demokratieprinzip innewohnenden Postulat der Gleichheit aller Staatsbürger gerade nicht durch staatliche Maßnahmen mono- oder oligopolisiert werden.346 341

  Ruffert, Subjektive Rechte, 1996, S. 224.   Nettesheim, AöR 132 (2007), 333, 356. Zu den (angeblichen) Gefahren der funktionalen Subjektivierung für die „nationale Demokratie“ vgl. auch Halfmann, VerwArch 2000, 74, 91 ff. 343   Nettesheim, AöR 132 (2007), 333, 356. Ähnlich Gärditz, in: 71. DJT, Bd. 1, 2016, D 34 ff. (Allgemeinheit, in deren Namen entindividualisierte Klagerechte geltend gemacht werden, ist im Gerichtsverfahren jedenfalls auf Klägerseite nicht repräsentiert; Akteure der Zivilgesellschaft repräsentieren keine demokratische Allgemeinheit). 344   Hong, JZ 2012, 380, 385. 345  Vgl. Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie, 1992, S. 304. 346   Wegener, HFR 2000, Beitrag 3, S. 4. 342

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Die Einflüsse des Unionsrechts sollten daher nicht als Gefahr, sondern als Chance für die nationale und europäische Demokratie begriffen werden.347 Indem das Unionsrecht den Unionsbürgern wirtschaftliche, politische und teils auch soziale Rechte gegenüber der Union und gegenüber den Mitgliedstaaten gewährt, und diese nicht nur als Abwehr‑, sondern zugleich als Teilhaberechte versteht, besteht die Möglichkeit, den Bürger über die Eröffnung erweiterter Klagebefugnisse in die Wahrung öffentlicher Belange stärker einzubinden, als dies bislang der Fall ist. Zwar können die demokratischen Defizite, die der Europäischen Union auch nach Inkrafttreten des LissabonVertrags bescheinigt werden,348 durch einen erweiterten Gerichtszugang nicht kompensiert werden. Weder die Verleihung subjektiver Rechte, die über die Verteidigung individueller Interessen hinausgehen, noch Verbandsklagen eröffnen Möglichkeiten zur eigenständigen politischen Gestaltung.349 Aber sie können einen Anstoß für die Überprüfung von Verwaltungshandeln durch eine unabhängige Instanz geben, deren Maßstab das geltende Recht ist. Solche Klagen aktivieren mit den Verwaltungsgerichten einen zusätzlichen Kontrollakteur und sorgen dafür, dass die vom Europäischen Parlament und Rat verabschiedeten Gesetze nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Individuelles oder verbandlich organisiertes Bürgerengagement steht demzufolge nicht in Konkurrenz zur demokratischen Legitimationskette; sie eröffnen gerade die Möglichkeit, die Klagemöglichkeiten für die Integrität und Funktionsfähigkeit dieser Legitimationskette zu aktivieren.350 c) Überlastung der Gerichte? Gegen das Konzept der funktionalen Subjektivierung wird des Weiteren eingewendet, dass eine erweiterte Zuerkennung individueller und überindividueller Klagebefugnisse zu einer Prozessflut und einer Überlastung der Gerichtsbarkeit führt. Bislang erscheint diese Befürchtung jedoch unbegründet. Empirische Studien und rechtsvergleichende Untersuchungen zeigen, dass es bislang weder in Deutschland,351 noch in Ländern wie Frankreich,352 dessen Rechtssystem besonders großzügig allgemein347   Im Ergebnis auch Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 416 („[D]emokratische Legitimation kann nicht nur über Rückkopplungen zum ‚Volk‘ stattfinden, sondern auch über die Einräumung von (Teilhabe‑)Rechten“); Franzius, NuR 2009, 384, 386 (Instrumentalisierung ermöglicht eine Demokratisierung des Gesamtsystems); Groß, Die Verwaltung 43 (2010), 349, 371 („Effektivierung demokratischer Herrschaft“); Hatje, EuR 1998, 734; Hong, JZ 2012, 380, 385; Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 278 ff. Zur demokratischen Funktion von Verbandsklagen auch Calliess, NJW 2003, 97, 101 f.; Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2009, S. 521 f. 348   Vgl. nur BVerfG, NJW 2009, 2267, 2277 ff. (Lissabon) Rn. 276 – 289. Zur Diskussion vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags statt Vieler Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246 ff. m. w. N. 349   Groß, Die Verwaltung 43 (2010), 349, 371. 350   Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 279. 351   Vgl. nur Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski, Verbandsklage, 2011. Die Studie gelangt zu dem Ergebnis, dass Verbandsklagen im Natur- und Umweltschutzrecht trotz des Ende 2006 durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz erheblich erweiterten Anwendungsbereichs nicht zugenommen haben (a. a. O., S. 9 ff.). Die hohe Erfolgsquote der Verbandsklagen spreche dafür, dass Umweltverbände ihre Klagerechte mit Bedacht nutzen (a. a. O., S. 13 ff.). Da Verbandsklagen an den verwaltungsgerichtlichen Klagen nur einen Anteil von etwa 0,03 % haben, sei auch nicht zu erwarten, dass es zu einer Überlastung der Gerichte komme (a. a. O., S. 11, in Fn. 25). Siehe auch GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑115/09 (Trianel) Rn. 79 f.; Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2009, S. 497 f. m. w. N.; Groß, Die Verwaltung 43 (2010), 349, 372; Fischer-Hüftle, NuR 2011, 237. 352  Hierzu Woehrling, NVwZ 1999, 502, 504 f. Ferner de Sadeleer/Roller/Dross, Access to Justice in Environmental Matters and the Role of NGO’s, 2005, die rechtsvergleichend für 8 Mitgliedstaaten­

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wohlbezogene Klagebefugnisse gewährt, zu einer Klagewelle gekommen ist. Hiervon abgesehen ist darauf hinzuweisen, dass unionsrechtlich gerade kein Zwang besteht, einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch bzw. eine actio popularis einzuführen.353 Der Gerichtshof hat es dementsprechend selbst im Zusammenhang mit der UVP-RL akzeptiert, dass Umweltverbandsklagen einschränkenden Voraussetzungen unterliegen, die einer actio popularis entgegenwirken.354 d) Berechtigte Interessen Dritter Der funktionalen Subjektivierung müssen auf der anderen Seite auch Grenzen gesetzt werden. Die Aktivierung des Bürgers für Allgemeininteressen darf nicht zu einer schrankenlosen Kontrolle der Bürger untereinander führen. Selbst die Befürworter der funktionalen Subjektivierung wenden sich mit guten Gründen dagegen, dass beispielsweise eine Drittklageberechtigung gegen aufenthalts- oder sozialhilferechtliche Rechtspositionen eingeführt355 oder die (aus verfassungsrechtlichen Gründen) eng begrenzten Möglichkeiten zur strafprozessualen Klageerzwingung erweitert werden.356 Vom Grundsatz lässt sich daher sagen: „Die funktionale Subjektivierung soll die ‚vernünftig handelnden‘ Einzelnen als Anwältinnen und Anwälte des Gemeinwohls mobilisieren, nicht Querulanten oder gar Denunzianten.“357 Ebenso ernst zu nehmen ist der Einwand, dass ein erweiterter Gerichtszugang berechtigte Interessen Dritter beeinträchtigen kann. In diesem Zusammenhang wird dem EuGH insbesondere vorgeworfen, dass seine Rechtsprechung zu den Unionsrechten zu einer strukturellen und inhaltlichen Eindimensionalität führe.358 Das Unionsrecht sei strukturell eindimensional ausgelegt, weil es von der Durchsetzung der durch das Unionsrecht zu schützenden Interessen dominiert werde. Da subjektive Rechte des Einzelnen nicht nur um ihrer selbst willen geschützt, sondern zur Durchsetzung des Ziele des Unionsrechts instrumentalisiert werden, orientiere sich der EuGH einseitig an der Effektivität des Unionsrechts, ohne die Interessen anderer Betroffener angemessen zu berücksichtigen. Dies führe zu einer Präponderanz der vom Unionsrecht geschützten Interessen. Diese strukturelle Asymmetrie werde inhaltlich durch den Umstand verstärkt, dass das Unionsrecht eine primär ökonomische, auf den Binnenmarkt bezogene Zwecksetzung aufweise. Beide Einwände treffen heutzutage nicht mehr in dieser Prägnanz zu. Sie beruhen auf der nicht mehr zutreffenden Prämisse, dass der Gerichtshof dem Grundsatz der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts gegenüber den Rechten Einzelner stets den Vorrang einräumt (hierzu sogleich, infra, § 3 D.II.).

(Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Portugal und Vereinigtes Königreich) ebenfalls zu dem Ergebnis gelangen, dass überindividuelle Klagerechte in der Vergangenheit nicht zu einer Überlastung der Gerichte geführt haben. 353  Siehe infra, § 3 E.V.3.d.aa. 354   EuGH, Rs. C‑263/08 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening) Rn. 46 ff. 355   Masing, Mobilisierung, 1997, S. 233. 356   Hong, JZ 2012, 380, 385. 357   Hong, JZ 2012, 380, 385. 358   Schoch, JZ 1995, 109, 117.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

3. Funktionalisierung der subjektiv-privaten Rechte a) Rechtsprechung des EuGH Mittlerweile werden nicht nur die subjektiv-öffentlichen Rechte, sondern auch die subjektiv-privaten Rechte zur Durchsetzung des Unionsrechts funktionalisiert. Neben einigen früheren Entscheidungen zum Antidiskriminierungsrecht, in denen der Gerichtshof klargestellt hatte, dass eine Entschädigung wegen Diskriminierung geeignet sein müsse, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu entfalten,359 tritt diese Konzeption insbesondere in der Courage-Entscheidung hervor. Der Gerichtshof begründet die Notwendigkeit eines kartellrechtlichen Schadensersatzes wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV mit den Worten: „Die volle Wirksamkeit des Artikels 85 EG‑Vertrag und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in Artikel 85 Absatz 1 ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist. Ein solcher Schadensersatzanspruch erhöht nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und ist geeignet, von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können. Aus dieser Sicht können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen.“360

Dem EuGH geht es damit ersichtlich darum, durch die Begründung individueller Rechte das Haftungs- und Schadensersatzrecht zur Durchsetzung des EU‑Wettbewerbsrechts zu aktivieren. Eine ähnliche Entwicklung ist im Lauterkeitsrecht zu beobachten. Im Fall Muñoz kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass Konkurrenten die Möglichkeiten haben müssen, gegen den Vertrieb von Produkten, die gegen EU‑Qualitätsnormen verstoßen, im Wege eines Zivilprozesses vorzugehen. In der Urteilsbegründung heißt es: „Eine solche Klagebefugnis [des Konkurrenten] verstärkt nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftsrechtlichen Regelung der Qualitätsnormen. Sie ergänzt die Tätigkeit der Stellen, die in den Mitgliedstaaten für die Durchführung der in dieser Regelung vorgesehenen Kontrollen zuständig sind, und trägt damit dazu bei, oft nur schwer aufzudeckende Praktiken zu unterbinden, die den Wettbewerb verfälschen könnten. So gesehen sind Klagen von Konkurrenten vor nationalen Gerichten besonders geeignet, wesentlich zur Sicherung eines lauteren Handels und der Markttransparenz in der Gemeinschaft beizutragen.“361

Diese Steuerungs- und Präventionsfunktion liegt auch zahlreichen sekundärrechtlichen Normen zugrunde. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass das Privatrecht vom Unionsgesetzgeber vielfach für regulatorische, auf den Binnenmarkt bezogene Zwecke in Anspruch genommen wird,362 und in dem nicht minder allgemeinen Befund, dass die Mitgliedstaaten zu einer „wirksamen, verhältnismäßigen und abschrecken359   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23; Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 24; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25. 360   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn.  26 – 27. 361   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 31; Klammerzusatz hinzugefügt. 362  Monografisch Schmid, Die Instrumentalisierung, 2010. Vgl. auch Micklitz, in: Brownsword/ Micklitz/Niglia/Weatherill (Hrsg.), The Foundations of European Private Law, 2011, S. 563 (Herv. im Original): „European private law is regulatory private law; it does not start from party autonomy or freedom of contract, but is designed for the achieving, fostering or managing of particular markets or particular policy objectives. (. . .) The individual is instrumentalised for particular policy purposes.“

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den“ Sanktionierung verpflichtet sind,363 sondern zugleich in spezifischen Regelungen, die in besonderer Weise dem Präventionsgedanken Rechnung tragen. Zu ihnen zählen beispielsweise die im europäischen Reiserecht,364 in der VerzugsRL 2011/7365 sowie in der Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum366 pauschalisierten Entschädigungszahlungen, die nicht nur die entstandenen Schäden ausgleichen, sondern zugleich Anreize zur Vermeidung von Verstößen schaffen sollen. Insgesamt bestätigt sich damit die These, dass sich das Unionsrecht weitaus offener zur verhaltens- bzw. marktsteuernden Wirkung des Privatrechts bekennt als dies in Deutschland und in den meisten anderen Mitgliedstaaten der Fall ist.367 Während die Inanspruchnahme des Zivilrechts zu Präventionszwecken in Deutschland zumeist abgelehnt und oftmals in die Nähe zur Strafe gestellt wird,368 setzt das Unionsrecht in verstärktem Maße auf das Steuerungspotenzial privatrechtlicher Regelungen. Der EuGH nimmt vor allem das Haftungs- und Schadensrecht für die Durchsetzung des Unionsrechts in Anspruch. Zwar ist der Gedanke der Prävention auch dem deutschen Haftungs- und Schadensrecht nicht fremd.369 Jede Kompensation hat zugleich eine verhaltenssteuernde Wirkung, indem der Schädiger zur Sorgfalt gehalten ist, die materiellen und immateriellen Einbußen bei einer Ersatzpflicht zu vermeiden, so dass die Verletzungshandlung in der Folge weniger wahrscheinlich wird.370 Der Präventionszweck soll nach verbreiteter Meinung jedoch nur ein „erwünschtes Nebenprodukt“ sein371 und insbesondere bei der Schadensbemessung gegenüber dem rechtsethischen 363   Näher zu diesem Gebot, das in zahlreichen privatrechtlichen Richtlinien kodifiziert wurde, infra, § 4 C.I.2. und § 4 C.III. 364   Vgl. Art. 7 Fluggastrechte-VO 261/2004; Art. 17 Abs. 1 Eisenbahn-Fahrgastrechte-VO 1371/ 2007; Art. 19 Abs. 1 Schifffahrt-Fahrgastrechte-VO 1177/2010; Art. 19 Abs. 2 S. 1 Busverkehr-Fahrgastrechte-VO 181/2011. Zur Präventionsfunktion der in der Fluggastrechte-VO vorgesehenen pauschalierten Schadensersatzsummen auch Wurmnest/Heinze, in: Schulze (Hrsg.), Compensation of Private Losses, 2011, S. 39, 57. 365   Art. 6 VerzugsRL 2011/7 sieht bei Überschreiten der Zahlungsfristen bereits ohne vorherige Mahnung eine Entschädigungspauschale i. H. v. mindestens 40 Euro der Beitreibungskosten vor. Auch die in Art. 2 Nr. 6 VerzugsRL 2011/7 festgelegte Mindesthöhe der Verzugszinsen (8 % über dem Bezugszinssatz) dient der Abschreckung; so bereits BGH, NJW 2010, 3226, 3227, Rn. 17 (zur VerzugsRL 2000/35). 366   Nach Art. 13 Abs. 1 S. 2 lit. b Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum kann der Rechtsinhaber einen Pauschalbetrag fordern, der sich an der Lizenzgebühr orientiert. Alternativ hierzu kann der Rechtsinhaber nach Art. 13 Abs. 1 S. 2 lit. a der Richtlinie sowohl seine eigenen Vermögenseinbußen als auch den Gewinn des Verletzers als Grundlage seines Ersatzanspruchs heranziehen. Zur Abschreckungsfunktion dieser Regelungen vgl. nur Lehmann, GRUR Int. 2004, 762, 763; für das deutsche Recht BGH, GRUR 2001, 329, 331. 367  Grundlegend G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 389 ff.; ders., in: 66. DJT, 2006, A78 ff. Ebenso Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 92 f.; Kellner, in: Koziol/Schulze (Hrsg.), Tort Law of the European Community, 2008, Rn. 22/75; Oskierski, Schadensersatz im Europäischen Recht, 2010, S. 87; A. Staudinger, NJW 2006, 2433, 2434; Wurmnest/Heinze, in: Schulze (Hrsg.), Compensation of Private Losses, 2011, S. 39, 56 ff. Anders noch Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 100, demzufolge auf europäischer Ebene eine Entwicklung zu einer verstärkten Betonung der Präventionsfunktion nicht zu beobachten sei. 368   Vgl. nur Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004, S. 6 ff.; Honsell, ZIP 2008, 621, 626; Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 399 ff. 369  Siehe Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, 1993, S. 60 ff.; Canaris, in: FS Deutsch, 1999, S. 85, 105. 370   Vgl. nur Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S. 190 f. 371   Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl., 1987, § 27 I, S. 423; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., 2003, S. 11.

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Prinzip der Befriedigung des Wiedergutmachungsinteresses eine unselbständige Funktion aufweisen.372 Im Unterschied hierzu müssen unionsrechtlich bedingte Schadensersatzansprüche nach der Rechtsprechung des EuGH eine „abschreckende“, also eine verhaltenssteuernde Wirkung haben, wenn sich ein Mitgliedstaat dafür entscheidet, den Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften allein oder vorrangig durch die Androhung von Schadensersatzansprüchen zu sanktionieren. Zwar haben die Mitgliedstaaten bei der Wahl der Sanktionsinstrumente einen Gestaltungsspielraum. Sie können dem Gebot der abschreckenden Sanktionierung durch unterschiedliche Sanktionsinstrumente Rechnung tragen, indem sie Verstöße mit den Mitteln des öffentlichen Rechts durch Verwaltungszwang, durch Androhung ordnungswidrigkeitenrechtlicher Bußen, durch Kriminalstrafen oder im Zivilrecht z. B. durch die Androhung von Schadensersatzpflichten ahnden.373 Entscheidet sich ein Mitgliedstaat jedoch dafür, den Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften ausschließlich oder in erster Linie durch die Androhung von Schadensersatzansprüchen zu sanktionieren, so muss das Haftungs- und Schadensersatzrecht die vom Gerichtshof geforderte Präventionsaufgabe übernehmen. Die vom EuGH verlangte Abschreckungswirkung bezieht sich daher als generelles Gebot des Unionsrechts prinzipiell auf sämtliche Sanktionsinstrumente, und eben auch auf das Privatrecht. Dem Schadensersatz als Sanktion kann damit häufig nicht nur eine Kompensations‑, sondern zugleich eine Präventionsfunktion zukommen, die nicht als bloßer Nebenzweck, sondern gleichrangig neben der Kompensation vom nationalen Gesetzgeber sowie von den nationalen Gerichten bei der Haftungsbegründung und Bemessung des Schadensersatzes zu berücksichtigen ist. Sowohl der deutsche Gesetzgeber374 als auch die deutschen Gerichte375 verweisen vor diesem Hintergrund immer öfter auf die Präventions- bzw. Abschreckungsfunktion unionsrechtlich veranlasster Regelungen. b) Eindimensionale effet utile-Rechtsprechung: Gefahren für die europäische Privatrechtsgesellschaft? Die Einwände, die gegen eine Funktionalisierung des Privatrechts durch die Euro­ päische Union sprechen, liegen nach dem zuvor Gesagten auf der Hand. Wird der Einzelne als Instrument zur Durchsetzung des Unionsrechts verstanden, so werden allein seine Interessen geschützt. Die Privatrechtsordnungen der Mitgliedstaaten zielen demgegenüber auf einen Ausgleich widerstreitender Interessen. Martin Franzen fasst diese Kritik in prägnanter Weise zusammen: „Der Gerichtshof ist stets bemüht, die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts (‚effet utile‘) zu befördern. 372   Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl., 1987, § 27 I, S. 423 f.; Canaris, in: FS Deutsch, 1999, S. 85, 105. Zur Unterscheidung zwischen selbständigen und unselbständigen Funktionen des Schadensrechts Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, 1993, S. 151 ff. und 184 ff. 373   Zu den Grenzen dieses Gestaltungsspielraums infra, § 4 C.IV. 374   Vgl. Regierungsbegründung zur 7. GWB-Novelle, BT‑Drucks. 15/3640, S. 2, 35 ff.; Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf der 8. GWB-Novelle, BT‑Drucks. 17/9852, S. 40; Regierungsbegründung zum AGG, BT‑Drucks. 16/1780, S. 38, 46. 375  BGH, NJW 2012, 928, 933, Rn. 62 (zum Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 101 AEUV); BGH, NJW 2010, 3226, 3227, Rn. 17 (zu § 288 Abs. 2 BGB und VerzugsRL 2000/35); BAG, NZA 2009, 945, 952 (zu Art. 15 Abs. 2 AGG); BAG, NZA 2004, 540, 545 (zu § 611a BGB a. F.); OLG Stuttgart, NJW 2012, 1085, 1086 (zu Art. 21 Abs. 3 S. 3 AGG).

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Daher werden regelmäßig nur die vom Gemeinschaftsrecht geschützten Zwecke (. . .) beachtet. Das zielorientierte finale Verständnis des Gemeinschaftsrechts blendet vielfach nicht in der Gemeinschaftsrechtsordnung verankerte gegenläufige, aber gleichwohl im innerstaatlichen Bereich berücksichtigungsfähige und ‑würdige Interessen aus. Dies führt zu einer strukturellen Eindimensionalität von Argumentation und Auslegungsergebnissen des EuGH.“376 Aus deutscher Perspektive widerspricht dieser Ansatz, so wird immer wieder geltend gemacht, dem Konzept der Privatrechtsgesellschaft, das in den 1960er Jahren zur Charakterisierung des westlichen Rechtsordnungstyps vom neoliberalen Rechtstheoretiker Franz Böhm entwickelt wurde377 und das bis heute von Teilen der deutschen Rechtswissenschaft fortgeführt und auf das Unionsrecht übertragen wird.378 Dabei wird vom Grundsatz her konstatiert, dass die Europäische (Wirtschafts‑)Gemeinschaft eigentlich mit einer Zielsetzung gegründet wurde, die mit dem Kern der Privatrechtsgesellschaft vollständig harmoniert. Bereits der EG‑Vertrag beinhaltete nämlich eine Wirtschaftsverfassung,379 die dem Grundsatz eines freien, unverfälschten Wettbewerbs (Art. 3 Abs. 1 lit. g, 4 Abs. 1, 98, 105 Abs. 1 EG) verpflichtet war und mit seinen ungeschriebenen primärrechtlichen Gemeinschaftsgrundrechten das Eigentumsrecht, die unternehmerische Freiheit, die Handels- und Wirtschaftsfreiheit sowie die Wettbewerbsfreiheit gewährleistete. Vertreter der ordoliberalen Theorie sprechen daher auch davon, dass die Privatrechtsgesellschaft durch die Europäische Gemeinschaft um eine europäische Dimension erweitert worden sei. Die Privatautonomie werde im Gemeinschaftsrecht auf den Binnenmarkt ausgedehnt und zugleich gegen Beschränkungen positivrechtlich abgesichert.380 Bereits seit geraumer Zeit wird allerdings beklagt, dass sich die Europäische Gemeinschaft bzw. Union vom Idealtypus der Privatrechtsgesellschaft kontinuierlich entferne. Im Zentrum der Kritik stehen nicht nur marktkorrigierende und interventionistische Kompetenzgrundlagen und Sekundärrechtsakte im Bereich der Sozialpolitik, des Verbraucherschutzes und des Antidiskriminierungsrechts, die als konzeptionswidrige Materialisierungen betrachtet werden. Auch dem EuGH wird vorgeworfen, das Privatrecht einseitig zu regulatorischen, marktfernen Zwecken zu instrumentalisieren. Der richterliche Aktivismus des Gerichtshofs führe zu einer Aushöhlung der Privatautonomie und zu einer „Sozialisierung des Privatrechts“, der die marktwirtschaftliche Ordnung des Unionsrechts untergrabe und sogar das Ende der europäischen Privatrechtsgesellschaft selbst einläuten könne.381 376

  Franzen, JZ 2003, 321, 326.   Böhm, Ordo 17 (1966), 75 ff. 378   Canaris, in: FS Lerche, 1993, S. 873 ff.; Zöllner, AcP 188 (1988), 85, 92; vgl. auch F. Bydlinski, AcP 194 (1994), 319, 326 ff. Für das Europäische Privatrecht insbesondere Grundmann, ZHR 163 (1999), 635, 640 f.; Kluth, AöR 122 (1997), 557, 578 – 581; Mayer/Scheinpflug, Privatrechtsgesellschaft und die Europäische Union, 1996; Müller-Graff, Binnenmarktziel und Rechtsordnung, 1989; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 584 f. 379  Grundlegend Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992; Mestmäcker, Die Wirtschaftsverfassung in der Europäischen Union, 1993. Ferner Hatje, in: v. Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, S. 801 ff.; Luczak, Die Europäische Wirtschaftsverfassung als Legitimationselement europäischer Integration, 2009. 380   Müller-Graff, Binnenmarktziel und Rechtsordnung, 1989, S. 56 ff.; Rittner, JZ 1990, 838, 839 ff.; Herresthal, in: FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 1107, 1186 ff. 381   So etwa im Kontext der Grundfreiheiten Kluth, AöR 122 (1997), 557, 581; Canaris, in: Bauer et al. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 29, 44 f. Vgl. auch die Kritik bei Riesenhuber, 377

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Diese Befürchtungen haben durch den Lissabon-Vertrag weiteren Aufwind erfahren. Das Bekenntnis zu „einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“, das bisher an prominenter Stelle in Art. 4 Abs. 1 EG enthalten war, wurde durch den Vertrag von Lissabon in den neuen Art. 119 Abs. 1 AEUV verschoben. Darüber hinaus wurde das bislang in Art. 3 Abs. 1 lit. g EG angesprochene System des unverfälschten Wettbewerbs auf Drängen Frankreichs gänzlich aus den Zielbestimmungen des Lissabon-Vertrags herausgenommen.382 In Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV ist allein davon die Rede, dass die Union einen Binnenmarkt errichtet. Das Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt findet sich nur noch im Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb wieder.383 Dies hat Teile des Schrifttums zu der Vermutung veranlasst, dass sich die Europäische Union vom ursprünglichen Modell einer freiheitlich und wettbewerblich organisierten Gemeinschaft entfernt habe.384 Dieser Kritik ist entgegenzuhalten, dass von einer Verbannung des Wettbewerbsgedankens bzw. des Systems des unverfälschten Wettbewerbs keine Rede sein kann.385 Die Vertragsreform von Lissabon hält an der grundlegenden Entscheidung für eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb fest (vgl. Art. 119 Abs. 1, Art. 120 S. 2 AEUV sowie für die Währungspolitik Art. 127 Abs. 1 S. 3 AEUV). Etwaige Befürchtungen dahingehend, dass der Lissabon-Vertrag zu einer Abkehr von marktwirtschaftlichen Prinzipien führe, erscheinen aus zweierlei Gründen unberechtigt. Zum einen war der objektiv-rechtliche Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb bereits vor Lissabon eine Zielbestimmung, die kein eigenständiges subjektives Recht begründete,386 sondern erst durch andere Bestimmungen des Vertrages, insbesondere die Grundfreiheiten, die Wettbewerbsregeln sowie die (ungeschriebenen) Wirtschaftsgrundrechte konkretisiert werden musste. Insoweit hat der Vertrag von Lissabon aber keine Änderungen herbeigeführt. Die im EG‑Vertrag geregelten Grundfreiheiten und die Wettbewerbsregeln wurden weitgehend unverändert in den AEUV überführt. Die einzelnen Wirtschaftsgrundrechte sind im Unterschied zu früher sogar positivrechtlich mit der GRC kodifiziert und in den Rang des Primärrechts erhoben worden (Art. 6 Abs. 1 EUV).387 Die in Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV getroffene Systementscheidung zugunsten eines „Binnenmarkts“ wird daher nach wie vor durch einklagbare Ansprüche abgesichert, die sich auf die grundfreiheitlich wie grundrechtlich gewährleistete Wirtschaftsfreiheit als solche und die grenzüberschreiS. 1, 15 ff., und Picker, S. 207 ff., beide in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2008. Ganz anders dagegen Schmid, ZERP-Arbeitspapier 1/2009, mit der These, dass sich der effet utile in der neueren EuGH-Rechtsprechung zum effet neolibéral entwickelt habe. 382   Zu den Hintergründen Drexl, in: v. Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, S. 905, 908 ff. 383   Das Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb stellt klar, „dass der Binnenmarkt wie er in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union beschrieben wird, ein System umfasst, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt“. 384   In diese Richtung insb. Basedow, EuZW 2008, 225; Luczak, Die Europäische Wirtschaftsverfassung, 2009, S. 405 ff.; Weitbrecht, ECLR 2008, 81, 88. 385   Im Ergebnis auch Behrens, EuZW 2008, 193; Drexl, in: v. Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, S. 916 ff.; Th. Müller, Wettbewerb und Unionsverfassung, 2014, S. 196 f.; Nowak, EuR 2009, Beiheft 1, 129, 188 f.; Streinz, Europarecht, 10. Aufl., 2016, Rn. 1045. 386   EuGH, Rs. C‑9/99 (Échirolles Distribution) Rn. 25. 387   Mit der seit Lissabon für primärrechtlich verbindlich erklärten GRC wurden insbesondere die Berufsfreiheit (Art. 15 GRC), die unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRC) sowie das Eigentumsrecht (Art. 17 GRC) kodifiziert.

D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten

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tende Offenheit der Märkte beziehen. Zum anderen beansprucht auch das Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs weiterhin primärrechtliche Verbindlichkeit. Da es sich bei dem Protokoll Nr. 27 um einen echten Vertragsbestandteil handelt, der nach Art. 51 EUV primärrechtlich verbindlich ist, setzt der Gerichtshof auch nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags seine bisherige Rechtsprechung388 fort, wonach der unverfälschte Wettbewerb im Binnenmarkt kein bloßer Programmsatz, sondern ein rechtlich verbindliches Ziel ist, dessen Verwirklichung zu den wesentlichen Aufgaben der Europäischen Union zählt.389 Der in Art. 3 Abs. 3 AEUV verankerte Grundsatz des Binnenmarkts wird daher auch nach dem Lissabon-Vertrag durch ein System des unverfälschten Wettbewerbs charakterisiert. Zutreffend bleibt der Einwand, dass die effet utile-Rechtsprechung des Gerichtshofs oftmals durch eine gewisse Eindimensionalität gekennzeichnet ist. Bei allen Defiziten, die mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung konstatiert werden müssen, bestehen auf der anderen Seite aber durchaus Anhaltspunkte dafür, dass der EuGH zunehmend darum bemüht ist, zwischen widerstreitenden Interessen einen Ausgleich zu finden. Dabei wirken vor allem die Unionsgrundrechte und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts einer einseitig am effet utile orientierten Auslegung entgegen. So ist etwa für die primärrechtlich verbürgten Grundfreiheiten seit der Entscheidung Schmidberger390 anerkannt, dass bei einer Kollision von Grundfreiheiten und Unionsgrundrechten die bestehenden Interessen abzuwägen sind und „anhand sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls festzustellen ist, ob das rechte Gleichgewicht zwischen diesen Interessen gewahrt worden ist.“ Dieser für die Schutzpflichten der Mitgliedstaaten entwickelte Ansatz gilt entsprechend für Verstöße Privater gegen die Grundfreiheiten.391 Damit steht zugleich das notwendige Instrumentarium zur Verfügung, um die verschiedenen Interessen – also die Verkehrsfreiheiten bzw. die Marktzugangsrechte auf der einen Seite und die Grundrechte, insbesondere die Verbands- und Privatautonomie auf der anderen Seite – im Wege der praktischen Konkordanz abzuwägen. Auch die sonstigen (ungeschriebenen) allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts ermöglichen es dem Gerichtshof, einer einseitig effet utile orientierten Auslegung entgegenzuwirken. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann die Effektivität unionsrechtlich verbürgter Rechte durch nationale Normen eingeschränkt werden, wenn diese auf einem unionsrechtlich anerkannten Rechtsgrundsatz beruhen, der im konkreten Fall eine Durchbrechung des Effektivitätsprinzips rechtfertigt.392 Aus diesem Grunde werden nationale Vorschriften zur Verjährung oder zur Rechtskraft von Urteilen vom Gerichtshof grundsätzlich nicht beanstandet. Zwar schränken derartige Normen die Effektivität unionsrechtlich verbürgter Rechte ein. Sie sind jedoch ihrerseits Ausdruck unionsrechtlich anerkannter Rechtsgrundsätze, die eine Einschränkung des Effektivitätsprinzips legitimieren können.393 Eine Analyse der neu388

  Grundlegend EuGH, Rs. 6/72 (Europeemballage u. a./Kommission) Rn. 23.   EuGH, Rs. C‑52/09 (TeliaSonera Sverige) Rn. 20; Rs. C‑496/09 (Kommission/Italien) Rn. 60; Rs. C‑610/10 (Kommission/Spanien) 390   EuGH, Rs. C‑112/00 (Schmidberger) Rn. 81; vgl. auch EuGH, Rs. C‑36/02 (Omega) Rn. 35. 391  Näher infra, § 7 E.IV.3. 392   Hierzu bereits supra, § 2 D.V. sowie ausführlich infra, § 4 E.I.2. 393   Verjährungsvorschriften sind Ausdruck des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit. Bei dem Institut der Rechtskraft von Urteilen handelt es sich ebenfalls um einen unionsrechtlich allgemeinen Rechtsgrundsatz. Vgl. zu beidem EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn.  35 – 37 und Rn. 41. 389

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

eren Rechtsprechung belegt zudem, dass der Gerichtshof bereit ist, die im Kontext öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten entwickelten Rechtsgrundsätze auch im Rechtsstreit zwischen Privaten fruchtbar zu machen.394 In dem Maße, in dem der EuGH auch im Privatrecht allgemeine Grundsätze aufstellt, ist es ihm aber auch möglich, einen Ausgleich zwischen widerstreitenden Interessen zu erzielen, selbst wenn die Interessen der anderen Partei im konkreten Fall nicht positiv im geschriebenen Unionsrecht berücksichtigt werden.395 c) Funktionalisierung des Haftungsrechts durch Einführung eines Strafschadensersatzes? Die vorangegangenen Ausführungen lassen sich mit Blick auf die Streitfrage vertiefen, ob das unionsrechtliche Sanktionsgebot einen Strafschadensersatz fordert. Dies wird im Schrifttum vielfach angenommen. So kritisierte etwa Adomeit bereits mit Blick auf den alten § 611a BGB, das BGB habe „unter Euro-Diktat, die amerikanische Einrichtung der punitive damages in sich aufnehmen müssen, ganz quer zur Systematik unseres gesamten Schadensersatzrechts“.396 Ähnlich äußert sich Annuß, die vom EuGH geforderte Pönal- und Lenkungsfunktion lasse sich nicht systemkonform in die geltende Zivilrechtsordnung einfügen.397 Der EuGH habe über die Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 die Privatstrafe wiederbelebt.398 Teils wird sogar von einem „Rückfall in archaisches Rechtsdenken“ „alttestamentarischer Manier“ gesprochen.399 Zum heutigen § 15 AGG heißt es im Kommentar von Adomeit/Mohr, das Verfolgen der Strafzwecke „Sühne und Vergeltung“ sei im deutschen Schadensersatzrecht nicht zulässig und überdies verfassungswidrig.400 Hoeren spricht mit Blick auf das Immaterialgüterrecht davon, dass es der industriehörigen EU letztlich darum gehe, mit überzogenen Schadensersatzforderungen in einer Art „John-Wayne-Mentalität“ den Schädiger zu „vernichten, restlos ausmerzen“ und „durch Sanktionen quälen“ zu wollen.401 Honsell will diese Entwicklung dahingehend zusammenfassen, dass das deutsche Privatrecht einen Erosionsprozess durchlaufe. Auf europäischer Ebene herrsche eine „seltsame Lenkungs- und Regulierungseuphorie“; die Europäische Union produziere „fragwürdige Verbote und Anreize am laufenden Band“.402 Dabei seien insbesondere die aus dem US‑Recht übernommenen „Straf- und Präventionsansätze“ der vielleicht schädlichste Angriff auf unsere Rechtskultur.403 Diese Einschätzungen erweisen sich bei näherer Hinsicht als deutlich überzogen. Sie beruhen auf der fehlerhaften Annahme, dass der effektiven Durchsetzung des Uni394

 Siehe infra, § 4 E. und § 7 E.II.  Näher infra, § 4 E.I.2.   Adomeit, NJW 1997, 2295. 397  Staudinger/Annuß, 2005, § 611a BGB Rn. 19; ders., NZA 1999, 738, 740. 398   Annuß, NZA 1999, 738, 741; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004, S. 353 f.; Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 411. 399   E. Herrmann, ZfA 1996, 25, 39. 400   Adomeit/Mohr, AGG-Kommentar, 1. Aufl., 2007, § 15 Rn. 54. Differenzierter nunmehr die 2. Aufl., 2011, § 15 Rn. 76 mit Rn. 72. 401   Hoeren, MMR 2003, 299, zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum, KOM (2003) 46 endg. (jetzt Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum). 402   Honsell, in: FS H. P. Westermann, 2008, S. 315, 316. 403   Honsell, ZIP 2008, 621, 626. 395 396

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onsrechts gegenüber dem Rechtsschutz des Einzelnen und dem Ausgleich widerstreitender Interessen unbedingter Vorrang einzuräumen ist. Gerade dies ist nicht der Fall. Für das Antidiskriminierungsrecht hat der EuGH nie die Einführung eines Strafschadensersatzes gefordert. In den betreffenden Entscheidungen wird neben dem Gebot der Abschreckung zugleich betont, dass der Ersatzbetrag in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss.404 Dem Sekundärrecht lässt sich nichts anderes entnehmen. Die Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54 bekräftigt die Orientierung am entstandenen Schaden, indem hervorgehoben wird, dass der Schaden „tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, wobei dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise geschehen muss“.405 Die Richtlinie begründet daher, wie der EuGH nunmehr im Fall Arjona Camacho406 klargestellt hat, keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung eines Strafschadensersatzes. Auch im Kartellrecht führt das Gebot der abschreckenden Sanktionierung nicht dazu, dass die Mitgliedstaaten zur Einführung von punitive damages verpflichtet wären. Der Gerichtshof hat in den Fällen Courage407 und Manfredi408 unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch409 hervorgehoben, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen können, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Anspruchsberechtigten führt. Aus dem Effektivitätsgebot folgt insbesondere nicht die Pflicht, Verstöße gegen das europäische Wettbewerbsrecht mit einem Strafschadensersatz zu sanktionieren.410 Der Gerichtshof bekennt sich damit grundsätzlich zum Kompensationsgedanken sowie zu seiner Kehrseite, dem Bereicherungsverbot. Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 folgt ebenfalls dem Prinzip der vollständigen Entschädigung, basierend auf einem kompensatorisch konzipierten Schadensersatzanspruch.411 Auch der BGH betont in seiner ORWI-Entscheidung,412 dass der primäre Zweck kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche darin liegt, den Schaden auszugleichen, der den durch ein Kartell Geschädigten entstanden ist. Diese Ersatzpflicht wirke, so der BGH, auf die Kartellteilnehmer zugleich abschreckend; Prävention sei damit eine nützliche Folge der Kompensation. Selbst dem europäischen Immaterialgüterrecht kann nicht die Verpflichtung zur Einführung eines Strafschadensersatzes entnommen werden. Die einschlägi404   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 26 (erlittener Schaden muss „in vollem Umfang“ ausgeglichen werden). 405   Art. 18 S. 1 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54; Herv. hinzugefügt. Vgl. auch die englische Fassung: „dissuasive and proportionate to the damage suffered“. 406   EuGH, Rs. 407/14 (Arjona Camacho) Rn. 37, 40. 407   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 30. 408   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 94. 409   Der Gerichtshof verweist in Courage und Manfredi, a. a. O., sowohl auf seine Rechtsprechung zu Erstattungsansprüchen des Einzelnen gegen Mitgliedstaaten als auch auf die Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV. 410   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 92, 94. Nach dem Äquivalenzgrundsatz müssen die Mitgliedstaaten einen überkompensatorischen Schadensersatz nur gewähren, sofern ein solcher im Rahmen vergleichbarer, auf das innerstaatliche Recht gegründeter Klagen zuerkannt wird; EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 93. 411  Hierzu infra, § 7 C.V.1.b. 412   BGH, NJW 2012, 928, 933 (ORWI), Rn. 62.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

gen Sekundärrechtsakte sprechen im Gegenteil davon, dass der Rechtsinhaber einen „gerechte[n] Ausgleich“,413 eine „angemessene Vergütung“,414 eine „angemessene Entschädigung“415 bzw. einen „angemessenen Schadensersatz“ wegen des „erlittenen tatsächlichen Schadens“416 beanspruchen kann. Zwar wird das Bereicherungsverbot in einigen Richtlinien deutlich relativiert. Dies gilt insbesondere für die in der Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum vorgesehene Gewinnabschöpfung und die Berechnung des Schadens anhand der Lizenzanalogie.417 ErwGr (26) stellt andererseits klar, dass die Durchsetzungs-RL 2004/48 gerade nicht die Einführung eines Strafschadensersatzes bezweckt.418 Die in der Richtlinie vorgesehenen Modelle der Schadensberechnung sind insoweit als Instrumente der präventiven Verhaltenssteuerung, nicht aber als punitive damages zu verstehen.419 Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass immaterielle Güter aufgrund ihrer Ubiquität besonders verletzungsanfällig sind und der Nachweis eines Schadens vielfach schwierig ist.420 Mit einem Strafschadensersatz US‑amerikanischer Prägung hat dies nichts zu tun. Die in der Richtlinie vorgesehenen Berechnungsmethoden durchbrechen das Bereicherungsverbot, da sich ein rein kompensatorisch berechneter Schadensersatz im Immaterialgüterrecht als unzureichend erweist und keine optimalen Anreize zur Verhaltenssteuerung setzen kann. Die ablehnende Haltung des Unionsrechts gegenüber einem Strafschadensersatz kommt schließlich in der Rom II-VO 864/2007 zum Ausdruck.421 ErwGr (32) hebt nachdrücklich hervor, dass ein „unangemessener, über den Ausgleich des entstandenen Schadens hinausgehender Schadensersatz mit abschreckender Wirkung oder Strafschadensersatz“ („non-compensatory exemplary or punitive damages of an excessive nature“) je nach der Rechtsordnung des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts als ordre public-widrig i. S. d. Art. 26 Rom II-VO angesehen werden kann. Diese Formulierung bleibt zugegebener Maßen hinter den ursprünglichen Forderungen der Kommission zurück. Im Unterschied zu früheren Verordnungsentwürfen wird ein Strafschadensersatz nicht mehr für mit der öffentlichen Ordnung der EU 413   Art. 5 Abs. 2 lit. b InfoSoc-RL 2001/29. Nach EuGH, Rs. 467/08 (Padawan) Rn.  39 – 42, 50, ist der „gerechte Ausgleich“ auf der Grundlage des Schadens zu berechnen, der den Urhebern geschützter Werke durch die Einführung der Ausnahme für Privatkopien entstanden ist. Der Schaden muss allerdings nicht konkret nachgewiesen werden; vielmehr reicht nach ErwGr (35) ein „etwaiger Schaden“ („possible harm“) aus; vgl. EuGH, Rs. C‑306/05 (SGAE) Rn. 43 f.; Rs. C‑467/08 (Padawan) Rn.  54 – 57. 414   Art. 8 Abs. 2 Vermiet- und Verleih-RL 2006/115. Hierzu EuGH, Rs. C‑245/00 (SENA) Rn. 37: Angemessenheit der Vergütung ist anhand des wirtschaftlichen Werts der Nutzung zu ermitteln. 415   Art. 9 Abs. 3 S. 2 Gemeinschaftsmarken-VO 207/2009. 416   Art. 13 Abs. 1 S. 1 Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum. 417   Art. 13 Abs. 1 S. 2 lit. a, b Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum. 418   ErwGr (26) Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum: „Bezweckt wird dabei nicht die Einführung einer Verpflichtung zu einem als Strafe angelegten Schadensersatz, sondern eine Ausgleichsentschädigung für den Rechtsinhaber auf objektiver Grundlage unter Berücksichtigung der ihm entstandenen Kosten, z. B. im Zusammenhang mit der Feststellung der Rechtsverletzung und ihrer Verursacher.“ 419   Im Ergebnis auch Bodewig/Wandtke, GRUR 2008, 220, 221; v. Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 460, 462 ff.; Metzger, in: Remien (Hrsg.), Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 209, 212. 420   Zu diesen Wesensmerkmalen Dreier, Kompensation und Prävention, 2002, S. 61 ff. 421   Oskierski, Schadensersatz im Europäischen Recht, 2010, S. 92 f., sieht den Gedanken des Strafschadensersatzes dagegen mit der in der Rom II-VO gefundenen Lösung eher auf dem Vormarsch, da es an einem eindeutigen Bekenntnis gegen punitive damages auf europäischer Ebene fehle.

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unvereinbar erklärt.422 Die in den Erwägungsgründen vorgenommene Klarstellung gewährleistet jedoch, dass die Mitgliedstaaten nicht zur Verhängung eines Strafschadensersatzes gezwungen werden können.423 Dem EuGH wird demgegenüber die Aufgabe zugewiesen, über die Grenzen des ordre public-Vorbehalts zu wachen.424 Im Zweifel obliegt es damit dem Gerichtshof zu entscheiden, wann ein überkompensatorischer Schadensersatz „unangemessen“ (excessive) ist und als ordre-public-widrig eingestuft werden darf.425 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass weder der EuGH noch das geschriebene Unionsrecht die Einführung eines Strafschadensersatzes verlangen.426 Die im Schrifttum vorgetragene Kritik beruht letztlich auf der mangelnden Unterscheidung zwischen Prävention und Strafe. Der Zweck strafrechtlicher Sanktionen geht über die schlichte Abschreckung hinaus; er umfasst auch die gesellschaftliche Missbilligung und moralische Ächtung.427 Die Höhe strafrechtlicher Sanktionen orientiert sich daher nicht nur am Erfolgsunrecht, sondern auch am moralischen Unwertgehalt der fraglichen Handlung und Gesinnung. In diesem Sinne sind die in den USA vorgesehenen punitive damages in der Tat als Privatstrafen einzustufen, denn sie dienen, wie der Supreme Court mehrfach entschieden hat, nicht nur der Prävention, sondern auch der Bestrafung.428 Indessen kann nicht jeder Schadensersatz, der den konkreten Schaden übersteigt und deshalb von der Ausgleichsfunktion im strengen Sinne nicht gedeckt ist, als Strafschadensersatz bezeichnet werden.429 Pönale und präventive Elemente fallen nicht notwendigerweise zusammen. Dem Unionsrecht geht es mitnichten um eine „grenzenlose“ Verhaltenssteuerung bzw. Funktionalisierung des Haftungsrechts durch die Einführung und den Ausbau von Privatstrafen. Im Mittelpunkt steht viel422   Der erste Verordnungsentwurf enthielt in Art. 24 eine spezielle ordre public-Klausel, die ­ chadensersatz mit Strafcharakter oder abschreckender Wirkung ausdrücklich für unvereinbar mit S der öffentlichen Ordnung der Gemeinschaft erklärte; KOM (2003) 427. Der zweite Verordnungsentwurf beschränkte in Art. 23 den ordre-public auf „unangemessene“ überkompensatorische Schadensersatzansprüche; KOM (2006) 83 endg. Zum Gesetzgebungsverlauf v. Hein, VersR 2007, 440, 445; G. Wagner, IPRax 2008, 1, 16 f. 423   Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 734 f. 424   Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 74, mit Verweis auf EuGH, Rs. C‑38/98 (Renault). 425  Weiterführend Jaeger, in: Hilty/Jaeger/Kitz (Hrsg.), Geistiges Eigentum, 2008, S. 155, 199, mit der berechtigten Forderung, dass zur Umsetzung der Durchsetzungs-RL 2004/48 erlassenes ausländisches Recht nicht als ordre public-widrig eingestuft werden darf, wenn der Schadensersatz nicht der Bestrafung dient, sondern nur de facto eine Überkompensation des Rechtsinhabers (z. B. durch Ersatz immaterieller Schäden oder Abschöpfen des Verletzergewinns) bewirkt. 426   Im Ergebnis wie hier Magnus, in: Schulze (Hrsg.), Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law, 2. Aufl., 2009, S. 208, 213; Remien, in: ders. (Hrsg.), Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 359, 369 f.; ErfK/Schlachter, 16. Aufl., 2016, § 15 Rn. 1; Stoffels, RdA 2009, 204, 206; MüKo/Thüsing, BGB, 7. Aufl., 2015, § 21 AGG Rn. 2; Vaquer, in: Koziol/Schulze (Hrsg.), Tort Law of the European Community, Rn. 2/7; G. Wagner, AcP (206) 2006, 352, 398. 427   Vgl. GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑240/90 (Deutschland/Kommission) Rn. 11; GA Ruiz-Jarabo ­Colomer, SchlA, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat) Rn. 46. Weiter BVerfGE 109, 190, 212 f. 428   Cooper Industries, Inc. v. Leatherman Tool Group, Inc., [2001] 532 U. S. 424, 432: „[P]unitive damages are private fines intended to punish the defendant and deter future wrongdoing“; State Farm Mut. Auto. Ins. Co. v. Campbell, 538 U. S. 408, 409 (2003): „Punitive damages awards serve the same purpose as criminal penalties“. Vertiefend G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 474 f.; ders., in: 66. DJT, 2006, A 81. 429  Grundlegend Dreier, Kompensation und Prävention, 2002, S. 515 ff.; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352 ff. Vgl. auch N. Jansen, JZ 2005, 160, 169. Für eine Gleichsetzung jedoch Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004, S. 6 f.; Gregor, Das Bereicherungsverbot, 2012, S. 30 f.

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mehr die Forderung, dass die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts dem Gedanken der präventiven Verhaltenssteuerung verstärkt Rechnung tragen.

II. Effet utile versus effektiver Rechtsschutz Die vorstehenden Überlegungen leiten nochmals zu der Grundsatzfrage über, in welchem Verhältnis das Gebot der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts zum Gebot des effektiven Rechtsschutzes steht. Ist dem Effektivitätsgebot im Konfliktfall der Vorrang gegenüber dem Schutz individueller Rechte einzuräumen? Oder sind beide Gebote in dem Sinne gleichwertig, dass zwischen dem effet utile und dem Schutz individueller Rechte ein Ausgleich im Wege der praktischen Konkordanz erzielt werden muss? 1. Divergenzen zwischen dem Rechtsschutz zur Durchsetzung und zur Abwehr des Unionsrechts Konflikte zwischen dem effet utile und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes stellen sich vor allem beim Rechtsschutz zur Abwehr des Unionsrechts: Der Rechtschutz gegen Unionsrechtsakte liegt zwar im Interesse des Einzelnen an einem effektiven Individualrechtsschutz. Im Unterschied zum Rechtsschutz gegen unionsrechtswidriges nationales Recht steht er jedoch nicht im Interesse an einer möglichst effektiven Durchsetzung des Unionsrechts. Klagen gegen vermeintlich primärrechtswidrige unionale Rechtshandlungen stellen den Geltungs- und Wirkungsanspruch des abgeleiteten Unionsrechts grundsätzlich in Frage. Gelten daher für den Rechtsschutz zur Durchsetzung des Unionsrechts andere Maßstäbe als für den Rechtsschutz zur Abwehr des Unionsrechts? Der EuGH betont in ständiger Rechtsprechung, dass für den Rechtsschutz zur Durchsetzung des Unionsrechts prinzipiell die gleichen Anforderungen greifen müssen wie für den Rechtsschutz zur Abwehr des Unionsrechts.430 So hebt der Gerichtshof etwa hervor, dass sich die Voraussetzungen für die Begründung der Haftung des Staates für Schäden, die dem Einzelnen wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht entstehen, nicht ohne besonderen Grund von den Voraussetzungen unterscheiden dürfen, die für die Haftung der Union unter vergleichbaren Umständen gelten: „Der Schutz der Rechte, die der Einzelne aus dem Gemeinschaftsrecht herleitet, kann nämlich nicht unterschiedlich sein, je nachdem, ob die Stelle, die den Schaden verursacht hat, nationalen oder Gemeinschaftscharakter hat.“431 Trotz dieses Bekenntnisses zu einem konvergenten Rechtsschutz wird im Schrifttum davon gesprochen, dass der Gerichtshof einen doppelten Standard entwickelt 430   So zum vorläufigen Rechtsschutz EuGH, verb. Rs. C‑143/88 und C‑92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen) Rn. 20; Rs. C‑465/93 (Atlanta Fruchthandelsgesellschaft) Rn. 24. Zur Haftung der Mitgliedstaaten und der Union EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 40 ff.; Rs. C‑352/98 P (Bergaderm) Rn. 42. Der Gerichtshof verlangt auch beim Rechtsschutz gegen Verwaltungsentscheidungen bei der Durchsetzung des Unionsrechts vor den nationalen Gerichten keine höhere gerichtliche Kontrolldichte als die von ihm im Rahmen des Rechtsschutzes zur Abwehr von Unionsrecht selbst praktizierte; EuGH, Rs. C‑120/97 (Upjohn) Rn. 35. Vgl. auch EuGH, C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn. 29 – 30: Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens gilt für den Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten und den Unionsgerichten gleichermaßen. 431   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 42.

D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten

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habe. Der EuGH stelle hohe Anforderungen an die Effektivität des nationalen Rechtsschutzes gegenüber möglicherweise unionsrechtswidrigen nationalen Rechtshandlungen, gewähre aber zugleich nur widerwillig Rechtsschutz gegenüber möglicherweise primärrechtswidrigen unionalen Rechtshandlungen.432 Dies zeige sich vor allem bei den restriktiven Zulassungskriterien für die Individualnichtigkeitsklage (Art. 263 Abs. 4 AEUV; ex Art. 230 Abs. 4 EG) sowie beim vorläufigen Rechtsschutz. a) Zugang zu den nationalen Gerichten und zu den Unionsgerichten Die Kriterien, die der EuGH für die Nichtigkeitsklage entwickelt hat, bleiben in der Tat hinter den Anforderungen zurück, die für die Durchsetzung des Unionsrechts vor den nationalen Gerichten gelten. Während der Gerichtshof die Zugangsmöglichkeiten des Einzelnen zu den nationalen Gerichten beim Rechtsschutz zur Durchsetzung des Unionsrechts kontinuierlich gestärkt hat und auch faktisch Betroffenen die Möglichkeit gibt, die Vorgaben des Sekundärrechts einzuklagen,433 wendet er beim direkten Rechtsschutz zur Abwehr des Unionsrechts selbst nach Inkrafttreten des LissabonVertrags weiterhin die restriktive Plaumann-Formel an. Danach ist die Voraussetzung, dass eine natürliche oder juristische Person von einer Handlung (zuvor: Entscheidung) der Unionsorgane i. S. d. Art. 263 Abs. 4 Alt. 2 AEUV „individuell betroffen“ sein muss, nur dann erfüllt, wenn die Handlung sie wegen „bestimmter persönlicher Eigenschaften oder wegen besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten“.434 Dieses restriktive Zulassungskriterium hat immer wieder zu dem Vorwurf geführt, der EuGH habe für den Rechtsschutz zur Durchsetzung und zur Abwehr des Unionsrechts einen unterschiedlichen Standard herausgebildet. Die hohe Zulässigkeitshürde für Nichtigkeitsklagen lasse sich nur mit dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Europäischen Union bzw. mit dem Prinzip der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts erklären. Indem der EuGH den Zugang zu den Unionsgerichten erschwere, solle verhindert werden, dass Maßnahmen des Unionsrechts, denen von Natur aus eine integrative Wirkung zukommt, allzu leicht angegriffen werden können.435 Dieser Erklärungsansatz berücksichtigt nicht ausreichend, dass mit der Zurückhaltung bei Direktklagen zugleich eine Förderung des dezentralen Rechtswegs einhergeht. Das Rechtsschutzsystem der Verträge beruht auf zwei Säulen, von denen sich 432   So z. B. Arnull, CMLR 2001, 7, 50 ff.; Calliess, NJW 2002, 3577, 3581; Caranta, CMLR 1995, 703, 724 f.; v. Danwitz, DÖV 1996, 481, 486 f.; Kilpatrick, in: Kilpatrick/Novitz/Skidmore (Hrsg.), The Future of Remedies in Europe, 2000, S. 1, 8 f.; Nettesheim, JZ 2002, 928; Ward, Judicial Review, 2000, S.  242 – 245, 323; dies., in: Barnard/Odudu (Hrsg.), The Outer Limits of European Law, 2009, S. 329, 331, 343 ff., 356. Vgl. auch GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores/ Rat) Rn. 97 ff. 433  Hierzu infra, §  3 E.V.2. – 3. 434   EuGH, Rs.  25/62 (Plaumann) LS  4; Rs.  11/82 (Piraiki-Patraiki u.  a./Kommission) Rn.  11; Rs.  C‑50/ 00 P (Unión de Pequeños Agricultores/Rat) Rn. 36; Rs. C‑263/02 P (Kommission/Jégo-Quéré) Rn. 45; Rs. C‑78/03 P (Kommission/Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum) Rn. 33; Rs. C‑125/06 P (Kommission/Infront WM) Rn. 70; verb. Rs. C‑71, 73 & 76/09 P (Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./ Kommission) Rn. 52. Nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags EuGH, Rs. C‑583/11 P (Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat) Rn. 71 f., 105; zuvor EuG, Rs. T‑18/10 (Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat) Rn. 41 und 88. 435   v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 241; ders., DÖV 1996, 481, 486 f.; Sagmeister, ZEuS 2011, 1, 14.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

die eine auf die Unionsgerichte und die andere auf die nationalen Gerichte stützt. Der Gerichtshof hat wiederholt – und mit besonderem Nachdruck in der Entscheidung Unión de Pequeños Agricultores – darauf verwiesen, dass das Rechtsschutzsystem der Verträge mit Art. 263 Abs. 4 AEUV einerseits und Art. 277 AEUV andererseits ein „vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren“ geschaffen hat.436 Dieses System ermögliche natürlichen oder juristischen Personen, die wegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV Unionshandlungen allgemeiner Geltung nicht unmittelbar anfechten können, die Ungültigkeit solcher Handlungen entweder inzident nach Art. 277 AEUV oder aber vor den nationalen Gerichten geltend zu machen. Die nationalen Gerichte müssten dabei Fragen zur Gültigkeit der betreffenden Unionsnorm dem EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 19 Abs. 3 lit. b EUV i. V. m. Art. 267 Abs. 1 lit. b Var. 1 AEUV vorlegen. Dabei haben die „nationalen Gerichte gemäß dem in Artikel 5 EG‑Vertrag [jetzt Art. 4 Abs. 3 EUV; vgl. auch Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV] aufgestellten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit die nationalen Verfahrensvorschriften über die Einlegung von Rechtsbehelfen möglichst so auszulegen und anzuwenden, dass natürliche und juristische Personen die Rechtmäßigkeit jeder nationalen Entscheidung oder anderen Maßnahme, mit der eine Gemeinschaftshandlung allgemeiner Geltung auf sie angewandt wird, gerichtlich anfechten und sich dabei auf die Ungültigkeit dieser Handlung berufen können“.437 Das Instrument der Gültigkeitsvorlage soll also Lücken beim direkten Rechtsschutz ausgleichen und auf diese Weise für einen effektiven Individualrechtsschutz sorgen. Potentielle Kläger werden mit anderen Worten vom zentralen zum dezentralen Rechtsweg „umgeleitet“. Konsequenterweise verschärfte der Gerichtshof die Anforderungen an das Vorabentscheidungsverfahren in Fällen, in denen es um die Abwehr primärrechtswidrigen Unionsrechts ging. So ist etwa seit der Foto-Frost-Entscheidung anerkannt, dass nicht nur letztinstanzliche Gerichte, sondern auch nichtletztinstanzliche Gerichte aufgrund des Verwerfungsmonopols des EuGH zur Vorlage verpflichtet sind, wenn sie an der Gültigkeit von Sekundär- oder Tertiärrecht zweifeln.438 Auch die in Cilfit formulierten Ausnahmen von der Vorlagepflicht, insbesondere die acte-clair-Doktrin,439 gelten nur für die Auslegung des Unionsrechts, nicht aber für Fragen nach dessen Gültigkeit.440 Stellt der Gerichtshof die Ungültigkeit der Handlung eines Unionsorgans fest, so wirken Urteile im Unterschied zu sonstigen Vorabentscheidungsverfahren zudem nicht inter partes, sondern de facto erga omnes.441

436   EuGH, Rs. C‑50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores/Rat) Rn. 40, unter Hinweis auf EuGH, Rs. 294/83 (Les Verts/Parlament) Rn. 23; Gutachten 1/09 Rn. 70. 437   EuGH, Rs. C‑50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores/Rat) Rn. 42; ebenso EuGH, Rs. C‑354/ 04 P (Gestoras pro amnistía e.a./Rat) Rn. 56; Rs. C‑355/04 P (Segi e.a./Rat) Rn. 56. 438   EuGH, Rs. 314/85 (Foto-Frost) Rn. 15 ff.; bestätigt durch Rs. C‑461/03 (Gaston Schul) Rn. 20 ff.; Rs. C‑344/04 (International Air Transport Association u. a.) Rn. 30. So auch die Empfehlungen des Gerichtshofs der EU an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen, ABl. 2012 C 338/01, Nr. 16. 439   EuGH, Rs. 283/81 (Cilfit) Rn. 16. 440   EuGH, Rs. C‑461/03 (Gaston-Schul) Rn. 19. Streinz/Ehricke, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 267 Rn. 48; Herrmann, EuZW 2006, 231, 234. 441   Vgl. EuGH, Rs. 66/80 (International Chemical Corporation) Rn. 13; Hakenberg, EuR 2008 Beiheft 3, 163, 172.

D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten

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Gegen die Plaumann-Rechtsprechung wird eingewandt, dass die Gültigkeitsvorlage aufgrund des mangelnden Rechtsbehelfscharakters des Vorabentscheidungsverfahrens und der Problematik der nationalen Rechtswegeröffnung kein angemessener Ersatz für die fehlende direkte Klagemöglichkeit des Einzelnen gegen Gesetzgebungsakte der Union sei.442 Diese Einwände sind zutreffend. Insoweit bestehen allerdings keine Unterschiede zwischen dem Rechtsschutz zur Durchsetzung und zur Abwehr des Unionsrechts. Beide Rechtsschutzformen weisen gleichermaßen das Problem auf, dass das Vorabentscheidungsverfahren ein nichtstreitiges Verfahren ist, das in erster Linie der Kooperation zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten dient, und der Herrschaft der Prozessparteien des Ausgangsverfahrens entzogen ist.443 Für die hier behandelte Frage bleibt demnach festzuhalten, dass die restriktive Rechtsprechung zu Art. 263 Abs. 4 AEUV jedenfalls nicht die These eines Vorrangs des effet utile gegenüber dem Rechtsschutzgebot bestätigt. Sie ist vielmehr Ausdruck einer Entscheidung zugunsten des dezentralen Rechtswegs vor den nationalen Gerichten. b) Vorläufiger Rechtsschutz gegen unionsrechtswidriges nationales Recht und gegen primärrechtswidriges Unionsrecht Unterschiedliche Kriterien zeigen sich zweitens – trotz gegenteiliger Beteuerungen des EuGH444 – beim vorläufigen Rechtsschutz. Für die Abwehr primärrechtswidrigen Unionsrechts hat der Gerichtshof die Möglichkeiten zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Vergleich zum deutschen Recht stark eingeschränkt. Im Fall Zuckerfabrik Süderdithmarschen445 modifizierte das Gericht die in § 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 S. 3 VwGO enthaltene Regelung, indem er in Anlehnung an Art. 278 AEUV (ex Art. 242 EG) zusätzliche Anforderungen für die Aussetzung der Vollziehung von Verwaltungsakten, die auf einer möglicherweise primärrechtswidrigen Verordnung beruhten, aufgestellt hat. Vorläufiger Rechtsschutz gegen vermeintlich unionsrechtswidriges Recht darf von den mitgliedstaatlichen Gerichten nur dann gewährt werden, wenn (i) erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Unionshandlung bestehen, (ii)  das Gericht die Frage dieser Gültigkeit dem EuGH, soweit dieser noch nicht damit befasst ist, vorlegt, (iii) die Entscheidung dringlich ist und dem Antragsteller ein schwerer und irreparabler Schaden droht und (iv) schließlich die Interessen der Union angemessen berücksichtigt wurden. Diese Maßstäbe gelten, wie der EuGH im Fall Atlanta446 klargestellt hat, im Grundsatz auch für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.447 Die vom Gerichtshof entwickelten Kriterien gehen über § 123 VwGO hinaus und bewirken damit aus deutscher Sicht ebenfalls eine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten. Entsprechendes gilt für den Fall, dass sich im Rahmen eines Zivilprozesses die Frage nach der Gültigkeit einer anzuwendenden unions442   Arnull, CMLR 2001, 7 ff.; Borowski, EuR 2004, 879, 897 ff.; Calliess, NJW 2002, 3577, 3581; Craig, EU Administrative Law, 2. Aufl., 2012, S. 312 ff.; Schermers/Waelbroeck, Judicial Protection in the European Union, 6. Aufl., 2001, S. 451 ff. 443  Hierzu infra, § 5 B.I. 444   Vgl. EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 42. 445   EuGH, verb. Rs. C‑143/88 und C‑92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen) Rn.  20 – 33. 446   EuGH, Rs. C‑465/93 (Atlanta Fruchthandelsgesellschaft) Rn.  32 – 51. 447  Hierzu Lehr, Einstweiliger Rechtsschutz, 1997, S. 543 ff.; Jannasch, NVwZ 1999, 495, 497 f.; Wiehe, Effektiver vorläufiger Rechtsschutz, 2000, S. 189 ff.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

rechtlichen Rechtsnorm stellt: Die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen müssen nämlich auch bei der einstweiligen Verfügung nach §§ 935 ff. ZPO und beim Arrest nach §§ 916 ff. ZPO angewendet werden.448 Für den Rechtsschutz zur Durchsetzung des Unionsrechts hat der Gerichtshof dagegen die Rechte des Einzelnen gestärkt. Nach Factortame I449 müssen die mitgliedstaatlichen Gerichte in der Lage sein, vorläufige Maßnahmen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen. Die in Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Atlanta entwickelten (strikten) Kriterien finden demgegenüber nach der Unibet-Entscheidung450 keine Anwendung. Vielmehr greifen beim vorläufigen Rechtsschutz gegen unionsrechtswidriges mitgliedstaatliches Recht nur die allgemeinen Vorgaben des Art. 4 Abs. 3 EUV (insbesondere das Effektivitäts- und das Äquivalenzgebot), die den Mitgliedstaaten einen weiteren Spielraum bei der Ausgestaltung ihres Rechtsschutzsystems belassen. Die Rechtsprechung des EuGH zum vorläufigen Rechtsschutz könnte ebenfalls als Beleg dafür gewertet werden, dass der Gerichtshof dem Kollektivinteresse an der Durchsetzung des Unionsrechts Vorrang vor dem Individualschutz einräumt.451 Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass der Gerichtshof in Wirklichkeit eine Abwägung zwischen dem effet utile und dem Rechtsschutzgebot vornimmt. Die in Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Atlanta formulierten Voraussetzungen sind einerseits vom Gedanken der effektiven Durchsetzung geprägt. Da allein der Gerichtshof die Befugnis besitzt, Unionsrecht für ungültig zu erklären, beeinträchtigen nationale Gerichte das Verwerfungsmonopol des EuGH, wenn sie im vorläufigen Verfahren von der Ungültigkeit einer Unionsnorm ausgehen. Die mitgliedstaatlichen Gerichte sind daher bereits im vorläufigen Verfahren zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, wenn sie die Ungültigkeit eines Unionsrechtsakts ihrer Entscheidung zugrunde legen möchten. Auch die vom EuGH am Maßstab des Art. 278 AEUV (ex 242 EG) entwickelten einheitlichen Tatbestandsvoraussetzungen tragen dem effet utile und dem Verwerfungsmonopol des Gerichtshofs Rechnung. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten über die Gültigkeit von Unionsrechtsakten wären nämlich geeignet, die Einheit der Unionsrechtsordnung selbst zu gefährden und das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit zu beeinträchtigen.452 Insbesondere der vom Gerichtshof geforderte Gleichlauf mit den Kriterien des Art. 278 AEUV ist nachvollziehbar, weil für den (vorläufigen) Rechtsschutz gegen vermeintlich primärrechtswidriges Recht sowohl die nationalen Gerichte als auch die Unionsgerichte zuständig sein können; insoweit dürfen aber die Maßstäbe für die Suspendierung des Sekundärrechts nicht nach den vom Zufall bestimmten Verfahrenswegen variieren.453 448   Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren und nationales Zivilprozessrecht, 2009, S. 320; R. Koch, NJW 1995, 2331, 2332. 449   EuGH, Rs. C‑213/89 (Factortame I) Rn.  18 – 23. Hierzu supra, § 2 D.IV.2. 450   EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn.  79 – 82. 451  So Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), 335, 347; Schoch, in: Schmidt-Aßmann et al. (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 507, 526 ff., 529 f. 452   EuGH, Rs. 314/85 (Foto-Frost) Rn. 15; Rs. C‑344/04 (International Air Transport Association u. a.), Rn. 27. 453   Gundel, JA 2007, 830, 832.

D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten

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Der EuGH trägt andererseits dem Gebot des effektiven und zeitnahen Rechtsschutzes Rechnung. Die nationalen Gerichte können, sofern sie ihrer Vorlagepflicht nachkommen, dem Einzelnen vorläufigen Rechtsschutz gewähren, solange sie das Interesse an der einheitlichen Geltung und effektiven Durchsetzung des Unionsrechts angemessen berücksichtigen. Das unionsrechtlich gewährleistete Rechtsschutzgebot umfasst auch das Recht, die Rechtmäßigkeit des Sekundärrechts vor nationalen Gerichten inzident zu bestreiten; dieses Recht „wäre gefährdet, wenn der Bürger trotz des Vorliegens bestimmter Voraussetzungen solange nicht in der Lage wäre, eine Aussetzung der Vollziehung zu erreichen und damit für sich der Verordnung einstweilen die Wirksamkeit zu nehmen, als es an einem Urteil des Gerichtshofes fehlt, der allein befugt ist, die Ungültigkeit einer Gemeinschaftsverordnung festzustellen“.454 Das Individualinteresse kann damit im Einzelfall durchaus Vorrang gegenüber der objektiven Durchsetzung des Unionsrechts beanspruchen.455 Diese Lösung ist zu Recht als ein gelungener Ausgleich zwischen dem effet utile und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes bezeichnet worden.456 2. Konflikte zwischen dem effet utile und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes bei Durchführung des Unionsrechts Geht es allein um die Durchführung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten, kann der effet utile ebenfalls zu Lasten des Unionsbürgers gehen und in Widerspruch zu dessen Rechtsschutzinteressen geraten. Besonders plastisch tritt dieser Konflikt bei der Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen, bei Anwendung des in vielen Mitgliedstaaten vorgesehenen Verbots der reformatio in peius sowie im Privatrecht hervor. Eine Durchsicht der Rechtsprechung zeigt, dass der Gerichtshof dem effet utile auch hier nicht unbedingten Vorrang einräumt, sondern zu differenzierten Lösungen gelangt, die dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes Rechnung tragen. a) Effet utile versus Vertrauensschutz bei Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, der nicht nur die Organe und Einrichtungen der EU, sondern auch die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Unionsrechts bindet.457 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes 454

  EuGH, verb. Rs. C‑143/88 und C‑92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen) Rn. 17.  Ähnlich Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, 289, 294 („Rechtsprechung bedeutet eine Bekräftigung des vorläufigen Rechtsschutzes des Einzelnen“). Zu weit dagegen Schermers, CMLR 1992, 133, 137 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen „places the protection of the individual in the foreground, even in front of the question of priority“); zustimmend GA Léger, SchlA, Rs. C‑5/95 (Hedley Lomas) Rn. 62. 456  Ehlers/Gundel, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 27 Rn. 56. Ähnlich Pietzcker, in: Ipsen/Rengeling/ Mössner/Weber (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel, 1995, S. 623, 633 („salomonische Lösung“); Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 471 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen „is a successful attempt to strike a balance between competing principles namely, on the one hand, the principle of effective judicial protection (. . .) and, on the other hand, the requirement to ensure the full effect and uniform interpretation of Community Law“). 457   EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milkontor) Rn. 30; Rs. 316/86 (Krücken) Rn. 22; verb. Rs.  C‑31 – 44/91 (Lageder u. a.) Rn. 33; Rs. C‑381/97 (Belgocodex) Rn. 26; Rs. C‑396/98 (Schlossstraße) Rn. 44; Rs. C‑62/00 (Marks & Spencer) Rn. 44; Rs. C‑107/10 (Enel Maritsa Iztok 3 AD) Rn. 29. 455

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

ist daher auch bei Aufhebung mitgliedstaatlicher Verwaltungsakte im Rahmen des indirekten Vollzugs des Unionsrechts zu beachten. Die Rechtsprechung ist insoweit allerdings uneinheitlich, was sich insbesondere bei der Frage zeigt, ob der Empfänger einer unionsrechtswidrig geleisteten Beihilfe die Rückforderung dieser Beihilfe unter Berufung auf berechtigtes Vertrauen (für das deutsche Recht vgl. § 48 Abs. 2 VwVfG) verweigern darf. Für die Rückforderung nationaler Beihilfen betont der Gerichtshof, dass der Begünstigte in aller Regel keinen Vertrauensschutz genießt, wenn die Beihilfe unter Verstoß des in Art. 108 AEUV vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde.458 Daraus lässt sich noch nicht der Schluss ziehen, dass das Interesse an der wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts gegenüber dem Vertrauensschutz stets vorrangig wäre. Die Verdrängung mitgliedstaatlicher Vertrauensschutzregelungen ist nämlich durch die Aufsichtsbefugnisse der Kommission nach Art. 108 AEUV bedingt. Da die Überwachung der staatlichen Beihilfen durch die Kommission in dieser Vorschrift zwingend vorgeschrieben ist, darf ein beihilfebegünstigtes Unternehmen auf die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe nur dann vertrauen, wenn diese unter Einhaltung des darin vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde. Anderenfalls wäre die primärrechtlich begründete Kompetenz der Kommission zu einer abschließenden Entscheidung über die Vereinbarkeit nationaler Beihilfen mit dem Unionsrecht gefährdet.459 Eine Abwägung zwischen dem Effektivitätsgrundsatz und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Vertrauensschutz) führt daher in der Regel zu einem Vorrang des Effektivitätsgebots.460 Etwas anderes gilt, wenn es nicht um die Rückforderung nationaler Beihilfen, sondern um die Rückforderung von Unionsbeihilfen geht. Da die Kommission in diesem Fall keine exklusiven Aufsichtsbefugnisse besitzt, lässt die Rechtsprechung des Gerichtshofs ein deutlich höheres Vertrauensschutzniveau erkennen: Mitgliedstaatliche Regelungen, die dem Vertrauensschutz dienen, sind in diesen Konstellationen ganz überwiegend für mit dem Unionsrecht vereinbar erklärt worden.461 Die Anforderungen an den Vertrauensschutz schwanken damit je nach Rechtsmaterie und Personenkreis.462 b) Effet utile versus reformatio in peius Im Fall Heemskerk463 stellte sich die Frage, ob der im niederländischen Recht verankerte Grundsatz der reformatio in peius im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bei Durchführung des Unionsrechts angewendet werden darf oder auf458   EuGH, Rs. 5/89 (BUG-Alutechnik) Rn. 14; Rs. C‑24/95 (Alcan II) Rn. 25; verb. Rs. C‑346 & 529/03 (Atzeni u. a.) Rn. 64 f. Ausführlich infra, § 8 C.IV.3. 459   Vgl. EuGH, Rs. C‑24/95 (Alcan II) Rn. 25, 34. 460  Kritisch Petzold, EuR 2011, 437, 444, mit der Forderung, dass der EuGH bei Abwägung der verschiedenen Rechtsgrundsätze (Effektivität und Vertrauensschutz) den Interessen des Beihilfeempfängers mehr Gewicht zumessen sollte. Allgemein zur Abwägung zwischen den Geboten der Effektivität und des effektiven Rechtsschutzes im Beihilferecht Koenig/Hellstern, EuZW 2011, 702, 705 ff. 461  So etwa in EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 30 ff.; Rs. C‑366/95 (Steff-Houlberg) Rn. 31 f.; verb. Rs. C‑80 – 82/99 (Flemmer) Rn. 60; Rs. C‑336/00 (Huber) Rn. 56; Rs. C‑385/06 (Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening u. a.) Rn. 52, 59. 462   Zuleeg/Kadelbach, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 8 Rn. 46. Vertiefend Borchardt, Der Grundsatz des Vertrauensschutzes im europäischen Gemeinschaftsrecht, 1988; Berninghausen, Die Europäisierung des Vertrauensschutzes, 1997. 463   EuGH, Rs. C‑455/06 (Heemskerk).

D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten

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grund des Effektivitätsgebots durchbrochen werden muss. GA Bot plädierte in seinen Schlussanträgen dafür, dem Effektivitätsgebot gegenüber dem Rechtsschutz des Einzelnen den Vorrang einzuräumen; der nationale Richter müsse das Unionsrecht von Amts wegen anwenden und dürfe hierbei das (nationale) Verbot der reformatio in peius nicht berücksichtigen.464 Der Gerichtshof widersprach dieser Ansicht.465 Das Unionsrecht könne den natio­ nalen Richter nicht dazu verpflichten, von Amts wegen eine Unionsnorm anzuwenden, wenn dies zur Folge hätte, das in seinem nationalen Verfahrensrecht niedergelegte Prinzip des Verbots der reformatio in peius zu durchbrechen. Eine derartige Verpflichtung verstieße, so der EuGH weiter, „nicht nur gegen die Grundsätze der Beachtung der Verteidigungsrechte, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die dem genannten Verbot zugrunde liegen, sondern würde den Einzelnen, der gegen eine ihn beschwerende Handlung Klage erhoben hat, der Gefahr aussetzen, dass er sich infolge dieser Klage in einer ungünstigeren Lage als der befindet, in der er sich befände, hätte er von dieser Klage abgesehen“. c) Spezifische Konfliktlagen im Privatrecht Im europäischen Privatrecht stellt sich regelmäßig das Problem, wie der effet utile unionsrechtlicher Regelungen in einen angemessenen Ausgleich mit widerstreitenden Interessen der anderen Partei zu bringen ist: Jedem Vorteil, der dem Einzelnen im Interesse der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts gewährt wird, steht spiegelbildlich zumeist ein Nachteil der anderen Partei gegenüber. Der Gerichtshof trägt, wie im Einzelnen noch zu zeigen ist, zunehmend auch dem Interesse der anderen Partei Rechnung, indem er auf unionsrechtlich anerkannte Rechtsgrundsätze rekurriert.466 Neben diesen allgemeinen Problemen zeichnen sich spezifische Konfliktlagen ab, in denen der effet utile mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes auszutarieren ist. So stellt sich etwa bei der privaten Durchsetzung des EU‑Wettbewerbsrechts (Art. 101 ff. AEUV) die Frage, ob nicht nur direkten Abnehmern, sondern auch Folgeabnehmern ein Anspruch auf Ersatz der durch kartellrechtswidriges Verhalten entstandenen Schäden zugesprochen werden muss. Der Effektivitätsgrundsatz könnte dafür sprechen, Schadensersatzansprüche bei den Erstabnehmern zu konzentrieren; bei den indirekten Abnehmern kommt es nämlich in aller Regel zu einer Vielzahl kleiner Streuschäden, an deren Geltendmachung zumeist kein Interesse besteht.467 Werden Schadensersatzansprüche bei den Erstabnehmern konzentriert, so wird andererseits im Widerspruch zum Kompensationsgedanken der Rechtsschutz der Folgeabnehmer beschnitten. Der BGH hat diesen Widerspruch in seiner ORWI-Entscheidung468 – entgegen den Vorinstanzen469 – zugunsten des Prinzips des effektiven Rechtsschut464

  GA Bot, SchlA, Rs. C‑455/06 (Heemskerk) Rn. 128 f., 138. Kritisch hierzu Reich, EuZW 2008,

325 f.

465

  EuGH, Rs. C‑445/06 (Heemskerk) Rn. 46 – 47. Vgl. auch Lindner, DVBl. 2009, 224 ff.  Ausführlich infra, § 4 E.I.2. 467   Für eine Konzentration der Ansprüche auf die Direktabnehmer Reich, CMLR 2005, 35, 45 ff.; Keßler, BB 2005, 1125, 1128; Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 887; Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 Rn. 36 ff., 41; G. Wagner, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 605, 643 ff. 468   BGH, NJW 2012, 928 (ORWI). 469   OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.6.2010, Az. 6  U 118/05 (Kart.) (08), BeckRS 2011, 26582; LG Mannheim, Urt. v. 29.4.2005, 22 O 74/04. 466

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

zes aufgelöst. Nach Ansicht des BGH erfordert der Schutzzweck der Art. 1 GWB, Art. 101 AEUV, dass auch indirekte Abnehmer anspruchsberechtigt sind. Ob dieses Ergebnis vom Unionsrecht zwingend vorgegeben ist, hat er dabei offen gelassen,470 andererseits aber zur Begründung maßgeblich auf den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz (in seiner Rechtsschutzdimension) rekurriert.471 Als besonders problematisch erweisen sich Bonusprogramme für Kronzeugen. Kronzeugenregelungen stärken die öffentlich-rechtliche Kartellrechtsdurchsetzung, indem geständigen Kartelltätern der Erlass oder die Reduzierung der teils erheblichen Bußgelder in Aussicht gestellt wird, wenn sie mit den Kartellbehörden kooperieren. Damit wird mittelbar zugleich die private Kartellrechtsdurchsetzung gefördert; die meisten Schadensersatzansprüche werden nämlich erst im Anschluss an ein behördliches Verfahren als sog. follow-on-Klagen geltend gemacht. Kronzeugenregelungen stehen gleichzeitig aber in einem Spannungsverhältnis zur privaten Rechtsdurchsetzung. Muss der geständige Kartelltäter damit rechnen, in Folgeprozessen zivilrechtlich in Anspruch genommen zu werden, könnte dies dazu führen, dass er von einem entsprechenden Antrag Abstand nimmt. Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Geschädigten zur Vorbereitung zivilrechtlicher Forderungen Einsicht in die Verfahrensunterlagen von Wettbewerbsbehörden oder Gerichtsakten erhalten. Verlangt daher der effet utile, dass Geschädigten die Einsicht in Bonusanträge zu verweigern ist oder folgt umgekehrt aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ein Recht der Geschädigten auf Akteneinsicht? Der EuGH urteilte in den Fällen Pfleiderer472 und Donau Chemie473 dass bei Anwendung nationaler Kronzeugenregelungen weder dem effet utile noch dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unbedingter Vorrang einzuräumen ist. Nach Ansicht des Gerichtshofs kann es die Wirksamkeit der zur effektiven Kartellrechtsdurchsetzung eingeführten Kronzeugenverfahren beeinträchtigen, wenn Geschädigte Zugang zu Dokumenten erhalten, die der Kronzeuge freiwillig der nationalen Kartellbehörde vorgelegt hat.474 Andererseits müssten die Mitgliedstaaten jedoch sicherstellen, dass jedermann Ersatz des ihm durch ein Kartell entstandenen Schadens verlangen könne.475 Die nationalen Gerichte müssten daher bei der Entscheidung über den Dokumentenzugang auf der Grundlage nationalen Rechts zwischen dem öffentlichen Interesse an der Wirksamkeit des Kronzeugenprogramms einerseits und dem Individualinteresse andererseits abwägen.476 Das Unionsrecht verlangt mit anderen Worten, wie der BGH richtig erkannt hat, „eine praktische Konkordanz zwischen den individuellen Rechten der Einzelnen und dem öffentlichen Interesse an wirksamer Durchsetzung des gemeinschaftlichen Kartellrechts herzustellen“.477

470

  BGH, NJW 2012, 928, 929 (ORWI) Rn. 24.   BGH, NJW 2012, 928, 930 f. (ORWI) Rn. 34 f.   EuGH, Rs. C‑360/09 (Pfleiderer). Siehe auch den Vorlagebeschluss des AG Bonn v. 4.8.2009, Az. 51 Gs 53/09. Im Anschluss an die EuGH-Entscheidung hat das AG Bonn ein Zugangsrecht zu Kronzeugenanträgen des BKartA abgelehnt; AG Bonn, NJW 2012, 947. 473   EuGH, Rs. C‑536/11 (Donau Chemie u. a.). 474   EuGH, Rs. C‑360/09 (Pfleiderer) Rn. 26 f.; Rs. C‑536/11 (Donau Chemie u. a.) Rn. 33. 475   EuGH, Rs. C‑360/09 (Pfleiderer) Rn. 28 f.; Rs. C‑536/11 (Donau Chemie u. a.) Rn. 32. 476   EuGH, Rs. C‑360/09 (Pfleiderer) Rn. 30 f.; Rs. C‑536/11 (Donau Chemie u. a.) Rn. 34. 477   BGH, NJW 2012, 928, 931 (ORWI) Rn. 37. 471 472

D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten

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III. Ergebnis Unionsrechte dienen nicht nur dem Schutz des Einzelnen, sondern zugleich der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten. Da die Kommission im Wege der zentralen Rechtsdurchsetzung nicht ausreichend gewährleisten kann, dass das Unionsrecht in den Mitgliedstaaten befolgt wird, versteht der Gerichtshof den Einzelnen auch als Mittel zur individual-initiierten dezentralen Kontrolle der Anwendung des Unionsrechts. Dieser Gedanke spielte in den Anfangsjahren vor allem im öffentlichen Recht eine überragende Rolle. Seit den Entscheidungen des EuGH zum Antidiskriminierungsrecht ab den 1980er Jahren sowie zum EU‑Wettbewerbsrecht ab 2001 werden nicht nur die subjektiv-öffentlichen Rechte, sondern auch die subjektivprivaten Rechte in zunehmendem Maße instrumentalisiert. Der Gerichtshof aktiviert im Privatrecht vor allem das Haftungs- und Schadensersatzrecht, um die objektiven Regelungsanliegen des Unionsrechts durchzusetzen. Das Unionsrecht bekennt sich damit weitaus offener zur verhaltens- bzw. marktsteuernden Wirkung privatrechtlicher Regelungen als dies in Deutschland und in den meisten anderen Mitgliedstaaten der Fall ist. Insoweit ist es durchaus zutreffend, wenn im Schrifttum von einer Mobilisierung der Bürger bzw. einer Funktionalisierung der subjektiven Rechte gesprochen wird. Zu weit führt dagegen die verbreitete These, dass Individualberechtigungen im Unionsrecht ausschließlich oder in erster Linie dem Kollektivinteresse an der dezentralen Kontrolle und Durchsetzung des Unionsrechts dienen.478 Die vorangegangene Analyse zeigt vielmehr, dass unionsrechtliche Rechtspositionen inzwischen auch auf die Ausgestaltung der individuellen Rechtssphäre einzelner Unionsbürger zielen. So belegt etwa die vom Gerichtshof anerkannte Zulässigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Vollzug möglicherweise unionsrechtswidrigen Rechts, dass dem Kollektivinteresse an einer wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts nicht in jedem Fall der Vorrang gebührt; vielmehr kann es im Einzelfall sein, dass der Schutz des Einzelnen Vorrang gegenüber der objektiven Durchsetzung des Unionsrechts beanspruchen kann.479 Der Gerichtshof nimmt auch in anderen Konstellationen eine Abwägung zwischen dem effet utile und dem Rechtsschutzgebot vor, so etwa wenn es darum geht, ob die Effektivität unionsrechtlicher Regelungen durch nationale Regelungen zur Rechtssicherheit, zum Vertrauensschutz oder zur Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen eingeschränkt werden darf. Auch im Staatshaftungsrecht lässt sich nicht mehr die These halten, dass die Haftung der Mitgliedstaaten ausschließlich bzw. vorrangig Sanktionszwecken dient.480 Der Gerichtshof betonte bereits im Fall Franco478   So noch Masing, Mobilisierung, 1997, S. 176 („Individualbefugnisse stehen nach europarechtlichem Verständnis in erster Linie im Gemeinschaftsinteresse“); Ruffert, Subjektive Rechte, 1996, S. 222 f. („Die Gewährung von Rechten erfolgt auch und vor allem um der effektiven Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts willen (effet utile)“); Baumgartner, Die Klagebefugnis nach deutschem Recht vor dem Hintergrund der Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 86 f. (Unionsrechte haben nur eine „dienende Funktion“). Für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche Hoseinian, World Competition, 3, 7 („[D]eterrence is the ultimate objective and (. . .) compensation is of secondary importance“); Brinker/Balssen, in: FS Bechtold, 2006, S. 69, 75 (Schadensersatzanspruch ist „bloßes strategisches Werkzeug der Rechtsdurchsetzung“). 479  Hierzu supra, § 3 D.II.1.b. 480  Vgl. Caranta, CMLR 1995, 703, 710 („effective judicial protection“ is used „more to exact obedience from Member States than to protect citizens“); Harlow, State Liability, 2004, S. 57 (Francovich „represents a sanction theory of tort law, in which liability is seen as a substitute for the more intrusive

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

vich,481 dass die Staatshaftung sowohl die volle Wirksamkeit gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen als auch den Schutz der durch sie begründeten Rechte sicherstellen soll; in der Rechtssache AGM-COSMET482 stellte der Gerichtshof weitergehend klar, „dass die im Gemeinschaftsrecht begründete Haftung eines Mitgliedstaats nicht der Abschreckung oder als Sanktion dient, sondern auf den Ersatz der Schäden gerichtet ist, die Einzelnen durch Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Gemeinschaftsrecht entstehen.“ Auch im Privatrecht führen die vom Gerichtshof aufgestellten Grundsätze nicht zu einer bedingungslosen Funktionalisierung individueller Rechte. Die Rechtsprechungsanalyse belegt, dass der Gerichtshof – trotz aller Defizite, die mit Blick auf die effet-utile Rechtsprechung konstatiert werden müssen, – durch die Anerkennung allgemeiner Rechtsgrundsätze Instrumente geschaffen hat, mit denen gegenläufige Interessen der anderen Partei durchaus berücksichtigt werden können. Insbesondere die Befürchtung, das Unionsrecht verlange die Einführung von punitive damages, erweist sich als unberechtigt.483 Insgesamt gesehen hat der Schutz der Rechtsstellung des Einzelnen durch Zuerkennung individueller Berechtigungen in der Unionsrechtsordnung kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Diese Entwicklung fand ihren Ausdruck zunächst in der Anerkennung und Ausformung des unionsrechtlichen Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes, der seine Grundlage nicht nur im effet utile bzw. im Effektivitätsgebot findet, sondern zugleich in den menschenrechtlichen – und damit auf den Schutz der Individualsphäre abzielenden – Verbürgungen der Art. 6 und 13 EMRK.484 Die durch den Lissabon-Vertrag für primärrechtlich verbindlich erklärte Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstärkt die Bedeutung des Rechtsschutzgebots. Nach Angaben der Kommission war das in Art. 47 GRC verankerte Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Jahre 2011 das vom Gerichtshof in seinen Entscheidungen am häufigsten zitierte Recht der Grundrechtecharta; es wurde in einem Drittel aller Entscheidungen erwähnt.485 Unionsrechtliche Individualberechtigungen lassen sich damit nicht mehr ausschließlich oder vorrangig durch das objektive Unionsinteresse an der dezentralen Kontrolle des Unionsrechts erklären. Sie weisen vielmehr eine Doppelfunktion auf.486 Sie dienen in erster Linie der Ausgestaltung der Rechtsstellung einzelner Unionsbürger, daneben aber auch der dezentralen Vollzugskontrolle. Der Funktionalisierung individueller Rechte kommt dessen ungeachtet weiterhin erhebliche Bedeutung zu. Die Gebote der Effektivität und des effektiven Rechtsschutzes sind in der Rechtsprechung immer noch eng miteinander verwoben. Obwohl der mandatory or punitive remedies not at the time in the possession of the ECJ“). Zur Sanktions- bzw. Straffunktion des Staatshaftungsanspruchs ferner v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 314; Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 2030, 2033, 2035; Masing, Mobilisierung, S. 48 f. Die Rechtsschutzfunktion dagegen betonend Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2004, S. 508 – 524; ders., EuR 1998, 417 ff.; Reich, EuZW 1996, 709 ff. 481   EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 33. 482   EuGH, Rs. C‑470/03 (AGM COS.MET) Rn. 88; vgl. auch die SchlA von GA Kokott, Rn. 142. 483  Siehe supra, § 3 D.I.3.c. 484   Zur Herleitung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz bereits supra, § 2 D.I. Ausführlich infra, § 4 C.I.3. 485   Bericht 2011 über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, KOM (2012) 169 endg., S. 16. 486   Nebbia, CYELS 2008, 287, spricht anschaulich vom „double life of effectiveness“.

D. Gründe für die Einräumung von Unionsrechten

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EuGH das Gebot effektiven Rechtsschutzes bereits in der Johnston-Entscheidung487 aus dem allgemeinen Prinzip der effektiven Rechtsgeltung herausgelöst hat,488 rekurriert er in vielen Urteilen selbst nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags weiterhin auf das Effektivitätsgebot, um konkrete Anforderungen für die Ausgestaltung von Rechtsbehelfen und Verfahren zu entwickeln, während Generalanwälte in ihren Schlussanträgen auch auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 GRC) Bezug nehmen.489

IV. Folgerungen für die Ermittlung der Unionsrechte Aus der Doppelfunktion der Unionsrechte erklärt sich zugleich, warum der Gerichtshof Individualberechtigungen und entsprechende Klagemöglichkeiten nach wie vor unter großzügigeren Voraussetzungen anerkennt als nach der ausschließlich individualschutzorientierten deutschen Schutznormlehre (§ 42 Abs. 2 VwGO, § 823 Abs. 2 BGB). In der Konsequenz der Funktionalisierung Einzelner liegt es, dass klagefähige Rechtspositionen Einzelner immer schon dann bestehen bzw. von den Mitgliedstaaten gewährt werden müssen, wenn es in der fraglichen Unionsnorm zumindest auch um den Schutz von Individualinteressen geht.490 Da der Unionsbürger durch die Geltendmachung seiner durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte zugleich eine effektive Kontrolle der Einhaltung des Unionsrechts ermöglichen soll, ist es vom Ausgangspunkt irrelevant, ob der Einzelne nur als Teil der Allgemeinheit geschützt werden soll, ob er zu einem abgrenzbaren und feststehenden Personenkreis gehört oder ob die Vorschrift gezielt den Schutz des Einzelnen bezweckt. Damit werden die Verbindungslinien sichtbar, die zwischen den Gründen für die Einräumung von Unionsrechten und den Kriterien für ihre Ermittlung bestehen: Die Theorie der Funktionalisierung subjektiver Rechte wird vom Gerichtshof im Rahmen der Auslegung zur Beantwortung der Frage herangezogen, ob eine Unionsnorm Rechte zugunsten des Einzelnen verleiht. Zwar kann aus der Funktion subjektiver Rechte nicht ohne Weiteres auf das Bestehen subjektiver Rechte geschlossen werden.491 Anderenfalls wäre kaum erklärbar, weshalb es Unionsnormen gibt, die keine Rechte verleihen.492 Die Erkenntnis, dass Unionsrechte auch die dezentrale Durchsetzung des Unionsrechts stärken sollen, vermag im Kanon der Auslegungsmethoden aber eine Hilfestellung zu geben, wenn der Gerichtshof danach fragt, ob Individualbegünstigungen überhaupt verliehen werden oder ob ein bestimmter sachlicher Gehalt des Rechts für die Erreichung des mit einem Rechtsakt verfolgten Ziels notwendig ist.

487

  EuGH, Rs. 222/84 (Johnston) Rn. 18 f.  Hierzu supra, § 2 D.I. 489   Vgl. z. B. EuGH, Rs. 40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 39 ff., sowie die SchlA von GA Trstenjak, Rn. 61 ff.; EuGH, Rs. 360/09 (Pfleiderer) Rn. 30, sowie die SchlA von GA Mazák, Rn. 37 ff. Zur normativen Herleitung des Gebots des effektiven Rechtsschutzes siehe auch noch infra, § 4 C.I.3. 490   Hierzu sogleich, unter § 3 E.V.2. und § 3 E.V.3.a. 491   Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 164, betont zu Recht, dass zwischen (i) Gründen für subjektive Rechte, (ii) subjektiven Rechten als rechtlichen Positionen und Relationen und (iii) der rechtlichen Durchsetzbarkeit subjektiver Rechte zu unterscheiden ist. Vgl. auch Fichtner, Rechte des Einzelnen, 2005, S. 18 f. 492   Beljin, Der Staat 2007, 489, 510. 488

126

§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte I. Grundlegung 1. Direkt und indirekt begründete Unionsrechte Im Unionsrecht lassen sich direkt und indirekt begründete Rechte voneinander unterscheiden.493 Von einem direkt begründeten Recht lässt sich sprechen, wenn eine Unionsnorm ausdrücklich bestimmte Personen oder Personengruppen begünstigt und ihnen das Recht einräumt, diese Begünstigung gegenüber der Union, einem Mitgliedstaat oder Privaten einzufordern und gegebenenfalls vor den Gerichten oder anderen Instanzen durchzusetzen. Viele Bestimmungen des Unionsrechts sehen derartige Rechte vor. Die subjektive Berechtigung bzw. die Verpflichtung zur innerstaatlichen Normierung einer solchen kann sich bereits aus dem Wortlaut der betreffenden Vorschrift selbst ergeben, etwa wenn die Norm davon spricht, dass der Einzelne „das Recht hat“, etwas „darf“ oder zu etwas „berechtigt“ ist.494 Denkbar ist auch, dass materielle Regelungen in einem Rechtsakt explizit mit der Verpflichtung kombiniert werden, dem Einzelnen den Rechtsweg vor den nationalen Gerichten oder anderen Instanzen einzuräumen. Derartige Rechtsweggebote finden sich vor allem in Richtlinien.495 Sie implizieren, dass der Unionsgesetzgeber die Intention hatte, dem Einzelnen durchsetzbare materielle Rechtspositionen einzuräumen.496 Fehlt es an einer solchen Klarstellung, so stellt sich die Frage, ob die betreffende Ge- oder Verbotsnorm ausschließlich objektivrechtlich die Mitgliedstaaten oder Private zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, oder ob sich aus ihr zugleich ein subjektives Recht für Unionsbürger ergibt. Nicht mit jeder mitgliedstaatlichen Pflicht geht ein Recht des Einzelnen einher, das betreffende Verhalten einklagen bzw. im Falle der Verletzung Sekundäransprüche geltend machen zu können. Erst recht begründen Pflichten, die Privaten direkt durch unmittelbar wirkende Unionsnormen oder im Wege der Richtlinienumsetzung auferlegt werden, für Dritte nicht notwendigerweise das Recht, die Beachtung dieser Pflichten einklagen zu können. Pflichten und Rechte stehen im Unionsrecht nicht zwangsläufig im Verhältnis der Reziprozität.497 Der EuGH geht dessen ungeachtet davon aus, dass Unionsrechte auch indirekt begründet werden können, nämlich durch eindeutige Verpflichtungen, die das Unionsrecht den Einzelnen, den Mitgliedstaaten oder den Unionsorganen auferlegt.498 Dabei hat er allerdings in der Vergangenheit nur bedingt zur Klärung des Konzepts indirekt begründeter Unionsrechte beigetragen. Häufig konstatiert der Gerichtshof in seinen Entscheidungen nur, dass das Unionsrecht dem Einzelnen das Recht verleiht, 493

 Vgl. Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 79 ff.   Umgekehrt ist denkbar, dass der Unionsgesetzgeber klarstellt, dass bestimmte Rechte gerade nicht durch das Unionsrecht gefordert werden; vgl. etwa ErwGr (24) Einlagensicherungs-RL 94/19; hierzu EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.) Rn. 31; ausführlich infra, § 3 E.V.2.g. Ferner ErwGr (9), Art. 3 Abs. 2 UGP-RL 2005/29; hierzu infra, § 10 D.III.2.c. 495  Ausführlich infra, § 4 C.I.4.b. Weitere Nachweise zu sekundärrechtlichen Rechtsweggeboten bei Dörr, Rechtsschutzauftrag, 2003, S. 187 (in Fn. 63 und 64); Nowak, in: Hesselhaus/Nowak (Hrsg.), Hdb. der Europäischen Grundrechte, München 2006, § 51 Rn. 3 ff. 496   Dörr, Rechtsschutzauftrag, 2003, S. 187. 497   Beljin, Staatshaftung, 2000, S. 137 f. 498   EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos). Hierzu supra, § 2 B.F. 494

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

127

sich auf bestimmte Normen des Unionsrechts zu berufen, dass ihnen die Befugnis zustehen müsse, ihre Rechte vor den mitgliedstaatlichen Gerichten durchzusetzen oder dass der nationale Gesetzgeber zur Schaffung der erforderlichen Rechtspositionen verpflichtet ist. Konkrete Aussagen darüber, nach welchen Kriterien indirekt begründete Unionsrechte zu ermitteln sind, wem das Recht zustehen soll und welche inhaltliche Reichweite diese Rechte haben, sucht man in vielen Entscheidungen vergebens. 2. Meinungsspektrum Im Schrifttum werden dementsprechend ganz unterschiedliche Auffassungen vertreten, nach welchen Kriterien indirekt begründete Unionsrecht anerkannt werden können. Zwar herrscht mittlerweile Einigkeit darüber, dass sich die Unionsrechte nicht nach nationalen Maßstäben ermitteln lassen.499 Die Qualifizierung von Normen des Unionsrechts als Grundlage subjektiver Rechte kann also nur durch eine autonome Auslegung des Unionsrechts erfolgen.500 Gleichermaßen hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass die unionsrechtlichen Kriterien nicht der deutschen Schutznormlehre (vollständig) entsprechen, da das Unionsrecht vielfach zu einer Erweiterung des Kreises gerichtlich geltend zu machender Rechtsvorschriften führt. Beträchtliche Differenzen bestehen aber darüber, in welchem Ausmaß sich das unionsrechtliche Konzept von den nationalen Rechten unterscheidet. a) im öffentlichen Recht Für das öffentliche Recht wird teils vertreten, dass aus der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts eine individuelle Rechtsposition folge, die dem Einzelnen ein gerichtlich erzwingbares Recht verleiht.501 Dieser Ansicht wurde bereits widersprochen. Die unmittelbare Wirkung ist zwar eine notwendige Voraussetzung, damit ein Rechtsstreit von den nationalen Gerichten direkt auf der Grundlage einer bestimmten Unionsnorm entschieden werden kann. Sie ist jedoch keine hinreichende Bedingung, damit die betreffende Norm auch offensiv in Anspruch genommen werden kann.502 Unabhängig von der Frage, ob unmittelbare Wirkung und Individualberechtigung gleichzusetzen sind, hält sich gleichwohl die Auffassung, dass die Einräumung von Unionsrechten entsprechend der These von der Funktionalisierung subjektiver Rechte nur eine faktische Betroffenheit voraussetze:503 Für den EuGH reiche jedes nachvollziehbare, tatsächliche Interesse des Einzelnen, damit dieser sich auf eine Vorschrift des Unionsrechts stützen könne oder zumindest die mitgliedstaatliche Pflicht auslöse, für einen ausreichenden Rechtsschutz durch Umsetzungsmaßnahmen zu sor499

  Nachweise zum früheren Meinungsstand bei Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 105 – 108.   Beljin, Der Staat 2007, 489, 503 f.; Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996, S. 52; Classen, Europäisierung, 1996, S. 80; v. Danwitz, DÖV 1996, 481, 489; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 369 ff., S. 387 ff.; Langenfeld, DÖV 1992, 952, 962; Remmert, Die Verwaltung 29 (1996), 465, 473; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 105 ff. 501   v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 231 ff. 502   Supra, § 3 C.IV.2.c. 503   v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 365; Halfmann, VerwArch 91 (2000), 74, 82 ff.; Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), 335, 348, 356 ff.; Remmert, Die Verwaltung 29 (1996), 465, 475 f. m. w. N.; Sagmeister, ZEuS 2011, 1, 25 f. 500

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

gen. Der vom EuGH geforderte Zugang des Einzelnen zu den mitgliedstaatlichen Gerichten wird insoweit mit der objektiven Rechtskontrolle nach französischem Recht verglichen. Der EuGH orientiere sich bei Klagen gegen Hoheitsträger am französischen Modell der Interessentenklage.504 Andere gelangen dagegen zu dem Ergebnis, dass die vom EuGH zugrunde gelegten Kriterien weitgehend mit der Schutznormtheorie in ihrer Ausprägung durch die deutsche Rechtsprechung übereinstimmen.505 Zwar unterscheide sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs von der deutschen Schutznormtheorie dadurch, dass der individualschützende Charakter von Unionsnormen auch dort anerkannt werde, wo es nur um den Schutz eines typisierten Interesses der Gesamtheit gehe; die deutsche Schutznormtheorie müsse daher unionsrechtlich „aufgeladen“ werden. Auch im Unionsrecht komme es jedoch auf den Schutzzweck der Regelungen an, da letztlich entscheidend sei, ob das Ziel einer Unionsnorm die Verleihung von Rechten an Individuen sei.506 Die Norm müsse von ihrem Regelungsgehalt und Regelungsziel her auf die Ausgestaltung der Rechtstellung einzelner ausgerichtet sein. Zwischen diesen Gegenpolen hat sich eine dritte Auffassung herausgebildet,507 die als Modell der normativen Interessentenklage bezeichnet werden kann: Danach soll es grundsätzlich unbeachtlich sein, welche Personen der Unionsgesetzgeber durch eine Regelung begünstigen wollte. Andererseits reiche aber auch nicht die bloße tatsächliche Betroffenheit aus, um vor den nationalen Gerichten individuell klagbare Rechte Einzelner zu begründen. Entscheidend sei vielmehr die normative Anerkennung eines klagbaren Interesses. Der Einzelne müsse in einem Rechtsgut betroffen sein, dessen Schutz durch die jeweilige Unionsnorm intendiert sei. Im Unterschied zur Schutznormtheorie soll es daher nicht auf die Abgrenzung zwischen Allgemeininteressen und individuellen Interessen ankommen, sondern auf das geschützte und betroffene Rechtsgut. Letztlich nähert sich diese Ansicht allerdings wiederum der deutschen Schutznormtheorie an. Größtenteils wird nämlich angenommen, dass nur individualisierbare Interessen bzw. personale Rechtsgüter einer Subjektivierung zugänglich sind (qualifizierte normative Interessentenklage). Ideelle Interessen, wie etwa die Bewahrung der biologischen Artenvielfalt, seien dagegen von vornherein untauglich, ein Individualrecht zu begründen.508

504   v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 246; Halfmann, VerwArch 91 (2000), 74, 82; Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), 335, 348; Masing, Mobilisierung, S. 196 ff. 505   Triantafyllou, DÖV 1997, 192, 195 ff.; Stern, JuS 1998, S. 769, 771; ähnlich Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, 1999, S. 46 ff. („gemeinschaftsrechtliche Schutznormtheorie“); Classen, VerwArch 88 (1997), 645, 667 f. 506   Classen, VerwArch 88 (1997), 645, 667; Sodan/Ziekow/Dörr, VwGO-Kommentar, 4. Aufl., 2014, EVR Rn. 234 (unionsrechtlich „aufgeladene“ Version der Schutznormlehre); ders., Rechtsschutz­ auftrag, 2003, S. 187; Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, 1999, S. 56 f.; Schoch, NVwZ 1999, 457, 464; Triantafyllou, DÖV 1997, 192, 195 – 197. 507   Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 398; Rengeling/Middeke/Gellermann/Gellermann, Rechtsschutz in der Europäischen Union, 2. Aufl., 2003, § 36 Rn. 13 ff., 22; Hong, JZ 2012, 380, 382; Nettesheim, AöR 132 (2007), 333, 353 ff., 358 ff. Wohl auch Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 384 f. („durch subjektivrechtliche Elemente aufgeladene Interessenklage“). 508  So Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 399 ff.; Nettesheim, AöR 132 (2007), 333, 359 f., 369 f. A. A. Hong, JZ 2012, 380, 382, 388.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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b) im Privatrecht Im Privatrecht steht die Diskussion noch ganz am Anfang. Im Anschluss an die Entscheidungen Courage509 und Muñoz510 wurde die Frage aufgeworfen, ob bei einem Verstoß Privater gegen unionsrechtliche Pflichten jeder Drittbetroffene („jedermann“) auf Unterlassung und Schadensersatz klagen könne. Für Verstöße gegen Art. 101 AEUV wird im deutschsprachigen Schrifttum einerseits der Versuch unternommen, die Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener einzugrenzen, indem auf den Schutzzweck511 oder auf Effektivitätserwägungen512 zurückgegriffen wird. Andererseits finden sich Stimmen, die davon ausgehen, dass jeder durch ein kartellrechtswidriges Verhalten tatsächlich Betroffene Schadensersatzansprüche geltend machen könne.513 Weitergehend wird die Vermutung geäußert, dass die in Courage und Muñoz begründete Haftung Privater für alle Situationen Geltung beanspruchen könnte, in denen Vorschriften des Unionsrechts durch Private verletzt werden.514 Der Schutzzweck der Norm soll dabei im Unionsdeliktsrecht bislang überhaupt keine Rolle spielen.515 Andere wollen individuelle Rechte im Privatrecht dagegen bejahen, wenn drei Voraussetzungen vorliegen:516 Erstens müsse der Verpflichtete hinreichend bestimmt sein, da im Privatrecht die Anerkennung eines Rechts stets die Begründung einer Pflicht für einen anderen bedeute. Zweitens sei zu fordern, dass die Unionsnorm auch den Berechtigten hinreichend klar als individuell Geschützten bestimme. Und drittens müsse die effektive Erfüllung des Regelungszwecks gerade die Anerkennung eines privatrechtlichen Rechts zwingend erfordern. Größtenteils wird die Frage nach den indirekt begründeten Unionsrechten im Privatrecht freilich überhaupt nicht gestellt. Gerichtsentscheidungen, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen, existieren kaum. Soweit die deutschen Gerichte – wie etwa im Kapitalmarktrecht – zu der Frage Stellung nehmen, ob ein Verstoß gegen unionsrechtlich begründete Verhaltenspflichten durch Schadensersatzansprüche ­ sanktioniert werden muss, werden Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB zumeist abgelehnt, ohne dass eine Auseinandersetzung mit der EuGH-Rechtsprechung erfolgt 509

  EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage).   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). 511  So insbesondere Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 Rn. 21 f.; G/H/N/Stockenhuber, 58. EL, 2016, Art. 101 AEUV Rn. 256 f. 512   So zur Anspruchsbegrenzung auf Direktabnehmer eines Preiskartells Alexander, JuS 2007, 109, 111 f.; Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 887; Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 Rn. 36 ff., 41; Dittrich, GRUR 2009, 123, 127; Keßler, BB 2005, 1125, 1128; Reich, CMLR 2005, 35, 45 ff. 513   Besonders weitgehend (zur Klagebefugnis sog. „umbrella plaintiffs“) Komninos, EC Antitrus Private Enforcement, 2007, S. 193, Fn. 315; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 231. 514   Betlem, (2005) CLJ 126 ff.; Drake, ELRev. 2006, 841, 859; van Gerven, CMLR 2004, 505, 522 ff.; Reich, CMLR 2007, 705 ff.; ders., ZfRV 2009, 148 ff.; MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 BGB Rn. 391; Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 2 Rn. 76 f. Zurückhaltend Dougan, National Remedies, 2004, S. 389 ff. („sectoral approach“); Havu, ELJ 2012, 407, 421 ff. 515   Eilmansberger, CMLR 2004, 1199, 1225 ff.; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 415 f.; MüKo/ ders., BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 BGB Rn. 391; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 281 ff.; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 208. 516   Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 271 f.; ders., in: 10 Jahre Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2003, S. 161, 170. Zustimmend Angermann, Informationspflichten, 2010, S. 169. 510

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

und Vorabent­scheidungsverfahren eingeleitet werden.517 Eine solche Praxis übersieht die besondere Bedeutung des § 823 Abs. 2 BGB im Kontext des europäischen Privatrechts. Die Vorschrift ist einer der wichtigsten Transmissionsriemen für die im Unionsrecht begründeten Rechte.518 Sie ermöglicht es, die ständig wachsenden unions­rechtlich determinierten Verhaltensnormen – beispielsweise auf dem Gebiet der Produktsicherheit, des Lebensmittel- und Arzneimittelrechts, des Gesellschafts‑, Bilanz- und Kapitalmarktrechts oder des Verbraucherrechts – vom öffentlichen Recht in das Zivilrecht hinein zu verlängern und ihre Verletzung mit privatrechtlichen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen zu sanktionieren. 3. Folgefragen Eine Theorie, die im Wege der Induktion aus der Rechtsprechung allgemeine Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte gewinnen will, steht zunächst vor der Frage, ob sich überhaupt ein einheitliches Konzept für sämtliche Unionsrechte aufstellen lässt (II.). Im Anschluss hieran wird untersucht, welche Anforderungen eine im Primär- oder Sekundärrecht aufgestellte Verhaltenspflicht erfüllen muss, damit diese als Grundlage für subjektive Rechte in Betracht gezogen werden kann (III.). Wichtig für das Verständnis der Unionsrechte ist ferner die Frage, in welchem Verhältnis öffentlich-rechtliche und private Durchsetzung zueinander stehen (IV.). Vor diesem Hintergrund können die Kriterien in den Blick genommen werden, nach denen der EuGH den individualschützenden Charakter von Unionsrechten sowie ihre personelle und inhaltliche Reichweite in aller Regel ermittelt (V.).

II. Einheitliche Konzeption der Unionsrechte? 1. Kontext Der Gerichtshof äußert sich zu den Unionsrechten in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen.519 Unionsrechte werden erwähnt, wenn es um die Einklagbarkeit des Unionsrechts vor den mitgliedstaatlichen Gerichten oder den Unionsgerichten geht. Beim Rechtsschutz vor den mitgliedstaatlichen Gerichten fragt der Gerichtshof häufig danach, ob sich der Betroffene auf Bestimmungen „berufen kann“. Damit ist regelmäßig gemeint, ob die betreffende Unionsnorm unmittelbar wirkt und ggf. eine gerichtlich durchsetzbare Rechtsposition begründet, die zur Nichtanwendbarkeit des nationalen Rechts oder dazu führt, dass das Unionsrecht an die Stelle des nationalen Rechts tritt. Oder der EuGH prüft, ob die mitgliedstaatlichen Gerichte nach dem Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verpflichtet sind, das nationale Recht „soweit 517   Vgl. zu § 88 BörsG a. F. und § 15 WpHG im Kontext der Insider-RL 89/592 und TransparenzRL 88/627 BGHZ 160, 134, 140 = NJW 2004, 816, 817 f. (Infomatec); BVerfG, NJW 2003, 501, 503. Zu § 20a WpHG im Kontext der MAD 2003/6 siehe BGH, NJW 2012, 1800, 1803 (IKB), Rn. 24. Schadensersatzansprüche bei Marktmissbrauch werden auch in anderen Ländern abgelehnt, ohne dass Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet werden; vgl. für England Hall v Cable and Wireless Plc, QBD (Commercial Court), [2009] EWHC 1793 (Comm) = [2011] B.C.C. 543. Zur Rechtslage in Griechenland Tountopoulos, RIW 2013, 33, 34 f. m. w. N. 518   Allgemein zur Funktion des § 823 Abs. 2 BGB als Transmissionsriemen MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 BGB Rn. 384; vgl. auch Deutsch, JZ 1963, 385, 389; Staudinger/Hager, 2009, § 823 BGB Rn. G 3. 519   Vgl. auch Beljin, Der Staat 2007, 489 f.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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wie möglich“ auszulegen, damit die vom Unionsrecht verliehenen Rechte im innerstaatlichen Recht gewährleistet und durchgesetzt werden können. Die Rechte des Einzelnen spielen darüber hinaus bei den Anforderungen an die Richtlinienumsetzung eine Rolle. Für eine ordnungsgemäße Umsetzung von Richtlinien kommt es nämlich auch darauf an, ob die Mitgliedstaaten die zur Durchsetzung der Richtlinie erforderlichen Rechtspositionen geschaffen haben. Ergibt sich, dass eine Richtlinie die Schaffung derartiger Rechte und Rechtsbehelfe anordnet, so sind diese Teil des von den Mitgliedstaaten einzuhaltenden Umsetzungsprogramms.520 Die Unionsrechte sind schließlich von Bedeutung, wenn der Einzelne Schadensersatzansprüche gegenüber den Mitgliedstaaten oder der Union durchsetzen möchte. Sowohl die Haftung der Mitgliedstaaten521 als auch die auf Art. 340 Abs. 2 AEUV gestützte außervertragliche Haftung der Union522 setzt nach ständiger Rechtsprechung die Verletzung einer Rechtsnorm voraus, die „bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen“. 2. Bedeutung der prozessualen Ausgangssituation für die Ermittlung der Unionsrechte Die Rechtsprechung der Unionsgerichte ist in unterschiedliche prozessuale Ausgangssituationen eingebettet. Geht es um den Rechtsschutz zur Durchsetzung des Unionsrechts vor den nationalen Gerichten, so ergehen die betreffenden Urteile des Gerichtshofs entweder im Vorabentscheidungsverfahren (a) oder im Vertragsverletzungsverfahren (b). Beim Rechtsschutz zur Abwehr primärrechtswidrigen Rechts kommen neben der Gültigkeitsvorlage523 vor allem Nichtigkeitsklagen in Betracht (c). a) Vorabentscheidungsverfahren Im Vorabentscheidungsverfahren ist es grundsätzlich nicht Aufgabe des Gerichtshofs zu entscheiden, ob einer bestimmten Person ein Anspruch oder ein Klagerecht zusteht. Anderenfalls würde der EuGH einen konkreten Fall lösen und nicht nur, wie in Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV vorgesehen, eine Auslegungsfrage beantworten. Entscheidungserheblich kann aber die Frage sein, ob eine Bestimmung des Unionsrechts überhaupt Ansprüche bzw. Klagerechte gewähren soll oder ob das Unionsrecht ihre Gewährung im nationalen Recht fordert.524 Der EuGH kann den rechtlichen Rahmen dabei so weit konkretisieren, dass den nationalen Gerichten bei der Subsumtion letztlich kein Spielraum mehr verbleibt. 520

  Vgl. nur Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV Rn. 96.   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 51; Rs. C‑5/94 (Hedley Lomas) Rn. 25; Rs. C‑278/05 (Robins u. a.) Rn. 69; Rs. C‑452/06 (Synthon) Rn. 35. 522  Vgl. EuGH Rs. C‑352/98 P (Bergaderm und Goupil/Kommission) Rn. 42; Rs. C‑312/00 P (Kommission/Camar) Rn. 53; Rs. C‑472/00 P (Kommission/Fresh Marine) Rn. 25; Rs. C‑198/03 P (Kommission/CEVA Santé Animale u. a.) Rn. 63; verb. Rs. C‑120 – 121/06 P (FIAMM u. a./Rat und Kommission) Rn. 173. Siehe auch EuG, Rs. T‑304/01 (Abad Pérez u. a./Rat und Kommission) Rn. 98; Rs. T‑28/03 (Holcim/Kommission) Rn. 87; Rs. T‑193/04 (Tillack/Kommission) Rn. 117. 523   Vertragsverletzungsverfahren spielen demgegenüber bislang keine Rolle. Der EuGH geht davon aus, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nicht die Rechtswidrigkeit eines Unionsrechtsakts geltend machen können; EuGH, Rs. C‑74/91 (Kommission/ Deutschland) Rn. 10; Rs. C‑196/07 (Kommission/Spanien) Rn. 34; Rs. C‑189/09 (Kommission/Österreich) Rn. 15. Kritisch Wunderlich/Hickl, EuR 2013, 107 ff. 524  Zutreffend Fichtner, Rechte des Einzelnen, 2005, S. 67. 521

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Zutreffend ist der Hinweis, dass sich die Frage, ob Einzelne überhaupt Zugang zu den nationalen Gerichten haben, angesichts des anwendbaren nationalen Rechts häufig nicht stellt. So besteht etwa auf die Vorlage eines französischen Gerichts, dessen nationales Verwaltungsprozessrecht eine weite Klagebefugnis vorsieht und auch in der Begründetheitsprüfung auf die objektive Rechtmäßigkeit des überprüften Rechtsakts abstellt, kein Anlass auf die Abgrenzung des Kreises der Begünstigten einzugehen.525 Auch in Privatrechtsfällen wird regelmäßig nur die inhaltliche Reichweite der vom Unionsrecht verliehenen Rechte thematisiert, da nach dem Unionsrecht oder nationalem Recht zumeist feststeht, dass ein Anspruch bzw. Klagerecht dem Grunde nach gegeben ist. Entscheidungserheblich wird die Frage, ob nach dem Unionsrecht überhaupt ein Anspruch bzw. Klagerecht zu gewähren ist, daher vor allem in Rechtsordnungen, die in qualifizierter Weise den Gerichtszugang begrenzen. Dementsprechend sind vor allem Gerichte in Staaten, die von einer restriktiven Schutznormtheorie ausgehen, dazu aufgerufen, die nationale Dogmatik zu hinterfragen und Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten. b) Vertragsverletzungsverfahren In Vertragsverletzungsverfahren geht es von vornherein nicht um Klagen konkret Betroffener, sondern um die abstrakte Beurteilung von Durchführungsmaßnahmen.526 Bei Richtlinien stehen regelmäßig die rechtzeitige Umsetzung, die rechtliche Qualität des Umsetzungsakts sowie die inhaltlich korrekte Übernahme des materiellen Richtliniengehalts zur Debatte. Soweit sich der Gerichtshof – wie Anfang der 1990er Jahre in den bereits erwähnten umweltrechtlichen Verfahren – dahingehend äußert, dass bestimmte Richtlinien Rechte des Einzelnen begründen,527 wird bezweifelt, ob damit zugleich eine Aussage über klagefähige Rechtspositionen getroffen werden soll. Häufig wird behauptet, dass die vom Gerichtshof erwähnten „Rechte“ angesichts der prozessualen Ausgangssituation nicht als durchsetzbare Rechtspositionen zu verstehen sind und auch nicht die Grundlage für Staatshaftungsansprüche bilden können.528 Eine solche Sichtweise verkennt, dass die Begründung individueller oder kollektiver Rechtspositionen im nationalen Recht zum Umsetzungsprogramm einer Richtlinie gehören kann. Wenn sich der EuGH in Vertragsverletzungsverfahren zu den Unionsrechten äußert, ist daher davon auszugehen, dass damit klagefähige Rechtspositionen gemeint sind. Dies gilt selbst dann, wenn es in einem Vertragsverletzungs525

  Classen, VerwArch 88 (1997), 645, 656.   Dies schließt nicht aus, dass die Kommission in Vertragsverletzungsverfahren das konkre­te Verhalten der nationalen Gerichte oder Behörden thematisieren kann; zu ersterem EuGH, Rs. C‑129/00 (Kommission/Italien) Rn. 30 ff.; zu letzterem EuGH, Rs. 68/88 (Griechischer Maisskandal) Rn. 26; Rs. C‑265/95 (Französische Bauernproteste) Rn. 39 ff. 527   EuGH, Rs. C‑131/88 (Kommission/Deutschland – „Grundwasser“) Rn. 7, 61; Rs. C‑361/88 (Kommission/Deutschland  – „Schwefeldioxid/Schwebestaub“) Rn. 16; Rs. C‑58/89 (Kommission/ Deutschland – „Oberflächenwasser“) Rn. 14; Rs. C‑59/89 (Kommission/Deutschland – „Blei“) Rn. 19; Rs. C‑298/95 (Kommission/Deutschland – „Muschelgewässer“) Rn. 16. Hierzu bereits supra, § 2 D.IV.4. 528  So Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 174 ff.; Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 109 f. Zurückhaltend auch Classen, VerwArch 88 (1997), 645, 661. Vgl. ferner GA Mischo, SchlA, Rs. C‑340/96 (Kommission/Vereinigtes Königreich) Rn. 90. 526

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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verfahren – wie in den umweltrechtlichen Verfahren529 – nicht in erster Linie um die Rechte des Einzelnen, sondern um die formalen Anforderungen an die Richtlinienumsetzung geht. Auch diese hängen nämlich davon ab, ob das Unionsrecht als objektives Recht oder zugleich als subjektiv-rechtlich einklagbares Recht von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss: Sieht eine Richtlinie subjektive Rechte vor, so greifen nach ständiger Rechtsprechung besonders strenge Anforderungen bzgl. der Transparenz und Verbindlichkeit des Umsetzungsakts.530 Die Mitgliedstaaten müssen erstens sicherstellen, dass die Berechtigten in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen (Transparenz- bzw. Publizitätsgebot).531 Darüber hinaus darf die betreffende Umsetzungsmaß nahme aber auch zweitens keine bloße Innenwirkung haben, sondern muss nach außen hin verbindlich und justiziabel sein (Rechtsnormvorbehalt).532 Die vom Gerichtshof in den betreffenden Vertragsverletzungsverfahren getroffenen Aussagen lassen daher den Rückschluss zu, dass sich der EuGH nicht nur zur Qualität, sondern zugleich zur Justiziabilität der erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen äußern wollte. Dem entspricht, dass der EuGH in späteren Vorabentscheidungsverfahren ausdrücklich auf die früheren Vertragsverletzungsverfahren Bezug genommen hat, um die klagerechtsbegründende Qualität umweltrechtlicher Normen hervorzuheben.533 c) Nichtigkeitsklagen Geht es um die Abwehr unionsrechtswidrigen Sekundär- oder Tertiärrechts vor den Unionsgerichten, äußert sich der EuGH im Rahmen der Nichtigkeitsklage regelmäßig zu der Frage, ob nicht privilegierte Dritte, die nicht Adressat einer Maßnahme sind, nach Art. 263 Abs. 4 Alt. 2 AEUV „unmittelbar und individuell betroffen“ und damit klagebefugt sind. Zwar verlangt die Vorschrift keine Darlegung der Verletzung in subjektiven Rechten.534 Die vom Gerichtshof entwickelten Kriterien zur Eingrenzung des 529   In den Verfahren EuGH, Rs. C‑361/88 (Kommission/Deutschland – „Schwefeldioxid/Schwebestaub“) und Rs. C‑59/89 (Kommission/Deutschland – „Blei“) hatte die Kommission beanstandet, dass Deutschland die betreffenden Richtlinien nur durch eine Verwaltungsvorschrift (TA‑Luft) umgesetzt hatte, deren Rechtsverbindlichkeit zweifelhaft war. 530   Nach der Rechtsprechung ist daher in jedem Einzelfall festzustellen, um welche Art von Bestimmungen es sich handelt, die in einer Richtlinie enthalten sind und auf die sich die Vertragsverletzungsklage bezieht, damit der Umfang der Umsetzungsverpflichtungen ermittelt werden kann; EuGH, Rs. C‑32/05 (Kommission/Luxemburg) Rn. 36, 80 f. 531   EuGH, Rs. 29/84 (Deutschland/Kommission) Rn. 23; Rs. 363/85 (Kommission/Italien) Rn. 7; Rs. 360/87 (Kommission/Italien) Rn. 12; Rs. C‑365/93 (Kommission/Griechenland) Rn. 9; Rs. C‑220/ 94 (Kommission/Luxemburg) Rn. 10; Rs. C‑162/99 (Kommission/Italien) Rn. 22 ff.; Rs. C‑32/05 (Kommission/Luxemburg) Rn. 80 f. Im Kontext der Klausel-RL 93/13 vgl. EuGH, Rs. C‑144/99 (Kommission/Niederlande) Rn. 17 ff.; Rs. C‑478/99 (Kommission/Schweden) Rn. 18; Rs. C‑70/03 (Kommission/ Spanien) Rn. 15 ff. 532  EuGH, Rs. 168/85 (Kommission/Italien) Rn. 13; Rs. 361/88 (Kommission/Deutschland  – „Schwefeldioxid/Schwebestaub“) Rn. 16 ff.; Rs. C‑59/89 (Kommission/Deutschland – „Blei“) Rn. 19 ff.; Rs. C‑58/89 (Kommission/Deutschland – „Oberflächenwasser“) Rn. 13 ff. 533   EuGH, Rs. C‑237/07 (Janecek) Rn. 38, mit Verweis auf Rs. C‑361/88 (Kommission/Deutschland – „Schwefeldioxid/Schwebestaub“), Rs. C‑59/89 (Kommission/Deutschland – „Blei“) und Rs. C58/89 (Kommission/Deutschland – „Oberflächenwasser“). In EuGH, Rs. C‑63/01 (Evans) Rn. 35 ff., betont der Gerichtshof darüber hinaus den Zusammenhang zwischen Vertragsverletzungsverfahren und Staatshaftungsklage. 534  Rengeling/Middeke/Gellermann/Burgi, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, 2. Aufl., 2003, § 7 Rn. 57; G/H/N/Dörr, 58. EL, 2016, Art. 263 AEUV Rn. 1; Ehlers, VerwArch 84 (1993), 139, 151; v. d. Groeben/Schwarze/Gaitanides, EU‑/EG‑Vertrag, 6. Aufl., 2004, Art. 230 EG Rn. 47. Kokott/

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Kreises der Klagebefugten könnten dennoch einen Anhaltspunkt für die Ermittlung der Unionsrechte geben und für den Rechtsschutz des Einzelnen zur Durchsetzung des Unionsrechts vor den nationalen Gerichten gleichermaßen Geltung beanspruchen. So verwies GA Mischo im Fall Muñoz535 ausdrücklich auf die zu Art. 230 Abs. 4 EG (jetzt Art. 263 Abs. 4 Alt. 2 AEUV) aufgestellten Voraussetzungen, um zu begründen, unter welchen Bedingungen Konkurrenten das Recht haben, einen Verstoß Privater gegen die in einer Verordnung vorgesehenen Qualitätsnormen für Tafeltraubensorten im Wege eines Zivilprozesses vor den nationalen Gerichten anzugreifen. Auch im Schrifttum wird teils dafür plädiert, für die Ermittlung der Unionsrechte auf die zu Art. 263 Abs. 4 Alt. 2 AEUV entwickelten Kriterien zurückzugreifen.536 Gegen diesen Ansatz wird eingewendet, dass zwischen dem Rechtsschutz gegen primärrechtswidriges Unionsrecht und dem Rechtsschutz gegen unionsrechtswidriges nationales Recht zu große strukturelle und funktionelle Unterschiede bestehen.537 Klagen gegen unionsrechtswidriges nationales Recht gewährleisten gerade eine effektive Durchsetzung des Unionsrechts. Bei Nichtigkeitsklagen müsse die Klagebefugnis dagegen beschränkt werden, da der Rechtsschutz zur Abwehr des Unionsrechts den Geltungsanspruch des Unionsrechts in Frage stelle. Entscheidend dürfte jedoch sein, dass der Gerichtshof die Klagebefugnis Dritter im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 Alt. 2 AEUV vor allem deswegen eng interpretiert, weil Betroffene vom zentralen auf den dezentralen Rechtsweg umgeleitet werden sollen.538 Kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass eine Nichtigkeitsklage unzulässig ist, werden die Kläger regelmäßig auf die Möglichkeit eines weitergehenden Rechtsschutzes vor den nationalen Gerichten verwiesen.539 Die für den zentralen Rechtsschutz etablierten Grundsätze dürfen daher nicht 1 : 1 auf den dezentralen Rechtsschutz übertragen werden.540 Gerade weil der Gerichtshof das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit in der Plaumann-Formel so restriktiv interpretiert, muss weitergehender Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten gewährt werden, wenn es um die Abwehr primärrechtswidrigen Rechts geht. Die für Nichtigkeitsklagen entwickelten Zulässigkeitskriterien können daher erst recht nicht herangezogen werden, um den Rechtsschutz des Einzelnen gegen unionsrechtswidriges nationales Recht einzuschränken. Dervisopoulos/Henze, EuGRZ 2008, 10, 14, schlagen demgegenüber eine stärkere Ausrichtung des Merkmals der „Betroffenheit“ auf die mögliche Verletzung subjektiver Rechte vor. 535   GA Mischo, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn.  68 – 76. 536   Albin, Die Vollzugskontrolle des europäischen Umweltrechts, 1999, S. 173 ff.; Jarass/Beljin, Casebook Grundlagen des EG‑Rechts, 2003, S. 205 ff.; Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, 1999, S. 50 ff.; Triantafyllou, DÖV 1997, 192, 198 ff. Vgl. auch Schwarze, NVwZ 2000, 241, 245 („Anregungen“); Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, 489, 493 („Sogwirkung“). 537  So Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 396 f. (in Fn. 162); Schoch, NVwZ 1999, 457, 463; A. Schwerdtfeger, Verwaltungsrechtsschutz, 2010, S. 163 ff. Vgl. auch Ruffert, Subjektive Rechte, 1996, S. 193, mit dem Argument, dass sich Nichtigkeitsklagen gegen abstrakt-generelle Rechtsakte richten, während der Rechtsschutz gegen unionsrechtswidriges nationales Recht in der Regel Einzelakte der Verwaltungen zum Gegenstand habe. 538  Hierzu supra, § 3 D.II.1.a. 539   EuGH, Rs. C‑50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores/Rat) Rn. 40, unter Hinweis auf EuGH, Rs. 294/83 (Les Verts/Parlament) Rn. 23; Gutachten 1/09 Rn. 70. 540   Wie hier Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 158 ff.; Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 454: „In other words, in cannot be argued that, because Article 230 (4) makes locus standi subject to establishing direct and individual concern, national laws should be permitted to impose equally restrictive requirements. On the contrary, liberal locus standi rules should be favoured precisely because Article 230 is so restrictive.“

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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Dies schließt umgekehrt allerdings nicht aus, auf die zu Art. 263 Abs. 4 Alt. 2 AEUV aufgestellten Grundsätze zurückzugreifen, um einen Zugang des Einzelnen vor den nationalen Gerichten affirmativ zu begründen: Erfüllt ein Kläger die restriktiven Plaumann-Kriterien, so spricht dies dafür, dass ihm erst recht der Rechtsweg vor den nationalen Gerichten zur Durchsetzung des Unionsrechts eröffnet werden muss.541 3. Einheitliche Kriterien für sämtliche Rechtsquellen? Der Gerichtshof hat in einer Reihe von Entscheidungen angedeutet, dass bestimmte Handlungsformen – wie Verordnungen – bereits aufgrund ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Unionsrechts geeignet sind, für die Einzelnen Rechte zu begründen, zu deren Schutz die nationalen Gerichte verpflichtet sind.542 Hieraus wird zuweilen abgeleitet, dass die Voraussetzungen für individuelle Rechte in Abhängigkeit zur Rechtsquelle bestimmt werden müssten. Die Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte seien verschieden, je nachdem, ob es sich um eine primärrechtliche Bestimmung, um eine Verordnung oder um eine Richtlinie handele.543 In ähnlicher Weise wird behauptet, dass die in Courage544 und Muñoz545 aufgestellten Grundsätze bereits deswegen nicht auf privatrechtsrelevante Richtlinien übertragen werden könnten, weil die Entscheidungen zum Primärrecht bzw. zu Verordnungen ergangen seien.546 Nach hier vertretener Ansicht ist demgegenüber von einem einheitlichen Konzept subjektiver Unionsrechte auszugehen.547 Zwar unterscheiden sich die Rechtsquellen des Unionsrechts mit Blick auf ihre unmittelbare Wirkung. Ob eine Bestimmung des Unionsrechts ein subjektives Recht beinhaltet, darf indessen nicht mit der Frage vermengt werden, ob das Unionsrecht klagefähige Rechtspositionen begründet oder deren Schaffung vom mitgliedstaatlichen Gesetzgeber fordert.548 Die Frage, ob und inwieweit aufgrund einer bestimmten Unionsnorm in den Mitgliedstaaten ein gerichtlich durchsetzbares Recht des Einzelnen zu gewähren ist, stellt sich bei sämtlichen Handlungsformen gleichermaßen. Vor diesem Hintergrund ist es grundsätzlich irrelevant, ob dieses Recht seine Grundlage im Primärrecht, in Verordnungen oder in Richtlinien findet. 541

  Hierzu auch noch infra, § 8 D.I.2.   EuGH, Rs. 43/71 (Politi) Rn. 9; Rs. 34/73 (Variola) Rn. 8; Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 27. 543   Im Schrifttum werden insbesondere die Fälle der Verordnung und der Richtlinie voneinander getrennt. Während Verordnungen in aller Regel dem Einzelnen Rechte gewähren und Pflichten auferlegen sollen, sei dies bei Richtlinien nur ausnahmsweise der Fall; Klein, Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung, 1988, S. 18 f.; Oppermann, Europarecht, 1991, Rn. 453, 466. Auch Reiling, Zu individuellen Rechten, 2004, S. 301, betont, dass die Voraussetzungen individueller Rechte von der jeweiligen Kategorie des Rechtsakts abhängig sind. Vgl. auch den Ansatz von Ruffert, Subjektive Rechte, 1996, S. 163, 175 ff., 186; hierzu supra, § 3 C.IV.3. 544   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage). 545   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). 546   Drake, ELRev. 2006, 841, 859; Bradgate/Twigg-Flesner/Nordhausen, Review of the Eight EU Consumer Acquis Minimum Harmonization Directives, 2005, S. 195 f. (Nr. 81); Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 267. 547   Im Ergebnis auch Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 126 ff., 249; Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 388 (in Fn. 129). Für eine Übertragung der Courage- und Muñoz-Rechtsprechung auf Richtlinien explizit auch Betlem, (2005) 64 CLJ 126, 139 ff.; Epiney, NVwZ 2004, 555, 559; Wilhelmson/Twigg-Flesner, ERCL 2006, 441, 467. 548  Hierzu supra, § 3 C.II. 542

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Keinen Rückhalt findet ferner die Ansicht, dass eine großzügige Zuerkennung subjektiver Rechtspositionen nur bei besonders grundlegenden Bestimmungen des Primärrechts in Betracht kommt.549 Zwar hat der Gerichtshof im Fall Courage550 die Notwendigkeit eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs unter anderem damit begründet, dass es sich bei Art. 101 AEUV um eine grundlegende Bestimmung des Vertrags handele, die für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaft und insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarkts unerlässlich sei. Andererseits wurden aber in der Entscheidung Muñoz551 subjektive Rechtspositionen auf der Grundlage der EU‑Qualitätsnormen für Tafeltraubensorten zuerkannt, die, anders als Art. 101 AEUV, keineswegs zu den zentralen Normen des Vertrags zu rechnen sind. 4. Differenzierung zwischen subjektiv-öffentlichen und subjektiv-privaten Unionsrechten? a) Unionsrechtliche Perspektive Der Gerichtshof unterscheidet bei Ermittlung der Unionsrechte bislang nicht zwischen subjektiv-öffentlichen und subjektiv-privaten Rechten.552 Gerade die Entscheidungen Courage und Muñoz zeigen, dass die für das öffentliche Recht propagierte Funktionalisierung Einzelner gleichermaßen im Verhältnis unter Privaten Geltung beanspruchen kann.553 Der effet utile sowie das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot gelten ungeachtet der Frage, ob es sich um eine Klage des Einzelnen gegen die Mitgliedstaaten oder Private handelt. Auch der Inhalt der aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte wird in Privatrechtsfällen häufig in enger Abstimmung mit Grundsätzen konkretisiert, die der Gerichtshof ursprünglich in einem öffentlich-rechtlichen Kontext entwickelt hat. Dies zeigt sich besonders deutlich im Haftungsrecht. So verweist der EuGH in Manfredi für den Umfang des zu leistenden kartellrechtlichen Schadensersatzes hinsichtlich der Ersatzfähigkeit von entgangenem Gewinn554 und der (unionsrechtlich nicht geforderten) Zahlung eines Strafschadensersatzes555 ausdrücklich auf seine Staatshaftungsrechtsprechung, die ihrerseits der außervertraglichen Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV nachgebildet ist.556 Verbindungslinien zwischen der Haftung 549   In diese Richtung Dougan, National Remedies, 2004, S. 389 ff. („sectoral approach“); Weyer, ZEuP 2003, 318, 335. 550   EuGH, Rs. C‑253/99 (Courage) Rn. 20 f. 551   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). 552   Hierzu bereits supra, § 3 B.II.2.a. 553   Supra, § 3 D.I.3. Besonders deutlich GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 47: „Ob ein Einzelner aus einer Bestimmung einer Verordnung Ansprüche herleiten kann, ist eine Frage des Einzelfalls. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Einzelne dieses Recht in einem Verfahren gegen die öffentliche Hand oder einen anderen Privaten geltend macht. In beiden Fällen ist zu untersuchen, ob die Bestimmung nach Inhalt und Zweck das Interesse schützt, das der Einzelne geltend macht.“ 554   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 96, mit Verweis auf EuGH, verb. Rs. C‑ 46 & 48/93 (Brasserie du pêcheur und Factortame) Rn. 87, und verb. Rs. C‑397 & 410/98 (Metallgesellschaft u. a.) Randnr. 91. 555   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 93, mit Verweis auf EuGH, verb. Rs. C‑ 46 & 48/93 (Brasserie du pêcheur und Factortame) Rn. 90. 556   Der Gerichtshof geht seit der Brasserie-Entscheidung davon aus, dass die Anspruchsvoraussetzungen der außervertraglichen Haftung grundsätzlich der Francovich-Haftung entsprechen; EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du pêcheur und Factortame) Rn. 40 ff.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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Privater und der Staatshaftung zeigen sich auch in umgekehrter Richtung: In Danske Slagterier557 ging der Gerichtshof davon aus, dass die in Manfredi aufgestellten Grundsätze zur Verjährung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche entsprechend für die Haftung der Mitgliedstaaten gelten. Auch in den Schlussanträgen der Generalanwälte werden die wechselseitigen Bezüge zwischen der Haftung der Mitgliedstaaten, der außervertraglichen Haftung der Union und der Haftung Privater betont. GA van Gerven hatte bereits im Jahre 1993 in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Banks558 vorgeschlagen, aus den Wettbewerbsvorschriften des EG‑Vertrags unmittelbare wirkende Schadensersatzansprüche gegen kartellrechtswidrig handelnde Marktteilnehmer herzuleiten und die wesentlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen unter Rückgriff auf die Judikatur zur außervertraglichen Haftung der Union und der in Francovich entwickelten Staatshaftung herzuleiten. In seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Marshall II559 plädierte er dafür, die hierzu aufgestellten Grundsätze auch auf Schadensersatzansprüche zur Durchsetzung der Antidiskriminierungs-RL zu übertragen. GA Tesauro rekurrierte demgegenüber im Fall Brasserie du pêcheur560 auf die Antidiskriminierungsrechtsprechung, um die Haftungsfolgen im Staatshaftungsrecht näher zu bestimmen. Der Gerichtshof zitierte in seinem Urteil zwar nicht die einschlägigen Entscheidungen; der Sache nach schloss er sich diesen Ausführungen jedoch an. Im Fall Manfredi561 nahm der EuGH wiederum mit Blick auf die Erstattungsfähigkeit von Zinsen im Rahmen eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs auf die Antidiskriminierungsrechtsprechung Bezug. Parallelen zeigen sich auch auf anderen Gebieten. So verweist der Gerichtshof in Privatrechtsfällen auf seine Judikatur zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, wenn es um das Problem der Schadensabwälzung oder das Bereicherungsverbot geht.562 Umgekehrt rekurrieren Generalanwälte mittlerweile in vielen Erstattungsfällen auf die zum Privatrecht ergangenen Entscheidungen.563 Darüber hinaus werden sonstige Rechtsgrundsätze, die ursprünglich im öffentlichen Kontext entwickelt wurden, für das Zivilrecht fruchtbar gemacht. So gilt etwa das Verbot des Rechtsmissbrauchs gleichermaßen im öffentlichen Recht wie im Privatrecht.564 Auch bei der prozessualen Durchsetzung der Unionsrechte in den Mitgliedstaaten verweist 557

  EuGH, Rs. C‑445/08 (Danske Slagterier) Rn.  50 – 52.   GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑128/92 (Banks) Rn.  37 – 54. 559   GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 17, 24 f. 560   GA Tesauro, SchlA, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du pêcheur und Factortame) Rn. 110, mit Verweis auf EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23 und Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 34. Ähnlich GA Léger, SchlA, Rs. C‑5/94 (Hedley Lomas) Rn. 185. 561   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 97, mit Verweis auf EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 31. 562   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 30 und verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 94, jeweils mit Verweis auf EuGH, Rs. 238/78 (Ireks-Arkady/Rat und Kommission) Rn. 14; Rs. 68/79 (Just) Rn. 26; verb. Rs. C‑441 – 442/98 (Michaïlidis) Rn. 31. Das Bereicherungsverbot wird auch in EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn. 26, 29, erwähnt; die Rechtsprechung zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wird zwar nicht zitiert. Der Sache nach folgt der Gerichtshof jedoch (im Gegensatz zur Generalanwältin) der Ansicht der Kommission, die auf diese Rechtsprechungslinie ausdrücklich Bezug genommen hatte; vgl. GA Trstenjak, SchlA, Rn. 103 (mit Fn. 108). 563   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑94/10 (Danfoss) Rn. 82, mit Verweis auf EuGH, verb. Rs. C‑295 –  298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 61; GA Cruz Villalón, SchlA, Rs. C‑398/09 (Lady  & Kid) Rn. 39 (in Fn. 25). 564  Siehe infra, § 4 E.II. 558

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

der Gerichtshof in Privatrechtsfällen auf Prinzipien, die zunächst für gerichtliche Verfahren gegen mitgliedstaatliche Hoheitsträger565 oder für das Verfahren gegen Unionsorgane vor den Unionsgerichten566 entwickelt wurden. Die angeführten Entscheidungen verdeutlichen, dass der Gerichtshof für die Beurteilung privatrechtlicher Streitigkeiten auf die zum öffentlichen Recht entwickelten Kriterien zurückgreift. Die für das Privatrecht entwickelten Lösungen wirken ihrerseits auf das öffentliche Recht zurück und strahlen gleichzeitig auf andere Bereiche aus. Auf diese Weise entstehen in der Rechtsprechung allgemeine Kriterien, die als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsprivatrechts von übergreifender Bedeutung sind. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich, wenn man sich vor Augen führt, dass viele unionsrechtlich determinierte Gebiete, die das Verhältnis zwischen Bürger und Staat betreffen, in den Mitgliedstaaten zivilrechtlichen Regeln unterworfen werden. So basiert etwa die Staatshaftung in nahezu sämtlichen Rechtsordnungen auf der zivilrechtlichen Haftung.567 Die Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Abgaben erfolgt in vielen Mitgliedstaaten über das allgemeine (zivilrechtliche) Rechtsinstitut der ungerechtfertigten Bereicherung.568 Auch für Klagen im Zusammenhang mit dem Beihilferecht ist in den meisten Mitgliedstaaten anerkannt, dass die Rückabwicklung unrechtmäßig gezahlter Beihilfen als actus contrarius nach zivilrechtlichen Vorschriften erfolgt, wenn die Beihilfe nicht durch öffentlich-rechtliches Handeln, sondern durch einen privatrechtlichen Vertrag gewährt worden ist.569 Gleichermaßen ist für das Vergaberecht zu konstatieren, dass dieses auf der Schnittstelle zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht liegt. Unabhängig davon, ob der Vergaberechtsschutz nun dem Zivilrecht, dem öffentlichen Recht oder beiden Rechtsgebieten zugeordnet wird,570 werden Verträge im Anschluss an den Beschaffungsvorgang in allen Mitgliedstaaten letztlich (auch) nach zivilrechtlichen Maßstäben beurteilt.571 Viele der vom Gerichtshof im öffentlich-rechtlichen Kontext entwickelten Rechtsinstitute und Kernbegriffe – wie etwa Rechtswidrigkeit, Schaden, Mitverschulden, Vertragsauflösung, Nichtigkeit und ungerechtfertigte Bereichung – entstammen damit dem Privatrecht der Mitgliedstaaten. Demgemäß erheben sich keine Einwände, wenn diese Konzepte auf die Haftung Privater übertragen werden. Wurmnest spricht mit Blick auf das Haftungsrecht von einem Grundsatz der Kohärenz, wonach alle Haf565   Zum Grundsatz der Rechtskraft EuGH, Rs. C‑234/04 (Kapferer) Rn. 20, mit Verweis auf EuGH, Rs. 224/01 (Köbler) Rn. 38. 566   Zum Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens bei Anwendung der Klausel-RL 93/13 EuGH, C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn. 29 – 30, mit Verweis auf EuGH, Rs. C‑89/08 P (Kommission/ Irland u. a.) Rn. 50, 54. 567   Dannemann, Schadensersatz bei Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1994, S. 33 f.; Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 92 ff. 568  Rechtsvergleichend Tatham, ELRev. 1994, 146 ff.; Lange, Erstattung, 2008, S. 89 ff. Die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen betonend EuGH, Rs. C‑30/02 (Cash & Carry) Rn. 16. 569   Jestaedt/Derenne/Ottervanger, Study, 2006, S. 44. Für Deutschland siehe Beljin, in: Schulze/ Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 28 Rn. 270 m. w. N. 570   In Deutschland ist seit dem Beschluss des BVerwG geklärt, dass Streitigkeiten über die Vergabe öffentlicher Aufträge im Unterschwellenbereich nicht von der Zwei-Stufen-Lehre erfasst werden und damit den ordentlichen Gerichten zugewiesen sind; BVerwG, NJW 2007, 2275; hierzu Ennuschat/ Ulrich, NJW 2007, 2224. Für die Vergabe oberhalb der Schwellenwerte gelten für den Rechtsschutz die Vorgaben der §§ 97 ff. GWB („wettbewerbsrechtliche Lösung“). Zur Ausgestaltung des Vergaberechtsschutzes in den anderen Mitgliedstaaten Bovis, EU Public Procurement Law, 2007, S. 381 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., 2004, § 36 Rn. 6 ff. 571   Arrowsmith, Regulating Public Procurement, 2000, S. 13 f.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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tungssysteme auf Unionsebene (insb. außervertragliche Haftung der Union, Haftung der Mitgliedstaaten, haftungsrechtliches Sekundärrecht, haftungsrechtliche Durchsetzung des Unionsrechts) letztlich den gleichen Grundstrukturen folgen.572 Auch Metzger betont zutreffend, dass die „öffentlich-rechtliche Einkleidung“ zahlreicher unionsrechtlicher Prinzipien nichts an der Herkunft dieser Grundsätze aus dem Privatrecht der Mitgliedstaaten ändert.573 Die Anerkennung „allgemeiner“ Grundsätze oder die Auslegung bestimmter Haftungselemente bedeutet andererseits nicht automatisch, dass diese flächendeckend in der gesamten Unionsrechtsordnung Geltung beanspruchen.574 Eine solche Vorgehensweise steht vielmehr unter dem Vorbehalt, dass die übertragene Lösung den Besonderheiten des jeweiligen Systems gerecht wird, in welches sie übertragen wird. Dies vorausgesetzt, spricht aber nichts dagegen, wenn der Gerichtshof bei Ermittlung der Unionsrechte ein einheitliches Konzept zugrunde legt, das subjektiv-öffentliche und subjektiv-private Unionsrechte gleichermaßen umfasst. b) Verbindungslinien zwischen den subjektiv-öffentlichen und subjektiv-privaten Rechten aus deutscher Perspektive Ottmar Bühler konstatierte bereits im Jahre 1914, dass die Lehre von den subjektivöffentlichen Rechten in Deutschland in enger Anlehnung an das subjektive Privatrecht entwickelt wurde.575 Waren die subjektiv-öffentlichen Rechte in der Anfangszeit noch ganz auf das Verhältnis Staat-Adressat bezogen, so trat in der Folgezeit der drittschützende Gehalt subjektiver Rechte insbesondere im Bereich des Bau- und Gewerberechts deutlich hervor.576 Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes setzte sich sodann allgemein die Erkenntnis durch, dass Drittbetroffenen im Verwaltungsrecht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer subjektiven Berechtigung zugestanden werden muss. Damit rückte das Horizontalverhältnis zwischen direkt Betroffenen und Dritten zunehmend in den Blickpunkt, verbunden mit der Erkenntnis, dass es im Verwaltungsrecht – ebenso wie im Privatrecht – um den Ausgleich kollidierender Privatinteressen gehen kann.577 Privatrecht und öffentliches Recht werden daher ganz zu Recht dahingehend beschrieben, dass sich beide Teilrechtsordnungen zwar durch den Anspruchsgegner sowie dadurch unterscheiden, dass der Umfang der drittschützenden Wirkung verwaltungsrechtlicher Normen mit öffentlichen Interessen in Einklang zu bringen ist; in ihrer dogmatischen Grundstruktur stimmen beide Ausprägungen des subjektiven Rechts jedoch weitgehend überein.578 572

  Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 88 ff.   Metzger, Extra legem, intra ius, 2009, S. 348 ff. Vgl. auch Sieburgh, ERPL 2012, 295, 305 ff.   Wie hier Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 89; Bulst, ZEuP 2008, 178, 190 ff.; Metzger, Extra legem, intra ius, 2009, S. 349 f. 575   Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, 1914, S. 9. Dazu Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 55 ff.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3, 1999, S. 214 f. 576   Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 67 ff., 81 ff.; Preu, Die historische Genese, 1990, S. 97 f. 577  Grundlegend Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, 1992. Vgl. auch Preu, Die historische Genese, 1990, S. 99. 578   Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 55 ff.; Schur, Anspruch, absolutes Recht und Rechtsverhältnis, 1993; de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, 1999, S. 38 ff. 573 574

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Parallelen treten besonders deutlich hervor, wenn es um die Ermittlung des Schutznormgehalts im Rahmen von § 42 Abs. 2 VwGO einerseits und § 823 Abs. 2 BGB andererseits geht. Die von Rechtsprechung und Lehre entwickelte Schutznormtheorie operiert in beiden Teilrechtsordnungen mit weitgehend identischen Prüfungskriterien, geht es doch jeweils um dieselbe Frage, ob die fragliche Norm den Betroffenen vor der eingetretenen Beeinträchtigung in der Weise schützt, dass er seine Rechte selbst verwirklichen können soll.579 Wie selbstverständlich wird daher im Zivilrecht betont, dass das öffentliche Recht eine nicht zu unterschätzende Hilfe bietet, um den Schutzgesetzcharakter verwaltungsrechtlicher Normen im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB zu bestimmen.580 Der BGH verweist in ständiger Judikatur auf die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte.581 Umgekehrt nehmen auch die Verwaltungsgerichte auf Urteile der Zivilgerichte Bezug, wenn es darum geht, den drittschützenden Gehalt von Normen im öffentlichen Recht zu ermitteln.582 Nicht jede drittschützende Norm, die ein Klagerecht gegen den Staat vermittelt, ist selbstverständlich ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB. Selbst wenn eine Norm bei genereller Betrachtungsweise ein Schutzgesetz ist, besagt dies noch nicht, dass eine Person in allen Belangen als berechtigter Dritter anzusehen ist. Vielmehr ist zu prüfen, ob gerade das im Einzelfall berührte bzw. verletzte Interesse nach dem Zweck der betreffenden Norm geschützt werden soll. Entscheidend ist nicht nur der personelle Schutzbereich, also die Frage, ob der Betroffene zum Kreis derjenigen Personen gehört, die die Norm schützen will, sondern auch der sachliche Schutzbereich, demzufolge der konkrete Schaden aus der Verletzung eines Rechtsguts entstanden sein muss, zu dessen Schutz die Rechtsnorm erlassen worden ist.583 Im Zivilrecht können dabei ganz andere Wertmaßstäbe als im öffentlichen Recht eine Rolle spielen. Insbesondere für Vermögensschäden gehen Rechtsprechung und herrschende Lehre davon aus, dass sich das BGB gegen eine allgemeine Fahrlässigkeitshaftung für reine Vermögensschäden ausgesprochen hat.584 Eine Norm, die ein subjektiv-öffentliches Recht beinhaltet, schützt daher nicht automatisch das Vermögen als solches vor Beeinträchtigungen.585 c) Rechtsgutorientierte Differenzierung im Unionsrecht Wenngleich der EuGH hinsichtlich der Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden weitaus großzügiger verfährt als die deutschen Gerichte, liegt diese Differenzierung 579

 Vgl. Marburger, in: 56. DJT, 1986, C 18 ff., 32 ff. m. w. N.  MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 BGB Rn. 408. 581   Vgl. BGHZ 66, 354, 355 f. = NJW 1976, 1888, 1898; BGHZ 86, 356, 362 = NJW 1983, 1795, 1796 f.; BGHZ 122, 1, 4 = NJW 1993, 1580 f. 582   Siehe z. B. BVerwGE 27, 29, 33 = NJW 1967, 1770, 1771 f. 583   BGHZ 19, 114, 125 f. = NJW 1956, 217, 219; BGHZ 27, 137, 143 = NJW 1958, 1041, 1042; BGHZ 39, 366, 367 f. = NJW 1963, 1827; BGH, NJW 2004, 356, 357. 584   BGHZ 66, 388, 390 f. = NJW 1976, 1740 f.; Staudinger/Hager, 2009, § 823 BGB Rn. G 4; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 1994, § 77 I.1.c., S. 431 f. 585   So vermitteln die Vorschriften der StVO über Halteverbote dem Betroffenen einen Anspruch gegen die zuständige Behörde auf Erlass eines verkehrsregelnden Verwaltungsakts zum Schutz seiner eigenen straßenverkehrsrechtlichen Belange und der verkehrlichen Nutzbarkeit seines Grundstücks; BVerwGE 37, 112. Hieraus folgt jedoch nicht, dass Halteverbote auch dem Schutz von Vermögensinteressen dienen. Bauunternehmer können daher nicht nach § 823 Abs. 2 BGB auf Ersatz des Vermögensschadens klagen, der infolge der Missachtung eines Halteverbots entstanden ist; BGH, NJW 2004, 356, 357 f.; LG München I, NJW 1983, 288; a. A. AG Waiblingen, NJW-RR 2002, 895 f. 580

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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letztlich auch seiner Rechtsprechung zugrunde. So kann sich ein Grundstückseigentümer zwar gegen eine Betriebsgenehmigung für einen benachbarten Steinbruch mit der Begründung wehren, dass die mitgliedstaatliche Behörde keine Umweltverträglichkeitsprüfung nach der UVP-RL 85/337 vorgenommen hat.586 Vermögensschäden schützt die RL demgegenüber nur „soweit diese Schäden unmittelbare wirtschaftliche Folgen von Auswirkungen eines öffentlichen oder privaten Projekts auf die Umwelt sind“.587 Sonstige reine Vermögensschäden, die nur mittelbar durch Umweltschäden verursacht worden sind, wie beispielsweise Wettbewerbsnachteile, werden demgegenüber nicht vom Schutzbereich der Richtlinie erfasst. Die Parallelen zwischen den subjektiv-öffentlichen und den subjektiv-privaten Rechten legen es einerseits nahe, die unionsrechtlich geschützten Rechte in die Schutzgesetzdogmatik beider Teilrechtsordnungen aufzunehmen. Andererseits ist aber sowohl aus deutscher als auch aus unionsrechtlicher Perspektive in jedem Einzelfall letztlich ausschlaggebend, welches Rechtsgut konkret betroffen ist und ob die entstandene Beeinträchtigung in die Gruppe gerade derjenigen Nachteile fällt, deren Eintritt die betreffende Verhaltensnorm zu verhindern trachtet.588 5. Ergebnis Für die Unionsrechte ist von einem einheitlichen Konzept auszugehen, soweit es um die Durchsetzung des Unionsrechts vor den nationalen Gerichten, also um den Rechtsschutz zur Abwehr unionsrechtswidrigen nationalen Rechts geht. Für die Auswertung der vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen ist es grundsätzlich unerheblich, ob es sich um ein Vorabentscheidungs- oder ein Vertragsverletzungsverfahren handelt. Die Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte hängen auch nicht davon ab, ob die betreffenden Rechtspositionen ihre Grundlage im Primärrecht, in Verordnungen oder in Richtlinien finden. Schließlich ist zu konstatieren, dass der Gerichtshof für die subjektiv-öffentlichen und die subjektiv-privaten Rechte bislang keine unterschiedlichen Maßstäbe anlegt. Entscheidend ist nicht die Zuordnung zu einer bestimmten Teilrechtsordnung, sondern vielmehr, welches Rechtsgut im Einzelnen betroffen ist und ob dieses vom Unionsrecht auch tatsächlich geschützt werden soll.

III. Normcharakter der Verhaltensnorm Dogmatisches Fundament der (ungeschriebenen) Unionsrechte ist der jeweilige Rechtsakt bzw. Rechtssatz, der die Union, die Mitgliedstaaten oder Private zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen verpflichtet. Unionsrechte können nur aus Normen abgeleitet werden, die Bestandteil der Unionsrechtsordnung sind (1.). Die Geoder Verbotsnorm muss ferner hinreichend bestimmt und unbedingt sein (2. – 3.) und grundsätzlich auch den Schuldner konkret benennen (4.). 1. Normqualität: Primär- und Sekundärrecht, völkerrechtliche Verträge Individuelle Rechte können sich aus nahezu allen Quellen des Unionsrechts ergeben. Neben dem geschriebenen primären und sekundären Unionsrecht bilden insbeson586

  EuGH, Rs. C‑201/02 (Wells) Rn. 54 ff., 61.   EuGH, Rs. C‑420/11 (Leth) Rn. 36. 588   Hierzu sogleich, infra, § 3 E.3.e. 587

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

dere die vom Gerichtshof entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze eine wichtige Basis für die Rechte des Einzelnen.589 Auch aus völkerrechtlichen Verträgen der Europäischen Union können subjektive Rechte folgen. Sie sind Bestandteil der Unionsrechtsordnung (Art. 216 Abs. 2 AEUV) und können unmittelbar wirken, wenn sie hinreichend bestimmt und unbedingt sind. Der Gerichtshof bejaht subjektive Rechte insbesondere mit Blick auf die in Freihandels‑, Assoziations‑, Partnerschafts- und Nachbarschaftsabkommen gewährleistete Personenfreizügigkeit.590 WTO-Übereinkünfte sind demgegenüber nicht geeignet, unmittelbar wirkende Rechte zugunsten des Einzelnen zu begründen. Zwar dient das WTO-Recht dem Schutz der individuellen Interessen der Weltmarktteilnehmer gegen staatliche Beschränkungen und Wettbewerbsverzerrungen.591 Der Gerichtshof lehnt aber eine unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts in ständiger Rechtsprechung ab.592 Dahinter steht die Überlegung, dass sich auch vor den Gerichten der meisten Handelspartner niemand auf das WTO-Recht unmittelbar berufen kann. Hätte der Unionsrichter die Aufgabe, die Vereinbarkeit des Unionsrechts mit dem WTO-Recht zu gewährleisten, würde den Legislativ- und Exekutivorganen der Union der Spielraum genommen, über den die entsprechenden Organe der Handelspartner der Union verfügen.593 Da dieser Verhandlungsspielraum nicht gefährdet werden soll, lehnt der EuGH eine Überprüfung des Unionsrechts unmittelbar am Maßstab des WTO-Rechts ab. Dementsprechend können auch Ansprüche aus außervertraglicher Haftung (Art. 340 Abs. 2 AEUV) nicht unmittelbar auf die Verletzung von Vorschriften des WTO-Rechts gestützt werden.594 Obwohl das WTO-Recht keine unmittelbar wirkenden Rechte zugunsten des Einzelnen begründet, bestehen zahlreiche Möglichkeiten, das WTO-Recht in der EU dezentral durchzusetzen.595 So überprüft der EuGH etwa mittelbar die Rechtmäßigkeit von Unionshandlungen anhand der Vorschriften des WTO-Rechts, wenn die Union bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtungen umsetzt596 oder wenn unionsrechtliche Vorschriften ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte verweisen.597 Von besonderer Bedeutung für den Rechts589   Überblick bei Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2004, S. 485 – 489; Zuleeg/Kadelbach, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 8 Rn. 4 – 10. Zu den primärrechtlich verbürgten Unionsrechten Kingreen/Störmer, EuR 1998, 263 ff.; zum Sekundärrecht Geddes, Protection of Individual Rights under EC Law, 1995, S. 3 ff., 13 ff. 590   EuGH, Rs. C‑262/96 (Sürül) Rn. 60; Rs. C‑37/98 (Savas) Rn. 54; Rs. C‑265/03 (Simutenkov) Rn. 21 ff. 591   Behrens, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO, 2002, S. 201, 202. 592  Zum Individualrechtsschutz gegenüber der Union EuGH, Rs. C‑149/96 (Portugal/Rat) Rn. 42 ff.; Rs. C‑307/99 (OGT Fruchthandelsgesellschaft) Rn. 24 ff.; verb. Rs. C‑27 & 122/00 (Omega Air) Rn. 93; Rs C‑76/00 P (Petrotub und Republica) Rn. 53; Rs. C‑93/02 P (Biret International) Rn. 52; verb. Rs. C‑120 – 121/06 P (FIAMM und FIAMM Technologies) Rn. 108 ff. Zum Individualrechtsschutz gegenüber Privaten EuGH, verb. Rs. C‑300 & 392/98 (Dior u. a.) Rn. 42 ff.; Rs. C‑245/02 (Anheuser-Busch) Rn. 54. 593   EuGH, Rs. C‑149/96 (Portugal/Rat) Rn. 46. 594   EuGH, Rs. C‑93/02 P (Biret International) Rn. 61 ff. 595  Umfassend Heidfeld, Die dezentrale Durchsetzung des WTO-Rechts in der Europäischen Union, 2012. 596   EuGH, C‑149/96 (Portugal/Rat) Rn. 49. Für das GATT 1947 vgl. EuGH, Rs. C‑69/89 (Nakajima All Precision Co./Rat) Rn. 31. Hierzu Heidfeld, a. a. O., S.  186 – 244. 597   EuGH, Rs. C‑149/96 (Portugal/Rat) Rn. 49. Für das GATT 1947 vgl. EuGH, Rs. 70/87 (Fediol/ Kommission) Rn.  19 – 22; hierzu Heidfeldt, a. a. O., S.  245 – 248.

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schutz ist darüber hinaus das Gebot der WTO-rechtskonformen Auslegung. Nach ständiger Rechtsprechung muss sowohl das EU‑Sekundärrecht598 als auch das mitgliedstaatliche Recht599 von den Unionsorganen bzw. den Mitgliedstaaten soweit wie möglich im Einklang mit dem WTO-Recht ausgelegt werden.600 2. Hinreichende Bestimmtheit der Verhaltensnorm Unionsnormen können dem Einzelnen nur dann Rechte verleihen, wenn die in ihr enthaltenen Ge- oder Verbote hinreichend bestimmt sind. Normen, die nur allgemeine Grundsätze aufstellen, sind aufgrund ihres unbestimmten Normbefehls nicht dazu geeignet, dem Einzelnen Ansprüche zu vermitteln oder die Mitgliedstaaten zur Schaffung entsprechender Rechtspositionen zu verpflichten. Der EuGH betont das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit vor allem dann, wenn es um die Direktwirkung von Unionsnormen geht. Nach der Rechtsprechung kann eine Bestimmung des Unionsrechts nur dann unmittelbar wirken, wenn sie unbedingt formuliert und hinreichend genau ist.601 Letzteres ist der Fall, wenn die Norm konkret formulierte und eindeutige Verpflichtungen aufstellt.602 Da Auslegungsfragen im Vorabentscheidungsverfahren geklärt werden können, wird die Bestimmtheit einer Norm nicht dadurch beeinträchtigt, dass sie einen ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff enthält.603 Voraussetzung der unmittelbaren Wirkung ist jedoch, dass die Unionsnorm konkrete Maßnahmen vorschreibt und nicht nur allgemeine Ziele absteckt.604 Auch für die Staatshaftung fordert der EuGH, dass der Inhalt der dem Einzelnen verliehenen Rechte „auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden“ kann.605 Die Verhaltenspflichten müssen dementsprechend inhaltlich klar umrissen sein, so dass sich ihr Regelungsgehalt aus der Richtlinie erschließen lässt. Dass der Gerichtshof auch für die Staatshaftung eine hinreichend genaue Norm des Unionsrechts voraus598   Für die GATS-konforme Auslegung EuGH, Rs. C‑335/05 (Řízení Letového Provozu ČR) Rn. 16; für die TRIPS-konforme Auslegung EuGH Rs. C‑431/05 (Merck Genéricos-Produtos Farmacêuticos) Rn. 35; Rs. C‑428/08 (Monsanto Technology) Rn. 72. 599   EuGH, Rs. C‑53/96 (Hermès International) Rn. 28; verb. Rs. C‑300  & 392/98 (Dior u. a.) Rn. 47. 600   Zu Umfang und Grenzen der Verpflichtung zur WTO-rechtskonformen Auslegung Heukels, ZEuS 1999, 313, 322 ff.; Rosenkranz, EuZW 2007, 238 ff. 601   So für primärrechtliche Bestimmungen EuGH, Rs. 57/65 (Lüttike); Rs. 10/71 (Muller und Hein) Rn. 13/16; zu primärrechtlichen Rechtsgrundsätzen vgl. EuGH, Rs. 222/84 (Johnston) Rn. 18, 58; GA Mazák, SchlA, Rs. C‑411/05 (Palacios de la Villa) Rn. 134 f.; für Verordnungen EuGH, Rs. C‑403/98 (Azienda Agricola Monte Arcosu) Rn. 26 – 28; für Richtlinien EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 11; Rs. C‑62/00 (Marks & Spencer) Rn. 25; verb. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 103. 602   EuGH, Rs. 271/82 (Auer) Rn. 16; Rs. C‑236/85 (Comitato) Rn. 10. 603   EuGH, Rs. 41/74 (van Duyn) Rn. 13/14; vgl. auch GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑150/99 (Lindöpark) Rn. 44. Zum Problem der Konkretisierung von in Richtlinien enthaltenen Generalklauseln infra, § 4 A.VI.4. 604   EuGH, Rs. C‑236/92 (Comitato) Rn. 12, 14. 605  EuGH, verb. Rs. C‑6  & 9/90 (Francovich u. a.) Rn.  40; verb. Rs.  C‑178 – 179, 188 – 190/94 ­(Dillenkofer) Rn. 23. In späteren Entscheidungen wird dieses Erfordernis nicht mehr als gesondertes Tatbestandsmerkmal erwähnt. Teils wird davon ausgegangen, dass die inhaltliche Bestimmtheit Teil der ersten Voraussetzung (Verstoß gegen eine individualbegünstigende Norm) ist; so Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 125. Oder es wird vertreten, dass dieses Kriterium in dem weiter gefassten Merkmal des „qualifizierten Rechtsverstoßes“ aufgegangen ist; so Schockweiler, EuR 1993, 107, 115; Beljin, Staatshaftung, 2000, S. 152 f.; Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 2056.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

setzt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Grad der geforderten Bestimmtheit im Rahmen der Staatshaftung sehr viel geringer ist als bei der unmittelbaren Wirkung.606 Nach der Rechtsprechung können auch Normen, die mangels Bestimmtheit nicht der unmittelbaren Wirkung fähig sind, Staatshaftungsansprüche auslösen.607 In Richtlinien ist das subjektive Recht häufig ein „Rohling“, der durch Umsetzung in nationales Recht und gerichtliche Interpretation weiter ausgearbeitet werden muss.608 Die Haftung der Mitgliedstaaten setzt daher lediglich voraus, dass sich aus der verletzten Norm bestimmte „Mindestrechte“ herleiten lassen.609 Der Gerichtshof verneint den individualschützenden Charakter von Unionsnormen insbesondere dann, wenn eine Norm nur programmatischen Charakter hat. Im Fall Échirolles Distribution610 wurde ein Buchhändler im Ausgangsverfahren zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, weil er unter Verstoß gegen die französische Buchpreisbindung Bücher zu einem Preis zum Verkauf angeboten hatte, der um mehr als 5 % unter dem festgesetzten Preis lag. Der Buchhändler wendete u. a. ein, dass die gesetzliche Buchpreisbindung gegen den Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Art. 3a EGV, jetzt Art. 119 AEUV) verstoße. Der Gerichtshof betonte, dass dieser Grundsatz den Mitgliedstaaten keine klaren und unbedingten Verpflichtungen auferlege, auf die sich die Einzelnen vor den nationalen Gerichten berufen können.611 Der objektivrechtliche Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb begründet kein eigenständiges subjektives Recht.612 Im Urteil Comitato613 entschied der EuGH, dass Art. 4 der Abfall-RL 75/442, wonach die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um sicherzustellen, dass die Abfälle beseitigt werden, ohne die menschliche Gesundheit zu gefährden oder die Umwelt zu schädigen, für die Einzelnen keine Rechte begründet, die die nationalen Gerichte zu schützen haben. Zur Begründung führte der Gerichtshof aus, dass diese Bestimmung nur programmatischen Charakter habe.614 Die Entscheidung wird teils für die These herangezogen, dass subjektive Rechte nicht an allgemeinen Rechtsgütern wie dem Schutz der menschlichen Gesundheit entstehen können.615 Näher liegt demgegenüber die Annahme, dass der Verweis auf den programmatischen Charakter der Richtlinienvorschrift nicht als eine Verneinung indivi606

  Wie hier Deckert, EuR 1997, 203, 216; Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 126, 283.   In EuGH, Rs. C‑131/97 (Carbonari), waren weder Inhalt der Verpflichtung hinreichend bestimmt festgelegt noch der Schuldner. Eine unmittelbare Wirkung der betreffenden Richtlinien schied damit aus. Dennoch zog der Gerichtshof Staatshaftungsansprüche in Betracht; vgl. Rn. 51 ff. der Entscheidung. 608   Winter, NVwZ 1999, 467, 470. 609   EuGH, verb. Rs. C‑283, 291 – 292/94 (Denkavit International) Rn. 39, unter Berufung auf EuGH, Rs. C‑91/92 (Faccini Dori) Rn. 17. Siehe auch GA Tesauro, SchlA, verb. Rs. C‑178 – 179, 188 – 190/94 (Dillenkofer), Rn. 17 610   EuGH, Rs. C‑9/99 (Échirolles Distribution). 611   EuGH, Rs. C‑9/99 (Échirolles Distribution) Rn. 25. 612   Wie hier Hatje, in: v. Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, S. 801, 810; Nowak, EuR 2009, Beiheft 1, 129, 149. 613   EuGH, Rs. C‑236/92 (Comitato di coordinamento per la difesa della Cava u. a.). 614   EuGH, Rs. C‑236/92 (Comitato di coordinamento per la difesa della Cava u. a.) Rn.  12 – 14. Die in Richtlinien vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Erstellung eines Aktionsplans ist demgegenüber justiziabel; EuGH, Rs. C‑237/07 (Janecek) Rn. 39; verb. Rs. C‑165 – 167/09 (Stichting Natuur en Milieu u. a.) Rn. 99 ff. 615  Vgl. Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 109; ähnlich Nettesheim, AöR 132 (2007), 333, 371 f. (in Fn. 143): Keine Subjektivierung jenseits der eigenen Rechtsgüter. 607

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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dueller Interessen an der Einhaltung der Richtlinie zu verstehen ist, sondern vielmehr als Beleg für die fehlende Bestimmtheit der Norm.616 Nach Dahms617 räumt die VO 753/2002618 Weinerzeugern keinen Anspruch gegen einen privaten Weinbauverband ein, zu Weinprämierungen zu den gleichen Bedingungen wie die Mitglieder dieses Verbands zugelassen zu werden oder gegen die Modalitäten der Festlegung der Anstellgebühren vorgehen zu können. Die VO regelt nämlich nur die Etikettierung der betreffenden Weine, nicht jedoch das Verfahren zur Vergabe der genannten Auszeichnungen und Medaillen. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass subjektive Rechte nur insoweit entstehen können, wie es der Regelungsgegenstand und ‑umfang der jeweiligen Vorschrift zulassen. Regelt eine Unionsnorm bestimmte Aspekte eines Sachverhalts nicht, da sie die betreffenden Verhaltenspflichten überhaupt nicht oder nur ganz vage konkretisiert, so lassen sich aus ihr auch keine diesbezüglichen subjektiven Rechte herleiten. Das Postulat der Bestimmtheit findet sein Pendant in einigen Deliktsrechten der Mitgliedstaaten. Die deutschen Gerichte gehen davon aus, dass ein Gesetz nur dann nach § 823 Abs. 2 BGB als Schutzgesetz anerkannt werden kann, wenn es ein bestimmtes Ge- oder Verbot enthält.619 Ganz ähnlich wird für das englische Recht angenommen, dass die Verletzung einer statutory duty umso eher eine Haftung auslösen kann, je bestimmter und detaillierter die Verhaltensnorm ausformuliert ist.620 3. Inhaltliche Unbedingtheit der Verhaltensnorm Die Verhaltensnorm muss weiterhin inhaltlich unbedingt sein. Dies ist der Fall, wenn die Unionsnorm weder mit einem Vorbehalt noch mit einer Bedingung versehen ist und auch nicht von einer Entscheidung der Unionsorgane oder eines Mitgliedstaats abhängt.621 Für die Unbedingtheit einer Unionsnorm reicht es aus, wenn zumindest das Ziel verbindlich vorgeschrieben ist. Unerheblich ist dagegen, wenn den Mitgliedstaaten (wie bei Richtlinien) hinsichtlich der zur Erreichung dieses Ziels zu ergreifenden Mittel ein Ermessensspielraum eingeräumt ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die Unionsnorm ungeachtet der Wahlmöglichkeiten Mindestgarantien gewährt.622

616   So auch Wegener, ZUR 1994, 196, 197; im Anschluss auch Epiney, NVwZ 1999, 485, 487 (in Fn. 25). 617   EuGH, Rs. C‑379/04 (Dahms). 618   VO Nr. 753/2002 der Kommission vom 29. April 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates hinsichtlich der Beschreibung, der Bezeichnung, der Aufmachung und des Schutzes bestimmter Weinbauerzeugnisse, ABl. 2002 L 118/1. 619   BGH, NJW 1965, 2007 f.; BGH, NJW 1977, 1147 f.; OLG Düsseldorf, VersR 1985, 370, 371; vgl. auch BGHZ 62, 265, 267 f. (Wildtauben); K. Schmidt, ZIP 1994, 837, 842; Taupitz, in: FS Steffen, 1995, S. 489, 498. Dem Postulat der Bestimmtheit kommt besonderes Gewicht zu, wenn es um den Schutz reiner Vermögensinteressen geht; MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 BGB Rn. 399. Gegen das Bestimmtheitserfordernis Karollus, Schutzgesetzverletzung, 1992, S. 287 ff.; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 118 ff. 620   Harpwood, Modern Tort Law, 7. Aufl., 2008, S. 191 m. w. N. 621   Für das Primärrecht vgl. nur EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos); Rs. C‑379/09 (Casteels) Rn. 14 f. Für Verordnungen EuGH, Rs. C‑403/98 (Azienda Agricola Monte Arcosu) Rn. 26 f. Für Richtlinien EuGH, Rs. 41/74 (van Duyn) Rn. 13/14; Rs. C‑236/92 (Comitato di coordinamento per la difesa della cava u. a.) Rn. 9; verb. Rs. C‑165 – 167/09 (Stichting Natuur en Milieu u. a.) Rn. 95. 622   So zu Richtlinien EuGH, Rs. 8/81 (Becker) Rn. 29; verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 18 f.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Fehlt es an der inhaltlichen Unbedingtheit, so kann die betreffende Norm keine subjektiven Rechte vermitteln. Der Gerichtshof verneinte daher im Fall Österreichischer Zuchtverband für Ponys623 einen Anspruch eines staatlich zugelassenen Zuchtverbands gegenüber der zuständigen Behörde, dass einer neuen Zuchtvereinigung die Anerkennung bzw. Zulassung versagt wird. Entscheidend war insoweit der Gedanke, dass nach der zugrunde liegenden Unionsnorm den mitgliedstaatlichen Behörden ein weites Ermessen über die Zulassung eingeräumt werden sollte, und der vom Zuchtverband geltend gemachte Anspruch gerade zur Beseitigung dieses Ermessensspielraums geführt hätte.624 4. Bestimmbarkeit des Schuldners Unionsnormen können nur dann ein subjektives Recht vermitteln, wenn der Schuldner der Verhaltenspflicht bestimmbar ist. Ob das Unionsrecht einen Privaten verpflichtet, ist häufig eine Auslegungsfrage. Einer ausdrücklichen Bestimmung des Schuldners bedarf es nicht. Der Gerichtshof verfährt insbesondere bei primärrechtlichen Bestimmungen recht großzügig. So verpflichten etwa die Grundfreiheiten, obwohl sie ausdrücklich nur an die Mitgliedstaaten adressiert sind, unter bestimmten Voraussetzungen auch Private.625 Auch für das in Art. 157 AEUV festgelegte Gebot der Lohngleichheit steht seit Defrenne II626 fest, dass nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch private Arbeitgeber sowie Tarifvertragsparteien diesen Grundsatz beachten müssen. Der Gerichtshof hat darüber hinaus im Fall Mangold627 ein ungeschriebenes, unter Privaten wirkendes Verbot der Altersdiskriminierung anerkannt, was den Schluss zulässt, dass sämtliche primärrechtlichen Diskriminierungsverbote eine solche Wirkung entfalten.628 Auch bei Richtlinien muss der Schuldner häufig durch Auslegung ermittelt werden.629 Beispielsweise bestimmt die Antirassismus-RL 2000/43 nur allgemein, dass die in ihr niedergelegten Diskriminierungsverbote „für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen“ in Bezug auf die Bedingungen für „den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit“ oder „den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen“ gelten,630 ohne die Adressaten konkreter zu benennen. Unzweifelhaft ergibt sich jedoch aus dem Kontext, dass die Adressaten der Gleichbehandlungspflicht jedenfalls Arbeitgeber, die Tarifvertragsparteien und andere Kollektivverbände sowie (außerhalb des Arbeitsrechts) potentielle Vertragspartner sind.

623   EuGH, Rs. C‑216/02 (Österreichischer Zuchtverband für Ponys, Kleinpferde und Spezialrassen) Rn. 36. 624   Prechal, in: Prechal/van Roermund (Hrsg.), The Coherence of EU Law, 2008, S. 155, 174 f., sieht in der Entscheidung darüber hinaus Hinweise, dass der Gerichtshof den in Österreich restriktiv ausgestalteten Zugang von Drittbetroffenen zu den Verwaltungsgerichten für zulässig erachtet. 625  Hierzu infra, § 6 E. 626   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 39. 627   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold). 628  Näher infra, § 5 A.IV.4. Gegen eine horizontale Direktwirkung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes aber § 9 B.II.2. 629   Vgl. auch Riesenhuber, in: Clavée/Kahl/Pisal (Hrsg.), 10 Jahre Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2003, S. 161, 170, mit weiteren Beispielen. 630   Art. 3 Abs. 1 lit. a, h Antirassismus-RL 2000/43.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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Sekundärrechtsakte räumen den Mitgliedstaaten teils auch das Wahlrecht ein, den Kreis der Schuldner näher zu bestimmen. Als Beispiel kann die Arbeitnehmer-Insolvenzschutz-RL 80/987 angeführt werden, die eine Verpflichtung zur Einrichtung eines Garantiesystems aufstellt, dabei aber offen lässt, ob die erforderlichen Mittel hierzu von der öffentlichen Hand oder von den Arbeitgebern aufgebracht werden müssen.631 Ist die Person des Schuldners derart unbestimmt, können die Mitgliedstaaten den Adressaten der Verhaltensnorm grundsätzlich selbst festlegen. Eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie gegenüber dem Staat scheidet in diesem Fall aus; die geschädigten Arbeitnehmer konnten daher im Fall Francovich632 aus der RL 80/987 keine Garantieansprüche gegenüber dem Staat herleiten. In Betracht kamen nur noch Staatshaftungsansprüche wegen verspäteter Richtlinienumsetzung. Der Kreis der verantwortlichen Personen kann durch das Unionsrecht auch in abschließender Weise festlegt sein. In diesem Fall ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, die Passivlegitimation auf weitere Personen zu erstrecken. Dies trifft beispielsweise auf die Produkthaftungs-RL 85/374 zu, die nach Ansicht des EuGH auf dem Prinzip der Vollharmonisierung basiert. Der Gerichtshof hielt es daher in Skov633 für unzulässig, dass Dänemark die verschuldensunabhängige Produkthaftung auf Zwischenhändler ausgedehnt hatte. Aus der Entstehungsgeschichte ergebe sich, so der EuGH, dass die Haftung für fehlerhafte Produkte nach der Produkthaftungs-RL auf den Hersteller konzentriert werden müsse. Anders entschied der Gerichtshof im Fall Lidl Italia zur Lebensmitteletikettierungs-RL 2000/13, die nicht konkret festlegt, welche Wirtschaftsteilnehmer die Etikettierungspflicht beachten müssen. Während GA Stix-Hackl die Ansicht vertrat, dass Lieferanten nur dann für eine fehlerhafte Etikettierung haften dürfen, wenn sie tatsächlich in der Lage sind, die Angaben auf dem Etikett auf ihre Richtigkeit zu überprüfen,634 urteilte der EuGH, dass die Mitgliedstaaten mangels vollständiger Harmonisierung die Haftungsverteilung zwischen den verschiedenen am Inverkehrbringen des betreffenden Lebensmittels beteiligten Wirtschaftsteilnehmern grundsätzlich selbst regeln könnten.635

IV. Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlicher und privater Durchsetzung Bei Ermittlung der Unionsrechte stellt sich vorab die Frage nach dem Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlicher und privater Durchsetzung: Können Unionsnormen auch dann subjektiv-private Rechte begründen, wenn der Rechtsakt ausdrücklich anordnet, dass Verstöße gegen die betreffende Verhaltenspflicht durch öffentlich-rechtliche Sanktionen durchgesetzt werden müssen? Oder legen derartige Normen den Schluss nahe, dass neben öffentlich-rechtlichen Sanktionen in aller Regel keine privatrechtlichen Ansprüche eingeräumt werden müssen?

631

  Art. 5 lit. b Arbeitnehmer-Insolvenzschutz-RL 80/987.   EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 23 ff., 31 ff.   EuGH, Rs. C‑402/03 (Skov und Bilka) Rn. 27 ff.; bestätigt in EuGH, Rs. C‑327/05 (Kommission/Dänemark). Vgl. auch EuGH, Rs. C‑28/99 (Verdonck) Rn. 30 ff. (zur Insiderhandels-RL 89/592). 634   GA Stix-Hackl, SchlA, Rs. C‑315/05 (Lidl Italia) Rn. 61 ff. 635   EuGH, Rs. C‑315/05 (Lidl Italia) Rn. 48 ff., 59. 632 633

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

1. Primat der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung in einigen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Das angesprochene Problem wird vor allem in Rechtsordnungen virulent, die vom Grundsatz der Subsidiarität der zivilrechtlichen Haftung ausgehen. So wird etwa für das englische Recht betont, dass ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz (breach of statutory duty) in aller Regel nicht vorliegt, wenn das betreffende Gesetz Normverstöße bereits strafrechtlich sanktioniert.636 Ganz allgemein gilt nämlich der Grundsatz: „Where an Act creates an obligation, and enforces the performance in a specific manner, we take it to be a general rule that performance cannot be achieved in any other manner“.637 Zwar kann diese Vermutung unter bestimmten Voraussetzungen entkräftet werden, vor allem wenn sich bei Auslegung des Gesetzes ergibt, dass die betreffende Verhaltensnorm den Schutz bestimmter Individualinteressen bezweckt.638 Englische Gerichte sehen dennoch häufig davon ab, kriminalstrafrechtliche Sanktionen mit tort law Sanktionen zu akkumulieren. In den meisten anderen Mitgliedstaaten wird demgegenüber ein Verstoß gegen Strafvorschriften als Indiz dafür gesehen, dass ein Anspruch aus Delikt besteht.639 Für das deutsche Recht wird betont, dass das Strafgesetz geradezu das „Paradigma“ eines Schutzgesetzes ist.640 Etwas anderes soll demgegenüber für den Verstoß gegen Normen gelten, die lediglich als Ordnungswidrigkeiten sanktioniert werden. So möchte etwa Canaris den Anwendungsbereich des § 823 Abs. 2 BGB im Bereich der reinen Vermögensinteressen unter maßgeblicher Berücksichtigung strafrechtlicher Wertungen bestimmen. Sei das Verhalten nicht mit Kriminalstrafe bedroht, bedürfe die Haftung einer besonderen Legitimation, nämlich des Nachweises, dass sich die Haftung als Typisierung und maßvolle Ergänzung des § 826 BGB verstehen lasse.641 Eine solche Verengung der Haftung für reine Vermögensschäden widerspricht indessen bereits der Entstehungsgeschichte der Norm. § 823 Abs. 2 BGB sollte nach dem Willen der Gesetzesverfasser gerade nicht auf den Verstoß gegen Strafgesetze beschränkt werden.642 Das vorgeschlagene Kriterium ist darüber hinaus nicht sachgerecht, hängt 636   Cutler v. Wandsworth Stadium Ltd, [1949] A.C. 398, 407 ff., per Lord Simonds; Keating v. Elvan Reinforced Concrete Ltd., [1968] 1 WLR 722; Lonrho Ltd. v. Shell Petroleum Co Ltd (No. 2), [1982] A.C. 173, 183 ff., per Lord Diplock; Richardson v. Pitt-Stanley and others, [1995] Q.B. 123, 131. Vgl. auch Deakin/Johnston/Markesinis, Markesinis and Deakin’s tort law, 6. Aufl., 2008, S. 384 ff.; van Dam, European Tort Law, 2. Aufl., 2013, Rn. 902 – 2. 637   Doe d. Bishop of Rochester v. Bridges (1831) 1 [1824 – 1834] B & Ad. 847, 859. 638   Lonrho Ltd. v. Shell Petroleum Co Ltd (No. 2), [1982] A.C. 173, 185 f., per Lord Diplock. Bei Verletzung unmittelbar wirkenden Unionsrechts wird diese Regel nicht konsequent angewandt; vgl. GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 55 (in Fn. 28) m. w. N. 639  Für Frankreich vgl. Carbonnier, Les obligations, 22. Aufl., 2000, S. 419, no. 231: „Le droit pénal (. . .) agit (. . .) comme un révélateur de l’illicite dans la responsabilité civile“. In Finnland und Schweden besteht eine Ersatzpflicht für reine Vermögensschäden in aller Regel nur dann, wenn diese durch einen kriminellen Akt verursacht wurden; v. Bar, The Common European Law of Torts, Vol. 1, 1998, Rn.  244 – 246, 303; Bussani/Palmer, in: dies. (Hrsg.), Pure Economic Loss in Europe, 2003, S. 120, 156 f. 640   Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, 1994, § 77 II.4.c. Die Motive zum BGB betonen, dass „die Hauptanwendungsfälle [von § 823 Abs. 2 BGB] auf dem Gebiete des Strafrechtes“ liegen; Mugdan II S. 1076. 641   Canaris, in: FS Larenz, 1983, S. 27, 58 ff.; Larenz/Canaris, II/2 § 77 II.4.c., S. 438 f. Dagegen Karollus, Schutzgesetzverletzung, 1992, S. 129 f.; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 53 f.; MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 BGB Rn. 387. 642   Ein entsprechender Antrag zur Umformulierung des späteren § 823 Abs. 2 BGB wurde abgelehnt; vgl. Mugdan II S. 1076.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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doch die Entscheidung, ob ein bestimmtes Verhalten mit den Mitteln des Strafrechts, des Ordnungswidrigkeitenrechts oder überhaupt nicht sanktioniert wird, von rechtspolitischen Präferenzen ab, die häufig nicht mit Blick auf die Ersatzfähigkeit von Vermögensschäden getroffen werden.643 2. Kein Primat der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung im Unionsrecht Spätestens seit der Entscheidung Courage644 steht fest, dass im Unionsrecht kein öffentlich-rechtliches Durchsetzungsmonopol besteht. Der Gerichtshof bejahte eine Schadensersatzhaftung unter Privaten, obwohl Kartellverstöße durch die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden mit Verwaltungssanktionen geahndet werden können.645 GA Geelhoed wies in seinen Schlussanträgen zum Fall Manfredi646 darauf hin, dass privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Durchsetzung grundsätzlich nebeneinander und unabhängig voneinander bestehen. Sie dienen verschiedenen Zwecken und können einander ergänzen. Auch im Fall Muñoz647 stellte sich die Frage, ob neben öffentlich-rechtlichen Sanktionen eine private Durchsetzung möglich ist. Die dem Fall zugrunde liegende VO 2200/96648 sah in Art. 7 die Einrichtung von Kontrollstellen vor. Art. 38 der VO verpflichtete die Mitgliedstaaten zur Durchführung von Stichprobenkontrollen. Nach Art. 50 sollten die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen erlassen, um Verstöße gegen die Bestimmungen der Verordnung zu sanktionieren und Betrugshandlungen vorzubeugen und diese zu ahnden. Der englische High Court of Justice folgerte hieraus, dass keine privatrechtlichen Ansprüche bestehen, da die Qualitätsnormen durch die zuständige Behörde durchgesetzt werden müssten.649 Der EuGH ging demgegenüber von einer Klagebefugnis der Konkurrenten aus. Dabei betonte er, dass eine solche Klagebefugnis die Tätigkeit der Stellen ergänze, die in den Mitgliedstaaten für die Durchführung der vorgesehenen Kontrollen zuständig sind, und dazu beitrage, oft nur schwer aufzudeckende Praktiken zu unterbinden, die den Wettbewerb verfälschen können.650 Noch deutlicher äußerte sich GA Geelhoed in seinen Schlussanträgen: „Es besteht kein gemeinschaftsrechtlicher Grundsatz, dass eine privatrechtliche Durchsetzung automatisch ausgeschlossen ist, wenn in einer Vorschrift nur eine öffentlich-rechtliche Durchsetzung ausdrücklich vorgesehen ist. Offenbar unterscheidet sich hier das Gemeinschaftsrecht vom englischen Recht, das, von Ausnahmen abgesehen, zivilrechtliche Klagen nicht zulässt, wenn die Verletzung einer nationalen Rechtsvorschrift strafbewehrt ist.“651

Damit ist noch keine Aussage darüber getroffen, ob im konkreten Fall tatsächlich subjektiv-private Rechte bestehen, und nach welchen Maßstäben public und private enforcement aufeinander abzustimmen sind. Immerhin zeigen aber die vorstehenden 643

 MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 BGB Rn. 387.   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage).   Für einen Überblick über die Sanktionen im Wettbewerbsrecht infra, § 7 A.I. 646   GA Geelhoed, SchlA, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn.  64 – 65. 647   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). 648   VO Nr. 2200/96 über die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse, ABl. 1996 L 297/1, aufgehoben durch die VO Nr. 361/2008, ABl. 2008 L 121/1. 649   Antonio Muñoz y Cla SA and Another v. Frumar Ltd and Another, [1999] 3 C.M.L.R. 864, 708. 650   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 31. 651   GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 55. 644 645

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Ausführungen, dass subjektiv-private Rechtspositionen nicht allein mit dem Argument abgelehnt werden können, dass das Unionsrecht anderweitige Sanktionen vorsieht.652

V. Schutzcharakter der verletzten Unionsnorm Der EuGH legt bei Ermittlung der Unionsrechte Kriterien zugrunde, die häufig konträr zu den mitgliedstaatlichen Rechtsschutzsystemen im öffentlichen Recht und im Privatrecht liegen (1.). Der Gerichtshof unterscheidet insbesondere nicht zwischen rein öffentlichen Interessen und Individualinteressen. Entscheidend sind vielmehr der sachliche Schutzzweck der betreffenden Unionsnorm sowie die normative Anerkennung eines klagbaren Interesses (2. – 3.). Mitgliedstaaten, die wie Deutschland auf die Schutznormtheorie zurückgreifen, sehen sich daher einem verstärkten Anpassungsdruck ausgesetzt (4.). 1. Mitgliedstaatliche Kriterien zur Eingrenzung der Anspruchs- bzw. Klagebefugnis Jede Rechtsordnung steht vor der Aufgabe, das objektive Recht vom subjektiven Recht abzugrenzen. Rechtsvergleichend zeigt sich, dass sich in den Mitgliedstaaten sowohl im Verwaltungs- als auch im Privatrecht ganz unterschiedliche Rechtsschutzmodelle entwickelt haben. Diese sind vorliegend deswegen von Interesse, weil sich das Zusammenspiel zwischen Unionsrecht und nationalem Recht erst vor einem rechtsvergleichenden Panorama erschließt. Die folgenden, kursorischen Ausführungen konzentrieren sich einerseits auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen Dritte die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns vor den mitgliedstaatlichen Gerichten kontrollieren lassen können (a.). Andererseits ist zu untersuchen, wie der Verstoß Privater gegen gesetzliche Normen in mitgliedstaatlichen Haftungssystemen behandelt wird (b.). a) Der Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte: Individualrechtsschutz versus objektive Rechtmäßigkeitskontrolle Beim Verwaltungsrechtsschutz stehen sich in Europa vor allem das deutsche Modell des Individualrechtsschutzes und das französische Modell einer objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle gegenüber. Kennzeichnend für das in Deutschland vorherrschende Verständnis ist die Konzentration des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes auf den Individualrechtsschutz. Die Grundlagen für diese Konzeption wurden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gelegt.653 Die deutsche Verwaltungsrechtslehre übertrug den von Windscheid eingeführten Anspruchsbegriff auf das öffentliche Recht und entwickelte die Lehre von den subjektiv-öffentlichen Rechten, die im Anschluss an Ottmar Bühler654 in einer dreistufigen Prüfung ermittelt werden.655 Erstens bedarf es eines 652  Tendenziell anders EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos) Rn. 57: Da Art. 51 MiFID I 2004/39 nur Verwaltungssanktionen vorsieht, können die Mitgliedstaaten in den Grenzen des Äquivalenz- und Effektivitätsgebots die vertraglichen Folgen eines Verstoßes gegen Wohlverhaltensregeln selbst festlegen. 653   H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 4 ff.; Masing, Mobilisierung, 1997, S. 56 ff. 654   Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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zwingenden Rechtssatzes des öffentlichen Rechts, zweitens muss dieser Rechtssatz zumindest auch der Befriedigung individueller Interessen dienen, und drittens muss die Rechtsmacht zur Durchsetzung bestehen. Besonders umstritten ist vor allem das zweite Kriterium: Sofern es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung fehlt, erfolgt die Bestimmung subjektiv-öffentlicher Rechte anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Schutznormtheorie. Als Schutznormen werden Rechtsvorschriften angesehen, die nicht nur dem Allgemeininteresse, sondern auch dem Individualinteresse zu dienen bestimmt sind.656 Nach der Rechtsprechung des BVerwG vermitteln dabei nur solche Normen Drittschutz, „die nach dem in ihnen enthaltenen, durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsprogramm für die Behörde auch der Rücksichtnahme auf Interessen eines individualisierbaren, d. h. sich von der Allgemeinheit unterscheidenden Personenkreises dienen“.657 Zwar vollzieht sich seit einigen Jahren ein Wandel. In der Rechtspraxis ist die Tendenz erkennbar, dass deutsche Verwaltungsgerichte die Individualschutzrichtung verwaltungsrechtlicher Normen im Wege einer zunehmend großzügigen Auslegung bestimmen.658 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in vielen Bereichen überindividuelle Klagebefugnisse geschaffen, mit denen Verbände das objektive Recht durchsetzen können.659 Diese Weiterungen haben jedoch die Grundentscheidung für einen auf die Verteidigung von Individualinteressen beschränkten Verwaltungsrechtsschutz unberührt gelassen.660 Rechtsvergleichend betrachtet nimmt Deutschland mit seinem Modell der Verletztenklage eine Sonderstellung ein.661 Soweit ersichtlich, folgt in Europa nur Österreich662 dem deutschen Modell.663 In den meisten anderen Rechtsordnungen hängt die Ausgestaltung des gerichtlichen Zugangs dagegen nicht von der Trägerschaft materiell-subjektiver Rechte ab. Vielmehr gilt – in unterschiedlichen Schattierungen – ein System der Interessentenklage, in deren Rahmen letztlich eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle erfolgt. 655   Bachof, in: GS Jellinek, 1955, S. 287, 294 ff.; Ruffert, DVBl. 1998, 69; Scherzberg, in: Erichsen/ Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl., 2010, § 12 Rn. 9 f. (zur herrschenden Schutznormlehre) und Rn. 10 f. (zu ihrer Weiterentwicklung). 656   BVerfGE 27, 297, 307; 31, 33, 39 ff.; BVerwGE 3, 362 f.; 72, 226, 229 f.; 80, 259, 260; 92, 313, 317. 657   BVerwGE 81, 329, 334 = NVwZ 1989, 1157, 1158. 658   Vgl. z. B. BVerwGE 94, 151, 155 ff.; 101, 157, 163 ff.; 104, 170, 176 ff.; 105, 6, 12 ff.; 118, 361, 363 ff. Siehe auch Pietzcker, in: FS Isensee, 2007, S. 577, 581, mit Blick auf das baurechtliche Rücksichtnahmegebot. 659  Hierzu Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2009. 660   Der deutsche Gesetzgeber hat die individualschützende Ausrichtung des Verwaltungsprozessrechts mit der 6. VwGO-Novelle sogar noch verstärkt, indem er die Antragsbefugnis selbst im objektiven Verfahren der Normenkontrolle von der Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung abhängig gemacht hat (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO); hierzu Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), 335, 336; Wegener, HFR 2000, Beitrag 3, S. 2. 661   So auch Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 414 (deutsche Konzeption ist aufgrund des sehr engen Gerichtszugangs „in dieser Form wohl einzigartig“); Hong, JZ 2012, 380, 381 (Deutschland und Österreich stehen „praktisch allein auf weiter Flur“). Gärditz, in: 71. DJT, Bd. 1, 2016, D 27, spricht demgegenüber von einer „deutlichen Konvergenz von Interesse und Klagerecht in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen (. . .) im Sinne eines subjektiven Rechtsschutzmodells“. 662   Grabenwarter, Subjektive Rechte und Verwaltungsrecht, 2006, S. 20 ff., mit umfangreichen Nachweisen. Vgl. auch Balthasar, ÖJZ 1998, 321 ff.; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 2. Aufl., 2001, S. 108. 663  Nach v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 94, wird auf die Schutznormtheorie darüber hinaus in Polen zurückgegriffen.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Die Rechtsfigur des subjektiv-öffentlichen Rechts hat sich trotz wissenschaftlicher Ansätze664 insbesondere in Frankreich nicht durchsetzen können. Der Verwaltungsrechtsschutz dient in Frankreich anders als in Deutschland nicht in erster Linie dem Schutz des Bürgers vor der Verletzung seiner subjektiven Rechte, sondern dem Schutz der objektiven Legalität. Das französische Recht geht traditionell vom Modell der Interessentenklage aus.665 Die allgemeine Anfechtungsklage (recours pour excès de pouvoir) ist auf die Kontrolle der (objektiven) Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ausgerichtet. Klagebefugt ist jeder, der ein persönliches und direktes Interesse (intérêt pour agir) nachweisen kann. Dieses Interesse kann materieller (faktischer), ideeller oder rechtlicher Natur sein. Es genügt, wenn der Kläger eine besondere Betroffenheit geltend machen kann, ein Kriterium, das von der französischen Rechtsprechung großzügig ausgelegt wird.666 Im Unterschied zum deutschen Recht ist der Umfang der gerichtlichen Nachprüfung daher auch nicht auf die Verletzung subjektiver Rechte beschränkt. Hebt sich der Kläger durch ein hinreichend spezifiziertes Interesse von der Allgemeinheit ab, so kann er die Rechtmäßigkeit in jeder Hinsicht prüfen lassen, auch wenn die gerügte Illegalität ihn überhaupt nicht in seinen Rechten oder Interessen berührt; im Gegenzug ist die Kontrolldichte in Frankreich allerdings in mancherlei Hinsicht geringer als im deutschen Recht.667 Trotz der sehr günstigen Klagebedingungen und des weiten Umfangs der gerichtlichen Nachprüfung scheint die Zahl der verwaltungsrechtlichen Klagen in Frankreich im Vergleich zu Deutschland dennoch gering zu sein.668 Der französischen Konzeption folgen insbesondere Belgien, Luxemburg und Portugal.669 Andere Länder haben demgegenüber einen Mittelweg eingeschlagen. In Italien differenziert man zwischen subjektiven Rechten (diritti soggettivi) und rechtlich geschützten Interessen (interessi legittimi).670 Ist der Kläger von einer Verwaltungsmaßnahme in einem subjektiven Recht betroffen, so kann er deren Schutz nur vor den Zivilgerichten einklagen. Bei Verletzung rechtlich geschützter Interessen ist dagegen der Verwaltungsrechtsweg eröffnet; in diesem Rahmen kann er die objektive Rechtmäßigkeit der Verwaltung und damit ein Interesse der Allgemeinheit durchsetzen.671 Spanien hat zwar das französische Modell einer objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle übernommen; der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird jedoch neben der Beachtung des objektiven Rechts zusätzlich die Aufgabe zugewiesen, den Schutz der legitimen Rechte und Interessen des Einzelnen zu gewährleisten.672 664  Siehe Barthélemy, Essai d’une théorie des droits subjectifs, 1899; Bonnard, Les droits publics subjectifs des administrés, 1932. 665   Skouris, Verletztenklage und Interessentenklage, 1979; Classen, Europäisierung, 1996, S. 57 ff.; Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 370 ff. Zu den historischen Grundlagen Masing, Mobilisierung, 1997, S. 84 ff. und S. 196 ff. 666   Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 372. 667   Skouris, Verletztenklage und Interessentenklage, 1979, S. 144 f.; Classen, Europäisierung, 1996, S. 58. 668   So für das Umweltrecht Woehrling, NVwZ 1999, 502, 504 ff., der diesen Umstand vor allem auf eine verminderte Klagebereitschaft, lange Verfahrensdauern und die restriktive Handhabung des Amtsermittlungsgrundsatzes zurückführt. 669  Vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 380; Tonne, Effektiver Rechtsschutz, 1997, S. 47 ff.; Ruffert, Subjektive Rechte, 1996, S. 133 ff.; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 148 ff. 670   Caranta, CLJ 1993, 272, 286 – 291. 671   v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 76 ff. 672   v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 116 ff.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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Auch in England entspricht der Verwaltungsrechtsschutz im Großen und Ganzen einem objektiven Kontrollverfahren.673 Die im Jahre 1977 normierte „application for judicial review“ setzt als praktisch wichtigste Klageart ein hinreichendes Interesse (sufficient interest) voraus.674 Die englischen Gerichte haben dieses Kriterium äußerst großzügig interpretiert.675 Das Erfordernis des hinreichenden Interesses dient lediglich dazu, missbräuchliche Klagen zu verhindern.676 Dementsprechend haben nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen, insbesondere Interessengruppen die Möglichkeit, die Verletzung objektiven Rechts im Interesse der Allgemeinheit zu rügen. Die Klagebefugnis von Interessengruppen wurde von englischen Gerichten selbst dann bejaht, wenn weder die Interessen der Organisation noch die Rechte ihrer Mitglieder betroffen waren. So entschied der Divisional Court (Queen’s Bench Division) etwa im Jahre 1994, dass sich eine Interessengruppe gegen die Subventionierung eines Staudamms in Malaysia durch die britische Regierung wehren konnte, da ein überragendes Interesse der Allgemeinheit an der Nachprüfbarkeit der Entscheidung bestand.677 Für besondere Sachlagen gelten in England höhere Anforderungen für den Gerichtszugang. So sind nach dem Town and Country Planning Act 1990 nur benachteiligte Personen klagebefugt („person aggrieved“ test). Für Klagen wegen Verletzung der in der EMRK normierten Rechte verlangt der Human Rights Act (HRA) 1998, dass der Kläger Opfer rechtswidrigen Handelns ist („victim“ test).678 Dies wirft die (bislang ungeklärte) Frage auf, welche Kriterien gelten, wenn sowohl der HRA 1998 als auch die allgemeinen Regeln der application for judicial review einschlägig sind.679 b) Der Schutz subjektiv-privater Rechte bei Gesetzesverstößen: Schutzzwecklehre versus offener Deliktstatbestand Im privaten Haftungsrecht stellt sich die Frage nach der Eingrenzung der Anspruchsbzw. Klagebefugnis in noch dringlicherem Maße als im Verwaltungsrecht, besteht doch die große Aufgabe des Deliktsrechts darin, aus der unübersehbaren Zahl der täglich sich verwirklichenden Schadensereignisse diejenigen herauszufiltern, in denen dem Geschädigten eine Abwälzung des Schadens auf den Schädiger gestattet werden soll.680 Aus unionsrechtlicher Perspektive ist vor allem von Interesse, unter wel673   Vgl. nur R. v Somerset County Council and ARC Southern Limited, [1998] 75 P. & C.R. 175, 183, per Sedley J: „Public law is not at base about rights, even though abuses of power may and often do invade private rights; it is about wrongs—that is to say misuses of public power.“ 674   Sec. 31 (3) Supreme Court Act 1981; Order 53 (3) (7) Rules of the Supreme Court. 675   Inland Revenue Commissioners v. National Federation of Self-Employed and Small Businesses Ltd., [1982] AC 617, 644, per Lord Diplock: „It would, in my view, be a grave lacuna in our system of public law if a pressure group, like the federation, or even a single public-spirited taxpayer, were prevented by outdated technical rules of locus standi from bringing the matter to the attention of the court to vindicate the rule of law and get the unlawful conduct stopped.“ 676   Inland Revenue Commissioners v. National Federation of Self-Employed and Small Businesses Ltd., [1982] AC 617, 653, per Lord Scarman: „[The requirement for leave] enables the court to prevent abuse by busybodies, cranks, and other mischief-makers.“ 677   Regina v. Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs, ex p. World Development Movement Ltd, [1995] 1 W.L.R. 386. 678   Sec. 7 (1), 7 (3) HRA 1998. 679  Hierzu Cane, Administrative Law, 5. Aufl., 2011, S. 292; Ligere, Journal of Planning & Environment Law 2009, 292, 294 f. 680   Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, S. 625.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

chen Voraussetzungen Private bei Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften – zu denen sowohl unmittelbar wirkende als auch umgesetzte Unionsnormen zählen – haften. Gesetzesverstöße werden in den mitgliedstaatlichen Haftungssystemen in ganz unterschiedlicher Weise bewältigt. Die Vergleichbarkeit der Systeme wird zum einen dadurch erschwert, dass bei Verstoß gegen gesetzliche Normen die entstandenen Schäden nicht nur im Deliktsrecht, sondern auch über (quasi‑)vertragliche Rechtsinstitute ersatzfähig sein können.681 Zum anderen bestehen aber auch innerhalb der europäischen Deliktsrechte große Unterschiede. Dem Gesetzesverstoß kommt in ausländischen Haftungssystemen häufig eine andere Funktion zu als im System des deutschen Deliktsrechts.682 Während § 823 Abs. 2 BGB die Funktion hat, den restriktiven Katalog der in § 823 Abs. 1 BGB enumerativ aufgezählten Rechtsgüter auf fahrlässig verursachte primäre Vermögensschäden zu erweitern, und daher von den deutschen Gerichten restriktiv gehandhabt wird,683 haben die meisten Rechtsordnungen darauf verzichtet, einen abgeschlossenen Kreis geschützter Rechtsgüter festzulegen.684 Gesetzliche Ge- oder Verbote dienen in diesen Rechtsordnungen vorrangig der Konkretisierung von Verhaltensstandards, nicht jedoch der Ausweitung der Haftung auf reine Vermögensschäden. Bestimmte Rechtsordnungen, wie insbesondere die romanischen Rechte, kennen darüber hinaus überhaupt keinen besonderen Tatbestand der Gesetzes- oder Schutzgesetzverletzung, sondern behandeln den Gesetzesverstoß im Rahmen ihrer deliktsrechtlichen Generalklausel. Holzschnittartig lassen sich dennoch zwei Grundmodelle voneinander unterscheiden.685 Auf der einen Seite stehen Rechtsordnungen, die der Schutzzwecklehre folgen, nach französischer Diktion also der „théorie de la relativité aquilienne“. Im deutschen Recht führt der Verstoß gegen gesetzliche Normen nach § 823 Abs. 2 BGB nur dann zur Haftung, wenn die betreffende Norm den „Schutz eines anderen bezweckt“. Anders als noch im ersten Vorentwurf686 kommt eine Haftung erst dann in Betracht, wenn das fragliche Verhaltensgebot nicht nur die Gesamtheit schützen, sondern zumindest auch dem Schutz von Einzelpersonen oder eines bestimmten Personenkreises dienen soll. Dabei reicht es aus, wenn der Individualschutz eines unter mehreren der gesetzgeberischen Ziele der Norm ist.687 Weitere Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch aus Schutzgesetzverletzung ist, dass der Anspruchsteller zum Kreis 681   So können im deutschen Recht fahrlässig verursachte primäre Vermögensschäden auch im Wege der Vertrauenshaftung, des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte oder der Sachwalterhaftung ersatzfähig sein; vgl. nur Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 350 ff.; Bussani/Palmer, in: dies. (Hrsg.), Pure Economic Loss in Europe, 2003, S. 120, 150 ff.; Honsell, in: FS W. Lorenz, 2001, S. 483 ff. 682   Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 19 ff., 45 f. 683  Staudinger/Hager, BGB, 2009, § 823 Rn. G 4; MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 Rn. 386. 684   v. Bar, The Common European Law of Torts, Vol. 1, 1998, Rn. 13 ff., 18; G. Wagner, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 2003, S. 189, 213 ff. 685   Für einen rechtsvergleichenden Überblick vgl. auch DCFR, Full Edition, 2009, Art. VI.3:102, Notes C.III, Rn.  29 – 39, S.  3418 – 3422; v. Bar, The Common European Law of Torts, Vol. 1, 1998, Rn. 302 ff., S. 324 ff., und Vol. 2, 2000, Rn. 220 ff., S. 245 ff.; van Dam, European Tort Law, 2006, S.  237 – 246; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 19 – 47. 686   Die erste Kommission wollte den Tatbestand der Gesetzesverletzung nicht durch das Erfordernis des Schutzzweckzusammenhangs einschränken. Bereits in der zweiten Kommission und in der Reichstagskommission wurde demgegenüber zwischen Normen, die dem Schutz des Einzelnen dienen und solchen unterschieden, die bloß den Schutz der Gesamtheit bezwecken; hierzu Schmiedel, Deliktsobligationen, 1974, S. 115 ff. 687   BGHZ 116, 7, 13 f. = NJW 1992, 241, 242 m. w. N.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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der geschützten Personen gehört (persönlicher Schutzbereich) und die Norm gerade auch vor Schäden der geltend gemachten Art schützen soll (sachlicher Schutzbereich), und zwar vor demjenigen Risiko, das sich verwirklicht hat (modaler Schutzbereich).688 Ergibt sich der Individualschutz nicht unzweifelhaft aus Wortlaut und Schutzzweck der Vorschrift, soll die Bejahung des Schutzgesetzcharakters nach Auffassung der Rechtsprechung schließlich von der wertenden Gesamtbetrachtung abhängig sein, ob die Gewährung eines Schadensersatzanspruches im Rahmen des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems sinnvoll und tragbar erscheint.689 Teilweise bedienen sich die Gerichte und das Schrifttum weiterer Kriterien, um die Schadensersatzpflicht zu beschränken. So soll es nach verbreiteter Auffassung darauf ankommen, dass die in Rede stehende Norm die Interessen des Einzelnen unmittelbar, d. h. gezielt schützen soll,690 dass das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und bestimmt691 bzw. deutlich erkennbar692 sind, oder dass eine Einzelperson oder zumindest eine „genau bestimmbare und abgrenzbare Personengruppe“ geschützt wird.693 In ähnlicher Weise soll nach Ansicht des BGH auch bei der Haftung nach § 839 BGB maßgeblich sein, ob bei der betreffenden Amtshandlung in qualifizierter und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen sei.694 Dem deutschen Modell der Schutzgesetzverletzung folgen in Europa insbesondere das österreichische695 und das portugiesische696 Deliktsrecht. Auch in den Niederlanden ist anerkannt, dass die Haftung nach der vom deutschen Recht rezipierten sog. Relativitätslehre dem Schutzzweck der verletzten Norm entsprechen muss.697 In Spanien sowie in Italien ist die Schutzzwecklehre ebenfalls anzutreffen. Zwar kennen diese Rechtsordnungen – entsprechend der französischen Tradition – keinen gesonderten Tatbestand der Schutzgesetzverletzung. In beiden Ländern heben die Gerichte jedoch ähnlich wie in Deutschland hervor, dass der Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften nur dann zur Schadensersatzpflicht führen kann, wenn der 688   Vgl. nur BGHZ 63, 176, 179 = NJW 1975, 257; BGHZ 114, 161, 163 = NJW 1991, 2019. Grundlegend für diese Differenzierung Rümelin, AcP 90 (1900), 171, 304 – 307. 689   Vgl. insbes. BGHZ 66, 388, 390 = NJW 1976, 1740; BGH, NJW 1976, 2129; OLG Düsseldorf, NJW 1979, 2618; aus dem Schrifttum Staudinger/Hager, BGB, 2009, § 823 Rn. G 4; kritische Auseinandersetzung bei Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 125 ff., m. w. N. 690   BVerfG, NJW 2003, 501, 503 m. w. N. 691   BGHZ 40, 306, 307 = NJW 1964, 396, 397; BAGE 116, 293, 303 = NZA 2006, 729, 733. 692   BGH, NJW-RR 2005, 680. 693  So Bistritzki, Voraussetzungen, 1981, S. 24 ff.; vgl. auch Schwark/Zimmer/Fett, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl., 2010, § 34b WpHG Rn. 49. 694   BGHZ 92, 34, 52 = NJW 1984, 2516, 2519; BGHZ 106, 323, 332 = NJW 1989, 976, 978; BGHZ 108, 224, 227 = NJW 1990, 381, 383; BGH WM 2001, 872, 873. 695   Nach § 1311 S. 2, 2. Fall ABGB haftet, wer „ein Gesetz, das den zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht“, übertreten hat. Wie im deutschen Recht ist dabei zu prüfen, welchen Personenkreis das Schutzgesetz vor welchen Schäden und Tatbegehungsformen bewahren soll und ob der Einzelne oder nur die Allgemeinheit geschützt wird; Karollus, Schutzgesetzverletzung, 1992, S. 341 ff.; Karner, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), ABGB, 3. Aufl., 2010, § 1311 ABGB Rn. 5. Zum Ersatz reiner Vermögensschäden auch Koziol, JBl. 2004, 273 ff. 696   Nach Art. 483 Abs. 1 CC haftet derjenige, der eine „disposição legal destinada a proteger interesses alheios“ verletzt. Hierzu Menezes Leitão, Normas de protecção e danos puramente patrimoniais, 2009. 697   Art. 6:163 BW. Die Schutzzwecklehre war bereits vor Inkrafttreten des neuen Burgerlijk Wetboek anerkannt; vgl. Hondius/van Dam, in: v. Bar (Hrsg.), Deliktsrecht in Europa, 1993, Niederlande, S. 9; Vranken, AcP 191 (1991), 411, 417.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Anspruchsteller zum Kreis der geschützten Personen gehört und der eingetretene Schaden innerhalb des Schutzbereichs der Norm liegt.698 Dieser Ansatz ist auch in Dänemark, Finnland und Schweden zu finden.699 In England ist der Tatbestand der Gesetzesverletzung als eigenständiger tort des breach of statutory duty anerkannt, der vom Tatbestand der allgemeinen Fahrlässigkeitshaftung (tort of negligence) zu unterscheiden ist.700 Englische Gerichte sind mit der Annahme des Schutzzweckcharakters einer Norm zurückhaltend, da sie die Vermutung zugrunde legen, dass der Verstoß gegen Normen, die eine Sanktion bereits aussprechen, nicht mehr zusätzlich durch den breach of statutory duty sanktioniert werden kann.701 Ausgangspunkt ist ansonsten die Frage, ob das Gesetz vom Parlament dazu bestimmt ist, einen bestimmten Adressatenkreis gegen bestimmte Schädigungen zu schützen.702 Da dieser Ansatz in der Regel nicht weiterführt,703 sind alternative Kriterien entwickelt worden. Zunächst kommt es darauf an, ob das fragliche Gesetz darauf abzielt, eine bestimmte, abgrenzbare Personengruppe zu schützen.704 Entscheidend ist sodann, ob der Anspruchsteller zum Kreis der geschützten Personen gehört705 und ob die Norm die betreffende Schadensart schützt.706 Auf der anderen Seite stehen Rechtsordnungen, die wie Frankreich, Belgien und Luxemburg die Schutzzwecklehre ablehnen. In allen drei Rechtsordnungen begründen Verstöße gegen geschriebene Rechtssätze per se den Vorwurf, dass der Schuldner im Sinne der Art. 1382, 1383 CC „fautif“ gehandelt hat,707 ohne dass es des Nachweises einer Sorgfaltswidrigkeit bedürfte.708 Der Schutzzweck der verletzten Norm soll in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass der in Art. 1382, 1383 CC verankerte Grundsatz des neminem laedere unabhängig davon gilt, ob die Norm Individual- oder Allgemeininteressen schützt. Die so genannte „théorie de la relativité aquilienne“ wird allgemein709 abgelehnt: 698  Für Spanien STS, 1ª, 22.2.1946; STS, 1ª, 8.10.1998; STS, 1ª, 9.10.2008 (798/2008); STS, 1ª, 5.2.2009 (JUR 2009\153645); del Olmo, in: van Boom/Lukas/Kissling (Hrsg.), Tort and Regulatory Law, 2007, S. 251, 259 f.; Salvador Coderch/Fernández Crende, InDret 1/2006, S. 15 f. Für Italien vgl. nur DCFR, Full Edition, 2009, Art. VI.-3:102, Notes C.III, Rn. 31, S. 3418 f. 699   v. Bar, The Common European Law of Torts, Vol. 1, 1998, Rn. 302 ff., S. 324 ff. 700   Zum Verhältnis zwischen „breach of statutory duty“ und „negligence“ vgl. Deakin/Johnston/ Markesinis, Markesinis and Deakin’s tort law, 6. Aufl., 2008, S. 377 ff. 701   Hierzu bereits supra, § 3 E.IV.1. 702   Cutler v. Wandsworth Stadium Ltd., [1949] AC 398, 407, per Lord Simonds. 703   Der Wille des Gesetzgebers ist im Regelfall nicht ermittelbar; vgl. nur Ex parte Island Records Ltd., [1978] 3 All ER 824 (CA), Ch. 122, 134 f., per Lord Denning M.R.: „The truth is that in many of these statutes the legislature has left the point open. (. . .) The dividing line between the pro-cases and the contra-cases is so blurred and so ill-defined that you might as well toss a coin to decide it.“ 704   X (Minors) v. Bedfordshire County Council, [1995] 2 AC 633, 731; O’Rourke v. Camden LBC, [1998] AC 188, 194. 705   Hartley v. Mayoh & Co., [1954] 1 QB 383; Knapp v. Railway Executive, [1949] 2 All ER 508, 515. 706   Gorris v. Scott, [1873 – 1874] LR 9 Ex 125; Rogers, in: Winfield & Jolowicz on Tort, 17. Aufl., 2006, 7 – 14, S.  352 f. 707   Die „faute délictuelle“ ist nicht legaldefiniert; sie wird allgemein als Verletzung einer Rechtspflicht umschrieben, die subjektiv vorwerfbar ist; Planiol/Ripert/Esmein, Traité pratique de droit civil français VI, 2. Aufl., 1952, Rn. 477, 505. 708   DCFR, Full Edition, 2009, Art. VI.-3:102, Notes C.III., Rn. 29 m. w. N.; v. Bar, The Common European Law of Torts, Vol. 1, 1998, Rn. 31, S. 45 f. m. w. N. 709  Für Frankreich vgl. Cass. civ., 7.8.1895, Dalloz 1896, 1, 81: Verstoß gegen Nachtarbeitsverbot begründet als solcher eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers wegen eines Arbeitsunfalls; Cass. civ., 27.10.1975, GazPal 1976, I, 169; Limpens, in: Mélanges Savatier, 1965, S. 559 ff.; Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2. Aufl., 1998, No. 441, S. 318 ff.; Viney, in: Koziol (Hrsg.), Uni-

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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„[L]a relativité aquilienne ne peut être utilisée au civil pour délimiter la sphère d’activité du juge à l’occasion d’actions en responsabilité (. . .). La protection légale n’est réservée a priori ni à certaines victimes, ni à certains dommages. L’auteur d’une infraction à une disposition d’intérêt général ne saurait opposer à la victime de cette infraction une fin de non-recevoir tirée de la finalité de la règle reconnue.“710

Die Richter sind damit bei der Frage, wer im Falle eines Gesetzesverstoßes zum Schadensersatz verpflichtet ist, ausschließlich auf die Kategorien des Kausalzusammenhangs und des ersatzfähigen Schadens verwiesen. In der Tat lässt sich in der französischen Rechtsprechung die Tendenz nachweisen, dass insbesondere bei fahrlässig verursachten reinen Vermögensschäden711 eine Haftungseinschränkung vorgenommen wird, indem zwischen direkten und indirekten Schäden sowie mittelbar und unmittelbar Geschädigten differenziert wird.712 In der Rechtsprechung ist insoweit allerdings keine klare Linie erkennbar. Bei der Frage, ob ein direkter Kausalzusammenhang zwischen Normverstoß und Schaden (lien de causalité direct) vorliegt, hat sich bislang keine klare Doktrin herausgebildet. Die Gerichte entscheiden vielmehr von Fall zu Fall.713 2. EuGH-Rechtsprechung a) Umweltrecht Divergenzen zwischen der traditionellen Schutznormlehre und dem Konzept der Unionsrechte treten vor allem im Umweltrecht plastisch hervor. Das Umweltrecht kann als Prototyp eines Rechtsgebiets diffuser, d. h. überindividueller Interessen begriffen werden.714 Ökologische Güter sind keinem einzelnen Rechtssubjekt und auch keiner Gruppe von Rechtssubjekten zugeordnet. Vielmehr ist die Bevölkerung insgesamt am Erhalt derartiger Gemeinschaftsgüter interessiert. Soweit ökologische Schäden Auswirkungen auf den Menschen und seine Rechtsgüter haben, betreffen sie häufig weder einen abgrenzbaren Kreis von Betroffenen noch räumlich ein klar umgrenztes Gebiet. Rechtsordnungen, die wie Deutschland und Österreich den Verfication of Tort Law: Wrongfulness, 1998, S. 57. Für Belgien Cousy, in: Koziol (Hrsg.), a. a. O., S. 31, 33 f. Vgl. auch v. Bar, The Common European Law of Torts, Vol. 1, 1998, Rn. 30, S. 44 f.; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 29 – 31; G. Wagner, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 2003, S. 224 ff., 254 f. 710   Puech, L’ illicéité dans la responsabilité civile extracontractuelle, 1973, S. 283. 711   Die Bezeichnung „reiner Vermögensschaden“ ist in Frankreich nicht geläufig, da von dem sehr weit gefassten Art. 1382 CC letztlich jeglicher Schaden erfasst wird; vgl. Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl., 2009, S. 1519, m. w. N. in Fn. 187. 712   Vgl. z. B. Cass civ. 2e, 14.11.1958, Gazette Palais, 1959, 1, 31: Schaden eines Konzertveranstalters, der infolge des unfallbedingten Ausfalls eines Sängers geringere Einnahmen erzielt hat, ist zu indirekt. Cass civ. 2e, 21.2.1979, Dalloz 1979.IR 344: Schaden eines Gläubigers, der seine Forderung nicht durchsetzen konnte, weil der Darlehnsnehmer bei einem Verkehrsunfall verstarb und die Erben die Erbschaft ausschlugen, ist zu indirekt, da die Ausschlagung der Erbschaft den Kausalzusammenhang unterbrochen hat. Zu weiteren Beispielen Diaz, Non physical damage, 2010, S. 237 ff.; Bussani/ Palmer, in: dies. (Hrsg.), Pure Economic Loss in Europe, 2003, S. 120, 128 f. Für Belgien Cousy, in: Koziol (Hrsg.), Unification of Tort Law: Wrongfulness, 1998, S. 31, 33 f. 713  Kritisch Starck/Roland/Boyer, Obligations, 1. Bd., Responsabilité délictuelle, 5. Aufl., 1996, Rn. 1065 f. 714   Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen durch die Europäische Gemeinschaft, 1987, S. 19 ff.; Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2009, S. 19; siehe auch G. Wagner, in: 66. DJT, 2006, A 126 ff.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

waltungsrechtsschutz auf den Individualrechtsschutz konzentrieren, stehen der privaten Durchsetzung umweltrechtlicher Normen daher grundsätzlich reserviert gegenüber. Im Unterschied dazu hat der EuGH den subjektiv-rechtlichen Charakter umweltrechtlicher Normen in einer Reihe von Entscheidungen bekräftigt. In seiner Entscheidung zur Grundwasser-RL 80/68 folgerte der Gerichtshof aus dem Ziel der Richtlinie, einen wirksamen Schutz des Grundwassers sicherzustellen, dass die betreffenden Vorschriften Rechte und Pflichten des Einzelnen begründen sollen.715 Ähnlich urteilte der Gerichtshof, dass die Trinkwasser-RL 75/440 und 79/869 die Volksgesundheit schützen sollen. Daher müssten, so der EuGH, „immer dann, wenn die mangelnde Befolgung der (. . .) vorgeschriebenen Maßnahmen die Gesundheit der Menschen gefährden könnte, die Betroffenen die Möglichkeit haben (. . .), sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können“.716 Für die Luftqualitäts-RL 80/779 und Luftqualitäts-RL 82/884 (Blei) entschied der Gerichtshof, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Grenzwerte vorzuschreiben, insbesondere zum Schutz der menschlichen Gesundheit geschaffen worden seien; daher müssten sich die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Überschreitung der Grenzwerte die menschliche Gesundheit gefährden könnte, in der Lage sein, ihre Rechte geltend zu machen.717 Besonders aufschlussreich ist die zur Süßwasser-RL 78/659 und Muschelgewässer-RL 79/923 ergangene Entscheidung. Der Gerichtshof begründete die individualschützende Wirkung mit der mitgliedstaatlichen Verpflichtung, zum Zwecke des Gesundheitsschutzes Grenzwerte für Gewässer festzulegen, „in denen das Leben von zum menschlichen Verzehr geeigneten Fischen (. . .) sowie der (. . .) von Menschen unmittelbar verzehrbaren Muscheln und Schnecken erhalten wird oder erhalten werden könnte“.718 Die Entscheidung ist ein klarer Beleg dafür, dass es bei Ermittlung der Unionsrechte nicht darauf ankommt, ob Individualinteressen in geografischer Hinsicht abgrenzbar sind,719 lässt sich doch der Kreis der durch den Verzehr der Fische, Muscheln oder Schnecken tatsächlich Betroffenen räumlich gerade nicht eingrenzen.720 Zur personellen und inhaltlichen Reichweite der klagbaren Rechte nimmt der EuGH in den vorgenannten Urteilen nur vage Stellung. Während er im Grundwasser-Urteil noch ausschließlich von den „Begünstigten“ spricht,721 tritt in den nachfolgenden Urteilen der Begriff der „Betroffenen“ hinzu.722 Im Urteil zur Süßwasser715

  EuGH, Rs. C‑131/88 (Kommission/Deutschland – „Grundwasser“) Rn. 7, 61.   EuGH, Rs. C‑58/89 (Kommission/Deutschland – „Oberflächenwasser“) Rn. 14. Anders GA Jacobs, SchlA, Rn. 34: Klagerechtsbegründende Qualität der Vorschriften ist zweifelhaft, da die Richtlinien die Begründung von Rechten und Pflichten nur für einen begrenzten Personenkreis vorschreiben. 717   EuGH, Rs. C‑361/88 (Kommission/Deutschland – „Schwefeldioxid/Schwebestaub“) Rn. 16; Rs. C‑59/89 (Kommission/Deutschland – „Blei“) Rn. 19. 718   EuGH, Rs. C‑298/95 (Kommission/Deutschland – „Muschelgewässer“) Rn. 15. 719   Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 185, meint demgegenüber, dass das Merkmal der faktischen Betroffenheit vorrangig hinsichtlich des räumlichen Einwirkungsbereichs Bedeutung erlange; ähnlich Stüber, Jura 2001, 798, 801; Classen, Europäisierung, 1996, S. 76. Winter, NVwZ 1999, 467, 470, geht bzgl. der Richtlinien zu Oberflächengewässern davon aus, dass nur diejenigen Trinkwasserkonsumenten geschützt seien, die mit Wasser aus dem fraglichen Gewässer versorgt werden. 720   Wie hier A. Schwerdtfeger, Verwaltungsrechtsschutz, 2010, S. 162. 721   EuGH, Rs. C‑131/88 (Kommission/Deutschland – „Grundwasser“) Rn. 6. 722   EuGH, Rs. C‑361/88 (Kommission/Deutschland – „Schwefeldioxid/Schwebestaub“) Rn. 16; Rs. C‑58/89 (Kommission/Deutschland – „Oberflächenwasser“) Rn. 14; Rs. C‑59/89 (Kommission/ Deutschland – „Blei“) Rn. 19. 716

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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und zur Muschelgewässer-RL findet sich sogar nur der Begriff des Betroffenen.723 Hinsichtlich der inhaltlichen Reichweite der subjektiven Rechte könnten die allgemeinen Formulierungen des EuGH den Schluss zulassen, dass sämtliche Vorschriften der fraglichen Richtlinien einklagbar sein sollen.724 Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Ausführungen des Gerichtshofs stets im Kontext konkreter Vorschriften (Verbote von Einwirkungen auf Umweltgüter, Vorschriften zu Genehmigungsverfahren, Grenzwertfestlegungen) stehen.725 In anderen umweltrechtlichen Entscheidungen hat der EuGH die Rechte des Einzelnen weitergehend konkretisiert. So leitete der Gerichtshof im Fall Janecek726 aus der in Art. 7 Abs. 3 Luftqualitätsrahmen-RL 96/62 vorgesehenen mitgliedstaatlichen Verpflichtung, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Einhaltung von Grenzwerten für Feinstaub sicherzustellen, einen Anspruch des Einzelnen gegenüber den zuständigen Behörden auf Erstellung eines Aktionsplans ab. Zur Begründung verwies er wiederum auf den durch die Richtlinie bezweckten Schutz der öffentlichen Gesundheit. Mit Blick auf den Kreis der Begünstigten spricht der Gerichtshof demgegenüber im Unterschied zu früheren Urteilen nicht mehr von den „betroffenen“ Personen, sondern von den „unmittelbar“ betroffenen Personen,727 ohne jedoch deutlich zu machen, ob hieraus höhere Anforderungen für die Klagebefugnis folgen.728 Neu ist auch der Zusatz, dass nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen berechtigt werden.729 Dies deutet auf eine Erweiterung der Aktivlegitimierten, evtl. sogar auf Verbandsklagebefugnisse hin.730 Im Fall Leth731 stellte der Gerichtshof klar, dass eine unterlassene Umweltverträglichkeitsprüfung nach der UVP-RL 85/337732 auch Staatshaftungsansprüche wegen reiner Vermögensschäden begründen kann. Zwar verpflichte die Richtlinie die mitgliedstaatlichen Behörden nicht, bei einem geplanten Ausbau eines Flughafens eine etwaige Wertminderung von umliegenden Grundstücken zu berücksichtigen, sondern nur dazu, die Auswirkungen von Lärm auf den Menschen zu beurteilen.733 Dessen ungeachtet seien Vermögensschäden aber vom Schutzzweck der Richtlinie umfasst. Aus den Erwägungsgründen ergebe sich, dass die Richtlinie durch eine Verbesserung 723

  Rs. C‑298/95 (Kommission/Deutschland – „Muschelgewässer“) Rn. 16.  So Albin, Die Vollzugskontrolle des europäischen Umweltrechts, 1999, S. 168. 725   Im Einzelnen A. Schwerdtfeger, Verwaltungsrechtsschutz, 2010, S. 157 f.; im Ergebnis auch Pietzcker, in: FS Isensee, 2007, S. 577, 592. 726   EuGH, Rs. C‑237/07 (Janecek) Rn. 39. In EuGH, verb. Rs. C‑165 – 167/09 (Stichting Natuur en Milieu u. a.) Rn. 99 f., stellte der Gerichtshof ferner klar, dass ein solcher Anspruch auch aus Art. 6 RL 2001/81 über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe folgt. 727   EuGH, Rs. C‑237/07 (Janecek) Rn. 39, 42; ebenso EuGH, verb. Rs. C‑165 – 167/09 (Stichting Natuur en Milieu u. a.) Rn. 100. 728   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑165/09 (Stichting Natuur en Milieu u. a.) Rn. 139, folgert aus der Formulierung, dass der Kreis der Begünstigten begrenzt werden soll. Ähnlich A. Schwerdtfeger, Verwaltungsrechtsschutz, 2010, S. 179 (höhere Anforderungen an den Begründungsaufwand bzgl. „unmittelbarer“ Betroffenheit könnten zulässig sein). 729   EuGH, Rs. C‑237/07 (Janecek) Rn. 39; ebenso EuGH, verb. Rs. C‑165 – 167/09 (Stichting Natuur en Milieu u. a.) Rn. 100. 730   Im Ergebnis auch Jans, in: Liber Amicorum for Slot, 2009, S. 267, 275; A. Schwerdtfeger, Verwaltungsrechtsschutz, 2010, S. 179 f. 731   EuGH, Rs. C‑420/11 (Leth). 732   UVP-RL 85/337 i. d. F. der RL 97/11 (ABl. 1997 L 73/5) und der RL 2003/35 (ABl. 2003 L 156/17). 733   EuGH, Rs. C‑420/11 (Leth) Rn.  28 – 30. 724

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

der Umweltbedingungen zur Lebensqualität und zum Schutz der Gesundheit beitragen wolle. Eine erhebliche Lärmexposition könne erhebliche Auswirkungen auf den Menschen haben und zugleich unmittelbar zu Vermögensschäden führen. Dementsprechend erfasse der Schutzzweck der Richtlinie auch die Verhütung von Vermögensschäden, die unmittelbare wirtschaftliche Folge der Umweltauswirkungen eines Projekts sind.734 Damit ist nicht gesagt, dass bei Unterlassen einer UVP automatisch ein Anspruch des Einzelnen gegen den Staat auf Ersatz der entstandenen Vermögensschäden besteht. Da die Richtlinie nur Verfahrensvorschriften enthält, nicht aber die Durchführung von Projekten mit nachteiligen Umweltauswirkungen untersagt, muss von den mitgliedstaatlichen Gerichten vielmehr geprüft werden, ob zwischen dem fraglichen Verstoß und den entstandenen Schäden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht.735 Offen bleibt, ob auch der Verstoß Privater gegen umweltrechtliche Vorschriften unionsrechtlich determinierte Schadensersatzansprüche auslösen kann. Zwar ließen sich derartige Ansprüche auf den effet utile stützen.736 Andererseits hat sich der Unionsgesetzgeber aber klar gegen eine Harmonisierung der zivilrechtlichen Umwelthaftung ausgesprochen. Im Unterschied zu früheren Vorschlägen der Kommission auf diesem Gebiet737 distanziert sich insbesondere die Umwelthaftungs-RL 2004/35 vom Modell einer zivilrechtlichen Umwelthaftung, indem sie die Rechtsgüter Leib, Leben, körperliche Unversehrtheit sowie reine Vermögensschäden von ihrem Anwendungsbereich ausschließt,738 und in Art. 3 Abs. 3 ausdrücklich hervorhebt, dass Privatpersonen nach der Richtlinie keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen eines Umweltschadens haben, sondern insoweit auf das nationale Recht verwiesen sind.739 Angesichts dieser Klarstellung dürfte es ausgeschlossen sein, dass der EuGH private Schadensersatzansprüche aus dem effet utile im Wege der Rechtsfortbildung herleitet. 734

  EuGH, Rs. C‑420/11 (Leth) Rn.  31 – 36.   EuGH, Rs. C‑420/11 (Leth) Rn. 45 – 48. Nach GA Kokott, SchlA, Rn. 54, besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang insbesondere dann, wenn Personen bei ordnungsgemäßer UVP (mit ausreichender Warnung vor nachteiligen Umweltauswirkungen) darauf verzichtet hätten, sich in den betroffenen Bereichen anzusiedeln oder beim Bau von Gebäuden zumindest für entsprechenden Lärmschutz gesorgt hätten. 736   In diese Richtung vor allem Betlem, in: Hartkamp et al. (Hrsg.), Towards a European Civil Code, 3. Aufl., 2004, S. 677 ff. Vgl. auch van Zeben, The Untapped Potential of Horizontal Private Enforcement within EC Environmental Law, Amsterdam Center for Law & Economics, Working Paper No.  2008 – 09. 737   Vgl. insb. den Vorschlag für eine Richtlinie über die zivilrechtliche Haftung für die durch Abfall verursachten Schäden, KOM (1989) 282 endg. – SYN 217, ABl. 1989 C 251/3; sowie Art. 14 des geänderten Vorschlags für eine Richtlinie über Aballdeponien, KOM (1993) 275 endg. – SYN 335, ABl. 1993 C 212/33. Beide Vorschläge sahen eine verschuldensunabhängige zivilrechtliche Haftung vor. In ihrem Grünbuch über die Sanierung von Umweltschäden favorisierte die Kommission ein zweiteiliges Haftungsmodell, bestehend aus Regeln zur Haftung unter Privaten und einem kollektiven Entschädigungssystem; KOM (1993) 47 endg, S. 29 ff. Selbst in ihrem Weißbuch zur Umwelthaftung wollte die Kommission den Schutzbereich der Umwelthaftungs-RL noch weit ziehen und nicht nur Umweltschäden, sondern auch „Schäden im herkömmlichen Sinne“ wie Gesundheits- oder Sachschäden berücksichtigen; KOM (2000) 66 endg., S. 15 f. Näher zur Rechtsentwicklung Hinteregger, in: dies. (Hrsg.), Environmental Liability and Ecological Damage in European Law, 2008, S. 3, 6 ff. 738   Der Anwendungsbereich der RL beschränkt sich auf Umweltschäden i. S. d. Art. 2 Nr. 1, also auf die Schädigung geschützter Arten und natürlicher Lebensräume, von Gewässern und des Bodens. Vgl. ferner ErwGr (14) sowie Anhang II Nr. 1.1.3. i. V. m. Nr. 1(d) Umwelthaftungs-RL 2004/35. 739  Hierzu Hedemann-Robinson, Enforcement of European Union Environmental Law, 2007, S. 486 ff.; G. Wagner, VersR 2005, 177, 178. 735

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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b) Vergaberecht Auch die Rechtsprechung des EuGH zum Vergaberecht hat in Deutschland für einen Paradigmenwechsel gesorgt. Die in Deutschland früher geltende sog. haushaltsrechtliche Lösung,740 die einem (übergangenen) Bieter keinerlei Rechte zugestanden hatte,741 konnte angesichts der europäischen Vorgaben nicht mehr aufrechterhalten werden. Der EuGH wies in mehreren Entscheidungen die von deutscher Seite vertretene Auffassung zurück, dass die fraglichen Vergaberichtlinien742 ausschließlich dem Interesse öffentlicher Haushalte an einer sparsamen Haushaltsführung dienten. Nach Ansicht des Gerichtshofs bezwecken die Vorschriften über die Teilnahme und Publizität vielmehr (auch) den „Schutz des Bieters vor Willkür des öffentlichen Auftraggebers“; sie begründen daher individuelle Rechtspositionen, die von den nationalen Gerichten zu schützen sind.743 Bemerkenswert sind diese Aussagen nicht zuletzt deswegen, weil in den einschlägigen Vergaberichtlinien der Schutz des Bieters vor Willkür des öffentlichen Auftraggebers mit keinem Wort erwähnt wird.744 Im Schrifttum werden die betreffenden Entscheidungen häufig als Beleg für die These angeführt, dass sich der EuGH zu einer eigenen unionsrechtlichen Schutznormlehre bekannt habe.745 Der Gerichtshof zieht den Schutzzweck der Richtlinien indessen nicht heran, um Individualrechte auszuschließen, sondern zu begründen. Die Unterscheidung zwischen rein öffentlichen Interessen und Individualinteressen wird vom Gerichtshof gerade nicht – im Sinne der traditionellen Schutznormlehre – verwendet, um das objektive Recht vom subjektiven Recht abzugrenzen. Mittlerweile sind die subjektiven Rechte der Bieter durch die Allgemeine Rechtsmittel-RL 89/665746 und die Sektoren-Rechtsmittel-RL 92/13747 konkretisiert worden. Beide Richtlinien sollen eine wirksame und zügige Nachprüfung von Vergabeverfahren gewährleisten. Sie fordern die Einrichtung unabhängiger Nachprüfungsinstanzen, die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes, insbesondere die wirksame Nachprüfung des Vergabeverfahrens im Zeitraum zwischen Zuschlagsentscheidung und Abschluss des betreffenden Vertrags, ergänzt um Stillhaltefristen, und verpflichten die 740   §§ 57a bis c HGrG, eingefügt durch Gesetz v. 26.11.1993, BGBl. I 1993, S. 1928, in das Haushaltsgrundsätzegesetz v. 19.8.1969. 741  Das Konzept der haushaltsrechtlichen Lösung hatte zum Ziel, „individuelle, einklagbare Rechtsansprüche der Bieter nicht entstehen zu lassen“; BT‑Drucks. 12/4636, S. 12. 742   Der Fall EuGH, Rs. C‑433/93 (Kommission/Deutschland), betraf die Umsetzung der Richtlinien 88/295 und 89/440, eine Zwischengeneration der Vergaberichtlinien. 743   EuGH, Rs. C‑433/93 (Kommission/Deutschland) Rn. 19, mit Verweis auf Rs. 31/87 (Beentjes) Rn. 42; Rs. C‑54/96 (Dorsch Consult) Rn. 40. Vgl. auch EuGH, verb. Rs. C‑20 & 28/01 (Kommission/ Deutschland) Rn. 35: Zwar enthält die RL 92/50 „im Wesentlichen Verfahrensvorschriften, sie ist jedoch gleichwohl erlassen worden, um die Hemmnisse für den freien Dienstleistungsverkehr zu beseitigen und somit [sic!] die Interessen der in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer zu schützen, die den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen öffentlichen Auftraggebern Dienstleistungen anbieten möchten“. 744  Ausführlich Fichtner, Rechte des Einzelnen, 2005, S. 211 ff. 745   So etwa Triantafyllou, DÖV 1997, 192, 196; Classen, VerwArch 88 (1997), 645, 662; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 437. 746   Rechtsmittel-RL 89/665, geändert durch RL 92/50 (ABl. 1992 L 209/1) und RL 2007/66 (ABl. 2007 L 335/31). 747  Sektoren-Rechtsmittel-RL 92/13, geändert durch RL 2006/97 (ABl. 2006 L 363/107) und RL 2007/66 (ABl. 2007 L 335/31). 748   Art. 1 Abs. 3 Allgemeine Rechtsmittel-RL 89/665, zuletzt geändert durch RL 2007/66; Art. 1 Abs. 3 Sektoren-Rechtsmittel-RL 92/13, zuletzt geändert durch RL 2007/66.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Mitgliedstaaten dazu, dass bereits abgeschlossene Verträge unter bestimmten Voraussetzungen für unwirksam erklärt werden und die durch einen Rechtsverstoß geschädigten Beteiligten Schadensersatz erhalten können. Klagebefugt ist nach beiden Richtlinien jede Person, „die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht“.748 An einem Interesse kann es fehlen, wenn der Rechtsschutzsuchende schon kein eigenes Angebot abgegeben hat.749 Die Richtlinien räumen daher keinen allgemeinen Normenvollzugsanspruch ein, sondern begrenzen den Rechtsschutz auf Bieter. c) Verbraucherrecht Im Verbraucherrecht750 deuten einige Urteile darauf hin, dass es nach Ansicht des EuGH für die Herleitung individueller Rechte ausreicht, wenn eine Richtlinie in ihren Erwägungsgründen ganz allgemein den Verbraucherschutz als Richtlinienziel erwähnt. Im Fall Dillenkofer ging es um die Frage, ob Pauschalreisende Staatshaftungsansprüche geltend machen können, wenn ein Mitgliedstaat entgegen Art. 7 PRRL 90/314 den Veranstalter nicht verpflichtet, für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sicherzustellen. Die deutsche Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs machten geltend, dass Art. 7 der Richtlinie nicht die Verleihung eines Rechts an Einzelne bezwecke. Die Richtlinie schütze lediglich die Dienstleistungsfreiheit bzw. ganz allgemein die Freiheit des Wettbewerbs; außerdem normiere die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur Verpflichtungen des Veranstalters, nicht aber Rechte des Verbrauchers.751 Der Gerichtshof widersprach dieser Ansicht. Zum einen werde in den Erwägungsgründen mehrfach das Ziel des Verbraucherschutzes erwähnt, zum anderen könne die Tatsache, dass die Richtlinie noch andere Ziele gewährleisten solle, nicht ausschließen, dass ihre Bestimmungen auch auf den Schutz der Verbraucher abzielten.752 Auch in anderen Fällen hat der EuGH maßgeblich auf den generellen Verbraucherschutzgedanken abgestellt, um individuelle Rechte des Verbrauchers zu stärken, so beispielsweise zur KaufRL 99/44 in den Urteilen Quelle753 und Gebr. Weber & Putz.754 Beide Rechtssachen betreffen jedoch die Rechte und Pflichten in einem bereits bestehenden Vertragsverhältnis und damit nicht die im vorliegenden Kontext relevante Frage, unter welchen Voraussetzungen Unionsrechte indirekt begründet werden.

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  EuGH, Rs. C‑230/02 (Grossmann Air Service) Rn.  26 – 28.   Der Begriff „Verbraucherrecht“ wird nachstehend in einem weiten Sinne verstanden. Genau genommen handelt es sich bei der PRRL 90/314 nicht um reine Verbraucherschutz-Richtlinie, da sie auch Personen schützt, die Pauschalreisen zu einem gewerblichen Zweck buchen; hierzu infra, § 10 B.V.2.a. 751   EuGH, verb. Rs.  C‑178 – 179, 188 – 190/94 (Dillenkofer u. a.) Rn. 38, 40. 752   EuGH, verb. Rs.  C‑178 – 179, 188 – 190/94 (Dillenkofer u. a.) Rn. 39 ff.; bestätigt in EuGH, Rs. C‑140/97 (Rechberger) Rn. 22 f. 753   EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle). Dazu infra, § 10 G.II.4.a. 754   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz). Dazu infra, § 10 G.II.5.a. 750

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

163

d) Staatshaftungsrecht Eine großzügige Haltung zeigt sich auch in einer Reihe weiterer Entscheidungen zum Staatshaftungsrecht, in denen der Gerichtshof die Frage, ob eine Unionsnorm Rechte des Einzelnen begründen will, entweder gar nicht prüft, mit Blick auf ihre unmittelbare Wirkung ohne Umschweife bejaht,755 oder mit einem Verweis auf den Wortlaut756 bzw. die der Regelung zugrunde liegenden allgemeinen Ziele757 begründet.758 Im Fall Danske Slagterier stellte sich die Frage, ob sich aus der Frischfleisch-RL 64/433 und der Veterinärkontroll-RL 89/622 Rechte der Produzenten und Vermarkter von Schweinefleisch ergeben. Der BGH bezweifelte dies in seinem Vorlagebeschluss. Die fraglichen Richtlinien führten zwar zu einer Förderung der Entfaltung von Grundfreiheiten, jedoch verliehen sie keine Rechte zugunsten der Produzenten und Vermarkter, da die Einführung eines harmonisierten Systems gesundheitsbehördlicher Kontrollen im Vordergrund stünde.759 Der EuGH betonte demgegenüber, dass die streitgegenständlichen Richtlinien die aus Art. 34 AEUV folgenden Marktzugangsrechte konkretisierten und dem Einzelnen daher das Recht verliehen, frisches Fleisch, das den Anforderungen der Union entspreche, in einem anderen Mitgliedstaat zu vermarkten.760 e) Außervertragliche Haftung der Union Dass der Gerichtshof die traditionelle Schutznormlehre nicht übernommen hat, zeigt sich auch bei der außervertraglichen Haftung der Union (Art. 340 Abs. 2 AEUV), die nach mittlerweile gesicherter Rechtsprechung ebenso wie die mitgliedstaatliche Staatshaftung einen Verstoß gegen eine Rechtsnorm voraussetzt, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.761 Seit der Entscheidung Kampffmeyer ist anerkannt, dass es für den Schutzcharakter der verletzten Norm ausreicht, wenn der Schutz des Geschädigten einer von vielen Zwecken einer Norm ist. Die Norm muss insbesondere keinen geschlossenen Kreis oder eine bestimmte Zahl von Personen schützen. Auch Rechtsnormen, die ganz allgemein eine angemessene „Stützung der Agrarmärkte“ oder den „freien Warenverkehr“ sicherstellen sollen, können daher Schutznormen i. S. d. Art. 340 Abs. 2 AEUV sein: 755

 Vgl. supra, § 3 C.I.   So etwa in EuGH, Rs. C‑127/95 (Norbrook Laboratories) Rn. 108: Da die TierarzneimittelRL 81/851 vorschreibt, dass der Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen nur aus den in ihr aufgeführten Gründen abgelehnt werden kann, verleiht sie dem Einzelnen das Recht, eine Genehmigung zu erhalten, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. 757   Vgl. neben den erwähnten Entscheidungen Dillenkofer und Danske Slagterier auch noch EuGH, Rs. C‑429/09 (Fuß) Rn. 49 i. V. m. Rn. 33: Art. 6 lit. b Arbeitszeitgestaltungs-RL 2003/88 dient dem Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und verleiht dem Einzelnen daher Rechte. 758   Anders EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul). Hierzu sogleich, infra, § 3 E.V.2.g. 759   BGH, NVersZ 2007, 362, 363 f. (Danske Slagterier I) Rn. 12 ff. Einen Verstoß gegen Art. 34 AEUV hielt der BGH, a. a. O., Rn. 15, demgegenüber für möglich. 760   EuGH, Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) Rn. 23 ff.; im Anschluss auch BGH, EuZW 2009, 865, 867 f. (Danske Slagterier II) Rn. 19 f. GA Trstenjak meinte demgegenüber in ihren SchlA (Rn. 59 ff., 73), dass die Richtlinien den Produzenten und Vermarktern keine individuellen Rechte einräumen. Auch einen Verstoß gegen Art. 34 AEUV hielt sie für problematisch (Rn. 82 f.). 761   EuGH, Rs. C‑312/00 P (Camar und Tico) Rn. 53; Rs. C‑472/00 P (Fresh Marine) Rn. 25. Der früheren Rechtsprechung des EuGH ließ sich demgegenüber nicht zweifelsfrei entnehmen, ob es im Rahmen der Haftung für rechtswidrige Einzelakte auf den Schutzcharakter der verletzten Norm ankommt; vgl. Schwarze/Berg, EU‑Kommentar, 3. Aufl., 2012, Art. 340 AEUV Rn. 36 m. w. N. 756

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

„Daß diese [von der Norm geschützten] Interessen allgemeiner Art sind, schließt nicht aus, daß sie auch die Interessen einzelner Unternehmen wie der Klägerinnen umfassen, die in ihrer Eigenschaft als Getreideimporteure am innergemeinschaftlichen Handel teilnehmen. Wenn auch die Anwendung der Rechtsvorschriften, um die es hier geht, diese Unternehmen im allgemeinen nicht unmittelbar und individuell betreffen wird, so hindert das doch nicht, daß diese Rechtsvorschriften zum Schutz ihrer Interessen bestimmt sein können und im vorliegenden Fall auch sind.“762

f) Sonstiges Zivilrecht Für das Zivilrecht belegen schließlich die Entscheidungen Courage und Muñoz, dass eine spezifisch individualschützende Richtung der betreffenden Verbotsnorm selbst dann entbehrlich ist, wenn es um Ansprüche zwischen Privaten geht. Im Fall Courage763 urteilte der Gerichtshof, dass bei Verstoß gegen das Verbot von Alleinbezugsvereinbarungen (Art. 101 Abs. 1 lit. b AEUV) „jedermann“ (einschließlich der Kartellbeteiligten) Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch ein wettbewerbswidriges Verhalten entstanden ist. Unter Zugrundelegung von Schutzzweckerwägungen hätten demgegenüber erhebliche Zweifel an der Anspruchsberechtigung bestanden, dient doch das Verbot von Alleinbezugsvereinbarungen vorrangig dem Zweck, Dritten den Marktzugang offen zu halten, nicht jedoch dazu, die Vertragsparteien vor ungünstigen Vertragsbedingungen zu schützen.764 Für lauterkeitsrechtliche Ansprüche im Verhältnis zwischen Unternehmern rekurrierte der EuGH im Fall Muñoz765 wiederum auf die Erwägungsgründe der fraglichen Unionsnorm, insbesondere auf die dort erwähnten Ziele „Lauterkeit des Handelsverkehrs“ und „Markttransparenz“, um Ansprüche konkurrierender Anbieter in Verbindung mit dem effet utile herzuleiten. Der Gerichtshof folgte damit GA Geelhoed, der in seinen Schlussanträgen die in der Verordnung aufgezählten Allgemeininteressen ausdrücklich herangezogen hatte, um einklagbare Rechte zu begründen.766 g) Anwendung der Schutznormtheorie im Fall Peter Paul? Deutlich strengere Maßstäbe legte der Gerichtshof im Fall Peter Paul767 an. Nach Ansicht des EuGH verleihen die Bestimmungen des europäischen Bankaufsichtsrechts768 den Bankkunden keine individuellen Rechtspositionen für den Fall, dass 762   EuGH, verb. Rs. 5, 7, 13 – 24/66 (Kampffmeyer u. a./Kommission); Klammerzusatz hinzugefügt. Zuletzt bestätigt durch EuGH, Rs. C‑221/10 P (Artegodan/Kommission) Rn. 76. 763   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26. 764   So die Argumentation des Court of Appeal in seiner Courage-Folgeentscheidung; angesichts des EuGH-Urteils sah er sich jedoch gezwungen, von Schutzzwecküberlegungen Abstand zu nehmen; Bernard Crehan v Inntrepeneur Pub Co, [2004] EWCA Civ 637, [2004] UKCLR 1500, Rn. 158 ff. 765   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 29 f. 766   GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 30: „Von den drei [in der VO 2200/96] genannten Zielen dient die Lauterkeit des Handels in erster Linie den Interessen der Anbieter, das Fernhalten von Erzeugnissen unzureichender Qualität den Interessen der Verbraucher und die Markttransparenz beiden Gruppen gleichermaßen.“ 767   EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.). 768   Konkret ging es um vier Richtlinien: Einlagensicherungs-RL 94/19; Erste Banken-RL 77/780; Zweite Banken-RL 89/646; Eigenmittel-RL 89/299. Die drei zuletzt genannten Richtlinien wurden durch die RL 2000/12, ABl. 2000 L 126/1, zusammengefasst. Mittlerweile finden sich ihre Bestimmungen in der RL 2006/48 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, ABl. 2006 L 177/1.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

165

ihre Einlagen aufgrund einer unzureichenden Aufsicht der zuständigen nationalen Behörden und dadurch bedingter Insolvenz eines Kreditinstituts verloren gehen.769 Derartige Rechte ergeben sich nach Ansicht des Gerichtshofs weder aus den Aufsichtspflichten der nationalen Behörden gegenüber den Kreditinstituten noch aus dem Umstand, dass die fraglichen Richtlinien gemäß ihren Erwägungsgründen auch den Schutz der Einleger bezwecken. Das Unionsrecht steht daher einer innerstaatlichen Regelung wie der des § 6 Abs. 4 deutsches KWG a. F. (jetzt § 4 Abs. 4 FinDAG) nicht entgegen, wonach die Aufsichtsbehörde die ihr zugewiesenen Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt.770 Konsequenterweise verneinte der Gerichtshof einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch, der über die in Art. 7 Einlagensicherungs-RL 94/19 vorgesehene Entschädigung in Höhe von 20.000 Euro hinausgeht. Das Urteil Peter Paul ist im Schrifttum dahingehend gedeutet worden, dass sich der EuGH der Schutznormtheorie angeschlossen habe.771 Bei genauerer Betrachtung ergibt sich indessen ein differenzierteres Bild. Der Gerichtshof begründet seine Ansicht, dass die erste und zweite Banken-RL (RL 77/780 und RL 89/646) sowie die Eigenmittel-RL 89/299 keine Rechte des Einzelnen begründen, mit vier Erwägungen. An erster Stelle weist er darauf hin, dass die fraglichen Richtlinien keine ausdrückliche Bestimmung enthalten, die den Einlegern individuelle Rechtspositionen vermitteln.772 Dieses Argument ist für sich genommen wenig aussagekräftig, denn seit van Gend & Loos ist anerkannt, dass Unionsrechte auch indirekt begründet werden können, nämlich durch eindeutige Verpflichtungen.773 Der EuGH beruft sich zweitens darauf, dass eine Koordinierung der nationalen Vorschriften zur Haftung der nationalen Behörden gegenüber den Einlegern im Fall einer unzureichenden Beaufsichtigung nicht notwendig sei, um das von den drei Richtlinien angestrebte Ziel (gegenseitige Anerkennung der Zulassung und der Bankaufsichtssysteme) zu verwirklichen.774 Auch diese Erwägung dürfte letztlich nicht ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen sein. Dass kein Bedarf für eine Harmonisierung der Haftung der Aufsichtsbehörden besteht, sagt nämlich noch nichts darüber aus, ob die in den Richtlinien niedergelegten Sorgfaltspflichten Rechte zugunsten der geschädigten Anleger begründen.775 Der Gerichtshof weist drittens auf die besondere Komplexität der Aufgaben der Bankenaufsicht hin, „in deren Rahmen die Behörden verpflichtet sind, eine Vielzahl von Interessen zu schützen, darunter insbesondere dasjenige an der Stabilität des Finanzsystems“.776 Gerade diese Überlegung wird allerdings nicht dazu verwendet, 769

  EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.) Rn. 40.   EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.) Rn. 32, 46. 771   So etwa v. Danwitz, JZ 2005, 729; Prechal, in: Prechal/van Roermund (Hrsg.), The Coherence of EU Law, 2008, S. 155, 166 f. 772   EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.) Rn. 41. Noch restriktiver GA Stix-Hackl, die in ihren SchlA (Rn. 132) ausführte, dass Rechte des Einzelnen nicht aus den Erwägungsgründen, sondern nur aus dem normativen Teil der Richtlinie hergeleitet werden können. Der Gerichtshof ließ diese Frage demgegenüber offen; so auch Hanten, BKR 2005, 33, 35; anders Prechal, in: Prechal/van Roermund (Hrsg.), The Coherence of EU Law, 2008, S. 155, 167. 773  Vgl. supra, § 2 B.I. sowie § 3 E.I.1. 774   EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.) Rn.  42 – 44. 775   Wie hier Tison, CMLR 2005, 635, 670. 776   EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.) Rn. 44. 770

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

um eine der Schutznormtheorie vergleichbare Unterscheidung zwischen Allgemeinund Individualinteressen vorzunehmen. Das Argument steht vielmehr im Kontext des (fehlerhaften) rechtsvergleichenden Befunds,777 dass angesichts der gravierenden finanziellen Risiken eine Haftung wegen unzureichender Aufsicht nicht nur in Deutschland, sondern auch noch in einer Reihe anderer Mitgliedstaaten ausgeschlossen wird. Schließlich trägt der Gerichtshof vor, dass die Einlagensicherungs-RL 94/19 gemäß ErwGr (24) eine Haftung der Mitgliedstaaten wegen fehlender Beaufsichtigung gerade ausschließen will.778 Hieraus leitet er ab, dass die Bankenaufsichtsvorschriften „den Einlegern im Fall der Nichtverfügbarkeit ihrer Einlagen aufgrund einer unzureichenden Aufsicht der zuständigen nationalen Behörden keine Rechte gewähren, wenn die in der Richtlinie 94/19 vorgesehene Entschädigung der Einleger gewährleistet ist“.779 Entscheidungserheblich war damit gerade nicht die nach deutscher Schutznormtheorie nahe liegende Behauptung, dass die Bestimmungen des europäischen Bankaufsichtsrechts nur der Allgemeinheit (insb. der Stabilität des Finanzsektors), nicht aber dem Interesse einzelner Bankkunden dienen sollen. Dass die fraglichen Richtlinien den Kunden keine Rechte gewähren, wird vielmehr mit den hohen Haftungsrisiken sowie damit begründet, dass nach der Einlagensicherungs-RL 94/19 eine weitergehende Haftung der Mitgliedstaaten gerade ausgeschlossen werden sollte.780 h) Verfahrensvorschriften Erwägungen zum Schutzzweck unionsrechtlicher Normen spielen demgegenüber eine Rolle, wenn der Gerichtshof darüber entscheidet, ob Verfahrensvorschriften geeignet sind, dem Einzelnen gerichtlich durchsetzbare Rechte zu verleihen. Der EuGH lehnt individuelle Rechte ab, wenn die betreffenden Normen nur die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsorganen oder allein das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und den Unionsorganen regeln sollen. So entschied der EuGH im Fall Kind,781 dass etwaige Mängel der Begründung einer Rechtsvorschrift (vgl. Art. 190 EGV, jetzt Art. 296 Abs. 2 AEUV) nicht geeignet sind, die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft nach Art. 215 Abs. 2 EGV (jetzt Art. 340 Abs. 2 AEUV) auszulösen. Im Rahmen des Rechtsschutzsystems habe die Begründungspflicht ausschließlich die Funktion, dem Gerichtshof die Ausübung seiner Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 173 EGV (jetzt Art. 263 AEUV) zugunsten der 777   Tison, CMLR 2005, 635, 643 – 655, belegt durch eine umfangreiche rechtsvergleichende Analyse, dass die Haftung in den meisten Mitgliedstaaten gerade nicht vollständig ausgeschlossen wird. 778   EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.) Rn. 45 f. In ErwGr (24) der Einlagensicherungs-RL 94/19 heißt es: „Die Mitgliedstaaten oder ihre zuständigen Behörden können aufgrund dieser Richtlinie den Einlegern nicht haftbar gemacht werden, wenn sie für die Einrichtung bzw. die amtliche Anerkennung eines oder mehrerer Systeme Sorge getragen haben, die die Einlagen oder die Kreditinstitute selbst absichern und die Zahlung von Entschädigungen oder den Schutz der Einleger nach Maßgabe dieser Richtlinie gewährleisten.“ 779   EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.) Rn. 50. 780   Angesichts dieser Begründung bleibt die Frage offen, in welcher Weise das Urteil Peter Paul auf andere Sekundärrechtsakte, die sich mit der Harmonisierung des Aufsichtsrechts im Bereich der Wertpapierdienstleistungen, Investmentfonds und Versicherungen befassen, übertragen werden kann; hierzu Purnhagen/Verbruggen, in: Keßler/Micklitz/Reich, Darstellung der Arbeitsweise von Finanzaufsichtsbehörden, 2009, S. 165, 193 ff. 781   EuGH, Rs. 106/81 (Kind/EWG) Rn. 14.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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Rechtsunterworfenen, denen der Vertrag diese Klageart eröffnet, zu ermöglichen. Gleiches gilt für Kompetenzbestimmungen. Wie der Gerichtshof im Fall Vreugdenhil782 klarstellte, soll das System der Verteilung der Zuständigkeiten auf die verschiedenen Organe der Gemeinschaft nur die Beachtung des vom Vertrag vorgesehenen institutionellen Gleichgewichts sicherstellen, nicht aber den Einzelnen schützen. Die rechtswidrige Ausübung von Kompetenzen seitens der Kommission oder eine rechtswidrige Übertragung von Befugnissen des Rates auf die Kommission sind daher nicht geeignet, die außervertragliche Haftung der Union auszulösen.783 Ebensowenig begründen Handlungen, die nur im verwaltungsinternen Bereich Rechtswirkungen entfalten, Rechte zugunsten des Einzelnen. Im Fall Les Verts784 wies der Gerichtshof eine von einer Umweltschutzpartei gem. Art. 173 Abs. 2 EG (jetzt Art. 263 AEUV) erhobene Klage auf Nichtigerklärung „sämtlicher Entscheidungen zur Ausführung des Haushaltsplans der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für 1984“ mit der Begründung ab, dass derartige Handlungen keine Rechte oder Pflichten Dritter begründen und somit keine sie beschwerenden Entscheidungen darstellen. Nach Ansicht des EuG verleiht auch der Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung „als solcher“ dem Einzelnen keine Rechte gegenüber den Unionsorganen.785 Spezifische Ausprägungen dieses Grundsatzes sind demgegenüber justiziabel, so insbesondere das Recht darauf, dass die eigenen Angelegenheiten unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden, das Recht, gehört zu werden, das Recht auf Zugang zu Akten und das Recht darauf, dass Entscheidungen begründet werden.786 Richtlinien oder Verordnungen, in denen die (grenzüberschreitende) Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden geregelt wird, sind in aller Regel ebenfalls nicht individualschützend. Die Bestimmungen der Sechsten Mehrwertsteuer-RL 77/388,787 der Amtshilfe-RL 77/799788 sowie der VO 218/92789 verleihen daher, wie der EuGH im Fall Twoh International790 feststellte, dem Steuerpflichtigen keinen Anspruch darauf, dass Finanzverwaltungen bei anderen mitgliedstaatlichen Behörden Auskünfte ein782   EuGH, Rs. C‑282/90 (Vreugdenhil/Kommission) Rn. 20 f.; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑221/ 10 P (Artegodan/Kommission und Deutschland) Rn. 81; EuG, verb. Rs. T‑64 – 65/01 (Afrikanische Frucht-Compagnie/Rat und Kommission) Rn. 116. 783   Gleichwohl können sich Einzelne auf die Unzuständigkeit des handelnden Organs berufen, um die Gültigkeit einer Unionsmaßnahme in Zweifel zu ziehen; EuGH, Rs. C‑39/03 P (Kommission/ Artegodan u. a.) Rn. 52. Die Nichtigkeitsklage und die außervertragliche Haftung der Union unterliegen insoweit unterschiedlichen Voraussetzungen. 784   EuGH, Rs. 190/84 (Les Verts/Parlament) Rn. 7 f. Vgl. auch EuGH, Rs. 366/88 (Frankreich/ Kommission) Rn. 9, für Dienstanweisungen. 785   EuG, Rs. T‑196/99 (Area Cova u. a./Rat und Kommission) Rn. 43; Rs. T‑193/04 (Tillack/Kommission) Rn. 127; verb. Rs. T‑50, 56, 60, 62 & 69/06 RENV (Irland u. a./Kommission) Rn. 107. 786   EuG, Rs. T‑193/04 (Tillack/Kommission) Rn. 127; verb. Rs. T‑50, 56, 60, 62 & 69/06 RENV (Irland u. a./Kommission) Rn. 107. 787   Art. 28c Teil A lit. a UAbs. 1 Sechste Mehrwertsteuer-RL 77/388, in der durch die RL 95/7/EG (ABl. 1995 L 102/18) geänderten Fassung. 788   Richtlinie 77/799/EWG über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern, ABl. 1977 L 336/15, in der durch die Richtlinie 92/12/EWG, ABl. 1992 L 76/1, geänderten Fassung. 789   Verordnung Nr. 218/92 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung (MWSt.), ABl. 1992 L 24/1. 790   EuGH, Rs. C‑184/05 (Twoh International) Rn. 31 – 34, mit Verweis auf die SchlA von GA Kokott, Rn. 23.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

holen. Der grenzüberschreitende Informationsaustausch dient – so der EuGH – nicht dazu, die Steuerpflichtigen von den Nachweispflichten zu entbinden, die ihnen nach der Sechsten Mehrwertsteuer-RL obliegen. Die Auskünfte sollen es den Behörden lediglich ermöglichen, die Angaben und Nachweise der Steuerpflichtigen zu überprüfen. Etwas anderes gilt, wenn Verfahrensbestimmungen nicht nur behördeninterne Abläufe bzw. Fragen der internen Organisation regeln, sondern die rechtlich geschützten Interessen Einzelner betreffen. Dann ist bei Verletzung verfahrensrechtlicher Vorgaben grundsätzlich auch ein Zugang zu den Gerichten zu gewähren. Dies ist zunächst dann der Fall, wenn das Unionsrecht dem Einzelnen konkrete Verfahrens- bzw. Beteiligungsrechte gegenüber den Unionsorganen oder den Mitgliedstaaten einräumt. Derartige Rechte können sich nicht nur aus dem geschriebenen Unionsrecht ergeben, sondern auch aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Zu diesen zählt nach ständiger Rechtsprechung etwa der Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte, insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör, der sowohl im Eigenverwaltungsrecht der Union791 als auch bei administrativer Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten792 zu beachten ist. Die Verletzung derartiger Verfahrensrechte kann von dem Betroffenen793 gerichtlich geltend gemacht werden.794 Eine Individualbegünstigung kann sich ferner aus Verfahrenspflichten ergeben, die von den mitgliedstaatlichen Behörden gegenüber der „betroffenen Öffentlichkeit“ zu beachten sind.795 So verleiht die (rein verfahrensrechtliche) Pflicht der mitgliedstaatlichen Behörden, eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach der UVP-RL 85/337 durchzuführen, den betroffenen Einzelnen ein Recht darauf, dass die zuständigen Stellen die Umweltauswirkungen des fraglichen Projekts bewerten und sie dazu 791   EuGH, Rs. 17/74 (Transocean Marine Paint/Kommission) Rn. 15; verb. Rs. C‑48 & 66/90 (Niederlande u. a./Kommission) Rn. 44; Rs. C‑32/95 P (Kommission/Lisrestal u. a.) Rn. 21; Rs. C‑315/99 P (Ismeri Europa/Rechnungshof) Rn. 28; Rs. C‑240/03 P (Comunità montana della Valnerina/Kommission) Rn. 129; Rs. C‑110/10 P (Solvay/Kommission) Rn. 47 f. Der Grundsatz wurde mittlerweile in Art. 41 Abs. 1 1. Spiegelstrich GRC kodifiziert. 792   EuGH, Rs. C‑349/07 (Sopropé) Rn. 36 ff.; Rs. C‑277/11 (M.) Rn. 81; Rs. C‑44/06 (Gerlach) Rn. 38. 793   Der persönliche Anwendungsbereich des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist eröffnet, wenn der Betroffene spürbar in seinen Interessen berührt wird; EuGH, Rs. 17/74 (Transocean Marine Paint/ Kommission) Rn. 15; Rs. C‑349/07 (Sopropé) Rn. 37. Eine spürbare Berührung eigener Interessen liegt auch in der Versagung einer Begünstigung; vgl. EuGH, Rs. C‑269/90 (Technische Universität München) Rn. 14. Auch Dritte, die nicht Adressat einer Entscheidung sind, können unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf Anhörung haben; vgl. GA Kokott, SchlA, Rs. C‑276/12 (Sabou) Rn. 50 f. m. w. N. 794   Für das Eigenverwaltungsrecht geht der Gerichtshof davon aus, dass die Klagebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 AEUV durch Beteiligungs‑, Informations- und Mitwirkungsrechte regelmäßig begründet wird; EuGH, Rs. 26/76 (Metro/Kommission) Rn. 13; Rs. 191/82 (FEDIOL/Kommission) Rn. 31; Rs. C‑367/95 P (Kommission/Sytraval) Rn. 48. Für die administrative Durchführung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten EuGH, Rs. C‑201/02 (Wells) Rn. 64 ff. Hiervon zu trennen ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Verwaltungsentscheidung wegen Verletzung verfahrensrechtlicher Vorgaben aufzuheben ist; für das Eigenverwaltungsrecht Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 391 ff. für die mitgliedstaatliche Durchführung des Unionsrechts Grünewald, NVwZ 2009, 1520, 1523 f.; Held, NVwZ 2012, 461, 464 f.; Ziekow, NVwZ 2007, 259, 264. Zur Heilung von Verfahrensmängeln Kment, EuR 2006, 201 ff. 795   Die Frage, ob Verfahrenspflichten gegenüber der „allgemeinen Öffentlichkeit“ gerichtlich einklagbare Rechte begründen, ist demgegenüber noch ungeklärt; hierzu Epiney, in: FS Scheuing, 2011, S. 309, 316 ff.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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anhören.796 Dies umfasst insbesondere die in Art. 6 Abs. 3 UVP-RL 85/337 vorgeschriebene Information der „betroffenen Öffentlichkeit“ über die Umweltauswirkungen des Projekts (Art. 6 Abs. 3 UVP-RL 85/337) sowie die Unterrichtung über die das Genehmigungsverfahren abschließende Entscheidung und die wesentlichen Gründe (Art. 9 UVP-RL 85/337).797 Werden diese verfahrensrechtlichen Vorgaben verletzt, so müssen die Mitgliedstaaten bereits erteilte Genehmigungen aufheben oder aussetzen,798 sowie alle durch das Unterlassen einer Umweltverträglichkeitsprüfung entstandenen Schäden ersetzen.799 Selbst Verfahrenspflichten, die von den Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission zu beachten sind, können Rechte zugunsten des Einzelnen begründen. Für das Beihilferecht betont der EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass das an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot, neue Beihilfen oder geänderte Beihilfen auszuzahlen, ohne die Kommission vorher darüber zu unterrichten (Art. 108 Abs. 3 S. 1, 3 AEUV), nicht nur den Wettbewerb im Binnenmarkt schützen soll, sondern darüber hinaus die Interessen derjenigen, die durch eine von der Beihilfemaßnahme verursachten oder bevorstehenden Wettbewerbsverfälschung betroffen sind.800 Die betroffenen Dritten müssen daher das Recht haben, sich vor den einzelstaatlichen Gerichten gegen eine Verletzung von Art. 108 Abs. 3 AEUV zur Wehr zu setzen.801 Ähnliches gilt für Verstöße gegen die Informations-RL 83/189,802 derzufolge die Mitgliedstaaten vor Erlass bestimmter technischer Normen zur Übermittlung des Textes an die Kommission verpflichtet sind. Im Urteil CIA Security International803 betonte der Gerichtshof, dass sich Einzelne auf diese Richtlinie berufen könnten, weil mit dieser Richtlinie der freie Warenverkehr geschützt werden solle und weil die Notifikationspflicht für die Verwirklichung dieses Ziels von großer Bedeutung sei.804 Aufschlussreich sind schließlich die Ausführungen des EuGH im Fall A.G.M. COS.MET.805 In dem betreffenden Verfahren ging es um die Frage, ob ein Hersteller von Kfz-Hebebühnen Staatshaftungsansprüche geltend machen kann, wenn Mitarbeiter einer mitgliedstaatlichen Behörde öffentlich vor der Gefährlichkeit dieses 796

  EuGH, Rs. C‑201/02 (Wells) Rn. 61; Rs. C‑420/11 (Leth) Rn. 32.   GA Kokott, SchlA, Rs. 420/11 (Leth) Rn. 50 f. 798   Vgl. EuGH, Rs. C‑201/02 (Wells) Rn. 64 ff., dort allerdings mit dem Hinweis, es sei Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob nach nationalem Recht die Möglichkeit besteht, eine bereits erteilte Genehmigung zurückzunehmen oder auszusetzen. 799   EuGH, Rs. C‑201/02 (Wells) Rn. 66; Rs. C‑420/11 (Leth) Rn. 44. 800  EuGH, Rs. C‑174/02 (Streekgewest) Rn. 19; Rs. C‑368/04 (Transalpine Ölleitung) Rn. 46; Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 38. 801  Näher infra, § 8 D.I. 802   Die Informations-RL 83/189 wurde ersetzt durch die RL 98/34/EG (ABl. EG 1998 L 217/18). Für eine Übertragung der zur Richtlinie 83/189/EWG entwickelten Rechtsprechung auf die Richtlinie 98/34/EG: EuGH, Rs. C‑20/05 (Schwibbert) Rn. 44; GA Bot, SchlA, Rs. C‑42/07 (Liga Portuguesa de Futebol Profissional) Rn. 182. 803   EuGH, Rs. C‑194/94 (CIA Security International) Rn. 45 ff., 48, 50. 804   Das Urteil betrifft genau genommen nur das Recht, sich in einem laufenden Verfahren auf die Richtlinie zu berufen (Evokationsrecht), nicht jedoch das Recht auf ein gerichtliches Verfahren; zu dieser Unterscheidung supra, § 3 C. Daher bleibt zweifelhaft, ob Verstöße gegen die InformationsRL einen Zugang zu Gericht erfordern; so auch Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 123. Dass die Richtlinie nach EuGH, Rs. C‑443/98 (Unilever Italia) Rn. 51, keine Rechte zugunsten des Einzelnen begründet, spricht nicht gegen ihre klagerechtsbegründende Qualität. Diese Aussage bezieht sich nämlich nur auf das privatrechtliche Rechtsverhältnis, nicht jedoch auf die Rechte des Einzelnen gegenüber den Mitgliedstaaten; hierzu noch infra, § 5 A.IV.2.b. 805   EuGH, Rs. C‑470/03 (A.G.M. COS.MET). 797

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Produkts warnen, obwohl die Hebebühnen mit dem „CE“-Zeichen versehen waren. Nach der Maschinen-RL 98/37806 entfaltet das CE‑Zeichen zugunsten des Herstellers und seiner Vertriebsorganisation eine sog. Konformitätsvermutung, die nur im Rahmen des Schutzklauselverfahrens widerlegt werden kann.807 Die mitgliedstaatliche Behörde hatte dieses Verfahren nicht durchgeführt. Tatsächlich bestanden aber erhebliche Zweifel an der Sicherheit des Produkts.808 Der Gerichtshof leitete dessen ungeachtet aus dem Schutzklauselverfahren ein Recht des Herstellers auf Schutz vor staatlichen Beschränkungsmaßnahmen (einschließlich Produktwarnungen) ab.809 Die Maschinen-RL ziele gemäß ihren Erwägungsgründen darauf ab, den freien Verkehr mit Maschinen im Binnenmarkt zu gewährleisten.810 Da das Schutzklauselverfahren nicht durchgeführt worden sei, komme den Hebebühnen die Konformitätsvermutung zu.811 Dies verleihe den einzelnen Marktteilnehmern Rechte, die sie gegenüber den Mitgliedstaaten einfordern könnten.812 Die fraglichen Äußerungen des Beamten seien geeignet, das Inverkehrbringen der Maschinen zumindest mittelbar zu behindern und stellten als solche einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar.813 Bereits der bloße Verfahrensverstoß reichte damit zur Begründung der Staatshaftung aus. 3. Systematisierung der unionsrechtlichen Kriterien a) Keine Unterscheidung zwischen Allgemein- und Individualinteressen Der Gerichtshof differenziert bei Herleitung der Unionsrechte grundsätzlich nicht danach, ob die betreffende Norm öffentliche Interessen oder Individualinteressen schützt. Zwar werden diese Kategorien gelegentlich verwendet. Entgegen verbreiteter Ansicht814 kommt dieser Unterscheidung jedoch keine der Schutznormtheorie vergleichbare Bedeutung zu.815 Vom Ausgangspunkt ist es irrelevant, ob mit der fraglichen Bestimmung Allgemeinwohl- oder Individualinteressen verfolgt werden. Der klagerechtsbegründenden Qualität von Unionsnormen steht insbesondere nicht entgegen, wenn das mit der Norm verfolgte Ziel oder geschützte Rechtsgut nicht in spezifischer Weise einer Person zugeordnet werden kann. Nach der unionsrechtlichen Konzeption reicht auch ein Interesse der Allgemeinheit oder eines potenziell weiten Personenkreises aus, um individuelle Rechtspositionen anzuerkennen. Zu 806   Richtlinie 98/37/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen; ABl. 1998 L 207/1. 807   Das in Art. 7 Maschinen-RL 98/37 geregelte Schutzklauselverfahren sieht u. a. vor, dass der Mitgliedstaat das Vorliegen einer Gefahr feststellt und Maßnahmen ergreift, um die Maschinen aus dem Verkehr zu ziehen. Außerdem ist die Kommission unverzüglich von einer solchen Maßnahme zu unterrichten. 808   Vgl. insbesondere GA Kokott, SchlA, Rs. C‑470/03 (A.G.M. COS.MET) Rn. 27, 56 ff., 67. 809   Reich, VuR 2007, 410, 412. 810   EuGH, Rs. C‑470/03 (A.G.M. COS.MET) Rn. 52. 811   EuGH, Rs. C‑470/03 (A.G.M. COS.MET) Rn.  61 – 64. 812   EuGH, Rs. C‑470/03 (A.G.M. COS.MET) Rn. 79. 813   EuGH, Rs. C‑470/03 (A.G.M. COS.MET) Rn. 65, 82. 814   Vgl. vor allem Götz, DVBl. 2002, 1, 4 (Nähe zur Schutznormtheorie ist „unverkennbar“); ­Triantafyllou, DÖV 1997, 192, 196 (deutliches Bekenntnis des EuGH zur Schutznormlehre); Stern, JuS 1998, 669, 771 (EuGH scheint sich der Schutznormtheorie deutscher Prägung anzuschließen). 815  Grundlegend Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 166 ff.; Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 396 ff.; Nettesheim, AöR 132 (2007), 333, 373 f.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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den allgemeinen Zielen und Rechtsgütern, die klagefähige Rechte begründen können, zählen insbesondere die Volksgesundheit,816 die menschliche Gesundheit817 bzw. öffentliche Gesundheit,818 der Schutz der Lebensqualität durch Verbesserung der Umweltbedingungen,819 der Verbraucherschutz,820 der Schutz der Bieter vor Willkür des öffentlichen Auftraggebers,821 der Schutz der Marktteilnehmer vor Marktzugangsschranken,822 vor Wettbewerbsverzerrungen823 oder vor sonstigen unlauteren Verhaltensweisen.824 Die individualschützende Zielrichtung braucht bei alledem nicht in einer konkreten Unionsnorm niedergelegt sein, sondern kann sich bereits aus der Gesamtschau des Rechtsakts, insbesondere aus den Erwägungsgründen ergeben.825 Eine gezielte Individualbegünstigung ist nicht erforderlich. Im Unterschied zur traditionellen Schutznormtheorie muss ferner der Kreis der begünstigten Personen nicht bereits aufgrund der Vorschrift selbst bestimmbar sein bzw. sich deutlich von der Allgemeinheit unterscheiden. Die individualbegünstigende Wirkung kann auch eine Gesamtheit bestimmter Personen betreffen. Selbst in räumlicher Hinsicht ist nicht erforderlich, dass der Kreis der Betroffenen von vornherein abgrenzbar ist.826 Der Schutzzweck der Norm verliert damit im Unionsrecht weitgehend seine klagebegrenzende Funktion.827 Obwohl mit den genannten Zielen und Rechtsgütern stets ein personenbezogenes Rechtsgut die entscheidende Rolle spielt, genügt sein Schutz als Allgemeininteresse und damit der Schutz des Interesses eines potenziell unbegrenzten Personenkreises. Die Besonderheit des unionsrechtlichen Ansatzes des EuGH liegt folglich in der dem deutschen Verständnis fremden Individualisierung und Subjektivierung von Interessen einer Gesamtheit.828 Dieses weite Verständnis erklärt sich aus der bereits erörterten Funktionalisierung der Unionsrechte.829 Da die Einzelnen über die Geltendmachung ihrer Rechte auch 816

  Vgl. EuGH, Rs. C‑58/89 (Kommission/Deutschland – „Oberflächenwasser“) Rn. 14.   EuGH, Rs. C‑361/88 (Kommission/Deutschland – „Schwefeldioxid/Schwebestaub“) Rn. 16; Rs. C‑59/89 (Kommission/Deutschland – „Blei“) Rn. 19; Rs. C‑298/95 (Kommission/Deutschland – „Muschelgewässer“) Rn. 15. 818   EuGH, Rs. C‑237/07 (Janecek) Rn. 37. 819   EuGH, Rs. C‑420/11 (Leth) Rn. 34 f. 820   EuGH, verb. Rs.  C‑178 – 179, 188 – 190/94 (Dillenkofer u. a.) Rn. 39 ff.; Rs. C‑144/99 (Kommission/Niederlande) Rn. 18. 821   EuGH, Rs. C‑433/93 (Kommission/Deutschland) Rn. 19, mit Verweis auf Rs. 31/87 (Beentjes) Rn. 42. 822   EuGH, Rs. C‑194/94 (CIA Security International) Rn. 48, 50; verb. Rs. C‑20 & 28/01 (Kommission/Deutschland) Rn. 35; Rs. C‑470/03 (A.G.M. COS.MET) Rn. 52, 79; Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) Rn. 23 f. 823  EuGH, Rs.  C‑453/99 (Courage) Rn.  26; Rs.  C‑174/02 (Streekgewest) Rn.  19; verb. Rs.  C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 60 f.; Rs. C‑368/04 (Transalpine Ölleitung) Rn. 46; Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 38. 824   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 29 f. Vgl. auch das obiter dictum in EuGH, Rs. C‑379/04 (Dahms) Rn. 20. 825   Demgegenüber wird im Schrifttum teils gefordert, dass Regelungsabsichten aus den Erwägungsgründen, die im normativen Teil eines Rechtsakts keinen Anhalt finden, von vornherein nicht berücksichtigt werden können; so z. B. Riesenhuber, in ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl., 2010, § 11 Rn. 36 f.; in diese Richtung auch GA Stix-Hackl, SchlA, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.) Rn. 132. 826   Vgl. EuGH, Rs. C‑298/95 (Kommission/Deutschland – „Muschelgewässer“) Rn. 15 f.; hierzu supra, § 3 E.V.2.a. 827   Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 171. 828   Calliess, NVwZ 2006, 1, 3. 829  Hierzu supra, §  3 D.I.2. – 3. 817

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

zur Beachtung des Unionsrechts insgesamt beitragen sollen, kann ein Interesse der Allgemeinheit immer auch ein Interesse einiger oder vieler Einzelpersonen sein. b) Personaler Bezug des geschützten Rechtsguts Aus der Funktionalisierung der Rechte Einzelner folgt andererseits keine völlige Lösung vom Konzept des Individualrechtsschutzes. Der Gerichtshof hat bislang in keiner einzigen Entscheidung ungeschriebene Unionsrechte an kollektiven Rechtsgütern bejaht, also an Rechtsgütern, die keinem einzelnen Rechtssubjekt und auch keiner Gruppe von Rechtssubjekten zugeordnet werden können. In den erörterten Entscheidungen ging es stets um Vorschriften, die zumindest auch den Schutz personenbezogener Rechtsgüter zum Ziel und Gegenstand hatten. Entscheidend für die Begründung subjektiver Unionsrechte war der Bezug des Schutzziels (menschliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Marktzugangsrechte, Schutz vor Wettbewerbsverzerrungen) zu den konkreten Belangen der Betroffenen. Der Einzelne ist nach Ansicht des EuGH nur dann individuell berechtigt, wenn er infolge der Missachtung der einschlägigen Rechtsnorm tatsächliche Nachteile in seinen geschützten Individualinteressen zu gewahren hat.830 Weist die verletzte Unionsnorm dagegen keinen Bezug zu den Belangen oder Rechtsgütern des Einzelnen auf, so kann sie von ihm auch nicht klageweise durchgesetzt werden. Der Verstoß gegen Verfahrensvorschriften, die ausschließlich behördeninterne Abläufe bzw. Fragen der internen Organisation regeln, eröffnet dem Einzelnen daher keinen Zugang zu Gericht. Dies gilt, wie vorstehend erörtert, etwa für Kompetenzvorschriften, für Verwaltungshandlungen, die wie Haushaltspläne nur im verwaltungsinternen Bereich Rechtswirkungen entfalten, oder für Rechtsakte, in denen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden geregelt wird.831 In diesen Konstellationen ist die Verbindung zu den möglicherweise betroffenen Interessen Einzelner letztlich zu indirekt, kann doch in aller Regel gerade nicht konkretisiert werden, welches personale Interesse hier beeinträchtigt werden könnte.832 Sobald ein personaler Bezug nachgewiesen ist, kommt es für den individualschützenden Charakter dagegen nicht mehr darauf an, ob der Einzelne in einer von der Allgemeinheit abgrenzbaren Weise betroffen wird. Selbst der Verstoß gegen verfahrensrechtliche Vorgaben kann daher klagefähige Rechtspositionen auslösen, soweit der Einzelne nur in einem konkreten personalen Rechtsgut tangiert ist. Die bereits erörterte Rechtsprechung des EuG zum Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung zeigt dies in deutlicher Weise. Während dieser Grundsatz für sich genommen keine Rechte gegenüber den Unionsorganen verleiht,833 begründen die konkreten, mit Blick auf die Rechtsstellung des Einzelnen spezifischen Ausprägungen dieses Grundsatzes (wie etwa die Verteidigungsrechte des Einzelnen) individuelle Rechte.834

830

 Hierzu infra, § 3 E.V.3.b.  Siehe supra, § 3 E.V.2.h.   So auch Epiney, in: FS Scheuing, 2011, S. 309, 316. 833   EuG, Rs. T‑196/99 (Area Cova u. a./Rat und Kommission) Rn. 43. 834   EuG, Rs. T‑193/04 (Tillack/Kommission) Rn. 127; verb. Rs. T‑50, 56, 60, 62 & 69/06 RENV (Irland u. a./Kommission) Rn. 107. 831 832

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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c) Schutz ideeller Interessen? Bislang ist ungeklärt, ob auch ein rein ideelles Interesse den Einzelnen oder eine Personengruppe legitimieren kann, die Einhaltung unionsrechtlicher Vorschriften gerichtlich geltend zu machen. Altruistische Interessen spielen, wie erwähnt, vor allem im europäischen Umweltrecht eine Rolle. Umweltrechtliche Vorschriften schützen häufig Güter, die gerade nicht einem privaten Rechtssubjekt zugewiesen sind. Zu denken ist an den Schutz der Ozonschicht, den Artenschutz, den Schutz von Meeresbiotopen oder den Schutz natürlicher Lebensräume an Land. Unbestritten ist, dass das geschriebene Unionsrecht ausdrücklich ein Klagerecht zur Durchsetzung nicht individualisierter Rechtsgüter einräumen kann. Derartige Rechte bestehen seit Umsetzung der Aarhus-Konvention835 beispielsweise zugunsten von Umweltverbänden gem. Art. 11 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 S. 2 – 3 UVP-RL 2011/92 und Art. 25 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 S. 2 – 3 IED-RL 2010/75. Im Fall Trianel urteilte der EuGH, dass ein solches Verbandsklagerecht nicht auf die Verletzung subjektivöffentlicher Rechte beschränkt werden darf. Umweltverbänden muss vielmehr die Möglichkeit eröffnet werden, „vor Gericht die Verletzung einer Vorschrift geltend zu machen, die aus dem Unionsrecht hervorgegangen ist und den Umweltschutz bezweckt, [selbst wenn] diese Vorschrift nur die Interessen der Allgemeinheit und nicht die Rechtsgüter Einzelner schützt.“836 Damit steht fest, dass die umweltrechtliche Verbandsklage nicht auf den Schutz personaler Schutzgüter wie der Gesundheit begrenzt werden darf. Für den Individualrechtsschutz hat der Gerichtshof demgegenüber darauf hingewiesen, dass es dem nationalen Gesetzgeber freistehe, die Rechte, deren Verletzung ein Einzelner im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, Handlung oder Unterlassung im Sinne von Art. 10a UVP-RL 85/337 i. d. F. der RL 2003/35 (jetzt Art. 11 Abs. 1 UVP-RL 2011/92) geltend machen kann, auf subjektiv-öffentliche Rechte zu beschränken.837 Die betreffenden Vorschriften räumen den Mitgliedstaaten nämlich (entsprechend Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention) das Recht ein, den gerichtlichen Zugang bei Individualklagen von einer Rechtsverletzung abhängig zu machen, soweit dies im innerstaatlichen Recht vorgesehen ist.838 Die Mitgliedstaaten sind demzufolge im Anwendungsbereich der UVP-RL 2011/92 (und entsprechend der IED-RL 2010/75) nicht gezwungen, den zur betroffenen Öffentlichkeit gehörenden Einzelpersonen einen umfassenden Überprüfungsanspruch einzuräumen.839 Andererseits ist aber auch nicht anzunehmen, dass der gerichtliche Zugang durch die Aarhus-Konvention und die Umsetzungsakte der EU verengt 835   Die Aarhus-Konvention wurde am 17.2.2005 von der Europäischen Gemeinschaft ratifiziert; Beschluss 2005/370, ABl. 2005 L 124/1; deutsches Zustimmungsgesetz BGBl. II 2006, S. 1251. Zur Rechtsschutzkonzeption der Aarhus-Konvention Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2009, S. 240 ff.; A. Schwerdtfeger, Verwaltungsrechtsschutz, 2010, S. 22 ff. 836   EuGH, Rs. C‑115/09 (Trianel Kohlekraftwerk Lünen) LS 1. Zur Frage, wann eine Vorschrift „aus dem Unionsrecht hervorgegangen ist und den Umweltschutz bezweckt“ Ekardt, NVwZ 2012, 530, 531; A. Schwerdtfeger, EuR 2012, 80, 84 ff. 837   EuGH, Rs. C‑115/09 (Trianel Kohlekraftwerk Lünen) Rn. 45; Rs. C‑137/14 (Kommission/ Deutschland) Rn. 32 f. 838   Zu diesem Wahlrecht bereits supra, § 3 B.II.4. 839   So auch Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des UmweltRechtsbehelfsgesetzes, BT‑Drucks. 17/10957, S. 16; Durner/Paus, DVBl. 2011, 759, 763; Berkemann, DVBl. 2011, 1253, 1260; Leidinger, NVwZ 2011, 1345, 1348.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

werden sollte.840 Immerhin sehen die fraglichen Rechtsakte vor, dass der „betroffenen Öffentlichkeit“ und damit auch dem Einzelnen ein „weiter Zugang zu Gerichten“ zu gewähren ist.841 Nur mit dieser Maßgabe dürfen die Mitgliedstaaten letztlich festlegen, wann eine „Rechtsverletzung“ vorliegt. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu den Rechten Einzelner bleibt daher auch bei Anwendung der UVPRL 2011/92 und IED-RL 2010/75 weiterhin relevant: Soweit eine umweltrechtliche Vorschrift des Unionsrechts zumindest auch dem Schutz eines personenbezogenen Rechtsguts dient, besteht auf der Grundlage der Judikatur kein Zweifel daran, dass Einzelne einen Verstoß gerichtlich geltend machen können. Anhaltspunkte dafür, dass der Gerichtshof auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung rein altruistische Interessen für die Begründung klagefähiger Rechtspositionen ausreichen lässt, könnten sich aus dem Urteil Herzmuschelfischerei ergeben. In dieser Entscheidung ist der Gerichtshof gerade nicht dem Vorschlag der Generalanwältin Kokott gefolgt, dass Einzelne keinen Anspruch auf Durchsetzung von Art. 6 Abs. 3 Habitat-RL 92/43 in Verbindung mit der Vogelschutz-RL 79/409 haben, da „originäre Interessen“ von Einzelnen nicht betroffen seien.842 Vielmehr betonte der Gerichtshof, dass es mit der verbindlichen Wirkung von Richtlinien und der ihr zukommenden praktischen Wirksamkeit unvereinbar sei, „grundsätzlich auszuschließen, dass sich betroffene Personen auf die durch eine Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen können“.843 Ob damit klagefähige Rechtspositionen gemeint sind,844 bleibt jedoch offen. Zwar hatten die Beteiligten darauf verwiesen, dass es im Ausgangsverfahren nicht darum gehe, die fraglichen Vorschriften im Sinne eines Abwehrrechts (also Evokationsrechts) zu nutzen, sondern offensiv, um Ansprüche bzw. Klagerechte zu begründen.845 Sowohl die Vorlagefrage als auch der Wortlaut der Urteilsbegründung („berufen“) sprechen jedoch dafür, dass der Gerichtshof lediglich (positiv) die Frage beantworten wollte, dass Art. 6 Abs. 3 Habitat-RL 93/43 unmittelbare Wirkung zukommt.846 d) Personelle Reichweite der Unionsrechte aa) Ausschluss der Popularklage Steht fest, dass eine Unionsnorm geeignet ist, dem Einzelnen oder einer Personengruppe Rechte zu verleihen, muss in einem zweiten Schritt die personelle Reichweite 840  Ebenso Ekardt/Pöhlmann, NVwZ 2005, 532, 533 f.; wohl auch A. Schwerdtfeger, EuR 2012, 80, 86 f. Zur Problematik auch Wegener, in: UTR 2008, S. 319, 347 ff. 841   Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 Aarhus-Konvention; Art. 11 Abs. 3 S. 1 UVP-RL 2011/92; Art. 25 Abs. 3 S. 1 IED-RL 2010/75. 842   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑127/02 (Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging  – „Herzmuschelfischerei“) Rn. 143. 843   EuGH, Rs. C‑127/02 (Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging – „Herzmuschelfischerei“) Rn. 66. 844  So Gellermann, NuR 2004, 769, 773; Hong, JZ 2012, 380, 382; Wegener, in: UTR 98, S. 319, 328; wohl auch Epiney, NVwZ 2006, 407, 418. 845   Vgl. GA Kokott, SchlA, Rs. C‑127/02 (Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging – „Herzmuschelfischerei“) Rn. 126. Zur Unterscheidung zwischen defensiver und offensiver Durchsetzung des Unionsrechts bereits supra, § 3 C.III. 846   Vgl. EuGH, Rs. C‑127/02 (Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging – „Herzmuschelfischerei“) Rn. 19 (Vorlagefrage 5) und Rn. 64. So auch BVerwGE 128, 358, 369 = NVwZ 2007, 1074, 1076 f. („Mühlenberger Loch“) Rn. 38.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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der Rechtsposition, also der Kreis der aus der unionsrechtlichen Norm materiell Berechtigten bestimmt werden. In einigen Fällen werden die Begünstigten bereits in der betreffenden Vorschrift bzw. im Rechtsakt selbst normativ umschrieben, etwa wenn bestimmt wird, dass Unionsbürger, Arbeitnehmer, Verbraucher, Kunden, Reisende, Rechteinhaber geistigen Eigentums, Lizenznehmer, Verwertungsgesellschaften, etc. geschützt werden sollen. Dann stellt sich allein die Frage, wie diese Begriffe auszulegen sind und ob neben den genannten Rechtsträgern gegebenenfalls weitere Personen berechtigt werden sollen. Bei indirekt verliehenen Unionsrechten muss der Kreis der Begünstigten durch Auslegung konkretisiert werden. Zwar haben sich in der Rechtsprechung noch keine eindeutigen Individualisierungskriterien herausgebildet. Einigkeit herrscht aber darüber, dass es im Unionsrecht keine Popularklage gibt, und auch deren Einführung durch die Mitgliedstaaten vom EuGH nicht verlangt wird.847 Dem Unionsrecht ist ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch – ebenso wie das prozessuale Pendant der Popularklage – fremd. Auch die Kommission hat sich in ihrem Arbeitsdokument über den kollektiven Rechtsschutz ausdrücklich gegen die Einführung einer actio popularis ausgesprochen.848 Eine Begrenzung des Kreises der subjektiv Berechtigten wird im Unionsrecht durch das Kriterium der tatsächlichen „Betroffenheit“ erreicht. Der Gerichtshof fordert eine Kongruenz zwischen den von der Norm geschützten und denjenigen personalen Rechtsgütern, in denen der Einzelne betroffen ist (bb.). Entscheidungen, in denen der EuGH rein faktisch Betroffenen, „jedermann“ oder „jeder interessierten Person“ klagefähige Rechtspositionen zuerkannt hat, sind bislang die Ausnahme geblieben (cc.). Neben natürlichen Personen können auch Personenmehrheiten, insbesondere juristische Personen Träger von Unionsrechten sein. Eine allgemeine ungeschriebene altruistische Verbandsklage lässt sich demgegenüber nicht aus dem Unionsrecht ableiten (dd.). bb) Tatsächliche Betroffenheit in einem geschützten Rechtsgut Der Judikatur des EuGH kann entnommen werden, dass ein rein tatsächliches Interesse nicht ausreicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der Einzelne in einem von der Unionsnorm geschützten Rechtsgut spezifisch „betroffen“ ist.849 Betroffen ist diejenige Person, die in den von der jeweiligen Norm geschützten Interessen beeinträchtigt ist bzw. sein könnte. Mit anderen Worten muss also eine Übereinstimmung zwischen den von der Norm geschützten und denjenigen personalen Rechtsgütern bestehen, 847   GA Capotorti, SchlA, Rs. 158/80 (Rewe) Rn. 6; GA Geehoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 70; GA Stix-Hackl, SchlA, Rs. C‑222/02 (Paul) Rn. 77; GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑263/08 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening) Rn. 63. Aus dem Schrifttum Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 79 f., 371; Papier, DVBl. 1993, 809, 814; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 163 ff.; Zuleeg, NJW 1993, 31, 37. Eine Tendenz zur Popularklage sehen dagegen Eilmansberger, CMLR 2004, 1199, 1227; Everling, RIW 1992, 379, 384 f.; Murswiek, JuS 1992, 428, 430. 848   Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, SEK (2011) 173 endg., Rn. 21 ff. Siehe auch den Vorschlag für eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 624 endg., S. 13 und 14. 849   Vgl. die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise, supra, § 3 E.V.2., in denen der Gerichtshof durchgängig den Begriff des „Betroffenen“ verwendet.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

in denen der Einzelne betroffen ist.850 Entscheidend für die Bestimmung des Kreises sind damit die tatsächlichen Auswirkungen unter Berücksichtigung des Normzwecks. Schützt eine Norm gegen Gesundheitsgefahren, so ist dementsprechend danach zu fragen, wessen Gesundheit tatsächlich gefährdet ist oder sein könnte. Dabei dürfen an das Vorliegen einer Gesundheitsgefahr keine hohen Anforderungen gestellt werden. Da nach der Rechtsprechung des EuGH bereits die bloße Möglichkeit ausreicht, dass der Einzelne in seiner Gesundheit beeinträchtigt wird, genügt bereits eine potentielle künftige Beeinträchtigung der eigenen Gesundheit, um individuelle Rechtspositionen zu begründen.851 Der Kreis der in Betracht kommenden Begünstigten kann dementsprechend sehr groß sein. Insbesondere bei schädlichen Umwelteinwirkungen auf die Umweltmedien Wasser und Luft lässt sich das Gefährdungspotential räumlich kaum begrenzen. Im Schrifttum wird daher zu Recht die Festsetzung einer Erheblichkeitsschwelle gefordert.852 Schützt eine Norm die Marktzugangsrechte im Binnenmarkt, so sind vorrangig Hersteller und die am Vertrieb beteiligten Personen von Marktzugangsschranken betroffen und damit aktivlegitimiert. Dies schließt nicht aus, dass daneben weitere Personen als Betroffene anspruchsberechtigt sind. So hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass die Grundfreiheiten nicht nur professionelle Anbieter schützen, sondern darüber hinaus die Nachfrager von Waren und Dienstleistungen.853 Auch diese Personen werden nämlich direkt durch marktzugangsbeschränkende Maßnahmen in einem von den Grundfreiheiten geschützten Interesse beeinträchtigt. Die Warenverkehrsund Dienstleistungsfreiheit umschließen gerade auch das Recht für Verbraucher, diskriminierungsfrei Waren aus anderen Mitgliedstaaten zu beziehen und grenzüberschreitende Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Schützt eine Norm, wie etwa das beihilferechtliche Durchführungsverbot (Art. 108 AEUV), gegen Wettbewerbsverfälschungen, so sind nach Ansicht des EuGH diejenigen Personen klagebefugt, die durch eine von der Beihilfemaßnahme verursachten oder bevorstehenden Wettbewerbsverfälschung betroffen sind,854 in aller Regel also Konkurrenten.855 Auch das Urteil Muñoz856 kann als Beleg dafür angeführt werden, dass der Gerichtshof mit dem sachlichen Schutzzweck der Unionsnorm ein normatives Kriterium heranzieht, um den Kreis der subjektiv Berechtigten zu bestimmen.857 Der Gerichtshof verwies in seinem Urteil auf den sachlichen Schutzzweck (Lauterkeit 850  Grundlegend Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 405 ff. Ebenso Calliess, NVwZ 2006, 1, 3; Dörr, Rechtsschutzauftrag, 2008, S. 188; Götz, DVBl. 2002, 1, 4; Ruffert, DVBl. 1998, 69, 72; Schoch, NVwZ 1999, 457, 464; Winter, NVwZ 1999, 467, 473. Ähnlich Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 181 f. (unmittelbares Interesse kommt demjenigen zu, der einen persönlichen, ihm durch die Verletzung des Gemeinschaftsrechts entstandenen Nachteil geltend machen kann). 851   Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 185; Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), 335, 359. 852   A. Schwerdtfeger, Verwaltungsrechtsschutz, 2010, S. 163. 853  Zur Warenverkehrsfreiheit EuGH, Rs.  215/87 (Schumacher) Rn. 14 ff.; Rs. C‑362/88 (GB‑INNO) Rn. 8; Rs. C‑170/04 (Rosengren) Rn. 33 ff. Zur Dienstleistungsfreiheit EuGH, verb. Rs. 286/82 und 26/83 (Luisi und Carbonne) Rn. 16; Rs. 186/87 (Cowan) Rn. 15; Rs. C‑243/01 (Gambelli) Rn. 55. Ausführlich infra, § 6 B.I.4. 854  EuGH, Rs. C‑174/02 (Streekgewest) Rn. 19; Rs. C‑368/04 (Transalpine Ölleitung) Rn. 46; Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 38. 855   Zur Konkretisierung dieses Begriffs in Anlehnung an die zu Art. 263 Abs. 4 AEUV ergangene Rechtsprechung infra, § 8 D.I.2. 856   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). 857   So auch König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 79. In diese Richtung auch Biondi, CMLR 2003, 1241, 1249.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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des Wettbewerbs, Markttransparenz) der fraglichen Vorschriften, um eine Konkurrentenklage zu begründen. Entscheidend war damit der Gedanke, dass die streitgegenständlichen Normen über die Qualität von Tafeltrauben gerade bezwecken, die Wettbewerbsbedingungen auf einem bestimmten Markt festzulegen. Diejenigen, die auf diesem Markt konkurrieren, haben ein „konkretes wirtschaftliches Interesse“,858 die Einhaltung dieser Vorschriften untereinander zu verlangen. Die Entscheidung begründet daher nicht, wie teils befürchtet wird, die Gefahr einer Popularklage.859 Wie der Gerichtshof im Fall Dahms860 nochmals klargestellt hat, geht es vielmehr um Konkurrentenschutz.861 Dass nach dem Unionsrecht ein rein tatsächliches Interesse nicht ausreicht, wird auch durch diejenigen Entscheidungen bestätigt, in denen der Gerichtshof unbestimmte Rechtsbegriffe in Sekundärrechtsakten zur Anspruchs- bzw. Klagebefugnis auslegen musste. In dem bereits erwähnten Fall Grossmann Air Service862 konkretisierte der EuGH den in Art. 1 Abs. 3 Rechtsmittel-RL 89/665 verwendeten Begriff des „Interesses“ dahingehend, dass die Mitgliedstaaten nicht gehalten sind, die in der Richtlinie geregelten Nachprüfungsverfahren jedem zur Verfügung zu stellen, der einen bestimmten öffentlichen Auftrag erhalten will. Vielmehr steht es ihnen frei, den Kreis der Anspruchsberechtigten auf diejenigen Personen zu beschränken, die ein eigenes Angebot abgegeben haben. Auch die Rechtsmittel-RL 89/665 verlangt also eine Kongruenz zwischen den von der Norm geschützten Interessen (Schutz des Bieters vor der Willkür des öffentlichen Auftraggebers) und den konkret betroffenen Personen. In dieses Bild fügt sich auch die Rechtssache Tele2.863 Konkret ging es um die Frage, ob Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörde im Telekommunikationssektor gegenüber einem Unternehmen mit (vormals) beträchtlicher Marktmacht von drittbetroffenen Unternehmen angegriffen werden können. Art. 4 Abs. 1 Telekommunikations-Rahmen-RL 2002/21 fordert Rechtsbehelfsmöglichkeiten zugunsten der „betroffenen“ Nutzer oder Anbieter der elektronischen Kommunikationsnetze und/oder ‑dienste. Der Gerichtshof bejahte eine Klagebefugnis. Die mit einem Unternehmen mit (vormals) beträchtlicher Marktmacht im Wettbewerb stehenden Unternehmen können als Betroffene klagebefugt sein, wenn die Entscheidung der Regulierungsbehörde sie in ihren Rechten potenziell beeinträchtigt, beispielsweise in ihrem Recht auf Zugang zu Netzeinrichtungen.864 858

  So GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 75 f.   So jedoch Eilmansberger, CMLR 2004, 1199, 1228. 860   EuGH, Rs. C‑379/04 (Dahms) Rn. 20. 861   Offen bleibt, ob auch Verbraucher das Recht haben, die Einhaltung der Vorschriften über die Qualität von Tafeltrauben verlangen zu können. Der Gerichtshof hebt hervor, dass diese Normen auch den Zweck haben, Erzeugnisse von unzureichender Qualität vom Markt fern zu halten und die Erzeugung so auszurichten, dass den Anforderungen der Verbraucher entsprochen wird; EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 29. Unionsrechtlich geforderte Ansprüche zugunsten der Verbraucher bleiben daher denkbar; so auch Biondi, CMLR 2003, 1241, 1249. Vgl. aber infra, § 10 D.IV.7. 862   EuGH, Rs. C‑230/02 (Grossmann Air Service) Rn. 26 f. Unterbleibt ein Angebot deswegen, weil der Betroffene aufgrund diskriminierender Spezifikationen in den Ausschreibungsunterlagen von vornherein keine Chance hatte, so muss es ihm dagegen möglich sein, zumindest die in der Ausschreibung festgelegten Spezifikationen nachprüfen zu lassen; EuGH, a. a. O., Rn. 28 – 30. 863   EuGH, Rs. C‑426/02 (Tele2 Telecommunication) Rn. 30. 864   EuGH, Rs. C‑426/02 (Tele2 Telecommunication) Rn. 16 ff., 33 ff., 36, 39; vgl. auch EuGH, Rs. C‑55/06 (Arcor) Rn. 176 ff.; Rs. C‑282/13 (T‑Mobile Austria) Rn. 37 ff. (Betroffenheit von Drittunternehmen, wenn sich die Entscheidung auf ihre Marktstellung auswirkt). 859

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

cc) Rein faktisch betroffene Dritte – Rechtsschutz für „jedermann“? Vereinzelt hat der Gerichtshof auch sonstigen, rein faktisch betroffenen Dritten Rechtsschutz gewährt. Besonders weitgehend ist das Urteil Carpenter.865 In diesem Fall wertete der Gerichtshof die Ausweisung einer sich illegal im Vereinigten Königreich aufhaltenden philippinischen Staatsangehörigen, die mit einem britischen Staatsangehörigen verheiratet war, als Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit des Ehemanns. Zur Begründung führte der EuGH aus, dass sich die Trennung der Eheleute nachteilig auf das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK und damit zugleich durch die Unionsgrundrechte geschützte Familienleben sowie auf die Bedingungen auswirke, unter denen der Ehemann von der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machen könne. Die Entscheidung ist zu Recht kritisch aufgenommen worden.866 Sie beruht wohl darauf, dass der Gerichtshof unter allen Umständen einen ausreichenden Grundrechtsschutz gewährleisten wollte.867 Vorliegend konnte der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte aber nur über die Grundfreiheiten eröffnet werden.868 Nachdem der Gerichtshof festgestellt hatte, dass sich die Ehefrau nicht selbst auf die Dienstleistungsfreiheit berufen konnte, blieb nur noch der Ausweg, sie reflexhaft zu begünstigen, indem eine Rechtsverletzung des Ehemanns in seinen eigenen Marktzugangsrechten statuiert wurde. In den Entscheidungen Verholen,869 Roks870 und Safalero871 ging es demgegenüber, anders als dies zuweilen behauptet wird,872 nicht um den Rechtsschutz mittelbar Betroffener, sondern um die Geltendmachung eigener, unmittelbarer Interessen. In den beiden zuerst genannten Rechtssachen entschied der Gerichtshof, dass der Ehemann eine unionsrechtswidrige Diskriminierung seiner Ehefrau bei Neufestsetzung von Rentenansprüchen gerichtlich angreifen kann. Die Ausgangsverfahren waren dabei durch die Besonderheit geprägt, dass die Rente der Ehefrau an den Ehemann ausgezahlt wurde, so dass nur dieser überhaupt die Möglichkeit hatte, eine Verletzung des Diskriminierungsverbots gerichtlich geltend zu machen.873 In beiden Fällen ging es damit gar nicht um eine rein faktische, indirekte Betroffenheit des Ehemanns.874 Der Ehemann hatte vielmehr, wie der Gerichtshof zu Recht hervorhebt, ein „unmittelbares Interesse“875 an der gerichtlichen Durchsetzung des Diskriminierungsverbots. Ein unmittelbares Interesse lag auch in der Rechtssache Safalero vor. Das Verfahren betraf die Frage, ob sich ein Importeur auf die Grundfreiheiten berufen kann, wenn seine Ware nach Verkauf beim Käufer beschlagnahmt wird. Generalanwältin 865

  EuGH, Rs. C‑60/00 (Carpenter) Rn. 39.   Vgl. nur Editorial Comments, CMLR 2003, 537, 539 ff.; Mager, JZ 2003, 204 ff.; Classen, EuR 2004, 416, 422. Reiling, Zu individuellen Rechten, 2004, S. 399, sieht in der Entscheidung ein Beleg, dass die Kriterien zur personellen Reichweite individueller Rechte bislang unterentwickelt sind. 867   Wie hier Epiney, NVwZ 2004, 555, 562 f.; Spaventa, CMLR 2004, 743, 767. 868   Nach ständiger Rechtsprechung binden die Unionsgrundrechte die Mitgliedstaaten im Falle einer Beschränkung der Grundfreiheiten, obwohl die Mitgliedstaaten in diesem Fall nicht im Auftrag der Union, sondern im eigenen Interesse tätig werden; EuGH, Rs. C‑260/89 (ERT) Rn.  41 – 45. 869   EuGH, verb. C‑87 – 89/90 (Verholen u. a.) Rn. 23 ff. 870   EuGH, Rs. 343/92 (Roks) Rn. 42. 871   EuGH, Rs. C‑13/01 (Safalero). 872   Z. B. Rott, Effektivität des Verbraucherrechtsschutzes, 2006, S. 60 f. 873   Vgl. GA Darmon, SchlA, verb. Rs. C‑87 – 89/90 (Verholen u. a.) Rn. 35. 874  Treffend Classen, VerwArch 88 (1997), 645, 663. 875   EuGH, verb. C‑87 – 89/90 (Verholen u. a.) Rn. 23. 866

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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Stix-Hackl meinte, dem Importeur dürfe vor den mitgliedstaatlichen Verwaltungsgerichten der Rechtsschutz nicht pauschal verweigert werden.876 Die Beschlagnahme und möglicherweise Zerstörung von Waren habe eine abschreckende Wirkung auf die Abnehmer, hinzu komme das Risiko, von diesen zivilrechtlich in Anspruch genommen zu werden. Der Gerichtshof musste sich demgegenüber nicht zu der Frage äußern, ob der Importeur als „Dritter“ geschützt werden muss. Da der Importeur im konkreten Fall selbst mit einer Geldbuße belegt worden war, stand für den EuGH außer Frage, dass ihm als unmittelbar Betroffenen im Rahmen des Bußgeldverfahrens die Möglichkeit eingeräumt werden musste, die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme gerichtlich überprüfen lassen zu können.877 Auch die Urteile Courage878 und Manfredi879 lassen sich nicht als Beleg für die These anführen, dass der Gerichtshof eine faktische Betroffenheit ausreichen lässt.880 Die in beiden Urteilen verwendete Formulierung, derzufolge „jedermann“ bei einem Verstoß gegen Art. 101 AEUV Schadensersatz verlangen kann, deutet in der Tat darauf hin, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten grundsätzlich weit gefasst werden muss.881 Damit ist aber noch nicht gesagt, dass sämtliche von einem Wettbewerbsverstoß tatsächlich Betroffenen Schadensersatzansprüche geltend machen können.882 Derart weitreichende Anspruchs- bzw. Klagebefugnisse lassen sich der Judikatur schon deswegen nicht entnehmen, weil kartellrechtliche Schadensersatzansprüche sowohl in Courage als auch in Manfredi von Personen geltend gemacht wurden, die als Vertragspartner in einem unmittelbaren geschäftlichen Kontakt mit dem Kartelltäter standen. Beide Entscheidungen geben daher zur Frage der Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener keine verbindliche Auskunft.883 Selbst im europäischen Bilanzrecht fordert der EuGH keinen allgemeinen Normenvollzugsanspruch mit Blick auf die Publizitätspflichten von Kapitalgesellschaften. Zwar urteilte der Gerichtshof in den Fällen Daihatsu884 und Axel Springer,885 dass nach den einschlägigen Richtlinien886 „jede interessierte Person“ bzw. „jeder“ die Möglichkeit haben müsse, den Jahresabschluss und den Lagebericht einzusehen, ohne ein schutzwürdiges Recht oder Interesse belegen zu müssen. Einzelne Gruppen, insbesondere Konkurrenten der betreffenden Gesellschaften, dürften von dieser Befugnis nicht ausgeschlossen werden. Der EuGH äußerte sich indessen nicht zu der Frage, ob hieraus zugleich ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch des Einzelnen auf 876

  GA Stix-Hackl, SchlA, Rs. C‑13/01 (Safalero) Rn.  66 – 70.   EuGH, Rs. C‑13/01 (Safalero) Rn. 53 ff. 878   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26. 879   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 61. 880   So aber Eilmansberger, CMLR 2004, 1199, 1228; MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 Rn. 391; ders., AcP 206 (2006), 352, 416. 881  Ausführlich infra, § 7 C.III. 882  Näher infra, § 7 C.III.5. 883   Wie hier Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 329. 884   EuGH, Rs. C‑97/96 (Verband deutscher Daihatsu-Händler) Rn. 18 ff., 22. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑191/95 (Kommission/Deutschland) Rn. 66 ff. 885   EuGH, verb. Rs. C‑435/02 und C‑103/03 (Springer) Rn. 28 ff., 33. 886   Vgl. insb. die Publizitäts-RL 68/151 (jetzt RL 2009/101) sowie die Jahresabschluss-RL 78/660, zuletzt geändert durch die RL 2012/6. Der EuGH rekurrierte in seinen Urteilen zudem auf Art. 54 Abs. 3 lit. g EGV (jetzt Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV) und führte aus, dass in dieser Vorschrift allgemein vom Schutz der Interessen Dritter die Rede sei, ohne dass einzelne Gruppen unterschieden oder ausgeschlossen würden. 877

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

zwangsweise Durchsetzung der Publizitätspflichten folgt.887 Fest steht nach den Ausführungen des Gerichtshofs allein, dass der Verstoß gegen die Offenlegungspflichten jedenfalls nicht – wie nach früherem deutschen Recht (vgl. § 335 S. 1 Nr. 6 i. V. m. S. 2 HGB a. F.) – ausschließlich durch Zwangsmaßnahmen sanktioniert werden darf, die nur auf Antrag der Gläubiger, der Gesellschaft oder des (Gesamt‑)Betriebsrats verhängt werden. Dieses Sanktionsmodell führte in der Praxis nämlich dazu, dass mehr als 90 % der deutschen Kapitalgesellschaften ihrer Offenlegungspflicht nicht nachkamen.888 Der Verstoß gegen Offenlegungspflichten wurde damit nicht, wie vom Unionsrecht gefordert, „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“889 sanktioniert. Der deutsche Gesetzgeber räumte daraufhin im Jahre 2000 mit dem KapCoRiLiG890 jedem das Recht ein, die Durchführung eines Ordnungsgeldverfahrens zu beantragen (§ 335a HGB a. F.).891 Da in der Praxis nur wenige Anträge gestellt wurden, führte dies allerdings nicht zu einer merklichen Steigerung der Offenlegungsquoten.892 Erst das EHUG893 bewirkte einen nachhaltigen Wandel. Der deutsche Gesetzgeber ersetzte das Antragsverfahren mit Wirkung zum 1.1.2007 durch ein Amtsverfahren, verbunden mit einer Prüf- und Meldepflicht des elektronischen Bundesanzeigers (§§ 329 Abs. 1 u. 4, 335 HGB n. F.). Daraufhin stieg die Offenlegungsquote auf über 90 %.894 Die geltende Rechtslage dürfte damit unionsrechtskonform sein.895 Das Unionsrecht fordert keinen allgemeinen Normenvollzugsanspruch, sondern eine effektive Sanktionierung. Die Erfahrungen in Deutschland belegen eindrucksvoll, dass die Durchsetzung der Publizitätspflichten nicht vom zufälligen Tätigwerden Privater abhängen darf; erforderlich ist vielmehr eine Durchsetzung von Amts wegen.896 dd) Personenmehrheiten, insbesondere juristische Personen, Verbände Neben natürlichen Personen können auch Personenmehrheiten, insbesondere juristische Personen Träger von Unionsrechten sein. Dies ergibt sich bereits aus dem 887   Für ein solches Recht offenbar BGH, NJW 2006, 690, 691, der von einem „subjektive[n] Recht auf Durchsetzung der Offenlegung“ spricht. Ein derartiger Normenvollzugsanspruch ist indessen nicht notwendig, um die vom EuGH in Rs. C‑97/96 (Verband deutscher Daihatsu-Händler) Rn. 25, angesprochenen Staatshaftungsansprüche zu begründen; für diese reicht bereits die Annahme einer individualschützend staatlichen Pflicht aus, für eine wirksame Durchsetzung der Offenlegungspflichten zu sorgen. 888  Vgl. Lenenbach, DZWiR 1998, 265, 266 m. w. N. in Fn. 14; Leuering/Nießen, NJW-Spezial 2006, 411; Schulze-Osterloh, ZIP 1997, 2157. 889   Art. 6 Publizitäts-RL 68/151 (jetzt Art. 7 lit. a Publizitäts-RL 2009/101) verpflichtet die Mitgliedstaaten, „geeignete Maßregeln“ anzudrohen. Damit sind „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ Sanktionen gemeint; vgl. EuGH, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi) Rn. 65. 890   Kapitalgesellschaften- und Co.-Richtlinien-Gesetz (KapCoRiLiG) v. 24.2.2000, BGBl. I 2000, S. 154. 891   Hierzu BT‑Drucks. 14/1806, S. 24; E. Jansen, DStR 2000, 596, 597 f. 892  Vgl. Marx/Dallmann, BB 2004, 929, 931 ff. 893   Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I 2006, S. 2553. 894   Im Bilanzgeschäftsjahr 2006 betrug die Offenlegungsquote ca. 80 %; vgl. BT‑Drucks. 16/11335, S. 2. In den Bilanzgeschäftsjahren 2008 und 2009 kamen über 90 % der offenlegungspflichtigen Unternehmen ihren Publizitätspflichten nach; Schlauß, DB 2010, 153 f.; ders., DB 2011, 805, 806. 895   Im Ergebnis auch Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., 2012, § 19 Rn. 36, S. 431 f.; Schlauß, DB 2008, 2821. 896   So bereits Crezelius, ZGR 1999, 252, 258 f.; Gustavus, ZIP 1988, 1429, 1432; Leible, ZHR 1998, 595, 609; Schmidt-Kessel, GPR 2009, 6, 17; Zimmer/Eckhold, NJW 2000, 1361, 1367 f. A. A. Liebscher/Scharff, NJW 2006, 3745, 3751.

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geschriebenen Unionsrecht. Beispielsweise stellen die Art. 54, 62 AEUV klar, dass die Vorschriften zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit auch für Gesellschaften gelten.897 Einer ausdrücklichen Anordnung bedarf es freilich nicht. Der Gerichtshof hat in vielen Entscheidungen anerkannt, dass sich auch juristische Personen auf das Primärrecht berufen können, so z. B. auf die Unionsgrundrechte.898 Für das Sekundärrecht geht der EuGH ebenfalls wie selbstverständlich davon aus, dass zu den „Einzelnen“, denen das Unionsrecht Rechte verleiht, auch juristische Personen und andere Personenmehrheiten zählen können.899 Generalisierend lässt sich sagen, dass eine subjektive Berechtigung immer dann in Betracht kommt, wenn die sich aus dem Unionsrecht ergebende Rechtsposition ihrem Wesen nach auf juristische Personen übertragbar ist.900 Anhaltspunkte dafür, dass auch juristische Personen geschützt werden, bestehen beispielsweise dann, wenn eine Vorschrift nicht von „Menschen“, sondern von „Personen“ spricht.901 Schützt eine Norm ausdrücklich nur natürliche Personen, ist eine erweiternde Auslegung dagegen nicht geboten.902 Weitgehend unproblematisch ist die Anspruchs- bzw. Klagebefugnis juristischer Personen, wenn eine Verletzung in eigenen Unionsrechten geltend gemacht wird. Dient eine Unionsnorm zumindest auch dem Schutz der Personenmehrheit und wird diese in dem jeweils geschützten Rechtsgut betroffen, so muss ihr auch ein gerichtlicher Zugang gewährt werden.903 Anders liegen die Dinge, wenn eine Personenmehrheit, beispielsweise ein Verband, die Rechte seiner Mitglieder oder überindividuelle Interessen der Allgemeinheit wahrnimmt.904 Im ersten Fall liegt eine so genannte egoistische Verbandsklage bzw. Mitgliederverbandsklage vor, mit welcher der Verband Individualrechte seiner Mitglieder gebündelt im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft geltend macht. Im zweiten Fall kann von einer altruistischen oder ideellen Verbandsklage gesprochen werden, bei der unabhängig von der Mitgliedschaft überindividuelle Interessen eingeklagt werden. Beide Formen des kollektiven Rechtsschutzes sind problematisch, da der Verband keine eigenen Rechte geltend macht, also nicht, wie in der Rechtsprechung des EuGH gefordert, selbst „betroffen“ ist. 897   Die Voraussetzungen für die Gründung und Fortexistenz einer Gesellschaft bestimmen sich dabei grundsätzlich nach dem Recht des Gründungsstaats; EuGH, Rs. 81/87 (Daily Mail) Rn.  21 – 23; Rs. C‑208/00 (Überseering) Rn. 69; Rs. C‑210/06 (Cartesio) Rn. 109. 898   Vgl. nur EuGH, Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft) Rn. 4 ff.; Rs. 136/79 (National Panasonic) Rn. 17 ff.; Rs. 265/87 (Schräder) Rn. 15; Rs. C‑279/09 (DEB) Rn. 59. 899   Vgl. nur EuGH, Rs. 31/87 (Beentjes) Rn. 42; Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 32; Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 238. 900  Ehlers/Ehlers, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 14 Rn. 56; Zuleeg/Kadelbach, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 8 Rn. 49. 901   Vgl. EuGH, Rs. C‑279/09 (DEB) Rn. 39. 902   Vgl. EuGH, verb. Rs. C‑541 – 542/99 (Idealservice) Rn. 16, zur Verbraucherdefinition in Art. 2 Klausel-RL 93/13. 903   Selbst Bietergemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit, die im Rahmen eines Vergabeverfahrens ein Angebot abgeben, haben daher nach Art. 1 Abs. 3 Rechtsmittel-RL 89/665 ein unionsrechtlich geschütztes „Interesse“ an der Überprüfung von Vergabeentscheidungen; vgl. EuGH, Rs. C‑129/04 (Espace Trianon und Sofibail) Rn. 19 f. Der EuGH verlangt allerdings nicht, dass einzelne Mitglieder der Bietergemeinschaft das Vergabeverfahren nachprüfen können. Nach der Entscheidung (Rn. 24 ff.) genügt es, wenn die Bietergemeinschaft insgesamt klagen kann, sofern dies nach nationalem Prozessrecht für diese Rechtsform vorgesehen ist. In diesem Fall müssen noch nicht einmal die Mitglieder in ihrer Gesamtheit ein eigenes Nachprüfungsrecht haben. 904   Zu den verschiedenen Formen der Verbandsklage Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2009, S. 13 ff.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Zwar finden sich im geschriebenen Unionsrecht mittlerweile in vielen Sekundärrechtsakten kollektive Rechtsschutzinstrumente. Über die bereits erwähnte altruistische Umweltverbandsklage905 hinaus regeln viele Richtlinien beispielsweise Unterlassungsklagen zugunsten von Verbraucherverbänden, Berufsverbänden oder sonstigen Unternehmensverbänden.906 In bestimmten Sektoren werden Verbänden ferner Beteiligungs- bzw. Repräsentationsbefugnisse eingeräumt.907 Auch eine Auslegung kann ergeben, dass die in einer Richtlinie vorgesehenen Rechte (rein) kollektiver Natur sind.908 Umstritten ist demgegenüber, ob sich aus dem effet utile eine allgemeine, ungeschriebene Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung von Verbandsklagen entnehmen lässt.909 Anhaltspunkte dafür könnten sich zunächst aus der Judikatur des EuGH zum zentralen Rechtsschutz ergeben. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Verband nach Art. 263 Abs. 4 Alt. 2 AEUV zum einen dann Nichtigkeitsklage erheben, wenn er über ein Mitwirkungsrecht im Verwaltungsverfahren verfügt.910 Zum anderen besteht eine Klagebefugnis, wenn der Verband die Interessen seiner Mitglieder vertritt und zumindest einige seiner Mitglieder selbst klagebefugt sind.911 In den Genuss dieser Rechtsprechung kommen allerdings nur Wirtschaftsverbände. Gemeinnützige Verbände, die überindividuelle Interessen geltend machen, sind gerade nicht klagebefugt.912 Der Gerichtshof hat also mit anderen Worten bislang nur die egoistische Verbandsklage im Rahmen des zentralen Rechtsschutzes anerkannt.913 905   Vgl. Art. 11 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 S. 2 – 3 UVP-RL 2011/92 und Art. 25 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 S.  2 – 3 IED-RL  2010/75. 906   Für das Verbraucherrecht vgl. die UKlaRL 2009/22 sowie Art. 7 Abs. 2 Klausel-RL 93/13; Art. 13 Abs. 2 lit. b – c FDL-FARL 2002/65; Art. 11 Abs. 1 UAbs. 1 UGP-RL 2005/29; Art. 23 Abs. 2 lit. b – c VRRL 2011/83. Für den B2B-Bereich siehe Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 RL 2006/114 über irreführende und vergleichende Werbung; Art. 7 Abs. 5 VerzugsRL 2011/7. Die meisten der genannten Richtlinien räumen den Mitgliedstaaten allerdings das Wahlrecht ein, ein Klagerecht entweder zugunsten öffentlicher Einrichtungen und/oder Verbraucherverbänden bzw. Berufsverbänden vorzusehen. 907   So insbesondere im Antidiskriminierungsrecht, vgl. Art. 7 Abs. 2 Antirassismus-RL 2000/43; Art. 9 Abs. 2 Rahmen-RL 2000/78; Art. 8 Abs. 3 Gender-RL 2004/113; Art. 17 Abs. 2 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54. Zu diesen Beteiligungsrechten Kocher, ZEuP 2004, 260 ff. 908   Vgl. EuGH, Rs. C‑12/08 (Mono Car Styling) Rn. 42 f. (zu Art. 2 Massenentlassungs-RL 98/59). 909   Für eine derartige Verpflichtung im Umweltrecht Epiney, NVwZ 1999, 485, 490; Gellermann, Natura 2000, 2. Aufl., 2001, S. 263 f. m. w. N.; a. A. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2009, S. 98; Ruffert, Subjektive Rechte, 1996, S. 217 f.; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 197 ff. Für das Kartellrecht Nazzini, in: Barnard/Odudu (Hrsg.), The Outer Limits of European Law, 2009, S. 401, 422 – 429, die aus dem effet utile eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung kollektiver Schadensersatzklagen, ggf. sogar nach dem Opt-Out Prinzip herleitet. 910   EuGH, Rs. 191/82 (FEDIOL/Kommission) Rn. 28; verb. Rs. 67 – 68, 70/85 (van der Kooy u. a./ Kommission) Rn. 17 ff., 22; Rs. C‑313/90 (CIRFS u. a./Kommission) Rn. 29 f.; Rs. C‑78/03 P (Kommission/Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum) Rn. 35; verb. Rs. C‑75 & 80/05 P (Deutschland u. a./ Kronofrance) Rn. 38 f. 911   EuGH, Rs.  C‑409/96  P (Sveriges Betodlares und Henrikson/Kommission) Rn.  46 f.; Rs.  C‑487/06  P (British Aggregates/Kommission) Rn. 39. EuG, Rs. T‑114/92 (BEMIM/Kommission) Rn. 29 f.; verb. Rs.  T‑447 – 449/93 (AITEC u. a./Kommission) Rn. 60; Rs. T‑55/99 (CETM/Kommission) Rn. 23 f. 912   EuGH, Rs. C‑321/95 P (Greenpeace u. a./Kommission) Rn. 14, 28 ff.; Rs. C‑50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores/Rat) Rn. 37 ff. Der EuGH hat damit die Ansicht des EuG, Rs. T‑177/01 (JégoQuéré/Kommission) Rn. 47 ff., wonach das Individualitätskriterium der Plaumann-Formel vollständig entfallen kann, wenn kein anderer effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht, um eine Maßnahme der Union anzugreifen, abgelehnt. Bestätigt für die Rechtslage nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags durch EuGH, Rs. C‑583/11 P (Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat) Rn. 71 f., 105. 913   Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 125 ff.; Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2009, S. 395.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

183

Welche Anforderungen für den kollektiven Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten zur Durchsetzung des Unionsrechts, also zur Abwehr unionsrechtswidrigen nationalen Rechts gelten, ist demgegenüber noch offen. Im Fall „Grundwasser“914 folgte der EuGH gerade nicht der Anregung von Generalanwalt van Gerven, Umweltschutzgruppierungen ebenfalls zum Kreis der Begünstigten zu zählen.915 Auch die Entscheidungen Janecek und Stichting Natuur sind wenig aussagekräftig. Zwar heißt es in den Urteilsgründen, dass nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen einen Anspruch auf Erstellung eines Aktionsplans zwecks Festlegung umweltrechtlicher Grenzwerte haben,916 was auf die Möglichkeit einer ungeschriebenen Verbandsklage hindeuten könnte.917 Andererseits betonte der EuGH aber zugleich, dass nur die „unmittelbar“ Betroffenen ein solches Recht haben.918 Der bisherigen Rechtsprechung lassen sich damit keine Hinweise entnehmen, die auf eine ungeschriebene Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung von Verbandsklagen hindeuten. Selbstverständlich kann die Existenz einer solchen Pflicht nicht allein davon abhängen, ob der Gerichtshof bereits Gelegenheit hatte, zu dieser Frage Stellung zu beziehen.919 Entscheidendes Argument ist indessen die beschränkte Verbandskompetenz des EuGH, die zugleich die Grenze zulässiger richterrechtlicher Rechtsfortbildung markiert:920 Eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Einführung von Verbandsklagen bedürfte angesichts des weitreichenden Eingriffs in die nationalen Rechtsordnungen einer gesetzlichen Fundierung im Unionsrecht. Die vom EuGH angemahnte Effektivität der (privaten) Rechtsdurchsetzung beinhaltet zwar einen an die Gesetzgebungsorgane der EU gerichteten Handlungsauftrag, die kollektiven Rechtsschutzinstrumente auf europäischer Ebene weiterzuentwickeln, nicht aber eine direkt an die Mitgliedstaaten gerichtete Verpflichtung zur Schaffung kollektiver Rechtsbehelfe. e) Inhaltliche Reichweite der Unionsrechte aa) Übergreifende Gesichtspunkte Die rechtsverleihende Zielsetzung eines Unionsakts besagt noch nichts über die inhaltliche Reichweite der darin enthaltenen Rechte.921 Wenn der EuGH allgemein feststellt, dass dem Einzelnen Rechte verliehen werden, folgt daraus nicht zugleich, dass sämtliche in dem Rechtsakt geregelten Pflichten einklagbar sind. Vielmehr muss in einem weiteren Schritt ermittelt werden, was genau unter welchen Voraussetzungen verlangt werden kann. Nach deutscher Terminologie geht es mithin um den Anspruchsinhalt und seine tatbestandliche Ausformung. Bei subjektiv-öffentlichen 914

  EuGH, Rs. C‑131/88 (Kommission/Deutschland – „Grundwasser“) Rn. 7.   GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑131/88 (Kommission/Deutschland – „Grundwasser“) Rn. 7. 916   EuGH, Rs. C‑237/07 (Janecek) Rn. 39; verb. Rs. C‑165 – 167/09 (Stichting Natuur en Milieu u. a.) Rn. 100. 917   Jans, in: Liber Amicorum für Slot, 2009, S. 267, 275; A. Schwerdtfeger, Verwaltungsrechtsschutz, 2010, S. 179 f. 918   EuGH, Rs. C‑237/07 (Janecek) Rn. 39, 42; verb. Rs. C‑165 – 167/09 (Stichting Natuur en Milieu u. a.) Rn. 100. 919   Epiney, NVwZ 1999, 490, Fn. 57; Gellermann, Natura 2000, 2. Aufl., 2001, S. 264. 920   Zu den Grenzen der richterrechtlichen Rechtsfortbildung auch noch infra, § 4 A.VI.3. 921   Beljin, Der Staat 2007, 489, 510 f. 915

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Rechten stellt sich primär die Frage, ob aus der betreffenden Rechtsposition Abwehrrechte, Teilhaberechte, originäre Leistungsrechte und/oder Rechte auf hoheitliche Schutzgewähr sowie im Falle des Verstoßes Sekundäransprüche (wie insbesondere Staatshaftungsansprüche) folgen. Bei subjektiv-privaten Rechten ist regelmäßig zu ermitteln, inwieweit der Einzelne das ihm verliehene Recht im Wege eines (Nach‑) Erfüllungsanspruchs einfordern kann, ob ein Rechtsverstoß zur Nichtigkeit und bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Verträgen führt oder andere Vertragslösungsrechte begründet, Abwehr‑, Beseitigungs‑, Unterlassungsansprüche und/oder Schadensersatzansprüche auslöst. Da sich die inhaltliche Reichweite der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht abstrakt, sondern nur anhand der betreffenden Regelung und der ihr zugrunde liegenden Ziele bestimmen lässt, setzt sich der dritte Teil dieser Schrift für ausgewählte Teilbereiche mit der Frage auseinander, wie die Unionsrechte in inhaltlicher Hinsicht konkretisiert werden können. Bereits an dieser Stelle lassen sich indessen vorab einige übergreifende Gesichtspunkte hervorheben, die für die Bestimmung der Unionsrechte von Bedeutung sind: Kennzeichnend für die durch das Unionsrecht begründeten Ansprüche ist zunächst ihr hybrider Charakter.922 Nahezu sämtliche primär- und sekundärrechtlich gewährten Unionsrechte weisen die Besonderheit auf, dass subjektives Recht (right) und Anspruchsvoraussetzungen und ‑inhalt (remedy) nicht auf derselben Norm­ ebene liegen.923 Während das subjektive Recht allein im Unionsrecht wurzelt, wird seine inhaltliche Reichweite in aller Regel nicht nur durch unionsrechtliche Vorgaben, sondern zugleich durch das nationale Recht determiniert: Fehlt es an einer Harmonisierung der Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen – was angesichts der rudimentären Ausgestaltung in EU‑Rechtsakten regelmäßig und bei indirekt begründeten Unionsrechten sowieso immer der Fall ist –, so bestimmen sich Anspruchsinhalt und tatbestandliche Voraussetzungen nach dem Grundsatz der sog. „Verfahrensautonomie“ in den Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots nach nationalem Recht. Damit kommt es zwangsläufig zu einer Aufspaltung zwischen subjektivem Recht und Anspruchsinhalt und ‑voraussetzungen. Dies zeigt sich sowohl im Primärals auch im Sekundärrecht. So hat der Gerichtshof etwa für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch924 und den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch925 hervorgehoben, dass beide ihre Grundlage im Unionsrecht haben, andererseits aber durch das mitgliedstaatliche Recht näher ausgestaltet werden müssen. Zwar hat der Gerichtshof in einigen Fällen weitreichende Vorgaben entwickelt. Besonders fortgeschrittten ist die richterrechtliche Harmonisierung bei der Staatshaftung, deren Tatbestandsvoraussetzungen nahezu vollständig durch das Unionsrecht vorgegeben werden. Selbst hier ist der ergänzende Rückgriff auf nationales Recht jedoch unver922

  Vgl. auch Reich, CMLR 2007, 705, 708 ff.   Zu einer derartigen Spaltung kann es auch im nationalen Recht kommen. So wurzeln etwa zahlreiche Rechtsinstitute (wie z. B. der Folgenbeseitigungsanspruch, der allgemeine Aufopferungsanspruch oder der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff) unmittelbar im Verfassungsrecht, während die Ausgestaltung nach Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen auf der Ebene des einfachen Rechts erfolgt; Detterbeck, VerwArch. 85 (1994), 159, 184 f. 924   Vgl. EuGH, Rs. C‑213/82 (San Giorgio) Rn. 12 ff. Zur hybriden Natur des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs bereits supra, § 2 D.IV.1. 925   Vgl. EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26 f., 29; verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 89, 100. Zur hybriden Natur dieses Anspruchs infra, § 7 C.I.1. 923

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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zichtbar, soweit es beispielsweise um die Bestimmung des Anspruchsgegners, um die Haftungsfolgen oder um die verfahrensrechtliche Durchsetzung geht.926 Entsprechendes gilt für sekundärrechtlich begründete Ansprüche. Insbesondere in Richtlinien ist das subjektive Recht häufig ein „Rohling“,927 der durch Umsetzung in nationales Recht und Interpretation durch die nationalen Gerichte und den EuGH erst „geschliffen“ werden muss. Methodisch gesehen konkretisiert der EuGH den Inhalt der Unionsrechte anhand der klassischen Auslegungsmethoden unter besonderer Berücksichtigung des Gebots der praktischen Wirksamkeit. Insbesondere fragt er in teleologischer Hinsicht danach, ob ein bestimmter sachlicher Gehalt des Rechts für die Erreichung des mit der Norm verfolgten Ziels notwendig ist.928 Der effet utile spielt damit nicht nur bei der Frage eine Rolle, ob ein Unionsrecht überhaupt verliehen wird, sondern auch bei der inhaltlichen Reichweite dieses Rechts.929 Der Gerichtshof greift darüber hinaus auf rechtsvergleichende Überlegungen zurück, auch wenn dies in vielen Urteilen nicht direkt zum Ausdruck kommt.930 Rechtsvergleichend gewonnene Erkenntnisse können erstens eine Hilfestellung bieten, um den Inhalt der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte und die bei ihrer Verletzung eintretenden Rechtsfolgen positiv zu präzisieren.931 Zweitens können sie herangezogen werden, um die Grenzen zu bestimmen, die den Mitgliedstaaten bei Ausgestaltung der Rechtsfolgen in negativer Hinsicht durch das Effektivitätsgebot gesetzt sind.932 Eine besondere Rolle spielen drittens die rechtsvergleichend ermittelten allgemeinen Rechtsgrundsätze, mit denen der EuGH die immanenten Schranken der Unionsrechte konkretisiert: Nationale Regelungen, die die Reichweite der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte einschränken, werden vom Gerichtshof akzeptiert, wenn sie einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts wiederspiegeln.933 bb) Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden: Orientierung am sachlichen Schutzzweck der Norm? Die Reichweite der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte ist im öffentlichen wie im privaten Haftungsrecht vor allem mit Blick auf die Ersatzfähigkeit reiner Vermö926

 Siehe supra, § 2 D.IV.3.   Winter, NVwZ 1999, 467, 470. 928   Vgl. einerseits EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 25 ff.; Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 30 f.; und andererseits EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.) Rn. 42 f. 929   Beljin, Der Staat 2007, 489, 513. 930   Zur Rolle der Rechtsvergleichung in der EuGH-Rechtsprechung Bleckmann, ZVglRWiss 75 (1976), 106 ff.; v. Danwitz, ZESAR 2008, 57, 59 ff.; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, Rn. 182 ff., S. 129 ff.; Kutscher, Thesen, 1976, I‑30; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. II, Europarecht, 2. Aufl., 2007, S. 383 ff.; Schroeder, JuS 2004, 180, 183 f. 931   Für das Primärrecht vgl. etwa EuGH, verb. Rs. C‑46  & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 27 ff. Für das Sekundärrecht GA Tizzano, SchlA, Rs. C‑168/00 (Leitner) Rn. 40 ff.; GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn. 53 (in Fn. 44). Teilweise werden rechtsvergleichende Erkenntnisse auch verwendet, um zu begründen, dass ein Unionsrechtsakt gerade kein Recht zugunsten des Einzelnen begründet; EuGH, Rs. C‑222/02 (Paul u. a.) Rn. 44; hierzu bereits supra, § 3 E.V.2.g. 932  Hierzu infra, § 4 C.III.2.e. 933  Ausführlich infra, § 4 E.I.2. 927

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

gensschäden934 problematisch: Reicht bereits der bloße Verstoß gegen unionsrechtliche Verhaltensgebote aus, um eine Haftung für reine Vermögensschäden auszulösen? Oder ist die Haftung in der Weise zu beschränken, dass reine Vermögensschäden nur unter besonderen Voraussetzungen ersatzfähig sind? Wenn ja: Kann der sachliche Schutzzweck der Norm als Kriterium herangezogen werden, um die Ersatzfähigkeit solcher Schäden einzuschränken? Rechtsvergleichende Studien zeigen, dass reine Vermögensschäden in sämtlichen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen einen geringeren Schutz als Körper- oder Sachschäden sowie daran anknüpfende Vermögensfolgeschäden genießen.935 Dies gilt selbst für Frankreich. Zwar sind die Art. 1382, 1383 CC denkbar weit formuliert. Im Unterschied zu Deutschland (§ 823 Abs. 1 BGB) beschränkt sich die französische Generalklausel nicht auf den Schutz enumerativ aufgezählter absoluter Rechtsgüter. Anders als die Generalklauseln in Österreich (§ 1295 ABGB)936 und in Italien (Art. 1382, 2043 CC)937 werden die Art. 1382, 1383 CC von den französischen Gerichten auch nicht einschränkend dahingehend interpretiert, dass nur absolute Rechte geschützt wären. Im Gegensatz zum englischen Recht stellt das französische Recht keine speziellen Anforderungen an das haftungsauslösende Verhalten (Verletzung einer duty of care).938 Schließlich wird auch die Lehre vom Schutzzweck der Norm in Frankreich abgelehnt. All dies bedeutet jedoch nicht, dass reine Vermögensschäden unbegrenzt ersatzfähig sind. Die französischen Gerichte haben vielmehr andere Wege gefunden, um einer ausufernden Haftung für derartige Schäden vorzubeugen. Sie begrenzen die Haftung über das Erfordernis der Kausalität und lehnen die Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden häufig mit dem Argument ab, der betreffende Schaden sei nicht hinreichend direkt.939 Für das Unionsrecht muss gleichermaßen die Frage beantwortet werden, unter welchen Voraussetzungen reine Vermögensschäden ersatzfähig sind. Virulent geworden sind diese Fragen, weil der EuGH in seinen Entscheidungen regelmäßig nur prüft, ob die betreffende Unionsnorm generell geeignet ist, dem Einzelnen Rechte zu verleihen. Fälle, in denen der Gerichtshof die generelle Individualschutzrichtung 934   Von einem reinen Vermögensschaden wird gesprochen, wenn ein Schaden nur im Vermögen entsteht, ohne dass ein absolutes Gut des Geschädigten verletzt worden ist; Honsell, in: FS Lorenz, 2001, S. 483; ähnlich van Boom, European Tort Law, 2. Aufl., 2013, S. 208. Zu weiteren Definitionen Bussani/Palmer (Hrsg.), Pure Economic Loss in Europe, 2003, S. 3, 5. 935   Bussani/Palmer, in: dies. (Hrsg.), Pure Economic Loss in Europe, 2003, S. 120 ff.; van Boom, in: van Boom/Koziol/Witting (Hrsg.), Pure Economic Loss, 2004, S. 1 ff.; Honsell, in: FS Lorenz, 2001, S. 483 ff. 936  Dazu Karner, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), ABGB, 3. Aufl., 2010, § 1295 Rn. 2; Koziol, JBl. 2004, 273 ff. 937  Vgl. Bussani/Palmer, in: dies. (Hrsg.), Pure Economic Loss in Europe, 2003, S. 120, 133 ff., mit dem Hinweis, dass seit der Meroni-Entscheidung reine Vermögensschäden nicht mehr per se ausgeschlossen werden. 938   Die negligence-Haftung des englischen Rechts erfordert die Verletzung einer Sorgfaltspflicht (duty of care), die ursprünglich auf den Schutz von Leben, Körper und property begrenzt war. Der Schutz des Deliktsrechts wurde schrittweise, beginnend mit der Hedley Byrne-Entscheidung, auf reine Vermögensschäden ausgedehnt, dann aber in Murphy v. Brentwood wieder zurückgenommen; Hedley Byrne & Co. Ltd. v Heller & Partners Ltd., [1964] AC 465; Murphy v Brentwood DC, [1990] 2 All ER 908. Zur Entwicklung Deakin/Johnston/Markesinis, Markesinis and Deakin’s tort law, 6. Aufl., 2008, S. 157 – 199; v. Bar, RabelsZ 56 (1992), 410 ff.; kurz auch G. Hager, Strukturen des Privatrechts in Europa, 2012, S. 122 ff. 939  Siehe supra, § 3 E.V.1.b.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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einer Norm bejaht, die Haftung aber mangels Schutzes eines bestimmten Interesses des Klägers hätte scheitern lassen, liegen bislang nicht vor. Im Schrifttum wird daher zuweilen vertreten, dass es für die vom EuGH geforderten Schadensersatzansprüche überhaupt nicht auf Schutzzwecküberlegungen ankomme.940 Grundsätzlich sei jeder tatsächlich „Betroffene“ aktivlegitimiert, was letztlich immer der Fall sei, wenn der Rechtsverstoß einen Vermögensschaden verursacht habe, um dessen Ersatz gestritten werde.941 Das Unionsrecht verleihe dem Einzelnen subjektive Rechte und damit die erforderliche Durchsetzungmacht in Form privatrechtlicher Ansprüche, um das objektive Recht durchzusetzen, unabhängig davon, ob die Norm dem Schutz des Einzelnen zu dienen bestimmt sei.942 Für die Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden spreche die Funktionalisierung des Einzelnen im Interesse einer wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts. Insbesondere bei Marktverhaltensnormen könne eine effektive Durchsetzung nur erreicht werden, wenn es eine ausreichende Zahl an potentiellen Anspruchsberechtigten gebe, damit Verstöße auch tatsächlich durch die betroffenen Marktteilnehmer aufgedeckt und verfolgt werden könnten.943 Dieser Ansicht ist entgegenzuhalten, dass im Unionsrecht – ebenso wie im nationalen Recht – die Notwendigkeit besteht, die Haftung für reine Vermögensschäden einzuschränken. Anderenfalls käme es zu einer uferlosen Inanspruchnahme und weitreichenden Eingriffen in die allgemeine Handlungs- und Wettbewerbsfreiheit: Müsste bei jedem Verstoß gegen unionsrechtliche Normen für reine Vermögensschäden gehaftet werden, würde dies eine übermäßige Abschreckungswirkung entfalten und die Bewegungsfreiheit jedes einzelnen erheblich einschränken, da bei jedem Fehlverhalten mit unabsehbaren Ersatzverpflichtungen zu rechnen wäre.944 Darüber hinaus bestünde die Gefahr, dass die besonderen Anforderungen an die vertragliche Haftung umgangen werden.945 Im geschriebenen Unionsrecht ist daher längst anerkannt, dass es keine allgemeine deliktische Haftung für reine Vermögensschäden gibt. So stellt Art. 9 lit. b Produkthaftungs-RL 85/374 klar, dass der Hersteller bei Inverkehrbringen eines fehlerhaften Produkts bzgl. des Sachschadens nur für „die Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produktes“ haftet.946 Reine Vermögensschäden fallen damit aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie.947 Auch bei der Verabschiedung der KaufRL 99/44 wurde davon Abstand genommen, in Anlehnung an die französische action directe eine Haftung des Produzenten für reine Vermögens940   G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 416; MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 BGB Rn. 391; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 280 ff., 314 f. In diese Richtung auch Eilmansberger, CMLR 2004, 1199, 1226; einschränkend aber jetzt ders., CMLR 2007, 431, 466. 941   G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 416; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 289, Fn. 200, mit Verweis auf EuGH-Urteile, in denen es überhaupt nicht um Schadensersatzansprüche ging. 942   Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 314 f. 943   Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 487. 944  Ausführlich Koziol, ZEuP 1995, 359, 363; ders., JBl. 2004, 273, 274. 945   G. Wagner, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 2003, S. 189, 230, macht vier Gründe für die Diskriminierung reiner Vermögensschäden aus, nämlich (i) ­Kanalisierung der Schadensabwicklung, (ii) Schutz des Vertragsrechts, (iii) Divergenz zwischen privatem und sozialem Schaden, und (iv) Ausschluss der Haftung für diffuse Schadensbilder. 946   Herv. hinzugefügt. 947   Ebers/Janssen/Meyer, in: dies. (Hrsg.), European Perspectives on Producers’ Liability, 2008, S. 3 ff.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

schäden einzuführen.948 Die Richtlinie ist von einem reinen Vertragsmodell geprägt und folgt der Rückabwicklung über die Vertragskette: Nur der Letztverkäufer eines Verbrauchsguts haftet dem Verbraucher gegenüber für dessen Mängelfreiheit. Ist der Letztverkäufer nicht selbst für den Mangel verantwortlich, kann er seinen Lieferanten in Anspruch nehmen (Art. 4 KaufRL 99/44), der seinerseits Regressansprüche gegenüber seinem Vertragspartner geltend machen kann, bis die Gewährleistungshaftung den Verantwortlichen erreicht. Bei den ungeschriebenen Unionsrechten ist eine klare Rechtsprechungslinie noch nicht erkennbar. Einerseits steht der Gerichtshof der Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden sehr aufgeschlossen gegenüber. Sämtliche auf der Grundlage der Francovich-Doktrin bislang ergangenen Entscheidungen betreffen, soweit ersichtlich, reine Vermögensschäden.949 Der EuGH betont insoweit, dass der Ersatz derartiger Schäden nicht durch das nationale Haftungsrecht übermäßig eingeschränkt oder gänzlich ausgeschlossen werden darf.950 Aus der Funktionalisierung subjektiver Rechte folgt andererseits keine grenzenlose Haftung für Normverstöße. Unionsrechtliche Individualberechtigungen dienen nicht ausschließlich oder in erster Linie dem Kollektivinteresse an einer dezentralen Kontrolle und Durchsetzung des Unionsrechts. Der effet utile ist vielmehr mit entgegenstehenden Interessen Dritter in Ausgleich zu bringen.951 Die vom Unionsrecht geforderten Schadensersatzansprüche dienen daher nicht vorrangig der Abschreckung oder Sanktion, sondern, wie der EuGH für Staatshaftungsansprüche klargestellt hat, der Schadenskompensation.952 Dem entspricht, dass der Gerichtshof die Haftung für reine Vermögensschäden in vielen Urteilen über das Kriterium des Kausalzusammenhangs eingeschränkt hat: Nach ständiger Rechtsprechung setzt sowohl die außervertragliche Haftung der Union als auch die Haftung der Mitgliedstataten einen unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Anspruchsgegners und dem geltend gemachten Schaden voraus.953 Ansprüche auf Schadensersatz wurden vom EuGH und EuG abgelehnt, wenn der Schaden zu entfernt war954 oder nicht nachgewiesen werden konnte, dass der Schaden die spezifische Folge des Handelns des Anspruchsgegners war.955 Zum Teil hat der EuGH im Rahmen der Kausalitätsprüfung sogar 948   Die Europäische Kommission hatte demgegenüber im Rahmen der Vorarbeiten zur KaufRL im Jahre 1993 in ihrem Grünbuch die Einführung eines Direktanspruchs gefordert; Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg., S. 86 et seq. Hierzu Bianca/ Grundmann/Bridge, EU Sales Directive, 2002, Art. 4 Rn. 5 ff.; Hassemer, Heteronomie und Relativität in Schuldverhältnissen, 2007, S. 169 ff. 949   Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 170 (in Fn. 1180). 950   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 90; Rs. C‑470/03 (AGM COS.MET) Rn. 91, 94; vgl. auch die SchlA von GA Kokott zum Fall AGM COS.MET, Rn. 138 ff. 951  Hierzu supra, § 3 D.II. 952   EuGH, Rs. C‑470/03 (A.G.M.-COS.MET) Rn. 88. 953   Zur außervertraglichen Haftung der Union EuGH, verb. Rs. 64 & 113/76, 239/78, 27, 28 & 45/79 (Dumortier Frères u. a./Rat) Rn. 21; Rs. C‑312/00 P (Camar und Tico) Rn. 53 ; Rs. C‑440. Zur Haftung der Mitgliedstaaten EuGH, Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 51; Rs. C‑392/93 (British Telecommunications) Rn. 39; Rs. C‑5/94 (Hedley Lomas) Rn. 25; Rs. C‑470/03 (A.G.M.-COS.MET) Rn. 78, 83; Rs. C‑446/04 (Test Claimants) Rn. 218. 954   EuGH, verb. Rs. 64 & 113/76, 239/78, 27, 28 & 45/79 (Dumortier Frères/Rat) Rn. 21; verb. Rs. 169/83, 136/84 (Leussink u. a./Kommission) Rn. 22; EuG, Rs. T‑168/94 (Blackspur) Rn. 52; verb. Rs. T‑3/00, T‑337/04 (Pitsiorlas/Rat und EZB) Rn. 292 ff. 955   EuGH, Rs. 26/74 (Roquette Frères) Rn. 21/24; Rs. C‑419/08 P (Trubowest Handel) Rn. 58 ff. Vgl. auch EuG, Rs. T‑42/06 (Gollnisch/Parlament) Rn. 111 ff.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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den Schutzzweck der Norm berücksichtigt. So stellte er im Fall Rechberger956 für die Haftung der Mitgliedstaaten wegen unvollständiger Umsetzung der PRRL 90/314 klar, dass außergewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse den unmittelbaren Kausalzusammenhang dann nicht unterbrechen, wenn die verletzte Bestimmung des Unionsrechts gegen derartige Risiken gerade absichern sollte. Auch in neueren Entscheidungen trennt der Gerichtshof nicht sorgfältig zwischen dem sachlichen Schutzzweck der Norm und dem Kausalzusammenhang. Im bereits diskutierten Fall Leth957 legte der österreichische OGH dem EuGH die Frage vor, ob eine pflichtwidrig unterlassene UVP dem Einzelnen einen Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens verleiht, der durch die Minderung des Werts seiner Liegenschaft als Folge der Auswirkungen des fraglichen Projekts auf die Umwelt entstanden sind. Die herrschende Ansicht in Österreich verneinte dies.958 Ebenso wie in Deutschland959 ging man davon aus, dass bei Verstoß gegen umweltrechtliche Normen nur Gesundheitsschäden und Substanzschäden, nicht jedoch reine Vermögensschäden wie etwaige Wertminderungen von Grundstücken ersatzfähig sind. Der EuGH widersprach dieser Auffassung und differenzierte bei den reinen Vermögensschäden zwischen unmittelbar und mittelbar verursachten Schäden: Die UVP-RL 85/337 bezwecke den Schutz der Gesundheit und wolle zudem zur Lebensqualität beitragen. Eine erhebliche Lärmexposition wirke sich nicht nur auf die Umweltbedingungen, die Lebensqualität und möglicherweise die Gesundheit der Menschen aus, sondern könne zudem zu unmittelbaren Vermögensschäden führen, wenn sich ein von diesem Lärm betroffenes Wohnhaus hierdurch für seine Funktion weniger eigne. Derartige Vermögensschäden seien daher vom Schutzzweck der Richtlinie erfasst. Bloß mittelbar verursachte wirtschaftliche Schäden, wie beispielsweise bestimmte Wettbewerbsnachteile, seien demgegenüber von der Richtlinie nicht geschützt.960 Unternehmen, die Wettbewerbsnachteile dadurch erleiden, weil sie im Gegensatz zu ihren Konkurrenten mit einer UVP-Prüfung belastet werden, können daher keine Staatshaftungsansprüche geltend machen.961 Die Ausführungen des EuGH im Fall Leth zeigen, dass es in der Rechtsprechung immer noch an eindeutigen Kriterien fehlt, um die Haftung für reine Vermögensschäden einzugrenzen. Der Gerichtshof greift zur Bewältigung dieses Problems – dem französischen Recht vergleichbar – auf das Kriterium der Unmittelbarkeit zurück. Reine Kausalitätsüberlegungen sind jedoch nicht geeignet, der Selektionsaufgabe des Deliktsrechts gerecht zu werden. Das Kriterium der „causalité directe“ führt, wie selbst im französischen Schrifttum eingeräumt wird, zu schwer nachvollziehbaren, einzelfallabhängigen Ergebnissen.962 Da die Frage nach dem Schutzbereich des 956

  EuGH, Rs. C‑140/97 (Rechberger) Rn. 74 ff.   EuGH, Rs. C‑420/11 (Leth). 958   OGH, Beschluss v. 21.7.2011, Az. 1 Ob 17/11y, unter VI. m. w. N. 959   Zur Staatshaftung wegen nicht fristgerechter Umsetzung von Grenzwertrichtlinien Kremer, Jura 2000, 235, 238; zur Staatshaftung wegen unberechtigten Vorenthaltens von Umweltinformationen Kümper, ZuR 2012, 395 ff., 398. 960   EuGH, Rs. C‑420/11 (Leth) Rn.  35 – 36. 961   Nach früher vertretener Ansicht sollen Umweltschutzrichtlinien dagegen auch Rechte zugunsten von Konkurrenten begründen; so insb. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 194 f. 962   Vgl. nur Starck/Roland/Boyer, Obligations, Bd. 1, Responsabilité delictuelle, 5. Aufl., 1996, Rn. 1065 f.: „La jurisprudence s’est abstenue de donner une définition; sa démarche reste tout à fait empirique. (. . .) Le lien de causalité est l’un de problèmes les plus obscurs posés par la responsabilité 957

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Deliktsrechts letztlich überall in Europa gestellt und auch beantwortet werden muss, wäre es methodisch überzeugender, die Kriterien der Unmittelbarkeit des Kausalzusammenhangs und des Schutzzwecks der Norm voneinander zu trennen, als sie unter einem diffusen Unmittelbarkeitsbegriff zu einer Einheit zu verschmelzen.963 Der EuGH sollte diese Erkenntnis beherzigen und im Einklang mit den meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen964 sowie in Anlehnung an die akademischen Entwürfe für ein gemeineuropäisches Deliktsrecht965 im Wege der autonomen Auslegung damit beginnen, eine unionsrechtliche Schutz- bzw. Normzwecklehre auszuformen.966

VI. Abschied von der Schutznormtheorie? Die Schutznormtheorie steht seit langem in der Kritik.967 Immer wieder wird ihr vorgeworfen, dass ihre Grundbegriffe zu vage seien. Sie habe die im Bereich des gerichtlichen Rechtsschutzes auftretenden Fragen weder dogmatisch noch praktisch zufriedenstellend lösen können. Ihre Ergebnisse seien kasuistisch und gefährdeten die Rechtssicherheit.968 Die Schutznormtheorie erscheine eher als ein Oberbegriff für die Probleme des Drittschutzes, als eine kohärente, dogmatisch anerkannte Lehre.969 Sie fördere den richterlichen Dezisionismus. Hinter der Berufung auf den Schutzzweck verberge sich nicht selten eine petitio principii: Das gewünschte Ergebnis regiere, als Schutzzweck verkleidet, die Haftung.970 Bisweilen wird auch von einer „de lege lata geübten Rechtspolitik“ der Gerichte gesprochen.971 civile. Les arrêts innombrables n’apportent guère d’éclaircissement, tant ils sont dominés par les circonstances de l’espèce et l’intuition du juge.“ 963   Im deutschsprachigen Schrifttum waren es vor allem Rabel und v. Caemmerer, die darauf hingewiesen haben, dass die Frage der Haftungsgrenzen nicht durch generelle Kausalitätsformeln, sondern nur durch die Entfaltung von Sinn und Tragweite der konkreten, die Schadenshaftung begründenden Norm bewältigt werden kann; Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Bd. 1, Neudruck 1957, S. 488 ff.; v. Caemmerer, Gesammelte Schriften, hrsg. v. Leser, Bd. 1, 1968, S. 395, 402 ff. Siehe auch MüKo/Oetker, BGB, 7. Aufl., 2016, § 249 BGB Rn. 126. 964  Hierzu supra, § 3 E.V.1.b. 965   Nach Art. 3:201(e) PETL beurteilt sich die Frage, ob und in welchem Umfang Schäden einer Person zugerechnet werden können, u. a. nach dem Schutzzweck der verletzten Norm. Im DCFR fehlt eine entsprechende Regel; die Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden wird jedoch durch die Aufzählung rechtlich relevanter Schäden (legally relevant damage) begrenzt; Larouche, in: Larouche/Chirico (Hrsg.), Economic analysis of the DCFR, 2010, S. 295, 299 f. Diesem Konzept liegt unausgesprochen die Schutzzwecklehre zugrunde; Schmidt-Kessel, in: Remien (Hrsg.), Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 331, 351 f. Vgl. ferner Art. VI:3:102(a) DCFR (Verletzung eines Schutzgesetzes führt zur Fahrlässigkeithaftung). 966   Eine unionsrechtliche Schutzzwecklehre fordern Eilmansberger, CMLR 2004, 1199, 1241 ff.; Meeßen, Schadensersatz, 2011, S. 311 ff.; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., 2013, S. 609 f.; Reich, CMLR 2005, 35, 61; ders., CMLR 2007, 705, 720 ff. Demgegenüber hat der BGH bislang offen gelassen, ob bei der Staatshaftung im Rahmen des Tatbestandsmerkmals „unmittelbarer Kausalzusammenhang“ auf Schutzzwecküberlegungen zurückgegriffen werden kann; BGHZ 134, 30, 40. 967   Für das öffentliche Recht Bauer, AöR 113 (1988), 582, 593 ff.; Breuer, DVBl. 1983, 431, 436; Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 153 ff.; Kunig, in: GS Martens, 1987, S. 599, 601; zusammenfassend Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 374 f. Für das Privatrecht Keuk, Vermögensschaden, 1972, S. 224 ff., 235 f.; Th. Raiser, JZ 1963, 462, 464; Schickedanz, NJW 1971, 916, 920. 968  Vgl. Breuer, DVBl. 1983, 432, 436. 969   Kunig, in: GS Martens, 1987, S. 599, 601. 970   Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl., 1996, Rn. 301; zustimmend Larenz, SchuldR I, 14. Aufl., 1987, § 27 III, S. 445. 971  So K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht – Kartellverwaltungsrecht – Bürgerliches Recht, 1977, S. 360; Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 537.

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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An dieser Kritik ist richtig, dass sich zur Ermittlung des Schutzbereichs einer Norm in der Tat kaum subsumtionsfähige Kriterien aufstellen lassen. Bereits die Grundprämisse der Schutznormtheorie, die Unterscheidung von „öffentlichen“ und „privaten“ Interessen, ist wenig aussagekräftig. Eine klare Grenzlinie zwischen Allgemein- und Individualinteressen lässt sich schon deswegen nicht ziehen, weil jede Norm, die dem Schutz von Individualinteressen dient, gleichzeitig auch indirekt Allgemeininteressen dient.972 Zum anderen gilt aber auch umgekehrt, dass viele Normen, die ein Allgemeininteresse schützen, dem Einzelnen zugute kommen. Dies zeigt sich in jenem Bereich, der besonders intensiv durch das Unionsrecht determiniert wird, nämlich dem Marktordnungsrecht: Institutionen- und Individualschutz laufen im Marktordnungsrecht regelmäßig parallel, sie sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille.973 Marktverhaltensnormen dienen neben dem Allgemeininteresse an funktionsfähigen Märkten jeweils auch dem Interesse der Marktteilnehmer an der Funktionsfähigkeit des Marktes und seiner Institutionen. Der Institutionenschutz ist grundsätzlich kein Selbstzweck, er hat vielmehr die Interessen der diese Institutionen formenden oder hinter ihr stehenden Individuen im Auge. Der Schutz des Marktes als Institution umfasst daher immer auch den Schutz der Interessen der einzelnen Teilnehmer an dem betreffenden Markt. Weil dies so ist, kommt der Unterscheidung zwischen Allgemein- und Individualinteressen zumeist keine praktische Bedeutung zu. Weitere Einwände betreffen das von der Rechtsprechung favorisierte Kriterium der Abgrenzbarkeit des geschützten Personenkreises. Nach Ansicht des BVerwG und des BGH sind subjektive Rechte grundsätzlich nur „im Gefolge solcher Rechtsvorschriften anzunehmen, die das individuell geschützte private Interesse, die Art seiner Verletzung und den Kreis der unmittelbar geschützten Personen hinreichend deutlich klarstellen und abgrenzen“.974 Die Anzahl der durch einen Rechtsverstoß betroffenen Personen sollte indessen gerade nicht über die Schutzwürdigkeit dieser Personen entscheiden.975 Der Einzelne, der in seinen Interessen verletzt wird, ist um nichts weniger schutzwürdig, wenn gleichzeitig eine Vielzahl weiterer Personen von dem 972  Vgl. Jhering, Der Kampf um’s Recht, 1872, S. 54; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, 1914, S. 44. 973   So für das Lauterkeitsrecht schon L. Raiser, in: Summum Ius, 1963, S. 145, 156. Allgemein Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 1994, S. 434 (Institutionenschutz ist meist kein Selbstzweck, sondern dient i. d. R. auch dem Individualschutz). Ferner Grundmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2008, S. 105, 123 f.; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 159; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 399 f.; K. Schmidt, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 1175, 1179. Zum Kapitalmarktrecht Fuchs, BKR 2002, 1063, 1064 f. 974   BVerwGE 41, 58, 63; vgl. auch BVerwG 62, 243, 247; 65, 313, 320; 66, 307, 308. Modifiziert durch BVerwG, NVwZ 1987, 409; danach soll entscheidend sein, „daß sich aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen läßt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet“. Zu § 823 Abs. 2 BGB vgl. BGHZ 40, 306, 307 = NJW 1964, 396, 397; BGH, NJW-RR 2005, 680: Das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen muss hinreichend klargestellt und bestimmt bzw. deutlich erkennbar sein. Zu § 839 BGB vgl. BGHZ 92, 34, 52 = NJW 1984, 2516, 2519; BGHZ 106, 323, 332 = NJW 1989, 976, 978; BGHZ 108, 224, 227 = NJW 1990, 381, 383; BGH WM 2001, 872, 873: Bei der betreffenden Amtshandlung muss in qualifizierter und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige Interessen eines „erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter“ Rücksicht zu nehmen sein. 975   Für das öffentliche Recht Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 154 f.; Knauber, NVwZ 1988, 997, 999. Für das Privatrecht vgl. nur Karollus, Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung, 1992, S. 351 ff.

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

Rechtsverstoß betroffen wird. Warum sollte, so fragt Karollus976 zu Recht, der Schädiger plötzlich von seiner Haftung befreit sein, gerade weil (!) er unermesslich hohe Schäden verursacht hat? Letztlich ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigt, einen Schädiger zu privilegieren, nur weil der durch eine verbotene Handlung verursachte Verstoß besonders viele Personen geschädigt hat. Die heftigste Kritik an der Schutznormtheorie gründet sich in Deutschland auf europarechtliche Argumente. Das Unionsrecht bewirke, so wird vorgetragen, eine grundlegende Systemänderung der schutznormtheoretischen Konzeption dergestalt, dass die unionsrechtliche postulierte Unabhängigkeit der Klagebefugnis von einem materiellen subjektiv-öffentlichen Recht eine erhebliche Ausdehnung des subjektiven Rechtsschutzes auf sämtliche objektiv-rechtlichen Normen des Unionsrechts zur Folge haben müsse.977 Der Schutznormlehre sei im Anwendungsbereich des Unionsrechts die Grundlage entzogen.978 Ganz ähnlich wird für das (marktregulierende) Privatrecht behauptet, dass bei Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche auf das Schutzzweckerfordernis zu verzichten sei.979 Bei genauer Betrachtung ergibt sich ein sehr viel differenzierteres Bild. Richtig ist, dass der EuGH individuelle Rechte in weitaus größerem Umfang und unter geringeren Voraussetzungen anerkennt als die Schutznormtheorie nach ihrem tradierten Verständnis. Das Prinzip der funktionalen Subjektivierung bewirkt, dass die der Schutznormtheorie zugrunde liegende Unterscheidung zwischen Allgemein- und Individualinteressen ihre klagerechtsbegrenzende Funktion verliert.980 Vom Grundsatz ist es irrelevant, ob mit der fraglichen Bestimmung Allgemeinwohl- oder Individualinteressen verfolgt werden. Da die Einzelnen über die Geltendmachung ihrer Rechte zur Beachtung des Unionsrechts insgesamt beitragen sollen, kann ein Interesse der Allgemeinheit immer auch ein Interesse einiger oder vieler Einzelpersonen sein. Erst recht ist eine gezielte Individualbegünstigung nicht erforderlich. Im Unterschied zur traditionellen Schutznormtheorie muss auch der Kreis der Betroffenen weder in räumlicher Hinsicht abgrenzbar sein, noch müssen die begünstigten Personen der Anzahl nach eingrenzbar sein oder sich sonst von der Allgemeinheit unterscheiden. Der generelle Individualschutzcharakter einer Norm spielt somit im Unionsrecht kaum eine Rolle.981 Die entscheidende Selektionsaufgabe liegt jenseits der Klassifizierung von Schutzgesetzen und Nicht-Schutzgesetzen.982 Entscheidend ist, wer als „Betroffener“ in den persönlichen Schutzbereich der Norm fällt: Nach Ansicht des EuGH ist grundsätzlich nur derjenige anspruchsberechtigt bzw. klagebefugt, der in den von der jeweiligen Norm geschützten Interessen beeinträchtigt ist bzw. sein 976

  Karollus, Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung, 1992, S. 352.   v. Danwitz, DÖV 1996, 481, 489; ders., Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 245; von der Notwendigkeit der Revision des subjektiv-öffentlichen Rechts spricht Masing, Mobilisierung, 1997, S. 194 ff. 978   v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 247; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 100 ff., 165 ff., 295 f.; Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, 924, 932, konstatiert tiefgreifende Strukturveränderungen. 979   G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 416; MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 BGB Rn. 391; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 280 ff., 314 f. 980  Siehe supra, § 3 E.V.3.a. 981   Eine Ausnahme gilt für Verfahrensregeln. Vorschriften, die nur behördeninterne Abläufe regeln, begründen nach Ansicht des EuGH und des EuG in aller Regel keine Rechte zugunsten des Einzelnen; ausführlich supra, § 3 E.V.2.h. 982   So schon für das deutsche Recht K. Schmidt, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 1175, 1187. 977

E. Kriterien zur Ermittlung der Unionsrechte

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könnte. Ein rein tatsächliches, idealistisch-altruistisches Interesse an der Einhaltung unionsrechtlicher Vorschriften reicht demgegenüber nicht aus, um ein gerichtlich durchsetzbares Recht zu begründen.983 Die Schutznormtheorie ist aus diesen Gründen mit der Konzeption der Unionsrechte grundsätzlich kompatibel.984 In der Flexibilität der Schutznormtheorie liegt nicht nur ihre Schwäche, sondern zugleich ihre Stärke.985 Die Floskeln der Schutznormtheorie haben schon im deutschen Recht einen historischen Wandel ermöglicht, der von der weitestgehenden Nichtexistenz subjektiver Rechte unter monarchischen Vorzeichen, über die Weimarer Zeit bis zur heutigen demokratisch rechtsstaatlich erweiterten Zuerkennung individueller Rechte reicht.986 Unter dem Einfluss des Unionsrechts vollzieht sich erneut ein Wandel. Eine unionsrechtlich aufgeladene Schutznormlehre987 kann den Vorgaben des EU‑Rechts Rechnung tragen, ohne dass das System der Zugangsvoraussetzungen zu den deutschen Verwaltungs- oder Zivilgerichten grundlegend reformiert werden müsste. Zu einer echten Systemveränderung kommt es demgegenüber in Bereichen, in denen das geschriebene Unionsrecht – wie beispielsweise im Umwelt- oder im Verbraucherrecht – überindividuelle Klagebefugnisse fordert, die nicht mehr auf die Figur des subjektiven Rechts zurückgeführt werden können.988 In diesen Gebieten wird der mitgliedstaatliche Normgeber in der Tat zur Gewährung von Rechtspositionen bzw. Klagebefugnissen in Fallkonstellationen verpflichtet, in denen er bei rein national veranlasstem Handeln auf eine Subjektivierung verzichtet hätte. Darin allein liegt allerdings noch kein rechtsdogmatisch-konstruktiver Bruch mit der Schutznormtheorie. Schließlich gibt es, wie Nettesheim989 treffend hervorhebt, „kein dogmatisches Prinzip und keinen Grundsatz (. . .), die den Normgeber dazu anhielten, subjektive Rechte nur dann zu gewähren, wenn dies im Lichte der Schutznormkriterien angezeigt wäre. Insbesondere lässt sich eine solche Aussage nicht der ‚Schutznormlehre‘ entnehmen, die doch erst dann zur Anwendung kommt, wenn ein Rechtssatz in seiner subjektivberechtigenden Dimension offen oder unklar formuliert ist. Des Gesetzgebers Freiheit zur Gewährung subjektiver Rechte beschränkt diese Lehre nicht“. Im Übrigen zeigt sich am Beispiel der kartell- und lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzansprüche in Deutschland, dass Schutzzwecküberlegungen selbst dann relevant bleiben, wenn sie vom Gesetzgeber aus dem Tatbestand einer Norm „verbannt“ werden: Der deutsche Gesetzgeber hat im Rahmen der Siebenten GWB-Novelle mit § 33 Abs. 3 GWB eine Vorschrift geschaffen, die nicht mehr an den Verstoß gegen ein Schutzgesetz anknüpft.990 Damit ist klargestellt, dass jedes marktschützende Ge- oder Verbot des deutschen und europäischen Kartellrechts Privatrechtssanktionen auslö983

 Siehe supra, § 3 E.V.3.c.   Im Ergebnis auch Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 413; Nettesheim, AöR 132 (2007), 333, 385 ff.; Pietzcker, in: FS Isensee, 2007, S. 577, 586 ff.; Ruffert, DVBl. 1998, 69, 74; Schoch, NVwZ 1999, 457, 465. Für Österreich Grabenwarter, Subjektive Rechte und Verwaltungsrecht, 2006, S. 46 f. 985   Bauer, AöR 113 (1988), 593, 607. 986   Wegener, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2008 (UTR 98), S. 319, 331. 987   Begriff nach Sodan/Ziekow/Dörr, VwGO-Kommentar, 4. Aufl., 2014, EVR Rn. 234. 988   Hierzu bereits supra, § 3 B.I.1.d. 989  So Nettesheim, AöR 132 (2007), 333, 387 f. 990   Während der Regierungsentwurf am Schutzgesetzerfordernis zunächst festhalten wollte, empfahl der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, das Schutzgesetzerfordernis zu streichen, um der Courage-Entscheidung Rechnung zu tragen; BT‑Drucks. 15/5049, S. 49. 984

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§ 3  Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte

sen kann. Gleichzeitig wird der Kreis der Anspruchsberechtigten aber auf „Betroffene“ (§ 33 Abs. 1 S. 1 GWB) begrenzt. Betroffen ist, wer als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist (§ 33 Abs. 1 S. 3 GWB). Die Gerichte müssen daher auch nach der Siebenten GWB-Novelle Kriterien entwickeln, um die von einem Verbotsverstoß subjektiv-rechtlich Betroffenen von den nicht betroffenen Dritten abzugrenzen. Diese Selektionsaufgabe kann nur durch die Schutznormtheorie bewältigt werden.991 Gleiches gilt für die in § 9 UWG geregelten lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzansprüche. Die Norm verlangt keinen Verstoß gegen ein Schutzgesetz. Sie erfasst vielmehr sämtliche unlauteren geschäftlichen Handlungen; es wird weder nach der Art der unlauteren Handlung noch nach der Art der verletzten Interessen unterschieden.992 Damit hat sich die Frage nach dem Schutzzweck der verletzten Norm aber keinesfalls erledigt. Welche Mitbewerber nach § 9 S. 1 UWG anspruchsberechtigt sind, ergibt sich nämlich aus dem Schutzzweck der verletzten wettbewerbsrechtlichen Verhaltensnorm.993 Ist der Wettbewerbsverstoß gegen ganz bestimmte Mitbewerber gerichtet, so können nur diese Schadensersatzansprüche geltend machen. Der Schutzzweck ist ferner nicht nur für die Haftungsbegründung, sondern auch für die Haftungsausfüllung von Bedeutung: Art, Inhalt und Umfang des Schadens lassen sich im Kartell- und Lauterkeitsrecht nur anhand des konkret geschützten und durch die betreffende Handlung verletzten Interesses näher bestimmen.994 Damit bleibt im Ergebnis festzuhalten, dass ein Abschied von der Schutznormtheorie nicht erforderlich ist. Die in Deutschland und anderen Ländern verbreitete Lehre vom Schutzzweck der Norm ist hinreichend flexibel, um im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung an die europäischen Vorgaben angepasst zu werden. Die nationalen Gerichte sollten dem EuGH die Gelegenheit geben, das Konzept der subjektiven Rechte weiter auszuformen. Ein besonderer Klärungsbedarf besteht mit Blick auf die Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden. Der Gerichtshof hat die Haftung für reine Vermögensschäden in vielen Urteilen über das Kriterium des Kausalzusammenhangs eingeschränkt, ohne explizit auf Schutzzecküberlegungen abzustellen. Diese Vorgehensweise überzeugt nicht. Die Kausalitätsprüfung ist für sich genommen, wie schon Ernst Rabel995 hervorgehoben hat, zu abstrakt und unscharf; sie führt leicht zu willkürlichen Entscheidungen, da sie die hinter der Haftungszurechnung stehenden Schutzzwecküberlegungen verdeckt. Der EuGH sollte sich daher offen zur Schutzzwecklehre bekennen und Kriterien entwickeln, in welchen Fällen für reine Vermögensschäden gehaftet werden muss.

991   Wie hier K. Schmidt, AcP 206 (2006), 169, 198 f.; ders., in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 1175, 1188 f. Widersprüchlich Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 491, die einerseits die Notwendigkeit sieht, eine reine Vermögenshaftung auszuschließen, andererseits aber die Schutzzwecklehre ablehnt und auch keine anderen haftungsbegrenzenden Kriterien entwickelt. 992   Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 191, 227. 993   Bornkamm GRUR 1996, 527, 529; Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 34. Aufl., 2016, § 9 UWG Rn. 1.9. 994   So für das Lauterkeitsrecht Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 242 f. 995  Vgl. Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Bd. 1, Neudruck 1957, S. 488 ff.

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts für die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten Soweit das geschriebene Unionsrecht nicht selbst festlegt, welche Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen das Unionsrecht eintreten, greift nach ständiger EuGH-Rechtsprechung der Grundsatz der Verfahrensautonomie. Danach ist es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet für die Durchführung des Unionsrechts zu sorgen. Was sich hinter dem Konzept der Verfahrensautonomie verbirgt, ist aufgrund der weitreichenden Vorgaben, die der Gerichtshof für die mitgliedstaatliche Durchführung entwickelt hat, immer noch ungeklärt. Die nachstehenden Ausführungen versuchen daher, diesen Grundsatz zunächst primärrechtlich zu verorten (A.). Im Anschluss wird der Frage nachgegangen, welche allgemeinen Vorgaben das Unionsrecht in seiner Interpretation durch den EuGH für die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten trifft. Von Interesse sind zunächst die Grundfreiheiten. Da das Unionsrecht in vielen Bereichen keine konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung der Rechtsfolgen aufstellt, werden diese in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich ausgestaltet. Daraus könnten im grenzüberschreitenden Handelsverkehr Binnenmarkthemmnisse resultieren, die in den Gewährleistungsbereich der Grundfreiheiten eingreifen (B.). Zu den allgemeinen Vorgaben, die der EuGH in seiner Rechtsprechung zur Überprüfung mitgliedstaatlichen Rechts entwickelt hat, zählt vor allem das Effektivitätsgebot. Der Gerichtshof greift in einer Vielzahl von Entscheidungen auf diesen Rechtsgrundsatz zurück, um weitreichende Vorgaben für die Ausgestaltung nationaler Rechtsfolgen zu entwickeln. Dies hat im Schriftttum zu dem Vorwurf geführt, der Gerichtshof setze das Effektivitätsgebot in willkürlicher Weise als kaum berechenbares, flexibles Koordinationsinstrument ein.1 Angesichts dieser Kritik bemüht sich die nachfolgende Analyse um eine systematische Durchdringung des Effektivitätsgebots. Dazu sind nicht nur die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Effektivitätsgebots zu erfassen, sondern zugleich die allgemeinen Kriterien, die in der Praxis des EuGH die Anwendung dieses Prinzips leiten. Von besonderem Interesse ist die Frage, inwieweit aus dem Effektivitätsgebot eine Pflicht der Mitgliedstaaten abgeleitet werden kann, einen Verstoß gegen unionsrechtlich begründete Pflichten durch Rechtsfolgen einer bestimmten Teilrechtsordnung (Strafrecht, Verwaltungsrecht, Zivilrecht) zu sanktionieren (C.). Neben dem Effektivitätsgebot wird vom EuGH auch das Äquivalenzgebot herangezogen, um die Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten zu kontrollieren. Auch hier stellt sich das Problem, unter welchen Voraussetzungen dieser Grundsatz greift und welche konkreten Vorgaben für das nationale Recht abgeleitet werden können (D.). 1

  Vgl. nur Schoch, in: Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 507, 512.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Die Mitgliedstaaten sind bei Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen nicht nur an die Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz, sondern darüber hinaus an die sonstigen allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts gebunden. Dies wirft die Frage auf, welche Funktion den allgemeinen Rechtsgrundsätzen bei der Kontrolle mitgliedstaatlichen Rechts zukommt. Von besonderer Bedeutung ist vor allem das Rechtsmissbrauchsverbot, das den Geltungsanspruch unionsrechtlicher Normen als eine Art invertiertes Gebot des effet utile begrenzt (E.).

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts I. Begriffsklärung 1. „Verfahrensautonomie“ Werden die bei einem Verstoß gegen das Unionsrecht eintretenden Rechtsfolgen (Rechtsbehelfe, Verfahren, Sanktionen) im geschriebenen Unionsrecht nicht festgelegt und lassen sich diese auch nicht durch eine (am effet utile orientierte) Auslegung mit Blick auf den objektiv- oder subjektiv-rechtlichen Gehalt der jeweiligen Vorschrift näher konkretisieren, so greifen die vom EuGH in den Entscheidungen Rewe,2 Comet3 und Deutsche Milchkontor4 entwickelten allgemeinen Vorgaben zur Durchführung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten. Hiernach gilt, dass die Mitgliedstaaten nicht nur die organisatorische Kompetenz zur Durchführung des Unionsrechts, sondern zugleich die Befugnis besitzen, die hierfür erforderlichen Rechtsnormen zu setzen und anzuwenden: „Im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen, auf denen das institutionelle System der Gemeinschaft beruht und die die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten beherrschen, ist es gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag [jetzt Art. 4 Abs. 3 EUV] Sache der Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet für die Durchführung der Gemeinschaftsregelungen (. . .) zu sorgen. Soweit das Gemeinschaftsrecht einschließlich der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze hierfür keine gemeinsamen Vorschriften enthält, gehen die nationalen Behörden bei dieser Durchführung der Gemeinschaftsregelungen nach den formellen und materiellen Bestimmungen ihres nationalen Rechts vor, wobei dieser Rechtssatz freilich (. . .) mit den Erfordernissen der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Einklang gebracht werden muss, die notwendig ist, um zu vermeiden, dass die Wirtschaftsteilnehmer ungleich behandelt werden.“5

Der sich hieraus ergebende Spielraum für die Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts wird bereits seit langem im Schrifttum6 und in den Schlussanträgen der 2

  EuGH, Rs. 33/76 (Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral).   EuGH, Rs. 45/76 (Comet).   EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor). 5  EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 17. Nicht ganz so deutlich bereits zuvor in EuGH, Rs. 33/76 (Rewe-Zentralfinanz und Rewe Zentral) Rn. 5; Rs. 45/76 (Comet) Rn. 11/18. 6   Rengeling, in: GS Sasse, Bd. 1, 1981, S. 197, 198; Hoskins, ELRev. 1996, 365 ff.; Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 122 ff.; Jacobs, in: Lonbay/Biondi (Hrsg.), Remedies for Breach of EC Law, 1997, S. 25 f.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 113; McKendrick, ERPL 2000, 565, 568. Weitere Nachweise bei Schroeder, AöR 129 (2004), 1, 22 in Fn. 73. 3 4

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

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Generalanwälte7 mit dem Schlagwort der „Verfahrensautonomie“ belegt. Der EuGH hat diesen Begriff lange Zeit überhaupt nicht verwendet. Erst seit dem Jahre 2004 spricht er in nunmehr ständiger Rechtsprechung vom „Grundsatz der Verfahrensautonomie“, „principle of procedural autonomy“ bzw. „principe de l’autonomie procédurale“.8 Der Begriff der Verfahrensautonomie ist bekanntlich wenig präzise.9 Zum einen suggeriert er eine Immunität der nationalen Rechtsordnungen gegenüber dem Unionsrecht, die in Anbetracht der weitreichenden Vorgaben des EuGH gerade nicht besteht. Zum anderen impliziert der Terminus, dass sich der den Mitgliedstaaten zustehende Spielraum allein auf Verfahrensvorschriften, nicht aber auf das materielle Recht bezieht. Dies ist jedoch nicht der Fall: Wenn der Gerichtshof davon spricht, dass es „Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten ist, die Verfahrensmodalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen“,10 so sind damit nicht nur prozessrechtliche Vorschriften stricto sensu gemeint, sondern sämtliche „formellen und materiellen Bestimmungen“11 des nationalen Rechts. Die Verfahrensautonomie erstreckt sich daher auch auf die inhaltliche (materiell-rechtliche) Ausgestaltung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche bzw. Rechtsbehelfe12 und umfasst damit zugleich eine gewisse „remedial autonomy“ der Mitgliedstaaten.13 Wenngleich der Begriff der „Verfahrensautonomie“ folglich in mehrfacher Hinsicht unpräzise ist, hat er sich dennoch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs durchgesetzt, so dass er, vorbehaltlich der vorangegangenen Klarstellungen, im Folgenden auch verwendet werden kann. 2. „Durchführung“ und Anwendungsbereich des Unionsrechts Auch der Begriff der „Durchführung“ bedarf näherer Klärung. Mit diesem Terminus werden im Schrifttum die mitgliedstaatlichen Pflichten im Umgang mit dem Unionsrecht umschrieben. Zur Durchführung gehören die Ausführung des Unionsrechts durch Rechtsnormen (normative Durchführung), der Vollzug durch die mitgliedstaatlichen Verwaltungen (administrative Durchführung) sowie seine Anwendung durch die einzelstaatlichen Gerichte (judikative Durchführung).14 7   GA Darmon, SchlA, Rs. C‑236/92 (Comitato di coordinamento per la difesa della Cava) Rn. 41; GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑312/93 (Peterbroeck) Rn. 39; GA La Pergola, SchlA, Rs. C‑336/94 (Dafeki) Rn. 5; GA Léger, SchlA, Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 54; GA Saggio, SchlA, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 38. 8   EuGH, Rs. C‑201/02 (Wells) Rn. 67. Seitdem st. Rspr.; vgl. nur EuGH, verb. Rs. C‑392/04 und 422/04 (i‑21 Germany) Rn. 57; Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 24; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 38; Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 46; Rs. C‑397/11 (Jőrös) Rn. 29; Rs. C‑415/11 (Aziz) Rn. 50; Rs. C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn. 26; Rs. C‑488/11 (Asbek Brusse und de Man Garabito) Rn. 42. 9   Statt aller GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑591/10 (Littlewoods Retail u. a.) Rn. 23 ff. 10   So etwa EuGH, C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn. 26. 11   EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 17. 12   Galetta, Procedural Autonomy of EU Member States, 2010, S. 1 f.; van Gerven, CMLR 2000, 501, 502; Krönke, Verfahrensautonomie, 2013, S. 16; Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 134, Fn. 17; Weyer, ZEuP 2003, 318, 321. A. A. offenbar Nowak, EuZW 2001, 717, 718 (für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche). 13   Trstenjak/Beysen, CMLR 2011, 95, 104 ff. 14  Grundlegend Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich, 1969, S. 47 f. Vgl. auch v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 302 (in Fn. 891); Jarass,

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Ob es sich bei der Durchführung um ein echtes Rechtsinstitut handelt, war lange Zeit ungewiss.15 Der Gerichtshof sprach vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags nicht nur von „Durchführung“, sondern auch vom „Anwendungsbereich“. Da die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur bestimmte Hoheitsrechte übertragen haben, kann nationales Recht nur dann an unionsrechtlichen Kriterien gemessen werden, wenn die betreffende Fallgestaltung vom Unionsrecht erfasst wird. Dies gilt für die Kontrolle nationalen Rechts am Effektivitäts- und Äquivalenzgebots16 ebenso wie für die Überprüfung nationalen Rechts am Maßstab der Unionsgrundrechte.17 Der Anwendungsbereich des Unionsrechts ist nach ständiger Rechtsprechung18 eröffnet, wenn die in Rede stehende nationale Norm (i) der Durchführung, insbesondere der Umsetzung von Unionsrecht dient,19 (ii) von einer nach Unionsrecht zulässigen Ausnahme Gebrauch macht,20 oder (iii) in sonstiger Weise in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, weil eine spezifische materielle Vorschrift des Unionsrechts auf den Sachverhalt anwendbar ist.21 Besonders umstritten ist seit jeher die Frage, ob die Mitgliedstaaten die Unionsgrundrechte im Kontext einer Richtlinie zu beachten haben. Während ein Teil des Schrifttums eine Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten nur für den unionsrechtlich determinierten Teil befürwortet, gehen andere davon aus, dass auch mitgliedstaatliche Umsetzungsspielräume, die durch unbestimmte Rechtsbegriffe, Wahlmöglichkeiten oder Ausnahmevorschriften eröffnet werden, unter Beachtung der Unionsgrundrechte auszufüllen sind.22 Der EuGH legte bereits vor Inkrafttreten des LissabonVertrags eine weite Auslegung zugrunde: Die Mitgliedstaaten handeln nach Ansicht des Gerichtshofs selbst dann im Anwendungsbereich des Unionsrechts, wenn der Rechtsakt keine genauen Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung und Sanktionen enthält. Insbesondere bei Klagen vor mitgliedstaatlichen Gerichten, durch die der Schutz der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte gewährleistet werden soll, befindet sich das mitgliedstaatliche Recht, vor allem das Gerichtsverfahrensrecht, regelmäßig im Anwendungsbereich des Unionsrechts und unterliegt folglich einer Bindung an die Unionsgrundrechte.23 Gleiches gilt für Sanktionen, die im nationalen Recht zur GRC, 2. Aufl., 2013, Art. 51 Rn. 16 ff.; Calliess/Ruffert/Kahl, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016 Art. 4 EUV Rn. 35 m. w. N. 15   Beljin, EuR 2002, 372; Jarass/Beljin, NVwZ 2004, 1, 6. 16   Für das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot prüft der Gerichtshof in aller Regel nicht, ob natio­ nales Recht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Dennoch besteht kein Zweifel, dass diese Voraussetzung erfüllt sein muss; Jarass/Beljin, NVwZ 2004, 1, 10. GA Kokott, SchlA, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 88, spricht davon, dass das Effektivitätsgebot „nach der Rechtsprechung überall dort Anwendung findet, wo ein Sachverhalt einen Bezug zum Gemeinschaftsrecht aufweist, aber – etwa für das anzuwendende Verfahren – keine gemeinschaftsrechtliche Regelung existiert und die Mitgliedstaaten folglich nationale Rechtsvorschriften zur Anwendung bringen“. 17   Grundlegend EuGH, Rs. C‑260/89 (ERT) Rn. 42. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑27/11 (Vinkov) Rn. 59. 18   Vgl. auch die Zusammenstellung von GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑427/06 (Bartsch) Rn. 69. 19   EuGH, Rs. 5/88 (Wachauf) Rn. 17 – 22; Rs. C‑2/92 (Bostock) Rn. 16; verb. Rs. C‑20 & 64/00 (Booker Aquacultur und Hydro Seafood) Rn. 88; C‑442/00 (Caballero) Rn. 31. 20   EuGH, Rs. C‑260/89 (ERT) Rn. 41 – 45; Rs. C‑368/95 (Familiapress) Rn. 24 ff.; Rs. C‑60/00 (Carpenter) Rn. 40 ff.; Rs. C‑112/00 (Schmidberger) Rn. 75. 21   Zu dieser Residualkategorie GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑427/06 (Bartsch) Rn. 69; Prechal, ­REALaw 2010, 5, 8 ff.; zur Diskussion auch Hancox, CMLR 2013, 1411, 1421 ff. 22   Zum Meinungsstand vgl. nur Calliess, JZ 2009, 113, 118. 23   EuGH, Rs. C‑276/01 (Steffensen) Rn. 69 ff. Teile des Schrifttums sehen darin eine eigenständige Kategorie der Bindung der Mitgliedstaaten an die europäischen Grundrechte; Frenz, Europäische

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

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Durchsetzung der in Sekundärrechtsakten vorgesehenen Verhaltenspflichten vorgesehen sind; auch diese sind an den Unionsgrundrechten zu messen, selbst wenn das Unionsrecht nur ganz allgemein zur wirksamen Durchsetzung verpflichtet.24 Mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags stellte sich die Frage, ob der Gerichtshof an dieser Rechtsprechung weiterhin festhalten würde. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV spricht von einem wirksamen Rechtsschutz „in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ und rekurriert damit gleichermaßen auf die Durchführung wie auf den Anwendungsbereich des Unionsrechts. Art. 51 Abs. 1 GRC ist demgegenüber enger gefasst. Nach dieser Vorschrift gilt die Charta „für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei Durchführung des Rechts der Union“. Daraus ist gefolgert worden, dass die Charta eine bewusste Korrektur der Rechtsprechung vornehme. Die Unionsgrundrechte könnten nur noch dann greifen, wenn die Mitgliedstaaten in einer „agency situation“ als verlängerter Arm der Union handeln, also nur dann, wenn nationales Recht Gegenstand unionsrechtlicher Harmonisierung geworden ist.25 Der Wortlaut des Art. 51 Abs. 1 GRC ist indessen wenig aufschlussreich, da einige Sprachfassungen nicht von „Durchführung“ (Englisch: implementing), sondern – wie etwa die spanische Version – von „Anwendung“ (aplicar) sprechen.26 Auch die Entstehungsgeschichte lässt keine eindeutigen Rückschlüsse zu. Zwar wurden im Laufe der Beratungen des Grundrechtskonvents verschiedene, teils weiter gefasste Formeln erwogen, bevor im Interesse einer zurückhaltenden Grundrechtskontrolle der Begriff der „Durchführung“ gewählt wurde.27 Andererseits verweisen die Erläuterungen zu Art. 51 Abs. 1 GRC aber ohne Einschränkung auf die frühere Rechtsprechung des EuGH und verwenden die Begriffe „Anwendungsbereich“ und „Durchführung“.28 Im Fall Åkerberg Fransson29 hat der Gerichtshof nunmehr klargestellt, dass Art. 51 Abs. 1 GRC keine Einschränkung der bisherigen Rechtsprechung bezweckt. In dem betreffenden Verfahren stellte sich die Frage, ob die im schwedischen Recht bei unrichtigen Mehrwertsteuerangaben kumulativ greifenden steuerlichen und strafrechtlichen Sanktionen gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ (Art. 50 GRC) verstoßen. Die Sechste Mehrwertsteuer-RL 77/388 enthält keine spezifischen Durchsetzungsregeln, sondern nur einen allgemeinen Sanktionsauftrag. Der Gerichtshof ging dennoch davon aus, dass steuerliche Sanktionen und Strafverfahren wegen der Hinterziehung der Mehrwertsteuer als „Durchführung des Unionsrechts“ i. S. d. Art. 51 Abs. 1 GRC anzusehen sind. Zur Begründung verwies er auf die allgemeine Pflicht der Mitgliedstaaten, die Erhebung der Mehrwertsteuer zu gewährleisten und den Steuerbetrug zu bekämpfen.30 Damit bestätigt der Gerichtshof einmal mehr, dass bereits die aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgende Sanktionspflicht ausreicht, um den Anwendungsbereich Grundrechte, 2009, Rn. 256; Schaller, EuZW 2003, 666, 671 f.; Scheuing, EuR 2005, 162, 168. Andere ordnen die Rechtsprechung der Fallgruppe „Durchführung“ zu; so Prechal, REALaw 2010, 5, 8. 24   EuGH, Rs. C‑74/95 (Strafverfahren gegen X) Rn. 25 f.; Rs. C‑262/99 (Louloudakis) Rn. 67 ff.; Rs. C‑349/07 (Sopropé) Rn. 36 ff. Vgl. auch EuGH, Rs. 77/81 (Zuckerfabrik Franken) Rn.  22 – 28. 25   Cremer, NVwZ 2003, 1452 ff.; Ladenburger, FIDE 2012, 14 f. Zur Diskussion auch v. Danwitz/ Paraschas, Fordham International Law Journal 2012, 1399 ff.; Schwarze, EuR 2003, 535, 562. 26   Sarmiento, CMLR 2013, 1267, 1275 f. m. w. N. in Fn. 31. 27  Hierzu de Búrca, ELRev. 2001, 126, 136 f.; Eeckhout, CMLR 2002, 945, 954 ff. 28   Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C 303/17, 32. 29   EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 18 ff. 30   EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn.  25 – 27. Kritisch Dannecker, JZ 2013, 616, 617 f.; Rabe, NJW 2013, 1407 ff.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

des Unionsrechts zu eröffnen und eine Kontrolle nationaler Rechtsfolgen anhand der Unionsgrundrechte zu ermöglichen. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Begriff der „Durchführung“ mit dem Handeln im Anwendungsbereich des Unionsrechts deckungsgleich ist: „Die Anwendbarkeit des Unionsrechts umfasst die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte“.31 Sowohl die allgemeinen Rechtsgrundsätze (wie das Effektivitätsund das Äquivalenzgebot) als auch die Unionsgrundrechte (wie das in Art. 47 GRC verankerte Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz) sind daher anwendbar, sobald die Mitgliedstaaten im Geltungsbereich des Unionsrechts handeln, was insbesondere dann der Fall ist, wenn sie die im Unionsrecht nur unbestimmt ausgestalteten Rechtsfolgen (Rechtsbehelfe, Verfahren, Sanktionen) konkretisieren.

II. Verfahrensautonomie als notwendige Voraussetzung der mitgliedstaatlichen Unionsrechtsdurchführung Unbestritten ist, dass der Grundsatz der Verfahrensautonomie die notwendigen Voraussetzungen für eine Durchführung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten schafft. Ohne einen Rückgriff auf die Rechtsordnungen und die institutionellen Strukturen der Mitgliedstaaten wäre eine effektive Durchsetzung des Unionsrechts überhaupt nicht möglich. Ganz offensichtlich ist dies bei der administrativen Durchführung. Da die EU bislang nur in wenigen Bereichen über unionseigene Einrichtungen und Agenturen verfügt und der sog. direkte Vollzug im Übrigen einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage bedarf, die nur in wenigen Fällen vorliegt,32 muss sie auf die vorhandenen Verwaltungsstrukturen und ‑ressourcen der Mitgliedstaaten zurückgreifen. Der indirekte Vollzug durch die mitgliedstaatlichen Verwaltungen zählt insofern zu den prägenden Strukturen der Union.33 Für die judikative Durchführung gilt gleichermaßen, dass ein Rückgriff auf die nationalen Rechtsordnungen unabdingbar ist. Die in Art. 256 ff. AEUV normierten Zuständigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Union sind nicht nur begrenzt, sondern zudem abschließend geregelt. Das Primärrecht hat, wie der EuGH in ständiger Rechtsprechung betont, für den zentralen Rechtschutz ein „vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe (. . .) gewährleisten soll“.34 Dementsprechend sind in aller Regel die Mitgliedstaaten für den effektiven Schutz der durch Unionsrecht verliehenen Rechte zuständig (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV). Der nationale Richter agiert als „juge communautaire de droit commun“.35 Die einzelstaatlichen Gerichte 31

  EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 21.  Hierzu Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 1740 ff.; Streinz, Europarecht, 10. Aufl., 2016, Rn. 583 ff., 587 ff. 33   Gundel, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 3 Rn. 101. 34   EuGH, Rs. C‑50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores) Rn. 40. 35   So die französische Fassung von EuG, Rs. T‑51/89 (Tetra Pak Rausing/Kommission) Rn. 42; auf Deutsch dagegen: „Das nationale Gericht handelt (. . .) als Gericht, das normalerweise für die ­Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuständig ist“. Vgl. auch GA Léger, SchlA, Rs. C‑244/01 (Köbler) Rn. 66; GA Bot, SchlA, Rs. C‑555/07 (Kücükdevici) Rn. 55. Hierzu Kraus, EuR 2008, Beiheft 3, 109, 112 f. 32

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

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sind als „ordentliche Unionsgerichte“36 Bestandteil einer föderal-funktional erweiterten Unionsgerichtsbarkeit.37 Die nationalen Gerichte gewähren unionsrechtlichen Rechtsschutz dabei nach Maßgabe des einzelstaatlichen Prozessrechts. Ohne das nationale Prozessrecht – von der gerichtlichen Zuständigkeit über Beweisregeln bis hin zu Formvorschriften für das Urteil – wäre eine effektive Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte überhaupt nicht möglich. Der Gerichtshof erkennt daher in ständiger Rechtsprechung an, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich die Gerichtszweige, Rechtszüge und die zur Entscheidung berufenen Gerichte selbst festlegen und die nähere verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Rechtsschutzes eigenständig vornehmen können. Das Unionsrecht ist schließlich auf eine normative Durchführung in den Mitgliedstaaten angewiesen. Bestimmte Unionsrechtsakte wie Richtlinien und staatengerichtete Beschlüsse (Art. 288 Abs. 3, 4 AEUV) erfordern bereits aufgrund ihrer zweistufigen Struktur entsprechende nationale Durchführungsmaßnahmen. Im Übrigen ist – unabhängig von der Rechtsquelle – eine Anknüpfung an nationale Regeln immer dann erforderlich, wenn die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der unionsrechtlich begründeten Rechte weder im geschriebenen Unionsrecht noch durch den EuGH vollständig entwickelt sind. In diesem Fall kann dem Unionsrecht nur durch eine Ergänzung und Auffüllung durch das nationale Recht zur Durchsetzung verholfen werden. Der Grundsatz der Verfahrensautonomie respektiert nicht nur die Eigenständigkeit des innerstaatlichen Rechts und trägt den gewachsenen Rechtskulturen Rechnung. Er gewährleistet zugleich die praktische Anwendungsfähigkeit und Durchsetzbarkeit des Unionsrechts. Die Indienstnahme des nationalen Rechts erleichtert darüber hinaus die Tätigkeit der für den Vollzug verantwortlichen nationalen Rechtsanwender und stärkt zugleich die Akzeptanz des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten: Indem auf das nationale Recht zurückgegriffen wird, können zahlreiche Einzelfragen anhand der nationalen Kriterien beantwortet werden. Dem nationalen Richter wird es damit möglich, innerhalb der ihm vertrauten Kategorien zu arbeiten; er kann bei zahlreichen Detailfragen auf den reichen Fundus der nationalen Rechtsprechung zurückgreifen.38

III. Verfahrensautonomie als primärrechtlicher Grundsatz des Unionsrechts? 1. Fragestellung Welche rechtliche Bedeutung der Verfahrensautonomie zukommt, ist immer noch ungeklärt. Eine im Vordringen befindliche Ansicht sieht in der Verfahrensautonomie einen primärrechtlichen Grundsatz des Unionsrechts, der den Mitgliedstaaten eine gewisse Immunität gegenüber unionsrechtlichen Einflüssen verleiht.39 Der Grund36

  So EuGH, Gutachten 1/09 („Europäisches Patentgericht“) Rn. 80.   Rösler, Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts, 2012, S. 233. 38   So im Kontext der Staatshaftung Kischel, EuR 2005, 441, 453 f. Vgl. auch Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 85. 39   So vor allem v. Danwitz, DVBl. 1998, 421, 430 ff.; ders., Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 302 ff., 312; Lehr, Einstweiliger Rechtsschutz, 1997, S. 246 ff. 340; Becker, CMLR 2007, 1035, 1036 f.; Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 1758, 1769; König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 38 f.; im Ergebnis auch Krönke, Verfahrensautonomie, 2013, S. 18 f., 347. 37

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

satz der Verfahrensautonomie wird als bewusste konzeptionelle Entscheidung des Primärrechts zugunsten der nationalen Souveränität der Mitgliedstaaten verstanden. Infolgedessen wird eine Abwägung zwischen dem Prinzip der Verfahrensautonomie und dem Geltungsanspruch des Unionsrechts für erforderlich gehalten: Werde in den Schutzbereich der Verfahrensautonomie eingegriffen, bedürfe dies der Rechtfertigung.40 Teils wird sogar davon gesprochen, dass es sich bei der Verfahrensautonomie um eine Gewährleistung mit „grundrechtsähnlicher Struktur“ bzw. um ein „Grundrecht der Mitgliedstaaten“ (un „droit fondamental de l’État membre“) handelt.41 Andere sehen in der Verfahrensautonomie nur eine rein tatsächliche Zustandsbeschreibung bzw. die Umschreibung eines faktischen Regel-Ausnahme-Verhältnisses und bestreiten einen „Grundrechtscharakter“ bzw. „Eigenwert“ der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten.42 Nach dieser Auffassung kommt dem mitgliedstaatlichen Recht primär die Aufgabe zu, die in der Unionsrechtsordnung vorhandenen Lücken zu füllen und für eine wirksame Durchsetzung des Unionsrechts zu sorgen. Die Anwendbarkeit des nationalen Rechts steht hiernach stets unter einem Rechtfertigungsvorbehalt; seine Anwendung auf das materielle Unionsrecht ist nur zulässig, wenn das nationale Recht von den Zielvorstellungen des Unionsrechts gedeckt ist. Der Begriff der Verfahrensautonomie sei, so wird vorgetragen, eine leere Hülse, der dem Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip als Grenze unionsrechtlicher Rechtssetzung und Rechtsanwendung nichts hinzufüge.43 Der EuGH hat den Begriff der Verfahrensautonomie bislang nicht mit Inhalt gefüllt. Die eingangs vorgenommene Rechtsprechungsanalyse belegt, dass die Anforderungen an die mitgliedstaatliche Durchführung kontinuierlich verschärft worden sind.44 Gleichwohl ist zu fragen, ob diese Judikatur mit den Vorgaben des Primärrechts in Einklang steht. Mangels einer allumfassenden Kompetenz-Kompetenz der EU müssen sich sämtliche Organe der Union und mithin auch der Gerichtshof an der primärrechtlich vorgegebenen Zuständigkeitsverteilung messen lassen.45 Die vom Unionsrecht abgesteckten Kompetenzgrenzen dürfen nicht indirekt durch richterrechtlich aus dem Effektivitätsgebot abgeleitete Vorgaben umgangen werden. Der Gerichtshof darf mit anderen Worten keine Rechtssätze und Rechtsfolgen entwickeln, die nicht auch der Unionsgesetzgeber als Norm erlassen dürfte.

40   So etwa Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 31; Lehr, Einstweiliger Rechtsschutz, 1997, S. 285 ff., 402 ff. 41   So z. B. Mehdi, in: Auby/Dutheil de la Rochère (Hrsg.), Droit administratif Européen, 2007, S. 685, 687. 42  Grundlegend Kakouris, CMLR 1997, 1389 f., 1407 f.; Schroeder, AöR 129 (2004), 1, 22 ff. Ferner Gundel, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 3 Rn. 109; Lindholm, State Procedure and Union Rights, 2007, S. 102; Möllers, EuR 2002, 483, 499 f.; Trstenjak/Beysen, CMLR 2011, 95, 98 f. 43   Mir Puigpelat, Die Verwaltung 2009, Beiheft 8, S. 177, 184. So auch Bobek, in: Micklitz/Witte (Hrsg.), The European Court of Justice and the Autonomy of the Member States, 2012, S. 305 ff. 44   Supra, unter § 2. 45   Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 593; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 69 f.; Suerbaum, VerwArch 91 (2000), 169, 201 f.

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2. Gang der Darstellung Unter Zugrundelegung dieser Annahmen wird der Grundsatz der Verfahrensautonomie in mehreren Schritten konkretisiert: Zunächst wird versucht, diesen Grundsatz im Primärrecht, insbesondere in den Kompetenzvorschriften zu verorten. Dabei wird sich zeigen, dass sich die Verfahrensautonomie nicht auf ein bloßes Gebot zur Anwendung nationalen Rechts reduzieren lässt; es handelt sich vielmehr um einen echten primärrechtlichen Rechtsgrundsatz (IV.). Hieraus folgt andererseits keine Immunität des mitgliedstaatlichen Rechts gegenüber dem Unionsrecht. Der Grundsatz der Verfahrensautonomie ist vielmehr mit anderen Rechtsgrundsätzen, insbesondere mit den Grundsätzen der einheitlichen und praktischen Wirksamkeit in Ausgleich zu bringen (V.). Auch bei der Auslegung und Rechtsfortbildung des geschriebenen Unionsrechts ist der Grundsatz von Bedeutung. Anderenfalls könnte der Gerichtshof nämlich in unbegrenzter Weise ungeschriebene Rechtsfolgen konkretisieren und die für indirekte Kollisionen46 entwickelten Vorgaben umgehen (VI.). Im Ergebnis zeigt sich, dass die vom EuGH entwickelten Vorgaben der Verfahrensautonomie zwar nicht in jedem Einzelfall, jedoch prinzipiell Rechnung tragen, da die aufgestellten Prüfkriterien eine Abwägung zwischen dem Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit und der Verfahrensautonomie grundsätzlich ermöglichen (VII.).

IV. Primärrechtliche Grundlagen der Verfahrensautonomie 1. Keine Gesamtregelungskompetenz der EU zur Harmonisierung der Rechtsfolgen Der Grundsatz der Verfahrensautonomie findet seine primärrechtliche Grundlage zunächst im Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV).47 Nach diesem grundlegenden „Verfassungsprinzip“ der Union48 bedarf es für ein Tätigwerden der Union stets einer Grundlage im Primärrecht. Fehlt es an einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung an die Union, so sind weiterhin die Mitgliedstaaten für eine eigenständige Durchführung des materiellen Unionsrechts zuständig. Nach zutreffender Ansicht besteht keine Kompetenz der Union für eine umfassende Harmonisierung des Durchführungsrechts.49 Eine derartige Befugnis ergibt sich insbesondere nicht aus der allgemeinen Binnenmarktkompetenz des Art. 114 Abs. 1 S. 2 AEUV. Die Vorschrift verleiht der Union nicht das Recht, sämtliche Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Verfahrensordnungen einzuebnen. Eine Kompetenz zur Harmonisierung besteht nur insoweit, als divergierende nationale Regelungsansätze entweder eine Einschränkung der Grundfreiheiten oder eine Verfälschung des Wettbewerbs zur Folge haben.50 Auch Art. 81 AEUV kann nicht zur flächendecken46

  Zum Begriff der indirekten Kollision infra, § 4 A.V.2.b.   So bereits v. Danwitz, DVBl. 1998, 421, 430. 48  Streinz/Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2013, Art. 5 EUV Rn. 8 ff.; Art. 308 AEUV Rn. 7. 49  Für das Verwaltungs(prozess‑)recht Kahl, NVwZ 1996, 865, 866; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 2005, S. 51; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 85 f. Für das Kriminalstraf(prozess‑)recht Satzger, KritV 2008, 17 ff. Für das Zivil(prozess‑)recht Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, § 2 Rn. 1 ff., 94; W.‑H. Roth, EWS 2008, 401 ff.; ferner Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 183 ff. 50   EuGH, Rs. C‑376/98 (Deutschland/Parlament und Rat – „Tabakwerbung I“) Rn. 84, 95, 108 ff.; Rs. C‑491/01 (British American Tobacco und Imperial Tobacco) Rn. 60; Rs. C‑380/03 (Deutschland/ Parlament und Rat – „Tabakwerbung II“) Rn. 37. 47

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

den Vereinheitlichung der nationalen Zivilverfahrensrechte herangezogen werden. Die Vorschrift enthält eine Ermächtigungsgrundlage für die Angleichung oder Vereinheitlichung des internationalen Privat- und Verfahrensrechts und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit; sie ermächtigt daher nur zur Beseitigung von Hindernissen in grenzüberschreitenden Sachverhalten.51 Abstrakte, bereichsübergreifende Harmonisierungsmaßnahmen können schließlich auch nicht auf die Abrundungskompetenz des Art. 352 Abs. 1 S. 1 AEUV gestützt werden. Die Vorschrift begründet keine Kompetenz-Kompetenz, sondern hat allein die Funktion, Lücken zu schließen.52 Die Schaffung unionseinheitlicher Durchführungsvorschriften in sämtlichen Gesellschaftsbereichen wäre gerade nicht mehr mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung vereinbar.53 Da es an einer generellen Kompetenzzuweisung an die Europäische Union fehlt, ist von einer grundsätzlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auszugehen. Damit gilt ein Regel-Ausnahmeverhältnis zugunsten der Mitgliedstaaten: Soweit der Vertrag der Union nicht die Befugnis zur Harmonisierung der Rechtsfolgen zuweist, besteht die Vermutung, dass die Mitgliedstaaten eigenständig die zur Durchsetzung des Unionsrechts erforderlichen Regelungen erlassen dürfen. Das mitgliedstaatliche Recht ist deswegen aber nicht gegenüber dem Unionsrecht „immun“. Die Union verfügt immerhin über bereichsspezifische Kompetenzen, um Vorgaben für die Durchführung des Unionsrechts zu formulieren. 2. Bereichsspezifische Annexkompetenzen der Union zur Harmonisierung der Rechtsfolgen Sowohl der EuGH54 als auch das BVerfG55 gehen davon aus, dass das Unionsrecht über die ausdrücklichen Kompetenzzuweisungen hinaus ungeschriebene Kompetenzzuweisungen (implied powers) enthält.56 Implied powers können als Annexkompetenz eine Zuständigkeit der Union für die Regulierung von Durchführungsmaßnahmen begründen: Kann die Union die ihr ausdrücklich zugeteilten Kompetenzen ohne begleitende Annexregelungen nicht oder „nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise“57 ausüben, so ist die Union im 51

 Streinz/Leible, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 81 AEUV Rn. 7.   Vgl. EuGH, Gutachten 1/94 (GATS und TRIPS) Rn. 89; Gutachten 2/94 (EMRK-Beitrittt) Rn. 25, 29. 53  So v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 443 f. 54   Erstmals EuGH, Rs. 8/55 (Fédération Charbonnière de Belgique/Hohe Behörde); Rs. 20/59 (Italien/Hohe Behörde); Rs. 22/70 (AETR) Rn. 19. Grundlegend Nicolaysen, EuR 1966, 129 ff. Überblick über die „implied powers“ Rechtsprechung des EuGH vor 1985 bei Böhm, Kompetenzauslegung, 1985, S. 224 – 286. Vgl. ferner G/H/N/Nettesheim, 58. EL, 2016, Art. 1 AEUV Rn. 13 ff. 55   BVerfG, NJW 2009, 2267, 2272 (Lissabon) Rn. 237. 56   Die Begründung derartiger Kompetenzen steht nicht im Widerspruch zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, sofern im Einzelfall konkret und substantiiert dargelegt wird, dass die Notwendigkeit zur Begründung einer implizierten Kompetenz besteht, um eine ausdrücklich eingeräumte Befugnis sinnvoll ausüben zu können. Dann sind diese Kompetenzen nämlich als Bestandteil der im Sinne von Art. 5 Abs. 2 EUV übertragenen Zuständigkeiten zu begreifen. Vgl. Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung, 1991, S. 60 f.; Strese, Kompetenzen, 2006, S. 87 f. 57   Vgl. nur EuGH, Rs. 8/55 (Fédération Charbonnière de Belgique/Hohe Behörde) LS 1: „Die Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages oder eines Gesetzes enthalten zugleich diejenigen Vorschriften, bei deren Fehlen jene sinnlos wären oder nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise zur Anwendung gelangen könnten.“ 52

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

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Rahmen der jeweils einschlägigen Sachkompetenz dazu befugt, die zur Durchsetzung erforderlichen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Regelungen näher zu bestimmen. Ausgangspunkt für die Ableitung von implied powers ist demnach stets eine ausdrückliche Kompetenznorm, die durch entsprechende Auslegung für die konkrete Anwendung fruchtbar gemacht werden soll.58 Der EuGH hat Annexkompetenzen zur Regelung der Sanktionen für viele Politikbereiche anerkannt. Im sog. Schaffleisch-Fall59 entschied der Gerichtshof, dass die Europäische Gemeinschaft auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik nach Art. 40 Abs. 3, 43 Abs. 2 EWGV (jetzt Art. 40 Abs. 3, 43 Abs. 2 AEUV) Sanktionen vorschreiben kann, um Verstöße gegen das Beihilferecht zu ahnden. Die implied powers-Doktrin wurde darüber hinaus herangezogen, um eine Sanktionskompetenz des Rates auf dem Gebiet der gemeinsamen Verkehrspolitik (Art. 75 EWGV; jetzt Art. 91 AEUV)60 sowie für die Zollunion und die gemeinsame Handelspolitik (Art. 28, 113 EWGV; jetzt Art. 31, 207 AEUV)61 zu begründen. Im Wettbewerbsrecht ermächtigt das geschriebene Unionsrecht den Rat gem. Art. 103 Abs. 2 AEUV, „zweckdienliche“ sekundärrechtliche Durchführungsvorschriften festzulegen, damit die Kommission Verstöße gegen die Art. 101, 102 AEUV ahnden kann.62 Der Gerichtshof interpretiert diese Befugnis weit63 und betont zudem, dass gegenüber den Befugnissen, mit denen die Kommission in dem fraglichen Bereich ausgestattet ist, weder eine Berufung auf den Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie noch auf den der begrenzten Einzelermächtigung möglich ist.64 Besonders weitreichend sind die in der Rechtssache C‑176/0365 getroffenen Aussagen zur strafrechtlichen Annexkompetenz der EU bei mitgliedstaatlicher Durchführung des Unionsrechts. Der EuGH urteilte, dass Strafbestimmungen zur Sicherung der Wirksamkeit einer unionsrechtlichen Politik (im konkreten Fall: Umweltpolitik, Art. 175 EG, jetzt Art. 192 AEUV) nicht von ihrem Hauptregelungsgegenstand abgetrennt werden dürfen. Auch wenn das Strafrecht und Strafprozessrecht grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit der EU falle,66 sei der Unionsgesetzgeber nicht daran gehindert, „Maßnahmen in Bezug auf das Strafrecht der Mitgliedstaaten zu ergreifen, die seiner Meinung nach erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit der von ihm zum Schutz der Umwelt erlassenen Rechtsnormen zu gewährleisten, wenn die Anwendung wirk58

  Nicolaysen, EuR 1966, 129, 132; Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung, 1991, S. 59.   EuGH, Rs. C‑240/90 (Deutschland/Kommission) Rn. 11 ff. Hierzu Pache, EuR 1993, 173 ff.; Tiedemann, NJW 1993, 49. 60   EuGH, verb. Rs. 248 – 249/95 (SAM Schiffahrt und Stapf/Deutschland) Rn. 23. Vgl. auch EuGH, Rs. 97/78 (Schumalla) Rn. 4 61   EuGH, Rs. 165/87 (Kommission/Rat) Rn. 8 m. w. N. 62   Die Durchsetzung des Kartellrechts vor den nationalen Gerichten wird demgegenüber in Art. 103 AEUV nicht ausdrücklich erwähnt. Dementsprechend ist ungeklärt, ob die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 (auch) auf Art. 103 AEUV gestützt werden konnte; vgl. Bericht über das Weißbuch: Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts (2008/2154(INI)), Ausschuss für Wirtschaft und Währung, Berichterstatter Klaus-Heiner Lehne, A6-0123/2009, 11; Entschließung des Europäischen Parlaments v. 26.3.2009 zum Weißbuch: Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts (2008/2154(INI)), T‑6-0187/2009, Nr. 23. 63   Vgl. zu einstweiligen Maßnahmen der Kommission im Kartellverwaltungsverfahren etwa EuGH, Rs. 792/79 R (Camera Care) Rn. 12 ff. Zu Ermittlungsbefugnissen der Kommission siehe EuGH, Rs. 374/87 (Orkem/Kommission) Rn. 27 ff.; Rs. C‑301/04 P (Kommission/SGL Carbon) Rn. 40 ff., 68 ff. 64   EuGH, Rs. C‑550/07 P (Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission) Rn. 120. 65   EuGH, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“). 66   EuGH, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 47. 59

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

samer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen durch die zuständigen nationalen Behörden eine zur Bekämpfung schwerer Beeinträchtigungen der Umwelt unerlässliche Maßnahme darstellt“.67 Der Gerichtshof begründete damit unter Rückgriff auf die implied powers-Doktrin eine Annexkompetenz. Fällt ein bestimmter Politikbereich in die Zuständigkeit der Union, so kann der Unionsgesetzgeber die Mitgliedstaaten zur Einführung von Sanktionen verpflichten, um die volle Wirksamkeit der von ihm in diesem Bereich erlassenen Rechtsnormen zu gewährleisten. Angesichts der allgemein gehaltenen Ausführungen des EuGH ist davon auszugehen, dass eine strafrechtliche Annexkompetenz auch für andere Politikbereiche besteht.68 Unabhängig, wie man zu der Entscheidung im Einzelnen steht,69 liegt zweitens der folgende Erst-Recht-Schluss auf der Hand: Kann der Unionsgesetzgeber sogar Strafbestimmungen erlassen, um die volle Wirksamkeit sicherzustellen, so muss a maiore ad minus eine entsprechende Kompetenz für weniger einschneidende Rechtsfolgen und Sanktionen bestehen, also insbesondere für Verwaltungssanktionen und zivilrechtliche Rechtsfolgen sowie für die Ausgestaltung des gerichtlichen Zugangs, soweit sich die Angleichung der Rechtsvorschriften als notwendig für die wirksame Durchführung der Unionspolitik auf einem Gebiet erweist, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind. Für die zuvor aufgeworfene Frage nach den primärrechtlichen Grundlagen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten ergibt sich damit folgender Befund: Zwar besteht aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung die Vermutung, dass die Mitgliedstaaten die zur Durchführung erforderlichen Rechtsnormen erlassen können. Die mitgliedstaatliche Eigenständigkeit bei Durchführung des Unionsrechts wird daher primärrechtlich geschützt. Daraus folgt aber keine feste Kompetenzverteilung oder ein automatischer Vorrang des mitgliedstaatlichen Rechts. Die Zuständigkeitsverteilung hängt vielmehr von den Annexkompetenzen und der konkreten Ausgestaltung des durchzuführenden Sekundärrechts ab. Da Annexkompetenzen in vielen Bereichen bestehen, wird die Verfahrensautonomie deutlich relativiert. Zu überlegen ist daher, ob neben dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung weitere normative Anknüpfungen bestehen, die den Grundsatz der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie stärker absichern. 3. Art. 291 AEUV als Rechtsgrundlage der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie? Seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags wird der Grundsatz der Verfahrensautonomie überwiegend in der Regelung des Art. 291 AEUV verortet. Nach Abs. 1 der Vorschrift ergreifen die Mitgliedstaaten „alle zur Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union erforderlichen Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht“. Durchführungsbefugnisse dürfen der Kommission (und in Sonderfällen dem Rat) nach Abs. 2 nur dann 67   EuGH, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 48. Bestätigt durch EuGH, Rs. C‑440/05 (Kommission/Rat) Rn. 66, dort aber mit der Einschränkung, dass die „Bestimmung von Art und Maß der anzuwendenden strafrechtlichen Sanktionen (. . .) nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft“ fällt (Rn. 70). 68   Wie hier GA Mazák, SchlA, Rs. C‑440/05 (Kommission/Rat) Rn. 99; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Folgen des Urteils des Gerichtshofs vom 13. September 2005 (Rs. C‑176/03, Kommission gegen Rat), KOM (2005), 583 endg./2, S. 3. 69  Kritisch Hefendehl, ZIS 2006, 161 ff.; Heger, JZ 2006, 310, 312 f.; Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 523 ff.; Kubiciel, NStZ 2007, 136 ff.; Pohl, ZIS 2006, 213 ff.; Satzger, KritV 2008, 17, 20 ff.; Wegener/ Greenawalt, ZUR 2005, 585, 588 f. Zustimmend dagegen Böse, GA 2006, 211 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl., 2015, § 8 Rn. 31; Schäfer, JA 2006, 342, 343 f.

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per Rechtsakt übertragen werden, soweit es „einheitlicher Bedingungen für die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union bedarf“. Hieraus folgert die herrschende Lehre, dass der Grundsatz der eigenständigen Durchführung des Unionsrechts mit Art. 291 AEUV nunmehr ausdrücklich im Primärrecht der Union verankert worden sei.70 Indem Art. 291 AEUV die eigenständige Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten in Abs. 1 als Regel und die einheitliche Durchführung durch die Unionsorgane in Abs. 2 als Ausnahme ausgestaltet, werde klargestellt, dass Unterschiede beim mitgliedstaatlichen Vollzug grundsätzlich nicht zu beanstanden seien. Näher liegt demgegenüber eine Interpretation, derzufolge Art. 291 AEUV nur die institutionelle Kompetenzverteilung zwischen den Unionsorganen regelt, nicht jedoch die Verbandskompetenzen der Union im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten.71 Art. 291 Abs. 2 AEUV soll die Kommission und den Rat zum Erlass von Durchführungsmaßnahmen ermächtigen.72 In Abs. 3 ist vorgesehen, dass das Europäische Parlament und der Rat in einem Gesetzgebungsakt die Grundsätze festlegen, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren.73 Damit soll das frühere, auf der Grundlage von ex-Art. 202 EG entwickelte Komitologieverfahren neu geregelt werden.74 Die Vorschrift normiert damit in erster Linie die Übertragung der Durchführungsbefugnisse vom zuständigen Legislativorgan auf das Exekutivorgan (Kommission). Auch die systematische Stellung streitet für ein solches Verständnis.75 Die Norm steht im sechsten Teil („Institutionelle Bestimmungen und Finanzvorschriften“) des ersten Titels („Vorschriften über die Organe“) und ist im Kontext der vorstehenden Regelungen zu den Handlungsformen (Art. 288 AEUV), ordentlichen Gesetzgebungsbefugnissen (Art. 289 AEUV) und delegierten Rechtsakten (Art. 290 AEUV) als eine Bestimmung zu verstehen, die nur das institutionelle Verhältnis der Unionsorgane untereinander, also die Horizontalebene betrifft. Die besseren Argumente sprechen daher dafür, dass Art. 291 AEUV die verbandsmäßige Sachkompetenz nicht regelt, sondern vielmehr voraussetzt.76 Art. 291 Abs. 1 AEUV, wonach die Mitgliedstaaten alle zur Durchführung erforderlichen Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht ergreifen, formuliert insofern keine Kompetenz, sondern eine Pflicht zur Durchführung.77 Die Vorschrift setzt die mitgliedstaatliche Durchführung als Regelfall voraus, ohne konkrete Aussagen zur Verbandskompetenz zu treffen. 70   v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 303 f., 469; Calliess/Ruffert/Kahl, EUV/ AEUV, 4. Aufl., 2011, Art. 4 EUV Rn. 61; König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 34 ff. 71   Wie hier Stelkens, Art. 291 AEUV, 2011, S. 25 ff.; Krönke, Verfahrensautonomie, 2013, S. 62 ff. 72   Umstritten ist, ob die Durchführungsbefugnisse den Erlass abstrakt-genereller Regelungen, also die Durchführungsrechtssetzung umfasst und/oder Maßnahmen des administrativen Vollzugs; zum Meinungsstand Stelkens, Art. 291 AEUV, 2011, S. 2 ff. 73   Vgl. hierzu VO 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren. 74   Zu den Hintergründen der Reform Hofmann, ELJ 2009, 482 ff.; Peers/Costa, ELJ 2012, 427 ff. 75   Stelkens, Art. 291 AEUV, 2011, S. 25; Krönke, Verfahrensautonomie, 2013, S. 63 f. 76   GA Jääskinen, SchlA, Rs. C‑270/12 (Vereinigtes Königreich und Nordirland/Rat und Parlament), prüft dementsprechend zuerst, ob Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage für Art. 28 VO 236/2012 in Betracht kommt (Rn. 35 ff.), und erst im Anschluss die Voraussetzungen der Art. 290, 291 AEUV (Rn. 60 ff.). 77   Im Ergebnis auch Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 1740 ff., 1748.

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4. Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip Damit bleibt es bei dem zuvor beschriebenen Befund, dass die Europäische Union aufgrund der bestehenden Annexkompetenzen grundsätzlich befugt ist, Regeln zur wirksamen Durchsetzung der im Unionsrecht vorgesehenen Pflichten vorzuschreiben. Nach der Rechtsprechung müssen derartige Maßnahmen allerdings für die Durchsetzung des Unionsrechts erforderlich bzw. (soweit es sich um strafrechtliche Sanktionen handelt) „unerlässlich“ sein.78 Nicht jede Harmonisierungsmaßnahme, die eine Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten erleichtert, ist daher von den Annexkompetenzen gedeckt. Diese Einschränkungen überschneiden sich mit den Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 3 EUV), das ebenfalls zur Begründung der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie herangezogen werden kann.79 Danach ist jedes Handeln der Union außerhalb der Bereiche ausschließlicher Zuständigkeit nur dann und soweit zulässig, als die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Da sämtliche Mitgliedstaaten über mehr oder minder wirksame Rechtsdurchsetzungsmechanismen verfügen, bedarf es im Lichte des Subsidiaritätsprinzips einer besonderen Begründung dafür, warum Maßnahmen des Unionsrechts erforderlich sind.80 Zu weit führt dagegen die Auffassung, dass es mit dem Subsidiaritätsprinzip prinzipiell nicht vereinbar sei, wenn die Durchsetzung des Unionsrechts in erheblicher Weise durch die vom EuGH entwickelten Grundsätze determiniert werde.81 Aus Art. 5 Abs. 3 EUV ergibt sich kein absolut geschützter mitgliedstaatlicher Bereich, der unionsrechtlichen Einflüssen von vornherein entzogen wäre. Die Frage, ob dem Subsidiaritätsprinzip entsprochen wird oder nicht, lässt sich immer nur für einen konkreten Bereich, nicht aber in allgemeiner Weise beantworten,82 zumal den Unionsorganen grundsätzlich ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt.83 Die Verfahrensautonomie lässt sich schließlich im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 4 EUV) verorten.84 Während das Subsidiaritätsprinzip in einem ersten Schritt darüber entscheidet, ob die Union in einem bestimmten Bereich überhaupt handeln darf, grenzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in einem zweiten Schritt die 78   EuGH, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 48. Seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags: Art. 83 Abs. 2 S. 1 AEUV. Der genaue Gehalt des Kriteriums „unerlässlich“ ist ungeklärt; Einigkeit besteht darüber, dass damit mehr als nur „Erforderlichkeit“ gemeint ist; G/H/N/ Vogel/Eisele, 58. EL, 2016, Art. 83 AEUV Rn. 92 ff. Vgl. ferner BVerfG, NJW 2009, 2267, 2288 (Lissabon) Rn. 361. 79   In diesem Sinne G/H/N/v. Bogdandy/Schill, 58. EL, 2016, Art. 4 EUV Rn. 81; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 110 ff.; Potacs, EuR 2004, 595, 597. 80   Zu dieser Begründungspflicht im Allgemeinen EuGH, Rs. C‑233/94 (Deutschland/Parlament und Rat) Rn. 24, 28; Rs. C‑491/01 (British American Tobacco und Imperial Tobacco) Rn. 177 ff. 81   So jedoch Hölscheidt, EuR 2001, 376, 395. 82   Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362, 410. 83   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑84/94 (Vereinigtes Königreich und Nordirland/Rat – „Arbeitszeitgestaltungs-RL“) Rn. 47, 58; Rs. C‑58/08 (Vodafone u. a. – „Roaming-VO“) Rn. 72 ff. 84   So insbesondere Krönke, Verfahrensautonomie, 2013, S. 77 ff. Vgl. auch GA Maduro, SchlA, Rs. C‑58/08 (Vodafone u. a.) Rn. 44: „Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat der Gerichtshof außerdem zu beurteilen, ob der Umstand, dass die Gemeinschaft die Ziele der betreffenden Maßnahme besser zu erreichen vermag, den Verlust der mitgliedstaatlichen Autonomie, der mit der vom Gesetzgeber gewählten Lösung verbunden ist, rechtfertigen kann.“

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Art und Weise der Kompetenzausübung ein. Nach ständiger Rechtsprechung müssen unionsrechtliche Maßnahmen, insbesondere Sanktionen, zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein.85 Nach dem Kriterium der Erforderlichkeit ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen.86 Die betreffenden Sanktionen müssen ferner in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen: „Insbesondere ist zu prüfen, ob die Sanktion, die mit der streitigen Vorschrift zur Erreichung des verfolgten Zweckes eingesetzt wird, der Bedeutung dieses Zweckes entspricht und ob die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen“.87 Je nach Sachbereich, angestrebtem Ziel und betroffenen Rechtsgütern können Maßnahmen unterschiedlicher Intensität gerechtfertigt sein. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich daher keine feste Kompetenzverteilung entnehmen.88 5. Zwischenergebnis Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten ist auch nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags nicht ausdrücklich im Primärrecht verankert worden. Der Grundsatz kann jedoch aus der primärrechtlichen Verteilung der Rechtssetzungs- und Vollzugskompetenzen hergeleitet werden. Er findet seine normative Grundlage im Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AEUV) sowie in den Prinzipien der Subsidiarität (Art. 5 Abs. 3 EUV) und der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 4 EUV). Alle drei Prinzipien weisen den Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts keinen absolut geschützten Kernbereich zu, der gegenüber europäischen Einflüssen immun wäre. Der Unionsgesetzgeber ist befugt, die zur Durchsetzung unionsrechtlicher Verhaltensgebote erforderlichen Sanktionen, Rechtsbehelfe und Verfahren näher zu konkretisieren, wenn und soweit (i) eine entsprechende Annexkompetenz besteht, (ii) die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und (iii) die Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit beachtet werden. Auch dem EuGH kann daher nicht a priori die Verbandskompetenz abgesprochen werden, im Wege der Rechtsfortbildung Vorgaben für die Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten zu entwickeln.89 Aus der Verfahrensautonomie folgt dementsprechend keine feste Kompetenz der Mitgliedstaaten oder ein automatischer Vorrang mitgliedstaatlicher Regeln im Bereich der Durchführung. Der Grundsatz umschreibt vielmehr eine Kompetenzvermutung zugunsten der Mitgliedstaaten, die – bei Beachtung der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit – unionseinheitlichen Regelungen nicht entgegensteht. 85  EuGH, Rs. 265/87 (Schräder) Rn. 21; verb. Rs. C‑133, 300  & 362/93 (Crispoltoni) Rn. 41; Rs. C‑354/95 (National Farmers’ Union u. a.) Rn. 49. Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 EUV erwähnt nur das Kriterium der Erforderlichkeit. Nach der EuGH-Rechtsprechung besteht jedoch kein Zweifel, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf dem dreistufigen Prüfungsmaßstab der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit basiert; Trstenjak/Beysen, EuR 2012, 265, 270. 86   EuGH, Rs. 265/87 (Schräder) Rn. 21; Rs. C‑343/09 (Afton Chemical) Rn. 45; Rs. C‑15/10 (Etimine) Rn. 124; Rs. C‑150/10 (Beneo-Orafti), Rn. 75. 87   EuGH, Rs. C‑356/97 (Molkereigenossenschaft Wiedergeltingen) Rn. 36 m. w. N. 88  Ausführlich infra, § 11 B.IV. 89   Von der Verbandskompetenz zu trennen ist die Organkompetenz, also die Frage, in welchem Umfang der EuGH im Verhältnis zum Unionsgesetzgeber befugt ist, Regeln für die Durchsetzung des Unionsrechts im Wege der Rechtsfortbildung aufzustellen; hierzu infra, § 4 A.VI.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

V. Einheitliche Wirksamkeit des Unionsrechts vs. mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten ist, wie der Gerichtshof bereits im Fall Deutsche Milchkontor90 hervorgehoben hat, mit den Grundsätzen der einheitlichen Anwendung und Wirksamkeit in Einklang zu bringen. 1. Einheitliche Anwendung und Wirksamkeit als prinzipielle Forderungen des Unionsrechts Die Grundsätze der einheitlichen Anwendung und Wirksamkeit gehören zu den zentralen Prinzipien des Unionsrechts.91 Zwar werden diese Grundsätze in den Verträgen nicht ausdrücklich angesprochen. Der EuGH rekurriert aber in vielen Entscheidungen auf beide Maximen. Nach ständiger Rechtsprechung darf die Anwendung nationalen Rechts nicht die „einheitliche Anwendung“ des Unionsrechts und auch nicht die „praktische Wirksamkeit“ (effet utile) der zu seinem Vollzug ergangenen Maßnahmen beeinträchtigen.92 Hinter dieser Formulierung verbergen sich zwei Prinzipien, die eng miteinander verknüpft sind.93 Nach dem Grundsatz der einheitlichen Anwendung muss das Unionsrecht in allen Mitgliedstaaten die gleiche Tragweite besitzen. Die Bestimmungen des Unionsrechts müssen „ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an und während der gesamten Dauer ihrer Gültigkeit entfalten“.94 Dieses Postulat wird durch den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit (effet utile) ergänzt. Die Mitgliedstaaten müssen die gleichmäßige Anwendung des Unionsrechts nicht nur in formaler, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht gewährleisten. Sie haben dafür zu sorgen, dass der Zweck unionsrechtlicher Vorschriften nach Möglichkeit erreicht wird.95 Beide Prinzipien werden im Schrifttum unter dem Oberbegriff des Grundsatzes der einheitlichen Wirksamkeit zusammengefasst.96 Zwar hat sich diese Terminologie in der Rechtsprechung bislang nicht durchgesetzt. Beide Postulate werden in der Judikatur aber in aller Regel argumentativ miteinander verbunden, um grundlegende Prinzipien oder bestimmte Auslegungsergebnisse zu begründen.97 Sie beruhen 90

  EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 17.   Der Gerichtshof bezeichnet die einheitliche Anwendung zuweilen als „ein Grunderfordernis der gemeinschaftlichen Rechtsordnung“; EuGH, verb. Rs. C‑143/88 und C‑92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest) Rn. 26; verb. Rs. C‑453/03, C‑11, 12 & 194/04 (ABNA u. a.) Rn. 104. Vgl. auch Oppermann, DVBl. 1994, 901, 906 (Grundsatz der einheitlichen Geltung und Anwendung ist „Herzstück“ der Gemeinschaftsrechtsordnung). 92   Vgl. EuGH, Rs. 14/68 (Walt Wilhelm) Rn. 4; Rs. C‑441/93 (Pafitis) Rn. 68 f.; Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 22; Rs. C‑14/04 (Dellas u. a.) Rn. 44; Rs. C‑437/05 (Vorel) Rn. 26; verb. Rs. C‑444 & 456/09 (Gavieiro Gavieiro und Iglesias Torres) Rn. 43. 93   Zum Folgenden auch Nettesheim, in: GS Grabitz, 1995, S. 447, 454 ff.; Schroeder, AöR 129 (2004), 3, 14 ff. 94   EuGH, Rs. 106/77 (Simmenthal II) Rn. 14/16. Noch deutlicher wird in der englischen Fassung des Urteils von der Verpflichtung gesprochen, die Regeln des Unionsrechts „fully and uniformly“ anzuwenden. 95  Zum effet utile bereits supra, § 2 A.II. 96  Grundlegend Nettesheim, in: GS Grabitz, 1995, S. 447, 454 ff. Im Anschluss auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 36 ff.; Schroeder, AöR 129 (2004), 3, 14 ff.; Krönke, Verfahrensautonomie, 2013, S. 185 ff. 97   Siehe auch Schroeder, AöR 129 (2004), 3, 14. 91

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

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zudem auf denselben normativen Grundlagen.98 Sie sind zu allererst Ausdruck des Gebots der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV).99 Daneben lassen sie sich mit der Gleichheit der Unionsbürger vor dem Gesetz, also mit dem Gebot der Nichtdiskriminierung begründen.100 Schließlich können die Gebote der einheitlichen Anwendung und praktischen Wirksamkeit auch als Ausdruck der Lastengleichheit zwischen den Mitgliedstaaten verstanden werden.101 2. Kollision des Grundsatzes der einheitlichen Wirksamkeit mit mitgliedstaatlichem Durchführungsrecht a) Konfliktlagen Die Durchführung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten steht im Spannungsverhältnis zu den Grundsätzen der einheitlichen Anwendung und Wirksamkeit des Unionsrechts. Der Rückgriff auf einzelstaatliche Normen hat in rechtlicher Hinsicht zur Folge, dass die Rechtslage von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ist. Löst ein Verstoß gegen eine unionsrechtlich vorgesehene Verhaltenspflicht in den verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedliche Rechtsfolgen aus, wird die einheitliche Wirkung der betreffenden Unionsnormen zweifellos in Frage gestellt. Die Durchführung des Unionsrechts durch die mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte führt zudem in tatsächlicher Hinsicht dazu, dass das Unionsrecht nicht in allen Mitgliedstaaten mit derselben Effektivität durchgesetzt wird. Unterschiedliche Sanktionen und Rechtsbehelfe können zu Wettbewerbsverzerrungen führen und nachteilige Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben.102 Nicht vereinheitlichte Rechtsbehelfe und Sanktionen führen im grenzüberschreitenden Verkehr auch zu Koordinationsproblemen.103 Insbesondere besteht die Gefahr, dass in grenzüberschreitenden Fällen die jeweiligen nationalen Sanktionsinstrumente kumulativ angewendet werden und eine unverhältnismäßige Vervielfachung der Sanktionen stattfindet. Weitergehende Bedenken ergeben sich aus der Perspektive des rechtsstaatlichen Gleichheitsgebots. Die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgestalteten Rechtsschutzsysteme bedrohen nicht nur die Herstellung des einheitlichen Binnenmarkts, sondern widersprechen unter Umständen auch dem Gebot, dass allen Unionsbürgern in der Europäischen Union gleicher Rechtsschutz zu gewähren ist.104 Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit beansprucht allerdings keine absolute Geltung. Da das Unionsrecht auf die administrative, judikative und normative  98

  Krönke, Die Verfahrensautonomie, 2013, S. 187.   EuGH, Rs. 6/64 (Costa/ENEL); Rs. 33/76 (Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral) Rn. 5; v. Bogdandy, in: GS Grabitz, 1995, S. 17, 21; Schwarze/Hatje, EU‑Kommentar, 3. Aufl., 2012, Art. 4 EUV Rn. 28 f.; Streinz/Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 4 EUV Rn. 33; Temple Lang, EL.Rev. 2001, 84 ff. 100   Vgl. EuGH, Rs. 94/71 (Schlüter) Rn. 11; Rs. 39/72 (Kommission/Italien) Rn. 24. Ferner Hatje, EuR, Beiheft 1/1998, 7 ff.; Schermers/Pearson, in: FS Steindorff, 1990, S. 1359, 1370. 101  Vgl. EuGH, Rs. 265/78 (Ferwerda) Rn. 8; siehe auch Schwarze/Hatje, EU‑Kommentar, 3. Aufl., 2012, Art. 4 EUV Rn. 29; Groh, Die Auslegungsbefugnis des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, 2005, S. 44 f. 102  Dazu infra, § 11 A.III. 103  Dazu infra, § 11 A.IV. 104   Dougan, National Remedies, 2004, S. 86 ff.  99

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Durchführung in den Mitgliedstaaten angewiesen ist, wird uneinheitliches Recht bewusst in Kauf genommen. Teilweise relativiert das Unionsrecht sogar selbst den Grundsatz der einheitlichen Anwendung. So stellt der AEUV dem Unionsgesetzgeber mit der Richtlinie eine Handlungsform zur Verfügung, die für jeden Mitgliedstaat zwar hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, ihnen jedoch die Wahl der Form und der Mittel überlässt.105 Auch dies verdeutlicht, dass das Gebot der einheitlichen Wirksamkeit kein absolutes, sondern ein relatives Prinzip ist, das mit gegenläufigen Grundsätzen abgewogen werden muss. b) Direkte und indirekte Kollisionen Um die zwischen Unionsrecht und nationalem Recht auftretenden Konfliktlagen besser erfassen zu können, wird im Schrifttum zwischen direkten und indirekten Kollisionen unterschieden.106 Von einer direkten Kollision ist die Rede, wenn Unionsrecht und nationales Recht auf demselben Rechtsgebiet Regelungen mit einander widersprechenden Rechtsfolgen getroffen haben. Dieser Fall ist unproblematisch. Ist die betreffende Unionsnorm unmittelbar wirksam, so führt der Anwendungsvorrang zur Unanwendbarkeit der nationalen Bestimmung. Von einer indirekten Kollision wird dagegen bei jeder sonstigen Beeinträchtigung der Wirksamkeit des Unionsrechts durch nationale Rechtsakte gesprochen. Kennzeichnend für diese Kollisionsform ist, dass die von einer materiellen Unionsnorm angestrebte (aber nicht ausdrücklich geregelte) Rechtsfolge durch das nationale Recht eingeschränkt wird. Unterschiedlich wird die Frage beantwortet, welche rechtlichen Konsequenzen aus dieser Differenzierung folgen. Zum Teil wird davon ausgegangen, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nur bei direkten Kollisionen greife; eine indirekte Kollision könne den Anwendungsvorrang demgegenüber nicht auslösen, da hier nur eine mittelbare Beeinträchtigung des Unionsrechts gegeben sei.107 In die gleiche Richtung geht die Behauptung, dass Unionsrecht und nationales Recht im Bereich der Rechtsfolgen lediglich zusammenwirken, ohne dass beide Rechtsordnungen miteinander kollidieren könnten; die eine Rechtsordnung könne die andere nicht verdrängen, beide könnten vielmehr nur ergänzend anwendbar sein.108 105   Schroeder, AöR 129 (2004), 3, 17; Krönke, Verfahrensautonomie, 2013, S. 199 f. Zum Grundsatz der Verfahrensautonomie bei Auslegung von Richtlinien infra, §  4 A.VI.4. – 5. 106  Erstmals Komendera, Normenkonflikte zwischen EWG- und BRD-Recht, 1974, S. 3. Im Anschluss Huthmacher, Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei indirekten Kollisionen, 1983, S. 134 ff.; Weber, EuR 1986, 1, 3; Jarass, DVBl. 1995, 954, 959 f.; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 114 ff.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 23 ff.; Schroeder, AöR 129 (2004), 3, 25 ff. Aus dem englischsprachigen Schrifttum vgl. Cross, CMLR 1992, 447, 463, der von „direct conflict“ und „obstacle conflict“ spricht. Der Gerichtshof hat diese Unterscheidung bislang nicht ausdrücklich aufgegriffen, jedoch in einigen Entscheidungen indirekt bestätigt; vgl. EuGH, verb. Rs. C‑392 & 422/04 (i‑21 Germany und Arcor) Rn. 49 f.; hierzu Kruis, Anwendungsvorrang, 2013, S. 100. 107  So Streinz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, 1992, § 182 Rn. 27; Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996, S. 23, 47. Vgl. auch Aubin, Die Haftung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten, 1982, S. 55, demzufolge die logische Trennung von materiellem Unionsrecht und nationalem Prozessbzw. Haftungsrecht zu einer fehlenden Kollisionsfähigkeit der beiden Rechtsbereiche führen soll. 108  So Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 120 f., zur Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Abgaben. Ähnlich v. Danwitz, DVBl. 1998, 421, 422, der das Aufeinandertreffen von Unionsrecht und nationalem Recht ganz bewusst als „Begegnung“ und nicht als Kollision bezeichnet.

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Andere vertreten die These, dass sich das Unionsrecht bei indirekten Kollisionen nicht in jedem Falle, sondern erst nach einer Abwägung gegenüber dem nationalen Recht durchsetzt.109 Während der Anwendungsvorrang bei einer direkten Kollision als Regel wirke, lege das Unionsrecht bei indirekten Kollisionen nur Rahmenbedingungen fest, denen das staatliche Recht genügen müsse. Das Unionsrecht habe damit bloßen Prinzipiencharakter und könne nicht direkt mit dem nationalen Recht kollidieren. Die für die Durchführung des Unionsrechts geltenden Prinzipien müssten daher gegenüber dem nationalen Recht im Wege der praktischen Konkordanz abgewogen werden. Beiden Auffassungen ist zu widersprechen. Der Anwendungsvorrang gilt auch im Falle einer indirekten Kollision.110 Zwar ist bei indirekten Kollisionen regelmäßig danach zu fragen, welche mitgliedstaatlichen Handlungs- und Unterlassungspflichten mit Blick auf die konkrete Unionsrechtsbestimmung bestehen. Die allgemeinen, für die Durchführung des Unionsrechts geltenden Grundsätze des Unionsrechts sind insoweit im Einzelfall weiter zu präzisieren. Nur wenn dies gelingt, kann festgestellt werden, ob nationales Recht mit dem Unionsrecht kollidiert. Die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Kollisionen ist daher berechtigt, denn sie verdeutlicht, dass eine Kollision aufgrund der Abstraktheit der unionsrechtlichen Vorgaben nicht von vornherein feststeht, sondern erst noch zu ermitteln ist.111 Die Typologie hat indessen nur analytische Bedeutung. Weitergehende Folgerungen können aus dieser Unterscheidung nicht hergeleitet werden. Die Feststellung, dass eine indirekte Kollision vorliegt, sagt insbesondere nichts darüber aus, nach welchen Maßstäben der Konflikt zwischen nationalem Recht und Unionsrecht letztlich aufgelöst werden muss. Auch der Anwendungsvorrang wird nicht relativiert: Steht fest, dass die mitgliedstaatliche Durchführung gegen unionsrechtliche Prinzipien, wie z. B. die Grundsätze der Effektivität oder Äquivalenz verstößt, so greift der Vorrang des Unionsrechts ohne Einschränkung. 3. Einheitliche Wirksamkeit als eigenständige Grenze der nationalen Gestaltungsfreiheit? Der Geltungsanspruch des Unionsrechts ließe sich am besten verwirklichen, wenn nationales Recht nicht nur am Maßstab des Effektivitätsgebots gemessen werden könnte, sondern einer generellen Kontrolle nach dem Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit unterläge. Der Grundsatz der Effektivität begrenzt zwar die Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten und wirkt somit auf eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts hin. Er vermag jedoch nicht die Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu beseitigen, denn ein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot liegt erst dann vor, wenn nationales Recht die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte praktisch unmöglich macht oder zumindest übermäßig erschwert.112 Das Effektivitätsgebot sorgt daher nur für einen unionsweit ein109

  Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 27, 31 ff., 46 ff., 486 ff.   Ehlers, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 11 Rn. 42; Jarass/ Beljin, NVwZ 2004, 1, 5; Kruis, Anwendungsvorrang, 2013, S. 101 f.; Lange, Erstattung, 2008, S. 124 f.; Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV Rn. 43. 111   Ehlers, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 11 Rn. 42. 112   So die Formulierung seit EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 14. 110

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heitlichen Mindesteffektivitätsstandard.113 Das Äquivalenzgebot perpetuiert sogar die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede.114 Nach diesem Gebot darf ein Kläger, der eine unionsrechtlich begründete Rechtsposition einklagt, nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der ein vergleichbares mitgliedstaatlich verliehenes Recht geltend macht. Gewährt das nationale Recht einen im Vergleich zum Unionsrecht weitergehenden Rechtsschutz, so darf dieser nicht nur für rein innerstaatliche Klagen gelten. Vielmehr muss das (unter Umständen nur in diesem Mitgliedstaat geltende) höhere Rechtsschutzniveau gleichermaßen für rein nationale wie unionsrechtlich determinierte Klagen gelten. Eine Überprüfung des nationalen Rechts am Erfordernis der einheitlichen Wirksamkeit hätte einen weitaus größeren Harmonisierungseffekt. Interpretiert man diesen Grundsatz als rechtlich verbindliches Optimierungsgebot, stünde nahezu jede Vorschrift des innerstaatlichen Rechts auf dem Prüfstand.115 Denn letztlich beeinflusst jede innerstaatliche Norm in irgendeiner Weise die empirische Wirksamkeit des Unionsrechts. Der EuGH hätte unter Zugrundelegung eines solchen Ansatzes die Möglichkeit, unionseinheitliche Kriterien für die Ausgestaltung der Rechtsbehelfe, Verfahren und Sanktionen zu entwickeln. Bisweilen wird im Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit tatsächlich eine eigenständige Grenze der nationalen Gestaltungsfreiheit gesehen.116 Weitergehend findet sich im Schrifttum die These von der Untrennbarkeit von subjektivem Recht (right) und Rechtsbehelf (remedy):117 Die Gewährung eines subjektiven Rechts soll hiernach untrennbar mit der inhaltlichen Ausgestaltung der Ansprüche im Fall seiner Verletzung verbunden sein. Dementsprechend müsse, wenn das subjektive Recht selbst aus dem Unionsrecht folge, auch die Definition seiner Konturen über die aus ihm fließenden Ansprüche dem Unionsrecht obliegen, da der Inhalt des unionsrechtlich begründeten Rechts überall in der Union einheitlich sein müsse. Auch der EuGH überprüft nationales Durchführungsrecht gelegentlich am Maßstab des Gebots einheitlicher Wirksamkeit. So entwickelte der Gerichtshof etwa im Urteil Zuckerfabrik Süderdithmarschen118 unionseinheitliche Kriterien für den vorläufigen Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten. Zur Begründung führte der EuGH an, dass die einheitliche Anwendung ein „Grunderfordernis der gemeinschaftlichen Rechtsordnung“ sei. Hieraus folge, dass „jedenfalls für die Aussetzung der Vollziehung von auf einer Gemeinschaftsverordnung beruhenden Verwaltungsakten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, das hinsichtlich der Antragstellung und der Sachverhaltsfeststellung dem nationalen Verfahrens113   Weyer, EuR 2000, 145, 148 f. Vgl. auch Mäsch, EuR 2003, 825, 843 (Kontrolle verhindert nur die „größten Auswüchse“). 114  Hierzu infra, § 4 D.IV. 115   Zu dieser Überlegung Nettesheim, in: GS Grabitz, 1995, S. 447, 463 ff.; Franzen, Privatrechtsvereinheitlichung, 1999, S. 36 ff. 116   So für verfahrensrechtliche Vorschriften insb. die spanische und griechische Regierung im Fall van Schijndel, vgl. GA Jacobs, SchlA, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel und van Veen) Rn. 23; sowie die Europäische Kommission in EuGH, Rs. C‑473/00 (Cofidis) Rn. 31. 117   Mäsch, EuR 2003, 825, 845 f. (für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche). Vgl. auch Nazzini, in: Barnard/Odudu (Hrsg.), The Outer Limits of European Union Law, 2009, S. 401, 407 ff. 118   EuGH, verb. Rs. C‑143/88 und C‑92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest). Zur Entscheidung bereits supra, § 3 D.II.1.b.

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recht unterliegt, in allen Mitgliedstaaten einheitliche Regeln gelten müssen“.119 Die in Zuckerfabrik aufgestellten Grundsätze lassen sich aber nicht generalisieren.120 Sie betreffen eine spezifische Konstellation, nämlich den Rechtsschutz gegen vermeintlich primärrechtswidriges Unionsrecht. Bei Gültigkeitsvorlagen besteht ein besonderes Interesse an einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts. Allein der Gerichtshof besitzt die Befugnis, Unionsrecht für ungültig zu erklären.121 Da Meinungsverschiedenheiten zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten über die Gültigkeit von Unionsrechtsakten geeignet wären, die Einheit der Unionsrechtsordnung selbst zu gefährden und das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit zu beeinträchtigen,122 dürfen die Maßstäbe für die Suspendierung des Sekundärrechts nicht in Abhängigkeit zum anwendbaren nationalen Recht variieren. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten muss daher zugunsten des Gebots der einheitlichen Wirksamkeit zurückgedrängt werden. Diese Überlegungen lassen sich nicht auf den Rechtsschutz zur Abwehr möglicherweise unionsrechtswidrigen nationalen Rechts übertragen.123 Geht es um die Gültigkeit einer nationalen Maßnahme, die per definitionem nur in einem Mitgliedstaat Anwendung findet, so besteht kein Grund, von der allgemeinen Regel der Verfahrensautonomie abzuweichen.124 Daher bestimmt sich, wie der EuGH in Unibet125 klargestellt hat, vornehmlich nach der nationalen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, unter welchen Voraussetzungen vorläufige Maßnahmen zum Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährt werden können. 4. Bewältigung des Konflikts zwischen einheitlicher Wirksamkeit und Verfahrensautonomie über das Effektivitätsgebot Aus dem Interesse an einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts ergeben sich somit keine eigenständigen Anforderungen an die Ausgestaltung der Rechtsbehelfe und Verfahren.126 Der Gerichtshof löst den Konflikt zwischen dem Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit und der nationalen Verfahrensautonomie vielmehr über das Effektivitätsgebot. Soweit es an einer einschlägigen Unionsregelung fehlt, sind die sich aus der Anwendung mitgliedstaatlichen Rechts ergebenden Unterschiede grundsätzlich hinzunehmen. Der Schutz der unionsrechtlich begründeten Rechte verlangt, wie der Gerichtshof verschiedentlich hervorgehoben hat, „nicht unbedingt eine einheitliche, allen Mitgliedstaaten gemeinsame Regelung der formellen und materiellen Voraus119   EuGH, verb. Rs. C‑143/88 und C‑92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest) Rn. 26. Bestätigt durch EuGH, Rs. C‑465/93 (Atlanta Fruchthandelsgesellschaft) Rn. 39; Rs. C‑453/03, C‑11, 12 & 194/04 (ABNA u. a.) Rn. 104. 120   A. A. Mäsch, EuR 2003, 825, 842 f. 121   EuGH, Rs. 314/85 (Foto Frost) Rn. 20. 122   So EuGH, Rs. C‑344/04 (International Air Transport Association u. a.) Rn. 27. 123   Zur früheren Diskussion vgl. Dougan, National Remedies, 2004, S. 323 f. 124   GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 93. 125   EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn.  79 – 82. Kritisch Arnull, CMLR 2007, 1763, 1777 f. 126   Wie hier EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 79 – 82; GA Jacobs, SchlA, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel und van Veen) Rn. 45; GA Kokott, SchlA, Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands) Rn. 86; Weyer, ZEuP 1999, 424, 440 f.; Herb, Zivilprozess, 2007, S. 192 f.

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setzungen“.127 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Prinzip der Nichtdiskriminierung. Der Tatbestand einer Diskriminierung wird nicht etwa schon dadurch erfüllt, dass unterschiedliche Mitgliedstaaten unterschiedliche Regelungen anwenden.128 Kommt es tatsächlich zu Wettbewerbsverzerrungen oder zu einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot, respektiert der Gerichtshof die ihm zugewiesenen Organkompetenzen: „Sollte sich im Übrigen herausstellen, dass Verschiedenartigkeiten der nationalen Rechtsvorschriften geeignet sind, die Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer der verschiedenen Mitgliedstaaten zu gefährden, Verzerrungen hervorzurufen oder das Funktionieren des gemeinsamen Marktes zu beeinträchtigen, so wäre es Aufgabe der zuständigen Gemeinschaftsorgane, die erforderlichen Bestimmungen zu erlassen, um diese Unterschiede auszuräumen.“129

Die Mitgliedstaaten sind dementsprechend – in Übereinstimmung mit dem primärrechtlichen Grundsatz der Verfahrensautonomie – befugt, die zur Durchführung des Unionsrechts erforderlichen Rechtsnormen zu setzen und anzuwenden. Die in Rewe, Comet und Deutsche Milchkontor entwickelten Grundsätze überlassen den Mitgliedstaaten einen erheblichen Spielraum zur Durchführung des Unionsrechts. Innerhalb dieses Bereichs können die Mitgliedstaaten frei entscheiden, welche Rechtsbehelfe und Verfahren sie für erforderlich und angemessen halten. Die gewährte Gestaltungsfreiheit wird erst dann begrenzt, wenn ein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot (oder andere Rechtsgrundsätze) vorliegt. Das Effektivitätsgebot lässt sich demzufolge als ein Instrument verstehen, mit welchem der EuGH versucht, einen Ausgleich zwischen dem Erfordernis einheitlicher Wirksamkeit und der Verfahrensautonomie herzustellen.130 Das Gebot erweist sich mit seiner herkömmlichen Definition, wonach ein Verstoß erst dann vorliegt, wenn die Durchsetzung der Unionsrechte übermäßig erschwert oder sogar praktisch unmöglich wird, als hinreichend flexibel und wertungsoffen, um eine Abwägung zwischen der Verfahrensautonomie und dem Erfordernis einer einheitlichen Wirksamkeit im Einzelfall zu ermöglichen. Ob der Gerichtshof der Verfahrensautonomie bei Anwendung des Effektivitätsgebots immer ausreichend Rechnung trägt, ist an dieser Stelle noch nicht zu diskutieren. Erst eine detaillierte, im Rahmen des dritten Teils dieser Untersuchung durchzuführende Analyse kann klären, ob in den Fällen, in denen der Gerichtshof die Verfahrensautonomie stark eingeschränkt hat, besondere Umstände vorlagen, die einen weitgehenden Eingriff rechtfertigten und einer Prüfung im Lichte des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung sowie des Subsidiaritätsund Verhältnismäßigkeitsprinzips standhalten. Die vom EuGH für die Durchführung des Unionsrechts entwickelten Vorgaben tragen der Forderung eines angemessenen 127   So im Kontext der Rückerstattung unionsrechtswidrig erhobener Abgaben EuGH, Rs. 61/79 (Denkvit Italiana) Rn. 22; ähnlich EuGH, Rs. 811/79 (Ariete) Rn. 16; Rs. 130/79 (Express Dairy Foods) Rn. 12. 128   EuGH, Rs. 14/68 (Walt Wilhelm) Rn. 13 (zu Art. 7 EWGV); Rs. 126/82 (Smit Transport) Rn. 27 (zu Art. 7 EWGV); Rs. 223/86 (Pesca Valentia) Rn. 18 (zu Art. 7 EWGV); Rs. C‑44/94 (Fishermen’s Organisations u. a.) Rn. 45 (zu Art. 6 EGV); Rs. C‑177/94 (Perfili) Rn. 17 (zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit). Allgemein EuGH, Rs. C‑428/07 (Horvath) Rn. 55. 129   EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 24. 130  Ähnlich Krönke, Verfahrensautonomie, 2013, S. 229 ff., 239 f. Im Ergebnis auch v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 311: Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz belegt, dass gemeinschaftsrechtliche Einwirkungen auf das mitgliedstaatliche Verfahrensrecht einer Rechtfertigung bedürfen und nur innerhalb bestimmter Grenzen zulässig sind.

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

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Ausgleichs jedenfalls prinzipiell Rechnung, da die von ihm aufgestellten Kriterien eine Regelvermutung zugunsten der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie enthalten und über das Effektivitätsgebot eine sachgerechte Abwägung ermöglichen.

VI. Mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie und Auslegung des Unionsrechts Das zuvor skizzierte Verhältnis zwischen mitgliedstaatlicher Verfahrensautonomie und unionsrechtlichen Vorgaben ist insoweit unvollständig, als bislang nur auf die Situation eingegangen wurde, dass das Unionsrecht keine einschlägige Regelung für die Durchführung des Unionsrechts enthält. Andere Maßstäbe gelten, wenn die Rechtsfolgen mitgeregelt werden. In diesem Fall ist das mitgliedstaatliche Recht nicht anhand der für indirekte Kollisionen entwickelten Vorgaben zu überprüfen. Die autonom ermittelten Vorgaben beanspruchen vielmehr einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten Geltung, ohne dass den Mitgliedstaaten ein Gestaltungsspielraum eröffnet wäre. Die Grenze zwischen direkten und indirekten Kollisionen ist freilich fließend (1.). Daher ist zu untersuchen, inwieweit der EuGH die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie im Rahmen der Auslegung und Rechtsfortbildung131 zu berücksichtigen hat (2. – 3.). Insbesondere bei unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln im Unionsrecht stellt sich die Frage, ob der EuGH oder die Mitgliedstaaten zur Konkretisierung und Lückenfüllung berufen sind (4. – 5.). 1. Fließender Übergang zwischen direkter und indirekter Kollision Zwischen einer direkten und einer indirekten Kollision lässt sich häufig keine genaue Grenzlinie ziehen. Dies liegt daran, dass eine klare Abgrenzung zwischen der impliziten Mitregelung einer Rechtsfrage und ihrer Nichtregelung nahezu unmöglich ist. Drei Beispiele illustrieren diesen Befund. Im Fall T‑Mobile Netherlands132 ging es um die Frage, in welchem Umfang das Konzept der „abgestimmten Verhaltensweise“ im Sinne des Art. 101 AEUV durch unionsrechtliche Vorgaben determiniert wird. Voraussetzung für das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise ist, dass zwischen der Abstimmung und dem Marktverhalten ein Kausalzusammenhang besteht. Das vorlegende niederländische Gericht fragte, ob der nationale Richter vorbehaltlich eines Gegenbeweises die Kausalität vermuten muss oder ob er hinsichtlich der Beweislast die Regeln des nationalen Rechts anwenden darf. Generalanwältin Kokott133 vertrat in ihren Schlussanträgen die Ansicht, dass der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise keinen Aufschluss darüber gebe, unter welchen Umständen die Kausalität zwischen Abstimmung und Marktverhalten als erwiesen angesehen werden könne. Nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie seien die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, bei Anwendung des Art. 101 AEUV das Beweismaß nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht zu 131   Der Gerichtshof unterscheidet bekanntlich nicht zwischen „Auslegung“ und „Rechtsfortbildung“, sondern spricht stattdessen im Anschluss an die französische Methodenlehre pauschal von „interprétation“; vgl. nur Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent, Bd. I, 2001, S. 394 f. 132   EuGH, Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands u. a.). 133   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands u. a.) Rn. 77.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

bestimmen, sofern die Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz gewahrt seien. Der EuGH widersprach dieser Auffassung. Die Kausalitätsvermutung ergebe sich aus Art. 101 AEUV und sei daher „integraler Bestandteil“ des anwendbaren Unionsrechts.134 Auch das zweite Beispiel stammt aus dem Kartellrecht. In den Entscheidungen Courage135 und Manfredi136 wurde der privatrechtliche Schadensersatzanspruch direkt aus Art. 101 AEUV hergeleitet, ohne dass den Mitgliedstaaten ein Spielraum verblieb. Für die Ausgestaltung des Anspruchs verwies der Gerichtshof dagegen auf das mitgliedstaatliche Recht. In Ermangelung einer einschlägigen Regelung sei die Bestimmung der Einzelheiten für die Ausübung dieses Rechts nach nationalem Recht zu beurteilen, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten seien.137 Im Unterschied hierzu beließ es der EuGH bei der Staatshaftung nicht bei den von ihm aufgestellten Grenzen der Effektivität und Gleichwertigkeit. Vielmehr statuierte er eigene unionsrechtliche Voraussetzungen für die mitgliedstaatliche Haftung, denen die Mitgliedstaaten keine weiteren Voraussetzungen hinzufügen dürfen.138 Das dritte Beispiel bezieht sich auf die Rechtsprechung des EuGH zur KlauselRL 93/13. In einer Reihe von Entscheidungen urteilte der Gerichtshof, dass die einzelstaatlichen Gerichte befugt und sogar verpflichtet sind, die Missbräuchlichkeit vorformulierter Klauseln in Verbraucherverträgen von Amts wegen zu prüfen. In einigen Rechtssachen begründete er dieses Ergebnis allein mit einer am effet utile orientierten Auslegung des Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13.139 In anderen Entscheidungen bestätigte der Gerichtshof diese Aussage, griff dabei jedoch zusätzlich auf den Grundsatz der Verfahrensautonomie und das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot zurück, um die ex officio-Pflicht der nationalen Gerichte für Rechtsmittelverfahren,140 Schiedsverfahren141 und Mahnverfahren142 zu relativieren.143 Die vorstehenden Beispiele belegen, wie fließend die Grenze zwischen der Auslegung des Unionsrechts einerseits und der Kontrolle nach dem Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz andererseits ist. Interpretiert der Gerichtshof das Unionsrecht nach den Grundsätzen des effet utile, kann er einheitliche Kriterien aufstellen, die in sämtlichen Mitgliedstaaten zu beachten sind. Entgegenstehendes nationales Recht befindet sich dann in direkter Kollision zu den unionsrechtlichen Vorgaben. Soweit der Gerichtshof eine derartige Auslegung bzw. Rechtsfortbildung nicht vornimmt, greift der Grundsatz der Verfahrensautonomie. Nationales Recht ist in dieser indi134   EuGH, Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands u. a.) Rn. 52. Vgl. hierzu auch die Analyse von GA Cruz Villalón, SchlA, Rs. C‑568/08 (Combinatie Spijker Infrabouw-De Jonge Konstruktie u. a.) Rn. 101 ff. 135   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26. 136   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 60. 137   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 29; verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 62. 138  Hierzu supra, § 2 D.IV.3. 139   EuGH, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 25 ff.; Rs. C‑473/00 (Cofidis) Rn. 32 ff.; Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 21 ff.; Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 46 ff. 140   EuGH, Rs. C‑397/11 (Jőrös) Rn. 29 ff.; Rs. C‑488/11 (Asbeek Brusse und de Man Garabito) Rn. 42 ff. 141   EuGH, Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 24 ff.; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 38 ff.; Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 47 ff. 142   EuGH, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 45 ff. 143  Ausführlich infra, § 10 F.II.5.

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

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rekten Kollisionslage nur dann zu beanstanden, wenn ein Verstoß gegen das Effektivitäts- oder Äquivalenzgebot vorliegt. Zwar führen effet utile und Effektivitätsgebot nicht unbedingt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes kann harmonisierende Effekte haben, die einer am effet utile orientierten Auslegung gleichkommen.144 Dennoch haben die Mitgliedstaaten grundsätzlich einen größeren Gestaltungsspielraum, wenn der Gerichtshof von einer Auslegung bzw. Rechtsfortbildung absieht und mitgliedstaatliches Recht stattdessen nur nach den für indirekte Kollisionen entwickelten Vorgaben überprüft. Angesichts dieses Befundes stellt sich die Frage, inwieweit die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten vom EuGH bereits bei Auslegung und Fortbildung des Unionsrechts zu berücksichtigen ist. 2. Mandat des EuGH zur Rechtsfortbildung Vom Grundsatz her besteht Einigkeit, dass dem EuGH die Kompetenz zusteht, das Unionsrecht auszulegen und im Wege der Rechtsfortbildung weiterzuentwickeln.145 Die in Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV dem Gerichtshof zugewiesene Aufgabe, bei Auslegung und Anwendung der Verträge „die Wahrung des Rechts“ zu sichern, legitimiert die europäischen Richter, nicht nur das geschriebene, sondern auch das ungeschriebene Recht zu konkretisieren, und im Wege der Rechtsfortbildung sämtliche Quellen des Unionsrechts heranzuziehen, um Lücken zu schließen und unvollständiges Unionsrecht zu ergänzen. Auch das BVerfG146 stellt die Zulässigkeit einer Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof „im Wege methodisch gebundener Rechtsprechung“147 nicht in Frage. Ein Bedarf an rechtsfortbildenden Judikaten bestand in der Anfangszeit vor allem im Primärrecht. Die EU ist als Rechtsgemeinschaft in besonderer Weise auf eine „Inte­ gration durch Recht“ angewiesen.148 Da in den Gründungsverträgen viele grundlegende Fragen offen gelassen wurden, musste der Gerichtshof zahlreiche Rechtsinstitute im 144   Dies zeigt die Rechtssache T‑Mobile Netherlands. Zwar meinte die Generalanwältin, dass die Kausalitätsvermutung kein integraler Bestandteil des Art. 101 AEUV sei. Im Anschluss leitete sie jedoch aus dem Effektivitätsgrundsatz ab, dass es der jeweils beweisbelasteten Behörde oder Privatpartei möglich sein müsse, das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise oder Vereinbarung aus einer Reihe von Koinzidenzen und Indizien abzuleiten; GA Kokott, SchlA, Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands u. a.) Rn.  87 – 89. 145   Borchardt, in: GS Grabitz, 1995, S. 29, 30, 37 f.; Calliess, NJW 2005, 929, 930; v. Danwitz, ­Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 491; Everling, JZ 2000, 217, 220; Pernice, EuR 1996, 27, 35; Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV Rn. 35; Streinz, Europarecht, 10. Aufl., 2016, Rn. 623 ff. Nach a. A. lässt die gewollte Lückenhaftigkeit des Systems begrenzter Einzelermächtigungen dem EuGH keinen Raum für eine „kompetenzverschiebende“ Lückenfüllung; so Mittmann, Die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof, 2000, S. 232 ff., 260. 146   Nach BVerfGE 75, 223, 243 f. = NJW 1988, 1459, 1462 (Kloppenburg) können keine „Zweifel daran bestehen, daß die Mitgliedstaaten die Gemeinschaft mit einem Gericht ausstatten wollten, dem Rechtsfindungswege offenstehen sollten, wie sie in jahrhundertelanger gemeineuropäischer Rechtsüberlieferung und Rechtskultur ausgeformt worden sind. (. . .) Zu meinen, dem Gerichtshof der ­Gemeinschaften wäre die Methode der Rechtsfortbildung verwehrt, ist angesichts dessen verfehlt.“ Bestätigt durch BVerfGE 89, 155, 209 f. = NJW 1993, 3047 (Maastricht). 147   So BVerfG, NJW 2010, 3422, 3424 (Honeywell) Rn. 62, 64. 148   Grundlegend zum Konzept der Rechtsgemeinschaft Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, 1973, S. 33 ff. Vgl. auch Baur, in: FS Friauf, 1996, S. 3 ff.; Pernice, in: Zuleeg (Hrsg.), Der Beitrag Walter Hallsteins zur Zukunft Europas, 2003, S. 56 ff.; Ullerich, Rechtsstaat und Rechtsgemeinschaft im Europarecht, 2011; Zuleeg, NJW 1994, 545 ff.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Wege der Rechtsfortbildung erst etablieren. Dies gilt vor allem für das Rechtsschutzgebot: Elementarer Bestandteil der europäischen Rechtsgemeinschaft ist die Garantie des individuellen Rechtschutzes durch unabhängige Gerichte.149 Weder die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaftsorgane sind daher einer gerichtlichen Kontrolle darüber entzogen, ob ihre Handlungen im Einklang mit der „Verfassungsurkunde“ der Gemeinschaft, also dem Vertrag stehen.150 Der Gerichtshof sah es daher von Anfang an als seine Aufgabe an, den Rechtsschutzauftrag der mitgliedstaatlichen Gerichte zu konkretisieren. Der Lissabon-Vertrag bestätigt diese Judikatur in eindrucksvoller Weise. Die vom EuGH im Wege der Rechtsfortbildung hergeleitete Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung wirksamen Rechtsschutzes ist mit Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV kodifiziert worden.151 Die Klarstellung, dass die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, „die erforderlichen Rechtsbehelfe“ zu schaffen, „damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“, erfolgt in Titel III („Bestimmungen über die Organe“) im Kontext der allgemeinen Aufgabenbeschreibung der unionalen Gerichtsbarkeit. Dadurch wird einerseits hervorgehoben, dass die Mitgliedstaaten funktionell als Unionsgerichte agieren.152 Andererseits verdeutlicht die systematische Stellung der Vorschrift, dass dem EuGH weiterhin die Aufgabe zukommt, die gerichtliche Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten zu überwachen und korrigierend einzugreifen, wenn dies zur Wahrung des Rechts (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV) erforderlich ist.153 Die Vorschrift kann in Anbetracht ihrer Entstehungsgeschichte und systematischen Stellung als besondere Legitimationsgrundlage für Rechtsfortbildungen des EuGH im Bereich des mitgliedstaatlichen Rechtsschutzes betrachtet werden.154 3. Grenzen der Rechtsfortbildung Steht die Befugnis des EuGH zur Rechtsfortbildung prinzipiell außer Frage, stellt sich das Problem, wie die unionsrechtlichen Schranken der Rechtsfortbildungsbefugnisse zu bestimmen sind.155 Vom Ausgangspunkt ist anerkannt, dass nicht nur der 149   Fernandez Esteban, The Rule of Law in the European Constitution, 1999, S. 167 ff.; Nicolaysen, in: Weidenfeld (Hrsg.), Europa-Handbuch, Bd. I, 4. Aufl., 2006, S. 109, 114. 150   EuGH, Rs. 294/83 (Les Verts/Europäisches Parlament) Rn. 23. 151   Schröder, DÖV 2009, 61, 62; Schwarze/Schwarze, EU‑Kommentar, 3. Aufl., 2012, Art. 19 EUV Rn. 48; Calliess/Ruffert/Wegener, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 19 EUV Rn. 43 ff. 152   Hierzu bereits supra, § 4 A.II., m. w. N. Der Vorschlag Frankreichs, bei Normierung des Vorabentscheidungsverfahrens ausdrücklich klarzustellen, dass die nationalen Gerichte „juges de droit commun de l’Union“ sind, wurde demgegenüber bei den Verhandlungen über eine Verfassung für Europa abgelehnt; Barents, Maastricht J. 2004, 121, 124 f. 153   Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV (Art. 28 Abs. 1 UAbs. 2 VVE) ist daher nicht fehlplaziert; so jedoch die Kritik des britischen Oberhauses im Rahmen der Verhandlungen des Verfassungskonvents; vgl. den Bericht des engeren Ausschusses des britischen Oberhauses über die Europäische Union, vorgelegt von Lord Tomlinson und Lord Maclennan: „Die Zukunft Europas: Verfassungsvertrag – Entwurf der Artikel über die Organe“, CONV 740/03, S. 14. 154  In diese Richtung auch W.‑H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 833: Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV bestätigt und bekräftigt die Urteile EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) und EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 36 f., sieht in Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV dagegen nur einen Beleg dafür, dass nicht der EuGH, sondern die Mitgliedstaaten für die gerichtliche Durchsetzung des Unionsrechts zuständig sind. 155  Nach Everling, JZ 2000, 217, 225, steckt in der „Abgrenzung zwischen der allgemein als unverzichtbar angesehenen, zulässigen Rechtsfortbildung und der unzulässigen richterlichen Grenzüberschreitung“ das eigentliche Problem.

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

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Unionsgesetzgeber, sondern auch der EuGH an die der Union zugewiesenen Verbandskompetenzen gebunden ist, wenn er das Unionsrecht im Wege der Rechtsfortbildung weiterentwickelt.156 Für das System der Rechtsfolgen bedeutet dies, dass der Gerichtshof keine Rechtssätze und Rechtsfolgen aufstellen darf, die nicht auch der Unionsgesetzgeber erlassen dürfte. Die Kompetenzgrenzen der Union dürfen nicht indirekt durch immer detailliertere Anforderungen, die richterrechtlich aus dem effet utile abgeleitet werden, überspielt werden. Wo die Verbandskompetenz der Union fehlt, dürfen die aus dem Gebot der praktischen Wirksamkeit abgeleiteten Anforderungen nicht „qualitativ und quantitativ ein Maß erreichen, das im Ergebnis einer Vollregelung des Verfahrens gleichkommt“.157 Der Gerichtshof ist insbesondere an die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit gebunden. Dies gilt umso mehr, als die durch den Lissabon-Vertrag neu eingeführte Nichtigkeitsklage wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip158 nur gegen Gesetzgebungsakte der Union, nicht aber gegen richterliche Entscheidungen des EuGH möglich ist.159 Weitere Schranken ergeben sich aus der Organkompetenz des Gerichtshofs. Der EuGH hat das institutionelle Gleichgewicht zwischen den Unionsorganen zu wahren.160 Der Gerichtshof hat die ihm zugewiesenen Organkompetenzen insbesondere bei Fortbildung des Primärrechts zu beachten. Eine rechtsfortbildende Ergänzung der Verträge mit Blick auf die von den Mitgliedstaaten zu schaffenden Rechtsbehelfe und Verfahren hätte zur Folge, dass der Handlungsspielraum des Unionsgesetzgebers in bedenklicher Weise eingeschränkt wäre. Rechtsfortbildungen im Primärrecht sind politisch nur im Wege einer Vertragsänderung korrigierbar. Sie erfordern Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten; jeder Mitgliedstaat, der von der Rechtsfortbildung des Primärrechts profitiert, kann eine Rückkehr zum status quo ante verhindern.161 Verschärfend kommt hinzu, dass Vertragsänderungen nicht nur Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten voraussetzen, sondern nur in den seltenen historischen Momenten von Vertragsverhandlungen möglich sind.162 Daraus erklärt sich die Zurückhaltung des Gerichtshofs bei Konkretisierung primärrechtlich verankerter Rechte, wie beispielsweise dem kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch. Die in Courage und Manfredi getroffene Aussage, derzufolge nur das Recht als solches im Primärrecht wurzelt, die weitere Ausgestaltung aber den 156   Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 593; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 69 f. 157   Suerbaum, VerwArch 91 (2000), 169, 202. 158   Nach Art. 8 Abs. 1 des Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit können die Mitgliedstaaten selbst (oder entsprechend der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung im Namen ihres nationalen Parlaments oder einer Kammer dieses Parlaments) Nichtigkeitsklage nach Maßgabe des Art. 263 AEUV wegen eines Verstoßes eines Gesetzgebungsakts gegen das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV) erheben. 159   W.‑H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 835. 160  Hierzu Jacqué, CMLR 2004, 383 ff. 161  Einige Judikate sind selbst bei angenommener Einstimmigkeit politisch nicht korrigierbar. So wäre es kaum vorstellbar, dass die Mitgliedstaaten das umstrittene Mangold-Urteil (EuGH, Rs. C‑144/04) korrigieren, indem sie im Vertrag klarstellen, dass im Unionsrecht kein Verbot der Altersdiskriminierung besteht; Höpner, dms 2010, 165, 175. Unrealistisch ist auch eine Vertragsänderung, derzufolge bei Verstößen gegen das EU‑Kartellrecht entgegen EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26 f., kein Schadensersatz zu leisten ist. 162   Höpner, dms 2010, 165, 180 f. Fälle, in denen eine Vertragsrevision in Reaktion auf ein EuGHUrteil erfolgt ist, sind daher selten. Eine Ausnahme stellt das sog. Barber-Protokoll dar; hierzu Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, 1995, S. 184 ff.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Mitgliedstaaten überlassen bleibt, trägt dem institutionellen Gleichgewicht zwischen den Unionsorganen Rechnung. Hätte der Gerichtshof die Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs detailliert aus dem Primärrecht abgeleitet, hätte der Unionsgesetzgeber bei Erlass der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 nur noch einen sehr engen Gestaltungsspielraum gehabt.163 Indem der Gerichtshof von einer solchen Konkretisierung Abstand nimmt, werden die Handlungsspielräume der Legislative und damit die rechtspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten auf Unionsebene gewahrt.164 Gleiches gilt für weitere im Primärrecht wurzelnde Rechte, deren Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen vom Gerichtshof ebenfalls nur rudimentär konkretisiert worden sind, so etwa den unions­ rechtlichen Erstattungsanspruch,165 den Anspruch auf gleiches Entgelt (Art. 157 AEUV)166 und die Rechtsfolgen bei Verstoß gegen Grundfreiheiten.167 Lediglich für die mitgliedstaatliche Staatshaftung gelten strengere Kriterien.168 Die weitreichenden Vorgaben erklären sich in diesem Bereich allerdings damit, dass Staatshaftungsansprüche für sämtliche Unionsrechte unabdingbar sind, damit eine wirksame Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechtspositionen in den Mitgliedstaaten erreicht werden kann. 4. Kompetenz des EuGH zur Konkretisierung von Sekundärrechtsakten, insbesondere von Richtlinien a) Streitstand Besondere Probleme stellen sich bei Auslegung und Fortbildung des Sekundärrechts. Während das Primärrecht seiner Natur nach in dem Sinne auf Vollständigkeit angelegt ist, dass viele der von den Verträgen offen gelassenen Fragen nicht unter Verweisung auf das Recht eines Mitgliedstaats, sondern nur einheitlich für alle Mitgliedstaaten gelöst werden können, existiert beim Sekundärrecht grundsätzlich kein Zwang, eine „Lücke“ zu füllen.169 Bei allen unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln,170 die im Sekundärrecht verwendet werden, stellt sich daher die Frage, wer in welchem Umfang zur Konkretisierung und Lückenfüllung berufen ist: das Unionsrecht und damit der EuGH, oder das nationale Recht und in der Folge der nationale Gesetzgeber bzw. die nationalen Gerichte. Für Verordnungen besteht Einigkeit, dass ausfüllungsbedürftige Begriffe mangels ausdrücklich anderer Hinweise vom Gerichtshof zu konkretisieren sind.171 Für Richt163  Anders Basedow, AcP 210 (2010), 157, 180, demzufolge die Einzelheiten des Haftungsregimes selbst dann nicht im Rang des Primärrechts stehen, wenn der Haftungsgrund primärrechtlich verankert ist. 164  Zutreffend Meeßen, Schadensersatz, 2011, S. 40 f. 165  Vgl. supra, § 2 D.IV.1. 166  Vgl. infra, § 9 B. 167  Hierzu infra, § 6 V. 168   Supra, § 2 D.IV.3. 169  So W.‑H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 801. Vgl. auch Grigoleit, AcP 210 (2010), 354, 391 f. 170  Die im deutschen Schrifttum vorgenommene Unterscheidung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln kann an dieser Stelle vernachlässigt werden. Nicht nur sind die Grenzen fließend, auch ist diese Differenzierung in einigen Mitgliedstaaten (wie z. B. Frankreich) unbekannt; vgl. Jung und Walther, beide in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, 2006, S. 37, 41 f. und S. 63 f. Eine genaue Abgrenzung ist aus unionsrechtlicher

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linien wird die Frage dagegen kontrovers diskutiert. Das Problem ist vor allem für privatrechtsangleichende Richtlinien von praktischer Bedeutung. Diese haben zwar mittlerweile eine hohe Regelungsdichte erreicht. Gleichzeitig bedürfen die in ihr geregelten Rechtsinstitute und Teilsysteme jedoch häufig einer weiteren Konkretisierung. Dies gilt im besonderen Maße für die in aller Regel nur grob umrissenen Rechtsbehelfe. Teile des Schrifttums sprechen dem EuGH die ausschließliche Konkretisierungskompetenz zu und machen geltend, dass sämtliche Tatbestandsmerkmale einer Richtlinie und somit auch unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln stets unionsrechtsautonom auszulegen sind.172 Nach anderer Ansicht soll die Konkretisierungskompetenz grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten liegen.173 Dies folge aus der Grundkonzeption der Richtlinie. Den Mitgliedstaaten sei nach Art. 288 Abs. 3 AEUV die Wahl der Form und der Mittel überlassen. Damit solle ein „kohärenter Einbau“ der Richtlinienvorgaben in das nationale Rechtssystem ermöglicht werden. Den Mitgliedstaaten komme daher bei Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe in Richtlinien ein größerer Freiraum zu, als dies bei Verordnungen oder primärrechtlichen Normen der Fall sei. Bereits in rechtstatsächlicher Sicht lässt sich indessen beobachten, dass sich Verordnungen und Richtlinien konvergent aufeinander zu bewegen. Während die Zahl der detailliert formulierten Richtlinien immer weiter zunimmt,174 finden sich andererseits vermehrt Verordnungen, die nicht auf eine vollständige Rechtsvereinheitlichung abzielen, sondern nur rahmenartige Regelungen einführen.175 Die im AEUV angesprochene Unterscheidung zwischen Verordnungen und Richtlinien löst sich damit zusehends auf. Angesichts dieser Entwicklung wird berechtigterweise angezweifelt, ob es sinnvoll ist, auf die nur mehr auf dem Papier stehenden dogmatischen Unterschiede abzuheben.176 Da sich das Problem der Konkretisierungskompetenz sowohl für Richtlinien als auch für Verordnungen stellt, erscheint es kaum plausibel, warum je nach Handlungsform andere Maßstäbe gelten sollen. Auch der Gerichtshof hat bislang in keinem einzigen Fall mit Blick auf die Konkretisierungskompetenz zwischen Richtlinien und Verordnungen differenziert. Perspektive schließlich auch deswegen entbehrlich, weil sich die Frage nach der Konkretisierungskompetenz sowohl bei unbestimmten Rechtsbegriffen als auch bei Generalklauseln gleichermaßen stellt; ohne scharfe Grenzziehung daher auch Remien, RabelsZ 66 (2002), 503, 512; Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 353 ff.; W.‑H. Roth, ERCL 2011, 425, 431; a. A. Herresthal, in: Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, 113, 123 ff. 171   W.‑H. Roth, in: FS Drobnig, 1998, S. 135, 140 f.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 477 f. 172   Steindorff, in: FS Everling, 1995, S. 1455, 1465; Basedow, in: FS Brandner, 1996, S. 651, 675; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1998, § 5 Rn. 22, S. 263 f. 173   W.‑H. Roth, in: FS Drobnig, 1998, S. 135, 141 (zu Generalklauseln); ders., ERCL 2011, 425, 430 f. (zu unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln); Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 497 ff. (zu unbestimmten Rechtsbegriffen), S. 541 ff. (zu Generalklauseln); I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, 2002, S. 64 f.; Herresthal, in: Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 113, S. 131 – 141 (zu unbestimmten Rechtsbegriffen). Im Ergebnis auch Canaris, EuZW 1994, 417. 174   Bislang gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass eine hohe Regelungsdichte in Richtlinien unzulässig ist; vgl. nur G/H/N/Nettesheim, 58. EL, 2016, Art. 288 AEUV Rn. 113; Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 288 AEUV Rn. 25; a. A. Prokopf, Das gemeinschaftsrechtliche Rechtsinstrument der Richtlinie, 2007, S. 66 – 85 m. w. N. zum älteren Schrifttum. 175   Vgl. beispielhaft die SE‑VO 2157/2001 und die SCE-VO 1435/2003; hierzu Ebers, ERPL 2003, 509, 515 f. 176   Schmid, Die Instrumentalisierung, 2010, S. 765.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

b) Konkretisierungskompetenz als Auslegungsfrage Daneben sprechen grundsätzliche Überlegungen gegen eine prinzipielle Zuweisung der Konkretisierungskompetenz an die Mitgliedstaaten:177 Soweit der Unionsgesetzgeber bestimmte Aspekte des Privatrechts vereinheitlichen möchte, gibt er damit zu verstehen, dass eine Harmonisierung in dem betreffenden Bereich angestrebt ist. Warum sollte der Unionsgesetzgeber Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe überhaupt in einen Richtlinientext aufnehmen, wenn in aller Regel von einer Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten auszugehen ist? Rechtsangleichung setzt, sofern sie ihr gesetzgeberisches Ziel nicht verfehlen soll, notwendigerweise die Entwicklung autonomer unionsrechtlicher Konzepte voraus. Eine autonome Begriffsbildung muss daher unabhängig davon möglich sein, ob den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Umsetzung einer Richtlinie ein gewisser Spielraum zusteht. Aus dem Umstand, dass unionsrechtliche Begriffe vom EuGH autonom ausgelegt werden müssen, folgt andererseits nicht, dass mit jedem konkretisierungsbedürftigen Rechtsakt zwangsläufig eine Aufgabendelegation an den EuGH erfolgt. Die Auslegung des betreffenden Rechtsakts, sei es nun eine Richtlinie oder eine Verordnung, kann vielmehr ergeben, dass den Mitgliedstaaten ein Gestaltungsspielraum freigehalten werden soll. Eine generelle Zuweisung an den EuGH einerseits oder an die Mitgliedstaten andererseits ist daher abzulehnen. Maßgeblich muss vielmehr die durch den jeweiligen Rechtsakt intendierte Rechtsangleichung sein.178 Auch der EuGH hat in vielen Entscheidungen eine differenzierte Haltung eingenommen. Nach ständiger Rechtsprechung179 folgt aus dem Grundsatz der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts sowie aus dem Gleichheitsgrundsatz, dass den Begriffen einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Erläuterung ihres Sinnes und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, „in der Regel“ in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung zu geben ist. Diese Formulierung deutet darauf hin, dass der Gerichtshof die Vermutung zugrunde legt, dass ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe autonom auszulegen sind.180 Diese Vermutung greift jedoch nicht, wenn ein ausdrücklicher Verweis auf nationales Recht vorliegt. Im Übrigen kann eine Auslegung ergeben, dass der Rechtsakt implizit den Mitgliedstaaten die Konkretisierungskompetenz zuweist. Die Auslegungshoheit darüber, ob ein ausdrücklicher oder stillschweigender Verweis auf nationales Recht vorliegt, steht dabei allein dem EuGH zu.

177   Zum Folgenden Klauer, ERPL 2000, 187, 195; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 78 f. 178   So auch Remien, RabelsZ 66 (2002), 503, 521, 523; Röthel, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 11 Rn. 12. 179   Zu Richtlinien EuGH, Rs. C‑287/98 (Linster) Rn. 43; Rs. C‑188/03 (Junk) Rn. 29; Rs. C‑271/10 (VEWA) Rn. 25; Rs. C‑166/11 (González Alonso) Rn. 25. Zu Verordnungen EuGH, Rs. 75/63 (Hoekstra); Rs. 327/82 (Ekro) Rn. 11; Rs. C‑170/03 (Feron) Rn. 26. 180   Wie hier GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑467/08 (Padawan) Rn. 63 f.; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 6. Vgl. nunmehr auch EuGH, Rs. C‑510/10 (DR und TV2 Danmark) Rn. 34: „Der Wortlaut der Richtlinie 2001/29 verweist in Bezug auf die Bedeutung des Begriffs ‚mit eigenen Mitteln‘ in Art. 5 Abs. 2 Buchst. d dieser Richtlinie nicht auf die nationalen Rechtsvorschriften. Dieser Begriff ist daher [sic!] für die Anwendung der Richtlinie als autonomer Begriff des Unionsrechts anzusehen, der im gesamten Gebiet der Union einheitlich auszulegen ist.“

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

225

Nicht vollständig geklärt ist die Frage, wann ein Verweis auf nationales Recht anzunehmen ist. Dem EuGH wird vorgeworfen, bislang keine brauchbaren Maßstäbe entwickelt zu haben. Der Gerichtshof richte seine Rechtsprechung – so die Kritik – weniger an Gesichtspunkten der Dogmatik, sondern der rechtspolitischen Opportunität im Einzelfall aus.181 Eine nähere Analyse zeigt indessen, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs einer Systematisierung sehr wohl zugänglich ist (hierzu sogleich, unter 5.). Vorab ist allerdings zu klären, ob sich bereits aus dem Harmonisierungsgrad einer Rechtsnorm evtl. Rückschlüsse für die Verteilung der Konkretisierungskompetenzen ergeben. c) Harmonisierungsgrad und Konkretisierungskompetenz Das Problem, ob der EuGH oder die Mitgliedstaaten zur Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe befugt sind, ist von der Frage zu unterscheiden, ob die fragliche Rechtsnorm auf dem Prinzip der Mindest- oder Vollharmonisierung basiert. Der Harmonisierungsgrad einer Rechtsnorm gibt lediglich Auskunft darüber, ob die Mitgliedstaaten befugt sind, das von der Norm festgelegte Schutzniveau zu überschreiten (Mindestharmonisierung) oder ob sie dieses weder unter- noch überschreiten dürfen (Vollharmonisierung). Quer hierzu liegt die Frage, in welchem Umfang der EuGH das Schutzniveau konkretisieren kann und welche inhaltlichen Vorgaben die Norm im Einzelnen trifft. Aus dem Umstand, dass eine Richtlinie dem Prinzip der Mindestharmonisierung folgt, kann daher nicht auf eine Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten geschlossen werden.182 Zielt eine Richtlinie auf einen einheitlichen Mindestschutz, so ist dies vielmehr ein deutliches Indiz, dass keine stillschweigende Verweisung auf das nationale Recht erfolgen soll. Ansonsten bestünde nämlich die Gefahr, dass sich in den Mitgliedstaaten ein variierender Mindeststandard durchsetzt.183 Umgekehrt verbietet sich die Annahme, dass dem Gerichtshof bei Vollharmonisierung stets die Kompetenz zusteht, sämtliche unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln zu konkretisieren.184 Selbst bei vollharmonisierenden Richtlinien kann eine Auslegung ergeben, dass den Mitgliedstaaten ein Gestaltungsspielraum verbleiben soll. Dies belegt die Rechtsprechung des EuGH zur ProdukthaftungsRL 85/374185 und zur Handelsvertreter-RL 86/653.186 181  So Schmid, Die Instrumentalisierung, 2010, S. 763 und 817. Vgl. auch Weatherill, in: Hartkamp et al. (Hrsg.), Towards a European Civil Code, 4. Aufl., 2011, S. 185, 200: „[B]ut one is left with a lack of clarity as to just why and when it [the Court] shows such restraint, with an uncomfortably imprecise suspicion that the more socially sensitive the matter, the more reluctant the Court“. 182   So auch GA Tizzano, SchlA, Rs. C‑168/00 (Leitner) Rn. 22 f. 183  Zutreffend Gsell/Schellhase, JZ 2009, 20, 24. 184   So jedoch Buchmann, Umsetzung vollharmonisierender Richtlinien, 2008, S. 145, 148, 150 f.; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 793, 808 f. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑44/01 (Pippig Augenoptik) Rn. 44; Rs. C‑159/09 (Lidl SNC) Rn. 22; GA Tesauro, SchlA, Rs. C‑83/91 (Meilicke) Rn. 11 ff.; GA Mengozzi, SchlA, Rs. C‑122/10 (Ving Sverige) Rn. 24. Wie hier dagegen Grigoleit, AcP 210 (2010), 354, 399 f.; Riehm, in: Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 83, 106 f.; de Vries, ERPL 2012, 913 ff. 185   Vgl. EuGH, Rs. C‑203/99 (Veedfald) Rn. 25 ff. 186   EuGH, Rs. C‑465/04 (Honyvem Informazioni Commerciali) Rn. 34 f. Vgl. zuvor EuGH, Rs. C‑381/98 (Ingmar) Rn. 21. Der BGH legt daher das Billigkeitskriterium in st. Rspr. selbst aus, ohne dem EuGH vorzulegen; BGH, BB 2007, 2475, 2479 f.; NZG 2009, 310, 311 f.; DB 2009, 2038.

226

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

5. Grenzen der Konkretisierungskompetenz Die Möglichkeiten des EuGH zur Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe sind im Vorabentscheidungsverfahrens in funktionaler Hinsicht begrenzt (a.). Normativ ergeben sich Grenzen für die unionsautonome Auslegung, wenn ein ausdrücklicher Verweis auf mitgliedstaatliches Recht vorliegt (b.) oder implizit auf dieses verwiesen wird (c.). a) Funktionale Grenzen der Konkretisierung im Vorabentscheidungsverfahren Der EuGH ist im Vorabentscheidungsverfahren nur zur Auslegung (Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV), nicht aber zur Anwendung des Unionsrechts berufen.187 Allein das nationale Gericht ist zur Tatsachenfeststellung sowie zur Auslegung des nationalen Rechts befugt. Es obliegt daher grundsätzlich den einzelstaatlichen Gerichten, darüber zu entscheiden, ob ein innerstaatliches Gesetz mit dem Unionsrecht vereinbar und wie ein konkreter Fall unter Berücksichtigung der vom Gerichtshof gegebenen Auslegung zu entscheiden ist. Diese Vorgaben wirken sich zugleich auf die Möglichkeiten des Gerichtshofs aus, unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln im Vorabentscheidungsverfahren zu konkretisieren. Zwar geht der EuGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass er im Interesse einer effektiven Zusammenarbeit „alle Hinweise“ geben kann, damit das vorlegende Gericht eine Entscheidung in der betreffenden Rechtssache treffen kann. Der Gerichtshof hat dementsprechend ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe in vielen Fällen selbst konkretisiert. Eine solche Vorgehensweise stößt aber an ihre Grenzen, wenn die Beurteilung stark durch die Umstände des Einzelfalls oder – wie im Fall der Klausel-RL 93/13188 – vom mitgliedstaatlichen Regelungsumfeld abhängig ist. In diesem Fall kann der Gerichtshof nur allgemeine, abstrakt-generelle Leitlinien entwickeln. b) Ausdrücklicher Verweis auf mitgliedstaatliches Recht aa) Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten als Grundsatz Sekundärrechtsakte, insbesondere Richtlinien, verweisen häufig auf das mitgliedstaatliche Recht oder ordnen ausdrücklich an, dass die Richtlinie bestimmte innerstaatliche Vorschriften „unberührt“ lässt. Der Sache nach nimmt die Richtlinie dadurch die genannten Gegenstände von ihrem Anwendungs- bzw. Regelungsbereich aus und überlässt den Mitgliedstaaten die Gestaltungshoheit. Verweise auf das nationale Recht können sich auch in den Erwägungsgründen finden. Die Erwägungsgründe bilden einen integralen Bestandteil von Sekundärrechtsakten (vgl. Art. 296 UAbs. 2 AEUV), sie geben deshalb nicht lediglich die subjektiven Vorstellungen des Unionsgesetzgebers wieder, sondern erläutern verbindlich die mit den jeweiligen Regelungen angestrebten Ziele in ihrem systematischen Zusammenhang.189 187   St. Rspr.; vgl. EuGH, verb. Rs. 28 – 30/62 (da Costa en Schaake u. a.) LS 2; Rs. 6/64 (Costa) LS  1 – 2; Rs.  222/78 (ICAP) Rn. 10 ff.; Rs. 37/86 (Coenen) Rn. 8; Rs. C‑203/99 (Veedfald) Rn. 31; Rs. C‑237/02 (Freiburger Kommunalbauten) Rn. 22; Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 22. 188  Hierzu infra, § 10 F.I.1. und II.3. 189   Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 15 Rn. 44.

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

227

Verweist ein Sekundärrechtsakt auf das mitgliedstaatliche Recht, so ist es grundsätzlich nicht Sache des EuGH, den betreffenden Begriffen eine autonome und einheitliche unionsrechtliche Definition zu geben. Eine ausdrückliche Verweisung impliziert nämlich, dass „der Unionsgesetzgeber die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede in der Definition und der genauen Tragweite der fraglichen Begriffe unberührt lassen wollte“.190 In der Judikatur des Gerichtshofs finden sich daher viele Entscheidungen, in denen der EuGH von einer Konkretisierung abgesehen hat, da der auszulegende Rechtsakt eine solche Verweisung enthielt.191 bb) Einschränkende Auslegung ausdrücklicher Verweisnormen in besonderen Fällen In einigen Entscheidungen hat der Gerichtshof ausdrückliche Verweisnormen einschränkend nach Maßgabe des effet utile ausgelegt, so insbesondere im Arbeitsrecht.192 Erfolgt ein Verweis auf das mitgliedstaatliche Recht nur in den Erwägungsgründen, nicht aber im Normtext selbst, ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob den Mitgliedstaaten tatsächlich ein Gestaltungsspielraum eingeräumt werden soll. Denn nach ständiger Rechtsprechung können Erwägungsgründe zwar einen Aufschluss über die Auslegung einer Rechtsvorschrift geben. Sie können jedoch weder herangezogen werden, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht.193 Der Gerichtshof hielt es daher im Fall Messner194 für unbeachtlich, dass die FARL 97/7 in ErwGr (14) hinsichtlich der „weiteren Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts“ auf das mitgliedstaatliche Recht verweist. Denn insoweit ergab bereits eine am effet utile orientierte Auslegung des in Art. 6 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 FARL 97/7 niedergelegten Kostenverbots, dass der Verbraucher nicht pauschal dazu verpflichtet werden darf, Wertersatz für die Nutzung der gekauften Ware zu leisten. Einen im nationalen Recht vorgesehenen Wertersatzanspruch des Unternehmers zum Ausgleich einer ungerechtfertigten Bereicherung hielt der Gerichtshof demgegenüber vom Grundsatz her für zulässig. Da ein solcher Ausgleich nicht gegen Art. 6 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 FARL 97/7 verstößt, konnte der in ErwGr (14) getroffene Regelungsvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten greifen.195

190

  EuGH, Rs. C‑571/10 (Kamberaj) Rn. 77.   Vgl. EuGH, Rs. C‑203/99 (Veedfald) Rn. 27 ff. (zur Produkthaftungs-RL 85/374); Rs. C‑518/08 (Fundación Gala-Salvador Dalí) Rn. 32 (zur Folgerechts-RL 2001/84); Rs. C‑265/07 (Caffaro) Rn. 17 ff. (zur Verzugs-RL 2000/35); Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 45 f. (zur UGP-RL 2005/ 29); sowie EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 67 f., 79 ff., 82 – 89, 90 – 93, und Rs. C‑227/08 (Martín Martín) Rn. 32 (beide zur HWiRL 85/577). 192   Vgl. EuGH, Rs. C‑173/99 (BECTU) Rn. 53, und Rs. C‑151/02 (Jaeger) Rn. 58 f. (beide zur Arbeitszeit-RL 93/104); verb. Rs. C‑350 & 520/06 (Schultz-Hoff) Rn. 28 (zur Arbeitszeit-RL 2003/88). Kritisch Franzen, ZEuP 2004, 1034, 1042 ff. 193   EuGH, Rs. C‑136/04 (Deutsches Milch-Kontor) Rn. 32 m. w. N.; Rs. C‑134/08 (Tyson Parketthandel) Rn. 16. 194   EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn.  21 – 24. 195   Vgl. EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn.  26 – 27. 191

228

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

cc) Verweisnormen mit einseitiger Schutzrichtung Besonderheiten gelten bei Verweisnormen mit einseitiger Schutzrichtung. Damit sind solche Normen gemeint, die nicht allgemein auf das Recht der Mitgliedstaaten rekurrieren oder klarstellen, dass gewisse Sachbereiche von der Richtlinie „unberührt“ bleiben, sondern die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, zum Schutz bestimmter Personengruppen „geeignete“ Maßnahmen zu erlassen. Ein solcher Verweis räumt den Mitgliedstaaten zwar einen Ermessensspielraum ein, zwischen mehreren effektiven Sanktionen zu wählen. Er ermächtigt die Mitgliedstaaten hingegen nicht dazu, zum Schutz der anderen Partei Vorkehrungen zu treffen, die dem Schutzauftrag der Richtlinie letztlich zuwiderlaufen. Exemplarisch lässt sich die HWiRL 85/577 anführen, die in Art. 4 Abs. 3 die Mitgliedstaaten damit beauftragt, „geeignete“ Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers vorzusehen, wenn die vorgesehene Widerrufsbelehrung nicht erfolgt. Aus dieser Formulierung folgert ein Teil des Schrifttums,196 dass die Mitgliedstaaten autonom über die Rechtsfolgen entscheiden könnten; der den Mitgliedstaaten eingeräumte Gestaltungsspielraum erstrecke sich auch auf die Möglichkeit, das Widerrufsrecht des Verbrauchers nach nationalem Recht zeitlich zu befristen. Dieser Ansicht ist entgegenzuhalten, dass die Richtlinie einen Mindeststandard gewährleisten soll, von dem die Mitgliedstaaten nicht zum Nachteil des Verbrauchers abweichen dürfen. Die in Art. 4 Abs. 3 HWiRL 85/577 den Mitgliedstaaten eingeräumte Regelungsbefugnis ist damit auf eine einseitige Schutzrichtung festgelegt.197 Der Gerichtshof stellte daher im Fall Heininger198 zu Recht fest, dass eine zeitliche Befristung des Widerrufsrechts nicht auf Art. 4 Abs. 3 HWiRL gestützt werden kann. Denn eine solche Befristung dient allein den Interessen des Unternehmers.199 In deutlichem Kontrast hierzu steht die Aussage des Gerichtshofs im Fall Hamilton,200 dass das Erlöschen des Widerrufsrechts nach vollständiger Erbringung der Leistungen eine „geeignete Maßnahme“ im Sinne von Art. 4 Abs. 3 HWiRL 85/577 ist. Dies stellt die in der Vorschrift angeordnete Schutzrichtung geradezu auf den Kopf.201 „Geeignete Maßnahmen“ verlangen sicherlich, wie auch der EuGH feststellt, keinen absoluten Schutz der Verbraucher.202 Sie müssen aber hinreichend effektiv sein. Der Gerichtshof hätte daher fragen müssen, ob die mitgliedstaatliche Regelung diesem Auftrag Rechnung trägt.

196

  Habersack, WM 2000, 981, 990 f.; Franzen, JZ 2003, 321, 326 f.  Zutreffend Rybarz, Billigkeitserwägungen, 2011, S. 139. 198   EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger) Rn. 46. 199   Dagegen lässt sich nicht einwenden, Art. 4 Abs. 3 HWiRL 85/577 sei bei einer solchen Auslegung ohne Regelungsgehalt und daher überflüssig; so aber Franzen, JZ 2003, 321, 327; Schmid, Die Instrumentalisierung, 2010, S. 806. Die Rechtssache Martín Martín zeigt gerade, dass den Mitgliedstaaten trotz Heininger ein Gestaltungsspielraum hinsichtlich der unterschiedlichen Rechtsfolgen bei Nichtbelehrung verbleibt; EuGH, Rs. C‑227/08 (Martín Martín) Rn. 32. 200   EuGH, Rs. C‑412/08 (Hamilton) Rn. 45. 201   Mankowski, JZ 2008, 1141, 1143. 202   EuGH, Rs. C‑412/08 (Hamilton) Rn. 39. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑215/08 (Friz) Rn. 44, sowie zur Klausel-RL 93/13 EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 34 ff. 197

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

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c) Impliziter Verweis auf mitgliedstaatliches Recht aa) Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten als begründungsbedürftige Ausnahme Sekundärrechtsakte können die Mitgliedstaaten nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend berechtigen, unbestimmte Rechtsbegriffe zu konkretisieren. So urteilte der Gerichtshof im Jahre 1982 im Fall Ekro,203 dass die Verordnung Nr. 2787 zur Gemeinsamen Marktorganisation in der Landwirtschaft204 indirekt auf das Recht der Mitgliedstaaten Bezug nimmt, da dem Verordnungsgeber die bestehenden Unterschiede in den einzelnen Mitgliedstaaten bekannt waren und sich aus dem Gemeinschaftsrecht keine Anhaltspunkte ergeben, dass diese Unterschiede harmonisiert werden sollen. Dass auch Richtlinien einen impliziten Verweis auf das nationale Recht enthalten können, bestätigte der EuGH im Jahre 1985 in Danmols Inventar.205 Der Gerichtshof entschied, dass der in der Betriebsübergangs-RL 77/187 verwendete Begriff „Arbeitnehmer“ nicht nach autonom-gemeinschaftsrechtlichen, sondern allein nach Maßgabe des anwendbaren nationalen Rechts zu konkretisieren sei. Zur Begründung führte der Gerichtshof aus, dass die Richtlinie nur eine teilweise Harmonisierung in dem betreffenden Gebiet vornehme, und kein für die gesamte Union einheitliches Schutzniveau schaffen wolle.206 Aus beiden Entscheidungen lassen sich keine allgemeinen Rückschlüsse ziehen. Der Umstand, dass ein Rechtsakt nur eine Teilharmonisierung bezweckt, spricht für sich genommen noch nicht gegen eine autonome Auslegung.207 Entscheidend ist vielmehr, in welchem Umfang die angestrebte Harmonisierung im konkreten Fall greifen soll. Insoweit ist nach dem zuvor Gesagten grundsätzlich die Vermutung zugrunde zu legen, dass unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln in aller Regel vom EuGH autonom auszulegen sind.208 Soll eine stillschweigende Verweisung gleichwohl bejaht werden, so müssen ausreichende Anhaltspunkte vorliegen, die dafür sprechen, dass die Ausfüllung eines in der Richtlinie enthaltenen Begriffs dem nationalen Recht überlassen werden soll. Dies ist im jeweiligen Einzelfall nach den gängigen Auslegungsmethoden unter besonderer Berücksichtigung der Harmonisierungsintention zu ermitteln. Daneben lassen sich der Judikatur des Gerichtshofs allgemeine Kriterien entnehmen, die als Indizien für eine Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten herangezogen werden können.

203

  EuGH, Rs. 327/82 (Ekro) Rn. 14.   VO Nr. 2787 zur Gemeinsamen Marktorganisation in der Landwirtschaft, ABl. 1981 L 271/44. 205   EuGH, Rs 105/84 (Danmols Inventar) Rn.  24 – 27. 206   EuGH, Rs. 105/84 (Danmols Inventar) Rn. 27. Im Anschluss wurde in der BetriebsübergangsRL klargestellt, dass „Arbeitnehmer“ jede Person ist, die in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund des einzelstaatlichen Arbeitsrechts geschützt ist (Art. 2 lit. d Betriebsübergangs-RL 77/187 i. d. F. der RL 98/50; jetzt Art. 2 lit. d Betriebsübergangs-RL 2001/23). Dieselbe Regelungstechnik findet sich in vielen anderen arbeitsrechtlichen Richtlinien; kritisch Schlachter, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), European Private Law – Current Status and Perspectives, 2011, S. 209, 221 f. 207   Vgl. EuGH, Rs. C‑355/96 (Silhouette International Schmied) Rn. 23; Rs. C‑40/01 (Ansul) Rn. 27. 208  Siehe supra, § 4 A.VI.4.b. 204

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

bb) Fehlende oder nicht ausgeübte Rechtssetzungskompetenz Von einem stillschweigenden Verweis auf das mitgliedstaatliche Recht ist zunächst dann auszugehen, wenn der Unionsgesetzgeber aufgrund fehlender oder nicht ausgeübter Rechtssetzungskompetenz in einem spezifischen Bereich keine einheitliche Terminologie schaffen wollte.209 Der EuGH verzichtete daher im Fall Meico-Fell210 darauf, den in Art. 3 VO Nr. 1697/79211 verwendeten Begriff der „strafrechtlich verfolgbaren Handlung“ nach unionsrechtlichen Kriterien zu konkretisieren. Zwar könne die Anwendung dieses Kriteriums, so der Gerichtshof, angesichts des in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden materiellen Strafrechts zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Dies beruhe jedoch darauf, dass die strafrechtliche Einordnung eines bestimmten Verhaltens beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht harmonisiert und daher Sache des nationalen Rechts sei. Auch in den Rechtssachen Fundación Gala-Salvador Dalí 212 und Caffaro213 respektierte der EuGH, dass bestimmte Bereiche (wie das Erbrecht und das Zwangsvollstreckungsverfahren) durch die fraglichen Richtlinien nicht harmonisiert werden sollten: Der Gerichtshof räumte den Mitgliedstaaten die Befugnis ein, die betreffenden Rechtsbegriffe („Rechtsnachfolger“, „vollstreckbarer Titel“) nach nationalen Maßstäben zu konkretisieren. cc) Berücksichtigung der gewählten Kompetenzgrundlage Die dem Sekundärrechtsakt zugrunde liegende Kompetenzgrundlage kann ebenfalls als Indiz für die Frage herangezogen werden, ob unbestimmte Rechtsbegriffe nach unionsrechtlichen oder innerstaatlichen Kriterien auszufüllen sind. Der Gerichtshof hat die dem Unionsgesetzgeber gesetzten Verbandskompetenzen zu beachten. Dementsprechend muss es ihm verwehrt bleiben, ausfüllungsbedürftige Sekundärrechtsakte, die auf der Grundlage von Art. 114 Abs. 1 AEUV erlassen worden sind, zu konkretisieren, wenn eine einheitliche Auslegung ganz offensichtlich weder der Verhinderung spürbarer Wettbewerbsverzerrungen dient noch für eine Marktöffnung erforderlich ist.214 In diesem Sinne rechtfertigte der Gerichtshof die Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten im Fall Fundación Gala-Salvador Dalí215 nicht nur damit, dass die Folgerechts-RL 2001/84 ihren Begründungserwägungen zufolge das Erbrecht unangetastet lässt. Vielmehr stellte der Gerichtshof auch darauf ab, dass die FolgerechtsRL 2001/84 Wettbewerbsverzerrungen auf dem Kunstmarkt beseitigen will. Sonstige Unterschiede, die sich nicht nachteilig auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken können, sind demgegenüber nach Ansicht des EuGH wegen der gewählten Rechtsgrundlage (Art. 95 EG, jetzt Art. 114 AEUV) nicht zu beseitigen. Dementspre209

  GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑467/08 (Padawan) Rn. 62.   EuGH, Rs. C‑273/90 (Meico-Fell) Rn. 12.   Verordnung Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet, ABl. 1979 L 197/1. 212   EuGH, Rs. C‑518/08 (Fundación Gala-Salvador Dalí). 213   EuGH, Rs. C‑265/07 (Caffaro). 214  Zutreffend W.-H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 834. 215   EuGH, Rs. C‑518/08 (Fundación Gala-Salvador Dalí). 210 211

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

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chend sei es, „damit so viel Spielraum wie möglich für einzelstaatliche Entscheidungen bleibt, ausreichend, nur diejenigen nationalen Vorschriften zu harmonisieren, die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken“.216 Den Mitgliedstaaten steht es daher frei, ihre eigenen gesetzgeberischen Entscheidungen zu treffen, um die Kategorien von Personen festzulegen, denen nach dem Tod des Urhebers eines Kunstwerks das Folgerecht zugute kommen kann. Ähnlich argumentierte Generalanwältin Trstenjak im Fall Idryma Typou,217 dass der in der Publizitäts-RL 68/151 verwendete Begriff der Gesellschaftsverpflichtungen nicht vom EuGH konkretisiert werden dürfe; da sich die Richtlinie in Einklang mit dem Subsidiaritätsgrundsatz auf die Angleichung von Einzelaspekten beschränke, liege ein stillschweigender Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten vor. Der Gerichtshof stimmte diesen Ausführungen im Ergebnis zu.218 dd) Fehlende unionsrechtliche Konkretisierungsmöglichkeiten Der EuGH nimmt eine stillschweigende Verweisung auf das nationale Recht auch dann an, wenn eine einheitliche Begriffsbildung nach unionsrechtlichen Maßstäben nicht möglich ist.219 So stellte der Gerichtshof etwa im Fall Francovich II220 fest, dass der Begriff der „Zahlungsunfähigkeit“ im Sinne der Richtlinie  80/987 angesichts der erheblichen Unterschiede der nationalen Konkursrechte und der hiermit verbundenen Schwierigkeiten, einen gemeinschaftsweiten Begriff der „Zahlungsunfähigkeit“ zu entwickeln, eine Verweisung auf das nationale Recht beinhalte. Berühmt geworden ist die so genannte Tessili-Regel,221 wonach der „Erfüllungsort“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ in Ermangelung eines vereinheitlichten Schuldrechts nicht vertragsautonom, sondern nach dem Recht zu bestimmen war, das nach dem Kollisionsrecht des entscheidenden Gerichts auf die fragliche Verpflichtung anwendbar ist (lex causae). Der Gerichtshof berief sich auch in dieser Entscheidung darauf, dass sich eine autonome Auslegung der Vorschrift angesichts der erheblichen Rechtsunterschiede und „in Ermangelung jeder Vereinheitlichung des anwendbaren materiellen Rechts beim gegenwärtigen Stand der Rechtsentwicklung“ als unmöglich erweist. Mit Inkrafttreten der Brüssel I-VO 44/2001 hat sich diese Rechtslage allerdings geändert; Art. 5 Nr. 1 lit. b Brüssel I-VO 44/2001 (jetzt Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel I-VO 1215/2012) legt den Erfüllungsort nunmehr für bestimmte Vertragsarten (Kauf beweglicher Sachen und Erbringung von Dienstleistungen) autonom fest. Auch das EuG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Recht der Mitgliedstaaten für die Anwendung des Unionsrechts heranzuziehen ist, wenn „der Unionsrichter dem Unionsrecht oder den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts 216

  EuGH, Rs. C‑518/08 (Fundación Gala-Salvador Dalí) Rn. 31.   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑81/09 (Idryma Typou) Rn.  43 – 46.   EuGH, Rs. C‑81/09 (Idryma Typou) Rn. 37 ff. 219   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑467/08 (Padawan) Rn. 64. Aus dem Schrifttum Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 478 ff.; Riesenhuber, in ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl., 2010, § 11 Rn. 8. 220   EuGH, Rs. C‑479/93 (Francovich/Italien – „Francovich II“) Rn. 28. 221   EuGH, Rs. 12/76 (Tessili) Rn. 14 f. Bestätigt durch EuGH, Rs. C‑288/92 (Custom Made Commercial) Rn. 26 ff.; Rs. C‑440/97 (Groupe Concorde u. a.) Rn. 17 ff.; Rs. C‑420/97 (Leathertex Divisione Sintetici) Rn. 33. 217 218

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

keine Anhaltspunkte entnehmen kann, die es ihm erlauben, Inhalt und Tragweite einer Bestimmung durch autonome Auslegung zu ermitteln“.222 Das Gericht entschied daher, dass der im Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften enthaltene Begriff der gesetzlichen Unterhaltspflicht nach den Maßstäben des anwendbaren nationalen Rechts zu konkretisieren ist.223 6. Zwischenergebnis Entscheidungen, in denen die europäischen Gerichte die Auslegung eines im Unionsrecht verwendeten Begriffs vollständig den Mitgliedstaaten überlassen haben, bilden insgesamt betrachtet die Ausnahme. Gewöhnlich kann der Inhalt eines unbestimmten Rechtsbegriffs im Wege der Auslegung, insbesondere unter Berücksichtigung der übrigen Richtlinienregelungen und der Erwägungsgründe zumindest teilweise erschlossen werden. In diesen Fällen kommt es zu einer gespaltenen Auslegung: Während der Gerichtshof im Wege der autonomen Auslegung einen allgemeinen Rahmen entwickelt, obliegt den Mitgliedstaaten die konkrete Ausgestaltung dieses Rahmens. Zu dieser Entscheidungslinie zählen insbesondere die Urteile Veedfald (zum Schadensbegriff der Produkthaftungs-RL 85/374) sowie Ingmar und Honywed (zum Ausgleichsanspruch nach der Handelsvertreter-RL 86/653). In allen drei Entscheidungen entwickelte der Gerichtshof nur allgemeine unionsrechtliche Anforderungen, während die konkrete Ausgestaltung mangels unionsrechtlicher Konkretisierungsmöglichkeiten den Mitgliedstaaten überlassen wurde.224 Die Rechtsprechung zum Immaterialgüterrecht fügt sich in diese Judikaturlinie ein. Im Urteil SENA225 führte der Gerichtshof aus, dass der Begriff der „angemessenen Vergütung“ in Art. 8 Abs. 2 Vermiet- und Verleih-RL 92/100226 einheitlich auszulegen ist, wobei den Mitgliedstaaten jedoch die Wahl der Kriterien überlassen bleibt, die am besten geeignet sind, um innerhalb der vom Gemeinschaftsrecht und insbesondere der Richtlinie gezogenen Grenzen die Beachtung dieses Gemeinschaftsbegriffs zu gewährleisten. Ähnlich urteilte der Gerichtshof im Fall Padawan,227 dass der in Art. 5 Abs. 2 lit. b InfoSoc-RL 2001/29 verwendete Begriff des „gerechten Ausgleichs“ für Privatkopien zwar ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist, der in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen ist. Gleichzeitig betonte er aber, dass die Mitgliedstaaten innerhalb der vom Unionsrecht auferlegten Grenzen „die Form, die Art und Weise der Finanzierung und Erhebung sowie die Höhe dieses gerechten Ausgleichs“ festlegen dürfen.

222   EuG, Rs. T‑62/10  P (Zangerl-Posselt/Europäische Kommission) Rn. 41. Vgl. zuvor EuG, Rs. T‑43/ 90 (Díaz García/Parlament) Rn. 36; Rs. T‑85/91 (Khouri/Kommission) Rn. 32; EuG, Rs. T‑58/08 P (Kommission/Roodhuijzen) Rn. 70. 223  EuG, Rs. T‑43/90 (Díaz García/Parlament) Rn. 37 ff.; Rs. T‑85/91 (Khouri/Kommission) Rn. 33 ff. Die Begriffe „Ehe“ und „nichteheliche Lebensgemeinschaft“ sind demgegenüber autonom nach den Maßstäben des Statuts auszulegen; EuG, Rs. T‑58/08 P (Kommission/Roodhuijzen) Rn. 76 ff., 79, 86. 224   EuGH, Rs. C‑203/99 (Veedfald) Rn. 25 ff.; Rs. C‑381/98 (Ingmar) Rn. 21; Rs. C‑465/04 (Honyvem Informazioni Commerciali) Rn. 34 f. 225   EuGH, Rs. C‑245/00 (SENA) Rn. 38. 226   Jetzt Art. 8 Abs. 2 RL 2006/115 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums. 227   EuGH, Rs. C‑467/08 (Padawan) Rn. 37. Hierzu Dreier, ZUM 2011, 281.

A. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts

233

VII. Ergebnis Die Durchführung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten unter Rückgriff auf mitgliedstaatliches Recht führt zwangsläufig dazu, dass das Unionsrecht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich durchgesetzt wird. Der Rückgriff auf nationales Recht steht damit im Spannungsverhältnis zum Gebot der einheitlichen Wirksamkeit. Diese Kollision wird vom EuGH nicht eindimensional zugunsten des Unionsrechts aufgelöst. Soweit das Unionsrecht keine Vorgaben enthält, verfügen die Mitgliedstaaten vielmehr über einen Gestaltungsspielraum, der primärrechtlich durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sowie das Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip abgesichert ist.228 Alle drei Prinzipien weisen den Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts allerdings keinen absolut geschützten Bereich zu, der gegenüber europäischen Einflüssen immun wäre. Der Grundsatz der Verfahrens­ autonomie umschreibt nur eine Kompetenzvermutung zugunsten der Mitgliedstaaten. Der zwischen dem Gebot der einheitlichen Wirksamkeit und der Verfahrensautonomie bestehende Konflikt wird vom EuGH über das Effektivitätsgebot aufgelöst:229 Nicht jede Beeinträchtigung der einheitlichen Wirksamkeit führt zu einem Verstoß gegen das Unionsrecht. Nationales Recht kann, soweit das Unionsrecht keine genaueren Vorgaben enthält, insbesondere nicht am Erfordernis der einheitlichen Wirksamkeit kontrolliert werden. Die sich aus der Anwendung mitgliedstaatlichen Rechts ergebenden Unterschiede sind grundsätzlich hinzunehmen. Die den Mitgliedstaaten zugesicherte Gestaltungsfreiheit wird durch das Effektivitätsgebot erst dann begrenzt, wenn die Durchsetzung des Unionsrechts praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert wird. Die flexible Formulierung des Effektivitätsgebots sorgt prinzipiell dafür, dass ein angemessener Ausgleich zwischen dem Geltungsanspruch des Unionsrechts auf der einen und der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten auf der anderen Seite im Einzelfall hergestellt werden kann. Der Gerichtshof nimmt für sich in Anspruch, das Unionsrecht nicht nur auszulegen, sondern auch dynamisch weiterzuentwickeln. Auf diese Weise haben die europäischen Richter in der Vergangenheit immer wieder Vorgaben für das nationale Recht entwickelt, die über die für indirekte Kollisionen formulierten Vorgaben hinausgehen. Dies führt zu Kompetenzproblemen. In dem Maße, in dem der EuGH unbestimmte Rechtsbehelfe, Verfahren und Sanktionen im Wege der Rechtfortbildung konkretisiert, wächst die Gefahr, dass die Kompetenzgrenzen der Union durch immer detailliertere Anforderungen, die richterrechtlich aus dem effet utile abgeleitet werden, überspielt werden. Auch das institutionelle Gleichgewicht kann aus der Balance geraten. Eine rechtsfortbildende Ergänzung oder gar Korrektur des geschriebenen Rechts kann im Primärrecht dazu führen, dass der Handlungsspielraum des Unionsgesetzgebers in bedenklicher Weise eingeschränkt wird. Der EuGH trägt diesen Bedenken grundsätzlich Rechnung.230 Die im Wege der Rechtsfortbildung begründeten primärrechtlichen Rechtspositionen werden zumeist nicht detailliert vorgegeben, sondern nur dem Grunde nach statuiert. Die genaue Ausgestaltung wird den Mitgliedstaaten in den Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots überlassen. Auf diese Weise wahrt der Gerichtshof die Verfahrensauto228

  Supra, § 4 A.IV.   Supra, § 4 A.V. 230   Supra, § 4 A.VI. 229

234

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

nomie der Mitgliedstaaten und zugleich das institutionelle Gleichgewicht im Verhältnis zum Unionsgesetzgeber. Auch die Rechtsprechung zum Sekundärrecht belegt, dass der EuGH bei Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe Zurückhaltung übt. Zwar gilt vom Grundsatz her, dass unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln vom Gerichtshof auszulegen sind, unabhängig davon, ob es sich bei dem Sekundärrechtsakt um eine Verordnung oder um eine Richtlinie handelt. Der Gerichtshof sieht jedoch von einer Konkretisierung ab, wenn Sekundärrechtsakte ausdrücklich oder stillschweigend auf mitgliedstaatliches Recht verweisen. Demzufolge kommt es bei Durchführung des Primär- und Sekundärrechts zu einer gespaltenen Auslegung und der bereits mehrfach angesprochenen Hybridisierung. Subjektives Recht, Anspruchsvoraussetzungen, Rechtsfolgen und gerichtliche Durchsetzung liegen nicht auf derselben Normebene, sondern wurzeln – je nach Konkretisierungsgrad der fraglichen Norm und in Abhängigkeit zu den hierzu entwickelten Vorgaben des EuGH – teils im Unionsrecht und teils (in den Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots) im nationalen Recht. Dieser Rechtszustand ist unbefriedigend. Die gegenwärtige Situation untergräbt die einheitliche Anwendung und praktische Wirksamkeit des Unionsrechts, führt darüber hinaus aber auch im nationalen Recht zu Rechtszersplitterung und Rechtsunsicherheit. Dafür ist allerdings nicht der EuGH verantwortlich. Der Gerichtshof hat zum einen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung zu beachten, der eine umfassende Harmonisierung der Rechtsfolgen und Verfahren gerade verbietet und nur auf einzelne Kompetenzgrundlagen gestützte Annexzuständigkeiten begründet. Zum anderen muss der Gerichtshof den Umstand berücksichtigen, dass der Unionsgesetzgeber die vorhandenen Rechtssetzungskompetenzen nicht immer ausschöpft und häufig bewusst darauf verzichtet, Rechtsfolgen und Sanktionen zu vereinheitlichen.

B. Grundfreiheiten und nationale Rechtsfolgen Nationale Rechtsfolgen unterliegen in besonderen Konstellationen einer eigenständigen Grundfreiheitenkontrolle und können damit am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemessen werden (I.). Der EuGH hat die maßgeblichen Grundsätze hierfür zunächst für straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen entwickelt (II.). Ob das mitgliedstaatliche Zivil- und Zivilverfahrensrecht in gleichem Maße einer Grundfreiheitenkontrolle unterliegt, ist immer noch ungeklärt. Zwar lehnt der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung eine Überprüfung zivil- und zivilverfahrensrechtlicher Regelungen ab, wenn diese nicht den Zweck haben, speziell den Handelsverkehr zu regeln. Dennoch finden sich Urteile, in denen der Gerichtshof unter bestimmten Voraussetzungen auch zivilrechtliche Rechtsfolgen und zivilprozessuale Normen am Maßstab der Grundfreiheiten gemessen hat (III.). Insgesamt betrachtet geht von der Grundfreiheitenrechtsprechung des EuGH dennoch keine nennenswerte Harmonisierungswirkung aus (IV.).

B. Grundfreiheiten und nationale Rechtsfolgen

235

I. Eigenständige Kontrolle nationaler Rechtsfolgen am Maßstab der Grundfreiheiten 1. Die verschiedenen Konstellationen Verstößt eine nationale Regelung gegen die Grundfreiheiten, so sind die zu ihrer Durchsetzung bestimmten Rechtsfolgen ebenfalls mit den Grundfreiheiten unvereinbar, ohne dass im Einzelnen geprüft werden müsste, ob die Rechtsfolgen als solche gegen die Grundfreiheiten verstoßen. Der EuGH hat diesen Grundsatz schon früh aufgestellt231 und im Urteil Safalero232 für das Straf- und Verwaltungsrecht mit den Worten bekräftigt, dass „eine Sanktionsregelung, die Geldbußen oder andere Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung einer nationalen Regelung vorsieht, die für mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar befunden worden ist, schon allein aus diesem Grund als mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar erachtet werden muss, ohne dass ihre Vereinbarkeit mit dem Diskriminierungsverbot oder dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprüft zu werden braucht.“ Der Gerichtshof unterzieht nationale Rechtsfolgen daher in der Regel keiner eigenständigen Grundfreiheitenkontrolle, sondern beschränkt sich häufig darauf, die im nationalen Recht vorgesehenen Ge- oder Verbotsnormen (ggf. auch zusammen mit der betreffenden Sanktionsregelung) auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten zu überprüfen. Zu einer eigenständigen Kontrolle der im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsfolgen am Maßstab der Grundfreiheiten kommt es dagegen, wenn eine nationale Verhaltensnorm für sich genommen im Einklang mit den Grundfreiheiten steht (beispielsweise, weil schon gar kein Eingriff in den Schutzbereich vorliegt,233 oder weil die Norm durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt werden kann234), aber die zu ihrer Durchsetzung normierten Rechtsfolgen diskriminierend oder beschränkend im Binnenmarkt wirken. Darüber hinaus unterliegen nationale Rechtsfolgen auch dann einer Grundfreiheitenkontrolle, wenn die Mitgliedstaaten bei Umsetzung von Sekundärrecht Rechtsfolgen vorsehen, die in den Schutzbereich der Grundfreiheiten eingreifen.235 Besonderheiten bestehen in dieser Fallgruppe allerdings insoweit, als der Vorrang harmonisierten Sekundärrechts zu beachten ist. Nationale Regelungen in einem Bereich, der abschließend harmonisiert worden ist, sind nur anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme, nicht jedoch anhand des Primärrechts zu beurteilen.236 Soweit 231   EuGH, Rs. 179/78 (Rivoira) Rn. 14; Rs. 269/80 (Strafverfahren gegen Tymen) Rn.  16 – 17; verb. Rs. C‑388 & 429/00 (Radiosistemi) Rn.  79 – 80. 232   EuGH, Rs. C‑13/01 (Safalero) Rn. 45; vgl. auch EuGH, Rs. C‑12/02 (Strafverfahren gegen Grilli) Rn. 49. Hieraus folgt zugleich, dass ein Mitgliedstaat keine strafrechtlichen oder administrativen Sanktionen wegen Verstoßes gegen öffentlich-rechtliche Eintragungs- oder Genehmigungspflichten verhängen darf, wenn die mitgliedstaatlichen Behörden die Eintragung oder Genehmigung unter Verstoß gegen das Unionsrecht abgelehnt haben; vgl. EuGH, Rs. 5/83 (Rienks) Rn. 10 f.; verb. Rs.  C‑338, 359 – 360/04 (Placanica) Rn. 69. 233   Zu dieser Konstellation EuGH, Rs. 41/76 (Donckerwolcke) Rn. 4; Rs. 52/77 (Cayrol) Rn. 33/38; Rs. 179/78 (Rivoira) Rn.  16 – 18. 234   Zu dieser Konstellation EuGH, Rs. C‑213/04 (Burtscher) Rn. 44 ff., 54 ff. 235  Zu dieser Konstellation EuGH, Rs. 118/75 (Strafverfahren gegen Watson  & Belmann) Rn. 17 ff.; Rs. 157/79 (Strafverfahren gegen Pieck); Rs. C‑193/94 (Strafverfahren gegen Skanavi & Chryssanthakopoulos) Rn. 6, 29 ff. 236   EuGH, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts) Rn. 33; Rs. C‑411/04 (A‑Punkt Schmuckhandel) Rn. 12; Rs. C‑322/01 (Doc Morris) Rn. 64; Rs. C‑421/04 (Matrazen Concord) Rn. 20.

236

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

indessen keine Vollharmonisierung erfolgt ist – und dies ist bei Rechtsfolgen regelmäßig der Fall –, können die betreffenden Sanktionen auch am Maßstab der Grundfreiheiten gemessen werden.237 2. Konsequenzen der Grundfreiheitenkontrolle Eine Überprüfung nationaler Rechtsfolgen am Maßstab der Grundfreiheiten hat zur Folge, dass nationales Recht unter Rechtfertigungsdruck gerät: Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten müssen sich rechtfertigen lassen, anderenfalls ist die in Frage stehende Norm wegen eines Grundfreiheitenverstoßes nicht anwendbar. Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung kommt es dabei in vielen Fällen auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung an.238 Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind „Maßnahmen, durch die den Wirtschaftsteilnehmern finanzielle Belastungen auferlegt werden, nur rechtmäßig, wenn sie zur Erreichung der zulässigerweise mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sind. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die auferlegten Belastungen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen.“239 Diese vom EuGH für die Überprüfung unionsrechtlicher Maßnahmen formulierten Kriterien gelten prinzipiell auch für die Überprüfung nationalen Rechts am Maßstab der Grundfreiheiten: Mitgliedstaatliche Beschränkungen der Grundfreiheiten können nach ständiger Rechtsprechung nur dann durch die im AEUV normierten Gründe und durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden, wenn die betreffenden Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sind.240 Im Regelfall begnügt sich der Gerichtshof allerdings mit einer zweistufigen Prüfung. Der EuGH fragt häufig nur, ob eine Maßnahme geeignet ist, den erwünschten Zweck zu erfüllen, und ob sie erforderlich ist, ob also der Zweck mit genauso wirksamen, aber milderen Mitteln erfüllt werden kann. Die Angemessenheit als weiteres Kriterium wird demgegenüber zumeist nicht erwähnt.241 Speziell bei strafrechtlichen und administrativen Sanktionen gewinnt indessen auch dieses dritte Kriterium an Bedeutung. Hier verlangt der EuGH regelmäßig, dass die im nationalen Recht angeordneten Sanktionen im Vergleich zur „Schwere des Verstoßes“242 bzw. „Art des Verstoßes“243 nicht außer Verhältnis stehen dürfen. Im Mittelpunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung steht dann eine Abwägung zwischen 237   Den Grundfreiheiten kommt in diesen Konstellationen allerdings nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Ergreifen die Mitgliedstaaten bestimmte Maßnahmen zur Durchführung des Unionsrechts, so unterliegen diese zugleich den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und damit ebenfalls dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; vgl. infra, § 4 C.III.4. Insoweit erübrigt sich in derartigen Durchführungssituationen häufig die Vorprüfung, ob die im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionen in den Schutzbereich der Grundfreiheiten eingreifen. 238   Allgemein zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 2003; Pache, NVwZ 1999, 1033 ff.; Trstenjak/Beysen, EuR 2012, 265 ff. 239   EuGH, Rs. 265/87 (Schräder) Rn. 34. 240  Ehlers/Ehlers, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 7 Rn. 129 f. 241   Trstenjak/Beysen, EuR 2012, 265, 269 f. 242   EuGH, Rs. 118/75 (Strafverfahren gegen Watson & Belmann) Rn. 21/22; Rs. 157/79 (Strafverfahren gegen Pieck) Rn. 19; Rs. 230/80 (Strafverfahren gegen Casati) Rn. 27; Rs. C‑265/88 (Strafverfahren gegen Messner) Rn. 19; Rs. C‑193/94 (Strafverfahren gegen Skanavi & Chryssanthakopoulos) Rn. 37. 243   EuGH, Rs. 179/78 (Rivoira) Rn. 18.

B. Grundfreiheiten und nationale Rechtsfolgen

237

dem Nutzen der Maßnahme für die Allgemeinheit einerseits und dem Ausmaß der Beeinträchtigung grundfreiheitlich geschützter Rechtspositionen andererseits. Bei zivilrechtlichen Sanktionen kommt es demgegenüber insbesondere darauf an, ob die betreffenden Maßnahmen mit anderen Mitteln ebenso wirksam durchgesetzt werden können.244

II. Kontrolle straf- und verwaltungsrechtlicher Sanktionen am Maßstab der Grundfreiheiten 1. Rechtsprechung des EuGH Eine der ersten Entscheidungen zur Überprüfung straf- und verwaltungsrechtlicher Sanktionen erging bereits im Jahre 1976 im Fall Watson & Belmann.245 In dem betreffenden Ausgangsverfahren wurde einer britischen Staatsangehörigen vorgeworfen, sich für mehrere Monate nach Italien begeben zu haben, ohne dass sie ihren Aufenthalt den italienischen Behörden fristgerecht angezeigt hatte. Der Gerichtshof stellte fest, dass die im italienischen Recht vorgesehene Pflicht zur Aufenthaltsanzeige zwar für sich genommen mit dem damaligen Gemeinschaftsrecht in Einklang stand und insbesondere nicht gegen die Bestimmungen über die Freizügigkeit (jetzt Art. 45 – 62 AEUV) verstieß. Die bei einem Verstoß im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsfolgen (Geld- und Freiheitsstrafen, Ausweisung) seien demgegenüber nicht gerechtfertigt, da die Sanktionen so außer Verhältnis zur Schwere der Tat stünden, dass sie sich als eine Behinderung der Freizügkeit erwiesen. Wenige Monate später bestätigte der EuGH diese Grundsätze im Fall Donckerwolcke246 für die Warenverkehrsfreiheit. Aufschlussreich ist auch der Fall Skanavi247 aus dem Jahre 1996. Der Griechin Skanavi wurde in einem deutschen Strafverfahren zur Last gelegt, ihre Fahrerlaubnis nicht binnen eines Jahres nach Begründung ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland umgetauscht zu haben. Der EuGH urteilte, dass die Pflicht zum Führerscheinumtausch zur fraglichen Zeit nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen habe und mit der Niederlassungsfreiheit (jetzt Art. 49 AEUV) grundsätzlich vereinbar sei.248 Der Verstoß gegen die Umtauschpflicht dürfe jedoch nicht dem Fahren ohne Fahrerlaubnis gleichgestellt und mit einer Freiheits- oder Geldstrafe geahndet werden. Derartige Sanktionen seien unverhältnismäßig, denn zum einen bestätige die 244   EuGH, Rs. C‑213/04 (Burtscher) Rn. 60; Rs. C‑325/08 (Olympique Lyonnais) Rn. 64. Hierzu ausführlich §  4 B.III.4.b. – c. 245   EuGH, Rs. 118/75 (Strafverfahren gegen Watson  & Belmann) Rn. 17 – 22. Bestätigt durch EuGH, Rs. 157/79 (Strafverfahren gegen Pieck); Rs. C‑265/88 (Strafverfahren gegen Messner); Rs. C‑348/96 (Strafverfahren gegen Calfa). Mittlerweile werden die unionsbürgerlichen Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechte durch die Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, geregelt. 246   EuGH, Rs. 41/76 (Donckerwolcke) LS 4. Bestätigt durch EuGH, Rs. 52/77 (Cayrol) Rn. 33/38; Rs. 179/78 (Rivoira) Rn. 16 – 18. Vgl. ferner EuGH, Rs. 230/80 (Strafverfahren gegen Casati) Rn. 27: Verstöße gegen Devisenvorschriften durften zur fraglichen Zeit sanktioniert werden, an den Verstoß durften jedoch keine Sanktionen geknüpft sein, die so außer Verhältnis zur Schwere der Tat stehen, dass sie sich als eine Behinderung der Waren- und Personenverkehrsfreiheit erweisen. 247   EuGH, Rs. C‑193/94 (Strafverfahren gegen Skanavi & Chryssanthakopoulos). 248   EuGH, Rs. C‑193/94 Strafverfahren gegen Skanavi & Chryssanthakopoulos) Rn. 28, mit Hinweis darauf, dass zur fraglichen Zeit die Frist zur Umsetzung der Führerschein-Richtlinie 91/439/ EWG noch nicht abgelaufen war.

238

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Ausstellung eines neuen Führerscheins durch den Aufnahmestaat lediglich das bereits in einem anderen Mitgliedstaat begründete Recht zum Führen eines Kraftfahrzeugs, so dass die Umtauschpflicht nur verwaltungstechnischen Erfordernissen entspreche. Zum anderen stünde die im deutschen Recht vorgesehene Sanktion angesichts der gravierenden Folgen für die Ausübung eines selbständigen oder unselbständigen Berufs außer Verhältnis zur Schwere des Verstoßes.249 Für Aufsehen sorgte das Urteil Gambelli,250 in welchem der Gerichtshof nicht nur grundlegend klarstellte, dass die gewerbliche Veranstaltung und Vermittlung von Glücksspielen und Sportwetten im Internet ebenso wie die Teilnahme an diesen Spielen von der Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit geschützt wird, sondern zugleich unter Bezugnahme auf Skanavi betonte, dass Strafsanktionen, die gegen Teilnehmer und Vermittler von Glücksspielen verhängt werden, verhältnismäßig sein müssen. Im Unterschied zu den zuvor diskutierten Urteilen prüfte der EuGH indessen die im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionen nicht selbst auf ihre Verhältnismäßigkeit, sondern überantwortete diese Prüfung vielmehr dem vorlegenden Gericht.251 2. Auswertung Die zuvor geschilderten Fälle zeigen, dass nicht nur nationale Ge- und Verbotsnormen an den Grundfreiheiten zu messen sind, sondern auch die zu ihrer Durchsetzung erlassenen straf- und verwaltungsrechtlichen Sanktionen. Kennzeichnend für diese Rechtsprechung ist, dass der Gerichtshof nicht etwa jedwede Sanktionierung untersagt, sondern speziell die im mitgliedstaatlichen Recht vorgesehenen straf- oder verwaltungsrechtlichen Sanktionen unangewendet wissen will. Gehen von einer straf- oder verwaltungsrechtlichen Sanktion zusätzliche Beschränkungen für den Binnenmarkt aus, so unterliegt die betreffende Rechtsfolge dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. In diesem Rahmen kommt es vor allem auf die Angemessenheit der Sanktionen an. Verstöße gegen bloße Ordnungs- oder Formalvorschriften dürfen nicht mit einer Freiheitsstrafe oder einer unverhältnismäßig hohen Geldstrafe sanktioniert werden. Das Unionsrecht setzt damit eine Obergrenze, die von den Mitgliedstaaten nicht überschritten werden darf. Die Grundfreiheiten ergänzen auf diese Weise die sonstigen Freiheitsgewährleistungen, die aus den Unionsgrundrechten und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen folgen.

249   EuGH, Rs. C‑193/94 (Strafverfahren gegen Skanavi & Chryssanthakopoulos) Rn. 36 ff. Kein Verstoß gegen die Grundfreiheiten liegt dagegen vor, wenn infolge fehlenden Führerscheinumtausches die Strafverfolgung eines Drittstaatsangehörigen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Rede steht; vgl. EuGH, Rs. C‑230/97 (Strafverfahren gegen Awoyemi). 250   EuGH, Rs. C‑243/01 (Gambelli) Rn. 72 f. 251   EuGH, Rs. C‑243/01 (Gambelli) Rn. 66. Der Gerichtshof gibt dem vorlegenden Gericht zwar konkrete Hinweise, welche Gesichtspunkte bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen sind (Rn. 72 f. des Urteils). Die dort aufgestellten Kriterien der Geeignetheit und Erforderlichkeit strafrechtlicher Sanktionen stimmen indessen im Wesentlichen mit den Gesichtspunkten überein, die das vorlegende Gericht bereits berücksichtigen muss, wenn die Verhältnismäßigkeit der nationalen Verbotsnorm selbst in Rede steht. Dem Urteil Gambelli lassen sich daher keine sanktionsspezifischen Kriterien entnehmen, die über die bisherige Rechtsprechung hinausreichen.

B. Grundfreiheiten und nationale Rechtsfolgen

239

III. Kontrolle zivilrechtlicher Rechtsfolgen am Maßstab der Grundfreiheiten 1. Keine Bereichsausnahme für privatrechtliche Normen Im Grundsatz besteht Einigkeit, dass nicht nur öffentlich-rechtliche Normen, sondern auch zivilrechtliche Regelungen am Maßstab der Grundfreiheiten geprüft werden können, soweit sie einen Wirtschaftsbezug aufweisen.252 Für die Frage, ob eine mitgliedstaatliche Vorschrift mit den Grundfreiheiten vereinbar ist, kann es nämlich nicht auf die (in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich vorgenommene) Zuordnung zu einem bestimmten Rechtsgebiet ankommen, sondern allein darauf, ob sich die betreffende Regelung diskriminierend oder beschränkend im Binnenmarkt auswirkt. Im Schrifttum wird daher bereits seit geraumer Zeit zutreffend darauf verwiesen, dass privatrechtliche Rechtsfolgen den Binnenmarkt ebenso den Binnenmarkt beeinträchtigen können wie öffentlich-rechtliche Sanktionen.253 So kann sich ein Verbot von Haustürgeschäften254 oder etwa das Verbot, vom Verbraucher bei Fernabsatzgeschäften vor Ablauf der Widerrufsfrist eine Anzahlung zu verlangen,255 beschränkend im Binnenmarkt auswirken, ohne dass es darauf ankäme, ob diese Verbote nach nationalem Recht strafbewehrt sind, durch Verwaltungssanktionen geahndet oder zivilrechtlich (z. B. durch die Nichtigkeit des Vertrages oder Schadensersatzregelungen) sanktioniert werden. Der EuGH überprüft in seiner Rechtsprechung daher wie selbstverständlich auch privatrechtliche Normen am Maßstab der Grundfreiheiten.256 Dies gilt nicht nur für Normen, die private und öffentliche Interessen schützen, sondern auch für Kernbereiche des Privatrechts wie etwa das Vertragsrecht.257 2. Eingrenzungsversuche In welchem Umfang privatrechtliche Regelungen einer Grundfreiheitenkontrolle unterliegen, ist bereits seit langem Gegenstand einer kontrovers geführten Diskussion.258 Da der Gerichtshof einen weiten Beschränkungsbegriff zugrunde legt und die Grundfreiheiten einem Freiheitsrecht angenähert hat,259 wird allgemein die Befürchtung geäußert, dass eine umfassende Überprüfung der mitgliedstaatlichen Rechtsord252   Privatrechtsnormen, die (wie z. B. die Regelungen der §§ 1587 ff. BGB zum Versorgungsausgleich) keinerlei Wirtschaftsbezug aufweisen, fallen von vornherein nicht in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten; vgl. EuGH, Rs. C‑430/97 (Johannes) Rn. 27. 253   Kieninger, Mobiliarsicherheiten im europäischen Binnenmarkt, 1996, S. 124; Leible, Wege, 2001, § 4 D.; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 93; Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 1. Aufl. 2005, § 2 Rn. 41. 254   Vgl. EuGH, Rs. 382/87 (Buet); Rs. C‑20/03 (Burmanjer); Rs. C‑441/04 (A‑Punkt Schmuckhandel). 255   Vgl. EuGH, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts). 256   EuGH, Rs. 15/78 (Koestler) Rn. 3 ff.; Rs. C‑69/88 (Krantz) Rn. 10 f.; Rs. C‑93/92 (CMC Motorradcenter) Rn. 8 ff.; Rs. C‑190/98 (Graf) Rn. 25; Rs. C‑213/04 (Burtscher) Rn. 54 ff. Zum Zivilprozessrecht siehe nur EuGH, Rs. C‑208/00 (Überseering) Rn.  80 – 82, 93. 257   Bachmann, AcP 210 (2010), 424, 435 f. 258   Ausführlich zur Prüfung des Vertragsrechts am Maßstab der Grundfreiheiten Remien, Zwingendes Vertragsrecht, 2003, S. 178 ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 93 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 411 ff. Zur Prüfung des Prozessrechts am Maßstab der Grundfreiheiten Heiderhoff, ZEuP 2001, 276, 282; Heinze, EuR 2008, 654, 676 ff. 259   Hierzu noch infra, § 6 C.III.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

nungen zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen und die Systematik gewachsener Rechtssysteme zerstören könnte.260 Vor diesem Hintergrund sind im Schrifttum verschiedene Ansätze entwickelt worden, um den Umfang der Grundfreiheitenkontrolle einzugrenzen. So wird etwa die Ansicht vertreten, dass nur zwingendes Recht, nicht jedoch dispositives Recht geeignet sei, den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern, da die Parteien dieses abbedingen können.261 Weitergehend wird unter Hinweis auf die Rechtssache Alsthom Atlantique262 geltend gemacht, dass eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch (zwingendes oder dispositives) Privatrecht jedenfalls dann ausscheide, wenn die Parteien durch Rechtswahl auf das anwendbare Privatrecht Einfluss nehmen können.263 Der Grundfreiheitenkontrolle unterliege daher nur das Recht, welches die Parteien nicht abwählen könnten. – Ob der Gerichtshof dem folgen würde, ist ungewiss. Faktisch steht die Möglichkeit der Rechtswahl und Rechtsgestaltung nur Wenigen offen.264 Kollisionsrechtliche Abwahlmöglichkeiten können zudem nur dann sinnvoll wahrgenommen werden, wenn sich die Betreffenden in ausreichendem Maße über die jeweilige Rechtsordnung informieren; die hiermit verbundenen Transaktionskosten könnten für sich genommen aber geeignet sein, den innerstaatlichen Handel zu beschränken.265 Abgesehen hiervon greifen die im Schrifttum aufgestellten Ausnahmen nur dann, wenn die Parteien vor Entstehung der Rechtsstreitigkeiten in einer Rechtsbeziehung standen und (kollisionsrechtliche) Prorogationsmöglichkeiten überhaupt bestehen. Gerade dies ist aber in vielen Bereichen nicht der Fall: Nach der Rom I-VO 593/2008 gilt der Grundsatz der freien Rechtswahl insbesondere nicht bei Verbraucherverträgen, Versicherungsverträgen und Individualarbeitsverträgen.266 Die Reichweite der Grundfreiheitenprüfung wird im Schrifttum ferner unter Rückgriff auf die Keck-Rechtsprechung begrenzt: Allgemeine privatrechtliche Regelungen sollen in der Regel als Vertriebsmodalitäten zu qualifizieren sein, da sie zumeist nur allgemeine Konditionen für den Verkauf festlegen und nicht den Handel mit bestimmten Produkten verbieten.267 Ein solch weites Verständnis verwischt indes260   Besonders prononciert Steindorff, JZ 1994, 95, 97 („horror juris“); Mülbert, ZHR 159 (1995), 1, 6 („systemsprengende Wirkung der Grundfreiheitenkontrolle“). 261   Basedow, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 347, 354; Grundmann, JZ 1996, 274, 278 f.; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 96 ff.; Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 1. Aufl. 2005, § 2 Rn. 67. A. A. Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 79; v. Wilmowsky, JZ 1996, 590, 595 f.; Langner, RabelsZ 65 (2001), 222, 227; Heiderhoff, Grundstrukturen, 2004, S. 23 f. Vermittelnd Bachmann, AcP 210 (2010), 424, 446 (Abdingbarkeit ist Abwägungselement, das im Regelfall dazu führen wird, eine Marktversperrung zu verneinen, die gegenteilige Wertung jedoch nicht ausschließt). 262   EuGH, Rs. C‑339/89 (Alsthom Atlantique) Rn. 15 (obiter dictum); a. A. GA van Gerven, SchlA, a. a. O., Rn. 8 mit Fn. 15. 263   Grundmann, ZHR 163 (1999), 635, 656 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 144 ff.; Remien, Zwingendes Vertragsrecht, 2003, S. 186 ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 99 ff.; eingehend Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 411 ff. 264   So auch Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 4. Aufl., 2016, Rn. 58, S. 30. Hesselink, ERCL 2005, 44, 69, 75 f., macht i. Ü. darauf aufmerksam, dass es im Einzelnen schwierig sein kann, zwischen zwingendem und nicht zwingendem Vertragsrecht zu unterscheiden. 265   Wie hier Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 1. Aufl. 2005, § 2 Rn. 69 m. w. N. 266   Vgl. Art. 6 – 8 Rom I-VO 593/2008. Entsprechendes gilt nach der Brüssel I-VO 1215/2012 für das Verfahrensrecht. 267   Remien, Zwingendes Vertragsrecht, 2003, S. 193 ff.; an Keck orientiert auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 410, 585 ff., und Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 154 ff.

B. Grundfreiheiten und nationale Rechtsfolgen

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sen die Konturen des Begriffs „Vertriebsmodalitäten“. Regelungen im Kernbereich des Vertragsrechts, wie beispielsweise zwingende Gewährleistungsrechte oder Verjährungsvorschriften, gestalten den Vertrag und die Durchsetzung seines Inhalts aus; sie betreffen daher weder unmittelbar den Vertriebsvorgang selbst noch die primärrechtlichen Vertragspflichten.268 Auch für das Zivilprozessrecht erweist sich die KeckDichotomie als ungeeignet, denn zivilverfahrensrechtliche Normen regeln weder die Beschaffenheit oder Aufmachung der Ware noch die Modalitäten der Vermarktung, sondern werden erst später auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung relevant und gehören damit zu den allgemeinen Rahmenbedingungen des Handels.269 Andere Stimmen im Schrifttum gehen von einer immanenten Begrenzung der Grundfreiheiten aus: Das gesamte nicht-diskriminierende Privatrecht müsse von der Grundfreiheitenkontrolle ausgenommen werden, da eine umfassende Überprüfung der nationalen Privatrechtsordnungen im Widerspruch zum Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Art. 119 Abs. 1 AEUV; ex Art. 4 Abs. 1 EG) stehe.270 Schließlich wird vertreten, dass das nationale Privatrecht die Grundfreiheiten zwar beschränke, dass diese Beschränkungen aber in weitem Umfang gerechtfertigt werden könnten.271 3. Rechtsprechung des EuGH zum allgemeinen Zivilrecht und Zivilprozessrecht a) Handelsbeschränkung bei bloßen Rechtsunterschieden „zu ungewiss und indirekt“ Der EuGH verfolgt einen anderen Ansatz. Anstatt auf die Unterscheidung zwischen produkt- und vertriebsbezogenen Regelungen abzustellen oder aus dem Prinzip der offenen Marktwirtschaft immanente Schranken herzuleiten, greift das Gericht bei der Kontrolle zivilrechtlicher und zivilprozessualer Regelungen auf eine Argumentationsfigur zurück, die sich inzwischen zu einer eigenen Fallkategorie verdichtet hat: Zivilrechtliche und zivilprozessuale Regelungen, die nicht den Zweck haben, speziell den Handelsverkehr zu regeln, werden als „zu ungewiss und mittelbar“ betrachtet, als dass sie den Binnenmarkt beeinträchtigen könnten. So betonte der Gerichtshof in CMC Motorradcenter,272 dass die restriktiven Wirkungen einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht, derzufolge Importeure den Letztverbraucher darüber aufklären müssen, dass Gewährleistungsrechte bei Reimporten nur schwer durchsetzbar sind, „zu ungewiss und zu mittelbar sind, als dass diese Verpflichtung als geeignet angesehen werden könne, den Handel zwischen den MitSteindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 99, 107, 204, erklärt Privatrechtsnormen demgegenüber pauschal zu „Produktvorschriften“, soweit sie „primäre und sekundäre Leistungs- einschließlich Nebenpflichten begründen“. 268  Zutreffend Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, 1997, S. 83; Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 1. Aufl. 2005, § 2 Rn. 51. 269   Heinze, EuR 2008, 654, 676 f. 270   Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 267 f.; Schwintowski, RabelsZ 64 (2000), 38 ff.; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 4. Aufl., 2016, Rn. 66, S. 34. 271   Herresthal, Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 1. Aufl. 2005, § 2 Rn. 53. Zu den denkbaren Rechtfertigungsgründen auch Langner, RabelsZ 65 (2001), 222, 238 ff.; vgl. auch EuGH, Rs. C‑540/07 (Kommission/Italien) Rn. 55 (Kohärenz des Steuersystems als Rechtfertigungsgrund). 272   EuGH, Rs. C‑93/92 (CMC Motorradcenter) Rn. 11 f.; hierzu Köhler, ZEuP 1994, 664; Brüsselbach, JuS 1995, 21, 23.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

gliedstaaten zu behindern“. Ganz ähnlich entschied der Gerichtshof in der Rechtssache Krantz,273 dass die Entwertung eines Eigentumsvorbehalts durch ein staatliches Pfändungsvorrecht nicht geeignet sei, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern, da die hierdurch verursachte Belastung zu ungewiss und nur von mittelbarer Bedeutung sei. Nach Graf274 soll auch eine mitgliedstaatliche Regelung, derzufolge Arbeitnehmer ihren Abfindungsanspruch gegen den Arbeitgeber verlieren, wenn sie das Dienstverhältnis freiwillig beenden, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigen können, da der Abfindungsanspruch von einem zukünftigen hypothetischen Ereignis abhänge, das zu ungewiss und indirekt wirke. Der Gerichtshof greift auf das Kriterium der „zu indirekten und zu ungewissen Auswirkungen“ ferner dann zurück, wenn es um die Kontrolle zivilprozessualer Regelungen geht. So ist die beschränkende Wirkung nationaler Vorschriften auf den Binnenmarkt etwa zu ungewiss und zu mittelbar, wenn eine Patentschrift in der Amtssprache des betreffenden Mitgliedstaats eingereicht werden muss275 oder wenn im Fall der Auslandszustellung kein Mahnverfahren zur Verfügung steht.276 Die Grundfreiheiten stehen auch einer mitgliedstaatlichen Regelung nicht entgegen, wonach Opfer einer Straftat, die in einem Strafverfahren zivilrechtliche Ansprüche geltend machen wollen, ihrem Vertreter hierfür eine besondere Vollmacht erteilen müssen, selbst wenn das Recht des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit das Opfer der Straftat besitzt, diese Förmlichkeit nicht vorsieht.277 Der vom EuGH verfolgte Begründungsansatz ist im Schrifttum teils auf Kritik, teils aber auch auf Zustimmung gestoßen. Von den Kritikern wird insbesondere geltend gemacht, dass die Rechtsprechung im Widerspruch zur Dassonville-Formel stehe, derzufolge eine Beschränkung der Grundfreiheiten auch schon bei nur mittelbaren Behinderungen gegeben sein soll.278 Auch sei in den Fällen CMC Motorradcenter und Graf durchaus eine Handelsbehinderung zu erkennen gewesen, weil sowohl die Aufklärung über die Risiken von Reimporten als auch die Entwertung des Eigentumsvorbehalts den Import belasteten.279 Ganz allgemein wird kritisiert, dass der EuGH keine praktikablen Kriterien aufstelle, wo und wie innerhalb des Privatrechts die Grenze zwischen spürbaren und nicht spürbaren Handelsbehinderungen zu ziehen sein soll.280 Wie die Rechtsfigur der „zu indirekten und zu ungewissen Auswirkungen“ dogmatisch einzuordnen ist, ist in der Tat ungeklärt. Einige Autoren interpretieren die Äußerungen des EuGH im Sinne eines Spürbarkeitskriteriums,281 andere gehen von 273

  EuGH, Rs. C‑69/88 (Krantz) Rn. 11.   EuGH, Rs. C‑190/98 (Graf) Rn. 25. Kritisch hierzu Deckert/Schroeder, JZ 2001, 88 ff. 275   EuGH, Rs. C‑44/98 (BASF) Rn. 21. 276   EuGH, Rs. C‑412/97 (Fenocchio) Rn. 11. 277   EuGH, Rs. C‑177/94 (Perfili) Rn. 17, 19. 278   Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, 1997, S. 93; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 2004, S. 275 f. 279   Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, 1997, S. 90 f., 93; für CMC – Motorradcenter auch von der Groeben/Schwarze/Müller-Graff, 6. Aufl., 2003, Art. 28 EG Rn. 165. Beide Autoren befürworten eine Lösung auf der Rechtfertigungsebene. 280   Mülbert, ZHR 159 (1995), 1, 13 f. 281   Fezer, JZ 1994, 623, 624 f.; Rohe, RabelsZ 61 (1997), 1, 56 f.; Sack, GRUR 1998, 871, 873; ähnlich GA Darmon, SchlA, Rs. C‑69/88 (Krantz) Rn. 11; GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑412/93 (Le­ clerc-Siplec) Rn. 42 ff.; GA Stix-Hackl, SchlA, Rs. C‑532/02 (Kommission/Irland) Rn. 86; a. A. Steiner, CMLR 1992, 749, 771 f.; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, S. 85; Langner, RabelsZ 65 (2001), 222, 234; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 171 ff.; GA Tesauro, SchlA, Rs. C‑292/92 (Hünermund) Rn. 21. 274

B. Grundfreiheiten und nationale Rechtsfolgen

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einer Beweislastregel aus282 oder betonen, dass das Kriterium hypothetische Kausalverläufe ausschließen soll.283 Über diese Fragen ist noch später zu verhandeln.284 An dieser Stelle genügt die Feststellung, dass nach der Rechtsprechung die bloße Unterschiedlichkeit nationaler Rechtsordnungen jedenfalls nicht per se zu einer Beeinträchtigung der Grundfreiheiten führt. Ganz allgemein formuliert der Gerichtshof in Perfili:285 „Nach ständiger Rechtsprechung verbieten [die Grundfreiheiten] den Mitgliedstaaten zwar, ihr Recht im Anwendungsbereich des Vertrages je nach der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unterschiedlich anzuwenden, jedoch erfassen sie nicht Unterschiede in der Behandlung, die sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat aus Unterschieden zwischen den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten ergeben können, sofern diese Rechtsordnungen auf alle ihnen unterworfenen Personen nach objektiven Merkmalen und ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Betroffenen anwendbar sind“.

Nicht-diskriminierendes Privat- und Prozessrecht wird damit in weitem Umfang von der Grundfreiheitenprüfung ausgenommen. Es unterliegt einer Kontrolle am Maßstab der Grundfreiheiten nur in besonderen Konstellationen,286 so insbesondere, wenn nationales Prozessrecht grenzüberschreitend erbrachte Rechtsdienstleistungen beeinträchtigt287 oder die Ausübung der Grundfreiheiten gänzlich negiert.288 Unter die zuletzt genannte Fallgruppe fällt insbesondere die Rechtssache Überseering. Hier entschied der Gerichtshof, dass juristischen Personen und Personenmehrheiten, die in ihrem Heimatstaat rechts- und parteifähig sind, aufgrund der Niederlassungsfreiheit auch vor den Gerichten anderer Mitgliedstaaten die Rechts- und Parteifähigkeit anerkannt werden muss.289 Das Urteil bewirkte damit nicht nur die Aufgabe der überkommenen kollisionsrechtlichen Sitztheorie,290 sondern hatte für das Prozessrecht zugleich unmittelbar die Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit der ausländischen Gesellschaft zur Folge. b) Ergänzender Rückgriff auf das allgemeine Diskriminierungsverbot Bezeichnender Weise misst der Gerichtshof in einigen Entscheidungen selbst diskriminierende Vorschriften nicht anhand der speziellen Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten, sondern allein am Maßstab des Art. 18 AEUV.291 Dies legt den 282

  In diese Richtung G/H/N/Leible/T. Streinz, 58. EL, 2016, Art. 34 AEUV Rn. 67.   GA Fennelly, SchlA, Rs. C‑67/97 (Bluhme) Rn. 19; Calliess/Ruffert/Kingreen, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 55; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 172. Vgl. auch Ehlers/Ehlers, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 7 Rn. 105 („rule of remoteness“); Thomas, NVwZ 2009, 1202, 1205 f. („Maßstab der erforderlichen Minimalintensität“). 284   Infra, §  6 C.IV.3.c. – d. 285   EuGH, Rs. C‑177/94 (Perfili) Rn. 17; Klammerzusatz hinzugefügt. 286  Hierzu Heinze, EuR 2008, 654, 679 f. 287  Vgl. EuGH, Rs. C‑76/90 (Saeger); Rs. C‑20/92 (Hubbard); C‑3/95 (Reisebüro Broede); Rs. C‑289/02 (AMOK); verb. Rs. C‑94 & 202/04 (Cipolla). 288   EuGH, Rs. C‑208/00 (Überseering) Rn.  80 – 82. 289   EuGH, Rs. C‑208/00 (Überseering) Rn. 80 – 82, 93. GA Colomer verwies in seinen SchlA (Rn. 57) demgegenüber nicht nur auf die Grundfreiheiten, sondern zugleich auf den unionsrechtlichen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz. 290  Hierzu Eidenmüller, ZIP 2002, 2233; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925; Lutter, BB 2003, 7; Ebers, ERPL 2003, 509. 291   Vgl. vor allem EuGH, Rs. 22/80 (Boussac-Frères) Rn. 9 f., 13 f.; Rs. C‑43/95 (Data Delecta) Rn.  13 – 15; Rs.  C‑323/95 (Hayes) Rn.  15 – 17. 283

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Schluss nahe, dass diskriminierende Privatrechtsnormen vom EuGH ebenfalls als zu indirekt und mittelbar eingestuft werden.292 Der EuGH greift in der Tat auf Art. 18 AEUV immer dann zurück, wenn sich nationale Bestimmungen in ihrer Zielrichtung nicht gegen eine bestimmte Grundfreiheit richten, sondern allgemein und unspezifisch die Ausübung der Grundfreiheiten behindern können.293 Nach Auffassung des Gerichtshofs ist der Anwendungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsverbots bereits dann eröffnet, wenn eine „gemeinschaftsrechtlich geregelte Situation“294 vorliegt bzw. der Fall „Berührungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte“ aufweist, „auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt“.295 Sieht man für Vorschriften, die nur mittelbar Auswirkungen auf die Grundfreiheiten haben, den Anwendungsbereich des Vertrages in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung als eröffnet an, so ergibt sich für das allgemeine Diskriminierungsverbot ein weites Anwendungsfeld: Zivilrechtliche und zivilprozessuale Vorschriften, die unmittelbar oder mittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpfen und hierdurch EU‑Ausländer benachteiligen, sind danach unionsrechtswidrig. Materielle Vorschriften des Privatrechts, die nach der Staatsangehörigkeit differenzieren, sind selten anzutreffen.296 Im Zivilprozessrecht der Mitgliedstaaten finden sich dagegen zahlreiche Regelungen, die vom EuGH für diskriminierend befunden wurden. So entschied der Gerichtshof in mehreren Fällen, dass eine auf Ausländer beschränkte Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit nicht mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot vereinbar ist.297 Art. 18 AEUV steht auch einer Beweisregel entgegen, nach der ausländische Urkunden generell nicht anerkannt werden.298 Verboten ist auch eine zivilprozessuale Vorschrift wie § 917 Abs. 2 ZPO a. F., die bei einem Urteil, das im Ausland vollstreckt werden müsste, den Arrest nur zulässt, wenn ohne dessen Verhängung die Vollstreckung wahrscheinlich vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde, während sie bei einem Urteil, das in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt werden müsste, den Arrest schon allein deshalb zulässt, weil die Vollstreckung im Ausland stattfinden müsste.299 4. Rechtsprechung des EuGH zur Kontrolle von Zivilrechtsfolgen Die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, dass der Gerichtshof einer Kontrolle zivil- und zivilprozessualer Vorschriften am Maßstab der Grundfreiheiten grundsätzlich zurückhaltend gegenübersteht. Diese Tendenz wird in der neueren Rechtsprechung durch die Entscheidung Ladbrokes Betting & Gaming300 bestätigt: 292

  Heinze, EuR 2008, 654, 678. Siehe jetzt auch EuGH, Rs. C‑291/09 (Guarnieri) Rn. 17.   Streinz, AöR 135 (2010), 1, 9 f.   EuGH, Rs. 186/87 (Cowan) Rn. 10. 295   EuGH, verb. Rs. 35 – 36/82 (Morson) Rn. 16. 296   Vgl. aber EuGH, Rs. C‑115/08 (ČEZ – „Kernkraftwerk Temelín“): Versteckte Diskriminierung nach dem EAG-Vertrag, wenn nach österreichischem Recht nur ausländische Unternehmen einer Immissionsabwehrklage gem. § 364 Abs. 2 ABGB ausgesetzt sind, weil nach § 364a ABGB nur inländische Genehmigungen anerkannt werden. 297   EuGH, Rs. 43/95 (Data Delecta) Rn. 16 f.; Rs. C‑323/95 (Hayes) Rn. 18 f.; Rs. C‑122/96 (Saldanha) Rn. 30. Die Verfahren betrafen § 110 Abs. 1 ZPO a. F.; § 57 Abs. 1 öZPO a. F. und § 1 des schwedischen Gesetzes 1980:307. 298   EuGH, Rs. C‑336/94 (Dafeki) Rn. 20. 299   EuGH, Rs. C‑398/92 (Mund & Fester) Rn. 16. 300   EuGH, Rs. C‑258/08 (Ladbrokes Betting & Gaming). 293 294

B. Grundfreiheiten und nationale Rechtsfolgen

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Hiernach unterliegen zivilrechtliche Rechtsfolgen, die zur Durchsetzung grundfreiheitenbeschränkender Verbotsgesetze im nationalen Recht vorgesehen sind, nur dann einer eigenständigen Grundfreiheitenkontrolle, wenn von ihnen eine gegenüber dem Verbotsgesetz zusätzlich beschränkende Wirkung ausgeht (a.). Auf der anderen Seite finden sich in letzter Zeit aber auch Fälle, in denen der Gerichtshof die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsfolgen eigenständig am Maßstab der Grundfreiheiten geprüft und als grundfreiheitenwidrig eingestuft hat (b. – c.). a) Unterlassungsklagen zur Durchsetzung von Verbotsgesetzen In der Rechtssache Ladbrokes Betting & Gaming301 ging es – im Anschluss an den bereits geschilderten Fall Gambelli302 – um die Vereinbarkeit von Glücksspielverboten mit den Grundfreiheiten. Im Unterschied zum Fall Gambelli lag dem Ausgangsverfahren allerdings kein Strafverfahren zugrunde, sondern eine Unterlassungsklage: Das niederländische Unternehmen De Lotto, eine privatrechtliche Stifung ohne Gewinnerzielungsabsicht, die alleinige Inhaberin der Zulassung für die Veranstaltung von Sportwetten ist, ging im Wege der vorläufigen Unterlassungsklage gegen die im Vereinigten Königreich ansässige Ladebrokes Betting & Gaming Ltd. vor. Mit der Klage sollte dem Unternehmen untersagt werden, auf ihrer Internetseite Personen mit Wohnsitz in den Niederlanden Glücksspiele anzubieten, für die sie keine Erlaubnis besitzt. Der Hoge Raad legte dem EuGH die Frage vor, ob und unter welchen Voraussetzungen die staatliche Konzessionierung von Glückspielen nach niederländischem Recht im Einklang mit Art. 56 AEUV steht und – wenn ja – das nationale Gericht im konkreten Fall bei Anordnung einer Unterlassungsverfügung auch noch prüfen müsse, ob eine solche Anordnung zur Erreichung der mit diesen Rechtsvorschriften verfolgten Ziele geeignet und verhältnismäßig ist. Der Gerichtshof stellte in seinem Urteil zunächst klar, dass die im niederländischen Recht vorgesehene Konzessionierungspflicht von Glücksspielen eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, die jedoch unter bestimmten, vom vorlegenden Gericht näher zu prüfenden Voraussetzungen gerechtfertigt werden könne.303 Komme das vorlegende Gericht zu dem Schluss, dass die niederländische Glücksspielregelung mit Art. 56 AEUV vereinbar ist, so müsse es allerdings nicht mehr zusätzlich prüfen, ob die Unterlassungsmaßnahme als solche durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sei. Die betreffende Durchführungsmaßnahme stelle nämlich lediglich die praktische Wirksamkeit der niederländischen Glücksspielregelung sicher und könne daher nicht als eine im Vergleich zum Verbotsgesetz zusätzliche Beschränkung angesehen werden.304 Für die vom Hoge Raad zu treffende Entscheidung sei es zudem unerheblich, ob die Durchführungsmaßnahme durch Behörden oder auf Antrag eines Einzelnen im Rahmen eines Zivilverfahrens erlassen werde, denn die nationalen Gerichte müssten unabhängig davon, in welchem Verfahren sie befasst worden sind, alle Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Wirtschaftsteilnehmer in einem Mitgliedstaat das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr ausüben können.305 301

  EuGH, Rs. C‑258/08 (Ladbrokes Betting & Gaming).   EuGH, Rs. C‑243/01 (Gambelli). Hierzu supra, § 4 B.II.1. 303   EuGH, Rs. C‑258/08 (Ladbrokes Betting & Gaming) Rn.  17 – 38. 304   EuGH, Rs. C‑258/08 (Ladbrokes Betting & Gaming) Rn.  43 – 46. 305   EuGH, Rs. C‑258/08 (Ladbrokes Betting & Gaming) Rn.  47 – 50. 302

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: Der Gerichtshof bestätigt, dass die Grundfreiheiten auch im Zivilverfahren zu beachten sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn grundfreiheitenbeschränkende Verbotsgesetze durch zivilrechtliche Sanktionen durchgesetzt werden. In diesem Rahmen muss das nationale Gericht grundsätzlich eine doppelte Prüfung vornehmen:306 Einerseits muss es prüfen, ob das Verbotsgesetz als solches mit den Grundfreiheiten vereinbar ist. Andererseits muss das Gericht aber auch die Bedingungen prüfen, unter denen die nationalen Rechtsvorschriften durchgesetzt werden. Zeigt sich bei dieser Prüfung, dass die betreffende Durchsetzungsmaßnahme lediglich die praktische Wirksamkeit des Verbotsgesetzes sicherstellen soll, ohne für sich genommen die Grundfreiheiten zusätzlich zu beschränken, so unterliegt die Maßnahme keiner gesonderten Verhältnismäßigkeitsprüfung. Liegt nämlich schon keine (zusätzliche) Grundfreiheitenbeschränkung vor, so ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht anzuwenden. Bei Unterlassungsklagen, die zur Durchsetzung von Verbotsgesetzen erhoben werden, ist daher nicht separat zu prüfen, ob die Anordnung einer Unterlassungsverfügung verhältnismäßig ist, denn eine solche Anordnung bezweckt und bewirkt lediglich die Anwendung des Verbotsgesetzes. b) Nichtigkeit von Rechtsgeschäften bei Verstoß gegen behördliche Anzeigepflichten Eine im Vergleich zum Verbotsgesetz zusätzliche Beschränkung lag nach Auffassung des Gerichtshofs dagegen im Fall Burtscher307 vor: In dem betreffenden Ausgangsverfahren hatte Herr Burtscher, ein österreichischer Staatsangehöriger, sein in Österreich gelegenes Grundstück an den deutschen Staatsbürger Stauderer vermietet und später verkauft. Die Gesetzgebung der österreichischen Bundesländer beschränkt unter bestimmten Umständen den Erwerb von Grundstücken zur Begründung eines Zweitwohnsitzes. Der Erwerber muss daher gegenüber der zuständigen Behörde fristgerecht bestimmte Erklärungen abgeben. Werden diese Erklärungen nicht innerhalb von zwei Jahren abgegeben, so war das Rechtsgeschäft nach dem einschlägigen Grundverkehrsgesetz rückwirkend unwirksam. Herr Burtscher erhob gegen Stauderer Räumungsklage und machte geltend, dass Herr Stauderer die vorgeschriebene Zweijahresfrist nicht eingehalten habe. Nach Auffassung des EuGH beschränkt die im Grundverkehrsgesetz vorgesehene Erklärungspflicht den freien Kapitalverkehr (Art. 63 Abs. 1 AEUV).308 Grundsätzlich könne die Erklärungspflicht aber durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt werden, da Beschränkungen der Errichtung von Zweitwohnungen in einem bestimmten geografischen Gebiet, die ein Mitgliedstaat in Verfolgung raumplanerischer Ziele zur Erhaltung einer dauerhaft ansässigen Bevölkerung und einer vom Tourismus unabhängigen Wirtschaftstätigkeit verfügt, zulässig seien. Das betreffende Gesetz sei auch nicht diskriminierend, da es unterschiedslos auf österreichische Staatsbürger und auf Angehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union Anwendung finde. Jedoch sei die im Gesetz angeordnete rückwirkende Unwirksamkeit unverhältnismäßig, da diese Rechtsfolge in keinem angemessenen Verhältnis zu den im vorliegenden Fall angestrebten Zielen des Allgemeininteresses stünde.309 306

  Vgl. auch GA Bot, SchlA, Rs. C‑258/08 (Ladbrokes Betting & Gaming) Rn. 105 ff.   EuGH, Rs. C‑213/04 (Burtscher). 308   EuGH, Rs. C‑213/04 (Burtscher) Rn. 43; grundlegend EuGH, Rs. C‑302/97 (Konle) Rn. 39. 309   EuGH, Rs. C‑213/04 (Burtscher) Rn. 54. 307

B. Grundfreiheiten und nationale Rechtsfolgen

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Eine solche Sanktion werde nämlich automatisch im Anschluss an das bloße Versäumnis der Frist zur Abgabe der geforderten Erklärung ohne Rücksicht auf die Gründe für die Verspätung bei deren Abgabe verhängt. Außerdem stelle die Sanktion die von den Parteien getroffene Vereinbarung grundlegend in Frage, ohne dass sie mit dem Verstoß gegen geltende materielle Bestimmungen begründet wäre. Dies entspreche nicht den für den Bereich des Grunderwerbs besonders bedeutenden Erfordernissen der Rechtssicherheit.310 Zudem könne die verspätete Abgabe einer Erklärung mit anderen, in ihren Wirkungen weniger weitgehenden Maßnahmen wie etwa Geldbußen geahndet werden.311 Im Ergebnis könne die Sanktion daher – so der EuGH – nicht als unerlässlich angesehen werden, um die Einhaltung der Verpflichtung zur Abgabe der Erklärung über den Erwerb sicherzustellen und das vom Grundverkehrsgesetz angestrebte, im Allgemeininteresse liegende Ziel zu erreichen. c) Schadensersatz bei Verstoß gegen (tarif‑)vertragliche Pflichten Der Gerichtshof misst darüber hinaus – wie der Fall Olympique Lyonnais312 verdeutlicht – grundfreiheitenbeschränkende Schadensersatzvorschriften am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Der Anknüpfungspunkt in jener Rechtssache war freilich ein anderer, ging es doch vorrangig um den Verstoß Privater gegen die Grundfreiheiten. Zur Debatte stand eine französische tarifvertragliche Regelung, derzufolge junge Fußballspieler, die im Rahmen eines befristeten Vertrags als Auszubildende bei einem professionellen Verein beschäftigt waren, nach Abschluss ihrer Ausbildung ihren Vertrag als Berufsspieler mit diesem Verein abschließen mussten, wenn der Verein dies verlangt. Der Tarifvertrag enthielt keine Rechtsfolge für den Fall, dass der Fußballspieler am Ende der Ausbildung den Vertragsabschluss mit dem Verein verweigerte. In solchen Fällen hatte der ausbildende Verein jedoch die Möglichkeit, vom Spieler auf der Grundlage des französischen Code du travail Schadensersatz zu verlangen. Der Schadensersatz wurde dabei laut Auskunft der französischen Regierung nicht anhand der entstandenen Ausbildungskosten, sondern anhand des dem Vereins entstandenen Schadens berechnet. Auf dem Prüfstand stand damit nicht nur die tarifvertragliche Regelung, sondern zugleich die Berechnungsweise des Schadensersatzanspruchs nach mitgliedstaatlichem Recht. Der Gerichtshof bestätigte zunächst seine Bosman-Rechtsprechung, dass Art. 45 AEUV nicht nur auf behördliche Maßnahmen Anwendung findet, sondern auch auf Vorschriften anderer Art, die zur kollektiven Regelung unselbständiger Arbeit dienen.313 Sodann stellte das Gericht fest, dass in der tarifvertraglichen Regelung – zusammen mit der Schadensersatzfolge – eine Beschränkung der durch Art. 45 AEUV gewährleisteten Freizügigkeit der Arbeitnehmer liege, die aber grundsätzlich durch den Zweck gerechtfertigt werden könne, die Anwerbung und die Ausbildung von Nachwuchsspielern zu fördern.314 Eine solche Regelung müsse jedoch für das Errei310

  EuGH, Rs. C‑213/04 (Burtscher) Rn.  55 – 56.   EuGH, Rs. C‑213/04 (Burtscher) Rn. 60. 312   EuGH, Rs. C‑325/08 (Olympique Lyonnais) mit Anm. Lindholm, CMLR 2010, 1187 ff. 313   EuGH, Rs. C‑325/08 (Olympique Lyonnais) Rn. 30. 314   EuGH, Rs. C‑325/08 (Olympique Lyonnais) Rn. 35 – 36. GA Sharpston (Rn. 41 mit Fn. 14) wies in ihren SchlA darüber hinaus darauf hin, dass die Verpflichtung zur Zahlung eines Geldbetrags ein wichtiger Faktor sei, die jeden Arbeitnehmer unmittelbar treffe, wenn er die Ablehnung eines Be311

248

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

chen dieses Zwecks tatsächlich geeignet und verhältnismäßig im Hinblick auf diesen Zweck sein. Dies sei nicht der Fall. Da der Schadensersatz nicht anhand der entstandenen Ausbildungskosten, sondern anhand des gesamten dem Verein entstandenen Schadens berechnet werde, gehe der Schadensersatz über das hinaus, was zur Förderung der Anwerbung und Ausbildung von Nachwuchsspielern und zur Finanzierung dieser Tätigkeiten erforderlich war.315 Anders als die Generalanwältin316 äußerte sich der Gerichtshof demgegenüber mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zur Art und Weise der Berechnung einer möglicherweise gerechtfertigten Ausbildungsentschädigung (individuelle Berechnung, anteilige Berechnung anhand der Kosten eines Programms, etc.).

IV. Auswertung Gehen von einer mitgliedstaatlichen Rechtsfolge Beschränkungen für den Binnenmarkt aus, so unterliegen die betreffenden Sanktionen einer Grundfreiheitenprüfung und damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der EuGH hat diese Grundsätze zunächst für straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen entwickelt. Nach dieser Rechtsprechung werden die Grundfreiheiten insbesondere dann verletzt, wenn an einen Verstoß gegen Ordnungs- oder Formvorschriften strafrechtliche oder administrative Rechtsfolgen geknüpft werden, die so außer Verhältnis zur Schwere der Tat stehen, dass sie sich als eine Behinderung einer Marktfreiheit erweisen. Der Gerichtshof hat in neuerer Zeit darüber hinaus zivilrechtliche Rechtsfolgen am Maßstab der Grundfreiheiten gemessen. So verstößt es etwa gegen die Grundfreiheiten, wenn ein Grundstücksgeschäft wegen Verletzung behördlicher Anzeigepflichten rückwirkend unwirksam ist, da das Sanktionsziel auf andere Weise (z. B. durch Geldbußen) ebenso wirksam erreicht werden kann. Ein Verstoß gegen Grundfreiheiten liegt ferner dann vor, wenn Arbeitnehmer bei Verletzung tarifvertraglicher Pflichten zu einem unverhältnismäßig hohen Schadensersatz verurteilt werden. Die Grundfreiheiten setzen damit für Sanktionen eine Obergrenze, die von den Mitgliedstaaten nicht überschritten werden darf. Mitgliedstaatliche Rechtsfolgen unterliegen allerdings nur dann einer eigenständigen Grundfreiheitenkontrolle, wenn von ihnen eine im Vergleich zum nationalen Verbotsgesetz zusätzliche Beschränkungswirkung ausgeht. Stellt die im nationalen Recht vorgesehene Sanktionsmaßnahme dagegen lediglich die praktische Wirksamkeit der (im Übrigen mit den Grundfreiheiten zu vereinbarenden) Verhaltensnorm sicher, ohne zusätzliche Beschränkungen aufzuerlegen, so brauchen die nationalen Gerichte – wie der EuGH in Ladbrokes Betting & Gaming317 festgestellt hat – auch nicht zu prüfen, ob die Durchführungsmaßnahme im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz steht. Die Harmonisierungswirkung der Grundfreiheiten auf das Zivilrecht bleibt damit begrenzt, denn nach ständiger Rechtsprechung sind nichtdiskriminierende Privatrechtsnormen in aller Regel zu ungewiss und zu indirekt, als dass sie geeignet wären, den Binnenmarkt zu beeinträchtigen. schäftigungsangebots zugunsten eines anderen erwäge. Das Hindernis für die Arbeitnehmerfreizügigkeit sei daher im Unterschied zu EuGH, Rs. C‑190/98 (Graf), nicht zu ungewiss und wirke auch nicht indirekt. 315   EuGH, Rs. C‑325/08 (Olympique Lyonnais) Rn.  45 – 48. 316   GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑325/08 (Olympique Lyonnais) Rn.  52 – 54. 317   EuGH, Rs. C‑258/08 (Ladbrokes Betting & Gaming) Rn. 45 f.

C. Das Effektivitätsgebot

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C. Das Effektivitätsgebot Das Effektivitätsgebot318 gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, das wie viele andere große Strukturprinzipien im Wege der Rechtsfortbildung geschaffen wurde. Der Grundsatz hat in der Rechtsprechung unterschiedliche Ausformungen erfahren. Ganz allgemein spricht der EuGH davon, dass die Anwendung nationalen Rechts die „Tragweite und Wirksamkeit“ des Unionsrechts nicht beeinträchtigen darf.319 Insbesondere darf die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung eingeräumten Rechte durch das nationale Recht weder „praktisch unmöglich gemacht noch übermäßig erschwert“ werden.320 In einigen Entscheidungen betont der Gerichtshof zudem, dass das Effektivitätsgebot Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist, der mittlerweile in Art. 47 GRC niedergelegt ist.321 Daneben hat der Gerichtshof auch die Forderung aufgestellt, dass das Unionsrecht „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ in den Mitgliedstaaten durchzusetzen ist.322 Die unterschiedlichen Formulierungen und Anwendungsgebiete des Effektivitätsgebots werfen die Frage auf, ob es sich bei diesem Grundsatz überhaupt um ein einheitliches Rechtsinstitut handelt. Insbesondere das Verhältnis zum Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ist klärungsbedürftig, da sich die Judikatur des EuGH zum Effektivitätsgebot stark mit seiner hiervon nur schwer abgrenzbaren Rechtsprechung zum Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes überschneidet. An erster Stelle sind daher die verschiedenen Erscheinungsformen des Effektivitätsgebots zu erfassen (I.). Im Anschluss werden die Anwendungsvoraussetzungen (II.) sowie die allgemeinen Kriterien dieses Prinzips dargestellt (III.). Von besonderem Interesse ist die Frage, inwieweit aus dem Effektivitätsgrundsatz die Pflicht der Mitgliedstaaten abgeleitet werden kann, einen Verstoß gegen unionsrechtlich begründete Pflichten durch Rechtsfolgen einer bestimmten Teilrechtsordnung (Strafrecht, Verwaltungsrecht, Zivilrecht) zu sanktionieren (IV.). Der Abschnitt schließt mit Empfehlungen, wie das Effektivitätsgebot durch das Modell der wechselseitigen Auffangordnungen künftig präzisiert werden könnte (V.). 318   So die Bezeichnung seit EuGH, Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 27; seitdem st. Rspr., vgl. EuGH, Rs. C‑231/96 (Edis) Rn. 34 ff.; Rs. C‑253/99 (Courage) Rn. 29; Rs. C‑618/10 (Calderón Camino) Rn. 46. Teile des Schrifttums sprechen demgegenüber vom „Effizienzgebot“; so z. B. Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996, S. 48; Streinz, in: FS Everling, Bd. 2, 1995, S. 1491, 1506. Dieser Terminus ist ungenau. Beim Effektivitätsgebot geht es nicht um eine wie auch immer geartete wirtschaftliche Effizienz, sondern um die praktische Wirksamkeit. Ebenfalls kritisch Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 115, Fn. 365; Wernsmann, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 30 Rn. 136, Fn. 357. Zum Verhältnis zwischen Effektivitätsgebot und Effizienzgebot auch infra, § 4 C.V.1.c. 319   EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 22; verb. Rs. C‑80 – 82/99 (Flemmer u. a.) Rn. 55. 320  So die Formulierung seit EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 14. Seitdem st. Rspr., vgl. EuGH, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel und van Veen) Rn. 17; Rs. C‑618/10 (Calderón Camino) Rn. 46. 321   EuGH, Rs. C‑268/06 (Impact) Rn. 47; Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 44. 322  EuGH, Rs.  68/88 (Kommission/Griechenland  – „Griechischer Maisskandal“) Rn. 23 f.; Rs. C‑326/88 (Hansen) Rn. 17; Rs. 7/90 (Vandevenne) Rn. 11; Rs. C‑167/01 (Inspire Art) Rn. 62; verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 65; Rs. C‑348/04 (Boehringer Ingelheim) Rn. 59; Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 38.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Vorerst nicht darzustellen sind die konkreten Vorgaben, die der EuGH für die Ausgestaltung und verfahrensrechtliche Durchsetzung bestimmter Rechtsinstitute entwickelt hat. Nicht nur liegen hierzu bereits umfangreiche Untersuchungen vor.323 Erkenntnisse, die der Gerichtshof für bestimmte Rechtspositionen unter Rückgriff auf das Effektivitätsgebot entwickelt hat, lassen sich auch nicht ohne weiteres auf sämtliche Unionsrechte übertragen.324 Demzufolge ist sektor- und sekundärrechtsspezifisch in jedem Fall zu klären, wie bestimmte im Unionsrecht wurzelnde Verhaltenspflichten und Rechtspositionen in den Mitgliedstaaten effektiv durchgesetzt werden müssen.

I. Die verschiedenen Ausformungen des Effektivitätsgebots Das Effektivitätsgebot ist vom Prinzip der praktischen Wirksamkeit (effet utile) abzugrenzen (1.). Weitergehend ist zwischen der objektiv-rechtlichen und der subjektivrechtlichen Dimension des Effektivitätsgrundsatzes zu unterscheiden (2.) und danach zu fragen, ob das Effektivitätsgebot in seiner subjektiv-rechtlichen Ausformung mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz deckungsgleich ist (3.). Schließlich sind die sekundärrechtlichen Vorschriften in den Blick zu nehmen, die den Effektivitätsgrundsatz und das Recht auf effektiven Rechtsschutz präzisieren und verstärken (4.). 1. Effet utile und Effektivitätsgebot Das Effektivitätsgebot wird häufig als eine besondere Ausprägung des Grundsatzes der praktischen Wirksamkeit (effet utile) angesehen.325 Der effet utile zielt als teleologische Auslegungsmethode326 darauf ab, den Vorschriften des Unionsrechts ihre gewollte Wirksamkeit zu verleihen. Der Effektivitätsgrundsatz trägt dieser Forderung Rechnung, indem für Durchführungssituationen unionsweit primärrechtliche Mindestvorgaben für die praktische Wirksamkeit aufgestellt werden, die von sämtlichen Mitgliedstaaten zu beachten sind. Beide Rechtsinstitute sind trotz ihrer gemeinsamen Wurzeln voneinander zu unterscheiden. Der Grundsatz des effet utile ist eine Methode zur Auslegung und Fortbildung des Unionsrechts. Ihm kommt eine besondere Rolle bei Ermittlung sog. direkter Kollisionen zu.327 Der Effektivitätsgrundsatz ist demgegenüber für indirekte Kollisionen entwickelt worden. Er greift erst dann, wenn und soweit das Unions323   Aus dem deutschsprachigen Schrifttum vgl. nur König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010; Kulms, Der Effektivitätsgrundsatz, 2013; Rott, Effektivität des Verbraucherrechtsschutzes, 2006; Seyr, Der effet utile, 2008, S. 134 – 182. Aus dem englischsprachigen Schrifttum Dougan, Rights and Remedies, 2004; Galetta, Procedural Autonomy of EU Member States, 2011; Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 418 – 476; Wilman, Private Enforcement, 2015. 324   Hierzu sogleich, § 4 C.III.1.b. 325   So vor allem Streinz, in: FS Everling, Bd. 2, 1995, S. 1491, 1500. Ähnlich betont Seyr, Der effet utile, 2008, S. 134 ff., 153 ff., dass das Effektivitätsgebot durch eine am effet utile orientierte Auslegung des Art. 10 EG (jetzt Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 – 3 EUV) entstanden ist. Vgl. auch Heinze, in: Basedow/ Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. I, 2009, Stichwort „Effektivitätsgrundsatz“, S. 337 f., der das „Effektivitätsgebot im engeren Sinn“ vom effet utile („Effektivitätsgebot im weiteren Sinn“) abgrenzt. 326  Hierzu supra, § 2 A.II. 327  Hierzu supra, § 4 V.2.

C. Das Effektivitätsgebot

251

recht – selbst unter Berücksichtigung einer am effet utile orientierten Auslegung – keine besonderen Vorgaben für die Durchführung des Unionsrechts aufstellt. 2. Objektiv-rechtliche und subjektiv-rechtliche Dimension des Effektivitätsgebots Das Effektivitätsgebot weist sowohl eine objektiv-rechtliche als auch eine subjektivrechtliche Dimension auf.328 Die subjektiv-rechtliche Ausprägung des Effektivitätsgebots wird relevant, wenn es um die gerichtliche Durchsetzung der Unionsrechte geht. In diesen Fällen hebt der Gerichtshof in der mit Rewe begründeten Rechtsprechungslinie zunächst den Grundsatz der Verfahrensautonomie hervor, um anschließend darauf hinzuweisen, dass die mitgliedstaatlichen Vorschriften die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich oder übermäßig erschweren dürfen.329 Die objektiv-rechtliche Ausprägung des Effektivitätsgebots spielt dagegen eine Rolle, wenn es ganz allgemein um die wirksame Durchführung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten geht. Kennzeichnend für diese Fallgestaltung ist, dass es nicht um die vom Unionsrecht verliehenen Rechte, sondern um die Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Pflichten geht. In diesen Konstellationen greift der Gerichtshof in der Regel auf zwei Formeln zurück. Zum einen verwendet er die gängige Formulierung, derzufolge die Verwirklichung der Unionsrechtsregelung durch nationales Recht nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden darf.330 Zum anderen betont er ganz allgemein, dass die Mitgliedstaaten zu einer wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionierung verpflichtet sind.331 Der EuGH hat sich noch nicht grundsätzlich zu der Frage geäußert, in welchem Verhältnis beide Ausformungen des Effektivitätsgebots zueinander stehen. Einerseits hat er in einer frühen Entscheidung hervorgehoben, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte die Pflicht haben, „den sich aus der unmittelbaren Wirkung der Gemeinschaftsvorschriften ergebenden Rechtsschutz zu gewährleisten, sowohl wenn diese Vorschriften für die Einzelnen Verpflichtungen begründen, als auch wenn sie ihnen Rechte verleihen.“332 Generalanwältin Kokott meint in diesem Sinne, der Effektivitätsgrundsatz gelte nicht nur dann, „wenn der Einzelne gegenüber einem Mitgliedstaat seine aus dem Gemeinschaftsrecht fließenden Rechte geltend macht, sondern auch umgekehrt, wenn ein Mitgliedstaat gegenüber dem Einzelnen die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts umsetzt“.333 328   König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 52 f.; Kulms, Der Effektivitätsgrundsatz, 2013, S. 37 ff.; Nebbia, CYELS 2008, S. 287, spricht anschaulich vom „double life of effectiveness“. Allgemein zum Verhältnis zwischen Effektivität und effektivem Rechtsschutz bereits supra, § 3 D.II. 329   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 14. Seitdem st. Rspr., vgl. EuGH, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel und van Veen) Rn. 17; Rs. C‑618/10 (Calderón Camino) Rn. 46. 330   Vgl. EuGH, Rs. C‑158/06 (Stichtig ROM-projecten) Rn. 23; ähnlich EuGH, Rs. C‑383/06 (Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening) Rn. 49. 331  EuGH, Rs.  68/88 (Kommission/Griechenland  – „Griechischer Maisskandal“) Rn. 23 f.; Rs. C‑326/88 (Hansen) Rn. 17; Rs. 7/90 (Vandevenne) Rn. 11; Rs. C‑167/01 (Inspire Art) Rn. 62; verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 65; Rs. C‑348/04 (Boehringer Ingelheim) Rn. 59; Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 38. 332   EuGH, Rs. 265/78 (Ferwerda) Rn. 10; Herv. hinzugefügt. 333   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 88. Vgl. auch GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑230/01 (Penycoed Farming) Rn. 67: „Ich weise darauf hin, dass der Effektivitätsgrundsatz auch allgemein betrachtet zwei Seiten hat. Die Bürger müssen nicht nur die ihnen durch das

252

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Urteile zum effektiven Schutz der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte stehen andererseits häufig unverbunden neben Judikaten zur effektiven Sanktionierung unionsrechtswidrigen Verhaltens. Im Schrifttum wird daher vielfach betont, dass beide Ausformungen des Effektivitätsgrundsatzes voneinander zu unterscheiden sind.334 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Zwar kommt es zu Überschneidungen zwischen dem subjektiv-rechtlichen und dem objektiv-rechtlichen Effektivitätsgebot, wenn der Einzelne seine durch das Unionsrecht verliehenen Rechte gerichtlich geltend macht. In diesem Fall liegen Individualinteresse und Unionsinteresse parallel, da der Einzelne durch die Geltendmachung seiner Rechte dazu beiträgt, das Unionsrecht durchzusetzen. Der Grundsatz der wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen hat jedoch einen weitergehenden Anwendungsbereich als das subjektiv-rechtliche Effektivitätsgebot.335 Dieser Grundsatz betrifft nämlich nicht nur die wirksame Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte, sondern ganz allgemein die Durchsetzung des Unionsrechts. Das Effektivitätsgebot in seiner objektiv-rechtlichen Ausprägung kann auch zu Lasten des Einzelnen gehen, wenn zur effektiven Sanktionierung unionsrechtswidrigen das im nationalen Recht vorgesehene Rechtsschutzniveau abgesenkt werden muss.336 Die Grundsätze, die der Gerichtshof für die effektive Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Rechte aufgestellt hat, können daher nicht ohne weiteres auf Fälle übertragen werden, in denen es um die Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Pflichten geht.337 Dies gilt – wie der Fall Heemskerk belegt – jedenfalls für rein vertikale Situationen: Zwar müssen die mitgliedstaatlichen Gerichte unter bestimmten Voraussetzungen das Unionsrecht von Amts wegen anwenden, wenn es um den subjektiven Rechtsschutz des Einzelnen geht. Diese Pflicht besteht jedoch nicht bei objektiver Durchsetzung des Unionsrechts durch die mitgliedstaatlichen Behörden zu Lasten des Einzelnen (konkret: bei Rückforderung unionsrechtswidrig gewährter Beihilfen), wenn dies für den Betroffenen zu einer reformatio in peius führen würde.338 Bei multipolaren Rechtsbeziehungen unter Behördenbeteiligung sowie im Privatrecht sollten die Verbindungslinien zwischen dem subjektiv-rechtlichen und dem objektiv-rechtlichen Effektivitätsgebot dagegen stärker als bislang beachtet werden: Stehen Rechte und Pflichten im synallagmatischen Zusammenhang, führt also jeder Rechtsgewinn des Einzelnen zu einem Rechtsverlust des Anderen, so darf es grundGemeinschaftsrecht zuerkannten Rechte ausüben können, sondern sie müssen auch ihren Verpflichtungen nachkommen.“ 334  Nach Lindholm, State Procedure and Unions Rights, 2007, S. 27, steht die Rechtsprechung zum Grundsatz der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen“ in überhaupt keinem Zusammenhang zum Gebot effektiven Rechtsschutzes; tendenziell auch Reich, EuZW 2008, 325, 326. Rott, in: Wilhelmsson/Pannio/Pojjolainen (Hrsg.), Private Law and the Many Cultures of Europe, 2007, S. 305, 307, betont demgegenüber die Verbindungslinien. Vgl. auch Trstenjak/Beysen, CMLR 2011, 95, 99, Fn. 13. 335   Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 144. 336   So folgt z. B. aus dem Effektivitätsgebot, dass Rechtsbehelfe nach nationalem Recht keine aufschiebende Wirkung haben dürfen, wenn eine sofortige Vollziehbarkeit im Interesse der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts geboten ist; EuGH, Rs. 217/88 (Kommission/Deutschland – „Tafelwein“); Rs. C‑232/05 (Kommission/Frankreich) Rn. 55 ff. 337   Wie hier GA Bot, SchlA, Rs. C‑445/06 (Heemskerk) Rn. 122, der im konkreten Fall dennoch eine Einschränkung nationaler Rechtsschutzstandards befürwortet. 338   EuGH, Rs. C‑445/06 (Heemskerk) Rn. 46 f. Hierzu bereits supra, § 3 D.II.2.b.

C. Das Effektivitätsgebot

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sätzlich nicht darauf ankommen, ob der EuGH über den Schutz der dem Einzelnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte oder über die Pflichtenstellung des Anderen befindet. In beiden Fällen muss letztlich eine Entscheidung darüber getroffen werden, wie die gegenläufigen Rechtsschutzinteressen der Parteien und das Allge­ mein­interesse an einer wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts miteinander in Einklang gebracht werden können. Der EuGH sollte sich daher darum bemühen, seine Rechtsprechung zur Durchsetzung der Unionsrechte stärker mit seiner Judikatur zur Sanktionierung unionsrechtswidrigen Verhaltens abzustimmen.339 3. Effektivitätsgebot und Recht auf effektiven Rechtsschutz a) Die unterschiedlichen Quellen des Rechts auf effektiven Rechtsschutz Das Recht auf effektiven Rechtsschutz lässt sich im Wesentlichen auf zwei Wurzeln zurückführen, nämlich zum einen auf die seit Rewe etablierte Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für eine effektive Durchsetzung der durch das Unionsrecht begründeten Rechte Sorge zu tragen, und zum anderen auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz.340 Die in Rewe begründete subjektiv-rechtliche Version des Effektivitätsgebots ist Ausfluss der allgemeinen mitgliedstaatlichen Verpflichtung zur effektiven Durchführung des Unionsrechts: Soweit das Unionsrecht dem Einzelnen Rechte verleiht, verdichtet sich die objektiv-rechtliche Verpflichtung zur wirksamen Durchführung des Unionsrechts zur Pflicht, für einen effektiven Rechtsschutz zu sorgen. Normativer Anknüpfungspunkt ist der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (jetzt Art. 4 Abs.  3 UAbs.  2 – 3 EUV)341 sowie bei Richtlinien die Forderung, das von der Richtlinie vorgegebene Ziel bzw. Ergebnis herbeizuführen (Art. 288 Abs. 3 AEUV).342 Seit der Entscheidung Johnston343 ist anerkannt, dass der Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zudem ein Gemeinschaftsgrundrecht (jetzt: Unionsgrundrecht) ist. Nach dem Lissabon-Vertrag besteht ein dreifacher Grundrechtsschutz: – Das Recht auf effektiven Rechtsschutz zählt erstens zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, das sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt und in den Art. 6 und 13 EMRK verankert ist.344 Die allge339   In einigen Urteilen prüft der EuGH sowohl das Gebot der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionierung als auch die Einhaltung des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots; vgl. vor allem EuGH, verb. Rs. C‑378 – 380/07 (Angelidaki u. a.) Rn. 158 ff. m. w. N. Dieser Ansatz erleichtert die Abstimmung beider Rechtsprechungslinien. 340   Das Gebot effektiven Rechtsschutzes kann darüber hinaus auf die objektiv-rechtlichen Prinzipien der Rechtsgemeinschaft und Rechtsstaatlichkeit zurückgeführt werden; vgl. EuGH, Rs. 294/83 (Les Verts) Rn. 23; Rs. C‑50/00 P (UPA) Rn. 38. 341  So schon EuGH, Rs. 33/76 (Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral) Rn. 5; Rs. C‑213/89 (Factortame u. a.) Rn. 19; Rs. 312/93 (Peterbroeck) Rn. 12; verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel und van Veen) Rn. 14; Rs. C‑201/02 (Wells) Rn. 64 ff.; Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 38 f.; Rs. C‑310/09 (Accor) Rn. 78 f. Vgl. auch Klamert, The Principle of Loyalty in EU Law, 2014, S. 125 ff. 342   Die deutsche Fassung von Art. 288 Abs. 3 AEUV ist bekanntlich ungenau. Der verwendete Begriff des „Ziels“ ist im Sinne des von der Richtlinie vorgegebenen Ergebnisses zu verstehen; vgl. GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑69/08 (Visciano) Rn. 59, Fn. 19; Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV Rn. 76. 343   EuGH, Rs. 222/84 (Johnston). Hierzu supra, § 2 D.I. 344   EuGH, Rs. 222/84 (Johnston) Rn. 18 f.; Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 37 m. w. N.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

meinen Rechtsgrundsätze sind auch nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags eine Quelle der Unionsgrundrechte.345 Art. 6 Abs. 3 EUV übernimmt inhaltlich die durch den Vertrag von Maastricht erfolgte Kodifizierung der Entwicklung der Gemeinschaftsgrundrechte durch den EuGH. Danach sind die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, weiterhin als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts verbindlich. – Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ist zweitens in der Grundrechtecharta verankert, die seit dem Lissabon-Vertrag gem. Art. 6 Abs. 1 EUV Teil des Primärrechts ist. Die Charta enthält mit Art. 47 GRC eine ausdrückliche Kodifizierung des Rechtsschutzgebots,346 das in den Art. 48 – 50 GRC durch weitere justizielle Grundrechte ergänzt wird. Um die Wahrung dieses Grundrechts in der Union zu gewährleisten, verpflichtet Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen.347 – Sobald die Europäische Union, wie in Art. 6 Abs. 2 EUV vorgesehen, der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten ist, wäre die EMRK als völkerrechtlicher Vertrag nach Art. 215 AEUV in die Unionsrechtsordnung integriert. Damit fände das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz drittens eine direkte Grundlage in Art. 6, 13 EMRK. Zentraler Anknüpfungspunkt für die justiziellen Grundrechte bleibt trotz alledem Art. 47 GRC. Das in dieser Vorschrift verankerte Rechtsschutzniveau geht in mehrfacher Hinsicht über das von der EMRK geforderte Schutzniveau hinaus.348 Erstens gewährleistet Art. 47 GRC im Unterschied zu Art. 13 EMRK nicht irgendeinen Rechtsbehelf, sondern einen Rechtsbehelf bei einem Gericht.349 Zweitens kennt das Unionsgrundrecht auf effektiven Rechtsschutz anders als Art. 6 EMRK keine Beschränkung auf Entscheidungen über zivilrechtliche Ansprüche und strafrechtliche Anklagen.350 Drittens bezieht sich der in Art. 47 GRC formulierte Rechtsschutzauftrag nicht nur (wie Art. 6 EMRK) auf die prozessuale Durchsetzung, sondern auch auf die materiellen Voraussetzungen der Klageerhebung:351 Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert Art. 6 EMRK keinen bestimmten Inhalt zivilrechtlicher Ansprüche im materiellen Recht eines Vertragsstaats; die Rechtsschutzgarantien der EMRK 345   Streinz, Europarecht, 10. Aufl., 2016, Rn. 754, 766; Pache/Rösch, EuR 2009, 769, 772 und 787 f. Nach a. A. haben die allgemeinen Rechtsgrundsätze mit Inkrafttreten der Charta ihre eigenständige Bedeutung zur Herleitung der Grundrechte verloren; Frenz, Europäische Grundrechte, 2009, Rn. 27. Vertiefend Dougan, CMLR 2008, 617, 663 – 665. 346   Nach überwiegender Ansicht enthält Art. 47 GRC ein einheitliches Grundrecht; Calliess/Ruffert/Blanke, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 47 GRCh Rn. 2; Jarass, NJW 2011, 1393 f. A. A. Frenz, Europäische Grundrechte, 2009, Rn. 4992. 347   So EuGH, Rs. C‑418/11 (Texdata Software) Rn. 78. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV ist nach dieser Auffassung eine Ausprägung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz. Nach a. A. ist die Vorschrift Ausdruck des Effektivitätsgebots; vgl. GA Wathelet, SchlA, Rs. C‑362/12 (Test Claimants in the FII Group Litigation) Rn. 32 – 34; GA Wahl, SchlA, Rs. C‑482/12 (Macinský und Macinská) Rn. 67 (in Fn. 26). 348   Für einen Vergleich der Rechtsschutzgebote auch Dörr, Rechtsschutzauftrag, 2003, S. 50 ff.; de Moor-van Vugt, REALaw 2012, 5, 18 ff.; Pache, NVwZ 2001, 1342 ff.; Ward, in: Barnard/Odudu (Hrsg.), The Outer Limits of European Law, 2009, S. 329 ff. 349   Vgl. die Erläuterungen zu Art. 47 Abs. 1 GRC; ABl. 2007 C 303/29. 350   Vgl. die Erläuterungen zu Art. 47 Abs. 2 GRC; ABl. 2007 C 303/30. 351  Ausführlich supra, § 3 B.II.3.c.

C. Das Effektivitätsgebot

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umfassen daher allein die verfahrensrechtlichen Aspekte der Durchsetzung.352 Das in der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf geht demgegenüber sehr viel weiter. Da es um die „durch das Recht der Union garantierte[n] Rechte“ (Art. 47 Abs. 1 GRC) geht, für deren Interpretation allein der EuGH zuständig ist, kann der Gerichtshof sowohl die materiell-rechtlichen als auch die verfahrensrechtlichen Bedingungen der Rechtsdurchsetzung am Rechtsschutzgebot messen. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz ließe sich schließlich nicht nur aus dem Effektivitätsgebot und den Unionsgrundrechten, sondern darüber hinaus aus den Grundfreiheiten herleiten.353 In einer Reihe von Entscheidungen urteilte der Gerichtshof, dass ein staatlicher Eingriff in die Grundfreiheiten nur dann gerechtfertigt werden kann, wenn jedem, der hierdurch betroffen ist, ein gerichtlicher Rechtsbehelf eingeräumt wird.354 Ein Teil des Schrifttums folgert hieraus, dass sich aus den Grundfreiheiten selbst Verfahrensgarantien entnehmen lassen.355 Letztlich besteht aber kein Bedarf, das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus den Grundfreiheiten abzuleiten. Es genügt vollkommen, die justiziellen Unionsgrundrechte der Charta im Rahmen der Grundfreiheitenprüfung als Schranken-Schranke zu aktivieren: Zum einen stellt der Gerichtshof für die gerichtliche Durchsetzung der Grundfreiheiten keine Anforderungen auf, die von seiner sonstigen Rechtsschutz-Rechtsprechung abweichen.356 Zum anderen hat der EuGH im Fall Åkerberg Fransson357 hervorgehoben, dass die Anwendbarkeit des Unionsrechts stets die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte umfasst. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten bei grundfreiheitsbeschränkenden Maßnahmen im Einklang mit der früheren ERT-Rechtsprechung358 auch die Charta beachten müssen.359 Die Herleitung von Verfahrensrechten aus den Grundfreiheiten führt daher zu keinerlei Mehrwert, sondern nur zu einer unnötigen Vermehrung der Rechtsquellen.360 352   EGMR, 21.2.1986, Nr. 8793/79 (James and others/United Kingdom) Rn. 81; EGMR, 8.7.1986, Nr. 9006/80, 9262/81, 9263/81, 9265/81, 9266/81, 9313/81, 9405/81 (Lithgow and others/United Kingdom) Rn. 192: Art. 6 (1) „does not in itself guarantee any particular content for (civil) ‚rights and obligations‘ in the substantive law of the Contracting States“; EGMR, 19.10.2005, Nr. 32555/96 (Roche/ Vereinigtes Königreich), NJOZ 2007, 865, 867, Rn. 117; EGMR, 14.12.2006, Nr. 1398/03 (Markovic and others/Italy), NJOZ 2008, 1087, 1093, Rn. 93; EGMR, 3.4.2012, Nr. 37575/04 (Boulois/Luxembourg) Rn. 91. 353   Zur Diskussion Dörr, Rechtsschutzauftrag, 2003, S. 47 f.; Ehlers/Ehlers, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 7 Rn. 41; Prechal, LIEI 2008, 201, 210 ff. 354  Vgl. EuGH, Rs. 178/84 (Kommission/Deutschland  – „Reinheitsgebot für Bier“) Rn. 45 f.; Rs. 18/88 (Régie des Télégraphes et des Télephones) Rn. 34 f.; Rs. C‑54/99 (Église de scientologie) Rn. 17; Rs. C‑205/99 (Analir) Rn. 38; Rs. C‑244/06 (Dynamic Medien) Rn. 50. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑222/86 (Heylens). In diesem Urteil nimmt der EuGH zunächst auf den in Johnston entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsatz des effektiven Rechtsschutzes Bezug (Rn. 14). An späterer Stelle wird dagegen ausgeführt, dass der Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit eine gerichtliche Kontrolle verlange, wenn einem ausländischen Arbeitnehmer die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Diploms versagt werde (Rn. 17). 355  Ehlers/Ehlers, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 7 Rn. 41. Anders Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 405 (Verfahrensgarantien als „Wirkungsdimension des entsprechenden ungeschriebenen Gemeinschaftsgrundrechts“). 356   So auch Dörr, Rechtsschutzauftrag, 2003, S. 48. 357   EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 18 ff. Hierzu supra, § 4 A.I.2. 358   EuGH, Rs. C‑260/89 (ERT) Rn. 41 – 45; Rs. C‑368/95 (Familiapress) Rn. 24 ff.; Rs. C‑60/00 (Carpenter) Rn. 40 ff.; Rs. C‑112/00 (Schmidberger) Rn. 75. 359   So nunmehr auch EuGH, Rs. C‑390/12 (Pfleger u. a.) Rn.  33 – 36. 360   Im Ergebnis auch Prechal, LIEI 2008, 201, 214.

256

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

b) Ist das Rewe-Effektivitätsgebot mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz deckungsgleich? Obwohl der Gerichtshof das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz mit der Johnston-Entscheidung aus dem allgemeinen Prinzip der effektiven Rechtsgeltung herausgelöst und auf eine neue, grundrechtliche Basis gestellt hatte, stützte er sich in der Folgezeit weiterhin auf das Effektivitätsgebot, um spezifische Anforderungen an die gerichtliche Durchsetzung von Unionsrechten zu formulieren.361 Vor diesem Hintergrund wird betont, dass die Grenzen zwischen dem Effektivitätsgrundsatz und dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz fließend sind.362 Das Grundrecht auf effektiven Rechtschutz „erweitere“ das frühere Effektivitätsgebot und führe zu einer verschärften Kontrolle mitgliedstaatlichen Rechts.363 Der Effektivitätsgrundsatz „verschmelze“ zunehmend mit dem grundrechtlich gewährleisteten Recht auf effektiven Rechtsschutz zu einem einheitlichen Institut.364 Das Prinzip der Effektivität sei „Ausprägung“ bzw. „Ausdruck“ des allgemeinen Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes.365 Viele EuGH-Urteile bestätigen diese „Einheitsthese“.366 Selbst nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags rekurriert der Gerichtshof in seinen Entscheidungen häufig auf das Effektivitätsgebot, um konkrete Anforderungen für die Ausgestaltung von Rechtsbehelfen und Verfahren aufzustellen, während Generalanwälte in ihren Schluss­ anträgen explizit auch auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 GRC) verwiesen hatten.367 Im Urteil Impact368 führte der Gerichtshof aus, dass die „allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den gerichtlichen Schutz der Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten“, ihren „Niederschlag“ in den Erfordernissen des Effektivitätsgebot und Äquivalenzgebots findet. Noch deutlicher äußerte sich der Gerichtshof im Fall Pontin369 mit den Worten: „Diese Erfordernisse in Bezug auf die Gleichwertigkeit und Effektivität sind Ausdruck der allgemeinen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den gerichtlichen Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten.“

Mit einer solchen Sichtweise sind zwei Konsequenzen verbunden: Ist das Effektivitätsgebot mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz deckungsgleich, so führt 361

  Vgl. die Rechtsprechungsübersicht supra, § 2 D.I.   So z. B. Ehlers/Gundel, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 27 Rn. 49 ff.; Nowak, in: Hesselhaus/Nowak (Hrsg.), Hdb. der Europäischen Grundrechte, 2006, § 51 Rn. 14. Vgl. auch Rodríguez Iglesias, NJW 2000, 1889, 1892 f. 363   Prechal/Shelkoplyas, ERPL 2004, 589, 591. A. A. Galetta, Procedural Autonomy of EU Member States, 2010, S. 19 f. („effectiveness of jurisdictional protection as a mere corollary of the requisite of effectiveness of EU law“). 364   Heinze, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. I, 2009, Stichwort „Effektivitätsgrundsatz“, S. 337, 339. 365   Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 185; Lange, Erstattung, 2008, S. 102; Nowak, in: Hesselhaus/Nowak (Hrsg.), Hdb. der Europäischen Grundrechte, 2006, § 51 Rn. 14. 366   Aus der früheren Rechtsprechung vor allem EuGH, verb. Rs. C‑87 – 89/90 (Verholen) Rn. 24; Rs. C‑467/01 (Eribrand) Rn. 61 f. Aus der neueren Rechtsprechung EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn.  37 – 39. 367   Vgl. z. B. EuGH, Rs. 40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 39 ff., sowie die SchlA von GA Trstenjak, Rn. 61 ff.; EuGH, Rs. 360/09 (Pfleiderer) Rn. 30, sowie die SchlA von GA Mazák, Rn. 37 ff. 368   EuGH, Rs. C‑268/06 (Impact) Rn. 47. 369   EuGH, Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 44. 362

C. Das Effektivitätsgebot

257

ein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot zugleich zu einem Verstoß gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz.370 Liegt kein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot vor, erübrigt sich dagegen eine weitergehende Überprüfung mitgliedstaatlichen Verfahrensrechts am Maßstab des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz.371 In anderen Entscheidungen behandelt der Gerichtshof das Recht auf effektiven Rechtsschutz dagegen als eigenständiges Grundrecht, das der Verfahrensautonomie – über die Erfordernisse der Effektivität und Äquivalenz hinaus – weitere Schranken setzt. So überprüfte der Gerichtshof im Fall Steffensen372 das nationale Verfahrensrecht zuerst am Maßstab des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots. Obwohl er zu dem Schluss gelangte, dass keine Anhaltspunkte für einen Verstoß vorlagen, unterwarf er das mitgliedstaatliche Verfahrensrecht im Rahmen eines weiteren Prüfungsschritts den justiziellen Grundrechten. Ähnlich verfuhr der EuGH im Fall Alassini.373 Zwar betonte der Gerichtshof auch hier, dass die Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz „Ausdruck“ des Gebots effektiven Rechtsschutzes sind. Gleichzeitig wurde die fragliche Verfahrensregel aber sowohl am Effektivitäts- und Äquivalenzgebot als auch am Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemessen. Im Fall Mono Car Styling wird diese Vorgehensweise wie folgt umschrieben: „So ist es zwar grundsätzlich Sache des nationalen Rechts, die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse des Einzelnen zu bestimmen, doch verlangt das Gemeinschaftsrecht über die Einhaltung der Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität hinaus, dass die nationalen Rechtsvorschriften das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht beeinträchtigen“.374

Teils prüft der Gerichtshof das Effektivitätsgebot überhaupt nicht, sondern stellt nur auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ab. Im Fall DEB375 wurde dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Verweigerung einer Prozesskostenhilfe für juristische Personen gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt. Der Gerichtshof formulierte die Vorlagefrage kurzerhand um und prüfte nur einen Verstoß gegen Art. 47 GRC. c) Die eigenständige Bedeutung der justiziellen Grundrechte gegenüber dem Rewe-Effektivitätsgebot Die vorstehend analysierten Urteile zeigen, dass das Rewe-Effektivitätsgebot – trotz gegenteiliger Beteuerungen des EuGH – nicht mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz zu einem einheitlichen Rechtsinstitut verschmolzen ist. Aus den justiziellen Grundrechten werden vielmehr eigenständige Vorgaben abgeleitet, die über die Erfordernisse der Effektivität und Äquivalenz hinausgehen. Seit der Entscheidung Steffensen wird mitgliedstaatliches Verfahrensrecht nicht mehr nur an den Kriterien der praktischen Unmöglichkeit und übermäßigen Erschwerung gemessen, sondern zusätzlich oder ausschließlich an den justiziellen Unionsgrundrechten. Damit kommt es in verstärktem Maße zu einer unionsrechtlich veranlassten Koordinierung des mit370

  Vgl. EuGH, Rs. C‑268/06 (Impact) Rn. 48.   Vgl. EuGH, Rs. C‑93/12 (ET Agrokonsulting-04-Velko Stoyanov) Rn. 59 f.; verb. Rs. C‑29 – 30/ 13 (Global Trans) Rn. 57 ff. 372   EuGH, Rs. C‑276/01 (Steffensen) Rn.  64 – 68 und Rn.  69 – 80. 373   EuGH, verb. Rs. C‑317 – 320/08 (Alassini) Rn. 49, 60, 61 – 66. 374   EuGH, Rs. C‑12/08 (Mono Car Styling) Rn. 49; Herv. hinzugefügt. 375   EuGH, Rs. C‑279/09 (DEB) Rn. 26 und Rn. 33. 371

258

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

gliedstaatlichen Gerichtsverfahrensrechts.376 Die Unionsgrundrechte werden vom EuGH gerade nicht als Mittel herangezogen, um die Effektivität des Unionsrechts zu sichern.377 Es handelt sich vielmehr um einen dritten Koordinationsfaktor, der neben die Gebote der Effektivität und Äquivalenz tritt: Die Prüfung der Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz soll sicherstellen, dass das Unionsrecht nicht seiner Wirksamkeit beraubt und im Vergleich zum innerstaatlichen Recht auch nicht diskriminiert wird. Die anschließende Prüfung der Unionsgrundrechte soll demgegenüber gewährleisten, dass das mitgliedstaatliche Gerichtsverfahren mit den Erfordernissen des unionsrechtlichen Grundrechtsschutzes im Einklang steht. Zu erwarten ist, dass der Gerichtshof diesen Ansatz in Zukunft weiter ausbauen wird. Die Grundlagen hierfür sind mit der Entscheidung Åkerberg Fransson378 gelegt worden. Nach diesem Urteil sind die Mitgliedstaaten an die Vorgaben der Charta nicht nur gebunden, wenn sie zwingendes Unionsrecht vollziehen, sondern bereits dann, wenn sie einen vom Unionsrecht eröffneten Ermessensspielraum ausfüllen. Bereits die allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für eine wirksame Durchsetzung des Unionsrechts zu sorgen, führt dazu, dass sämtliche Vorschriften, die im nationalen Recht der Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Rechtspositionen oder der Sanktionierung unionsrechtswidrigen Verhaltens dienen, als „Durchführung“ im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC zu betrachten sind. Die Mitgliedstaaten sind demzufolge an die Unionsgrundrechte – über die materiellen Vorgaben des Unionsrechts hinaus  – auch im (ansonsten nicht harmonisierten) Straf‑,379 Verwaltungs-380 und Zivilverfahrensrecht381 gebunden. Sollte der Gerichtshof diesen Weg weiter beschreiten, müsste er stärker als bislang zwischen dem Rewe-Effektivitätsgebot und dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz differenzieren.382 Für eine klare Unterscheidung sprechen gute Gründe. Das Effektivitätsgebot dient der Bewältigung indirekter Kollisionen. Es ist vom Gerichtshof als Instrument entwickelt worden, um einen Ausgleich zwischen dem Prinzip der einheitlichen Wirksamkeit und der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten herzustellen.383 Dem Effektivitätsgebot lassen sich für sich genommen keine positiven Vorgaben entnehmen, wie das mitgliedstaatliche Recht ausgestaltet werden muss.384 Das Prinzip setzt der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten negativ in Form eines 376   Wie hier Prechal/Widdershoven, REALaw 2011, 31, 38 ff.; Schaller, EuZW 2003, 671 f. Andere betonen, dass die vom EuGH aus den Justizgrundrechten entwickelten Anforderungen mit dem Rewe-Effektivitätsgebot übereinstimmen; die grundrechtlich begründeten Vorgaben hätten genauso gut aus dem Effektivitätsgebot abgeleitet werden können; so Engström, REALaw 2011, 53, 62 ff. (zum Urteil DEB); Scheuing, EuR 2005, 162, 168 f. (zum Urteil Steffensen). 377   Besonders deutlich tritt dies hervor, wenn die Unionsgrundrechte vom Gerichtshof aktiviert werden, um der Sanktionierung unionsrechtswidrigen Verhaltens Grenzen zu setzen; so z. B. in EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson); Rs. C‑418/11 (Texdata Software). 378   EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 18 ff. Hierzu supra, § 4 A.I.2. 379   Hierzu EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson). 380   Hierzu EuGH, Rs. C‑276/01 (Steffensen); Rs. C‑418/11 (Texdata Software). 381   Hierzu EuGH, verb. Rs. C‑317 – 320/08 (Alassini). Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑243/09 (Fuß); Rs. C‑279/09 (DEB). 382   Wie hier Prechal/Widdershoven, REALaw 2011, 31 ff. Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 423, fordert dagegen, das Recht auf effektiven Rechtsschutz weiterhin nur als Teil des Effektivitätsgrundsatzes zu betrachten; vgl. auch Klamert, The Principle of Loyalty in EU Law, 2014, S. 138. 383  Ausführlich supra, § 4 A.V.4. 384   Zum Modell der wechselseitigen Auffangordnungen vgl. aber infra, § 4 C.V.

C. Das Effektivitätsgebot

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Vereitelungsverbots äußere Schranken. Die Grundrechtecharta erfüllt demgegenüber ganz andere Funktionen. Die in ihr niedergelegten Rechtsschutzgebote tragen dem Umstand Rechnung, dass die Union eine Rechtsgemeinschaft ist.385 Die justiziellen Rechte der Charta dienen nicht nur der Durchsetzung des Unionsrechts, sondern vor allem dem Schutz des Trägers der vom Unionsrecht gewährten Rechte. Sie haben im Unterschied zum Effektivitätsgebot keine negative Schrankenfunktion, sondern wollen im Anwendungsbereich des Unionsrechts positiv einen bestimmten Rechtsschutzstandard etablieren. Dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz lassen sich konkrete Anforderungen entnehmen, wie der gerichtliche Rechtsschutz (mit Blick auf Zugang zu Gericht, rechtliches Gehör, Wahrung der Verteidigungsrechte, prozessuale Waffengleichheit, etc.) inhaltlich ausgestaltet werden muss. Die Gebote der Effektivität und Äquivalenz stellen demgegenüber eine Methode bereit, mit der die im Unionsrecht verankerten Positionen gegenüber den Mitgliedstaaten bei indirekter Kollision gesichert werden können. Angesichts dieser Unterschiede wäre es weitaus transparenter, wenn der Gerichtshof die sich aus dem Rechtsschutzgebot ergebenden positiven Anforderungen an den Zugang zu Gericht und an die Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens nicht aus dem Effektivitätsgebot herleitete, sondern aus den justiziellen Grundrechten. Auf diese Weise könnte zugleich der Dialog zwischen Luxemburg und Straßburg verstärkt werden. Nach Art. 52 Abs. 3 S. 1, Art. 53 GRC darf das unionsrechtlich garantierte Schutzniveau nicht hinter dem durch die EMRK garantierten Schutzniveau (in der Auslegung durch den EGMR)386 zurückbleiben. Zulässig ist allein, dass die Charta einen weitergehenden Schutz gewährt (Art. 52 Abs. 3 S. 2 GRC). Die Anwendung der Grundrechtecharta bedarf daher bereits nach derzeitiger Rechtslage einer engen Abstimmung mit der Judikatur des EGMR. Zwar geht das in der Grundrechtecharta gewährte Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz aus den bereits erörterten Gründen grundsätzlich über die EMRK hinaus.387 Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass das vom EuGH entwickelte Rechtsschutzniveau in Teilbereichen hinter dem Schutzstandard der EMRK zurückbleibt.388 Mit dem Beitritt der Europäischen Union zur EMRK wird sich das Konfliktpotenzial verstärken. Dann nämlich gilt die EMRK nicht mehr nur aufgrund einer unionsrechtlichen Selbstverpflichtung, sondern als völkerrechtlicher Vertrag im Rang zwischen Primär- und Sekundärrecht nach Art. 216 Abs. 2 AEUV für sämtliche Organe der Union.389 Der hierdurch bedingte Abstimmungsbedarf erfordert einen intensiven Dialog zwischen dem Gerichtshof der EU und dem EGMR. Diesem Dialog wäre es sehr viel förderlicher, wenn Fragen des gerichtlichen Rechtsschutzes nicht unter dem Deckmantel des Effektivitätsgebots, sondern im Rahmen der Unionsgrundrechte diskutiert werden. Wird das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus dem Effektivitätsgebot herausgelöst, hätte das Rewe-Effektivitätsgebot immer noch einen Anwendungsbereich in den Fällen, in denen weder die Unionsgrundrechte noch das Sekundärrecht spezifische 385

  Charta-Erläuterungen, ABl. 2007 C 303/30.   Zur Auslegung von Art. 47 GRC anhand der EGMR-Urteile vgl. EuGH, Rs. C‑279/09 (DEB) Rn. 35 f., 45 ff. Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑400/10 PPU (J. McB) Rn. 53. 387  Siehe supra, § 4 C.I.3.a. 388   Prechal/Widdershoven, REALaw 2011, 31, 48 f., sehen Anpassungsbedarf vor allem mit Blick auf Verjährungs- und Ausschlussfristen. 389  Ausführlich Obwexer, EuR 2012, 115, 143 ff. 386

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung aufstellen. In diesem Fall steht es den nationalen Behörden und Gerichten nämlich weiterhin frei, „nationale Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden, sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden.“390 Wird das Gebot effektiven Rechtschutzes aus dem Effektivitätsgebot extrahiert, müsste sich zugleich der Prüfungsaufbau ändern: Anstatt wie bislang das mitgliedstaatliche Verfahrensrecht zuerst am Effektivitäts- und Äquivalenzgebot zu messen, wäre vorrangig nach den inhaltlichen Vorgaben der Unionsgrundrechte zu fragen. Erst wenn sich ergibt, dass die Unionsgrundrechte keine spezifischen Vorgaben aufstellen, wären in einem weiteren Schritt „mangels einer einschlägigen Unionsregelung“ das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot zu prüfen. 4. Sekundärrechtliche Konkretisierungen Sowohl der Grundsatz der effektiven Sanktionierung (a.) als auch das Recht auf effektiven Rechtsschutz (b.) sind im Sekundärrecht kodifiziert worden. Damit stellt sich die Frage, welche Bedeutung derartigen Konkretisierungen zukommt. a) Kodifikation des Grundsatzes der wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen Der Grundsatz der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen“ ist im Anschluss an die Entscheidung Griechischer Maisskandal391 nicht nur im Primärrecht für den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union (vgl. Art. 325 AEUV, ex Art. 288 EG), sondern auch im Sekundärrecht festgeschrieben worden, so z. B. im Antidiskriminierungsrecht,392 im Verbraucherrecht,393 im Reiserecht394 sowie im Kapitalmarktrecht.395 Grundlage hierfür ist die Mittteilung der Kommission vom 3. Mai 1995 über die Bedeutung von Sanktionen396 sowie die betreffende Entschließung des Rates vom 29. Juni 1995.397 Beide Dokumente heben die Bedeutung wirksamer Sanktionen für den Binnenmarkt hervor und bekräftigen die Absicht, in sämtlichen Richtlinien und Verordnungen die Verpflichtung zur „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionierung“ aufzunehmen. 390   EuGH, Rs. C‑399/11 (Melloni) Rn. 60; Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 29; Herv. hinzugefügt. Vertiefend Sarmiento, CMLR 2013, 1267, 1294 ff. 391   EuGH, Rs. 68/88 (Kommission/Griechenland – „Griechischer Maisskandal“) Rn. 23 f. 392   Art. 15 Antirassismus-RL 2000/43; Art. 17 Rahmen-RL 2000/78; Art. 14 Gender-RL 2004/113; Art. 25 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54. 393  Art. 13 S. 2 UGP-RL 2005/29; Art. 11 Abs. 3 FDL-FARL 2002/65; Art. 23 VerbrKrRL 2008/48; Art. 15 TSRL 2008/122; Art. 24 Abs. 1 VRRL 2011/83; Art. 21 ADR-RL 2013/11. 394  Art. 16 Abs. 3 Fluggastrechte-VO Nr. 261/2004, Art. 32 S. 2 Eisenbahn-FahrgastrechteVO 1371/2007; Art. 28 S. 2 Schifffahrt-Fahrgastrechte-VO 1177/2010; Art. 31 S. 2 Busverkehr-Fahrgastrechte-VO 181/2011. 395   Art. 14 MAD 2003/6; Art. 25 Prospekthaftungs-RL 2003/71; Art. 51 Abs. 1 MiFID I 2004/39. 396   Mitteilung der Kommission über die Bedeutung von Sanktionen für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Binnenmarkt, KOM (95) 162 endg. 397   Entschließung des Rates vom 29. Juni 1995 zur einheitlichen und wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und zu Sanktionen bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des Binnenmarkts, ABl. 1995 C 188/1. 398   EuGH, Rs. 68/88 (Kommission/Griechenland – „Griechischer Maisskandal“) Rn. 23 f.

C. Das Effektivitätsgebot

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Ein solch allgemeiner Hinweis hat immer nur deklaratorische Bedeutung. Enthält eine Unionsvorschrift keine spezifische Bestimmung über Sanktionen oder verweist sie diesbezüglich auf die einzelstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, so folgt aus Art. 4 Abs. 3 EUV die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festzulegen und anzuwenden.398 Gleiches gilt, wenn ein Sekundärrechtsakt die Mitgliedstaaten ganz allgemein dazu verpflichtet, „geeignete Maßregeln“ oder „geeignete Sanktionen“ anzudrohen.399 Konstitutive Bedeutung kommt einer Sanktionsregel dann zu, wenn sie in detaillierterer Form die Rechtsfolgen festlegt. In diesem Fall wird das Ermessen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der zu ergreifenden Sanktionen weiter eingeschränkt. Einheitliche Standards sind nicht nur beim Schutz der finanziellen Interessen der Union400 anzutreffen, sondern auch im Finanzdienstleistungsbereich. Nachdem die Kommission unter dem Eindruck der Finanzkrise in ihrer Mitteilung „Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor“ vom 9. Dezember 2010401 die Festlegung eines gemeinsamen EU‑Mindeststandards für die Ausgestaltung und Anwendung verwaltungsrechtlicher Sanktionen bei Verstößen gegen zentrale Finanzdienstleistungsvorschriften gefordert hatte, enthalten die seitdem erlassenen Sekundärrechtsakte402 Normen, in denen grundlegende Mindestanforderungen geregelt werden in Bezug auf die Sanktionsadressaten, die Art der Verwaltungssanktionen und ‑maßnahmen, die bei ihrer Verhängung zu berücksichtigenden Kriterien, Untergrenzen für Bußgelder sowie die öffentliche Bekanntmachung von Sanktionen. Diese Maßnahmen werden bei schweren Formen des Marktmissbrauchs durch strafrechtliche Mindestsanktionen flankiert.403 Der Begriff der „Sanktion“ wird weder im Primär- noch im Sekundärrecht allgemeingültig definiert. Nach einer weiten Definition fallen hierunter sämtliche Rechtsfolgen, die der Sicherung normativer oder faktischer Rechtsgeltung dienen.404 Dieses Verständnis liegt den meisten EuGH-Entscheidungen zugrunde. Der Gerichtshof spricht nicht nur bei repressiven und präventiven Maßnahmen, sondern auch bei restitutiven Rechtsfolgen von Sanktionen. Selbst zivilrechtliche Rechtsfolgen – wie etwa die Nichtigkeit von Verträgen oder Ansprüche auf Wiedergutmachung von Schä399   EuGH, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 64 f. (zu Art. 6 Publizitäts-RL 68/ 151); Rs. C‑418/11 (Texdata Software) Rn. 49 f. (zu Art. 12 Elfte Gesellschaftsrechts-RL 89/666). 400   Sanktions-VO 2988/95. 401   Mitteilung der Kommission: „Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor“, KOM (2010) 716 endg. Durch die Mitteilung wurde eine Konsultation eingeleitet, deren Ergebnisse abrufbar sind unter http://ec.europa.eu/internal_market/consultations/2010/sanctions_en.htm. Vgl. auch das Anfang 2011 veröffentlichte Feedback Statement der Kommission; http://ec.europa.eu/ internal_market/consultations/docs/2010/sanctions/feedback_en.pdf.; sowie die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 15./16. Juni 2011, ABl. 2011 C 248/108. 402   Vgl. Art. 64 – 72 Eigenkapital-RL IV 2013/36; Art. 28 – 29 Transparenz-RL 2004/109 i. d. F. der RL 2013/50; Art. 99 – 99e OGAW-RL 2009/65 i. d. F. der RL 2014/91; Art. 30 – 34 MAR 596/2014; Art.  70 – 73 MiFID  II 2014/65; Art.  58 – 62 Geldwäsche-RL  2015/849; Art.  17 – 22 GeldtransferVO 2015/847. 403   CRIM-MAD 2014/57. 404   Ost/Kerchove, De la pyramide au réseau, 2002, S. 230: „toute conséquence juridique quelconque aplicable à la violation d’une règle de droit“; Weinberger, in: Lenk (Hrsg.), Normenlogik, 1974, S. 89, 91: „Der Terminus ‚Sanktion‘ wird gewöhnlich im Sinne von ‚Unrechtsfolge‘ oder ‚normativer Folge der Pflichtverletzung‘ verstanden“. Im Ergebnis auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl., 2008, S. 218 f. und 223.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

den – werden vom EuGH als Sanktionen bezeichnet.405 Dieses Begriffsverständnis ist auch im Sekundärrecht üblich. So ordnet etwa die FDL-FARL 2002/65 an, dass die Mitgliedstaaten „angemessene Sanktionen“ einführen müssen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind; zu diesen Sanktionen gehören gem. Art. 11 der Richtlinie auch Sonderkündigungsrechte zugunsten der Verbraucher. Auch Schadensersatzansprüche werden im Richtlinienrecht ausdrücklich als „Sanktionen“ bezeichnet, so z. B. im Antidiskriminierungsrecht,406 ohne dass hieraus aber eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung pönalisierender Entschädigungssummen hergeleitet werden könnte.407 Keine Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass der in vielen Sprachfassungen durchgängig verwendete Begriff der Sanktionen408 im Englischen teils mit „sanctions“, teils aber auch mit „penalties“ wiedergegeben wird.409 Durch diese Wortwahl soll – wie der Rat in einer Erklärung klargestellt hat – regelmäßig keine bestimmte Sanktionsart indiziert werden: „Nach Ansicht des Rates wird das Wort ‚penalties‘ in der englischen Fassung von Rechtsins­tru­ menten der Europäischen Gemeinschaft in einer neutralen Bedeutung verwendet und bezieht sich nicht speziell auf strafrechtliche Sanktionen; es kann auch administrative oder finanzielle Sanktionen sowie andere Arten von Sanktionen umfassen. Werden die Mitgliedstaaten im Rahmen eines Rechtsakts der Gemeinschaft verpflichtet, ‚penalties‘ festzulegen, so ist es ihre Aufgabe, die geeignete Art von Sanktionen im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zu wählen.“410

Teilweise liegt Sekundärrechtsakten ein engerer Sanktionsbegriff zugrunde. Nach restriktivem Verständnis ist eine Sanktion eine gegen rechtlich missbilligtes Verhalten gerichtete Maßnahme, durch die dem Verantwortlichen (nötigenfalls durch Zwang) ein Nachteil zugefügt wird.411 Nachteilig soll eine Maßnahme dabei nur dann sein, wenn sie mehr verlangt als der Betroffene kraft vertraglichen Versprechens oder als Ausgleich für unrechtmäßiges Verhalten zu leisten verpflichtet ist. Erfasst werden von dieser Definition vor allem strafrechtliche und verwaltungsstrafrechtliche Maßnah405   Zur Nichtigkeit von Verträgen EuGH, Rs. C‑159/00 (Sapod Audic) Rn. 52 f. Zu Schadensersatzansprüchen EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 28; Rs. 177/88 (Dekker) Rn.  23 – 25; Rs. 271/91 (Marshall II) Rn. 18 ff. Kritisch zu dieser Terminologie van Gerven, CMLR 2000, 501, 503, in Fn. 11. 406   Vgl. insbesondere Art. 25 S. 2 RL 2006/54 (zuvor: Art. 8d S. 2 RL 76/207 i. d. F. der RL 2002/ 78): „Die Sanktionen, die auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“ 407  Siehe infra, § 4 C.III.3.b. – c. und § 9 C.III.2. 408   Sanctions, sanzioni, sanciones, sanções bzw. sancties in den französischen, italienischen, spanischen, portugiesischen und niederländischen Texten. 409   Beispiele finden sich vor allem im Antidiskriminierungsrecht sowie im Verbraucherrecht. Während Art. 15 Antirassismus-RL 2000/43 und Art. 17 Rahmen-RL 2000/78 von „sanctions“ sprechen, verwenden Art. 14 Gender-RL 2004/113, Art. 13 UGP-RL 2005/29 und Art. 24 VRRL 2011/83 den Begriff „penalties“. In anderen Sprachfassungen (wie z. B. der deutschen, französischen und italienischen) ist demgegenüber durchgängig von „Sanktionen“, „sanctions“ „sanzioni“ etc. die Rede. 410  Erklärung des Rates zur Verwendung des Wortes „penalties“ in der englischen Fassung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, ABl. 2006 L 114/59. Ebenso das Ratsprotokoll Nr. 14166/04 vom 12.11.2004, Add 1 Rev 1, betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates zur UGP-RL 2005/29, unter Nr. 5. 411   Kadelbach, in: van Gerven/Zuleeg (Hrsg.), Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 81.

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men412 sowie verwaltungsrechtliche Rechtsfolgen, die über die bloße Wiedergutmachung des normwidrigen Verhaltens hinausgehen. Retributive Maßnahmen, also rein schadensausgleichende Rechtsfolgen, wären demgegenüber nicht als Sanktion zu klassifizieren, so etwa eine im Verwaltungsrecht angeordnete Nachzahlung nicht geleisteter Abgaben, die Verzinsung geschuldeter Beiträge zu marktüblichen Konditionen oder im Zivilrecht Vertragslösungsrechte sowie kompensatorische Schadensersatzansprüche. Im Sekundärrecht ist dieses enge Begriffsverständnis vor allem in jenem Bereich anzutreffen, der gemeinhin als „Verwaltungssanktionsrecht“ bezeichnet wird. Dazu zählen neben dem Kartellsanktionsrecht vor allem Verordnungen und Richtlinien, die auf der Grundlage von Art. 325 AEUV (ex Art. 280 EG) zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft ergangen sind. Hervorzuheben ist insbesondere die Sanktions-VO 2988/95, die gewährleisten soll, dass für alle Bereiche der Gemeinschaftspolitik ein gemeinsamer rechtlicher Rahmen für die Betrugsbekämpfung besteht413 und die im Schrifttum schon von vielen als „Allgemeiner Teil des europäischen Verwaltungssanktionsrechts“ betrachtet wird.414 Die Verordnung unterscheidet zwischen „verwaltungsrechtlichen Maßnahmen“ und „verwaltungsrechtlichen Sanktionen“. Zu ersteren zählt die Rückzahlung erlangter Vorteile einschließlich Zinsen und der Verlust entsprechender Sicherheiten (Art. 4 Sanktions-VO 2988/95). Unter die verwaltungsrechtlichen Sanktionen fallen demgegenüber Geldbußen, der Entzug einer Genehmigung oder einer Anerkennung, der Ausschluss von weiteren Subventionen sowie weitere repressive Maßnahmen (Art. 5 Sanktions-VO 2988/95). Die auf dem Gebiet des Finanzdienstleistungssektors seit der Kommissionsmitteilung „Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor“415 erlassenen Rechtsakte unterscheiden demgegenüber nicht scharf zwischen Verwaltungssanktionen und Verwaltungsmaßnahmen. Da die Abgrenzung von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich gezogen wird, stellen die betreffenden Richtlinien klar, dass die in ihnen festgelegten Regeln zur administrativen Durchsetzung unabhängig davon gelten, ob es sich nach nationalem Recht um eine Verwaltungssanktion oder eine andere Verwaltungsmaßnahme handelt.416 Als vorläufiges Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich im Acquis noch kein rechtsübergreifender Sanktionsbegriff herausgebildet hat. Deswegen muss im Wege der Auslegung im konkreten Fall bestimmt werden, welches Sanktionsverständnis 412   Dies entspricht der Terminologie des römischen Rechts. Unter einer „sanctio“ wurde eine dem Gesetz beigefügte Klausel verstanden, die Strafandrohungen gegen das Gesetz Zuwiderhandelnde enthielt: „legum eas partes, quibus poenas constituiumus adversus eos qui contra leges fecerint, sanctiones vocamus“; Corpus Iuris Civilis, Inst. 2.1.10. 413   Sanktionen können nicht allein auf der Grundlage der VO 2988/95 verhängt werden. Die Anwendung der aufgezählten Sanktionsmittel setzt vielmehr voraus, dass entweder der Unionsgesetzgeber eine sektorbezogene Regelung erlassen hat oder, wenn eine solche Regelung der Union noch nicht besteht, im Recht des Mitgliedstaats, in dem diese Unregelmäßigkeit begangen wurde, die Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion vorgesehen ist; EuGH, Rs. C‑367/09 (SGS Belgium u. a.) LS 1. 414   Wolffgang/Ulrich, EuR 1998, 616, 633; vgl. auch Böse, Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 328 ff. 415   Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor“, KOM (2010) 716 endg 416  ErwGr (41) Eigenkapital-RL IV 2013/36; ErwGr (16) S. 8 RL 2013/50 zur Änderung der Transparenz-RL 2004/109 und anderer Richtlinien.

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dem betreffenden Sekundärrechtsakt und der erlassenen Maßnahme zugrunde liegt. Relevant werden diese Fragen zum einen dann, wenn es um die mitgliedstaatlichen Durchführungspflichten und darum geht, inwieweit das Rechtsformenermessen der Mitgliedstaaten eingeschränkt ist.417 Zum anderen muss die konkrete Sanktionsart aber auch mit Blick auf den Schutz des Einzelnen vor mitgliedstaatlichen und unionsrechtlichen Maßnahmen ermittelt werden: Bestimmte Rechtsschutzgarantien, wie beispielsweise die Unschuldsvermutung (Art. 48 Abs. 1 GRC) oder das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 50 GRC), greifen nämlich nur gegenüber strafrechtlichen, nicht jedoch gegenüber verwaltungsrechtlichen Maßnahmen.418 Der Charakter der jeweiligen Sanktion muss daher unter Berücksichtigung der Sanktionsmittel und des Sanktionszwecks im jeweiligen Gesamtzusammenhang bestimmt werden.419 b) Kodifikation des Gebots effektiven Rechtsschutzes Auch das Gebot effektiven Rechtsschutzes hat im Sekundärrecht verschiedentlich Niederschlag gefunden. Richtlinien und Verordnungen enthalten häufig die Verpflichtung, dem Einzelnen einen Rechtsweg vor den nationalen Gerichten420 oder anderen Instanzen421 einzuräumen. Derartige Rechtsweggebote haben eine wichtige Funktion. Sie stellen klar, dass die betreffenden sekundärrechtlichen Regelungen nicht nur objektiv-rechtlich die Mitgliedstaaten binden, sondern zugunsten des Einzelnen durchsetzbare subjektive Unionsrechte begründen.422 Sekundärrechtliche Rechtsweggebote unterliegen einer primärrechtskonformen Auslegung.423 Sie sind im Lichte des Primärrechts grundsätzlich weit auszulegen.424 Der durch Art. 47 GRC gewährleistete Schutzbereich darf durch sekundärrechtliche 417

 Hierzu infra, § 4 C.IV.   Zur Unschuldsvermutung EuGH, Rs. 137/85 (Maizena) Rn. 14; Rs. C‑210/00 (Käserei Champignon Hofmeister) Rn. 35, 44. Zum Doppelbestrafungsverbot EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 33 f. Liegt eine rein verwaltungsrechtliche Sanktion vor, bleibt der Betroffene gleichwohl nicht ohne Rechtsschutz. So darf eine Sanktion, selbst wenn sie keinen strafrechtlichen Charakter besitzt, nur dann verhängt werden, wenn sie auf einer klaren und unzweideutigen Rechtsgrundlage beruht; außerdem muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden; EuGH, Rs. 137/85 (Maizena) Rn. 52. 419   Zur Bestimmung der Sanktionsart auch noch infra, § 4 C.IV.1.a. 420   Vgl. Art. 17 Abs. 1 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54; Art. 22 Datenschutz-RL 95/ 46; Art. 18 Abs. 2 Produktsicherheits-RL 2001/95; Art. 56 Dritte RL Schaden 92/49; Art. 67 LV‑RL 2002/83; Art. 14 IMD 2002/92; Art. 25 Abs. 2 Solvabilitäts-RL 2009/138; Art. 52 Abs. 1 MiFID I 2004/39; Art. 107 Abs. 2 OGAW-RL 2009/65; Art. 23 Abs. 1 PSD I 2007/64 (deutsche Fassung: „Rechtsweg“ muss offen stehen, englische Fassung: „right to apply to the courts“); Art. 2 Abs. 9 S. 2 Allgemeine Rechtsmittel-RL 89/665 i. d. F. der RL 92/50 und RL 2007/66; Art. 2 Abs. 9 S. 2 Sektoren-Rechtsmittel-RL 92/13 i. d. F. der RL 2006/97 und RL 2007/66; Art. 4 Abs. 2 S. 2 Telekommunikations-Rahmen-RL 2002/21. 421   Vgl. Art. 6 Abs. 2 Umweltinformations-RL 2003/4 (Überprüfungsverfahren „vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle“); Art. 11 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a – b UGP-RL 2005/29 (Rechtsbehelfe bei Gericht oder Verwaltungsbehörden); Art. 13 TSRL 2008/122 (Rechtsbehelfe bei Gericht oder Verwaltungsbehörden); Art. 52 Abs. 2 MiFID I 2004/39 (Gerichte oder zuständige Verwaltungsinstanzen); Art. 107 Abs. 2 OGAW-RL 2009/65 (Gerichte oder zuständige Verwaltungsinstanzen). 422   Dörr, Rechtsschutzauftrag, 2003, S. 187. 423   Vgl. auch Dougan, National Remedies, 2004, S. 62 ff.; Nowak, in: Hesselhaus/Nowak (Hrsg.), Hdb. der Europäischen Grundrechte, 2006, § 51 Rn. 6. 424  Vgl. EuGH, Rs. C‑459/99 (MRAX) Rn. 101; sowie zuvor GA Colomer, SchlA, verb. Rs. C‑65 & 111/95 (Shingara und Radiom) Rn. 70 ff., 81 ff., 90 ff. 418

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Vorschriften in seinem Wesensgehalt nicht beeinträchtigt werden (vgl. Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRC). Dies galt bereits vor Inkrafttreten der Grundrechtecharta.425 Art. 47 Abs. 1 GRC verlangt nicht irgendeinen Rechtsbehelf, sondern gewährleistet das Recht, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Als Gericht sind gem. Art. 47 Abs. 2 GRC alle ständigen Einrichtungen anzusehen, die obligatorisch über Rechtsfragen in einem streitigen Verfahren zu entscheiden haben, durch Gesetz errichtet und unabhängig sind.426 Die Forderung nach einem gerichtlichen Rechtsschutz schließt es nicht aus, dass vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens ein anderes Rechtsbehelfsverfahren durchzuführen ist, wie beispielsweise eine außergerichtliche Schlichtung oder ein behördliches Beschwerdeverfahren, sofern dadurch der Rechtsbehelf bei einem Gericht nicht wesentlich erschwert oder ausgeschlossen wird.427 Einige Sekundärrechtsakte räumen den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Möglichkeit ein, obligatorische Schlichtungsverfahren vorzusehen; teils werden auch entsprechende Verpflichtungen ausgesprochen.428 Problematisch sind sekundärrechtliche Regelungen, die den Mitgliedstaaten gestatten, anstelle eines Gerichtsverfahrens andere Rechtsbehelfsverfahren vorzusehen. Insbesondere im Antidiskriminierungsrecht enthalten viele Richtlinien den Hinweis, dass die aus ihnen folgenden Ansprüche auf dem „Gerichts- und/oder Verwaltungsweg“ geltend gemacht werden können.429 Derartige Vorschriften müssen primärrechtskonform ausgelegt werden. Die Verletzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechtspositionen erfordert nach Art. 47 Abs. 1 GRC zwingend die Möglichkeit, dem Betroffenen einen Zugang zu Gericht zu eröffnen, auch wenn zunächst der Verwaltungsweg beschritten werden kann oder muss. Sekundärrechtsakte, die nicht primärrechtskonform ausgelegt werden können, sind nichtig, wenn sie das Gebot effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verletzen. Dies gilt nach der Kadi-Entscheidung430 selbst dann, wenn die Europäische Union durch Übernahme entsprechender mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten völkerrechtliche Vorgaben umsetzt. Im zugrunde liegenden Fall hatte der UN‑Sicherheitsrat entschieden, die finanziellen Ressourcen der Taliban, von Osama bin Laden und von Al Quaida sowie aller mit ihnen assoziierten Personen und Einrichtungen einzufrieren. Nachdem der UN‑Sanktionsausschuss Herrn Kadi als mit Osama bin Laden assoziiert eingestuft hatte, wurden seine finanziellen Mittel von der Europäischen Gemeinschaft auf der Grundlage der Verordnung Nr. 881/2002431 eingefroren. Weder das 425

  Vgl. EuGH, Rs. C‑1/99 (Kofisa Italia) Rn. 46 – 49; Rs. C‑226/99 (Siples) Rn.  17 – 20.   Zur Konkretisierung des Gerichtsbegriffs liegt es nahe, neben den in Art. 47 Abs. 2 GRC genannten Anforderungen die vom EuGH zu Art. 267 AEUV entwickelten Kriterien fruchtbar zu machen; GA Alber, SchlA, Rs. C‑63/01 (Evans) Rn. 89. 427   EuGH, verb. Rs. C‑317 – 320/08 (Alassini); Meyer/Eser, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl., 2014, Art. 47 Rn. 11; Jarass, GRC, 2. Aufl., 2013, Art. 47 Rn. 17; Calliess/ Ruffert/Blanke, 5. Aufl., 2016, Art. 47 GRCh Rn. 2. Vgl. auch infra, § 10 C.I.4.b. 428   Vgl. Art. 34 Abs. 1 Universaldienstleistungs-RL 2002/22 i. d. F. der RL 2009/136; Art. 5 Abs. 2 Mediations-RL 2008/52. 429   Art. 9 Abs. 1 Rahmen-RL 2000/78; Art. 7 Abs. 1 Antirassismus-RL 2000/43; Art. 8 Abs. 1 Gender-RL 2004/113. 430   EuGH, verb. Rs. C‑402 & 415/05 P (Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission). 431   VO Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, ABl. 2002 L 139/9. Zu den zivilrechtlichen Implikationen der VO siehe EuGH, Rs. C‑117/06 (Möllendorf und Möllendorf-Niehuus). 426

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Völkerrecht noch die Verordnung sahen Rechtsschutzmöglichkeiten für Betroffene vor, gegen eine derartige Listing-Entscheidung vorzugehen. Der EuGH sah hierin einen Verstoß gegen das Gebot effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes. Das derzeitige Überprüfungsverfahren biete „offenkundig nicht die Garantien eines gerichtlichen Rechtsschutzes“.432 Die VO 881/2002 wurde daher vom Gerichtshof für nichtig erklärt.

II. Anwendungsvoraussetzungen des Effektivitätsgebots 1. Anwendungsbereich des Unionsrechts Da die Mitgliedstaaten nur bestimmte Hoheitsrechte an die Union übertragen haben, kann nationales Recht nur dann an unionsrechtlichen Kriterien gemessen werden, wenn der zugrunde liegende Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Dies gilt selbstverständlich auch für das Effektivitätsgebot.433 Das Gebot der Effektivität gilt grundsätzlich für jegliche Form der Durchführung des Unionsrechts,434 also sowohl für die normative, die administrative sowie die legislative Verwirklichung des Unionsrechts im innerstaatlichen Bereich. Der Grundsatz bindet somit den nationalen Gesetzgeber, die mitgliedstaatlichen Verwaltungen sowie die einzelstaatlichen Gerichte. Das Gebot findet nicht nur Anwendung, wenn der Einzelne gegenüber einem Mitgliedstaat seine aus dem Unionsrecht fließenden Rechte geltend macht (subjektiv-rechtliches Effektivitätsgebot), sondern auch umgekehrt, wenn ein Mitgliedstaat gegenüber dem Einzelnen die Vorgaben des Unionsrechts umsetzt (objektiv-rechtliches Effektivitätsgebot).435 Unerheblich ist, ob die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Primärrechts oder Sekundärrechts handeln. Der Grundsatz der Effektivität greift bei primärrechtlichen Vorschriften und Rechtsgrundsätzen,436 bei Richtlinien437 und auch bei Verordnungen438 gleichermaßen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die betreffende 432   EuGH, verb. Rs. C‑402 & 415/05 P (Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission) Rn. 322. Zur Entscheidung Ohler, EuZW 2008, 630 ff.; Sauer, NJW 2008 3685 ff. 433   Im Ergebnis auch GA Kokott, SchlA, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 88. 434   Nach EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 21, ist der Begriff der Durchführung mit dem Handeln der Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Unionsrechts deckungsgleich; hierzu supra, § 4 A.I.2. 435  Hierzu supra, § 4 C.I.2. 436   Zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch EuGH, Rs. 33/76 (Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral) Rn. 5; Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 12, 14; Rs. C‑231/96 (Edis) Rn. 19; zum Staatshaftungsanspruch EuGH, verb. Rs. C‑46  & 48/93 (Brasserie du pêcheur und Factortame) Rn. 83; Rs. C‑61/95 (Palmisani) Rn. 27; Rs. C‑118/06 (Transportes Urbanos) Rn. 31; zum Kartellverbot (Art. 101 AEUV) EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 29; verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 62; zum Beihilferecht (Art. 108 AEUV) EuGH, Rs. C‑24/95 (Alcan II) Rn. 24; Rs. C‑210/09 (Scott und Kimberly Clark) Rn. 20; zum Grundsatz gleichen Entgelts (Art. 157 AEUV) EuGH, Rs. C‑246/96 (Magorrian und Cunningham) Rn. 37. 437   Vgl. nur EuGH, Rs. 14/83 (van Colson und Kamann) Rn. 18, 23 (zur Allgemeinen Gleichbehandlungs-RL 76/207); Rs. C‑63/01 (Evans) Rn. 45 (zur Zweiten Kfz-HaftpflichtversicherungsRL 84/5); Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 24 (zur Klausel-RL 93/13). 438   EuGH, Rs. C‑443/03 (Leffler) Rn. 50 (zur Zustellungs-VO 1348/2000); Rs. C‑234/04 (Kapferer) Rn. 22 (zur Brüssel I-VO 44/2001); Rs. C‑542/08 (Barth) Rn. 17 (zur VO 1612/68); Rs. C‑93/12 (ET Agrokonsulting-04-Velko Stoyanov) Rn. 36 (zur VO 73/2009). Speziell zum Grundsatz der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen“ EuGH, Rs. C‑326/88 (Hansen) Rn. 17 (zur VO 543/69); Rs. C‑7/90 (Vandevenne) Rn. 11 (zur VO 3820/85).

C. Das Effektivitätsgebot

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Vorschrift unmittelbar wirksam ist. Der Grundsatz der Effektivität gilt nicht nur bei unmittelbar anwendbarem Unionsrecht, sondern auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten, wenn die nationalen Gerichte umgesetztes Unionsrecht439 anzuwenden haben.440 2. Keine vorrangig anwendbare Unionsnorm Unabdingbare Voraussetzung für einen Rückgriff auf das Effektivitätsgebot ist das Vorliegen einer Regelungslücke. Nationales Recht unterliegt nur dann einer Überprüfung auf der Grundlage des Effektivitätsgebots, soweit das Unionsrecht keine einschlägige Regelung enthält. Dies ist der Fall, wenn die Rechtsfolgen überhaupt nicht geregelt sind oder die entsprechende Unionsnorm zur Ausgestaltung der Verfahren und Sanktionen auf das mitgliedstaatliche Recht verweist. Werden die bei einem Verstoß gegen das Unionsrecht eintretenden Rechtsfolgen im Unionsrecht selbst festgelegt, ist dagegen die betreffende Unionsregelung selbst anwendbar. Ein sekundärrechtlich mangelhaft ausgestalteter Schutz darf nicht durch das Effektivitätsgebot contra legem korrigiert werden.441 Wie Generalanwalt Léger in der Rechtssache Schulte442 zu Recht ausführt, wäre es mit dem Erfordernis der Rechtssicherheit nicht vereinbar, auf den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit zurückzugreifen, „um einer Gemeinschaftsrechtsvorschrift aufgrund dessen, dass ihr Wortlaut nicht zur Erreichung des Zieles beiträgt, das mit der Richtlinie, zu der sie gehört, verfolgt wird, einen Sinn zu verleihen, den sie offensichtlich nicht haben kann“. Der Gerichtshof widersprach daher im Fall Schulte der Ansicht einiger Verfahrensbeteiligter,443 dass eine nationale Regelung die Ausübung des Widerrufsrechts nach der HWiRL 85/577 praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert, wenn ihr zufolge der Widerruf eines Realkreditvertrags keine Auswirkungen auf die Gültigkeit verbundener Immobilienkaufverträge hat. Art. 3 Abs. 2 lit. a HWiRL 85/577 nimmt nämlich „ausdrücklich und unmissverständlich“444 den Verkauf und die Miete von Immobilien und andere Verträge über Immobilienrechte vom Anwendungsbereich aus. Im Unterschied zu anderen Richtlinien445 enthält die HWiRL 85/577446 zudem keine Regelung zu verbundenen Verträgen. Aus dem Effektivitätsgebot konnte daher kein generelles Recht des Verbrauchers auf Rückgabe der Schrottimmobilien hergeleitet werden. Die mit der HWiRL 85/577 getroffenen Wertungen waren vorrangig 439   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 24 ff. (zur Allgemeinen GleichbehandlungsRL 76/207); Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 24 und Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 38 (beide zur Klausel-RL 93/13); Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 43 (zur Mutterschutz-RL 92/85); verb. Rs.  C‑317 – 320/08 (Alassini) Rn. 48 (zur Universaldienst-RL 2002/22). 440   Wird das Effektivitätsgebot in Verbindung mit nicht unmittelbar wirkendem Unionsrecht angewendet, stellt sich allerdings die Frage, ob die aus diesem Gebot entwickelten Vorgaben unmittelbar in Horizontalverhältnissen wirken; hierzu infra, § 5 A.V. 441   Wird das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in primärrechtswidriger Weise durch Richtlinien oder Verordnungen verletzt, greift der Vorrang des Primärrechts; hierzu supra, § 4 C.I.4.b. Nicht jede Beeinträchtigung der justiziellen Grundrechte stellt aber einen Verstoß gegen Art. 47 GRC dar; vgl. Art. 52 Abs. 1 GRC. 442   GA Léger, SchlA, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 94. Hierzu Seyr, Der effet utile, 2008, S. 273 f. 443   Wiedergegeben bei GA Léger, SchlA, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 79 f. 444   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 75. 445   Vgl. Art. 6 Abs. 4 FARL 97/7; Art. 6 Abs. 7 UAbs. 2 FDL-FARL 2002/65; Art. 11 TSRL 2008/122; Art. 15 VerbrKrRL 2008/48. Siehe auch Art. II.-5:106 DCFR; Art. 5:106 ACQP. 446   Anders nunmehr Art. 15 VRRL 2011/83.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

zu beachten und durften nicht durch eine Anwendung des Effektivitätsgebots ausgehebelt werden.447 Bevor das Effektivitätsgebot zur Anwendung gelangt, ist daher zunächst durch eine (am effet utile orientierte) Auslegung zu ermitteln, welche Vorgaben das Unionsrecht für die Ausgestaltung der Rechtsbehelfe, Sanktionen und Verfahren trifft.448 3. Mindestharmonisierung und Effektivitätsgebot Inwieweit die Mitgliedstaaten bei Ausgestaltung der Rechtsfolgen und Verfahren in den Grenzen des Effektivitätsgebots einen Gestaltungsspielraum haben oder vorrangig sekundärrechtliche Vorgaben beachten müssen, bemisst sich weitergehend nach dem Harmonisierungsgrad der jeweiligen Vorschrift. Unionsrechtsakte, die auf dem Prinzip der Mindestharmonisierung beruhen, lassen den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum. Nach dem Konzept der Mindestharmonisierung dürfen die Mitgliedstaaten ein gegenüber dem Unionsrechtsakt strengeres Schutzniveau beibehalten oder einführen.449 Für verbraucherschützende, mindestharmonisierende Richtlinien bedeutet dies, dass im Vergleich zur Richtlinie abweichende oder zusätzliche Regelungen zulässig sind, soweit die Mitgliedstaaten den festgelegten Mindeststandard erfüllen und zudem das Effektivitätsgebot beachten.450 Dass diese Grundsätze auch für Rechtsbehelfe und Verfahren gelten, hat der EuGH mehrfach bestätigt.451

447   Die für Verbraucher nachteiligen Widerrufsfolgen werden vom EuGH (nur) teilweise kompensiert. Nach Ansicht des Gerichtshofs muss die Bank bei Nichtbelehrung über das Widerrufsrecht die Risiken der kreditfinanzierten Kapitalanlage tragen; außerdem hat der Darlehnsnehmer (Verbraucher) nur die Nettodarlehnssumme, nicht aber die marktüblichen Zinsen zu zahlen; EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 98 ff.; Rs. C‑229/04 (Crailsheimer Volksbank) Rn. 48. Zum Ganzen infra, 10 D.IV.6.a. 448   Die Abgrenzung zwischen impliziter Mitregelung einer Rechtsfrage und ihrer Nichtregelung ist häufig schwierig; vgl. supra, § 4 A.VI.1. 449   So die gängige Formulierung in vielen verbraucherschützenden Richtlinien; vgl. Art. 8 KlauselRL 93/13; Art. 8 Abs. 2 KaufRL 99/44. Ferner Art. 8 HWiRL 85/577 und Art. 14 FARL 97/7 (beide aufgehoben durch die VRRL 2011/83); Art. 15 VerbrKrRL 87/102 (aufgehoben durch die VerbrKrRL 2008/48); Art. 11 TSRL 94/47 (aufgehoben durch die TSRL 2008/122). 450   Grundmann, JZ 1996, 274, 278 ff., leitet aus den Grundfreiheiten ab, dass Richtlinien strengere nationale Vorschriften nur für reine Inlandssachverhalte, nicht aber für grenzüberschreitende Sachverhalte gestatten dürfen. Gegen diese Ansicht spricht indessen nicht nur die Richtlinienpraxis auf dem Gebiet des Verbraucherrechts, sondern auch die Rechtsprechung des EuGH, der in vielen Urteilen implizit von der Wirksamkeit mindestharmonisierender Richtlinien ausgegangen ist; vgl. EuGH, Rs. C‑52/00 (Kommission/Frankreich) Rn. 18; Rs. C‑183/00 (González Sánchez) Rn. 27; Rs. C‑322/01 (DocMorris) Rn. 63 ff.; Rs. C‑441/04 (A‑Punkt Schmuckhandel) Rn. 11 ff. Gegen die These Grundmanns auch Lurger, Regulierung und Deregulierung, 1997, S. 119 ff.; W.‑H. Roth, in: Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 13, 22 ff.; vgl. auch Streinz, in: Everling/W.‑H. Roth (Hrsg.), Mindestharmonisierung im Europäischen Binnenmarkt, 1997, S. 9, 19. 451   Vgl. EuGH, Rs. C‑509/07 (Scarpelli) Rn. 24 ff.; dazu Wendehorst, ERCL 2010, 66 ff. Zu weiteren Beispielen Trstenjak/Beysen, CMLR 2011, 95, 109 ff. Zur Sanktionierung unionsrechtswidrigen Verhaltens vgl. EuGH, Rs. C‑430/05 (Ntionik und Pikoulas): Da die Börsenzulassungs-RL 2001/34 auf dem Konzept der Mindestharmonisierung beruht, dürfen die Mitgliedstaaten Verwaltungssanktionen wegen unrichtiger oder irreführender Prospektangaben nicht nur gegen Personen verhängen, die im Prospekt nach Art. 21 Abs. 2 der RL ausdrücklich als verantwortlich bezeichnet werden, sondern auch gegen den Emittenten der Wertpapiere sowie gegen Verwaltungsratsmitglieder.

C. Das Effektivitätsgebot

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4. Vollharmonisierung und Effektivitätsgebot Anders verhält es sich bei vollharmonisierenden Rechtsakten. Das Prinzip der Vollharmonisierung besagt, dass die Mitgliedstaaten im persönlichen und sachlich-gegenständlichen Anwendungsbereich der betreffenden Norm weder strengere, noch weniger strenge Regelungen erlassen dürfen.452 Enthält ein Sekundärrechtsakt spezifische Regelungen zu einer Materie und schweigt er gleichzeitig zur Frage der Gestaltung alternativer Regelungen, hat sich der nationale Gesetzgeber im vollständig harmonisierten Bereich exakt an den unionsrechtlichen Vorgaben zu orientieren. Nationales Recht kann in diesem Fall nur anhand der vollharmonisierten Vorgaben kontrolliert werden; das Effektivitätsgebot findet aufgrund der abschließenden Regelungen keine Anwendung.453 Das Prinzip der Vollharmonisierung bezieht sich häufig nicht auf sämtliche Regelungen eines Rechtsakts. Im Acquis hat sich vielmehr eine „targeted (full) harmonisation“ bzw. „gezielte oder zielgerichtete Vollharmonisierung“454 durchgesetzt, bei der nur einzelne Rechtsfragen vollharmonisiert werden, während andere dem Prinzip der Mindestharmonisierung unterliegen oder überhaupt nicht geregelt werden.455 Harmonisiert eine Richtlinie die materiellen Rechtspositionen oder die im Rechtsverkehr zu beachtenden Pflichten vollständig, so bleibt insbesondere die Rechtsdurchsetzung in aller Regel den Mitgliedstaaten überlassen.456 Auch Verordnungen enthalten für die Ausgestaltung der Sanktionen zumeist nur Mindestvorgaben, die durch nationales Recht näher zu konkretisieren sind.457 Schwierigkeiten ergeben sich dadurch, dass Sekundärrechtsakte, insbesondere Richtlinien, nicht immer deutlich machen, ob bestimmte Rechtsfragen ungeregelt bleiben oder ob die Richtlinie den Mitgliedstaaten die Nichtregelung vorschreibt. Ob eine abschließende, vollharmonisierende Regelung vorliegt, ist insbesondere dann durch Auslegung zu ermitteln, wenn die Rechtsfolgen (Rechtsbehelfe, Verfahren, Sanktionen) zumindest teilweise in einer Richtlinie geregelt werden. Vollharmonisierung liegt vor, wenn eine Richtlinie bestimmte Tatbestandsmerkmale nicht nur zur 452   Vgl. Art. 4 VRRL 2011/83; Art. 22 Abs. 1 VerbrKrRL 2008/48; ErwGr (3) TSRL 2008/122; Art. 4 UGP-RL 2005/29. 453   Der Grundsatz des effet utile gilt demgegenüber weiterhin. Zur Abgrenzung zwischen effet utile und Effektivitätsgebot bereits supra, § 4 C.I.1. 454   Zu dieser Terminologie: Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007 – 2013), Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, KOM (2007) 99 endg., unter Nr. 4., S. 8; aus dem Schrifttum Grundmann, JZ 2013, 53, 62. 455   Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 271 (in Fn. 16), hält den Begriff der Vollharmonisierung für unpassend, wenn Sanktionen einer breitflächigen Ergänzung durch mitgliedstaatliches Recht bedürfen, und will stattdessen von Maximalharmonisierung sprechen. Indessen ist auch dieser Begriff problematisch, da gerade kein Maximum an Harmonisierung erzielt werden soll. 456   Für das Verbraucherrecht vgl. nur die UGP-RL 2005/29: Obwohl die UGP-RL 2005/29 den Tatbestand der unlauteren Geschäftspraktiken vollständig harmonisiert, schreibt die Richtlinie kein bestimmtes System der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vor. Nach Art. 11 Abs. 1 UAbs. 3 UGP-RL 2005/29 bleibt es weiterhin Sache der nationalen Gesetzgeber, ob die Bekämpfung von unlauteren Geschäftspraktiken auf verwaltungsrechtlichem, strafrechtlichem oder zivilrechtlichem Wege erfolgt; hierzu infra, § 10 D.III.2.b. 457  Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV Rn. 61, spricht von „unvollständigen“ bzw. „hinkenden“ Verordnungen, die durch Durchführungsmaßnahmen des nationalen Gesetzgebers vervollständigt werden müssen. Vgl. auch Parmentier, EuZW 2014, 50, 56 (Verordnungen im Finanzdienstleistungssektor haben „Richtliniencharakter“, da die vorgesehenen Sanktionen nicht erschöpfend geregelt werden).

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

hinreichenden, sondern zur notwendigen Voraussetzung der Rechtsfolge erhebt.458 In diesem Fall gibt die Richtlinie eine (negative) Rechtsfolge auch für diejenigen Sachverhalte vor, in denen die Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt sind. Sie verbietet dann nämlich den Mitgliedstaaten, die in der Richtlinie vorgesehenen Rechtsfolgen eintreten zu lassen, wenn die betreffenden Voraussetzungen nicht vorliegen. So entschied der Gerichtshof im Fall Marleasing,459 dass die in Art. 11 S. 1 Nr. 2 Publizitäts-RL 68/151460 aufgezählten Nichtigkeitsgründe eng auszulegen und abschließender Natur sind. Den Mitgliedstaaten ist es daher verwehrt, eine Aktiengesellschaft aus anderen als den in der Richtlinie aufgeführten Gründen für nichtig zu erklären. Ganz ähnlich urteilte der EuGH in der Rechtssache Bellone,461 dass die Wirksamkeit eines Handelsvertretervertrags nicht von der Eintragung des Handelsvertreters in ein Register abhängen dürfe. Die Gültigkeit des Vertrages könne nach Art. 13 Abs. 2 Handelsvertreter-RL 86/653 nur von der Einhaltung der Schriftform abhängig gemacht werden. Mit dieser Regelung seien die Wirksamkeitserfordernisse abschließend festgelegt worden. Ein Handelsvertretervertrag müsse daher als wirksam betrachtet werden, sobald die von der Richtlinie in Art. 13 Abs. 2 festgelegten Voraussetzungen erfüllt seien. Wie das Beispiel der Produkthaftungs-RL 85/374 zeigt, können auch Schadensersatzansprüche vollständig harmonisiert sein. Im Fall González Sánchez462 ging es unter anderem um die Frage, ob die Mitgliedstaaten zugunsten des Geschädigten eine objektive Haftung des Produzenten vorsehen dürfen, bei der die geschädigte Partei nur den Schaden und den Kausalzusammenhang beweisen muss, nicht aber – wie in Art. 4 Produkthaftungs-RL 85/374 vorgesehen – den Fehler des Produkts. Der Gerichtshof verneinte dies. Der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten werde zur Gänze von der Richtlinie selbst festgelegt.463 Aus diesem Grund dürfen die Mitgliedstaaten, wie der EuGH in anderen Urteilen klargestellt hat, auch keine gleichrangige Haftung von Produzent und Lieferant gegenüber dem Geschädigten vorsehen; denn nach Art. 3 Abs. 3 Produkthaftungs-RL 85/374 haftet der Lieferant nachrangig erst dann, wenn der Hersteller unbekannt ist.464 Das Prinzip der Vollharmonisierung verbietet darüber hinaus, dass Mitgliedstaaten auf die in Art. 9 Abs. 1 lit. b Produkthaftungs-RL 85/374 vorgesehene Selbstbeteiligung des Geschädigten i. H. v. 500 Euro verzichten.465 Auch die Einführung zusätzlicher Haftungsausschlussgründe, die über Art. 7 lit. d und e Produkthaftungs-RL 85/374 hinausgehen, ist unzulässig.466 Der Grundsatz der Vollharmonisierung hat zugleich Auswirkungen auf das Prozessrecht. Wie der EuGH in Aventis Pasteur467 klargestellt hat, darf die in Art. 11 Produkthaftungs-RL 85/374 vorgesehene 458

 Grundlegend Riehm, JZ 2006, 1035, 1039.   EuGH, Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 12 f. 460   Jetzt Art. 12 S. 1 lit. b Publizitäts-RL 2009/101. 461   EuGH, Rs. C‑215/97 (Bellone). Zum abschließenden Charakter des Art. 1 Abs. 2 Handelsvertreter-RL 86/653 auch Fock, ZEuP 2000, 106, 117 f. 462   EuGH, Rs. C‑183/00 (González Sánchez). Die dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegende Rechtslage in Spanien wird von GA Geelhoed in den SchlA (Rn. 14 ff.) erläutert. 463   EuGH, Rs. C‑183/00 (González Sánchez) Rn. 25. 464   EuGH, Rs. C‑52/00 (Kommission/Frankreich) Rn. 36 ff.; Rs. C‑402/03 (Skov und Bilka) Rn. 45. 465   EuGH, Rs. C‑52/00 (Kommission/Frankreich) Rn. 26 ff.; Rs. C‑154/00 (Kommission/Griechenland) Rn. 34. 466   EuGH, Rs. C‑52/00 (Kommission/Frankreich) Rn. 42 ff. 467   EuGH, Rs. C‑358/08 (Aventis Pasteur) Rn. 37 ff. 459

C. Das Effektivitätsgebot

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absolute 10‑Jahresfrist nicht dadurch umgangen werden, dass nationale Verfahrensregeln einen Beklagtenwechsel erlauben mit der Folge, dass der Hersteller nach Ablauf der 10‑Jahresfrist als Beklagter in einem Verfahren in Anspruch genommen werden kann, das innerhalb dieser Frist gegen eine andere Person eingeleitet worden ist. Vollharmonisierende Rechtsakte können die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten bzgl. der zu ergreifenden Sanktionen selbst dann einschränken, wenn die betreffende Richtlinie nicht auf eine Harmonisierung der Rechtsfolgen abzielt.468 Dies zeigt der Fall Köck.469 Obwohl die UGP-RL 2005/29 den Mitgliedstaaten in Art. 11 einen Gestaltungsspielraum bzgl. der Wahl der nationalen Maßnahmen einräumt, mit denen unlautere Geschäftspraktiken bekämpft werden sollen, entschied der Gerichtshof, dass das im österreichischen Recht für die Ankündigung von Ausverkäufen vorgesehene Erfordernis der behördlichen Vorabgenehmigung der UGP-RL widerspricht. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen nur die im Anhang der Richtlinie aufgeführten Geschäftspraktiken per se (ohne Beurteilung des Einzelfalls) als unlauter eingestuft und verboten werden.470 Sonstige, nicht im Anhang der Richtlinie aufgeführte Geschäftspraktiken (wie die Ankündigung von Ausverkäufen) können nur dann als unlauter erklärt werden, wenn sie im Einzelfall nach den Kriterien der Art. 5 – 9 UGPRL 2005/29 auf ihre Unlauterkeit geprüft worden sind. Das österreichische Sanktionssystem widerspreche diesen Grundsätzen, da eine nicht im Anhang der Richtlinie aufgeführte Geschäftspraxis allein deshalb verboten werde, weil sie nicht von der zuständigen Behörde vorab genehmigt worden sei.

III. Kriterien zur Beurteilung der Effektivität 1. Ausgangsfragen a) Einheitliche Kriterien trotz unterschiedlicher Ausprägungen des Effektivitätsgebots? Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung unterschiedliche Formeln für das Effektivitätsgebot entwickelt.471 Geht es um die Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte vor den nationalen Gerichten, so kommt die in Rewe entwickelte subjektiv-rechtliche Ausprägung des Effektivitätsgebots zur Anwendung. Hiernach liegt ein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot vor, wenn nationales Recht dazu führt, dass dem Einzelnen die Ausübung der ihm durch das Unionsrecht verliehenen Rechte „praktisch unmöglich“ gemacht oder – wie es seit 1995 heißt – „übermäßig erschwert“ wird. Geht es um die Durchführung des Unionsrechts im Allgemeinen, greift der Gerichtshof dagegen häufig auf die objektiv-rechtliche Variante des Effektivitätsgebots zurück. Danach müssen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit das Unionsrecht effektiv durchgesetzt wird. Sie müssen dafür sorgen, dass ein Verstoß gegen das Unionsrecht durch „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ geahndet wird. 468   Hierzu – mit Blick auf die Umsetzung der Finanzmarktrichtlinien in Deutschland – auch noch infra, § 4 C.IV.5.b. 469   EuGH, Rs. C‑206/11 (Köck). 470   EuGH, Rs. C‑304/08 (Plus Warenhandelsgemeinschaft) Rn. 41 – 45; Rs. C‑540/08 (Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag) Rn.  30 – 34. 471   Hierzu bereits supra, § 4 C.I.

272

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Beide Ausprägungen des Effektivitätsgebots stellen gleichermaßen auf die praktische Wirksamkeit mitgliedstaatlicher Maßnahmen ab (hierzu 2.). Die Formel von den „verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen“ wird demgegenüber nur dann vom Gerichtshof verwendet, wenn es um die Pflichten des Anderen geht und damit nicht nur zivilrechtliche Ansprüche,472 sondern auch verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionen in den Blick genommen werden. Welche Bedeutung den Kriterien der Abschreckung (hierzu 3.) und Verhältnismäßigkeit (hierzu 4.) in Zivilrechtsverhältnissen zukommt, ist daher genauer zu untersuchen. b) Kontextbezogene Anwendung des Effektivitätsgebots Die Rechtsprechung zum Effektivitätsgebot wird durch die Umstände des jeweiligen Ausgangsverfahrens geprägt. Zuweilen hebt der EuGH selbst hervor, dass bestimmte Entscheidungen lediglich das Ergebnis von Einzelfallbeurteilungen sind, „die unter Berücksichtigung des gesamten tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhangs der jeweiligen Rechtssache vorgenommen wurden und nicht automatisch auf andere Bereiche als die übertragen werden können, in deren Rahmen sie getroffen wurden“.473 Dieser Ansatz hat zu dem Vorwurf geführt, dass der Gerichtshof das Effektivitätsgebot in willkürlicher Weise anwende. Der Grundsatz der Effektivität sei in seiner Handhabung wenig vorhersehbar.474 Der EuGH setze den Grundsatz als kaum berechenbares flexibles Koordinierungsinstrument ein.475 Eine an den rechtlichen Gegebenheiten des Einzelfalls orientierte Anwendung des Effektivitätsgebots ist indessen schon deswegen unabdingbar, weil dieser Grundsatz erst in Verbindung mit der durchzusetzenden Norm an Konturen gewinnt; die Pflicht zur wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts ist akzessorisch zu einer unionsrechtlichen Regelung, deren effektive Durchsetzung angestrebt wird.476 Das Effektivitätsgebot kann kein neues Ziel begründen, sondern ist auf die Verwirklichung eines Zustands gerichtet, der bereits durch andere Bestimmungen des Unionsrechts vorgegeben wird. Geht es um die Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte, müssen daher zunächst der Inhalt und Schutzzweck des fraglichen Rechts auf der Grundlage der primär- oder sekundärrechtlichen Bestimmungen ermittelt und mit dem betreffenden Regelungsumfeld abgestimmt werden.477 Vorgaben, die der Gerichtshof für bestimmte Rechtspositionen aus dem Effektivitätsgebot entwickelt 472   Der Grundsatz der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen“ wird vom EuGH auch auf privatrechtliche Rechtsbehelfe bezogen; vgl. nur EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25; Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 38 f. 473   EuGH, Rs. C‑473/00 (Cofidis) Rn. 37. Ähnlich EuGH, verb. Rs. C‑222 – 225/05 (van der Weerd u. a.) Rn. 40. 474   Jarass/Beljin, NVwZ 2004, 1, 10; Mäsch, EuR 2003, 825, 838 f.; Ossenbühl, in: FS Everling, 1995, S. 1031, 1041 ff. 475   Schoch, in: Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 507, 512. 476  G/H/v. Bogdandy, 20. EL, 2002, Art. 10 EGV Rn. 13 f.; vgl. auch Calliess/Ruffert/Kahl, EUV/ AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 4 EUV Rn. 44. 477  Ähnlich Wurmnest/Heinze, in: Schulze (Hrsg.), Compensation of Private Losses, 2011, S. 39, 45: „In order to judge the effectiveness of a national tort law remedy, the ECJ will thus consider the specific legal environment in which the remedy is employed, in particular the wording, the general context and the aim of the substantive right the remedy seeks to enforce. As a result, the effectiveness in a given case will to a large extent depend on the aims and functions of the substantive right in question, which may be a right guaranteed either in primary (for example Art. 101 TFEU) or secondary law (directive or regulation).“

C. Das Effektivitätsgebot

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hat, lassen sich deswegen nicht ohne weiteres auf sämtliche Unionsrechte übertragen. Beispielsweise gilt die vom EuGH aufgestellte Vorgabe, dass Schadensersatzansprüche wegen Diskriminierung verschuldensunabhängig ausgestaltet werden müssen,478 nicht für sämtliche haftungsrechtlichen Ansprüche zur Durchsetzung des Unionsrechts.479 Ähnlich ist für Verjährungs- und Ausschlussfristen zu konstatieren, dass der Gerichtshof keine absoluten Vorgaben entwickelt hat, welche Fristen im mitgliedstaatlichen Recht für die Rechtsverfolgung vorgesehen werden dürfen. Selbst eine Zweiwochenfrist kann (ausnahmsweise) mit dem Effektivitätsgebot vereinbar sein, wenn die durchzusetzende Richtlinie eine möglichst rasche Überprüfung behördlicher Entscheidungen bezweckt.480 Die Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes erfordert zudem eine Gesamtbetrachtung des mitgliedstaatlichen Rechts. Ob nationales Recht gegen das Effektivitätsgebot verstößt, kann nicht isoliert auf der Grundlage einer einzigen nationalen Vorschrift beantwortet werden. Vielmehr ist jeder Fall „unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen.“481 Entscheidend ist daher nicht, dass das Unionsrecht in den Mitgliedstaaten auf eine bestimmte Art und Weise durchgesetzt wird. Es reicht aus, dass das mitgliedstaatliche Recht vom Ergebnis her eine hinreichend effektive Durchführung des Unionsrechts gewährleistet. Der Umstand, dass in einer gegebenen Rechtsordnung ein spezieller Rechtsbehelf nicht zur Verfügung steht, führt daher nicht zu einem Verstoß gegen das Effektivitätsgebot, sofern der Berechtigte – bei Gesamtbetrachtung – über einen anderen Rechtsbehelf verfügt, der ebenfalls einen effektiven gerichtlichen Schutz der Unionsrechte ermöglicht.482 Für die Frage, ob mitgliedstaatliche Maßnahmen dem Effektivitätsgebot entsprechen, kommt es nicht nur auf die Rechtslage, sondern auch darauf an, wie das Unionsrecht in der Praxis durchgesetzt wird. Damit ist nicht gemeint, dass die konkreten Umstände des Einzelfalls am Maßstab des Effektivitätsgebots kontrolliert werden.483 Der Gerichtshof fragt in den meisten Entscheidungen vielmehr danach, wie sich die betreffende Regelung typischerweise in der Praxis auswirkt.484 478   So zur Allgemeinen Gleichbehandlungs-RL 76/207 EuGH, Rs. 177/88 (Dekker) Rn. 24 f.; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 18 f. Hierzu infra, § 9 C.III.3. 479  Vgl. infra, § 7 C.VI.2., zur Diskussion um den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch. 480   So im Vergaberecht zur Allgemeinen Rechtsmittel-RL 89/665 EuGH, Rs. C‑470/99 (Universale Bau) Rn. 72 ff. 481   EuGH, Rs. C‑312/93 (Peterbroeck) Rn. 14; verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel und Van Veen) Rn. 19. 482   Vgl. EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 58; sowie die SchlA von GA Sharpston, a. a. O., Rn. 36. Siehe ferner EuGH, Rs. C‑380/01 (Schneider) Rn. 30 f.; und die SchlA von GA Alber, a. a. O., Rn. 34. 483   Gegen derartige Einzelfallbetrachtungen König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 41. 484   Die Entscheidung EuGH, Rs. C‑327/00 (Santex), steht hierzu nicht in Widerspruch. Zwar urteilte der Gerichtshof, dass eine Ausschlussfrist von 60 Tagen des italischen Rechts zur Durchsetzung von Rechten nach der Vergabe-RL 89/665 „als solche“ nicht gegen das Effektivitätsgebot verstößt (Rn. 55); dennoch könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Anwendung dieser Frist „unter den konkreten Umständen“ des Falles zu einem Verstoß gegen dieses Gebot führe (Rn. 57). Dem lag jedoch die allgemeine Aussage zugrunde, dass nationale Fristenregelungen unangemessen sind, wenn ein treuwidriges Verhalten des öffentlichen Auftraggebers und die mangelnde Kenntnis des geschädigten Bieters nicht berücksichtigt werden können.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

2. Praktische Wirksamkeit der betreffenden Maßnahme a) Handlungs- und Unterlassungspflichten der Mitgliedstaaten Sowohl die subjektiv-rechtliche als auch die objektiv-rechtliche Ausprägung des Effektivitätsgebots stellen auf die praktische Wirksamkeit mitgliedstaatlicher Maßnahmen ab. Der EuGH verwendet allerdings unterschiedliche Formulierungen: Bei der gerichtlichen Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte spricht der Gerichtshof davon, dass dem Einzelnen die Ausübung dieser Rechte weder „praktisch unmöglich noch übermäßig erschwert“ werden darf.485 Geht es um die Durchführung des Unionsrechts im Allgemeinen, fordert der EuGH dagegen von den Mitgliedstaaten hinreichend wirksame Sanktionen.486 Bei dieser Ausprägung des Effektivitätsgrundsatzes werden nicht die Unterlassungspflichten, sondern vor allem die Handlungspflichten der Mitgliedstaaten betont. Trotz der unterschiedlichen Formulierung ist unbestritten, dass beide Formen des Effektivitätsgrundsatzes Unterlassungs- und Handlungspflichten begründen:487 Die Mitgliedstaaten sind sowohl bei der gerichtlichen Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte als auch bei jeder anderen Durchführung des Unionsrechts dazu verpflichtet, „alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art“ zur Erfüllung der durch das Unionsrecht auferlegten Verpflichtungen (Art. 4 Abs. 3 UAbs 2 EUV) zu ergreifen und die Union bei Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV). In diesem Rahmen müssen sie insbesondere die erforderlichen Rechtsbehelfe schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV). Darüber hinaus müssen sie alle Maßnahmen unterlassen, „die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten“ (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV). b) Prinzip der Mindesteffektivität Nicht jede Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit verstößt gegen das Effektivitätsgebot. Nationales Recht muss die Durchsetzung des Unionsrechts vielmehr in qualifizierter Form behindern. Bei der subjektiv-rechtlichen Ausprägung des Effektivitätsgebots kommt dies bereits in der vom EuGH verwendeten Formulierung zum Ausdruck, wonach ein Verstoß erst dann vorliegt, wenn die Geltendmachung von Unionsrechten „praktisch unmöglich“ gemacht oder „übermäßig erschwert“ wird. Diese Definition räumt den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum bzgl. der gerichtlichen Durchsetzung der Unionsrechte ein. Zwar hat der EuGH die zur Anwendung des Effektivitätsgebots maßgeblichen Kriterien im Laufe der Zeit verschärft. Während der Gerichtshof in Rewe488 nur davon 485   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 14; verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel und van Veen) Rn. 17; Rs. C‑618/10 (Calderón Camino) Rn. 46. 486   EuGH, 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 18; Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 37. 487   Der Gerichtshof nimmt daher häufig pauschal auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2, 3 EUV; ex Art. 10 EG; ex Art. 5 EWG) Bezug, ohne zwischen Handlungsund Unterlassungspflichten zu differenzieren; vgl. nur EuGH, Rs. 33/76 (Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral) Rn. 5; Rs. C‑213/89 (Factortame u. a.) Rn. 19; Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 38. Ferner G/H/v. Bogdandy, 40. Aufl., 2009, Art. 10 EGV Rn. 25; Calliess/Ruffert/Kahl, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 4 EUV Rn. 39. 488   EuGH, Rs. 33/76 (Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral) Rn. 5.

C. Das Effektivitätsgebot

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sprach, dass nationales Recht die Rechtsverfolgung nicht „praktisch unmöglich“ machen dürfe, ist seit der Entscheidung San Giorgio489 anerkannt, dass ein Verstoß bereits dann vorliegen kann, wenn die Ausübung subjektiver Unionsrechte „übermäßig erschwert“ wird.490 Nach wie vor zielt der Grundsatz aber nur auf eine Mindesteffektivität. Das Effektivitätsgebebot gebietet, wie Generalanwalt Wahl in seinen Schluss­ anträgen zur Rechtssache Macinský im Kontext der Klausel-RL 93/13 hervorgehoben hat, „lediglich, dass die nationalen Verfahrensvorschriften den Verbrauchern die Ausübung ihrer Rechte nicht übermäßig erschweren. Insbesondere verlangt der Effektivitätsgrundsatz nicht, dass die Ausübung der Rechte ’einfach’ ist oder besonders begünstigt wird. Anderenfalls würde der Begriff der Verfahrensautonomie seiner praktischen Wirkung beraubt, und es entstünde ein Regelungszwang, der mit der Tatsache, dass die Richtlinie 93/13 bloß eine Mindestharmonisierung vorsieht, nicht in Einklang zu bringen wäre“.491 Auch das Gebot der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionen bezweckt keine vollständige Kontrolle bzw. Harmonisierung der Rechtsfolgen. Werden die bei Verstoß gegen das Unionsrecht eintretenden Rechtsfolgen in einer Richtlinie nicht festgelegt, so erlegt das Unionsrecht den Mitgliedstaaten lediglich die Verpflichtung auf, Maßnahmen zu ergreifen, „die hinreichend wirksam sind, um das Ziel der Richtlinie zu erreichen“.492 Beide Ausprägungen des Effektivitätsgrundsatzes wollen nur eine Mindestwirksamkeit sicherstellen und einen Ausgleich zwischen dem Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit einerseits und der nationalen Verfahrensautonomie andererseits herstellen.493 Der Gerichtshof lehnt es daher ab, den Effektivitätsgrundsatz unter Rückgriff auf seine eigene Verfahrensordnung oder Satzung zu konkretisieren. Dies gilt beispielsweise für die Verjährung von Staatshaftungsansprüchen. Während ein Teil der Literatur eine entsprechende Anwendung von Art. 46 EuGH-Satzung (zuvor: Art. 43) favorisiert hatte,494 betonte der Gerichtshof im Fall Danske Slagterier,495 dass es den Mitgliedstaaten mangels einheitlicher unionsrechtlicher Regelungen obliegt, 489   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 14. Seitdem st. Rspr., vgl. EuGH, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel und van Veen) Rn. 17; Rs. C‑618/10 (Calderón Camino) Rn. 46. 490   Damit ist nicht nur eine Verschärfung, sondern zugleich eine flexiblere Handhabung des Effektivitätsprinzips verbunden. Der Gerichtshof ist nicht mehr auf eine Alles-Oder-Nichts-Lösung angewiesen, sondern kann auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung entscheiden, wann ein Verstoß vorliegt; Trstenjak/Beysen, CMLR 2011, 95, 101. 491   GA Wahl, SchlA, Rs. C‑482/12 (Macinský und Macinská) Rn. 77. 492   EuGH, 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 18; Herv. hinzugefügt. Nahezu identisch EuGH, Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 37. Der Gerichtshof betont zudem, dass den Mitgliedstaaten die Wahl der Sanktionen verbleibt; vgl. EuGH, Rs. 68/88 (Kommission/Griechenland – „Griechischer Maisskandal“) Rn. 24; verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 65. 493   Zu dieser Funktion des Effektivitätsgebots bereits supra, § 4 A.V.4. 494   So z. B. Prieß, NVwZ 1993, 118, 124; Schwarze/Berg, EU‑Kommentar, 3. Aufl., 2012, Art. 340 AEUV Rn. 97; vgl. auch Kopp, DÖV 1994, 201, 206 (EuGH-Satzung kommt als Auffangvorschrift zur Anwendung, wenn die nationalen Vorschriften dem Effektivitätsgebot widerstreiten). GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) Rn. 113 ff., zieht Art. 46 EuGH-Satzung für den Verjährungsbeginn heran. Vgl. auch Schwartze, ERPL 2000, 135, 145, mit dem Vorschlag, sich bei Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts der Mitgliedstaaten generell an der Verfahrensordnung des EuGH zu orientieren. 495   EuGH, Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) Rn. 31, 36, 48. Zustimmend Armbrüster/Kämmerer, NJW 2009, 3601, 3603 (EuGH wird „dem europarechtlichen Subsidiaritätsgedanken in vorbildlicher Weise gerecht“).

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Dauer, Beginn und Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung selbst zu regeln. Ebenso lehnt es der Gerichtshof ab, die für den zentralen vorläufigen Rechtsschutz entwickelten Kriterien in analoger Weise auf den (dezentralen) vorläufigen Rechtsschutz vor den einzelstaatlichen Gerichten anzuwenden.496 Auch insoweit unterliegt nationales Verfahrensrecht nur dem Gebot der Mindesteffektivität. c) Verwirklichung der vom Unionsrecht vorgegebenen Ziele Effektivität ist keine absolut messbare Größe, sondern ein Relationsbegriff, der einen Bezug zwischen zwei Vergleichsgrößen herstellt.497 Bei der Effektivität geht es darum, in welchem Maß eine bestimmte Zielvorgabe erreicht wird. Maßgebliches Entscheidungskriterium dafür, ob nationales Recht gegen das Effektivitätsgebot verstößt, ist daher das Regelungsziel der durchzusetzenden Unionsnorm.498 Für Sekundärrechtsakte stellt Art. 288 Abs. 3 AEUV ausdrücklich klar, dass Richtlinien „hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich“ sind. Der Begriff des Ziels ist anerkanntermaßen als eine „obligation de résultat“499 zu interpretieren: Das Unionsrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht allein dazu, die Ziele der betreffenden unionsrechtlichen Bestimmungen anzustreben. Es beinhaltet zugleich die Pflicht, hinreichend wirksame Maßnahmen zu ergreifen, damit das von der Unionsvorschrift vorgegebene Ergebnis verwirklicht wird.500 Das vom Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel ergibt sich in aller Regel aus der betreffenden Norm selbst. Ansonsten ist der historische Gesetzeszweck zu ermitteln, für den vielfach die Erwägungsgründe eines Rechtsakts Anhaltspunkte liefern. Aufschluss kann darüber hinaus die Rechtsgrundlage geben, aufgrund derer der Rechtsakt erlassen wurde. Allgemeine Zweckrichtungen, wie beispielsweise der Schutz einer bestimmten Personengruppe (Verbraucher, Arbeitnehmer, Gläubiger, etc.), sind demgegenüber häufig zu unspezifisch, um bestimmen zu können, ob einer europäischen Regelung die praktische Wirksamkeit genommen wird. Es kommt entscheidend darauf an, ob das mitgliedstaatliche Recht geeignet ist, den konkreten Zweck einzelner Regelungen zu erreichen.501

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  EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 78 ff. Hierzu bereits supra, § 4 A.V.3.   Vgl. nur D. Lorenz, AöR 105 (1980), 623, 637; Voßkuhle, NJW 1995, 1377, 1382; Tonne, Effektiver Rechtsschutz, 1997, S. 295; Seyr, Der effet utile, 2008, S. 297. 498   Vgl. nur EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 15 („vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung“). Siehe auch GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑326/88 (Hansen) Rn. 8: „‚Wirksam‘ bedeutet unter anderem, daß die Mitgliedstaaten gehalten sind, die Ziele der betreffenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen anzustreben und zu verwirklichen“. Zustimmend GA Kokott, SchlA, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 88. 499  So Lenaerts/van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl., 2005, Rn. 17 –  123, S. 768. 500  Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV Rn. 76; Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 288 AEUV Rn. 23. Zustimmend GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑69/ 08 (Visciano) Rn. 59 in Fn. 19. 501   Wie hier Herresthal, ZEuP 2009, 598, 603 f.; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 42. 497

C. Das Effektivitätsgebot

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d) Praktische Wirksamkeit und empirische Erkenntnisse Bei Beurteilung der Effektivität nationaler Maßnahmen kommt es nicht nur auf die rechtliche Situation an, sondern auch darauf, wie das Unionsrecht in der Praxis angewandt und durchgesetzt wird.502 Der EuGH betont den Gedanken der praktischen Wirksamkeit sowohl bei zivilrechtlichen Rechtsbehelfen als auch bei verwaltungsund strafrechtlichen Sanktionen. Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Mitgliedstaaten einen „tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz“ („real and effective judicial protection“)503 gewährleisten. Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass die dem Einzelnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte „vor den nationalen Gerichten tatsächlich geltend gemacht werden können, damit der gerichtliche Rechtsschutz effektiv und wirksam ist.“504 Dies ist nicht der Fall, wenn eine mitgliedstaatliche Regelung dazu führt, dass der Zugang zu Gericht faktisch beschnitten wird. Ein Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes liegt beispielsweise vor, wenn der Rechtssuchende durch überhöhte Gerichtskosten505 oder Sicherheitsleistungen,506 durch schwer zu überwindende Verfahrens- oder Beweishindernisse507 oder sonstige Nachteile508 von der Geltendmachung seiner Rechte abgehalten wird. Auch eine unklare Rechtslage kann einen Verstoß gegen das Effektivitätsprinzip begründen. Die Mitgliedstaaten müssen „eine so bestimmte, klare und transparente Lage schaffen, dass der Einzelne seine Rechte in vollem Umfang erkennen und sich vor den nationalen Gerichten auf sie berufen kann“.509 Geht es um Schadensersatzansprüche, muss der Geschädigte daher in vollem Umfang erkennen können, was ihm nach welchen Maßstäben zusteht.510 Rechtsklarheit kann umgekehrt ein Indiz dafür sein, dass die Durchsetzung nicht sonderlich schwierig oder unmöglich ist. Im Fall Palmisani511 sah der EuGH eine Fristenregelung des italienischen Rechts zur Staatshaftung wegen verspäteter Richtlinienumsetzung vor allem deshalb als angemessen an, weil die Vorschrift „nicht nur die Begünstigten in die Lage versetzt, ihre Rechte in vollem Umfang zu erkennen, sondern auch 502  Allgemein Nettesheim, in: GS Grabitz, 1995, S. 447, 459 (Vorschrift darf einen „gewissen Grad empirischer Wirksamkeitsschmälerung“ nicht überschreiten). Im Kontext der Staatshaftungsrechtsprechung Beljin, Staatshaftung, 2000, S. 40 f. 503   EuGH, 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23; Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 24; Rs. C‑460/ 06 (Paquay) Rn. 45; Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 63. 504   EuGH, Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 37; Herv. hinzugefügt. 505   EuGH, Rs. 260/11 (Edwards und Pallikaropoulos) Rn. 33 ff., zum Erfordernis eines „nicht übermäßig teuren Verfahrens“ im Sinne der UVP-RL 85/337 und Umweltverschmutzungsvermeidungs-RL 96/61, das vom EuGH als Ausdruck des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 47 GRC) und des Effektivitätsgebots verstanden wird. Zur Relevanz von Verfahrenskosten auch EuGH, Rs. C‑473/00 (Cofidis) Rn. 34; hierzu Rott, EuZW 2003, 5, 7. Kein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz liegt vor, wenn allein die wirtschaftliche Situation des Klägers die Klageerhebung erschwert; vgl. EuGH, Rs. C‑413/12 (Anuntis Segundamano España) Rn. 37. 506   Vgl. EuGH, Rs. C‑29/95 (Pastoors) Rn. 24 ff. 507   Zum Beweisrecht vor allem EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 14; Rs. 222/84 (Johnston) Rn. 21; Rs. C‑147/01 (Weber’s Wine World) Rn. 111; Rs. C‑526/04 (Laboratoires Boiron) Rn. 55, 57. 508   Beispielsweise darf die Einlegung von Rechtsmitteln nicht dazu führen, dass dem Rechtssuchenden die Teilnahme an einem Vergabeverfahren für einen öffentlichen Auftrag verweigert wird; vgl. EuGH, Rs. 226/04 (La Cascina) Rn. 38. 509   EuGH, Rs. C‑162/99 (Kommission/Italien) Rn. 22. St. Rspr. seit EuGH, Rs. 29/84 (Kommission/Deutschland) Rn. 23; Rs. C‑360/87 (Kommission/Italien) Rn. 12. 510   EuGH, Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 29. 511   EuGH, Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 29.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

die Voraussetzungen für den Ersatz des durch die verspätete Umsetzung entstandenen Schadens genau angibt“. Für die Beurteilung der Effektivität mitgliedstaatlicher Maßnahmen ist darüber hinaus maßgeblich, wie das nationale Recht von den einzelstaatlichen Gerichten ausgelegt und von den mitgliedstaatlichen Behörden angewandt wird. Ein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot setzt nicht unbedingt voraus, dass das nationale Recht für sich genommen die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert. Es reicht aus, wenn nationales Recht von einem erheblichen Teil der Gerichte512 oder in ständiger Verwaltungspraxis513 in einer dem Effektivitätsgebot widersprechenden Weise ausgelegt bzw. angewandt wird. Auch bei verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen stellt der EuGH auf die praktische Wirksamkeit ab. Die Mitgliedstaaten müssen den tatsächlichen Vollzug unionsrechtlicher Vorschriften sicherstellen. Sanktionen sind nur dann hinreichend wirksam, wenn sie den Normadressaten von einem Normverstoß abhalten. Der Grundsatz der Wirksamkeit überschneidet sich insoweit mit dem Kriterium der Abschreckung (hierzu sogleich, § 4 C.III.3.a.). Für die Wirksamkeit kommt es nicht allein auf die Art und Höhe der Sanktion an. Vielmehr muss zugleich in der Praxis eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehen, dass behördliche Kontrollen erfolgen und Sanktionen auch tatsächlich durchgesetzt werden.514 Unterlässt es ein Mitgliedstaat systematisch, die für einen Verstoß gegen unionsrechtliche Normen Verantwortlichen verwaltungs- oder strafrechtlich zu verfolgen, so liegt darin eine Verletzung des Effektivitätsgebots.515 Wie der Gerichtshof vereinzelt angedeutet hat, müssen die Mitgliedstaaten ihre nationalen Behörden ferner in personeller, finanzieller und sachlicher Hinsicht in angemessener Weise ausstatten, damit die Behörden ihre Aufgaben wirksam erfüllen können.516 Jedenfalls können sich die Mitgliedstaaten nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände ihrer internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der aus dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen.517 Ungeklärt ist, bis zu welchem Grad in der Praxis Wirksamkeitseinbußen hinzunehmen sind. Die Effektivität des Unionsrechts ist nicht schon dann verletzt, wenn der erstrebte Regelungserfolg leicht beeinträchtigt wird, sondern erst dann, wenn er behindert oder weitgehend vereitelt wird. Einzelfälle können nicht ausschlaggebend sein. Entscheidend muss sein, ob der von der Unionsnorm angestrebte Erfolg in einer bestimmten Fallgruppe in aller Regel erreicht oder vereitelt wird.518 In diesem Rahmen spielen auch empirische Erkenntnisse eine Rolle.519 Der EuGH greift insbesondere im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren auf statistische Daten zurück, um 512   EuGH, Rs. C‑129/00 (Kommission/Italien) Rn. 41. Hierzu auch GA Léger, SchlA, Rs. C‑173/ 03 (Traghetti) Rn. 58. 513   EuGH, Rs. C‑147/01 (Weber’s Wine World) Rn. 113 f. 514   EuGH, Rs. C‑185/00 (Kommission/Finnland) Rn. 101 ff.; vgl. auch die SchlA von GA Geel­ hoed, a. a. O., Rn. 56; sowie GA Kokott, SchlA, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 65. 515   EuGH, Rs. 68/88 (Kommission/Griechenland – „Griechischer Maisskandal“) Rn. 26 ff.; Rs. C‑52/ 95 (Kommission/Frankreich) Rn. 35; Rs. C‑333/99 (Kommission/Frankreich) Rn. 55. Im Kontext der Grundfreiheiten auch EuGH, Rs. C‑265/95 (Kommission/Frankreich – „Erdbeerkrieg“). 516   EuGH, Rs. C‑389/08 (Base) Rn. 28, bezogen auf ErwGr (11) der RL 2002/21; für die Generalisierbarkeit dieser Aussage W.‑H. Roth, WRP 2013, 257, 263 f.

C. Das Effektivitätsgebot

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beurteilen zu können, ob die nationalen Behörden ihren Kontrollpflichten nachkommen und ob die angeordneten Sanktionen ein wirksames Mittel darstellen, um Verstöße zu bekämpfen.520 Dagegen werden ökonomische Argumente vom EuGH nur sehr selten herangezogen. Während in den USA exponierte Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts in hohen Richterämtern die Rechtsprechung geprägt haben, greifen die europäischen Richter auf ökonomische Konzepte bislang nur zögerlich zurück.521 Dabei könnte gerade eine ökonomische Analyse des Rechts, ergänzt um eine „behavioural law and economics“,522 ein wertvolles Instrumentarium zur Verfügung stellen, um die Wirksamkeit rechtlicher Regelungen beurteilen zu können.523 e) Wertende Rechtsvergleichung und Effektivitätsgebot Rechtsvergleichend gewonnene Erkenntnisse können ebenfalls von Bedeutung sein, wenn es darum geht, nationales Recht am Effektivitätsgebot zu messen. Erweist sich auf der Grundlage einer rechtsvergleichenden Untersuchung, dass eine bestimmte, für den Anspruchsinhaber nachteilige Ausgestaltung seiner durch das Unionsrecht verliehenen Rechte im Vergleich zu anderen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen außergewöhnlich ist, so kann dies für einen Verstoß gegen das Effektivitätsgebot sprechen.524 Umgekehrt kann der Umstand, dass eine bestimmte Regelung in vielen Mitgliedstaaten existiert, darauf hindeuten, dass kein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot vorliegt.525 In diesem Sinne führte der Gerichtshof in Eco Swiss526 aus, dass eine nationale Klagefrist von drei Monaten gegen einen Schiedsspruch „gemessen an den in den Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten vorgesehenen Fristen nicht unangemessen kurz erscheint“ und somit nicht dazu führe, dass die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte übermäßig erschwert oder praktisch unmöglich gemacht werde. In Recheio527 betonte der EuGH, 517   Vgl. EuGH, Rs. C‑333/99 (Kommission/Frankreich) Rn. 43 f.; Rs. C‑119/04 (Kommission/Italien) Rn. 25; Rs. C‑503/04 (Kommission/Deutschland) Rn. 38; Rs. C‑568/07 (Kommission/Griechenland) Rn. 50 518   Beljin, Staatshaftung, 2000, S. 41. 519  Vertiefend Rott, Effektivität des Verbraucherrechtsschutzes, 2006, S. 27 f. 520  Vgl. insbesondere EuGH, Rs. C‑333/99 (Kommission/Frankreich) Rn. 34 f.; Rs. C‑185/00 (Kommission/Finnland) Rn. 102 f.; Rs. C‑494/01 (Kommission/Irland) Rn. 169 ff. 521   Franck, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 5 Rn. 59. Eine Ausnahme bildet das von Franck, a. a. O., Fn. 131, erwähnte Urteil EuGH, Rs. C‑402/03 (Skov und Bilka) Rn. 13, in welchem der Gerichtshof eine Konzentration der Produkthaftung auf den Hersteller mit dem Konzept des „cheapest cost avoider“ begründet. 522   Vgl. vor allem die Beiträge in: G. Wagner (Hrsg.), Kraft Gesetz, Beiträge zur rechtssoziologischen Effektivitätsforschung, 2010. 523   Hierzu auch noch infra, § 4 C.V. 524   Vgl. GA Gulmann, SchlA, Rs. C‑96/91 (Kommission/Spanien) Rn. 11; sowie GA Tizzano, SchlA, Rs. C‑168/00 (Leitner) Rn. 40 ff. (zum Grundsatz der praktischen Wirksamkeit). Im Ergebnis auch Classen, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 4 Rn. 107; Nettesheim, in: GS Grabitz, 1995, S. 447, 460. 525  Ähnlich Heinze, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. I, 2009, Stichwort „Effektivität“, S. 340: „Einschränkungen der Effektivität des Unionsrechts sind umso eher gerechtfertigt, als sie sich in möglichst vielen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nachweisen lassen“. 526   EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 45. 527   EuGH, Rs. C‑30/02 (Recheio – Cash & Carry) Rn. 21, 22.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

dass die streitgegenständliche 90‑Tagesfrist zur Rückforderung gemeinschaftswidrig erhobener Abgaben lang genug sei, um es dem Steuerpflichtigen zu ermöglichen, in voller Kenntnis der Sachlage die Entscheidung zu treffen, eine Anfechtungsklage zu erheben, und alle dafür erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Elemente zusammenzutragen. Eine solche Frist könne „im Vergleich mit den in den Rechtsordnungen mehrerer anderer Mitgliedstaaten festgesetzten ähnlich langen Fristen als angemessen betrachtet werden“. Der Aussagewert rechtsvergleichender Betrachtungen ist dennoch zu relativieren. Aus der Warte des Unionsrechts kann weder das gemeinsame Minimum noch das gemeinsame Maximum oder die von der Mehrheit der Rechtsordnungen getragene Lösung ausschlaggebend sein. Der Gerichtshof muss vielmehr im Wege der wertenden Rechtsvergleichung528 nach einer Lösung suchen, die den spezifischen Zielen und Strukturen der Union jenseits der Widersprüche zwischen den nationalen Rechtsordnungen am besten gerecht wird.529 Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten dienen dem EuGH daher nicht als Rechtsquelle, sondern als Rechtserkenntnisquelle. Ob das Unionsrecht hinreichend effektiv durchgesetzt wird, hängt nicht von den existierenden nationalen Lösungen ab, sondern muss primär aus der Perspektive des Unionsrechts bestimmt werden. Das in den Mitgliedstaaten zur Durchsetzung des Unionsrechts vorhandene Instrumentarium bietet dem Gerichtshof dabei ein reichhaltiges Anschauungsmaterial für die Frage, welche Rechtsbehelfe und Sanktionen verbreitet sind. Die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen dienen als Pool, aus dem sich der EuGH bei Bedarf Lösungen suchen kann. Rechtsvergleichende Erkenntnisse können zugleich als Grenze der Rechtsfindung fungieren, indem das im Wege der autonomen Auslegung gefundene Ergebnis auf seine Akzeptanz in den Rechtsordnungen geprüft wird.530 f) Leitbilder Leitbilder können ein nützliches Hilfsmittel für die teleologische Auslegung sein.531 Der Gerichtshof hat insbesondere für das Lauterkeitsrecht im Kontext seiner Grundfreiheitenrechtsprechung das Leitbild des mündigen Verbrauchers entwickelt,532 das seit der UGP-RL 2005/29 auch im geschriebenen Sekundärrecht ausdrücklich Berücksichtigung findet. Der Durchschnittsverbraucher wird danach verstanden als ein Mensch, „der angemessen gut unterrichtet und angemessen auf528

  Geprägt wurde dieser Begriff von Zweigert, RabelsZ 28 (1964), 601, 610 f.  Vgl. GA Roemer, SchlA, Rs. C‑5/71 (Zuckerfabrik Schöppenstedt): „Es sind also für das Gemeinschaftsrecht nicht nur Regelungen maßgeblich, die sich in allen Mitgliedstaaten finden, es ist nicht das niedrigste gemeinsame Niveau ausschlaggebend. (. . .) Angezeigt ist vielmehr (. . .) ein wertendes Vorgehen, bei dem insbesondere die speziellen Vertragsziele und die Besonderheiten der Gemeinschaftsstruktur berücksichtigt werden müssen“. Allgemein zur Methode der wertenden Rechtsvergleichung in der EuGH-Rechtsprechung v. Danwitz, ZESAR 2008, 57, 60 f.; Grundmann/ Riesenhuber, JuS 2001, 529, 533; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. 2, Europarecht, 2. Aufl., 2007, Rn. 514 ff., S. 383 ff. 530   Zu dieser Funktion v. Bogdandy, JuS 1990, 872, 873. 531   Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 47. 532   Vgl. EuGH, Rs. 178/84 (Kommission/Deutschland – „Reinheitsgebot für Bier“) Rn.  31 – 36; Rs. 362/88 (GB‑INNO) Rn. 13 – 19; Rs. C‑470/93 (Mars) Rn. 24; Rs. C‑220/98 (Estée Lauder Cosmetics) Rn. 27 ff. Hierzu Sack, WRP 1998, 264 ff.; Streinz/Leible, ZIP 1995, 1236 ff.; Zubriczky, in: Ajani/ Ebers (Hrsg.), Uniform Terminology for European Contract Law, 2005, S. 105 ff. 529

C. Das Effektivitätsgebot

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merksam und kritisch ist, unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren“.533 Für die Rechtsdurchsetzung legt der EuGH ein anderes Verbraucherleitbild zugrunde. Der Gerichtshof betont seit Océano,534 dass das durch die Klausel-RL 93/ 13 eingeführte Schutzsystem davon ausgehe, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Unternehmer in einer schwächeren Verhandlungsposition befinde und einen geringeren Informationsstand besitze. Der den Verbrauchern gewährte Schutz erstrecke sich vor allem auf Fälle, in denen der Verbraucher die Missbräuchlichkeit der verwendeten Klauseln nicht geltend mache, weil er entweder seine Rechte nicht kenne oder durch die Kosten, die eine Klage vor Gericht verursachen würde, von der Geltendmachung seiner Rechte abgeschreckt werde: Insbesondere in Rechtsstreitigkeiten mit niedrigem Streitwert könnten die Rechtsanwaltsgebühren höher sein als der streitige Betrag. Dies könne den Verbraucher davon abhalten, sich gegen die Anwendung missbräuchlicher Klauseln zu verteidigen. Zwar räumten die Verfahrensordnungen vieler Mitgliedstaaten dem Einzelnen das Recht ein, sich selbst zu verteidigen, jedoch bestehe die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass der Verbraucher seine Rechte aus Unkenntnis nicht geltend mache. Infolgedessen könne ein wirksamer Schutz des Verbrauchers nur erreicht werden, wenn die mitgliedstaatlichen Gerichte die bestehende Ungleichheit zwischen Verbraucher und Unternehmer von Amts wegen im Prozess durch positives Eingreifen ausgleichen.535 Wie der Gerichtshof in Rampion536 für die VerbrKrRL 87/102 (jetzt VerbrKrRL 2008/48) und in Martín Martín537 für die HWiRL 85/577 (jetzt VRRL 2011/83) klargestellt hat, gelten diese Grundsätze auch im sonstigen Verbraucher(prozess)recht.538 Entsprechendes zeichnet sich bei der KaufRL 99/44 ab.539 Der Gerichtshof postuliert damit für die Rechtsdurchsetzung das Leitbild des rechtsunkundigen Verbrauchers,540 der nicht nur über die Rechtslage aufzuklären ist, sondern von den mitgliedstaatlichen Gerichten auch davor zu schützen ist, dass er angesichts geringer Streitwerte und daher unverhältnismäßig hoher Rechtsdurchsetzungskosten seine durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht geltend macht. Auch dieser Schutz hat freilich Grenzen. Der völlig untätige Verbraucher, der ange533   ErwGr (18) S. 2 UGP-RL 2005/29. Die UGP-RL schützt in bestimmten Fällen auch den „besonders schutzbedürftigen“ Verbraucher (vulnerable consumer); vgl. Art. 3 Abs. 3 UGP-RL 2005/29; zu diesem Leitbild auch EuGH, Rs. 382/87 (Buet u. a.) Rn.  13 – 15. 534   EuGH, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn.  25 – 27; seitdem st. Rspr.; vgl. EuGH, Rs. C‑473/00 (Cofidis) Rn. 33 – 34; Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn.  28 – 29; Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 22; Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn.  37 – 39, 42 – 44; Rs.  C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 54. 535  Ausführlich supra, § 2 E.V. sowie infra, § 10 F.II.5. 536   EuGH, Rs. C‑429/05 (Rampion) Rn. 60 ff. 537   EuGH, Rs. C‑227/08 (Martín Martín) Rn. 22 ff. 538   Im Einzelnen ist vieles noch ungeklärt. Die Urteile Rampion und Martín Martín beziehen sich nur auf die Befugnis der nationalen Gerichte, die betreffenden Vorschriften (Art. 11 Abs. 2 VerbrKrRL 87/102, Art. 4 HWiRL 85/577) von Amts wegen anzuwenden. Für die Klausel-RL 93/13 hat der EuGH dagegen zahlreiche Verfahrensanforderungen entwickelt. 539   Vgl. EuGH, Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros) Rn. 38, 40. Dazu infra, § 10 G.IV.2. 540   Rott, EuZW 2003, 5, 6; Kulms, Der Effektivitätsgrundsatz, 2013, S. 102. A. A. GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 73, die unter Zugrundelegung des Leitbilds des Verbrauchers, der „normal informiert und angemessen aufmerksam und kritisch ist“, eine amtswegige gerichtliche Klauselkontrolle im Mahnverfahren für nicht erforderlich hält; der Gerichtshof ist dieser Argumentation jedoch nicht gefolgt; EuGH, a. a. O., Rn. 54.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

messene Rechtsmittelfristen versäumt, ist nicht in jedem Fall schutzwürdig.541 Die vom Gerichtshof entwickelten Vorgaben gelten zudem nur für den Individualprozess, nicht jedoch für Unterlassungsklagen, die von Verbraucherorganisationen angestrengt werden. Derartige Verbandsklagen sind nach Ansicht des EuGH gerade nicht durch das Ungleichgewicht gekennzeichnet, das im Rahmen einer Individualklage zwischen einem Verbraucher und seinem gewerbetreibenden Vertragspartner besteht.542 Zum anderen hat der Gerichtshof klargestellt, dass sich die für das Verbraucherrecht entwickelten Vorgaben nicht auf andere Rechtsgebiete übertragen lassen.543 Gegenüber professionellen Marktteilnehmern legt der EuGH das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Wirtschaftsteilnehmers544 auch für die Rechtsdurchsetzung zugrunde.545 Professionelle Unternehmer müssen im Verwaltungsverfahren kurze Anhörungsfristen in Kauf nehmen,546 im Anschluss an eine bestandskräftige Entscheidung umgehend handeln,547 ihre unionsrechtlichen Ansprüche notfalls inzident gerichtlich durchsetzen548 und sich über Gesetzesänderungen ständig informieren bzw. entsprechend beraten lassen.549 3. Abschreckende Wirkung a) Abschreckung als Teil der Wirksamkeit Mitgliedstaatliche Sanktionen zur Durchsetzung des Unionsrechts müssen nach ständiger Rechtsprechung eine abschreckende Wirkung550 entfalten. Dies ist der Fall, wenn die Sanktionen geeignet sind, die Allgemeinheit von Verstößen abzuhalten (negative Generalprävention) und den Normadressaten von weiteren Verstößen abzuschrecken (negative Spezialprävention).551 Darüber hinaus müssen sie dazu beitragen können, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltungskraft des Unionsrechts bzw. des nationalen Ausführungsrecht zu bekräftigen (positive Generalprävention).552 Das Kri541   EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom) Rn. 33 f. Vgl. auch GA Wahl, SchlA, Rs. C‑482/12 (Macinský und Macinská) Rn. 79. 542   EuGH, Rs. C‑413/12 (Anuntis Segundamano España) Rn. 49 f. 543   EuGH, verb. Rs. C‑222 – 2255 (van der Weerd u. a.) Rn. 39 ff. 544   Vgl. EuGH, Rs. C‑112/99 (Toshiba Europe) Rn. 52 (an Fachhändler gerichtete vergleichende Werbung); ferner Baldus/Raff, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 1. Aufl., 2016, § 3 Rn. 155 ff. 545  Ähnlich Kulms, Der Effektivitätsgrundsatz, 2013, S. 100 f., 107 (Leitbild des umsichtig und besonnen handelnden, rechtlich beratenen und gut organisierten professionellen Wirtschaftsteilnehmers). 546   EuGH, Rs. C‑349/07 (Sopropé – Organizações de Calçado) Rn. 41. 547   EuGH, Rs. C‑453/00 (Kühne & Heitz) Rn. 28; verb. Rs. C‑392 & 422/04 (i‑21 Germany und Arcor) Rn. 52. Hierzu Potacs, EuR 2004, 595, 598 f. 548   EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 61 ff. 549   Siehe EuGH, Rs. C‑62/00 (Marks & Spencer) Rn. 36, 38; sowie EuGH, Rs. C‑255/00 (Grundig Italiana) Rn. 37: Unternehmer müssen damit rechnen, dass Fristen zur Geltendmachung ihrer Rechte nachträglich verkürzt werden. 550   In der englischen Fassung von Richtlinien wird der Begriff der „abschreckenden“ Sanktionen teils mit „dissuasive“, teils mit „deterrent“ wiedergegeben, ohne dass sich daraus aber sachliche Unterschiede ergäben; vgl. Weitenberg, in: Koziol/Schulze (Hrsg.), Tort Law of the European Community, 2008, S. 309, 321. 551   GA Kokott, SchlA, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 89; GA Colomer, SchlA, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 45; 552   Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl., 2015, § 7 Rn. 62; v. d. Groeben/Schwarze/Prieß/Spitzer, Kommentar zum EU‑/EG‑Vertrag, 6. Aufl., 2003, Art. 280 EG Rn. 35.

C. Das Effektivitätsgebot

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terium der Abschreckung ist damit eng mit dem Wirksamkeitskriterium verknüpft. Beide Kriterien können daher als ein einheitliches Gebot verstanden werden.553 Sanktionen sollen einen ausreichenden Druck erzeugen und gewährleisten, dass sich die Normadressaten von einem Fehlverhalten abhalten lassen. Eine Sanktion wirkt nicht abschreckend, wenn „Unternehmen (. . .) eine mögliche Sanktion in Kauf nehmen, weil sie sich von der Nichtbefolgung des Gemeinschaftsrechts größere Vorteile versprechen“.554 Eine Geldbuße, die niedriger ist als der bei einem Verstoß zu erwartende Gewinn, stellt daher nach Ansicht der Kommission keine abschreckende Sanktion dar.555 Für den Abschreckungseffekt kommt es zum einen auf die Sanktionshöhe an: „Die Härte der Sanktionen muss der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet“.556 Rechnung zu tragen ist insbesondere der Bedeutung des verletzten Rechtsguts, der Art des Verstoßes, der Höhe des eingetretenen Schadens557 sowie dem Verhalten des Betroffenen.558 Aus einer unionsrechtswidrigen Handlung resultierende Vermögensvorteile können ebenfalls ein relevanter Gesichtspunkt für die Zumessung einer wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktion sein.559 Eine rein symbolische Sanktion entspricht nicht dem Gebot der Abschreckung.560 Erweisen sich die im nationalen Recht vorgesehenen Geldbußen betragsmäßig als so gering, dass sie der Schwere der in Frage stehenden Verstöße und der Größe der betroffenen Unternehmen nicht gerecht werden, verfehlen sie ihre Abschreckungswirkung.561 Der Umstand, dass eine bestimmte Sanktion ihrer Natur nach nicht auf Geld gerichtet ist, bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass sie lediglich symbolischen Charakter hat, insbesondere, wenn sie mit einem angemessenen Grad an Öffentlichkeit verbunden ist und wenn sie die Durchsetzung zivilrechtlicher Haftungsklagen wesentlich erleichtert.562 Eine dem Unionsrecht widersprechende Bagatellsanktion liegt dagegen vor, wenn die mitgliedstaatlichen Behörden unabhängig von der Schwere des Verstoßes nur eine Verwarnung aussprechen können, und wenn auch sonst keine anderen wirksamen Sanktionsmittel existieren.563 Schadensersatzansprü553   Wie hier Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 368; Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl., 2015, § 7 Rn. 62; A. A. Gröblinghoff, Verpflichtung, 1996, S. 26 (Abschreckungskriterium als Ausdruck der negativen Generalprävention). 554   Mitteilung der Kommission über die Bedeutung von Sanktionen für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Binnenmarkt, KOM (95) 162 endg., S. 2. Hierzu Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 302. 555   Mitteilung der Kommission: Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor, KOM (2010) 716 endg., S. 9. 556   EuGH, Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 63. Einschränkungen ergeben sich aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit; hierzu sogleich, § 4 C.III.4. 557   EuGH, 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23 f.; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23 f.; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25. 558   Vgl. EuGH, Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 67, mit der Klarstellung, dass auch ein etwaiges Wiederholungsverhalten des Normadressaten zu berücksichtigen ist. 559   EuGH, Rs. C‑45/08 (Spector Photo Group) Rn. 73 (zu ErwGr (38) und Art. 14 Abs. 1 MAD 2003/6). 560   EuGH, 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23 f.; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23 f.; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25; Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 68. 561   GA Kokott, SchlA, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 127. 562   EuGH, Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 68. 563   EuGH, Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 69.

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che müssen in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen; rein symbolische Entschädigungen reichen nicht aus.564 Schadensersatzansprüche, die mit ohnehin bestehenden zivilrechtlichen Ansprüchen saldiert werden, tragen ebenfalls nicht dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit ausreichend Rechnung.565 Neben der Sanktionshöhe ist zum anderen die Wahrscheinlichkeit entscheidend, mit der Rechtsverstöße verfolgt werden: „Wer einen Verstoß begeht, muss befürchten, auch tatsächlich mit der Sanktion belegt zu werden.“566 Ob eine Sanktionsnorm wirksam und abschreckend ist, richtet sich daher nicht nur nach der Reichweite ihres Tatbestands und der abstrakten Höhe der angedrohten Sanktion, sondern auch nach der Verfolgungspraxis, insbesondere nach der Häufigkeit und Intensität behördlicher Kontrollen sowie nach der Art und Weise des Vollzugs.567 Bei der Beurteilung, ob eine Sanktionsnorm wirksam und abschreckend ist, bedarf es insoweit einer umfassenden Würdigung ihrer Präventionswirkung, bei der auch rechtstatsächliche Umstände eine Rolle spielen. Wiederholte Zuwiderhandlungen deuten darauf hin, dass administrative oder strafrechtlich sanktionierte Verbotsregelungen in der Praxis von den mitgliedstaatlichen Behörden nicht wirksam durchgesetzt werden.568 Auch für zivilrechtliche Rechtsbehelfe verlangt das Unionsrecht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Berechtigten ihre Rechte mit Erfolg wahrnehmen können. Ein Sanktionssystem, das allein auf einem private enforcement basiert, entfaltet nur dann eine abschreckende Wirkung, wenn für die Berechtigten ein ausreichender Anreiz besteht, die ihnen eingeräumten Rechte auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen und durchzusetzen, und wenn die Erfolgsaussichten einer Klage vor den mitgliedstaatlichen Gerichten möglichst hoch und damit aus Sicht des Normadressaten wahrscheinlich sind.569 b) Abschreckende Wirkung zivilrechtlicher Rechtsbehelfe? Der Begriff der „Abschreckung“ wird vom Gerichtshof vor allem im Zusammenhang mit der allgemeinen Sanktionspflicht der Mitgliedstaaten verwendet, also bei der Frage, wie bestimmte unionsrechtliche Pflichten von den Mitgliedstaaten durchgesetzt werden müssen. Geht es dagegen um die Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte, so betont der Gerichtshof in aller Regel nur ganz allgemein, dass die Durchsetzung der Rechte nicht übermäßig erschwert oder praktisch unmöglich gemacht werden darf.570 Damit wird deutlich, dass dem Abschreckungs564   EuGH, 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23 f.; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23 f.; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25. 565   EuGH, Rs. C‑382/92 (Kommission/Vereinigtes Königreich) Rn. 55 – 58; Rs. C‑383/92 (Kommission/Vereinigtes Königreich) Rn. 42. 566   GA Kokott, SchlA, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 89. 567   EuGH, Rs. C‑185/00 (Kommission/Finnland) Rn. 101 ff.; vgl. auch die SchlA von GA Geelhoed, a. a. O., Rn. 56; sowie GA Kokott, SchlA, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 65. 568   Vgl. EuGH, Rs. C‑494/01 (Kommission/Irland) Rn. 61 ff. 569   Vgl. EuGH, Rs. C‑378 – 380/07 (Angelidaki u. a.) Rn. 165 mit Verweis auf die SchlA von GA Kokott, a. a. O., Rn. 92. Ferner GA Kokott, SchlA, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 124: „Die Wirksamkeit und vor allem der Abschreckungscharakter von Sanktionen setzen, wie bereits erwähnt, voraus, dass derjenige, der falsche Jahresabschlüsse vorlegt, auch tatsächlich die Verhängung von Sanktionen gegen sich befürchten muss. Deshalb sind zusätzlich zumindest die Wahrscheinlichkeit und die Erfolgsaussicht zu untersuchen, mit der Dritte überhaupt einen Rechtsbehelf wie etwa die Nichtigkeitsklage zu den zuständigen nationalen Gerichten anstrengen könnten.“

C. Das Effektivitätsgebot

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gedanken nicht zwangsläufig im Zivilrecht Rechnung getragen werden muss. Möglich ist auch, dass zivilrechtliche Rechtsbehelfe rein kompensatorische Zwecke verfolgen und darüber hinausgehende Funktionen (Abschreckung, Prävention bzw. Verhaltenssteuerung) in anderen Teilrechtsordnungen realisiert werden, beispielsweise, indem Normverstöße parallel durch Bußgeld- oder Straftatbestände sanktioniert werden. Viele Mitgliedstaaten setzen daher auf eine Kombination unterschiedlicher Sanktionsmechanismen.571 In Mitgliedstaaten, die wie Deutschland vor allem auf die private Durchsetzung unionsrechtlicher Verhaltensnormen (beispielsweise im Verbraucher- und Antidiskriminierungsrecht) vertrauen, besteht demgegenüber ein erhöhtes Risiko, dass dem Gebot der abschreckenden Sanktionierung nicht ausreichend Rechnung getragen wird: Entscheidet sich ein Mitgliedstaat dafür, den Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften in erster Linie durch zivilrechtliche Rechtsbehelfe zu sanktionieren, muss allein das Zivilrecht die vom EuGH geforderten Präventionsaufgaben meistern. Schadensersatzansprüche und andere zivilrechtliche Rechtsbehelfe müssen in diesem Fall von ihrem Tatbestand und ihren Rechtsfolgen her, aber auch mit Blick auf ihre prozessuale Durchsetzbarkeit so ausgestaltet sein, dass angesichts der Härte der Sanktionen und der Durchsetzungswahrscheinlichkeit für den Normadressaten ausreichend hohe Anreize zur Einhaltung der Verhaltensnorm bestehen. Eine wirksame Abschreckung lässt sich nur erzielen, wenn die in Aussicht gestellte Sanktion, multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit der Entdeckung und Vollstreckung der Sanktion, größer ist als der Nutzen aus dem Rechtsbruch.572 Da zivilrechtliche Rechtsbehelfe nur in einem Bruchteil der Fälle tatsächlich geltend gemacht und erfolgreich durchgesetzt werden, lassen sich die richtigen Präventionsanreize in einem ausschließlich auf privater Rechtsdurchsetzung basierenden Sanktionsmodell nur herstellen, wenn über die reine Schadenskompensation hinaus weitere Anreize gesetzt werden, beispielsweise durch eine Multiplikation der zu ersetzenden Schäden, durch Gewinnabschöpfungsansprüche und/oder die Bündelung von Einzelansprüchen. Gerade diese Instrumente werden jedoch in vielen Rechtsordnungen als Fremdkörper betrachtet. Der Präventionsgedanke spielt im Zivilrecht häufig nur eine untergeordnete Rolle. Privatrechtliche Rechtsfolgen (wie Schadensersatzansprüche oder Vertragsauflösungsrechte) bezwecken in vielen Mitgliedstaaten (und auch in Deutschland) vorrangig die Wiederherstellung des status quo ante. Das Zivilprozessrecht ist zudem – wenngleich alle Mitgliedstaaten überindividuelle Klagebefugnisse unterschiedlicher Ausprägung vorsehen – immer noch auf das Leitbild des Zweipersonenprozesses zugeschnitten.

570   Nur in einigen Urteilen prüft der EuGH sowohl das Gebot der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionierung als auch die Einhaltung des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots; vgl. vor allem EuGH, verb. Rs. C‑378 – 380/07 (Angelidaki u. a.) Rn. 158 ff. m. w. N. Vgl. auch supra, § 4 C.I.2. 571   Zum Antidiskriminierungsrecht infra, § 9 C.VI.1.; zum Verbraucherrecht infra, § 10 C.II.2. 572   Auf dieser Annahme basiert die ökonomische Theorie der optimalen Bestrafung; grundlegend Becker, 76 Journal of Political Economy 169, 176 ff. (1968); Polinsky/Shavell, 69 (5) American Economic Review 880 ff. (1979). Vgl. auch die Mitteilung der Kommission zur Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor, KOM (2010) 716 endg., S. 8. Näher infra, § 4 C.V.2.b.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

c) Abschreckung durch Prävention, nicht Repression Die vom EuGH erhobene Forderung nach abschreckenden Sanktionen zielt auf Prävention, nicht auf Repression.573 Insbesondere hat der Gerichtshof – anders als dies im Schrifttum zuweilen behauptet wird574 – in keiner einzigen Entscheidung die Einführung eines Strafschadensersatzes gefordert. Dieser These ist bereits an anderer Stelle widersprochen worden.575 Sie beruht auf der mangelnden Unterscheidung zwischen Abschreckung bzw. Prävention auf der einen Seite und Bestrafung bzw. Repression auf der anderen Seite. Zwar sollen Schadensersatzansprüche eine verhaltenssteuernde Wirkung entfalten. Weder der Gerichtshof noch das geschriebene Unionsrecht fordern von den Mitgliedstaaten aber die Einführung einer am moralischen Unwertgehalt der fraglichen Handlung und/oder der Gesinnung des Täters orientierten Privatstrafe in Form von punitive damages. 4. Verhältnismäßigkeit der Sanktionen Nach ständiger Rechtsprechung müssen mitgliedstaatliche Sanktionen nicht nur wirksam und abschreckend, sondern zudem verhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fungiert als Obergrenze für straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen (a.). Welche Rolle der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei zivilrechtlichen Rechtsfolgen spielt, ist immer noch ungeklärt (b.). a) Verhältnismäßigkeit als Obergrenze straf- und verwaltungsrechtlicher Sanktionen Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der nicht nur die Unionsorgane bindet,576 sondern auch von den Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts zu beachten ist.577 Der Grundsatz spielt einerseits als Maßstab für mitgliedstaatliches Handeln bei der Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Beschränkungen der Grundfreiheiten eine Rolle.578 Andererseits wird er vom Gerichtshof herangezogen, um die zur Durchsetzung des Unionsrechts erlassenen mitgliedstaatlichen Sanktionen zu kontrollieren.579 Nach ständiger Rechtsprechung dürfen nationale Sanktionen, die zur Durchsetzung unionsrechtlicher Rechtsvorschriften angeordnet werden, „nicht die Grenzen 573   Aus dem Gebot der Abschreckung folgt nur in Ausnahmefällen die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen einzuführen; vgl. GA Ruiz-Jarabo, SchlA, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 43; näher infra, § 4 C.IV.4.b. 574  Vgl. Adomeit, NJW 1997, 2295; Annuß, NZA 1999, 738, 740; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004, S. 353 f.; Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 411. 575   Supra, § 3 D.I.3.c. 576   Vgl. Art. 5 Abs. 4 EUV. Aus der Rechtsprechung EuGH, Rs. 331/88 (Fedesa u. a.) Rn. 13; verb. Rs. C‑133, 300 & 362/93 (Crispoltoni u. a.) Rn. 41; Rs. C‑189/01 (Jippes u. a.) Rn. 81; Rs. C‑310/04 (Spanien/Rat) Rn. 97. Die europäischen Gerichte haben den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insbesondere im Wettbewerbsrecht bzgl. der Bemessung von Geldbußen ausdifferenziert; zusammenfassend EuGH, Rs. C‑386/10 P (Chalkor/Kommission) Rn. 56 f. 577   Allgemein zu den verschiedenen Konstellationen, in denen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Maßstab für mitgliedstaatliches Handeln eine Rolle spielt, Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 2003, S. 415 ff.; v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 570. 578   Hierzu bereits supra, § 4 B.I.2. 579  Vgl. EuGH, Rs. C‑326/88 (Hansen) Rn. 17 ff.; Rs. C‑210/91 (Kommission/Griechenland) Rn. 19 ff.; Rs. C‑36/94 (Siesse) Rn. 21 ff.; Rs. C‑262/99 (Louloudakis) Rn. 67 ff.; Rs. C‑210/10 (Urbán) Rn. 23 ff.; Rs. C‑418/11 (Texdata Software) Rn. 51 ff.

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dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit den fraglichen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die dadurch bedingten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen müssen“.580 Der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz baut damit – ähnlich wie im deutschen Recht – auf den drei Stufen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit auf. Dem ersten Prüfungspunkt kommt allerdings keine eigenständige Bedeutung zu; ob eine Sanktion zur Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele geeignet ist, bemisst sich nämlich bereits danach, ob sie wirksam und abschreckend ist.581 Die beiden anderen Kriterien setzen für mitgliedstaatliche Sanktionen dagegen eine eigenständige Obergrenze: Eine mitgliedstaatliche Sanktion ist nur dann erforderlich, wenn sie unter mehreren für die Erreichung des verfolgten Zieles geeigneten Maßnahmen diejenige ist, die am wenigsten belastend für das betroffene Interesse oder das betroffene Rechtsgut ist. Nach dem Kriterium der Angemessenheit müssen repressive Maßnahmen zudem in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen. Mit dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit soll erreicht werden, dass die im mitgliedstaatlichen Recht angeordneten Sanktionen nicht unverhältnismäßig hoch ausfallen und dadurch den Markt stören.582 Neben dieser binnenmarktbezogenen Funktion hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine individualschützende Funktion, die durch den Ausbau der Unionsgrundrechte an Bedeutung gewonnen hat: Der Einzelne soll in Durchführungssituationen vor unverhältnismäßig repressiven mitgliedstaatlichen Maßnahmen geschützt werden. Für strafrechtliche Sanktionen wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz seit dem Lissabon-Vertrag grundrechtlich verstärkt; nach Art. 49 Abs. 3 GRC müssen Strafandrohung und Strafmaß dem verfolgten Zweck tatsächlich entsprechend und angesichts der Schwere des Verstoßes erforderlich sowie angemessen sein. Ungeklärt ist, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht nur eine Obergrenze für mitgliedstaatliche Sanktionen setzt, sondern zugleich eine Untergrenze festlegt, die für die Mitgliedstaaten verbindlich ist und nicht unterschritten werden darf.583 Praxisrelevant wird diese Frage unter Zugrundelegung der Annahme, dass aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (insbesondere aus dem Gebot der Angemessenheit) weitere Anforderungen an das mitgliedstaatliche Recht abgeleitet werden können, die über das Gebot der wirksamen und abschreckenden Sanktionierung hinausgehen. Die Mitgliedstaaten müssten dann nicht nur hinreichend wirksame und abschreckende, sondern „angemessene“ Sanktionen festlegen. Dies hätte einen weitergehenden Eingriff in die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie zur Folge. Bislang bestehen freilich keine Anzeichen dafür, dass der EuGH diese Interpretation zugrunde legt. Der Grundsatz wird in ständiger Rechtsprechung überwiegend als individualschützender 580   EuGH, verb. Rs. C‑379 – 380/08 (ERG u. a.) Rn. 86; Rs. C‑210/10 (Urbán) Rn. 24; Rs. C‑418/11 (Texdata Software) Rn. 52. 581   So wohl auch GA Kokott, SchlA, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 90: „Verhältnismäßig ist eine Sanktion, wenn sie zur Erreichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele geeignet (also insbesondere wirksam und abschreckend) und außerdem erforderlich ist.“ 582   GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 54. 583   Für diese Sichtweise Gröblinghoff, Verpflichtung, 1996, S. 26.; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 371 ff.; ders., Internationales und Europäisches Strafrecht, 6. Aufl., 2013, § 9 Rn. 25 ff. Vgl. auch Böse, Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 368 ff.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Rechtsgrundsatz verstanden, der dem Bürger einen Abwehranspruch gegenüber mitgliedstaatlichen Sanktionen vermittelt.584 Bei der Beurteilung, ob eine nationale Sanktion mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, sind mehrere Faktoren zu berücksichtigen. Einerseits kommt es auf die Art und Schwere des Verstoßes einschließlich der durch ihn verursachten Folgen an.585 Andererseits ist danach zu fragen, wie die Sanktion im nationalen Recht konkret ausgestaltet ist; entscheidend ist in diesem Rahmen sowohl die Sanktionsart (Strafnorm, Bußgeldnorm, verwaltungsrechtliche Maßnahme, zivilrechtliche Rechtsfolge) als auch die inhaltliche Ausgestaltung der nationalen Sanktion (Tatbestand und Rechtsfolge) einschließlich der Methoden für die Bestimmung der Sanktionshöhe.586 Bei Geldbußen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit daher nicht nur in Bezug auf die Festlegung der Tatbestandsmerkmale eines Verstoßes sowie der Regeln über die Höhe der Geldbußen zu beachten, sondern auch in Bezug auf die Würdigung der Gesichtspunkte, die in die Festsetzung der Geldbuße einfließen können.587 Nationale Sanktionen, die weder die Art und Schwere der Pflichtverletzung noch deren Auswirkungen berücksichtigen, sind unverhältnismäßig.588 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz untersagt es daher den Mitgliedstaaten, die Verletzung von Nebenpflichten in derselben Weise zu sanktionieren wie den Verstoß gegen Hauptpflichten.589 Der Grundsatz wird ferner verletzt, wenn im nationalen Recht bei jeglicher Verletzung unionsrechtlicher Vorschriften eine Geldbuße in pauschaler Höhe verhängt wird, ohne dass ihr Betrag der Schwere des Verstoßes angepasst wird. Eine derart pauschale Geldbuße geht in aller Regel über die Grenzen dessen hinaus, was zur Verwirklichung der mit unionsrechtlichen Vorschriften verfolgten Ziele erforderlich ist.590 b) Verhältnismäßigkeit zivilrechtlicher Rechtsfolgen? Inwieweit der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Zivilrecht Anwendung findet, ist nach wie vor ungeklärt. Wären die Mitgliedstaaten auch im Privatrecht in umfassender Weise an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden, müsste nicht mehr unbestimmt danach gefragt werden, ob die Durchsetzung der durch das Unions584   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑210/10 (Urbán) Rn. 24: Repressive Maßnahmen dürfen „nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der (. . .) verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist“; Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 63: „Die Härte der Sanktionen muss der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet (. . .), zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren“; Herv. jeweils hinzugefügt. Die individualschützende Abwehrfunktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Kontext der Klausel-RL 93/13 ebenfalls betonend GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑472/10 (Invitel) Rn. 54, 59; bestätigend EuGH, a. a. O., Rn. 39. 585   Vgl. EuGH, Rs. C‑210/10 (Urbán) Rn. 29 f.; Rs. C‑263/11 (Rēdlihs) Rn. 47. 586   Vgl. EuGH, Rs. C‑210/10 (Urbán) Rn. 54; Rs. C‑263/11 (Rēdlihs) Rn. 47. Ferner Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl., 2015, § 7 Rn. 65. 587   EuGH, Rs. C‑210/10 (Urbán) Rn. 54. 588   EuGH, Rs. C‑262/99 (Loulakis) Rn. 61, 69; Rs. C‑210/10 (Urbán) Rn. 29 f. 589   Daran ist auch der Unionsgesetzgeber gebunden; vgl. EuGH, Rs. 181/84 (Man [Sugar]) Rn. 20; Rs. C‑87/92 (Hoche) Rn. 26; Rs. C‑161/96 (Südzucker) LS 3. 590   EuGH, Rs. C‑210/10 (Urbán) Rn. 29 f., 41. Pauschale Sanktionen sind nur dann zulässig, wenn sie unbedingt erforderlich sind, um das im Unionsrecht festgelegte Ziel zu erreichen; vgl. EuGH, Rs. C‑203/12 (Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka) Rn. 39 (zu Art. 16 Abs. 3, 4 Emissionshandels-RL 2003/87).

C. Das Effektivitätsgebot

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recht verliehenen Rechte „praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert“ wird, sondern konkreter danach, ob die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsbehelfe und Verfahren geeignet, erforderlich und angemessen sind. In diesem Sinne schlug der ehemalige Generalanwalt Walter van Gerven vor, der Gerichtshof solle nicht mehr wie bislang einen (negativen) Effektivitätstest zugrunde legen, sondern unter Rückgriff auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dazu übergehen, die Kriterien für einen „angemessenen gerichtlichen Rechtsschutz“ (adequate judicial protection) positiv zu formulieren.591 Dafür ließe sich anführen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein allgemeiner Grundsatz ist, der immer dann zur Anwendung kommen soll, wenn die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Vertrages handeln, und dass die private Rechtsdurchsetzung (etwa im Wege einer Unterlassungs- oder Schadensersatzklage) den Normadressaten unter Umständen ebenso belasten kann wie straf- oder verwaltungsrechtliche Sanktionen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat indessen im Privatrecht eine ganz andere Wirkrichtung. Im öffentlichen Recht dient der Grundsatz der Begrenzung von Hoheitsbefugnissen. Im Privatrecht hätte die Trias von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit dagegen zur Folge, dass die europäischen Richter in das Gefüge vertraglicher oder gesetzlicher Schuldverhältnisse eingreifen und den Parteien durch Berücksichtigung von Billigkeitserwägungen einen aus ihrer Sicht angemessenen Interessenausgleich oktroyieren könnten.592 Der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie würden damit weitere Schranken gesetzt, die weit über das Effektivitätsgebot hinausgingen. Der EuGH setzt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz daher im Privatrecht mit der gebotenen Zurückhaltung ein. Der Grundsatz ist im europäischen Privatrecht insoweit von Bedeutung, als er der Forderung nach wirksamen und abschreckenden Sanktionen Grenzen setzt: Auch im Privatrecht sind Normverstöße nicht um jeden Preis durchzusetzen. So darf etwa, wie der Gerichtshof verschiedentlich hervorgehoben hat, der Verstoß gegen unionsrechtliche Verhaltensnormen nicht mit der Nichtigkeit zugrunde liegender Rechtsgeschäfte sanktioniert werden, wenn gleich wirksame, aber weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen.593 Schadensersatzansprüche müssen zwar wirksam und abschreckend sein; das Unionsrecht fordert jedoch keinen Strafschadensersatz, sondern – wie der Gerichtshof im Antidiskriminierungsrecht hervorhebt – nur, dass die Entschädigung in einem „angemessenen“ Verhältnis zum erlittenen Schaden steht.594 Auch im Immaterialgüterrecht dürfen Rechtsbehelfe nicht einseitig an den Interessen des Rechtsinhabers an einer möglichst effektiven und uneingeschränkten Durchsetzung seiner Rechte orientiert sein. Das Unionsrecht 591   van Gerven, CMLR 2000, 501, 529 ff. Zustimmend Micklitz, in: Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl., 2003, Rn. 29.7. Zur Diskussion Dougan, National Remedies, 2004, S.  294 – 298. 592  Vgl. Rybarz, Billigkeitserwägungen, 2011, S. 53 f. 593   So im Kontext des Beihilferechts EuGH, Rs. C‑275/10 (Residex Capital IV) Rn.  44 – 48; im Kontext der Grundfreiheitenrechtsprechung EuGH, Rs. C‑213/04 (Burtscher) Rn.  54 – 60; hierzu supra, § 4 B.III.4.b. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn.  31 – 33: KlauselRL 93/13 verlangt bei Vorliegen einzelner missbräuchlicher Klauseln keine Totalnichtigkeit des Vertrags im einseitigen Interesse des Verbrauchers, da die RL darauf abzielt, eine Ausgewogenheit zwischen den Parteien herzustellen. 594   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

verpflichtet die Mitgliedstaaten vielmehr dazu, sich bei Umsetzung der Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum595 und ggf. kollidierender Datenschutzrichtlinien „auf eine Auslegung derselben zu stützen, die es ihnen erlaubt, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten sicherzustellen“.596 Die Interessen des Rechteinhabers an einer effektiven Sanktionierung von Immaterialgüterrechtsverletzungen finden damit ihre Grenze an der allgemeinen Handlungsfreiheit vermeintlicher Verletzer, die nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden darf. Diese Vorgaben sind auch bei der Berechnung von Schadensersatzansprüchen zu beachten. Wie der Gerichtshof im Fall Boehringer Ingelheim II597 zur Markenrechts-RL 89/104 (jetzt Markenrechts-RL 2008/95) klargestellt hat, widerspricht es zwar nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn der Markeninhaber beim Vertrieb nicht gefälschter Ware ohne vorherige Unterrichtung des Markeninhabers eine finanzielle Entschädigung auf derselben Grundlage verlangen kann wie im Falle einer Fälschung. Es sei aber Sache des nationalen Gerichts, die Höhe der finanziellen Entschädigung im Einzelfall unter Berücksichtigung des Umfangs des dem Markeninhaber durch den Verstoß des Parallelimporteurs entstandenen Schadens sowie unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu bestimmen. Dies verdeutlicht, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vom EuGH im Privatrecht nicht dazu eingesetzt wird, um die Ausgestaltung zivilrechtlicher Rechtsbehelfe in den Mitgliedstaaten einer umfassenden Kontrolle zu unterziehen. Der Grundsatz hat vielmehr die Funktion, das Gebot der wirksamen und abschreckenden Sanktionierung zu begrenzen. Er verhindert eine einseitige Anwendung des Effektivitätsgebots, indem die Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche auf das zur Erreichung der vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziele erforderliche Maß beschränkt wird. In grundrechtssensiblen Bereichen wie dem Immaterialgüter- und Datenschutzrecht wird der Grundsatz zudem herangezogen, um ein angemessenes Gleichgewicht zwischen allen relevanten unionsrechtlich geschützten Interessen und Rechtspositionen sicherzustellen.598 In aller Regel konkretisiert der Gerichtshof den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dabei nicht selbst, sondern überantwortet diese Aufgabe den nationalen Gerichten. Damit kommt es zu einer einzelfallabhängigen Lösung, die den nationalen Richter zu einer individuellen Verhältnismäßigkeitsprüfung zwingt. Die damit einhergehende Rechtsunsicherheit und Vielzahl divergierender nationaler Lösungen wird zuweilen kritisiert.599 Der vom EuGH favorisierte Ansatz gewährleistet allerdings gerade, dass die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten auch im Privatrecht bei Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht übermäßig eingeschränkt wird.

595   Art. 3 Abs. 2 Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum hebt ausdrücklich hervor, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei Ausgestaltung sämtlicher unter die Richtlinie fallenden Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zu beachten ist; hierzu Knaack, GRUR Int. 2004, 745, 747. 596  EuGH, Rs. C‑275/06 (Promusicae) Rn. 68; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑557/07 (LSG) Rn. 28; Rs. C‑324/09 (L’Oréal u. a.) Rn. 143; Rs. C‑70/10 (Scarlet Extended) Rn. 36 ff.; Rs. C‑360/10 (SABAM) Rn. 34 ff.; Rs. C‑461/10 (Bonnier Audio u. a.) Rn. 56 ff. 597   EuGH, C‑348/04 (Boehringer Ingelheim u. a.) Rn. 63. GA Sharpston bejahte dagegen in ihren SchlA, a. a. O., Rn. 72 ff., einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 598  Vertiefend Trstenjak, GRUR Int. 2012, 393 ff. 599   So etwa zum Beihilferecht von Bonin, EuZW 2012, 106, 109; zum Immaterialgüterrecht Davies/Helmer, E.I.P.R. 2008, 307, 308; Kuner, E.I.P.R. 2008, 199, 202; Spindler, GRUR 2008, 574, 577.

C. Das Effektivitätsgebot

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IV. Rechtsformenermessen der Mitgliedstaaten Trifft das geschriebene Unionsrecht keine Vorgaben zur Ausgestaltung der Rechtsbehelfe, Verfahren und Sanktionen, stellt sich die Frage, ob die Mitgliedstaaten zwischen verschiedenen Sanktionsarten frei wählen können, also ein Rechtsformenermessen in Anspruch nehmen können, oder ob diese Wahlfreiheit durch das Effektivitätsgebot eingeschränkt wird. Unter dieser Perspektive ist nachstehend die Judikatur des EuGH rechtsgebietsübergreifend in den Blick zu nehmen. 1. Sanktionsarten a) Indifferenz des Unionsrechts gegenüber nationalen Ordnungskategorien Mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Sanktionsarten lassen sich in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und im Unionsrecht strafrechtliche, verwaltungsstrafrechtliche, verwaltungsrechtliche und zivilrechtliche Sanktionen voneinander unterscheiden. Die Grenz- und Verbindungslinien zwischen den genannten Teilrechtsgebieten verlaufen in den Mitgliedstaaten sehr verschieden.600 Bereits die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht ist in einigen Mitgliedsländern sehr viel schwächer ausgeprägt als in anderen.601 Ein und dasselbe Sanktionsmittel kann darüber hinaus in Abhängigkeit zur jeweiligen Rechtsordnung dem Strafrecht, dem Verwaltungs(straf)recht oder auch dem Zivilrecht zugeordnet werden und in ganz unterschiedlicher Weise mit anderen Teilrechtsgebieten interagieren. Zu einer Überschneidung zwischen strafrechtlichen und verwaltungs(straf)rechtlichen Regelungen kommt es beispielsweise bei Geldstrafen und verwaltungsrechtlichen Geldbußen, beim Entzug von Lizenzen, bei Berufs- und Gewerbeverboten sowie beim Einzug und bei der Beschlagnahme von Tatmitteln. – All dies sind Sanktionen, die in den Mitgliedstaaten teils in Form einer Strafe oder strafrechtlichen Nebenfolge, teils durch verwaltungsrechtliche Akte angeordnet werden. Wechselwirkungen zwischen dem Verwaltungs- und Zivilrecht entstehen insbesondere dann, wenn Verstöße gegen zivilrechtliche Normen durch verwaltungsrechtliche Maßnahmen sanktioniert werden oder Verstöße gegen verwaltungsrechtliche Normen zivilrechtliche Rechtsfolgen (beispielsweise die Nichtigkeit von Verträgen oder Schadensersatzansprüche) auslösen. Auch die Verbindungslinien zwischen Strafrecht und Zivilrecht werden in den einzelnen Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich gezogen. Einerseits strahlen zivilrechtliche Regelungen in unterschiedlichem Maße auf Straftatbestände aus (so etwa im Bereich der Vermögensdelikte), andererseits dient das Strafverfahren in einigen Mitgliedstaaten (so z. B. in Frankreich und Spanien) der Durchsetzung privatrechtlicher Schadensersatzansprüche. Denkbar ist auch, dass in einem Straf- oder Verwaltungsverfahren die Wiedergutmachung eingetretener Schäden angeordnet wird. Angesichts dieser Differenzen kann das Unionsrecht nicht auf die in den Mitgliedstaaten gewachsenen Ordnungsmuster Rücksicht nehmen. Dringt das Unionsrecht in den innerstaatlichen Bereich ein, so ist es grundsätzlich unerheblich, wo die Grenzen zwischen dem Strafrecht, Verwaltungsstrafrecht, Verwaltungsrecht und dem 600   Allgemeiner Überblick bei Szladits und Weir, beide in: Davis (Hrsg.), International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. II, Chapter 2, 1974, S. 15 ff. und S. 77 ff. 601   Insbesondere das englische und das irische Recht trennen erst seit kurzem zwischen diesen Rechtsmaterien; siehe supra, § 3 B.II.2.a.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Zivilrecht in den Mitgliedstaaten verlaufen. Entscheidend ist allein, dass das Unionsrecht wirksam in den Mitgliedstaaten durchgeführt wird und gleichzeitig die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte des Einzelnen ausreichend gewahrt werden. Die in den Mitgliedstaaten vorhandenen Ordnungskategorien erweisen sich vor diesem Hintergrund als brüchig. Dem Unionsrecht liegt keine formale, sondern eine funktionsbezogene Sichtweise zugrunde. Unionsrechtliche Maßnahmen betreffen gemeinhin nicht einzelne, klar konturierte Rechtsgebiete, sondern regelungsbedürftige, binnenmarktrelevante Phänomene.602 Das Unionsrecht zwingt daher in vielen Bereichen dazu, mitgliedstaatliche Abgrenzungen neu zu überdenken und ggf. anders als bisher vorzunehmen.603 Das Unionsrecht entwickelt als supranationale Rechtsordnung seine eigenen (wenngleich unvollkommenen) Strukturen, die nationale Ordnungskategorien relativieren und teils an ihre Stelle treten. b) Bestimmung der Sanktionsart nach unionsrechtlichen Kriterien Ob eine im mitgliedstaatlichen Recht oder im Unionsrecht vorgesehene Sanktion dem Strafrecht, dem Verwaltungsstrafrecht, dem Verwaltungsrecht oder dem Zivilrecht zuzurechnen ist, ist aus unionsrechtlicher Perspektive in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen von Bedeutung, so beispielsweise, wenn es um die Kompetenzen der Union zur Normierung von Sanktionen geht604 oder darum, welche verfahrensrechtlichen Garantien der Einzelne gegenüber Sanktionen in Anspruch nehmen kann.605 Die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Sanktionsarten ist darüber hinaus für die Frage von Bedeutung, ob die im mitgliedstaatlichen Recht vorgesehenen Sanktionen und Rechtsschutzsysteme dem Effektivitätsgrundsatz entsprechen; da die jeweiligen Teilrechtsordnungen unterschiedlichen Funktionsbedingungen unterliegen, lassen sich Steuerungsvorteile und Wirkungsgrenzen einer im mitgliedstaatlichen Recht angeordneten Sanktion nämlich erst vor dem Hintergrund der jeweiligen Teilrechtsordnung erkennen und bewerten. Unterscheidungskriterien, die für eine Systembildung fruchtbar gemacht werden können, haben sich in der Rechtsprechung des EuGH in verschiedenen Gebieten herausgebildet.606 In methodischer Hinsicht liegt den Ausführungen des Gerichts602   Hesselink, The New European Legal Culture, 2001, S. 37 ff., spricht von einem „Shift from Form to Substance“. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 11, betont für das europäische Verbraucherrecht, dass es sich um eine Querschnittsmaterie handelt, die eher nach funktionalen denn nach systematischen Kriterien geordnet ist. 603   So beispielsweise im Vergabe- Beihilfe- und Kartellrecht sowie im Antidiskriminierungsrecht; vgl. Skouris, EuR 1998, 111 ff.; Zuleeg, ZEuP 2001, 533 ff. 604   Die Kompetenzen der EU sind insb. im Strafrecht begrenzt. Zwar hat der Vertrag von Lissabon die Zuständigkeiten der EU im materiellen Strafrecht erheblich ausgedehnt (vgl. Art. 83 AEUV). Die Kompetenzen unterliegen jedoch einschränkenden Voraussetzungen. Die Mitgliedstaaten haben insb. ein Veto-Recht gegen Harmonisierungsakte (Art. 83 Abs. 3 AEUV). Zu Umfang und Grenzen der strafrechtlichen Harmonisierungskompetenz Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl., 2015, § 8; Satzger, KritV 2008, 17, 24 ff. 605   So greifen bestimmte Garantien, wie beispielsweise die Unschuldsvermutung (Art. 48 Abs. 1 GRC) oder das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 50 GRC), nur gegenüber strafrechtlichen, nicht jedoch gegenüber verwaltungsrechtlichen Maßnahmen; vgl. supra, § 4 C.I.4.a. 606  Dazu Sieber, in: van Gerven/Zuleeg (Hrsg.), Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 71, 72 f.; v. d. Groeben/Schwarze/Prieß/Spitzer, Kommentar zum EU‑/ EG‑Vertrag, 6. Aufl., 2003, Art. 280 EG Rn. 28 ff.; Schwarze, EuZW 2003, 261 ff. Monografisch zum Sanktionsbegriff Bitter, Die Sanktion im Recht der Europäischen Union, 2011; vgl. auch dens., in:

C. Das Effektivitätsgebot

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hofs und den Schlussanträgen der Generalanwälte zumeist eine Betrachtungsweise zugrunde, die nicht auf die in den Mitgliedstaaten formell unterschiedlichen Kategorien abstellt, sondern die unter Rückgriff auf materielle Kriterien nach dem Sanktionszweck und den Sanktionsmitteln fragt. Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: – Strafrechtliche Sanktionen: Sie zielen darauf ab, in repressiver Weise unerlaubte Handlungsweisen zu verfolgen und wiederholten Gesetzesverstößen vorzubeugen.607 Der Zweck strafrechtlicher Sanktionen geht über die schlichte Abschreckung hinaus; er umfasst auch die gesellschaftliche Missbilligung und moralische Ächtung.608 Die Höhe strafrechtlicher Sanktionen orientiert sich daher nicht nur am Erfolgsunrecht, sondern auch am moralischen Unwertgehalt der fraglichen Handlung und Gesinnung. Das (Kriminal‑)Strafrecht bedient sich nicht nur der Geldstrafe, sondern auch der Freiheitsstrafe. Ein wichtiger Unterschied gegenüber administrativen Maßnahmen besteht in der ethischen Dimension strafrechtlicher Sanktionen: „Wird ein Verhalten strafrechtlich geahndet, so wird angenommen, dass es den schärfsten Tadel verdient, weil es gegen die Grundlagen der Rechtsordnung gerichtet ist“.609 Ob eine Sanktion strafrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Charakter hat, beurteilt der EuGH610 insbesondere unter Zugrundelegung der vom EGMR entwickelten Engel-Kriterien.611 Nach dieser Rechtsprechung sind drei Kriterien relevant, nämlich (i) die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht, die der EGMR jedoch ausdrücklich als bloßen Ausgangspunkt der Betrachtung ansieht,612 (ii) die Art der Zuwiderhandlung, sowie (iii) die Art und der Schweregrad der angedrohten Sanktion. Das zweite und das dritte Kriterium sind dabei alternativ anzuwenden, was einen kumulativen Ansatz jedoch nicht ausschließt, wenn eine getrennte Analyse der einzelnen Kriterien keinen klaren Schluss zulässt.613 – Verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen: Das Verwaltungsstrafrecht – in Deutschland wird üblicherweise vom „Ordnungswidrigkeiten- oder Bußgeldrecht“ gesprochen – zielt ebenso wie das Strafrecht darauf ab, unerlaubte Handlungsweisen zu ahnden und wiederholten Gesetzesverstößen vorzubeugen.614 Der Unterschied zur Bodnar/Kowalski/Raible/Schorkopf (Hrsg.), The Emerging Constitutional Law of the European Union, 2003, S. 15 ff. Zum sekundärrechtlichen Sanktionsbegriff supra, § 4 C.I.4. 607   GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑326/88 (Hansen) Rn. 12. 608   GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑240/90 (Deutschland/Kommission) Rn. 11; GA Ruiz-Jarabo Colomer, SchlA, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 46. 609  GA Ruiz-Jarabo Colomer, SchlA, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat  – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 74. 610   Vgl. EuGH, Rs. C‑45/08 (Spector Photo Group und Van Raemdonck) Rn. 42; Rs. C‑489/10 (Bonda) Rn. 36 ff. 611   EGMR, 8.6.1976 (Engel u. a./Niederlande), Serie A Nr. 22, Rn. 80 – 82; 10.2.2009 (Zolotoukhine/Russland), Nr. 14939/03, Rn. 52, 53. Zusammenfassend GA Kokott, SchlA, Rs. C‑489/10 (Bonda) Rn. 45 ff. 612   EGMR, 8.6.1976 (Engel u. a./Niederlande), Serie A Nr. 22, Rn. 82; 27.9.2011 (Menarini/Italien), Nr. 43509/08, Rn. 39. 613   EGMR, 23.11.2006 (Jussila/Finnland), Nr. 73053/07, Rn. 31. 614   Vgl. EuGH, Rs. 41/69 (ACF Chemiefarma/Kommission) Rn. 172/176. Rechtsvergleichend zum Verwaltungsstrafrecht in den Mitgliedstaaten: Commission of the European Communities (Hrsg.), The System of Administrative and Penal Sanctions in the Member States of the European Communities, 1994; Schünemann/Suárez González (Hrsg.), Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, 1994.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

strafrechtlichen Sanktion ist letztlich gradueller Natur. Da auf der Tatbestands­ ebene eine geringere Schwere der Tat vorliegt, wird auf der Rechtsfolgenebene keine Kriminalstrafe, sondern eine Geldbuße verhängt. Derartige Sanktionen wirken zwar repressiv, im Unterschied zur Kriminalstrafe ist mit der Geldbuße jedoch keine soziale oder moralische Ächtung verbunden. Dem Bußgeldverfahren liegt daher in den Mitgliedstaaten meist ein deutlich vereinfachtes Verfahren zugrunde, das zunächst von der Verwaltung, nicht aber von der Staatsanwaltschaft oder den Gerichten betrieben wird. Kartellbußen werden vom Gerichtshof – ungeachtet Art. 23 Abs. 5 VO 1/2003615 – als „Strafen im weiteren Sinn“ qualifiziert, so dass sowohl der Grundsatz der Unschuldsvermutung als auch das Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“) im Kartellverfahren bei der Verhängung von Kartellbußen Anwendung finden.616 – Verwaltungsrechtliche Sanktionen: Während strafrechtliche und verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen repressiv begangenes Unrecht ahnden sollen, werden sonstige Verwaltungsmaßnahmen ergriffen, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Zustand zu beenden oder den Eintritt eines unerwünschten Ereignisses in der Zukunft zu verhindern.617 Verwaltungsrechtliche Sanktionen dienen der Sicherstellung der ordnungsmäßigen Verwaltung und sollen den Betroffenen vor künftigen Verstößen abschrecken.618 Im Vordergrund steht damit die präventive Funktion, wenngleich repressive Erwägungen und der Ausgleich der verursachten Schäden auch eine Rolle spielen können. Zu den typischen Verwaltungssanktionen zählen Lizenz- und Genehmigungsverfahren, der Entzug oder der Widerruf von Genehmigungen, Verbotsverfügungen, einschließlich die vorübergehende oder endgültige Betriebsschließung, sowie die Abschöpfung des durch unrechtmäßig eingesetzte Mittel erwirtschafteten Gewinns. – Zivilrechtliche Sanktionen: Zivilrechtliche Sanktionen haben primär eine schadensausgleichende Funktion. Schadensersatzansprüche dienen ebenso wie Vertragslösungsrechte vorrangig dazu, den Zustand wiederherzustellen, der ohne den Eintritt der vertragswidrigen bzw. widerrechtlichen Handlung bestanden hätte. Daneben können zivilrechtliche Sanktionen auch präventive und pönale Elemente enthalten, beispielsweise in Form eines pauschalierten Schadensersatzes, als pauschalierte Zinszahlung oder in Form einer Gewinnabschöpfung. Präventive und pönale Elemente fallen nicht notwendigerweise zusammen. Je nach Ausgestaltung der zivilrechtlichen Rechtsfolge ist vielmehr vorstellbar, dass eine Norm der Verhaltenssteuerung durch Prävention dient, ohne zugleich vergangenes Fehlverhalten bestrafen zu wollen.619 Letzteres ist im Unionsrecht der Regelfall. Neben den Restitutionsgedanken tritt ggf. die Prävention, nicht aber die Repression: „Im 615   Nach Art. 23 Abs. 5 VO 1/2003 sollen EU‑Kartellbußen „keinen strafrechtlichen Charakter“ haben. Diese Einordnung hat hauptsächlich kompetenzielle Gründe, sie kann aber nicht dazu führen, dass den Betroffenen Rechtsschutzgarantien entzogen werden; Schwarze, EuZW 2003, 261, 268 f. 616   EuGH, Rs. C‑235/92 P (Montecatini/Kommission) Rn. 176; Rs. C‑238/99 P u. a. (Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission – „PVC II“) Rn. 59 ff. 617   Sieber, in: van Gerven/Zuleeg (Hrsg.), Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 71, 73. 618   Vgl. EuGH, Rs. C‑210/00 (Käserei Champignon Hofmeister) Rn. 41 sowie die SchlA von GA Stix-Hackl, a. a. O., Rn. 31. Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑120/99 (Italien/Rat) Rn. 75. 619   Zur Diskussion bereits supra, § 3 D.I.3.c.

C. Das Effektivitätsgebot

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Falle von Schadensersatz für vorsätzliche oder fahrlässige Schädigung ist es (. . .) Zweck der Sanktion, das Opfer zu entschädigen, gegebenenfalls auch, auf den Täter abschreckend zu wirken, nicht aber, ihn als Kriminellen abzustempeln, auch wenn sein Verschulden vielleicht festgestellt werden muß, bevor die Sanktion auferlegt werden kann.“620 2. Grundsatz der Wahlfreiheit a) Rechtsprechung des EuGH Der Gerichtshof gesteht den Mitgliedstaaten bei Wahl des Sanktionsregimes prinzipiell ein weites Ermessen zu, soweit es an einem positiv-rechtlichen Anknüpfungspunkt im Unionsrecht fehlt. Die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten umfasst insbesondere das Rechtsformenermessen, also die Möglichkeit, frei darüber entscheiden zu können, durch welche Sanktionsart ein Normverstoß sanktioniert werden soll. Dieser Grundsatz ist vom EuGH vor allem im Antidiskriminierungsrecht besonders betont worden: In den Rechtssachen von Colson und Kamann, Harz, Dekker und Draehmpaehl urteilte der Gerichtshof, dass Art. 6 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 bei unzulässiger Diskriminierung eines Stellenbewerbers keine bestimmte Sanktion fordere, sondern den Mitgliedstaaten die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen, zur Verwirklichung der Zielsetzung geeigneten Lösungen belasse.621 Die Richtlinie schreibe den Mitgliedstaaten insbesondere nicht vor, den Arbeitgeber zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit dem diskriminierten Bewerber zu verpflichten.622 In jedem Falle müsse die vom nationalen Gesetzgeber geschaffene Sanktion jedoch geeignet sein, „einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten“ und gegenüber dem Arbeitgeber eine „wirklich abschreckende Wirkung“ haben.623 – Diese Ausführungen deuten darauf hin, dass der EuGH zwar von einer allgemeinen Sanktionspflicht der Mitgliedstaaten ausgeht, nicht jedoch von einer Pflicht, zivilrechtliche Rechtsfolgen anzuordnen.624 Die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten bzgl. der Einführung zivilrechtlicher Rechtsfolgen wird vom Gerichtshof auch im Lauterkeitsrecht625 sowie im Kapitalmarktrecht626 respektiert. Mangels ausdrücklicher Regelungen in der MiFID I 2004/39627 war in der Vergangenheit vor allem umstritten, ob ein Verstoß gegen die in dieser Richtlinie geregelten Wohlverhaltenspflichten durch zivilrechtliche Rechtsfolgen 620

  GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑240/90 (Deutschland/Kommission) Rn. 11.   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 18; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 18; Rs. C‑177/88 (Dekker) Rn. 23; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 24. 622   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 19; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 19. 623   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23; Rs. C‑177/88 (Dekker) Rn. 23; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25. 624  Ausführlich infra, § 9 C.II. Anders ist die heutige Rechtslage: Die an die Stelle der Gleichbehandlungs-RL 76/207 getretene RL 2006/54 verlangt nunmehr dem Grunde nach zumindest die Sanktionierung durch Schadensersatzansprüche; infra, § 9 C.III. 625   Zur UGP-RL 2005/29 vgl. EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 45 f.; Rs. C‑206/ 11 (Köck) Rn. 44 f. 626   Zur MiFID I 2004/39 siehe EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos) Rn. 57; zur MAD 2003/6, zur Prospekt-RL 2003/71, sowie zur Transparenz-RL 2004/109 vgl. EuGH, Rs. C‑174/12 (Hirmann) Rn.  40 – 44. 627   Die MiFID I 2004/39 enthält keinen Verweis auf zivilrechtliche Rechtsfolgen. Gleiches gilt für die MiFID II 2014/65. 621

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

sanktioniert werden muss.628 Der EuGH verneinte diese Frage im Fall Genil 48.629 Die MiFID I 2004/39 schreibt nach Ansicht des Gerichtshofs weder vor, dass die Mitgliedstaaten bei einer Verletzung der Wohlverhaltenspflichten vertragliche Folgen vorsehen müssen, noch welche vertraglichen Folgen in Betracht kommen.630 Andererseits entfalten die auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts erlassenen Richtlinien keine Sperrwirkung gegenüber zivilrechtlichen Rechtsfolgen: Die Mitgliedstaaten verfügen in den Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots über einen „weiten Spielraum“,631 ob sie Normverstöße nicht nur aufsichtsrechtlich, sondern zudem zivilrechtlich sanktionieren. Der Verstoß gegen kapitalmarktrechtliche Informationspflichten kann daher auch durch einen schadensersatzrechtlichen Anspruch auf Rückabwicklung des Aktienkaufvertrags sanktioniert werden. Eine derartige Rechtsfolge verstößt, wie der EuGH im Fall Hirmann632 hervorgehoben hat, weder gegen die in der Zweiten Gesellschafts-RL 77/91 festgelegten Grundsätze zur Kapitalerhaltung und Gesellschaftergleichbehandlung noch gegen die in der Richtlinie 2009/101 niedergelegten Gläubigerschutzbestimmungen. b) Sekundärrechtliche Klarstellungen Eine Reihe von Sekundärrechtsakten bekräftigt den Grundsatz, dass den Mitgliedstaaten bei Ausgestaltung der Sanktionen ein Rechtsformenermessen zusteht. Derartige Klarstellungen betreffen häufig das Strafrecht. So hebt die ECRL 2000/31 in ErwGr (54) hervor, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, strafrechtliche Sanktionen vorzusehen, wenn gegen die aufgrund der Richtlinie erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften verstoßen wird. In ähnlicher Weise sprechen die ProspektRL 2003/71, die MAD 2003/6, die MiFID I 2004/39 sowie die OGAW-RL 2009/65 davon, dass „[u]nbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen“, gegen die verantwortlichen Personen geeignete Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder im Verwaltungsverfahren zu erlassende Sanktionen verhängt werden müssen.633 Damit wird unterstrichen, dass der Erlass strafrechtlicher Sanktionen im Ermessen der Mitgliedstaaten steht.634 628   Zum früheren Meinungsstand BGH, BKR 2014, 32, Rn. 26 m. w. N. Auch für die MiFID II 2014/65 (Wohlverhaltenspflichten) sowie die MAR 596/2014 (Ad-hoc-Publizität und Marktmanipulationsverbot) ist streitig, ob eine zivilrechtliche Haftung erforderlich ist; dafür Einsele, ZHR 180 (2016), 233 ff.; Hellgardt, AG 2012, 154, Poelzig, ZGR 2015, 801 ff.; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 607; vgl. auch Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 1. Aufl., 2016, § 7 A Rn. 13, 121 ff.: EuGH-Rechtsprechung zum Kartellrecht lässt eine Extension der zivilrechtlichen Haftung auch im Finanzmarktrecht erwarten. 629   EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grades Vinos) Rn. 57. Hierzu Herresthal, ZIP 2013, 1420 ff.; Lieder, LMK 2013, 349404; Harnos, BKR 2014, 1 ff. 630   Nach wie vor ungeklärt ist die Frage, ob die Vorgaben der MiFID I 2004/39 zu beachten sind, wenn das nationale Recht zivilrechtliche Sanktionen vorsieht; hierzu infra, § 4 C.IV.5. 631   EuGH, Rs. C‑174/12 (Hirmann) Rn. 41. 632   EuGH, Rs. C‑174/12 (Hirmann) Rn. 40. 633   Art. 25 Abs. 1 Prospekt-RL 2003/71; nahezu wortgleich Art. 14 Abs. 1 MAD 2003/6; Art. 51 Abs. 1 MiFID I 2004/39; Art. 99 Abs. 1 S. 2 OGAW-RL 2009/65; ähnlich Art. 70 Abs. 1 MiFID II 2014/65. Dagegen müssen nach der CRIM-MAD 2014/57 besonders schwere Formen des Marktmissbrauchs nunmehr strafrechtlich sanktioniert werden. 634   Mitteilung der Kommission, Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor, KOM (2010) 716 endg., S. 7 und 16. Zu Art. 14 Abs. 1 MAD 2003/6 vgl. EuGH, Rs. C‑45/08 (Spector Photo Group und Van Raemdonck) Rn. 42.

C. Das Effektivitätsgebot

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Andere Richtlinien stellen klar, dass die in einem (gerichtlichen) Verwaltungsverfahren getroffenen Entscheidungen nicht automatisch eine Bindungswirkung für straf- oder zivilrechtliche Verfahren entfalten.635 Der Gerichtshof gesteht den Mitgliedstaaten auch ohne derartige Klarstellungen einen Gestaltungsspielraum zu, und zwar nicht nur, wenn der betreffende Rechtsakt die Sanktionen überhaupt nicht normiert, sondern auch bei teilweiser Regelung: Verlangt eine Richtlinie nur bestimmte Sanktionen, so kann gerade dies ein Hinweis darauf sein, dass der Unionsgesetzgeber sonstige Rechtsfolgen nicht harmonisieren und den Mitgliedstaaten ein diesbezügliches Wahlrecht einräumen wollte.636 3. Kombination verschiedener Sanktionssysteme a) Zulässige Kombination verschiedener Sanktionsarten Der Grundsatz der Wahlfreiheit umfasst die Befugnis, dass die Mitgliedstaaten verschiedene Sanktionsinstrumente miteinander kombinieren können. Strafrechtliche, verwaltungsstrafrechtliche, verwaltungsrechtliche und zivilrechtliche Sanktionen schließen einander nicht aus.637 Erforderlich ist allerdings ein abgestimmtes Sanktionskonzept unter Beachtung des Doppelbestrafungsverbots „ne bis in idem“ (Art. 50 GRC) und des Verhältnismäßigkeitsprinzips:638 Das in Art. 50 GRC verankerte Verbot der Doppelbestrafung steht als Prozesshindernis einer wiederholten Einleitung eines Strafverfahrens gegen dieselbe Person wegen derselben Tat entgegen.639 Außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 50 GRC kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Anrechnung früherer Sanktionen erfordern.640 Das Unionsrecht erlaubt insbesondere ein Nebeneinander von strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Sanktionen. Beide Sanktionsarten erfüllen unterschiedliche Funktionen641 und können daher miteinander kombiniert werden. Dementspre635

  Vgl. Art. 25 Humanarzneimittel-RL 2001/83; Art. 18 Abs. 3 Produktsicherheits-RL 2001/95.   Siehe EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos) Rn. 57. 637   Grundlegend EuGH, Rs. 14/68 (Walt Wilhelm u. a.) Rn. 11: „Die Möglichkeit einer Doppelsanktion steht der Zulässigkeit zweier Parallelverfahren, die verschiedenen Zielen dienen, nicht entgegen.“ Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑186/98 (Nunes und de Matos) Rn. 14; Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 31; Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 34 638   So bereits Sieber, in: van Gerven/Zuleeg (Hrsg.), Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 71, 79 f. 639   EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 34. Im EU‑Kartellrecht verlangt der EuGH darüber hinaus, dass die Sanktionen nicht nur denselben Täter und dieselbe Tat, sondern auch dasselbe Rechtsgut betreffen; EuGH, Rs. C‑204, 205, 211, 213, 217, 219/00 P (Aalborg Portland u. a./Kommission) Rn. 338; Rs. C‑17/10 (Toshiba u. a.) Rn. 97. Kritisch Brammer, EuZW 2013, 617 ff. (Rechtsprechung des EuGH bedarf im Kartellrecht einer Revision, da das Kriterium der Rechtsgutidentität im Widerspruch zu Art. 50 GRC und zur EGMR-Rechtsprechung steht). 640   Die dogmatische Herleitung des Anrechnungsprinzips ist ungeklärt. Der EuGH und das EuG sprechen von einem allgemeinen „Billigkeitsgedanken“, der gebietet, „die frühere Sanktionsentscheidung bei der Bemessung der später zu verhängenden Sanktion zu berücksichtigen“; EuGH, Rs. 14/68 (Wilhelm u. a.) Rn. 11; Rs. 7/72 (Boehringer/Kommission) Rn. 3; EuG, Rs. T‑141/89 (Tréfileurope/Kommission) Rn. 191; Rs. T‑149/89 (Sotralentz/Kommission) Rn. 29; Rs. T‑224/00 (Archer Daniels Midland Company und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission) Rn. 87. Nach GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑367/05 (Kraaijenbrink) Rn. 60, folgt der Anrechnungsgrundsatz aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Strafrechtspflege. Für eine Herleitung aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch GA VerLoren van Themaat, SchlA, Rs. 117/83 (Könecke) unter 4.4; GA Kokott, SchlA, Rs. C‑489/10 (Bonda) Rn. 78; Jarass, GRC, 2. Aufl., 2013, Art. 50 Rn. 4. 641   Supra, § 4 C.IV.1.b. 636

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

chend steht es den Mitgliedstaaten beispielsweise frei, bei einem Verstoß gegen die Sechste Mehrwertsteuer-RL 77/388 wegen derselben Steuerhinterziehung sowohl verwaltungsrechtliche (steuerliche) Sanktionen als auch strafrechtliche Sanktionen zu verhängen.642 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die steuerliche Sanktion unter Zugrundelegung der Engel-Kriterien643 strafrechtlichen Charakter hat. In diesem Fall steht der in Art. 50 GRC niedergelegte Grundsatz der Doppelbestrafung der Einleitung eines Strafverfahrens gegen dieselbe Person wegen derselben Tat entgegen.644 Ist der Grundsatz „ne bis in idem“ (aus welchem Grund auch immer) nicht anwendbar, muss zumindest das Anrechnungsprinzip berücksichtigt werden: Zwar sind die mitgliedstaatlichen Behörden bei Verhängung der Erstsanktion nicht dazu verpflichtet, eine etwaige spätere (strafrechtliche) Sanktion zu berücksichtigen; die Beurteilung der Frage, ob im Verwaltungsverfahren zu erlassende Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind, kann nämlich nicht von einer hypothetischen späteren strafrechtlichen Sanktion abhängen.645 Nach dem Anrechnungsprinzip sind jedoch Sanktionen, die wegen derselben Tat verhängt worden sind, bei der Zumessung der zweiten Sanktion zu berücksichtigen.646 Öffentlich-rechtliche und zivilrechtliche Sanktionen können nach ständiger Rechtsprechung ebenfalls miteinander kombiniert werden. Einerseits dürfen die Mitgliedstaaten strafrechtliche oder verwaltungsrechtliche Sanktionen verhängen, selbst wenn das Unionsrecht nur privatrechtliche Sanktionen ausdrücklich vorsieht; etwas anderes gilt nur dann, wenn das Unionsrecht ausnahmsweise eine abschließende Regelung trifft.647 Andererseits besteht im Unionsrecht kein öffentlich-rechtliches Durchsetzungsmonopol.648 Ordnet ein EU‑Rechtsakt nur öffentlich-rechtliche Sanktionen an, dürfen die Mitgliedstaaten flankierend hierzu auch zivilrechtliche Sanktionen vorsehen. Der Gerichtshof hat diese Grundsätze besonders für das Kartellrecht,649 für das Lauterkeitsrecht bzgl. der Gemeinsamen Marktorganisation für Obst- und Gemüse650 sowie für das Kapitalmarktrecht651 unterstrichen. Auch im europäischen Bilanzrecht,652 im Antidiskriminierungsrecht653 sowie im Verbraucherrecht654 wird ein Nebeneinander von öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Durchsetzung akzeptiert. 642

  EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) 34.  Hierzu supra, § 4 C.IV.1.b. 644   EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 34. GA Cruz Villalón fasste den Anwendungsbereich des Art. 50 GRC in seinen SchlA (Rn. 88 ff., 97 ff.) dagegen weiter und sah zugleich verhältnismäßige, aufeinander abgestimmte Sanktionen dadurch garantiert. 645   EuGH, Rs. C‑45/08 (Spector Photo Group und Van Raemdonck) Rn. 74 ff. (zu Art. 14 Abs. 1 MAD 2003/6). 646   St. Rspr. seit EuGH, Rs. 14/68 (Walt Wilhelm) Rn. 11. Zum Verhältnis zwischen Kartellbußen und pönalen Schadensersatzleistungen infra, § 7 A.I.3. 647   EuGH, Rs. C‑186/98 (Nunes und de Matos) Rn. 12, 14. 648   Hierzu bereits supra, § 3 E.IV. 649   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage); verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.). 650   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 30 f. 651   EuGH, Rs. C‑174/12 (Hirmann) Rn. 43. 652   GA Kokott, SchlA, verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi u. a.) Rn. 120 f. 653   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 18: Zivilrechtliche Rechtsbehelfe wie Kontrahierungszwang oder Schadensersatz können „gegebenenfalls durch eine Bußgeldregelung verstärkt werden“; gleichlautend EuGH, Rs. 79/83 (Harz) Rn. 18. 654   Besonders weit EuGH, Rs. 382/87 (Buet) Rn. 15: Strafrechtliche Bewehrung eines Verbots von Haustürgeschäften für pädagogisches Material ist mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbar, da das in der HWiRL 85/577 vorgesehene Widerrufsrecht allein nicht ausreicht, um besonders schutzbedürftige 643

C. Das Effektivitätsgebot

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b) Notwendige Kombination verschiedener Sanktionsarten Unter besonderen Voraussetzungen655 ist eine Kombination verschiedener Sanktionsarten nicht nur erlaubt, sondern aus unionsrechtlicher Perspektive sogar erforderlich, um dem Gebot der wirksamen und abschreckenden Sanktionierung sowie dem Prinzip effektiven Rechtsschutzes ausreichend Rechnung zu tragen. Da sämtliche Teilrechtsordnungen ihren eigenen Wirkungs- und Steuerungsgrenzen unterliegen, sind der straf‑, verwaltungs- und zivilrechtlichen Sanktionierung jeweils eigene Grenzen gesetzt. Kann eine bestimmte Sanktionsart allein nicht in hinreichendem Maße eine effektive Durchsetzung des Unionsrechts sicherstellen, müssen die Mitgliedstaaten weitere Sanktionsmittel bzw. Rechtsbehelfe schaffen. Häufig reicht die Wiederherstellung der Lage, die vor dem Verstoß bestanden hat. Kompensatorische Schadensersatzansprüche genügen grundsätzlich dem Gebot wirksamer und abschreckender Sanktionierung, da das Prinzip der Totalreparation dem Grunde nach mit der geforderten Präventionsfunktion übereinstimmt.656 Sie bedürfen jedoch der Verstärkung durch öffentlich-rechtliche Sanktionen, wenn von ihnen keine ausreichend abschreckenden Wirkungen ausgehen, beispielsweise, weil sich die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in der Praxis als schwierig erweist.657 Öffentlich-rechtliche Sanktionen müssen umgekehrt durch zivilrechtliche Rechtsbehelfe ergänzt werden, wenn die private Rechtsdurchsetzung unabdingbar ist, um das Unionsrecht effektiv durchzusetzen und die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte zu schützen.658 4. Pflicht zur Einführung bestimmter Sanktionsarten a) Funktionale Äquivalenz der Teilrechtsordnungen? Das den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessen wird im Schrifttum mit dem Schlagwort der „funktionalen Äquivalenz der Teilrechtsordnungen“ umschrieben.659 Damit ist gemeint, dass mitgliedstaatliche Sanktionsarten aus der Perspektive des Unionsrechts vielfach wirkungsidentisch und funktional austauschbar sind. Ob die Mitgliedstaaten eine effektive Durchsetzung des Unionsrechts mit Hilfe privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Sanktionen erreichen, stehe ihnen grundsätzlich frei. Der Gerichtshof betrachte die Instrumente des Straf‑, Verwaltungs- und Zivilrechts als gleichwertige Sanktionsinstrumente zur effektiven Normdurchsetzung.660 Verbraucher zu schützen. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑441/04 (A‑Punkt-Schmuckhandel) Rn. 28 f. Zur Klausel-RL 93/13 siehe GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑472/10 (Invitel) Rn. 38. 655   Hierzu sogleich, infra, § 4 C.IV.4. 656   G. Wagner, AcP 206 (2006), 355, 458. 657   Für Verstöße gegen das EU‑Umweltrecht vgl. GA Ruiz-Jarabo Colomer, SchlA, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschlus“) Rn. 46: „In einigen Fällen reicht die Wiederherstellung der Lage, die vor dem Verstoß bestanden hat. Diese Folge, die nicht repressiv im engeren Sinne ist und die gewöhnlich als ‚zivile Sanktion‘ bezeichnet wird, benötigt jedoch oft, um diese präventiven Zwecke zu erreichen, eine Ergänzung durch Strafen stricto sensu, deren Intensität je nach der Bedeutung des angegriffenen Rechtsguts und der sozialen Ächtung des strafbaren Verhaltens unterschiedlich ausfallen muss.“ 658   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26 f.; verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 90 f.; Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 30 f. 659   G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 405, 413; zustimmend Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 93 f.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 261.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Dieser These ist zu widersprechen. Die Redewendung von der funktionalen Äquivalenz der Teilrechtsordnungen impliziert, dass die Regelungsbedürfnisse von jeder Teilrechtsordnung gleich (effektiv) befriedigt werden können. Gerade dies ist nicht der Fall. Die unterschiedlichen Teilrechtsordnungen sind funktional nicht beliebig austauschbar. Sie haben andere Steuerungszwecke und auch verschiedene Effektivitätsgrenzen. Gerade deswegen müssen Regelungsbedürfnisse, die im Rahmen der einen Teilrechtsordnung nicht ausreichend effektiv befriedigt werden können, unter dem Rückgriff auf Gestaltungselemente anderer Teilrechtsordnungen aufgefangen werden.661 Auch der EuGH betrachtet das Straf‑, Verwaltungs- und Zivilrecht nicht als funktional austauschbar. Vielmehr gibt es eine Reihe von Entscheidungen, in denen der Gerichtshof nur eine bestimmte Sanktionsart bzw. Rechtsfolge für mit dem Effektivitätsgebot vereinbar gehalten hat (hierzu sogleich, unter b. – d.). Im Schrifttum wird daher zutreffend hervorgehoben, dass das Effektivitätsgebot unter bestimmten Voraussetzungen autonome Pflichten der Mitgliedstaaten begründen kann, die im Unionsrecht nicht explizit angelegt sind.662 Zu einer solchen „Ermessensreduzierung auf Null“ kommt es immer dann, wenn ein Mitgliedstaat nur durch eine einzige Maßnahme seiner Verpflichtung aus dem Unionsrecht entsprechen kann. Dass der EuGH den Mitgliedstaaten dennoch einen „weiten Spielraum“663 bei Wahl des Sanktionsregimes einräumt, beruht nicht auf einer Äquivalenz der Teilrechtsordnungen, sondern auf dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und dem Subsidiaritätsgrundsatz. Beide Prinzipien verlangen, dass zwischen dem Gebot der einheitlichen Wirksamkeit des Unionsrechts einerseits und der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie andererseits ein angemessener Ausgleich gefunden werden muss.664 Aus diesem Grund beanstandet der Gerichtshof die Wahl einer bestimmten Sanktionsart erst dann, wenn die vom Mitgliedstaat gewählte Sanktionsart überhaupt nicht geeignet ist oder für sich genommen nicht dafür sorgen kann, dass das Unionsrecht „hinreichend“ effektiv durchgeführt wird.

660   Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 261. Anders Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 94: Art. 10 EG (jetzt Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 – 3 EUV) gebietet zu prüfen, „welche Sanktionen am besten dazu geeignet sind, die Ziele der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen zu verwirklichen“. 661   Zum Modell der wechselseitigen Auffangordnungen infra, § 4 C.V. 662   Blanquet, L’article 5 du traité C.E.E., 1994, S. 270 ff.; Bleckmann, DVBl. 1976, 483; G/H/von Bogdandy, 40. Aufl., 2009, Art. 10 EGV Rn. 2, 27 ff.; Geiger, EUV/EGV, 4. Aufl., 2004, Art. 10 Rn. 7; Schwarze/Hatje, EU‑Kommentar, 2000, Art. 10 EGV, Rn. 6, 14; Jarass, Grundfragen, 1994, S. 9; Calliess/Ruffert/Kahl, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 4 EUV Rn. 43 f.; Söllner, Art. 5 EWG-Vertrag in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, 1985, S. 49 ff., 126 ff., 136 ff.; Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 269; Streinz/Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 4 EUV Rn. 9, 27; Temple Lang, Fordham International Law Journal 1987, 503 ff.; Zuleeg, NJW 2000, 2846 f. Vgl. auch GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑584/08 (Unibet) Rn. 35: „Unter bestimmten Umständen kann daher das Gemeinschaftsrecht einen neuen Rechtsbehelf erfordern, wenn dies der einzige Weg ist, um sicherzustellen, dass ein Recht aus dem Gemeinschaftsrecht geschützt werden kann.“ A. A. Lück, Die Gemeinschaftstreue, 1992, S. 107 ff., 113, 125 ff.; Sommer, Verwaltungskooperation, 2003, S. 401 ff., 406, 411. 663   So zum Kapitalmarktrecht EuGH, Rs. C‑174/12 (Hirmann) Rn. 41. 664   Supra, § 4 A.V.4.

C. Das Effektivitätsgebot

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b) Strafrechtliche Sanktionen Seit der Entscheidung Griechischer Maisskandal665 ist anerkannt, dass sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (ex Art. 5 EWGV; jetzt Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 – 3 EUV) für die Mitgliedstaaten die Pflicht ergeben kann, zur Durchsetzung unionsrechtlicher Normen strafrechtliche Sanktionen zu erlassen  – auch wenn derartige Rechtsfolgen in der betreffenden Unionsnorm nicht explizit vorgesehen sind.666 In dem zugrunde liegenden Vertragsverletzungsverfahren ging es um die gemeinschaftswidrige Hinterziehung von EG‑Finanzmitteln, an der griechische Beamte mitgewirkt hatten. Der Gerichtshof stellte fest, dass Griechenland gegen Art. 5 EWGV verstoßen hatte, da die Behörden weder straf- noch disziplinarrechtliche Verfahren gegen die verantwortlichen Personen eingeleitet hatten. Zur Begründung stützte sich der EuGH einerseits auf den Grundsatz, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln zu ahnden sind wie solche gegen nationales Recht (Äquivalenzgebot). Andererseits rekurrierte er auf die Trias der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionierung (Effektivitätsgebot). Nach der Entscheidung blieb demzufolge offen, ob sich eine Pflicht zur Einführung strafrechtlicher Sanktionen nur aus bzw. in Verbindung mit dem Äquivalenzgebot667 oder auch allein aus dem Effektivitätsgebot668 ergeben kann. Die Frage ist von praktischer Relevanz: Nach dem Äquivalenzgebot sind die Mitgliedstaaten zur Einführung strafrechtlicher Sanktionen nur verpflichtet, wenn der Mitgliedstaat betreffende Straftatbestände in seiner eigenen Rechtsordnung für vergleichbare innerstaatliche Verstöße kennt. Das Äquivalenzgebot versagt demgegenüber, wenn das innerstaatliche Recht ein vergleichbares Interesse nicht oder nur partiell strafrechtlich schützt. Existieren keine vergleichbaren innerstaatlichen Sanktionen, kann eine Pflicht zur Schaffung von Strafsanktionen allein aus dem Effektivitätsgebot abgeleitet werden. Die Nachfolgeentscheidung Zwartveld669 brachte zwar keine inhaltliche, wohl aber eine sprachliche Neuerung: Der Gerichtshof betonte unter Bezugnahme auf das Urteil „Griechischer Maisskandal“ die Pflicht der Mitgliedstaaten, „alle geeigneten Maßnahmen, soweit erforderlich einschließlich strafrechtlicher Schritte, zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten“. In der Folgezeit schränkte der Gerichtshof den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten im Polizei- und Strafverfahrensrecht weiter ein, indem er im Fall Französische Bauernproteste670 das Ermessen der Mitgliedstaaten beim Einschreiten gegen die Störer daraufhin kontrollierte, ob „ausreichende und geeignete Maßnahmen“ gegen die Behinderung von Agrarimporten durch französische Demonstranten getroffen 665

  EuGH, Rs. 68/88 (Kommission/Griechenland – „Griechischer Maisskandal“) Rn.  23 – 28.   Eisele, JZ 2001, 1157, 1162; Gröblinghoff, Verpflichtung, 1996, S. 14; Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl., 2015, § 7 Rn. 28; Jung, JuS 2000, 417, 420; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 7. Aufl., 2016, § 9 Rn. 27 ff.; Chr. Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 192 ff.; Tiedemann, EuZW 1990, 100 f.; Zuleeg, JZ 1992, 761, 767. A. A. Dougan, in: Cremona (Hrsg.), Compliance and the Enforcement of EU Law, 2012, S. 74, 80 ff. 667  So Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 7. Aufl., 2016, § 9 Rn. 27. 668  Dafür Vogel, ZStW 109 (1997), 335, 342 in Fn. 32; Chr. Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 194 f. 669   EuGH, Rs. C‑2/88 Imm. (Zwartfeld u. a.) Rn. 17. 670  EuGH, Rs. C‑265/95 (Kommission/Frankreich  – „Französische Bauernproteste“) Rn. 32 ff. Hierzu noch infra, § 6 D.I.4. Aus strafrechtlicher Sicht Dannecker, ZStW 117 (2005), 697, 721 ff., der die staatlichen Schutz- bzw. Sanktionspflichten aber auf das Äquivalenzgebot zurückführt. 666

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

worden waren. Eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einführung strafrechtlicher Sanktionen wurde vom EuGH auch in der Rechtssache Unilever671 im Zusammenhang mit der Umsetzung der Richtlinie 76/768 über kosmetische Mittel angenommen: Die von den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie zu erlassenden Bestimmungen zur Verhinderung jeder irreführenden Werbung müssten, so der Gerichtshof, vorsehen, dass „eine solche Werbung eine Zuwiderhandlung – insbesondere strafrechtlicher Art – darstellt, gegen die abschreckend wirkende Sanktionen festgesetzt werden können.“ Zur Begründung verwies der EuGH u. a. darauf, dass sich eine irreführende Information über die Merkmale kosmetischer Mittel negativ auf die menschliche Gesundheit auswirken könne. In konsequenter Fortführung dieser Rechtsprechung stellte der Gerichtshof im Verfahren über den Umweltrahmenbeschluss fest, der Gemeinschaftsgesetzgeber sei nicht daran gehindert, „Maßnahmen in Bezug auf das Strafrecht der Mitgliedstaaten zu ergreifen, die seiner Meinung nach erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit der von ihm zum Schutz der Umwelt erlassenen Rechtsnormen zu gewährleisten“.672 Der Gerichtshof folgte damit Generalanwalt Ruiz-Jarabo, der in seinen Schlussanträgen673 ebenfalls aus dem Effektivitätsgebot eine strafrechtliche Annexkompetenz der Gemeinschaft hergeleitet und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen hatte, dass die Anordnung strafrechtlicher Sanktionen gelegentlich unumgänglich werde, um Verstöße gegen das Unionsrecht wirksam, verhältnismäßig und abschreckend zu sanktionieren. Damit steht fest, dass sich die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten in Ausnahmefällen zur zwingenden Setzung von Kriminalstrafrecht verdichten kann, wenn ein durch Unionsrecht verbotenes Verhalten ausschließlich mit den Mitteln des Kriminalstrafrechts effektiv bekämpft werden kann. c) Verwaltungsrechtliche Sanktionen Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten zwingendermaßen administrative Sanktionen vorsehen müssen, hat sich in der Vergangenheit kaum gestellt. Das Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht wird von den Mitgliedstaaten seit jeher als eine vom öffentlichen Recht dominierte Materie wahrgenommen. In vielen Fällen steht von vornherein fest, dass die Mitgliedstaaten dem Grunde nach zu einer administrativen Normdurchsetzung verpflichtet sind. Dies gilt nicht nur für liberalisierende Rechtsakte, die das von den Grundfreiheiten vorgezeichnete Programm weiter fortschreiben und staatliche Handelshemmnisse abbauen, sondern auch für die Vielzahl von Normen, mit denen das Marktverhalten im Binnenmarkt durch staatliche Aufsichtsvorschriften, Zulassungsanforderungen, Ermittlungsbefugnisse oder Überwachungspflichten der staatlichen Behörden harmonisiert werden soll. Für diese Rechtsakte stellt sich angesichts des öffentlich-rechtlichen Einschlags regelmäßig nicht mehr die Frage nach dem „Ob“ der administrativen Sanktionen. Der Gerichts671   EuGH, Rs. C‑77/97 (Unilever) Rn. 36. Die RL 76/768 über kosmetische Mittel spricht in Art. 6 Abs. 3 dagegen nur ganz allgemein davon, dass die Mitgliedstaaten die „erforderlichen Maßnahmen“ zur Richtlinienumsetzung treffen müssen. 672   EuGH, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 48. 673   GA Ruiz-Jarabo, SchlA, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 43, 74, 86.

C. Das Effektivitätsgebot

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hof untersucht in seiner Effektivitäts-Rechtsprechung daher in aller Regel nur, welche konkreten Verwaltungsmaßnahmen getroffen werden müssen und wie das Verwaltungsverfahren im Einzelnen ausgestaltet werden muss, um einen effektiven Schutz der subjektiv-öffentlichen Unionsrechte zu gewährleisten. Eine Ausnahme bildet der Fall Parmigiano Reggiano.674 In dieser Rechtssache hatte der EuGH darüber zu entscheiden, ob die VO 2081/92 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel675 von den Mitgliedstaaten ausschließlich im Wege des private enforcement durchgesetzt werden darf oder zwingend administrative Maßnahmen erfordert. In dem zugrunde liegenden Vertragsverletzungsverfahren wurde der Bundesrepublik Deutschland von der Kommission vorgeworfen, auf ihrem Staatsgebiet nicht gegen die missbräuchliche Anspielung auf die geschützte Ursprungsbezeichnung „Parmigiano Reggiano“ durch Verwendung der Bezeichnung „Parmesan“ eingeschritten zu sein. Zur Begründung machte die Kommission geltend, dass die Verordnung in Deutschland nur von privaten Wirtschaftsteilnehmern und Verbänden durch die im UWG und Markenrecht vorgesehenen Klagerechte, nicht aber durch behördliche Maßnahmen durchgesetzt werden könne.676 Dies reiche nicht aus. Die Mitgliedstaaten müssten von Amts wegen Maßnahmen ergreifen, um Normverstöße zu ahnden. Ein solches Einschreiten der Mitgliedstaaten umfasse Maßnahmen auf administrativer und strafrechtlicher Ebene: Der durch die Verordnung angestrebte Verbraucherschutz würde, so die Kommission, in Frage gestellt, wenn die Durchsetzung der in der Verordnung vorgesehenen Verbote allein davon abhinge, ob die privaten Wirtschaftsteilnehmer gerichtliche Hilfe in Anspruch nähmen. Der Gerichtshof wies die Klage ab. Zum einen ergebe sich aus der Verordnung keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Verstöße von Amts wegen zu ahnden.677 Zum anderen habe die Kommission nicht nachgewiesen, dass die private Rechtsdurchsetzung in Deutschland zum Schutz der geschützten Ursprungsbezeichnung ungeeignet sei.678 Nach deutschem Recht könne nicht nur der Inhaber der geschützten Ursprungsbezeichnung klagen, sondern jeder Wettbewerber sowie Unternehmens- und Verbraucherverbände. Unter diesen Umständen könne die Regelung auch die Interessen anderer als der Hersteller von Waren mit geschützter Ursprungsbezeichnung schützen, insbesondere die Interessen der Verbraucher. Wie die Bundesrepublik in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, seien vor den deutschen Gerichten im Übrigen Rechtssachen anhängig, die die Verwendung der Bezeichnung „Parmesan“ in Deutschland beträfen. Das Urteil zeigt, dass ein auf private enforcement basierendes Sanktionsmodell zulässig ist, wenn der zugrunde liegende Rechtsakt eine bestimmte Sanktionsart nicht anordnet und auch ein Eingreifen von Amts wegen nicht erforderlich ist. Da 674

  EuGH, Rs. C‑132/05 (Kommission/Deutschland – „Parmigiano Reggiano“).   ABl. 1992 L 208/1. 676   EuGH, Rs. C‑132/05 (Kommission/Deutschland – „Parmigiano Reggiano“) Rn. 58 ff. 677   Der Gerichtshof begründet dieses Ergebnis mit der Auslegung der VO 2081/92. Nach den einschlägigen Vorschriften wolle die Verordnung nur die Behörden jenes Mitgliedstaats in die Pflicht nehmen, aus dem die geschützte Ursprungsbezeichnung stammt; EuGH, Rs. C‑132/05 (Kommission/ Deutschland – „Parmigiano Reggiano“) Rn. 73 ff. 678   EuGH, Rs. C‑132/05 (Kommission/Deutschland – „Parmigiano Reggiano“) Rn. 80 f. i. V. m. Rn. 63, 69 f. 675

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

im zugrunde liegenden Fall keine Anhaltspunkte bestanden, dass die private Rechtsdurchsetzung ineffektiv war, wies der Gerichtshof die Klage ab.679 Dennoch kann es Fälle geben, in denen das Ermessen der Mitgliedstaaten stärker begrenzt wird. Eine ungeschriebene Pflicht der Mitgliedstaaten zur Ermittlung und Verfolgung von Unionsrechtsverstößen von Amts wegen ist insbesondere dann anzunehmen, wenn private Rechtsteilnehmer keinen Anlass haben, Rechtsverstöße zu verfolgen oder wenn ein Verzug zu einem irreparablen Schaden führen würde, beispielsweise wenn das Vorbeugeprinzip gebietet, gefährliche Lebensmittel unverzüglich vom Markt zu nehmen oder ein Verhalten zu unterbinden, das irreparable Umweltschäden verursacht. 680 Auch der EuGH hat angedeutet, dass ein rein privatrechtliches Sanktionssystem in bestimmten Fällen nicht ausreicht, um dem Effektivitätsgebot Rechnung zu tragen. So wies der Gerichtshof im Fall Asociaţia Accept681 darauf hin, dass ein im nationalen Recht zugunsten von Antidiskriminierungsverbänden vorgesehener Schadensersatzanspruch keine effektive Sanktion gegen abstrakte Diskriminierungen darstellt, da bei einer solchen Diskriminierung regelmäßig kein Vermögensschaden des Verbandes nachgewiesen werden kann. Es bedarf daher (flankierender) öffentlich-rechtlicher Maßnahmen, um eine wirksame und abschreckende Sanktionierung auch in den Fällen zu gewährleisten, in denen es kein identifizierbares Diskriminierungsopfer gibt.682 d) Zivilrechtliche Rechtsfolgen Der Gerichtshof hat in einer Reihe von Entscheidungen unter Bezugnahme auf den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit zivilrechtliche Rechtsfolgen gefordert und damit das Rechtsformenermessen der Mitgliedstaaten eingeschränkt.683 Leitmotiv dieser Judikatur ist die Funktionalisierung des Einzelnen zur Durchsetzung des Unionsrechts.684 Der Einzelne soll mobilisiert werden, um die Durchsetzungskraft des Unionsrechts zu erhöhen. Indem der Einzelne seine Rechte vor den mitgliedstaatlichen Gerichten geltend macht, sollen die Mitgliedstaaten zur Beachtung des Unionsrechts angehalten werden. In staatlich beaufsichtigten Bereichen soll die Tätigkeit der mitgliedstaatlichen Aufsichtsbehörden zugleich ergänzt und verstärkt werden. 679   Im Anschluss an das EuGH-Urteil gab das KG Berlin einer Unterlassungs- und Schadensersatzklage einer norditalienischen Genossenschaft gegen einen in Deutschland ansässigen Hersteller statt, der seinen Hartkäse unter der Bezeichnung „Parmesan“ vertrieben hatte; KG Berlin, LMuR 2010, 167; hierzu Gründig-Schelle, GRUR-Prax 2010, 390. 680  GA Mazák, SchlA, Rs. C‑132/05 (Kommission/Deutschland  – „Parmigiano Reggiano“) Rn. 99 f., mit Verweis auf EuGH, Rs. C‑265/95 (Kommission/Deutschland – „Französische Bauernproteste“). Dass ein rein auf private enforcement setzendes Sanktionsmodell nicht ausreichend ist, hat sich in Deutschland z. B. bei Umsetzung der Publizitäts-RL 68/151 gezeigt; vgl. hierzu supra, § 3 E.V.3. d.cc. 681   EuGH, Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 69. 682   Nach a. A. soll eine abstrakte Diskriminierung dagegen sanktionslos bleiben können; Krause, CMLR 2010, 917, 928; sowie Lobinger, EuZA 2009, 365, 383 f. 683   Zum kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage); verb. Rs.  C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.); zum lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch EuGH, Rs. C‑ 253/00 (Muñoz); zur Pflicht der Mitgliedstaaten, vergaberechtswidrige Verträge zu kündigen EuGH, Rs. C‑503/04 (Kommission/Deutschland). 684  Ausführlich supra, §  3 D.I.2. – 3.

C. Das Effektivitätsgebot

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Aus dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit ergibt sich dennoch kein zwingender Schluss auf das Bestehen zivilrechtlicher Rechtsbehelfe. Zwar kann der effet utile herangezogen werden, um die Durchsetzung einer bereits bestehenden Verpflichtung sicherzustellen. Er vermag als eigenständige Maxime jedoch in aller Regel nicht schlüssig zu erklären, warum der Verstoß gegen eine Unionsnorm gerade eine bestimmte Rechtsfolge und keine andere Rechtsfolge auslösen soll.685 Von der Funktion subjektiver Rechte kann nicht ohne Weiteres auf das Bestehen subjektiver Rechte geschlossen werden.686 Die Frage, ob dem Einzelnen ein zivilrechtlicher Rechtsbehelf zustehen soll, beurteilt sich vorrangig danach, ob das Unionsrecht eine solche Rechtsverleihung bezweckt. In diesem Rahmen spielt auch die Frage eine Rolle, ob die Durchsetzung des Unionsrechts durch private Klagerechte verstärkt werden kann. Daneben sind aber eine Reihe weiterer Faktoren zu berücksichtigen, die ausschlaggebend für den Bestand und den Umfang der subjektiv-privaten Unionsrechte sind.687 5. Rechtsgebietsübergreifende Wirkung unionsrechtlicher Vorgaben nach Ausübung mitgliedstaatlichen Rechtsformenermessens? Abschließend bleibt zu untersuchen, welche Wirkung dem Unionsrecht zukommt, nachdem ein Mitgliedstaat das ihm eingeräumte Rechtsformenermessen ausgeübt hat. Sind in diesem Fall die unionsrechtlichen Vorgaben nur in der zur Umsetzung ausgewählten Teilrechtsordnung zu berücksichtigen? Oder strahlen die Unionsnormen auf sämtliche mitgliedstaatlichen Sanktionen aus, die bei einemVerstoß gegen unionsrechtlich determinierte Verhaltensgebote greifen? a) Präzisierung der Fragestellung am Beispiel der Finanzmarktrichtlinien Diese Fragen sind in Deutschland vor allem im Kapitalmarktrecht intensiv diskutiert worden. Bei Umsetzung der MiFID I 2004/39 und der MiFID I-Durchführungs-RL 2006/73 durch das Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz688 hat sich der deutsche Gesetzgeber dafür entschieden, die in den Richtlinien vorgeschriebenen Wohlverhaltensregeln in den §§ 31 ff. WpHG durch ein aufsichtsrechtliches Informationsmodell umzusetzen. Damit stellte und stellt sich das Problem, inwieweit die für das Aufsichtsrecht getroffenen Vorgaben zugleich im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung zu berücksichtigen sind. Dies ist deswegen von Bedeutung, weil die durch die Bond-Rechtsprechung689 geprägte, richterrechtlich entwickelte (vor‑)vertragliche Informationshaftung auf ungeschriebenen, generalklauselartigen Haftungsvoraussetzungen beruht, während die §§ 31 ff. WpHG im Einklang mit den zugrunde liegenden Richtlinien äußerst detailliert die Aufklärungspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen positivrechtlich konkretisieren. Wären die unionsrechtlich determinierten, im WpHG geregelten Wohlverhaltenspflichten als Mindestinhalt der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit zu qualifizieren, müsste ein Verstoß hierge685

  Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 46 ff.; Tomuschat, in: FS Everling, 1995, S. 1585, 1593.  Hierzu supra, § 3 D.IV. 687   Zu diesen Kriterien im Einzelnen supra, § 3 E.V.3. 688   Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz-FRUG), BGBl. I 2007, S. 1330. 689   BGHZ 123, 126, 128 f. = NJW 1993, 2433; BGH, NJW 2011, 1949, Rn. 19. 686

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

gen nicht nur aufsichtsrechtliche, sondern auch zivilrechtliche Sanktionen auslösen.690 Die Regelungen der auf den Richtlinien basierenden §§ 31 ff. WpHG könnten weitergehend als Obergrenze der zivilrechtlichen Haftung verstanden werden.691 Da die Verhaltenspflichten nach Art. 4 MiFID I-Durchführungs-RL 2006/73 im nationalen Recht nicht strenger geregelt werden dürfen als in der Richtlinie, könnte ein vollharmonisiertes Schutzniveau eingeführt worden sein, das für sämtliche nationalen Teilrechtsordnungen verbindlich ist. In diesem Fall dürften die von der Judikatur postulierten (vor‑)vertraglichen Informationspflichten nicht über die in den Richtlinien (und im WpHG) vorgesehenen Informationspflichten hinausgehen.692 Eine Bindung des Zivilrechts an die Vorgaben der Richtlinien hätte schließlich verfahrensrechtliche Folgen: Die Zivilgerichte könnten bzw. müssten dem EuGH nach Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV Fragen zur Auslegung der Finanzmarktrichtlinien im Wege des Vorabent­ scheidungsverfahrens vorlegen, wenn sie über den Umfang der zivilrechtlichen Haftung von Finanzinstituten entscheiden. Der XI. Zivilsenat des BGH lehnt es bislang ab, eine verbindliche Ausstrahlungswirkung der Finanzmarktrichtlinien auf zivilrechtliche Haftungstatbestände anzuerkennen.693 Zwar greifen die Richter auf die aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltensregeln zurück, wenn es darum geht, die vorvertraglichen und vertraglichen Pflichten näher zu bestimmen.694 Dieser Rückgriff erfolgt jedoch in unverbindlicher Weise. Die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen bewirken nach Ansicht des Senats weder eine Begrenzung noch eine Erweiterung der zivilrechtlich zu beurteilenden Haftung. Die Finanzmarktrichtlinien erfordern, so der BGH, eine innerstaatliche Umsetzung ausschließlich in Form eines Aufsichtssystems durch staatliche Behörden. Auch der EuGH habe im Fall Genil bestätigt, dass weder die MiFID I 2004/39 noch die MiFID I-Durchführungs-RL 2006/73 bei Verstößen gegen ihre aufsichtsrechtlichen Bestimmungen eine schuldrechtliche Sanktion in Form von Schadensersatzansprüchen des Kunden gegen die Wertpapierfirma verlangten.695 Das Zivilrecht wird damit als eine autonome Teilrechtsordnung wahrgenommen, das von den Vorgaben der Finanzmarktrichtlinien verschont bleibt.696 Der BGH versucht auf diese Weise, das zivilrechtliche Haftungssystem gegenüber europarechtlichen Einflüssen zu „immunisieren“ und einer Vorlage an den EuGH, die immer noch nicht erfolgt ist, auszuweichen.697

690   Dafür MüKo/Ekkenga, HGB, 2. Aufl., 2009, Effektengeschäft, Rn. 74 ff., 128 f., 269, 298, 348, 449; MüKo/Emmerich, BGB, 6. Aufl., 2012, § 311 BGB Rn. 113, 116; Schwark/Zimmer/Schwark, KapMarktRKomm, 4. Aufl., 2010, Vorb. §§ 31 ff. WpHG Rn. 14, 16; vgl. auch Einsele, JZ 2008, 477, 481 f. 691  Dafür Mülbert, WM 2007, 1149, 1157; Herresthal, WM 2012, 2261 ff. 692   Konkrete vertragliche Vereinbarungen, die im Vergleich zu den Finanzmarktrichtlinien zu einer weitergehenden Haftung führen, werden demgegenüber für zulässig gehalten; Mülbert, ZHR 172 (2008), 170, 183 in Fn. 39; Herresthal, WM 2012, 2261, 2265. 693   BGH, WM 2011, 2261, Rn. 48 f.; WM 2011, 2268, Rn. 46 f.; NJW 2012, 66, Rn. 47; NJW 2012, 2873, Rn. 24 f.; NZG 2013, 1226, 1229, Rn. 25 ff. 694   Vgl. BGH, NJW 2007, 1876, Rn. 21; NJW 2011, 1949, Rn. 22, 32. 695   BGH, NZG 2013, 1226, 1229, Rn. 27, mit Verweis auf EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos). 696  Zustimmend Sethe, AcP 212 (2012), 80, 121 ff.; Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 276. 697   Herresthal, ZIP 2013, 1420.

C. Das Effektivitätsgebot

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b) Keine Autonomie der zivilrechtlichen Haftungssanktionen gegenüber den Finanzmarktrichtlinien Inwieweit die Vorgaben der Finanzmarktrichtlinien im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung zu berücksichtigen sind, bedarf indessen einer Klärung durch den EuGH.698 Der Gerichtshof hat im Urteil Genil699 nur entschieden, dass der Verstoß gegen die in der MiFID I 2004/39 geregelten Verhaltensgebote nicht durch zivilrechtliche Rechtsfolgen sanktioniert werden muss.700 Nach wie vor offen ist demgegenüber, ob die Vorgaben der MiFID I 2004/39 und der MiFID I-Durchführungs-RL 2006/73 zu berücksichtigen sind, wenn ein Mitgliedstaat einen Verstoß nicht nur durch aufsichtsrechtliche Vorschriften, sondern auch durch zivilrechtliche Haftungstatbestände sanktioniert.701 Diese Konstellation ist nicht mit der überschießenden Richtlinienumsetzung vergleichbar,702 bei der anerkanntermaßen kein unionsrechtlicher Zwang zur richtlinienkonformen Auslegung besteht703 und auch keine Vorlage an den EuGH erfolgen muss.704 Bei einer überschießenden Umsetzung erstreckt ein Mitgliedstaat die Vorgaben einer Richtlinie freiwillig über deren unionsrechtlich vorgeschriebenen Anwendungsbereich hinaus. Bei Ausübung des Rechtsformenermessens handelt der Mitgliedstaat dagegen im Anwendungsbereich der Richtlinie. Dementsprechend unterliegen sämtliche mitgliedstaatlichen Sanktionen – und daher auch das Haftungsrecht – einer Kontrolle darüber, ob die Vorgaben der Finanzmarktrichtlinien hinreichend effektiv (und gleichwertig) durchgesetzt worden sind. Dies wird auch vom EuGH so gesehen. Im Fall Genil betont der Gerichtshof, dass die Gebote der Effektivität und Äquivalenz nach Ausübung mitgliedstaatlichen Rechtsformenermessens weiterhin Anwendung finden.705 Für die diskutierten Fragen ergibt sich daraus folgendes: Zwar bilden die Vorgaben der MiFID I 2004/39 und der MiFID I-Durchführungs-RL 2006/73 keine Untergrenze der zivilrechtlichen Haftung. Denn nach Ansicht des EuGH sind die Mitgliedstaaten gerade nicht dazu verpflichtet, Verstöße gegen die Finanzmarktrichtlinien zivilrechtlich zu sanktionieren.706 Dem Effektivitätsgebot wird daher ausreichend Rechnung getragen, wenn die aufsichtsrechtlichen Sanktionen für sich genommen ausreichen, um Finanzdienstleister von einem Verstoß gegen die Wohlver698   Wie hier Herresthal, WM 2012, 2261, 2266 f.; Klöhn, ZIP 2011, 2244, 2246; W.‑H. Roth, ZBB 2012, 429, 434, 436. Gegen eine Vorlage aber Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 276 f., der die Erhebung des EuGH zu einer Superrevisionsinstanz in Anlegerschutzsachen befürchtet. 699   EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos) Rn. 57. 700   Entsprechendes dürfte für die MiFID II 2014/65 gelten, da diese keine über den bisherigen Status Quo hinausgehenden Vorgaben für die private Rechtsdurchsetzung enthält. 701   Harnos, BKR 2014, 1, 8; vgl. auch Buck-Heeb, jurisPR-BKR 6/2013, Anm. 2 unter C.3. A. A. Möllers/Poppele, ZGR 2013, 437, 469. 702  So Harnos, BKR 2014, 1, 8. 703   BGHZ 195, 135 = NJW 2013, 220, Rn. 20; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 14 Rn. 25 ff.; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545 m. w. N. 704   Eine Vorlage ist bei überschießender Umsetzung zulässig, aus unionsrechtlicher Sicht aber nicht geboten; EuGH, Rs. C‑346/93 (Kleinwort Benson) Rn. 14 ff.; Rs. C‑306/99 (BIAO) Rn. 88 ff.; vgl. auch Koch, JZ 2006, 277, 280 m. w. N. zum Meinungsstand in Fn. 39. Ob bei überschießender Richtlinienumsetzung eine Vorlagepflicht der letztinstanzlichen Gerichte aus nationalem Recht hergeleitet werden kann, ist umstritten; dafür Hess, RabelsZ 66 (2002), 470, 487 f.; dagegen Brandner, Die überschießende Umsetzung von Richtlinien, 2003, S. 135. 705   EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos) Rn. 57. 706   EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil  48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos) Rn. 56 ff.; Rs. C‑174/ 12 (Hirmann) Rn.  40 – 44.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

haltenspflichten abzuhalten. Ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflichten müsste nur dann durch zivilrechtliche Rechtsbehelfe (zusätzlich) sanktioniert werden, wenn nachgewiesen wäre, dass in einem Mitgliedsland von den bestehenden aufsichtsrechtlichen Maßnahmen keine hinreichend abschreckende Wirkung ausgeht und die private Rechtsdurchsetzung unabdingbar für eine effektive Richtlinienumsetzung ist. Beide Fragen bedürften einer näheren Untersuchung.707 Nach wie vor klärungsbedürftig ist zweitens der Harmonisierungsgrad der Finanzmarktrichtlinien. Dem Urteil Genil lässt sich nicht entnehmen, ob die Wohlverhaltenspflichten als voll- oder mindestharmonisierend einzuordnen sind.708 Der Sache nach spricht viel dafür, dass die Wohlverhaltensregeln vollharmonisierenden Charakter haben.709 Daraus folgt aber nicht, dass eine über das Schutzniveau der Richtlinien hinausgehende zivilrechtliche Haftung in jedem Falle unzulässig ist.710 Den Richtlinien liegt eine gezielte Vollharmonisierung711 zugrunde, bei der nur die Verhaltensgebote, nicht aber die Rechtsfolgen vollständig harmonisiert werden sollen. Das Unionsrecht verlangt demzufolge keinen absoluten Gleichlauf von Aufsichtsund Vertragsrecht. Da die Finanzmarktrichtlinien nur administrative Sanktionen vorsehen,712 den Mitgliedstaaten aber ansonsten Rechtsformenermessen einräumen,713 gelten die in den Richtlinien vorgesehenen Grenzen der Informationspflichten nicht zwingendermaßen für die zivilrechtliche Informationshaftung. Ein solcher Gleichlauf ist von den Richtlinien schon deswegen nicht vorgegeben, weil der Unionsgesetzgeber die zivilrechtlichen Rechtsfolgen offengelassen hat. Das Rechtsformenermessen ist nach hier vertretener Auffassung dennoch nicht unbegrenzt. Die Ausübung mitgliedstaatlicher Wahlrechte darf nicht dazu führen, dass die in den Finanzmarktrichtlinien aufsichtsrechtlich vollharmonisierten Wohlverhaltenspflichten durch zivilrechtliche Haftungstatbestände in einer Weise konterkariert werden, die mit dem Prinzip der gezielten Vollharmonisierung unvereinbar 707   Nach BGH, NZG 2013, 1226, 1230, Rn. 31, werden die Finanzmarktrichtlinien in Deutschland durch die BAFin (§§ 35, 36 WpHG) und bestehende Verbandsklagerechte (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 UKlaG) effektiv durchgesetzt. Der von der Kommission veröffentlichte Folgenabschätzungsbericht zur Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor spricht eine andere Sprache. Er zeigt für die Durchsetzung der MiFID, dass die Höchstbeträge für Geldbußen in Deutschland vergleichsweise niedrig sind. Auch werden Geldbußen in Deutschland anscheinend seltener verhängt als in Mitgliedstaaten, die einen ähnlich großen oder sogar kleineren Finanzsektor haben; vgl. Commission Staff Working Paper, Impact Assessment, Accompanying Document to the Communication from the Commission „Reinforcing sanctioning regimes in the financial services sector“, SEC (2010) 1496, S. 6 (chart 3) und S. 8 (charts 5 – 6). Verbindliche Rückschlüsse lässt der Bericht freilich nicht zu. Um die Effektivität des deutschen Sanktionsregimes beurteilen zu können, bedürfte es einer Gesamtanalyse, die sämtliche Sanktionsmittel und deren Anwendung in der Praxis berücksichtigt. 708   Herresthal, ZIP 2013, 1420, 1421; Harnos, BKR 2014, 1, 8; Lieder, LMK 2013, 349404. 709   Für eine Vollharmonisierung Burmeister/Staebe, EuR 2009, 444, 447; Herresthal, WM 2012, 2261 f.; Jordans, WM 2007, 1827; Möllers, WM 2008, 93, 96; Mülbert, WM 2007, 1149, 1157, 1161 f. (Maximalharmonisierung im Sinne des Herkunftslandprinzips); Veil, WM 2009, 1585, 1587; Weichert/ Wenninger, WM 2007, 627, 628. A. A. Assmann, ZBB 2008, 21, 30; Einsele, JZ 2008, 447, 481; Ellenberger, in: FS Nobbe, 2009, S. 523, 536 f. 710   So aber Herresthal, WM 2012, 2261 ff. 711   Zu diesem Harmonisierungskonzept bereits supra, § 4 C.II.4. 712  Zur aufsichtsrechtlichen Regelungstendenz der Finanzmarktrichtlinien Cherednychenko, ERPL 2009, 925 ff.; Ellenberger, in: FS Nobbe, 2009, S. 523, 536 f.; Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 273 f. Zu Ausnahmen infra, § 10 D.III.8. 713   EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos) Rn. 57; Rs. C‑174/ 12 (Hirmann) Rn.  40 – 44.

C. Das Effektivitätsgebot

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wäre. Die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten muss daher ihre Grenze finden, wenn die zivilrechtliche Haftung auf ein allgemeines Verbot einer Geschäftspraktik hinausläuft, die nach den Richtlinien gerade nicht per se verboten werden soll.714 6. Ergebnis Der EuGH gesteht den Mitgliedstaaten in ständiger Rechtsprechung ein weites Rechtsformenermessen zu. Fehlt es an einer positiv-rechtlichen Anknüpfung im Unionsrecht, so können die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei entscheiden, ob Normverstöße durch strafrechtliche, verwaltungsstrafrechtliche, verwaltungsrechtliche oder zivilrechtliche Sanktionen geahndet werden. Die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten umfasst die Befugnis, verschiedene Sanktionsarten miteinander zu kombinieren. Eine Kumulation von Sanktionen ist zulässig, soweit das Doppelbestrafungsverbot „ne bis in idem“ (Art. 50 GRC) und das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet werden. Unter gewissen Voraussetzungen kann eine Kombination mehrerer Sanktionsarten sogar notwendig werden, wenn nur so das Unionsrecht wirksam und abschreckend durchgesetzt werden kann. Die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten bei Ausgestaltung der Sanktionen trägt der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie und damit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sowie dem Subsidiaritätsgrundsatz Rechnung. Die Sanktionen der unterschiedlichen Teilrechtsordnungen stehen deswegen aber nicht in einem Verhältnis der funktionalen Äquivalenz. Der EuGH betrachtet das Straf‑, Verwaltungs- und Zivilrecht gerade nicht als gleichwertige Sanktionsinstrumente zur effektiven Normdurchsetzung, die beliebig austauschbar wären. Der Gerichtshof hat das Rechtsformenermessen der Mitgliedstaaten vielmehr in einer Reihe von Entscheidungen eingeschränkt. Da die Sanktionen der Teilrechtsordnungen unterschiedliche Sanktionszwecke verfolgen und verschiedene Sanktionsmittel zur Verfügung stellen, kann es sein, dass die Mitgliedstaaten nur durch eine bestimmte Sanktion ihrer Verpflichtung aus dem Unionsrecht zur wirksamen und abschreckenden Sanktionierung nachkommen können. Zu einer derartigen „Ermessensreduzierung auf Null“ kann es bei sämtlichen Sanktionsarten kommen, also sowohl bei straf- und verwaltungsrechtlichen Sanktionen als auch bei zivilrechtlichen Rechtsfolgen. Übt ein Mitgliedstaat das ihm zustehende Rechtsformenermessen aus, indem unionsrechtlich vorgegebene Verhaltenspflichten durch Sanktionen einer bestimmten Teilrechtsordnung (beispielsweise durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen) geahndet werden, so werden damit nicht automatisch sämtliche anderen Sanktionsarten, die nach nationalem Recht bei einem Normverstoß ebenfalls greifen können (z. B. zivilrechtliche Haftungssanktionen), gegenüber den unionsrechtlichen Einflüssen immunisiert. Nicht nur das Umsetzungsrecht, sondern das gesamte nationale Recht unterliegt einer Kontrolle darüber, ob die Vorgaben des Unionsrechts wirksam, verhältnismäßig und abschreckend umgesetzt werden. Die Effektivität der spezifisch zur Umsetzung der Richtlinien geschaffenen Sanktionen darf insbesondere nicht durch Sanktionen anderer Teilrechtsordnungen konterkariert werden. Erforderlich ist vielmehr ein abgestimmtes Sanktionskonzept, bei dem die einzelnen Sanktionen und 714   So EuGH, Rs. C‑206/11 (Köck) Rn. 46 ff., zur UGP-RL 2005/29, die – den Finanzmarktrichtlinien vergleichbar – nur die Verhaltensgebote vollständig harmonisiert, die Ausgestaltung der Rechtsfolgen aber in das Ermessen der Mitgliedstaaten stellt.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Rechtsbehelfe nicht isoliert, sondern im Zusammenwirken miteinander betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund ist zu überlegen, inwieweit die Effektivitätsrechtsprechung durch das Konzept der wechselseitigen Auffangordnungen weitergehend konkretisiert werden könnte.

V. Weiterentwicklung der Effektivitätsrechtsprechung anhand des Modells der wechselseitigen Auffangordnungen 1. Das Modell der wechselseitigen Auffangordnungen a) Grundgedanke Die Idee der wechselseitigen Auffangordnungen (Hoffmann-Riehm) beruht auf der Annahme, dass in der Verzahnung verschiedener Teilrechtsgebiete ein Steuerungspotenzial liegt, das bewusst eingesetzt werden sollte.715 Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass jede Teilrechtsordnung unterschiedliche Funktionen und Steuerungsgrenzen hat. In vielen Fällen können die durch eine Rechtsnorm bezweckten Ziele nicht vollständig durch die Sanktionen einer einzelnen Teilrechtsordnung verwirklicht werden. So weisen administrative Maßnahmen zwar den Vorteil auf, dass staatliche Behörden aufgrund ihrer Hoheitsgewalt erleichterten Zugang zu Informationen haben und Sanktionen verhängen können, die Privaten nicht zur Verfügung stehen. Andererseits können staatliche Behörden angesichts knapper personeller und sachlicher Ressourcen häufig nicht sämtliche Normverstöße sanktionieren. Administrative Sank­tionen sind zudem nur auf Prävention oder Bestrafung, in aller Regel aber nicht auf die Kompensation der entstandenen Schäden ausgerichtet. Die private Rechtsdurchsetzung kann demgegenüber die öffentlich-rechtliche Durchsetzung sinnvoll ergänzen und dafür sorgen, dass die individuellen Belange und Rechte des Einzelnen im Einzelfall berücksichtigt werden. Privatrecht ist andererseits auf das freie Spiel der Kräfte ausgelegt. Wo Interessen sich nicht artikulieren oder wo die Betroffenen an einer Verfolgung und Durchsetzung ihrer Rechte nicht interessiert sind, bedarf das Privatrecht der Ergänzung durch öffentlich-rechtliche Sanktionen. Die Theorie der wechselseitigen Auffangordnungen fragt vor diesem Hintergrund, wie sich Regelungsbedürfnisse, die im Rahmen der einen Teilrechtsordnung nicht ausreichend befriedigt werden können, durch Rückgriff auf Gestaltungselemente der anderen Teilrechtsordnung „auffangen“ lassen.716 Von einem „Auffangen“ lässt sich dort sprechen, wo die eine Teilrechtsordnung Funktionen übernimmt, die die andere Ordnung nur mit erheblichem Aufwand wahrnehmen könnte, oder wo die eine Teilrechtsordnung mit Blick auf die Vorgänge der anderen Wirkungen sichert, die rechtlich unverzichtbar sind.717 Die Anregung, für das Zusammenspiel der rechtlichen Instrumente aus den Teilrechtsordnungen des öffentlichen Rechts und des Privatrechts den Begriff der wechselseitigen Auffangordnungen zu gebrauchen, soll dabei 715   Hoffmann-Riem, AöR 119 (1994), 590, 609 ff., 619; sowie die Beiträge von Schmidt-Aßmann und Hoffmann-Riem, beide in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 7 ff. und S. 261 ff. 716   Hoffman-Riem/Schmidt-Aßmann, in: dies. (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 6. 717   Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 7, 12.

C. Das Effektivitätsgebot

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der Beobachtung entsprechen, dass „die wechselseitige Nutzung der Leitideen, Denkmuster, dogmatischen Figuren und Instrumente der beiden Teilrechtsordnungen nicht nur zugenommen, sondern zum Teil zu einer besonderen Qualität des Zusammenspiels geführt hat.“718 Dies zeigt sich etwa darin, dass die zivilrechtlichen Instrumente des Vertrages, der Pflichtverletzung sowie Sekundäransprüche (auf Schadensersatz, Unterlassung und Beseitigung) auf vielfältige Weise mit öffentlich-rechtlichen Instrumenten (Genehmigung, Auflage, Widerruf bzw. Rücknahme, Untersagung, Beseitigungsanordnung, Zwangsmittel, etc.) zusammenspielen können. Aus unionsrechtlicher Perspektive könnte die Idee der wechselseitigen Auffangordnungen zur Konkretisierung des Effektivitätsgebots beitragen. Ob die durch das Unionsrecht gesetzten Verhaltensnormen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend in den Mitgliedstaaten durchgesetzt werden, lässt sich nur durch eine Gesamtbetrachtung feststellen, bei der die Sanktionen sämtlicher Teilrechtsordnungen betrachtet werden. Reichen die Sanktionen einer Teilrechtsordnung nicht aus, um das durch die Unionsnorm vorgegebene Ziel effektiv zu verwirklichen, so ist danach zu fragen, wie die Defizite der einen Teilrechtsordnung durch die Vorteile einer anderen Teilrechtsordnung ausgeglichen werden können, ohne dass durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Sanktionen dysfunktionale Blockaden auftreten oder eine Übersanktionierung erfolgt. b) Ökonomische Theorie der optimalen Rechtsdurchsetzung Die Theorie der wechselseitigen Auffangordnungen kann in ökonomischer Sicht an die Debatte zur optimalen Rechtsdurchsetzung anknüpfen, die in den USA Ende der 1960er Jahre mit den Arbeiten von Becker, Stigler, Landes und Posner ihren Anfang nahm,719 und dabei vor allem um die Frage kreiste, ob Normen effizienter durch den Staat (public enforcement) oder durch Private (private enforcement) durchgesetzt werden können.720 Nach der ökonomischen Analyse des Rechts sind Rechtssysteme so zu gestalten, dass eine optimale Allokation der knappen Ressourcen erreicht und die gesamtwirtschaftlichen Kosten minimiert werden.721 Die Theorie der optimalen Rechtsdurchsetzung berücksichtigt daher einerseits den durch den Normverstoß verursachten Schaden, andererseits aber auch die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Rechtsdurchsetzung.722 Eine monetäre Sanktion ist optimal, wenn sie den gesamten verursachten Kosten, also dem verursachten Schaden und den Kosten der Rechtsdurchsetzung entspricht. Dies gilt aber nur bei einer Durchsetzungswahrscheinlichkeit von 100 Pro718   Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261, 271. 719   Becker, (1968) 76 J. Pol. Econ. 169; Stigler, (1970) 78 J. Pol. Econ. 526; Becker/Stigler, (1974) 3 J. Legal Stud. 1; Landes/Posner, (1975) 4 J. Legal Stud. 1. 720   Überlegungen, wie die Theorie der wechselseitigen Auffangordnungen (im nationalen Kontext) durch die ökonomische Analyse des Rechts konkretisiert werden könnte, finden sich bislang nur ansatzweise bei Schmidt-Aßmann und Kirchner, beide in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 7, 24 f. und S. 63 ff. 721   Zu dieser Grundprämisse der ökonomischen Analyse des Rechts Posner, Economic Analysis of Law, 5. Aufl., 1998, § 2.2.; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S. 8 f., 12. 722   Becker, (1968) 76 J. Pol. Econ. 169 ff.; Stigler, (1970) 78 J. Pol. Econ. 526; Schwartz, (1980) 68 Geo L. J. 1075, 1079 ff.; Shavell, (1993) 36 J. Law and Economics 255 ff.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

zent. Bei geringerer Wahrscheinlichkeit ist die Sanktion entsprechend zu erhöhen. Anderenfalls ginge von der Sanktion nicht mehr die beabsichtigte Präventionswirkung aus. Sofern der Schädiger darauf vertrauen kann, dass sein normwidriges Verhalten ohnehin nicht aufgedeckt bzw. verfolgt wird, besteht kein Anreiz, den Normverstoß zu unterlassen. Eine wirksame Abschreckung lässt sich daher nur erzielen, wenn die erwartete Buße oder Strafe, multipliziert mit der umgekehrten Wahrscheinlichkeit der Entdeckung und Vollstreckung der Sanktion, größer ist als der Nutzen aus dem Rechtsbruch.723 Diese Formel bedarf weiterer Anpassungen, um zusätzlichen Faktoren Rechnung tragen; relevant sind auch die Risikoneigung und Vermögenssituation des Normadressaten, sein Informationsstand bzgl. der Rechtslage und der Aufdeckungswahrscheinlichkeit sowie etwaige Justizirrtümer.724 Daneben sind die durch die Rechtsdurchsetzung entstehenden Kosten zu berücksichtigen. Sowohl die Aufdeckung als auch die Verfolgung und Sanktionierung von Normverstößen verursacht Kosten. Eine vollständige Rechtsdurchsetzung bzw. eine Abschreckung um jeden Preis wäre ineffizient. Nach der Theorie der optimalen Rechtsdurchsetzung dürfen Ressourcen zur Rechtsdurchsetzung nur solange eingesetzt werden, bis der zusätzliche gesellschaftliche Vorteil aus der Verhinderung von Normverstößen (Grenznutzen) den hierfür notwendigen Kosten (Grenzkosten) entspricht.725 Übersteigen die Kosten der Rechtsdurchsetzung den mit ihr verbundenen Nutzen, so wird von einer übermäßigen Durchsetzung (over-enforcement) gesprochen, die unter rechtsökonomischen Gesichtspunkten unterbleiben muss.726 Unter Zugrundelegung dieser Annahmen beschäftigt sich die Theorie der optimalen Rechtsdurchsetzung mit der Frage, durch welche Durchsetzungsinstanz eine optimale Durchsetzung am kostengünstigsten erreicht werden kann. Zu eindeutigen Ergebnissen ist man dabei allerdings nicht gelangt.727 Becker/Stigler728 versuchten in ihrem Beitrag „Law Enforcement, Malfeasance, and Compensation of Enforcers“ (1974) darzulegen, dass die private Rechtsdurchsetzung der staatlichen Rechtsdurchsetzung überlegen sei. Landes/Posner729 widersprachen dieser These nur wenig später in ihrem Beitrag „The Private Enforcement of Law“ (1975) mit dem Argument, dass die sozialen Kosten der privaten Durchsetzung aufgrund des übermäßigen Ressourceneinsatzes höher wären als der soziale Nutzen. Die Debatte um die optimale Rechtsdurchsetzung ist seitdem nicht verstummt. Größtenteils wird angenommen, dass sich eine optimale Normdurchsetzung in vielen Bereichen nur durch ein Zusammenspiel öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Instrumente erreichen lässt. Wann die staatliche oder die private Normdurchsetzung rechtsökonomisch sinnvoll 723   Becker, (1968) 76 J. Pol. Econ. 169 ff.; Polinsky/Shavell, (1979) 69 American Economic Review 880 ff. 724   Zu diesen und weiteren Faktoren Polinsky/Shavell, in: dies. (Hrsg.), Handbook of Law and Economics, Vol. 1, 2007, S. 403, 422 ff. 725   Becker, (1968) 76 J. Pol. Econ. 169, 180; Stigler, (1970) 78 J. Pol. Econ. 526; Schwartz, (1980) 68 Geo. L. J. 1075, 1079 ff.; Polinsky/Shavell, in: dies. (Hrsg.), Handbook of Law and Economics, Vol. 1, 2007, S. 403, 407 ff. 726   Landes/Posner, (1975) 4 J. Legal Stud. 1. 727   Diskussionsüberblick bei Hempel, Privater Rechtsschutz im Kartellrecht, 2002, S. 260 – 264; Klöhn, in: Schulze (Hrsg.), Compensation of Private Losses, 2011, S. 179, 184 – 187. Ferner Krüger, Öffentliche und private Durchsetzung des Kartellverbots von Art. 81 EG, 2007. 728   Becker/Stigler, (1974) 3 J. Legal Stud. 1. 729   Landes/Posner, (1975) 4 J. Legal Stud. 1.

C. Das Effektivitätsgebot

313

ist, richtet sich dabei nach einer Reihe von Faktoren.730 Bevor diese skizziert werden, stellt sich vorab die grundsätzliche Frage, welche rechtliche Verbindlichkeit ein auf der ökonomischen Analyse des Rechts basierendes Modell der wechselseitigen Auffangordnungen überhaupt für sich beanspruchen könnte. c) Zur normativen Verbindlichkeit des Modells Gegen die ökonomische Analyse des Rechts sind eine Reihe von Einwänden erhoben worden. Diese betreffen zum einen das Konzept des homo oeconomicus.731 Neuere Erkenntnisse der Kognitionspsychologie und der experimentellen Ökonomik zeigen nicht nur Rationalitätsdefizite des Einzelnen bei der Informationsaufnahme und ‑verarbeitung auf, sondern belegen zudem, dass Individuen nicht allein aus Eigennutz handeln, sondern auch von Altruismus, Fairnessgesichtspunkten oder anderen sozialen Normen geleitet werden.732 Geht es nicht um das Verhalten von Individuen, sondern um das Handeln von Unternehmen im (Binnen‑)markt, wiegt diese Kritik weniger schwer. Vom Grundsatz her kann nämlich davon ausgegangen werden, dass organisierte, profitorientierte Wirtschaftseinheiten ihre Entscheidungen in aller Regel anhand einer ökonomisch orientierten Nutzen-Kostenanalyse treffen.733 Gerade in größeren Unternehmen können strukturelle Vorkehrungen getroffen werden, um irrationales Handeln des Einzelnen zu minimieren. Daneben tragen Selektionsmechanismen der marktwirtschaftlichen Ordnung ebenfalls dazu bei, dass sich nur diejenigen Unternehmen am Markt behaupten, die erfolgreich in die Rationalität von Entscheidungen investieren. Der ökonomischen Analyse wird zum anderen vorgehalten, dass die einseitige Ausrichtung am Effizienzkriterium rechtsethische Grundsätze vernachlässigt.734 Die Befürworter der ökonomischen Analyse postulieren indessen keinen Universalitätsanspruch; sie räumen selbst ein, dass die ökonomische Analyse nicht in der Lage ist, Kriterien zur Lösung von Zielkonflikten zwischen Allokationseffizienz und anderen Gerechtigkeitsprinzipien zu entwickeln.735 Heftiger Streit ist schließlich um die Frage entbrannt, welchen normativen Stellenwert ökonomische Argumente für die Auslegung und Fortbildung des geltenden 730   Shavell, (1993) 36 J. Law and Economics 255, 266 – 270; für das Kartellrecht Wils, Principles of European Antitrust Enforcement, 2005, S. 111 – 127; für das Kapitalmarktrecht Rose, (2008) 108 Colum. L. Rev. 1301, 1325 – 1347; für das Verbraucherrecht van den Bergh, in: van Boom/Loos (Hrsg.), Collective Enforcement of Consumer Law, 2007, S. 177 ff. 731   Das Konzept des homo oeconomicus wird im anglo-amerikanischen Recht auch als REMMHypothese (resourceful, evaluating, maximizing man) bezeichnet. Die Grundannahme besagt, dass Entscheidungen vom Einzelnen grundsätzlich rational nach Kosten- und Nutzenaspekten mit dem Ziel der individuellen Nutzenmaximierung getroffen werden; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl., 2012, S. 46, 95 ff. 732  Dazu Sunstein (Hrsg.), Behavioral Law and Economics, 2000; G. Wagner (Hrsg.), Kraft Gesetz, Beiträge zur rechtssoziologischen Effektivitätsforschung, 2010; zusammenfassend Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff. 733   Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 366; für das Kartellrecht Hempel, Privater Rechtsschutz im Kartellrecht, 2002, S. 287. Vgl. zum Haftungsrecht auch Horn, AcP 176 (1976), 307, 325. A. A. Ramsay, Consumer Law and Policy, 3. Aufl., 2012, S. 227 m. w. N. Zur Diskussion Armstrong/Huck, CESifo Working Paper Nr. 2937. 734   Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, 1988, S. 285 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4. Aufl., 2015, S. 480 ff.; Fezer, JZ 1986, 817, 823; ders., JZ 1988, 223, 226 ff.; Kohl, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Probleme des Zivilrechts, 1991, S. 41, 50. 735   Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 215.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Rechts haben. Prominente Vertreter der Law-and-Economics-Bewegung in den Vereinigten Staaten haben gefordert, Rechtsnormen möglichst so auszulegen, dass das ökonomisch effizienteste Ergebnis erreicht wird.736 Auch in Deutschland wird eine verstärkte Berücksichtigung ökonomischer Argumente bei der Rechtsanwendung propagiert.737 Nach anderer Ansicht obliegt die Aufgabe, das Recht nach Effizienzkriterien auszurichten, nur dem Gesetzgeber und der Rechtswissenschaft, nicht aber dem Richter.738 Weitgehend anerkannt ist allerdings, dass die Gerichte ökonomische Erwägungen dann berücksichtigen müssen, wenn dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Ist die ökonomische Effizienz zugleich „Politik des Gesetzes“,739 so ist die Rechtsprechung gefordert, die Realfolgen von Rechtsnormen anhand ökonomischer Maßstäbe zu bewerten und in ihre Entscheidung mit einfließen zu lassen.740 Unter Zugrundelegung dieser Annahmen sprechen vor allem zwei Argumente für eine ökonomische Rechtsfolgenbetrachtung im Rahmen des Effektivitätsgebots. Zum einen finden sich im Unionsrecht viele Vorschriften, bei denen die ökonomische Effizienz zum Telos der Norm gehört. Nicht nur die Grundfreiheiten und die Wettbewerbsvorschriften des AEUV zielen auf einen funktionsfähigen Wettbewerb und eine effiziente Verteilung von Ressourcen. Vielmehr lässt sich auch bei den Sekundärrechtsakten auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts, des Lauterkeitsrechts sowie des Verbraucherrechts ein solches Ziel in den Erwägungsgründen und in der Regelungsstruktur nachweisen.741 Für eine Berücksichtigung ökonomischer Argumente spricht zum anderen, dass der EuGH von den Mitgliedstaaten eine hinreichend wirksame und abschreckende Sanktionierung verlangt. Der Gerichtshof rekurriert damit auf das ökonomische Ziel der Verhaltenssteuerung durch Prävention.742 Sanktionen sind nur dann abschreckend, wenn sie den Normadressaten zu einem normgemäßen Handeln veranlassen, indem sie Normverstöße nicht lohnenswert erscheinen lassen. Auch dies streitet dafür, dass bei Interpretation des Effektivitätsgebots ökonomische Argumente eine Rolle spielen müssen. Sowohl inhaltliche wie kompetenzielle Erwägungen sprechen andererseits gegen eine einseitige Ausrichtung des Effektivitätsgebots an wohlfahrtsökonomischen Zielen. Das Effektivitätsgebot ist mit dem ökonomischen Effizienzgebot keineswegs identisch.743 Für die Effektivität mitgliedstaatlicher Regelungen kommt es nicht allein 736

  Vgl. nur Polinsky, An Introduction to Law and Economics, 1989, S. 7 ff., 119 ff. und 129 f.   Für eine Berücksichtigung ökonomischer Argumente auch bei Fehlen positiver gesetzgeberischer Wertungen insb. Horn, AcP 176 (1976), 307, 321 ff.; Kötz/Schäfer, Rechtstheorie 30 (1999), 130, 134 ff.; MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, vor § 823 Rn. 40 f.; ders., AcP 206 (2006), 352, 424 ff. Vgl. auch Grundmann, RabelsZ 61 (1997), 423, 441 ff. 738   Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4. Aufl., 2015, S. 426 ff.; 454 ff., 486; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., 2016, Einl. Rn. 38. 739   Begriff nach Steindorff, in: FS Larenz, 1973, S. 217. 740   Eidenmüller, AcP 197 (1997), 80, 116 f.; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 429, 432; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S. 29 ff.; Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 127, 136. 741   Franck, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 5 Rn. 53 ff. Grundmann, RabelsZ 61 (1997), 423, 434 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 374; für das Kapitalmarktrecht Möllers, AcP 208 (2008), 1, 6 ff. Vgl. auch Steindorff, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1977, S. 4 f.; G. Wagner, AcP 206 (2006), 355, 430 f.; beide mit dem Hinweis, dass die Wahrnehmung von Steuerungszwecken kennzeichnend für das moderne Wirtschaftsrecht ist. 742  Vgl. supra, § 3 D.I.3.a. 743   Missverständlich ist daher, wenn das Effektivitätsgebot im Schrifttum teils als Effizienzgebot bezeichnet wird; so z. B. Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996, S. 48; Streinz, in: FS Everling, Bd. 2, 1995, S. 1491, 1506. 737

C. Das Effektivitätsgebot

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darauf an, welche Rechtsdurchsetzungsmaßnahme die geringsten gesamtgesellschaftlichen Kosten verursacht. Entscheidend für die Wahl des richtigen Sanktionsmittels ist vielmehr der rechtlich-normative Gehalt der durchzusetzenden Norm. Dieser kann aber für eine Sanktion streiten, die aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive unökonomisch ist. So fordert das Unionsrecht in vielen Fällen zugunsten des durch einen Normverstoß Geschädigten eine vollständige Schadenskompensation, obwohl unter ökonomischen Gesichtspunkten eine Kompensation unterbleiben muss, wenn sie unverhältnismäßige gesamtwirtschaftliche Kosten verursacht.744 Staatliche Sanktionen unterliegen ferner dem Rechtsstaatsgebot sowie dem Gebot effektiven Rechtsschutzes; beide Prinzipien können verlangen, dass auf den Einsatz bestimmter Sanktionsmittel verzichtet wird, selbst wenn diese unter ökonomischer Perspektive effizient erscheinen. Wird das Effektivitätsgebot nach ökonomischen Kriterien durch das Modell der wechselseitigen Auffangordnungen konkretisiert, besteht schließlich drittens die Gefahr, dass das Rechtsformenermessen der Mitgliedstaaten in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt wird. Das Effektivitätsgebot will gerade einen Ausgleich zwischen dem Geltungsanspruch des Unionsrechts und der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten schaffen.745 Dieser Ausgleich wäre gefährdet, wenn der EuGH dazu überginge, die von den Mitgliedstaaten zu ergreifenden Sanktionen in weitem Umfang durch die Theorie der optimalen Rechtsdurchsetzung selbst zu bestimmen. Die ökonomische Analyse des Rechts kann aus diesen Gründen keine normativ verbindlichen Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung entwickeln. Sie kann dem Gesetzgeber und dem Richter aber sowohl auf Unionsebene als auch auf nationaler Ebene Bewertungsmaßstäbe an die Hand geben, mit der die verschiedenen Sanktionsinstrumente evaluiert werden können. 2. Staatliche und private Rechtsdurchsetzung im Vergleich Die für die Rechtsdurchsetzung zentrale Frage nach der effizientesten Sanktionsart lässt sich im Folgenden nur holzschnittartig behandeln. Eine detaillierte Untersuchung würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Sie müsste auf die verschiedenen Sanktionsmittel, aber auch auf rechtsgebietsspezifische Besonderheiten im Einzelnen eingehen.746 Die nachstehenden Ausführungen beschränken sich darauf, die Vor- und Nachteile staatlicher und privater Rechtsdurchsetzung in Grundzügen zu diskutieren. Im Zentrum steht dabei jener Bereich, der besonders intensiv durch das Unionsrecht determiniert wird, nämlich das Marktordnungsrecht. Ausgangspunkt für einen rechtsökonomischen Vergleich ist die Frage, durch welche Durchsetzungsinstanz die durch einen Normverstoß verursachten Schäden am effizientesten verhindert werden können. Für die Effizienz der Rechtsdurchsetzung kommt es einerseits auf die Abschreckungswirkung staatlicher und privater Sanktionen an. Andererseits sind die Kosten in Rechnung zu stellen, die für die Entdeckung, Überführung und Sanktionierung in dem einen oder anderen Teilrechtssystem aufgewendet werden müssen. Nach der Theorie der optimalen Durchsetzung ist ein 744

  Hierzu sogleich, infra, § 4 C.V.3.   Supra, § 4 A.V.4. 746   Umfangreiche Schrifttumsnachweise bei Bouckaert/de Geest (Hrsg.), Bibliography of Law and Economics, 1992, S. 504 – 526; Garoupa, (1997) 11 Journal of Economic Surveys 267 ff.; Polinsky/ Shavell, (2000) 38 Journal of Economic Literature 45 ff. 745

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Durchsetzungssystem nur dann effizient, wenn die Sanktion und das Ausmaß der zur Durchsetzung eingesetzten Ressourcen so bestimmt werden, dass ein kostenminimierendes Durchsetzungsniveau erreicht wird. Dafür sind eine Reihe von Faktoren relevant, nämlich der Zugang zu Informationen (a.), die Sanktionswahrscheinlichkeit (b.), sowie die Möglichkeit, eine aus Sicht der ökonomischen Analyse optimale Sanktion zu verhängen (c.).747 a) Zugang zu Informationen Entscheidender Faktor für die Wahl des Durchsetzungsregimes ist zunächst der Zugang zu Informationen. Normverstöße müssen aufgedeckt und auf ihren materiellen Gehalt überprüft werden. Informationskosten entstehen sowohl bei der Feststellung des relevanten Sachverhalts als auch bei der rechtlichen Würdigung. Staatliche Behörden haben im Vergleich zu Privaten einen besseren Zugang zu Informationen. Sie verfügen über spezialisiertes Fachwissen und haben weitergehende Untersuchungsbefugnisse.748 Während sich private Personen die zur Anspruchsdurchsetzung relevanten Informationen nötigenfalls im Wege der Klage beschaffen müssen, können Behörden mit der Befugnis ausgestattet werden, alle Ermittlungen zu führen und alle Beweise zu erheben, die erforderlich sind.749 Dies schließt in vielen Rechtsgebieten die Möglichkeit zur Beschlagnahme von Gegenständen sowie ein umfassendes Recht auf Auskunft ein. Für die behördliche Aufsicht fallen bei ständiger Überwachung des Marktes allerdings erhebliche Vorhaltekosten an.750 Die private Rechtsdurchsetzung stellt demgegenüber eine kostengünstigere Möglichkeit der Normdurchsetzung zur Verfügung, wenn die Berechtigten über alle notwendigen Informationen verfügen, die für die Aufdeckung und den Nachweis des Fehlverhaltens erforderlich sind.751 Die durch einen Rechtsverstoß betroffenen und geschädigten Marktteilnehmer sind häufig am besten in der Lage, die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse einzuschätzen. Normverstöße werden am ehesten von den betroffenen Marktakteuren wahrgenommen, wenn sie – beispielsweise in Form von Preisveränderungen oder Gewinneinbußen – mit den negativen Folgen solcher Verhaltensweisen in Berührung kommen.752 Behörden stehen demgegenüber vor der schwierigen Aufgabe, als außenstehende Dritte die erforderlichen Informationen und Beweismittel erst gewinnen zu müssen.753

747   Daneben sind eine Reihe weiterer Faktoren relevant, so insb. der Zeitpunkt, zu dem Sank­ tionen verhängt werden können; Shavell, (1993) 36 J. Law and Economics 255, 257 f.; van den Bergh, in: van Boom/Loos (Hrsg.), Collective Enforcement of Consumer Law, 2007, S. 177, 200 f. Während das Privatrecht in aller Regel nur ex post in bereits individualisierte Rechtsbeziehungen eingreift, können öffentlich-rechtliche Regelungen bereits ex ante das Marktverhalten steuern; Merli, in: Aicher/ Holoubek (Hrsg.), Der Schutz von Verbraucherinteressen, 2000, S. 1, 12. Rechtsökonomische Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass von einer ex ante-Regulierung sehr viel größere Präventionswirkungen ausgehen als von einer ex post-Kontrolle; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 388 in Fn. 717. 748   Wils, (2003) 26 World Competition 473, 480. 749   Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 306. 750   Möllers, AcP 208 (2008), 1, 15. 751   Shavell, (1993) 36 J. Law and Economics 255, 266 ff. 752   Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 304. 753   G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 446.

C. Das Effektivitätsgebot

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Trotz dieser unbestreitbaren Vorzüge steht die private Rechtsdurchsetzung häufig vor dem Problem, dass die betroffenen Marktteilnehmer von einem Normverstoß keine Kenntnis besitzen und/oder auf relevante Informationen aus der Sphäre des Rechtsbrechers angewiesen sind. Informationsasymmetrien werden in nahezu sämtlichen Bereichen des Marktordnungsrechts konstatiert, so vor allem im Kartellrecht,754 im Kapitalmarktrecht755 und im Verbraucherrecht.756 Besondere Informationsdefizite bestehen darüber hinaus bei Streuschäden. Erleidet jeder Einzelne nur einen geringfügigen Nachteil, werden Schäden regelmäßig nicht wahrgenommen.757 Im europäischen Binnenmarkt verschärfen sich die Schwierigkeiten bei der Informations- und Beweisbeschaffung, da wegen der grenzüberschreitenden Auswirkungen Beweise in mehreren Mitgliedstaaten gesammelt werden müssen. Die mitgliedstaatlichen Behörden können demgegenüber im Rahmen der EU‑weit eingerichteten Behördennetzwerke die Hilfe von Behörden in anderen Mitgliedstaaten in Anspruch nehmen.758 In welchem Umfang Informationen erhoben werden müssen, hängt nicht zuletzt von der Ausgestaltung des Verbotstatbestands sowie von der Darlegungs- und Beweislast ab. Viele Marktverhaltensnormen greifen erst dann, wenn sich das beanstandete Verhalten negativ auf den Markt auswirkt. Insbesondere im Kartellrecht werden nur noch wenige Verhaltensweisen per se als wettbewerbswidrig anerkannt; die Bewertung eines Normverstoßes hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, deren Beurteilung sich dem einzelnen Unternehmen häufig entzieht.759 Vielfach scheitert die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in der Praxis zudem am Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Rechtsverletzung und dem eingetretenen Schaden oder bei Ermittlung der Schadenshöhe. Insbesondere die durch 754   Kartelle werden typischerweise geheim gehalten. Viele Beweismittel, die für die Begründung eines wettbewerbsrechtlichen Schadenersatzanspruches erforderlich sind, sind für die Kläger nicht verfügbar, da sie sich entweder in den Händen der Beklagten oder Dritter befinden; Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2008) 165 endg., S. 5. 755  Dazu Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 188 ff. Auch die Regierungsbegründung zum Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) konstatiert, dass bei Schadensersatzprozessen meist aufwändige Beweisaufnahmen mit teuren Sachverständigengutachten erforderlich sind, um die komplexen kapitalmarktrechtlichen Fragen zu klären; BT‑Drucks. 15/5091, S. 1, 13. 756  Grundlegend Akerlof, (1970) 84 Q. J. Econ. 488 ff. Informationsasymmetrien bestehen vor allem bei Erfahrungsgütern, deren Qualität oft erst nach dem Kauf und manchmal erst nach sehr langer Zeit beurteilt werden kann. Dazu zählen irreführende Werbeaussagen, allgemeine Geschäftsbedingungen, Vermittlungsdienste von Maklern und Sicherheitsstandards; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl., 2000, S. 324; van den Bergh, in: van Boom/Loos (Hrsg.), Collective Enforcement of Consumer Law, 2007, S. 177, 185 ff. 757   van den Bergh/Keske, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 17, 19 f. 758   Für das Wettbewerbsrecht vgl. insb. Art. 22 VO 1/2003. Für den Finanzdienstleistungssektor wurde am 1.1.2011 mit den Verordnungen 1092/2010, 1093/2010, 1094/2010 und 1095/2010 das Europäische System der Finanzaufsicht (ESFS) geschaffen, dem u. a. drei Aufsichtsbehörden angehören: die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA), die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) und die Europäische Wertpapier-und Marktaufsichtsbehörde (ESMA). Alle drei Behörden arbeiten in einem Netz und im Einvernehmen mit den bestehenden nationalen Aufsichtsbehörden zusammen. Für das Verbraucherrecht vgl. die CPC-VO 2006/2004; hierzu infra, § 10 C.II.1. Daneben schaffen die Produktsicherheits-RL 2001/95, die VO 765/2008 und der Beschluss 768/2008 einen EU‑Marktüberwachungsrahmen, der die mitgliedstaatlichen Behörden unterstützen soll, auf dem Markt befindliche Produkte zu überwachen. 759   Basedow, EuZW 2006, 97.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

ein wettbewerbswidriges Verhalten entstandenen Gewinneinbußen lassen sich nicht ohne Weiteres beziffern. Beweisschwierigkeiten können durch Beweiserleichterungen oder Offenlegungspflichten überwunden werden.760 Eine unionsweite Einführung der pre-trial discovery nach US‑amerikanischem Vorbild761 erscheint demgegenüber unwahrscheinlich. Aus deutscher Sicht überschreitet das Discovery-Verfahren die Grenze zum unzulässigen Ausforschungsbeweis.762 Deutsche Gerichte können Rechtshilfeersuchen amerikanischer Gerichte auf Durchführung einer „pre-trial discovery of documents“ auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 des Ausführungsgesetzes zum Haager Beweis-Übereinkommens763 zurückweisen.764 In England wird dieses Verfahren ebenfalls als viel zu weitgehende fishing expedition abgelehnt.765 Aus unionsrechtlicher Perspektive dürfte das Discovery-Verfahren gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen. Auch die Europäische Kommission hat sich gegen die Einführung eines pre-trial discovery Verfahrens ausgesprochen.766 Selbst in den USA wird das Discovery-Verfahren wegen der Missbrauchsgefahren und immensen Kosten kritisiert.767 Zudem wird darauf hingewiesen, dass trotz des Discovery-Verfahrens staatliche Behörden immer noch besser als Private in der Lage sind, die für den Nachweis eines Normverstoßes erforderlichen Unterlagen zu beschaffen.768 b) Sanktionswahrscheinlichkeit Für die Effizienz der Rechtsdurchsetzung spielt nicht nur der Zugang zu Informationen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit eine Rolle, mit der Normverstöße entdeckt, verfolgt und sanktioniert werden. Private Rechtsdurchsetzung kann die staatliche Durchsetzung sinnvoll ergänzen und dazu beitragen, dass eine größere Anzahl rechtswidriger Verhaltensweisen aufgedeckt und verfolgt wird.769 Aufsichtsbehörden sind in besonderem Maße darauf angewiesen, durch die privat initiierte Rechtsdurchsetzung entlastet zu werden. In Anbetracht der großen Masse ökonomischer Transaktionen, ihrer Vielgestaltigkeit und der 760

  Für das Kartellrecht vgl. nur infra, § 7 C.IX.   Rule 26 (b) (1) Federal Rules of Civil Procedure (USA). 762   Daneben werden eine Reihe weiterer Gründe angeführt, die gegen die Zulässigkeit des Discovery-Verfahrens sprechen; R. Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976, S. 119 ff.; ders., JZ 1981, 521 ff. 763   BGBl. I 1977, S. 3105. 764  Dazu Paulus, ZZP 104 (1991), 397 ff.; Reufels, RIW 1999, 667 ff.; Roggenbuck, IPRax 1997, 76 ff.; Trittmann/Leitzen, IPRax 2003, 7 ff. 765   Wagner-von Papp, EWS 2009, 445, 451 m. w. N. in Fn. 45. 766   Vgl. die Empfehlung der Kommission „Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungsund Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl. 2013 L 201/60, ErwGr (15); Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules, SEC (2008) 404, Rn. 93 ff. Im Grünbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2005) 672 endg., Option 3, hatte die Kommission dagegen noch die Option einer umfassenden Offenlegungspflicht ohne gerichtliche Beteiligung nach dem Vorbild der US‑amerikanischen pre-trial discovery erwogen. 767   Bone, in: Sanchirico (Hrsg.), Procedural law and economics, 2012, S. 188, 197 ff.; Cooper, (1994) 23 J. Legal Stud. 465 ff.; Willging/Stienstra/Shapard, (1998) 39 Boston College Law Review 525 ff. 768   Wils, Principles of European Antitrust Enforcement, 2005, S. 118. 769   Hecker, Marktoptimierende Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 99; Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 304. Vgl. auch GA Geelhoed, SchlA, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 30. 761

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hohen Zahl hierbei anfallender Informationen kann der Staat schon aus Kapazitätsgründen nur punktuell tätig werden.770 Staatliche Behörden müssen von ihrem Ermessen Gebrauch machen und sich auf die Bekämpfung bestimmter Verstöße beschränken. Gerade im gegenwärtigen wirtschaftlichen Kontext, in dem die öffentliche Hand einem ständigen Sparzwang unterliegt, sind Aufsichtsbehörden dazu gezwungen, bei der Verfolgung von Rechtsverstößen Prioritäten zu setzen. Viele Normverstöße können daher nicht verfolgt werden. Daneben besteht die Gefahr, dass staatliche Behörden ihr Eingriffsermessen sachwidrig ausüben. Diese Möglichkeit ist vor allem dann naheliegend, wenn es um die Verfolgung öffentlichkeitswirksamer Fälle geht, wenn eine bestimmte Durchsetzungsstrategie Budgetsteigerungen verspricht, oder wenn die Behörde politischem Druck ausgesetzt ist.771 Private Rechtsdurchsetzung basiert auf dem Eigeninteresse der Betroffenen. Dies ist eine Stärke, zugleich aber eine Schwäche des private enforcement. Die Wahrscheinlichkeit, mit der Normverstöße durch private Klagen sanktioniert werden, hängt von der Bereitschaft der Einzelnen ab, gegen rechtswidrige Handlungen vorzugehen. Privatpersonen werden erwartungsgemäß nur dann Klage einreichen, wenn die erwarteten Vorteile (der erwartete Ausgang des Prozesses) die Kosten für den Prozess (Gerichtskosten und Anwaltskosten) übersteigen. Dieses private Kosten-NutzenKalkül stimmt jedoch häufig nicht mit dem gesamtwirtschaftlichen Interesse an der Normdurchsetzung und dem damit rechtspolitisch erwünschten Anreiz überein.772 Sind die erwarteten Vorteile geringer als die erwarteten Kosten, besteht die Gefahr der Unterdurchsetzung.773 Umgekehrt kann der Fall der Überprävention (over-deterrence) eintreten, wenn für private Kläger zu günstige Anreize gesetzt werden. Zu einer Unterdurchsetzung kommt es in der Regel bei Streuschäden. Für diese ist charakteristisch, dass der Einzelne nur einen geringfügigen Schaden erleidet, während der gesamtwirtschaftliche Schaden bedeutsam ist. So zahlen Verbraucher beispielsweise bei einem Preiskartell oder bei unlauterer Werbung mit leicht übertriebenen Mengenangaben einen erhöhten Preis, der individuell betrachtet sehr gering und typischerweise weit unter den Kosten einer Klage liegt. Rationale Marktteilnehmer verzichten daher in aller Regel auf die klageweise Durchsetzung ihrer Ansprüche (sog. rationale Apathie). Die Summe der verursachten Einzelschäden ist demgegenüber regelmäßig sehr hoch. Vom Standpunkt der optimalen Rechtsdurchsetzung müsste der Schädiger mit dem gesamten Schaden unter Berücksichtigung der erzielten Gewinne belastet werden. Die individuelle Rechtsdurchsetzung kann dieser Forderung nicht Rechnung tragen. Da der Einzelne gar kein Interesse an der Rechtsverfolgung hat, gehen von der privaten Rechtsdurchsetzung zu geringe Sanktionen aus, um Unternehmen vor Normverstößen wirklich abzuschrecken. Ein weiteres Problem betrifft sog. Trittbrettfahrereffekte (free riding problem). Gibt es mehrere Betroffene, besteht für jeden Anspruchsberechtigten der Anreiz 770

  Jones, (2004) 27 World Competition 13, 21.   Cohen/Rubin, (1985) 3 Yale Journal on Regulation, 167, 169 ff.; Posner, Econcomic Analysis of Law, 5. Aufl., 1998, § 22.3. Zum politischen Druck bei Fusionskontrollen Möschel, WuW 2007, 483, 488. 772   Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S. 391 ff.; Segal/Whinston, (2007) 28 ECLR 306, 312 ff. 773   Das Problem der Unterdurchsetzung wird abgemildert, soweit Personen aus altruistischen Motiven handeln, wie dies z. B. im Umweltrecht der Fall ist; Rose, (2008) 108 Colum. L. Rev. 1301, 1338 f. 771

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abzuwarten, dass die Anderen die nötigen Aufwendungen tätigen und eine Klage bei Gericht erheben, um danach als Trittbrettfahrer von einer erfolgreichen Klage zu profitieren. Dieses Verhalten kann dazu führen, dass insgesamt weniger Klagen erhoben werden als zur wirksamen Durchsetzung eigentlich erforderlich wäre.774 Darüber hinaus kann es sein, dass private Wirtschaftsteilnehmer ihre Ansprüche nicht weiter verfolgen, weil sie ihre bestehenden Geschäftsbeziehungen nicht gefährden wollen oder Vergeltungsmaßnahmen fürchten. Zu einer Unterdurchsetzung kommt es ferner bei Schäden, die sich nicht individuell zuordnen lassen. So führt ein Preiskartell regelmäßig dazu, dass die Nachfrage aufgrund der überhöhten Preise zurückgeht, weil die Konsumenten entweder andere Güter erwerben oder vom Erwerb ganz Abstand nehmen. Die hieraus entstehenden Wohlfahrtsverluste sind als deadweight loss für die Gesellschaft unwiederbringlich verloren, denn sie begründen regelmäßig keinen ersatzfähigen Schaden im Sinne des Schadensersatzrechts.775 Gleiches gilt für sonstige gesamtwirtschaftliche Verluste, wie beispielsweise den durch adverse Selektionsprozesse bedingten Qualitätsverlust der angebotenen Produkte, der bei asymmetrischer Informationsverbreitung eintritt.776 Bei derartigen Schäden fehlt es mangels Koinzidenz von Normverstoß und Individualbeeinträchtigung regelmäßig bereits an einem geeigneten rechtstechnischen Ansatzpunkt. Rationales Desinteresse und Trittbrettfahrereffekte können überwunden werden, wenn zusätzliche Anreize für die private Rechtsdurchsetzung gesetzt werden, beispielsweise durch Multiplikation der zu ersetzenden Schäden, durch Gewinnabschöpfungsansprüche und/oder die Bündelung von Einzelansprüchen in Form von Gruppen- oder Verbandsklagen. Derartige Instrumente leisten einen wichtigen Beitrag für die private Normdurchsetzung. Es besteht jedoch die Gefahr, dass es aufgrund der in Aussicht gestellten Haftungssummen und vorteilhaften Prozessbedingungen zu einer unerwünschten Überabschreckung kommt. Die behördliche Rechtsdurchsetzung kann demgegenüber sehr viel besser auf bestimmte strategische Ziele hin orientiert und in ihrer Intensität genauer dosiert werden. c) Festsetzung der optimalen Sanktion Ein genereller Steuerungsvorteil des öffentlichen Rechts besteht darin, dass staatliche Behörden wirtschafts- und wettbewerbspolitische Ziele besser durchsetzen können als private Akteure.777 Aufsichtsbehörden verfügen über ein weites Entschließungsermessen, das sie in Abhängigkeit zum Allgemeininteresse ausüben können. Sie können entscheiden, ob sie von Amts wegen tätig werden, einer Beschwerde nachgehen, Untersuchungsmaßnahmen einleiten, Sanktionen ergreifen oder von Maßnahmen gänzlich absehen. Im Rahmen ihres Auswahlermessens können sie ferner zwischen verschiedenen Sanktionsarten wählen und die Höhe der zu verhängenden Sanktion 774   Landes/Posner, (1975) 4 J. Legal Stud. 1, 29 ff.; van den Bergh/Keske, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 17, 21. 775   van den Bergh/Keske, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 17, 20. Nach Ansicht der Monopolkommission können Zwischenhändler dagegen auch diejenigen Schäden ersetzt verlangen, die durch einen Nachfragerückgang entstehen; vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 41 zur 7. GWB-Novelle, 2004, Rn. 62 ff. 776   Akerlof, (1970) 84 Quarterly Journal of Economics 488. 777   Hecker, Marktoptimierende Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 101 f.

C. Das Effektivitätsgebot

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so bestimmen, dass eine effektive Abschreckung und zugleich ein effizientes Durchsetzungsniveau erreicht wird. Die private Rechtsdurchsetzung kann auf kein vergleichbares Arsenal zurückgreifen. Es ist nicht Aufgabe der Zivilgerichte, anhand außerrechtlicher Zweckmäßigkeitserwägungen Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik zu betreiben.778 Der Richter ist im Zivilverfahren an die Anträge der Parteien gebunden,779 er kann nur die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen aussprechen.780 Insbesondere mit Blick auf die Höhe der finanziellen Sanktionen bleibt die private Rechtsdurchsetzung hinter den Möglichkeiten des öffentlichen Rechts zurück: Staatliche Behörden können die Höhe finanzieller Sanktionen auf der Grundlage der entstandenen Schäden (einschließlich des deadweight loss) berechnen und einen Multiplikator einsetzen, der die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung und Verfolgung berücksichtigt. Private Schadensersatzansprüche werden demgegenüber in der Regel auf der Grundlage des Schadens berechnet, den der Betroffene beweisen kann. Allgemeine Wohlfahrtsverluste sind nicht ersatzfähig. Ein einfacher Schadensersatz berücksichtigt hiervon abgesehen nicht den erforderlichen Multiplikator, der die Entdeckungs- und Durchsetzungswahrscheinlichkeit abbildet. In den USA bilden treble damages eine Antwort auf dieses Problem.781 Die Verdreifachung des Schadensersatzes im Kartellrecht beruht indessen auf der groben Schätzung, dass die Durchsetzungswahrscheinlichkeit bei 1/3 liegt. Dies entspricht nicht der Wirklichkeit. Aus ökonomischer Sicht vorzugswürdig sind flexible Multiplikatoren, die berücksichtigen, dass einige Verstöße leichter aufzudecken und dementsprechend einen niedrigeren (oder überhaupt keinen) Multiplikator haben müssen, während andere, schwer aufzudeckende Verstöße einen höheren Multiplikator benötigen.782 Die Handhabung flexibler Multiplikatoren ist bereits für Aufsichtsbehörden schwierig zu bewältigen. Die Zivilgerichte wären ganz offensichtlich überfordert. Kaum ein Zivilgericht könnte ohne sachverständige Hilfe ermitteln, wie hoch die konkrete Durchsetzungswahrscheinlichkeit aus Sicht des Schädigers ex ante ist, um den Ersatzbetrag sodann mit dem Kehrwert dieser konkreten Wahrscheinlichkeit zu multiplizieren.783 Ein Grundproblem der privaten Rechtsdurchsetzung besteht schließlich in der Kopplung von Sanktionshöhe und Sanktionswahrscheinlichkeit: Die Wahrscheinlichkeit privater Initiative hängt entscheidend von der Sanktionshöhe ab. Eine höhere Sanktion verstärkt nicht nur direkt die Abschreckungswirkung, sondern führt zugleich zu einem größeren Anreiz für Private, ihre Ansprüche außergerichtlich und gerichtlich durchzusetzen. Die Abschreckungswirkung wird damit potenziert, nämlich einerseits durch die höhere Sanktion und andererseits durch die höhere Durchsetzungswahrscheinlichkeit. Dieser Wirkungsmechanismus erschwert eine gezielte 778   Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 305. Vgl. auch Baur, in: FS Großfeld, S. 73, 75. 779   Für das deutsche Recht vgl. § 308 Abs. 1 ZPO. 780   Dies gilt vor allem für das deutsche Recht und andere kontinentaleuropäische Rechtsordnungen. Im englischen sowie im US‑amerikanischen Verfahren der equity verfügt der Richter dagegen bei Festlegung der Rechtsfolgen über einen Ermessensspielraum; Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235, 243. 781   Seit Inkrafttreten des Sherman Antitrust Act (1890) wird dem Geschädigten das Dreifache des erlittenen Schadens zugesprochen. 782   Posner, Antitrust Law, 2. Aufl., 2001, S. 272. 783   G. Wagner, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 605, 648.

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Steuerung des Marktverhaltens. Da von einem einfachen Schadensersatz keine ausreichende Abschreckungswirkung ausgeht, müssen Multiplikatoren eingesetzt werden. Mit einem überkompensatorisch berechneten Schadensersatz steigt indessen das Risiko missbräuchlicher Klagen.784 Kläger werden dazu motiviert, auch unberechtigte oder mit geringer Wahrscheinlichkeit berechtigte Schadensersatzklagen zu erheben. Damit wächst die Gefahr, dass sich auch wettbewerbskonform handelnde Unternehmen auf Vergleiche einlassen, allein um die noch höheren Kosten eines Gerichtsverfahrens zu vermeiden. Die Kopplung zwischen Sanktionshöhe und Sanktionswahrscheinlichkeit verhindert zudem, dass bei der privaten Rechtsdurchsetzung ein ökonomisch effizienter Ausgleich zwischen dem Nutzen und den Kosten der Rechtsdurchsetzung erzielt werden kann. Staatliche Behörden können Rechtsdurchsetzungskosten einsparen, indem sie weniger Rechtsverstöße verfolgen, gleichzeitig aber schärfere Sanktionen vorsehen.785 Der privaten Rechtsdurchsetzung steht diese Möglichkeit nicht zur Verfügung. Da Sanktionshöhe und Durchsetzungswahrscheinlichkeit nicht unabhängig voneinander bestimmt werden können, führen schärfere Sanktionen zugleich zu einer verstärkten Verfolgungstätigkeit Privater und damit zu höheren sozialen Kosten durch den übermäßigen Ressourceneinsatz.786 Als Lösung ist vorgeschlagen worden, Sanktion und Entschädigung voneinander abzukoppeln (sog. decoupling), indem der Beklagte dazu verpflichtet wird, einen Teil des zu zahlenden Betrages nicht an den Kläger, sondern an die öffentliche Hand abzuführen.787 Dieser Vorschlag ist in der Praxis kaum realisierbar. Die optimale Kombination aus einem vom Beklagten zu zahlenden Sanktionsbetrag und dem an den Kläger auszuschüttenden Entschädigungsbetrag müsste ständig an den jeweiligen Informations- und Erkenntnisstand angepasst werden. Dies kann weder vom Gesetzgeber noch von den Zivilgerichten geleistet werden.788 Das decoupling verstärkt zudem die Anreize zu einem kollusiven Zusammenwirken zwischen Schädiger und Geschädigtem. Fließt ein Teil des Sanktionsbetrags an die öffentliche Hand, ist es für beide Parteien besser, einen außergerichtlichen Vergleich abzuschließen, bei dem sich der Schädiger zur Zahlung einer Summe verpflichtet, die unterhalb des Sanktionsbetrags, aber oberhalb des Entschädigungsbetrags liegt.789 3. Private Rechtsdurchsetzung als komplementäres Steuerungsinstrument Aus ökonomischer Perspektive sprechen nach dem zuvor Gesagten die überwiegenden Argumente dafür, dass staatliche Behörden Marktverhaltensnormen in aller Regel effizienter durchsetzen können als Private. Einige Autoren halten daher die von der 784   In den USA wird das Problem der unbegründeten Klagen in der Praxis als das Hauptproblem identifiziert; Snyder/Kauper, (1991) 90 Michigan Law Review 551 ff. 785   Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S. 484. 786   Landes/Posner, (1975) 4 J. Leg. Stud. 1, 24 f. 787   Becker/Stigler, (1974) 3 J. Leg. Stud. 1, 16; W. Schwarz, (1980) 68 Geo. L. J. 1075; Polinsky, (1986) 74 Geo. L. J. 1231. Alternativ wurde vorgeschlagen, dass die Wahrscheinlichkeit privater Klagen durch staatliche Zuzahlungen an die privaten Kläger gesteigert werden sollte; Polinsky, (1980) 9 J. Leg. Stud. 105 ff., 107, 114 f. 788   Rose, (2008) 108 Columbia Law Review 1301, 1328 f.; G. Wagner, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 605, 652. 789   Landes/Posner, (1975) 4 J. Leg. Studies 1, 24 f.

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Europäischen Kommission und vom EuGH für viele Rechtsgebiete favorisierte Stärkung der privaten Rechtsdurchsetzung schon vom Ansatz her für verfehlt.790 Eine planmäßige, effektive öffentliche Aufsicht sei der zivilgerichtlichen Anspruchsdurchsetzung im Einzelfall immer überlegen. Anstatt die private Rechtsdurchsetzung zu stärken, solle lieber darüber nachgedacht werden, wie die staatliche Aufsicht effektiver gestaltet und ggf. durch schärfere (ggf. auch kriminalstrafrechtliche) Sanktionen ergänzt werden könnte.791 Nach dem hier vertretenen Modell der wechselseitigen Auffangordnungen stehen behördliche Aufsicht und private Rechtsdurchsetzung dagegen in einem Ergänzungsverhältnis. Die private Rechtsdurchsetzung ist bereits deswegen unabdingbar, weil nur auf diese Weise die vom Unionsrecht verliehenen Rechte in effektiver Weise gewahrt werden können. Eine vollständige Vermeidung von Normverstößen ist selbst in einem optimalen System der Normdurchsetzung nicht zu erwarten. Das grundsätzliche Bedürfnis nach Kompensation neben der Prävention bleibt bestehen. Staatliche Behörden verfügen über begrenzte Ressourcen und werden zudem erst dann tätig, wenn ein Vorgehen gegen das rechtswidrig handelnde Unternehmen im öffentlichen Interesse liegt. Der Einzelne hat in der Regel nur die Möglichkeit, eine Beschwerde zu erheben, nicht aber einen Anspruch darauf, dass die Behörden tätig werden. Seinem berechtigten Interesse am Ersatz entstandener Schäden kann nur durch eine Schadensersatzklage Rechnung getragen werden.792 Der Gerichtshof betont daher, dass die dem Einzelnen vom Unionsrecht verliehenen Schadensersatzansprüche nicht ausschließlich oder in erster Linie dem Kollektivinteresse an einer dezentralen Kontrolle und Durchsetzung des Unionsrechts dienen, sondern vor allem der Kompensation erlittener Nachteile.793 Die private Rechtsdurchsetzung kann darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur Verhaltenssteuerung durch Prävention leisten. Aufsichtsbehörden sind in besonderem Maße darauf angewiesen, durch privat initiierte Rechtsdurchsetzung entlastet zu werden. Die Vorteile der dezentralen, privaten Durchsetzung kommen insbesondere bei der Aufdeckung von Normverstößen zum Tragen. Private Parteien verfügen aufgrund ihrer Marktnähe oftmals über Informationen, die von einer Behörde nur mit erheblichem Aufwand beschafft werden können. Die von einem Normverstoß Betroffenen haben, sofern keine Bagatellschäden vorliegen, ein vitales Eigeninteresse, 790   Besonders pointiert für das Wettbewerbsrecht Wils, (2003) 26 World Competition 473 ff.; ders., Principles of Antitrust Enforcement, 2005, S. 111 – 127; Alfaro Águila-Real, InDret 3/2009. Gegen die von Wils vorgetragenen Argumente Jones, (2004) 27 World Competition 13 ff.: „Academic arguments against private enforcement based on misapplication of economic theory do not justify elimination or discouragement of private actions. The theoretical economic arguments presented in favour of such elimination or discouragement are weak, insufficient, and lack an observable basis in the real world.“ 791   Für die unionsweite Einführung kriminalstrafrechtlicher Sanktionen im EU‑Wettbewerbsrecht vor allem Wils, ECLA 2003, S. 411 ff.; Alfaro Águila-Real, InDret 3/2009, S. 29. Wagner-von Papp, in: Möschel/Bien (Hrsg.), Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadensersatzklagen?, 2010, S. 267 ff., plädiert dafür, in Deutschland horizontale hardcore-Kartelle zu kriminalisieren. 792   Eine indirekte Kompensation durch Umverteilung öffentlicher Geldbußen trägt demgegenüber nicht dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung. Die direkte Kompensation Geschädigter im Wege der Zivilklage dürfte aus ökonomischer Sicht zudem effizienter sein als eine indirekte Kompensation durch öffentlich-rechtliche Umverteilung; Krüger, Öffentliche und private Durchsetzung des Kartellverbots von Art. 81 EG, 2007, S. 320. 793   Im Einzelnen supra, § 3 D.I.3.c.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

rechtswidrige Handlungen aufzudecken und gegen diese vorzugehen. Mit einer eigenständigen Zivilklage werden zusätzliche Informationen über mögliche Normverstöße generiert, die ohne diese Klage nicht bereitgestellt worden wären.794 Die Aufsichtsbehörden können aus den durchgeführten Zivilverfahren wertvolle Hinweise erlangen und daraus Konsequenzen für die eigene Aufsichtstätigkeit ableiten.795 Zivilverfahren tragen auf diese Weise dazu bei, dass mehr Informationen genutzt werden als in einem System, das sich ausschließlich auf eine öffentlich-rechtliche Regulierung stützt. Dadurch erhöht sich aus der Sicht der Normadressaten zugleich ex ante der Abschreckungseffekt. Ob private Klagen in ökonomisch effizienter Weise für sich genommen zur Prävention beitragen können, hängt demgegenüber davon ab, ob es gelingt, private und gesellschaftlich wünschenswerte Anreize in Übereinstimmung zu bringen. Besonders gut geeignet ist die Zivilrechtsklage in Fällen, in denen der private Schaden des Klägers dem vom Schädiger verursachten gesellschaftlichen Schaden entspricht. Je weiter privates und gesellschaftliches Interesse divergieren, desto eher ist dagegen die öffentlich-rechtliche Normdurchsetzung zu bevorzugen.

VI. Ergebnis Das Effektivitätsgebot ist vom Grundsatz der praktischen Wirksamkeit (effet utile) abzugrenzen. Der Grundsatz des effet utile wird vom EuGH zur Auslegung und Fortbildung des Unionsrechts verwendet, um unionsweit einheitliche Vorgaben aufzustellen. Das Gebot der Effektivität greift demgegenüber erst dann, wenn und soweit das Unionsrecht – selbst unter Berücksichtigung einer am effet utile orientierten Auslegung – keine besonderen Vorgaben für die Durchführung des Unionsrechts aufstellt. Das Effektivitätsgebot weist sowohl eine objektiv-rechtliche als auch eine subjektiv-rechtliche Dimension auf.796 Die in Rewe begründete subjektiv-rechtliche Ausprägung zielt auf eine wirksame Durchsetzung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte des Einzelnen. Die im Fall Griechischer Maisskandal entwickelte objektiv-rechtliche Ausprägung in Gestalt der Verpflichtung zur wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionierung betrifft dagegen allgemein die Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Pflichten des Einzelnen. Zwar weisen beide Formen des Effektivitätsgebots eine unterschiedliche Stoßrichtung auf. Bei multipolaren Rechtsbeziehungen unter Behördenbeteiligung und im Privatrecht sollte der EuGH die Verbindungslinien zwischen beiden Ausprägungen jedoch stärker als bislang beachten: Stehen Rechte und Pflichten im synallagmatischen Zusammenhang, führt also jeder Rechtsgewinn des Einzelnen zu einem Rechtsverlust des anderen, so muss letztlich eine einheitliche Entscheidung darüber getroffen werden, wie gegenläufige Rechtsschutzinteressen der Parteien und das Allgemeininteresse an einer wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts auszutarieren sind. 794   Eger, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 665, 674. 795   So für das Kartellrecht Bundeskartellamt, Diskussionspapier „Private Kartellrechtsdurchsetzung“, 2004, S. 3. 796  Hierzu supra, § 4 C.I.2.

C. Das Effektivitätsgebot

325

Die subjektiv-rechtliche Ausprägung des Effektivitätsgebots (Rewe-Effektivitätsgebot) wird seit der Johnston-Entscheidung durch das Gemeinschafts- bzw. Unionsgrundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verstärkt und seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags zugleich primärrechtlich in Art. 47 GRC kodifiziert. Anders als gemeinhin angenommen, ist das Rewe-Effektivitätsgebot immer noch nicht mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz zu einem einheitlichen Rechtsinstitut verschmolzen.797 Auch in dogmatischer Hinsicht sprechen gute Gründe für eine klare Unterscheidung. Während das Rewe-Effektivitätsgebot der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten negativ in Form eines Vereitelungsverbots äußere Schranken setzt, sollen die Unionsgrundrechte positiv einen bestimmten Rechtsschutzstandard im Anwendungsbereich des Unionsrechts etablieren. Vor diesem Hintergrund wäre es weitaus transparenter, wenn der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung stärker zwischen dem Rewe-Effektivitätsgebot und dem Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz differenzierte. Der EuGH stellt in seiner Rechtsprechung sowohl für das objektiv-rechtliche als auch für das subjektiv-rechtliche Effektivitätsgebot auf die praktische Wirksamkeit mitgliedstaatlicher Maßnahmen ab. Da die Pflicht zur wirksamen Durchsetzung stets akzessorisch zu einer Unionsnorm ist, deren effektive Durchsetzung angestrebt wird, ist die Effektivität mitgliedstaatlicher Maßnahmen in der Regel kontextbezogen zu ermitteln.798 Inhaltlich gesehen zielt das Effektivitätsgebot allein darauf ab, eine Mindesteffektivität sicherzustellen. Nicht jede Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit verstößt daher gegen das Effektivitätsgebot. Nationales Recht muss die Durchsetzung des Unionsrechts vielmehr in qualifizierter Form behindern. Inwieweit die Durchsetzung des Unionsrechts vereitelt wird, bemisst sich nach einer Reihe von Faktoren.799 Entscheidend sind das Regelungsziel der durchzusetzenden Unionsnorm sowie die Frage, wie diese in tatsächlicher Hinsicht angewandt und durchgesetzt wird. Daneben können auch rechtsvergleichend gewonnene Erkenntnisse sowie Leitbilder von Bedeutung sein, wenn es darum geht, nationales Recht am Effektivitätsgebot zu messen. Mitgliedstaatliche Sanktionen müssen zudem eine abschreckende Wirkung entfalten.800 Für den Abschreckungseffekt kommt es sowohl auf die Härte der Sanktion als auch auf die Wahrscheinlichkeit an, mit der Rechtsverstöße verfolgt werden. Das Kriterium der Abschreckung zielt dabei auf Prävention, nicht jedoch auf Repression. Der Grundsatz gilt nicht nur für administrative und strafrechtliche Sanktionen, sondern auch für zivilrechtliche Rechtsbehelfe. Vom Grundsatz steht den Mitgliedstaaten jedoch ein Rechtsformenermessen zu. Dem Abschreckungsgedanken muss nicht zwangsläufig im Zivilrecht Rechnung getragen werden. Möglich ist auch, dass zivilrechtliche Rechtsbehelfe rein kompensatorische Zwecke verfolgen und darüber hinausgehende Funktionen (Abschreckung, Prävention bzw. Verhaltenssteuerung) in anderen Teilrechtsordnungen realisiert werden, beispielsweise, indem Normverstöße parallel durch Bußgeld- oder Straftatbestände sanktioniert werden.

797

 Hierzu supra, § 4 C.I.3.  Hierzu supra, § 4 C.III.1.b. 799  Hierzu supra, § 4 C.III.2. 800  Hierzu supra, § 4 C.III.3. 798

326

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz setzt der Forderung nach wirksamen und abschreckenden Sanktionen dagegen Grenzen.801 Er verhindert, dass die im mitgliedstaatlichen Recht angeordneten Sanktionen unverhältnismäßig hoch ausfallen. Diese Vorgabe ist auch im Privatrecht zu beachten. Auch die Durchsetzung subjektiv-privater Unionsrechte darf nicht einseitig nach den Maßstäben der Effektivität erfolgen. Die Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche ist vielmehr auf das zur Erreichung der vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziele erforderliche Maß zu beschränken. Trifft das geschriebene Unionsrecht keine Vorgaben zur Ausgestaltung der Rechtsbehelfe, Verfahren und Sanktionen, so können die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei entscheiden, ob Normverstöße durch strafrechtliche, verwaltungsstrafrechtliche, verwaltungsrechtliche oder zivilrechtliche Sanktionen geahndet werden. Dieses Rechtsformenermessen kann jedoch eingeschränkt sein, wenn zur Durchsetzung des Unionsrechts nur eine bestimmte Sanktion oder nur eine Kombination verschiedener Sanktionsarten sicherstellt, dass das Unionsrecht hinreichend effektiv durchgesetzt wird.802 Abschließend wurde sodann untersucht, inwieweit das Effektivitätsgebot durch das Modell der wechselseitigen Auffangordnungen künftig präzisiert werden könnte. Ausgangspunkt dieses Modells ist die Erkenntnis, dass jede Teilrechtsordnung unterschiedliche Funktionen und Steuerungsgrenzen hat. Kann eine einzige Sanktionsart allein eine effektive Durchsetzung des Unionsrechts nicht sicherstellen, so müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass diese Defizite durch flankierende Sanktionen einer anderen Teilrechtsordnung ausgeglichen werden. Zur Konkretisierung dieser Vorgaben bietet sich an, auf die Erkenntnisse der ökonomischen Theorie zurückzugreifen. Diese beschäftigt sich bereits seit längerem mit der Frage, ob Normen effizienter durch den Staat oder durch Private durchgesetzt werden können. Vor diesem Hintergrund wurden die Vor- und Nachteile staatlicher und privater Rechtsdurchsetzung skizziert. Dabei hat sich gezeigt, dass ein reines private enforcement zur Durchsetzung von Marktverhaltensnormen häufig nicht ausreicht, sondern in der Regel durch behördliche Befugnisse ergänzt werden muss.803 Zwar kann die ökonomische Analyse des Rechts keine normativ verbindlichen Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung entwickeln. Sowohl sachliche Gründe wie kompetentielle Erwägungen sprechen gegen eine einseitige Ausrichtung des Effektivitätsgebots an wohlfahrtökonomischen Zielen.804 Die (ökonomisch angereicherte) Theorie der wechselseitigen Auffangordnungen könnte jedoch dem Gesetzgeber und Richter sowohl auf Unionsebene als auch auf nationaler Ebene Bewertungsmaßstäbe an die Hand geben, mit der die verschiedenen Sanktionsinstrumente zur Durchsetzung des Unionsrechts künftig besser evaluiert werden könnten.

801

 Hierzu supra, § 4 C.III.4.  Hierzu supra, §  4 C.IV.4. – 5. 803  Hierzu supra, § 4 C.V. 804  Hierzu supra, § 4 C.V.1.c. 802

D. Das Äquivalenzgebot

327

D. Das Äquivalenzgebot I. Inhalt Der Grundsatz der Äquivalenz bzw. Gleichwertigkeit805 wurde vom EuGH bereits im Jahre 1976 in den Rechtssachen Rewe806 und Comet807 entwickelt. Nach diesem Rechtsgrundsatz dürfen nationale Normen, die der Durchführung des Unionsrechts dienen, nicht ungünstiger ausgestaltet oder ungünstiger angewendet werden als bei rein innerstaatlichen, vergleichbaren Sachverhalten. Begründet das Unionsrecht Rechte zugunsten Einzelner, so dürfen die materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Geltendmachung dieser Rechte folglich nicht ungünstiger sein als für ähnliche Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen.808 Ein Kläger, der eine unionsrechtlich begründete Rechtsposition einklagt, darf also nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der ein vergleichbares mitgliedstaatlich gewährtes Recht geltend macht. Der Grundsatz der Äquivalenz spielt darüber hinaus – auch wenn der Gerichtshof hier nicht dieselben Formulierungen verwendet809 – bei der strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Sanktionierung unionsrechtswidrigen Verhaltens eine Rolle. Seit der Entscheidung Griechischer Maisskandal810 betont der Gerichtshof, dass Verstöße gegen das Unionsrecht „nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden [müssen] wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht“. Die mitgliedstaatlichen Behörden müssen beim indirekten Vollzug des Unionsrechts zudem mit der gleichen Sorgfalt vorgehen, die sie auch bei der Durchführung entsprechender nationaler Rechtsvorschriften anwenden.811 Das Äquivalenzgebot verlangt mit anderen Worten, dass Rechtsbehelfe, Verfahren und Sanktionen zur Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten in gleicher Weise ausgestaltet und angewendet werden müssen, wie vergleichbare Normen des innerstaatlichen Rechts. Der Äquivalenzgrundsatz schreibt dabei allerdings keinen konkreten Rechtsbehelf oder eine bestimmte Sanktion vor, sondern nur eine nach den Maßstäben des nationalen Rechts gleichwertige Durchsetzung des Unionsrechts. Im Schrifttum wird daher – in Anlehnung an die frühere Terminologie des Gerichtshofs812 – auch von einem Diskriminierungsverbot gesprochen.813 805   Der EuGH spricht in Anlehnung an die englische und französische Terminologie (principle of equivalence, principe de l’équivalence) vom Äquivalenzgebot, vgl. EuGH, verb. Rs. C‑279/96 (Ansaldo Energia) Rn. 27; Rs. C‑231/96 (Edis) Rn. 34; Rs. C‑343/96 (Dilexport) Rn. 25; Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 29. Teils wird in der deutschen Sprachfassung auch der Terminus Gleichwertigkeitsgebot verwendet; vgl. EuGH, Rs. C‑61/95 (Palmisani) Rn. 27; Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 18; Rs. C‑88/99 (Roquette frères) Rn. 21; Rs. C‑91/08 (Wall) Rn. 64. 806   EuGH, Rs. 33/76 (Rewe) Rn. 5. 807   EuGH, Rs. 45/76 (Comet) Rn. 11/18. 808   EuGH, Rs. 33/76 (Rewe) Rn. 5; Rs. 45/76 (Comet) Rn. 11/18; verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 43; Rs. C‑61/95 (Palmisani) Rn. 27; Rs. C‑188/95 (Fantask) Rn. 39. 809   Die Begriffe „Äquivalenzgebot“ bzw. „Gleichwertigkeitsgebot“ werden vom EuGH nur im Zusammenhang mit der Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Rechte verwendet. 810   EuGH, Rs. 68/88 (Griechischer Maisskandal) Rn. 24. Bestätigt durch Rs. C‑58/95 (Gallotti) Rn. 14; Rs. C‑354/99 (Kommission/Irland) Rn. 46. 811   EuGH, verb. Rs. 119 & 126/76 (Lippische Hauptgenossenschaft) Rn. 8; Rs. 54/81 (Fromme) Rn. 6; verb. Rs. 146, 192 – 193/81 (BayWa) Rn. 22; verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 23. 812   Vgl. EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 19; Rs. 54/81 (Fromme) Rn. 7; Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 12 ff.; Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 75. 813  Rengeling/Middeke/Gellermann/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, 2. Aufl., 2003, § 34 Rn. 43 ff.; Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union, 1999, S. 143; Streinz,

328

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

II. Praktische Bedeutung Der Äquivalenzgrundsatz ist – ebenso wie der Effektivitätsgrundsatz – für alle drei Teilgewalten in den Mitgliedstaaten verbindlich. Er ist bei der Durchführung des Unionsrechts814 sowohl vom nationalen Gesetzgeber im Rahmen der Rechtssetzung als auch von den nationalen Behörden und Gerichten bei der Anwendung und Auslegung nationaler Rechtsnormen zu beachten. Nach dem zuvor Gesagten findet der Grundsatz allerdings nur dann Anwendung, soweit das Unionsrecht keine abschließende Regelung trifft.815 Lange Zeit kam dem Äquivalenzgrundsatz in der Rechtsprechung kaum praktische Bedeutung zu. Dies änderte sich erst Ende der 1980er Jahre, als der Gerichtshof dazu überging, aus dem Äquivalenzgebot konkretere Vorgaben für das nationale Recht herzuleiten. Inzwischen hat der Grundsatz in einer Vielzahl von EuGH-Entscheidungen eine Rolle gespielt. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs betrifft – neben der bereits erwähnten Sanktionierung unionsrechtlicher Verbots- und Gebotsnormen816 – die verwaltungsrechtliche und zivilrechtliche Rückabwicklung unionsrechtswidrig erhobener Abgaben, Gebühren und Steuern,817 die Ausgestaltung von Staatshaftungsansprüchen,818 Schadensersatzansprüche bei Verstößen gegen das Kartellverbot819 und das beihilferechtliche Durchführungsverbot820 sowie Ansprüche bei Diskriminierung.821 Der Äquivalenzgrundsatz ist darüber hinaus in zunehmendem Maße für das Verwaltungs- und Zivilprozessrecht von Bedeutung. Der Gerichtshof hat in vielen Entscheidungen Verjährungs‑, Ausschluss- und Präklusionsfristen,822 Beweisregeln,823 die Bestandskraft verwaltungsrechtlicher Entscheidungen824 sowie den Grundsatz der Rechtskraft825 am Maßstab dieses Grundsatzes gemessen. Betroffen sind zudem zentrale Prozessmaximen, wie etwa der Dispositions- oder Offizialgrundsatz, der Beibringungs- oder Untersuchungsgrundsatz und die damit zusammenhängende FS Everling, Bd. II, 1995, S. 1491, 1501. Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 304, spricht demgegenüber vom „Prinzip des nationalen Mindeststandards“. 814   Zum Begriff der Durchführung bereits supra, § 4 A.I.2. 815  Hierzu supra, § 4 C.II.4. 816   EuGH, Rs. 68/88 (Griechischer Maisskandal) Rn. 24; Rs. C‑58/95 (Gallotti) Rn. 14; Rs. C‑354/ 99 (Kommission/Irland) Rn. 46. 817   EuGH, Rs. 33/76 (Rewe) Rn. 5; Rs. 61/79 (Denkavit italiana) Rn. 25; Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 12; Rs. C‑188/95 (Fantask) Rn. 39; Rs. C‑228/96 (Aprile II) Rn. 20 ff.; Rs. C‑231/96 (Edis) Rn. 36 ff.; verb. Rs. C‑279 – 281/96 (Ansaldo Energia) Rn. 27, 29 f. 818   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 89; Rs. C‑61/95 (Palmisani) Rn. 27; Rs. C‑118/06 (Transportes Urbanos) Rn. 33 ff. Vgl. allgemein auch verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 43. 819   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 92 ff. 820   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 75. 821   EuGH, Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 29 f.; Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 36 ff.; Rs. C‑78/98 (Preston) Rn. 55 ff.; Rs. C‑268/06 (Impact) Rn. 46; Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 26 ff. 822   Vgl. EuGH, Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 40; Rs. C‑228/96 (Aprile II) Rn. 21; Rs. C‑78/98 (Preston) Rn. 35; Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 34. 823   EuGH, Rs. C‑228/98 (Dounias) Rn. 69 f. 824   EuGH, Rs. C‑453/00 (Kühne & Heitz) Rn. 28; verb. Rs. C‑392 & 422/04 (i‑21 Germany und Arcor) Rn. 62 ff., 69. 825  EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 36 f.; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 49 ff.; Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 48 ff. Sämtliche Urteile betreffen die Rechtskraft von Schiedssprüchen.

D. Das Äquivalenzgebot

329

Grundfrage, ob die nationalen Verwaltungs- oder Zivilgerichte aufgrund des Äquivalenzgrundsatzes berechtigt und unter Umständen sogar verpflichtet sind, das zur Durchführung des Unionsrechts dienende nationale Recht von Amts wegen (ex officio) anzuwenden.826

III. Normative Verankerung im allgemeinen Diskriminierungsverbot Der EuGH hat den Äquivalenzgrundsatz in seiner früheren Rechtsprechung gemeinsam mit dem Effektivitätsgrundsatz aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV; ex Art. 10 EG) abgeleitet.827 Im Anschluss an die Entscheidung Griechischer Maisskandal828 wurde der Grundsatz mit dem Maastrichter Vertrag speziell für die Betrugsbekämpfung im EG‑Vertrag verankert. In Art. 325 Abs. 2 AEUV (ex 280 Abs. 2 EG) werden die Mitgliedstaaten nunmehr ausdrücklich dazu verpflichtet, zum Schutz der finanziellen Interessen der Union die gleichen Maßnahmen zu treffen, die sie auch zur Bekämpfung von Betrügereien gegen ihre eigenen finanziellen Interessen ergreifen. Der Gerichtshof sieht hierin eine Konkretisierung der bereits aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Pflichten.829 Der Äquivalenzgrundsatz wird darüber hinaus in den Konferenzerklärungen zum Maastrichter Vertrag mit Blick auf die Durchsetzung des Sekundärrechts erwähnt.830 Zum Teil hat der Grundsatz auch in Richtlinien seinen Niederschlag gefunden.831 In neueren Entscheidungen stellt der EuGH einen Zusammenhang zum grundrechtlich gewährleisteten Recht auf effektiven Rechtsschutz her. Die Erfordernisse in Bezug auf die Äquivalenz und Effektivität seien – so der Gerichtshof – „Ausdruck der allgemeinen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den gerichtlichen Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten.“832 Der Rechtsschutzauftrag der einzelstaatlichen Gerichte wird dabei nicht mehr allein aus der Mitwirkungspflicht der Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 3 EUV) hergeleitet,833 sondern als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts verstanden, der sich aus der gemeinsamen 826   Für den Verwaltungsprozess EuGH, Rs. C‑72/95 (Kraajeveld) Rn. 57 f.; verb. Rs. C‑222 – 225/05 (van der Weerd u. a.) Rn. 28 ff. Für den Zivilprozess EuGH, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel und van Veen) Rn. 13 f.; Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 37; Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 35 ff.; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 49 ff.; Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 48 ff. 827   Vgl. EuGH, Rs. 33/76 (Rewe) Rn. 5; Rs. 45/76 (Comet) Rn. 11/18. So auch G/H/N/v. Bogdandy/Schill, 58. EL, 2016, Art. 4 EUV Rn. 84; Calliess/Ruffert/Kahl, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 4 EUV Rn. 65. Anders v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 347, mit Fn. 34 (Hinweis des EuGH auf Art. 10 EG erfasst nur das „ob“ der Durchführungspflicht von Gemeinschaftsrecht). 828   EuGH, Rs. 68/88 (Griechischer Maisskandal). 829   EuGH, Rs. C‑186/98 (Nunes) Rn. 13. 830   Vgl. III. Schlussakte mit Erklärungen zum Vertrag über die Europäische Union, Erklärung Nr. 19. 831  Für das Antidiskriminierungsrecht vgl. etwa Art. 8 Abs. 2 Rahmen-RL 2000/78, Art. 8e Abs. 2 RL 76/207 i. d. F. der RL 2002/73, Art. 6 Abs. 2 RL 2000/43 und Art. 7 Abs. 2 RL 2004/113. Das dort vorgesehene Verschlechterungsverbot untersagt den Mitgliedstaaten, die Richtlinienumsetzung für eine Absenkung des im nationalen Recht bereits garantierten allgemeinen Schutzniveaus zu nutzen. Zum Vergaberecht siehe Art. 1 Abs. 2 Rechtsmittel-RL 89/665; hierzu GA Kokott, SchlA, Rs. C‑454/06 (Pressetext Nachrichtenagentur) Rn. 155. 832   EuGH, Rs. C‑317/08 (Alassini) Rn. 49. Zuvor bereits EuGH, Rs. C‑268/06 (Impact) Rn.  47 – 48; Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 44. 833   So noch EuGH, Rs. 33/76 (Rewe) Rn. 5; Rs. 45/76 (Comet) Rn. 11/18.

330

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten ergibt, in den Art. 6 und 13 EMRK verankert ist und nunmehr auch in Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV und Art. 47 GRC seinen Ausdruck gefunden hat.834 Mit dieser Einordnung gelingt es dem Gerichtshof indessen nicht, den spezifischen Gewährleistungsgehalt des Äquivalenzgebots zu erfassen. Der Grundsatz der Äquivalenz zielt nicht im Allgemeinen auf einen effektiven Rechtsschutz ab, sondern verlangt im Speziellen, dass das nationale Recht in nichtdiskriminierender Weise auf die Durchsetzung unionsrechtlich determinierter und vergleichbarer nationaler Sachverhalte angewendet wird. Überzeugender erscheinen daher diejenigen Urteile, in denen der Gerichtshof den Grundsatz der Äquivalenz ausdrücklich als eine Ausprägung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes bezeichnet,835 demzufolge vergleichbare Situationen nur dann unterschiedlich behandelt werden dürfen, wenn eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt ist.836 Eine explizite Rückbindung an den Gleichheitsgrundsatz hätte den Vorteil, dass der Äquivalenzgrundsatz in die Normstruktur allgemeiner Gleichheitsrechte einbettet wäre, so dass (stärker als bislang) zwischen den unterschiedlichen Formen der Ungleichbehandlung und möglichen Rechtfertigungsgründen unterschieden werden könnte. Die Rechtsprechung trägt dem bislang zu wenig Rechnung. Der Gerichtshof differenziert bei Anwendung des Äquivalenzgrundsatzes regelmäßig nicht zwischen unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen.837 Auch die Frage einer möglichen Rechtfertigung wird zumeist nicht thematisiert.838

IV. Zusammenwirken von Äquivalenz- und Effektivitätsgebot Die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität sind kumulativ zu beachten.839 Steht eine nationale Regelung im Einklang mit dem Äquivalenzgrundsatz, so kann sie dennoch gegen den Effektivitätsgrundsatz verstoßen. So dürfen etwa Beweisregeln840 und Ausschluss- oder Präklusionsfristen,841 die eine Durchsetzung unionsrechtlich 834   Vgl. EuGH, Rs. C‑268/06 (Impact) Rn. 43, mit Verweis auf EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 37. 835   EuGH, Rs. C‑34/02 (Pasquini) Rn. 70; Rs. C‑35/05 (Reemtsma Cigarettenfabriken) Rn. 44. Für diese Einordnung auch v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 348; Herb, Zivilprozess, 2007, S. 191; König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 93 f. Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 269, sieht im Äquivalenzgrundsatz dagegen eine Ausformung der gegenseitigen Anerkennung als gleichwertig. 836   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑81/05 (Cordero Alonso) Rn. 37 m. w. N. 837   Im Schrifttum besteht demgegenüber Einigkeit, dass der Gleichwertigkeitsgrundsatz sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierungen umfasst; Dougan, National Remedies, 2004, S. 25; Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 426. Auch der EuGH scheint hiervon auszugehen, denn nach der Rechtsprechung kann nicht nur die Ausgestaltung, sondern auch die Anwendung nationaler Normen einen Verstoß gegen das Äquivalenzgebot begründen; vgl. EuGH, Rs. C‑542/08 (Barth) Rn.  23 – 27. 838   Der Gerichtshof behandelt Rechtfertigungsgründe, wenn überhaupt, bislang nur im Rahmen der Frage, ob eine Ungleichbehandlung vorliegt; vgl. etwa EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 23 a. E. 839   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 17, sowie GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 15. Vgl. auch Tridimas, in: Kilpatrick/Novitz/Skidmore (Hrsg.), The Future of Remedies in Europe, 2000, S. 35, 49, der anschaulich davon spricht, dass die Gebote der Äquivalenz und Effektivität als „double shield“ wirken. Dagegen soll nach GA Darmon, SchlA, Rs. 94/87 (Kommission/ Deutschland) Rn. 10, der Effektivitätsgrundsatz gegenüber dem Äquivalenzgebot Vorrang haben. 840   Siehe z. B. EuGH, Rs. 109/88 (Danfoss) Rn. 14. 841   Siehe z. B. EuGH, Rs. C‑312/93 (Peterbroeck) Rn. 21.

D. Das Äquivalenzgebot

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begründeter Rechte praktisch unmöglich machen, selbst dann nicht angewendet werden, wenn die betreffenden Vorschriften gleichermaßen für innerstaatliche Sachverhalte gelten. Das Effektivitätsgebot erfordert vielmehr, dass dem Betroffenen ein gegenüber dem sonstigen nationalen Recht besserer Rechtsschutz gewährt wird. Die Mitgliedstaaten können sich somit ihrer Pflicht zur effektiven Durchsetzung des Unionsrechts nicht mit dem Hinweis entziehen, dass im rein innerstaatlichen Recht die gleichen (für den Kläger ebenfalls ungünstigen) Regelungen gelten. Umgekehrt kann eine mit dem Effektivitätsgrundsatz zu vereinbarende nationale Regelung gleichwohl gegen den Äquivalenzgrundsatz verstoßen. So verlangt der Effektivitätsgrundsatz beispielsweise nach Auffassung des EuGH nicht, dass dem Geschädigten im Rahmen eines Staatshaftungsanspruchs oder eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs ein Strafschadensersatz zugesprochen werden muss.842 Dennoch muss ein derartiger Schadensersatz nach dem Äquivalenzgrundsatz gewährt werden, wenn er bei vergleichbaren, auf das innerstaatliche Recht gegründeten Klagen zugesprochen werden müsste.843 Der Grundsatz der Äquivalenz kann in diesen Fällen also dazu führen, dass ein höherer nationaler Schutzstandard auf Rechtsbehelfe zur Durchsetzung des Unionsrechts erstreckt werden muss.844 Aus der unterschiedlichen Schutzrichtung der Gebote der Effektivität und Äquivalenz ist im Schrifttum geschlossen worden, dass zwischen beiden Geboten ein unauflösbarer Widerspruch bestehe. Während das Effektivitätsgebot auf eine Harmonisierung der Rechtsschutz- und Sanktionssysteme in den Mitgliedstaaten ziele, verfestige das Äquivalenzgebot die bestehenden Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, da es eine Gleichbehandlung unionsrechtlicher Sachverhalte und rein innerstaatlicher Sachverhalte fordere.845 Dieser Einwand ist nur zum Teil berechtigt. Der Grundsatz der Äquivalenz beinhaltet kein umfassendes, sondern ein eindimensional wirkendes Diskriminierungsverbot. Er verbietet lediglich eine ungünstigere Behandlung unionsrechtlich determinierter Sachverhalte. Die Mitgliedstaaten dürfen bei der Durchsetzung von Unionsrechten also nicht unter das Rechtsschutzniveau zurückfallen, das sie bei innerstaatlichen Sachverhalten erreicht haben. Eine im Vergleich zum nationalen Recht günstigere Behandlung unionsrechtlicher Sachverhalte ist demgegenüber zulässig, denn eine Inländerdiskriminierung ist nach dem Unionsrecht grundsätzlich nicht zu beanstanden.846 Den Mitgliedstaaten bleibt es daher unbenommen, für unionsrechtliche Konstellationen ein gegenüber dem nationalen Recht höheres Schutzniveau zu gewähren. Der Äquivalenzgrundsatz perpetuiert die zwischen den Rechtsordnungen bestehenden Unterschiede daher nur insoweit, als das nationale Recht einen im Vergleich zum Unionsrecht besseren Rechtsschutz gewährt.

842   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 88; verb. Rs. C‑295 –  298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 92 ff. 843   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 90; verb. Rs. C‑295 –  298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 93 und 99. 844  Kritisch Himsworth, ELRev. 1997, 291, 309. 845   Streinz, HStR VII, 1992, § 182 Rn. 25. Ihm folgend v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, 1996, S. 346 ff. Vgl. auch Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 118 f. 846   So auch Lange, Erstattung, 2008, S. 113 f.; Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 1825; König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 94.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

V. Voraussetzungen für einen Verstoß gegen das Äquivalenzgebot 1. Aufgabenverteilung zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten Der Grundsatz der Äquivalenz greift nur dann ein, wenn die auf dem Unionsrecht beruhende Klage mit einer rein innerstaatlichen Klage vergleichbar ist. Dies führt zu der schwierigen Frage nach dem tertium comparationes: Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, um sagen zu können, dass eine Entsprechung zwischen zwei Klagen besteht? – Offensichtlich ist, dass die Bestimmung des Vergleichsmaßstabs von entscheidender Bedeutung ist. Je weiter der Kreis der innerstaatlichen Klagen gezogen wird, mit denen die Klage zum Zwecke der Ausübung eines auf dem Unionsrecht beruhenden Rechts verglichen werden soll, desto eher wird die Ausübung dieses Rechts letztlich begünstigt. GA Léger meinte daher bereits in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Levez, dass es sich um eine politische Entscheidung handele, die in das Ermessen der mitgliedstaatlichen Gerichte zu stellen ist.847 Hiervon abgesehen ist die im Primärrecht vorgesehene Aufgabenverteilung zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten zu berücksichtigen. Nach Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV sichert der Gerichtshof die Wahrung des Unionsrechts bei der „Auslegung und Anwendung der Verträge“; in Vorabentscheidungsverfahren entscheidet er gem. Art. 19 Abs. 3 lit. b EUV nur „über die Auslegung des Unionsrechts“. Dem EuGH steht dagegen nicht die Befugnis zu, über die Auslegung nationalen Rechts zu befinden.848 In aller Regel kann jedoch nur durch Auslegung nationalen Rechts ermittelt werden, ob zwei im nationalen Recht vorgesehene Rechtsschutzmöglichkeiten miteinander vergleichbar sind. Der Gerichtshof betont daher seit Levez,849 dass es grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte ist, zu prüfen, ob die Verfahrensmodalitäten, die im innerstaatlichen Recht den Schutz der Rechte gewährleisten sollen, den die Bürger aufgrund des Unionsrechts genießen, dem Äquivalenzgebot entsprechen. Der EuGH kann andererseits, wenn er im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens entscheidet, gegebenenfalls Klarstellungen vornehmen, um dem nationalen Gericht eine Leitlinie für seine Auslegung zu geben.850 Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof allgemeine Kriterien entwickelt, die das nationale Gericht bei der Bildung geeigneter Vergleichsgruppen zu berücksichtigen hat. 2. Vergleichsfähiges innerstaatliches Recht: „Rein“ nationales Recht Um festzustellen, ob der Äquivalenzgrundsatz gewahrt ist, muss das nationale Gericht die zur Durchsetzung des Unionsrechts anwendbaren Vorschriften mit denjenigen vergleichen, die zur Durchsetzung „rein“ nationalen Rechts erlassen worden sind. Der Grundsatz der Äquivalenz setzt stets einen Vergleich zwischen europäischem und nationalem Recht voraus. Rechtsnormen, die der Durchsetzung ein und derselben Vorschrift des Unionsrechts dienen, können daher nicht miteinander verglichen werden.851 Dementsprechend kann beispielsweise eine Klage, die im Vereinigten Königreich unmittelbar 847

  GA Léger, SchlA, Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 30.   EuGH, Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 49. 849   EuGH, Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 39. Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 33; Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 49. 850   EuGH, Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 49. 851   EuGH, Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 46 – 49; Rs. C‑78/98 (Preston) Rn. 51. GA Kokott, SchlA, Rs. C‑268/06 (Impact) Rn. 69, leitete aus dem Äquivalenzgebot demgegenüber ab, dass die Bedin848

D. Das Äquivalenzgebot

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auf Art. 157 AEUV (ex Art. 119 EWGV) gestützt wird, nicht mit einer Klage nach dem Equal Pay Act verglichen werden, denn der Equal Pay Act dient gerade der Durchsetzung des in Art. 157 AEUV normierten Verbots der Entgeltdiskriminierung.852 Ungeklärt ist, ob nationales Recht eine geeignete Vergleichsgrundlage bilden kann, wenn die betreffende Norm nicht der Durchsetzung der in Frage stehenden Unionsnorm dient, sondern anderweitig durch das Unionsrecht determiniert wird.853 Könnte nationales Recht beispielsweise beanstandet werden, wenn ein Verstoß gegen die in der VRRL 2011/83 vorgesehenen Informationspflichten mit einem Schadensersatzanspruch sanktioniert wird, während dieser Rechtsbehelf bei Verstößen gegen die in der FDL-FARL 2002/65 normierten Informationspflichten nicht zur Verfügung steht? Der EuGH musste über solche Fragen noch nicht entscheiden. Zwar hebt der Gerichtshof in einer Reihe von Urteilen hervor, dass es sich bei der Vergleichsgrundlage um eine Norm handeln muss, die „nur“ innerstaatliches Recht betrifft.854 In vielen Entscheidungen fehlt jedoch ein solcher Hinweis.855 In dem gebildeten Beispiel ist richtigerweise davon auszugehen, dass eine Kon­ trolle nach dem Äquivalenzgrundsatz von vornherein ausscheidet. Ginge man davon aus, dass europäisch determiniertes Recht uneingeschränkt mit europäisch determiniertem Recht verglichen werden kann, so wären die Mitgliedstaaten verpflichtet, unterschiedliche Rechtsakte der Union einheitlich umzusetzen. Ein solches „Kohärenzgebot“ kann dem Unionsrecht aber nicht entnommen werden. Entscheidet sich der Richtliniengeber dafür, die konkrete Ausgestaltung der Rechtsfolgen den Mitgliedstaaten zu überlassen, so kann dem nationalen Gesetzgeber aus unionsrechtlicher Perspektive nicht der Vorwurf gemacht werden, dass die Rechte der Verbraucher im innerstaatlichen Recht je nach Richtlinie unterschiedlich geschützt werden. Zu weit führt demgegenüber die Auffassung, dass die zum Vergleich herangezogene Regelung ausschließlich nationales Recht betreffen muss.856 Bei einem derart restriktiven Verständnis hätte das Äquivalenzgebot keinen nennenswerten Anwendungsbereich mehr.857 Durch die vorangeschrittene Harmonisierung sind weite gungen für eine unmittelbar auf eine Richtlinie gestützte Klage nicht weniger günstig sein dürfen, als die Bedingungen für eine auf das nationale Umsetzungsgesetz gestützte Klage. Der EuGH ist dieser Auffassung jedoch nicht gefolgt, da beide Klagen als ein einheitlicher Rechtsbehelf anzusehen waren. Dementsprechend kam allein ein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot in Betracht; EuGH, Rs. C‑268/06 (Impact) Rn.  50 – 51. 852   EuGH, Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 46 – 49; Rs. C‑78/98 (Preston) Rn. 51. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑417/13 (ÖBB Personenverkehr) Rn. 74. 853   Vgl. hierzu auch Supreme Court (UK), FA (Iraq) (FC) v. Secretary of State for the Home Department, [2011] UKSC 22, Rn. 17 – 25. 854   Vgl. EuGH, Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 27; verb. Rs. C‑222 – 225/05 (van der Weerd u. a.) Rn. 28; Rs. C‑542/08 (Barth) Rn. 20; Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 25; vgl. auch EuGH, Rs. C‑147/01 (Weber’s Wine World) Rn. 104 („ausschließlich“ innerstaatliches Recht); Rs. C‑34/02 (Pasquini) Rn. 57 („rein“ innerstaatliche Klagen). 855   So beispielsweise in EuGH, Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 18; Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 29; verb. Rs.  C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 93. Darüber hinaus wird in der englischen Übersetzung einiger Urteile (im Gegensatz zur deutschen Fassung) auf den Zusatz „purely domestic“ oder „purely internal“ verzichtet; vgl. etwa EuGH, verb. Rs. C‑222 – 225/05 (van der Weerd u. a.) Rn. 28; Rs. C‑542/08 (Barth) Rn. 20; Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 25. 856   So aber Bobek, in: Micklitz/de Witte (Hrsg.), The European Court of Justice and the Autonomy of the Member States, 2012, S. 305, 314 („purely national claim“). 857   Bobeck, a. a. O., S. 322, plädiert konsequenterweise dafür, dass der EuGH auf eine Kontrolle nationaler Regelungen mittels des Äquivalenzgebots vollständig verzichten sollte.

334

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Teile des nationalen Rechts unionsrechtlich überformt. Da sich der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung auf die gesamte Rechtsordnung bezieht,858 werden selbst diejenigen Normen, die vom Gesetzgeber nicht speziell in Umsetzung einer Richtlinie erlassen worden sind, durch unionsrechtliche Vorgaben determiniert. Der Umstand, dass zwei Normen ihren Ursprung im Unionsrecht haben oder durch dieses beeinflusst werden, schließt daher nicht per se aus, dass beide miteinander verglichen werden. Eine Überprüfung anhand des Äquivalenzgebots scheidet erst dann aus, wenn beide Normen auf derselben oder einer vergleichbaren unionsrechtlichen Rechtsposition beruhen.859 Ist ein und dieselbe Vorschrift (beispielsweise eine Verjährungs- oder Ausschlussfrist) sowohl für unionsrechtlich determinierte als auch rein innerstaatliche Sachverhalte anwendbar, so kann das Äquivalenzgebot ebenfalls greifen. Zwar sind in diesem Fall die Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen abstrakt gesehen identisch. Zu beachten ist indessen, dass das Äquivalenzgebot nicht nur eine diskriminierende Ausgestaltung, sondern auch eine diskriminierende Anwendung verbietet.860 Dementsprechend ist in diesen Fällen zu prüfen, ob die Vorschrift typischerweise Personen benachteiligt, die ihre aus dem Unionsrecht folgenden Rechte geltend machen, oder ob die Vorschrift gleichwohl ein realistisches Anwendungspotential auch für rein innerstaatliche Sachverhalte hat.861 3. Vergleichbarkeit der Klagen a) Allgemeine Vorgaben Grundsätzlich obliegt es den nationalen Gerichten festzustellen, ob zwei Klagen, von denen die eine der Durchsetzung des Unionsrechts und die andere der Durchsetzung „rein“ nationalen Rechts dient, miteinander vergleichbar sind. Das nationale Gericht hat die Gleichartigkeit der betreffenden Klagen unter dem Gesichtspunkt ihres Gegenstands (purpose), ihres Rechtsgrundes (cause) und ihrer sonstigen wesentlichen Merkmale (essential characteristics) zu prüfen.862 Für die Vergleichbarkeit ist es dabei nicht erforderlich, dass beide Klagen vollkommen identisch sind. Ausreichend ist vielmehr, dass beide „weitgehend vergleichbar“ sind863 bzw. einen „ähnlichen“ Gegenstand und Rechtsgrund haben.864 858   EuGH, Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 8; Rs. C‑91/92 (Faccini Dori) Rn. 26; verb. Rs. C‑240 –  244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 30; verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 115. 859   In diese Richtung auch Lindholm, State Procedure and Union Rights, 2007, S. 124 („An act of national law that is founded on essentially the same Community right cannot serve as the basis for comparison“). 860   Vgl. EuGH, Rs. C‑147/01 (Weber’s Wine World) Rn. 108, sowie die SchlA von GA Jacobs, Rn. 32 f.; EuGH, verb. Rs. C‑392 & 422/04 (i‑21 Germany und Arcor) Rn. 62 ff. 861   Vgl. EuGH, Rs. C‑542/08 (Barth) Rn.  23 – 27. Hierzu Kreße, GPR 2011, 182, 184. 862  EuGH, Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 43; Rs. C‑78/98 (Preston) Rn. 56; Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 45; Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 28; Rs. C‑177/10 (Rosado Santana) Rn. 90. 863   EuGH, Rs. C‑343/96 (Dilexport) Rn. 31. 864   EuGH, Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 41; Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 45; Rs. C‑118/08 (Transportes Urbanos) Rn. 31. Deutlich enger Court of Appeal, Matra Communications SAS v Home Office [1999] 1 WLR 1646, 1658 (per Buxton LJ): „(. . .) the principle of ‚equivalence‘ really does mean what it says. The domestic court, in applying the principle, must look not merely for a domestic action that is ­similar to the claim asserting Community rights, but for one that is in juristic structure very close to the Community claim.“

D. Das Äquivalenzgebot

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In einigen Fällen hat sich der EuGH konkreter zur Vergleichbarkeit der betreffenden Klagen geäußert. So stellte der Gerichtshof etwa in Palmisani865 fest, dass unionsrechtliche Staatshaftungsansprüche wegen verspäteter Richtlinienumsetzung mit einer rein innerstaatlichen Regelung zur außervertraglichen Haftung vergleichbar sind, falls diese Regelung eine Schadensersatzklage eines Bürgers gegen öffentliche Hoheitsträger wegen einer rechtswidrigen Unterlassung oder Handlung ermöglicht. Ganz ähnlich urteilte der Gerichtshof im Fall Transportes Urbanos,866 dass eine auf die Verletzung des Unionsrechts gestützte Staatshaftungsklage und eine Staatshaftungsklage, die nach rein nationalem Recht unter Berufung auf einen möglichen Verfassungsverstoß erhoben werden kann, als gleichartig anzusehen sind. Im Unterschied dazu ist eine Schadensersatzklage wegen verspäteter Umsetzung der Arbeitnehmer-Insolvenzschutz-RL 80/987 nicht vergleichbar mit einer Klage, die ein Arbeitnehmer aufgrund des in Umsetzung dieser Richtlinie geschaffenen Garantiefonds erheben kann, denn Klagen gegen den Garantiefonds sind auf die Erfüllung von Arbeitsentgeltansprüchen, nicht jedoch auf eine Wiedergutmachung des erlittenen Schadens gerichtet, und weisen daher einen anderen Gegenstand auf.867 Im Fall Pontin868 hielt es der Gerichtshof demgegenüber für möglich, dass eine im nationalen Arbeitsrecht zur Umsetzung der RL 92/85869 vorgesehene Nichtigkeits- und Wiedereinstellungsklage bei Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin mit einer Schadensersatzklage vergleichbar sein könne, die Arbeitnehmer nach rein innerstaatlichem Recht erheben können, wenn sie aus anderen unberechtigten Gründen gekündigt worden sind. Zwar waren die betreffenden Klagen mit Blick auf ihre unterschiedlichen Rechtsfolgen gerade nicht vergleichbar. Entscheidend war für den Gerichtshof aber wohl der Umstand, dass Nichtigkeits‑, Wiedereinstellungs- und Schadensersatzklagen auf dem gleichen Klagegrund (Schutz vor unberechtigter Kündigung) beruhten und schwangere Arbeitnehmerinnen im Unterschied zu sonstigen Arbeitnehmern bei Kündigung keine Schadensersatzklage, sondern nur eine Nichtigkeits- und Wiedereinstellungsklage erheben konnten. Äußert sich der EuGH, wie zuvor beschrieben, zur Wahrung des Äquivalenzgebots im konkreten Fall, so will er damit den nationalen Gerichten zumeist nur nützliche Hinweise erteilen, die ihnen bei der eigenen Beurteilung helfen sollen.870 Der Gerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung, dass er im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten „in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen in der Vorlageentscheidung auszugehen“ hat und die Prüfung des Vorabentscheidungsersuchens „in Ansehung der von diesem Gericht vorgenommenen Auslegung“ vornimmt.871 Damit obliegt es letztlich den einzelstaat865

  EuGH, Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 38.   EuGH, Rs. C‑118/08 (Transportes Urbanos) Rn. 35 ff., 45. Vgl. auch EuGH, verb. Rs. C‑145 & 149/08 (Club Hotel Loutraki) Rn. 75 ff. 867   EuGH, Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 34 ff. Vgl. auch noch EuGH, Rs. C‑69/08 (Visciano) Rn. 41. 868   EuGH, Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 55. 869   Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz, ABl. 1992 L 348/1. 870   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 64. 871   EuGH, Rs. C‑69/08 (Pontin) Rn. 38 m. w. N. 866

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

lichen Gerichten, anhand der Auslegung des nationalen Rechts die Vergleichbarkeit zweier Klagen zu bestimmen. b) Bestimmung der Vergleichsgrundlage durch den EuGH In einigen Entscheidungen ist der EuGH einen Schritt weitergegangen. Anstatt die vom nationalen Gericht vorgenommene Auslegung zu berücksichtigen, hat der Gerichtshof selbst das tertium comparationis in Fällen bestimmt, in denen es um die Befugnis und Pflicht nationaler Gerichte ging, bestimmte Rechtsvorschriften von Amts wegen anzuwenden. Im Fall Eco Swiss872 konnte die Aufhebung eines Schiedsspruchs nach den einschlägigen niederländischen Verfahrensvorschriften nur aus einer begrenzten Zahl von Gründen erfolgen, darunter wegen „Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung“. Das vorlegende Gericht führte aus, dass ein Schiedsspruch, der gegen nationales Wettbewerbsrecht verstoße, im Allgemeinen nicht als im Widerspruch gegen die öffentliche Ordnung stehend angesehen werde.873 Der Gerichtshof entschied gleichwohl, dass das Verbot in Art. 101 AEUV eine grundlegende und zwingende Vorschrift sei. Damit war Art. 101 AEUV den nationalen Vorschriften, die zur öffentlichen Ordnung gehören, gleichgestellt. Folglich war das nationale Gericht nach dem Grundsatz der Äquivalenz verpflichtet, dem Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs stattzugeben, sofern es in dem Schiedsspruch einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV sah.874 Ähnlich urteilte der Gerichtshof in den Fällen Mostaza Claro,875 Asturcom Telecomunicaciones876 und Pohotovost’,877 dass Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 als eine Norm zu betrachten ist, die den nationalen Bestimmungen, die im nationalen Recht zum ordre public878 zählen, gleichwertig ist. Ein mit einem Antrag auf Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Schiedsspruch befasstes nationales Gericht ist daher, wenn es nach den Bestimmungen seines nationalen Verfahrensrechts von Amts wegen einen Verstoß einer Schiedsklausel gegen den ordre public prüfen muss, auch verpflichtet, die Missbräuchlichkeit einer Schiedsklausel in Anbetracht von Art. 6 Klausel-RL 93/13 von Amts wegen zu prüfen, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt. Der Gerichtshof stützt die betreffenden Entscheidungen allein auf das Äquivalenzgebot.879 Genauer betrachtet handelt es sich jedoch um eine kumulative Anwendung des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes, denn der Gerichtshof definiert den Begriff „öffentliche Ordnung“ ohne Rückgriff auf das nationale Recht allein anhand 872

  EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss).   EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 24. 874   EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 37. 875   EuGH, Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 35 ff. 876   EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 51 ff. 877   EuGH, Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 49 ff. 878   Die deutsche Übersetzung der Urteile spricht durchgängig davon, dass Art. 6 Abs. 1 KlauselRL 93/13 eine Norm „zwingenden Charakters“ sei. In der (verbindlichen) spanischen Fassung der Urteile Mostaza Claro und Asturcom Telecomunicaciones wird demgegenüber vom „orden público“ gesprochen. 879   In EuGH, verb. Rs. C‑222 – 225/05 (van der Weerd u. a.) Rn. 40, hebt der Gerichtshof sogar ausdrücklich hervor, dass er im Urteil Eco Swiss allein den Äquivalenzgrundsatz angewendet habe. 873

D. Das Äquivalenzgebot

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unionsrechtlicher Kriterien. Auf diese Weise trägt er zur Herausbildung eines ordre public communautaire bei.880 4. Ungünstigere Behandlung unionsrechtlich determinierter Sachverhalte Sind die zur Durchführung des Unionsrechts erlassenen Vorschriften mit rein nationalen Vorschriften vergleichbar, muss das nationale Gericht in einem weiteren Schritt ermitteln, ob die zur Durchsetzung des Unionsrechts vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten „ungünstiger“ sind als diejenigen, die vergleichbare Klagen des innerstaatlichen Rechts betreffen. Bei der Prüfung dieser Frage darf das mitgliedstaatliche Gericht die nationale Verfahrensvorschrift nicht isoliert betrachten, sondern hat „die Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, den Verfahrensablauf und die Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu berücksichtigen“.881 Dies deutet darauf hin, dass Nachteile, die sich für den Kläger bei Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Rechtspositionen ergeben, eventuell durch anderweitige Verfahrensvorteile kompensiert werden können. Stellt das nationale Gericht beispielsweise fest, dass für unionsrechtlich begründete Ansprüche kürzere Verjährungs- oder Ausschlussfristen gelten, so ist im Anschluss auch zu prüfen, ob dieser Nachteil durch einen für den Kläger günstigeren Verjährungsbeginn oder geringere Verfahrenskosten ausgeglichen werden kann.882 Die Beurteilung darf vom Gericht nicht subjektiv nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen, sondern muss einen objektiven Vergleich der betreffenden Rechtsschutzmöglichkeiten zum Gegenstand haben.883 Der Vergleich ist andererseits nicht abstrakt durchzuführen, vielmehr muss auch nach den konkreten (typischen) Wirkungen der betreffenden nationalen Regelung gefragt werden.884 Der Äquivalenzgrundsatz verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht dazu, die günstigste innerstaatliche Regelung auf Rechtsbehelfe zur Durchsetzung des Unionsrechts zu erstrecken.885 Gegenüber dem allgemeinen Recht ungünstigere Rechtsbehelfe eines Mitgliedstaats sind dementsprechend mit dem Äquivalenzgrundsatz vereinbar, wenn sie in gleicher Weise für unionsrechtliche und rein innerstaatliche Sachverhalte Anwendung finden. 5. Beispiele für Verstöße gegen das Äquivalenzgebot Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Äquivalenz liegt vor, wenn ein Kläger, der eine unionsrechtlich begründete Rechtsposition einklagt, ceteris paribus kürzere Verjäh-

880  Ausführlich Ebers, ERPL 2010, 823, 839 ff. Vgl. auch Engström, REALaw 2008, 67, 80; Jans/ Prechal/Widdershoven, Europeanisation of Public Law, 2007, S. 311. 881   EuGH, Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 44; Rs. C‑78/98 (Preston) Rn. 61; Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 29. 882   So auch House of Lords, Preston and Others v Wolverhampton Healthcare NHS Trust and Others (No. 2), [2001] 2 AC 455, 473 f. (Rn. 29 – 31), per Lord Slynn of Hadley. 883   EuGH, Rs. C‑78/98 (Preston) Rn. 62; Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 46. 884   Wie hier GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 70. Der EuGH spricht demgegenüber in einigen Urteilen von einem abstrakten Vergleich; vgl. EuGH, Rs. 76/98 (Preston) Rn. 62; Rs. C‑69/08 (Pontin) Rn. 46. Damit ist aber nur gemeint, dass eine typisierende Betrachtung erfolgen muss; vgl. EuGH, Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 51. 885   EuGH, Rs. C‑231/96 (Edis) Rn. 36; Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 42.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

rungsfristen oder besondere Ausschlussfristen,886 zusätzliche Kosten oder eine längere Verfahrensdauer887 hinnehmen muss als ein Kläger, der mit seiner Klage nur einen Anspruch nach innerstaatlichem Recht geltend macht. Mit dem Äquivalenzgrundsatz unvereinbar ist auch eine Regelung des nationalen Rechts, wonach eine Staatshaftungsklage, die auf die Verletzung von Unionsrecht gestützt wird, nur Erfolg haben kann, wenn der Kläger zuvor alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft hat, während eine solche Regelung nicht für Staatshaftungsansprüche gilt, die auf die Verfassungswidrigkeit eines nationalen Gesetzes gestützt werden.888 Ein Verstoß liegt ferner dann vor, wenn bei Verletzung unionsrechtlich determinierter Rechte kein Schadensersatz beansprucht werden kann, während dies bei Verstößen gegen vergleichbare, rein nationale Rechtspositionen möglich ist. Dies folgt aus dem Urteil SFEI.889 In dem zugrunde liegenden Ausgangsverfahren machte das in Frankreich tätige Expresszustellungsunternehmen SFEI geltend, dass die französische Post ihrem privatrechtlichen Tochterunternehmen SFMI jahrelang logistische und kommerzielle Unterstützung gewährt hatte und war der Auffassung, dass es sich hierbei um eine Beihilfe handelte, die ohne vorherige Unterrichtung der Kommission (jetzt Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV) gewährt worden war. SFEI verlangte daher unter Anderem von der SFMI Schadensersatz. Der Gerichtshof gelangte zu dem Schluss, dass Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV dem Beihilfeempfänger keine direkten Verpflichtungen auferlege und das Gemeinschaftsrecht daher keine ausreichende Grundlage für Schadensersatzansprüche des Konkurrenten biete.890 Dies schließe jedoch keineswegs aus, dass Schadensersatzklagen gegen den Beihilfeempfänger auf der Grundlage des einzelstaatlichen Rechts erfolgreich sein könnten. In Betracht kämen vor allem außervertragliche Ansprüche des Geschädigten. Bestehe für einen vergleichbaren Sachverhalt rein nationaler Prägung eine solche Haftung, so sei der Mitgliedstaat dazu verpflichtet, den Empfänger einer unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV gezahlten staatlichen Beihilfe für haftbar zu erklären.891 Auch die Höhe von Schadensersatzansprüchen unterliegt einer Kontrolle nach dem Äquivalenzgebot. In der Rechtssache Draehmpaehl892 ging es um die Umsetzung der Allgemeinen Gleichbehandlungs-RL 76/207893 in Deutschland. Nach § 611a Abs. 2 BGB a. F. war der Schadensersatzanspruch eines Bewerbers, der aufgrund seines Geschlechts nicht vom Arbeitgeber eingestellt wurde, auf eine Entschädigung in 886   Vgl. EuGH, Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 40; Rs. C‑228/96 (Aprile II) Rn. 21; Rs. C‑78/98 (Preston) Rn. 35; Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 34. 887   Vgl. EuGH, Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 51; Rs. C‑78/98 (Preston) Rn. 60; Rs. C‑268/06 (Impact) Rn. 51. Siehe auch GA Kokott, SchlA, Rs. C‑268/06 (Impact) Rn. 71 ff. 888   EuGH, Rs. C‑118/06 (Transportes Urbanos) Rn. 48. 889   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI). Vgl. auch EuGH, verb. Rs. C‑145 & 149/08 (Club Hotel Loutraki) Rn. 65, 75 – 77. In EuGH, Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 70 ff., 74 f., hat der Gerichtshof demgegenüber nur geprüft, ob der Ausschluss von Schadensersatzansprüchen gegen das in Art. 2 Abs. 7 UAbs. 3 der Richtlinie 76/207 verankerte Verbot der „ungünstigeren Behandlung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft“ verstößt. Dabei hätte im konkreten Fall auch ein Verstoß gegen das Äquivalenzgebot nahegelegen. Zu diesem äußert sich der EuGH jedoch nur mit Blick auf die Fristen (Rn. 55 ff. des Urteils). 890   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn.  73 – 74. Ausführlich infra, § 8 D.II.4. 891   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 75. Hierzu Steindorff, in: FS Mestmäcker, 1997, S. 497 – 519; Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212, 219 – 222. 892   EuGH, Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl). 893   Neu gefasst durch die Richtlinie 2002/73, aufgehoben durch Richtlinie 2006/54.

D. Das Äquivalenzgebot

339

Höhe von höchstens drei Monatsverdiensten beschränkt. Das Arbeitsgericht Hamburg wies in seinem Vorabentscheidungsersuchen unter anderem darauf hin, dass eine solche Höchstgrenze in sonstigen innerstaatlichen zivil- und arbeitsrechtlichen Regelungen nicht vorgesehen sei. Der Gerichtshof sah hierin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Äquivalenz. Bei der Wahl der Maßnahmen, die das Ziel der Richtlinie verwirklichen solle, müssten die Mitgliedstaaten darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet würden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen das nationale Recht. Daraus folge, dass innerstaatliche gesetzliche Regelungen, die für einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Einstellung im Gegensatz zu sonstigen innerstaatlichen zivil- und arbeitsrechtlichen Regelungen einer Höchstgrenze von drei Monatsgehältern vorgeben, diese Voraussetzungen nicht erfüllen.894 In den bereits erwähnten Rechtssachen Brasserie du Pêcheur895 und Manfredi896 urteilte der Gerichtshof, dass Geschädigte bei Verstößen gegen das Unionsrecht im Rahmen eines Staatshaftungsanspruchs oder eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs einen Anspruch auf Zahlung eines Strafschadensersatzes haben, wenn ein solcher bei vergleichbaren, auf das innerstaatliche Recht gegründeten Klagen zugesprochen werden müsste.

VI. Rezeption des Äquivalenzgebots in den Mitgliedstaaten 1. Deutschland In Deutschland fand der Äquivalenzgrundsatz lange Zeit nur wenig Beachtung. So lehnte es der BGH etwa noch im Jahre 2006 ab, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob § 37a WpHG gegen das Äquivalenzgebot verstößt.897 Das von der Revision und Micklitz898 statuierte Verbot der verjährungsrechtlichen Benachteiligung der Ansprüche aus §§ 31, 32 WpHG gegenüber Ansprüchen aus anderen Anspruchsgrundlagen, insbesondere § 823 BGB, entbehre  – so der BGH  – einer „haltbaren gemeinschaftsrechtlichen Verankerung“.899 Erst im Zusammenhang mit der Rechtssache Bulicke900 hat das Äquivalenzgebot auch in Deutschland verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. Das LAG Hamburg legte dem EuGH die Frage vor, ob die in § 15 Abs. 4 AGG vorgesehene zweimonatige Ausschlussfrist mit dem Unionsrecht in Einklang steht.901 Der EuGH hielt einen Verstoß 894   EuGH, Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 29 – 30. Der Gerichtshof stützt sich auch im Tenor (2) auf den Äquivalenzgrundsatz. GA Léger hatte dagegen in seinen SchlA in Rn. 50 ff. auch einen Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz bejaht. In der Tat hatte der EuGH in der Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 32 bereits zuvor entschieden, dass Obergrenzen bei einem Entschädigungsanspruch wegen diskriminierender Entlassung grundsätzlich nicht mit dem Effektivitätsgrundsatz zu vereinbaren sind, ohne dass es auf einen Vergleich mit dem innerstaatlichen Recht ankäme. Insofern hätte es nahe gelegen, dass Gleiches auch für die diskriminierende Ablehnung einer Einstellung gilt. Zur aktuellen Rechtslage vgl. Art. 18 S. 2 RL 2006/54; hierzu infra, § 9 C.III.1. 895   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 90. 896   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 93 und 99. 897   BGH, NJW 2007, 1876. 898   Micklitz, WM 2005, 536 ff. 899   BGH, NJW 2007, 1876, 1877. 900   EuGH, Rs. C‑246/06 (Bulicke). 901   LAG Hamburg, Beschluss v. 3.6.2009, Az. 5 Sa 3/09, BeckRS 2009, 69339.

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gegen das Äquivalenzgebot für möglich und meinte im Ergebnis, es sei Sache des einzelstaatlichen Gerichts zu prüfen, ob im nationalen Recht Klagearten bestehen, die einer Entschädigungsklage wegen Diskriminierung (§ 15 Abs. 2 AGG) vergleichbar seien.902 Noch bevor der EuGH sein Urteil verkündet hatte, lehnte das BAG in einem anderen Verfahren im Jahre 2009 einen Verstoß gegen das Äquivalenzgebot mit der Begründung ab, dass das deutsche Arbeitsrecht eine Reihe deutlich kürzerer Fristen kenne, wie beispielsweise § 4 S. 1, 12 S. 1 KSchG, § 17 S. 1 TzBfG, § 626 Abs. 2 BGB, § 22 Abs. 4 BBiG, § 9 Abs. 1 MuSchG.903 Die bei Fristversäumnis entstehenden materiellen und ideellen Nachteile seien nach Schwere und Umfang mit denen vergleichbar, die ein Arbeitnehmer erleide, wenn er einen gemeinschaftsrechtlich begründeten Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG deshalb verliere, weil er ihn nicht innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht habe. Dem ist zu nicht zu folgen. Das BAG wählt einen falschen Bezugspunkt für die Vergleichsprüfung.904 Entscheidend ist nicht der Umstand, dass es im Arbeitsrecht generell kurze Fristen gibt, die der Arbeitnehmer zur Vermeidung von Rechtsnachteilen einhalten muss, sondern welche Fristen für einen vergleichbaren Anspruch bzw. Klagegegenstand bestehen. Die vom BAG aufgeführten Normen beziehen sich auf Kündigungen und Befristungen des Arbeitsverhältnisses. Sie sind mit dem in § 15 Abs. 2 AGG geregelten Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers bei Diskriminierung nicht vergleichbar. Näher liegt vielmehr ein Vergleich mit einem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, für den im Unterschied zu § 15 Abs. 4 AGG nur die allgemeinen Verjährungsfristen gelten. Das BAG hätte insofern prüfen müssen, ob Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB mit Ansprüchen aus § 15 Abs. 1 und 2 AGG vergleichbar sind. Für die Vergleichbarkeit wird angeführt, dass beide Ansprüche hinsichtlich der betroffenen Parteien, des Schutzguts, der Rechtsfolgen (materieller und – bei schweren Persönlichkeitsrechtsverletzungen – immaterieller Ersatz) sowie bzgl. der Art und Weise der Geltendmachung (Klage vor demselben Gericht, gleiches Verfahren) weitgehend deckungsgleich sind.905 Hiergegen lässt sich mit dem LAG Saarland906 einwenden, dass beide Ansprüche unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen unterliegen. Der in § 15 Abs. 2 AGG geregelte Entschädigungsanspruch setzt im Unterschied zu § 823 Abs. 1 BGB kein Verschulden des Arbeitgebers voraus.907 Darüber hinaus verlangt dieser Anspruch keine Feststellung eines immateriellen Schadens.908 Der Anspruch aus § 15 Abs. 1 AGG unterliegt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislasten (§ 22 AGG) 902

  EuGH, Rs. C‑246/06 (Bulicke) Rn. 34.   BAG, NZA 2010, 387, 392. Zustimmend LAG Saarland, Urt. v. 17.11.2010, Az. 1 Sa 23/10, BeckRS 2011, 69655; im Ergebnis auch OLG Hamm, NJW-RR 2011, 762, 765 (zu § 21 Abs. 5 S. 1 AGG). 904   Fischinger, NZA 2010, 1048, 1050; von Roetteken, jurisPR-ArbR 1/2011 Anm. 1. Vgl. auch LAG Hamm, Beschluss v. 14.6.2011, Az. 14 Ta 289/11, BeckRS 2011, 76870. 905   Fischinger, NZA 2010, 1048, 1050; von Roetteken, jurisPR-ArbR 1/2011 Anm. 1; LAG Hamm, Beschluss v. 14.6.2011, Az. 14 TA 289/11, BeckRS 2011, 76870. 906   LAG Saarland, Urt. v. 17.11.2010, Az. 1 Sa 23/10, BeckRS 2011, 69655. 907   Vgl. hierzu die Entscheidung des englischen High Court (QB), der im Fall R. v. Secretary of State for Transport, ex parte Factortame and Others (No. 5), [1998] 1  C.M.L.R. 1353, 1420 f., Rn. 137 ff., einen Verstoß gegen das Äquivalenzgebot mit der Begründung ablehnt, die herangezogenen Klagen seien wegen der unterschiedlichen Verschuldensvoraussetzungen nicht vergleichbar. 908   Vgl. BAG, NZA 2010, 1412. 903

D. Das Äquivalenzgebot

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zudem erleichterten Voraussetzungen. Ein Verstoß gegen das Äquivalenzgebot liegt daher nicht vor. Auch das BAG sah dies so. Im Anschluss an die Bulicke-Entscheidung bestätigte das Gericht sein früheres Urteil aus dem Jahre 2009 und hob in diesem Zusammenhang ausdrücklich hervor, dass Ansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG nicht mit Ansprüchen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vergleichbar sind.909 2. Frankreich In Frankreich wird das Äquivalenzgebot – soweit ersichtlich – bislang kaum rezipiert. So ging etwa das französische Tribunal de Commerce de Paris im Anschluss an die bereits erörterte SFEI-Entscheidung910 überhaupt nicht auf die vom EuGH aufgeworfene Frage ein, ob bei einem Verstoß gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot (Art. 108 Abs. 3 AEUV) nach französischem Recht in vergleichbaren Fällen Schadensersatzklagen von Konkurrenten möglich sind.911 3. England Englische Gerichte setzen sich dagegen in vielen Entscheidungen sehr ausführlich mit der Frage auseinander, ob die zur Durchsetzung des Unionsrechts vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten ungünstiger ausgestaltet sind als vergleichbare Klagen rein innerstaatlichen Rechts.912 Soweit es um Verjährungs- und Ausschlussfristen ging, wurde dabei vielfach ein Verstoß gegen das Äquivalenzgebot bejaht.913 Deutlich zurückhaltender sind die Gerichte dagegen, wenn es um die Zuerkennung eines Strafschadensersatzes geht. Im Anschluss an die Entscheidung Brasserie du Pêcheur hatte der High Court über die Frage zu entscheiden, ob bei einer Staatshaftungsklage wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht auch exemplary damages zugesprochen werden können.914 Der Kläger machte geltend, dass nach englischem Recht bei Amtsmissbrauch in Ausübung einer hoheitlichen Befugnis (misfeasance in public office) ein Strafschadensersatz zugesprochen werden müsste und dieser tort mit Staatshaftungsklagen wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts vergleichbar sei. Der High Court ist dieser Argumentation nicht gefolgt. Nach Auffassung des Gerichts basieren gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsansprüche auf einer Schutz909   BAG, NZA 2012, 910, 913 ff., Rn. 32 ff., insb. Rn. 45 ff. Bestätigt durch BAG, NJW 2013, 555, 557, Rn. 23. 910   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI). Hierzu supra, § 4 D.V.5. 911   Tribunal de Commerce de Paris, 7.12.1999, Union française de l’express international/La Poste, no. 96072418, wiedergegeben bei Jestaedt/Derenne/Ottervanger, Study, 2006, S. 178 f. 912   Vgl. die nachfolgend zitierten Urteile sowie Supreme Court, FA (Iraq) v Secretary of State for the Home Department, [2011] UKSC 22 = [2011] 4 All E.R. 503; House of Lords, Preston and Others v Wolverhampton Healthcare NHS Trust and Others (No. 2), [2001] 2 AC 455; Court of Appeal, Matra Communications SAS v Home Office, [1999] 1 WLR 1646. 913   Vgl. etwa House of Lords, Inland Revenue Commissioners v Ainsworth, [2009] UKHL 31 = [2009] 4 All E.R. 1205 = [2009] ICR 985; Employment Appeal Tribunal, Levez v T H Jennings (Harlow Pools) Ltd, [2000] ICR 58; Court of Appeal (Civil Division), Byrne v Motor Insurers’ Bureau, [2008] EWCA Civ 574 = [2008] 4 All E.R. 476. Zur Levez-Entscheidung Tridimas, in: Kilpatrick/ Novitz/Skidmore (Hrsg.), The Future of Remedies in Europe, 2000, S. 35, 47 ff. 914   High Court (QB), R. v. Secretary of State for Transport, ex parte Factortame and Others (No. 5), [1998] 1 C.M.L.R. 1353. Hierzu Hoskins und Tridimas, beide in: Beatson/Tridimas (Hrsg.), New directions in European Public Law, 1998, S. 91 ff. und S. 183, 191.

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gesetzverletzung (breach of statutory duty) wegen Verletzung des European Communities Act 1972. Bei einem breach of statutory duty könne ein Strafschadensersatz nur gewährt werden, wenn das verletzte Schutzgesetz dies ausdrücklich anordne. Dies sei im European Communities Act 1972 nicht geschehen. Der breach of statutory duty ist nach Ansicht des High Court auch nicht mit dem tort „misfeasance in public office“ vergleichbar. Letzterer setze nämlich im Unterschied zur Schutzgesetzverletzung einen schuldhaften Verstoß voraus.915 Ähnlich verfährt man in England, wenn es um Verstöße gegen europäisches Antidiskriminierungsrecht geht: Nach Auffassung des Employment Appeal Tribunal916 ist bei Verstößen gegen die Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 kein Strafschadensersatz zu gewähren, da ein reiner Schadensausgleich nach dem Gemeinschaftsrecht genüge und exemplary damages im Übrigen auch nicht nach dem Äquivalenzgrundsatz zugesprochen werden müssten, denn ein derartiger Schadensersatz könne auch bei vergleichbaren Klagen unter dem Sex Discrimination Act 1975 nicht gewährt werden. Auch in Kartellstreitigkeiten lehnen die englischen Gerichte die Zuerkennung eines Strafschadensersatzes ab  – jedenfalls, soweit die Europäische Kommission bereits zuvor ein Bußgeld verhängt hat. Die Entscheidungen betrafen privatrechtliche Folgeklagen gegen Vitaminhersteller, die über Jahre hinweg den Markt für Vitamine untereinander aufgeteilt und gemeinsam überhöhte Preise festgesetzt hatten, und im Jahre 2001 von der Kommission zu Geldbußen in Höhe von insgesamt 855,22 Millionen Euro verurteilt wurden.917 Verschiedene Großabnehmer, die Vitamine von den Herstellern gekauft hatten, klagten daraufhin nicht nur auf Ersatz der eingetretenen Schäden (compensatory damages), sondern auch auf Strafschadensersatz (exemplary damages) und Gewinnabschöpfung (restitutionary award, account of profits). Beide Anspruchspositionen wurden abgewiesen. Nach Auffassung des High Court können exemplary damages weder nach Gemeinschaftsrecht noch nach englischem common law verlangt werden, da die verklagten Vitaminhersteller bereits gegenüber der Kommission eine Geldbuße leisten mussten, so dass ein zusätzlicher Strafschadensersatz zu einer Doppelbestrafung führe, der sowohl nach Gemeinschaftsrecht als auch nach englischem Recht unzulässig sei.918 Auch der geltend gemachte Anspruch auf Herausgabe der erzielten Gewinne hatte keinen Erfolg. Die Richter waren der Ansicht, dass eine Gewinnabschöpfung auch bei einem Verstoß gegen rein innerstaatliche Kartellvorschriften nicht zugesprochen werden könnte.919 Eine Gewinnhaftung käme nur dann in Betracht, wenn sich der kompensatorische Schadensersatz als unzureichend erweise; der bloße Umstand, dass sich der eingetretene Schaden im vorliegenden Fall 915

  Ibid, 1420 f., Rn. 173 ff.   Employment Appeal Tribunal, Ministry of Defence v. Meredith, [1995] IRLR 539, 542, Rn. 22. 917   KomE v. 22.11.2001, ABl. 2003 L 6/1. Die verhängten Geldbußen wurden vom Gericht erster Instanz nachträglich reduziert, vgl. EuG, Rs. T‑15/02 (BASF/Kommission). 918   High Court, Devenish Nutrition Ltd. & Ors v. Sanofi-Aventis S. A. (France) & Ors, [2007] EWHC 2394 (Ch), Rn. 40 – 52, 58 – 64 (per J Lewison); zum Verbot der Doppelsanktion vgl. auch § 4 C.IV.3.a. 919   High Court, a. a. O., Rn. 106 ff.; Court of Appeal, Devenish Nutrition Ltd. v. Sanofi-Aventis SA (France) & Ors, [2008] EWCA Civ 1086, Rn. 42, 76 (per LJ Arden), jeweils mit Hinweis auf Stoke-on-Trent Council v. Wass, [1998] 1 WLR 1406. Nach Auffassung beider Gerichte ist die WassEntscheidung trotz Attorney General v. Blake, [2001] AC 268, weiterhin bindend, da das House of Lords in Blake eine Klage aus Vertragsbruch (breach of contract) betroffen habe, nicht aber das vorliegend einschlägige Delikt „breach of statutory duty“. 916

D. Das Äquivalenzgebot

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aufgrund vorhandener Beweisprobleme (und einer möglichen passing on defence) nur schwer quantifizieren lasse, reiche hierfür nicht aus.920 Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Äquivalenz läge daher nicht vor.921 Im Unterschied dazu sprach das Competition Appeal Tribunal im Jahre 2012 nicht nur kompensatorischen Schadensersatz i. H. v. ca. 33.818 GPB zu, sondern zugleich exemplary damages i. H. v. 60.000 GBP.922 Dieser Fall war jedoch anderes gelagert. Zum einen war der Schadensersatzanspruch nicht auf einen Verstoß gegen EU‑Wettbewerbsrecht, sondern englisches Wettbewerbsrecht gestützt worden. Das Äquivalenzgebot spielte deswegen von vornherein keine Rolle. Zum anderen hatte die britische Wettbewerbsbehörde zuvor nur eine Kartellrechtsverletzung festgestellt, aber kein Bußgeld verhängt.

VII. Ergebnis Der Äquivalenzgrundsatz kann weitreichende Folgen für das innerstaatliche Zivilrecht haben. Sieht das nationale Recht für die Verletzung rein nationaler Rechtspositionen bestimmte Zivilrechtsfolgen vor, so sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, diese Rechtsfolgen auf vergleichbare Verstöße gegen das Unionsrecht zu erstrecken. Da alle mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen über allgemeine zivilrechtliche Rechtsinstitute verfügen, und diese Ansprüche als Reaktion für die Übertretung bestimmter Verbote fungieren, hat der Äquivalenzgrundsatz prinzipiell einen weiten Anwendungsbereich. In der Praxis wird die Wirkung dieses Rechtsgrundsatzes allerdings durch die Aufgabenverteilung zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten begrenzt. Der EuGH darf nationales Recht nicht auslegen. Das Äquivalenzgebot setzt aber gerade einen Vergleich zwischen „rein“ innerstaatlichem und unionsrechtlich determiniertem Recht voraus. Letztlich können daher nur die einzelstaatlichen Gerichte entscheiden, ob ein Verstoß gegen das Äquivalenzgebot vorliegt. Für die Praxis ist damit entscheidend, ob die nationalen Gerichte dazu bereit sind, das zur Durchführung des Unionsrechts erlassene Recht am Äquivalenzgrundsatz zu messen. In diesem Rahmen ist vor allem die Bestimmung des Vergleichsmaßstabs von entscheidender Bedeutung. Je weiter der Kreis der innerstaatlichen Ansprüche bzw. Klagen gezogen wird, mit denen die unionsrechtlich determinierten Ansprüche bzw. Klagen verglichen werden sollen, desto breiter ist der Anwendungsbereich des Äquivalenzgebots. Rechtsvergleichend zeigt sich, dass das Unionsrecht unterschiedlich rezipiert wird. Deutsche Gerichte sind bei Anwendung des Äquivalenzgrundsatzes nach wie vor sehr zurückhaltend. Englische Gerichte setzen sich mit diesem Grundsatz dagegen viel ausführlicher auseinander. Soweit es um Verjährungs- und Ausschlussfristen ging, haben englische Gerichte in der Vergangenheit sogar vielfach einen Verstoß gegen das Äquivalenzgebot bejaht. Deutlich höhere Anforderungen gelten, wenn der EuGH – wie in den Entscheidungen zur Klausel-RL 93/13 – das tertium comparationis selbst bestimmt, indem er den Begriff der öffentlichen Ordnung ohne Rückgriff auf das nationale Recht anhand uni920

  Court of Appeal, a. a. O., Rn. 87 ff., 104 ff., 110 (per LJ Arden).   Court of Appeal, a. a. O., Rn. 130 (per LJ Arden). 922   2 Travel Group Plc v Cardiff City Transport Services Ltd., [2012] CAT 19. 921

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

onsrechtlicher Kriterien bestimmt. Die betreffenden Entscheidungen lassen sich indessen nicht mehr allein mit dem Äquivalenzgrundsatz erklären. Es handelt sich vielmehr um eine kumulative Anwendung des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes.

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot Die Mitgliedstaaten sind bei Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen nicht nur an die Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz, sondern darüber hinaus an die sonstigen allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts gebunden. Seit der Milchkontor-Entscheidung923 ist anerkannt, dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze nicht nur von den Organen der Europäischen Gemeinschaft bzw. Union zu beachten sind, sondern auch von den Mitgliedstaaten in Durchführungssituationen.924 Damit stellt sich die Frage nach der Funktion allgemeiner Rechtsgrundsätze bei der Kontrolle mitgliedstaatlichen Rechts: Folgen aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen weitere Vorgaben, die der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie – über die Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz hinaus – zusätzliche Schranken setzen? Oder kommt den allgemeinen Rechtsgrundsätzen in der Rechtsprechung des EuGH vor allem eine das Effektivitätsgebot begrenzende Funktion zu? (hierzu I.). Unbestritten ist, dass letztere Funktion vor allem dem Rechtsmissbrauchsverbot zugrunde liegt. Nach diesem Grundsatz, der vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung sowohl im öffentlichen Recht als auch im Privatrecht angewendet wird, ist eine missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht unzulässig. Von einem Rechtsmissbrauch ist im Allgemeinen auszugehen, wenn der Rechtsinhaber Vorteile anstrebt, die dem Sinn und Zweck der einschlägigen Unionsnorm widersprechen.925 Das Verbot des Rechtsmissbrauchs lässt sich insofern als eine Art invertiertes Gebot des effet utile926 begreifen: Die Reichweite und der Geltungsanspruch unionsrechtlicher Normen werden auf der Grundlage einer zweckorientierten Auslegung nicht nur positiv durch das Prinzip der praktischen Wirksamkeit bzw. das Effektivitätsgebot abgesichert, sondern zugleich negativ durch das Rechtsmissbrauchsverbot begrenzt. Welche Grenzen das Rechtsmissbrauchsverbot der Ausübung subjektiver Unionsrechte setzt, ist allerdings ungeklärt. Die folgenden Ausführungen geben daher zunächst einen Überblick über die Entwicklung des Rechtsmissbrauchsverbots in der EuGHRechtsprechung und im geschriebenen Unionsrecht. In diesem Rahmen ist vor allem das Verhältnis zwischen unionsrechtlichem Rechtsmissbrauchsverbot und nationalen Rechtsmissbrauchsvorschriften auszuloten (II.). Im Anschluss werden die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des unionsrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbots in den Blick genommen (III. – IV.). Der Abschnitt schließt mit einer kurzen Diskussion 923   EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 17: „Soweit das Gemeinschaftsrecht einschließlich der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze hierfür [gemeint ist die Durchführung] keine gemeinsamen Vorschriften enthält, gehen die nationalen Behörden bei dieser Durchführung der Gemeinschaftsregelungen nach den formellen und materiellen Bestimmungen ihres nationalen Rechts vor (. . .)“; Herv. hinzugefügt. 924   Zum Begriff der Durchführung im Allgemeinen supra, § 4 A.I.2. Speziell zum Rechtsmissbrauchsverbot EuGH, Rs. C‑417/10 (3M Italia) Rn.  30 – 32. 925   EuGH, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 28; Rs. C‑110/99 (Emsland-Stärke) Rn. 52 f.; Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 74 f. 926  So Schmidt-Kessel, JbJZ 2000, 61, 75.

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

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ausgewählter Probleme, die in der Vergangenheit Gegenstand deutscher Gerichtsentscheidungen waren, ohne dass die Gerichte eine Vorlage an den EuGH in Betracht gezogen hätten (V.).

I. Funktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze 1. Allgemeine Funktionen Die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts haben in der Rechtsprechung des EuGH von Beginn an eine große Rolle gespielt.927 Schon früh leitete der Gerichtshof aus dem acquis communautaire im Wege einer Gesamtanalogie sowie aus den gemeinsamen Wertvorstellungen und Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten unter Rückgriff auf Art. 340 Abs. 2 AEUV (ex Art. 288 Abs. 2 EG) und andere Bestimmungen des Vertrags (vgl. insb. Art. 19 Abs. 1 EUV [ex Art. 220 EG]) die Befugnis ab, das geschriebene Unionsrecht durch allgemeine Rechtsgrundsätze zu ergänzen und fortzuschreiben. Die meisten allgemeinen Rechtsgrundsätze wurden dabei für das öffentliche Recht entwickelt, so etwa die Gemeinschafts- bzw. Unionsgrundrechte928 sowie rechtsstaatliche und verwaltungsrechtliche Prinzipien,929 wie z. B. das Bestimmtheitsgebot,930 der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,931 der Grundsatz der Rechtssicherheit,932 Vertrauensschutz933 sowie der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.934 Zahlreiche andere vom Gerichtshof entwickelte Rechtsgrundsätze stammen demgegenüber aus dem Privatrecht der Mitgliedstaaten.935 Hierzu zählt der Grundsatz der Vertragsfreiheit,936 pacta sunt servanda,937 Treu und Glauben,938 das Verbot ungerechtfertigter Bereicherung939 sowie zahlreiche Begriffe des Schadens927  Monografisch Arnull, The general Principles of EEC law and the individual, 1990; Bernitz/ Nergelius (Hrsg.), General Principles of Community Law, 2000; Groussot, General principles of community law, 2006; Metzger, Extra legem, intra ius, 2009; Papadopoulou, Principes généraux du droit et droit communautaire, 1996; Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006; Usher, General Principles of EC Law, 1998. 928   Zur Entwicklung insb. der justiziellen Unionsgrundrechte supra, § 2 D.I. 929  Dazu Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1977; v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 210 ff. 930  EuGH, Rs. 169/80 (Gondrand Frères und Garancini) Rn. 17 f.; Rs. 361/88 (Kommission/ Deutschland – „Schwefeldioxid/Schwebestaub“) Rn. 15; Rs. C‑143/93 (Gebroeders van Es Douane Agenten) Rn. 27; Rs. C‑110/03 (Belgien/Kommission) Rn. 30. 931  Hierzu supra, § 4 C.III.4. 932   EuGH, Rs. 265/78 (Ferwerda) Rn. 17; verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 30; Rs. C‑453/00 (Kühne & Heitz) Rn. 24. 933   EuGH, Rs. 111/63 (Lemmerz-Werke); Rs. 316/86 (Krücken) Rn. 22; Rs. 161/88 (Binder) Rn. 22; Rs. C‑62/00 (Marks & Spencer) Rn. 43 ff. 934   Siehe z. B. EuGH, Rs. C‑274/04 (ED & F Man Sugar) Rn. 18. 935  Dazu Metzger, Extra legem, intra ius, 2009, S. 348 ff.; Sieburgh, ERPL 2012, 295, 305 f. m. w. N. 936  EuGH, Rs.  90  & 91/90 (Neu) Rn.  13; Rs.  C‑240/97 (Spanien/Kommission) Rn. 99 f.; Rs. C‑499/04 (Werhof) Rn. 23; Rs. C‑437/04 (Kommission/Belgien) Rn. 51; Rs. C‑277/05 (Société thermale d’Eugénie-les-Bains) Rn. 24. 937  EuGH, Rs. C‑162/96 (Racke) Rn. 49; EuG, Rs. T‑154/01 (Distilleria Palma/Kommission) Rn. 45. Vgl. aber auch EuGH, Rs. C‑503/04 (Kommission/Deutschland) Rn. 36: Mitgliedstaaten können sich bei vergaberechtswidrigen Verträgen nicht auf den Grundsatz pacta sunt servanda berufen. 938   EuGH, verb. Rs. 43, 45 & 48/59 (Lachmüller u. a./Kommission); Rs. 44/59 (Fiddelaar/Kommission); EuG, Rs. T‑192/99 (Dunnett u. a./Europäische Investitionsbank) Rn. 103 ff.; Rs. T‑271/04 (Citymo/Kommission) Rn. 107 ff. 939   EuGH, Rs. 259/87 (Griechenland/Kommission) LS 2; EuG, T‑166/98 (Cantina sociale di Dolianova u. a.) Rn. 160; EuG, Rs. T‑171/99 (Corus UK/Kommission); EuG, Rs. T‑44, 119 & 126/01 (Vieira

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

ersatzrechts.940 Der Gerichtshof rekurrierte auf diese Prinzipien jedoch zumeist in einem öffentlich-rechtlichen Kontext.941 Im Privatrecht ist es dagegen – vom Rechtsmissbrauchsverbot abgesehen – in vielen Bereichen noch nicht zu einer judikativen Anerkennung allgemeiner Rechtsgrundsätze gekommen.942 Allgemeine Grundsätze des Unionsrechts können unterschiedliche Funktionen erfüllen.943 Sie dienen zum einen der Auslegung, Ergänzung und Fortbildung des Unionsrechts und können in diesem Rahmen auch als Maßstab bei der Korrektur und Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Unionsorgane einschließlich des sekundären Unionsrechts herangezogen werden. Andererseits sind sie aber auch bei der Auslegung nationaler Vorschriften, die auf europäischem Recht beruhen, zu berücksichtigen. Schließlich werden die allgemeinen Rechtsgrundsätze vom EuGH auch zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit mitgliedstaatlicher Durchführungsmaßnahmen herangezogen. Insbesondere wenn eine Unionsregelung den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen mehreren Durchführungsmodalitäten lässt, müssen die Mitgliedstaaten ihr Ermessen unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts ausüben.944 Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind sowohl vom nationalen Gesetzgeber beim Erlass von Rechtsakten als auch von den mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten bei Anwendung und Auslegung von unmittelbar wirksamem Unionsrecht und umgesetztem europäischen Recht zu berücksichtigen. Für Richtlinien hebt der Gerichtshof besonders hervor, dass die nationalen Behörden und Gerichte das nationale Recht nicht nur richtlinienkonform auslegen, sondern zudem darauf achten müssen, „dass sie sich nicht auf eine Auslegung dieser Richtlinie stützen, die mit den durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Rechtsgrundsätzen (. . .) kollidiert“.945 2. Begrenzung des Effektivitätsgebots durch allgemeine Rechtsgrundsätze a) EuGH-Rechtsprechung Die meisten allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts weisen eine den Effektivitätsgrundsatz begrenzende Funktion auf. Verfolgt eine nationale Norm einen Zweck, der sich im Einklang mit einem unionsrechtlich anerkannten Rechtsgrundsatz befindet, so kann dieser Rechtsgrundsatz unter bestimmten Voraussetzungen das Festhalten an einer nationalen Vorschrift legitimieren, selbst wenn dies der effektiven Verwirklichung der in Rede stehenden Unionsnorm zuwiderläuft.946 und Vieira Argentina/Kommission) Rn. 86. Zum korrespondierenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 12 f.; EuG, Rs. T‑333/03 (Masdar (UK)/Kommission) Rn. 91 ff.; EuGH, Rs. C‑47/07 P (Masdar (UK)/Kommission) Rn. 44 ff. 940   Vgl. nur Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003; sowie die Beiträge in: Koziol/Schulze (Hrsg.), Tort Law of the European Community, 2008. 941   Metzger, Extra legem, intra ius, 2009, S. 348 ff., spricht treffend von elementaren Grundsätzen des Privatrechts in „öffentlich-rechtlicher Einkleidung“. 942   Metzger, Extra legem, intra ius, 2009, S. 352 ff. Vgl. auch infra, § 4 E.I.3.b. 943   Vgl. GA Stix-Hackl, SchlA, Rs. C‑36/02 (Omega) Rn. 54 ff.; Lenaerts/Gutiérrez-Fons, CMLR 2010, 1629 ff.; Metzger, Extra legem, intra ius, 2009, S. 389 ff.; Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 29 ff. 944   EuGH, verb. Rs. 201 – 202/85 (Klensch u. a.) Rn. 10; Rs. C‑313/99 (Mulligan u. a.) Rn. 35. 945   EuGH, Rs. C‑101/01 (Lindqvist) Rn. 87. 946   Näher zu dieser Funktion im Allgemeinen Huthmacher, Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei indirekten Kollisionen, 1985, S. 188 ff.; Kakouris, CMLR 1997, 1389, 1404; Schroeder, AöR 129

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

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So erklärte der Gerichtshof bereits in der Rechtssache Deutsche Milchkontor eine nationale Vorschrift für mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, obwohl diese Regelung es dem Beihilfeempfänger ermöglichte, die Rückforderung einer rechtswidrig gezahlten Gemeinschaftsbeihilfe unter Berufung auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zu verweigern. Ausschlaggebend war der Gedanke, dass diese Grundsätze nicht nur im nationalen Recht, sondern zugleich im Gemeinschaftsrecht anerkannt sind: „Dazu ist zunächst zu bemerken, dass die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft sind. Daher kann es nicht als dieser Rechtsordnung widersprechend angesehen werden, wenn nationales Recht (. . .) berechtigtes Vertrauen und Rechtssicherheit schützt.“947

Für Verjährungs- und Ausschlussfristen urteilt der Gerichtshof gleichermaßen, dass die Festsetzung angemessener Fristen für die Rechtsverfolgung mit dem Unionsrecht, insbesondere mit dem Effektivitätsgrundsatz, vereinbar ist. Derartige Fristen sind nämlich Ausdruck des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Rechtssicherheit.948 Fristen für die Rechtsverfolgung sind daher, soweit sie angemessen sind, nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren.949 Der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt, wie gezeigt, dem Effektivitätsgebot ebenfalls Schranken.950 Der Grundsatz fungiert als Obergrenze für straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen, die im mitgliedstaatlichen Recht zur Durchsetzung unionsrechtlicher Normen vorgesehen sind. Auch im Privatrecht hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Funktion, das Gebot der wirksamen und abschreckenden Sanktionierung zu begrenzen, indem die Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche auf das zur Erreichung der vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziele erforderliche Maß beschränkt wird. Von besonderer Bedeutung für das (Zivil‑)Verfahrensrecht ist der Grundsatz der Parteiherrschaft sowie der Schutz der Verteidigungsrechte. Nach dem in vielen Rechtsordnungen anerkannten Grundsatz der Parteiherrschaft müssen die Prozessparteien die entscheidungserheblichen Tatsachen beibringen und beweisen; sie können den Streitgegenstand bestimmen und über die Einleitung und Beendigung des Verfahrens selbst entscheiden. Derartige Verfahrensgrundsätze beeinträchtigen isoliert betrachtet die Effektivität des Unionsrechts, wenn das Zivilgericht durch das Parteiverhalten gehindert wird, eine eigentlich einschlägige Unionsnorm anzuwen(2004), 3, 34 ff. Für das Strafrecht Böse, Strafen und Sanktionen im europäischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 420 ff.; für das Verwaltungsrecht Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996, S. 49 f.; speziell zum Beihilferecht Koenig/Hellstern, EuZW 2011, 702 ff.; für das Zivil(verfahrens)recht Weyer, ZEuP 1999, 424, 450 ff.; Herb, Zivilprozess, 2007, S. 191 f., 194 ff. 947  EuGH, verb. Rs. 205  –  215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 30. Bestätigt durch EuGH, Rs. C‑5/89 (Kommission/Deutschland – „BUG-Alutechnik“) Rn.  12 – 14; Rs.  C‑80 – 82/99 (Flemmer u. a.), Rn. 60; Rs. C‑158/06 (Stichting ROM-projecten) Rn. 24. 948   EuGH, Rs. 33/76 (Rewe Zentralfinanz und Rewe-Zentral) Rn. 5; Rs. 45/76 (Comet) Rn. 11/18; Rs. C‑62/00 (Marks & Spencer) Rn. 35. Für das Privatrecht EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 41 ff.; Rs. C‑542/08 (Barth) Rn. 28. 949  Vertiefend Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 427 ff.; König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 187 ff.; für das Antidiskriminierungsrecht Wagner/ Posch, JZ 2006, 1085, 1091 ff. 950  Ausführlich supra, § 4 C.III.4.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

den. Der Gerichtshof erklärte dennoch die Grundsätze der Parteiherrschaft und der richterlichen Passivität im Fall van Schijndel ausdrücklich für mit dem Unionsrecht vereinbar. Das Unionsrecht gebiete es den nationalen Gerichten nicht, von Amts wegen die Frage eines Verstoßes gegen (zwingende) Unionsvorschriften aufzugreifen, wenn sie hierfür die ihnen grundsätzlich gebotene Passivität aufgeben müssten, indem sie die Grenzen des Rechtsstreits zwischen den Parteien überschreiten und sich auf andere als die von den Parteien vorgetragenen Tatsachen oder Umstände stützen. Das Prinzip der Parteiherrschaft sei nämlich „Ausdruck der von den meisten Mitgliedstaaten geteilten Auffassungen vom Verhältnis zwischen Staat und Individuum. Es schützt die Verteidigungsrechte und gewährleistet den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens, insbesondere indem es dieses vor den mit der Prüfung neuen Vorbringens verbundenen Verzögerungen bewahrt.“951 Auch der Grundsatz der Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen und Schiedssprüchen steht mit dem Effektivitätsgebot in Einklang. Dieser Grundsatz ist nämlich nicht nur in den nationalen Rechtsordnungen, sondern auch im Unionsrecht anerkannt.952 Das Unionsrecht verlangt daher nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften zur Rechtskraft abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß gegen Unionsrecht abgestellt werden könnte. b) Verweis auf allgemeine Grundsätze des Unionsrechts oder nationalen Rechts? Den Entscheidungen des EuGH lässt sich zum Teil nicht mit Sicherheit entnehmen, ob der Effektivitätsgrundsatz durch Rechtsgrundsätze des Unionsrechts oder des nationalen Rechts begrenzt wird.953 Daraus wird zum Teil gefolgert, der Gerichtshof rekurriere allein auf nationale Rechtsgrundsätze und nehme eine Abwägung zwischen dem Effektivitätsgebot und der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten vor.954 Dem ist zu widersprechen. Erstens hat der EuGH mittlerweile in vielen Judikaten klargestellt, dass die betreffenden Grundsätze nicht nur den meisten Mitgliedstaaten, sondern zugleich der Unionsrechtsordnung zugrunde liegen.955 Zweitens hat der Gerichtshof die allgemeinen Rechtsgrundsätze in vielen Entscheidungen konkre951

  EuGH, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel) Rn. 21.   EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 35 – 37. Ferner EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) 47 f.; Rs. C‑234/04 (Kapferer) Rn. 21; Rs. C‑2/08 (Fallimento Olimpiclub) Rn. 23; C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 45; Rs. C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn. 23. 953   So verweist der Gerichtshof insbesondere in seiner mit van Schijndel begründeten Rechtsprechungslinie zum Schutz der Verteidigungsrechte, zum Grundsatz der Rechtssicherheit und zum ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens auf Grundsätze, die den „meisten“ Mitgliedstaaten zugrunde liegen bzw. auf Grundsätze, die dem „nationalen“ Rechtsschutzsystem zugrunde liegen; EuGH, verb. Rs.  C‑430 – 431/93 (van Schijndel) Rn. 21; Rs. C‑63/01 (Evans) Rn. 46; Rs. C‑276/01 (Steffensen) Rn. 66; Rs. C‑426/05 (Tele2 Telecommunication) Rn. 55; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 39; Rs. C‑63/08 (Pontin) Rn. 47; Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 35; Rs. C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn. 33; Rs. C‑413/12 (Asociación de Consumidores Independientes de Castilla y León) Rn. 34; Rs. C‑470/12 (Pohotovost’) Rn. 51. Speziell zum Rechtsmissbrauchsverbot vgl. auch noch die Diskussion infra, § 4 E.II.3. 954   Craig/de Búrca, EU Law, 6. Aufl., 2015, S. 239 ff.; de Búrca, in: Lonbay/Biondi (Hrsg.), Remedies for Breach of EC Law, 1997, S. 37 ff.; v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 480 ff.; König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2010, S. 89 ff.; Prechal, CMLR 1998, 681, 690 f. 955   EuGH, verb. Rs. 210 – 215 (Deutsche Milchkontor) Rn. 30 (Vertrauensschutz und Rechtssicherheit); Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 35 – 37 (Rechtskraft) und Rn. 41 ff. (Rechtssicherheit); Rs. C‑321/05 (Kofoed) Rn. 38 (Rechtsmissbrauch). 952

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

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tisiert und Kriterien entwickelt, die der nationale Richter zu berücksichtigen hat.956 Schließlich sprechen, wie Metzger957 zutreffend hervorhebt, integrationspolitische Erwägungen dafür, die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Unionsrecht zu verorten, soweit sie eine das Effektivitätsgebot begrenzende Funktion aufweisen. Eine Rechtsordnung, die sich eindimensional nur der Effektivität der durch das Unionsrecht zu schützenden Interessen verschreibt, kann weder die Interessen Dritter noch berechtigte Interessen der Allgemeinheit in angemessenem Umfang berücksichtigen.958 Eine solche Rechtsordnung setzt sich zwangsläufig dem Vorwurf der Parteilichkeit aus und gefährdet damit über kurz oder lang ihre Legitimität und Akzeptanz. Es ist daher nur folgerichtig, dass der EuGH durch die Anerkennung allgemeiner Rechtsgrundsätze versucht, einer einseitig am Effektivitätsgebot orientierten Kontrolle mitgliedstaatlichen Rechts entgegenzuwirken. Die Abwägung zwischen dem Effektivitätsgebot und bestimmten Rechtsgrundsätzen ist nach alledem keine zwischen Unionsrecht und nationalem Recht. Der Konflikt zwischen dem nationalen Recht und dem Durchsetzungsanspruch beruht vielmehr auf einem Interessengegensatz innerhalb des Unionsrechts selbst:959 Ergibt sich, dass hinter einer nationalen Rechtsregel ein allgemeiner Rechtsgrundsatz steht, der auch im Unionsrecht anerkannt wird, so kann dies ein Indiz für die Rechtmäßigkeit der mitgliedstaatlichen Vorschrift sein. Daraus folgt jedoch nicht automatisch, dass kein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot vorliegt. Vielmehr nimmt der EuGH im Anschluss häufig noch eine Abwägung zwischen dem Effektivitätsgebot und dem allgemeinen Rechtsgrundsatz vor, um konkret zu ermitteln, ob der durchzusetzenden Unionsnorm der Vorrang gebührt oder der Geltungsanspruch des Unionsrechts zurücktreten muss, da der kollidierende allgemeine Rechtsgrundsatz eine Durchbrechung des Effektivitätsgebots rechtfertigt.960 3. Erweiterung des Effektivitätsgebots durch allgemeine Rechtsgrundsätze? a) Verfahrensgarantien In der Rechtsprechung des EuGH ist bislang ungeklärt, ob eine innerstaatliche Regelung, die unter einem spezifischen Gesichtspunkt in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, damit zugleich dem Zugriff der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts in umfassender Weise unterworfen werden darf. In einigen Entscheidungen verwendet der Gerichtshof die Formel, dass nationales Recht anzuwenden ist, soweit das Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht „einschließlich der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze“ hierfür keine gemeinsamen Vorschriften enthält.961 Bei wort956  Vgl. zum Vertrauensschutz supra, § 3 D.II.2.a.; zum Rechtsmissbrauchsverbot infra, § 4 E.II. – IV.; zum Prinzip der Rechtskraft, infra, § 5 B.II.3. 957   Metzger, AcP 213 (2013), 316, 318. 958   Zum Vorwurf, dass der EuGH den effet-utile eindimensional handhabt, bereits supra, § 3 D.I. 959   So bereits Huthmacher, Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei indirekten Kollisionen, 1985, S. 189: Ergibt die Abwägung, dass die nationale Vorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, da sie auf einem allgemeinen Rechtsgrundsatz beruht, so handelt es sich „bei dem aufgezeigten Konflikt nur um einen ‚scheinbaren‘ Widerspruch, der letztlich auf einem Interessengegensatz innerhalb des Gemeinschaftsrechts beruht und der nur durch Auslegung gelöst werden kann.“ 960  Eingehend Schroeder, AöR 129 (2004), 3, 34 ff. Herb, Zivilprozess, 2007, S. 191 f., 194 ff. 961   EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 17; EuGH, Rs. C‑290/91 (Peter) Rn. 8; EuGH, Rs. C‑285/93 (Dominikanerinnen-Kloster Altenhohenau) Rn. 26; Rs. C‑292/97 (Karlsson u. a.) Rn. 27.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

getreuem Verständnis könnten die vom EuGH entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie – über die Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz hinaus – weitere Schranken setzen.962 In dieser Funktion spielten allgemeine Rechtsgrundsätze aber lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle. Mitgliedstaatliches Recht wurde selbst nach der Johnston-Entscheidung vorrangig an den Geboten der Effektivität und Gleichwertigkeit gemessen. Die sonstigen allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wurden vom Gerichtshof dagegen nur herangezogen, um einen Verstoß gegen das Effektivitätsgebot zu rechtfertigen bzw. um eine Abwägung zwischen dem Effektivitätsgebot und widerstreitenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen vorzunehmen.963 Seit Mitte der 2000er Jahre ist in der Rechtsprechung des EuGH indessen ein Funktionswandel bei der Handhabung allgemeiner Rechtsgrundsätze zu beobachten, soweit es um Verfahrensgarantien geht: In neueren Entscheidungen zieht der Gerichtshof die allgemeinen Rechtsgrundsätze, insbesondere die Unionsgrundrechte, als zusätzliche Schranke heran, um die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten zu begrenzen und mitgliedstaatliches Recht zu kontrollieren. So prüfte der Gerichtshof im Jahre 2003 in der Entscheidung Steffensen964 eine Regelung des deutschen Prozessrechts zur Verwertbarkeit von Beweisen in Straf- und Bußgeldverfahren nicht nur am Maßstab des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots, sondern darüber hinaus auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten, namentlich mit dem Recht auf ein faires Verfahren vor einem Gericht und dem hieraus folgenden Grundrecht auf ein kontradiktorisches Verfahren, obwohl die im Fall anwendbare Richtlinie965 die Zulässigkeit von Beweismitteln gerade nicht regelte. Dieser neue Ansatz, der für die Unionsgrundrechte einen weiten Anwendungsbereich zugrunde legt, und die Grundrechtskontrolle auch auf den von Richtlinien nicht unmittelbar geregelten Bereich erstreckt, wurde vom Gerichtshof mehrfach bestätigt.966 Er findet seine Rechtfertigung darin, dass mit der Europäischen Grundrechtecharta seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags ein Grundrechtekatalog zur Verfügung steht, der die Mitgliedstaaten in Durchführungssituationen auch an die justiziellen Verfahrensgarantien bindet.967 b) Allgemeine Grundsätze des Privatrechts? Der Gerichtshof greift auf die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts nicht mehr nur in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zurück, sondern auch in Privatrechtsfällen. Dabei sind seit Mitte der 2000er Jahre zwei Entwicklungen zu beobachten.968 Zum 962   Vgl. Regeling/Middeke/Gellermann/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl., 2003, § 36 Rn. 38. 963   Vgl. den Rechtsprechungsüberblick supra, § 2 D.V. 964   EuGH, Rs. C‑276/01 (Steffensen) Rn. 69 ff. 965   Richtlinie 89/397 über die amtliche Lebensmittelüberwachung, ABl. 1989 L 186/23. 966   EuGH, Rs. C‑617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 18 ff.; Rs. C‑418/11 (Texdata Software). Näher supra, § 4 A.I.2. 967   Der Gerichtshof sollte daher, wie unter § 4 C.I.3.c. dargelegt, stärker zwischen dem Effektivitätsgebot und dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz trennen. 968   Der Gerichtshof hat zudem in einer Reihe von Fällen (wie z. B. im Fall Courage) ungeschriebene subjektiv-private Unionsrechte statuiert und diese unter Rückgriff auf seine Judikatur im öffentlichen Recht z. T. näher konturiert; hierzu § 2 E.II. Diese Entwicklung betrifft indessen die bereits diskutierte Herleitung von Unionsrechten im Privatrecht (supra, § 3), nicht jedoch die hier in Rede stehende Durchsetzung.

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

351

einen werden die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, wie die zum Verbot der Altersdiskriminierung ergangenen Entscheidungen Mangold969 und Kücükdeveci970 zeigen, auch im Privatrecht verstärkt herangezogen, um mitgliedstaatliches Recht zu kontrollieren. Zum anderen verweist der Gerichtshof in einer Reihe von Fällen neuerdings auf „allgemeine Grundsätze des Zivilrechts“971 bzw. „Grundsätze des bürgerlichen Rechts“.972 Ob der EuGH damit auf das nationale Recht Bezug nimmt973 oder autonom zu verstehende Grundsätze des Unionsprivatrechts meint,974 geht aus den Entscheidungen nicht eindeutig hervor. Die Judikatur könnte darauf hindeuten, dass der Gerichtshof bereit ist, auch für das Zivilrecht allgemeine Grundsätze anzuerkennen,975 diese für die Auslegung und Fortbildung des Unionsrechts heranzuziehen, und (zumindest teilweise) nach autonom unionsrechtlichen Maßstäben unter Beachtung der Zielsetzung der zugrunde liegenden Richtlinien zu konkretisieren. Eine nähere Durchsicht der betreffenden Fälle zeigt indessen, dass der Gerichtshof diesen Schritt in den genannten Judikaten nicht vollzogen hat. In den Urteilen Mangold976 und Kücükdeveci977 wurden keine neuen inhaltlichen Anforderungen an die mitgliedstaatliche Durchführung aufgestellt. Der Gerichtshof statuierte das ungeschriebene primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung in beiden Entscheidungen vielmehr mit dem Ziel, den Vorgaben der betreffenden Antidiskriminierungs-Richtlinien unmittelbare Wirkung auch in Privatrechtsverhältnissen zu verleihen.978 Damit ging es gar nicht um die Herleitung neuer materiell-rechtlicher Vorgaben für die Ausgestaltung mitgliedstaatlichen Rechts, sondern um die Frage der unmittelbaren Wirkung der Antidiskriminierungs-Richtlinien. Auch die in neueren Entscheidungen erwähnten „allgemeine Grundsätze des Zivilrechts“ bzw. „Grundsätze des bürgerlichen Rechts“ erfüllen bislang nicht die Funktion, den Geltungsanspruch unionsrechtlicher Normen zu verstärken: – Im Fall Société thermale d’Eugénie-les-Bains979 hob der EuGH zwar hervor, dass nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts „jede Vertragspartei den Vertrag einzuhalten und die vertraglich bedungene Leistung zu erbringen“ habe. Der Verweis auf die allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts war jedoch nicht entscheidungserheblich. – Im Urteil Hamilton980 verwies der Gerichtshof demgegenüber auf den allgemeinen Grundsatz des Zivilrechts, „dass sich die vollständige Durchführung eines Vertrags in der Regel aus der Erbringung der gegenseitigen Leistungen der Vertragsparteien und der Beendigung des entsprechenden Vertrags ergibt“. Im konkreten Fall 969

  EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold).   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci).   So in EuGH, Rs. C‑277/05 (Société thermale d’Eugénie-les-Bains) Rn. 24; Rs. C‑412/06 (Hamilton) Rn. 42; Rs. C‑215/08 (Friz) Rn. 48. 972   So in EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn. 26. 973   So zur Messner-Entscheidung Hellwege, GPR 2010, 74, 77; Stempel, ZEuP 2010, 925, 933 f. 974   So allgemein Hartkamp, RabelsZ 75 (2011), 241, 256; sowie zur Messner-Entscheidung Faust, JuS 2009, 1049, 1052; Rybarz, Billigkeitserwägungen, 2011, S. 112. 975  So Weatherill, ERCL 2010, 74 ff.; Ch. Mak, ERPL 2012, 323 ff. 976   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold). 977   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci). 978  Hierzu infra, § 5 A.IV.4.b. 979   EuGH, Rs. C‑277/05 (Société thermale d’Eugénie-les-Bains) Rn. 24. 980   EuGH, Rs. C‑412/06 (Hamilton) Rn. 42. 970 971

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

wurde dieses Prinzip aber gar nicht zur Erweiterung, sondern zur Begrenzung der Unionsrechte herangezogen. Der Gerichtshof rechtfertigte unter Bezugnahme auf diesen Grundsatz eine nationale Regelung, derzufolge das in der HWiRL 85/577 vorgesehene Widerrufsrecht bei vollständiger Erfüllung erlöschen sollte. – Ganz ähnlich rekurrierte der EuGH im Fall Friz981 darauf, dass die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft „entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts für einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den Beteiligten sorgen“ sollen, um eine das Widerrufsrecht begrenzende nationale richterrechtliche Regel für mit dem Unionsrecht vereinbar zu erklären. – Auch im Fall Messner982 wurden keine neuen, die Reichweite der subjektiven ­Unionsrechte erweiternden Vorgaben aufgestellt. Der EuGH urteilte, dass die Mitgliedstaaten das in der FARL 97/7 vorgesehene Widerrufsrecht durch einen Wertersatzanspruch des Unternehmers begrenzen können, wenn der Verbraucher die Ware „auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat“. Gleichzeitig hat es der Gerichtshof abgelehnt, im Privatrecht allgemeine Rechtsgrundsätze anzuerkennen, um das geschriebene Unionsrecht zu ergänzen und den effet utile zu verstärken. So lehnte er es etwa im Fall Audiolux983 ab, aus verstreuten sekundärrechtlichen Einzelregelungen einen allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung im Aktienrecht abzuleiten, auf den sich Minderheitsaktionäre bei Übernahme von Unternehmensanteilen berufen können. Nach den Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Idryma Typou984 gibt es auch keinen allgemeinen, unter allen Umständen und ohne Ausnahme geltenden Grundsatz des Gesellschaftsrechts, dass die Gesellschafter nie persönlich für die Schulden einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haften. Die gesteigerte Bedeutung allgemeiner Rechtsgrundsätze für das Zivilrecht wird schließlich durch den Umstand unterstrichen, dass Generalanwälte in ihren Schlussanträgen zunehmend auf den akademischen Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen (Draft Common Frame of Reference, DCFR) Bezug nehmen, um bei der Interpretation des Unionsrechts ein bestimmtes Auslegungsergebnis zu untermauern oder die sich aus dem Effektivitätsgebot ergebenden Anforderungen zu präzisieren.985 Der DCFR dient damit den Unionsorganen – entsprechend seiner Zielsetzung986 – 981

  EuGH, Rs. C‑215/08 (Friz) Rn. 48.   EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn. 26. 983   EuGH, Rs. C‑101/08 (Audiolux). Kritisch zur methodischen Vorgehensweise Metzger, RabelsZ 75 (2011), 845, 859. 984   EuGH, Rs. C‑81/09 (Idryma Typou) Rn. 42. 985   Vgl. GA Maduro, SchlA, Rs. C‑412/06 (Hamilton) Rn. 24 mit Fn. 48 f. (zur HWiRL 85/577). Sowie die SchlA von GA Trstenjak in den Rs. C‑180/06 (Ilsinger) Rn. 49 (zur Brüssel I-VO 44/2001); Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) Rn. 94 mit Fn. 57 (zur Verjährung von Staatshaftungsansprüchen); Rs. C‑275/07 (Kommission/Italien) Rn. 90 mit Fn. 48 f. (Anspruch des Gläubigers auf Verzugszinsen wegen verspäteter Verbuchung von Zöllen); Rs. C‑137/08 (VB Pénzügyi Lízing) Rn. 96 mit Fn. 54 (zur Klausel-RL 93/13). Deutlich zurückhaltender GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn. 85 (zur FARL 97/7): DCFR und ACQP sind „als reine Vorschläge für die Auslegung der in Kraft befindlichen Richtlinie nicht ergiebig“. 986  Vgl. von Bar/Clive/Schulte-Nölke (Hrsg.), DCFR, Outline Edition, 2009, Introduction 8, S. 7 („a possible source of inspiration“). 982

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

353

zunehmend als Inspirationsquelle für die Auslegung europäischen Privatrechts. Eine weitergehende Verbindlichkeit kommt dem DCFR dagegen nicht zu. Es handelt sich um eine lex academia, also um ein Kompendium von Regeln wissenschaftlicher Provenienz und Prägung, das keine normative Verbindlichkeit beanspruchen kann.987 Als Fazit bleibt damit festzuhalten, dass die vom EuGH angewendeten „allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts“ bzw. die „Grundsätze des bürgerlichen Rechts“ die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts bislang nicht positiv verstärken, sondern negativ begrenzen. Sie dienen dem Gerichtshof dazu, einer einseitig am effet utile orientierten Auslegung entgegenzuwirken. Indem der Gerichtshof auch im Privatrecht auf allgemeine Rechtsgrundsätze rekurriert, kann ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen erzielt werden, selbst wenn die Interessen der anderen Partei im konkreten Fall nicht positiv im geschriebenen Unionsrecht berücksichtigt werden.

II. Das Rechtsmissbrauchsverbot als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts 1. Einordnung des Rechtsmissbrauchsverbots Lange Zeit war umstritten, ob das Rechtsmissbrauchsverbot als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zu begreifen ist. GA Tesauro meinte noch im Jahre 1998, dass „sich gegenwärtig in der Gemeinschaftsrechtsordnung kein gemeinschaftsrechtlicher allgemeiner Grundsatz ausmachen [lässt], der die missbräuchliche Ausübung eines durch das Gemeinschaftsrecht begründeten Rechts ahndet“.988 Auch im Schrifttum wird zuweilen vorgetragen, der EuGH habe noch keinen für alle Situationen gültigen Grundsatz aufgestellt, sondern dieses Prinzip nur für bestimmte Konstellationen entwickelt.989 Dieses Meinungsbild hat sich inzwischen gewandelt. Generalanwälte und Schrifttum gehen mittlerweile überwiegend davon aus, dass es sich bei dem Rechtsmissbrauchsverbot um einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts handelt.990 Der EuGH hat das Verbot im Jahre 2005 in der Rechtssache Kofoed ausdrücklich als einen

987   Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 533 f.; Riesenhuber, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Gemeinsame Referenzrahmen, 2009, S. 173, 202 ff.; Röthel, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), a. a. O., S. 287, 308 f. Vgl. auch N. Jansen, The Making of Legal Authority, 2010, S. 65 f. 988   GA Tesauro, SchlA, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 27. 989   Kjellgren, EBLR 2000, 179, 190; Baudenbacher, ZfRV 2008, 205, 218; Englisch, StuW 2009, 3, 22; sowie die Beiträge von Arnull, S. 7, 23, Dougan, S. 355 ff., und Whittaker, S. 253, 260, alle in: de la Feria/Vogenauer (Hrsg.), Prohibition of Abuse of Law, 2011. 990   GA La Pergola, SchlA, Rs. C‑212/97 (Centros) Rn. 20; GA Saggio, SchlA, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 22, 28; GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 64; GA Kokott, SchlA, Rs. C‑321/05 (Kofoed) Rn. 57; GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑303/08 (Bozkurt) Rn. 58; GA Kokott, SchlA, Rs. C‑186/10 (Oguz) Rn. 29. Aus dem Schrifttum Basedow, in: FS Stathopoulos, 2010, S. 159 ff.; de la Feria, CMLR 2008, 395, 438; Fleischer, JZ 2003, 865, 871; Lenaerts, ERPL 2010, 1121, 1139, 1151 (m. w. N. in Fn. 104); Leible/Röder, RIW 2007, 481, 482; Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2015, § 242 Rn. 1244; MüKo/Schubert, BGB, 7. Aufl., 2016, § 242 Rn. 156; Rybarz, Billigkeitserwägungen, 2011, S. 160, 173, 195; Sørensen, CMLR 2006, 423, 439 f., 458; A. Zimmermann, Das Rechtsmißbrauchsverbot, 2002, S. 180, 231; sowie die Beiträge von Doukas, S. 63, 89 ff., Tridimas, S. 169, 190 f., und Vogenauer, S. 521, 571, alle in: de la Feria/Vogenauer (Hrsg.), Prohibition of Abuse of Law, 2011.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

solchen bezeichnet.991 Auch das BAG sowie der BGH betonen, dass das Verbot des Rechtsmissbrauchs ein anerkannter Grundsatz des Unionsrechts ist.992 Dass das Rechtsmissbrauchsverbot in den einzelnen Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich ausgestaltet ist, und insbesondere in England als allgemeines Prinzip keine Anerkennung erfahren hat,993 spricht nicht gegen die Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes.994 Zum einen zeigen rechtsvergleichende Studien,995 dass das Verbot des Rechtsmissbrauchs allen heutigen europäischen Privatrechtsordnungen immanent ist und die Falllösungen trotz sehr unterschiedlicher Ausgangspunkte konvergieren.996 Zum anderen ist für die Anerkennung eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts gerade nicht erforderlich, dass dieses Rechtsinstitut in allen oder in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten anerkannt ist. Entscheidend ist vielmehr eine Lösung, die bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung der Ziele und Strukturprinzipien der EU am angemessensten erscheint.997 Das Rechtsmissbrauchsverbot könnte weitergehend als Bestandteil des vom EuGH im öffentlichen Recht anerkannten Grundsatzes von Treu und Glauben begriffen werden. Sowohl die ACQP998 als auch der DCFR999 subsumieren das Rechtsmissbrauchsverbot unter diesen Grundsatz. Dies entspricht der deutschen Sichtweise. Andere Rechtsordnungen sehen im Rechtsmissbrauchsverbot dagegen ein eigenständiges Prinzip.1000 Für das Unionsrecht ist bereits zweifelhaft, ob es überhaupt einen allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben gibt, der nicht nur im Verhältnis zu Hoheitsträgern, sondern auch in Privatrechtsverhältnissen gilt. Überwiegend wird  991   EuGH, Rs. C‑321/05 (Kofoed) Rn. 38: „Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 [Fusions-RL] spiegelt somit den allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts wider, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist.“  992   BAG, Urt. v. 13.10.2011, Az. 8 AZR 608/10, BeckRS 2012, 65090, Rn. 53; BGH, NJW 2004, 1045, 1046 (zum Verstoß gegen den Grundsatz Treu und Glauben bei widersprüchlichem Verhalten).  993   Bradford Corp v. Pickles, [1895] AC 587, 594, per Lord Halsbury; Allen v. Flood, [1898] AC 1, 92, per Lord Watson; Chapman v. Honig, [1963] 2 QB 502. Auch das Institut der Gesetzesumgehung („evasion of law“) ist nicht allgemein anerkannt; Schammo, ELJ 2008, 351, 357 m. w. N.  994   Dies räumen selbst die Gegner der Doktrin ein; GA Tesauro, SchlA, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 23.  995   Eörsi, ZfRV 6 (1965), 30 ff.; Gutteridge, CLJ 5 (1933 – 35), 22 – 45; Merz, ZfRV 1977, 162 ff.; Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2015, § 242 Rn. 1160 ff.  996   Im Ergebnis auch Basedow, in: FS Stathopoulos, 2010, S. 159, 166; Lenaerts, ERPL 2008, 1121, 1125; Ranieri, ZEuP 2001, 165, 173. Speziell zum englischen Recht Gutteridge, CLJ 5 (1933 – 35), 22, 45; Schammo, ELJ 2008, 351, 357 f. (zur Gesetzesumgehung). Skeptisch dagegen Vogenauer, in: de la Feria/Vogenauer (Hrsg.), Prohibition of Abuse of Law, 2011, S. 521, 554 f.  997   GA Roemer, SchlA, Rs. C‑5/71 (Zuckerfabrik Schöppenstedt); GA Léger, SchlA, Rs. C‑87/01 P (Kommission/CEMR) Rn. 64.  998   Nach Art. 7:102 ACQP hat der Gläubiger seine Rechte auf Erfüllung und seine Rechtsbehelfe wegen Nichterfüllung nach Treu und Glauben auszuüben; die Vorschrift umfasst ein allgemeines Verbot des Rechtsmissbrauchs; de Vincelles/Machnikowski u. a., in: ACQP, 2009, Art. 7:102 Rn. 6; vgl. auch Pfeiffer/Ebers, in: ACQP, 2009, Art. 2:101 Rn. 7. Kritisch (gemeinschaftsrechtliche Grundlage der Vorschrift ist „ausgesprochen schwach“ ausgeprägt) Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1113, 1123; Metzger, in: de la Feria/Vogenauer (Hrsg.), Prohibition of Abuse of Law, 2011, S. 235, 250.  999   Art. III.-1:103 i. V. m. Art. I.-1:103 DCFR. Allgemein zum Gebot von Treu und Glauben im DCFR Dajczak, GPR 2009, 63 ff. 1000   So werden im französischen Recht zwar die Verbindungslinien zwischen „abus de droit“ und „bonne foi“ betont. Dogmatisch wird das Rechtsmissbrauchsverbot jedoch in der deliktischen Generalklausel (Art. 1382 CC) und nicht im Gebot von Treu und Glauben (Art. 1134 CC) verortet; Fauvarque-Cosson, Bénédicte/Mazeaud, Denis (Hrsg.), European Contract Law, 2008, S. 191 f.; Fleischer, JZ 2003, 865 f.; A. Zimmermann, Das Rechtsmißbrauchsverbot, 2002, S. 95 f.

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

355

davon ausgegangen, dass das europäische Privatrecht nur spezifische Ausprägungen, aber bislang keinen übergreifenden Grundsatz von Treu und Glauben enthält.1001 Dieser Streit muss hier nicht vertieft werden.1002 Letztlich bedarf das Rechtsmissbrauchsverbot keiner deduktiven Herleitung aus dem Prinzip von Treu und Glauben. Es kann genauso gut als eigenständiger Grundsatz des Unionsrechts angesehen werden. 2. Bestandsaufnahme a) Rechtsprechung des EuGH im öffentlichen Recht Der Gerichtshof hat das Verbot des Rechtsmissbrauchs zunächst im Rahmen der Grundfreiheiten entwickelt. Bereits im Jahre 1974 stellte er in der Rechtssache van Binsbergen1003 fest, dass einem Mitgliedstaat nicht das Recht abgesprochen werden kann, Vorschriften zu erlassen, „die verhindern sollen, dass der Erbringer einer Leistung, dessen Tätigkeit ganz oder vorwiegend auf das Gebiet dieses Staates ausgerichtet ist, sich die durch Artikel 59 [jetzt Art. 56 AEUV] garantierte Freiheit zunutze macht, um sich den Berufsregelungen zu entziehen, die auf ihn Anwendung fänden, wenn er im Gebiet dieses Staates ansässig wäre.“ In der Folgezeit erstreckte der Gerichtshof diese Rechtsprechung auf die Niederlassungsfreiheit,1004 die Warenverkehrsfreiheit1005 und die Arbeitnehmerfreizügigkeit.1006 Kennzeichnend für die betreffenden Fälle ist das Problem der Umgehung nationalen Rechts: Bestimmungen des Unionsrechts dürfen nach der Rechtsprechung nicht missbräuchlich geltend gemacht werden, um sich den nationalen Vorschriften zu entziehen. Parallel hierzu entstand eine weitere Rechtsprechungslinie, in der es um die missbräuchliche Ausübung von Unionsrechten ging. Grundlegend ist die aus dem Jahre 1977 stammende Entscheidung Cremer1007 zur gemeinsamen Agrarpolitik. Der Gerichtshof urteilte, dass die Anwendung der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen über Ausfuhrerstattungen „keinesfalls so weit ausgedehnt werden darf, dass er missbräuchliche Praktiken eines Exporteurs (. . .) deckt“. Diese Grundsätze wurden vom EuGH mehrfach bestätigt und insbesondere im Steuerrecht1008 sowie im Gesellschaftsrecht1009 angewendet. Der Gerichtshof betont für diese Fallgruppe, dass die missbräuchliche Berufung auf Normen des Unionsrechts nicht gestattet ist. Die Anwendung von Unionsnormen darf mit anderen Worten nicht so weit reichen, dass missbräuchliche Praktiken, d. h. Vorgänge geschützt werden, die nicht im Rahmen des normalen Geschäftsverkehrs, sondern nur zu dem Zweck durchgeführt werden, 1001   Europäische Kommission, Grünbuch „Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“, KOM (2006) 744 endg., S. 19; Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1113, 1122 f.; Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2015, § 242 BGB Rn. 1243; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 411; MüKo/Schubert, BGB, 7. Aufl., 2016, § 242 Rn. 154 ff.; A. A. Fleischer, JZ 2003, 865, 871; Lando, ERPL 2007, 841 ff.; Stempel, Treu und Glauben, 2016, S. 310. Vgl. auch Martínez Sanz, in: Schulte-Nölke/Schulze (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 127 ff. 1002   Näher zur Diskussion Pfeiffer/Ebers, in: ACQP, 2009, Art. 2:101 Rn. 3 ff. 1003   EuGH, Rs. 33/74 (van Binsbergen) Rn. 13. 1004   EuGH, Rs. 115/78 (Knoors) Rn. 25; Rs. C‑370/90 (Singh) Rn. 24. 1005   EuGH, Rs. 229/83 (Leclerc) Rn. 27. 1006   EuGH, Rs. 39/86 (Lair) Rn. 43. 1007   EuGH, Rs. 125/76 (Cremer) Rn. 21. 1008   Vgl. EuGH, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 61 ff. 1009   Vgl. EuGH, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 20; Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 33.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

missbräuchlich in den Genuss von im Unionsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen.1010 In den späten 1990er Jahren führte der Gerichtshof beide Rechtsprechungslinien zusammen.1011 In der Centros-Entscheidung1012 betonte das Gericht für beide Fallgruppen: „Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist ein Mitgliedstaat (. . .) berechtigt, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den EG‑Vertrag geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen; die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht ist nicht gestattet“. Der EuGH grenzt seit dieser Entscheidung die Gesetzesumgehung nicht mehr von den Fällen der missbräuchlichen Ausübung von Unionsrechten ab. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Umgehung einer Norm, mit der eine Verpflichtung auferlegt wird, zugleich die Erschleichung eines nicht vorgesehenen Vorteils innewohnt.1013 Derjenige, der sich in missbräuchlicher Weise auf die Grundfreiheiten beruft, möchte nämlich nicht nur das nationale Recht umgehen, sondern letztlich – wie beim „echten“ Rechtsmissbrauch – die im Unionsrecht verankerten Rechte missbräuchlich für sich in Anspruch nehmen. Im Unterschied zum Recht vieler Mitgliedstaaten1014 werden daher beide Fälle einheitlich unter dem Oberbegriff des Rechtsmissbrauchs zusammengefasst.1015 Der Gerichtshof ging Ende der 1990er Jahre zugleich dazu über, die Kriterien für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten näher zu konkretisieren. Im Fall Emsland-Stärke1016 stellte der EuGH den Grundsatz auf, dass der Nachweis eines missbräuchlichen Verhaltens zum einen voraussetze, dass bei Gesamtwürdigung der objektiven Umstände trotz formaler Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen das Ziel der in Frage stehenden Regelung nicht erreicht wurde. Zum anderen setze der Missbrauch ein subjektives Element voraus, nämlich die Absicht, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Diese Voraussetzungen wurden im Fall Halifax1017 insbesondere für das Steuerrecht weiter präzisiert.

1010   EuGH, Rs. C‑212/97 (Centros) Rn. 24; Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 68 f.; Rs. C‑456/04 (Agip Petroli) Rn. 19 f.; Rs. C‑196/04 (Cadbury Schweppes) Rn. 35. 1011   Zusammenfassend GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 36. Vgl. auch Schön, in: FS Wiedemann, 2002, S. 1271, 1272 ff.; Vogenauer, in: de la Feria/Vogenauer (Hrsg.), Prohibition of Abuse of Law, 2012, S. 521, 529 f.; A. Zimmermann, Das Rechtsmißbrauchsverbot, 2002, S. 185 f. 1012   EuGH, Rs. C‑212/97 (Centros) Rn. 24. 1013   Vgl. GA Stix-Hackl, SchlA, Rs. C‑452/04 (Fidium Finanz) Rn. 96. 1014  In Deutschland wird der institutionelle Rechtsmissbrauch in Form der Gesetzesumgehung vom individuellen Rechtsmissbrauch abgegrenzt; grundlegend Raiser, in: Summum ius – summa iniuria, 1963, S. 145, 150 ff.; vgl. auch Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., 2016, § 242 Rn. 40. Auch in anderen Ländern werden Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch auseinander gehalten, so insb. in Frankreich und Spanien; siehe Fleischer, JZ 2003, 865, 870 m. w. N. 1015  Zustimmend Schammo, ELJ 2008, 351, 358; Tridimas, in: de la Feria/Vogenauer (Hrsg.), Prohibition of Abuse of Law, 2011, S. 168, 171. Für eine klare Abgrenzung dagegen Basedow, in: FS Stathopoulos, 2010, S. 159, 171; Englisch, StuW 2009, 3, 5, 22. 1016   EuGH, Rs. C‑110/99 (Emsland-Stärke) Rn.  52 – 53. 1017   EuGH, Rs. C‑255/02 (Halifax).

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

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b) Rechtsprechung des EuGH im Privatrecht Der EuGH hat das Rechtsmissbrauchsverbot auch im Bereich des Privatrechts angewendet. Grundlegend sind zwei Entscheidungen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts. In den griechischen Vorlagefällen Kefalas1018 und Diamantis1019 klagten Aktionäre gegen Kapitalerhöhungen, die entgegen Art. 25 der Zweiten GesellschaftsRL 77/91 ohne Beschlussfassung der Hauptversammlung durchgeführt worden waren. Die griechischen Gerichte legten dem EuGH die Frage vor, ob sie die Klagen nach Art. 281 griechisches Zivilgesetzbuch1020 für missbräuchlich halten und abweisen durften. Trotz der sehr ähnlichen Ausgangskonstellation ging es in beiden Fällen um unterschiedliche Fragen. In der Rechtssache Kefalas stützte das vorlegende Gericht die Missbräuchlichkeit maßgeblich auf die Erwägung, dass die finanzielle Situation der betroffenen Aktiengesellschaft durch die vorgenommene Kapitalerhöhung deutlich verbessert werden konnte und den klagenden Aktionären insoweit kein wirtschaftlicher Nachteil entstanden sei.1021 Der EuGH verwies in seinem Urteil zunächst auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die missbräuchliche Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet sei. Daher könne es nicht als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen werden, wenn nationale Gerichte innerstaatliche Rechtsvorschriften zur Vermeidung eines Rechtsmissbrauchs anwenden. Ein Rechtsmissbrauch läge insbesondere dann vor, wenn ernstzunehmende, hinreichende Anhaltspunkte bestünden, dass der Aktionär die Klage zu dem Zweck erhoben habe, widerrechtliche Vorteile zum Nachteil der Gesellschaft zu erlangen.1022 Kefalas betrifft somit einen Fall, der nach deutscher Rechtsterminologie am ehesten als individueller Rechtsmissbrauch bezeichnet werden kann.1023 Im Ergebnis sah der Gerichtshof die Voraussetzungen für einen solchen Rechtsmissbrauch für nicht gegeben. Schließlich bezwecke eine Kapitalerhöhung ihrem Wesen nach, die Vermögenslage der Gesellschaft zu verbessern. Einem Aktionär, der sich auf Art. 25 Zweite Gesellschafts-RL 77/91 berufe, dürfe daher nicht eine missbräuchliche Rechtsausübung zur Last gelegt werden, nur weil die von ihm bekämpfte Kapitalerhöhung angeblich die finanziellen Schwierigkeiten der betreffenden Gesellschaft behoben und ihm wirtschaftliche Vorteile verschafft hätten. Im Fall Diamantis begründete das vorlegende Gericht die Missbräuchlichkeit der Klage dagegen mit dem Zeitablauf seit der Kapitalerhöhung sowie mit dem Umstand, dass zahlreiche Rechtsgeschäfte, die nach der Kapitalerhöhung durchgeführt worden waren, beim Obsiegen des Klägers hätten angefochten werden können.1024 Anders als in der Rechtssache Kefalas ging es damit nach deutschem Verständnis um einen speziellen Fall des individuellen Rechtsmissbrauchs, nämlich um das Problem der Verwirkung.1025 1018

  EuGH, Rs. C‑367/96 (Kefalas).   EuGH, Rs. C‑373/97 (Diamantis). 1020   Nach Art. 281 griechisches Zivilgesetzbuch ist die Ausübung eines Rechts unzulässig, „wenn dadurch die Grenzen, die nach Treu und Glauben, den guten Sitten oder dem sozialen oder wirtschaftlichen Zweck des betreffenden Rechts geboten sind, offensichtlich überschritten werden“. 1021   EuGH, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 16. 1022   EuGH, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 28. 1023   So auch Fleischer, JZ 2003, 865, 873; Rybarz, Billigkeitserwägungen, 2011, S. 169. 1024   EuGH, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 28, 40. 1025   Wie hier Rybarz, Billigkeitserwägungen, 2011, S. 143, 146 ff. Anders offenbar Fleischer, JZ 2003, 865, 873, der im Fall Diamantis einen Beleg für Berührungspunkte von Rechtsmissbrauchsverbot und Verhältnismäßigkeitsgebot sieht. 1019

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Der EuGH konkretisierte das unionsrechtliche Rechtsmissbrauchsverbot zunächst dahingehend, dass ein längerer Zeitablauf von vier bzw. fünf Jahren für sich genommen nicht genüge, um einen Rechtsmissbrauch anzunehmen.1026 Vorliegend sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Aktiengesellschaft während dieser Zeit zahlreiche Rechtsgeschäfte vorgenommen habe, die bei erfolgreicher Nichtigkeitsklage ebenfalls angefochten werden könnten, wodurch die Rechte gutgläubiger Dritter zwangsläufig berührt würden.1027 Das vorlegende Gericht könne daher von einem Rechtsmissbrauch ausgehen, wenn eine erst nach mehreren Jahren erhobene Klage der Gesellschaft und gutgläubigen Dritten einen schweren Schaden zufügen würde.1028 Der Gerichtshof hat das Missbrauchsverbot ferner im Kartelldeliktsrecht angewendet, ohne dabei allerdings auf seine frühere Rechtsprechung zum Rechtsmissbrauch Bezug zu nehmen. Im Fall Courage1029 urteilte der Gerichtshof, dass der im englischen Recht geltende Grundsatz nemo auditur propriam turpitudinem, wonach eine Partei eines rechtswidrigen Vertrags von der anderen Partei keinen Schadensersatz verlangen kann, bei einem Verstoß gegen Art. 101 AEUV nicht pauschal angewendet dürfe, um Schadensersatzansprüche zwischen Kartellbeteiligten auszuschließen. Zwar kenne auch das Gemeinschaftsrecht den Grundsatz, dass ein Einzelner aus seinem eigenen rechtswidrigen Verhalten keinen Nutzen ziehen dürfe.1030 Schadensersatzansprüche dürften jedoch bei Anwendung dieses Grundsatzes nur dann ausgeschlossen werden, wenn die betreffende Partei eine „erhebliche Verantwortung“ für die Wettbewerbsverzerrung trage. Der EuGH konkretisierte sodann die Kriterien, die das nationale Gericht in diesem Rahmen zu berücksichtigen hat.1031 Eine weitere Entscheidung betrifft das Verbot venire contra factum proprium im Kontext des europäischen Zivilprozessrechts. Im Fall Gruber1032 urteilte der Gerichtshof, dass die verbraucherschützenden Vorschriften der Art. 13 ff. EuGVÜ (jetzt Art. 17 ff. Brüssel I-VO 1215/2012) nicht angewendet werden können, wenn ein vermeintlicher Verbraucher durch sein eigenes Verhalten gegenüber der anderen gutgläubigen Vertragspartei den Eindruck erweckt hat, dass er zu beruflich-gewerblichen Zwecken handelt. Für das allgemeine Privatrecht und insbesondere das Verbrauchervertragsrecht fehlen dagegen aussagekräftige Entscheidungen. Da die mitgliedstaatlichen Gerichte häufig davon absehen, dem EuGH Fragen zum Rechtsmissbrauchsverbot vorzulegen,1033 sind zahlreiche Fragen immer noch ungeklärt.

1026

  EuGH, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 39.   EuGH, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 40.   EuGH, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 44. 1029   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 11, 26, 28. 1030   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 31 ff. 1031  Ausführlich infra, § 7 C.VII. 1032   EuGH, Rs. C‑464/01 (Gruber) Rn.  51 – 53. 1033  Für Deutschland vgl. BGH, NJW 1990, 322, 323 (Anfechtungsklage eines Kleinaktionärs gegen Verschmelzungsbeschluss), bestätigt durch BGH, NJW 1993, 2181; BGH, NJW 2005, 1045, 1046 (Scheinverbraucher und Verbrauchsgüterkauf); BGH, NJW 2014, 2723, 2727, Rn. 32 ff. (Widersprüchliches Verhalten bei Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrags); OLG Köln, WM 2012, 1532, 1533 f. (Verwirkung des Widerrufsrechts bei Haustürgeschäften); BAG, Urt. v. 13.10.2011, Az. 8 AZR 608/10, BeckRS 2012, 65090, Rn. 53 (unredlicher Erwerb der eigenen Rechtsstellung und § 15 Abs. 2 AGG). 1027 1028

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

359

c) Kodifikation des Rechtsmissbrauchsverbots im Sekundärrecht Das Verbot des Rechtsmissbrauchs ist in einer Reihe sekundärrechtlicher Vorschriften kodifiziert worden.1034 Regelungen finden sich in zahlreichen Richtlinien auf dem Gebiet des Steuerrechts,1035 in Art. 4 Abs. 3 Sanktions-VO 2988/95, in Art. 35 Freizügigkeits-RL 2004/38 sowie in Art. 11 Abs. 4 Führerscheinanerkennungs-RL 2006/126. Im Arbeitsrecht soll mit der RL 99/70 über befristete Arbeitsverträge1036 ein Rahmen geschaffen werden, der den Missbrauch durch aufeinander folgende befristete Arbeitsverträge, insbesondere die Umgehung von Kündigungsvorschriften verhindert. Art. 12 Arbeitnehmer-Insolvenzschutz-RL 2008/94 stellt klar, dass die Mitgliedstaaten die zur Vermeidung von Missbräuchen notwendigen Maßnahmen treffen können. Nach Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits-RL 2008/104 dürfen die Mitgliedstaaten den Einsatz von Leiharbeit verbieten oder einschränken, um das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten. Nach Art. 11 SE‑Arbeitnehmerbeteiligungs-RL 2001/86 müssen die Mitgliedstaaten im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen treffen, um zu verhindern, dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Für das Immaterialgüterrecht ordnet Art. 3 Abs. 2 Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum an, dass Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe nicht nur wirksam, verhältnismäßig und abschreckend, sondern auch so angewendet werden müssen, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist. Die MarkenrechtsRL 2008/95 sowie die Gemeinschaftsmarken-VO 207/2009 enthalten spezielle Vorschriften zur Verwirkung sowie weitere Normen, die einem Rechtsmissbrauch entgegenwirken sollen.1037 Die EU‑Top-Level-Domain-VO 874/20041038 zielt darauf ab, eine spekulative und missbräuchliche Registrierung von Marken zu verhindern. Auch im internationalen Zivilverfahrensrecht ist das Verbot des Rechtsmissbrauchs anerkannt.1039 Daneben enthält die VerzugsRL 2011/7 in Art. 3 Abs. 1 eine spezielle Vorschrift für die mora creditoris und beugt damit gleichermaßen einem Rechtsmiss1034   Vereinzelt finden sich auch primärrechtliche Vorschriften; vgl. etwa Art. 54 GRC. Das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 102 AEUV) stellt demgegenüber keine Ausprägung des Rechtsmissbrauchsverbots dar; dieses betrifft nämlich allein den Missbrauch wirtschaftlicher Macht; wie hier Fleischer, JZ 2003, 865, 871; a. A. MüKo/Schubert, BGB, 7. Aufl., 2016, § 242 Rn. 159. 1035   Viele Richtlinien stellen klar, dass die Mitgliedstaaten Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und sonstige Missbräuche verhindern dürfen; Art. 5 RL 2003/49 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. 2003 L 157/49; Art. 15 Abs. 1 Fusions-RL 2009/133, ABl. 2009 L 310/34; Art. 1 Abs. 2 Mutter-Tochter-RL 2011/96, ABl. 2011 L 345/8. Vgl. auch Art. 395 Abs. 1 RL 2006/112 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. 2006 L 347/1. 1036   Art. 5 RL 1999/70 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, ABl. 1999 L 175/43. 1037  Hierzu Wiedmann, Der Rechtsmissbrauch im Markenrecht, 2002, S. 98 ff. 1038   VO 874/2004 zur Festlegung von allgemeinen Regeln für die Durchführung und die Funktionen der Domäne oberster Stufe „.eu“ und der allgemeinen Grundregeln für die Registrierung, ABl. 2004 L 162/40. Vgl. insb. Art. 21 der RL. Hierzu EuGH, Rs. C‑569/08 (Internetportal und Marketing). 1039   Vgl. insb. Art. 8 Nr. 2 Brüssel I-VO 1215/2012; ErwGr (22) VO 4/2009 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. 2009 L 7/1.

360

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

brauch vor.1040 Richtlinien im Verbrauchervertragsrecht ordnen regelmäßig an, dass von den gesetzlichen Vorgaben nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden kann;1041 derartige Normen enthalten zugleich ein Umgehungsverbot, das ebenfalls als Ausprägung des Rechtsmissbrauchsverbots begriffen werden kann.1042 Bestehen im Sekundärrecht spezielle Missbrauchsvorschriften, darf nicht mehr auf das allgemeine Verbot des Rechtsmissbrauchs im Unionsrecht oder auf nationale Rechtsmissbrauchsvorschriften zurückgegriffen werden, wenn eine abschließende Regelung vorliegt oder das Harmonisierungsziel des jeweiligen Sekundärrechtsakts unterlaufen würde.1043 Im Fall Budějovický Budvar1044 urteilte der Gerichtshof, dass Art. 9 Markenrechts-RL 89/104 (jetzt Art. 9 Markenrechts-RL 2008/95) „eine umfassende Harmonisierung der Voraussetzungen vornimmt, unter denen der Inhaber einer jüngeren eingetragenen Marke unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung durch Duldung sein Recht an dieser Marke behalten kann, wenn der Inhaber einer identischen älteren Marke die Ungültigerklärung beantragt oder der Benutzung dieser jüngeren Marke entgegentritt“. Der EuGH geht mit anderen Worten davon aus, dass Art. 9 Markenrechts-RL 89/104 eine abschließende Regelung trifft. Nationale Vorschriften, die wie § 21 Abs. 4 MarkenG einen Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze über die Verwirkung von Ansprüchen zulassen, sind daher richtlinienwidrig.1045 3. Unionsrechtliches oder nationales Rechtsmissbrauchsverbot? a) Vorrang des Unionsrechts Den Urteilen des Gerichtshofs lässt sich häufig nicht eindeutig entnehmen, in welchem Umfang die mitgliedstaatlichen Gerichte die Voraussetzungen eines Missbrauchs nach nationalen Kriterien bestimmen dürfen. Für Verwirrung hat vor allem gesorgt, dass der EuGH den mitgliedstaatlichen Gerichten in vielen Entscheidungen gestattet hat, nationale Rechtsmissbrauchsvorschriften anzuwenden.1046 So betonte der Gerichtshof in den Rechtssachen Kefalas, Diamantis und Courage, dass es grundsätzlich nicht unionswidrig sei, wenn die nationalen Gerichte eine Bestimmung des innerstaatlichen Rechts anwenden, um zu prüfen, ob ein sich aus einer Unionsbestimmung ergebendes Recht missbräuchlich ausgeübt worden ist.1047 Hieraus ist im Schrifttum teils der Schluss gezogen worden, der EuGH habe dem nationalen Richter in den betreffenden Fällen nicht nur die Befugnis zugewiesen, das Verhalten als missbräuchlich im konkreten Fall zu beurteilen, sondern zugleich erlaubt, die Maßstäbe hierfür dem nationalen Recht zu entnehmen.1048 Vor diesem Hintergrund wird kon1040

  Wie hier Schmidt-Kessel, JbJZ 2000, 61, 80 (zu Art. 3 Abs. 1 lit. c VerzugsRL 2000/35).   So etwa in Art. 7 Abs. 1 KaufRL 99/44; Art. 12 Abs. 1 TSRL 2008/122; Art. 25 VRRL 2011/83.  Näher Schürnbrand, JZ 2009, 133, 134 f. 1043   Vgl. auch GA Kokott, SchlA, Rs. C‑321/05 (Kofoed) Rn. 67: „Ließe man daneben noch den unmittelbaren Rückgriff auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zu, dessen Inhalt weit weniger klar und bestimmt ist, so bestünde die Gefahr, dass das Harmonisierungsziel der Richtlinie (. . .) unterlaufen (. . .) würde.“ 1044   EuGH, Rs. C‑482/09 (Budějovický Budvar) Rn. 33. 1045   Palzer/Preisendanz, EuZW 2012, 134, 138 f. 1046   Vgl. EuGH, Rs. 33/74 (van Binsbergen) Rn. 13; Rs. 229/83 (Leclerc) Rn. 27; Rs. 39/86 (Lair) Rn. 14. 1047   EuGH, Rs. C‑367/99 (Kefalas) Rn. 21; Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 34; Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 31. 1048   Basedow, in: FS Stathopoulos, 2010, S. 159, 181. 1041

1042

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

361

sequenterweise die Frage gestellt, warum der EuGH einen Grundsatz des Unionsrechts, wenn es ihn denn gäbe, nicht anwende, sondern stattdessen Raum schaffe für die Anwendung nationaler Grundsätze.1049 Zwar stimmten die in den Mitgliedstaaten entwickelten Grundsätze zum Rechtsmissbrauch im Kern überein, jedoch seien diese im Einzelnen durchaus unterschiedlich, so dass die Tragweite des Unionsrechts je nach Mitgliedstaat divergieren könne. Bei genauer Analyse der genannten Entscheidungen wird indessen deutlich, dass der Gerichtshof den Mitgliedstaaten einen Rückgriff auf nationale Vorschriften gerade deswegen erlaubt, weil das Verbot des Rechtsmissbrauchs auch im Unionsrecht seine Grundlage hat. Durch die Heranziehung nationaler Rechtsmissbrauchsvorschriften wird, wie GA Saggio in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Diamantis ausgeführt hat, lediglich sichergestellt, dass „dem nationalen Gericht ein Mittel an die Hand gegeben wird, das die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts gewährleisten und mit dem vermieden werden soll, dass ein durch eine Gemeinschaftsbestimmung gewährtes Recht in einem Fall ausgeübt wird, in dem diese Gemeinschaftsbestimmung nur ‚anscheinend‘ einschlägig ist oder in dem die Lage des Inhabers des gerichtlich geltend gemachten Rechts nur ‚anscheinend‘ dem Tatbestand dieser Gemeinschaftsbestimmung entspricht“.1050

Der Vorrang des Unionsrechts wird dementsprechend durch die Anwendung nationaler Rechtsmissbrauchsvorschriften nicht eingeschränkt, sondern vielmehr realisiert. Der Gerichtshof hat in vielen Entscheidungen, so auch in den Fällen Kefalas, Diamantis und Courage, konkrete Kriterien entwickelt, die der Anwendung einer nationalen Missbrauchsvorschrift klar definierte Grenzen setzen.1051 Ein Rückgriff auf nationale Normen zur Einschränkung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte ist mithin nur in dem Umfang gestattet, wie diese mit dem unionsrechtlich anerkannten Rechtsmissbrauchsverbot übereinstimmen.1052 Weitergehend könnte nicht nur eine Befugnis, sondern zugleich eine Verpflichtung der mitgliedstaatlichen Gerichte zur Anwendung nationaler Rechtsmissbrauchsvorschriften oder entsprechend richterrechtlich entwickelter Institute bestehen, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass unionsrechtliche Rechtspositionen missbraucht wurden. Zwar hat der EuGH eine solche Verpflichtung bislang nicht explizit ausgesprochen. Andererseits hat er aber bestimmte, vom vorlegenden Gericht geschilderte Verhaltensweisen in einigen Fällen als eindeutig rechtsmissbräuchlich eingestuft,1053 was auf eine entsprechende Verpflichtung der Mitgliedstaaten hindeutet.1054 Im Einzelnen ist dennoch zu differenzieren: Zwingend ist die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots im europäischen Privatrecht nur dann, wenn die unionsrechtlich determinierte Rechtsposition im Wege der Vollharmonisierung angeglichen wurde. Bei einer Mindestharmonisierung bleibt es den Mitgliedstaaten dagegen unbenommen, ein im Vergleich zum Unionsrecht höheres Schutzniveau vorzusehen 1049

  Basedow, in: FS Stathopoulos, 2010, S. 159, 182.   GA Saggio, SchlA, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 24. 1051   Zu diesen Kriterien infra, § 4 E.III. 1052   Im Ergebnis auch Anagnostopoulou, CMLR 2001, 767, 779; Schmidt-Kessel, JbJZ 2000, 61, 75 ff.; Vogenauer, in: de la Feria/Vogenauer (Hrsg.), Prohibition of Abuse of Law, 2011, S. 521, 562 f. 1053   Vgl. EuGH, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 40 ff.; Rs. C‑32/03 (I/S Fini) Rn. 32. 1054   Für eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten daher Sørensen, CMLR 2006, 423, 440; Weber, LIEI 2004, 43, 55. 1050

362

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

und Rechte auch dann zu schützen, wenn diese (aus unionsrechtlicher Perspektive) missbräuchlich ausgeübt worden sind. b) Aufgabenverteilung zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten Ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, kann in der Regel nur anhand einer Prüfung des Einzelfalls festgestellt werden.1055 Da der EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nur zur Auslegung (Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV), nicht aber zur Anwendung des Unionsrechts berufen ist,1056 obliegt es grundsätzlich den einzelstaatlichen Gerichten, darüber zu entscheiden, ob die Rechtsausübung im konkreten Fall missbräuchlich ist. Es ist daher, wie der EuGH in Halifax1057 allgemein formuliert hat, „Sache des nationalen Gerichts, gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts – soweit dadurch die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht beeinträchtigt wird – festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen eines missbräuchlichen Verhaltens im Ausgangsverfahren erfüllt sind“. „In diesem Kontext kann das nationale Gericht sich dazu veranlasst sehen, seine Prüfung auf die Suche nach Hinweisen auf eine missbräuchliche Praxis auszudehnen“.1058 Die Formulierung allgemeiner Kriterien, die im Rahmen dieser Beurteilung von den nationalen Gerichten in Betracht gezogen werden müssen, obliegt demgegenüber dem EuGH.1059 Letztinstanzlich entscheidende Gerichte sind daher nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vorlagepflichtig, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Rechtssuchende unionsrechtliche Rechtspositionen rechtsmissbräuchlich ausübt.1060 In einigen Fällen hat der EuGH nicht nur allgemeine Kriterien für die Handhabung des Rechtsmissbrauchsverbots entwickelt, sondern konkret auf den zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt Bezug genommen. Der Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass er im Interesse einer effektiven Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten auch zu Fragen der Anwendung des Unionsrechts auf den konkreten Fall „alle Hinweise“ geben kann, die es dem vorlegenden Gericht ermöglichen, für die bei ihm anhängige Rechtssache eine Entscheidung zu treffen.1061 Unter Zugrundelegung dieses Ansatzes machte der EuGH in einigen Rechtssachen deutlich, dass er angesichts der vom nationalen Gericht vorgelegten Fakten einen Verstoß 1055   Nationale Vorschriften sind daher insbesondere dann unionsrechtswidrig, wenn sie ein bestimmtes Verhalten pauschal als rechtsmissbräuchlich einstufen und verbieten; vgl. EuGH, Rs. C‑264/ 96 (ICI) Rn. 26; Rs. C‑324/00 (Lankhorst-Hohorst) Rn. 37; Rs. C‑464/02 (Kommission/Dänemark) Rn. 67 f. 1056   St. Rspr.; vgl. EuGH, verb. Rs. 28 – 30/62 (da Costa en Schaake u. a.) LS 2; Rs. 6/64 (Costa) LS  1 – 2; Rs.  222/78 (ICAP) Rn. 10 ff.; Rs. 37/86 (Coenen) Rn. 8; Rs. C‑203/99 (Veedfald) Rn. 31; Rs. C‑237/02 (Freiburger Kommunalbauten) Rn. 22; Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 22. 1057   EuGH, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 76. 1058   EuGH, Rs. C‑425/06 (Part Service) Rn. 55. 1059  Ebenso Triantafyllou, CMLR 1999, 157, 163 f.; Kjellgren, EBLR 2000, 179, 190 f.; SchmidtKessel, JbJZ 2000, 61, 76; Fleischer, JZ 2003, 865, 873. Zur Konkretisierungskompetenz des EuGH von Generalklauseln supra, § 4 A.VI. 1060   A. A. BGH, NJW 1990, 322, 323 (Rechtsmissbrauch ist keine Frage richtlinienkonformer Auslegung, sondern eine einzelfallbezogene Rechtsanwendung, die keiner Vorabentscheidung des EuGH bedarf); BGH, NJW 2014, 2723, 2728, Rn. 42 (Vorlage ist entbehrlich, da die Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der Rechtsprechung des EuGH geklärt sind und die Anwendung auf den Einzelfall dem nationalen Gericht obliegt). 1061   EuGH, Rs. C‑79/01 (Payroll) Rn. 29; Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 77.

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

363

gegen das Rechtsmissbrauchsverbot für ausgeschlossen hielt.1062 In anderen Entscheidungen meinte der Gerichtshof dagegen, dass die Voraussetzungen für einen Rechtsmissbrauch vorlagen.1063

III. Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs Der EuGH differenziert bislang nicht zwischen einzelnen Fallgruppen. In der Rechtsprechung werden zumeist ganz unterschiedliche Formen unter dem Oberbegriff „Rechtsmissbrauch“ zusammengefasst. Nach ständiger Rechtsprechung1064 liegt ein Rechtsmissbrauch vor, wenn eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen (1.) das Ziel der Vorschrift nicht erreicht wird (2.), und der Rechtssuchende die Absicht hat, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil zu verschaffen, indem die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (3.). In negativer Hinsicht darf das Rechtsmissbrauchsverbot (4.) weder die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verletzen noch die einheitliche Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen. 1. Formale Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen – Abgrenzung zum Betrug Nach dem ersten Kriterium muss der Rechtssuchende formal gesehen – bei wörtlicher Auslegung1065  – in tatsächlicher Hinsicht sämtliche Voraussetzungen derjenigen Rechtsnorm erfüllen, auf die er sich beruft.1066 Das unionsrechtliche Verbot des Rechtsmissbrauchs ist insoweit vom Betrug abzugrenzen. Ein Betrug liegt vor, wenn der Betreffende die unionsrechtliche Position „durch Täuschung, d. h. durch Abgabe bewusst unrichtiger Angaben oder durch vorsätzliches Verschweigen maßgeblicher Umstände“ erlangt hat.1067 Der Betrug betrifft damit die Art und Weise der Entstehung eines Rechts. Im Unterschied hierzu bedient sich derjenige, der eine Norm missbraucht, gesetzmäßiger Mittel. Der Rechtsmissbrauch setzt den Bestand an Rechten voraus und macht lediglich ihre Ausübung unzulässig. Der EuGH differenziert in seiner Rechtsprechung häufig nicht ausreichend zwischen Rechtsmissbrauch und Betrug.1068 Beide Begriffe werden scheinbar synonym verwendet. So greift der Gerichtshof etwa in vielen Entscheidungen auf die Formel 1062   So z. B. in EuGH, C‑212/97 (Centros) Rn. 27 ff.; Rs. C‑441/93 (Pafitis) Rn. 70; Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 29. Stellt das nationale Gericht fest, dass keine Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch vorliegen, so folgt der Gerichtshof zumeist dieser Einschätzung; vgl. EuGH, Rs. C‑277/09 (RBS Deutschland) Rn. 24, 51 f. 1063   So z. B. in EuGH, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 40 ff.; Rs. C‑32/03 (I/S Fini) Rn. 32. 1064   Vgl. EuGH, Rs. C‑110/99 (Emsland-Stärke) Rn. 52 – 53; Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn.  74 – 75; Rs. C‑515/03 (Eichsfelder Schlachtbetrieb) Rn. 39. Siehe auch die Analyse von Vogenauer, in: de la Feria/Vogenauer (Hrsg.), Prohibition of Abuse of Law, 2011, S. 521, 530 – 540. 1065   Vgl. GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 91. 1066  EuGH, Rs. C‑373/97 (Emsland-Stärke) Rn. 52 („trotz formaler Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen“); Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 74, 86 („trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen“). 1067   GA Elmer, SchlA, Rs. C‑36/96 (Günaydin) Rn. 39. 1068  Kritisch Fleischer, JZ 2003, 865, 870; Schön, in: FS Wiedemann, 2002, S. 1271, 1277 ff. Basedow, in: FS Stathopoulos, 2010, S. 159, 161, versteht den Hinweis auf die „betrügerische Berufung“ im Lichte der französischen Sprachfassung als Bezugnahme auf die Gesetzesumgehung (fraude à la loi). Kjellgren, EBLR 2000, 179, 180, begreift den Betrug dagegen als spezielle Form des Missbrauchs.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

zurück, dass die „missbräuchliche oder betrügerische Berufung“ auf das Unionsrecht nicht gestattet ist, obwohl es in den betreffenden Fällen nur um Rechtsmissbrauch, nicht aber um Betrug ging.1069 In anderen Entscheidungen spricht er nur von einem Missbrauch, obwohl ein Betrug vorlag.1070 Trotz alledem wird man wohl davon ausgehen dürfen, dass auch dem Unionsrecht die Unterscheidung zwischen „fraus omnia corrumpit“ und dem Rechtsmissbrauchsverbot zugrunde liegt.1071 2. Widerspruch zum Zweck der unionsrechtlichen Vorschrift Voraussetzung für einen Rechtsmissbrauch ist zweitens, dass die Rechtsausübung im Widerspruch zu Sinn und Zweck der Unionsnorm steht.1072 Es gilt mit anderen Worten der Grundsatz, dass keine Bestimmung des Unionsrechts die Grundlage für die Verschaffung von Vorteilen sein kann, die offenkundig im Widerspruch zu ihren Zielen und Zwecken stehen. Diese Regel stellt, wie GA Poiares Maduro hervorgehoben hat, „ein unentbehrliches Sicherheitsventil dar, um die Ziele aller Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts vor einer formalistischen, sich nur auf den Wortlaut gründenden Anwendung zu schützen“.1073 Wird umgekehrt ein Anspruch innerhalb der Grenzen geltend gemacht, die der Zweck und der Erfolg der betreffenden Unionsnorm setzen, liegt kein Missbrauch vor, sondern eine rechtmäßige Geltendmachung des Anspruchs.1074 Grundsätzlich dürfen Rechte, die das Unionsrecht dem Einzelnen verleiht, auch in Anspruch genommen werden. So zielen die Grundfreiheiten gerade darauf ab, den Wirtschaftsteilnehmern die Möglichkeit einzuräumen, sich die Vorteile des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs zunutze zu machen. Dementsprechend ist es unionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine Gesellschaft bzw. Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat nur zu dem Zweck gegründet wird, um in den Genuss der liberalen Mindestkapitalvorschriften zu gelangen, selbst wenn diese Gesellschaft in diesem Staat keinerlei Tätigkeit entfaltet.1075 Auch der Umstand, dass sich ein Steuerpflichtiger im Gebiet eines anderen Staates zwecks Erlangung von Steuervorteilen niederlässt, begründet für sich allein nicht die Annahme eines Rechtsmissbrauchs.1076 Die Grenze zum Rechtsmissbrauch wird erst dann überschritten, wenn es sich bei der Auslandsgründung um „rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen“ zum Zwecke der Steuerumgehung handelt.1077 1069  Vgl. EuGH, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 20; Rs. C‑212/97 (Centros) Rn. 24; Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 33; Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 68; Rs. C‑321/05 (Kofoed) Rn. 38. 1070   So etwa in EuGH, Rs. C‑206/94 (Paletta II) Rn. 24. Hierzu GA Tesauro, SchlA, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 25 (in Fn. 28): „Bei genauer Betrachtungsweise ging es somit bei diesem Fall [Paletta II] nicht um einen Rechtsmissbrauch im eigentlichen Sinne dieses Begriffs, sondern vielmehr um Betrug“. Vgl. auch EuGH, verb. Rs. C‑110 – 147/98 (Gabalfrisa) Rn. 46; Rs. C‑37/95 (Ghent Coal Terminal) Rn. 21. Unklar auch GA Elmer, SchlA, Rs. C‑36/96 (Günaydin) Rn. 37; GA Kokott, Rs. C‑352/08 (Modehuis A. Zwijnenburg) Rn. 63. 1071   Wie hier Vogenauer, in: de la Feria/Vogenauer (Hrsg.), Prohibition of Abuse of Law, 2011, S. 521, 560 f. 1072   GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 91. 1073   GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 74. 1074   GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 68. 1075   EuGH, Rs. C‑212/97 (Centros) Rn. 18; Rs. C‑167/01 (Inspire Art) Rn.  136 – 139. 1076   EuGH, Rs. C‑294/97 (Eurowings) Rn. 44; Rs. C‑9/02 (Saillant) Rn. 60; Rs. C‑315/02 (Lenz) Rn. 41, 43; Rs. C‑196/04 (Cadbury Schweppes) Rn. 37 f. 1077   EuGH, Rs. C‑196/04 (Cadbury Schweppes) Rn. 55. Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑524/04 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation) Rn. 92; Rs. C‑324/00 (Lankhorst-Hohorst) Rn. 37.

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

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Dass der Regelungszweck nicht nur im öffentlichen Recht, sondern auch im europäischen Privatrecht maßgebliches Kriterium für die Trennung von zulässiger und unzulässiger Rechtsausübung ist, belegen die Ausführungen im Fall Kefalas. Hier stellte der Gerichtshof klar, dass ein Rechtsmissbrauch vorliegt, wenn der Berechtigte sein Recht ausübt, um Vorteile zum Nachteil einer anderen Partei zu erlangen, die offensichtlich mit dem Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren sind.1078 Auch im europäischen Privatrecht ist damit entscheidend, ob eine durch das Unionsrecht gewährte Rechtsposition zweckwidrig ausgenutzt wird. 3. Subjektive Elemente Problematisch ist vor allem das dritte Kriterium, wonach die Berufung des Berechtigten auf seine Rechtsposition nicht nur im Widerspruch zum Regelungszweck stehen, sondern zudem von der Absicht getragen sein muss, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich bzw. künstlich geschaffen werden. Nach der Rechtsprechung muss dieses subjektive Element sowohl bei der Umgehung nationalen Rechts1079 als auch bei der missbräuchlichen Erschleichung unionsrechtlicher Normen1080 vorliegen.1081 Ob im Privatrecht Entsprechendes gilt, ist ungeklärt. Nach den Ausführungen des EuGH im Fall Kefalas setzt ein Rechtsmissbrauch voraus, dass der Einzelne das fragliche Recht zu dem Zweck ausübt, sich widerrechtliche Vorteile zum Nachteil eines anderen zu verschaffen.1082 Der Gerichtshof formuliert damit ein subjektives Element.1083 Im Fall Diamantis wird das subjektive Element zwar eingangs erwähnt.1084 Für die weitere Prüfung, ob die Geltendmachung der Ansprüche wegen Verwirkung ausgeschlossen ist, spielt dieses Kriterium jedoch keine Rolle mehr.1085 Auch im Fall Gruber hat der Gerichtshof für die Anwendung des Verbots „venire contra factum proprium“ auf subjektive Elemente verzichtet, und ein (objektiv gesehen) widersprüchliches Verhalten ausreichen lassen, welches dem schutzwürdigen Vertrauen einer Partei gegenübersteht.1086 Eindeutige Rückschlüsse lassen sich aus all diesen Entscheidungen nicht ziehen. Insgesamt liegen immer noch zu wenige Urteile auf dem Gebiet des Privatrechts vor. Im deutschen Schrifttum wird das Erfordernis eines subjektiven Elements entweder abgelehnt1087 oder es wird geltend gemacht, dass es auf die Absichten des 1078

  EuGH, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 28.   EuGH, Rs. C‑196/04 (Cadbury Schwepes) Rn. 64; zuvor EuGH, Rs. C‑212/97 (Centros) Rn. 23, 26; Rs. C‑167/01 (Inspire Art) Rn. 137. 1080   EuGH, Rs. C‑110/99 (Emsland-Stärke) Rn. 53; Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 69; Rs. C‑515/03 (Eichsfelder Schlachtbetrieb) Rn. 39. 1081   Etwas anderes ergibt sich insb. nicht aus dem Hinweis in EuGH, Rs. C‑303/08 (Bozkurt) Rn. 47, dass die nationalen Gerichte das Verhalten der Betroffenen „auf der Grundlage der objektiven Umstände berücksichtigen“ könnten, um ihnen gegebenenfalls den Vorteil aus den geltend gemachten Bestimmungen des Unionsrechts zu versagen. Nach Ansicht des EuGH fehlte es nämlich bereits an den objektiven Umständen für einen Rechtsmissbrauch, so dass es auf die subjektiven Elemente nicht mehr ankam; zutreffend MüKo/Schubert, BGB, 7. Aufl., 2016, § 242 Rn. 161. 1082   EuGH, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 28 1083   Rybarz, Billigkeitserwägungen, 2011, S. 169. 1084   EuGH, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 33. 1085   EuGH, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 39 ff. 1086   EuGH, Rs. C‑464/01 (Gruber) Rn.  51 – 53. 1087   Baudenbacher, ZfRV 2008, 205, 216; A. Zimmermann, Das Rechtsmißbrauchsverbot, 2002, S. 225, 230 f. 1079

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

Rechtssuchenden nur bei der Normerschleichung, also beim individuellen Rechtsmissbrauch, nicht aber bei der Normumgehung, also beim institutionellen Rechtsmissbrauch, ankommen könne.1088 Im Ergebnis ist dieser Streit freilich von untergeordneter praktischer Bedeutung. Nach Ansicht des EuGH kann der Beweis für das Vorliegen des subjektiven Elements in aller Regel unter Rückgriff auf objektive Anhaltspunkte erbracht werden.1089 So kann das subjektive Element bei Ausfuhrerstattungen unter anderem durch den Nachweis kollusiven Zusammenwirkens zwischen dem in der Union ansässigen Exporteur, der die Erstattungen erhält, und dem Importeur der Ware im Drittland erbracht werden.1090 Ebenso reicht es für den Nachweis einer missbräuchlichen Inanspruchnahme unionsrechtlicher Steuerregelungen in der Regel aus, wenn die rechtlichen, wirtschaftlichen und/oder personellen Verbindungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern darauf hindeuten, dass der Sachverhalt, der zur Anwendung der Unionsnorm führt, rein willkürlich geschaffen wurde.1091 Auch für Rechtsverhältnisse unter Privaten hat der Gerichtshof betont, dass ein Rechtsmissbrauch anhand „ernstzunehmende[r] Anhaltspunkte“1092 auf der Grundlage „objektiver Kriterien“1093 zu ermitteln ist. Das subjektive Erfordernis wird sich daher regelmäßig aus der objektiven Zweckwidrigkeit ableiten lassen. Die inneren Absichten des Rechtssuchenden müssen demgegenüber in aller Regel nicht erforscht werden. 4. Begrenzung des Rechtsmissbrauchsverbots durch negative Voraussetzungen Dem unionsrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbot sind in zweierlei Hinsicht Grenzen gesetzt. Zum einen müssen bei seiner Anwendung die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes beachtet werden.1094 Rechtsakte der Union müssen hinreichend bestimmt und in ihrer Anwendung für die Betroffenen vorhersehbar sein. Dies gilt in besonderem Maße, wenn es sich um eine Regelung handelt, die sich für die Betroffenen finanziell belastend auswirken kann.1095 Die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots steht im Widerspruch zu beiden Prinzipien. Bei diesem Verbot handelt es sich nämlich um eine Generalklausel, die in höchstem Maße unbestimmt ist, durch Wertmaßstäbe präzisiert und in ihrer Anwendung zudem stark vom Einzelfall abhängt.1096 Das Missbrauchsverbot muss daher gegenüber den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes abgewogen 1088   Englisch, StuW 2009, 3, 7, 12; Fleischer, JZ 2003, 865, 872; ähnlich Schön, in: FS Wiedemann, 2002, S. 1271, 1286 f. 1089   EuGH, Rs. C‑109/01 (Akrich) Rn. 55 f., sowie die SchlA von GA Geelhoed, Rn. 102, 174; GA Léger, SchlA, Rs. C‑196/04 (Cadbury Schweppes) Rn. 118 f.; EuGH, Rs. C‑456/04 (Agip Petroli) Rn. 23; GA Mazák, SchlA, Rs. C‑103/09 (Weald Leasing) Rn. 33; EuGH, Rs. C‑277/09 (RBS Deutschland) Rn. 49. 1090   EuGH, Rs. C‑110/99 (Emsland-Stärke) Rn. 53, 58. 1091   EuGH, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 75, 81, sowie die SchlA von GA Poiares Maduro, Rn. 87. 1092   EuGH, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 28. 1093   EuGH, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 34. 1094   EuGH, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 72. 1095   EuGH, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 72. 1096   Schmidt-Kessel, JbJZ 2000, 61, spricht davon, dass dem unionsrechtlichen Verbot des Rechtsmissbrauchs streng genommen die Normativität fehle, es handele sich um einen „normerzeugenden Korrekturmechanismus gegen formal begründete Rechtspositionen“ (S. 73), um ein Rechtsprinzip ohne „eigenen materialen Gehalt“ (a. a. O., S. 80).

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

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werden.1097 Dem Vertrauen des Berechtigten in seine durch das Unionsrecht verliehenen Rechte ist dabei grundsätzlich der Vorrang einzuräumen. Das Rechtsmissbrauchsverbot darf aus diesen Gründen nur in Ausnahmefällen angewandt werden, in denen der Missbrauch offensichtlich ist.1098 Vorschriften des Sekundärrechts, die das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot kodifizieren, sind als Ausnahmen ebenfalls eng auszulegen.1099 Die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots darf zum anderen nicht die volle Wirksamkeit und einheitliche Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten gefährden.1100 Das Verbot des Rechtsmissbrauchs darf sich insbesondere nicht gegen die Ausübung des Rechts schlechthin richten.1101 Letztlich kommt diesem Kriterium nur eine Auffang- und Kontrollfunktion zu. Da ein Rechtsmissbrauch nur bei zweckwidriger Inanspruchnahme einer unionsrechtlich gewährten Rechtsposition vorliegt, und der Zweck der Unionsnorm nach den Grundsätzen der autonomen Auslegung zu ermitteln ist, bedarf es in aller Regel keines Rückgriffs auf dieses Kriterium.

IV. Rechtsfolgen und Wirkungen des Rechtsmissbrauchs Hinsichtlich der Rechtsfolgen spricht der Gerichtshof davon, dass Missbräuche durch die in Rede stehenden unionsrechtlichen Bestimmungen „nicht gedeckt“ sind,1102 dass die einschlägige Unionsnorm bei missbräuchlichen Praktiken „keine Anwendung findet“1103 oder dass die missbräuchliche „Berufung“ auf das Unionsrecht nicht gestattet ist.1104 Die missbräuchliche Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte führt also mit anderen Worten zur Nichtanwendung der Unionsnorm.1105 Je nach betroffener Rechtsposition können sich weitere Differenzierungen ergeben. Die missbräuchliche Umgehung nationalen Rechts führt regelmäßig dazu, dass nationale Vorschriften zur Missbrauchsverhütung gerechtfertigt sind. Dies gilt vor allem für die missbräuchliche Inanspruchnahme von Grundfreiheiten zwecks Umgehung nationalen Rechts.1106 Eine nationale Regelung, die ihre Rechtfertigung in einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses findet, darf dann „auf die Angehörigen des eigenen Mitgliedstaats angewandt werden, die vom Gemeinschaftsrecht einzig und allein dazu Gebrauch machen, diese Regelung zu umgehen“.1107 Die missbräuch1097

  GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 84.   GA Mazák, SchlA, Rs. C‑103/09 (Weald Leasing) Rn. 11. 1099   Vgl. EuGH, Rs. C‑352/08 (Modehuis A. Zwijnenburg) Rn. 46 (zu Art. 11 Abs. 1 lit. a Fusions-RL 90/434); Rs. C‑419/10 (Hofmann) Rn. 71 (zu Art. 11 Abs. 4 FührerscheinanerkennungsRL 2006/126). 1100   EuGH, Rs. C‑441/93 (Pafitis) Rn. 68; Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 22; Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 34. 1101   GA Tesauro, SchlA, Rs. C‑441/93 (Pafitis) Rn. 30. 1102   EuGH, Rs. 39/86 (Lair) Rn. 43; Rs. C‑413/01 (Ninni-Orasche) Rn. 36. 1103   EuGH, Rs. C‑110/99 (Emsland-Stärke) Rn. 51. 1104   EuGH, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 20; Rs. C‑212/97 (Centros) Rn. 25; Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 33. 1105   GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 71 (in Fn. 66). 1106   Der Gerichtshof hat die Bekämpfung von Missbräuchen im Rahmen der Grundfreiheiten bislang nicht als eigenständiges Allgemeininteresse anerkannt. Vielmehr wird regelmäßig geprüft, ob die zur Anwendung zu bringende „umgangene“ mitgliedstaatliche Maßnahme ein legitimes Allgemein­ interesse darstellt, das in geeigneter, erforderlicher und verhältnismäßiger Weise angewendet wird; Schön, in: FS Wiedemann, 2002, S. 1271, 1293 f. m. w. N. 1107   GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑109/01 (Akrich) Rn. 105. 1098

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

liche Ausübung von Unionsrechten führt demgegenüber dazu, dass der Rechtssuchende nicht in den Genuss der im Unionsrecht vorgesehenen Vorteile gelangt. Missbräuchlich erlangte Vorteile sind zurückzugewähren. Der Gerichtshof versteht die Rückzahlungspflicht im Sinne des unionsrechtlichen Erstattungsanspruchs1108 als „schlichte Folge der Feststellung, dass die Voraussetzungen für die gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteile missbräuchlich geschaffen (. . .) somit rechtsgrundlos gewährt worden [sind], so dass die Verpflichtung zur Rückzahlung [besteht]“.1109 Hinsichtlich der Wirkungen des Rechtsmissbrauchsverbots ist ungeklärt, ob das Verbot des Rechtsmissbrauchs innere Grenze der Rechtsausübung ist, also die inhaltliche Tragweite des Rechts selbst determiniert (Innentheorie), oder als äußere Schranke der Rechtsausübung zu begreifen ist (Außentheorie). Generalanwälte1110 und Schrifttum1111 sprechen sich größtenteils für die Innentheorie aus. Zur Begründung lässt sich anführen, dass die Innentheorie hilft, den Vorrang des Unionsrechts abzusichern: Da der Inhalt subjektiver Unionsrechte allein vom EuGH bestimmt werden kann, entscheidet er im Zweifel auch über deren Innenschranken, die durch das Rechtsmissbrauchsverbot konkretisiert werden.1112 Zwingend ist dieses Argument keineswegs. Gesteht man das „letzte Wort“ über den Inhalt unionsrechtlicher Rechtspositionen dem EuGH zu, so muss ihm auch die Kompetenz eingeräumt werden, über die externen Schranken der betreffenden Rechte zu entscheiden. Der Gerichtshof hat sich bislang weder der Innen- noch der Außentheorie angeschlossen. In einigen Entscheidungen prüft der EuGH Elemente des Missbrauchs beim Zuweisungsgehalt der Norm,1113 in anderen dagegen bei der Beschränkung des zugewiesenen Rechts.1114 Teils wird das Rechtsmissbrauchsverbot auch in ein und derselben Entscheidung auf beiden Ebenen geprüft.1115 Die Außentheorie spielt vor allem bei der missbräuchlichen Inanspruchnahme der Grundfreiheiten zwecks Umgehung nationalen Rechts eine Rolle. Dahinter steht eine pragmatische Überlegung: Wird das Rechtsmissbrauchsverbot als eine Innenschranke begriffen, die das Recht bei Vorliegen der Voraussetzungen entfallen lässt, führt dies bei den Grundfreiheiten zu einer Alles-oder-nichts-Lösung.1116 Sieht man im Rechtsmissbrauchsverbot dagegen eine externe Beschränkung des Rechts, das auf der Rechtfertigungsebene zu berücksichtigen ist, kann der Gerichtshof im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch noch differenzierend kontrollieren, ob die mitgliedstaatliche Maßnahme 1108

 Hierzu supra, § 2 D.IV.1.   EuGH, Rs. C‑110/99 (Emsland-Stärke) Rn. 56; vgl. auch EuGH, Rs. C‑255/02 (Halifax) Rn. 93. 1110   GA La Pergola, SchlA, Rs. C‑212/97 (Centros) Rn. 20; GA Tesauro, SchlA, Rs. C‑367/96 (Kefalas) Rn. 25; GA Saggio, SchlA, Rs. C‑212/97 (Diamantis) Rn. 24 f.; GA Maduro, SchlA, Rs. C‑212/97 (Halifax) Rn. 68 f.; anders aber ders., SchlA, Rs. C‑311/06 (Cavallera) Rn. 37. Für die Außentheorie GA Lenz, SchlA, Rs. 23/93 (TV 10) Rn. 11 ff., 32 f.; GA Mazák, SchlA, Rs. C‑277/09 (RBS Deutschland) Rn.  28 – 31. 1111   Baudenbacher, ZfRV 2008, 205, 214; Kjellgren, EBLR 2000, 179, 192 f.; A. Zimmermann, Rechtsmissbrauchsverbot, 2002, S. 193, 203; wohl auch Schammo, ELJ 2008, 351, 365. 1112   In diese Richtung Fleischer, JZ 2003, 865, 872. 1113   Vgl. EuGH, Rs. 33/74 (van Binsbergen) Rn. 13; Rs. 229/83 (Leclerc) Rn. 27; Rs. C‑413/01 (Ninni-Orasche) Rn. 36; Rs. C‑311/06 (Cavallera) Rn. 58. 1114   Vgl. EuGH, Rs. C‑23/93 (TV 10) Rn. 20 f.; Rs. C‑264/96 (ICI) Rn. 26; Rs. C‑324/00 (Lankhorst-Hohorst) Rn. 37; Rs. C‑321/05 (Kofoed) Rn. 37 ff. 1115   Beispielsweise in EuGH, Rs. C‑196/04 (Cadbury Schweppes) Rn.  34 – 38 (Tatbestandsebene) und Rn. 47 – 74 (Rechtfertigungsebene). Kritisch Hahn, IStR 2006, 667, 669. 1116   Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 69 ff. 1109

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

369

zur Bekämpfung des Missbrauchs im konkreten Fall geeignet, erforderlich und angemessen ist.

V. Ungeklärte Fallgruppen des Rechtsmissbrauchsverbots Hinter dem unionsrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbot steht kein einheitlicher Tatbestand. Das Rechtsmissbrauchsverbot kann vielmehr in verschiedenen Sachverhaltskonstellationen unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Da bislang nur wenige Entscheidungen auf dem Gebiet des Privatrechts vorliegen, besteht ein besonderes Bedürfnis für Vorlagen an den EuGH. Abschließend sollen daher auf der Grundlage deutscher Gerichtsentscheidungen besonders problematische Fälle diskutiert werden, in denen die missbräuchliche Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte eine Rolle spielte, ohne dass die Gerichte ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet hätten. 1. Professionelle Diskriminierungskläger („AGG-Hopper“) Zu den im deutschen Recht anerkannten Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs, die als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gewertet werden, zählt unter anderem der unredliche Erwerb der eigenen Rechtsstellung. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Ausübung eines Rechts dann missbräuchlich, wenn der Berechtigte das Recht durch ein gesetzes‑, sitten- oder vertragswidriges Verhalten erworben hat oder die tatbestandlichen Voraussetzungen in missbilligenswerter Weise herbeigeführt hat.1117 Praktische Relevanz hat diese Fallgruppe1118 vor allem für „professionelle Diskriminierungskläger“ („AGG-Hopper“)1119 erlangt, die sich auf diskriminierende Stellenanzeigen alleine deshalb bewerben, um anschließend Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Eine solche Scheinbewerbung wurde von der Rechtsprechung bereits unter der Geltung des § 611a BGB a. F. als rechtsmissbräuchlich eingestuft.1120 Das BAG hat mit Urteil vom 13.10.2011 bestätigt, dass diese Grundsätze auch für Entschädigungsklagen nach § 15 Abs. 2 AGG gelten.1121 Eine missbräuchliche Rechtsausübung wird angenommen, wenn der Arbeitgeber Indizien vorträgt, die geeignet 1117  Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., 2016, § 242 Rn. 43 ff.; Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2015, § 242 Rn. 239 ff.; MüKo/Schubert, BGB, 7. Aufl., 2016, § 242 Rn. 253 ff. 1118   Scheinbewerbungen werden in Rechtsprechung und Schrifttum teils auch anders eingeordnet. Manche plädieren für eine teleologische Reduktion des § 611a Abs. 2, 3 BGB a. F. bzw. § 15 Abs. 2 AGG, andere verneinen den Tatbestand einer Benachteiligung oder das Vorliegen eines immateriellen Schadens; vgl. Jacobs, RdA 2009, 193, 199 m. w. N. in Fn. 99 – 103. Vorzugswürdig ist es, im Anschluss an BAG, Urt. v. 13.10.2011, Az. 8 AZR 608/10, BeckRS 2012, 65090, Rn. 52, von einem unredlichen Erwerb der eigenen Rechtsstellung auszugehen. 1119   Der Begriff wurde maßgeblich durch das ArbG Potsdam, NZA-RR 2005, 651, 652 („§ 611a BGB-Hopper“) geprägt, und hat sich im Schrifttum allgemein durchgesetzt; vgl. Diller, BB 2006, 1968; Hey/Hey, AGG, 2009, § 15 Rn. 22; Jacobs, RdA 2009, 193, 198; Windel, RdA 2011, 193, 194. Vgl. auch LAG Hamburg, NZA-RR 2010, 629, 631 (keine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Bezeichnung des Prozessgegners als „AGG-Hopper“, da Bezeichnung fast schon zu einem juristischen Begriff geworden ist). 1120   BAG, Urt. v. 12.11.1998, Az. 8 AZR 365/97, AP Nr. 16 zu § 611a BGB; LAG Hamm, NZARR 1997, 203, 206; LAG Rheinland-Pfalz, NZA 1997, 115, 116 f.; ArbG Potsdam, NZA-RR 2005, 651; LAG Berlin, NZA-RR 2006, 513, 514 f. 1121   BAG, Urt. v. 13.10.2011, Az. 8 AZR 608/10, BeckRS 2012, 65090, Rn. 53.

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

sind, den Schluss auf die fehlende Ernsthaftigkeit zuzulassen. Nach der Rechtsprechung kann ein Bewerber Entschädigungsansprüche wegen Diskriminierung nur dann geltend machen, wenn er objektiv für die in Aussicht genommene Stelle in Betracht kam und sich subjektiv ernsthaft beworben hat.1122 Indizien für eine rechtsmissbräuchliche Bewerbung können die offensichtliche Unter- oder Überqualifikation für die ausgeschriebene Stelle sein,1123 ein anderweitig bestehendes ungekündigtes Arbeitsverhältnis mit höherer Vergütung1124 oder das massenhafte Absenden von Bewerbungen, die sich ausschließlich auf diskriminierende Stellenausschreibungen beziehen.1125 Eine Vielzahl von Bewerbungen spricht demgegenüber für sich genommen noch nicht für einen Rechtsmissbrauch, sondern kann vielmehr die Ernsthaftigkeit der Bewerbung unterstreichen.1126 Sowohl § 611a BGB a. F. als auch die im AGG geregelten Entschädigungsansprüche gehen auf europäische Antidiskriminierungs-Richtlinien zurück.1127 Die Gerichte haben es gleichwohl bislang nicht für erforderlich gehalten, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob die vorgenannten Kriterien mit dem unionsrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbot in Einklang stehen. Das BAG wies in seinem Urteil vom 13.10.2011 pauschal darauf hin, dass das Verbot des Rechtsmissbrauchs auch im Unionsrecht ein anerkannter Rechtsgrundsatz sei.1128 Nach dem zuvor Gesagten besteht bei Anwendung dieses Prinzips jedoch eine Vorlagepflicht. Nur auf diese Weise kann geklärt werden, in welchem Umfang die effektive Durchsetzung des europäischen Antidiskriminierungsrechts im Einzelfall durch das Rechtsmissbrauchsverbot begrenzt werden darf.1129 2. Scheinunternehmer Kann sich ein Käufer, der eine Sache zu privaten Zwecken erwirbt, auch dann auf die verbraucherschützenden Vorschriften der §§ 474 ff. BGB berufen, wenn er bei Abschluss des Vertrages wahrheitswidrig als Gewerbetreibender aufgetreten ist und einen gewerblichen Geschäftszweck vorgetäuscht hat? Der BGH verneinte dies in seinem Urteil vom 22.12.2004.1130 Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der auch im Verbraucherschutzrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben in seiner Ausprägung des Verbots des „venire contra factum proprium“ Vorrang vor dem Interesse eines unredlichen Vertragspartners verdiene.1131 Auch die nach der KaufRL 1122  BAG, Urt. v. 12.11.1998, Az. 8  AZR 365/97, AP Nr. 16 zu § 611a BGB; BAG, Urt. v. 13.10.2011, Az. 8 AZR 608/10, BeckRS 2012, 65090, Rn. 54 ff. 1123   BAG, Urt. v. 27.4.2000, Az. 8 AZR 295/99, BeckRS 2010, 71644; LAG Berlin, NZA-RR 2006, 513, 514. 1124   ArbG Potsdam, NZA-RR 2005, 651, 652. 1125   LAG Rheinland-Pfalz, NZA 1997, 115, 116; LAG Hamm, Urt. v. 26.6.2008, Az. 15 Sa 63/08, BeckRS 2008, 57044 1126   BAG, Urt. v. 13.10.2011, Az. 8 AZR 608/10, BeckRS 2012, 65090, Rn. 56; LAG München, Urt. v. 26.6.2012, Az. 7 Sa 1247/10, BeckRS 2012, 75317. 1127   § 611a BGB a. F. diente der Umsetzung der Allgemeinen Gleichbehandlungs-RL 76/207. Die in § 15 AGG geregelten Entschädigungsansprüche gehen auf Art. 15 Antirassismus-RL 2000/43, Art. 17 Rahmen-RL 2000/78 und die Art. 6 und 8d Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 (jetzt Art. 17, 18, 25 RL 2006/54) zurück. Ausführlich infra, § 9 C.I. 1128   BAG, Urt. v. 13.10.2011, Az. 8 AZR 608/10, BeckRS 2012, 65090, Rn. 53. 1129   Vgl. nunmehr die nach Abschluss des Manuskripts ergangene Entscheidung EuGH, Rs. C‑ 423/15 (Kratzer). 1130   BGH, NJW 2005, 1045. 1131   BGH, NJW 2005, 1045, 1046.

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

371

99/44 gebotene richtlinienkonforme Auslegung führte nach Ansicht des BGH zu keinem anderen Ergebnis. Vielmehr unterliege es – so der BGH – angesichts des auch im Gemeinschaftsrecht anerkannten Grundsatzes von Treu und Glauben keinem vernünftigen Zweifel, dass ein Schutz des arglistig Täuschenden nicht geboten sei.1132 Eine solche Argumentation übersieht, dass die richtige Anwendung des Unionsrechts keineswegs im Sinne der acte clair-Rechtsprechung auf der Hand lag. Ob die KaufRL 99/44 auch im Falle der arglistigen Vortäuschung einer unternehmerischen Verwendungsabsicht anzuwenden ist, kann allein vom EuGH entschieden werden. Der Umstand, dass das Rechtsmissbrauchsverbot (nicht jedoch das Gebot von Treu und Glauben!) ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, reicht für sich genommen noch nicht aus, um eine Vorlage entbehrlich zu machen, ist doch die konkrete Anwendung dieses Verbots im Unionsprivatrecht immer noch ungeklärt. Eine Vorlage an den EuGH wäre daher nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zwingend erforderlich gewesen.1133 Auch das Urteil Gruber1134 hat keine Klärung gebracht. Zwar urteilte der Gerichtshof in diesem Fall, dass die verbraucherschützenden Vorschriften der Art. 13 ff. EuGVÜ (jetzt Art. 17 ff. Brüssel I-VO 1215/2012) nicht angewendet werden können, wenn ein Verbraucher durch sein eigenes Verhalten gegenüber einem gutgläubigen Unternehmer den Eindruck erweckt hat, dass er zu beruflich-gewerblichen Zwecken handelt. Die Ausführungen lassen sich sogar dahingehend interpretieren, dass der Schutz der Art. 13 ff. EuGVÜ nicht nur bei arglistig vorgetäuschter Unternehmereigenschaft versagt wird, sondern bereits bei fahrlässig verursachtem Rechtsschein.1135 Ob sich der vom EuGH zum Prozessrecht entwickelte Verbraucherbegriff ohne Weiteres auf das materielle europäische Verbraucherrecht, insbesondere auf die KaufRL 99/44 übertragen lässt,1136 erscheint jedoch aus mehreren Gründen fraglich. Das europäische Zivilprozessrecht wird vom Grundsatz der Rechtssicherheit geprägt. Eines der wesentlichen Ziele des Brüsseler Übereinkommens ist, wie der EuGH hervorhebt, mehrere Gerichtsstände in Bezug auf ein und dasselbe Rechtsverhältnis zu vermeiden.1137 Die speziellen Vorschriften zum Verbrauchergerichtsstand sind daher als (eng auszulegende) Ausnahmevorschriften konzipiert worden. Sie sind nach Auffassung des EuGH nur dann anwendbar, wenn der Unternehmer zumindest erkennen kann, dass er es mit einem Verbraucher zu tun hat. Eine solche Auslegung entspricht, so der Gerichtshof, „am ehesten den Erfordernissen der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit des zuständigen Gerichts durch einen zukünftigen Beklagten“.1138 Im materiellen Verbraucherrecht dominiert demgegenüber der zwingende Charakter verbraucherschützender Vorschriften. Soweit eine Vertragspartei zu privaten Zwecken handelt, soll sie nach dem Willen des Unionsgesetzgebers als typischerweise 1132

  BGH, NJW 2005, 1045, 1046.   Ebers, VuR 2005, 361, 363. Im Ergebnis auch MüKo/Micklitz/Purnhagen, BGB, 7. Aufl., 2015, § 13 Rn. 47; Schürnbrand, JZ 2009, 133, 137. 1134   EuGH, Rs. C‑464/01 (Gruber) Rn.  51 – 53. 1135   Vgl. die in EuGH, Rs. C‑464/01 (Gruber) Rn. 52 genannten Beispiele: Briefpapier mit Geschäftsbriefkopf, Lieferung von Waren an eine Geschäftsadresse, Erwähnung eines möglichen Mehrwertsteuerabzugs. 1136  Hierfür Mankowski, EWiR 2005, 305, 306; Herresthal, JZ 2006, 695, 706. 1137   EuGH, Rs. C‑256/00 (Besix) Rn. 27; Rs. C‑96/00 (Gabriel) Rn. 57; Rs. C‑18/02 (DFDS Torline) Rn. 26. 1138   EuGH, Rs. C‑464/01 (Gruber) Rn. 45. 1133

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

strukturell benachteiligte Partei geschützt werden. Für die Annahme widersprüchlichen Verhaltens ist daher eine hohe Hürde aufzustellen. Dem Verbraucher darf der Schutz nicht bereits dann versagt werden, wenn er in fahrlässiger Weise den Anschein unternehmerischen Handelns erweckt. Denn anderenfalls würde ihm eine Offenbarungspflicht auferlegt werden, die mit dem Sinn und Zweck verbraucherschützender Richtlinien nicht vereinbar wäre. Derjenige, der zu privaten Zwecken handelt, dies aber in unvorsichtiger, fahrlässiger Weise nicht hinreichend deutlich werden lässt, muss ebenfalls durch die zwingenden Normen des Verbraucherrechts geschützt werden. Einschränkungen sind zwar bei arglistiger Täuschung nach dem Rechtsmissbrauchsverbot geboten; dem BGH ist daher im Ergebnis zuzustimmen.1139 Angesichts der nach wie vor ungeklärten Rechtslage bedürfte die Frage aber nach wie vor einer Vorlage an den EuGH. 3. Verwirkung verbraucherschützender Widerrufsrechte Besondere Probleme stellen sich mit Blick auf die Frage, ob die im Unionsrecht zahlreich vorgeschriebenen (teils unbefristeten) Widerrufsrechte des Verbrauchers1140 durch Anwendung des (nationalen) Rechtsinstituts der Verwirkung (§ 242 BGB) begrenzt werden können, obwohl der Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. In Deutschland gehen einige Instanzgerichte bereits dann von einer Verwirkung aus, wenn der Verbraucher den Widerruf erst nach mehreren Jahren erklärt.1141 Andere Instanzgerichte nehmen eine Verwirkung an, wenn der Verbraucher sein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre (Zeitmoment), und der Unternehmer berechtigterweise darauf vertrauen konnte, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht nicht ausüben werde (Umstandsmoment).1142 Auch der BGH hat eine Verwirkung des Widerrufsrechts mehrfach in Erwägung gezogen, wenngleich er eine solche wegen der im Einzelfall fehlenden Voraussetzungen abgelehnt hat.1143 Ob das Widerrufsrecht aus unionsrechtlicher Perspektive überhaupt durch nationale Vorschriften zur Verwirkung beschränkt werden darf, ist indessen gerade ungeklärt. Zwar hat der EuGH das Rechtsinstitut der Verwirkung in öffentlich-rechtlichen Sachverhalten bereits anerkannt.1144 Die Ausführungen des Gerichtshofs im Fall Diamantis1145 deuten zudem darauf hin, dass eine Verwirkung von Rechten als Ausprägung des Rechtsmissbrauchsverbots auch im europäischen Privatrecht Gel1139   Ebers, VuR 2005, 361 ff.; Herresthal, JZ 2006, 695, 704; MüKo/Lorenz, BGB, 6. Aufl., 2012, § 474 Rn. 23. A. A. Schürnbrand, JZ 2009, 133, 137. 1140   Für einen Überblick infra, § 10 E.II.1.c. 1141   OLG Hamm, MDR 1999, 537: ein Jahr; OLG München, WM 2001, 680, 682 f.: neun Jahre; LG Berlin, SVR 2012, 104: zwei Jahre nach Abschluss des Vertrags durch einen rechtskundigen Verbraucher. 1142   OLG Köln, WM 2012, 1532, 1533 f.: sieben Jahre nach Erhalt der Widerrufsbelehrung bei vollständig erfülltem Vertrag. 1143   BGH, NJW-RR 2005, 180, 182; NJW-RR 2007, 257, 259. Nach Ansicht des VIII. Zivilsenats kommt ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) nur ausnahmsweise – unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers – etwa bei arglistigem oder schikanösem Verhalten des Verbrauchers in Betracht; BGH, NJW 2016, 1951. 1144   EuGH, Rs. 223/85 (RSV/Kommission) Rn. 17; Rs. C‑24/95 (Alcan II) Rn. 40 ff.; Rs. C‑366/95 (Steff-Houlberg Export I/S). Vgl. auch EuG, verb. Rs. T‑305 – 307/94, T‑313 – 316/94, T‑318/94, T‑325/ 94, T‑328 – 329/94 und T‑335/94 (Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission) Rn. 115 ff. m. w. N. 1145   EuGH, Rs. C‑373/97 (Diamantis) Rn. 40, 44.

E. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsmissbrauchsverbot

373

tung beansprucht.1146 Daraus folgt jedoch nicht, dass dieser Grundsatz auch auf verbraucherschützende Widerrufsrechte angewendet werden kann. Die Frage ist bislang offen: Generalanwalt Poiares Maduro hatte in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Hamilton1147 die Auffassung vertreten, dass die HWiRL 85/577 die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, „im Rahmen ihres Ermessensspielraums eine Frist festzusetzen, innerhalb deren das Widerrufsrecht wirksam ausgeübt werden kann und die zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem nachgewiesen ist, dass der Verbraucher Kenntnis von seinem Recht erlangt hat oder hätte erlangen können.“ Der EuGH ist demgegenüber in seinem Urteil auf eine mögliche Verwirkung nicht eingegangen, da er das Widerrufsrecht bereits aus anderen Gründen als erloschen ansah.1148 Auch insoweit müssten die deutschen Gerichte entsprechende Vorlagefragen an den Gerichtshof richten. Gegen die Anwendung des Rechtsinstituts der Verwirkung spricht bereits der Umstand, dass der Unternehmer die Widerrufsbelehrung nachholen und dadurch klare Verhältnisse schaffen kann. Auch der EuGH hat in der Rechtssache Heininger betont, dass der Unternehmer seinem eigenen Bedürfnis nach Rechtssicherheit ohne Schwierigkeit dadurch Rechnung tragen kann, dass er seiner Rechtspflicht zur Belehrung nachkommt.1149 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Pflicht zur Widerrufsbelehrung nicht nur eine Obliegenheit, sondern eine echte Rechtspflicht ist.1150 Wenn aber der Verbraucher über die zu seinen Gunsten bestehende Rechtslage zwingend aufzuklären ist, wäre es als treuwidrig anzusehen, wenn sich der Unternehmer auf das Rechtsinstitut der Verwirkung berufen könnte, obwohl er selbst durch seine unterlassene Widerrufsbelehrung die Kenntnis des Verbrauchers und damit die Ausübung des Widerrufsrechts verhindert hat. Die Annahme einer Verwirkung steht schließlich im Wertungswiderspruch zu der gesetzlichen Vorgabe, dass der Verbraucher auf seine Rechte nicht verzichten kann. Da der Verbraucher sein Widerrufsrecht nicht einmal durch Abgabe einer ausdrücklichen Willenserklärung abbedingen kann, darf er dieses Recht auch nicht durch eine tatsächliche Handlung verlieren.1151 Bedenklich ist aus diesen Gründen auch die Entscheidung des BGH v. 16. Juli 20141152 zur Rückabwicklung von Lebensversicherungsverträgen, die auf der Grundlage des sog. Policenmodells (§ 5a Abs. 1 VVG 1994) geschlossen wurden.1153 Bei diesen Verträgen stellt sich das Problem, ob Versicherungsnehmer eine Rückabwicklung von Versicherungsprämien nebst Nutzungsersatz allein deswegen verlangen können, weil sie die erforderlichen Verbraucherinformationen nicht bei Abgabe ihrer Willenserklärung, sondern erst nachträglich bei Übersendung der Versicherungspolice erhalten haben. Der BGH wies derartige Rückzahlungsansprüche ab. Zum einen bestehe, so der BGH, an der Vereinbarkeit von § 5a VVG 1994 mit dem Gemeinschaftsrecht kein Zweifel, so dass eine Vorlagepflicht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV entfalle.1154 Zum anderen sei dem Versicherungsnehmer die Berufung auf die Unwirksamkeit des Ver1146

 Hierzu supra, § 4 E.II.2.b.; sowie Rybarz, Billigkeitserwägungen, 2011, S. 146 ff., 165 f.   GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑412/06 (Hamilton) Rn. 34. Kritisch Kulke, VuR 2008, 22.   EuGH, Rs. C‑412/06 (Hamilton); hierzu Ebers, VuR 2008, 270. 1149   EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger) Rn. 47. 1150   BGHZ 169, 109, 120 f. = NJW 2007, 357, 360 Rn. 40 ff. 1151   Wie hier Schürnbrand, JZ 2009, 133, 137 f. 1152   BGH, NJW 2014, 2723. 1153   Allgemein zum Policenmodell Ebers, in: Micklitz (Hrsg.), Verbraucherrecht in Deutschland, 2005, S. 253 ff. 1154   BGH, NJW 2014, 2723, 2724, Rn. 16 ff. 1147 1148

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§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

sicherungsvertrags auch unter Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, da er den Vertrag jahrelang durchgeführt habe. Auch insoweit komme eine Vorlage an den EuGH nicht in Betracht, da die Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt seien.1155 Eine solche Argumentation verkennt, dass das Verbot widersprüchlichen Verhaltens in der EuGH-Rechtsprechung alles andere als geklärt ist. Gegen einen Rückgriff auf diesen Grundsatz spricht, dass Versicherungsnehmer in der Vergangenheit überhaupt nicht wussten, dass das Policenmodell evtl. richtlinienwidrig ist. Die Diskussion um die Richtlinienkonformität des § 5a VVG 1994 begann erst viele Jahre später. Erst nachdem die Versicherungsnehmer erfuhren, dass ihnen möglicherweise ein Widerrufsrecht und damit ein Anspruch auf Rückzahlung der Prämien wegen der möglichen Unionsrechtswidrigkeit des Policenmodells zusteht, machten sie Rückzahlungsansprüche geltend. Die bloße Vertragsdurchführung kann daher unmöglich rechtsmissbräuchlich gewesen sein. Die gegen das Urteil des BGH erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG dennoch nicht zur Entscheidung angenommen.1156 Zwar bestünden, so das BVerfG, erhebliche Zweifel an der Richtlinienkonformität des Policenmodells. Die Ansicht des BGH, das Policenmodell sei eindeutig richtlinienkonform, sei daher objektiv unvertretbar und willkürlich mit der Folge, dass durch die unterlassene Vorlage gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verstoßen worden sei. Die Verfassungsbeschwerde habe dennoch keinen Erfolg, weil dieser Verstoß nicht entscheidungserheblich gewesen sei. Der BGH stütze seine Entscheidung nämlich zugleich auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Dies sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Annahme des BGH, die Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben seien in der EuGHRechtsprechung geklärt, sei verfassungsrechtlich vertretbar.

VI. Ergebnis Mitgliedstaatliche Rechtsbehelfe und Sanktionen, die der Durchsetzung des Unionsrechts dienen, müssen nicht nur im Einklang mit dem Effektivitäts- und Äquivalenzgebot, sondern zugleich mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts stehen. Soweit der EuGH mitgliedstaatliches Durchführungsrecht am Maßstab dieser Grundsätze kontrolliert, wird der Geltungsanspruch des Unionsrechts zumeist nicht verstärkt, sondern zurückgenommen. Die meisten allgemeinen Rechtsgrundsätze weisen eine das Effektivitätsgebot begrenzende Funktion auf. Sie werden vom Gerichtshof herangezogen, um eine nationale Regelung zu legitimieren, die dem Effektivitätsgebot eigentlich widerspricht, die aber von einem Zweck getragen ist, der sich mit einem allgemeinen Rechtsgrundsatz deckt. In letzter Zeit greift der EuGH auf allgemeine Rechtsgrundsätze nicht nur in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zurück, sondern auch in Privatrechtsfällen. Diese Entwicklung ist zu begrüßen. Die angewendeten Grundsätze (Rechtssicherheit, Verhältnismäßigkeit, Parteiherrschaft, Schutz der Verteidigungsrechte, Rechts1155

  BGH, NJW 2014, 2723, 2728.   BVerfG, NJW 2015, 1294.

1156

F. Zusammenfassung

375

kraft, Rechtsmissbrauchsverbot) ermöglichen es dem EuGH, einer einseitig am Effektivitätsgebot orientierten Kontrolle entgegenzuwirken. Indem der Gerichtshof zunehmend auch auf „allgemeine Grundsätze des Zivilrecht“ bzw. „Grundsätze des bürgerlichen Rechts“ rekurriert, kann ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen erzielt werden, selbst wenn die Interessen der anderen Partei im konkreten Fall nicht positiv im geschriebenen Unionsrecht berücksichtigt werden. Viele der vom EuGH anerkannten Rechtsgrundsätze sind im Privatrecht immer noch sehr wenig konturiert. Dies führt zu praktischen Problemen, wie das Beispiel des Rechtsmissbrauchsverbots demonstriert. Da der Gerichtshof für die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots im Privatrecht bislang kaum konkrete Vorgaben aufgestellt hat, entscheiden die einzelstaatlichen Gerichte zumeist selbst auf der Grundlage des anwendbaren nationalen Rechts über die Frage, ob unionsrechtlich determinierte Rechte missbräuchlich ausgeübt werden. Eine Vorlage an den EuGH unterbleibt dabei zumeist. Ein Rückgriff auf nationale Rechtsmissbrauchsvorschriften ist indessen nur in dem Umfang gestattet, wie diese mit dem unionsrechtlich anerkannten Rechtsmissbrauchsverbot übereinstimmen. Da allein der EuGH den Inhalt der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte autonom bestimmen kann, obliegt es allein dem Gerichtshof, über die Grenzen der subjektiven Unionsrechte zu entscheiden, die durch das unionsrechtliche Rechtsmissbrauchsverbot gezogen werden. Die Praxis der deutschen Gerichte, bei Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) von einer Vorlage an den EuGH gänzlich abzusehen, verstößt aus diesem Grund gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV.

F. Zusammenfassung Werden die bei einem Verstoß gegen das Unionsrecht eintretenden Rechtsfolgen im geschriebenen Primär- oder Sekundärrecht nicht geregelt, so verfügen die Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der primärrechtlich durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sowie das Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip abgesichert ist.1157 Danach sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich befugt, die zur Durchführung des Unionsrechts erforderlichen Regeln zu setzen und anzuwenden. Die sich hieraus ergebenden Unterschiede sind grundsätzlich hinzunehmen. Nicht jede Beeinträchtigung der einheitlichen Wirksamkeit führt zu einem Verstoß gegen das Unionsrecht. Der EuGH respektiert die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bereits bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und im Rahmen der Rechtsfortbildung. Zwar nimmt der Gerichtshof für sich in Anspruch, das Unionsrecht dynamisch nach Maßgabe des effet utile weiterzuentwickeln und aus dem Primär- oder Sekundärrecht ungeschriebene Rechtsbehelfe, Sanktionen oder Verfahrensanforderungen abzuleiten. Die im Wege der Rechtsfortbildung begründeten Rechtspositionen werden dabei jedoch nicht detailliert entwickelt, sondern nur dem Grunde nach statuiert, während die nähere Ausgestaltung den Mitgliedstaaten überantwortet wird. Subjektives Recht, Anspruchsvoraussetzungen, Rechtsfolgen und gerichtliche Durchsetzung liegen daher nicht auf derselben Normebene, sondern wurzeln – je nach Konkretisierungs1157

  Supra, §  4 A.IV. – V.

376

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

grad der fraglichen Norm und in Abhängigkeit zu den hierzu entwickelten Vorgaben des EuGH – teils im Unionsrecht und teils im nationalen Recht.1158 Von der Grundfreiheitenrechtsprechung geht bislang keine nennenswerte Harmonisierungswirkung aus. Zwar unterliegen mitgliedstaatliche Rechtsfolgen in besonderen Konstellationen einer eigenständigen Grundfreiheitenkontrolle, so dass sie am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemessen werden können.1159 Straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen werden vom EuGH jedoch nur dann einer solchen Prüfung unterzogen, wenn diese für sich genommen (ohne Einbeziehung der Verbotsnorm) eine Beschränkungswirkung entfalten. Nicht-diskriminierendes Privat- und Prozessrecht wird vom EuGH sogar nahezu vollständig von der Grundfreiheitenprüfung ausgenommen. Die beschränkenden Wirkungen, die von derartigen Normen ausgehen, sind nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig „zu ungewiss und mittelbar“, als dass sie den Binnenmarkt beeinträchtigen könnten. Verbleibt den Mitgliedstaaten demnach ein Gestaltungsspielraum, so ist dieser dennoch nicht unbegrenzt. Die Mitgliedstaaten verfügen bei Durchführung des Unionsrechts über keinen absolut geschützten Bereich, der gegenüber europarechtlichen Einflüssen immun wäre. Der Grundsatz der Verfahrensautonomie beinhaltet vielmehr eine Kompetenzvermutung zugunsten der Mitgliedstaaten: Werden die bei einem Verstoß eintretenden Rechtsfolgen im geschriebenen Unionsrecht nicht festgelegt und lassen sich diese auch nicht durch eine (am effet utile orientierte) Auslegung näher konkretisieren, kann mitgliedstaatliches Recht nicht mehr am Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit kontrolliert, sondern nur noch an den spezifischen Vorgaben gemessen werden, die der EuGH zur Ermittlung und Auflösung indirekter Kollisionen entwickelt hat.1160 Zu diesen Vorgaben zählt vor allem das Effektivitätsgebot, das in der Rechtsprechung mit der Forderung nach einem effektiven Schutz der subjektiven Rechte einerseits eine subjektiv-rechtliche Ausprägung erfahren hat, andererseits mit dem Auftrag zu „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen“ aber auch eine objektiv-rechtliche Ausprägung aufweist.1161 Inhaltlich zielen beide Formen des Effektivitätsgebots nicht auf eine vollständige Harmonisierung der Rechtsbehelfe und Sanktionen. Nicht jede Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit verstößt gegen das Effektivitätsgebot.1162 Diese Grenze wird erst überschritten, wenn nationales Recht die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte übermäßig erschwert bzw. Normverstöße nicht hinreichend wirksam und abschreckend sanktioniert. Das Effektivitätsgebot lässt sich insoweit als ein Instrument verstehen, mit welchem der EuGH versucht, einen Ausgleich zwischen dem unionsrechtlichen Interesse (einheitliche Wirksamkeit des Unionsrechts) und mitgliedstaatlichen Interessen (Verfahrensautonomie) zu erzielen. Inwieweit ein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot vorliegt, bemisst sich nach einer Reihe von Faktoren.1163 Entscheidend sind das Regelungsziel der durchzusetzenden Unionsnorm sowie die Frage, wie dieses im mitgliedstaatlichen Recht in rechtlicher 1158

  Supra, § 4 A.VI.   Supra, § 4 B.   Supra, § 4 A.V.4. 1161   Supra, § 4 C.I.2. 1162   Supra, § 4 C.III.2.b. 1163   Supra, § 4 C.III. 1159 1160

F. Zusammenfassung

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und tatsächlicher Hinsicht verwirklicht wird. Erforderlich ist daher eine Gesamtbetrachtung des mitgliedstaatlichen Rechts und der Rechtsdurchsetzungspraxis. Daneben können auch rechtsvergleichend gewonnene Erkenntnisse sowie Leitbilder von Bedeutung sein, wenn es darum geht, nationales Recht am Effektivitätsgebot zu messen. Für die abschreckende Wirkung kommt es zudem auf die Härte der Sanktionen sowie auf die Wahrscheinlichkeit an, mit der Rechtsverstöße verfolgt werden. Überprüft der EuGH mitgliedstaatliche Rechtsfolgen nach Maßgabe des Effektivitätsgebots, so gesteht er den Mitgliedstaaten ein Rechtsformenermessen ein.1164 Die Mitgliedstaaten können grundsätzlich frei entscheiden, ob Normverstöße durch strafoder verwaltungsrechtliche Sanktionen oder zivilrechtlich durchgesetzt werden. Dieses Rechtsformenermessen kann jedoch eingeschränkt sein, wenn zur wirksamen und abschreckenden Durchsetzung des Unionsrechts nur eine bestimmte Sanktion oder nur eine Kombination verschiedener Sanktionsarten geeignet ist. Da die Sanktionsmittel der jeweiligen Teilrechtsordnungen unterschiedlichen Funktionsbedingungen und Steuerungsgrenzen unterliegen, sind Sanktionsmittel nicht beliebig austauschbar. Der Gerichtshof hat das Rechtsformenermessen der Mitgliedstaaten daher in einer Reihe von Entscheidungen eingeschränkt.1165 Das Effektivitätsgebot ist im Übrigen selbst nach Ausübung mitgliedstaatlichen Rechtsformenermessens zu beachten: Entscheidet sich ein Mitgliedstaat dafür, EU‑Normverstöße durch bestimmte Sanktionen zu ahnden, so werden damit nicht automatisch sämtliche anderen Rechtsfolgen, die nach nationalem Recht ebenfalls greifen, gegenüber unionsrechtlichen Einflüssen immunisiert.1166 Nicht nur das Umsetzungsrecht, sondern das gesamte nationale Recht unterliegt einer Kontrolle darüber, ob die Vorgaben des Unionsrechts wirksam, verhältnismäßig und abschreckend umgesetzt werden. Die Effektivität der spezifisch zur Umsetzung geschaffenen Sanktionen darf insbesondere nicht durch Sanktionen anderer Teilrechtsordnungen konterkariert werden. Erforderlich ist vielmehr ein abgestimmtes Sanktionskonzept, bei dem die einzelnen Sanktionen und Rechtsbehelfe nicht isoliert, sondern im Zusammenwirken miteinander betrachtet werden. Bewertungsmaßstäbe hierfür liefert das Modell der wechselseitigen Auffangordnungen, das an die Erkenntnisse der ökonomischen Analyse des Rechts, insb. an die Theorie der optimalen Rechtsdurchsetzung anknüpfen kann.1167 Während das Effektivitätsgebot für einen unionsweit einheitlichen Mindeststandard der Effektivität sorgt, perpetuiert das Äquivalenzgebot tendenziell die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede. Gewährt das nationale Recht einen im Vergleich zum Unionsrecht weitergehenden Rechtsschutz, so darf dieser nicht nur für rein innerstaatliche Klagen gelten. Vielmehr muss das (u. U. nur in einem Mitgliedstaat geltende) höhere Rechtsschutzniveau gleichermaßen für rein nationale wie unionsrechtlich determinierte Klagen gelten.1168 Trotz dieser weitreichenden Vorgaben führt das Äquivalenzgebot nach wie vor ein Schattendasein. Nur wenige einzelstaatliche Gerichte sind bislang dazu bereit, einen Verstoß gegen das Äquivalenzgebot zu prüfen und eine Vergleichbarkeit von Klagen, von denen die eine der Durchsetzung des Unionsrechts und die andere der Durchsetzung „rein“ nationalen Rechts dient, 1164

  Supra, § 4 C.IV.   Supra, § 4 C.IV.4. 1166   Supra, § 4 C.IV.5. 1167   Supra, § 4 C.V. 1168   Supra, § 4 D. 1165

378

§ 4  Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts

in Betracht zu ziehen. Praktische Bedeutung hat das Äquivalenzgebot insbesondere in den Fällen erlangt, in denen der EuGH die heranzuziehende Vergleichsgrundlage unter Rückgriff auf Effektivitätserwägungen kurzerhand selbst bestimmt hat.1169 Die sonstigen allgemeinen Rechtsgrundsätze, die vom EuGH zur Bewältigung indirekter Kollisionen herangezogen werden, weisen demgegenüber eine das Effektivitätsgebot begrenzende Funktion auf.1170 Die angewandten Grundsätze (wie z. B. Rechtssicherheit, Verhältnismäßigkeit, Parteiherrschaft, Schutz der Verteidigungsrechte, Rechtskraft, Rechtsmissbrauchsverbot) ermöglichen es dem Gerichtshof, einer einseitig am Effektivitätsgebot orientierten Kontrolle mitgliedstaatlichen Rechts entgegenzuwirken. Indem der Gerichtshof auf diese und andere Prinzipien nicht nur im öffentlichen Recht, sondern zunehmend auch im Privatrecht zurückgreift, kann ein Ausgleich zwischen widerstreitenden Interessen erzielt werden, selbst wenn die Interessen der anderen Partei im konkreten Fall nicht positiv im geschriebenen Unionsrecht berücksichtigt werden. In vielen Fällen kann dabei zugleich ein Gleichgewicht zwischen dem nationalen Recht und dem Unionsrecht hergestellt werden – allerdings nur insoweit, als nationale Vorschriften einen unionsrechtlich anerkannten Rechtsgrundsatz zutreffend konkretisieren: So gestattet der EuGH beispielsweise den mitgliedstaatlichen Gerichten, nationale Rechtsmissbrauchsvorschriften anzuwenden. Der Gerichtshof lässt einen solchen Rückgriff jedoch nur dann zu, wenn sich das nationale Rechtsmissbrauchsverbot mit den unionsrechtlichen Kriterien deckt, die an einen Rechtsmissbrauch gestellt werden. Die Abwägung zwischen der Effektivität unionsrechtlich begründeter Rechtspositionen einerseits und widerstreitenden Inter­ essen der anderen Partei bzw. der Allgemeinheit andererseits, ist nach alledem keine zwischen Unionsrecht und nationalem Recht. Der betreffende Konflikt beruht vielmehr auf einem Interessensgegensatz innerhalb des Unionsrechts selbst. Eine solche Sichtweise ist letztlich nur konsequent. Eine Rechtsordnung, die wie das Unionsrecht den Schutz der Rechtsstellung des Einzelnen durch Zuerkennung individueller Berechtigungen zunehmend in den Mittelpunkt rückt, darf nicht parteiisch allein die im geschriebenen Unionsrecht positivierten Interessen einer Partei schützen, sondern muss darauf bedacht sein, diese mit gegenläufigen Interessen Dritter und berechtigten Interessen der Allgemeinheit in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.

1169

  Supra, § 4 D.V.3.b.   Supra, § 4 E.I.

1170

§ 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Ein Rechtsstreit kann von den nationalen Gerichten erst dann auf der Grundlage einer bestimmten Norm des Unionsrechts entschieden werden, wenn die betreffende Norm unmittelbar wirkt oder im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung berücksichtigt werden kann. Die nachstehenden Ausführungen beschäftigen sich daher zunächst mit dem Problem, unter welchen Voraussetzungen Unionsnormen unmittelbar wirken. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage, inwieweit die vom EuGH aus dem Effektivitäts- und Äquivalenzgebot sowie aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Grundrechten entwickelten Vorgaben für die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen eine unmittelbare Wirkung in Privatrechtsverhältnissen entfalten. Speziell für Richtlinien sind ferner die Anforderungen zu untersuchen, die nach der neueren EuGH-Rechtsprechung an die richtlinienkonforme Rechtsfindung zu stellen sind (A.). Die Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht hängt des Weiteren vom Vorabentscheidungsverfahren ab. Gerade für das Privatrecht stellt sich das immer noch ungelöste Problem, in welcher Weise der Einzelne gegen unionsrechtswidrig erlassenes nationales Recht vorgehen und eine Klärung im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH erwirken kann (B.).

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung I. Grundlegung 1. Begriff und Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung Unionsnormen können von den nationalen Gerichten nur dann unmittelbar angewendet werden, wenn die betreffende Bestimmung in objektiv-rechtlicher Hinsicht gewisse Mindestvoraussetzungen erfüllt. Die Norm muss erstens im nationalen Recht als solche verbindlich sein und zu ihrer Wirksamkeit keiner weiteren Handlung der Mitgliedstaaten oder der Union bedürfen, also „unmittelbar gelten“. Die in Frage stehende Bestimmung muss zweitens einen entsprechend klaren Norminhalt aufweisen, um eine Konkretisierung durch den Rechtsanwender zu ermöglichen. Die Norm muss insbesondere inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sein.1 Ist eine

1   Zu diesen Anforderungen allgemein Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 202 ff.; mit Blick auf Richtlinien Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 45 ff.

380 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Umsetzungsfrist vorgesehen, kann die Norm drittens erst nach Ablauf dieser Frist Wirkung entfalten.2 Diese Voraussetzungen können unter dem Begriff der „unmittelbaren Wirkung“ (direct effect) zusammengefasst werden.3 Zwar wird dieser Begriff im geschriebenen Unionsrecht nicht verwendet.4 Dennoch hat er sich in der Rechtsprechung des EuGH5 für sämtliche Akte des Primärund Sekundärrechts durchgesetzt, die unmittelbar zwischen einzelnen Unionsbürgern und den Mitgliedstaaten (vertikale Wirkung) sowie unter Umständen zwischen Unionsbürgern (horizontale Wirkung) wirksam sind. Im Schrifttum werden teils andere Begriffe verwendet, um das beschriebene Phänomen unter einem Oberbegriff zusammenzufassen, so insbesondere „unmittelbare Anwendbarkeit“6, „unmittelbare Anwendung“,7 oder „Direktwirkung“.8 Der Sache nach ergeben sich hieraus keine Unterschiede; die betreffenden Termini können synonym verwendet werden. 2. Materiell-rechtliche Folgen der unmittelbaren Wirkung Hinsichtlich der materiell-rechtlichen Folgen der unmittelbaren Wirkung kann im Anschluss an Herrmann9 zwischen der negativen und der positiven unmittelbaren Wirkung unterschieden werden. a) Negative unmittelbare Wirkung Von einer negativen unmittelbaren Wirkung wird gesprochen, wenn sich die Wirkung einer Unionsnorm darin erschöpft, die Anwendung einer nationalen Vorschrift auszuschließen. Die Vorschrift des Unionsrechts führt mit anderen Worten zur Unanwendbarkeit nationalen Rechts (Ausschlusswirkung). 2   Unionsbürger können sich daher gegenüber einem Mitgliedstaat auf den Inhalt einer nicht fristgemäß oder unzureichend umgesetzten Richtlinie erst dann berufen, wenn die Umsetzungsfrist abgelaufen ist; EuGH, Rs. C‑157/02 (Rieser Internationale Transporte) Rn. 69. Die Mitgliedstaaten müssen allerdings bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist alle Maßnahmen unterlassen, die geeignet sind, das in der Richtlinie vorgeschriebene Ziel „ernstlich in Frage“ zu stellen; EuGH, Rs. C‑129/96 (InterEnvironnement Wallonie) Rn. 45 ff. Ein Verstoß gegen dieses sog. Frustrationsverbot kann seinerseits unmittelbare vertikale Wirkung entfalten; zutreffend Röthel, ZEuP 2009, 34, 45 f.; a. A. Streinz/ Schroe­der, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV Rn. 84. 3   Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 32 ff.; Jarass, NJW 1990, 2420; Klein, Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung von Europäischem Gemeinschaftsrecht, 1988, S. 8 ff.; Calliess/ Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 1 AEUV Rn. 26; für das englischsprachige Schrifttum Prechal, CMLR 2000, 1047 ff.; Craig/de Búrca, EU Law, 6. Aufl., 2015, S. 184 ff. 4   Für Verordnungen verwendet Art. 288 Abs. 2 AEUV in anderen Sprachfassungen die Begriffe „directly applicable“ im Englischen, „directement applicable“ im Französischen und „directamente aplicable“ im Spanischen. Damit ist aber die von der unmittelbaren Wirkung zu unterscheidende „Geltung“ gemeint. Zwar „gelten“ Verordnungen nach Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar, da sie Bestandteil der nationalen Rechtsordnung werden, ohne dass es auf einen mitgliedstaatlichen Übernahmeakt ankommt. Verordnungen „wirken“ jedoch nur dann unmittelbar, wenn sie klare und unbedingte Verpflichtungen begründen; vgl. EuGH, Rs. C‑403/98 (Azienda Agricola Monte Arcosu) Rn.  26 – 28; Winter, CMLR 1972, 425, 435. 5  Vgl. die Nachweise bei Jarass, NJW 1990, 2420; Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S.  36 – 39. 6   Ehlers, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 11 Rn. 9; Streinz/ Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV Rn. 48; Gebauer/Wiedmann/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 2 Rn. 11 ff. 7   Jarass/Beljin, JZ 2003, 768, 769. 8   Eilmansberger, JBl. 2004, 283; Müller-Graff, EuR 2014, 3. 9   Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 58 ff.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

381

Dies ist eine Folge der unmittelbaren Wirkung in Verbindung mit dem Anwendungsvorrang: Soweit Bestimmungen des Unionsrechts unmittelbar wirken, sind sie in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen neben dem nationalen Recht zu beachten. Kollidieren unmittelbar wirkende Normen des Unionsrechts mit dem (nicht unionsrechtskonform auslegbaren) mitgliedstaatlichen Recht, greift der Anwendungsvorrang. Das unionsrechtswidrige innerstaatliche Recht bleibt aus der Perspektive des Unionsrechts gültig, darf aber nicht angewendet werden, soweit es in Konflikt mit dem Unionsrecht steht. Die Anwendung nationalen Rechts auf rein innerstaatliche Sachverhalte und Drittlandsachverhalte, die keinen Bezug zum Unionsrecht aufweisen, bleibt daher in den Grenzen des nationalen Rechts möglich. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht ist nach Ansicht des EuGH allumfassend. Er gilt für das gesamte primäre und sekundäre Unionsrecht, also insbesondere für die Vertragsbestimmungen, die ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze einschließlich der Unionsgrundrechte, sowie für Verordnungen und Richtlinien.10 Er wirkt gegenüber allen Normen des nationalen Rechts. Auf die Frage, wann das nationale Recht erlassen wurde, kommt es nicht an. Der Vorrang des Unionsrechts trifft nicht nur nationale Normen, die bereits bei Inkrafttreten unionsrechtlicher Regelungen galten, sondern auch (und erst recht) gegenüber später erlassenen Regelungen der Mitgliedstaaten.11 In seiner Entscheidung Internationale Handelsgemeinschaft12 hebt der EuGH hervor, dass sich das Unionsrecht selbst gegenüber den Grundrechten und den Strukturen der nationalen Verfassung behauptet.13 Die negative unmittelbare Wirkung ist vor allem von Bedeutung, wenn es nur um die Abwehr unionsrechtswidrigen nationalen Rechts geht. Relevant wird diese Kon­ stellation, wenn die Unionsnorm eine bestimmte Ausgestaltung des nationalen Rechts verbietet, ohne positiv zu regeln, wie das nationale Recht ausgestaltet werden soll. In diesem Fall wird den Vorgaben des Unionsrechts bereits durch eine bloße Nichtanwendung nationalen Rechts ausreichend Rechnung getragen. b) Positive unmittelbare Wirkung Gebietet das Unionsrecht eine positive Rechtsgestaltung, hilft die bloße Nichtanwendung nationalen Rechts nicht weiter. Vielmehr muss die Lücke nach Möglichkeit im Wege der positiven unmittelbaren Wirkung geschlossen werden, indem die entsprechende Unionsnorm direkt angewendet wird.14 Dann tritt das Unionsrecht unmittelbar an die Stelle des nationalen Rechts (Ersetzungswirkung).15

10

  Kruis, Anwendungsvorrang, 2013; Streinz, Europarecht, 10. Aufl., 2016, Rn. 204 ff.   EuGH, Rs. C‑10/97 (IN.CO.GE) Rn. 21. 12   EuGH, Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft) Rn. 3. Vgl. ferner Rs. C‑213/89 (Factortame I) Rn. 20. 13   Diese Sichtweise wird nicht von allen mitgliedstaatlichen Verfassungsgerichten geteilt; vgl. die rechtsvergleichende Übersicht bei Mayer, Kompetenzüberschreitung und Letztentscheidung, 2000, S. 140 ff.; Streinz, in: FS Steinberger, 2002, S. 1437, 1456 ff. Zur Rechtslage in Deutschland BVerfGE 73, 339 = NJW 1987, 577 (Solange‑II); BVerfGE 75, 223 = NJW 1988, 1459 (Kloppenburg); BVerfGE 89, 155 = NJW 1993, 3047 (Maastricht); BVerfGE 123, 267 = NJW 2009, 2267 (Lissabon); BVerfGE 126, 286 = NJW 2010, 3422 (Mangold); hierzu Polzin, JuS 2012, 1. Für Frankreich Mayer/Lenski/ Wendel, EuR 2008, 63; für Spanien Becker, EuR 2005, 353. 14   Prechal, CMLR 2000, 1047, 1059. 15   Ehlers, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 11 Rn. 58. 11

382 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Voraussetzung für diese Rechtsfolge ist, dass die betreffende Norm eine subsumtionsfähige Aussage trifft. Die positive unmittelbare Wirkung verlangt im Unterschied zur negativen unmittelbaren Wirkung ein weitaus höheres Maß an Bestimmtheit.16 Für die negative unmittelbare Wirkung ist es ausreichend, wenn aus der Norm klar hervorgeht, welche Rechtsfolgen an welche Tatbestandsvoraussetzungen jedenfalls nicht geknüpft werden können. Vorschriften des Unionsrechts entfalten daher bereits dann eine negative unmittelbare Wirkung, wenn sie ein klar konturiertes Verbot aussprechen. Für die positive unmittelbare Wirkung ist demgegenüber erforderlich, dass aus der betreffenden Vorschrift klar hervorgeht, welche Rechtsfolgen an welche Tatbestandsmerkmale geknüpft sind. Die unmittelbare Wirkung von EU‑Normen kann zur Folge haben, dass sich der Einzelne nicht nur in einem laufenden Prozess defensiv auf das Unionsrecht berufen kann (Evokationsrecht), sondern die betreffenden Vorschriften zugleich offensiv durchsetzen kann, indem er Abwehr- und Unterlassungsansprüche, Leistungsund Beteiligungsansprüche oder Gleichbehandlungsrechte geltend macht. Derartige Rechte bzw. Rechtsbehelfe folgen indessen nicht aus der positiven unmittelbaren Wirkung. Zwar ist die unmittelbare Wirkung grundsätzlich notwendige Bedingung dafür, dass der Einzelne seine durch das Unionsrecht verliehenen Rechte vor den nationalen Gerichten auch dann geltend machen kann, wenn das nationale Recht keine entsprechenden Rechtspositionen vorsieht. Aus der unmittelbaren Wirkung von Unionsnormen folgt jedoch kein allgemeiner Normenvollzugsanspruch.17 Unmittelbar wirkende Unionsbestimmungen können vom Einzelnen nur dann offensiv eingeklagt werden, wenn die betreffende Bestimmung nicht nur unmittelbar wirkt, sondern darüber hinaus ein subjektives Recht verleiht. 3. Prozessuale Folgen der unmittelbaren Wirkung a) Autonome Klagerechte qua unmittelbarer Wirkung? Unter welchen Voraussetzungen unmittelbar wirksames Unionsrecht ein individuelles Klagerecht vor den nationalen Gerichten verleiht, wenn das Unionsrecht darauf abzielt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, ist umstritten.18 Bejaht man eine solche Wirkung, würde die betreffende Unionsnorm nicht nur die Mitgliedstaaten verpflichten, dem Einzelnen in ihren nationalen Verfahrensordnungen einen Rechtsweg zur Verfügung zu stellen, sondern selbst den Rechtsweg zu den nationalen Gerichten eröffnen. Aus dem Unionsrecht ergäbe sich dann nicht nur ein materielles subjektives Recht, sondern zugleich eine eigenständige prozessuale Rechtsposition. Der Gerichtshof hat es in der Vergangenheit abgelehnt, autonome Klagerechte aus dem allgemeinen Gebot effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes herzuleiten.19 16

  Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 52, 60; Prechal, CMLR 2000, 1047, 1064.   Hierzu bereits supra, § 3 C.III.2.c.   Zur Diskussion Dörr, Rechtsschutzauftrag, 2003, S. 198; Dougan, National Remedies, 2004, S. 9 ff. 19   Vgl. EuGH, Rs. C‑54/96 (Dorsch Consult) Rn. 40 ff. (zur Vergabe-RL 92/50, die in Art. 41 das primärrechtlich vorgegebene Rechtsschutzgebot in allgemeiner Weise wiedergibt). Im Urteil Oleificio Borelli stellte der Gerichtshof demgegenüber fest, dass die nationalen Gerichte die Zulässigkeit einer Klage bejahen müssen, selbst wenn die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften dies nicht vorsehen; EuGH, Rs. C‑97/91 (Oleificio Borelli) Rn. 13. Dieser Fall betraf indessen eine Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV). Der Gerichtshof musste dementsprechend nicht entscheiden, ob der Rechtsweg vor den nationalen Gerichten eröffnet war. Zum Ganzen Dougan, National Remedies, 2004, S. 10 – 12 und 55. 17 18

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

383

Bestehen im nationalen Recht unüberwindbare Schranken, die dem Einzelnen keinen Zugang vor den nationalen Gerichten gewähren und führt selbst die Nichtanwendung nationalen (Verfahrens)rechts nicht zur Rechtswegeröffnung,20 so ergibt sich aus den allgemeinen primärrechtlichen Vorgaben mangels hinreichender Bestimmtheit keine eigenständige prozessuale Rechtsposition, die dem Einzelnen ein unmittelbar wirkendes individuelles Klagerecht vor den nationalen Gerichten gewährt. Vielmehr ist es in diesem Fall „Sache der Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zuständig ist, in denen es um individuelle, auf dem Gemeinschaftsrecht beruhende Rechte geht, wobei die Mitgliedstaaten jedoch für den wirksamen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall verantwortlich sind. Unter diesem Vorbehalt ist es nicht Aufgabe des Gerichtshofes, bei der Lösung von Zuständigkeitsfragen mitzuwirken (. . .)“.21 Anders liegen die Dinge, wenn die primärrechtliche Rechtsschutzgarantie durch spezielles Sekundärrecht konkretisiert wird, und diese Vorschriften inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind. Dann kommen autonome Klagerechte qua unmittelbarer Wirkung sehr wohl in Betracht. So kann ein Umweltverband aus Art. 10a Abs. 3 S. 3 UVP-RL 85/337 i. d. F. der RL 2003/35 das Recht herleiten, vor einem nationalen Gericht die Verletzung von aus Art. 6 der Habitat-RL 92/43 hervorgegangenen nationalen Rechtsvorschriften geltend machen, selbst wenn das nationale Verfahrensrecht dies nicht zulässt. Wie der Gerichtshof im Fall Trianel Kohlekraftwerk22 klargestellt hat, sind die Bestimmungen der UVP-RL nämlich inhaltlich unbedingt und hinreichend genau, um den berechtigten Umweltverbänden ein unmittelbar wirkendes Klagerecht zu verleihen. Eine Nichtregierungsorganisation kann daher aus Art. 10a UVP-RL 85/337 das Recht herleiten, „vor Gericht die Verletzung von aus Art. 6 der Habitatrichtlinie hervorgegangenen nationalen Rechtsvorschriften geltend zu machen, obwohl das nationale Verfahrensrecht dies nicht zulässt“. b) Anwendung unmittelbar wirkender Normen von Amts wegen? Im Schrifttum wird überwiegend vertreten, dass die unmittelbare Wirkung einer unionsrechtlichen Bestimmung automatisch zur Folge habe, dass sie für den Adressaten rechtsverbindlich sei, ohne dass es einer besonderen Geltendmachung seitens des Begünstigten bedürfte. Nationale Vollzugsorgane und Gerichte seien verpflichtet, unmittelbar wirkendes Unionsrecht von Amts wegen anzuwenden.23 Diese Ansicht findet in der EuGH-Rechtsprechung keine Stütze. Der Effektivitätsgrundsatz verpflichtet selbst ein erstinstanzlich entscheidendes Verwaltungsgericht nicht zur ex officio-Prüfung, wenn dadurch die Grenzen des Rechtsstreits überschritten werden, und der Kläger nicht die Möglichkeit wahrgenommen hat, aus der Richtlinie hergeleitete Klagegründe geltend zu machen.24 Nur wenn das „öffentliche 20   Zu dieser Konstellation etwa EuGH, Rs. C‑213/89 (Factortame I) Rn. 21; Rs. C‑462/99 (Connect Austria) Rn. 40 ff. 21   EuGH, Rs. C‑54/96 (Dorsch Consult) Rn. 40. 22   EuGH, Rs. C‑115/09 (Trianel Kohlekraftwerk Lünen) Rn. 51 – 59. Vgl. auch die Anschlussentscheidung BVerwG, NVwZ 2012, 176 = ZUR 2012, 187. 23   So für Richtlinien Hilf, EuR 1993, 1, 9; Lutter, JZ 1992, 593, 597 (in Fn. 47); G/H/N/Nettesheim, 58. EL., 2016, Art. 288 AEUV Rn. 148, 165; Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 288 AEUV Rn. 69. 24   EuGH, verb. Rs. C‑222 – 225/05 (van der Weerd u. a.) Rn. 41.

384 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Interesse“ bzw. der „ordre public“ ein Eingreifen des nationalen Gerichts von Amts wegen fordert, gilt etwas anderes.25 Aus dem Äquivalenzgebot folgt für das nationale Gericht demgegenüber nur die Verpflichtung, eine unmittelbar wirksame Vorschrift des Unionsrechts von Amts wegen anzuwenden, wenn es nach dem nationalen Recht verpflichtet oder zumindest befugt ist, eine vergleichbare Rechtsvorschrift anzuwenden.26 Ob das nationale Gericht unmittelbar wirksame Bestimmungen des Unionsrechts von Amts wegen anwenden muss, hängt damit vom anwendbaren Verfahrensrecht ab.27

II. Primärrecht 1. Vertikale unmittelbare Wirkung a) Geschriebenes und ungeschriebenes Primärrecht Im geschriebenen Primärrecht entfalten sämtliche Normen unmittelbare vertikale Wirkung, die klar und eindeutig sind, keinen Vorbehalt zugunsten der Staaten enthalten, vollständig und rechtlich vollkommen sind sowie zu ihrer Geltung keines weiteren Aktes der Mitgliedstaaten oder der Union bedürfen.28 Diese Voraussetzungen erfüllen insbesondere das allgemeine Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV),29 die Grundfreiheiten,30 bestimmte Vorschriften des Kartell- und Beihilferechts31 sowie das Recht auf gleiches Entgelt für Männer und Frauen (Art. 157 AEUV).32 Das europäische Primärrecht umfasst neben dem geschriebenen Recht auch das ungeschriebene Recht mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und den Unionsgrundrechten der Unionsbürger als spezifische Ausprägung (Art. 6 Abs. 3 EUV). Weitgehend unbestritten ist, dass die Mitgliedstaaten an die allgemeinen Rechtsgrundsätze unmittelbar gebunden sind,33 soweit der Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnet ist.34 Seit dem Vertrag von Lissabon ist zudem die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) für nahezu sämtliche Mitgliedstaaten35 als Teil des Primärrechts verbindlich (Art. 6 Abs. 2 EUV). Nationales Recht ist im Lichte der Unionsgrundrechte auszulegen und zu überprüfen, wenn die Mitgliedstaaten das Unionsrecht „durchführen“ (Art. 51 Abs. 1 GRC).36

25

 Hierzu supra, § 2 E.IV.   EuGH, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel) Rn. 13 f. 27  Vertiefend Ebers, ERPL 2010, 823 ff. 28   EuGH, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos); Rs. 57/65 (Lütticke). Zum Ganzen Jarass/Beljin, JZ 2003, 768, 770. 29   EuGH, Rs. 293/83 (Gravier) Rn. 14 f.; Rs. 185/87 (Cowan) Rn. 11; Rs. C‑85/96 (Martínez Sala) Rn. 63. 30   Infra, § 6 A. 31   Zum Kartellrecht infra, § 7 A.III.1. und § 7 C.I.4.; zum Beihilferecht infra, § 8 B.II. 32  Hierzu infra, § 9 B.I.2. 33  GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑427/06 (Bartsch) Rn. 79 mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung in Fn.  73 – 77. 34   Zum Anwendungsbereich des Unionsrechts supra, § 4 A.I.2. 35  Für Polen und das Vereinigte Königreich vgl. das Protokoll Nr. 30 zum Vertrag von Lissabon; hierzu Dougan, CMLR 2008, 618, 665 – 671. 36   Zum Begriff der „Durchführung“ supra, § 4 A.I.2. 26

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Wie andere Vorgaben des Primärrechts auch, sind allgemeine Rechtsgrundsätze und Unionsgrundrechte nur dann unmittelbar anwendbar, wenn sich aus ihnen inhaltlich bestimmte und hinreichend genaue Vorgaben ableiten lassen.37 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung die allgemeinen Rechtsgrundsätze und Unionsgrundrechte in unterschiedlicher Weise konkretisiert. Sie umfassen Regelungen, die hinsichtlich ihres Inhalts und des Grades ihrer Vollständigkeit erheblich voneinander abweichen, wobei „die Skala von Auslegungsvorgaben bis hin zu voll ausgefüllten Normen wie Grundrechten oder den hochentwickelten gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung und des ordnungsgemäßen Verfahrens reicht“.38 Dementsprechend verändert sich – je nach Konkretisierungsgrad – die Funktion der allgemeinen Grundsätze: Soweit allgemeine Rechtsgrundsätze nur einen allgemeinen Rahmen vorgeben, reglementieren sie oft nur die Auslegung des nationalen Rechts, indem sie den nationalen Richter dazu verpflichten, die betreffenden Normen mit unionsrechtlichen Zielvorgaben im Wege der Abwägung in Konkordanz zu bringen. Lassen sich aus den ungeschriebenen Vorgaben bestimmte Mindestvorgaben herleiten und ist eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts nicht möglich, so darf das nationale Recht von den einzelstaatlichen Gerichten nicht angewendet werden (negative unmittelbare Wirkung). Der Einzelne kann sich in diesen Fällen gegenüber dem Mitgliedstaat auf die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und die Unionsgrundrechte unmittelbar berufen. Teilweise leitet der Gerichtshof aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen aber auch konkrete Vorgaben ab, so dass die betreffenden Vorgaben an die Stelle des nationalen Rechts treten (positive unmittelbare Wirkung). b) Äquivalenz- und Effektivitätsgebot, Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Primärrechts zählen insbesondere die Gebote der Äquivalenz und Effektivität, die durch das Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Schutz (Art. 47 GRC) flankiert werden. Die Voraussetzungen der inhaltlichen Unbedingtheit und hinreichenden Bestimmtheit dürften bei Anwendung des Äquivalenzgrundsatzes regelmäßig erfüllt sein.39 Ist ein nach Unionsrecht zu beurteilender Sachverhalt mit einem rein nationalen Sachverhalt vergleichbar, so ergibt sich aus dem Grundsatz der Gleichwertigkeit die unbedingte, klare und eindeutige Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dieselben sachlichen und verfahrensrechtlichen Regelungen anzuwenden wie im Falle vergleichbarer nationaler Sachverhalte.40 Im Unterschied hierzu geben die Grundsätze der Effektivität und das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nur einen allgemeinen Rahmen vor, aus dem sich zumeist 37   Vgl. nur EuGH, Rs. 222/84 (Johnston) Rn. 18 und 58; GA Mazák, SchlA, Rs. C‑411/05 (Palacios de la Villa) Rn. 134 f. GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑427/06 (Bartsch) Rn. 78 (Fn. 72), meint demgegenüber, dass der Begriff der unmittelbaren Wirkung im Kontext allgemeiner Rechtsgrundsätze nicht verwendet werden könne, da Rechtsgrundsätze keinen Ersatz für eine bestehende Gesetzesvorschrift darstellen, sondern sich nur auf deren Auslegung auswirken. 38   GA Mazák, SchlA, Rs. C‑411/05 (Palacios de la Villa) Rn. 134. 39   So auch Weyer, ZEuP 1999, 424, 464. 40   Die Prüfung, ob ein Sachverhalt vergleichbar ist, ist eine Auslegungsfrage, die in aller Regel von den nationalen Gerichten beantwortet werden muss; supra, § 4 D.V.3. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe steht der hinreichenden Bestimmtheit eines Rechtssatzes jedoch nicht entgegen, solange er nur auslegungsfähig ist; Jarass/Beljin, JZ 2003, 768, 770.

386 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht keine positiven Vorgaben ableiten lassen.41 Die Mitgliedstaaten haben in aller Regel die Wahl, zwischen verschiedenen Sanktionsformen und Rechtsfolgen zu wählen; auch hinsichtlich der Ausgestaltung des Verfahrensrechts verbleibt ihnen ein Ermessensspielraum. Damit wird der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Rechnung getragen. Aus dem Effektivitätsgrundsatz und dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz lassen sich daher häufig keine unbedingten und bestimmbaren Pflichten herleiten, die zu einer positiven unmittelbaren Wirkung führen. Die aus dem Effektivitätsgebot und dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz abgeleiteten Vorgaben entfalten nach dem zuvor Gesagten zumeist nur eine negative unmittelbare Wirkung: Der Gerichtshof überprüft in seiner Rechtsprechung regelmäßig, ob das nationale Recht die Ausübung der durch die Union verliehenen Rechte praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert bzw. ob nationale Vorschriften das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz beeinträchtigen.42 Rechtsvorschriften, die im Widerspruch zu diesen Vorgaben stehen, müssen, sofern sie nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden können, unangewendet bleiben.43 2. Horizontale unmittelbare Wirkung a) Geschriebenes und ungeschriebenes Primärrecht Der EuGH hat für eine Reihe primärrechtlicher Vorschriften eine unmittelbare Wirkung unter Privaten bejaht. Horizontale unmittelbare Wirkung entfalten insbesondere die Diskriminierungsverbote,44 die Grundfreiheiten45 sowie bestimmte Vorschriften des Kartell- und Beihilferechts.46 Inwieweit die allgemeinen Rechtsgrundsätze und Unionsgrundrechte auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten wirken, ist noch ungeklärt. Im Schrifttum überwog bislang die Auffassung, dass allgemeine Rechtsgrundsätze und Unionsgrundrechte keine unmittelbare Wirkung zwischen Privaten entfalten, sondern nur die Mitgliedstaaten binden, die ihrerseits gehalten sind, die Privaten zum Schutz vor Beeinträchtigungen in die Pflicht zu nehmen (mittelbare Drittwirkung).47 Zur Begründung wird häufig darauf verwiesen, dass die in der Charta niedergelegten Unionsgrundrechte nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC nur die Union und die Mitgliedstaaten binden. Auch die sonstigen Vorschriften, die zur Herleitung ungeschriebener Rechtsgrundsätze vom Gerichtshof herangezogen werden können (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV), bezeichnen als Adressaten nur die Mitgliedstaaten, nicht aber Private. Dieser Umstand ist indessen kein ausschlaggebendes Argument, denn die Tatsache, dass bestimmte Vertragsvorschriften ausdrücklich die Mitglied-

41   Ausnahmen bestehen dann, wenn der Mitgliedstaat nur durch eine einzige Maßnahme seiner Verpflichtung aus dem Unionsrecht entsprechen kann (Ermessensreduzierung auf Null); hierzu supra, § 4 C.IV. 42  Ausführlich supra, § 4 C.III.2.b. 43   Vgl. EuGH, Rs. 222/84 (Johnston) Rn. 20, 58; C‑213/89 (Factortame I) Rn. 21; verb. Rs. 46 & 48/93 (Brasserie du pêcheur und Factortame) Rn. 72; Rs. C‑276/01 (Steffensen) Rn. 79. 44  Hierzu infra, § 9 B. 45  Hierzu infra, § 6 A. 46   Zum Kartellrecht infra, § 7 A.III.1. und § 7 C.I.4.; zum Beihilferecht infra, § 8 B.II. 47   Jarass, GRC, 2. Aufl., 2013, Art. 51 Rn. 27 f.; Perner, Grundfreiheiten, 2013, S. 157 ff., 189; Kühling, in: v. Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, S. 657, 675 ff.

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staaten ansprechen, schließt nach Defrenne II und Angonese gerade nicht aus, dass auch Private unmittelbar durch das Unionsrecht berechtigt oder verpflichtet werden können.48 Der Gerichtshof hat sich zur Frage der unmittelbaren Drittwirkung allgemeiner Rechtsgrundsätze und Unionsgrundrechte bislang nur in einigen wenigen Entscheidungen geäußert. Im Fall Bostock49 entschied der EuGH, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung in einer Situation, die sich infolge der gemeinschaftlichen Milchquotenregelung ergeben hatte, die Beziehungen der Parteien eines Pachtvertrags nicht aufgrund seiner unmittelbaren Wirkung nachträglich verändern konnte. Im Urteil Otto50 stellte der Gerichtshof fest, dass der Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte die nationalen Zivilgerichte nicht dazu verpflichtet, einer Partei das Recht zur Verweigerung von Aussagen anzuerkennen, mit denen Zuwiderhandlungen gegen Wettbewerbsvorschriften eingestanden würden. Beide Judikate sind allerdings wenig aussagekräftig.51 Die Entscheidung Bostock beruhte auf der Überlegung, dass die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einem innerstaatlichen Gesetz Rückwirkung verliehen und damit den Grundsatz der Rechtssicherheit verletzt hätte.52 Im Fall Otto begründete der EuGH sein Urteil damit, dass das Aussageverweigerungsrecht hauptsächlich dazu diene, den Einzelnen vor straf- oder verwaltungsrechtlichen Sanktionen zu schützen.53 Da das zugrunde liegende Zivilverfahren weder unmittelbar noch mittelbar zur Verhängung von Sanktionen durch eine staatliche Behörde führen konnte, lehnte es der Gerichtshof ab, aus dem Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte ein unmittelbar wirkendes Aussageverweigerungsrecht abzuleiten. Die Entscheidungen Mangold54 und Kücükdeveci55 haben die Diskussion um die Drittwirkung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Unionsgrundrechten neu entfacht.56 Der Gerichtshof leitete aus verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen, den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie aus der Grundrechts­ charta ein Verbot der Altersdiskriminierung her und brachte dieses im Rahmen eines Privatrechtsverhältnisses zur Anwendung. Nach Auffassung des EuGH obliegt es dem nationalen Gericht, im Rahmen seiner rechtlichen Zuständigkeiten die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, indem es auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten erforderlichenfalls jede diesem Verbot entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt.57 Der Gerichtshof hat damit zum ersten Mal ausdrücklich ausgesprochen, dass Unionsgrundrechte eine negative unmittelbare Wirkung in Privatrechtsstreitigkeiten haben können.

48

  EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 31; Rs. C‑281/98 (Angonese) Rn.  34 – 36.   EuGH, Rs. C‑2/92 (Bostock) Rn. 24. 50   EuGH, Rs. C‑60/92 (Otto) Rn. 16. 51   Im Ergebnis auch GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑427/06 (Bartsch) Rn. 82; Lenaerts/GutiérrezFons, CMLR 2010, 1629, 1639 (Fn. 46). Zur Bostock-Entscheidung vgl. auch Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 47 f. 52   Vgl. GA Gulmann, SchlA, Rs. C‑2/92 (Bostock) Rn. 37. 53   EuGH, Rs. C‑60/92 (Otto) Rn.  15 – 16. 54   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold). 55   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci). 56   Zu beiden Entscheidungen ausführlich infra, § 5 A.IV.4.b. 57   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold) Rn. 77; Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn. 51. 49

388 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Weiterhin ungeklärt ist demgegenüber, ob Private durch die Unionsgrundrechte direkt verpflichtet werden. GA Tizzano hatte sich in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Mangold für eine solche Drittwirkung ausgesprochen.58 Der Gerichtshof prüfte demgegenüber sowohl in Mangold als auch in Kücükdeveci nicht die Frage, ob das Verhalten Privater gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstößt, sondern ob nationales Recht mit diesem Verbot vereinbar war. Der EuGH konnte damit offen lassen, ob die Unionsgrundrechte nicht nur als an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbote, sondern zugleich als Verbote für Privatpersonen zu verstehen sind.59 Sollte der Gerichtshof in künftigen Entscheidungen eine horizontale unmittelbare Wirkung bejahen,60 ist zu erwarten, dass die Rechtsfolgen eines Verstoßes – entsprechend der Grundfreiheitenrechtsprechung61 – auch bei Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung nicht im Unionsrecht, sondern (zumindest primär) im nationalen Privatrecht angesiedelt sind. Auf diese Weise würde sich die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Drittwirkung deutlich relativieren. Darüber hinaus ist zu beachten, dass in einem Rechtsstreit zwischen Privaten regelmäßig konfligierende Grundrechte gleichen Ranges zum Ausgleich gebracht werden müssen. Ein unmittelbar wirkendes Diskriminierungsverbot (Art. 21 GRC) wäre dementsprechend mit dem Prinzip der Privatautonomie abzuwägen, das in Form der Berufsfreiheit und der unternehmerischen Freiheit in Art. 15 und Art. 16 der Charta abgesichert ist. b) Äquivalenz- und Effektivitätsgebot, Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz Besondere Fragen stellen sich mit Blick auf das Äquivalenz- und Effektivitätsgebot sowie das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Da die betreffenden Vorgaben aus dem Primärrecht folgen, liegt es nahe, die Mangold-Doktrin, derzufolge primärrechtswidrige nationale Normen in einem Privatrechtsstreit nicht angewendet werden dürfen, auf diese Gebote zu übertragen. Die Gebote der Äquivalenz und Effektivität sowie das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz kommen indessen nur in Verbindung mit anderen Unionsvorschriften zur Anwendung. Wirken die betreffenden Unionsnormen, deren gleichwertige bzw. effektive Durchsetzung angestrebt wird, nicht unmittelbar in einem Privatrechtsverhältnis, insbesondere weil sie in einer Richtlinie verankert sind, so stellt sich das Problem, ob die vom Gerichtshof entwickelten Vorgaben dennoch unmittelbar wirken können. Auf diese Fragen ist an späterer Stelle zurückzukommen.62

58

  GA Tizzano, SchlA, Rs. C‑144/04 (Mangold) Rn. 84.   Wie hier GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑101/08 (Audiolux) Rn. 122; Preis/Temming, NZA 2010, 185, 191 f. Nach a. A. soll aus der Mangold-Entscheidung folgen, dass der Gerichtshof eine unmittelbare Drittwirkung des Verbots der Altersdiskriminierung anerkannt habe; Classen, EuR 2008, 644, 645. 60   GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑427/06 (Bartsch), will die Möglichkeit, dass ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts unter entsprechenden Umständen horizontal angewandt werden kann, nicht vorschnell ausschließen (Rn. 85) und akzeptiert im Ergebnis, dass die allgemeinen Grundsätze sowohl vertikal als auch horizontal angewandt werden, soweit dies innerhalb eines spezifischen gemeinschaftsrechtlichen Rahmens geschieht (Rn. 87). Ablehnend Basedow, ZEuP 2009, 230, 249. 61  Hierzu infra, § 6 E.V.1. 62   Infra, § 5 A.V. 59

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

389

III. Verordnungen 1. Allgemeine Rechtswirkungen Verordnungen entfalten von allen in Art. 288 AEUV genannten Sekundärrechtsakten die umfassendsten Rechtswirkungen. Sie sind nach Art. 288 Abs. 2 AEUV in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Eine Umsetzung in nationales Recht ist nicht erforderlich. Die Mitgliedstaaten müssen vielmehr durch „geeignete innerstaatliche Maßnahmen“ die „uneingeschränkte Anwendung“ der Verordnung gewährleisten.63 Hieraus folgt zweierlei. Die Mitgliedstaaten sind zum einen verpflichtet, entgegenstehendes nationales Recht durch verbindliche nationale Bestimmungen aufzuheben, die denselben rechtlichen Rang haben wie die zu ändernden Bestimmungen.64 Die Möglichkeit der Bürger, sich vor den innerstaatlichen Gerichten auf eine Verordnung zu berufen, befreit die Mitgliedstaaten nicht von dieser Verpflichtung,65 denn bei einer unveränderten Beibehaltung widersprechender Regeln könnten die Normadressaten die Möglichkeit verkennen, sich direkt auf das Unionsrecht zu berufen.66 Wird eine Verordnung erlassen, so greift zum anderen ein Normwiederholungsverbot.67 Die Mitgliedstaaten dürfen den Verordnungsinhalt grundsätzlich nicht durch nationale Gesetzgebungsakte wiederholen, da die Norm­ adressaten anderenfalls über den Unionsrechtscharakter der einschlägigen Regelung getäuscht werden und das Auslegungsmonopol des EuGH unterminiert werden könnte.68 Anders liegt der Fall bei sog. „unvollständigen“ Verordnungen, also wenn eine Verordnung durch nationales Recht ergänzt werden muss. Erlassen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen, so kann eine punktuelle Wiederholung von Verordnungsrecht zum Zwecke der besseren Verständlichkeit ausnahmsweise zulässig sein.69 2. Unmittelbare Wirkung Der Gerichtshof weist in seinen Urteilen häufig darauf hin, dass die Verordnung schon „nach ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem“ unmittelbare Wirkungen erzeugt und als solche geeignet ist, „für die Einzelnen Rechte zu begründen, zu deren Schutz die nationalen Gerichte verpflichtet sind.“70 Verordnungen bringen jedoch nicht notwendigerweise unmittelbare Wirkungen hervor, sondern erst dann, wenn sie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind.71 Für jede einzelne Bestimmung einer Verordnung muss daher geprüft werden, ob sie geeignet ist, unmittelbar Rechte oder Pflichten zu Gunsten bzw. zu Lasten des Einzelnen zu erzeugen. 63   EuGH, Rs. 72/85 (Kommission/Niederlande) LS 2; Rs. C‑132/05 (Kommission/Deutschland) Rn. 68. 64   EuGH, Rs. 168/85 (Kommission/Italien) Rn. 13; Rs. C‑160/99 (Kommission/Frankreich) Rn. 23. 65   EuGH, Rs. 72/85 (Kommission/Niederlande) Rn. 20; Rs. C‑132/05 (Kommission/Deutschland) Rn. 68. 66   EuGH, Rs. C‑160/99 (Kommission/Frankreich) Rn. 22. 67  Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV Rn. 58. 68   EuGH, Rs. 34/73 (Variola) Rn.  9 – 11. 69   EuGH, Rs. 272/83 (Kommission/Italien) Rn. 27. 70   EuGH, Rs. 43/71 (Politi) Rn. 9; Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 27. 71   EuGH, Rs. C‑403/98 (Azienda Agricola Monte Arcosu) Rn.  26 – 28; Winter, CMLR 1972, 425, 435.

390 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Problematisch ist die unmittelbare Wirkung vor allem bei unvollständigen Verordnungen. Verordnungen, die durch mitgliedstaatliche Durchführungsmaßnahmen ergänzt werden müssen, finden sich nicht nur im öffentlichen Recht, sondern auch im Privatrecht. Derartige Verordnungen enthalten keine abschließenden Vorgaben, wie ein Verstoß gegen die Verordnungsbestimmungen von den Mitgliedstaaten zu sanktionieren ist. Stattdessen werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, für Verstöße gegen die Verordnung wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festzulegen und die zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen zu treffen.72 Solche Bestimmungen sind inhaltlich nicht unbedingt und können schon deswegen nicht unmittelbar als Rechtsgrundlage herangezogen werden, um mitgliedstaatliche Maßnahmen gegenüber dem Einzelnen zu rechtfertigen.73 Mit Blick auf die von einer Verordnung eingeräumten Rechtsbehelfe geht der Gerichtshof dagegen mitunter recht großzügig vor. Vor allem die Entscheidungen Muñoz74 und Sturgeon75 zeigen, dass Einzelne aus einer Verordnung selbst dann unmittelbar wirkende Rechte herleiten können, wenn diese in der betreffenden Verordnung nicht ausdrücklich vorgesehen sind.

IV. Richtlinien 1. Vertikale Direktwirkung und Verbot der Privatbelastung Obwohl Richtlinien nach dem Wortlaut des Art. 288 Abs. 3 AEUV nur die Mitgliedstaaten binden und der Umsetzung bedürfen, entspricht es gefestigter Rechtsprechung des EuGH, dass sich der Einzelne im sogenannten Vertikalverhältnis gegenüber einem Mitgliedstaat auf den Inhalt einer nicht fristgemäß oder unzureichend umgesetzten Richtlinie berufen kann, wenn die Umsetzungsfrist abgelaufen ist und die Richtlinie hinreichend klar, bestimmt und unbedingt ist, also keines weiteren Ausführungsaktes mehr bedarf.76 Begründet wird dies mit dem effet utile, dem Rechtsschutzpostulat sowie – seit dem Urteil Ratti77 – mit dem estoppel-Grundsatz: Ein Mitgliedstaat, der seine Umsetzungspflicht verletzt, soll aus seinem unionsrechtswidrigen Verhalten keinen Vorteil gegenüber dem Bürger herleiten können.78 Demgegenüber kann, wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung hervorhebt, eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Bürger begründen, so dass 72   Aus dem EU‑Passagierrecht vgl. nur Art. 16 Abs. 3 Fluggastrechte-VO 261/2004; Art. 32 Eisenbahn-Fahrgastrechte-VO 1371/2007; Art. 31 Busverkehr-Fahrgastrechte-VO 181/2011. Siehe ferner Art. 13 Überweisungs-VO 924/2009; Art. 9 Roaming-VO 717/2007. Die Pflicht zur wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionierung besteht nach Auffassung des EuGH auch dann, wenn die Verordnung nur ganz allgemein die Mitgliedstaaten zum Erlass von Durchführungsmaßnahmen verpflichtet; EuGH, Rs. C‑326/88 (Hansen) Rn. 17 (zu Art. 18 Abs. 1 FahrtenschreiberVO 543/69). 73   Vgl. EuGH, Rs. C‑509/11 (ÖBB-Personenverkehr) Rn. 59 ff. (zu Art. 30 Abs. 1 EisenbahnFahrgastrechte-VO 1371/2007). 74   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 32. Dazu supra, § 2 E.II.2. 75   EuGH, verb. Rs. C‑402 & 432/07 (Sturgeon). Dazu supra, § 2 E.III.1. 76   Grundsatzentscheidung: EuGH, Rs. C‑41/74 (van Duyn). Zur Rechtsprechungsentwicklung im Einzelnen G/H/N/Nettesheim, 58. EL, 2016, Art. 288 AEUV Rn. 137 ff. 77   EuGH, Rs. 148/78 (Ratti) Rn. 22 f.; Rs. 8/81 (Becker) Rn. 24. 78   Kritisch zu diesem Begründungsansatz Klein, Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung von Europäischem Gemeinschaftsrecht, 1988, S. 24; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 248 f.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

391

ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist.79 Hieraus folgt zum einen, dass ein Mitgliedstaat nicht unmittelbar aus einer Richtlinienbestimmung gegen den Bürger vorgehen darf (sog. Ausschluss der umgekehrten vertikalen Direktwirkung). Eine Richtlinie kann daher beispielsweise nicht die Wirkung haben, die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen, die gegen die Vorschriften dieser Richtlinie verstoßen, festzulegen oder zu verschärfen.80 Zum anderen scheidet aber auch im Verhältnis zwischen Privaten eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien regelmäßig aus (sog. Ausschluss der horizontalen Direktwirkung). Dementsprechend kann sogar eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden.81 Der EuGH hält trotz vielfach geäußerter Kritik82 am Ausschluss der horizontalen Direktwirkung fest.83 Zur Begründung verweist der Gerichtshof darauf, dass Richtlinien nur gegenüber dem Mitgliedstaat verbindlich seien, dass die Europäische Union nur mittels Verordnungen dem Einzelnen Verpflichtungen auferlegen könne und dass Private nicht für das staatliche Versagen bei der Umsetzung im Sinne des estoppelPrinzips verantwortlich gemacht werden könnten.84 Der effet utile und das unionsrechtliche Rechtsschutzpostulat erfahren damit in Privatrechtsverhältnissen eine deutliche Einschränkung. Zwar hat der Gerichtshof im Laufe der Zeit eine Reihe von Korrekturmechanismen entwickelt, mit denen der Ausschluss der unmittelbaren horizontalen Richtlinienwirkung abgemildert wird. So hat der EuGH etwa die unmittelbare vertikale Wirkung von Richtlinien durch ein weit gefasstes Staatsverständnis auf private Unternehmen, die eine besondere Nähe zum Staat aufweisen, ausgedehnt.85 Der Gerichtshof verweist bei horizontalen 79   Vgl. EuGH, Rs. 152/84 (Marshall I) Rn. 48; Rs. C‑91/92 (Faccini Dori) Rn. 20; Rs. C‑192/94 (El Corte Inglés) Rn. 15; Rs. C‑443/98 (Unilever Italia) Rn. 50; verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer) Rn. 108. 80   Siehe EuGH, Rs. 14/86 (Pretore di Salò/X) Rn. 19; Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen) Rn. 13; Rs. C‑168/95 (Arcaro) Rn. 37; verb. Rs. C‑387, 391, 403/02 (Berlusconi) Rn. 74. Gleiches muss für den Bereich der Ordnungswidrigkeiten gelten; Jarass/Beljin, EuR 2004, 714, 730. 81   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑91/92 (Faccini Dori) Rn. 25: Käufer kann sich nicht unmittelbar auf das in der HWiRL 85/577 vorgesehene Widerrufsrecht berufen, um sich gegen eine Zahlungsklage des Verkäufers zu wehren. EuGH, Rs. C‑192/94 (El Corte Inglés) Rn. 15 – 21: Keine unmittelbare Anwendung des Einwendungsdurchgriffs nach Art. 11 Abs. 2 VerbrKrRL 87/102 (jetzt Art. 14 Abs. 2 VerbrKrRL 2008/48). EuGH, Rs. C‑456/98 (Centrosteel) Rn. 15 f.: Formerfordernisse der Handelsvertreter-RL 86/653 können nicht unmittelbar im Horizontalverhältnis angewendet werden. EuGH, Rs. C‑355/96 (Silhouette International Schmied) Rn. 34 – 37: Inhaber einer Marke kann nicht allein aufgrund der Marken-RL 89/104 begehren, dass ein Dritter die widerrechtliche Benutzung seiner Marke unterlässt, obwohl die Richtlinie einen Unterlassungsanspruch des Markeninhabers und hiermit korrespondierend eine Unterlassungspflicht des Konkurrenten vorsieht. 82   GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 12; GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑316/93 (Vaneetveld) Rn. 23; GA Lenz, SchlA, Rs. C‑91/92 (Faccini Dori) Rn. 47 ff. Aus dem Schrifttum Bach, JZ 1990, 1108, 1115; Curtin, CMLR 1990, 709, 723; Grabitz, in: FS Deringer, 1993, S. 59, 69 ff.; Müller-Graff, NJW 1993, 13, 20 f.; Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, 1998, S. 54 ff.; Craig, ELRev. 2009, 349 ff. 83   Vgl. aus der neueren Rechtsprechung EuGH, verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer) Rn. 108 f.; Rs. 80/06 (Carp) Rn. 20; Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn. 46; Rs. C‑12/08 (Mono Car Styling) Rn. 59. 84   EuGH, Rs. 152/84 (Marshall I) Rn. 47 f.; Rs. C‑91/92 (Faccini Dori) Rn. 22 ff.; Rs. C‑443/98 (Unilever Italia) Rn. 50. 85   EuGH, Rs. C‑188/89 (Foster) Rn. 18; bestätigt durch EuGH, verb. Rs. C‑253 – 258/96 (Kampelmann) Rn. 46; Rs. C‑343/98 (Collino) Rn. 23; Rs. C‑157/02 (Rieser Internationale Transporte) Rn. 24. Vgl. auch EuG, verb. Rs. T‑172 & 175 – 177/98 (Salamander) Rn. 60.

392 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Rechtsverhältnissen darüber hinaus regelmäßig auf die Verpflichtung mitgliedstaatlicher Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung und den seit Francovich unionsrechtlich anerkannten Staatshaftungsanspruch.86 Diese Institute können jedoch die Beschränkungen des individuellen Rechtsschutzes, die sich aus dem Ausschluss der unmittelbaren Wirkung ergeben, nur unvollständig kompensieren. Der Einzelne kann sich gegenüber einem privaten Unternehmen nur dann auf die vertikale Direktwirkung berufen, wenn der Staat die Erfüllung öffentlicher Aufgaben auf dieses Unternehmen überträgt.87 Die richtlinienkonforme Auslegung wird demgegenüber durch die Grenzen der nationalen Methodenlehre beschränkt,88 was die Gefahr der uneinheitlichen Anwendung des Unionsrechts mit sich bringt. Staatshaftungsansprüche werden schließlich nur ausnahmsweise bestehen, denn Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist stets ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht, der nur dann vorliegt, wenn der Mitgliedstaat bei der Ausübung seiner Gesetzgebungsbefugnis deren Grenzen „offenkundig und erheblich“ überschritten hat.89 Dies ist indessen nur bei Nichtumsetzung oder verspäteter Umsetzung per se der Fall.90 Bei einer unzulänglichen Richtlinienumsetzung liegt ein qualifizierter Verstoß dagegen erst dann vor, wenn die mitgliedstaatliche Maßnahme in einem offenkundigen Widerspruch zum Wortlaut der Richtlinie und deren Ziel steht.91 2. Negative unmittelbare Wirkung von Richtlinien in Privatverhältnissen? Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung niemals den Grundsatz aufgestellt, dass eine Belastung von Bürgern aufgrund unmittelbar wirkender Richtlinien zwingend ausgeschlossen ist.92 Zahlreiche Entscheidungen zu multipolaren Rechtsverhältnissen unter Behördenbeteiligung (a.) sowie zur Informations-RL 83/189 (b.) legen vielmehr den Schluss nahe, dass Richtlinien zumindest dann zu Lasten Privater angewendet werden können, wenn dies zur bloßen Unanwendbarkeit einer nationalen Norm und damit zum Verlust einer richtlinienwidrig eingeräumten Rechtsposition führt. Vor diesem Hintergrund wird von einer Reihe von Generalanwälten und einem Teil des Schrifttums die Ansicht vertreten, dass Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen keine 86   Siehe nur EuGH, Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 6, 8; Rs. C‑91/92 (Faccini Dori) Rn.  26 – 27; Rs. C‑97/96 (Verband deutscher Daihatsu-Händler) Rn. 25. 87   Dies gilt nach EuGH, Rs. C‑188/89 (Foster), etwa für die Rechtsnachfolgerin eines staatlichen Energieversorgungs-Monopolunternehmens sowie nach EuGH, Rs. C‑157/02 (Rieser Internationale Transporte), für eine juristische Person des Privatrechts, die im Auftrag des Staates Mautgebühren für die Benutzung öffentlicher Straßen erhebt. Ob eine vertikale Direktwirkung auch dann in Betracht kommt, wenn der Staat die Mehrheit an einer börsennotierten Aktiengesellschaft hält, die keine öffentlichen Aufgaben erfüllt, ist umstritten; zum Meinungsstand in der englischen Rechtsprechung vgl. Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 45 f. 88   Hierzu sogleich, infra, § 5 A.IV.3. 89   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 55; Rs. C‑392/93 (British Telecommunications) Rn. 42; verb. Rs. C‑178 – 179/94, C‑188 – 190/94 (Dillenkofer u. a.) Rn. 25; verb. Rs. C‑283/94, C‑291 – 292/94 (Denkavit) Rn. 50; Rs. C‑118/00 (Larsy) Rn. 38. 90   EuGH, verb. Rs.  C‑178 – 179/94, C‑188 – 190/94 (Dillenkofer u. a.) Rn. 26; Rs. C‑319/96 (Brinkmann Tabakfabriken) Rn. 28. 91   Vgl. EuGH, Rs. C‑392/93 (British Telecommunications) Rn. 43 ff.; hierzu Leible, ZHR 162 (1998), 594, 605. Nach Auffassung des LG Berlin, EuZW 2001, 511, 512 = ZIP 2001, 1636, 1638, liegt ein qualifizierter Verstoß nicht vor, solange das vom Gesetzgeber gewählte Instrument „nicht völlig abwegig und ungeeignet ist, das Ziel der Richtlinie zu erreichen“. 92   Zutreffend GA Kokott, SchlA, Rs. C‑127/02 (Herzmuschelfischerei) Rn. 148.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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positive unmittelbare Wirkung, wohl aber eine negative unmittelbare Wirkung entfalten können: Eine Norm des nationalen Rechts müsse auch unter Privaten immer dann unangewendet bleiben, wenn sie einer Richtlinienvorschrift widerspreche. Eine solche allgemeine negative Richtlinienwirkung im Verhältnis zu und zwischen Privaten findet jedoch in der Rechtsprechung des EuGH keine Stütze (c.). Abgesehen hiervon vermag dieser Ansatz auch inhaltlich nicht zu überzeugen (d.). a) Multipolare Rechtsbeziehungen unter Behördenbeteiligung Der Grundsatz, dass Richtlinien nicht zu Lasten Privater wirken dürfen, wurde vom Gerichtshof zunächst für multipolare Rechtsbeziehungen unter Behördenbeteiligung relativiert. So kam der EuGH etwa in Smith & Nephew93 ohne weitere Begründung zu dem Ergebnis, dass sich der Inhaber einer Arzneimittelzulassung unmittelbar auf die Bestimmungen der Richtlinie über Arzneimittelspezialitäten berufen kann, um die einem Konkurrenten erteilte behördliche Genehmigung für ein gleichartiges Arzneimittel anzufechten. Ganz ähnlich entschied der Gerichtshof in der Rechtssache Association basco-béarnaise,94 dass sich ein Unternehmen auf das in den Schadensversicherungs-RL verankerte Verbot versicherungsfremder Geschäfte berufen kann, wenn es beantragt, dass die einem konkurrierenden privaten Versicherungsunternehmen erteilte Genehmigung aufgehoben wird. Auch die Vergabe-Richtlinien können in einem Rechtsstreit zwischen einem übergangenen Bieter und dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbare Wirkung zu Lasten privater Konkurrenten entfalten: Nach Fratelli Costanzo95 kann sich der in einem Vergabeverfahren übergangene Bieter gegenüber der staatlichen Vergabestelle auf die unmittelbare Wirkung einer Richtlinienvorschrift über die Vergabe öffentlicher Aufträge berufen, obwohl deren Beachtung für den Konkurrenten zum Verlust eines lukrativen Bauauftrags führen konnte. Von grundsätzlicher Bedeutung ist die im Jahre 2004 entschiedene Rechtssache Wells,96 in der sich der EuGH erstmals mit der Frage auseinandersetzte, wann die unmittelbare Wirkung von Richtlinien in multipolaren Rechtsbeziehungen an ihre Grenzen stößt. In dem betreffenden Ausgangsverfahren beantragte die Grundstückeigentümerin Wells bei der Umweltbehörde, eine zuvor erteilte Betriebsgenehmigung für einen benachbarten Steinbruch zurückzunehmen, da die Behörde keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach der UVP-RL 85/337 vorgenommen hatte. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass sich Frau Wells auf die besagte (im nationalen Recht nicht rechtzeitig umgesetzte) Richtlinie stützen kann. Zwar könne sich ein Einzelner – so der EuGH – nicht gegenüber einem Mitgliedstaat auf eine Richtlinie berufen, wenn es sich um eine Verpflichtung des Staates handele, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Erfüllung einer anderen Verpflichtung steht, die aufgrund dieser Richtlinie einem Dritten obliegt.97 Dagegen rechtfertigen „bloße negative Aus93   EuGH, Rs. 201/94 (Smith & Nephew) Rn. 39. GA Léger hatte sich demgegenüber in seinen SchlA (Rn. 87) gegen die unmittelbare Wirkung ausgesprochen, da dies einer horizontalen Direktwirkung gleichkäme. 94   EuGH, Rs. C‑109/99 (Association basco-béarnaise des opticiens indépendants) Rn. 68 f. 95   EuGH, Rs. 103/88 (Fratelli Costanzo) Rn. 28 – 33. Zu weiteren Fällen auf dem Gebiet des Vergaberechts vgl. EuGH, Rs. C‑76/97 (Tögel) Rn. 46 f.; Rs. C‑258/97 (Hospital Ingenieure Krankenhaustechnik Planungs-Gesellschaft) Rn. 34 ff.; Rs. C‑327/00 (Santex) Rn. 63 ff. 96   EuGH, Rs. C‑201/02 (Wells); bestätigt durch EuGH, verb. Rs. C‑152 – 154/07 (Arcor) Rn. 36. 97   EuGH, Rs. C‑201/02 (Wells) Rn. 56.

394 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht wirkungen auf die Rechte Dritter, selbst wenn sie gewiss sind, es nicht, dem Einzelnen das Recht auf Berufung auf die Bestimmungen einer Richtlinie gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat zu versagen“.98 Diese Voraussetzungen hielt der Gerichtshof im vorliegenden Verfahren für gegeben: Der Umstand, dass der Bergbaubetrieb bis zum Vorliegen der Umweltverträglichkeitsprüfung eingestellt werden müsse, sei zwar die Folge der verspäteten Pflichterfüllung des Mitgliedstaats, stehe aber nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erfüllung einer Verpflichtung, die nach der Richtlinie 85/337 den Eigentümern des Steinbruchs oblag. Die zuvor diskutierten Fälle zeigen, dass die unmittelbare Wirkung von Richtlinien nicht bei jedweder Belastung Dritter ausgeschlossen ist. Nach der Rechtsprechung ist vielmehr zu unterscheiden. Eine direkte Anwendung von Richtlinien ist ausgeschlossen, wenn die in der Richtlinie vorgesehenen Pflichten unmittelbar zu Lasten des Einzelnen aktiviert werden. Eine bloß mittelbare, faktische Belastung Dritter soll demgegenüber zulässig sein. Was mit dieser Formulierung gemeint ist, erschließt sich nicht ohne Weiteres. Der Gerichtshof scheint in den Rechtssachen Smith  & Nephew, Association basco-béarnaise, Fratelli Costanzo und Wells davon auszugehen, dass der bloße Verlust einer richtlinienwidrig eingeräumten Rechtsposition (z. B. in Form einer Genehmigung oder eines Zuschlags im Vergabeverfahren) keine „Verpflichtung“, sondern eine irrelevante Belastung darstellt.99 Generalanwältin Kokott führte insoweit in ihren Schlussanträgen zum Fall Herzmuschelfischerei aus, dass eine Richtlinie in diesen Konstellationen keine unmittelbare Pflicht entstehen lässt, sondern lediglich einer mitgliedstaatlichen Begünstigung entgegensteht.100 Am Ergebnis ändert diese Argumentation freilich wenig: Werden Genehmigungen oder im Vergabeverfahren erteilte Zuschläge widerrufen, so wird der betroffene Dritte de facto an die nicht (korrekt) umgesetzten Richtlinienvorgaben gebunden. Er muss den Wegfall von Rechten, die an sich kraft nationalen Rechts begründet wären, in Kauf nehmen, obwohl ihn selbst kein Verschulden am Fehlverhalten des Mitgliedstaats trifft und obwohl der Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben für ihn unter Umständen auch nicht erkennbar war.101 Inwieweit die vom EuGH entschiedenen Fälle über den Bereich multipolarer Rechtsbeziehungen hinaus auf das Privatrecht ausstrahlen, muss derzeit als offen gelten.102 Könnte Frau Wells gegen den Steinbruchbetreiber auch im Wege der actio negatoria vorgehen und sich in einem solchen Verfahren direkt auf die Vorschriften der UVP-RL berufen? Wäre es zulässig, wenn sich ein übergangener Bieter in einem privaten Rechtsstreit auf die Vorschriften einer Vergabe-RL beruft, um auf diese Weise den Vorwurf unlauteren Verhaltens im Wettbewerb zu untermauern oder die  98

  EuGH, Rs. C‑201/02 (Wells) Rn. 57.  So Rörig, Direktwirkung, 2001, S. 80 f.; Eilmannsberger, JBl. 2004, 283, 293 f. 100   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑127/02 (Herzmuschelfischerei) Rn. 149. 101   Nach Auffassung von GA Kokott, SchlA, Rs. C‑127/02 (Herzmuschelfischerei) Rn. 149, stehen Vertrauensschutzaspekte des mittelbar betroffenen Dritten einer unmittelbaren Wirkung nicht entgegen, da nicht in „gemeinschaftsrechtlich geschützte Rechtspositionen“ eingegriffen werde. Gellermann, Beeinflussung des bundesdeutschen Rechts durch Richtlinien der EG, 1994, S. 181 ff., will Vertrauensschutzaspekte zumindest dann berücksichtigen, wenn die Gemeinschaftswidrigkeit der Umsetzung selbst einem „umsichtigen Wirtschaftsteilnehmer“ nicht ohne weiteres erkennbar ist. Vgl. auch Lackhoff/Nyssens, ELRev. 1998, 397, 410. 102   Baldus, GPR 2003/2004, 124 ff.; Köndgen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 6 Rn. 47.  99

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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Gesetzeswidrigkeit und damit u. U. die Nichtigkeit eines von der öffentlichen Hand vergebenen Auftrags darzutun? – Der Gerichtshof hat diese Fälle noch nicht entschieden, und sie lassen sich über das Abgrenzungskriterium „unmittelbare/mittelbare Belastung“ letztlich auch nicht adäquat lösen. Wann Belastungen rein „faktischer Natur“ sind und „nur mittelbar“ wirken, bleibt nach der Rechtsprechung ungeklärt. b) Verstöße gegen die Informations-RL 83/189 Der vom Gerichtshof aufgestellte Grundsatz, dass aus einer Richtlinie keine belastenden Wirkungen in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten hergeleitet werden dürfen, ist vom EuGH darüber hinaus im Zusammenhang mit der Informations-RL 83/189103 eingeschränkt worden. Art. 8 dieser Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Kommission rechtzeitig über geplante Rechtssetzungsvorhaben betreffend den Erlass technischer Vorschriften zu unterrichten (Notifizierungspflicht). Nach Art. 9 darf die mitgliedstaatliche Regelung nicht vor Ablauf bestimmter Fristen in Kraft gesetzt werden (Stillhaltepflicht). Auf diese Weise soll die Kommission ausreichend Zeit erhalten, um etwaige Handelsschranken, die sich aus der geplanten Maßnahme ergeben können, zu verhindern oder zu begrenzen. Ein Verstoß gegen die Notifizierungs- und Stillhaltepflicht begründet nach der Rechtsprechung des EuGH einen Verfahrensmangel, der zur Unanwendbarkeit der betreffenden technischen Vorschriften führt, so dass diese dem Einzelnen nicht entgegengehalten werden können. Dies kann sich – wie die Rechtssachen CIA Security International, Unilever Italia und Sapod Audic belegen – auf wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche und auf vertragliche Erfüllungsansprüche zwischen Privaten auswirken. Im Fall CIA Security International104 ging es um eine Unterlassungsklage unter Wettbewerbern, mit denen die CIA Security zur Einhaltung (richtlinienwidrigen) nationalen Rechts gezwungen werden sollte. CIA Security wandte sich gegen die von Wettbewerbern aufgestellte Behauptung, ein von ihr vertriebenes Alarmsystem erfülle nicht die belgischen Anforderungen an Sicherheitssysteme, und erhob Klage wegen unlauteren Verhaltens. Die Wettbewerber machten daraufhin im Wege der Widerklage geltend, dass die CIA Security das Alarmsystem ohne Genehmigung vermarktet und damit gegen die einschlägigen belgischen Vorschriften verstoßen habe. Die belgischen Rechtsvorschriften waren der Kommission allerdings nicht (wie in der InformationsRL vorgesehen) mitgeteilt worden. Der Gerichtshof gelangte in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass der Verstoß gegen die Informations-RL zur Unanwendbarkeit der belgischen Sicherheitsvorschriften führt und der CIA Security nicht entgegengehalten werden können. Auf die Probleme der horizontalen Direktwirkung ging der Gerichtshof mit keinem Wort ein. Im Fall Unilever Italia105 verweigerte ein Käufer die Zahlung und Abnahme von Olivenöl mit der Begründung, dass dieses nicht entsprechend den italienischen Bestimmungen etikettiert worden sei. Der Verkäufer wandte demgegenüber ein, dass 103   Die Informations-RL 83/189 wurde durch die RL 98/34 (ABl. EG 1998 L 217/18) ersetzt. Für eine Übertragung der zur Richtlinie 83/189 entwickelten Rechtsprechung auf die Richtlinie 98/34: EuGH, Rs. C‑20/05 (Schwibbert) Rn. 44; GA Bot, SchlA, Rs. C‑42/07 (Liga Portuguesa de Futebol Profissional) Rn. 182. 104   EuGH, Rs. C‑194/94 (CIA Security International). 105   EuGH, Rs. C‑443/98 (Unilever Italia).

396 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht das italienische Etikettierungsgesetz im Widerspruch zur Informations-Richtlinie stehe, da es vor Ablauf der in der Richtlinie vorgesehenen Wartezeit erlassen worden sei. Während GA Jacobs in seinen Schlussanträgen eine unmittelbare Wirkung der Informations-RL ablehnte,106 bejahte der EuGH eine negative unmittelbare horizontale Wirkung.107 Zwar könne eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen Einzelner begründen und daher nicht als solche ihnen gegenüber herangezogen werden. Diese Rechtsprechung gelte jedoch, so der Gerichtshof, nicht für den Fall, dass die Nichtbeachtung der Informations-RL einen wesentlichen Verfahrensfehler darstelle, der die Unanwendbarkeit der unter Verstoß gegen einen dieser Artikel erlassenen technischen Vorschrift nach sich zieht. In einem solchen Fall lege die Informations-Richtlinie keineswegs den materiellen Inhalt der Rechtsnorm fest, auf deren Grundlage das nationale Gericht den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden hat. Sie begründe weder Rechte noch Pflichten für Einzelne. Der Käufer des Olivenöls durfte daher im Ergebnis die Bezahlung des bestellten Olivenöls nicht mit der Begründung verweigern, dass die Etikettierung nicht den italienischen Rechtsvorschriften entsprach. Der Gerichtshof bestätigte diese Grundsätze in Sapod Audic.108 Sapod Audic hatte sich gegenüber der Abfallverwertungsgesellschaft Eco-Emballages zur Zahlung von Lizenzgebühren für die Anbringung des Grünen Punkt-Logos verpflichtet, dann aber die Zahlungen eingestellt. Der zivilrechtlichen Zahlungsklage der Eco-Emballages hielt Sapod Audic u. a. entgegen, dass das französische Dekret Nr. 92 – 377, das sie zur Anbringung des Grünen Punktes verpflichtete, gegen die Informations-RL verstoße. Der Gerichtshof stellte unter Verweis auf die Rechtssache Unilever Italia klar, dass das vorlegende Gericht das französische Dekret bei einem Verstoß gegen die Informations-RL nicht anwenden darf. Dabei richte sich allerdings die Frage, welche Folgerungen aus der Unanwendbarkeit des Dekrets zu ziehen wären, ob sie also etwa als Sanktion die Nichtigkeit oder die Unanwendbarkeit des Vertrags zwischen den Parteien zur Folge hätte, in den Grenzen des Effektivitäts- und Gleichwertigkeitsgebots nach nationalem Recht.109 c) Argumente für eine negative unmittelbare Richtlinienwirkung Die zuvor skizzierte Rechtsprechung legt den Schluss nahe, dass eine unmittelbare Richtlinienwirkung in Privatrechtsverhältnissen zumindest in Form der Ausschlusswirkung in Betracht kommt. Ein solcher Ansatz wird bereits seit geraumer Zeit von einer Reihe von Generalanwälten110 und einem Teil des Schrifttums111 vertreten. Nach dieser Auffassung ist zwischen der „unmittelbaren positiven Wirkung“ bzw. „Ersetzungswirkung“ (effet de substitution) einerseits und der bloßen „unmittelbaren negativen Wirkung“ bzw. „Ausschlusswirkung“ (effet d’exclusion) andererseits zu unterschei106

  GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑443/98 (Unilever Italia) Rn.  110 – 113.   EuGH, Rs. C‑443/98 (Unilever Italia) Rn. 45 ff., 50 ff.   EuGH, Rs. C‑159/00 (Sapod Audic). 109   EuGH, Rs. C‑159/00 (Sapod Audic) Rn. 52. 110   GA Saggio, SchlA, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 30 ff.; GA Léger, SchlA, Rs. C‑287/98 (Linster) Rn. 58 ff., 64 ff., 73 ff., 82 ff.; GA Alber, SchlA, Rs. C‑343/98 (Collino) Rn. 29 ff.; GA Colomer, SchlA, verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer) Rn. 25 ff., 48. Zurückhaltend dagegen GA Mengozzi, SchlA, Rs. C‑335/05 (Provozu) Rn. 53, Fn. 22; GA Bot, SchlA, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn. 63 f. Explizit gegen eine Ausschlusswirkung GA Tizzano, SchlA, Rs. C‑144/04 (Mangold) Rn. 106; GA Mazák, SchlA, Rs. C‑411/05 (Palacios) Rn. 126. 107 108

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den. Eine horizontale Einwirkung des Richtlinienrechts auf Privatrechtsverhältnisse soll demnach ausscheiden, wenn sie zu einer ersetzenden, originären Begründung von Rechten der einen Vertragspartei und einer damit einhergehenden Belastung der anderen Vertragspartei führen würde. Zulässig sei demgegenüber die Ausschlusswirkung. In diesem Fall werde das Privatrechtsverhältnis nicht positiv durch das Unionsrecht geregelt. Vielmehr werde lediglich negativ die Anwendung einer nationalen Norm ausgeschlossen. Begründet wird die Ausschlusswirkung mit dem Vorrang des Unionsrechts und dem Erfordernis einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts,112 sowie damit, dass bei einer bloßen Blockade einer inkompatiblen Vorschrift ja nicht die Richtlinie selbst zur Anwendung komme, sondern der Rechtsstreit auf der Grundlage einer innerstaatlichen Norm entschieden werde.113 Ersetzungs- und Ausschlusswirkung sollen sich mit Blick auf die Regelungskompetenzen unterscheiden: Werde einer unionsrechtlichen Norm unmittelbare Wirkung in Privatrechtsverhältnissen zuerkannt, so ergäben sich Rechte und Pflichten der Beteiligten direkt aus dem Unionsrecht. Das Unionsrecht nähme damit eine positive Regelungskompetenz für die betreffenden Fragen in Anspruch. Bei einer bloßen Ausschlusswirkung sei der Eingriff in die mitgliedstaatliche Regelungskompetenz dagegen geringer. Das Unionsrecht treffe in einem solchen Fall keine eigene positive Regelung. Welche Rechte und Pflichten die Beteiligten des Privatrechtsverhältnisses treffen bzw. ob ihrer privatautonomen Regelung Wirksamkeit zukommt, ergäbe sich vielmehr aus den für das Privatrechtsverhältnis geltenden Regelungen unter Wegfall der unanwendbaren nationalen Norm. Das Unionsrecht verzichte insoweit darauf, an die Stelle der unanwendbaren Norm eine eigene Regelung der betreffenden Fragen zu setzen und aus der Richtlinie als solche den Einzelnen verpflichtende Rechtsfolgen abzuleiten. Das Unionsrecht wirke damit wie ein Schutzschild (shield), nicht aber wie ein Schwert (sword). Der Gerichtshof hat sich bislang nicht eindeutig festgelegt, ob eine allgemeine Ausschlusswirkung in Privatrechtsverhältnissen anzuerkennen ist.114 Zwar spricht der EuGH auch außerhalb der aufgeführten Konstellationen (multipolare Rechtsverhältnisse, Verstöße gegen die Informations-RL) bei Streitigkeiten zwischen Privaten häufig davon, dass eine Richtlinienbestimmung einer nationalen Norm „entgegensteht“115 oder dass der nationale Gesetzgeber daran „gehindert“ ist, das durch eine Richtlinie gewährte Recht einzuschränken.116 Aus derartigen Formulierungen kann jedoch nicht geschlossen werden, dass sich der Gerichtshof zur unmittelbaren (negativen) Wirkung der betreffenden Richtlinienvorschrift äußern wollte.117 Wenn der 111   Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 77 ff., 84 ff.; Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 268 ff.; Reich, NJW 1999, 2397, 2401; Streinz, Europarecht, 10. Aufl., 2016, Rn. 496; Lenaerts/Corthaut, ELRev. 2006, 287, 302 ff.; Tridimas, YEL 2002, 327 ff.; Bach, JZ 1990, 1108, 1112; differenzierend Eilmansberger, JBl. 2004, 364, 369 – 375. 112   Vgl. GA Saggio, SchlA, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 30; GA Léger, SchlA, Rs. C‑287/98 (Linster) Rn. 73. 113   GA Alber, SchlA, Rs. C‑343/98 (Collino) Rn. 30 f. 114   Wie hier GA Bot, SchlA, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn. 64. 115   Vgl. EuGH, C‑441/93 (Pafitis) Rn. 40; Rs. C‑129/94 (Ruiz Bernáldez) Rn. 20; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 37 und 43; Rs. C‑215/97 (Bellone) Rn. 18. 116   Vgl. EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger) Rn. 48. 117   So aber GA Saggio, SchlA, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 33 ff.; Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 72; Gassner, in: Liber amicorum Oppermann, 2001, S. 503, 509 f.

398 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Gerichtshof in Vorabentscheidungsverfahren über die Auslegung von Vorschriften des Unionsrechts entscheidet, ist über die innerstaatliche Wirkung der von ihm ausgelegten Bestimmungen noch nichts gesagt.118 Schließlich kann auch der Fall Mangold119 nicht als Beleg für die Anerkennung einer allgemeinen Ausschlusswirkung herangezogen werden.120 Die Entscheidung betrifft vielmehr die (gleich noch zu behandelnde) Sonderkonstellation, dass eine umzusetzende Richtlinie eine Regelung enthält, die zugleich als normative Positivierung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Unionsrechts anzusehen ist.121 d) Argumente gegen eine negative unmittelbare Richtlinienwirkung Der Gerichtshof ist der von vielen Generalanwälten vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen Ersetzungs- und Ausschlusswirkung zu Recht nicht gefolgt.122 Bereits der Verweis auf das Vorrangprinzip greift ins Leere. Der Vorrang einer Unionsnorm kann erst dann zum Tragen kommen, wenn ein Normenkonflikt zwischen dem Unionsrecht und dem nationalen Recht auftritt. Wann dies der Fall ist, bemisst sich nicht nach dem Vorrangprinzip, sondern nach dem Konzept der unmittelbaren Wirkung. Eine eigenständige Anwendung des Vorrangs von Richtlinienbestimmungen, die unabhängig von ihrer unmittelbaren Wirkung zum Einsatz gelangte, würde das Konzept der unmittelbaren Wirkung letztlich obsolet machen.123 Abgesehen hiervon ist nicht nachvollziehbar, warum das Vorrangprinzip nur die Ausschlusswirkung, nicht aber die Ersetzungsbefugnis erlauben sollte. Die Anerkennung einer allgemeinen Ausschlusswirkung hätte darüber hinaus eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge.124 Richtlinienwidrige Normen des Privatrechts dürften nicht mehr von den Gerichten angewendet werden. Da in den letzten Jahren der Bestand an privatrechtlichen Richtlinien unaufhaltsam gewachsen ist, wären weite Teile des Privatrechts betroffen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Gerichtshof in aller Regel erst Jahre nach Inkrafttreten einer Richtlinie (rückwirkend) entscheidet, ob eine nationale Norm richtlinienwidrig ist. Die einzelstaatlichen Gerichte wären im Anschluss an eine solche Entscheidung gezwungen, die 118   Jarass/Beljin, EuR 2004, 714, 716, mit Hinweis auf EuGH, Rs. C‑373/95 (Maso) Rn. 28: „Im übrigen entscheidet nach Artikel 177 EG‑Vertrag [jetzt Art. 267 AEUV] der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft, ohne daß es darauf ankäme, ob diese Handlungen unmittelbar anwendbar sind oder nicht“; Herv. hinzugefügt. 119   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold). 120   So jedoch Bauer/Arnold, NJW 2006, 6, 9; Gas, EuZW 2005, 737; offenlassend Reich, EuZW 2006, 20, 21; Streinz, JuS 2006, 357, 360. 121   Im Ergebnis wie hier GA Mazák, SchlA, Rs. 411/05 (Palacios de la Villa) Rn. 130 ff.; Böhm, JZ 2008, 324, 328; Herrmann, EuZW 2006, 69; Mörsdorf, EuR 2009, 219, 234; Preis, NZA 2006, 401, 405; Ross, ELRev. 2006, 476, 494; Streinz/Hermann, RdA 2007, 165, 169. 122   Gegen eine Ausschlusswirkung auch BGH, Beschluss v. 18.1.2005, XI ZR 66/04, BeckRS 2005, 01616 (zu § 2 Abs. 1 S. 4 HWiG); BAG, NZA 2003, 742, 750 (Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit); wohl auch BGHZ 179, 27, 40 = NJW 2009, 427, 430 (Quelle II) (zu § 439 Abs. 4 BGB a. F.). Aus dem Schrifttum v. Danwitz, JZ 2007, 697, 703; Dashwood, CYELS 2006 – 2007, 81, 103; Dougan, CMLR 2007, 931 ff.; Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 78 ff.; Jarass/Beljin, EuR 2004, 714, 720, 723 ff. 123  Treffend v. Danwitz, JZ 2007, 697, 702; Dougan, CMLR 2007, 931, 941 f., 947 f. Prechal, CMLR 2000, 1047 ff., will demgegenüber auf das Konzept der unmittelbaren Wirkung gänzlich verzichten. 124   Langenfeld, DÖV 1992, 955, 963; Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, 47, 53; Canaris, in: FS Schmidt, 2006, S. 41, 44; Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 82; v. Danwitz, JZ 2007, 697, 703.

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aus der Unanwendbarkeit des nationalen Rechts entstehenden Lücken im Wege der Rechtsfortbildung zu schließen. Ein Rückgriff auf unionsrechtliche Vorgaben wäre oft nicht möglich. Da die negative unmittelbare Wirkung im Unterschied zur positiven unmittelbaren Wirkung bereits bei relativ unbestimmten Richtlinienvorgaben greifen kann,125 würde es in vielen Fällen an unionsweiten Maßstäben zur Lückenfüllung fehlen. Die Abgrenzung zwischen Ersatz- und Ausschlusswirkung führt abgesehen hiervon zu willkürlichen Ergebnissen.126 Ob die Direktwirkung im Einzelfall greift, würde letztlich davon abhängen, ob die betreffende Richtlinienpflicht (oder der pflichtbegründende Anspruch) im nationalen Recht vorgesehen oder dort gar nicht geregelt ist. So wäre beispielsweise im Fall, dass eine Richtlinie ein verbraucherschützendes Widerrufsrecht vorsieht, danach zu unterscheiden, ob dieses Widerrufsrecht bereits im nationalen Recht besteht, aber richtlinienwidrigen Einschränkungen bzw. Ausschlüssen unterworfen ist, oder überhaupt nicht im nationalen Recht normiert ist. Während in der zuerst genannten Konstellation eine unmittelbare (negative) Richtlinienwirkung hinsichtlich der Einschränkungen bzw. Ausschlüsse einträte, müsste im zuletzt genannten Fall eine (positive) Richtlinienwirkung ausscheiden. Der Umfang der suspendierenden Wirkung hinge damit von der zufälligen Ausgestaltung im nationalen Recht ab. Die Ausschlusswirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen trägt damit weder zur effektiven noch zur einheitlichen Durchsetzung des Unionsrechts bei. Das gewählte Beispiel zum Widerrufsrecht zeigt zugleich, dass Ersetzungs- und Ausschlusswirkung einander sehr nahe kommen können. Im Ergebnis macht es letztlich keinen Unterschied, ob eine Richtlinie positiv angewendet wird oder durch die Suspendierung nationaler Normen richtlinienkonforme Verpflichtungen bzw. Rechtspositionen des Einzelnen entstehen. Hält man daran fest, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Bürger begründen kann, so muss dieser Grundsatz für die positive wie negative Richtlinienwirkung gleichermaßen gelten. Die Ausschlusswirkung von Richtlinien ist daher abzulehnen, wenn der Richtlinie entsprechende Ge- oder Verbotsnormen im nationalen Recht freigelegt werden. Hiervon abzugrenzen sind jene Konstellationen, die den Rechtssachen CIA Security International, Unilever Italia und Sapod Audic zugrunde lagen. Im Fall CIA Security International führte die vom EuGH befürwortete Ausschlusswirkung gerade nicht zum Aufleben oder Wirksamwerden von Richtlinienverpflichtungen, sondern nur insoweit zu einer Belastung der konkurrierenden Unternehmen, als diese das richtlinienwidrige nationale Verbot nicht mehr gegen die CIA Security im Wege einer Unterlassungsklage durchsetzen konnten. Insoweit kann es aber, wie GA Elmer in seinen Schlussanträgen zu Recht hervorhebt,127 keinen Unterschied machen, ob das belgische Verbot durch staatliche Organe oder von konkurrierenden Unternehmen durchgesetzt wird. Da sich die CIA Security International gegen125

  Supra, § 5 A.I.2.   Langenfeld, DÖV 1992, 955, 963 f.; Eilmansberger, JBl. 2004, 364, 370; Dashwood, CYELS 2006 – 2007, 81, 103; Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 81; Dougan, CMLR 2007, 931, 938 f. Auch Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 80, sieht dieses Problem, ohne aber die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. 127   GA Elmer, SchlA, Rs. C‑194/94 (CIA Security International) Rn. 68. Zustimmend Gundel, EuZW 2001, 143, 145; Dougan, CMLR 2001, 1503, 1512; Eilmansberger, JBl. 2004, 364, 373. 126

400 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht über einer staatlichen Durchsetzung der belgischen Vorschriften für Alarmsysteme auf die Richtlinienwidrigkeit hätte berufen können, muss Gleiches auch dann gelten, wenn Private als Funktionäre öffentlicher Interessen versuchen, die richtlinienwidrige Norm im Wege einer Unterlassungsklage durchzusetzen.128 Auch die Entscheidungen Unilever Italia und Sapod Audic hatten nicht zur Folge, dass durch die Informations-RL unmittelbar Rechte oder Pflichten von Privatrechtssubjekten begründet wurden. Die Informations-RL regelt gerade nicht die Rechte und Pflichten von Vertragsparteien.129 Die Suspendierung der betreffenden Vorschriften (italienische Etikettierungsvorschriften, französische Verpflichtung zur Anbringung des Grünen Punkts) bewirkte lediglich, dass sich der externe Maßstab veränderte, der Grundlage der betreffenden Parteivereinbarungen war.130 Der Gerichtshof hat in Sapod Audic darüber hinaus hervorgehoben, dass sich die Auswirkungen, die sich durch den veränderten normativen Bezugsrahmen für die wechselseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien ergeben, vorrangig nach nationalem Recht bestimmen. Das vorlegende Gericht konnte daher im Fall Sapod Audic in den Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots selbst entscheiden, ob der Verstoß gegen die Informations-RL zur Nichtigkeit bzw. Unanwendbarkeit des Lizenzvertrags führte oder nicht. e) Ergebnis Eine allgemeine Ausschlusswirkung von Richtlinien ist abzulehnen. Die negative unmittelbare Wirkung von Richtlinien ist bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten nur in eng begrenzten Ausnahmesituationen anzuerkennen, wenn und soweit die Suspendierung nationalen Rechts keine der Richtlinie entsprechenden Ge- oder Verbotsnormen im nationalen Recht „freilegt“, sondern lediglich dazu führt, dass Private die Beachtung richtlinienwidrig öffentlich-rechtlicher Pflichten nicht mehr von einem anderen Bürger erzwingen können.

128   Umgekehrt können Wettbewerber von einem Unternehmen nicht die Unterlassung eines Verhaltens verlangen, das nach einer Richtlinie verboten, nach nationalem Recht aber erlaubt ist; im Ergebnis auch EuGH, Rs. C‑355/96 (Silhouette International Schmied) Rn.  34 – 37; Gundel, EuZW 2001, 143, 146 (Fn. 31). Hier muss der Ausschluss der horizontalen Direktwirkung in jedem Fall greifen, da anderenfalls im Wege der Unterlassungsklage ein Verhalten erzwungen werden könnte, das selbst der Staat aufgrund des Verbots der umgekehrt vertikalen Direktwirkung nicht durchsetzen könnte. 129   Die Entscheidungen Unilever Italia und Sapod Audic sind insofern von EuGH, Rs. C‑80/86 (Carp), abzugrenzen. Hier verweigerte der Käufer die Vertragserfüllung mit Hinweis darauf, dass die gelieferte Ware nicht der RL 89/106/EWG über Bauprodukte (CE‑Kennzeichnung) und der hierzu ergangenen Kommissionsentscheidung entsprach. Die betreffende RL regelte damit im Unterschied zur Informations-RL nicht bloß formelle Pflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission, sondern materielle Pflichten des Einzelnen. Der Gerichtshof lehnte dementsprechend eine Direktwirkung zu Recht ab; EuGH, Rs. C‑80/86 (Carp) Rn. 20 – 22; vgl. auch die SchlA von GA Trstenjak, a. a. O., Rn. 39. 130   Im Ergebnis auch Gundel, EuZW 2001, 143, 148; Leible, Wege, 2001, 2001, S. 278 f.; kritisch dagegen Rengeling/Middeke/Gellermann/Mankowski, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, 2. Aufl., 2003, § 37 Rn. 102 f. (Missachtung des Prinzips „pacta sunt servanda“); Weyer, GPR 2003/2004, 226, 232 f. (keine Berücksichtigung von Vertrauensschutzaspekten).

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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3. Richtlinienkonforme Rechtsfindung a) Richtlinienkonforme Rechtsfindung und unmittelbare Wirkung Das Gebot der richtlinienkonformen Rechtsfindung131 ist von besonderer Bedeutung, wenn Richtlinienvorschriften keine unmittelbare Wirkung zugunsten der Bürger entfalten. Die aus Art. 288 Abs. 3 AEUV i. V. m. Art. 4 Abs. 3 EUV folgende Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfindung gilt anerkanntermaßen auch und gerade in horizontalen Rechtsverhältnissen. Insbesondere in Fällen, in denen die unmittelbare Wirkung ausscheidet, verweist der Gerichtshof regelmäßig darauf, dass die Gerichte verpflichtet sind, das innerstaatliche Recht „soweit wie möglich“ anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen.132 Insoweit wird häufig davon gesprochen, dass Richtlinien infolge der richtlinienkonformen Auslegung eine mittelbare Wirkung (indirect effect) entfalten.133 Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass die richtlinienkonforme Auslegung einen Ersatz für die fehlende horizontale Wirkung von Richtlinien darstellt.134 Unmittelbare Wirkung und richtlinienkonforme Auslegung führen in vielen Fällen zu gleichen Ergebnissen – dies vor allem dann, wenn der Gerichtshof konkrete Vorgaben für die Auslegung nationalen Rechts trifft.135 Beide Institute beruhen dessen ungeachtet auf unterschiedlichen Rechtsquellen und rechtstheoretischen Grundlagen.136 Bei der unmittelbaren Wirkung wird ein in der Richtlinie enthaltener Rechtssatz entweder direkt angewendet oder nationales Recht wegen Verstoßes gegen Richtlinienrecht „ex lege europea“ nicht angewendet. Im Unterschied dazu wendet das innerstaatliche Gericht bei der richtlinienkonformen Auslegung (unter Berücksichtigung der Wertungen der Richtlinie) das nationale Recht, nicht aber die Richtlinie selbst an. Der Gerichtshof akzeptiert in seinen Entscheidungen grundsätzlich die in den Mitgliedstaaten praktizierte Methodik der Rechtsfindung.137 Das nationale Gericht ist nur verpflichtet, „im Rahmen seiner Zuständigkeit“ unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, „den ihm sein Recht einräumt“, seine Auslegung „soweit wie möglich“ „durch die Anwendung seiner Auslegungsmethoden“ an 131   Der üblicherweise verwendete Begriff der richtlinienkonformen Auslegung ist ungenau, da er nach Ansicht des EuGH auch die Rechtsfortbildung einschließt. Daher wird im Anschluss an Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, 47, 50, von richtlinienkonformer Rechtsfindung gesprochen. 132   EuGH, Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 6 ff.; Rs. C‑91/92 (Faccini Dori) Rn. 20, 25 – 26; Rs. C‑192/ 94 (El Corte Inglés) Rn. 20 ff.; Rs. C‑456/98 (Centrosteel) Rn. 15; verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 108 ff. 133   Vgl. nur Betlem, ERPL 1995, 1; Craig, ELRev. 2009, 349, 357; Craig/de Búrca, EU Law, 6. Aufl., 2015, S. 209; Schulte-Nölke/Busch, in: FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 795 ff. („mittelbare horizontale Direktwirkung“). 134   Betlem, ERPL 1995, 1, 8 ff.; Leible, Wege, 2001, S. 296; Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 190 ff. m. w. N.; v. Danwitz, JZ 2007, 697, 700. 135   Für Beispiele aus der EuGH-Rechtsprechung vgl. GA Colomer, SchlA, verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn.  26 – 35. 136   GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 7; GA Colomer, SchlA, verb. Rs. C‑397 –  403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 39. Auch der Gerichtshof betont den Unterschied zwischen beiden Insti­ tuten, vgl. EuGH, verb. Rs. C‑87 – 89/90 (Verholen) Rn. 13. Aus dem Schrifttum Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 361; Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 93 f.; Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 210 ff. 137  Ebenso Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994, S. 266; Franzen, Privatrechts­ angleichung, 1999, S. 374; Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 134 f.

402 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht der Richtlinie auszurichten.138 Der Gerichtshof ist demzufolge der Auffassung eines nationalen Gerichts, eine nationale Norm sei nicht auslegungsfähig, bislang nie ausdrücklich entgegengetreten.139 Gerade in letzter Zeit zeichnet sich indessen ein Wandel ab. Der Gerichtshof hat die methodischen Anforderungen an die richtlinienkonforme Rechtsfindung im Urteil Pfeiffer140 deutlich verschärft. Während die frühere Rechtsprechung den Schluss zuließ, dass die richtlinienkonforme Auslegung eine interpretatorische Vorzugsregel begründet, bei deren Anwendung vor allem das Äquivalenz- bzw. Gleichwertigkeitsgebot zu beachten ist, deutet die Entscheidung Pfeiffer darauf hin, dass bei Anwendung der im nationalen Recht zur Verfügung stehenden Methoden zugleich dem Effektivitätsgebot Rechnung zu tragen ist; unter Umständen muss daher ein Auslegungsergebnis erzielt werden, das allein auf der Basis der nationalen Methodenlehre ohne Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben nicht möglich gewesen wäre (b.). Der BGH hat auf diese Entwicklung reagiert. In seiner Quelle-Nachfolgeentscheidung141 hat sich das Gericht erstmals ausdrücklich zu einer den Wortlaut des Gesetzes übersteigenden, richtlinienkonformen Rechtsfortbildung bekannt und die in Frage stehende richtlinienwidrige Vorschrift (§ 439 Abs. 4 BGB a. F.) im Wege der teleologischen Reduktion für unanwendbar erklärt (c.). Die Grenzen zwischen unmittelbarer Wirkung und richtlinienkonformer Auslegung bzw. Rechtsfortbildung verschwimmen damit in zusehendem Maße. Insoweit ist vor allem nach den unionsrechtlichen und nationalen Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfindung zu fragen (d. und e.). b) Unionsrechtliche Vorgaben für die richtlinienkonforme Rechtsfindung aa) Grundsätze Seit dem Urteil Marleasing142 formuliert der Gerichtshof, dass ein einzelstaatliches Gericht das gesamte innerstaatliche Recht „soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten muss, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen“. Die nationalen Gerichte müssen das gesamte in der jeweiligen Rechtsordnung zur Verfügung stehende Methodenspektrum ausschöpfen, um den Vorgaben der Richtlinie Rechnung zu tragen. Der vom Gerichtshof verwendete Begriff der „Auslegung“ ist daher weit zu verstehen. Er umfasst nicht nur die Auslegung im engeren Sinne, die sich nach deutschem Methodenverständnis innerhalb des möglichen Wortsinns vollzieht,143 sondern zugleich die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung jenseits dieser Grenze.144 Der Wortlaut einer nationalen Norm bildet mit anderen Worten keine zwingende Auslegungsgrenze, wenn seine Überschreitung nach einzel138   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson & Kamann) Rn. 26 und 28; Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 8; verb. Rs.  C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn.  116 – 118. 139   Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 342 m. w. N. zur Rechtsprechung. Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑235/03 (QDQ Media) Rn. 17. 140   EuGH, verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.). 141   BGHZ 179, 27 = NJW 2009, 427 (Quelle II). 142   EuGH, Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 8; verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 30; verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 113; Rs. C‑227/08 (Martín Martín) Rn. 31. 143   Vgl. BGHZ 74, 76, 78; BGH, NJW 1988, 2109; BGHZ 179, 27, 34 = NJW 2009, 427, 428 (Quelle II); Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl., 1991, S. 441 und 467 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., 1995, S. 191 ff. 144   BGHZ 179, 27, 34 f. = NJW 2009, 427, 428 (Quelle II) m. w. N.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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staatlichen methodischen Grundsätzen gerechtfertigt ist. Mit Blick auf die praktische Wirksamkeit und die Zielverbindlichkeit der Richtlinie kann es bei der Auslegung ferner nicht darauf ankommen, ob es sich um Gesetze handelt, die zur Umsetzung der fraglichen Richtlinie speziell erlassen worden sind. Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung bezieht sich vielmehr auf die gesamte Rechtsordnung.145 Die vom nationalen Gericht vorzunehmende Auslegung wird durch drei unionsrechtliche Prinzipien gesteuert: bb) Interpretatorische Vorzugsregel Erstens gilt eine interpretatorische Vorzugsregel. Im Rahmen der Auslegung ist unter den im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden im Zweifel diejenige anzuwenden, die zu einem mit dem Unionsrecht vereinbaren Ergebnis führt.146 Die Vorgaben der Richtlinie sind dabei im Rahmen aller methodischen Schritte in den Blick zu nehmen, und nicht erst am Ende des Auslegungsvorgangs. Abzulehnen ist insofern die im älteren Schrifttum zu findende Auffassung, derzufolge Richtlinienvorgaben erst dann zu berücksichtigen waren, wenn die auszulegende nationale Vorschrift unter Zugrundelegung der nationalen Methodenlehre – unter Ausblendung der Richtlinie – zu mehreren Auslegungsergebnissen führte.147 Ein solches Verständnis greift nicht nur bei der grammatischen Auslegung zu kurz,148 sondern vor allem bei der objektiv-teleologischen Auslegung. Da angeglichenes Recht der Erfüllung von Richtlinienvorgaben dienen soll, ist das nationale Recht auch im Lichte der Zwecksetzungen der zugrunde liegenden Richtlinie auszulegen.149 Die Richtlinienvorgaben beeinflussen damit sowohl die Auslegung des nationalen Rechts im Rahmen der klassischen Auslegungsmethoden als auch die abschließende Ergebniskontrolle, indem sie dem richtlinienfreundlichsten Ergebnis zur Durchsetzung verhelfen. cc) Äquivalenzgebot und richtlinienkonforme Rechtsfindung Zweitens gilt der Grundsatz der Äquivalenz bzw. Gleichwertigkeit.150 Die Mitgliedstaaten dürfen die Durchsetzung unionsrechtlich veranlasster Regelungen nicht ungünstiger ausgestalten als in vergleichbaren nationalen Fällen. Diese Maxime ist auch bei der richtlinienkonformen Rechtsfindung zu beachten.151 Die einzelstaatlichen Gerichte müssen sich demzufolge bei der Auslegung und Fortbildung des nationalen Rechts desselben methodischen Instrumentariums bedienen, das bei Auslegung 145   EuGH, Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 8, Rs. C‑91/92 (Faccini Dori) Rn. 26; verb. Rs. C‑240 – 244/ 98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 30; verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 115. 146   Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 68 ff.; Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 131 ff.; Leible, Wege, 2001, S. 289; W.‑H. Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 13 Rn. 26. 147   So vor allem Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 1994, S. 260 ff.; Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598, 612 ff.; di Fabio, NJW 1990, 947 ff. Aus dem neueren Schrifttum Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S. 272 ff.; Schürnbrand, JZ 2007, 910, 911. 148  Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 348 f., mit Hinweis darauf, dass im Rahmen der grammatischen Auslegung die unionsrechtliche Herkunft von Begriffen nicht vernachlässigt werden kann. 149   Grundmann, ZEuP 1996, 399, 419 f.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 352 ff. 150   Allgemein zu diesem Grundsatz supra, § 4 D. 151   EuGH, verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 116; Pfeiffer, NJW 2009, 412, 413; W.‑H. Roth/ Jopen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 13 Rn. 31; Gebauer, GPR 2009, 82, 85.

404 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht und Fortbildung des autonomen nationalen Rechts zur Verfügung steht. Soweit die Gerichte daher nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung zur Rechtsfortbildung befugt sind (etwa im Wege der teleologischen Extension, Reduktion oder Analogie), ist dieses methodische Arsenal auch bei der richtlinienkonformen Rechtsfindung einzusetzen. – Ob sich dem Unionsrecht weitergehende Vorgaben entnehmen lassen, ist Gegenstand einer Diskussion, die insbesondere mit Blick auf die Rechtsfortbildung kontrovers geführt wird. Der Grundsatz der Gleichwertigkeit verlangt von den nationalen Gerichten nur dann eine Rechtsfortbildung, wenn und soweit nach nationaler Betrachtung das Recht auch fortgebildet werden kann. Vielfach wurde und wird daher davon ausgegangen, dass sich die Voraussetzungen und Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfindung allein nach nationalem Recht richten.152 dd) Effektivitätsgebot und richtlinienkonforme Rechtsfindung Diese Auffassung greift zu kurz. Dem Urteil Pfeiffer kann entnommen werden, dass die einzelstaatlichen Gerichte bei Anwendung der nationalen Methoden nicht nur das Äquivalenzgebot, sondern zugleich drittens das Effektivitätsgebot beachten müssen. Den nationalen Gerichten obliegt es, so der EuGH, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus den unionsrechtlichen Bestimmungen ergibt, und deren volle Wirkung (full effectiveness, pleine efficacité) sicherzustellen.153 Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung wird dabei vom Gerichtshof – soweit ersichtlich erstmals – als Unterfall der unionsrechtskonformen Auslegung verstanden, der dem Primärrecht immanent ist und die volle Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleisten soll.154 Bereits dies deutet darauf hin, dass der Gerichtshof die Bedeutung und Wirkkraft der richtlinienkonformen Auslegung über die Vorgaben von Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 288 Abs. 3 AEUV hinaus auf das weiter gefasste Gesamtsystem des Unionsrechts zur Effektuierung stützen möchte.155 Der Gerichtshof leitet aus dem Effektivitätsgebot konkrete Vorgaben ab. Nach herkömmlicher Ansicht setzt die Rechtsfortbildung im deutschen Recht das Vorliegen einer verdeckten Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus.156 Dabei wird häufig davon ausgegangen, dass der bloße Widerspruch zwischen nationalem Recht und Richtlinie für sich genommen noch nicht zur Annahme einer planwidrigen Lücke führt.157 Eine in sich stimmige nationale Regelung sei nicht bereits deswegen fortbildungsbedürftig, weil sie mit den Erfordernissen einer Richtlinie nicht in Einklang stehe. Da Richtlinien keine unmittelbare Wirkung entfalteten, seien sie nicht imstande, anderweitige objektive Wirkungen in der natio152   Basedow, in: FS Brandner, 1996, S. 651, 658; Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 1994, S. 273; Leible, Wege, 2001, S. 289 f.; Habersack/Mayer, WM 2002, 253, 256; Jarass/Beljin, JZ 2003, 768, 775; Schürnbrand, JZ 2007, 910, 914. 153   EuGH, verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 111. Der Begriff der „vollen Wirksamkeit“ ist mit dem Terminus „praktische Wirksamkeit“ identisch, vgl. supra, § 2 A.II. m. w. N. 154   EuGH, verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 114. Gleiche Terminologie in EuGH, Rs.  C‑105/03 (Pupino) Rn. 32, 34, 38, 43, 47. 155   Im Ergebnis auch Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, 47, 49; Seyr, Der effet utile, 2008, S. 141. 156   BGHZ 179, 27, 35 = NJW 2009, 427, 429 (Quelle II) m. w. N.; Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 82 m. w. N. 157   Herdegen, WM 2005, 1921, 1929; Höpfner, JZ 2009, 403, 404; Schürnbrand, JZ 2007, 910, 913 f.; Konzen, ZfA 2005, 189, 202. Anders demgegenüber Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 85, 87; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 416, 419 f.; Unberath, ZEuP 2005, 5, 8.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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nalen Rechtsordnung hervorzurufen, die im praktischen Ergebnis letztlich doch auf eine von den Vorgaben des geschriebenen Rechts abweichende Orientierung an der Richtlinie selbst hinausliefen. Richtlinien seien nur für die Lückenfüllung, nicht aber für die Lückenfeststellung von Bedeutung. Eine Rechtsfortbildung komme erst dann in Betracht, wenn das nationale Recht diese im konkreten Fall selbst trage. Mit den Aussagen, die der Gerichtshof im Fall Pfeiffer getroffen hat, lässt sich diese Auffassung nicht vereinbaren. In der entscheidenden Passage heißt es: „Ermöglicht es das nationale Recht durch die Anwendung seiner Auslegungsmethoden, eine innerstaatliche Bestimmung unter bestimmten Umständen so auszulegen, dass eine Kollision mit einer anderen Norm innerstaatlichen Rechts vermieden wird, oder die Reichweite dieser Bestimmung zu diesem Zweck einzuschränken und sie nur insoweit anzuwenden, als sie mit dieser Norm vereinbar ist, so ist das nationale Gericht verpflichtet, die gleichen Methoden anzuwenden, um das von der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen.“158

Die nationalen Gerichte müssen mit anderen Worten eine Normenkollision zwischen Richtlinienvorgaben und dem nationalen Recht in gleicher Weise auflösen, wie Normenkollisionen im Rahmen des nationalen Rechts. Die Sprengkraft dieser Aussage wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass nach traditionellem Begriffsverständnis eine Normenkollision zwischen Richtlinienrecht und nationalem Recht streng genommen überhaupt nicht vorliegen kann. Geht man davon aus, dass eine Richtlinie im Verhältnis zwischen Privaten keine unmittelbare Wirkung entfaltet, kann schon gar kein Widerspruch zwischen Richtlinienrecht und nationalem Recht vorliegen, der im Wege der Auslegung aufgelöst werden müsste. Dem Urteil Pfeiffer lässt sich daher die weitergehende Vorgabe entnehmen, dass ein etwaiger Widerspruch zwischen einer Richtlinie und einer nationalen Vorschrift – ungeachtet des Fehlens einer „echten“ Normenkollision mangels unmittelbarer Wirkung – mit denselben methodischen Mitteln durch Auslegung aufzulösen ist.159 Der Gerichtshof gibt zugleich vor, auf welche Weise die Kollision aufzulösen ist: Die der Richtlinie entgegenstehende Norm ist soweit einzuschränken, bis das mit der Richtlinie verfolgte Ziel erreicht wird. Der Gerichtshof entfernt sich mit diesen Aussagen vom Äquivalenzgebot.160 Aus dem Äquivalenzgebot folgt im Unterschied zum Effektivitätsgebot lediglich ein relativer, auf die jeweilige Rechtsordnung bezogener Maßstab, der darauf ausgerichtet ist, eine Diskriminierung unionsrechtlich geprägter Sachverhalte gegenüber solchen rein nationalen Ursprungs zu verhindern. Im Urteil Pfeiffer stellt der EuGH indessen nicht nur fest, dass die in rein nationalen Fällen zur Verfügung stehenden Methoden auch bei der richtlinienkonformen Auslegung zur Anwendung kommen müssen. Vielmehr wird zugleich das tertium comparationis definiert: Richtlinienrecht und nationales Recht werden mit Blick auf die Frage der Normenkollision auf die gleiche Stufe gestellt. Insoweit lässt sich von einer „fiktiven Normenkollision“161 sprechen, die im Rahmen der Rechtsfortbildung zu berücksichtigen ist. 158   EuGH, verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 116; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑12/08 (Mono Car Styling) Rn. 63. 159  Ebenso Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, 47, 51; W.‑H. Roth, EWS 2005, 385, 395; Mörsdorf, EuR 2009, 219, 224; Sperber, EWS 2009, 358, 361. A. A. Schürnbrand, JZ 2007, 910, 912 f. Zurückhaltend auch Thüsing, ZIP 2004, 2301, 2305; Hailbronner, NZA 2006, 811, 813. 160   Im Ergebnis auch Mörsdorf, EuR 2009, 219, 224; anders W.‑H. Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 13 Rn. 32. 161  So Mörsdorf, EuR 2009, 219, 225.

406 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Der Gerichtshof trifft im Urteil Pfeiffer eine weitere Aussage, die vor allem für die Reichweite der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung von Bedeutung ist. Nach deutschem Verfassungs- und Methodenverständnis markiert der am Wortlaut der Norm festgemachte Regelungszweck die Grenze für eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung.162 Der Regelungszweck lässt sich indessen bei einer irrtümlich fehlerhaften Richtlinienumsetzung nicht eindeutig ermitteln. Dient eine Norm der Umsetzung von Richtlinienvorgaben, so kann einerseits unterstellt werden, dass der Gesetzgeber im Einklang mit den Richtlinienvorgaben handeln wollte. Neben diesen generellen Umsetzungswillen tritt jedoch andererseits die konkrete Regelungsabsicht, die sich auf eine richtlinienwidrige Lösung bezieht. Dies führt zu der Frage, ob der generelle Umsetzungswille bzw. hypothetische Wille des historischen Gesetzgebers sich gegenüber der konkreten Regelungsabsicht durchsetzt,163 oder ob umgekehrt die konkrete Regelungsabsicht bei der Ermittlung des Gesetzeszwecks den Vorrang genießt.164 Im Urteil Pfeiffer formuliert der Gerichtshof eine unionsrechtliche Auslegungsvorgabe dahingehend, dass das mitgliedstaatliche Gericht in einem Rechtsstreit in Anbetracht von Art. 249 Abs. 3 EG (jetzt Art. 288 Abs. 3 AEUV) davon auszugehen habe, „dass der Staat, wenn er von dem ihm durch diese Bestimmung eingeräumten Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat, die Absicht hatte, den sich aus der betreffenden Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen.“165

Dieselbe Forderung hatte der Gerichtshof bereits zuvor im Fall Wagner Miret166 erhoben. Im Fall Pfeiffer fällt diese Aussage jedoch im Zusammenhang mit der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung, so dass zu vermuten ist, dass der generelle Umsetzungswille auch bei dieser jedenfalls dann gegenüber der konkreten Regelungsabsicht Vorrang haben muss, wenn der Gesetzgeber irrtümlich, also nicht bewusst von der Richtlinie abgewichen ist.167 Dem entspricht, dass der Gerichtshof in der Entscheidung Björnekulla Fruktindustrier168 – wenngleich in anderem Zusammenhang – erklärt hat, dass die richtlinienkonforme Auslegung „ungeachtet entgegenstehender Auslegungshinweise, die sich aus den vorbereitenden Arbeiten zu der nationalen Regelung ergeben könnten“, vorzunehmen ist. ee) Ergebnis Die vorangegangenen Ausführungen belegen, dass die nationale Methodik durch unionsrechtliche Vorgaben überformt wird. Zwar müssen die mitgliedstaatlichen 162   Vgl. BVerfGE 18, 97, 111 = NJW 1964, 1563, 1564; BVerfGE 98, 17, 45 = NJW 1998, 3033, 3036; BVerfGE 101, 312, 329 = NJW 2000, 347, 349; BGH, NJW 2006, 3200, 3201 (Quelle I); BGHZ 179, 27, 38 f. = NJW 2009, 427, 430 (Quelle II). 163  Hierfür Grundmann, ZEuP 1996, 399, 422; Möllers/Möhring, JZ 2008, 919, 922; SchulteNölke/Busch, in: FS Canaris, Bd. II, 2008, S. 795, 800 ff. 164  Hierfür Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 312 f.; ders., JZ 2003, 321, 324; Höpfner, EuZW 2009, 159, 160; Schürnbrand, JZ 2007, 910, 916. 165   EuGH, verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 112. 166   EuGH, Rs. C‑334/92 (Wagner Miret) Rn. 20. 167   Wie hier Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, 47, 51; W.‑H. Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 13 Rn. 27 – 29; Mörsdorf, EuR 2009, 219, 225. Dagegen Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 315 (Fn. 132); Schürnbrand, JZ 2007, 910, 916; Sperber, EWS 2009, 358, 360: Keine Kompetenz des EuGH, zu Motiven des nationalen Gesetzgebers Stellung zu nehmen.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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Gerichte nur diejenigen Methoden anwenden, die bei Auslegung autonomen mitgliedstaatlichen Rechts zur Verfügung stehen. Der Effektivitätsgrundsatz führt also nicht dazu, dass unbekannte oder im Widerspruch zur innerstaatlichen Kompetenzverteilung stehende Methoden angewendet werden müssen. Die im mitgliedstaatlichen Recht anerkannten methodischen Instrumente sind jedoch bis zu den Grenzen des noch zulässigerweise methodisch Möglichen und verfassungsrechtlich Erlaubten zu Gunsten der Richtlinie auszuschöpfen. Nimmt man die im Urteil Pfeiffer getroffenen Aussagen ernst, so folgen aus dem Effektivitätsgrundsatz konkrete Vorgaben, auf welche Weise die im nationalen Recht zur Verfügung stehenden Methoden angewendet werden müssen. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung begründet daher nicht nur eine Vorzugsregel, sondern zugleich eine „interpretatorische Vorrangregel“ zugunsten des richtlinienkonformen Auslegungsergebnisses. c) BGH-Rechtsprechung Der BGH hat sich in seiner Quelle‑II-Entscheidung169 erstmals offen zu einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung bekannt.170 Gegenstand des Verfahrens war die in § 439 Abs. 4 i. V. m. §§ 346 Abs. 1, 348 BGB vorgesehene Pflicht des Käufers zum Wertersatz im Falle der Nacherfüllung, die vom EuGH wegen Verstoßes gegen die KaufRL 99/44 für richtlinienwidrig erklärt wurde.171 Im Anschluss hieran stand der BGH vor der Frage, wie den Vorgaben des Gerichtshofs entsprochen werden könnte. In seinem Vorlagebeschluss hatte der BGH eine einschränkende richtlinienkonforme Auslegung im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut und dem in den Gesetzmaterialien zum Ausdruck gebrachten eindeutigen Willen des Gesetzgebers noch abgelehnt.172 In seiner Nachfolgeentscheidung befürwortete der BGH demgegenüber eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion.173 Die in § 439 Abs. 4 BGB in Bezug genommenen Rücktrittsvorschriften gelten nach Auffassung des Senats nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst, führen aber nicht zu einem Anspruch des Verkäufers auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen oder deren Wertersatz. Zur Begründung verweist der BGH zunächst darauf, dass der vom EuGH geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung von den nationalen Gerichten nicht nur eine Auslegung im engeren Sinne verlange, sondern zugleich fordere, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden. Die für die Rechtsfortbildung erforderliche planwidrige Regelungslücke wird vom BGH in zwei Schritten begründet.174 Das Vorliegen einer Regelungslücke folgt nach Auffassung des Senats – insoweit stehen die Ausführungen ganz im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung – aus der Richtlinienwidrigkeit des § 439 Abs. 4 BGB. Da die 168

  EuGH, Rs. C‑371/02 (Björnekulla Fruktindustrier) Rn. 13.   BGHZ 179, 27 = NJW 2009, 427 (Quelle II). 170   Diese Wende hatte sich bereits mit der Heininger II-Entscheidung, BGHZ 150, 248 = NJW 2002, 1881 (Heininger II), abgezeichnet; vgl. Franzen, JZ 2003, 321, 324 f.; Möllers, JZ 2009, 405. 171   EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn. 43. Der deutsche Gesetzgeber fügte daraufhin mit Wirkung zum 16.12.2008 in § 474 Abs. 2 BGB eine Bestimmung ein, derzufolge § 439 Abs. 4 BGB auf Verbrauchsgüterkaufverträge mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind; BGBl. I 2008, S. 2399. 172   BGH, NJW 2006, 3200, 3201 (Quelle I). 173   BGHZ 179, 27, 34 ff. = NJW 2009, 427, 428 f. (Quelle II). 174   BGHZ 179, 27, 35 ff. = NJW 2009, 427, 429 (Quelle II). 169

408 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Verweisung in § 439 Abs. 4 BGB keine Einschränkung für den Anwendungsbereich der Richtlinie enthalte und deshalb nicht mit ihr in Einklang stehe, erweise sich das Gesetz, so der BGH, als unvollständig. Für die Planwidrigkeit rekurriert der BGH demgegenüber in erster Linie auf die konkrete Umsetzungsabsicht des deutschen Gesetzgebers. Der Gesetzgeber habe, so der BGH, in der Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet, auch und gerade hinsichtlich des Nutzungsersatzes eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen. Damit stehe die konkrete Regelungsabsicht nicht lediglich im Widerspruch zu einem generellen, allgemein formulierten Umsetzungswillen, sondern zugleich zur konkret geäußerten, von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers. Deshalb sei auszuschließen, dass der Gesetzgeber § 439 Abs. 4 BGB in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass die Vorschrift nicht in Einklang mit der Richtlinie stehe. Offen blieb nach der Entscheidung des BGH, ob die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung stets eine konkret geäußerte Umsetzungsabsicht voraussetzt, oder ob – wie der EuGH in Pfeiffer gefordert hat – ein genereller Umsetzungswille ausreicht.175 Auch in der Gebr. Weber & Putz-Nachfolgeentscheidung176 betonte der BGH die Notwendigkeit eines konkret geäußerten Umsetzungswillens. Dabei ließ er es aber für die Rechtsfortbildung genügen, wenn sich der Gesetzgeber nicht explizit mit der Frage der Richtlinienkonformität der betreffenden nationalen Vorschrift auseinandersetzt, sondern diese stillschweigend voraussetzt. Noch deutlicher wurde der BGH in seiner Endress-Nachfolgeentscheidung,177 in der er maßgeblich auf den generellen Willen des Gesetzgebers zur korrekten Richtlinienumsetzung abstellte und klarstellte, dass dieser Zweck Vorrang vor anderen mit der Norm verfolgten Zielen habe.178 d) Unionsrechtliche Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfindung aa) Allgemeine Rechtsgrundsätze, insb. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz Die Verpflichtung des nationalen Richters zur richtlinienkonformen Rechtsfindung wird nach ständiger Rechtsprechung des EuGH durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts begrenzt. Bereits in der Rechtssache Kolpinghuis Nijmegen führte der Gerichtshof aus, dass die „Verpflichtung des innerstaatlichen Gerichts, bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen seines nationalen Rechts auf den Inhalt der Richtlinie abzustellen, (. . .) ihre Grenzen in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil des Gemeinschaftsrechts sind, und insbesondere in dem Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot“ findet.179

Der Gerichtshof bezog diese Aussagen in der Vergangenheit auf strafrechtliche Regelungen. Hier gilt der Grundsatz, dass das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung für sich allein – unabhängig von innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats – die strafrechtliche Verantwortung eines Wirtschaftsteilnehmers weder begrün175

 Dazu Gebauer, GPR 2009, 82, 86; Mörsdorf, EuR 2009, 219, 229; Pfeiffer, NJW 2009, 412.   BGHZ 192, 148 = NJW 2012, 1073, Rn. 34.   BGHZ 201, 101 = NJW 2014, 2646, Rn. 26. Vgl. auch BGH, NJW 2015, 1023. 178  Kritisch Michael/Payandeh, NJW 2015, 2392 ff.; Gebauer/Teichmann, in: dies. (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 1. Aufl., 2016, § 1 Rn. 88. 179   EuGH, Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen) Rn. 13. 176 177

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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den noch verschärfen darf.180 Ob die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts, insbesondere das Gebot des Vertrauensschutzes, auch in horizontalen Rechtsverhältnissen eine unionsrechtlich determinierte Grenze der richtlinienkonformen Auslegung bilden, war demgegenüber lange Zeit umstritten.181 Der Gerichtshof berücksichtigt das Gebot des Vertrauensschutzes in Privatrechtsverhältnissen vor allem bei unmittelbar wirkenden Unionsnormen: Zwar ist die Auslegung einer Unionsnorm durch den EuGH grundsätzlich deklaratorischer Natur; die einzelstaatlichen Gerichte müssen die Vorschriften des Unionsrechts daher in der vom Gerichtshof ausgelegten Fassung rückwirkend auch auf Rechtsverhältnisse anwenden, die vor Erlass des EuGH-Urteils entstanden sind.182 Der Gerichtshof stellte jedoch in einer Reihe von Entscheidungen klar, dass er die Wirkungen eines Urteils aus Gründen der Rechtssicherheit ausnahmsweise in zeitlicher oder gegenständlicher Hinsicht beschränken kann.183 Soweit der Gerichtshof derartige Beschränkungen vornimmt, hat dies zur Folge, dass sich die Unionsbürger nicht auf eine vom EuGH abweichend ausgelegte Norm des Unionsrechts berufen können, um Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, die gutgläubig hinsichtlich der zuvor bestehenden Rechtslage begründet wurden.184 In den Urteilen Heininger185 und Skov186 bestätigte der EuGH, dass diese Rechtsprechung für die richtlinienkonforme Auslegung entsprechend gilt.187 Der Gerichtshof kann dementsprechend nicht nur die unmittelbare Wirkung, sondern auch die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung in zeitlicher oder gegenständlicher Hinsicht beschränken. Dafür müssen allerdings hohe Hürden überwunden werden. Die Wirkungen eines Urteils können nach ständiger Rechtsprechung nur dann beschränkt werden, wenn neben dem guten Glauben der Betroffenen die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Störungen besteht.188 Ersteres ist der Fall, wenn ein Rechtsverhältnis gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden ist, und wenn sich herausstellt, dass die Einzelnen oder die nationalen Behörden zu einem mit der Unionsregelung unvereinbaren Verhalten veranlasst worden sind, weil eine objektive, bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Unionsbestimmungen bestand, zu der eventuell auch das Verhalten anderer Mit180   EuGH, verb. Rs. C‑74 & 129/95 (X) Rn. 25; Rs. C‑168/95 (Arcaro) Rn. 42; Rs. C‑60/02 (X) Rn. 61; verb. Rs. C‑387, 391 & 403/02 (Berlusconi) Rn. 74. Umstritten ist, ob aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts zugleich ein Verbot folgt, die Richtlinienvorgaben strafbegründend oder strafschärfend im nationalen Recht zu berücksichtigen; für ein solches Berücksichtigungsverbot Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 162; Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 208; dagegen Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 305 (Fn. 82), mit (unzutreffendem, da keinen Strafrechtsfall betreffenden) Verweis auf EuGH, Rs. C‑50/96 (Schröder) Rn. 49. 181   Für die Berücksichtigung von Vertrauensschutzaspekten als Grenze der richtlinienkonformen Auslegung in horizontalen Konstellationen bereits GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 8 ff.; Rörig, Direktwirkung, 2001, S. 137; Herdegen, WM 2005, 1921, 1927; Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 302 ff. A. A. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 1994, S. 277 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 371. 182   EuGH, Rs. 61/79 (Denkavit italiana) Rn. 16; Rs. 24/86 (Blaizot) Rn. 27; Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 141; Rs. C‑313/05 (Brzeziński) Rn. 55; Rs. C‑441/14 (Rasmussen) Rn. 38 ff. 183   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 71 – 75; Rs. 262/88 (Barber) Rn. 40 – 45; Rs. C‑128/93 (Fisscher) Rn. 16 – 28; Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 139 – 146; Rs. C‑50/96 (Schröder) Rn.  30 – 50. 184   EuGH, Rs. C‑128/93 (Fisscher) Rn. 18; Rs. C‑313/05 (Brzeziński) Rn. 56. 185   EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger) Rn. 52. 186   EuGH, Rs. C‑403/03 (Skov und Bilka) Rn. 51. 187   Vgl. auch EuGH, Rs. C‑242/09 (Albron Catering) Rn.  33 – 40. 188   EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger) Rn. 52; Rs. C‑403/03 (Skov und Bilka) Rn. 51.

410 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht gliedstaaten oder der Kommission beigetragen hat.189 Schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen sind zu befürchten, wenn die rückwirkende Geltendmachung von Ansprüchen, insbesondere aufgrund der großen Zahl der möglichen Anspruchsinhaber, erhebliche Auswirkungen auf die finanzielle Lage der Unternehmen hätte.190 In den Fällen Defrenne II191 und Barber192 waren diese Voraussetzungen erfüllt. Der Gerichtshof beschränkte die Möglichkeit der betroffenen Arbeitnehmer, rückwirkend ihre auf Art. 119 EWGV (jetzt Art. 157 AEUV) gestützten Ansprüche auf Zugang zu den Pensionsfonds geltend zu machen, da anderenfalls das finanzielle Überleben der Fonds gefährdet gewesen wäre. Im Heininger-Fall lehnte der Gerichtshof demgegenüber eine zeitliche Beschränkung der Urteilswirkungen ab, da das beklagte Kreditinstitut nicht dargelegt hatte, dass der Widerruf von an der Haustür geschlossenen Realkreditverträgen für die Kreditinstitute „erhebliche finanzielle Folgen“ hervorzurufen droht.193 Auch in der Rechtssache Skov sah der Gerichtshof keinen Anlass, die zeitlichen Wirkungen seines Urteils zu beschränken.194 In dem betreffenden Urteil erklärte der EuGH eine dänische Regelung, derzufolge nicht nur der Hersteller, sondern auch der Lieferant verschuldensunabhängig gegenüber Verbrauchern für fehlerhafte Produkte haftete, für unvereinbar mit der Produkthaftungs-RL 85/374. Die Geschädigten befürchteten, infolge des EuGH-Urteils Rückzahlungsansprüchen der Lieferanten ausgesetzt zu sein. Der Gerichtshof sah diese Gefahr jedoch nicht als erwiesen an. Da das dänische Recht Regressklagen kenne, sei davon auszugehen, dass der gegenüber dem Geschädigten als haftbar angesehene Lieferant in der Regel vom Hersteller eine Entschädigung erhalten könne. bb) Sonstige Grenzen? Inwieweit der Grundsatz des Vertrauensschutzes – über die zeitliche oder gegenständliche Begrenzung der Urteilswirkungen hinaus – dem Gebot der richtlinienkonformen Rechtsfindung weitergehende Schranken setzt, ist noch ungeklärt. Verbreitet ist insbesondere die Auffassung, dass die richtlinienkonforme Auslegung und insbesondere die Rechtsfortbildung ausgeschlossen sind, wenn sie im Ergebnis einer unmittelbaren Wirkung gleichkommen: Da Richtlinien aufgrund des Verbots der Privatbelastungen keine horizontale Direktwirkung entfalten, dürfe das unionsrechtlich vorgeschriebene Ergebnis auch nicht im Wege der Auslegung nationalen Rechts erzielt werden.195 Ein solches Verbot lässt sich jedoch in der Rechtsprechung des EuGH nicht nachweisen. Zwar hat der EuGH in Arcaro196 hervorgehoben, dass das Gebot der richtli189   EuGH, Rs. C‑209/03 (Bidar) Rn. 69; C‑423/04 (Richards) Rn. 42; Rs. C‑313/05 (Brzeziński) Rn. 57. In EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 73, begründete der Gerichtshof die Gutgläubigkeit der Betroffenen vor allem mit dem Argument, dass die Kommission trotz der ausgesprochenen Warnungen gegen die Mitgliedstaaten nicht mit einer Vertragsverletzungsklage vorgegangen war. 190   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 69 f.; Rs. 262/88 (Barber) Rn. 44; Rs. C‑128/93 (Fisscher) Rn. 22; Rs. C‑242/09 (Albron Catering) Rn. 37. 191   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn.  69 – 70. 192   EuGH, Rs. 262/88 (Barber) Rn. 44. 193   EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger) Rn. 53. Der EuGH musste daher auf die Gutgläubigkeit der Kreditinstitute nicht mehr eingehen; hierzu Rott, VuR 2002, 49, 51 f. 194   EuGH, Rs. C‑402/03 (Skov und Bilka) Rn. 52 f. 195   Eilmansberger, JBl. 2004, 283, 291 und JBl. 2004, 364, 370; Franzen, JZ 2003, 321, 327; Herdegen, WM 2005, 1921, 1922; Jarass/Beljin, JZ 2003, 768, 776. 196   EuGH, Rs. C‑168/95 (Arcaro) Rn. 42.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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nienkonformen Auslegung seine Grenzen findet, „wenn eine solche Auslegung dazu führt, dass einem einzelnen eine in einer nicht umgesetzten Richtlinie vorgesehene Verpflichtung entgegengehalten wird“. Die betreffende Äußerung erfolgte jedoch im Rahmen eines Strafverfahrens und ist bereits aus diesem Grunde restriktiv zu interpretieren.197 Der Gerichtshof hat die in Arcaro verwendete Formulierung zudem in nachfolgenden Entscheidungen für horizontale Rechtsverhältnisse gerade nicht aufgegriffen, sondern vielmehr betont, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch und gerade in privaten Rechtsverhältnissen gilt.198 Zwar können richtlinienkonforme Rechtsfindung und unmittelbare Wirkung zu gleichen Ergebnissen führen; richtig ist auch, dass die nationale Methodik zusehends durch unionsrechtliche Vorgaben überformt wird. Geltungsgrund des rechtsfortbildend innerstaatlich gewonnenen Ergebnisses bleibt dennoch die jeweils nationale Norm.199 Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung bleibt im Unterschied zur unmittelbaren Wirkung der Richtlinie an das nationale Recht gekoppelt. Soweit eine Rechtsfortbildung aufgrund der innerstaatlichen Kompetenzverteilung nicht möglich ist, verlangt der Gerichtshof gerade keine Auslegung contra legem. e) Nationale (deutsche) Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfindung aa) Contra legem-Grenze Seit der Pupino-Entscheidung200 hebt der EuGH hervor, dass das Unionsrecht den nationalen Richter nicht zu einer contra legem-Auslegung zwingt. Wie der Begriff des contra legem-Judizierens zu verstehen ist, bleibt offen. Der Gerichtshof knüpft mit dieser Formulierung an seine Aussage an, dass das nationale Gericht „nur im Rahmen seiner Zuständigkeit“ seine Auslegung „soweit wie möglich“ „durch die Anwendung seiner Auslegungsmethoden“ an der Richtlinie ausrichten muss.201 Es handelt sich also letztlich um einen Verweis auf die in den nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich gezogenen Grenzen der Rechtsfindung, die sich aus der tradierten Methodenlehre und aus der – u. U. auch verfassungsrechtlich geprägten – Rollenverteilung zwischen Legislative und Judikative ergeben.202 197   So auch GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑456/98 (Centrosteel) Rn. 34; Tridimas, YEL 2002, 327, 349; Prechal, Directives, 2. Aufl., 2005, S. 212. 198   Vgl. EuGH, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores); Rs. C‑ 456/98 (Centrosteel); siehe auch GA Kokott, SchlA, Rs. C‑321/05 (Kofoed) Rn. 65. 199   Im Ergebnis auch BGHZ 179, 27, 39 f. = NJW 2009, 427, 430 (Quelle II); Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 308 f.; Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, 47, 50. Anders Frenz, EWS 2009, 222, 225. 200   EuGH, Rs. C‑105/03 (Pupino) Rn. 47; Rs. C‑212/04 (Adeneler) Rn. 110; Rs. C‑268/06 (Impact) Rn. 100; Rs. C‑109/09 (Deutsche Lufthansa) Rn. 54. Die deutsche Fassung der genannten Urteile ist missverständlich. Hiernach „darf [sic!] der Grundsatz konformer Auslegung nicht zu einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts führen.“ Bereits die englische Fassung der betreffenden Urteile („cannot serve as the basis for the interpretation of national law contra legem“) zeigt indessen, dass kein unionsrechtliches Verbot einer contra legem-Auslegung gemeint ist; W.‑H. Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 14 Rn. 29. In EuGH, verb. Rs. C‑444 & 456/09 (Gavieiro Gavieiro) Rn. 95, formuliert der Gerichtshof dementsprechend sehr viel deutlicher, dass das „vorlegende Gericht nicht gezwungen werden [soll], sein nationales Recht contra legem auszulegen“. 201   Vgl. EuGH, Rs. 14/83 (von Colson & Kamann) Rn. 26 und 28; Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 8; verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn.  116 – 118. 202   W.‑H. Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 13 Rn. 37.

412 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Für das deutsche Recht hat der BGH im Quelle‑II-Urteil hervorgehoben, dass der Begriff des contra legem-Judizierens im Zivilrecht funktionell zu verstehen ist und damit den Bereich bezeichnet, in dem eine richterliche Rechtsfindung nach nationalen Methoden unzulässig ist, weil sie eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers auf Grund eigener rechtspolitischer Vorstellungen ändern will und daher – nach deutschem Verfassungsrecht – die Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt.203 Das BAG ist dieser Auffassung gefolgt.204 Beide Gerichte halten eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung innerhalb der genannten Grenzen für zulässig. Auch das BVerfG erkennt die Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung an.205 Eine tatsächliche oder rechtliche Entwicklung kann, so das BVerfG, eine bis dahin eindeutige und vollständige Regelung lückenhaft, ergänzungsbedürftig und zugleich ergänzungsfähig werden lassen.206 Die Gerichte sind daher befugt und verpflichtet zu prüfen, wie das Gesetzesrecht auf neue Zeitumstände anzuwenden ist. Die verfassungsrechtlichen Schranken der Rechtsfortbildung sind für das Zivilrecht allerdings noch nicht vollständig ausgelotet.207 bb) Bewusste Umsetzungsverweigerung Anerkannt ist, dass eine Rechtsfortbildung unzulässig ist, wenn sie dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und zugleich dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers widerspricht. Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war.208 Diese Grenze wird jedenfalls dann überschritten, wenn die Richtlinienwidrigkeit nationalen Rechts auf einer bewussten Umsetzungsverweigerung beruht, wenn also der Gesetzgeber eine Richtlinie entweder überhaupt nicht umsetzen oder von den Richtlinienvorgaben (mit dem vom EuGH gefundenen Inhalt) bewusst abweichen wollte und dies deutlich zum Ausdruck gebracht hat.209 Fehlt es an einer solchen Umsetzungsverweigerung, so ist dagegen – im Einklang mit dem Urteil Pfeiffer – regelmäßig davon auszugehen, dass der nationale Gesetzgeber beim Erlass des Umsetzungsgesetzes den Vorgaben der Richtlinie entsprechen 203

  BGHZ 179, 27, 34 f. = NJW 2009, 427, 428 f. (Quelle II).   BAGE 130, 119, 137 f. = EuZW 2009, 465, 469. Das BAG verweist dabei zusätzlich auf das Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). 205   BVerfGE 34, 269, 287 = NJW 1973, 1221, 1225 (Soraya); BVerfGE 82, 6, 12 = NJW 1990, 1593 f. (Nichteheliche Lebensgemeinschaften); BVerfGE 96, 375, 394 = NJW 1998, 519, 520 (Unterhaltspflicht bei fehlgeschlagener Sterilisation); BVerfG, NJW 2006, 3409 (Marlene Dietrich); BVerfG, NJW 2011, 288, 290 (Geräteabgabe für Drucker und Plotter). 206   So zuletzt BVerfG, NJW 2011, 288, 290 (Geräteabgabe für Drucker und Plotter), zur verfassungskonformen Rechtsfortbildung. 207   Für Fälle, in denen eine vom BGH vorgenommene Rechtsfortbildung für verfassungswidrig erklärt wurde, vgl. BVerfGE 49, 304 = NJW 1979, 305 (Haftung von Sachverständigen); BVerfG, NJW 2011, 836 (Dreiteilungsmethode bei Bemessung des nachehelichen Unterhalts). 208   BVerfGE 34, 269, 292 = NJW 1973, 1221, 1226 (Soraya); BVerfGE 82, 6, 11 f. = NJW 1990, 1593 (Nichteheliche Lebensgemeinschaften); BVerfG, NJW 2011, 836, 838 (Dreiteilungsmethode bei Bemessung des nachehelichen Unterhalts); BGHZ 179, 27, 38 = NJW 2009, 427, 430 (Quelle II); BAGE 117, 281, 289 = NJW 2006, 3161, 3164. 209   BAGE 117, 281, 289 = NJW 2006, 3161, 3164; Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 452; Grundmann, ZEuP 1996, 399, 420; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 399 f.; Schnorbus, AcP 201 (2001), 860, 882, 889; Schlachter, RdA 2005, 115, 118; Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, 47, 51; Herresthal, NJW 2008, 2475, 2477. A. A. Herrmann, Richtlinienumsetzung, 2003, S. 142. 204

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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wollte. Für eine solche Vermutung streitet nicht zuletzt der Umstand, dass bei gegenteiliger Behauptung unterstellt werden müsste, dass der Gesetzgeber sehenden Auges einen Staatshaftungsanspruch wegen unzutreffender Umsetzung riskieren wollte.210 Der generelle Umsetzungswille ist daher gegenüber der konkreten Regelungsabsicht vorrangig, solange nicht Hinweise dafür vorliegen, dass der Gesetzgeber eine richtlinienwidrige Lösung bewusst verfolgt hat. Wird in den Gesetzesmaterialien die Richtlinienkonformität der betreffenden Regelung behauptet, kann dies ein zusätzliches Indiz dafür sein, dass der Gesetzgeber die Absicht hatte, eine richtlinienkonforme Lösung zu schaffen. Dieser vom BGH in der Quelle‑II-Entscheidung verfolgte Ansatz ist aber nicht in dem Sinne zu generalisieren, dass die richtlinienkonforme Rechtsfindung stets irgendeinen Hinweis in den Gesetzesmaterialien verlangte. Ein solches Erfordernis würde zum einen gegen die vom EuGH aufgestellte Vorgabe verstoßen, dass bei Auslegung angeglichenen Rechts regelmäßig zu unterstellen ist, dass der jeweilige Mitgliedstaat die Absicht hatte, den sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen.211 Zum anderen stünde diese Voraussetzung im Widerspruch zu dem unionsrechtlichen Gebot, dass nicht nur transformiertes, sondern auch früher erlassenes Recht am Maßstab der Richtlinie auszulegen ist.212 Den deutschen Gerichten muss es daher möglich sein, das nationale Recht auch dann richtlinienkonform fortzubilden, wenn keine Gesetzesmaterialien vorhanden sind, die auf einen konkret geäußerten Umsetzungswillen des Gesetzgebers schließen lassen.213 cc) Vollständiger Funktionsverlust Nicht vollständig geklärt ist die Frage, ob die richtlinienkonforme Rechtsfindung zu einem vollständigen Funktionsverlust der richtlinienwidrigen Norm führen darf. Der BGH hat sich zu diesem Problem noch nicht eindeutig geäußert. Auf der einen Seite führte die im Heininger‑II-Urteil vorgenommene einschränkende Auslegung des § 5 Abs. 2 HWiG dazu, dass der Vorschrift kein nennenswerter Anwendungsbereich mehr verblieb.214 Auf der anderen Seite ließ der BGH aber sowohl im Quelle‑IIUrteil215 als auch in der Gebr. Weber & Putz-Anschlussentscheidung216 die Frage, ob 210   So jetzt auch BVerfG, VersR 2016, 1037, 1042, Rn. 44 (zur Endress-Nachfolgeentscheidung des BGH): „Der Besonderheit, dass das nationale Recht unter Umständen unionsrechtlich determiniert ist, etwa weil es sich um ein Umsetzungsgesetz zu einem unionalen Rechtsakt wie einer Richtlinie handelt, kann innerstaatlich durch die Annahme Rechnung getragen werden, dass der mitgliedstaatliche Gesetzgeber im Zweifel nicht gegen seine Pflicht aus Art. 288 Abs. 3 AEUV verstoßen wollte, das Ziel der Richtlinie umzusetzen“. 211   EuGH, Rs. C‑334/92 (Wagner Miret) Rn. 20; verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 112. 212   EuGH, Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 8; Rs. C‑91/92 (Faccini Dori) Rn. 26 ; verb. Rs. C‑240 –  244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 30; verb. Rs. C‑397 – 403/01 (Pfeiffer u. a.) Rn. 115. 213   Im Ergebnis auch Gebauer, GPR 2009, 82, 85. 214   BGHZ 150, 248, 260 ff. = NJW 2002, 1881, 1884 (Heininger II). Der BGH erstreckte die richtlinienkonforme Auslegung insbesondere auch auf solche Verträge, die zwar nicht unmittelbar der HWiRL unterfallen, die aber nach nationalem Recht die Voraussetzungen eines Haustürgeschäfts erfüllen. 215   BGHZ 179, 27, 38 = NJW 2009, 427, 430 (Quelle II), mit Hinweis darauf, dass § 439 Abs. 4 BGB auch bei einer teleologischen Reduktion in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs hinsichtlich der Verweisung auf die Rücktrittsvorschriften über die Rückgewähr der mangelhaften Sache sowie in den übrigen Fällen (insbesondere zwischen Unternehmern) insgesamt anwendbar bleibt. 216   BGH, NJW 2012, 1073, 1078, Rn. 45 (Gebr. Weber & Putz).

414 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht im Rahmen einer unionsrechtskonformen Rechtsfortbildung die vollständige Nichtanwendung einer Norm gerechtfertigt sein kann, mangels Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offen. Die wohl herrschende Ansicht im Schrifttum geht zu Recht davon aus, dass der nationalen Norm noch ein gewisser Anwendungsbereich verbleiben muss.217 Der vollständige Funktionsverlust einer Norm führt nämlich de facto zu deren Derogation und damit letztlich dazu, dass der gesetzgeberische Regelungswille vollständig negiert wird. dd) Rechtssicherheit und Vertrauensschutz Weitere Grenzen können sich aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und dem Grundsatz des Vertrauensschutzes ergeben. Beide Grundsätze sind dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) immanent. Vertrauensschutz bedeutet u. a. Schutz vor Rückwirkung. Der BGH formuliert daher in seiner Quelle‑II-Entscheidung: „Durfte die betroffene Partei mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und verdient dieses Interesse bei einer Abwägung mit den Belangen des Vertragspartners und den Anliegen der Allgemeinheit den Vorzug, so liegt ein Eingriff in rechtlich geschützte Positionen vor“.218

Der im nationalen (deutschen) Verfassungsrecht verankerte Grundsatz des Vertrauensschutzes tritt nach Auffassung einiger Autoren219 und wohl auch nach Ansicht des BGH220 und des BAG221 neben den unionsrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutz. Unproblematisch ist der Fall, dass der nationale Vertrauensschutz hinter dem unionsrechtlich geforderten Standard zurückbleibt. Soweit der EuGH die Wirkungen seines Urteils beschränkt, hindert das Unionsrecht die einzelstaatlichen Gerichte nicht daran, in Zivilstreitigkeiten nationale Vorschriften anzuwenden, durch die ein unionsrechtskonformes Ergebnis erzielt wird.222 Ob umgekehrt der nationale Vertrauensschutz über den unionsrechtlich gewährleisteten Standard hinausgehen darf, ist demgegenüber ungeklärt und müsste letztlich vom EuGH entschieden werden. In den Fällen Heininger II und Quelle II stellte sich diese Frage nicht, denn in beiden Verfahren war das Vertrauen der betroffenen Unternehmen nach Auffassung des BGH nicht schützenswert, da die Richtlinienkonformität der einschlägigen Vorschriften (§ 5 Abs. 2 HWiG, § 439 Abs. 4 BGB) bereits vor den Entscheidungen des EuGH von zahlreichen Stimmen im Schrifttum angezweifelt worden war. Auch der 9. Senat des BAG nahm mit Urteil v. 24.3.2009 im Anschluss an die Schultz-Hoff-Entscheidung223 des EuGH eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung 217   Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 94; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Deutsches Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 4 Rn. 51; Mörsdorf, EuR 2009, 219, 231; Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, 47, 53; a. A. Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 321 ff.; W.‑H. Roth/ Jopen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 13 Rn. 65. 218   BGHZ 179, 27, 39 = NJW 2009, 427, 430 (Quelle II) mit Verweis auf BVerfGE 72, 175, 196; BVerfGE 84, 212, 227 = NJW 1991, 2549; BGHZ 132, 119, 130 = NJW 1996, 1467. 219  Vgl. Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 305 f., der jedoch gleichzeitig betont (a. a. O., 311), dass dem Vertrauen der Betroffenen nur begrenzt Rechnung getragen werden könne, da die Pflicht zur effektiven und einheitlichen Geltung des Unionsrechts zu beachten sei. 220   Sowohl im Heininger II-Urteil als auch im Quelle II-Urteil prüfte der BGH, ob die vorgenommene Auslegung mit dem nationalen Vertrauensschutzprinzip vereinbar ist; BGHZ 150, 248, 257 f. = NJW 2002, 1881, 1883 (Heininger II); BGHZ 179, 27, 39 = NJW 2009, 427, 430 (Quelle II). 221   BAGE 117, 281, 292 f. = NJW 2006, 3161, 3165; BAGE 130, 119, 139 f. = EuZW 2009, 465, 470. 222   EuGH, Rs. C‑50/96 (Schröder) Rn.  46 – 48; verb. Rs.  C‑270 – 271/97 (Deutsche Post) Rn.  48 – 52. 223   EuGH, verb. Rs. C‑350 & 520/06 (Schultz-Hoff u. a.).

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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des BUrlG vor, ohne ein rechtlich geschütztes Vertrauen des betroffenen Arbeitgebers anzuerkennen.224 Der Senat begründete seine Entscheidung zum einen damit, dass der EuGH im Fall Schultz-Hoff davon abgesehen hatte, die Rückwirkung seiner Entscheidung auszuschließen; zum anderen habe der beklagte Arbeitgeber zumindest seit Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache Schultz-Hoff damit rechnen müssen, den betreffenden Teilurlaubsanspruch noch erfüllen zu müssen. Demgegenüber hatte der 2. Senat des BAG noch einige Jahre zuvor im Anschluss an die Junk-Entscheidung225 des EuGH den betroffenen Arbeitgebern rückwirkenden Vertrauensschutz bei Massenentlassungsanzeigen gewährt, ohne den EuGH mit der Frage zu befassen, ob eine richtlinienkonforme Auslegung am nationalen Vertrauensschutzstandard scheitern darf.226 Eine solche Vorgehensweise ist indessen schon deswegen problematisch, weil gerade nicht auszuschließen ist, dass die im nationalen Recht vorgesehenen Vertrauenstatbestände durch unionsrechtliche Vorgaben überlagert werden. 4. Kumulative Anwendung von Richtlinien und Primärrecht Besondere Fragen stellen sich, wenn nationales Recht in Privatrechtsstreitigkeiten sowohl am Maßstab einer Richtlinie als auch anhand unmittelbar wirkenden Primärrechts gemessen wird. Die kombinierte Anwendung von Primär- und Sekundärrecht kann – wie die Entscheidungen Mangold227 und Kücükdeveci228 zeigen – zur Folge haben, dass Richtlinienbestimmungen auch im Verhältnis unter Privatpersonen eine (negative) unmittelbare Wirkung entfalten: Verstößt eine nationale Norm nicht nur gegen Richtlinienvorgaben, sondern zugleich gegen unmittelbar wirkendes Primärrecht, so muss sie nach Auffassung des Gerichtshofs selbst dann unangewendet bleiben, wenn eine richtlinienkonforme Rechtsfindung der mitgliedstaatlichen Vorschrift wegen Überschreitens der contra legem-Grenze ausscheidet. a) Vor-Mangold-Rechtsprechung Die vom Gerichtshof in Mangold und Kücükdeveci entwickelten Vorgaben sind neu. Bislang wendete der EuGH primärrechtliche Vorgaben und Richtlinienrecht nicht kumulativ, sondern alternativ an. Ein Beispiel für diese Vorgehensweise bildet die Rechtsprechung zum Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben: Dass Art. 119 EWGV (jetzt 157 AEUV) auch in horizontalen Streitigkeiten unmittelbar wirkt und Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehendem nationalem Recht genießt, zählt seit Defrenne II229 zu den Grundannahmen des Unionsrechts. Ebenso ist seit langem anerkannt, dass eine Richtlinie, die erlassen wurde, um die Anwendung primärrechtlicher Gebote sicherzustellen, nicht die Reichweite unmittelbar anwendbaren Primärrechts schmälern darf. So führte der Gerichtshof schon in Defrenne II230 aus, dass die Entgelt-RL 75/117 zwar die materielle Tragweite 224

  BAGE 130, 119, 139 f. = EuZW 2009, 465, 469 f.   EuGH, Rs. C‑188/03 (Junk). 226   BAGE 117, 281, 393 ff. = NJW 2006, 3161, 3165 f. 227   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold). 228   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci). 229   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II). 230   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 60. 225

416 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht von Art. 119 EWGV in einigen Punkten präzisiere, aber die Wirksamkeit dieses Artikels oder seinen zeitlichen Geltungsbereich nicht ändere. Im Urteil Jenkins231 befand der Gerichtshof, dass die Entgelt-RL 75/117 in keiner Weise den „Inhalt oder die Tragweite“ von Art. 119 EWGV berühre. Gleichzeitig hielt der EuGH aber auch für das Antidiskriminierungsrecht daran fest, dass die Art. 119 EWGV konkretisierenden Richtlinien keine unmittelbare Wirkung unter Privaten entfalten.232 Dies führte in der Vergangenheit zu schwierigen Abgrenzungsproblemen zwischen dem unmittelbar anwendbaren Art. 119 EWGV einerseits und den nicht unmittelbar anwendbaren Antidiskriminierungsrichtlinien andererseits,233 hatte doch der Gerichtshof in der Rechtssache Defrenne III klargestellt, dass Art. 119 EWGV grundsätzlich nicht über das Arbeitsentgelt hinaus auf sonstige Arbeitsbedingungen erstreckt werden kann.234 b) Die Entscheidungen Mangold und Kücükdeveci aa) Die Urteile des EuGH Ganz anders verfährt der EuGH dagegen in der Rechtssache Mangold.235 In dem zugrunde liegenden Verfahren hatte der Kläger gegen die in § 14 Abs. 3 TzBfG a. F. vorgesehene Befristung seines Arbeitsverhältnisses geklagt und sich hierfür insbesondere auf die Rahmen-RL 2000/78 zur arbeitsrechtlichen Gleichbehandlung berufen, die eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund des Alters untersagt. Zum Zeitpunkt des Verfahrens war die Frist für die Umsetzung der Richtlinie allerdings noch nicht abgelaufen. Der Gerichtshof entschied dennoch zugunsten des Klägers. In der Urteilsbegründung stellte der EuGH zunächst fest, dass die in § 14 Abs. 3 TzBfG a. F. vorgesehene Befristungsmöglichkeit eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung darstellt, die nicht nach Art. 6 RL 2000/78 gerechtfertigt werden kann.236 Dass die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war, hielt der EuGH für unbeachtlich. Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters sei als ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen, der seinen Ursprung in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten habe, und unabhängig von der Umsetzung der Richtlinie Wirkungen entfalte.237 Das vorlegende Arbeitsgericht müsse daher § 14 Abs. 3 TzBfG a. F. „unangewendet lassen“. Der Gerichtshof verfolgt damit einen zweispurigen Begründungsansatz. Während das Vorliegen einer Diskriminierung und etwaige Rechtfertigungsgründe am Maßstab der RL 2000/78 gemessen werden, verweist das Gericht für die Wirkungen auf einen neu geschaffenen primärrechtlichen allgemeinen Rechtsgrund231

  EuGH, Rs. 96/80 (Jenkins) Rn. 22.   Vgl. EuGH, Rs. C‑196/02 (Nikoloudi) Rn. 71, zur Beweislast-RL 97/80, die gem. ihrem Art. 3 Abs. 1a auf Situationen anwendbar ist, die von Art. 119 EWGV, der Entgelt-RL 75/117 und der Allgemeinen Gleichbehandlungs-RL 76/207 erfasst werden. 233  Hierzu infra, § 9 B.I.3. 234   EuGH, Rs. 149/77 (Defrenne III) Rn. 19/23; seitdem st. Rspr., vgl. EuGH, Rs. C‑476/99 (Lommers) Rn. 28; kritisch Costello/Davies, CMLR 2006, 1567, 1577 („there seems little underlying reason why the scope of prohibited discrimination should vary for pay and employment, particularly since in many cases ‚employment‘ has financial ramifications. (. . .) Going forward, it may be hoped that greater symmetry between equal pay and equal treatment rules will emerge.“). 235   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold). 236   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold) Rn.  55 – 66. 237   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold) Rn. 74 ff. 232

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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satz der Altersdiskriminierung, der nicht in der RL 2000/78 verankert ist, sondern von dieser vorausgesetzt wird. Auf diese Weise erlangen die in der Richtlinie aufgestellten Vorgaben de facto eine (negative) horizontale Dritt-Vor-Wirkung. Der Gerichtshof bestätigte und präzisierte seine Rechtsprechung gut vier Jahre später in der Entscheidung Kücükdeveci.238 In dem betreffenden Fall klagte eine damals 28jährige Arbeitnehmerin gegen die durch ihren privaten Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung. Die Arbeitnehmerin war bei diesem seit ihrem 18. Lebensjahr, also insgesamt 10 Jahre, beschäftigt. Der Arbeitgeber berechnete die Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB, legte also eine Beschäftigungsdauer von lediglich drei Jahren zugrunde und ließ die vor Vollendung des 25. Lebensjahres zurückgelegten Beschäftigungszeiten, wie in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB vorgesehen, außer Acht. Die Arbeitnehmerin war der Auffassung, dass § 622 Abs. 2 S. 2 BGB gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung verstoße und daher unangewendet bleiben müsse, so dass in ihrem Fall aufgrund der zehnjährigen Betriebszugehörigkeit die viermonatige Frist des § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 BGB gelte. Der Gerichtshof betont in seinem Urteil zunächst unter Verweis auf seine Mangold-Entscheidung, dass das Verbot der Altersdiskriminierung ein allgemeiner Grundsatz auch des primären Unionsrechts ist, der durch die Richtlinie 2000/78 konkretisiert werde.239 Das Verbot der Altersdiskriminierung folge zudem aus Art. 21 Abs. 1 GRC.240 Da die Umsetzungsfrist der RL 2000/78 abgelaufen sei und die fragliche nationale Regelung einen von der Richtlinie geregelten Bereich erfasse, falle das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung in den Anwendungsbereich des Unionsrechts.241 § 622 Abs. 2 S. 2 BGB sei daher „auf der Grundlage des jede Diskriminierung wegen des Alters verbietenden allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts, wie er in der RL 2000/78 konkretisiert ist, zu prüfen“.242 Dessen ungeachtet misst der Gerichtshof jedoch im Anschluss hieran § 622 Abs. 2 S. 2 BGB sowohl hinsichtlich des Vorliegens einer Ungleichbehandlung als auch hinsichtlich einer möglichen Rechtfertigung ausschließlich an der RL 2000/78. Die Vorschrift beinhalte, so der Gerichtshof, eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Alters i. S. d. Art. 2 Abs. 1 RL 2000/78, die nicht nach Art. 6 Abs. 1 gerechtfertigt werden könne.243 Die Rechtsfolge (= negative unmittelbare Wirkung) wird demgegenüber dem Primärrecht entnommen: Das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung in seiner Konkretisierung durch die RL 2000/78 stehe, so der Gerichtshof, einer nationalen Regelung wie § 622 Abs. 2 S. 2 BGB entgegen.244 Das nationale Gericht müsse daher erforderlichenfalls eine dem Altersdiskriminierungsverbot entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lassen, unabhängig davon, ob es von seiner Befugnis Gebrauch mache, in den Fällen des Art. 267 Abs. 2 AEUV den EuGH im Wege der Vorabentscheidung um Auslegung dieses Verbots zu ersuchen.245

238

  EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci).   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn. 20 f. 240   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn. 22. 241   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn.  23 – 26. 242   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn. 27. 243   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn.  28 – 42. 244   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn. 43. 245   EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn. 45, 51. 239

418 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht bb) Allgemeines Verbot der Altersdiskriminierung Die Entscheidungen Mangold und Kücükdeveci sind im Schrifttum,246 aber auch bei vielen Generalanwälten247 auf berechtigte Kritik gestoßen. Bedenklich erscheint bereits die methodische Herleitung des ungeschriebenen primärrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung. Ein solches Verbot kommt weder in den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten noch in der EMRK hinreichend zum Ausdruck.248 Ein allgemeines Verbot der Altersdiskriminierung kann auch nicht auf Art. 19 AEUV gestützt werden,249 denn bei dieser Norm handelt es sich um eine reine Ermächtigungsgrundlage, die nach unbestrittener Auffassung gerade keine unmittelbare Wirkung entfaltet.250 Immerhin hat sich die Rechtslage seit Inkrafttreten des LissabonVertrages insoweit geändert, als die nach Art. 6 Abs. 1 EUV für rechtsverbindlich erklärte Charta nunmehr ausdrücklich ein Verbot der Altersdiskriminierung beinhaltet (Art. 21 Abs. 1 GRC). Für zukünftige Fälle kann daher kein Zweifel mehr an einem primärrechtlichen Altersdiskriminierungsverbot bestehen.251 Die Charta war indessen weder in Mangold noch in Kücükdeveci anwendbar, denn beide Verfahren betrafen die Rechtslage vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages. Beide Entscheidungen lassen sich daher nur rechtfertigen, wenn man – wie der Gerichtshof dies in anderen Verfahren auch getan hat252 – davon ausgeht, dass die Charta Vorwirkungen entfaltete und damit mittelbar rechtserheblich war. cc) Kombinierte Anwendung von Primär- und Sekundärrecht Weitaus folgenreicher ist die methodische Vorgehensweise, die der EuGH für die Prüfung nationalen Rechts am Maßstab des Primär- und Sekundärrechts zugrunde legt. Der Gerichtshof misst das Vorliegen einer Diskriminierung und die etwaigen Rechtfertigungsgründe sowohl in Mangold als auch in Kücükdeveci ausschließlich am 246  Zur Mangold-Entscheidung vgl. Gerken/Rieble/Roth/Stein/Streinz, „Mangold“ als ausbrechender Rechtsakt, 2009, m. w. N.; Hailbronner, NZA 2006, 811; Preis, NZA 2006, 401; Reich, EuZW 2006, 20; Streinz/Herrmann, RdA 2007, 165; Thüsing, ZIP 2005, 2149. Zum Urteil Kücükdeveci siehe Fischinger, ZEuP 2011, 201; Franzen, GPR 2010, 81; Seifert, EuR 2010, 802; Thüsing, ZIP 2010, 199; Thüsing/Horler, CMLR 2010, 1161. 247  Zur Mangold-Entscheidung GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑13/05 (Chacón Navas) Rn.  53 – 56; GA Mazák, SchlA, Rs. 411/05 (Palacios de la Villa) Rn. 83 – 94 und 136 – 139; GA Ruiz-Jarabo Colomer, SchlA, verb. Rs. C‑55 – 56/07 (Michaeler) Rn. 21 ff.; GA Kokott, SchlA, Rs. C‑73/07 (Tietosuojavaltuutettu) Rn. 102 ff. Zum Urteil Kücükdeveci vgl. nur GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑45/09 (Rosenbladt) Rn. 64 (Fn. 27). 248  Ausführlich Preis, NZA 2006, 401, 406; ders., NZA 2010, 401, 405 f.; Streinz/Herrmann, RdA 2007, 165, 168; Gerken/Rieble/Roth/Stein/Streinz, „Mangold“ als ausbrechender Rechtsakt, 2009, S. 19 ff. 249   In diese Richtung jedoch GA Bot, SchlA, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn. 77. 250  EuG, verb. Rs. T‑219/02 und T‑337/02 (Herrera) Rn. 89; Calliess/Ruffert/Epiney, EUV/ AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 19 AEUV Rn. 1; G/H/N/Grabenwarter, 58. EL, 2016, Art. 19 AEUV Rn. 6; Preis, NZA 2006, 401, 407. A. A. Schwarze/Holoubek, EU‑Kommentar, 2. Aufl., 2009, Art. 13 EGV Rn. 9. 251   So auch LAG Düsseldorf, NZA-RR 2010, 240 (Kücükdeveci II); Bauer/v. Medem, ZIP 2010, 449, 450. 252   Der Gerichtshof hat in seiner Entscheidung zur Familienzusammenführungs-RL erstmals anerkannt, dass die GRC Vorwirkungen entfaltet und als Rechtserkenntnisquelle für die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze herangezogen werden kann; EuGH, Rs. C‑540/03 (Parlament/Rat) Rn. 38. Seitdem st. Rspr.; vgl. nur Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 37; Rs. C‑303/05 (Advocaten voor de Wereld) Rn. 46; Rs. C‑12/08 (Mono Car Styling) Rn. 47.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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Maßstab der Richtlinie. Die unmittelbare Wirkung wird dagegen aus dem Primärrecht hergeleitet. Da das Verbot der Altersdiskriminierung nach Auffassung des Gerichtshofs nicht in der Richtlinie verankert ist, sondern dort nur konkretisiert wird, muss das nationale Gericht aufgrund des Primärrechts jede diesem Verbot entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lassen. Dem Gerichtshof gelingt es auf diese Weise, das Verbot der horizontalen Direktwirkung für Richtlinien formal aufrechtzuerhalten.253 Gleichzeitig wird der Gehalt der Richtlinie aber zum unmittelbar unter Privaten wirkenden Primärrechtsgebot „hochgezont“.254 In dogmatischer Hinsicht vermag diese Vorgehensweise kaum zu überzeugen. Primärrecht kann nicht im Lichte des Sekundärrechts ausgelegt werden. Der Gerichtshof hätte das primärrechtliche Gebot der Altersdiskriminierung vielmehr autonom auslegen müssen. Zwar wäre auch bei autonomer Auslegung des Primärrechts nicht auszuschließen gewesen, dass der EuGH zu gleichen Ergebnissen gelangt wäre.255 Durch die vom Gerichtshof favorisierte Vorgehensweise wird jedoch verschleiert, dass ein Gleichlauf von Primärrecht und Richtlinien wohl eher die Ausnahme bildet. Richtlinien gehen regelmäßig über die primärrechtlichen Vorgaben hinaus. Sie werden vom Unionsgesetzgeber gerade deswegen erlassen, weil die vom Unionsrecht anvisierten Ziele nur unzureichend durch das Primärrecht verwirklicht werden können. Trifft eine Richtlinie aber Vorgaben, die über den Gehalt des Primärrechts hinausreichen, so lassen sich die bei unzureichender Richtlinienumsetzung eintretenden Rechtsfolgen eben nicht mehr aus dem Primärrecht herleiten. dd) Der Honeywell-Beschluss des BVerfG Das BVerfG hat in seinem Honeywell-Beschluss v. 6.7.2010256 festgestellt, dass es sich bei der Mangold-Entscheidung nicht um einen „ausbrechenden Rechtsakt“ im Sinne Maastricht-Entscheidung257 handelt. Nach Auffassung des BVerfG muss die Ultra-vires-Kontrolle europarechtsfreundlich ausgeübt werden.258 Sie ist auf Fälle einer „ersichtlichen“ – also offensichtlichen – Kompetenzüberschreitung der Organe beschränkt, welche „im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Union im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die rechtsstaatliche Gesetzesbindung erheblich ins Gewicht fällt“.259 Ausgehend von diesen Grundsätzen stellte das BVerfG fest, dass die Anerkennung des Verbots der Altersdiskriminierung als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts in der Rechtssache Mangold keine offensichtliche und strukturwirksame Verletzung des Prinzips der Einzelermächtigung darstellt.260 Auch die vom EuGH angenommene Vorwirkung der RL 2000/78 habe nicht zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zu Lasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen geführt.261 Der Gerichtshof habe insoweit lediglich eine weitere Fallgruppe 253

  Vgl. EuGH, Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci) Rn. 46.  So Preis, NZA 2006, 401, 405; Streinz/Herrmann, RdA 2007, 165, 169.   Fischinger, ZEuP 2011, 201, 206 f. 256   BVerfGE 126, 286 = NJW 2010, 3422 (Honeywell). Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen die Mangold-Umsetzungsentscheidung des BAG; BAGE 118, 76 = NZA 2006, 1162. 257   BVerfGE 89, 155, 188 (Maastricht). 258   BVerfGE 126, 286, 303 = NJW 2010, 3422, 3424 (Honeywell) Rn. 58. 259   BVerfGE 126, 286, 304 f. = NJW 2010, 3422, 3424 (Honeywell) Rn. 61. 260   BVerfGE 126, 286, 312 f. = NJW 2010, 3422, 3426 (Honeywell) Rn. 78. 261   BVerfGE 126, 286, 311 f. = NJW 2010, 3422, 3426 (Honeywell) Rn. 77. 254 255

420 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht für die sog. negative Wirkung von Richtlinien geschaffen, die der Effektuierung bestehender Rechtspflichten der Mitgliedstaten diene, aber keine neuen, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verletzenden Pflichten der Mitgliedstaaten begründe. Überträgt man diese Maßstäbe auf die Kücükdeveci-Entscheidung, so kann auch dieses Urteil nicht als „ausbrechender Rechtsakt“ betrachtet werden. Zwar geht der EuGH in dieser Entscheidung insoweit über Mangold hinaus, als gleichzeitig festgestellt wird, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte der Mitgliedstaaten das Recht haben, ohne vorangehende Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens innerstaatliche Vorschriften, die gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstoßen, unangewendet zu lassen. Die Machtbalance zwischen EuGH und BVerfG wird hierdurch jedoch nicht verschoben. Das BVerfG ist nicht zuständig, über die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht zu entscheiden. Die Entscheidung verletzt insbesondere nicht das Normverwerfungsmonopol des BVerfG (Art. 100 Abs. 1 GG), geht es doch gerade um den Verstoß gegen das Unionsrecht, nicht aber um die Verfassungswidrigkeit einer nachkonstitutionellen Norm.262 c) Übertragung der Mangold-Doktrin auf sonstige Unionsgrundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze? aa) Gleichheitsrechte Der in Mangold und Kücükdeveci zugrunde gelegte methodische Ansatz legt die Vermutung nahe, dass der EuGH das in diesen Urteilen entwickelte Instrumentarium bei Bedarf auf sonstige Unionsgrundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze ausdehnen wird. Seit dem Lissabon-Vertrag liegt mit der Charta ein geschriebener Grundrechtekatalog vor, an den nahezu sämtliche Mitgliedstaaten gebunden sind. Art. 21 Abs. 1 GRC enthält dabei nicht nur ein Verbot der Altersdiskriminierung, sondern eine (nicht abschließende) umfangreiche Liste verbotener Diskriminierungsmerkmale. Diese umfasst die Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung oder der sexuellen Ausrichtung. Viele der in Art. 21 Abs. 1 GRC genannten Diskriminierungsverbote werden durch die Richtlinie 2000/78 und weitere Sekundärrechtsakte263 näher ausgestaltet. Der Gerichtshof könnte daher die in Mangold und Kücükdeveci entwickelten Grundsätze konsequenterweise auch auf diese Diskriminierungsverbote erstrecken.264 262   So auch Preis/Temming, NZA 2010, 185, 194; Seifert, EuR 2010, 802, 809; a. A. Link, NJW 2010, 430, 431. Nach Wackerbarth/Kreße, EuZW 2010, 252 ff., sind deutsche Gerichte in einem Rechtsstreit, in dem der EuGH eine nationale Norm für unanwendbar erklärt wird, dennoch nicht befugt, ohne vorherige Anrufung des BVerfG (Art. 100 Abs. 1 GG) den Fall zu entscheiden, da allein das BVerfG prüfen könne, ob die infolge der Nichtanwendung sich ergebende Rechtslage noch verfassungsgemäß ist. 263   Zu denken ist insbesondere an die Antirassismus-RL 2000/43 sowie an die Gender-RL 2004/ 113. 264   So auch die Einschätzung von Preis/Temming, NZA 2010, 185, 190; Bauer/v. Medem, ZIP 2010, 449, 452; Thüsing, ZIP 2010, 199, 201. Vgl. zuvor auch Reich, EuZW 2006, 20, 21; Richter/ Bouchouaf, NVwZ 2006, 538, 540. Dezidiert gegen eine unmittelbare privatrechtliche Wirkung von Diskriminierungsverboten Basedow, ZEuP 2008, 230, 248 f.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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bb) Freiheitsrechte; Grundsatz des Verbraucherschutzes Einige Stimmen im Schrifttum plädieren weitergehend dafür, die Mangold-Doktrin auf die in der Charta geregelten Freiheitsrechte zu übertragen.265 Preis & Temming halten es sogar für denkbar, dass der EuGH ein ungeschriebenes subsidiäres Unionsgrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 EUV herleiten könnte, so dass es Privaten unter Umständen möglich sei, auf diese Weise den Verstoß gegen die ordnungsgemäße Richtlinienumsetzung generell zu rügen, sofern nicht spezielle Freiheitsrechte einschlägig seien. Nach Auffassung von Mörsdorf soll der vom EuGH entwickelte Ansatz darüber hinaus für sämtliche Richtlinien gelten, die den in Art. 38 GRC niedergelegten Grundsatz des Verbraucherschutzes konkretisieren.266 Zwar sei Art. 38 GRC angesichts der unbestimmten Vorgaben der Norm und der Entstehungsgeschichte nicht als Grundrecht, sondern nur als Grundsatz zu qualifizieren.267 Die Norm begründe daher keine eigenständige Klagebefugnis (vgl. Art. 52 Abs. 5 GRC). Auch Grundsätze seien jedoch justiziabel, wenn es um die Rechtmäßigkeit von mitgliedstaatlichen Durchführungsmaßnahmen gehe.268 Soweit eine nationale Regelung im Anwendungsbereich der zahlreichen Verbraucherschutzrichtlinien die den Verbrauchern durch die jeweilige Richtlinie eingeräumten Rechte einschränke, dürfe ein nationales Gericht die betreffende Vorschrift nach der Mangold-Doktrin nicht mehr anwenden, da der Verstoß gegen die Richtlinie zugleich einen Verstoß gegen den durch die Richtlinie konkretisierten Grundsatz des Verbraucherschutzes beinhalte. Demnach hätte es im Quelle-Fall eines Rückgriffs auf die vom BGH bemühten Grundsätze der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung überhaupt nicht bedurft, um zur Unanwendbarkeit des § 439 Abs. 4 BGB zu gelangen. Darüber hinaus erwägt Mörsdorf für zwingende Vorgaben sog. vollharmonisierender Verbrauchervertragsrichtlinien eine negative unmittelbare Wirkung der Richtlinienvorgaben zugunsten der Unternehmer als Konkretisierung der Unternehmerfreiheit des Art. 16 GRC. cc) Kritik Sollte der Gerichtshof diesem Ansatz tatsächlich folgen, bliebe vom Ausschluss der unmittelbaren horizontalen Richtlinienwirkung nichts mehr übrig. Letztlich lassen sich kaum Richtlinien finden, die nicht irgendeinen primärrechtlichen Rechtssatz konkretisieren. Das Verbot der Privatbelastung durch Richtlinien würde auf diese Weise weitgehend ausgehöhlt. Eine solche Vorgehensweise wäre nicht nur unter dem Aspekt der Rechtssicherheit bedenklich. Die Konkretisierung direkt wirkender Unionsgrund265   Mörsdorf, NJW 2010, 1046, 1049; ders., JZ 2010, 759, 765 f.; Preis/Temming, NZA 2010, 185, 190. Vgl. auch Kosta, ERCL 2010, 409, 433 f. 266   Mörsdorf, NJW 2010, 1046, 1049; ders., JZ 2010, 759, 765 f. 267   Zur Unterscheidung zwischen Grundrechten und Grundsätzen vgl. allgemein Jarass, EU Grundrechte, 2005, § 34 Rn. 10; Calliess/Ruffert/Kingreen, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 52 GRCh Rn. 13 ff. Zur Einordnung des Art. 38 GRC als Charta-Grundsatz Frenz, Europäische Grundrechte, 2009, Rn. 4388 ff.; Meyer/Rudolf, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl., 2014, Art. 38 Rn. 5. 268   Art. 52 Abs. 5 GRC spricht nur davon, dass Grundsätze bei Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von mitgliedstaatlichen Durchführungsmaßnahmen berücksichtigt werden „können“. Dies wird jedoch überwiegend im Sinne eines „Müssens“ verstanden; vgl. Ehlers/Ehlers, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 14 Rn. 18; Jarass, EU Grundrechte, 2005, § 7 Rn. 32.

422 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht rechte und Rechtsgrundsätze am Maßstab von Richtlinien stellt vielmehr zugleich – wie einige Generalanwälte zutreffend hervorheben269 – die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten grundlegend in Frage. Der Einzelne könnte sich direkt auf Unionsgrundrechte und ungeschriebene Rechtsgrundsätze berufen, ohne dass es auf die konkreten Rechtssetzungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten mehr ankäme. Soweit im Wege der Rechtsfortbildung neue primärrechtliche Rechtsgrundsätze hergeleitet werden, besteht zudem die Gefahr, dass das institutionelle Gleichgewicht zwischen den Unionsorganen verschoben und die Einschätzungsprärogative des Unionsgesetzgebers entwertet wird. GA Ruiz-Jarabo Colomer plädiert daher zu Recht dafür, dass der Gerichtshof bei der gleichzeitigen Anwendung von Richtlinien und allgemeinen Rechtsgrundsätzen äußerst behutsam vorgehen sollte.270 Ob der Gerichtshof die Mangold-Doktrin tatsächlich wie von Mörsdorf beschrieben auf sämtliche verbraucherschützenden Richtlinien ausdehnen wird, darf bezweifelt werden. Mangold und Kücükdeveci betreffen einen verhältnismäßig klar konturierten Rechtsgrundsatz, der ebenso gut autonom (ohne Rückgriff auf die Richtlinie 2000/78) mit Blick auf seine Voraussetzungen (unmittelbare Diskriminierung, Rechtfertigungsgründe) aus dem Primärrecht hätte abgeleitet werden können. Im Unterschied hierzu lassen sich Art. 38 GRC gerade keine konkreten Vorgaben entnehmen.271 Auch primärrechtliche Vorgaben können jedoch nur dann unmittelbar wirken, wenn die betreffende Regelung inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist. Zwei neuere Entscheidungen zeigen, dass der Gerichtshof seit der Mangold-Entscheidung sehr zurückhaltend ist, aus spezifischen Regelungen des Sekundärrechts allgemeine Rechtsgrundsätze herzuleiten oder diese als Ausdruck eines übergeordneten Rechtsgrundsatzes anzusehen. Im Fall Audiolux272 lehnte es der EuGH ab, aus spezifischen Richtlinienregelungen einen allgemeinen Grundsatz abzuleiten, wonach Minderheitsaktionäre nicht durch Mehrheitsaktionäre oder durch die Gesellschaft diskriminiert werden dürfen. Obwohl verschiedene Richtlinien tatsächlich eine unterschiedslose Behandlung von Aktionären in bestimmten Situationen anordnen, urteilte der Gerichtshof, dass den sekundärrechtlichen Bestimmungen der allgemeine übergreifende Charakter fehle, der sonst allgemeinen Rechtsgrundsätzen naturgemäß innewohne.273 Der von Audiolux behauptete Grundsatz der Gleichbehandlung von Minderheitsaktionären könne auch nicht als spezielle Ausprägung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes aufgefasst werden, denn die Entscheidung darüber, inwieweit Minderheitsaktionäre geschützt werden, setze eine Abwägung der betroffenen Interessen und eine Auswahl zwischen den verschiedenen Mitteln voraus, die nur der Gemeinschaftsgesetzgeber treffen könne.274 269   GA Mazák, SchlA, Rs. C‑411/05 (Palacios de la Villa) Rn. 132 – 139; GA Ruiz-Jarabo Colomer, SchlA, verb. Rs. C‑55 – 56/07 (Michaeler u. a.) Rn. 21 ff.; GA Kokott, SchlA, Rs. C‑73/07 (Tietosuojavaltuutettu) Rn.  103 – 105. 270   GA Ruiz-Jarabo Colomer, SchlA, verb. Rs. C‑55 – 56/07 (Michaeler u. a.) Rn. 22. 271   Dies zeigt sich in aller Deutlichkeit bei der Quelle-Entscheidung. Die Wertung, dass der Verbraucher bei Nacherfüllung nicht zum Wertersatz verpflichtet werden darf, folgt nicht aus dem abstrakten Verbraucherschutzgedanken, sondern aus der konkreten, in Art. 3 Abs. 3 KaufRL 1999/44 getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung, dass der Verkäufer verpflichtet ist, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts „unentgeltlich“ zu bewirken. Hierzu infra, § 10 G.II.4. 272   EuGH, Rs. C‑101/08 (Audiolux). 273   EuGH, Rs. C‑101/08 (Audiolux) Rn. 42. 274   EuGH, Rs. C‑101/08 (Audiolux) Rn. 62.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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Auch in der Rechtssache NCC Construction Danmark275 zog der Gerichtshof eine klare Trennlinie zwischen den allgemeinen Rechtsgrundsätzen auf der einen und sekundärrechtlichen Regelungen auf der anderen Seite. In dem zugrunde liegenden Fall ging es u. a. um die Frage, ob der in Art. 17 Abs. 2 Sechste Mehrwertsteuer-RL 77/388 niedergelegte Grundsatz der steuerlichen Neutralität als allgemeiner Rechtsgrundsatz zu betrachten ist. Der EuGH verneinte diese Frage. Zwar habe der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz im Mehrwertsteuerbereich zum Ausdruck gebracht. Während jedoch der letztgenannte Grundsatz wie andere allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts Verfassungsrang habe, bedürfe der Grundsatz der steuerlichen Neutralität einer gesetzgeberischen Ausarbeitung, die nur durch einen Rechtsakt des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts erfolgen könne.276 Beide Urteile deuten darauf hin, dass der Gerichtshof offenbar gewillt ist, zu seiner früheren Rechtsprechungslinie zurückzukehren.277 Seit Defrenne II unterscheidet der Gerichtshof zwischen Diskriminierungen, die anhand der in Art. 157 AEUV verwendeten Merkmale durch „rein rechtliche Untersuchungen“ ermittelt werden können,278 und solchen, die nur „nach Maßgabe eingehender gemeinschaftsrechtlicher oder innerstaatlicher Durchführungsvorschriften“ festgestellt werden können.279 Allein im erstgenannten Fall entfalten die unionsrechtlichen Vorgaben eine unmittelbare Wirkung in Privatrechtsverhältnissen. Sekundärrechtliche Regelungen, die mit den primärrechtlichen Vorgaben identisch sind, konkretisieren die primärrechtlichen Vorgaben und nehmen an der unmittelbaren Wirkung teil. Reichen die sekundärrechtlichen Regelungen dagegen über die primärrechtlichen Vorgaben hinaus, so können diese nicht mehr als „Konkretisierung“ bzw. Ausdruck eines primärrechtlichen Rechtsgrundsatzes angesehen werden. Sie beruhen in diesem Fall auf gesetzgeberischen Entscheidungen des Richtliniengebers und entfalten dementsprechend auch keine unmittelbare Wirkung in Privatrechtsverhältnissen. So verstanden, wahrt die vom EuGH in Audiolux und NCC Construction Danmark vorgenommene Differenzierung das institutionelle Gleichgewicht zwischen der Union und den Mitgliedstaaten einerseits und zwischen den Unionsorganen andererseits. d) Präzisierung der Mangold-Rechtsprechung im Fall Association de médiation sociale Der Gerichtshof ist einer Ausweitung der Mangold-Rechtsprechung auf andere Bestimmungen der Grundrechtecharta auch in seiner Entscheidung Association de médiation sociale280 entgegengetreten. In dem betreffenden Fall fragte das vorlegende französische Gericht, ob das in Art. 27 GRC anerkannte und durch die Richtlinie 2002/14281 konkretisierte „Grundrecht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer“ in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen geltend gemacht wer275

  EuGH, Rs. C‑174/08 (NCC Construction Danmark).   EuGH, Rs. C‑174/08 (NCC Construction Danmark) Rn. 42 f. 277  Ähnlich Lenaerts/Gutiérrez-Fons, CMLR 2010, 1629, 1648 f. und 1660 ff. 278   EuGH, Rs. 43/45 (Defrenne II) Rn. 21. 279   EuGH, Rs. 43/45 (Defrenne II) Rn. 18. 280   EuGH, Rs. C‑176/12 (Association de médiation sociale). 281   Richtlinie 2002/14/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, ABl. 2002 L 80/29. 276

424 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht den kann und sich dabei gegenüber entgegenstehenden nationalen Gesetzesbestimmungen durchsetzt. Im Gegensatz zu GA Cruz Villalón282 verneinte der EuGH diese Frage. Obwohl das französische Recht nach Ansicht der Richter gegen die Richtlinie verstößt, lehnte der Gerichtshof eine negative unmittelbare Wirkung ab. Art. 27 GRC reiche weder für sich allein genommen noch zusammen mit der Richtlinie 2002/14 dafür aus, eine mit diesen beiden unionsrechtlichen Vorgaben unvereinbare Gesetzesvorschrift „unangewendet“ zu lassen.283 Zur Begründung verweist der Gerichtshof in Abgrenzung zu seiner Rechtsprechung in Sachen Mangold und Kücükdeveci darauf, dass es in jenen Rechtssachen um das Verbot der Altersdiskriminierung ging, das in Art. 21 Abs. 1 GRC festgelegt ist und „schon für sich allein dem Einzelnen ein subjektives Recht verleiht, das er als solches geltend machen kann“.284 Demgegenüber reiche die in Art. 27 GRC erwähnte Verpflichtung zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer für sich allein nicht aus, um dem Einzelnen ein Recht zu verleihen. Denn um die volle Wirksamkeit zu entfalten, müsse Art. 27 GRC erst „durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden“.285 Damit bestätigt sich die Einschätzung, dass der Gerichtshof bei der Grundrechtecharta zwischen Bestimmungen unterscheidet, die inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind und daher auch in Privatrechtsverhältnissen unmittelbar wirken, und solchen, die erst durch Sekundärrechtsakte (oder nationales Recht) konkretisiert werden müssen und demzufolge keine unmittelbare Wirkung entfalten.

V. Horizontale Direktwirkung des Äquivalenz- und Effektivitätsgebots und des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz? 1. Problemstellung Die zuvor beschriebenen Probleme stellen sich auch mit Blick auf das Äquivalenzund Effektivitätsgebot sowie das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Da die genannten Gebote Teil des Primärrechts sind, liegt die Vermutung nahe, dass die hieraus entwickelten Vorgaben (Anforderungen an die Ausgestaltung der Zivilrechtsfolgen und des Zivilverfahrens) in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen angewendet werden können, so dass entgegenstehendes nationales Recht entsprechend der Mangold-Doktrin nicht mehr vom nationalen Gericht angewendet werden darf. Die unionsrechtliche Rechtsschutzgarantie begründet allerdings weder selbst individuelle Rechte noch verlangt sie eine konkrete Einräumung materieller Rechte, die sich aus ihr deduzieren ließen. Sie setzt vielmehr die Existenz anderweitiger, durch das Unionsrecht begründete Rechte voraus, die es zu schützen gilt. Gleiches gilt für das Äquivalenz- und das Effektivitätsgebot. Die Pflicht zur gleichwertigen und effektiven Durchsetzung des Unionsrechts ist akzessorisch zu anderen Bestimmungen des Unionsrechts, deren Durchsetzung gerade angestrebt wird. Soweit die nach dem Unions282   GA Cruz Villalón, SchlA, Rs. C‑176/12 (Association de médiation sociale) Rn. 63, 80, bejaht eine horizontale Ausschlusswirkung immer dann, wenn Bestimmungen der Grundrechtecharta in der Weise mit EU‑Richtlinien verbunden sind, dass die Richtlinien die dahinter stehenden Grundrechte bzw. Grundsätze „wesentlich und unmittelbar konkretisieren“. 283   EuGH, Rs. C‑176/12 (Association de médiation sociale) Rn. 44 ff. 284   EuGH, Rs. C‑176/12 (Association de médiation sociale) Rn. 47. 285   EuGH, Rs. C‑176/12 (Association de médiation sociale) Rn. 45.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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recht zu schützenden Rechte bzw. die durchzusetzenden Verbotsnormen ihrerseits nicht unmittelbar zwischen Privaten wirken, weil sie in Richtlinien verankert sind, bleibt daher fraglich, ob den auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 3, 6 Abs. 3, 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV bzw. Art. 6 Abs. 1 EUV i. V. m. Art. 47 GRC vom Gerichtshof entwickelten Vorgaben eine unmittelbare horizontale Wirkung zukommt. 2. Bisherige Rechtsprechung des EuGH Die Rechtsprechung des EuGH lässt keine eindeutigen Rückschlüsse zu.286 In den Rechtssachen Harz287 und Coote288 ging es um die Umsetzung der Allgemeinen Gleichbehandlungs-RL 76/207, die in Art. 6 die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die innerstaatlichen Vorschriften zu erlassen, die notwendig sind, damit jeder, der sich durch eine Diskriminierung für beschwert hält, „seine Rechte gerichtlich geltend machen kann.“ Seit Johnston ist anerkannt, dass Art. 6 RL 76/207 Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegt und auch in Art. 6 EMRK verankert ist.289 Dennoch lehnte der Gerichtshof in beiden Entscheidungen eine unmittelbare Wirkung der aus dem Rechtsschutzgebot abgeleiteten Vorgaben ab und verwies stattdessen auf die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung.290 Andere Entscheidungen deuten demgegenüber darauf hin, dass der EuGH den unionsrechtlichen Vorgaben eine (negative) unmittelbare Wirkung zumisst. Vielfach spricht der Gerichtshof davon, dass eine nationale Bestimmung, die gegen das Äquivalenzgebot, das Effektivitätsgebot bzw. das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verstößt, dem Unionsrecht „entgegensteht“.291 Bei einer solchen Formulierung bleibt allerdings offen, ob sich der EuGH lediglich zu den unionsrechtlichen Anforderungen an das nationale Recht oder zugleich zur unmittelbaren Wirkung der Vorgaben äußern will.292 Vom Wortlaut her eindeutig sind demgegenüber diejenigen Urteile, in denen sich der Gerichtshof zur Verpflichtung der Zivilgerichte äußert, das Unionsrecht von Amts wegen zu berücksichtigen. Seit der Rechtssache van Schijndel ist anerkannt, dass ein nationales Gericht auch dann verpflichtet ist, eine von den Parteien nicht geltend gemachte zwingende Gemeinschaftsvorschrift von Amts wegen in einem Zivilverfahren anzuwenden, wenn es nach dem nationalen Recht lediglich dazu befugt ist, eine zwingende nationale Vorschrift von Amts wegen anzuwenden.293 Hie286

  Vgl. auch die ausführliche Rechtsprechungsanalyse bei Weyer, ZEuP 1999, 424, 457 ff.   EuGH, Rs. 79/83 (Harz). 288   EuGH, Rs. C‑185/97 (Coote). 289   EuGH, Rs. 222/84 (Johnston) Rn. 18; bestätigt ua durch EuGH, Rs. C‑185/97 (Coote) Rn. 21. 290   EuGH, Rs. 79/83 (Harz) Rn. 26 f.; Rs. C‑185/97 (Coote) Rn.  17 – 19; hierzu Dougan, ELRev. 1999, 664. 291   EuGH, Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 43; Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 53; Rs. C‑473/00 (Cofidis) Rn. 38. 292   Vgl. bereits supra, § 5 A.IV.2.c. 293   EuGH, verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel) Rn. 14 f. (zu Art. 101 ff. AEUV); bestätigt für die Klausel-RL 93/13 durch EuGH, Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 35 ff.; Rs. C‑40/08 (Asturcom) Rn. 54; Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 35; Rs. C‑137/08 (Pénzügyi) Rn. 56. In EuGH, verb. Rs.  C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 30 ff., hatte der Gerichtshof dagegen noch nicht von einer Verpflichtung zur Prüfung von Amts wegen gesprochen, sondern nur davon, dass das nationale Gericht im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung derjenigen Interpretation den Vorzug geben müsse, die es ihm ermögliche, seine Zuständigkeit von Amts wegen zu verneinen, wenn diese durch eine missbräuchliche Klausel vereinbart worden ist. 287

426 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht raus kann geschlossen werden, dass der Gerichtshof dieser unionsrechtlichen Vorgabe im Zivilverfahren unmittelbare Wirkung zumisst.294 3. Zum Stand der Dogmatik Im Schrifttum gehen die Auffassungen darüber, ob die vom EuGH entwickelten Zivilrechtsfolgen und Vorgaben für das Zivilverfahren unmittelbar horizontale Wirkung entfalten, auseinander. Bisweilen wird vertreten, dass die unionsrechtlichen Vorgaben aufgrund ihres primärrechtlichen Charakters auch im Verhältnis zwischen Privaten unmittelbar anwendbar seien.295 Zur Begründung wird vor allem auf Art. 4 Abs. 3 EUV (ex Art. 10 EG) rekurriert. Da der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nicht nur die Mitgliedstaaten als solche binde, sondern auch die einzelnen nationalen Hoheitsträger bei der Ausübung ihrer Funktionen, seien auch die Zivilgerichte verpflichtet, die Vorgaben des Unionsrechts unmittelbar auf den Rechtsstreit anzuwenden und entgegenstehendes nationales Recht unangewendet zu lassen.296 Im Falle der Anknüpfung an eine materielle Richtlinienbestimmung seien die vom Gerichtshof entwickelten Vorgaben allerdings nur dann horizontal unmittelbar anwendbar, wenn die materielle Richtlinienbestimmung von dem betreffenden Mitgliedstaat in nationales Recht umgesetzt worden sei.297 Andere Autoren halten dieser Ansicht entgegen, dass Art. 4 Abs. 3 EUV für sich genommen in Privatrechtsverhältnissen nicht unmittelbar wirken könne.298 Die Vorschrift richte sich allein an die Mitgliedstaaten und ihre Organe; sie könne daher nur Pflichten der Mitgliedstaaten begründen, nicht aber in einem Rechtsstreit unter Privaten unmittelbar angewendet werden. Die Bindung der Gerichte an Art. 4 Abs. 3 EUV sei nicht ausreichend, um die horizontale unmittelbare Wirkung der Vorgaben zu begründen, da der Gerichtshof trotz der Bindung der nationalen Gerichte an Art. 4 Abs. 3 EUV eine Drittwirkung von Richtlinien ablehne. Nach einer differenzierenden Ansicht soll es demgegenüber auf die jeweils zugrunde liegende materielle Unionsbestimmung ankommen.299 Den aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen hergeleiteten Vorgaben des Unionsrechts komme als solchen keine unmittelbare Wirkung zu, da sie sich nur an die Mitgliedstaaten richteten; sie könnten jedoch als eine Art „Annex“ zu den materiellen Unionsbestimmungen angesehen werden und an deren horizontaler Wirkung teilhaben. Weyer unterscheidet 294   So jetzt auch EuGH, Rs. C‑377/14 (Radlinger und Radlingerová) Rn. 77: Pflicht zur Prüfung von Amts wegen stellt „eine Verfahrensregel dar, die nicht einen Einzelnen, sondern die Gerichte trifft“. 295   Oliver, EuZW 1993, 393; Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 311 ff.; ders., CMLR 1997, 1259, 1265 f.; Ward, ELRev. 1998, 65, 70 f.; Dougan, National Remedies, 2004, S. 59 ff. 296   Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 311 ff.; Ward, ELRev. 1998, 65, 70 (Fn. 29); Dougan, National Remedies, 2004, S. 59 f. 297   Oliver, EuZW 1993, 393; Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 306; Ward, ELRev. 1998, 65, 70. 298  G/H/v. Bogdandy, 40. Aufl., 2009, Art. 10 EGV Rn. 24, 27 Calliess/Ruffert/Kahl, EUV/ AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 4 EUV Rn. 44 f. Vgl. auch Trstenjak/Beysen, CMLR 2011, 95, 122 f., die für das Verbraucherrecht ebenfalls davon ausgehen, dass die vom EuGH entwickelten Anforderungen für Rechtsbehelfe und Verfahren keine unmittelbare Wirkung entfalten, dabei allerdings keinen Bezug zu den primärrechtlichen Vorgaben herstellen. 299   Weyer, ZEuP 1999, 424, 463 ff.; Temple Lang, ELRev. 2001, 84, 92; Herb, Zivilprozess, 2007, S. 206 ff.

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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daher wie folgt: Soweit die materielle Verbotsvorschrift unmittelbar wirke, verleihe sie auch den unionsrechtlichen Anforderungen an die Zivilrechtsfolgen einer Verbotsverletzung eine unmittelbare Wirkung, vorausgesetzt, das unionsrechtliche Verbot (unter Berücksichtigung der ungeschriebenen Vorgaben) sei seinerseits inhaltlich unbedingt und hinreichend genau.300 Im Fall von Richtlinien, denen selbst keine horizontale Wirkung zukomme, müsse die in der Richtlinie enthaltene materielle Norm dagegen in das nationale Recht umgesetzt worden sein, um die horizontale Wirkung der Vorgaben zu begründen. Dann sei weitergehend danach zu fragen, welche Auswirkungen die Rechtsfolgenregel auf die Pflichtenstellung des Einzelnen habe.301 Ein Durchgriff des Unionsrechts auf die Sanktionierung unionsrechtlicher Verbote scheide jedenfalls dann aus, wenn hierdurch eine eigenständige Verpflichtung Einzelner begründet werde, so etwa, wenn Zivilrechtsfolgen (wie etwa Nichtigkeit, Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche) hergeleitet werden, die das nationale Recht unter Umständen gar nicht vorsehe. Eine unmittelbare Wirkung der unionsrechtlichen Vorgaben sei demgegenüber zulässig, wenn die Anwendung der betreffenden Rechtsfolgen nur dazu führe, dass die dem Einzelnen durch das nationale Recht verliehenen Rechtsvorteile eingeschränkt werden (so etwa durch unionsrechtliche Vorgaben auf dem Gebiet des Verfahrensrechts). In diesem Fall werde die Pflichtenstellung des Einzelnen regelmäßig nicht unmittelbar betroffen. Dies sei nach der Rechtsprechung des EuGH zulässig.302 Ungeklärt bleibt nach diesem Ansatz, warum die vom EuGH entwickelten Vorgaben eine (wenngleich beschränkte) unmittelbare Wirkung entfalten, sobald die betreffenden Verbotsnormen in das nationale Recht umgesetzt worden sind. Unterstellt man, dass die vom Gerichtshof entwickelten Vorgaben für sich genommen nicht unmittelbar anwendbar sind, so kann auch die Umsetzung von Verbotsnormen nicht dazu führen, dass die vom Gerichtshof aus dem Effektivitätsgrundsatz hergeleiteten – im Vergleich zum nationalen Recht weitergehenden – Anforderungen unmittelbar wirken. 4. Folgerungen aus der Mangold-Rechtsprechung Aus den Entscheidungen Mangold und Kücükdeveci kann abgeleitet werden, dass allgemeine Rechtsgrundsätze und Unionsgrundrechte auch in Privatrechtsverhältnissen eine negative unmittelbare Wirkung entfalten können.303 Entsprechendes muss für das Äquivalenz- und Effektivitätsgebot sowie für das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gelten. Da die genannten Gebote akzessorisch an andere Normen des Unionsrechts anknüpfen, müssen die durchzusetzenden Verbotsnormen bzw. die zu schützenden Rechtspositionen allerdings entweder selbst unmittelbar wirken oder bereits in nationales Recht umgesetzt worden sein. Ist dies nicht der Fall, fehlt der Bezugspunkt, an dem Gleichwertigkeit und Effektivität gemessen werden können. In einem Rechtsstreit vor den innerstaatlichen Gerichten käme es mangels unmittel300

  Weyer, ZEuP 1999, 424, 464; ihm folgend Herb, Zivilprozess, 2007, S. 206 ff.   Weyer, ZEuP 1999, 424, 465. 302   Weyer, ZEuP 1999, 424, 465, mit Verweis auf die Rechtsprechung zu multipolaren Rechtsverhältnissen unter Behördenbeteiligung und zur Informations-RL; zu dieser Rechtsprechungslinie supra, § 5 A.IV.2.a. 303   Ob Private unmittelbar an die allgemeinen Rechtsgrundsätze und Unionsgrundrechte gebunden sind, wurde vom Gerichtshof dagegen offen gelassen. 301

428 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht bar anwendbarer Verbotsnormen bzw. Rechtspositionen von vornherein nicht mehr auf die nachgelagerte Frage an, welche Rechtsfolgen und Verfahrensvorschriften nach dem Unionsrecht angemessen sind. Nach einem weiten Verständnis soll aus der Mangold-Doktrin folgen, dass primärrechtliche Vorgaben und Richtlinien kombiniert angewendet werden können.304 Überträgt man diesen Ansatz auf das Effektivitätsgebot bzw. das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, so müsste nationales Recht stets für unanwendbar erklärt werden, wenn Richtlinienvorgaben nicht effektiv in nationales Recht umgesetzt werden. Nach hier vertretener Auffassung305 ist demgegenüber danach zu differenzieren, ob sich die unionsrechtlichen Anforderungen allein aus dem Primärrecht ergeben oder unter Rückgriff auf eine Richtlinie. Entwickelt der Gerichtshof aus dem Effektivitätsgebot und dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz bestimmte Anforderungen, ohne dabei spezifische Wertungen einer Richtlinie zu berücksichtigen, sind die betreffenden Vorgaben rein primärrechtlicher Natur, so dass ihnen in Privatrechtsverhältnissen auch unmittelbare Wirkung zukommt. Dies dürfte vor allem bei Verfahrensregeln der Fall sein. Ausführungen des Gerichtshofs zu Fragen des Prozessstoffs, der Parteiherrschaft, der Verteidigungsrechte, der Präklusion, der Rechtskraft zivilrechtlicher Entscheidungen, zu den Modalitäten der Kostenerstattung oder zum Erfordernis des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgen zumeist anhand allgemeiner Überlegungen, die nicht auf den Wertungen einer bestimmten Richtlinie basieren, sondern aus dem Effektivitätsgebot und den Verfahrensgrundrechten im Allgemeinen abgeleitet werden.306 Lassen sich die unionsrechtlichen Vorgaben dagegen nur mit Blick auf die in einer Richtlinie getroffenen Wertungen begründen, so muss eine unmittelbare Wirkung nach dem zuvor Gesagten ausscheiden. Dies wird im Bereich zivilrechtlicher Rechtsfolgen307 regelmäßig der Fall sein: Ob die im nationalen Recht vorgesehenen Zivilrechtsfolgen mit dem Unionsrecht vereinbar sind, kann nicht abstrakt festgestellt werden. Verbotsnorm, Rechtsposition und Rechtsfolgen sind regelmäßig aufeinander bezogen. Die Frage, ob eine bestimmte Rechtsfolge (etwa Nichtigkeit, Schadensersatzansprüche) erforderlich ist oder ob im nationalen Recht vorgesehene Einschränkungen (bei Schadensersatzansprüchen etwa ein Verschuldenserfordernis, die Begrenzung auf den Vertrauensschaden oder Haftungshöchstgrenzen) mit dem Effektivitätsgebot vereinbar sind, kann in der Regel nicht ohne Rückgriff auf die zugrunde liegende Richtlinie, die ihr zugrunde liegenden Schutzziele (z. B. Ver304

  Supra, § 5 A.IV.4.c.aa.-bb.   Supra, § 5 A.IV.4.c.cc. 306   Die Abgrenzung zwischen Primär- und Sekundärrecht erweist sich auch bei Verfahrensregeln im Einzelfall als schwierig. So begründet der Gerichtshof etwa die Pflicht der nationalen Gerichte, das zur Umsetzung der Klausel-RL 93/13 ergangene Recht von Amts wegen anzuwenden, mit Art. 6 der RL und das durch die Richtlinie eingeführte Schutzsystem; EuGH, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 26 ff.; Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 36 f.; Rs. C‑40/08 (Asturcom) Rn. 52 f.; Rs. C‑137/08 (Pénzügyi) Rn. 47 ff. Dies soll nach Dougan, National Remedies, 2004, S. 61 f., bereits ausreichen, um eine gegenüber dem Primärrecht weitergehende Vorgabe zu begründen, die auf Richtlinienrecht basiert und daher nicht mehr unmittelbar wirkt. Probleme stellen sich ferner dann, wenn Richtlinien detaillierte Verfahrensregeln enthalten. Dann muss danach differenziert werden, ob diese Bestimmungen lediglich die Rechtsprechung des EuGH kodifizieren oder darüber hinausgehende Vorgaben treffen, die nicht mehr aus dem Primärrecht abgeleitet werden können. 307   Eine Ausnahme bildet das Kartellrecht. Für dieses hat der EuGH weitgehende Anforderungen aus dem Verbotstatbestand des Art. 101 AEUV entwickelt; hierzu infra, § 7 C.I. 305

A. Unmittelbare Wirkung und unionsrechtskonforme Rechtsfindung

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braucherschutz) und die in ihr vorgesehenen Verbotsnormen beantwortet werden. Verlangt der Gerichtshof eine bestimmte Rechtsfolge oder hält er Einschränkungen, die im nationalen Recht vorgesehen sind, für unionsrechtswidrig, weil diese gegen das Effektivitätsgebot und die Richtlinie verstoßen, so wirken diese Vorgaben nicht unmittelbar. Sie sind bis zur Grenze des contra legem-Judizierens lediglich im Wege der richtlinienkonformen Auslegung bzw. Rechtsfortbildung vom nationalen Gericht zu berücksichtigen. Scheitert eine richtlinienkonforme Rechtsfindung, stehen dem Einzelnen zumindest Staatshaftungsansprüche zu. Unabhängig hiervon muss der Gesetzgeber dafür sorgen, dass nationale Zivilrechtsfolgen und nationales Verfahrensrecht in Zukunft unionsrechtskonform ausgestaltet werden.

VI. Ergebnis Der EuGH befürwortet für zahlreiche Vorschriften des geschriebenen Primärrechts eine vertikale und horizontale unmittelbare Wirkung. Für Richtlinien hält der Gerichtshof dagegen weiterhin am Ausschluss der horizontalen Direktwirkung fest. Selbst eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung kann im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden. Auch die von vielen Generalanwälten und einem Teil des Schrifttums favorisierte negative Ausschlusswirkung von Richtlinien findet in der Rechtsprechung keine Stütze.308 Der effet utile und das unionsrechtliche Rechtsschutzgebot erfahren damit in Privatrechtsverhältnissen eine gravierende Einschränkung. In der neueren Rechtsprechung sind allerdings zwei Entwicklungen zu beobachten, mit denen der Ausschluss der horizontalen Direktwirkung bei Richtlinien deutlich abgemildert wird. Zum einen hat der Gerichtshof die methodischen Anforderungen an die richtlinienkonforme Rechtsfindung verschärft. Die mitgliedstaatlichen Gerichte sind verpflichtet, bei Anwendung der im nationalen Recht zur Verfügung stehenden Methoden zugleich dem Effektivitätsgebot Rechnung zu tragen. Unter Umständen muss daher durch Auslegung und Rechtsfortbildung ein Ergebnis erzielt werden, das allein auf der Basis der nationalen Methodenlehre ohne Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben nicht möglich gewesen wäre.309 Der BGH trägt dieser Forderung Rechnung, indem er sich in seiner Quelle-Nachfolgeentscheidung310 erstmals ausdrücklich zu einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung bekannt hat. Die Grenzen zwischen der unmittelbaren Wirkung und der richtlinienkonformen Rechtsfindung verwischen damit in zusehendem Maße. Beide Institute beruhen dessen ungeachtet nach wie vor auf unterschiedlichen Rechtsquellen und rechtstheoretischen Grundlagen. Soweit eine Rechtsfortbildung aufgrund der innerstaatlichen Kompetenzverteilung nicht möglich ist, verlangt auch der Gerichtshof keine Rechtsfindung contra legem. Der Ausschluss der horizontalen Richtlinienwirkung wird zum anderen durch die Mangold-Rechtsprechung relativiert.311 Die kombinierte Anwendung von Primärrecht und Richtlinien kann zur Folge haben, dass Richtlinienbestimmungen 308

  Supra, §  5 A.IV.2.c. – d.   Supra, § 5 A.IV.3.b. 310   BGHZ 179, 27 = NJW 2009, 427 (Quelle II). Hierzu supra, § 5 A.IV.3.c. 311   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold). Hierzu supra, § 5 A.IV.4.b. 309

430 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht auch im Verhältnis unter Privatpersonen eine negative unmittelbare Wirkung entfalten: Verstößt eine nationale Norm nicht nur gegen Richtlinienvorgaben, sondern zugleich gegen unmittelbar wirkendes Primärrecht, so muss sie nach Auffassung des Gerichtshofs selbst dann unangewendet bleiben, wenn eine richtlinienkonforme Rechtsfindung wegen Überschreitens der contra-legem-Grenze ausscheidet. Wie der Gerichtshof im Fall Association de médiation sociale312 klargestellt hat, folgt aus der Mangold-Doktrin allerdings nicht, dass sämtliche primärrechtskonkretisierenden Richtlinien eine unmittelbare negative Wirkung in Privatrechtsverhältnissen entfalten. Eine horizontale Direktwirkung der Chartabestimmungen kommt nur dann in Betracht, wenn Grundrechte inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind, um dem Einzelnen ein subjektives Recht zu verleihen, das er als solches geltend machen kann. Trifft das Sekundärrecht weitergehende Vorgaben, die nicht mehr aus dem Primärrecht eigenständig abgeleitet werden können, scheidet eine unmittelbare Wirkung in Privatrechtsverhältnissen dagegen aus. Die dargestellte Rechtsprechungsentwicklung hat zugleich Einfluss auf die Frage, inwieweit die vom EuGH aus dem Effektivitäts- und Äquivalenzgebot sowie aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Grundrechten entwickelten Vorgaben für die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen eine unmittelbare Wirkung entfalten. Für das Vertikalverhältnis bejaht der EuGH eine unmittelbare Wirkung. Im Regelfall wirken die aufgestellten Vorgaben allerdings nur negativ in Form der Ausschlusswirkung, da die Grundsätze der Effektivität und das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nur einen allgemeinen Rahmen vorgeben, aus dem sich zumeist keine positiven Vorgaben ableiten lassen. Soweit der Rechtsschutzauftrag der nationalen Gerichte durch inhaltlich unbedingtes und hinreichend bestimmtes Sekundärrecht konkretisiert wird, kann unmittelbar wirksames Unionsrecht allerdings auch autonome Klagerechte gegenüber der öffentlichen Hand vermitteln.313 Inwieweit das Äquivalenzund Effektivitätsgebot sowie das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz horizontale Direktwirkung entfalten, ist nach wie vor offen. Nach hier vertretener Ansicht ist danach zu differenzieren, ob sich die unionsrechtlichen Anforderungen allein aus dem Primärrecht (oder Verordnungen) ergeben oder unter Rückgriff auf eine Richtlinie.314 Nur in ersterem Fall kommt eine horizontale Direktwirkung in Betracht. Lassen sich die unionsrechtlichen Vorgaben dagegen nur mit Blick auf die in einer Richtlinie getroffenen Entscheidungen begründen, so muss eine horizontale unmittelbare Wirkung ausscheiden.

B. Justizielle Durchsetzung des Unionsprivatrechts im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens Zu den immer noch ungelösten Problemen des Unionsrechts zählt die Frage, in welcher Weise der Einzelne gegen unionsrechtswidrig erlassenes nationales (Privat‑)recht vorgehen und eine Klärung im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH erwirken kann. Das geltende Rechtsschutzsystem der Union weist auch nach 312

  EuGH, Rs. C‑176/12 (Association de mediation sociale). Hierzu supra, § 5 A.IV.4.d.   Supra, § 5 A.I.3.a. 314   Supra, § 5 A.V.4. 313

B. Justizielle Durchsetzung des Unionsprivatrechts

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Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags Rechtsschutzlücken auf. Obwohl das Unionsrecht zivilrechtliche und zivilprozessuale Sachverhalte in immer größerem Umfang und mit wachsender Detailgenauigkeit regelt, haben Private keine Möglichkeit, die ihnen durch das Unionsrecht verliehenen subjektiven Rechte selbst vor den Gerichten der Union durchzusetzen (I.). Im Fokus steht damit einerseits Frage, wie ein Verstoß gegen Vorlagepflichten nach Unionsrecht sanktioniert werden kann und welche Rechtsbehelfe in diesem Fall durch das mitgliedstaatliche Recht zur Verfügung gestellt werden müssen (II.). Andererseits ist danach zu fragen, welche Sanktionen nach nationalem (deutschen) Recht greifen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die neuere Rechtsprechung des BVerfG von Interesse, das die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten, eine von den Fachgerichten unterlassene Vorlage im Wege der Urteilsverfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) anzugreifen, in letzter Zeit erheblich erweitert hat (III.). Im Ergebnis zeigt sich, dass im Unionsrecht zwar nach wie vor keine ausreichenden Möglichkeiten zur Verfügung stehen, mit denen ein Verstoß gegen Vorlagepflichten sanktioniert werden kann. Mit Blick auf die deutsche Rechtslage besteht dagegen die begründete Hoffnung, dass Verstöße gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV künftig im Wege der Verfassungsbeschwerde häufiger sanktioniert werden können als bisher (IV.).

I. Fehlender Individualzugang des Einzelnen zum EuGH in Zivilsachen 1. Rechtsschutzlücken auf der Ebene des zentralen Rechtsschutzes Die Europäischen Verträge sehen weder ein ordentliches Rechtsmittel in Zivilsachen gegen letztinstanzliche Urteile der Mitgliedstaaten noch eine Grundrechtsbeschwerde vor. Im Privatrecht steht dem Einzelnen allein das Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) zur Verfügung.315 Das Verfahren der Vorabentscheidung ist indessen ein nichtstreitiges Verfahren, das in erster Linie der Kooperation zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten dient und der Herrschaft der Prozessparteien des Ausgangsverfahrens entzogen ist.316 Der Einzelne hat keine Möglichkeit, ein Vorabentscheidungsverfahren erzwingen zu können. Zwar dient das Vorabentscheidungsverfahren materiell-rechtlich betrachtet nicht nur der Sicherstellung der einheitlichen und kohärenten Anwendung des Unionsrechts,317 sondern – wie der Gerichtshof mittlerweile anerkannt hat – auch der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes.318 In prozessualer Hinsicht räumt das Unionsrecht den Prozessparteien jedoch kein direktes Zugangsrecht zum EuGH in Form einer Nichtvorlagebeschwerde ein. Der EuGH stellte bereits im Urteil Cilfit319 fest, dass „Artikel 177 [jetzt 267 AEUV] keinen Rechtsbehelf für die Parteien eines bei einem innerstaatlichen Gericht anhängigen Rechtstreits eröffnet. Das betref315   Basedow, AcP 210 (2010), 157, 192 f., 195; Bruns, JZ 2011, 325, 326. Art. 263 Abs. 4, 270 AEUV betreffen nur öffentlich-rechtliche Streitigkeiten. 316   Vgl. nur GA Mengozzi, SchlA, Rs. C‑83/13 (Fonnship) Rn. 13 ff. mit zahlreichen Nw. zur EuGH-Rechtsprechung. 317   EuGH, Rs. 166/73 (Rheinmühlen) Rn. 2; Rs. 107/76 (Hoffmann-La Roche) Rn. 5. 318   EuGH, Rs. C‑6/99 (Greenpeace France u. a.) Rn. 54; Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 35. 319   EuGH, Rs. 283/81 (CILFIT) Rn. 9. Bestätigt durch EuGH, Rs. C‑402/98 (ATB u. a.) Rn. 30 f.; Rs. C‑344/04 (IATA und ELFAA) Rn. 28; Rs. C‑376/05 (Brünsteiner) Rn. 27 f.; Rs. C‑2/06 (Kempter) Rn. 41 f.; Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 28 f.

432 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht fende Gericht muss also nicht schon allein deshalb, weil eine Partei geltend macht, der Rechtsstreit werfe eine Frage nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts auf, davon ausgehen, dass eine Frage im Sinne von Artikel 177 gestellt wird. Es obliegt ihm vielmehr gegebenenfalls, den Gerichtshof von Amts wegen anzurufen.“ Das mit Art. 267 AEUV geschaffene System soll – wie der Gerichtshof im Fall Pénzügyi Lízing320 erneut hervorgehoben hat – eine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten gewährleisten, das der Parteiherrschaft entzogen ist. Die Vorlage zur Vorabentscheidung beruht „auf einem Dialog des einen mit dem anderen Gericht, dessen Aufnahme ausschließlich von der Beurteilung der Erheblichkeit und der Notwendigkeit der Vorlage durch das nationale Gericht abhängt“. Die Prozessparteien des Ausgangsverfahrens haben dementsprechend keinen Einfluss auf den Verfahrensgang eines eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahrens.321 Sie haben vor dem EuGH keine Parteistellung, sondern können als Beteiligte lediglich schriftliche Stellungnahmen einreichen und in der mündlichen Verhandlung angehört werden.322 Sie können weder Anträge stellen noch auf die Formulierung und Begründung der Vorlagefrage durch das mitgliedstaatliche Gericht Einfluss ausüben.323 Die nationalen Gerichte entscheiden auch darüber, ob ein beim Gerichtshof eingereichtes Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten bleibt oder zurückgenommen werden soll. Das Vorabentscheidungsverfahren ist insoweit vom Ausgangsverfahren losgelöst und spielt sich formal gesehen allein zwischen dem vorlegenden Gericht und dem EuGH ab. 2. Recht auf Vorlageerzwingung aufgrund des Gebots effektiven Rechtsschutzes? a) Kohärenz der Rechtsschutzebenen Da das geltende Unionsrecht dem Einzelnen in Zivilsachen keinen Individualzugang zu den europäischen Gerichten gewährt, stellt sich konsequenterweise die Frage, ob sich aus dem Grundsatz bzw. Grundrecht des effektiven Rechtsschutzes (Art. 4 Abs. 3, Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, Art. 47 Abs. 1 GRC) die Forderung ableiten lässt, dass die Mitgliedstaaten Rechtsbehelfe zur Durchsetzung des Art. 267 Abs. 3 AEUV einführen müssen, mit denen Betroffene eine Vorlage an den EuGH – etwa in Form eines Antragsrechts und einer Nichtvorlagerüge – nach innerstaatlichem Recht erzwingen können.324 320

  EuGH, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 28 f.   EuGH, Rs. C‑364/92 (SAT Fluggesellschaft) Rn. 9; Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 31; Rs. C‑116/ 96 REV (Reisebüro Binder) Rn. 7 ff. 322   Vgl. Art. 23 Abs. 2 Protokoll (Nr. 3) über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, ABl. 2010 C 83/210. 323   EuGH, C‑136/12 (Consiglio nazionale dei geologi) Rn. 28 ff. 324   Für eine solche Verpflichtung Allkemper, Rechtsschutz, 1995, S. 171 ff.; Betz, Vorlagepflicht, 2013, S. 266 f., 274; M. Schröder, EuR 2011, 808, 811. Tendenziell auch Nicolaysen, EuR 1985, 368, 373 f.; Vedder, NJW 1987, 526, 530; sowie Glaesner, EuR 1990, 143, 148, die davon ausgehen, dass der vom BVerfG (in seiner früheren Rechtsprechung) zugrunde gelegte restriktive Willkürbegriff im Rahmen des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG mit den Integrationszielen des Art. 267 AEUV nicht vereinbar ist bzw. gegen Art. 4 Abs. 3 EUV verstößt – eine Ansicht, die letztlich eine unionsrechtlich begründete Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einführung einer Nichtvorlagerüge impliziert. Gegen eine derartige Pflicht BVerfG, NVwZ-RR 2008, 658, 660 (Rn. 25 ff.); Tonne, Effektiver Rechtsschutz, 1997, S. 267 m. w. N.; Wegener, EuR 2002, 785 (Fn. 5); Kokott/Henze/Sobotta, JZ 2006, 633, 636 f. (Fn. 43). 321

B. Justizielle Durchsetzung des Unionsprivatrechts

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Für eine derartige Pflicht spricht der Gedanke, dass das unionsrechtlich geschaffene System gerichtlichen Individualrechtsschutzes eine Einheit darstellt, in deren Rahmen zentrale und dezentrale Rechtsschutzmöglichkeiten dem Rechtsgrundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gemeinsam volle Wirksamkeit verleihen sollen.325 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH haben die Verträge mit den Art. 263 und 277 AEUV einerseits und Art. 267 AEUV andererseits ein „vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren“326 geschaffen, das die Kontrolle von Unionsrechtsakten und nationalem Recht gewährleisten soll. Der Ausschluss von Klagemöglichkeiten auf der Ebene des zentralen Rechtsschutzes (vor dem Gerichtshof der EU) muss dementsprechend durch effektive Klagemöglichkeiten auf der Ebene des dezentralen Rechtsschutzes (vor den mitgliedstaatlichen Gerichten) kompensiert werden.327 Die Pflicht der Mitgliedstaaten zur effektiven Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte umfasst dabei unter Umständen – wie aus der Rechtsprechung des EuGH und nunmehr aus Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV hervorgeht – auch die Pflicht zur Einführung neuer Rechtsbehelfe. Der Einführung neuer Rechtsbehelfe im Wege der Rechtsfortbildung durch den EuGH sind indessen Grenzen gesetzt. Auch der EuGH darf sich nicht über die in den Verträgen geschaffene Grundentscheidung hinwegsetzen, dass das Vorabentscheidungsverfahren nicht als individualschützende Klage, sondern als Kooperation zwischen europäischen und mitgliedstaatlichen Gerichten ausgestaltet worden ist. Nach den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte zielt Art. 47 GRC gerade nicht darauf ab, das in den Verträgen vorgesehene Rechtsschutzsystem zu ändern.328 Ein Antragsrecht der Prozessparteien des Ausgangsrechtsstreits würde jedoch eine Hierarchisierung der europäischen Gerichtsstruktur bewirken. An die Stelle des Kooperationsverhältnisses zwischen mitgliedstaatlichen und supranationalen Gerichten träte ein Verhältnis der hierarchischen Unterordnung. Dass eine solche Hierarchie auf unionsrechtlicher Ebene bislang nicht verwirklicht wurde, beruht auf Gründen der Rücksichtnahme auf die Souveränität der Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer eigenen Gerichtsorganisation. Ein Antragsrecht und eine Nichtzulassungsrüge könnten daher nur im Wege der Vertragsänderung eingeführt werden, die angesichts der neu hinzutretenden Arbeitslast zudem einen Umbau der gegenwärtigen Gerichtsarchitektur erforderte. b) Keine gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen Eine aus dem Unionsrecht folgende Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einführung einer Nichtvorlagebeschwerde oder einer Revision zum Gerichtshof lässt sich auch nicht aus den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, insbesondere nicht aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten (vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV) herleiten. Rechtsvergleichend zeigt sich vielmehr, dass in den meisten Mitgliedstaaten keine besonderen Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen, wenn letztinstanzliche Gerichte 325

  Nowak, EuR 2000, 724, 725.   So EuGH, Rs. C‑50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores) Rn. 40, zum Rechtsschutz gegen Unionsrecht. 327   EuGH, Rs. C‑50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores) Rn. 41. 328   Erläuterungen zur Grundrechte-Charta der Europäischen Union, ABl. 2007 C 303/23, 29; hierzu EuGH, Rs. C‑583/11 P (Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat) Rn. 97. 326

434 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht ihrer Vorlagepflicht nicht nachkommen.329 Die Möglichkeit, bei Nichtvorlage an den EuGH nach innerstaatlichem Verfassungsrecht einen Entzug des gesetzlichen Richters zu rügen, besteht außer in Deutschland – soweit ersichtlich – allein in Spanien,330 der Tschechischen Republik und der Slowakei331 sowie  – in eingeschränktem Maße – in Österreich.332 Damit fehlt es aber an einer für die Herleitung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes erforderlichen gemeinsamen Verfassungstradition. c)  Art. 6 Abs. 1 EMRK Ein Recht auf Vorlageerzwingung folgt auch nicht aus der EGMR-Rechtsprechung, die vom Gerichtshof der EU bereits seit geraumer Zeit rezipiert wird333 und nach Beitritt der EU zur EMRK unter bestimmten Voraussetzungen Bindungswirkung entfaltet.334 Zwar betont der EGMR in ständiger Rechtsprechung, dass willkürliche Nichtvorlagen an den EuGH eine Verletzung des in Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren darstellen.335 Der EGMR hat einen derartigen Verstoß allerdings noch nie bejaht. Urteile des EGMR sind zudem nur Feststellungsurteile bzw. – soweit es um die Zahlung einer Entschädigung gem. Art. 41 EMRK geht – Leistungsurteile. Sie verpflichten dagegen nicht zur Wiederaufnahme des innerstaatlichen Gerichtsverfahrens.336 Erst 329   Vgl. XVIIIe colloque de l’Association des Conseils d’État et des juridictions administratives suprêmes de l’Union européenne, Helsinki 20. – 21.5.2002, Länderberichte (jeweils unter Frage 1.6), veröffentlicht unter http://aca-europe.eu/index.php/en/colloques-top-en/240-18th-colloquium-inhelsinki-from-20-to-21-may-2002. 330   Tribunal Constitucional, Sentencia 58/2004, BOE 2004, núm. 120 Suplemento, 64; Sentencia 194/2006, BOE 2006, núm. 172 Suplemento, 98. 331  Für die Tschechische Republik vgl. Verfassungsgericht, Beschluss v. 30.6.2008, IV. ÚS 154/08; Beschluss v. 24.7.2008, III. ÚS 2738/07; Beschluss v. 8.1.2009, II. ÚS 1009/08; für die Slowakei Verfassungsgericht, Beschluss v. 29.5.2007, III. ÚS 151/07; Beschluss v. 3.7.2008, IV. ÚS 206/08. Überblick bei Bobek/Kosař, Eric Stein Working Paper No. 2/2010. 332   VfGH, 11.12.1995, B 2300/95 = EuGRZ 1996, 529. Zwar verzichtet der österreichische Verfassungsgerichtshof im Unterschied zum BVerfG auf das Kriterium der Willkür. Anders als in Deutschland ist die Kontrolle aber auf Entscheidungen sogenannter Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag und damit auf einen Ausschnitt der verwaltungsrechtlichen Rechtspflege beschränkt (vgl. Art. 144 B‑VG). Der österreichische Verfassungsgerichtshof kann daher eine Verletzung der Vorlagepflicht nur in seltenen Ausnahmefällen sanktionieren; Betz, Vorlagepflicht, 2013, S. 157 ff., 214; Solar, Vorlagepflichtverletzung, 2004, S. 115, 117 f. 333   Der Gerichtshof der EU hat bereits in der Vergangenheit „in zunehmend pointierter Weise“ auf die Rechtsprechung des EGMR Bezug genommen; vgl. Reflexionspapier des Gerichtshofs der EU zu bestimmten Aspekten des Beitritts der EU zur EMRK v. 5.10.2010, Rn. 3. 334   Urteile des EGMR entfalten Bindungswirkung gegenüber dem Gerichtshof der EU, wenn die EU Partei des betreffenden Verfahrens war (Art. 46 Abs. 1 EMRK); Obwexer, EuR 2012, 115, 146. Dies ist der Fall, wenn sich die Individualbeschwerde gem. Art. 34, 35 EMRK gegen die EU richtet, beispielsweise, wenn es um die Gültigkeit des Unionsrechts geht. Wird das Unionsrecht dagegen von den Mitgliedstaaten rechtswidrig durchgeführt oder beanstandet der Kläger einen Verstoß gegen Art. 267 AEUV, ist die Individualbeschwerde gegen diesen Mitgliedstaat, nicht aber gegen die Union zu richten. Die in einem solchen Verfahren getroffenen Urteile des EGMR entfalten dann auch keine Bindungswirkung gegenüber dem EuGH. 335   EGMR, 12.5.1993, Nr. 20631/92 (Divagsa); 25.1.2000, Nr. 44861/98 (Moosbrugger); 24.8.1999, Nr. 35673/97, 35674/97, 36082/97 und 37579/97 (Schweighofer u. a.); 4.10.2001, Nr. 60350/00 (Canela Santiago); 13.6.2002, Nr. 43454/98 (Bakker); 12.6.2003, Nr. 68693/01 (Pedersen and Pedersen); 13.2.2007, Nr. 15073/03 (John), EuGRZ 2008, 274; 8.12.2009, Nr. 54193/07 (Herma), NJW 2010, 3207. 336   EGMR, 8.7.2003, Nr. 15227/03 (Lyons); BVerfG, NJW 2004, 3407, 3410; vgl. auch die Begründung zum Entwurf des 2. JuMoG, BT‑Drucks. 16/3038, 39. In Deutschland führt eine erfolgreiche

B. Justizielle Durchsetzung des Unionsprivatrechts

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recht folgt aus der EMRK kein Recht des Einzelnen auf Vorlage einer Rechtssache an den EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 3 AEUV. 3. Ergebnis Damit ist festzuhalten, dass die Mitgliedstaaten nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht zur Einführung spezieller Rechtsbehelfe zur Überprüfung der Vorlagepflicht verpflichtet sind.337 Ein Verstoß gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV muss daher auf andere Weise sanktioniert werden.

II. Unionsrechtliche Sanktionsmöglichkeiten bei Vorlagepflichtverletzung 1. Vertragsverletzungsverfahren Weigert sich ein nationales Gericht, eine entscheidungserhebliche Frage dem EuGH vorzulegen, so ist das Vertragsverletzungsverfahren kein probates Mittel, um einen effektiven Individualschutz zu gewährleisten. Zwar stellt die unionsrechtswidrige Nichtvorlage durch ein nationales Gericht eine dem Mitgliedstaat zurechenbare Verletzung des Unionsrechts dar, die von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 258, 259 AEUV) gerügt werden kann.338 Auch die Kommission hält das Vertragsverletzungsverfahren für eine zulässige Option,339 insbesondere, wenn die Vorlagepflicht aus 267 Abs. 3 AEUV in „offensichtlicher Unkenntnis oder [aufgrund] einer bewussten Haltung“ von den Gerichten missachtet wird.340 Bislang hat die Kommission jedoch aus politischen Gründen niemals von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.341 Nach ständiger Rechtsprechung der europäischen Gerichte kann die Kommission vom einzelnen Unionsbürger auch nicht durch Erhebung einer Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) oder Untätigkeitsklage (Art. 265 AEUV) zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gezwungen werden.342 Individualbeschwerde demgegenüber nach § 580 Nr. 8 ZPO zur Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Verfahren; hierzu infra, § 5 B.III.1. 337   Im Ergebnis auch BVerfG, NVwZ-RR 2008, 658, 660, Rn. 25 ff. 338   Vgl. EuGH, Rs. C‑129/00 (Kommission/Italien): Vertragsverletzungsverfahren gegen den italienischen Gesetzgeber, der es unterlassen hatte, gesetzliche Vorschriften zu ändern, obwohl diese von einem erheblichen Teil der Gerichte in unionsrechtswidriger Weise ausgelegt und angewendet wurden. Vgl. auch BVerfG, NVwZ-RR 2008, 658, 660, Rn. 27; von der Groeben/Schwarze/Gaitanides, Kommentar zum EU‑/EG‑Vertrag, 6. Aufl., 2003, Art. 234 EG Rn. 70 m. w. N.; Calliess/Ruffert/ Cremer, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 258 AEUV Rn. 28. 339   Antworten der Kommission auf die schriftlichen Anfragen Nr. 100/67 von Herrn Westerterp (ABl. 1967 C 270/22) und Nr. 28/68 von Herrn Deringer (ABl. 1968 C 71/3). 340   Antwort der Kommission auf die Anfrage Nr. 608/78 des Abgeordneten Krieg, ABl. 1979 C 28/8. Ob sich Vertragsverletzungsverfahren auf systematische, evidente oder grundsätzlich bedeutsame Vorlagepflichtverletzungen beschränken müssen, ist umstritten; dafür: Büscher, GPR 2008, 210, 213. Streinz/Ehricke, 2. Aufl., 2012, Art. 267 AEUV Rn. 49, plädiert dagegen im Interesse des (mittelbaren) Individualrechtsschutzes für eine weniger restriktive Handhabung. 341  Ausführlich Kokott/Henze/Sobotta, JZ 2006, 633, 640 f. Die von G. Meier, EuZW 1991, 11, berichtete förmliche Einleitung eines entsprechenden Vertragsverletzungsverfahrens gegen einen Nichtzulassungsbeschluss des BGH führte nicht zur Klageerhebung. Gleiches gilt für das von Lenski/Mayer, EuZW 2005, 225, referierte Vertragsverletzungsverfahren 2003/2161 C (2004)3899 gegen Schweden wegen anhaltender Nichtvorlagen seitens des obersten schwedischen Gerichts. 342   EuGH, Rs. 247/87 (Star Fruit) Rn. 11; Rs. C‑196/97 P (Intertronic) Rn. 12; Rs. C‑422/97 P (Sateba) Rn. 42; EuG, Rs. T‑126/95 (Dumez) Rn. 33 ff.

436 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Der praktische Nutzen eines Vertragsverletzungsverfahrens wäre im Übrigen begrenzt. Ein stattgebendes Vertragsverletzungsurteil hebt das mitgliedstaatliche Urteil nämlich nicht auf, sondern stellt lediglich die Vertragsverletzung fest.343 Aufgrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes und der Unabhängigkeit der Gerichte können die verurteilten Mitgliedstaaten rechtskräftig gewordene Urteile weder selbst aufheben noch den Gerichten eine entsprechende Weisung erteilen. Eine Verurteilung durch den Gerichtshof verpflichtet den betreffenden Mitgliedstaat daher nur dazu, die Vorgaben des EuGH für die Zukunft umzusetzen. 2. Staatshaftungsanspruch Seit der Köbler-Entscheidung344 ist anerkannt, dass letztinstanzliche, gegen Unionsrecht verstoßende Gerichtsentscheidungen Staatshaftungsansprüche begründen können. Ungeklärt ist, ob die Verletzung der Vorlagepflicht für sich genommen ausreicht, um einen Staatshaftungsanspruch für judikatives Unrecht auszulösen. Im Schrifttum wird dies zumeist abgelehnt, da Art. 267 Abs. 3 AEUV kein Recht zugunsten Einzelner auf Einleitung eines Vorlageverfahrens begründet.345 Generalanwalt Léger vertrat in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Köbler dagegen die Auffassung, dass eine offensichtliche Verletzung der Vorlagepflicht „als solche“ sehr wohl die Haftung des Staates auslösen könne.346 In einem derartigen Fall könne der Einzelne nämlich eine Verletzung seines gemeinschaftsrechtlich geltenden Rechts auf Gerichtszugang (abgeleitet aus Art. 6 EMRK) geltend machen.347 Der EuGH ist diesen Ausführungen nicht gefolgt. Obwohl das österreichische Gericht in dem betreffenden Ausgangsverfahren sowohl gegen seine Vorlagepflicht verstoßen als auch das einschlägige materielle Gemeinschaftsrecht falsch ausgelegt hatte, hielt der Gerichtshof den Verstoß für nicht hinreichend qualifiziert, da die zu beurteilende Frage im Gemeinschaftsrecht nicht ausdrücklich geregelt und durch die Rechtsprechung noch nicht beantwortet worden war.348 Daraus lässt sich entnehmen, dass die bloße Verletzung der Vorlagepflicht als solche noch nicht die Staatshaftung auslöst. Erst das Hinzutreten weiterer Umstände begründet nach Ansicht des EuGH einen Staatshaftungsanspruch, so insbesondere, wenn sich ein nationales Gericht über eine bereits existierende Rechtsprechung des Gerichtshofs offensichtlich hinwegsetzt.349 Die Staatshaftung für judikatives Unrecht ist damit nur bedingt geeignet, einen Verstoß gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV zu sanktionieren. Denn nach der Cilfit-Rechtsprechung besteht eine Vorlagepflicht letztinstanzlich entscheidender Gerichte bereits dann, wenn die betreffende Frage vom EuGH noch nicht entschieden wurde und kein acte clair vorliegt.350 Hiervon abgesehen gewährt das Institut der Staatshaftung nur Sekundärrechtsschutz, der eine Rechtsverletzung nicht verhindert, sondern lediglich ausgleicht. Der Staatshaftungsanspruch zielt nämlich, da das Unionsrecht insoweit keine gegenteili343

  Kokott/Henze/Sobotta, JZ 2006, 633, 640 f.; Büscher, GPR 2008, 210, 213.   EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler).   Wegener, EuR 2002, 785, 788; ders., EuR 2004, 84, 90; Gundel, EWS 2004, 8, 9; wohl auch Obwexer, EuZW 2003, 726, 727. 346   GA Léger, SchlA, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn.  144 – 148. 347   GA Léger, SchlA, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 147. Vgl. auch Haratsch, JZ 2006, 1176, 1177 (Verstoß gegen Art. 47 Abs. 2 GRC). 348   EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 121 ff. 349   EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 56. 350   EuGH, Rs. 283/81 (Cilfit) Rn. 16. 344

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gen Vorgaben trifft,351 in den meisten Mitgliedstaaten nicht auf Naturalersatz bzw. Folgenbeseitigung, sondern nur auf eine finanzielle Entschädigung.352 3. Unionsrechtliche Pflicht zur Wiederaufnahme des Verfahrens? a) Grundsätze Gerichtliche Entscheidungen, die nicht mehr mit einem Rechtsmittel angegriffen werden können, sind nach dem in sämtlichen Mitgliedstaaten anerkannten Grundsatz der res iudicata selbst dann rechtskräftig, wenn sich das letztinstanzliche Gericht geweigert hat, eine entscheidungserhebliche Frage dem EuGH vorzulegen, und sich nachfolgend – etwa im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens oder eines Vorabentscheidungsverfahrens in einer anderen Rechtssache – herausstellt, dass die Gerichtsentscheidung nicht mit dem Unionsrecht in Einklang steht. Aus dem Unionsrecht könnte sich indessen die Pflicht ergeben, dass nach innerstaatlichem Recht für die Betroffenen die Möglichkeit bestehen muss, unionsrechtswidrige rechtskräftige Urteile im Wege eines Wiederaufnahmeverfahrens aufzuheben oder abzuändern. Zwar hat der Gerichtshof wiederholt auf die überragende Bedeutung hingewiesen, die dem Grundsatz der Rechtskraft sowohl in der Unionsrechtsordnung als auch in den nationalen Rechtsordnungen zukommt.353 Andererseits hat der Gerichtshof aber in einigen Fällen die Wirkung der Rechtskraft nationaler Zivilurteile354 und Schiedssprüche355 sowie die Bestandskraft gerichtlich bestätigter Verwaltungsentscheidungen356 zu Gunsten des vorrangigen Unionsrechts unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt. Daraus kann indessen nicht gefolgert werden, dass sich aus dem Unionsrecht die unbedingte Pflicht ergibt, rechtskräftige Urteile wieder aufzuheben, wenn sie unter Verstoß gegen die Vorlagepflicht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV ergangen sind und der EuGH im Nachhinein in einem anderen Verfahren eine andere Rechtsauffassung als das nationale Gericht des Ausgangsverfahrens vertritt.357 Vielmehr ist nach der Rechtsprechung des EuGH wie folgt zu unterscheiden:358 351   Vgl. insb. EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 39. Ferner Beljin, Staatshaftung, 2000, S. 68 ff.; Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 2145; Jarass, NJW 1994, 881, 884. A. A. noch Detterbeck, AöR 125 (2000), 202, 247; Prieß, NVwZ 1993, 118, 123 f. 352   Binia, Das Francovich-Urteil, 1998, S. 108. 353   EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 38; Rs. C‑234/04 (Kapferer) Rn. 20; Rs. C‑2/08 (Fallimento Olimpiclub) Rn. 22; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 35. 354   Vgl. EuGH, Rs. C‑119/05 (Lucchini). Auch die Rechtsprechung zur Staatshaftung judikativen Unrechts wird als Einschränkung des Rechtskraftprinzips interpretiert; EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler); hierzu Gundel, EWS 2004, 8, 16 (Rechtskraft wird „massiv unterbewertet“); Poelzig, JZ 2007, 858, 860 (rechtskräftiges Urteil wird „ignoriert“); Schöndorf-Haubold, JuS 2006, 112, 115 („starke Relativierung der Rechtskraft“); Wattel, CMLR 2004, 177 („essentially ignores that principle“). 355   Vgl. EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 36 ff.; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 49 ff. 356   Vgl. EuGH, Rs. C‑453/00 (Kühne & Heitz); hierzu Kenntner, EuZW 2005, 235, 237 f. (Gerichtshof hat einen „Durchbruch der Rechtskraft“ angeordnet). Vgl. auch EuGH, Rs. C‑2/06 (Kempter); verb. Rs. C‑392 & 422/04 (i‑21 Germany und Arcor). 357   So jedoch Pache/Bielitz, DVBl. 2006, 325, 331 f.; Poelzig, JZ 2007, 858, 866 f., 868; Potacs, in: FS Ress, 2005, S. 729, 735; wohl auch Ruffert, JZ 2006, 905, 906. Für eine Wiederaufnahme in diesen Fällen bereits zuvor Huthmacher, Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei indirekten Kollisionen, 1984, S. 214 f.; G. Meier, EuZW 1991, 11, 14 f. A. A. Büscher, GPR 2008, 210, 219; Germelmann, Rechtskraft, 2009, S. 259 ff., 282; Thomy, Individualrechtsschutz, 2009, S. 153 f. 358  Vgl. Ebers, ERPL 2010, 823, 836 ff.

438 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht b) Durchbrechung der Rechtskraft und Effektivitätsgebot Der Grundsatz der Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen und Schiedssprüchen steht mit dem Effektivitätsgebot grundsätzlich in Einklang. Wie der Gerichtshof im Fall Kapferer359 entschieden hat, verlangt das Gemeinschaftsrecht von den nationalen Gerichten nicht, „von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß dieser Entscheidung gegen Gemeinschaftsrecht abgestellt werden könnte“. Die Mitgliedstaaten müssen daher nicht zwangsläufig jeden Verstoß gegen Vorlagepflichten damit sanktionieren, dass im nationalen Recht Möglichkeiten einer Durchbrechung der Rechtskraftregeln für materiell-rechtlich unionsrechtswidrige Entscheidungen vorgesehen werden. Das Effektivitätsgebot wird erst dann verletzt, wenn der Einzelne nach nationalem Recht keine ausreichende Möglichkeiten hatte, auf das Unionsrecht gestützte Einwendungen während des Verfahrens zu irgendeinem Zeitpunkt effektiv geltend machen zu können. Der Gerichtshof überprüft insofern, ob nationale Präklusions‑, Ausschluss- und Rechtsmittelfristen der Dauer nach angemessen sind und ob der Einzelne tatsächlich in Kenntnis dieser Fristen die Möglichkeit hatte, Einwände bzw. Rechtsmittel vor Ablauf dieser Frist zu ergreifen.360 Das Prinzip der Rechtskraft als solches wird demgegenüber vom Gerichtshof als mit dem Effektivitätsgebot in Einklang stehend betrachtet. Denn das Prinzip der Rechtskraft ist nicht nur ein Rechtsgrundsatz, der den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zugrunde liegt, sondern zugleich ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts.361 Eine Durchbrechung der nationalen Rechtskraftregeln mit der Folge, dass die rechtskräftige Entscheidung selbst revidiert werden muss, verlangt der Gerichtshof bislang nur im Beihilferecht.362 Im Fall Lucchini hatte ein italienisches Zivilgericht unter Missachtung einer bestandskräftigen Negativentscheidung der Kommission einem Unternehmen einen Anspruch auf Auszahlung einer staatlichen Beihilfe zugesprochen. Nachdem das Urteil gem. Art. 2909 Codice civile rechtskräftig geworden war, erließ die Kommission eine Rückforderungsentscheidung. Der Beihilfeempfänger wehrte sich gegen die Rückzahlungsaufforderung der italienischen Behörden unter Hinweis auf die rechtskräftige Entscheidung. Der EuGH urteilte demgegenüber, dass das Gemeinschaftsrecht Art. 2909 Codice civile entgegensteht, soweit seine Anwendung die Rückforderung einer unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht gewährten staatlichen Beihilfe behindert, deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt durch eine bestandskräftig gewordene Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften festgestellt worden ist. Diese Ausführungen dürfen nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass nationale Rechtskraftregeln stets durchbrochen werden müssen, wenn ein Verstoß gegen das Unionsrecht vorliegt. Wie der Gerichtshof in nachfolgenden Urteilen363 festge359   EuGH, Rs. C‑234/04 (Kapferer) Rn. 21; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑2/08 (Fallimento Olimpiclub) Rn. 23; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 37; Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 45; Rs. C‑213/13 (Impresa Pizzarotti) Rn. 60; Rs. C‑69/14 (Târșia) Rn. 38. 360   Vgl. insb. EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 43 ff.; Rs. C‑40/08 (Asturcom) Rn. 40 ff. 361   EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 38; Rs. C‑234/04 (Kapferer) Rn. 20; Rs. C‑2/08 (Fallimento Olimpiclub) Rn. 22; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 35. 362   EuGH, Rs. C‑119/05 (Lucchini); Rs. C‑505/14 (Klausner Holz Niedersachsen). 363   EuGH, Rs. C‑2/08 (Fallimento Olimpiclub) Rn. 25; Rs. C‑213/13 (Impresa Pizzarotti) Rn. 61.

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stellt hat, betraf das Urteil Lucchini einen „ganz besonderen Sachverhalt“, in dem „Grundsätze der Verteilung der Kompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft auf dem Gebiet staatlicher Beihilfen“ in Frage standen; dabei wurde vom EuGH insbesondere berücksichtigt, dass allein die Kommission für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt (jetzt Binnenmarkt) zuständig ist. Dies lässt den Schluss zu, dass eine echte Durchbrechung der Rechtskraft nach dem Effektivitätsgebot nur dann erforderlich ist, wenn die unionsrechtliche Bestimmung, deren Vorrang geltend gemacht wird, im Rahmen einer ausschließlichen Zuständigkeit der Union erlassen wurde.364 c) Durchbrechung der Rechtskraft und Äquivalenzgebot Weitergehende Anforderungen ergeben sich aus dem Äquivalenzgebot: Sieht das nationale Recht für rein innerstaatliche Klagen die Möglichkeit einer Durchbrechung der Rechts- oder Bestandskraft vor, so müssen diese Instrumentarien auch für vergleichbare Klagen zur Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Rechte zur Verfügung gestellt werden.365 So muss ein nationales Gericht etwa im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens einem Antrag auf Aufhebung eines rechtskräftigen Schiedsspruchs wegen Verletzung unionsrechtlicher Bestimmungen, die zum ordre public des Unionsrechts zählen, stattgeben, wenn ein solcher Antrag bei Verletzung nationaler Bestimmungen, die nach innerstaatlichem Recht zur öffentlichen Ordnung zählen, Erfolg haben müsste.366 Entsprechendes gilt für die Rücknahme bestandskräftiger Verwaltungsentscheidungen: Ist eine Behörde nach nationalem Recht verpflichtet, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, wenn diese offensichtlich mit innerstaatlichem Recht unvereinbar ist, so muss im Fall offensichtlicher Unvereinbarkeit dieser Entscheidung mit Unionsrecht die gleiche Verpflichtung bestehen.367 Für die Wiederaufnahme bereits rechtskräftig abgeschlossener Verfahren folgt hieraus, dass Wiederaufnahmegründe, die für rein innerstaatliche Klagen bestehen, entsprechend auf vergleichbare Klagen368 zur Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Rechte erstreckt werden müssen.369 Bietet das nationale Recht keine derartigen Möglichkeiten, so ist es indessen nach dem Grundsatz der Rechtskraft hinzunehmen, dass sich das Unionsrecht im konkreten Fall nicht durchzusetzen vermag. d) Sonstige Wirkungen der Rechtskraft Von der Durchbrechung der Rechtskraft sind jene Konstellationen zu unterscheiden, in denen es gar nicht um die Aufhebung oder Abänderung der rechtskräftigen Entscheidung, sondern um die weiteren Wirkungen der Rechtskraft geht. Wie der 364

  GA Cruz Villalón, SchlA, Rs. C‑173/09 (Elchinov) Rn. 26.   Allgemein zum Äquivalenzgebot supra, § 4 D.   EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 36 f. (für B2B-Vertrag); Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 59 (für B2C-Vertrag). 367   EuGH, verb. Rs. C‑392 & 422/04 (i‑21 Germany und Arcor) Rn.  62 – 63, 69 – 72. 368   Hierzu EuGH, Rs. C‑69/14 (Târșia) Rn. 33 f.: Verwaltungs- und zivilrechtliche Streitigkeiten sind nicht vergleichbar. Daher liegt kein Verstoß gegen das Äquivalenzgebot vor, wenn mitgliedstaatliches Recht eine Wiederaufnahme nur im Verwaltungs‑, nicht aber im Zivilprozess vorsieht. Vertiefend Gundel, EWS 2016, 2, 3 f. 369   Zur Rechtslage in Deutschland sogleich, infra, § 5 B.III.1. 365 366

440 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Gerichtshof im Fall Fallimento Olimpiclub370 klargestellt hat, darf die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen nach nationalem Recht insbesondere nicht auf künftige Verfahren erstreckt werden, die einen unterschiedlichen Streitgegenstand aufweisen, wenn hierdurch der Verstoß gegen das Unionsrecht perpetuiert wird. In dem betreffenden Fall ging es um die Frage, ob ein unionsrechtswidriges, rechtskräftiges Urteil in einer Mehrwertsteuerstreitigkeit nach Art. 2909 des italienischen Codice Civile auch in einem anderen Rechtsstreit Bindungswirkung entfalten kann, wenn dieser Rechtsstreit zwar denselben Steuerpflichtigen, aber ein anderes Steuerjahr betrifft. Der Gerichtshof entschied, dass der Grundsatz der Rechtskraft nach dem Effektivitätsgrundsatz keine derart weitreichenden Folgen haben könne, da sich anderenfalls die unrichtige Anwendung des Unionsrechts für jeden neuen Veranlagungszeitraum wiederholte, ohne dass die fehlerhafte Auslegung korrigiert werden könnte. Auf der gleichen Linie liegt das Urteil Köbler,371 in welchem es unter anderem darum ging, ob die Anerkennung des Grundsatzes der Staatshaftung für Entscheidungen letztinstanzlicher Gerichte die Rechtskraft einer solchen Entscheidung in Frage stellt. Der EuGH verneinte dies und hob hervor, dass ein Staatshaftungsverfahren nicht denselben Gegenstand und nicht zwangsläufig dieselben Parteien hat wie das Verfahren, das zur rechtskräftigen Entscheidung geführt hat.372 4. Vorbeugend: Abstrakte Normenkontrolle zur Überprüfung nationalen Rechts? Weitergehend könnte darüber nachgedacht werden, ob dem Einzelnen nach dem Unionsrecht das Recht zustehen muss, im Wege der abstrakten Normenkontrolle gegen unionsrechtswidriges Recht vorzugehen. Könnte der Einzelne richtlinienwidriges nationales (Privat‑)Recht bereits vorab im Wege einer Feststellungs- oder gar Leistungsklage rügen, wären die nationalen Gerichte gezwungen, sich frühzeitig mit der Unionsrechtskonformität nationalen Rechts auseinanderzusetzen und die betreffende Frage dem EuGH vorzulegen. Unionsrechtswidriges Recht könnte auf diese Weise präventiv bekämpft werden, ohne dass die Vereinbarkeit umgesetzten Rechts – wie im Zivilrecht typisch – erst Jahre nach Inkrafttreten der Norm vom EuGH überprüft wird. Teile des Schrifttums gehen davon aus, dass das Unionsrecht dem Einzelnen die Rechtsmacht verleiht, im Wege der abstrakten Normenkontrolle oder einer Leistungsklage die Unionsrechtskonformität nationalen Rechts vor den mitgliedstaatlichen Gerichten überprüfen zu können.373 Ansatzpunkt dieser Auffassung ist die Rechtsprechung des EuGH zur Staatshaftung: Wenn die mangelnde oder mangelhafte Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben einen Ersatzanspruch des Einzelnen auslöst, dann impliziere dies, dass zunächst ein primärer Erfüllungsanspruch auf Erlass unionsrechtskonformen Rechts oder mindestens ein Feststellungsanspruch bestehe. 370

  EuGH, Rs. C‑2/08 (Fallimento Olimpiclub). Hierzu Poelzig, EuZW 2009, 741 ff.   So auch GA Mazák, SchlA, Rs. C‑2/08 (Fallimento Olimpiclub) Rn. 74.   EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 39. 373   Gurlit, in: Liber amicorum Reich, 1997, S. 55, 58 – 68; Musil, EuR 1998, 705, 706 – 711; Leonard, Die Rechtsfolgen der Nichtumsetzung von EG‑Richtlinien, 1997, S. 200 – 213. Zur Frage, wie ein derartiger Anspruch in das deutsche Rechtsschutzsystem einzupassen wäre, Dörr, Rechtsschutzauftrag, 2003, S. 213 ff. De lege lata dagegen Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1999, S. 402; vgl. auch Triantafyllou, DÖV 1992, 564, 567 f. Ablehnend auch House of Lords, R. v Secretary of State for Employment Ex p. Equal Opportunities Commission, [1995] 1 A.C. 1; zu den Hintergründen des Prozesses Szyszcak, ELRev. 1994, 218. 371 372

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Der EuGH hat dieser Auffassung eine Absage erteilt. Im Fall Unibet374 stellte der Gerichtshof klar, dass das Unionsrecht die Einführung eines eigenständigen Rechtsbehelfs nicht erfordert, um die Unvereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht feststellen zu können, solange diese im Rahmen anderer Rechtsbehelfe inzident überprüft werden kann. Etwas anderes gilt, wenn die im nationalen Recht vorgesehenen inzidenten Rechtsbehelfe, mit denen der Verstoß einer nationalen Vorschrift gegen das Unionsrecht gerügt werden kann, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Einzelne gezwungen ist, sich Verwaltungs- oder Strafverfahren und den Sanktionen, die sich daraus ergeben können, auszusetzen, weil er anderenfalls keinen Rechtsbehelf hätte, mit der er einen Verstoß der betreffenden nationalen Bestimmungen gegen das Unionsrecht rügen könnte.375 Die Möglichkeit, durch unionsrechtswidriges Recht privatrechtlich in Anspruch genommen zu werden, fällt in der Regel nicht hierunter. 5. Einführung einer Revision zum EuGH? Angesichts der im Unionsrecht bestehenden Rechtsschutzdefizite mehren sich im Schrifttum seit geraumer Zeit Stimmen, die eine Änderung der europäischen Verträge fordern und – mit unterschiedlicher Akzentsetzung – für die Einführung einer Nichtvorlagebeschwerde bzw. einer Revision zum Gerichtshof plädieren.376 In diesem Sinne hatte sich bereits der 60. Deutsche Juristentag im Jahre 1994 dafür ausgesprochen, dass die Beteiligten des einzelstaatlichen Verfahrens ein eigenes Antragsrecht auf Vorlage an den EuGH nach Art. 177 EG (jetzt Art. 267 AEUV) erhalten sollten, mit der Befugnis, bei Verletzung der Vorlagepflicht durch das einzelstaatliche Gericht eine Nichtvorlagebeschwerde zum EuGH zu erheben.377 Für die Einführung einer Revision zum EuGH streiten gerade im Privatrecht gute Gründe. Einerseits werden die mitgliedstaatlichen Privatrechtsordnungen in immer größerem Umfang durch das Unionsrecht determiniert, überlagert und durchbrochen. Dabei hat allein der EuGH die Letztentscheidungskompetenz darüber, wie das europäische Zivil- und Zivilverfahrensrecht auszulegen ist. Andererseits verfügt der Einzelne aber über keine direkte Zugangsmöglichkeit zum EuGH. Dies ist für ein Rechtssystem – wie Basedow378 zu Recht konstatiert – eine einzigartige Situation, bringen doch auf nationaler Ebene die vom jeweiligen nationalen Recht gewährten 374   EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 65. Hierzu Anagnostaras, ELRev. 2007, 727; Arnull, CMLR 2007, 1763. 375   EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 64. 376   Allkemper, Rechtsschutz, 1995, S. 206 ff.; Basedow, AcP 210 (2010), 157, 192 f., 195; Bruns, JZ 2011, 325; Ebers, InDret 1/2012, S. 40 f.; Gundel, EWS 2004, 8, 13 f.; Magiera, DÖV 2000, 1017, 1024; Piekenbrock, EuR 2011, 317, 342; Reich, ZRP 2000, 375 (für eine europäische Grundrechtsbeschwerde); Wegener, EuR 2008, Beiheft 3, 45, 57 f. Zur Einführung eines „appellate system“ vgl. auch Craig/de Búrca, EU Law, 6. Aufl., 2015, S. 504 f. 377   Beschlüsse des 60. Deutschen Juristentags, Abteilung Europarecht, Punkt IV.3.b., NJW 1994, 3075, 3081. 378   Basedow, AcP 210 (2010), 157, 193. Vgl. auch Bruns, JZ 2011, 325, 329, mit der Bilanz, dass der fehlende Individualzugang zum EuGH weder in den prägenden europäischen Zivilrechtsordnungen noch im Zivilprozessrecht ein Vorbild findet und rechtsvergleichend betrachtet eine „völlig vereinzelte Erscheinung“ ist.

442 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht oder geschützten Rechte ausnahmslos die Möglichkeit für den Berechtigten mit sich, sich an ein Gericht der jeweiligen Rechtsordnung zu wenden und seine Rechte durchsetzen zu lassen. Nach geltender Rechtslage kann ein Verstoß gegen Vorlagepflichten noch nicht einmal indirekt über die bestehenden Instrumente, insbesondere durch das Vertragsverletzungsverfahren und Staatshaftungsansprüche, effektiv sanktioniert werden. Der Einzelne ist damit auf die Vorlagebereitschaft der nationalen Gerichte angewiesen. Gerade um diese ist es jedoch in der Praxis nicht sehr gut bestellt. In Deutschland wird bereits seit Jahren von einer „Krise des Vorabentscheidungsverfahrens im Zivilrecht“379 gesprochen, da die deutschen Zivilgerichte entscheidungserhebliche, bislang ungeklärte Fragen zur Auslegung des harmonisierten Privatrechts in vielen Fällen nicht dem EuGH vorlegen.380 Auch für andere Mitgliedstaaten wird konstatiert, dass die Anzahl von Vorlagen auf dem Gebiet des harmonisierten Zivilrechts nach wie vor äußert gering ist.381 Obwohl die Zahl der von den mitgliedstaatlichen Gerichten auf dem Gebiet des Privatrechts eingeleiteten Verfahren in den letzten Jahren zugenommen hat, sind Vorabentscheidungen des EuGH zu privatrechtlichen Fragestellungen, gemessen am derzeitigen Bestand privatrechtsangleichender Richtlinien, nach wie vor verhältnismäßig gering.382 Ist ein Bedürfnis zur Einführung direkter Zugangsmöglichkeiten des Einzelnen in zivilrechtlichen Streitigkeiten dem Grunde nach nicht zu bestreiten,383 so sehen sich Vorschläge zur Einführung einer Revision zum EuGH auf der anderen Seite ernstzunehmenden Bedenken ausgesetzt.384 Ein individuelles Zugangsrecht des Einzelnen würde nicht nur eine höhere Arbeitsbelastung beim Gerichtshof auslösen, eine erhebliche Verlängerung des Verfahrens bewirken und Missbrauchsgefahren heraufbeschwören, sondern das gegenwärtige System der kooperativen Zusammenarbeit zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten und dem Gerichtshof nachhaltig verändern. 379

 So Hess, RabelsZ 66 (2002), 470, 477.  Vgl. Ulmer, BB 1998, 1865 f.; Basedow, in: Schulte-Nölke/Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte, 1999, S. 277 ff.; Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren und nationales Zivilprozessrecht, 2009, 66 f. Vgl. zudem den Streit um die Richtlinienkonformität von § 5a VVG; hierzu Ebers, in: Micklitz (Hrsg.), Verbraucherrecht in Deutschland, 2005, S. 253. Hier ergingen hunderte instanzgerichtliche Entscheidungen, bis der BGH im Jahre 2012 endlich ein Vorabentscheidungsverfahren einleitete; BGH, VersR 2012, 608. 381   Hakenberg, RabelsZ 66 (2002), 367, 372. 382   Im Zeitraum 1.1.2007 bis 31.12.2011 hat der EuGH zu den 11 wichtigsten Richtlinien insgesamt 24 Vorabentscheidungsurteile gefällt (Klausel-RL 93/13: 5; HWiRL 85/577: 3; FARL 97/7: 2; FDL-FARL 2002/65: 0; KaufRL 99/44: 2; VerbrKrRL 87/102: 3; TSRL 94/47: 0; PRRL 90/314: 0; VerzugsRL 2000/35: 3; Handelsvertreter-RL 86/653: 3; Produkthaftungs-RL 85/374: 3). Zur Fluggastentschädigungs-VO 261/2004 erließ der EuGH 6 Entscheidungen, zur Brüssel‑I-VO 44/2001 dagegen 35. Im Vergleich dazu ergingen allein zur Auslegung der 6. Mehrwertsteuer-RL 77/388 im gleichen Zeitraum 109 Vorabentscheidungsurteile. Recherche über http://curia.europa.eu. 383  Nach Bruns, JZ 2011, 325, 332, ist die Revision zum EuGH in Zivilsachen ein Gebot europäischer Justizgewährleistung, das vom EGMR, EuGH oder von den mitgliedstaatlichen Verfassungsgerichten in Zukunft eingefordert werden könnte. Nach Schmidt-Aßmann, JZ 1994, 832, 838, ist die Einführung einer zusätzlichen Beschwerde zum EuGH dagegen aus Gründen des Individualrechtsschutzes nicht zwingend veranlasst. 384   Dauses, in: 60. DJT 1994, Bd. 1, D 128; Mayer, DVBl. 2004, 606, 613; Pache, in: Bruha/Nowak/ Petzold (Hrsg.), Grundrechtsschutz für Unternehmen im europäischen Binnenmarkt, 2004, S. 193, 218 f.; Schwarze, DVBl. 2002, 1297, 1311 ff.; Thomy, Individualrechtsschutz, 2009, S. 253. 380

B. Justizielle Durchsetzung des Unionsprivatrechts

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In politischer Hinsicht konnten sich Vorschläge zur Reform des Vorabentscheidungsverfahrens bislang nicht durchsetzen. Keinen Erfolg hatte der vom Europäischen Parlament gebilligte Spinelli-Entwurf aus dem Jahre 1984, der bei Verletzung der Vorlagepflicht oder Missachtung von Vorabentscheidungsurteilen ein Kassationsverfahren gegen Entscheidungen letztinstanzlicher nationaler Gerichte einführen wollte.385 Der EuGH sprach sich im Jahre 1999 in seinem Reflexionspapier zur „Zukunft des Gerichtssystems der Europäischen Union“ nachdrücklich gegen die Einführung eines Kassationsverfahrens aus, da sich das richterliche Zusammenwirken zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof zu einem hierarchischen System wandeln würde.386 Die Reform des Vorabentscheidungsverfahrens bildete schließlich weder beim gescheiterten Europäischen Verfassungsvertrag noch beim anschließenden Lissabon-Reformvertrag einen besonderen Schwerpunkt der jeweiligen Beratungen.387 Der Lissabon-Vertrag lässt daher das Vorabentscheidungsverfahren in seinen wesentlichen Grundzügen unangetastet.

III. Sanktionierung der Vorlagepflichtverletzung nach deutschem Recht Angesichts der im Unionsrecht bestehenden Rechtsschutzlücken stellt sich die Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV zumindest nach deutschem Recht effektiv sanktioniert werden kann. 1. Einfachrechtliche Rechtsbehelfe Nach deutschem Prozessrecht haben die Prozessparteien keine Möglichkeit, die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zu beantragen; sie können eine Vorlage an den EuGH lediglich anregen. Umgekehrt kann der Einzelne eine Vorlage an den Gerichtshof aber auch nicht verhindern. Die Parteien des Ausgangsstreits haben keine Möglichkeit, die Entscheidung eines Fachgerichts, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, anzufechten.388 Legt ein nicht zur Vorlage verpflichtetes Gericht (Art. 267 Abs. 2 AEUV) eine entscheidungserhebliche unionsrechtliche Frage nicht vor, kann der Einzelne Berufung oder Revision gegen das Urteil einlegen. Das deutsche Rechtsmittelrecht gewährleistet, dass sich mehrere Instanzen mit den materiell-rechtlichen Fragen des Unions385   Vgl. Art. 43, fünfter Spiegelstrich des Entwurfs eines Vertrags zur Gründung der Europäischen Union (Dok. I‑1200/83, Berichterstatter: Altiero Spinelli), abgedruckt bei Schwarze/Bieber (Hrsg.), Eine Verfassung für Europa, 1984, S. 340; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Februar 1984, ABl. 1984 C 77/53. 386  Reflexionspapier, Die Zukunft des Gerichtssystems der Europäischen Union, 28.5.1999, EuZW 1999, 750, 755. Vgl. auch Streinz/Leible, EWS 2001, 1 ff. 387   Thiele, EuR 2010, 30. 388   OLG Celle, NJW-RR 2009, 857; OLG Köln WRP 1977, 734; MüKo/Gehrlein, ZPO, 4. Aufl., 2013, § 252 ZPO Rn. 16; K. Schmidt, in: FS Lüke, 1997, S. 721, 735 ff.; a. A. Pfeiffer, NJW 1994, 1996. Der EuGH hat demgegenüber betont, dass die Mitgliedstaaten Rechtsmittel gegen Vorlagebeschlüsse vorsehen dürfen; EuGH, Rs. 146/73 (Rheinmühlen III) Rn. 3; Rs. C‑210/06 (Cartesio) Rn. 89. Besteht diese Möglichkeit nach nationalem Recht, so dürfen vorinstanzliche Gerichte aber nicht angewiesen werden, ohne oder mit Vorabentscheidungsersuchen fortzufahren; vgl. EuGH, Rs. C‑210/06 (Cartesio) Rn. 94; Rs. C‑173/09 (Elchinov) Rn. 32. Eine Aufhebung der unterinstanzlichen Entscheidung ist daher nur möglich, wenn das Verfahren nicht bei dem rangniederen Gericht verbleibt bzw. nicht an dieses zurückverwiesen wird, sondern vom übergeordneten Gericht geführt wird; Foerster, JZ 2012, 515, 516.

444 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht rechts auseinandersetzen können: Berufung und Revision sind zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§§ 511 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich eine materiell-rechtliche Frage des Unionsrechtsrechts stellt, die der EuGH noch nicht geklärt hat und die nicht unzweifelhaft ist oder wenn das Fachgericht von der Rechtsprechung des EuGH abweicht.389 Berufung und Revision eröffnen dem Kläger damit die Möglichkeit, den Rechtsstreit in die letzte Instanz zu bringen und dort die Vorlagepflicht (Art. 267 Abs. 3 AEUV) auszulösen. Weigert sich ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht, die betreffende Frage dem EuGH vorzulegen, stehen dem Einzelnen dagegen keine ordentlichen Rechtsmittel mehr zur Verfügung. Als außerordentliches Rechtsmittel kommt vor allem die Anhörungsrüge (§ 321a ZPO) in Betracht. Die Vorschrift bezieht sich allerdings ihrem Wortlaut nach allein auf Verstöße gegen das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Bei Missachtung von Art. 267 Abs. 3 AEUV geht es demgegenüber um das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Sinn und Zweck des § 321a ZPO ist es, „eine Möglichkeit zur Selbstkorrektur von Entscheidungen zu schaffen, die ein Gericht unter Verletzung des rechtlichen Gehörs einer Partei getroffen hat, und dadurch das BVerfG von Verfassungsbeschwerden zu entlasten, die auf Gehörsverletzungen gestützt werden“.390 Die Gerichte gehen daher größtenteils davon aus, dass sich § 321a ZPO auf Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt und nicht entsprechend auf die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte angewendet werden kann.391 Im Übrigen wird im Schrifttum zu Recht an der Effektivität der Anhörungsrüge gezweifelt, da diese nur eine Selbstkontrolle beinhaltet, nicht aber zur Abgabe des Verfahrens an ein anderes Gericht führt.392 Ein rechtskräftiges Urteil kann nach deutschem Recht auch nicht ohne Weiteres aufgehoben werden. Eine Regelung wie in § 580 Nr. 8 ZPO, wonach eine Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Rechtsstreits im Wege der Restitutionsklage erzwungen werden kann, wenn der EGMR eine Verletzung der EMRK oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das rechtskräftige Urteil darauf beruht, gibt es für unionsrechtswidrige rechtskräftige Gerichtsentscheidungen bislang nicht. Eine analoge Anwendung dieser und anderer Wiederaufnahmevorschriften393 scheitert an der hierfür erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Obwohl der deutsche Gesetzgeber im Jahre 2006 die Wiederaufnahmegründe der ZPO um Verstöße gegen die EMRK erweitert hat, wurde davon abgesehen, entsprechende Regelungen für Verstöße gegen das Unionsrecht vorzusehen. Die in der ZPO geregelten Wiederaufnahmegründe 389   BVerfG, NVwZ-RR 2008, 611, 612 (Rn. 27); BGH, 16.1.2003, I ZR 130/02, BeckRS 2003, 1439; Hess, ZZP 108 (1995), 59, 99. Für das verwaltungsgerichtliche Verfahren BVerfGE 82, 159, 196 = NVwZ 1991, 53; BVerwG, NVwZ 1997, 178; BVerwG, NVwZ-RR 1998, 752, 754. 390   BGH, NJW 2008, 2126, 2127. 391   BGH NJW 2011, 1516; NJW-RR 2009, 144; NJW 2008, 2126. So auch Hk-ZPO/Saenger, 6. Aufl., 2015, § 321a ZPO Rn. 6; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, Bd. 4, 22. Aufl., 2008, § 321a ZPO, Rn. 72; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., 2016, § 321a ZPO Rn. 3a. Offengelassen in BGH, NJW 2006, 1978. A. A. BGH, NJW 2004, 2529 f.; Kroppenberg, ZZP 116 (2003) 421, 425 ff. 392   M. Schröder, EuR 2011, 808, 813. 393   Für eine analoge Anwendung des § 580 Nr. 6 ZPO insb. Huthmacher, Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei indirekten Kollisionen, 1985, S. 214 f.; G. Meier, EuZW 1991, 11, 14 f. Dagegen Koch, Einwirkungen, 1994, S. 134 ff.; K. Schmidt, in: FS Lüke, 1997, S. 721, 738; Poelzig, JZ 2007, 858, 867 f.; Germelmann, Rechtskraft, 2009, S. 287.

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werden im Übrigen von der Rechtsprechung als eine in sich abgeschlossene Regelung begriffen, die Analogien grundsätzlich nicht zulässt.394 Dass im deutschen Recht rechtskräftige Urteile allein wegen eines nachträglich festgestellten Verstoßes gegen das Unionsrecht nicht korrigiert werden können, ist mit dem Effektivitätsgebot grundsätzlich zu vereinbaren.395 Eine Verpflichtung des deutschen Gesetzgebers zur Erweiterung der in § 580 ZPO vorgesehenen Wiederaufnahmegründe könnte sich allenfalls aus dem Äquivalenzgebot ergeben,396 wenn man davon ausginge, dass Verstöße gegen das Unionsrecht ebenso wie Verstöße gegen die EMRK sanktioniert werden müssen. Zweifelhaft ist indessen, ob § 580 Nr. 8 ZPO überhaupt eine geeignete Vergleichsgrundlage bildet. Das Äquivalenzgebot soll verhindern, dass die Durchsetzung von Unionsrecht unter schlechteren Bedingungen erfolgt als die Durchsetzung vergleichbaren nationalen Rechts.397 § 580 Nr. 8 ZPO dient demgegenüber – wenngleich nach der Konvention keine Pflicht zur Wiederaufnahme besteht398 – der Durchsetzung der aus der EMRK folgenden Rechte. Im Übrigen ist zu bedenken, dass nicht jeder Verstoß gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV zugleich einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK begründet. Vielmehr stellt nach der Rechtsprechung des EGMR nur die willkürliche Missachtung von Vorlagepflichten eine Verletzung dar,399 die nach deutschem Recht zur Wiederaufnahme berechtigt. Aus dem Äquivalenzgebot folgt daher allenfalls die Pflicht zur Erweiterung der Wiederaufnahmegründe für Fälle, in denen ein rechtskräftiges unionsrechtswidriges Urteil durch willkürlichen Verstoß gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV zustande gekommen ist. In diesen Konstellationen stellt freilich bereits die Urteilsverfassungsbeschwerde (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) sicher, dass rechtskräftige Urteile, die auf einer willkürlichen Vorlagepflichtverletzung beruhen, angegriffen und nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben werden können. 2. Urteilsverfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG a) Der EuGH als gesetzlicher Richter In Deutschland kann bei Nichtvorlage durch ein letztinstanzliches Fachgericht das BVerfG im Wege der Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) angerufen werden. Seit der Solange IIEntscheidung400 aus dem Jahre 1986 sieht das BVerfG den EuGH als gesetzlichen Richter an. Die Parteien eines Rechtsstreits können daher eine Verletzung des in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG niedergelegten subjektiven Anspruchs401 auf den gesetzlichen 394   BFH, NJW 1978, 511; OLG Köln, NJOZ 2764 = BB 2004, 1134. Für die Wiederaufnahmegründe in der StPO vgl. BVerwG, NJW 1999, 1649; OLG Karlsruhe, Die Justiz 2005, 21. Siehe auch BVerfG, NJW 1986, 1425. 395  Hierzu supra, § 5 B.II.3.b. 396  Hierzu supra, § 5 B.II.3.c. Vgl. auch Gundel, EWS 2016, 2, 3. 397  Vgl. supra, § 4 D.V.2. 398  Siehe supra, § 5 B.I.2.c. 399   Supra, § 5 B.I.2.c. 400   BVerfGE 73, 339, 366 ff. = NJW 1987, 577, 578 (Solange II). 401   Das BVerfG bezeichnet Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG teils als Grundrecht (BVerfGE 95, 96, 127 = NJW 1997, 929; BVerfGE 96, 68, 76 = NJW 1998, 50), teils als grundrechtsähnliches oder ‑gleiches Recht (BVerfGE 82, 159, 194 = NVwZ 1991, 53; BVerfG, NVwZ 1993, 883; BVerfGE 96, 231, 243 = NJW 1998, 293). Daneben wird auch von einem Prozessgrundrecht, von einem rechtsstaatlichen Grundsatz bzw. von einer Verfahrensgarantie gesprochen (vgl. BVerfGE 86, 133, 143 = NVwZ 1992, 401; BVerfGE 82, 286, 298 = NJW 1991, 217).

446 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht Richter rügen, wenn ihrer Ansicht nach ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht seiner Vorlagepflicht nicht nachgekommen ist. Das BVerfG lehnt es allerdings in ständiger Rechtsprechung ab, als „oberstes Vorlagenkontrollgericht“ zu fungieren,402 und beanstandet eine Nichtvorlage an den EuGH erst dann, wenn das letztinstanzliche Gericht „willkürlich“ gegen seine Vorlagepflicht verstoßen hat. Stellt das BVerfG eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG fest, so hebt es das Urteil auf und verweist das Verfahren zurück an das zuständige Gericht (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Zwar ergibt sich daraus nicht notwendigerweise für das nun zuständige Fachgericht die Verpflichtung, den EuGH in der entsprechenden Frage anzurufen. Vielmehr hat es lediglich erneut zu prüfen, ob eine Vorlage erforderlich ist. Das Gericht muss dabei jedoch die sich aus der Entscheidung des BVerfG ergebenden Konsequenzen ziehen. b) Darlegungspflicht des Beschwerdeführers und Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde Eine Urteilsverfassungsbeschwerde ist nur dann zulässig, wenn der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG hinreichend im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2, § 92 BVerfGG darlegt. Dies setzt voraus, dass die Auslegungsfrage als solche dargestellt wird und Ausführungen zu ihrer Erheblichkeit für die Entscheidung des Rechtsstreits gemacht werden.403 Der Beschwerdeführer muss ferner substantiiert darlegen, dass sein Recht auf den gesetzlichen Richter willkürlich verletzt worden ist.404 Darüber hinaus hat das BVerfG aus dem Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG) in zwei Beschlüssen aus dem Jahre 2008 abgeleitet, dass der Beschwerdeführer gegenüber dem letztinstanzlichen Fachgericht die unionsrechtliche Fragestellung thematisiert und eine Vorlage an den EuGH angeregt haben muss.405 Der Grundsatz der Subsidiarität erfordert hiernach über die formelle Erschöpfung des Rechtswegs hinaus, dass vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen worden sind, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen.406 Zwar könnten – so das BVerfG – die Beteiligten vor den Fachgerichten die Durchführung eines Vorabent­ scheidungsverfahrens nicht formell beantragen. Gleichwohl müssten sie jedoch die Durchführung eines solchen Verfahrens anregen, um dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität zu genügen.407 Teile des Schrifttums halten diese Anforderungen für unionsrechtswidrig, da die mitgliedstaatlichen Gerichte nach dem Unionsrecht stets verpflichtet seien, Art. 267 Abs. 3 AEUV von Amts wegen zu beachten.408 Tatsächlich verlangt das Unionsrecht aber noch nicht einmal, dass im nationalen Recht überhaupt Rechtsbehelfe bei Ver402

  So bereits BVerfG, NJW 1988, 1456, 1457; vgl. auch BVerfG, NVwZ-RR 2008, 658, 659.   BVerfG, NJW 2002, 1486 f. 404   BVerfG, NJOZ 2008, 2954; NVwZ 2008, 780; NVwZ-RR 2008, 658. 405   So allgemein BVerfG, NVwZ 2008, 780, 781 f.; sowie – bezogen auf die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO) – BVerfG WM 2008, 1089 = EuR 2008, 558 = NVwZ-RR 2008, 611. 406   BVerfG, NVwZ 2008, 780, 781 unter Hinweis auf BVerfGE 112, 50, 60 = NJW 2005, 1413. 407   BVerfG, NVwZ 2008, 780, 781. 408   Terhechte, EuR 2008, 567, 569, 573. Vgl. auch Unkrich, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG und die Rechtsposition des Einzelnen, 2006, S. 115 f. 403

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letzung der Vorlagepflicht vorhanden sind. Wenn eine Rechtsordnung einen solchen Rechtsbehelf dennoch vorsieht, lassen sich dem Unionsrecht deshalb keine Vorgaben für seine Ausgestaltung entnehmen.409 Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen bleiben dennoch insoweit widersprüchlich, als das Verfassungsgericht selbst davon ausgeht, dass letztinstanzlich entscheidende Fachgerichte unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV von Amts wegen gehalten sind, den EuGH anzurufen.410 Daher war es nur konsequent, dass das Gericht die Subsidiaritätsanforderungen in neueren Entscheidungen wieder gelockert hat: Handelt es sich beim gesetzlichen Richter um den EuGH, so ist nach Ansicht des Ersten Senats des BVerfG dem Subsidiaritätsgrundsatz Genüge getan, wenn das Vorbringen des Beschwerdeführers bei rechtlicher Prüfung durch das Fachgericht eine Vorlage an den EuGH als naheliegend erscheinen lässt.411 c) Willkürmaßstab in der bisherigen Rechtsprechung Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht bei jeder fehlerhaften Nichtvorlage vor, sondern erst bei einem willkürlichen Verstoß gegen die Vorlagepflicht. Nach herkömmlicher Definition ist eine richterliche Entscheidung willkürlich, wenn sie „bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist“.412 Diesen Maßstab hat das Verfassungsgericht durch drei Fallgruppen konkretisiert, in denen eine Nichtvorlage an den EuGH insbesondere unhaltbar ist, nämlich bei413 1. grundsätzlicher Verkennung der Vorlagepflicht, 2. bewusstem Abweichen von der Rechtsprechung des EuGH ohne Vorlagebereitschaft oder 3. Nichtvorlage trotz Unvollständigkeit der EuGH-Rechtsprechung. Von einer grundsätzlichen Verkennung der Vorlagepflicht ist auszugehen, wenn ein letztinstanzliches Fachgericht eine Vorlage trotz der seiner Auffassung nach bestehenden Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt. Um Zweifel überhaupt entstehen lassen zu können, muss das Fachgericht das maßgebliche Unionsrecht und die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH tatsächlich zur Kenntnis nehmen und sich hinreichend kundig machen.414 Von einer grundsätzlichen Verkennung der Vorlagepflicht ist daher bereits dann auszuge409  Siehe supra, § 5 B.I.2. Im Übrigen verlangt auch der EGMR, dass vor dem letztinstanzlichen Fachgericht ein hinreichend substantiierter Antrag auf Vorabentscheidung gestellt wurde; vgl. nur EGMR, 13.2.2007, Nr. 15073/03 (John), EuGRZ 2008, 274, 276. 410   Siehe nur BVerfGE 82, 159, 192 f. = NVwZ 1991, 53, 57 (Absatzfonds). 411   BVerfG, NJW 2011, 3428, 3430, Rn. 65. So auch BVerfG, NJW 2012, 598, 599, Rn. 21, dort allerdings mit der Einschränkung, dass es dem Beschwerdeführer in bestimmten Verfahrenskonstellationen (wie etwa der Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde) obliege, die Einleitung eines Vorabent­ scheidungsverfahrens anzuregen. 412   BVerfGE 29, 198, 207. 413   Siehe BVerfGE 82, 159, 195 = NVwZ 1991, 53, 58 (Absatzfonds). St. Rspr., vgl. BVerfG, NJW 2002, 1486; NVwZ 2008, 780; NJOZ 2008, 2955, 2956; NVwZ-RR 2008, 658, 659; NJW 2010, 1268, 1269.

448 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht hen, wenn das Fachgericht in Betracht kommendes Sekundärrecht allein nach nationalen Maßstäben ohne Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EuGH prüft. Die zweite Fallgruppe ist einschlägig, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht erneut vorlegt. Ein solcher Verstoß wurde etwa im Fall Kloppenburg bejaht.415 Das BVerfG sah es als willkürlich an, dass der BFH in einer letztinstanzlichen Entscheidung von einer in demselben Verfahren ergangenen EuGH-Entscheidung ohne erneute Vorlage mit der Begründung abgewichen war, dass der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für das Umsatzsteuerrecht nicht das Hoheitsrecht übertragen worden sei, Recht mit unmittelbarer Wirkung im Inland im Rahmen der Rechtsangleichung zu setzen. Als besonders problematisch erweist sich die dritte Fallgruppe, die immer dann greift, wenn zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts keine (erschöpfende) EuGH-Rechtsprechung vorliegt oder eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit erscheint. Für derartige Konstellationen ging das BVerfG bis zum Jahre 2010 davon aus, dass das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht schon dann verletzt sei, „wenn an der Lösung des Fachgerichts vernünftige Zweifel bestehen, sondern erst dann, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der materiellen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind.“416 Kein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG lag demgegenüber vor, „wenn das Gericht die entscheidungserhebliche Frage in zumindest vertretbarer Weise beantwortet hat“.417 Das BVerfG entwickelte damit in der dritten Fallgruppe eine von Art. 267 Abs. 3 AEUV abweichende Bezugsnorm für die Willkürkontrolle.418 Nach der Cilfit-Rechtsprechung des EuGH ist ein nationales letztinstanzliches Gericht bereits dann zur Vorlage verpflichtet, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine entscheidungserhebliche Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das nationale Gericht hat festgestellt, dass die betreffende unionsrechtliche Frage bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war (sog. acte éclairé) oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (sog. acte clair).419 Das BVerfG prüfte demgegenüber nicht, ob das Fachgericht in vertretbarer Weise von einem acte éclairé bzw. einem acte clair ausgegangen ist, sondern stellte allein darauf ab, ob die vom Fachgericht favorisierte Interpretation des betroffenen materiellen Unionsrechts vertretbar war. Angesichts dieses rigiden Prüfungsmaßstabs waren bis Ende 2009 – soweit ersichtlich – nur vier Verfassungsbeschwerden wegen Nichtvorlage erfolgreich.420

414

  BVerfG, NJW 2001, 1267, 1268; NVwZ 2004, 1224, 1227. Vgl. auch Nowak, NVwZ 2002, 688.   BVerfGE 75, 223 = NJW 1988, 1459 (Kloppenburg) gegen BFHE 143, 383 = NJW 1985, 2103. 416   St. Rspr. seit BVerfGE 82, 159, 196 = NVwZ 1991, 53 (Absatzfonds); Herv. im Original. 417   BVerfG, GRUR 2005, 52; NVwZ 2007, 197, 198; NVwZ 2007, 942, 945; NVwZ-RR 2008, 658, 659. 418   Aus diesem Grunde kritisch Glaesner, EuR 1990, 143, 150; Heß, ZZP 108 (1995), 59, 83 f.; K. Schmidt, in: FS Lüke, 1997, S. 721, 738; Kokott/Henze/Sobotta, JZ 2006, 633, 636; Fastenrath, NJW 2009, 272, 274; W. Roth, NVwZ 2009, 345, 350. 419   EuGH, Rs. 283/81 (Cilfit) Rn. 14 ff. 420   Vgl. BVerfGE 75, 223 = NJW 1988, 1459 (Kloppenburg); BVerfG, NJW 1988, 2173; NJW 2001, 1267; NVwZ 2004, 1224. 415

B. Justizielle Durchsetzung des Unionsprivatrechts

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d) Neuere Rechtsprechung Seit dem Jahre 2010 hat sich dieses Bild gewandelt. Nach der neueren Rechtsprechung ist Bezugsnorm der Willkürkontrolle nicht mehr (allein) das materielle Unionsrecht, sondern die Vorlageverpflichtung nach Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die Rechtsprechungswende wurde durch den Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2010 eingeleitet. Die 3. Kammer stellte zunächst fest, dass es sich bei den vom BVerfG gebildeten Fallgruppen um eine nicht abschließende Aufzählung von Beispielen für eine verfassungsrechtlich erhebliche Verletzung der Vorlagepflicht handelt. Für die Frage, ob das Recht auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG durch Nichtvorlage an den EuGH verletzt worden sei, komme es „im Ausgangspunkt nicht in erster Linie auf die Vertretbarkeit der fachgerichtlichen Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen materiellen Gemeinschaftsrechts (. . .) an, sondern auf die Beachtung oder Verkennung der Voraussetzungen der Vorlagepflicht (. . .), die den gesetzlichen Richter im Streitfall bestimmt“.421

Die Vertretbarkeit des Unterlassens eines Vorabentscheidungsersuchens müsse daher im Zusammenhang mit der Cilfit-Rechtsprechung des EuGH gesehen werden. „Bezogen auf diese für die Anwendung des Art. 234 III EG maßgeblichen Grundsätze wird ein letztinstanzliches nationales Gericht, das von einem Vorabentscheidungsersuchen absieht, dem Recht der Prozessparteien auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 I 2 GG nur dann gerecht, wenn es nach Auswertung der entscheidungserheblichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts eine vertretbare Begründung dafür gibt, dass die maßgebliche Rechtsfrage durch den EuGH bereits entschieden ist oder dass die richtige Antwort auf diese Rechtsfrage offenkundig ist. Die gemeinschaftsrechtliche Rechtsfrage wird hingegen nicht zumindest vertretbar beantwortet, wenn das nationale Gericht eine eigene Lösung entwickelt, die nicht auf die bestehende Rechtsprechung des EuGH zurückgeführt werden kann und auch nicht einer eindeutigen Rechtslage entspricht“.422

Obwohl sich der Zweite Senat in seinem Honeywell-Beschluss vom 6. Juli 2010423 ausdrücklich von dieser Auffassung distanzierte und klarstellte, an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten zu wollen, schloss sich die 2. Kammer des Ersten Senats am 30. August und 10. November 2010 der Meinung der 3. Kammer des Ersten Senats an.424 Der gesamte Erste Senat bestätigte in seinem Beschluss vom 25. Januar 2011425 die Kammerrechtsprechung und betonte erneut, dass es für die Prüfung einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht in erster Linie auf die Vertretbarkeit der fachgerichtlichen Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen Unionsrechts ankomme, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV. Daraufhin schloss sich auch der Zweite Senat im Jahre 2014 der neuen Judikatur des Ersten Senats an,426 und beseitigte damit die Rechtsprechungsdivergenzen.427 421

  BVerfG, NJW 2010, 1268, 1269, Rn. 20.   BVerfG, NJW 2010, 1268, 1269, Rn. 21. 423   BVerfG, NJW 2010, 3422, 3427 (Honeywell), Rn. 89. 424   BVerfG, NJW 2011, 288 f., Rn. 48; ZUM 2011, 236, 238, Rn. 23; erneut bestätigt durch BVerfG, NVwZ 2012, 297, Rn. 12. 425   BVerfG, NJW 2011, 1427, 1431, Rn. 104. 426   BVerfG, NVwZ 2014, 646, Rn. 184. 427   Finck/Wagner, NVwZ 2014, 1286 ff. 422

450 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht e) Auswertung Die neuere Rechtsprechung ist im Schrifttum zu Recht auf einhellige Zustimmung gestoßen.428 Bezugsnorm der verfassungsrechtlichen Prüfung muss Art. 267 Abs. 3 AEUV und nicht das jeweils einschlägige materielle Recht sein. Nicht die Sachnorm entscheidet darüber, ob der EuGH anzurufen ist, sondern die prozessuale Norm des Art. 267 Abs. 3 AEUV. Zwar hängt die Frage, ob der EuGH als gesetzlicher Richter einzuschalten ist, tatbestandlich auch vom materiellen Unionsrecht ab. Soweit das materielle Unionsrecht keine Auslegungsfragen aufwirft, besteht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nämlich schon keine Vorlagepflicht. Die in dieser Vorschrift verankerten Voraussetzungen gehen jedoch darüber hinaus. Denn nach der bereits referierten Cilfit-Rechtsprechung ändert auch eine völlig überzeugende Auslegung des materiellen Unionsrechts nichts an der Vorlagepflicht, solange kein acte éclairé oder ein acte clair vorliegt. Legt ein mitgliedstaatliches Gericht dem EuGH nicht vor, obwohl diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, verletzt es daher primär Art. 267 Abs. 3 AEUV und erst sekundär (wenn überhaupt) das materielle Unionsrecht. Demzufolge ist es nur folgerichtig, dass das BVerfG nunmehr prüft, ob das Fachgericht Art. 267 Abs. 3 AEUV und die Cilfit-Kriterien beachtet hat. Darin liegt eine deutliche Verschärfung der Willkürkontrolle.429 Im Unterschied zur bisherigen Rechtsprechung reicht es nicht mehr aus, wenn das Fachgericht die entscheidungserhebliche Frage in zumindest vertretbarer Weise beantwortet hat. Das Fachgericht muss vielmehr zu dem Ergebnis gelangt sein, dass die Rechtslage eindeutig ist. Eine Vollkontrolle ist damit allerdings nicht verbunden.430 Denn auch nach der neueren Rechtsprechung kommt es letztlich darauf an, ob das Fachgericht in vertretbarer Weise begründet hat, dass die richtige Antwort auf die Rechtsfrage offenkundig ist.431 Dies dürfte dann der Fall sein, wenn die vom Fachgericht favorisierte Auslegung gegenüber vorhandenen Gegenmeinungen eindeutig vorzuziehen ist, und auch sonst keine Anhaltspunkte vorliegen, die geeignet sind, die Gewissheit zu zerstören, es liege ein acte clair vor. In diesem Zusammenhang dürfte insbesondere das Vorlageverhalten anderer Gerichte sowie die Auffassung der Kommission eine Rolle spielen: Legen andere Gerichte die entscheidungserhebliche Rechtsfrage vor oder rügt die Kommission gar einen Vertragsverstoß, so darf das Fachgericht in keinem Fall von einem acte clair ausgehen.432 f) Begründungspflicht der Fachgerichte Die neuere Rechtsprechung führt darüber hinaus zu einer Verschärfung der Begründungspflichten. Nach ständiger Rechtsprechung hat das Fachgericht in seiner Ent428   Bäcker, NJW 2011, 270; Pötters/Traut, EuR 2011, 580, 591 f.; M. Schröder, EuR 2011, 808; für Art. 267 AEUV als Bezugspunkt für die verfassungsrechtliche Prüfung auch schon zuvor Kokott/ Henze/Sobotta, JZ 2006, 633, 636; Fastenrath, NJW 2009, 272, 274; W. Roth, NVwZ 2009, 345, 350. 429   So auch Bäcker, NJW 2011, 270, 271; Schröder, EuR 2011, 808, 818. 430   So jedoch Thüsing/Pötters/Traut, NZA 2010, 930, 932 f.; Pötters/Traut, EuR 2011, 580, 590. 431   BVerfG, NJW 2011, 1427, 1431, Rn. 105. 432   So jetzt auch BVerfG, NJW 2014, 1796, Rn. 40 f: Ablehnung einer Vorlage an den EuGH ist offensichtlich unhaltbar, da sich die Fachgerichte mit den beachtlichen Gegenargumenten der Europäischen Kommission in dem von ihr gegen Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren nicht auseinandergesetzt haben.

B. Justizielle Durchsetzung des Unionsprivatrechts

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scheidung Gründe anzugeben, die zeigen, ob es sich hinsichtlich des europäischen Rechts ausreichend kundig gemacht hat.433 Die Begründungsanforderungen dienen dem Verfassungsgericht zur Kontrolle, ob das Fachgericht seiner Pflicht zur Anrufung des EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG i. V. m. Art. 267 Abs. 3 AEUV nachgekommen ist. Nach bisheriger Rechtsprechung musste sich das Fachgericht in seiner Entscheidung vor allem mit den materiellen Rechtsnormen des Unionsrechts, mit der Rechtsprechung des EuGH zu den entscheidungserheblichen Gesichtspunkten sowie mit Fragen der Methodenwahl auseinandersetzen.434 Nach der neueren Rechtsprechung erstrecken sich die Begründungspflichten dagegen auch auf die Frage, ob ein acte éclairé oder ein acte clair vorliegt. In diesem Sinne stellte die 3. Kammer des Ersten Senats in ihrem Beschluss vom 25. Februar 2010 fest, dass das BAG die Bedingungen für eine Vorlagepflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV i. V. m. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verkannt habe, weil es im angegriffenen Revisionsurteil nicht dargelegt habe, dass es sich hinsichtlich des europäischen Rechts kundig gemacht habe.435 Es fehlten – so das BVerfG – „jegliche Ausführungen dazu, dass die maßgebliche Frage des Gemeinschaftsrechts bereits durch den EuGH entschieden ist oder warum die richtige Antwort auf diese Rechtsfrage offenkundig sein soll“. Dass sich die Begründungsanforderungen auch auf die prozessualen Voraussetzungen der Vorlagepflicht beziehen, bestätigt auch die 2. Kammer des Ersten Senats in ihrem Beschluss vom 30. August 2010.436 Die Kammer urteilte, dass das angegriffene BGH-Urteil wegen Fehlens einer Auseinandersetzung mit der Vorlagepflicht zum Gerichtshof (Art. 267 Abs. 3 AEUV) gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verstößt. Zur Begründung führte die Kammer aus, dass die Entscheidung nicht erkennen lasse, ob sich der BGH hinsichtlich des europäischen Rechts kundig gemacht und ob er eine Vorlage überhaupt in Erwägung gezogen habe.437 Der BGH habe sich in seinem Urteil nur unzureichend mit der Auslegung des einschlägigen materiellen Unionsrechts befasst; zudem habe er auch die Ausnahmen von der Vorlagepflicht nach der Cilfit-Rechtsprechung nicht geprüft und begründet.438 Wie die 1. Kammer des Ersten Senats in ihrem Beschluss vom 8. Oktober 2015 klargestellt hat, greift diese Begründungspflicht selbst in Fällen, in denen das letztinstanzliche Fachgericht (wie z. B. bei der Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde, § 544 Abs. 4 S. 2 ZPO) vom Begründungserfordernis befreit ist.439 Unabhängig von der bislang ungeklärten Frage, in welchem Umfang die Willkürkontrolle verschärft worden ist, ist daher festzustellen, dass Fachgerichte künftig nicht nur zu den materiell-rechtlichen Fragen des Unionsrechts und der Rechtsprechung des EuGH, sondern auch zu der Frage Stellung nehmen müssen, ob die Rechtsfrage 433   BVerfG, NJW 2001, 1267, 1268; NVwZ 2004, 1224, 1227; NZG 2006, 781, 782; NVwZ 2007, 942, 945; NVwZ 2008, 780, 781, Rn. 31; NJW 2010, 1268, 1269 f., Rn. 19, 24; NJW 2011, 288, 289, Rn. 49 ff. 434   Vgl. nur BVerfG, NJW 2001, 1267, 1268. 435   BVerfG, NJW 2010, 1268, 1270, Rn. 24. 436   BVerfG, NJW 2011, 288. 437   BVerfG, NJW 2011, 288, 289, Rn. 49. 438   BVerfG, NJW 2011, 288, 289, Rn. 51 – 54 und Rn. 55 – 58. 439   BVerfG, NVwZ 2016, 378, Rn. 17 und Rn. 24 ff.

452 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht bereits durch den EuGH entschieden wurde oder die richtige Antwort offenkundig ist. Auch dies wird dazu führen, dass die deutschen Fachgerichte künftig sorgfältiger als bislang Vorlagepflichten prüfen. 3. Sonstige Urteilsverfassungsbeschwerden Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Vorlage an den EuGH kann sich nicht nur aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, sondern auch aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG)440 sowie aus der Verletzung des jeweils betroffenen materiellen Grundrechts selbst ergeben.441 Beide vom BVerfG anerkannte Konstellationen betreffen zwar nicht die für das Privatrecht typischen Fallgestaltungen. Sie können jedoch mittelbar von Bedeutung sein, soweit es um die grundrechtskonforme Auslegung privatrechtsangleichenden Sekundärrechts und des hierzu ergangenen Umsetzungsrechts geht. Die erste Konstellation betrifft Sekundärrechtsakte, die den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum belassen. Nach der Solange‑II-Rechtsprechung442 sind nationale Maßnahmen, die auf zwingenden unionsrechtlichen Vorgaben beruhen, grundsätzlich nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes, sondern nur an den Unionsgrundrechten zu messen. Da das geltende Unionsrecht dem Einzelnen keinen direkten Zugang zum EuGH im Wege einer Grundrechtsbeschwerde gewährt, kann ein effektiver Rechtsschutz nur auf der dezentralen Rechtsschutzebene durch die nationalen Gerichte im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens sichergestellt werden. Aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ergibt sich daher nach Auffassung des BVerfG für die Fachgerichte die Pflicht, sekundärrechtliche Vorgaben an den Unionsgrundrechten zu messen und gegebenenfalls ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV durchzuführen.443 Die zweite Konstellation betrifft die Bindung der Fachgerichte an die Grundrechte des Grundgesetzes. Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein Grundrechtsverstoß insbesondere dann vor, wenn ein Zivilgericht bei der Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Normen den Einfluss der Grundrechte des Grundgesetzes überhaupt nicht berücksichtigt oder unzutreffend eingeschätzt hat und die Entscheidung auf der Verkennung des Grundrechtseinflusses beruht.444 Ein solcher Grundrechtsverstoß kann, wie das BVerfG für das Verbreitungsrecht i. S. d. § 17 UrhG im Fall Cassina445 klargestellt hat, insbesondere dann vorliegen, wenn sich ein Zivilgericht in der Annahme, an vermeintlich zwingendes Unionsrecht gebunden zu sein, an der Berücksichtigung der Grundrechte des Grundgesetzes gehindert sieht. Lässt das Unionsrecht den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum, so ist dieser nämlich grundgesetzkonform auszufüllen. Ob ein solcher Umsetzungsspielraum besteht, kann dabei nur der EuGH letztverbindlich entscheiden. Ein Fachgericht verletzt daher nach Ansicht des BVerfG materielle Grundrechte schon dadurch, dass es in einer Situation, in der es sich nicht sicher ist, ob das Unionsrecht einen Umsetzungsspielraum lässt oder nicht, 440

  BVerfGE 118, 79, 97 = NVwZ 2007, 937, 938 f. (Treibhausgas-Emissionshandel).   BVerfG, NJW 2011, 3428 (Cassina).   BVerfGE 73, 339, 387 = NJW 1987, 577, 482 (Solange‑II); BVerfGE 123, 267, 335 (Lissabon). 443   BVerfGE 118, 79, 97 = NVwZ 2007, 937, 938 f. (Treibhausgas-Emissionshandel). 444   BVerfGE 97, 391, 401 = NJW 1998, 2889, 2890. 445   BVerfG, NJW 2011, 3428, 3433, Rn. 89 ff. (Cassina). 441 442

B. Justizielle Durchsetzung des Unionsprivatrechts

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die betreffende Frage nicht dem EuGH vorlegt. Halten die Fachgerichte eine vollständige Bindung durch das Unionsrecht ohne Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH für eindeutig, unterliegt dies der vollen Überprüfung durch das BVerfG.446 Die fachgerichtliche Entscheidung ist in diesem Fall also nicht lediglich auf eine Willkürkontrolle beschränkt.

IV. Ergebnis Die vorangegangene Analyse fördert ein ambivalentes Ergebnis zu Tage. Obwohl das Unionsrecht mittlerweile weite Teile des Privatrechts überlagert und der EuGH den Schutz subjektiver Unionsrechte im Wege der Rechtsfortbildung sukzessive ausgebaut hat, haben Einzelne in Privatrechtsstreitigkeiten keinen direkten Zugang zum EuGH. Der Vertrag von Lissabon hat an dieser Situation nichts geändert. Ein Recht auf Vorlageerzwingung folgt insbesondere nicht aus dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (Art. 4 Abs. 3, 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, Art. 47 Abs. 1 GRC).447 Verletzt ein letztinstanzlich entscheidendes mitgliedstaatliches Gericht seine Vorlagepflicht (Art. 267 Abs. 3 AEUV), stehen im Unionsrecht auch keine ausreichenden Möglichkeiten zur Verfügung, mit denen zumindest nachträglich ein Verstoß sanktioniert werden könnte. Vertragsverletzungsverfahren der Kommission sind zwar denkbar, praktisch aber nicht üblich. Staatshaftungsansprüche kommen nach bisheriger Rechtsprechung des EuGH bei bloßer Verletzung der Vorlagepflicht nicht in Betracht, ganz abgesehen davon, dass derartige Ansprüche eine Rechtsverletzung nicht verhindern, sondern lediglich ausgleichen. Aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot bzw. dem Gebot effektiven Rechtsschutzes lässt sich auch keine Verpflichtung ableiten, dass unionsrechtswidrige rechtskräftige Urteile, die unter Verstoß gegen Vorlagepflicht zustande gekommen sind, aufzuheben wären.448 Im Unterschied dazu zeigt sich, dass im deutschen Recht mittlerweile effektive Rechtsbehelfsmöglichkeiten vorhanden sind. Zwar stehen dem Betroffenen nach wie vor keine einfachrechtlichen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Der Einzelne kann jedoch bei Nichtvorlage durch ein letztinstanzliches Fachgericht das BVerfG im Wege der Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) anrufen, so dass bei Erfolg das Urteil aufgehoben wird (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Da das BVerfG in seiner neueren Rechtsprechung nunmehr prüft, ob das Fachgericht Art. 267 Abs. 3 AEUV und die Cilfit-Kriterien beachtet hat, besteht die Hoffnung, dass die von Vielen beklagte „Krise des Vorabentscheidungsverfahrens im Zivilrecht“ ihr Ende findet. Ähnliche Sanktionsmöglichkeiten wie in Deutschland sind indessen in anderen Ländern bislang kaum verbreitet. In den meisten Mitgliedstaaten bestehen keine besonderen Rechtsschutzmöglichkeiten, wenn letztinstanzliche Gerichte ihrer Vorlagepflicht nicht nachkommen.449 Abhilfe könnte hier nur eine – unter Umständen auch vom EuGH oder vom EGMR angemahnte – Änderung der europäischen Verträge schaffen, indem ein individuelles Zugangsrecht des Einzelnen zum EuGH in Zivilsa446

  BVerfG, NJW 2011, 3428, 3433, Rn. 90 (Cassina).   Supra, § 5 B.I.2. 448   Supra, § 5 B.II.3. 449  Hierzu supra, § 5 B.I.2.b. 447

454 § 5  Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im mitgliedstaatlichen Recht chen eingeführt wird. Für die Einführung einer Revision zum EuGH in Privatrechtsstreitigkeiten sprechen gute Gründe. Die politischen Hemmnisse dürften aufgrund der damit einhergehenden Hierarchisierung der Gerichtsstruktur allerdings beträchtlich sein. Unabhängig davon sollte aber schon jetzt dafür gesorgt werden, dass die Kapazitäten nicht nur beim EuG,450 sondern auch beim EuGH erweitert werden, um dem Gebot zeitnahen Rechtsschutzes und der Forderung nach einer Spezialisierung in Zivilsachen Rechnung zu tragen.

450   Nach der im Jahre 2015 beschlossenen Reform (VO Nr. 2015/2422, ABl. 2015 L 341/14) wird die Zahl der EuG-Richter bis zum Jahr 2019 schrittweise auf zwei Richter je Mitgliedstaat erhöht. Vertiefend Hoffmann, EuR 2016, 197 ff.

3. Teil

Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Primär- und Sekundärrecht

§ 6  Grundfreiheiten A. Die subjektiv-rechtliche Dimension der Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten waren ihrer ursprünglichen Konzeption nach nicht als individualschützende Rechtsnormen angelegt.1 Sie waren nach dem EWG-Vertrag vorrangig an die Mitgliedstaaten gerichtet, ohne dem Einzelnen explizit Rechte zu verleihen.2 Bereits zu Beginn der 1970er Jahre stellte der EuGH indessen klar, dass die Grundfreiheiten zugleich eine subjektiv-rechtliche Dimension beinhalten. Nachdem der Gerichtshof im Jahre 1963 in der Rechtssache Van Gend & Loos3 für das Zollverbot (jetzt Art. 30 AEUV) festgestellt hatte, dass nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Bürger Rechtssubjekte der Gemeinschaftsrechtsordnung sind und diese den Bürgern subjektive Rechte nicht nur kraft ausdrücklicher Bestimmung, sondern auch durch solche Normen gewährt, die den Mitgliedstaaten oder den Gemeinschaftsorganen klare und eindeutige Verpflichtungen auferlegen, erstreckte das Gericht diese Grundsätze schrittweise auf sämtliche Grundfreiheiten.4 Die Grundfreiheiten generieren damit seit Ablauf der Übergangszeiten5 nicht nur objektives Recht, sondern räumen dem Einzelnen zugleich das Recht ein, sich gegenüber den verpflichteten Rechtssubjekten auf sie zu berufen. Da die Grundfreiheiten hinreichend klare und unbedingte Maßstäbe enthalten, können sie unmittelbar Rechte begründen, ohne dass es eines nationalen Transformationsakts bedarf.6 Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ist bei alledem begrenzt. In persönlicher Hinsicht werden in erster Linie Unionsbürger, nicht jedoch Drittstaatsangehörige geschützt. In sachlicher Hinsicht setzen die Grundfreiheiten eine Teilnahme am grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr voraus. Die Grundfreiheiten können insofern als transnationale Wirtschaftsrechte bezeichnet werden (infra, B.). Ihrem Sinn und Zweck nach zielen die Grundfreiheiten darauf ab, einen gleichen und freien Zugang zu den mitgliedstaatlichen Märkten zu gewährleisten. Sie las1   Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 33; Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, 2001, S. 177 ff. Pernice, Grundrechtsgehalte, 1979, S. 125, 126 f., geht demgegenüber von einer subjektiv-individualschützenden Seite der Grundfreiheiten vom Anfang ihrer Geltung an aus. 2   Dies kam in zahlreichen Vertragsbestimmungen des EWGV von 1958 zum Ausdruck, so insb. in den sog. stand still-Regelungen; vgl. nur W.‑H. Roth, EWS 2013, 16. 3   EuGH, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos). Dazu supra, § 2 B.I. 4   Für die Warenverkehrsfreiheit siehe EuGH, Rs. 74/76 (Iannelli) Rn. 13 und Rs. 83/78 (Pigs Marketing Board); für die Arbeitnehmerfreizügigkeit EuGH, Rs. 41/74 (Van Duyn) Rn. 4 ff.; für die Niederlassungsfreiheit EuGH, Rs. 2/74 (Reyners); für die Dienstleistungsfreiheit EuGH, Rs. 33/74 (Van Binsbergen) und zur Kapitalverkehrsfreiheit EuGH, verb. Rs. C‑163, 165, 250/94 (Sanz de Lera u. a.) Rn. 19. 5   Ablauf der ersten Übergangszeit: 31.12.1969 (vgl. Art. 7 i. V. m. Art. 247 Abs. 2 EGV und der Gemeinsamen Bekanntmachung vom 27.12.1957, BGBl. II 1958, S. 1). Zu den weiteren Übergangszeiten siehe Art. 31, 33, 35, 48 Abs. 1, 52 Abs. 1, 59 Abs. 1 und Art. 67 EWGV. 6   EuGH, Rs. 106/77 (Simmenthal II) Rn. 14/16.

458

§ 6  Grundfreiheiten

sen sich daher unter einer subjektiv-rechtlichen Perspektive als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte beschreiben. Auch der EuGH greift in seiner Rechtsprechung zunehmend auf das Kriterium des Marktzugangs zurück, um den Schutzbereich der Grundfreiheiten zu bestimmen. Dies wirft die Frage auf, wie das diffuse Kriterium des Marktzugangs näher konkretisiert werden kann, um einer uferlosen Anwendung der Grundfreiheiten entgegenzuwirken (infra, C.). Die subjektive Wirkung der Grundfreiheiten erschöpft sich nicht in ihrer unmittelbaren Wirkung, also in dem Recht, die Grundfreiheiten in einem konkreten Prozess geltend machen zu können (Invokabilität).7 Sie begründen vielmehr einklagbare Individualrechte, die von den nationalen Gesetzgebern, Gerichten und Behörden zu schützen sind.8 Der Gerichtshof hat den Rechtsschutz sukzessive ausgebaut und konkrete Rechtsbehelfe anerkannt, die der Einzelne gegenüber einem Mitgliedstaat geltend machen kann. Zu diesen subjektiv-öffentlichen Rechten zählen Abwehrrechte, Teilhaberechte, Rechte auf hoheitliche Schutzgewähr sowie korrespondierende Sekundäransprüche, die bei einem Verstoß gegen die Grundfreiheiten ausgelöst werden können, insbesondere Staatshaftungs- und Bereicherungsansprüche (infra, D.). Nach umstrittener Rechtsprechung binden die Grundfreiheiten darüber hinaus private Personen. Ein Verstoß Privater gegen die Grundfreiheiten kann daher zur Nichtigkeit von Rechtsgeschäften führen und Schadensersatz- sowie Unterlassungsund Beseitigungsansprüche auslösen (infra, E.). Die einzelnen Grundfreiheiten haben sich zwar recht unterschiedlich entwickelt, mittlerweile aber doch so sehr angenähert, dass heute mit guten Gründen von einer „Konvergenz der Grundfreiheiten“ gesprochen wird.9 Im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen sind daher die übergreifenden Aspekte der Grundfreiheiten in den Blick zu nehmen. Dennoch wird sich zeigen, dass zwischen den produktbezogenen Grundfreiheiten einerseits und den personenbezogenen Grundfreiheiten andererseits gerade in subjektiv-rechtlicher Hinsicht erhebliche Unterschiede bestehen.10

B. Die Grundfreiheiten als transnationale Wirtschaftsrechte Die Grundfreiheiten schützen nicht die Handlungsfreiheit im Allgemeinen, sondern nur bestimmte Formen grenzüberschreitenden Wirtschaftens, die für das Funktionieren des Binnenmarktes unerlässlich sind. In persönlicher Hinsicht schützen die personenbezogenen Grundfreiheiten unmittelbar nur Unionsbürger, nicht aber Drittstaatsangehörige (I.). Kennzeichnend für sämtliche Grundfreiheiten ist darüber hinaus, dass nur grenzüberschreitende Sachverhalte erfasst werden (II.) und ein Bezug  7

  Zum Konzept der Invokabilität supra, § 3 C.III.1.   EuGH, Rs. 13/76 (Donà) Rn. 20; Rs. 106/77 (Simmenthal II) Rn. 14 ff.; Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 81, 96; Rs. C‑281/98 (Angonese) Rn. 34; Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 66; Rs. C‑341/05 (Laval) Rn. 97.  9   Behrens, EuR 1992, 145 ff.; Streinz, in: FS Rudolf, 2001, S. 199 ff. m. w. N. In einigen Entscheidungen hat der Gerichtshof die einheitliche Dogmatik ausdrücklich hervorgehoben; vgl. etwa EuGH, Rs. C‑106/91 (Ramrath) Rn. 17; Rs. C‑55/94 (Gebhard) Rn. 37. Die Unterschiede zwischen den Grundfreiheiten dagegen betonend Snell, in: Tridimas/Nebbia (Hrsg.), European Union Law for the Twenty-First Century, Vol. 2, 2004, S. 49 ff. 10   So z. B. beim Marktzugangskriterium (vgl. infra, § 6 C.II.4. und C.IV.3.d.) sowie bei der horizontalen unmittelbaren Wirkung der Grundfreiheiten (vgl. infra, § 6 E.II.).  8

B. Die Grundfreiheiten als transnationale Wirtschaftsrechte

459

zum wirtschaftlichen Handeln im weiteren Sinne vorliegen muss (III.). Daneben tritt ergänzend seit dem Maastrichter Vertrag allerdings das Recht auf Unionsbürgerfreizügigkeit, das als „Grundfreiheit ohne Markt“ auch bei nicht-wirtschaftlicher Tätigkeit greift (IV.).

I. Berechtigte der Grundfreiheiten 1. Unionsbürger Die Grundfreiheiten schützen alle Unionsbürger, also sämtliche Staatsangehörigen der EU Mitgliedstaaten (Art. 20 AEUV). Der Schutz ist unabhängig davon, ob der Einzelne daneben auch noch die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzt.11 Ob eine natürliche Person Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und sich aus diesem Grunde auf die Grundfreiheiten berufen kann, bestimmt sich in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften nach dem nationalen Recht.12 2. Personenmehrheiten innerhalb der EU Auch Gesellschaften können sich auf die Grundfreiheiten berufen, wenn sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der EU haben (Art. 54 AEUV).13 Die Voraussetzungen für die Gründung und Fortexistenz einer solchen Gesellschaft bestimmen sich nach Maßgabe der Entscheidungen Daily Mail, Überseering und Cartesio grundsätzlich nach dem Recht des Gründungsstaats.14 Ob die Grundfreiheiten einer Gesellschaft zugutekommen, ist insoweit eine Vorfrage, die beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nur nach dem geltenden nationalen Recht beantwortet werden kann.15 3. Drittstaatsangehörige und Personenmehrheiten außerhalb der EU Inwieweit auch Drittstaatsangehörige sowie Personenmehrheiten außerhalb der EU geschützt werden, lässt sich nicht für alle Grundfreiheiten einheitlich beantworten. Für die Personenverkehrsfreiheiten, also die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, ergibt sich bereits aus dem AEUV, dass diese Freiheiten grundsätzlich nur von Unionsbürgern in Anspruch genommen werden können.16 Drittstaatsangehörige werden nur ausnahmsweise und zumeist reflexhaft geschützt. So hat der EuGH etwa in einigen Fällen den persönlichen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten auf Familienangehörige eines Grund11

  EuGH, Rs. C‑122/96 (Saldanha) Rn. 15; Rs. C‑369/90 (Micheletti) Rn. 15.   Vgl. EuGH, Rs. C‑210/06 (Cartesio) Rn. 109. 13   Dass die Vorschriften zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit auch für Gesellschaften gelten, ergibt sich bereits aus ihrem Wortlaut; Art. 54 AEUV und Art. 56 i. V. m. 62 AEUV. Zur Arbeitnehmerfreizügigkeit vgl. EuGH, Rs. C‑208/05 (ITC) Rn. 25. Für die Warenverkehrs- und Kapitalverkehrsfreiheit folgt die Geltung der Grundfreiheiten aus dem Umstand, dass beide Freiheiten unabhängig von der Person, die sie ausübt, gewährleistet werden. Zum Ganzen Pache, in: Schulze/ Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 40. 14   EuGH, Rs. 81/87 (Daily Mail) Rn. 21 – 23; Rs. C‑208/00 (Überseering) Rn. 69; Rs. C‑210/06 (Cartesio) Rn. 109. 15   EuGH, Rs. C‑210/06 (Cartesio) Rn. 109. 16   Vgl. den Wortlaut der betreffenden Normen (Art. 45 Abs. 2; 49 Abs. 1; 56 Abs. 1 AEUV). 12

460

§ 6  Grundfreiheiten

freiheitsberechtigten ausgedehnt.17 Nach Auffassung des Gerichtshofs können sich Drittstaatsangehörige zudem als Empfänger einer grenzüberschreitend erbrachten Dienstleistung auf Art. 56 AEUV berufen.18 Drittstaatsangehörige fallen ferner unter den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit, wenn sie bei einer juristischen Person beschäftigt sind, die selbst Berechtigte der Dienstleistungsfreiheit ist.19 Eine erweiterte Berechtigung kann sich schließlich aus sekundärrechtlichen Vorschriften20 und aus völkerrechtlichen Vereinbarungen der EU mit Drittstaaten ergeben.21 Die produktbezogenen Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34, 35 AEUV) und den freien Kapital- und Zahlungsverkehr (Art. 63 AEUV) enthalten demgegenüber keinen Hinweis darauf, dass nur Unionsbürger sowie in der EU gegründete Gesellschaften geschützt wären. Im Schrifttum wird zu Recht davon ausgegangen, dass beide Grundfreiheiten als objektbezogene Freiheiten den grenzüberschreitenden Waren- und Kapitalverkehr unabhängig von der Nationalität schützen:22 Die Normen über die Warenverkehrsfreiheit knüpfen allein an die Herkunft der Ware, nicht aber an die Person des Grundfreiheitsberechtigten an. Handelt es sich um Waren aus dritten Ländern, die sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden (vgl. Art. 28 Abs. 2, 29 AEUV), ist es aus diesem Grunde ohne Belang, ob sich Unionsbürger bzw. Gesellschaften oder Drittstaatsangehörige auf den freien Handel mit ihnen berufen wollen. Für den freien Kapital- und Zahlungsverkehr stellt Art. 63 AEUV sogar ausdrücklich klar, dass alle Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten sind.23 4. Unternehmer und Verbraucher. P2P-Geschäfte Die Grundfreiheiten schützen in erster Linie professionelle Anbieter gegenüber Diskriminierungen und Beschränkungen seitens der Mitgliedstaaten. Darüber hinaus gelten sie aber auch für die Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen und können in diesem Rahmen Verbrauchern zugutekommen. Für die Warenverkehrsfreiheit hat der EuGH klargestellt, dass der bloße Bezug von Waren aus dem Ausland durch Privatpersonen, die zu nicht gewerblichen Zwe17   Siehe EuGH, Rs. C‑60/00 (Carpenter) Rn. 39 ff.; Rs. C‑370/90 (Singh) Rn. 17. Zur Rechtssache Carpenter vgl. supra, § 3 E.V.3.d.cc. 18   Vgl. EuGH, Rs. C‑484/93 (Svensson und Gustavsson). Begibt sich dagegen ein Unionsbürger in einen anderen Mitgliedstaat, um dort Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, so kann er sich nach Auffassung des EuGH nicht auf Art. 56 AEUV berufen, wenn der Dienstleister Drittstaatsangehöriger ist; EuGH, Rs. C‑290/04 (Scorpio) Rn. 67 – 68; a. A. GA Léger, SchlA, Rs. Scorpio, Rn. 62 ff.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 199 f. 19   Vgl. EuGH, Rs. C‑43/93 (Vander Elst) Rn. 18 ff. 20   Sekundärrecht gewährt insbesondere drittstaatsangehörigen Familienmitgliedern von Unionsbürgern in weitem Umfang Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechte sowie Ansprüche auf steuerliche und soziale Vergünstigungen; vgl. nur VO Nr. 1612/68 (ABl. 1968 L 257/2), RL 68/360 (ABl. 1968 L 257/13); VO 1408/71 (konsolidierte Fassung ABl. 1997 L 28/1); RL 2004/38/EG (ABl. 2004 L 158/77), hierzu EuGH, Rs. C‑127/08 (Metock). Vgl. ferner Art. 15 Abs. 3 GRC. 21   Vgl. insbesondere das EWR-Abkommen, das Abkommen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft, ABl. 2002 L 114/6, sowie das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei; ABl. 1964 Nr. 217/3685; dazu Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 379 f. 22   Leible, Wege, 2001, § 4 B.I.2.; Streinz, Europarecht, 10. Aufl., 2016, Rn. 815, 819; a. A. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, 1999, S. 79 f.; Ehlers/Ehlers EuGR, 4. Aufl., 2014, § 7 Rn. 50. 23   Hierzu EuGH, Rs. C‑101/05 (Skatteverket) Rn. 31 ff. Zu Ausnahmen vgl. Art. 64, 66, 75 AEUV.

B. Die Grundfreiheiten als transnationale Wirtschaftsrechte

461

cken handeln, unter den Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV fällt.24 Die passive Warenverkehrsfreiheit umschließt zugleich das Recht, sich frei in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begeben zu können, um dort unter denselben Bedingungen wie die ortsansässige Bevölkerung einzukaufen.25 Entsprechend hat der Gerichtshof für die Dienstleistungsfreiheit entschieden, dass Art. 56 AEUV nicht nur den Erbringer einer Dienstleistung schützt, sondern auch die grenzüberschreitende Inanspruchnahme einer Dienstleistung (passive Dienstleistungsfreiheit).26 Verbraucher, die im EU‑Ausland in Hotels übernachten, Bus und Taxi fahren oder andere Dienstleistungen entgegennehmen, stehen damit unter dem Schutz der Grundfreiheiten und können verlangen, in diesen Belangen einheimischen Bürgern gleichgestellt zu werden.27 Auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) wirkt als Nachfragefreiheit. Nach Ansicht des Gerichtshofs kann das Recht der Arbeitnehmer, bei Einstellung und Beschäftigung nicht diskriminiert zu werden, nur dann seine volle Wirkung entfalten, wenn der Arbeitgeber ein entsprechendes Recht darauf hat, Arbeitnehmer nach Maßgabe der Bestimmungen über die Freizügigkeit einzustellen.28 Für die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) ist ganz entsprechend von der Freiheit inländischer Personen auszugehen, Ausländer zur Niederlassung im Inland zu bewegen.29 Schließlich hat der Gerichtshof für die Kapitalverkehrsfreiheit anerkannt, dass Art. 63 Abs. 1 AEUV nicht nur „aktive“ Investoren vor Beeinträchtigungen bei grenzüberschreitender Kapitalanlage schützt, sondern auch die im Ausland Investi­ tionsmittel einwerbenden und sammelnden Gesellschaften.30 Das Urteil des EuGH im Fall Gaston Schul31 deutet darauf hin, dass die Grundfreiheiten darüber hinaus auf grenzüberschreitende Geschäfte zwischen Privatpersonen (P2P) Anwendung finden können. In dem betreffenden Fall hatte ein Privatmann mit Wohnsitz in Frankreich einem anderen Privatmann mit Wohnsitz in den Niederlanden ein gebrauchtes Sportboot verkauft, das in den Niederlanden mit einer Mehrwertsteuer i. H. v. 18 % des Kaufpreises besteuert wurde. Der Gerichtshof unterwarf diese Regelung einer Kontrolle nach Art. 110 AEUV und betonte, dass die Vorteile des gemeinsamen Marktes (jetzt: Binnenmarktes) über den berufsmäßigen Handel hinaus auch Privatleuten zugutekommen müssen, wenn sie grenzüberschreitende wirtschaftliche Transaktionen durchführen.32

24   EuGH, Rs. 215/87 (Schumacher) Rn. 14 ff.; Rs. C‑362/88 (GB‑INNO) Rn. 8; Rs. C‑170/04 (Rosengren) Rn. 33 ff. 25   EuGH, Rs. C‑362/88 (GB‑INNO) Rn. 8. 26   EuGH, verb. Rs. 286/82 und 26/83 (Luisi und Carbonne) Rn. 16; Rs. 186/87 (Cowan) Rn. 15; Rs. C‑243/01 (Gambelli) Rn. 55. 27   Vgl. etwa EuGH, Rs. C‑45/93 (Kommission/Spanien) Rn. 10; Rs. C‑388/01 (Kommission/Italien) Rn. 12 ff. 28   EuGH, Rs. C‑350/96 (Clean Car Autoservice) Rn. 20; Rs. C‑208/05 (ITC) Rn. 23. Ob auch nicht gewerbliche Arbeitgeber geschützt werden (bspw. Privatpersonen, die Kindermädchen oder Reinigungspersonal einstellen), ist noch ungeklärt. 29   Behrens, EuR 1992, 145, 160. 30   EuGH, Rs. C‑315/02 (Lenz) Rn. 21; Rs. C‑319/02 (Manninen) Rn. 23. 31   EuGH, Rs. 15/81 (Schul). 32   EuGH, Rs. 15/81 (Schul) Rn. 33.

462

§ 6  Grundfreiheiten

II. Transnationaler Charakter der Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten dienen der Sicherung eines gleichen und freien Zugangs zu den mitgliedstaatlichen Märkten und setzen dementsprechend ein grenzüberschreitendes Element voraus.33 Die Grundfreiheiten finden daher nach ständiger Rechtsprechung keine Anwendung auf rein innerstaatliche Sachverhalte. Die Bestimmungen des Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, den freien Dienstleistungsverkehr, die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapital- und Zahlungsverkehr sind – so die vom EuGH verwendete Formulierung – nicht auf Betätigungen anwendbar, deren „Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen“.34 Für die Warenverkehrsfreiheit betont der Gerichtshof entsprechend, dass Art. 34 AEUV nur auf Sachverhalte Anwendung findet, die einen Bezug zur Einfuhr von Waren im innergemeinschaftlichen Handel aufweisen.35 Zwar hat das Erfordernis des grenzüberschreitenden Bezugs in der Rechtsprechung des EuGH einen Erosionsprozess durchlaufen. Der Gerichtshof hat die Begriffe „Grenzübertritt“ und „grenzüberschreitende Tätigkeit“ in einer Reihe von Entscheidungen sehr extensiv ausgelegt und lässt es mitunter genügen, dass selbst hypothetische Beeinträchtigungen ausreichen.36 Dennoch hält der Gerichtshof weiterhin am Erfordernis eines grenzüberschreitenden Bezugs fest. Nach Auffassung des EuGH lässt sich Gegenteiliges auch nicht aus der Unionsbürgerschaft (Art. 20 AEUV) ableiten, die nach Art. 21 AEUV u. a. das Recht jedes Unionsbürgers umfasst, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.37 Auch insoweit hat der Gerichtshof nämlich wiederholt entschieden, dass die Unionsbürgerschaft nicht bezweckt, den sachlichen Anwendungsbereich des Primärrechts auf interne Sachverhalte auszudehnen, die keinerlei Bezug zum Unionsrecht aufweisen.38 Der Umstand, dass reine Inlandssachverhalte nicht in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fallen, führt bekanntlich zu einer Schlechterstellung von Inländern und inländischen Produkten, wenn der nationale Gesetzgeber die liberalisierende 33   Für Art. 34 f. AEUV ergibt sich dies bereits aus den Wortbestandteilen „Einfuhr“ bzw. „Ausfuhr“ und darüber hinaus aus dem Passus „zwischen den Mitgliedstaaten“. Art. 49 Abs. 1, 56 Abs. 1 AEUV nehmen ausdrücklich Bezug auf den „anderen Mitgliedstaat“, in dem die Niederlassung erfolgen soll bzw. der Leistungsempfänger angesiedelt ist. Art. 63 AEUV spricht ebenfalls von Beschränkungen „zwischen den Mitgliedstaaten“. Art. 45 AEUV umfasst demgegenüber die Abschaffung „jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung“ der Arbeitnehmer und geht dabei implizit davon aus, dass eine solche Diskriminierung erst nach einem geplanten oder durchgeführten Grenzübertritt überhaupt zum Problem werden kann. 34   EuGH, verb. Rs. 29 – 35/94 (Aubertin) Rn. 9 (zu Art. 49 AEUV); Rs. C‑134/95 (USSL) Rn. 19 (zu Art. 45, 49, 56 AEUV); verb. Rs. C‑64 – 65/96 (Uecker) Rn. 16 (zu Art. 45 AEUV); Rs. C‑104/08 (Kurt) Rn. 20 f. (zu Art. 18, 49, 56 AEUV); Rs. C‑245/09 (Omalet) Rn. 12 (zu Art. 56 AEUV). Für die Kapitalverkehrsfreiheit wird die oben zitierte Formulierung leicht variiert. Nach st. Rspr. sind Fälle ausgenommen, die mit keinem ihrer „wesentlichen“ Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen; EuGH, Rs. C‑132/10 (Halley) Rn. 19 m. w. N. 35   EuGH, Rs. 286/81 (Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij) Rn. 9; Rs. 98/86 (Mathot) Rn. 7; Rs. C‑448/ 98 (Guimont) Rn. 21. 36   Detaillierte Rechtsprechungsanalyse bei J. Gebauer, Die Grundfreiheiten, 2004, S. 83 – 96; Oliver/Enchelmaier, CMLR 2007, 649, 650 – 660. 37   EuGH, Rs. C‑212/06 (Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement Wallon) Rn. 39. 38   EuGH, verb. Rs. C‑64 – 65/96 (Uecker und Jacquet) Rn. 23; Rs. C‑148/02 (Garcia Avello) Rn. 26; Rs. C‑403/03 (Schempp) Rn. 20.

B. Die Grundfreiheiten als transnationale Wirtschaftsrechte

463

Wirkung der Grundfreiheiten nicht auf inländische Sachverhalte erstreckt. Eine solche Inländerdiskriminierung oder umgekehrte Diskriminierung ist nach Auffassung des Gerichtshofs jedoch aus unionsrechtlicher Perspektive hinzunehmen. Grundsätzlich sei es, so der EuGH, Sache der nationalen Gerichte, zu beurteilen, ob eine nach dem nationalen Recht verbotene Diskriminierung vorliegt, und gegebenenfalls zu bestimmen, wie diese zu beseitigen ist.39 Diese Ausführungen sind im Schrifttum auf scharfe Kritik gestoßen.40 Das starre Festhalten am Tatbestandsmerkmal des Grenzübertritts führe, so wird eingewendet, zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen für Inländer und inländische Produkte und stehe im Widerspruch zum Ziel des freien Wettbewerbs im Binnenmarkt. In einem Binnenmarkt dürfe der Grenzübertritt überhaupt kein relevantes Kriterium mehr sein. Sämtliche Bürger der Union hätten einen Anspruch auf vergleichbare Schutzstandards, und zwar auch dann, wenn sie ihren Heimatstaat gar nicht verließen. Ein Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal des „Grenzübertritts“ hätte indessen gravierende Folgen. Eine solche Ausweitung widerspräche nicht nur dem Wortlaut des AEUV und der Rechtsprechung des EuGH, sondern veränderte zugleich das Kompetenzgefüge zwischen den Mitgliedstaaten und der Union, wären die Grundfreiheiten doch ansonsten nichts anderes als ein nahezu umfassendes Deregulierungsprogramm, das sämtliche mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen einer an ihrem Maßstab ausgerichteten Generalrevision unterzöge.41 Inländerdiskriminierungen müssen daher hingenommen werden, um die mitgliedstaatlichen Kompetenzen im Einklang mit den begrenzten Zuständigkeiten der Union nicht weiter einzuschränken als notwendig. Soweit ein Bedürfnis für unionsweit geltende Regelungen besteht, müssen Diskriminierungen mittels Rechtsangleichung beseitigt werden.42 Ansonsten ist es Sache des nationalen Verfassungsrechts, einer umgekehrten Diskriminierung entgegenzuwirken.43

III. Wirtschaftsbezogener Charakter der Grundfreiheiten Neben dem grenzüberschreitenden Element ist für die Grundfreiheiten charakteristisch, dass sie auf Sachverhalte mit wirtschaftlichem Bezug begrenzt sind. Die fragliche Leistung muss sich als Teil des Wirtschaftslebens darstellen. Aus diesem Grund profitieren grundsätzlich nur entgeltliche Geschäftsabschlüsse von der Liberalisierungswirkung der Grundfreiheiten. 39

  EuGH, Rs. C‑104/08 (Kurt) Rn. 23.   Epiney, Umgekehrte Diskriminierung, 1995, S. 200 ff.; Weyer, Freier Warenverkehr und nationale Regelungsgewalt in der Europäischen Union, 1997, S. 80 ff. 41   Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, 1999, S. 148; Leible, Wege, 2001, S. 54; Röhl, Jura 2006, 321, 325. Selbst Epiney, Umgekehrte Diskriminierung, 1995, S. 250, 255 ff., will daher als Ausgleich für den drohenden Kompetenzverlust den Mitgliedstaaten gestatten, unter Berufung auf sog. „berechtigte Interessen“ eigene Regeln für bestimmte interne Sachverhalte beizubehalten. 42   In diesem Sinne auch GA Mischo, SchlA, verb. Rs. 80 & 159/85 (Edah). 43   In einigen Mitgliedstaaten ist eine Inländerdiskriminierung verfassungsrechtlich untersagt; für Österreich vgl. östVfGH, EuGRZ 1997, 362; OGH, GRUR Int. 1999, 354; für Belgien Conseil d’État, Urt. v. 15.5.2009 (193.348) und Urt. v. 22.9.2009 (196.294); Cour Constitutionnelle, Urt. v. 3.9.2009 (174/2009); für Italien Corte costitutionale, Urt. v. 30.12.1997, No. 443, RIDPC 1998, 246. In Deutschland hat das BVerfG die Frage bislang offengelassen, ob der Gesetzgeber nach Art. 3 GG zur Beseitigung einer Ungleichbehandlung verpflichtet ist; BVerfGE 116, 135, 159 f. = NJW 2006, 3701, 3705. Vgl. auch Gundel, DVBl. 2007, 269 ff. 40

464

§ 6  Grundfreiheiten

Für die Dienstleistungsfreiheit findet sich das Erfordernis der Entgeltlichkeit bereits in der gesetzlichen Definition des Art. 57 Abs. 1 AEUV. Entgeltlichkeit setzt voraus, dass der Dienstleistungserbringer eine Gegenleistung erhält.44 Eine rein ideellen Zwecken dienende Betätigung ist daher keine Dienstleistung i. S. d. Art. 56, 57 AEUV.45 Auch Regelungen, die allein von sportlichem Interesse sind und als solche nichts mit wirtschaftlicher Betätigung zu tun haben, wie etwa Regeln zur Aufstellung von Nationalmannschaften oder Anti-Doping-Regeln, können deshalb nicht am Maßstab der Dienstleistungsfreiheit gemessen werden.46 Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass der Leistungserbringer mit Gewinnerzielungsabsicht handelt.47 Die Dienstleistung muss auch nicht notwendigerweise von demjenigen bezahlt werden, dem sie zugutekommt.48 Entscheidend ist demgegenüber, ob die Dienstleistung aus privaten oder öffentlichen Mitteln finanziert wird: Wird die Dienstleistung „im Wesentlichen aus privaten Mitteln“ finanziert, so liegt eine Leistung gegen Entgelt vor.49 Wird die Leistung „ganz oder hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln finanziert“, fehlt es dagegen an einer entgeltlichen Leistung.50 Für die Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Gerichtshof klargestellt, dass eine Person nur dann in ihren Schutzbereich gelangt, wenn sie „während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die [sie] als Gegenleistung eine Vergütung erhält“.51 Die Niederlassungsfreiheit umfasst nach Art. 49 Abs. 2 AEUV „die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen“. Unter Erwerbstätigkeit ist dabei jede Art der wirtschaftlichen, also grundsätzlich entgeltlichen Tätigkeit zu verstehen, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt; rein karitative Betätigungen fallen damit nicht unter ihren Schutzbereich.52 Die Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit beziehen sich bereits begrifflich auf körperliche Gegenstände, die abstrakt gesehen Gegenstand von Handelsgeschäften sein können. Ob die Art. 34 ff. AEUV auch dann greifen, wenn der Ein- oder Ausfuhr kein entgeltliches Geschäft zugrunde liegt (etwa bei Schenkungen, Umzügen, Souvenirs), ist demgegenüber umstritten.53 Lediglich für die Kapitalverkehrsfreiheit steht fest, dass ihr Schutzbereich auch Kapitalübertragungen im rein persönlichen Bereich 44

  EuGH, Rs. C‑281/06 (Jundt) Rn. 32.   EuGH, Rs. C‑159/90 (Society for the Protection of the Unborn Children Ireland) Rn. 24 ff. 46   EuGH, Rs. 36/74 (Walrave) Rn. 8; Rs. 13/76 (Donà) Rn. 14; EuG, Rs. T‑313/02 (Meca-Medina) Rn. 47 ff. 47   EuGH, Rs. C‑157/99 (Smits und Peerbooms) Rn. 50, 52; Rs. C‑281/06 (Jundt) Rn. 33. 48   EuGH, Rs. 352/85 (Bond van Adverteerders) Rn. 16; Rs. C‑157/99 (Smits und Peerbooms) Rn. 57; Rs. C‑318/05 (Kommission/Deutschland) Rn. 70. 49   So zum Unterricht an privaten Bildungseinrichtungen EuGH, Rs. C‑109/92 (Wirth) Rn. 17; Rs. C‑318/05 (Kommission/Deutschland) Rn. 69. 50   So zum Unterricht an staatlichen Bildungseinrichtungen EuGH, Rs. 263/86 (Humbel und Edel) Rn. 17 ff.; Rs. C‑109/92 (Wirth) Rn. 15 f.; Rs. C‑318/05 (Kommission/Deutschland) Rn. 68. 51   EuGH, Rs. C‑66/85 (Lawrie-Blum) Rn. 17; Herv. hinzugefügt. 52   EuGH, Rs. C‑70/95 (Sodemare) Rn. 24 f.; GA Stix-Hackl, SchlA, Rs. C‑386/04 (Centro di Musicologia Walter Stauffer) Rn. 48. 53   Gegen eine Anwendung der Art. 34 ff. AEUV Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 76; Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, 2009, S. 405 f. Für eine Anwendung dagegen Oliver, Free Movement of Goods in the European Community, 3. Aufl., 1996, Rn. 2.32 ff.; Odudu, in: Barnard/Odudu (Hrsg.), The Outer Limits of European Union Law, 2009, S. 225, 238 f.; Frenz, Europäische Grundfreiheiten, 2. Aufl., 2012, Rn. 810 ff. In diese Richtung auch GA Jacobs, Zweiter SchlA, Rs. C‑2/90 (Kommission/Belgien) Rn. 15. 45

B. Die Grundfreiheiten als transnationale Wirtschaftsrechte

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erfasst, selbst wenn die betreffende Kapitalübertragung mit einer entgeltlichen Tätigkeit noch nicht einmal mittelbar im Zusammenhang steht, so etwa bei Stiftungen, Schenkungen, Mitgiften und Erbschaften.54 Ähnlich wie das Erfordernis des grenzüberschreitenden Bezugs hat auch das Tatbestandsmerkmal der wirtschaftsbezogenen Tätigkeit einen Erosionsprozess durchlaufen.55 Der Gerichtshof hat den Schutzbereich der Grundfreiheiten auf viele Situationen bezogen, die auf den ersten Blick nichts mit beruflicher, wirtschaftlicher Tätigkeit zu tun haben.56 Darüber hinaus hat die Anerkennung passiver Grundfreiheiten57 in weitem Umfang dazu beigetragen, dass die traditionelle Unterscheidung zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen eingeebnet wurde.58 Trotz dieser Auflösungserscheinungen bleiben die Grundfreiheiten dennoch der Grenzziehung zwischen ökonomisch und nicht-ökonomisch motivierter Migration verhaftet. Soweit sich Unionsbürger nicht in irgendeiner Weise wirtschaftlich betätigen, können sie sich auch nicht auf die Personenverkehrsfreiheiten berufen.

IV. Unionsbürgerfreizügigkeit als „Grundfreiheit ohne Markt“ Mit Einführung der Unionsbürgerschaft (ex Art. 8 EGV, jetzt Art. 20 AEUV) und des damit verbundenen allgemeinen Freizügigkeitsrechts (ex Art. 8a EGV, jetzt Art. 21 AEUV) durch den Maastrichter Vertrag hat sich diese Situation geändert. Der Unionsbürgerstatus ist dazu bestimmt, „der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein“.59 Die hiermit verbundenen Rechte werden den Bürgern nicht mehr nur dann eingeräumt, wenn sie von wirtschaftlichen Freiheiten Gebrauch machen und einen bestimmten Status (als Arbeitnehmer, niedergelassene Selbständige, Dienstleistungserbringer, etc.) innehaben, sondern unmittelbar aufgrund ihres Status als Unionsbürger.60 Unionsbürger, die keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Art. 45, 49 oder 56 AEUV ausüben, können daher unmittelbar aus Art. 21 Abs. 1 AEUV ein Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat herleiten, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen.61 Sie können sich auch gegenüber dem eigenen Heimatstaat auf Art. 21 Abs. 1 AEUV berufen, wenn dieser sie an der Ausreise in einen anderen Mitgliedstaat hindern will62 oder sie deswegen benachteiligt, weil sie von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht haben.63 54

  EuGH, Rs. C‑510/08 (Mattner) Rn. 18 – 20, m. w. N.  Hierzu Wollenschläger, ZEuS 2009, 1, 15 ff. 56   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑334/94 (Kommission/Frankreich) Rn. 20 ff.; Rs. C‑151/96 (Kommission/ Irland) Rn. 13 ff. 57  Hierzu supra, § 6 B.I.4. 58   Vgl. EuGH, Rs. 186/87 (Cowan) Rn. 15, 17; Rs. C‑120/95 (Decker) Rn. 35 f.; Rs. C‑158/96 (Kohll) Rn. 34 f.; Rs. C‑157/99 (Smits und Peerboms) Rn. 68 f.; Rs. C‑385/99 (Müller-Fauré und van Riet) Rn. 44; Rs. C‑8/02 (Leichtle) Rn. 30 ff. 59   St. Rspr. seit EuGH, Rs. C‑184/99 (Grzelczyk) Rn. 31; Rs. C‑34/09 (Ruiz Zambrano) Rn. 41; Rs. C‑503/09 (Stewart). 60  GA Cosmas, SchlA, Rs. C‑378/97 (Wijsenbeck) Rn. 84 f.; GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑72/03 (Carbonati Apuani) Rn. 68 f.; GA Mazák, SchlA, Rs. C‑158/07 (Förster) Rn. 53 ff. 61   EuGH, Rs. C‑413/99 (Baumbast) Rn. 80 ff.; Rs. C‑200/02 (Zhu und Chen) Rn. 26. 62   EuGH, Rs. C‑33/07 (Jipa) Rn. 18; Rs. C‑434/10 (Aladzhov) Rn. 25; Rs. C‑430/10 (Gaydarov) Rn. 25. 63   EuGH, Rs. C‑406/04 (De Cuyper) Rn. 39; Rs. C‑192/05 (Tas-Hagen und Tas) Rn. 31; verb. Rs.  C‑11 – 12/06 (Morgan und Bucher) Rn. 25; Rs. C‑499/06 (Nerkowska) Rn. 32. 55

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§ 6  Grundfreiheiten

Die Bedeutung des Art. 21 AEUV erschöpft sich nicht allein darin, den Unionsbürgern ein allgemeines Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht zu gewährleisten. Der Gerichtshof hat das Freizügigkeitsrecht vielmehr mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot verklammert, und die Unionsbürgerschaft damit zu einer „Grundfreiheit ohne Markt“64 fortentwickelt: Der sachliche Anwendungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsverbots (Art. 18 AEUV) ist eröffnet, sobald Unionsbürger ihr Bewegungs- und Aufenthaltsrecht wahrnehmen.65 Das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit erfasst dementsprechend nahezu sämtliche Bereiche des mitgliedstaatlichen Rechts, die sich auf die unionsbürgerliche Freizügigkeit nachteilig auswirken können. Diese Rechtsprechung hat vor allem für die Sozial- und Bildungspolitik weitreichende Folgen.66 Wie der Gerichtshof in Martínez Sala erstmals entschieden hat, haben Unionsbürger, die von ihrem Aufenthaltsrecht rechtmäßig Gebrauch machen, grundsätzlich einen Anspruch auf Gewährung derselben Leistungen, die Inländern zustehen.67 Sie haben Anspruch auf Sozialhilfe,68 Studienförderung,69 Erziehungsgeld70 und sonstige soziale Leistungen wie Inländer, die sich in der gleichen Situation befinden. Darüber hinaus strahlt das unionsbürgerliche Diskriminierungsverbot inzwischen auf andere Bereiche aus, wie etwa das Namensrecht71 oder das Zwangsvollstreckungsrecht.72 Ob die Unionsbürgerfreizügigkeit nur als Diskriminierungsverbot oder zugleich als Beschränkungsverbot wirkt, ist noch ungeklärt. Der EuGH scheint einen zweispurigen Ansatz zu verfolgen.73 Maßnahmen des Aufnahmestaats werden vom Gerichtshof an Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 18 AEUV, also nur am allgemeinen Diskriminierungsverbot gemessen.74 Maßnahmen des Herkunftsstaats gegenüber eigenen Staatsangehörigen misst der Gerichtshof dagegen in vielen Fällen ausschließlich an Art. 21 AEUV.75 Das Freizügigkeitsrecht richtet sich nach Auffassung des EuGH gegen sämtliche Nachteile, die an die Ausübung des Freizügigkeitsrechts geknüpft sind.76 Dementsprechend werden auch unterschiedslos wirkende Maßnahmen erfasst, 64   Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt, 2007; ähnlich Kingreen, EuR 2007, Beiheft 1, 43, 55 (Unionsbürgerschaft als eine „aus dem ökonomischen Kontext gelöste Grundfreiheit“). Für ein Verständnis als Grundfreiheit auch Seyr/Rümke, EuR 2005, 667, 672; Calliess, EuR 2007, Beiheft 1, 7, 26 („politische Grundfreiheit“). Auch der EuGH bezeichnet die Unionsbürgerschaft als Grundfreiheit; vgl. EuGH, Rs. C‑184/99 (Grzelczyk) Rn. 33; Rs. C‑224/98 (D’Hoop) Rn. 29; Rs. C‑148/02 (Garcia Avello) Rn. 24; Rs. C‑162/09 (Lassal) Rn. 29. Für ein Verständnis als Grundrecht dagegen J. Gebauer, Die Grundfreiheiten, 2004, 212 ff.; Ehlers/Kadelbach, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 26 Rn. 40 f.; Schwarze/ Hatje, EU‑Kommentar, 3. Aufl., 2012, Art. 21 AEUV, Rn. 8. Wiederum anders Kubicki, EuR 2006, 489, 498 (Unionsbürgerfreizügigkeit als „Recht sui generis“). 65   EuGH, Rs. C‑184/99 (Grzelczyk) Rn. 30, 37. 66   Rechtsprechungsübersicht bei Martínez Soria, JZ 2002, 643; Husmann, NZS 2009, 547. 67   EuGH, Rs. C‑85/96 (Martínez Sala) Rn. 63. 68   EuGH, Rs. C‑184/99 (Grzelczyk); Rs. C‑456/02 (Trojani). 69   EuGH, Rs. C‑209/03 (Bidar); Rs. C‑158/07 (Förster). 70   EuGH, Rs. C‑85/96 (Martinez Sala). 71  EuGH, Rs. C‑148/02 (Garcia Avello) Rn. 25; Rs. C‑353/06 (Grunkin und Paul) Rn. 21 ff.; Rs. C‑208/09 (Sayn-Wittgenstein) Rn. 71. 72   EuGH, Rs. C‑224/02 (Pusa) Rn. 22. 73   Domröse/Kubicki, EuR 2008, 873 ff.; Semmelmann, EuR 2009, 683, 687. 74   Vgl. insb. EuGH, Rs. C‑184/99 (Grzelczyk) Rn. 30, 33; Rs. C‑158/07 (Förster) Rn. 36 f. 75   Vgl. EuGH, verb. Rs. C‑11 – 12/06 (Morgan und Bucher) Rn. 25, 30; Rs. C‑353/06 (Grunkin und Paul) Rn. 21 ff.; Rs. C‑499/06 (Nerkowska) Rn. 32. 76   Die Terminologie changiert; vgl. EuGH, Rs. C‑406/04 (De Cuyper) Rn. 39 („Beschränkung der Freiheiten“); Rs. C‑192/05 (Tas-Hagen und Tas) Rn. 31 („Hindernisse“, „Nachteile“, „Beschränkun-

B. Die Grundfreiheiten als transnationale Wirtschaftsrechte

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die „wegen der persönlichen Unannehmlichkeiten, zusätzlichen Kosten und etwaigen Verzögerungen“ geeignet sind, Unionsbürger davon abzuhalten, ihren Heimatstaat zu verlassen.77 Eine Inländerdiskriminierung wird durch die Unionsbürgerschaft dagegen nicht beseitigt. Der Gerichtshof hält nach wie vor daran fest, dass die Unionsbürgerschaft nicht bezweckt, den sachlichen Anwendungsbereich des Primärrechts auf mitgliedstaatsinterne Sachverhalte auszudehnen, die keinerlei Bezug zum Unionsrecht haben.78 Unionsbürger, die noch nie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, können sich gegenüber ihrem Heimatstaat nur dann auf die Unionsbürgerschaft berufen, wenn die innerstaatliche Maßnahme den tatsächlichen Genuss des „Kernbestands der Rechte“ verwehrt.79 Die Freizügigkeit der Unionsbürger steht zudem unter dem Vorbehalt „der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen“ (Art. 21 Abs. 1 AEUV). Der Zugang zu (sozialen) Leistungen des Aufnahmestaats knüpft zum einen an den rechtmäßigen Aufenthalt,80 zum anderen dürfen die Mitgliedstaaten den Zugang zu Vergünstigungen an den Nachweis knüpfen, dass sich Unionsbürger „bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft dieses Staates integriert haben“.81 Zu diesem Zweck dürfen sie eine angemessene Mindestaufenthaltsdauer festlegen, wenn dadurch ein legitimer Zweck verfolgt wird und die Kriterien klar und voraussehbar sind.82 Die durch den Maastrichter Vertrag eingeführte Unionsbürgerfreizügigkeit ergänzt die Grundfreiheiten nicht nur durch ein von der wirtschaftlichen Betätigung unabhängiges Freizügigkeitsrecht, sondern wirkt zugleich auf diese zurück. Zwar tritt das Freizügigkeitsrecht des Art. 21 AEUV hinter die speziellen Freizügigkeitsrechte der Grundfreiheiten zurück, wenn die Berechtigten von ihren wirtschaftlichen Freiheiten Gebrauch gemacht haben.83 Doch sind die Grundfreiheiten im Lichte der Unionsbürgerschaft und ihrer allgemeinen Freizügigkeit zu verstehen und auszulegen. So betonte der Gerichtshof etwa im Fall Collins,84 dass angesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft und der Auslegung, die das Recht der Unionsbürger auf Gleichbehandlung in der Rechtsprechung erfahren habe, es im Unterschied zur gen“); Rs. C‑353/06 (Grunkin und Paul) Rn. 23 ff. („schwerwiegende Nachteile beruflicher wie auch privater Art“); Rs. C‑499/06 (Nerkowska) Rn. 33 („Beschränkung“). 77   EuGH, Rs.  C‑11 – 12/06 (Morgan und Bucher) Rn. 30. 78   EuGH, Rs.  C‑64 – 65/96 (Uecker und Jacquet) Rn. 23; Rs. C‑403/03 (Schempp) Rn. 20 m. w. N.; Rs. C‑434/09 (McCarthy) Rn. 45. GA Kokott, SchlA, Rs. C‑434/09 (McCarthy) Rn. 42, hält es demgegenüber für möglich, dass der Gerichtshof zu gegebener Zeit seine Rspr. überdenkt und künftig der Unionsbürgerschaft ein Verbot der Inländerdiskriminierung entnimmt; vgl. auch GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑34/09 (Ruiz Zambrano) Rn. 133 ff., 144 ff. 79   EuGH, Rs. C‑34/09 (Ruiz Zambrano) Rn. 42. Hierzu Frenz, ZAR 2011, 221 ff.; Graf Vitzthum, EuR 2011, 550 ff.; Nettesheim, JZ 2011, 1030 ff. 80   EuGH, Rs. C‑85/96 (Martínez Sala) Rn. 61 ff.; Rs. C‑456/02 (Trojani) Rn. 37 ff. 81   EuGH, Rs. C‑209/03 (Bidar) Rn. 57; Rs. C‑158/07 (Förster) Rn. 49. 82   EuGH, Rs. C‑158/07 (Förster) Rn. 52 ff. In diesem Fall billigte der Gerichtshof das Erfordernis eines fünfjährigen Aufenthalts. Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑333/13 (Dano) Rn. 56 ff., 62 ff. 83   EuGH, Rs. C‑193/94 (Skanavi und Chryssanthakopoulos) Rn. 22; Rs. C‑348/96 (Calfa) Rn. 29 f.; Rs. C‑92/01 (Stylianakis) Rn. 18, 20; Rs. C‑100/01 (Olazabal) Rn. 26; Rs. C‑318/05 (Kommission/ Deutschland) Rn. 32 ff. 84   EuGH, Rs. C‑138/02 (Collins) Rn. 63 f. Bestätigt durch EuGH, Rs. C‑258/04 (Ioannidis) Rn. 22; verb. Rs.  C‑22 – 23/08 (Vatsouras und Koupatantze) Rn. 37.

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§ 6  Grundfreiheiten

früheren Rechtsprechung85 nicht mehr möglich sei, vom Anwendungsbereich des Art. 45 Abs. 2 AEUV eine finanzielle Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern solle. Die Auslegung müsse vielmehr diese Weiterentwicklung gegenüber der bisherigen Rechtsprechung widerspiegeln. Den Grundfreiheiten wird auf diese Weise eine stärker leistungsrechtliche Bedeutung zuerkannt.

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte I. Vom Diskriminierungs- zum Beschränkungsverbot Die Grundfreiheiten sollen allen in der Union ansässigen Wirtschaftsteilnehmern die Möglichkeit eröffnen, auf sämtlichen Märkten der Union zu den dort geltenden Bedingungen konkurrieren zu können. Sie verbieten daher als Diskriminierungsverbote umfassend jede offene oder versteckte, unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung, die an die Staatsangehörigkeit oder Ansässigkeit von Personen bzw. an den Ursprung oder die Herkunft von Produkten oder Kapital knüpft.86 Behinderungen für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr können nicht nur von diskriminierenden, sondern auch von unterschiedslos anwendbaren Vorschriften ausgehen. Dass die Freiheit des Marktzugangs durch ein Diskriminierungsverbot allein nicht gewährleistet werden kann, zeigt sich bereits in Situationen, in denen die bloße Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen dazu führt, dass Wirtschaftsteilnehmer den divergierenden Anforderungen zweier Rechtsordnungen und damit Doppelbelastungen ausgesetzt sind, die eine erhebliche Erschwerung des grenzüberschreitenden Handels zur Folge haben.87 Mit dem Binnenmarktziel (Art. 26 Abs. 2 AEUV) wäre es unvereinbar, wenn die Mitgliedstaaten willkürlich errichtete Hindernisse für den zwischenstaatlichen Handel allein deswegen aufrechterhalten könnten, weil das gleiche Hindernis auch für reine Inlandssachverhalte gilt.88 Insoweit war es nur konsequent, dass der EuGH in zunehmend konvergierender Weise sämtliche Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten weiterentwickelt hat. Nach 85   Nach früherer Rechtsprechung konnten Personen, die erstmals in einen anderen Mitgliedstaat zur Arbeitssuche eingereist waren, nur in Bezug auf den Zugang zur Beschäftigung Gleichbehandlung gem. Art. 48 EGV (und der VO Nr. 1612/68) verlangen, nicht jedoch soziale Vergünstigungen beanspruchen; EuGH, Rs. 316/85 (Lebon) Rn. 26; Rs. C‑278/94 (Kommission/Belgien) Rn. 40. 86   Vgl. nur Craig/de Búrca, EU Law, 6. Aufl., 2015, S. 668 ff.; Jarass, EuR 2000, 705, 709 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 95 ff.; Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 21 f.; Streinz, Europarecht, 10. Aufl., 2016, Rn. 823. 87   Mehrbelastungen durch Doppelregulierungen im Herkunfts- und Zielland lassen sich allein unter Zugrundelegung eines materiellen Verständnisses als Diskriminierungen begreifen; in diese Richtung beispielsweise Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, 1999, S. 59 f. Dieser Begründungsansatz versagt indessen, wenn das betreffende Produkt im Bestimmungsland nicht hergestellt bzw. die Dienstleistung nicht angeboten wird. Denn ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot setzt stets einen Vergleichsmarkt voraus; zum steuerlichen Diskriminierungsverbot EuGH, Rs. C‑47/88 (Kommission/Dänemark  – Zulassungssteuer auf neue KfZ) Rn. 10; zur Warenverkehrsfreiheit vgl. EuGH, Rs. C‑391/92 (Kommission/Griechenland – Milch für Säuglinge) Rn. 17 f.; GA Elmer, SchlA, Rs. C‑189/95 (Franzén) Rn. 65. Widersprüchlich ist daher, dass der EuGH in Rs. C‑416/00 (Morellato) Rn. 37, eine faktische Diskriminierung für möglich hielt, obwohl das betreffende Produkt im Einfuhrstaat nicht hergestellt wurde. 88   So bereits GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑412/93 (Leclerc-Siplec) Rn. 39.

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte

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der im Jahre 1974 entwickelten, nach wie vor gültigen, wenngleich durch die KeckRechtsprechung relativierten Dassonville-Formel ist „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“, als Maßnahme gleicher Wirkung nach Art. 34 AEUV anzusehen.89 Hierunter fallen, wie aus der Entscheidung Cassis de Dijon90 hervorgeht, auch Regelungen, die unterschiedslos auf im EU‑Ausland in Verkehr gebrachte wie im Inland hergestellte Waren anwendbar sind. Diesen weiten Beschränkungsbegriff hat der Gerichtshof bekanntlich im Laufe der Zeit auf sämtliche Grundfreiheiten übertragen. Für die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 49, 56 AEUV) betont der EuGH, dass eine Beschränkung vorliegt, wenn unterschiedslos anwendbare mitgliedstaatliche Maßnahmen die Ausübung dieser Freiheiten „verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen“.91 Für die Arbeitnehmerfreizügigkeit geht der Gerichtshof entsprechend davon aus, dass Art. 45 AEUV Maßnahmen erfasst, die unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Arbeitnehmer angewendet werden.92 Entscheidend ist auch hier, ob Arbeitnehmer daran gehindert oder davon abgehalten werden, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats auszuüben, was bereits dann der Fall ist, wenn die staatliche Maßnahme die Ausübung dieses Rechts „weniger attraktiv“ macht.93 Schließlich betont der Gerichtshof auch für die Kapitalverkehrsfreiheit, dass Art. 63 Abs. 1 AEUV ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten verbietet und dementsprechend auch für Maßnahmen gilt, die unterschiedslos sowohl auf Gebietsansässige als auch auf Gebietsfremde Anwendung findet.94 Gleiches muss dann auch für die Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 2 AEUV) gelten. Die Grundfreiheiten gewährleisten damit nicht nur Marktgleichheit, sondern in ihrer Funktion als Beschränkungsverbote zugleich den freien Zugang zu den mitgliedstaatlichen Märkten.95

II. Marktzugang als entscheidendes Kriterium Die Formel vom Marktzugang wird vom Gerichtshof in vielen Entscheidungen nicht nur als Begründung dafür verwendet, warum bestimmte Maßnahmen am Maßstab der Grundfreiheiten zu messen sind, sondern zugleich als eigenständiges Kriterium herangezogen, um den weiten Beschränkungsbegriff zu konkretisieren. 1. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit Besonders augenfällig ist diese Vorgehensweise bei der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Nach ständiger Rechtsprechung umfasst der Begriff der „Beschrän89

  EuGH, Rs. 8/74 (Dassonville) Rn. 5.   EuGH, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon) Rn. 8 f.; vgl. etwa Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 34 AEUV Rn. 39. 91   St. Rspr.; EuGH, Rs. C‑565/08 (Kommission/Italien) Rn. 45 m. w. N. 92   EuGH, Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 96; Rs. C‑325/08 (Olympique Lyonnais) Rn. 34. 93   EuGH, Rs. C‑325/08 (Olympique Lyonnais) Rn. 36. 94   EuGH, Rs. C‑483/99 (Kommission/Frankreich) Rn. 40; Rs. C‑98/01 (Kommission/Vereinigtes Königreich und Irland) Rn. 47; Rs. C‑212/09 (Kommission/Portugal) Rn. 65. 95   W.‑H. Roth, in: FS Großfeld, 1999, S. 929, 944; Leible, Wege, 2001, § 4 A.II. 90

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§ 6  Grundfreiheiten

kung“ i. S. v. Art. 49, 56 AEUV „die von einem Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen, die, obwohl sie unterschiedslos anwendbar sind, den Marktzugang von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten betreffen und somit den innergemeinschaftlichen Handel behindern“.96 In diesem Sinne urteilte der Gerichtshof beispielsweise im Fall CaixaBank France,97 dass das im französischen Recht unterschiedslos geltende Verbot der Verzinsung von Sichteinlagen den Marktzugang für ausländische Kreditinstitute erschwert und eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, da gerade der Wettbewerb mit Hilfe des Zinssatzes auf Sichteinlagen eine der wirksamsten Methoden darstellt, auf dem Markt eines Mitgliedstaats Fuß zu fassen und mit ansässigen Unternehmen konkurrieren zu können.98 In der Rechtssache Cipolla99 maß der Gerichtshof das im italienischen Recht für Rechtsanwälte geltende Verbot, durch Vereinbarung von den durch die Gebührenordnung festgesetzten Mindesthonoraren abzuweichen, ebenfalls am Kriterium des Marktzugangs. Die Regelung stellt nach Ansicht des EuGH eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar, da sie geeignet ist, ausländischen Rechtsanwälten den Zugang zum italienischen Markt zu erschweren, indem sie ihnen die Möglichkeit nimmt, durch geringere Honorarforderungen den bereits niedergelassenen Rechtsanwälten Konkurrenz zu machen.100 Ganz ähnlich stellte der Gerichtshof im Fall Kommission/Italien101 fest, dass ein im italienischen Recht vorgesehener Kontrahierungszwang für KfZ-Haftpflichtversicherer eine Beschränkung der Art. 49, 56 AEUV darstellt, da eine solche Regelung für ausländische Versicherungsunternehmen einen zusätzlichen Anpassungsbedarf und Kosten von solchem Umfang nach sich zieht, die geeignet sind, den Zugang zum italienischen Markt weniger attraktiv zu machen und die Möglichkeit der betroffenen Unternehmen verringert, ohne Weiteres mit den traditionell in Italien ansässigen Unternehmen wirksam in Wettbewerb zu treten.102 2. Arbeitnehmerfreizügigkeit Das Marktzugangskriterium wird vom Gerichtshof auch bei den anderen Grundfreiheiten herangezogen. So urteilte der EuGH in Bosman,103 dass unterschiedslos geltende Transferregeln eines nationalen Fußballverbandes gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) verstoßen, da diese Regeln „den Zugang der Spieler  96   EuGH, Rs. C‑518/06 (Kommission/Italien) Rn. 64; nahezu wortgleich EuGH, Rs. 565/08 (Kommission/Italien) Rn. 46. Vgl. ferner die nachstehend behandelten Rechtssachen sowie EuGH, Rs. C‑452/ 04 (Fidium Finanz) Rn. 46; Rs. C‑147/06 (SECAP und Santorso) Rn. 28; Rs. C‑250/06 (United PanEurope Communications Belgium) Rn. 33; Rs. C‑384/08 (Attanasio Group) Rn. 45. Zuvor (zu einer Exportkonstellation) EuGH, Rs. C‑384/93 (Alpine Investment) Rn. 38.  97   EuGH, Rs. C‑442/02 (CaixaBank France) Rn. 13 f.  98   Das Verzinsungsverbot konnte nach Auffassung des EuGH auch nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden; EuGH, Rs. C‑442/02 (CaixaBank France) Rn. 21 ff.  99   EuGH, Rs. C‑94/04 (Cipolla) Rn. 58 f. 100   Hinsichtlich der Rechtfertigungsmöglichkeiten wies der EuGH darauf hin, dass das vorlegende Gericht prüfen müsse, ob die Regelung zum Schutz einer geordneten Rechtspflege geeignet und erforderlich sei; EuGH, Rs. C‑94/04 (Cipolla) Rn. 64 ff. 101   EuGH, Rs. C‑518/06 (Kommission/Italien) Rn. 70. 102   Im Ergebnis hielt der Gerichtshof den Kontrahierungszwang dennoch aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses (sozialer Schutz von Verkehrsunfallopfern) für gerechtfertigt; EuGH, Rs. C‑518/06 (Kommission/Italien) Rn. 74 ff. 103   EuGH, Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 103.

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte

471

zum Arbeitsmarkt in den anderen Mitgliedstaaten unmittelbar beeinflussen und somit geeignet sind, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu beeinträchtigen“. Auch im Fall Graf104 betonte der Gerichtshof, dass unterschiedslos anwendbare Bestimmungen, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, eine Beeinträchtigung dieser Freiheit darstellen. Dies sei jedoch nur dann der Fall, wenn sie den Zugang der Arbeitnehmer zum Arbeitsmarkt beeinflussen. 3. Kapitalverkehrsfreiheit Für die Kapitalverkehrsfreiheit gilt entsprechend, dass Art. 56 Abs. 1 AEUV auf unterschiedslos anwendbare Maßnahmen anwendbar ist, wenn diese geeignet sind, Anleger aus anderen Mitgliedstaaten von Investitionen abzuhalten und damit den Marktzugang zu beeinflussen.105 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die von den Mitgliedstaaten an ehemals öffentlichen Unternehmen gehaltenen Anteile mit Sonderrechten ausgestattet werden (golden shares), denn in diesen Konstellationen besteht die Gefahr, dass der Mitgliedstaat seine Sonderrechte zur Wahrnehmung von Interessen ausübt, die nicht mit den wirtschaftlichen Interessen der betreffenden Gesellschaft in Einklang stehen. Derartige Regelungen sind daher geeignet, Investoren von Direktoder Portfolioinvestitionen in diese Gesellschaft abzuhalten.106 4. Warenverkehrsfreiheit a) Keck-Rechtsprechung Einen Sonderweg hat demgegenüber die Judikatur zur Warenverkehrsfreiheit eingeschlagen. Nach der Keck-Rechtsprechung werden bestimmte Verkaufsmodalitäten vom Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV ausgenommen, „sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“.107 Nicht unter die Keck-Ausnahme fallen demgegenüber sogenannte produktbezogene Regelungen, die die Merkmale von Erzeugnissen betreffen. Diese werden nach wie vor von Art. 34 AEUV erfasst, selbst wenn die betreffenden Vorschriften unterschiedslos für alle inländischen und eingeführten Erzeugnisse gelten.108 Auch die Keck-Formel bleibt freilich dem Modell des Marktzugangs verhaftet. Die Unterscheidung zwischen den zwei Regelungstypen beruht auf der Annahme, dass beide Kategorien unterschiedliche Auswirkungen auf den Marktzugang haben. Während produktbezogene Anforderungen in der Regel verhindern, dass ein bestimmtes Produkt überhaupt auf einen nationalen Markt gelangt, wenn es nicht den entsprechenden Standards angepasst wird, sollen Verkaufsmodalitäten nach Ansicht des 104

  EuGH, Rs. C‑190/98 (Graf) Rn. 23.   EuGH, Rs. C‑98/01 (Kommission/Vereinigtes Königreich und Irland) Rn. 46 f.; Rs. C‑212/09 (Kommission/Portugal) Rn. 65. 106   EuGH, verb. Rs. C‑282 – 283/04 (Kommission/Niederlande) Rn. 28. 107   EuGH, verb. Rs. C‑267 – 268/91 (Keck und Mithouard) Rn. 16. 108   EuGH, verb. Rs. C‑267 – 268/91 (Keck und Mithouard) Rn. 15; Rs. C‑51/93 (Meyhui) Rn. 10; Rs. C‑470/93 (Mars) Rn. 13; Rs. C‑368/95 (Familiapress) Rn. 11. 105

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§ 6  Grundfreiheiten

EuGH prima facie nicht geeignet sein, den Marktzugang für eingeführte Erzeugnisse zu versperren oder zu behindern.109 Sie betreffen nämlich üblicherweise die Situation nach erfolgtem Zutritt zum Markt und sind damit unabhängig von einem Grenzübertritt auf die Marktteilnehmer gleichermaßen anwendbar.110 Diese Aussagen sind sowohl im Schrifttum als auch bei vielen Generalanwälten auf berechtigte Kritik gestoßen. Die Keck-Rechtsprechung vernachlässigt nicht nur, dass sich produktbezogene Maßnahmen und Verkaufsmodalitäten in vielen Fällen nicht voneinander abgrenzen lassen, sie missachtet vielmehr zugleich, dass Verkaufsmodalitäten die Einfuhr in gleicher Weise und unter Umständen sogar in stärkerem Maße beschränken können, als Produktregelungen.111 Entscheidend für die Frage, ob eine bestimmte Maßnahme beschränkend wirkt, kann daher nicht ihre formale Einordnung als Verkaufsmodalität oder Produktregelung sein. Maßgeblich müssen vielmehr die tatsächlichen Auswirkungen auf den Marktzugang sein.112 Der Gerichtshof ist denn auch in vielen Entscheidungen dazu übergegangen, dem Kriterium des Marktzugangs im Rahmen von Art. 34 AEUV verstärkt Rechnung zu tragen, indem er den Begriff der Diskriminierung immer weiter ausdehnte und Verkaufsmodalitäten weiterhin für kontrollfähig erachtete, wenn diese aufgrund ihrer bloß faktischen Wirkung seiner Auffassung nach geeignet waren, den Marktzugang für Erzeugnisse aus einem anderen Mitgliedstaat zu versperren oder stärker zu behindern als für inländische Erzeugnisse.113 b) Neuere Judikatur In seiner neueren Judikatur ist der Gerichtshof noch einen Schritt weitergegangen. In den Rechtssachen Kommission/Italien (Anhänger für Kradfahrzeuge),114 Mickelsson & Roos,115 und Ker-Optika116 hebt das Gericht hervor, dass Art. 34 AEUV drei 109   Vgl. EuGH, verb. Rs. C‑267 – 268/91 (Keck und Mithouard) Rn. 17; Rs. C‑384/93 (Alpine Investments) Rn. 37; Rs. C‑416/00 (Morellato) Rn. 31; Rs. C‑98/01 (Kommission/Vereinigtes Königreich und Irland) Rn. 46. 110   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑142/05 (Mickelsson und Roos) Rn. 53; GA Bot, SchlA, Rs. C‑110/05 (Italien/Kommission) Rn.  72 – 74; Kingreen, in: v. Bogdandy/Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, S. 705, 732. 111  GA Jacobs, SchlA, Rs.  C‑412/93 (Leclerc Siplec) Rn.  38; GA Maduro, SchlA, verb. Rs.  C‑158 – 159/04 (Alfa Vita) Rn. 24 ff.; GA Bot, SchlA, Rs. C‑110/05 (Kommission/Italien) Rn. 79 ff. Aus dem umfangreichen Schrifttum vgl. nur v. d. Groeben/Schwarze/Müller-Graff, EU‑/EG‑Vertrag, 6. Aufl., 2003, Art. 28 EG Rn. 247 ff.; Schwintowski, RabelsZ 64 (2000), 38, 47 ff.; Weatherill, CMLR 1996, 885 ff. 112   Für einen Marktzugangstest GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑412/93 (Leclerc-Siplec) Rn.  38 – 45; GA Maduro, SchlA, verb. Rs. C‑158 – 159/04 (Alfa Vita) Rn. 45; GA Bot, SchlA, Rs. C‑110/05 (Kommission/Italien) Rn. 108 – 138; GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts) Rn.  59 – 61; Barnard, ELRev. 2001, 35, 52 ff.; vorsichtiger jetzt dies., CLJ 2009, 575; G/H/N/Leible/S. Streinz, 58. EL, 2016, Art. 34 Rn. 83 ff.; Weatherill, CMLR 1996, 885, 896 ff. 113   Vgl. EuGH, Rs. C‑254/98 (TK‑Heimdienst) Rn. 27, 30; Rs. C‑405/98 (Gourmet International Products) Rn. 21; Rs. C‑416/00 (Morellato) Rn. 37; Rs. C‑322/01 (DocMorris) Rn. 73 – 75. In anderen Entscheidungen legt der Gerichtshof dagegen strengere Maßstäbe an den Nachweis einer faktischen Diskriminierung an; vgl. EuGH, Rs. C‑20/03 (Burmanjer) Rn. 30 – 32; Rs. C‑441/04 (A‑PunktSchmuckhandel) Rn. 23 – 25. Ausführliche Rechtsprechungsanalyse bei Spaventa, in: Barnard/Odudu (Hrsg.), The Outer Limits of European Union Law, 2009, S. 245, 255 – 259. 114   EuGH, Rs. C‑110/05 (Kommission/Italien) Rn. 34, 37. 115   EuGH, Rs. C‑142/05 (Mickelsson und Roos) Rn. 24. 116   EuGH, Rs. C‑108/09 (Ker-Optika) Rn.  48 – 50.

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte

473

Kategorien von Maßnahmen umfasst: (i) Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass Importwaren weniger günstig als nationale Waren behandelt werden (Diskriminierungsverbot), (ii) Maßnahmen, die der Verkehrsfähigkeit einer im Herkunftsstaat rechtmäßig hergestellten oder in den Verkehr gebrachten Waren entgegenstehen (Prinzip der gegenseitigen Anerkennung), sowie (iii) jede sonstige Maßnahme, die den Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert (Beschränkungsverbot). Diese Ausführungen legen den Schluss nahe, dass der Gerichtshof bereit ist, die Keck-Formel zugunsten eines Marktzugangskriteriums aufzugeben.117 Verkaufsmodalitäten wären nach dieser Lesart vom Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV grundsätzlich erfasst; sie stellen lediglich einen typischen Anwendungsfall dar, in dem die marktzugangsbeschränkenden Wirkungen einer Maßnahme genauer geprüft werden müssen. Im Fall Ker-Optika hat die 3. Kammer des Gerichtshofs die in Keck aufgestellte Vermutung, dass Vertriebsmodalitäten prima facie nicht von Art. 34 AEUV erfasst werden, sogar in ihr Gegenteil verkehrt: Hiernach ist die „Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne der aus dem Urteil Dassonville hervorgegangenen Rechtsprechung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, es sei denn, diese Bestimmungen gelten für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und berühren den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise.“118 5. Ergebnis Die vom Gerichtshof vorgenommene Rückführung der Warenverkehrsfreiheit auf ihren Kerngehalt als Marktzugangsfreiheit ist im Ergebnis zu begrüßen. Sie beseitigt nicht nur die schwierigen und wenig nachvollziehbaren Versuche, verkaufs- und produktbezogene Regelungen voneinander abzugrenzen, sondern stellt zugleich einen wichtigen Schritt hin zu einer größeren Konvergenz der Grundfreiheiten dar.

III. Gleichheits- oder freiheitsrechtliche Interpretation des Marktzugangs? Teile des Schrifttums119 stehen dieser Judikatur äußerst kritisch gegenüber: Dem EuGH sei es in seiner Rechtsprechung nicht gelungen, ein klares Konzept zu entwickeln, unter welchen Voraussetzungen rein faktische Behinderungen des grenz117   So auch die Einschätzung von Barnard, CLJ 2009, 288 ff.; Horsley, CMLR 2009, 2001 ff.; Pecho, LIEI 2009, 257, 262 ff.; Snell, CMLR 2010, 437, 455 – 460; Spaventa, ELRev. 2009, 914 ff. Vorsichtiger Classen, EuR 2009, 555, 559; Weatherill, I.C.L.Q. 2009, 985, 987. Nach a. A. betrifft die neuere Rspr. nur die Fallgruppe der sog. Nutzungs- bzw. Verwendungsbeschränkungen; Epiney, NVwZ 2010, 1065 f.; Wenneras/Boe Moen, ELRev. 2010, 387 ff. 118   EuGH, Rs. C‑108/09 (Ker-Optika) Rn. 51; Herv. hinzugefügt. 119   Besonders pointiert Snell, CMLR 2010, 437, 468 f.: „Ultimately, the notion of market access conceals rather than clarifies. The very ambiguity of the term may explain its use by and usefulness for the Court. (. . .) Market access may simply provide a sophisticated-sounding garb that conceals decisions based on intuition.“ Kritisch zum Marktzugangskonzept auch Classen, EuR 2004, 416, 419, 426 f.; Enchelmaier, ELRev. 2011, 615, 628 ff.; Spaventa, ELRev. 2009, 914, 929.

474

§ 6  Grundfreiheiten

überschreitenden Handels den Marktzugang in grundfreiheitswidriger Weise beschränken. Der Gerichtshof stelle in seinen Urteilen häufig undifferenziert auf den Marktzugang ab, ohne konkret zu prüfen, ob die betreffende Maßnahme ausländische Marktteilnehmer härter treffe als inländische Marktteilnehmer. Der „Slogan“ vom Marktzugang fördere nicht das Verständnis der Grundfreiheiten und berge die Gefahr, dass die Grundfreiheiten zu allgemeinen Marktgestaltungsrechten mutierten, die auf eine Abwehr gegen jegliche Beschränkung der wirtschaftlichen Betätigung gerichtet seien. Hinter dieser Kritik steht die zutreffende Beobachtung, dass sich das Kriterium des Marktzugangs sowohl gleichheitsrechtlich als auch freiheitsrechtlich interpretieren lässt.120 Es lässt sich zum einen gleichheitsrechtlich dahingehend verstehen, dass die Grundfreiheiten jedem Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit einräumen, seine Waren, Dienstleistungen, seine Arbeitskraft oder sein Kapital in jedem Mitgliedstaat unter Wettbewerbsbedingungen anzubieten, die ihn weder rechtlich noch tatsächlich stärker behindern als seine dort niedergelassenen Konkurrenten. Die Grundfreiheiten gewährleisten nach dieser Interpretation lediglich ein Recht auf einen diskriminierungsfreien Marktzugang. Das Kriterium des Marktzugangs lässt sich zum anderen aber auch freiheitsrechtlich interpretieren. Nach dieser Lesart hätte jeder in einem Mitgliedstaat niedergelassene Wirtschaftsteilnehmer das Recht, seine Waren oder Dienstleistungen, seine Arbeitskraft oder sein Kapital in jedem Mitgliedstaat ungehindert von hoheitlichen Beschränkungen anbieten zu können. Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses wären die Grundfreiheiten als allgemeine Freiheitsrechte auf den Abbau staatlicher Beschränkungen gerichtet. Vom Grundsatz her besteht indessen Einigkeit, dass nicht jedwede Maßnahme, die den Zugang zu einem anderen nationalen Teilmarkt der Union weniger attraktiv machen könnte, vom Schutzbereich der Grundfreiheiten erfasst werden darf.121 Ein solches Verständnis stünde im Widerspruch zum Grundanliegen des Binnenmarkts, die Freiheit grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit gegen spezifische Hemmnisse des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs zu schützen. Bei einer rein freiheitlichen Interpretation der Grundfreiheiten ginge es nicht mehr um die marktzutrittssichernde Funktion der Grundfreiheiten, sondern um die Errichtung eines Marktes, in dem Regeln grundsätzlich verboten sind, soweit sie nicht erforderlich und angemessen sind, um zwingenden Interessen des Gemeinwohls zu genügen.122 Eine solche Auslegung würde zu einer allgemeinen Deregulierung und zu einem faktischen Harmonisierungszwang führen. Ein unbeschränkt freiheitliches Konzept widerspräche sowohl der Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Union (Art. 5 Abs. 2 EUV) als auch dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV). Es kann nicht Aufgabe 120

2014.

 Hierzu Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 227 f. Vgl. auch Horsley, CMLR 2009, 2001,

121   T. Ackermann, RIW 1994, 189, 192 f.; Classen, EWS 1995, 97, 104 f.; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 264 ff.; Eilmansberger, JBl. 1999, 345, 355 ff., 452; Hilson, ELRev. 1999, 445, 453 ff.; Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, 1999, S. 84 ff.; Möstl, EuR 2002, 318, 328 ff.; Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 34 AEUV Rn. 44; Steindorff, ZHR 150 (1986), 687, 697 ff. Für eine weitergehende Freiheitsgewährleistung Di Fabio, AfP 1998, 564, 566; T. Stein, EuZW 2000, 337 ff. 122   GA Tizzano, SchlA, Rs. C‑442/02 (CaixaBank France) Rn. 63.

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte

475

des Gerichtshofs sein, systematisch die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten in Frage zu stellen.123 Nationale Regelungen sind daher nicht allein deshalb schon am Maßstab der Grundfreiheiten zu prüfen, weil sie sich auf das Angebot auswirken und/oder die Nachfrage und damit – ohne dass ein spezifisches Hindernis für den gemeinschaftlichen Verkehr besteht – das Verkaufsvolumen beeinflussen. Vor diesem Hintergrund möchte eine starke Mindermeinung im Schrifttum die Grundfreiheiten auf – allerdings weit verstandene – Diskriminierungsverbote reduzieren, die über das Inländergleichbehandlungsgebot hinaus lediglich eine Schlechterstellung transnationaler Sachverhalte gegenüber rein inländischen Sachverhalten verbieten.124 Ein solcher Ansatz sieht sich jedoch einer Reihe von Einwänden ausgesetzt. Abgesehen davon, dass sich diese Auffassung nicht mit der Rechtsprechung des EuGH vereinbaren lässt, führt eine solche Sichtweise zu einem materiellen Diskriminierungsbegriff, dessen Konturen kaum noch zu erkennen sind.125 Vor allem aber wird ein rein gleichheitsrechtliches Verständnis nicht dem Ziel des Binnenmarktes gerecht, einen Raum ohne Binnengrenzen zu gewährleisten, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist (Art. 26 Abs. 2 AEUV). Denn im Ergebnis besteht kein Zweifel, dass nicht nur diskriminierende, sondern auch unterschiedslos anwendbare Maßnahmen ausländischen Wirtschaftsteilnehmern den Zugang zu den Teilmärkten anderer Mitgliedstaaten beeinträchtigen können. Es wäre mit dem Binnenmarktziel unvereinbar, wenn die Mitgliedstaaten willkürlich errichtete Hindernisse für den zwischenstaatlichen Handel allein deswegen aufrechterhalten könnten, weil das gleiche Hindernis auch für reine Inlandssachverhalte gilt.126 Die bereits diskutierten Fälle CaixaBank France, Cipolla und Kommission/Italien (Kontrahierungszwang für Kfz-Haftpflichtversicherer),127 aber auch die vom Gerichtshof zur Warenverkehrsfreiheit entschiedenen Rechtssachen DocMorris128 und Ker-Optika,129 in denen der Vertrieb bestimmter Produkte (Arzneimittel, Kontaktlinsen) über das Internet durch mitgliedstaatliche Maßnahmen untersagt wurde, belegen dies auf eindrucksvolle Weise.130 Zwar waren die einschlägigen Verbote allesamt unterschiedslos anwendbar. Dementsprechend wurden nicht nur ausländische Anbieter gegenüber den bereits niedergelassenen Inländern benachteiligt. Vielmehr sahen sich inländische Newcomer, die noch nicht am Markt agierten und Marktzugang erhalten wollten, genau denselben Nachteilen ausgesetzt wie ausländische Anbieter. Nach einem strikt gleichheitsrechtlichen Verständnis wären die Maßnahmen daher nicht am Maßstab der Grundfreiheiten zu prüfen gewesen. Zum einen waren die Regelungen nicht spezifisch auf die unterschiedliche Ausgangsposition zwischen 123

  GA Maduro, SchlA, verb. Rs. C‑158 – 159/04 (Alfa Vita) Rn. 41.   Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, 1999, S. 115 ff.; Hahn, DStZ 2005, 433, 436 f.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 237, 242 f. (EuGH judiziert „ultra vires“); 125   Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 231 f.; vgl. auch W.‑H. Roth, in: FS Großfeld, 1999, S. 929, 945 (weiter Diskriminierungsbegriff verdeckt die entscheidenden Wertungen und Abwägungen). 126   So bereits GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑412/93 (Leclerc-Siplec) Rn. 39. 127  Vgl. supra, § 6 C.II. 128   EuGH, Rs. C‑322/01 (DocMorris). 129   EuGH, Rs. C‑108/09 (Ker-Optika). 130   Zu weiteren Beispielen W.‑H. Roth, RabelsZ 94 (1990), 63, 83; Streinz, in: FS Rudolf, 2001, S. 199, 208 f. 124

476

§ 6  Grundfreiheiten

Ausländern und Inländern zugeschnitten. Vielmehr schufen die beanstandeten Normen formal betrachtet für sämtliche Marktteilnehmer einheitliche Wettbewerbsbedingungen.131 Zum anderen konnte in den meisten Fällen aber auch nicht nachgewiesen werden, dass sich die einschlägigen Verbote bzw. Restriktionen auf ausländische Marktteilnehmer tatsächlich härter auswirkten als auf inländische Konkurrenten.132 Dennoch kam der Gerichtshof in den genannten Rechtssachen zu dem Ergebnis, dass die beschränkenden Maßnahmen vom Schutzbereich der Grundfreiheiten erfasst werden. Entscheidend war insoweit der Gedanke, dass ausländischen Anbietern ein besonders effektiver Zugang zum Kunden verwehrt wird, wenn wirksame Formen der Absatzförderung (Werbung),133 essentielle Vertriebswege (Internet),134 der Wettbewerb um bestimmte Produkte (Zinssatz auf Sichteinlagen,135 Versicherungstarife136) oder Preise (Mindestgebühren für Rechtsanwaltshonorare)137 durch staatliche Maßnahmen beschränkend reguliert bzw. gänzlich verboten werden. Eine solche Sichtweise ist konsequent, wenn man die Grundfreiheiten als subjektive Rechte interpretiert. Vermitteln die Grundfreiheiten ausländischen Wirtschaftsteilnehmern ein Recht auf Marktzugang, kann es nicht allein auf die makroökonomischen Effekte ankommen, also darauf, ob der Wettbewerb zwischen aus- und inländischen Wirtschaftsteilnehmern im Binnenmarkt insgesamt verzerrt wird und ob die nachteiligen Folgen „in erster Linie“,138 „im Wesentlichen“,139 „besonders“,140 in der „großen Mehrzahl“ der Fälle141 oder „meistens“ bzw. „hauptsächlich“142 EU‑Ausländer oder ausländische Produkte treffen. Vielmehr sind unter einer subjektiv-rechtlichen Perspektive auch die einzelwirtschaftlichen Auswirkungen für ausländische Anbieter in Betracht zu ziehen.143 Gelingt einem ausländischen Unternehmen der Nachweis, dass die fragliche Maßnahme seine Wettbewerbsposition im Vergleich zu den bereits am Markt aktiven inländischen Wirtschaftsteilnehmern verschlechtert, ist es daher ohne Belang, in welchem Ausmaß zugleich sonstige inländische Wirtschaftsteilneh131  So Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 264 ff., der ein Verbot rein faktischer Wettbewerbsnachteile durch unterschiedslos anwendbare Regelungen generell ablehnt. 132   Besonders deutlich EuGH, Rs. C‑322/01 (DocMorris) Rn. 74, wonach das Verbot des Vertriebs von Arzneimitteln geeignet sein „könnte“, den Marktzugang für Waren aus anderen Mitgliedstaaten stärker zu behindern als für inländische Erzeugnisse; sowie GA Stix-Hackl, die in ihren SchlA (Rn. 88) es ausdrücklich ablehnt, die sich für inländische Präsenzapotheken ergebenden Nachteile in die Vergleichsprüfung mit einzubeziehen. Aus diesem Grunde kritisch Kingreen, in: v. Bogdandy/ Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, 705, 728 f.; Lenz, NJW 2004, 332 ff. Zur Rs. C‑442/02 (CaixaBanc France) vgl. W.‑H. Roth, VuR 2007, 161, 165. 133   Vgl. EuGH, verb. Rs. C‑34 – 36/95 (De Agostini und TV‑Shop); Rs. C‑405/98 (Gourmet International Products). 134   EuGH, Rs. C‑322/01 (DocMorris); Rs. C‑108/09 (Ker-Optika). 135   EuGH, Rs. C‑442/02 (CaixaBank France). 136   EuGH, Rs. C‑518/06 (Kommission/Italien) 137   EuGH, Rs. C‑94/04 (Cipolla). 138   Vgl. EuGH, Rs. 22/80 (Boussac) Rn. 10. 139   Vgl. EuGH, Rs. 20/85 (Roviello) Rn. 15; Rs. 33/88 (Allué und Coonan) Rn. 12. 140   Vgl. EuGH, Rs. 175/88 (Biehl) Rn. 14 141   Vgl. EuGH, Rs. C‑398/92 (Mund & Fester) Rn. 16. 142  Vgl. EuGH, Rs. C‑221/89 (Factortame II) Rn. 32; Rs. C‑330/91 (Commerzbank) Rn. 15; Rs. C‑279/93 (Schumacker) Rn. 28; Rs. C‑224/97 (Ciola) Rn. 14. 143   Wie hier G. Davies, German Law Journal 2010, 671, 690; vgl. auch Schwintowski, RabelsZ 64 (2000), 38, 52. A. A. Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 257, mit der These, dass die subjektivrechtliche Dimension der Grundfreiheiten allein der Effektuierung und praktischen Wirksamkeit des Binnenmarkts dient.

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte

477

mer betroffen sind.144 Es ist dementsprechend nur folgerichtig, dass der Gerichtshof auf das Beschränkungsverbot gerade dann zurückgreift, wenn sich auf tatsächlicher Ebene nicht aufklären lässt, wie viele In- und Ausländer von der Maßnahme betroffen sind.145

IV. Präzisierung des Marktzugangskriteriums Steht nach dem zuvor Gesagten fest, dass ein rein gleichheitsrechtliches Verständnis den Grundfreiheiten nicht gerecht wird, so stellt sich weitergehend die Frage, wie der weite Begriff der Marktzugangsbeschränkung anderweitig präziser gefasst werden kann. Sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtsprechung des EuGH findet sich eine Reihe von Vorschlägen, wie die Formel vom Marktzugang in tatbestandlicher Hinsicht konkretisiert und eingegrenzt werden kann. 1. Bestimmung des relevanten Markts Kennzeichnend für eine Marktzugangsbeschränkung ist zunächst ihre Selektivität. Marktzugangsbeschränkungen behindern oder erschweren (ausländischen) Unternehmen den Zugang zu einem bestimmten Markt, indem sie Wettbewerbsvorteile für bereits am Markt aktive Wirtschaftsteilnehmer schaffen.146 Dementsprechend ist in einem ersten Schritt der relevante Markt zu ermitteln. Dabei bietet es sich an, den relevanten Markt in seiner räumlichen, sachlichen und zeitlichen Dimension unter Rückgriff auf die zu Art. 101, 102 AEUV entwickelten Kriterien zu bestimmen.147 Für die Abgrenzung des sachlich relevanten Markts ist demgemäß entscheidend, ob die betreffenden Erzeugnisse bzw. Dienstleistungen von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, ihrer Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar bzw. als substituierbar angesehen werden.148 In diesem Sinne fordert auch der Gerichtshof für einen Verstoß gegen das steuerliche Diskriminierungsverbot (Art. 110 Abs. 1 AEUV), dass die fraglichen Waren ähnliche Eigenschaften haben und den gleichen Bedürfnissen der Verbraucher die144   In diese Richtung auch EuGH, Rs. C‑250/06 (United Pan-Europe Communications) Rn. 37: „Eine Regelung stellt nämlich nicht nur dann eine Behinderung der Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten dar, wenn alle Unternehmen eines Mitgliedstaats gegenüber Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, bevorzugt werden. Es genügt, dass diese Regelung bestimmten Unternehmen, die im Inland niedergelassen sind, zugutekommt.“ 145   Vgl. etwa EuGH, Rs. 18/95 (Terhoeve) Rn. 41; Rs. C‑400/08 (Kommission/Spanien) Rn. 63. Im Fall Terhoeve wandte die niederländische Regierung ein, dass die beanstandeten Sozialabgaben zumindest zur Hälfte auch Inländer treffe. Im Fall Kommission/Spanien konnte die Kommission die genaue Zahl der betroffenen Einrichtungen und auch nicht die Aufteilung zwischen der von In- und Ausländern ausgeübten Kontrolle über einen erheblichen Teil der betroffenen Gesellschaften darlegen. In beiden Fällen war dies jedoch unbeachtlich, da jedenfalls das Beschränkungsverbot griff. 146   Vgl. Europäische Kommission, Glossar der Wettbewerbspolitik der EU, 2004, 54 (Definition „Zutrittsschranke“); Jones/Sufrin, EC Competition Law, 2008, S. 84 ff.; G. Monti, EC Competition Law, 2007, 144 ff., jeweils m. w. N. zu den ökonomischen Theorien. 147   So auch G. Davies, German Law Journal 2010, 671, 678 f; G/H/N/Leible/T. Streinz, 58. EL, 2016, Art. 34 AEUV Rn. 87; Dietz/T. Streinz, EuR 2015, 50, 60 ff., mit dem zutreffenden Hinweis, dass die für das Kartellrecht gültige Marktdefinition insoweit angepasst werden müsse, als ein fiktiver, hypothetischer Markt zugrunde zu legen ist, der bestünde, wenn die staatliche Regelung nicht existierte. 148   EuGH, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche) Rn. 28 (zu Art. 101 AEUV); Rs. 322/81 (Michelin) Rn. 37 (zu Art. 102 AEUV); Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372/5.

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§ 6  Grundfreiheiten

nen.149 Für die Grundfreiheiten fehlt es demgegenüber regelmäßig an einer Auseinandersetzung mit der Frage, wie der relevante Markt zu bestimmen ist. Der Gerichtshof hebt nur für das den Grundfreiheiten inhärente Diskriminierungsverbot hervor, dass die betreffenden Sachverhalte vergleichbar sein müssen, und äußert sich in diesem Rahmen zuweilen auch zum betroffenen Markt.150 2. Marktzugangshindernisse durch unmittelbare Diskriminierungen und Mehrfachbelastungen In einem zweiten Schritt ist sodann danach zu fragen, ob die in Rede stehende Maßnahme geeignet ist, den Marktzugang zu versperren oder zu behindern. Regelungen, die nach der Staatsangehörigkeit oder Ansässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers, nach der Herkunft von Waren, Dienstleistungen oder Kapital differenzieren oder sonst in ihrem Tatbestand an ein grenzüberschreitendes Element des geregelten Vorgangs anknüpfen, wirken sich aufgrund ihrer unmittelbar diskriminierenden Wirkungen bereits per se auf den Marktzugang aus. Denn sie verhindern, dass ausländische Marktteilnehmer und ausländische Produkte auf dem betreffenden Markt zu den gleichen Bedingungen wie Inländer und inländische Produkte konkurrieren können. In den Schutzbereich der Grundfreiheiten fallen darüber hinaus Nachteile, die sich für den free mover aus der Kumulation mehrerer Rechtsordnungen ergeben. Hierzu zählen Mehrfachbelastungen bei Warenproben,151 abgabenrechtliche Doppelregulierungen,152 Befähigungsnachweise, die bei Ausübung einer bestimmten Tätigkeit zu erbringen sind,153 sowie ganz allgemein Verkehrsverbote und allgemeine Tätigkeitsverbote, sofern die Produkte im Herkunftsland verkehrsfähig bzw. die Tätigkeit erlaubnisfähig ist (Prinzip der gegenseitigen Anerkennung).154 Derartige Maßnahmen lassen sich bei einem weiten Verständnis bereits unter das Diskriminierungsverbot subsumieren, da sie sich nur zu Lasten des grenzüberschreitend Tätigen auswirken.155 Der „free mover“ muss seine Waren an die im Vermarktungsstaat geltenden Vorschriften anpassen, seinen Wohnsitz oder seine Produktionsstätte verlegen oder eine weitere, vom Bestimmungsland anerkannte Ausbildung absolvieren, während Wirt149   Vgl. EuGH, Rs. 45/75 (Rewe-Zentrale) Rn. 12; verb. Rs. C‑367 – 377/93 (Roders u. a.) Rn. 27; Rs. C‑302/00 (Kommission/Frankreich) Rn. 23; Rs. C‑101/00 (Tulliasiamies und Siilin) Rn. 56; zur Sechsten Mehrwertsteuer-RL 77/388 vgl. EuGH, verb. Rs. C‑259 & 266/10 (The Rank Group) Rn. 44. 150  Vgl. EuGH, Rs. C‑156/98 (Deutschland/Kommission) Rn. 84 (zu Art. 49 AEUV); verb. Rs.  C‑430 – 431/99 (Sea-Land Service) Rn. 36 (zu Art. 43 AEUV). 151   Vgl. EuGH, Rs. 251/78 (Denkavit Futtermittel) LS 3 (gesundheitspolizeiliche Kontrollen); Rs. 73/84 (Denkavit Futtermittel) Rn. 14 f. (verterinärbehördliche Kontrollen); Rs. C‑390/99 (Canal Satélite Digital) Rn. 36 ff. (technische Kontrollen). 152   Vgl. EuGH, verb. Rs. 62 – 63/81 (Seco und Desquenne & Giral) Rn. 15; Rs. C‑272/94 (Guiot und Climatec) Rn. 14 ff.; verb. Rs. C‑369 & 376/96 (Arblade u. a.) Rn. 50; jeweils zur Entrichtung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung. 153   Vgl. EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry) Rn. 17 ff.; Rs. 11/77 (Patrick) Rn. 16 f.; Rs. 222/86 (Heylens) Rn. 11 ff.; Rs. C‑340/89 (Vlassopoulou) Rn. 15 ff.; Rs. C‑76/90 (Säger) Rn. 14 ff.; Rs. C‑19/92 (Kraus) Rn. 42; zuletzt EuGH, verb. Rs. C‑422, 425 – 426/09 (Askoxilaki u. a.) Rn. 66 f. 154   Zur Warenverkehrsfreiheit EuGH, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon) Rn. 14; Rs. 362/88 (GB‑InnoBM) Rn. 21; zur Niederlassungsfreiheit EuGH, Rs. 11/77 (Patrick) Rn. 15; zur Dienstleistungsfreiheit EuGH, Rs. C‑76/90 (Säger) Rn. 12. 155   In diesem Sinne Frenz, Europäische Grundfreiheiten, 2. Aufl., 2012, Rn. 174 f.; Calliess/Ruffert/Kingreen, EUV/AEUV, 4. Aufl., 2011, Art. 36 AEUV Rn. 153; Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 223 f. Gegen eine gleichheitsrechtliche Deutung des Herkunftslandprinzips aber Eilmansberger, JBl. 1999, 345, 350. Vgl. zudem die Vorbehalte in Fn. 87.

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte

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schaftsteilnehmer, die sich nur innerhalb ein und derselben Rechtsordnung bewegen, einen derartigen zusätzlichen Aufwand nicht tragen müssen. 3. Unterschiedslos anwendbare Maßnahmen unterhalb der Schwelle einer absoluten Marktzugangsschranke Bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen, die unterhalb der Schwelle einer absoluten Marktzugangsschranke liegen, sind die belastenden Auswirkungen für ausländische Wirtschaftsteilnehmer demgegenüber genauer zu untersuchen.156 Vom Ausgangspunkt gilt dabei, dass die bloße Unterschiedlichkeit nationaler Rechtsordnungen nicht per se zu einer Beeinträchtigung der Grundfreiheiten führt.157 Eine Beschränkung im Sinne des AEUV liegt nicht allein schon deshalb vor, „weil andere Mitgliedstaaten in ihrem Gebiet ansässige Erbringer gleichartiger Dienstleistungen weniger strengen oder wirtschaftlich interessanteren Vorschriften“ unterwerfen.158 Auch der bloße Rückgang des Absatzvolumens ist für sich genommen noch kein Indiz dafür, dass ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten vorliegt, soweit sämtliche Wirtschaftsteilnehmer hiervon betroffen sind.159 Notwendig ist vielmehr, dass der Marktzugang für ausländische Anbieter in spezifischer Weise erschwert wird. a) Differenzierung zwischen Marktzugangs- und Marktausübungsregeln? Im Rahmen dieser Prüfung kann es nach dem zuvor Gesagten nicht auf rein formale Unterscheidungen – wie etwa die Differenzierung zwischen produkt- und vertriebsbezogenen Regelungen – ankommen. Abzulehnen ist auch der von einigen Generalanwälten160 und teils im Schrifttum161 favorisierte Vorschlag, die Keck-Rechtsprechung auf andere Grundfreiheiten zu übertragen und zwischen dem „ob“ und dem „wie“ der wirtschaftlichen Betätigung zu differenzieren. Hiernach sollen allein Maßnahmen, die den Zugang zum Markt beeinträchtigen, am Maßstab der Grundfreiheiten gemessen werden. Dagegen sollen Marktausübungsregelungen, die nach erfolgtem Markteintritt die Art und Weise der Berufsausübung, die Modalitäten der Dienstleistungserbringung oder des Kapital- und Zahlungsverkehrs regeln, nicht mehr vom Schutzbereich erfasst sein. Diese Differenzierung überzeugt nicht. Abgesehen davon, dass die Abgrenzung zwischen Marktzugangs- und Marktausübungsregeln im Einzelfall schwierig ist,162 156   In diese Richtung auch GA van Gerven, SchlA, Rs. 145/88 (Torfaen) Rn. 23 f., der zwischen Maßnahmen unterscheidet, die einen nationalen Teilmarkt völlig abschotten, und Maßnahmen, die den Zugang zum inländischen Markt nur erschweren. 157   EuGH, Rs. C‑177/94 (Perfili) Rn. 17. 158   EuGH, Rs. C‑518/06 (Kommission/Italien) Rn. 63. In diesem Sinne auch EuGH, Rs. C‑384/93 (Alpine Investments) Rn. 27; Rs. C‑565/08 (Kommission/Italien) Rn. 49. 159   EuGH, verb. Rs. C‑267 – 268/91 (Keck und Mithouard) Rn. 13; verb. Rs. C‑418 – 421/93, C‑460 –  462/93, C‑464/93, C‑9 – 11/94, C‑14 – 15/94, C‑23 – 24/94 und C‑332/94 (Semeraro Casa Uno u. a.) Rn. 24; Rs. C‑20/03 (Burmanjer) 30 f.; Rs. C‑441/04 (A‑Punkt-Schmuckhandel) Rn. 21. 160   GA Gulmann, SchlA, Rs. C‑275/92 (Schindler) Rn. 56, 61; GA Lenz, SchlA, Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 203; GA Fennelly, SchlA, Rs. C‑190/98 (Graf) Rn. 33. 161   Ehlers, Jura 2001, 482, 485; Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 340; Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 114, 146, 188, 217; W.‑H.  Roth, in: GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 729, 738; Schroeder, JZ 1996, 254, 255 f. 162   Siehe nur Doukas, CYELS 2006 – 2007, 196 (distinction between access to and exercise of a professional activity is „unworkable“).

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§ 6  Grundfreiheiten

und einige Grundfreiheiten bereits ihrem Wortlaut nach sowohl Zugangs- als auch Ausübungsregeln umfassen,163 lässt eine solche Sichtweise die Schwere der jeweiligen Beeinträchtigung außer Betracht.164 Sie verkennt, dass auch stark belastende Ausübungsregeln geeignet sein können, Wirtschaftsteilnehmer vom Marktzugang abzuhalten.165 Entscheidend ist daher nicht, in welcher Form oder zu welchem Zeitpunkt die Beschränkung erfolgt, sondern ob die betreffende Maßnahme von ihren Auswirkungen her hinreichend intensiv ist, um den Marktzugang für ausländische Wirtschaftsteilnehmer zu verhindern oder zu erschweren. b) Unmittelbare oder direkte Beeinträchtigung als Kriterium? Vereinzelt hat der Gerichtshof argumentiert, dass unterschiedslos anwendbare Maßnahmen dann vom Schutzbereich der Grundfreiheiten erfasst werden, wenn diese „unmittelbar“ den Zugang zum Markt in anderen Mitgliedstaaten beeinflussen.166 Auch im Schrifttum wird zum Teil dafür plädiert, nicht nur auf die Schwere des Eingriffs abzustellen, sondern darüber hinaus danach zu fragen, ob ein „unmittelbarer“ oder „direkter“ Eingriff vorliegt.167 Ein solches Kriterium stößt ebenfalls auf Bedenken.168 Inwieweit eine Maßnahme „unmittelbar“ bzw. „direkt“ wirkt, ist häufig eine Wertungsfrage. So kam der Gerichtshof im Fall Alpine Investments169 zu dem Ergebnis, dass das im niederländischen Recht vorgesehene Verbot des cold calling „unmittelbar“ den Zugang des betroffenen Unternehmens beeinflusse und daher geeignet sei, den innergemeinschaftlichen Dienstleistungsverkehr zu behindern. Tatsächlich untersagte die Maßnahme jedoch nur eine bestimmte Vertriebsform, nicht jedoch den grenzüberschreitenden Vertrieb von Finanzdienstleistungen an sich. Die Auswirkungen des Verbots hätten daher genauso gut als mittelbar eingestuft werden können.170 Umgekehrt urteilte der Gerichtshof im Fall Graf,171 dass eine mitgliedstaatliche Regelung, derzufolge Arbeitnehmer ihren Abfindungsanspruch bei Selbstkündigung verlieren, die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht beeinträchtigen könne, da der Abfindungsanspruch von einem zukünftigen hypothetischen Ereignis abhänge, das zu ungewiss und indirekt wirke. 163   So spricht etwa Art. 49 Abs. 2 AEUV ausdrücklich davon, dass die Niederlassungsfreiheit gleichermaßen „die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten“ umfasst. 164   Im Ergebnis auch Barnard, ELRev. 2001, 35, 58; Snell, CMLR 2010, 437, 445 f.; Spaventa, CMLR 2004, 743, 760 ff.; Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt, 2007, S. 56 f. 165   So ausdrücklich EuGH, Rs. C‑464/02 (Kommission/Dänemark) Rn. 37: „Die Modalitäten der Ausübung einer Tätigkeit sind aber geeignet, auch den Zugang zu der betreffenden Tätigkeit zu beeinflussen. Daher kann eine Regelung, die die Bedingungen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit betrifft, eine Beschränkung der Freizügigkeit im Sinne dieser Rechtsprechung darstellen.“ 166   EuGH, Rs. C‑384/93 (Alpine Investments) Rn. 38; Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 103. 167   Weatherill, CMLR 1996, 885, 896 – 901, fordert kumulativ das Vorliegen einer direkten und wesentlichen Marktzugangsbeschränkung („direct and substantial hindrance to market access“). Nach Toner, YEL 2004, 275, 283 ff., und Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt, 2007, S. 57 f., sind unterschiedslos anwendbare Maßnahmen am Maßstab der Grundfreiheiten zu messen, wenn eine direkte oder schwere Beeinträchtigung vorliegt. 168   Im Ergebnis ablehnend auch G. Davies, German Law Journal 2010, 671, 687; Snell, CMLR 2010, 452 – 455. 169   EuGH, Rs. C‑384/93 (Alpine Investments) Rn. 38. 170   So auch Snell, CMLR 2010, 437, 452 f. 171   EuGH, Rs. C‑190/98 (Graf) Rn. 25. 172   Deckert/Schroeder, JZ 2001, 88, 89.

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte

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Der Verlust der Abfindung war jedoch gerade die sichere Folge der Selbstkündigung und daher mitnichten ein „ungewisses und indirekt“ wirkendes Ereignis.172 Das Unmittelbarkeitskriterium erweist sich schließlich auch deswegen als ungeeignet, weil damit letztlich keine Aussage über die Intensität der Marktzugangsbehinderung getroffen wird. Werden ausländische Marktteilnehmer mit spürbaren Nachteilen belastet, so kann es nicht darauf ankommen, ob diese unmittelbar aufgebürdet werden oder ob sie das Resultat einer Kette von Konsequenzen sind, die durch die Maßnahme adäquat kausal hervorgerufen werden. Umgekehrt kann es nicht angehen, dass eine Maßnahme, die den Marktzugang nicht spürbar beeinträchtigt, allein deshalb an den Grundfreiheiten gemessen wird, weil sie auf die Beteiligten direkt wirkt. Auch der Gerichtshof erkennt dementsprechend in neueren Entscheidungen an, dass es letztlich nicht auf die Unmittelbarkeit, sondern allein auf die Schwere des Eingriffs ankommt.173 c) Spürbarkeitstest in der Rechtsprechung des EuGH Obwohl sich der EuGH niemals ausdrücklich zu einem Spürbarkeitstest bekannt hat, zeigt eine nähere Rechtsprechungsanalyse, dass der Gerichtshof einen solchen Test gerade bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen zugrunde legt. Der EuGH hat in einer Reihe von Entscheidungen hervorgehoben, dass nichtdiskriminierende Beschränkungen nur dann an den Grundfreiheiten zu messen sind, wenn diese den Marktzugang „erheblich“174 bzw. „ernsthaft“175 behindern. Dies ist etwa der Fall, wenn die Mitgliedstaaten in gravierender Weise in die Vertragsfreiheit der Wirtschaftsteilnehmer eingreifen,176 wenn den betroffenen Unternehmen „zusätzliche“ Kosten von „erheblichem“ Umfang aufgebürdet werden177 oder wenn die Beschränkung nach ihrer Tragweite „erheblichen Einfluss auf das Verhalten der Verbraucher 173   So argumentierte etwa GA Sharpston in ihren SchlA zur Rs. C‑325/08 (Olympique Lyonnais) Rn. 41, dass ein schadensersatzbewehrtes Verbot des Vereinswechsels ein wichtiger Faktor sei, der jeden Arbeitnehmer „unmittelbar“ treffe, wenn dieser die Ablehnung eines Beschäftigungsangebots zugunsten eines anderen erwäge. Der EuGH betonte stattdessen mit Blick auf den eingeklagten Betrag (53.357 Euro), dass die Regelung die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit weniger attraktiv mache, obwohl sie den Spieler formell gesehen nicht an einem Vereinswechsel hindere (Rn. 36). In der Rs. C‑442/02 (CaixaBank France) führte GA Tizzano in seinen SchlA (Rn. 66) aus, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit vorliege, wenn die Maßnahme entweder diskriminiere oder den Zugang zum Markt „unmittelbar“ beeinflusse. Der Gerichtshof stellte demgegenüber in seinem Urteil (Rn. 12 ff.) nur darauf ab, dass das mitgliedstaatliche Verbot den Marktzugang „ernsthaft“ erschwert. Auch in der Rs. C‑205/07 (Gysbrechts) folgte der Gerichtshof nicht dem Vorschlag von GA Trstenjak (SchlA, Rn. 65), diejenigen Vorschriften der Mitgliedstaaten über Verkaufsmodalitäten, die den Marktaustritt verhindern oder „unmittelbar“ behindern, als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen im Sinne des Art. 35 AEUV einzustufen; näher hierzu infra, § 6 C.V. 174   Zur Warenverkehrsfreiheit EuGH, Rs. C‑108/09 (Ker-Optika) Rn. 54; zuvor EuGH, Rs. C‑110/ 05 (Kommission/Italien) Rn. 56; Rs. C‑142/05 (Mickelsson und Roos) Rn. 26. Zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit EuGH, Rs. C‑518/06 (Kommission/Italien) Rn. 66 – 70. Zur Kapitalverkehrsfreiheit vgl. EuGH, verb. Rs. C‑282 – 283/04 (Kommission/Niederlande) Rn. 29; Rs. C‑10/10 (Kommission/Österreich) Rn. 26. Zur Unionsbürgerfreizügigkeit (Art. 21 AEUV) vgl. EuGH, Rs. C‑148/02 (Garcia Avello) Rn. 36; Rs. C‑353/06 (Grunkin und Paul) Rn. 23 ff.; Rs. C‑434/09 (McCarthy) Rn. 51 ff.: „schwerwiegende Nachteile“. 175   EuGH, Rs. C‑442/02 (CaixaBank France) Rn. 12. 176   EuGH, Rs. C‑518/06 (Kommission/Italien) Rn. 66. 177   EuGH, Rs. C‑518/06 (Kommission/Italien) Rn. 69 f.; vgl. auch EuGH, Rs. C‑134/03 (Viacom Outdoor) Rn. 38.

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§ 6  Grundfreiheiten

hat, das sich wiederum auf den Zugang des Erzeugnisses zum Markt des Mitgliedstaats auswirkt“.178 Im Fall Mickelsson und Roos179 betonte der Gerichtshof ebenfalls, dass Nutzungsbeschränkungen – im Unterschied zu Nutzungsverboten, die nach der Rechtsprechung per se den Marktzugang versperren180 – erst dann von Art. 34 AEUV erfasst werden, wenn diese den Zugang eines Produkts zum Markt „stark behindern“. Sind die negativen Auswirkungen der fraglichen Maßnahme nach Einschätzung des EuGH „zu ungewiss und zu mittelbar“, „zu unbedeutend und zufällig“ oder kann der Gerichtshof anhand der ihm vorliegenden Angaben nicht feststellen, in welchem Maße ausländische Anbieter durch die staatliche Regelung beeinträchtigt werden, lehnt er das Vorliegen einer Beschränkung ab oder verweist die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das einzelstaatliche Gericht. So urteilte der Gerichtshof beispielsweise im Fall Semeraro Uno, dass die beschränkenden Wirkungen von Ladenöffnungszeiten „zu ungewiss und zu mittelbar“ sind, als dass sie als geeignet angesehen werden könnten, die Niederlassungsfreiheit von Unternehmen zu behindern.181 Auch Steuerabgaben, mit denen ausländische Anbieter weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht stärker belastet werden als inländische Anbieter, wurden in Viacom Outdoor182 wegen ihrer geringfügigen Belastungen als ungeeignet angesehen, um die Ausübung der Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit zu verhindern, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.183 Im Fall Peralta hielt der EuGH Umweltstandards für Schiffsausrüstungen, die die Transportkosten für Waren erhöhen, angesichts ihrer nur ungewissen Auswirkungen ebenfalls für ungeeignet, um den Warenverkehr zu beschränken.184 Nach ständiger Rechtsprechung sind darüber hinaus unterschiedslos anwendbare zivilrechtliche und zivilprozessuale Regelungen, die nicht den Zweck haben, speziell den Handelsverkehr zu regeln, „zu ungewiss und mittelbar“, als dass sie den Binnenmarkt beeinträchtigen könnten.185 In anderen Fällen verlangte der EuGH von den vorlegenden Gerichten eine weitere Sachverhaltsaufklärung, um die konkreten Auswirkungen der staatlichen Maßnahme auf den Marktzugang beurteilen zu können. So konnte der Gerichtshof beispielsweise im Fall Burmanjer186 anhand der ihm vorgelegten Angaben nicht feststellen, ob die in Rede stehende Genehmigungspflicht für den ambulanten Verkauf 178

  EuGH, Rs. C‑110/05 (Kommission/Italien) Rn. 56; Rs. C‑142/05 (Mickelsson und Roos) Rn. 26.   EuGH, Rs. C‑142/05 (Mickelsson und Roos) Rn. 28. 180   Regelungen, die die Nutzung einer bestimmten Ware verbieten, werden vom Gerichtshof ausnahmslos als Maßnahme gleicher Wirkung angesehen; vgl. EuGH, Rs. C‑473/98 (Toolex Alpha) Rn. 34 ff.; Rs. C‑265/06 (Kommission/Portugal) Rn. 31 ff.; Rs. C‑249/07 (Kommission/Niederlande) Rn. 26. 181   EuGH, verb. Rs.  C‑418 – 421/93, C‑460 – 462/93, C‑464/93, C‑9 – 11/94, C‑14 – 15/94, C‑23 – 24/ 94 und C‑332/94 (Semeraro Casa Uno u. a.) Rn. 32. 182   EuGH, Rs. C‑134/03 (Viacom Outdoor) Rn. 37 – 38; vgl. auch EuGH, verb. Rs. C‑544 – 545/03 (Mobistar und Belgacom Mobile) Rn.  31 – 35. 183   Andere Entscheidungen deuten allerdings darauf hin, dass eine nicht diskriminierend ausgestaltete Steuerrechtsordnung des Aufnahmemitgliedstaats mit all ihren Vor- und Nachteilen generell hinzunehmen ist; vgl. EuGH, Rs. C‑387/01 (Weigel) Rn. 55. Der Rspr. des EuGH lässt sich daher nicht eindeutig entnehmen, ob für Abgaben nur das Diskriminierungs- oder auch das Beschränkungsverbot greift; im Einzelnen Banks, ELRev. 2008, 482 ff.; Snell, I.C.L.Q. 2007, 339 ff. 184   EuGH, Rs. C‑379/92 (Peralta) Rn. 24. 185   EuGH, Rs. C‑69/88 (Krantz) Rn. 11; Rs. C‑93/92 (CMC Motorradcenter) Rn. 11 f.; Rs. C‑177/ 94 (Perfili) Rn. 17, 19; Rs. C‑412/97 (Fenocchio) Rn. 11; Rs. C‑44/98 (BASF) Rn. 21; Rs. C‑190/98 (Graf) Rn. 25; Rs. C‑291/09 (Guarnieri) Rn. 17. Näher zu dieser Rspr. supra, § 4 B.III.3.a. 186   EuGH, Rs. C‑20/03 (Burmanjer) Rn. 31 f. 179

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte

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von Zeitschriftenabonnements ausländische Waren stärker berührte als inländische Erzeugnisse. Die übermittelten Akten legten nach Ansicht des Gerichts vielmehr den Schluss nahe, dass eine solche Wirkung, falls die fragliche Regelung sie haben sollte, „zu unbedeutend und zufällig“ wäre, als dass sie für geeignet gehalten werden könnte, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern. Der Gerichtshof kam daher zu dem Ergebnis, dass das vorlegende Gericht diese Fragen prüfen müsse. Diese Ausführungen wurden kurze Zeit später im Urteil A‑Punkt-Schmuckhandel187 für eine nationale Regelung bestätigt, die den Vertrieb von Silberschmuck im Wege von Haustürgeschäften untersagte. Im Fall Mickelsson und Roos188 urteilte der EuGH, dass die im nationalen Recht vorgesehene Einschränkung des Betriebs von Wassermotorrädern auf Wasserstraßen den Zugang zum Markt behindern könnte und vorbehaltlich einer Rechtfertigung verboten wäre, wenn sie – was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts sei – die Benutzer von Wassermotorrädern an der Nutzung hindern oder diese „stark behindern“ sollte. Trotz dieser Ausführungen weist der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung darauf hin, dass die Grundfreiheiten nicht „nach dem Grad der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten unterscheiden“.189 Eine „spürbare Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels“ sei nicht erforderlich,190 die Grundfreiheiten differenzierten „nicht nach der Intensität ihrer Auswirkungen auf den Handel“.191 Daher sei „jede Beeinträchtigung dieser Freiheit, mag sie auch noch so unbedeutend sein, verboten“.192 Hieraus wird überwiegend der Schluss gezogen, dass der Gerichtshof einen Spürbarkeitstest ablehne.193 Eine solche Deutung lässt indessen unberücksichtigt, dass sich die Aussagen des EuGH vornehmlich auf Sachverhalte bezogen, in denen eine unmittelbare Diskriminierung vorlag, also auf Konstellationen, bei denen die staatliche Maßnahme bereits per se rechtfertigungsbedürftig war, ohne dass es auf die Spürbarkeit der Maßnahme angekommen wäre.194 Zum anderen will der Gerichtshof häufig nur zum Ausdruck bringen, dass die Grundfreiheiten auch dann greifen, wenn sich die Maßnahme nur auf einen räumlich begrenzten Teil eines Mitgliedstaats auswirkt.195 Im Übrigen belegen die bereits diskutierten Rechtssachen, dass der Gerichtshof bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen eben doch vielfach Überlegungen zur Spürbarkeit der Handelsbeeinträchtigung anstellt und im Zweifel die nationalen Gerichte dazu verpflichtet, das Ausmaß der Beeinträchtigung aufzuklären. In einigen Judikaten prüfte der EuGH die tatsächlichen Auswirkungen der fraglichen Maßnahme sogar selbst anhand konkreter Daten. So judizierte der Gerichtshof 187

  EuGH, Rs. C‑441/04 (A‑Punkt Schmuckhandel) Rn. 25.   EuGH, Rs. C‑142/05 (Mickelsson und Roos) Rn. 28. 189   EuGH, verb. Rs. 177 – 178/82 (van de Haar) Rn. 13 (zur Warenverkehrsfreiheit). 190   EuGH, Rs. 16/83 (Prantl) Rn. 20 (zur Warenverkehrsfreiheit). 191   EuGH, Rs. C‑126/91 (Yves Rocher) Rn. 21 (zur Warenverkehrsfreiheit). 192   So für sämtliche Grundfreiheiten EuGH, Rs. C‑212/06 (Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon) Rn. 52. Zuvor bereits EuGH, Rs. C‑49/89 (Corsica Ferries I) Rn. 8. 193   Die Formel von den „ungewissen“ Auswirkungen wird dementsprechend in dogmatischer Hinsicht ganz unterschiedlich eingeordnet; vgl. Thomas, NVwZ 2009, 1202 ff. 194   Wie hier Wollenschläger, NVwZ 2008, 506, 512; im anderen Kontext auch Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 324 f. 195   So etwa in EuGH, Rs. C‑67/97 (Bluhme) Rn. 20 ff. 188

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§ 6  Grundfreiheiten

etwa im Fall Corsica Ferries,196 dass eine unterschiedslos auf alle in- und ausländischen Schiffe anwendbare Hafennutzungsgebühr „zu ungewiss und zu indirekt“ sei und nicht am Maßstab des Art. 30 zu messen sei, da die Kosten für die Inanspruchnahme dieser Dienstleistung nur etwa 0,5 ‰ der gesamten Transportkosten ausmachten. Ganz ähnlich urteilte das Gericht im Fall Kommission/Niederlande,197 dass eine von der Kfz-Zulassungsbehörde vorzunehmende Identifizierungsprüfung nicht die Einfuhr von ausländischen Fahrzeugen behindere, da die Prüfung mühelos durchgeführt werden könne und nur geringe Kosten (45 Euro) verursache. Und im bereits erwähnten Fall Viacom Outdoor198 entschied der Gerichtshof, dass eine kommunale Abgabe für Außenwerbung und öffentliche Plakatanschläge keine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstelle, da ihr Betrag auf eine Höhe festgesetzt werde, die im Vergleich zum Wert der Dienstleistungen, die ihr unterworfen sind, als niedrig angesehen werden könne. Dies alles lässt nur den Schluss zu, dass der Gerichtshof bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen unausgesprochen einen Spürbarkeitstest zugrunde legt. d) Konkretisierung des Spürbarkeitskriteriums Die Anwendung eines Spürbarkeitskriteriums hat bislang nur vereinzelt Anhänger gefunden.199 Die herrschende Auffassung im Schrifttum200 und eine Reihe von Generalanwälten201 lehnen einen Spürbarkeitstest bei staatlichen Maßnahmen202 demgegenüber mit der Begründung ab, dass das Kriterium der Spürbarkeit bei den Grundfreiheiten kaum handhabbar sei. Angesichts der Vielgestaltigkeit potenziell relevanter Maßnahmen wäre es ein praktisch aussichtsloses Unterfangen, allgemeingültige Maßstäbe für einen solchen Test entwickeln zu wollen. Die praktischen Schwierigkeiten sprechen für sich genommen allerdings nicht gegen einen Spürbarkeitstest. Auch in anderen Bereichen sind der EuGH und die einzelstaatlichen Gerichte darauf angewiesen, unbestimmte Rechtsbegriffe zu konkretisieren. Würde sich der Gerichtshof offen zu einem Spürbarkeitstest bekennen, müsste er zugleich die relevanten Kriterien für einen solchen Test entwickeln. Eine solche Vorgehensweise wäre gegenüber der bisherigen Rechtsprechung, die für das Vorliegen einer Beschränkung häufig keinen Nachweis verlangt, sondern die bloße Möglichkeit einer Benachteiligung ausreichen lässt, weitaus transparenter. Auch die einzelstaat196

  EuGH, Rs. C‑266/96 (Corsica Ferries II) Rn. 30 f.   EuGH, Rs. C‑297/05 (Kommission/Niederlande) Rn. 60 ff. 198   EuGH, Rs. C‑134/03 (Viacom Outdoor) Rn. 38. 199   GA van Gerven, SchlA, Rs. 145/88 (Torfaen) Rn. 23 f.; GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑412/93 (Leclerc-Siplec) Rn. 42 ff. Aus dem Schrifttum Fezer, JZ 1994, 317, 324; Jestaedt/Kästle, EWS 1994, 26, 28; Sack, EWS 1994, 37, 45; Ranacher, ZfRV 2001, 95 ff.; Weatherill, CMLR 1996, 885, 896 ff.; Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt, 2007, S. 57 f.; sowie in anderem Kontext (bei nachteiliger Ungleichbehandlung nicht austauschbarer Güter) Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 322 ff. 200   Albin/Valentin, EWS 2007, 533, 537; G. Davies, German Law Journal 2010, 671, 687; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, S. 85; Kieninger, Mobiliarsicherheiten im europäischen Binnenmarkt, 1996, S. 151; Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 322 ff.; Oliver, CMLR 1999, 783, 790 ff.; Snell, CMLR 2010, 437, 458 – 460; Thomas, NVwZ 2009, 1202, 1204 f.; Weyer, DZWiR 1994, 89, 91 f. 201   GA Tesauro, SchlA, Rs. C‑292/92 (Hünermund u. a.) Rn. 21; GA Lenz, SchlA, Rs. C‑391/92 (Kommission/Griechenland  – „Milch für Säuglinge“) Rn. 17 f.; GA Fennelly, SchlA, Rs. C‑67/97 (Bluhme) Rn. 19; GA Kokott, SchlA, Rs. C‑142/05 (Mickelsson und Roos) Rn. 46. 197

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte

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lichen Gerichte könnten dann eher beurteilen, unter welchen Voraussetzungen eine staatliche Maßnahme den Marktzugang „erheblich“ erschwert. aa) Produktverkehrsfreiheiten Für die produktbezogenen Grundfreiheiten empfiehlt sich – ähnlich wie bei Art. 101, 102 AEUV – ein quantitativer Spürbarkeitstest, mit dessen Hilfe das tatsächliche Ausmaß der Marktzugangsbeschränkung anhand empirischer Daten oder Erfahrungswerte gemessen wird. In diesem Rahmen dürften die zum Kartell- und Missbrauchsverbot entwickelten Kriterien allerdings nicht unbesehen auf die Grundfreiheiten übertragen werden.203 Die im Wettbewerbsrecht geltende de-minimis-Regel besagt, dass das Kartell- und das Missbrauchsverbot erst dann greifen, wenn die betreffende Verhaltensweise den Wettbewerb und den zwischenstaatlichen Handel in spürbarer Weise beschränkt.204 Um die Breitenwirkung der wettbewerbswidrigen Verhaltensweise auf dem relevanten Markt zu ermessen, wird dabei in erster Linie auf die Marktanteile der kollaborierenden Unternehmen und die Marktstellung der Konkurrenten abgestellt. Einer solchen Analyse bedarf es im Kontext der Grundfreiheiten zum einen schon deswegen nicht, weil gesetzgeberische Maßnahmen bereits aufgrund ihrer allgemeinen Geltung über ein beträchtliches Potenzial verfügen, um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts zu stören.205 Zum anderen wäre es aber auch angesichts der subjektiv-rechtlichen Dimension der Grundfreiheiten verfehlt, auf die Größe des betroffenen Markts im Verhältnis zum Gesamtmarkt, auf Marktanteile oder auf den Umsatz der betroffenen Unternehmen abzustellen. Da die Grundfreiheiten jedem Wirtschaftsteilnehmer ein Recht auf (transnationalen) Marktzugang verleihen, kann ihr Schutz nicht davon abhängen, in welchem Umfang sie am innergemeinschaftlichen Handel teilnehmen.206 Die Grundfreiheiten schützen nicht nur marktstarke Unternehmen, sondern auch einzelne Anbieter, die ihre Waren, Dienstleistungen oder ihre Arbeitskraft grenzüberschreitend erbringen möchten. Der Gerichtshof kam daher im Fall Bluhme207 zu Recht zu dem Ergebnis, dass eine Beschränkung auch dann vorliegen kann, wenn sie in geografischer Hinsicht nur 0,3 % des Staatsgebiets eines Mitgliedslandes betrifft. Entscheidend müssen daher die Auswirkungen der Maßnahme auf den jeweils betroffenen Markt sein. Der Spürbarkeitstest wäre dementsprechend auf die Frage zu 202   Anders ist das Meinungsspektrum, wenn das Handeln Privater in Rede steht; vgl. infra, § 6 E.III.2. 203   Für die Übertragung der im Wettbewerbsrecht entwickelten Kriterien jedoch Fezer, JZ 1994, 317, 324; wohl auch Sack, EWS 1994, 37, 45. 204   Für Art. 101 AEUV vgl. EuGH, Rs. 5/69 (Völk) Rn. 5 und 7; Rs. 22/71 (Béguelin) Rn. 16 ff.; sowie die Bagatell-Bekanntmachung der Kommission, ABl. 2001 C 368/13; Frenz, Europäisches Kartellrecht, 2006, Rn. 493 ff. Für Art. 102 AEUV ist von einer Eignung zur spürbaren Beeinflussung der Wettbewerbsbedingungen regelmäßig bereits deshalb auszugehen, weil die Norm nur Missbrauchshandlungen marktbeherrschender Unternehmen erfasst. Für die Eignung zur Beschränkung des zwischenstaatlichen Handelns verlangt der EuGH ausdrücklich eine Spürbarkeit; EuGH, Rs.  C‑241 – 242/91P (RTE) Rn. 69. Frenz, a. a. O., Rn. 1158, 1408 ff. 205   Wie hier GA Fennelly, SchlA, Rs. C‑67/97 (Bluhme) Rn. 18; GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 41. Anders ist die Sachlage, wenn die Grundfreiheiten auf das Handeln Privater angewendet werden; hierzu infra, § 6 E.III.3. 206   So zu Recht Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, S. 85; ders., JZ 1996, 274, 281. 207   EuGH, Rs. C‑67/97 (Bluhme).

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§ 6  Grundfreiheiten

beziehen, ob die staatliche Maßnahme die betroffenen „free mover“ bzw. ausländischen Produkte im Vergleich zu den bereits am Markt tätigen Wirtschaftsteilnehmern bzw. konkurrierenden Produkten in spürbarer Weise benachteiligt. Eine solche, an der individuellen Schutzrichtung der Grundfreiheiten ausgerichtete Prüfung würde zugleich die im Schrifttum beschworenen Nachweisprobleme abmildern. Der von der Maßnahme betroffene ausländische Wirtschaftsteilnehmer müsste nicht allgemein nachweisen, dass die Maßnahme den Binnenmarkt insgesamt verzerrt oder in erster Linie ausländische Anbieter benachteiligt. Ausreichend wäre vielmehr der Nachweis, dass die Maßnahme zu spürbaren Wettbewerbsnachteilen der betroffenen „free mover“ führt. Dabei könnte der Nachweis einer Verminderung von Marktanteilen nach Einführung der betreffenden staatlichen Maßnahme als Indiz für eine relevante Wettbewerbsverzerrung gewertet werden; umgekehrt könnten unveränderte Marktanteile eine  – widerlegbare  – Vermutung gegen eine spürbare Wettbewerbsbeeinflussung begründen. Der Rekurs auf Marktanteile ist freilich angesichts der vielfältigen Faktoren, die die Entwicklung des Handels im Binnenmarkt bestimmen, mit großen Unsicherheiten belastet; er versagt zudem, wenn ausländische Marktteilnehmer zum Zeitpunkt der Einführung der Regelung noch gar nicht auf dem betreffenden Markt agierten. Entscheidend ist daher vor allem danach zu fragen, ob die fragliche Maßnahme das Nachfrageverhalten der Verbraucher spürbar zu Lasten des „free movers“ beeinträchtigt.208 Ein solcher Test wird vom Gerichtshof auch bei Anwendung des Protektionsverbots (Art. 100 Abs. 2 AEUV) durchgeführt, wenn es um die Frage geht, ob eine inländische Abgabe auf ausländische Erzeugnisse geeignet ist, andere einheimische Produktionen mittelbar zu schützen. Hier stellt der EuGH bereits seit langem darauf ab, ob die fragliche Belastung geeignet ist, den betreffenden Markt durch eine Verminderung des potentiellen Verbrauchs der eingeführten Erzeugnisse zugunsten der mit ihnen im Wettbewerb stehenden inländischen Erzeugnisse zu beeinflussen.209 Maßgeblich ist insoweit der Unterschied zwischen den Verkaufspreisen der fraglichen Erzeugnisse und der Einfluss dieses Unterschieds auf die Entscheidung des Verbrauchers sowie die Entwicklung des Verbrauchs dieser Erzeugnisse.210 Dieser Test könnte entsprechend auf Regelungen übertragen werden, die unterschiedslos anwendbar sind. Der hier nur grob skizzierte Ansatz, der im Einzelnen noch verfeinert werden müsste, könnte zugleich dazu beitragen, nach Aufgabe der Keck-Doktrin ein sachgerechtes Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen des ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarkts und der gebotenen Achtung der hoheitlichen Befugnisse der Mitgliedstaaten sicherzustellen. Regelungen, die ausländische Marktteilnehmer 208   Im Ergebnis auch Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 325 f., der eine Marktzutrittsbeschränkung allerdings erst dann annimmt, wenn die Maßnahme einen protektionistischen Effekt zu Lasten des überwiegenden Teils der aus einem bestimmten Mitgliedstaat importierten Waren oder Dienstleistungen erzeugt. Nach hier vertretener Auffassung kommt es dagegen nur auf den Vergleich zwischen niedergelassenen Marktteilnehmern und „Newcomern“ an. Daher kann eine Marktzutrittsbeschränkung bereits dann vorliegen, wenn (ausländischen und inländischen) „Newcomern“ ein besonders effektiver Zugang zum Kunden verwehrt wird; supra, § 6 C.III. 209   EuGH, Rs. 356/85 (Kommission/Belgien) Rn. 15; verb. Rs. C‑367 – 377/93 (Roders u. a.) Rn. 39; Rs. C‑167/05 (Kommission/Schweden) Rn. 51. 210   EuGH, verb. Rs. C‑367 – 377/93 (Roders u. a.) Rn. 39; Rs. C‑167/05 (Kommission/Schweden) Rn. 53.

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte

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weder in offensichtlicher Weise diskriminieren noch den Marktzugang für diese vollständig versperren, wären nur dann am Maßstab der Grundfreiheiten zu messen, wenn die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer bzw. – bei einem Vertragsverletzungsverfahren – die Kommission anhand konkreter Daten bzw. durch Erfahrungswerte glaubhaft machen, dass sich die Regelung spürbar auf das Nachfrageverhalten auswirkt. Im Unterschied zur Dassonville-Formel käme es dementsprechend auch nicht mehr auf das Vorliegen einer potentiellen Marktzutrittsschranke an. Von den Grundfreiheiten wären vielmehr nur Maßnahmen erfasst, die geeignet sind, eine konkrete Beschränkung herbeizuführen.211 bb) Personenverkehrsfreiheiten Für die personenbezogenen Grundfreiheiten sind Besonderheiten zu beachten. Sie schützen im Unterschied zu den produktbezogenen Grundfreiheiten nicht den grenzüberschreitenden Waren‑, Dienstleistungs- und Kapitalfluss, sondern die Mobilität von Personen, die in einem anderen Staat einer unselbständigen Beschäftigung nachgehen oder sich als Selbständige dauerhaft niederlassen wollen. Der Gerichtshof hat dieser personellen Dimension von Anfang an Rechnung getragen, indem er den Gewährleistungsgehalt dieser Freiheiten erweiterte und Begleitrechte (insbesondere Zugangs- und Aufenthaltsrechte) anerkannte, die zur Arbeitsaufnahme und Niederlassung erforderlich sind.212 Unterschiede ergeben sich auch mit Blick auf die Motive, die zu einem Grenzübertritt führen. Bei den Produktverkehrsfreiheiten sind in erster Linie ökonomische Faktoren ausschlaggebend dafür, ob Waren, Korrespondenzdienstleistungen oder Kapital die zwischenstaatlichen Grenzen überschreiten. Bei den Personenverkehrsfreiheiten spielen dagegen auch Erwägungen eine Rolle, die sich nicht monetarisieren lassen und die ein quantitativer Spürbarkeitstest schwerlich erfassen könnte. Eine sachgerechte Konkretisierung des weiten Beschränkungsbegriffs lässt sich daher nur dann erreichen, wenn nicht nur auf die Intensität der zugangsbeschränkenden Maßnahme abgestellt wird, sondern zugleich ein qualitativer Spürbarkeitstest angewendet wird, der mit Fallgruppen arbeitet213 und danach fragt, ob die betreffende Maßnahme in einen von den Personenverkehrsfreiheiten geschützten Kernbereich eingreift.214 Zu diesem Kernbereich zählen insbesondere Normen, die die Einund Ausreise, das Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat, den Zu- und Wegzug sowie die Tätigkeitsverlagerung (Zugang zum Arbeitsmarkt) regeln. Vorschriften, die nur allgemein Rahmenbedingungen des Arbeitsmarkts festlegen oder das Lebens211   Für das Vorliegen einer konkreten Beschränkung auch Schwintowski, RabelsZ 64 (2000), 38, 50; Pecho, LIEI 2009, 257, 264. 212   Der Gerichtshof hat damit zur Herausbildung unionsbürgerlicher Rechte beigetragen, bevor diese durch den Maastricht-Vertrag formal anerkannt wurden; zur Entwicklung Nic Shuibhne, in: Barnard/Odudu (Hrsg.), The Outer Limits of European Union Law, 2009, S. 173, 176 f.; O’Leary, Y.E.L. 2008, 167, 174. 213   Für eine Konkretisierung des Marktzugangskriteriums anhand einer Fallgruppenbildung auch G/H/N/Forsthoff, 58. EL, 2016, Art. 45 AEUV Rn. 227. 214   Für die Unionsbürgerschaft geht der Gerichtshof inzwischen ausdrücklich davon aus, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, „die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird“; EuGH, Rs. C‑34/09 (Ruiz Zambrano) Rn. 42. Zur Reichweite des Kernbereichsschutzes Nettesheim, JZ 2011, 1030, 1033 f.

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§ 6  Grundfreiheiten

umfeld im Aufnahmemitgliedstaat betreffen (wie etwa Vorschriften des Arbeits- und Sozialschutzes, des Steuerrechts oder des Umweltschutzes), sind daher in aller Regel nicht einer Grundfreiheitenkontrolle unterworfen, da sie weder einen Kernbereich erfassen, noch von hinreichendem Gewicht sein dürften.

V. Die Grundfreiheiten als Marktaustrittsrechte Die Grundfreiheiten lassen sich nicht nur als Marktzugangsrechte verstehen, die auf den Abbau diskriminierender und beschränkender Regelungen des Zielmitgliedstaats gerichtet sind, sondern zugleich als Marktaustrittsrechte, die gegenüber dem Herkunftsland geltend gemacht werden können. Marktaustrittsbeschränkungen zeichnen sich dadurch aus, dass Marktteilnehmer, die grenzüberschreitend tätig werden wollen, durch Maßnahmen des Herkunftslands daran gehindert oder in ihren Möglichkeiten beschränkt werden, ihr Herkunftsland zu verlassen, Niederlassungen im Ausland zu gründen, ihre Arbeitskraft, Waren oder Dienstleistungen in anderen Ländern anzubieten oder Kapital im Ausland zu investieren. Hierin kann eine unmittelbare Diskriminierung liegen, wenn unterschiedliche Regelungen für die Ausfuhr bzw. den Wegzug einerseits und die heimische Vermarktung bzw. Tätigkeit andererseits gelten. In aller Regel geht es in Exportkonstellationen freilich um unterschiedslos anwendbare Normen, die allein an einem Beschränkungsverbot gemessen werden können. Die Mitgliedstaaten sind nämlich regelmäßig nicht daran interessiert, die Exportmöglichkeiten zu Lasten der inländischen Unternehmen zu beschränken. Herkunftsstaaten regeln den betreffenden Lebenssachverhalt daher in aller Regel einheitlich für ihr eigenes Territorium und in der Wirkung darüber hinaus für den gesamten Binnenmarkt. Der EuGH hat das Beschränkungsverbot bei den meisten Grundfreiheiten auch auf solche Exportkonstellationen angewandt. Im Fall Alpine Investments215 entschied der Gerichtshof, dass das niederländische Verbot, Privatleuten unaufgefordert telefonisch Finanzdienstleistungen anzubieten, eine Beschränkung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs darstellt. Zwar war das Verbot unterschiedslos anwendbar. Im Ergebnis bewirkte das Verbot jedoch, dass den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern ein schnelles und direktes Mittel der Werbung und der Kontaktaufnahme mit potenziellen Kunden in anderen Mitgliedstaaten genommen wurde. Es beeinflusste daher nach Ansicht des EuGH den Zugang zum Dienstleistungsmarkt in den anderen Mitgliedstaaten und war daher geeignet, den innergemeinschaftlichen Dienstleistungsmarkt zu behindern. Für die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt seit der Entscheidung Bosman216 gleichermaßen, dass nationale Bestimmungen, die einen Arbeitnehmer daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, auch dann Art. 45 AEUV unterfallen, wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Arbeitnehmer angewendet werden. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit schützt den freien Marktaustritt als notwendiges Gegenstück des freien Zugangs der Arbeitnehmer zum Bestimmungsmarkt. Die Vorschrift würde leerlaufen, wenn die Herkunftsländer den Wegzug der Arbeitnehmer nach Belieben verhindern oder behindern könnten.217 215

  EuGH, Rs. C‑384/93 (Alpine Investments) Rn. 28, 38.   EuGH, Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 96; Rs. C‑325/08 (Olympique Lyonnais) Rn. 34. 217   EuGH, Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 97. 216

C. Die Grundfreiheiten als Marktzugangs- und Marktaustrittsrechte

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Auch die Niederlassungsfreiheit schützt vor Marktaustrittsbeschränkungen.218 Zwar hat der Gerichtshof das Wegzugsrecht von Gesellschaften in den Entscheidungen Daily Mail219 und Cartesio220 insoweit begrenzt, als die Mitgliedstaaten die Verlegung des Verwaltungssitzes mit dem Verlust des bisherigen Gesellschaftsstatuts sanktionieren dürfen.221 Beide Entscheidungen sind jedoch dem Umstand geschuldet, dass Gesellschaften keine natürlichen Personen, sondern „Geschöpfe“ einer bestimmten Rechtsordnung sind. Die Mitgliedstaaten dürfen daher beim gegenwärtigen Stand des Gesellschaftsrechts weiterhin darüber entscheiden, welche Verknüpfungen mit ihrem Territorium für die Anwendung des heimischen Gesellschaftsrechts erforderlich sind. Dem EuGH ging es insoweit gar nicht um die Frage, ob das Niederlassungsrecht in Wegzugsfällen als Diskriminierungs- oder auch als Beschränkungsverbot zu verstehen ist, sondern um die vorgelagerte Frage, ob der Anwendungsbereich der Art. 49, 54 AEUV überhaupt eröffnet ist.222 Ist eine Gesellschaft bereit, ihre Rechtsform nach Maßgabe des Rechts des Zuzugsstaats zu ändern, so greift dagegen ein Beschränkungsverbot. Der Gründungsstaat darf in diesem Fall den Wegzug von Gesellschaften nicht durch materiell-rechtliche Auflösungs- und Liquidationsregeln beschränken.223 Der Rechtsprechung des EuGH lässt sich ferner entnehmen, dass auch die Kapitalverkehrsfreiheit unterschiedslos anwendbare Ausfuhrbeschränkungen erfasst.224 Schließlich hat der Gerichtshof – unter Hinweis auf seine Rechtsprechung zur Niederlassungs- und Arbeitnehmerfreizügigkeit – auch für die Unionsbürgerfreizügigkeit entschieden, dass Art. 20 AEUV für die Unionsbürger sowohl das Recht umfasst, sich in einen anderen Mitgliedstaat als ihren Herkunftsmitgliedstaat zu begeben, als auch das Recht, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen.225 Eine Sonderstellung nimmt wiederum die Warenverkehrsfreiheit ein. Seit der Groenveld-Entscheidung226 ging der EuGH lange Zeit davon aus, dass unter Art. 35 AEUV nur solche nationalen Maßnahmen fallen, „die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb eines Mitgliedstaats und seinen Außenhandel schaffen, so dass die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen 218  Im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit von natürlichen Personen vgl. EuGH, verb. Rs.  154 – 155/87 (Wolf u. a.) Rn. 9, 11; Rs. C‑9/02 (de Lasteyrie du Saillant) Rn. 42, 45 ff. Für das Niederlassungsrecht von Gesellschaften EuGH, Rs. 81/87 (Daily Mail) Rn. 16; Rs. C‑264/96 (ICI) Rn. 21 f.; Rs. C‑200/98 (X und Y) Rn. 26 f.; Rs. C‑210/06 (Cartesio) Rn. 111 – 113. Viele der genannten Entscheidungen betrafen freilich keine reinen Beschränkungsfälle, sondern verdeckte Diskriminierungen. 219   EuGH, Rs. 81/87 (Daily Mail) Rn. 19, 23 f. 220   EuGH, Rs. C‑210/06 (Cartesio) Rn. 109 f. 221  Kritisch Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 ff. 222   So auch Safari, ZEuP 2011, 708, 716; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545, 547. 223   EuGH, Rs. C‑210/06 (Cartesio) Rn. 112 f. 224  EuGH, verb. Rs. C‑163, 165  & 250/94 (Sanz de Lera u. a.) Rn. 39. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑439/97 (Sandoz) Rn. 19 f., mit SchlA von GA Léger, Rn. 31 ff., 48. 225   EuGH, Rs. C‑33/07 (Jipa) Rn. 18. 226  EuGH, Rs. 15/79 (Groenveld) Rn. 7. Bestätigt durch EuGH, Rs. 155/80 (Oebel) Rn. 15; Rs. C‑9/89 (Spanien/Rat) Rn. 21; Rs. C‑293/02 (Jersey Produce Marketing Organisation) Rn. 73. Der Gerichtshof greift auf die Dassonville-Formel nur dann zurück, wenn die nationale Regelung Waren betrifft, die Gegenstand einer gemeinsamen Marktordnung i. S. d. Art. 40 AEUV sind; vgl. zuletzt EuGH, Rs. C‑161/09 (Kakavetsos-Fragkopoulos) Rn. 27.

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§ 6  Grundfreiheiten

besonderen Vorteil erlangt“. Der Gerichtshof statuierte mit anderen Worten also nur ein Diskriminierungsverbot. Unterschiedslos auf den Binnen- und Außenhandel anwendbare Maßnahmen wurden demgegenüber nicht von Art. 35 AEUV erfasst. Eine Kehrtwende zeichnet sich nun mit der Entscheidung Gysbrechts227 ab. In dem zugrunde liegenden Fall wurde dem EuGH die Frage vorgelegt, ob das im belgischen Recht vorgesehene Verbot, vor Ablauf der Widerrufsfrist vom Verbraucher eine Anzahlung oder die Angabe einer Kreditkartennummer zu fordern, bei Auslandsgeschäften gegen Art. 35 AEUV verstoße. Generalanwältin Trstenjak plädierte in ihren Schlussanträgen für eine Aufgabe der Groenveld-Rechtsprechung und schlug stattdessen vor, die zu Art. 34 AEUV entwickelten Kriterien aus Dassonville, Cassis de Dijon und Keck auf Art. 35 AEUV zu übertragen.228 Der EuGH hielt in seinem Urteil zwar vordergründig an den Groenveld-Kriterien fest, kam aber dennoch zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen Art. 35 AEUV vorliege, da sich das betreffende Verbot gerade bei geringen Beträgen trotz formal gleicher Behandlung auf Auslandsgeschäfte stärker auswirkte als auf Inlandsgeschäfte.229 Ob die Maßnahme „spezifische“ Beschränkungen der Ausfuhrströme bezweckt oder bewirkt, wurde vom Gerichtshof demgegenüber ebenso wenig geprüft wie die Frage, ob die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt. Der Gysbrechts-Entscheidung lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob aus Art. 35 AEUV ein Beschränkungsverbot folgt. Nach den Ausführungen des EuGH steht aber zumindest fest, dass die Norm nicht nur rechtliche, sondern auch faktische Diskriminierungen verbietet.230 Das Verbot der faktischen Diskriminierung wird dabei vom Gerichtshof großzügig interpretiert und im Ergebnis einem Beschränkungsverbot angenähert: Während GA Trstenjak eine stärkere tatsächliche Beeinträchtigung des Außenhandels gegenüber dem Binnenhandel mangels konkret vorgelegter Beweise nicht erkennen konnte,231 unterstellte der Gerichtshof kurzerhand, dass die belgische Regelung zu unterschiedlichen Bedingungen für das Aus- und Inlandsgeschäft führe. Nachdem der Gerichtshof nur noch pro forma an der Groenveld-Formel festhält, wird im Schrifttum zu Recht eine ausdrückliche Korrektur der bisherigen Rechtsprechung angemahnt und gefordert, die Warenausfuhrfreiheit auch auf unterschiedslos anwendbare Regelungen zu erstrecken.232 Für die Anerkennung eines allgemeinen Verbots von Marktausfuhrbeschränkungen spricht eine Reihe von Gründen. Ein227

  EuGH, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts und Santurel).   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts und Santurel) Rn. 65. 229   EuGH, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts und Santurel) Rn. 41 ff. 230   Im Ergebnis auch Brigola, EuZW 2009, 479, 481 f.; W.‑H. Roth, CMLR 2010, 509, 515; Tryfonidou, ELRev. 2010, 36, 54 f. 231   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts und Santurel) Rn. 36 – 38, u. a. mit Hinweis darauf, dass die Gemeinschaft bereits zahlreiche Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen erlassen habe, die eine einfachere Forderungseintreibung ermögliche. Zustimmend Müller-Haubold, GPR 2008, 237, 239. Ablehnend Brigola, EuZW 2009, 479, 481 f., der eine extensive Auslegung des Diskriminierungsbegriffs befürwortet, und darauf hinweist, dass „gewisse“ Auslandsrisiken verbleiben, die für einen Verkäufer eine „keineswegs fernliegende“ Barriere bilden „können“. Vgl. auch Weatherill, ERCL 2009, 149, 155. 232   Brigola, EuZW 2009, 479; G/H/N/Leible/T. Streinz, 58. EL, 2016, Art. 35 AEUV Rn. 17; Tryfonidou, ELRev. 2010, 36, 55. Für eine Aufgabe der Groenveld-Formel auch W.‑H. Roth, ZHR 159 (1995), 78 ff.; Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 35 Rn. 5; vgl. ferner GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts und Santurel) Rn. 41 mit umfangreichen Nachweisen in Fn. 27. 228

D. Die Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte

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und Ausfuhrfreiheiten bilden letztlich zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Beide Grundfreiheiten dienen der Verwirklichung des Binnenmarktes. Sie zielen auf einen gleichen und freien Zugang zu allen mitgliedstaatlichen Absatzmärkten. Die Ausfuhr ist Vorbedingung für die Entfaltung wirtschaftlicher Tätigkeit im Zielmitgliedstaat. Werden nur diskriminierende Ausfuhrbeschränkungen von Art. 35 AEUV erfasst, bleiben Hersteller schutzlos, die ihre Produkte speziell auf die Anforderungen eines anderen Staates ausrichten. Sie müssten unterschiedslos anwendbare Regelungen des Herkunftslandes hinnehmen, wenn diese Maßnahmen eine Herstellung von an den Standards anderer Absatzmärkte ausgerichteten Produkten nicht zulassen und so deren Ausfuhr unmöglich machen. Ein reines Diskriminierungsverbot versagt abgesehen hiervon, wenn das für den Export bestimmte Produkt im Inland überhaupt nicht vermarktet wird.233 In dieser Konstellation kann mangels Vergleichssituation von vornherein nicht festgestellt werden, ob sich das Verbot in tatsächlicher Hinsicht stärker auf Auslandsgeschäfte auswirkt als auf Inlandsgeschäfte. Der Gerichtshof sollte daher – wie bei den anderen Grundfreiheiten auch – die Figur der Marktaustrittsbeschränkung auch bei Art. 35 AEUV anerkennen. Ein solches Beschränkungsverbot müsste in tatbestandlicher Hinsicht allerdings eingegrenzt werden. Anderenfalls könnte nahezu jede nationale Maßnahme, die sich kostensteigernd auf Produktion bzw. Vertrieb von Waren auswirkt, an Art. 35 AEUV gemessen werden.234 Nach hier vertretener Ansicht verbietet sich auch in Exportkonstellationen eine Übernahme der Keck-Formel.235 Es wäre vielmehr danach zu fragen, ob die unterschiedslos anwendbare Maßnahme zu einer spezifischen Beschränkung der Ausfuhrströme führt. Dies ist erst dann der Fall, wenn die Maßnahme aufgrund ihrer Intensität geeignet ist, die Wirtschaftsteilnehmer im konkreten Fall von einer Ausfuhr abzuhalten. Unterschiedslos anwendbare Maßnahmen, die unterhalb einer absoluten Marktaustrittsschranke liegen, sind daher erst dann rechtfertigungsbedürftig, wenn sich die Beschränkung spürbar auf den Marktaustritt auswirkt.

D. Die Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte I. Rechte gegenüber den Mitgliedstaaten Der Gerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung, dass aus den Grundfreiheiten individuelle Rechte abgeleitet werden können. Die Grundfreiheiten generieren daher nicht nur objektives Recht, sondern begründen zugleich einklagbare Individualrechte, die von den nationalen Gesetzgebern, Gerichten und Behörden zu schützen sind. Da 233

  GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts und Santurel) Rn. 43.   Reich/Micklitz, VuR 2008, 349, 350, befürchten daher eine „Vollharmonisierung durch die Hintertür“. Da nationale verbraucherschützende Regelungen unter Geltung des Mindestharmonisierungsprinzips in aller Regel mittelbare Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Vertrieb hätten, bestehe die Gefahr, dass nationale Regelungen jenseits des europäischen Mindeststandards mit dem Generalverdacht eines Handelshemmnisses bedacht würden. 235   Für die analoge Anwendung der Keck-Formel aber GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts und Santurel) Rn. 52, 57 ff.; Brigola, EuZW 2009, 479, 484; G/H/N/Leible/T. Streinz, 58. EL, 2016, Art. 35 AEUV Rn. 17. Nach Auffassung von Schöndorf-Haubold, GPR 2008, 237, 343, sollten hingegen nicht Verkaufsmodalitäten, sondern produktbezogene Regelungen des Herkunftsstaats vom Beschränkungsverbot ausgenommen werden. 234

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§ 6  Grundfreiheiten

die Grundfreiheiten diese Rechtsstellung dem Einzelnen gegenüber den Mitgliedstaaten einräumen, kann man sie als subjektiv-öffentliche Rechte bezeichnen.236 1. Abwehrrechte Die Grundfreiheiten vermitteln – unabhängig davon, ob man sie als Diskriminierungs- oder Beschränkungsverbote, als Gleichheits- oder Freiheitsrechte einordnet – dem Einzelnen ein Abwehrrecht gegenüber belastenden Maßnahmen der Mitgliedstaaten. Aufgrund der unmittelbaren Wirkung der Grundfreiheiten und des Anwendungsvorrangs kann sich der Einzelne in einer Abwehrsituation gegenüber den staatlichen Behörden darauf berufen, dass grundfreiheitswidrige innerstaatliche Normen nicht angewendet werden dürfen. Die Berechtigten haben darüber hinaus Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche, die vor den mitgliedstaatlichen Gerichten durchgesetzt werden können. 2. Teilhaberechte Die Grundfreiheiten können dem Einzelnen unter gewissen Voraussetzungen auch ein Recht auf Beteiligung an bestehenden staatlichen Leistungssystemen vermitteln. Derartige Teilhaberechte (derivative Leistungsrechte) bestehen, wenn allein der Zugang zu staatlichen Vergünstigungen sicherstellen kann, dass den betroffenen Unionsbürgern ein diskriminierungsfreier Zugang zum Markt eines anderen Mitgliedstaats gewährt wird.237 So hat der Gerichtshof etwa aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit abgeleitet, dass sich Unionsbürger, die auf Arbeitssuche in einem anderen Mitgliedstaat sind und tatsächliche Verbindungen mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates hergestellt haben, direkt auf Art. 45 Abs. 2 AEUV berufen können, um eine finanzielle Leistung in Anspruch zu nehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll.238 Nach Auffassung des Gerichtshofs verstößt es des Weiteren gegen Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit), wenn die Zahlung eines Einkommenszuschusses zwecks Sicherstellung eines Mindesteinkommens nach nationalem Recht nur Personen gewährt wird, die innerhalb der letzten zwanzig Jahre mindestens fünf Jahre lang in diesem Mitgliedstaat gewohnt haben, da ein solches Erfordernis eine indirekte Diskriminierung darstellt.239 Weitergehende Teilhaberechte sind vom Gerichtshof vor allem aus der Unionsbürgerfreizügigkeit in Verbindung mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot (Art. 21 Abs. 1 i. V. m. 18 AEUV) hergeleitet worden. Unionsbürger, die in rechtmäßiger Weise von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen, haben grundsätzlich einen Anspruch auf Gewährung der Inländern zustehenden Leistungen, selbst wenn sie keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben.240 236   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) Rn. 75, mit Verweis auf Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, 1999, S. 23 ff. 237  Grundlegend Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, 1999, S. 190 ff.; vgl. auch Ehlers/ Ehlers, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 7 Rn. 37; Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 28. Zur Unionsbürgerfreizügigkeit Borchardt, NJW 2000, 2057 ff. 238   EuGH, Rs. C‑138/02 (Collins) Rn. 63; Rs. C‑258/04 (Ioannidis) Rn. 22, 38; verb. Rs. C‑22 – 23/ 08 (Vatsouras und Koupatantze) Rn. 40. 239   EuGH, Rs. C‑299/01 (Kommission/Luxemburg) Rn. 12. 240  Siehe supra, § 6 B.IV.

D. Die Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte

493

Die aus den Grundfreiheiten und der Unionsbürgerfreizügigkeit i. V. m. dem allgemeinen Diskriminierungsverbot folgenden Teilhaberechte unterscheiden sich damit vom grundrechtlichen Gleichheitsgebot. Nach deutschem Verfassungsrecht löst ein Verstoß gegen Art. 3 GG nur ausnahmsweise Teilhaberechte aus, denn grundsätzlich hat der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten, die Verfassungsmäßigkeit wieder herzustellen (Einbeziehung der Ausgeschlossenen, Streichung der Begünstigung für alle, reduzierte Gewährung für alle, etc.).241 Nach dem Unionsrecht führt ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dagegen zu derivativen Leistungsrechten: Die unmittelbare Wirkung des primärrechtlich verankerten Grundsatzes der Nichtdiskriminierung führt in Verbindung mit dem Anwendungsvorrang zur Unanwendbarkeit des diskriminierenden Merkmals (Leistungsausschluss), während der Anspruch im Übrigen bestehen bleibt.242 Der Gleichbehandlungsanspruch erstarkt damit zum Teilhaberecht, solange der nationale Gesetzgeber keine andere Regelung trifft.243 3. Originäre Leistungsrechte? Ob die Grundfreiheiten auch originäre Leistungsrechte begründen, also Ansprüche auf Schaffung nicht vorhandener staatlicher Einrichtungen oder auf Gewährung zusätzlicher Vergünstigungen sonstiger Art, ist noch nicht hinreichend geklärt. Im Schrifttum werden derartige Rechte nahezu einhellig mit der Begründung abgelehnt, dass die Umpolung der Grundfreiheiten in Leistungsgebote diese überfordern würden, den Spielraum der Mitgliedstaaten und des Unionsgesetzgebers zu weit zurückdrängten und der europäischen Gerichtsbarkeit zu viel Raum gäben.244 Dennoch lassen sich in der Rechtsprechung vereinzelt Fälle finden, in denen der EuGH nicht nur eine Inländergleichbehandlung gefordert hat, sondern die Mitgliedstaaten zugleich dazu verpflichtet hat, zusätzliche Begünstigungen zu schaffen, die vorher nicht existierten. So leitet der EuGH beispielsweise in seiner VlassopoulouRechtsprechung aus Art. 45 und 49 AEUV ab, dass die Mitgliedstaaten EU‑ausländische Befähigungsnachweise grundsätzlich anerkennen müssen.245 Für die Unionsbürgerfreizügigkeit (Art. 21 Abs. 1 AEUV) hat der Gerichtshof darüber hinaus im Fall 241   Ausnahmen sind insbesondere für Fälle anerkannt, in denen kein Zweifel besteht, dass der Gesetzgeber die Ausweitung der Begünstigung gewünscht hätte oder in denen die Einbeziehung verfassungsrechtlich geboten ist, da die Nichtgewährung gegen einen sonstigen Verfassungssatz verstieße; vgl. BVerfGE 37, 217, 260 = NJW 1974, 1609, 1613; BVerfGE 85, 191, 211 f. = NJW 1992, 964, 966; BVerfGE 115, 81, 93 f. = NVwZ 2006, 922, 923 f. Zum Ganzen Epping/Hillgruber/Kischel, BeckOK GG, Stand: 1.10.2011, Edition 12, Art. 3 Rn. 63 ff. 242   Vgl. EuGH, Rs. C‑456/02 (Trojani) Rn. 46; verb. Rs. C‑22 – 23/06 (Vatsouras und Koupatantze) Rn. 40; Rs. C‑158/07 (Förster) Rn. 60. 243   Für Verstöße gegen die Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 vgl. EuGH, Rs. C‑187/00 (Kutz-Bauer) Rn. 75. 244  Ehlers/Ehlers, EuGR, 4. Aufl., 2014, § 7 Rn. 40; Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 28. Ablehnend auch Frenz, Europäische Grundfreiheiten, 2. Aufl., 2012, Rn. 205 ff.; Kadelbach, in: Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, S. 611, 636; Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, 1999, S. 191. Für eine Anerkennung dagegen Riem, Die Europäischen Grundfreiheiten als Rechtsgrundlage von Leistungsansprüchen, 2010. 245   EuGH, Rs. C‑340/89 (Vlassopoulou) Rn. 16 ff.; Rs. C‑313/01 (Morgenbesser) Rn. 61 f.; Rs. C‑345/ 08 (Peśla) Rn. 35 ff. Die Anerkennungspflicht steht freilich unter dem Vorbehalt der (von den Mitgliedstaaten zu prüfenden) Gleichwertigkeit. Andererseits darf die Möglichkeit einer (teilweisen) Anerkennung in der Praxis aber auch nicht lediglich fiktiv bleiben; EuGH, Rs. C‑345/08 (Peśla) Rn. 58.

494

§ 6  Grundfreiheiten

Grunkin und Paul entschieden, dass ein nach dänischem Recht gebildeter Doppelname eines in Dänemark geborenen deutschen Staatsangehörigen (Grunkin-Paul) von den Behörden des Herkunftsstaats unter Anwendung des nationalen Rechts, das keine Doppelnamen als Familiennamen für Kinder vorsieht, nicht abgelehnt werden darf.246 Das verfahrensbeteiligte Standesamt trug dementsprechend im Anschluss an das EuGH-Urteil den Doppelnamen in das Familienbuch ein und stützte sich dabei auf Art. 18 Abs. 1 AEUV.247 In diesem speziellen (nicht verallgemeinerungsfähigen) Fall sind die Mitgliedstaaten nicht nur zur Gleichbehandlung von EU‑Bürgern verpflichtet (also zur unterschiedslosen Anwendung ihres Namensrechts), sondern darüber hinaus zur Privilegierung dieser Bürger (Pflicht zur Einräumung einer Wahlfreiheit zwischen dem Namensrecht des Aufenthaltsstaats und dem des Herkunftsstaats).248 4. Recht auf hoheitliche Schutzgewähr Die Grundfreiheiten vermitteln unter bestimmten Voraussetzungen auch Schutzrechte bzw. – aus der Perspektive der Mitgliedstaaten – Schutzpflichten.249 Der Gerichtshof hat mitgliedstaatliche Schutzpflichten bislang in zwei Fällen anerkannt. Im Ausgangsfall zur Rechtssache Französische Bauernproteste250 attackierten militante Gruppen aus dem Umfeld der französischen Bauernverbände über Jahre hinweg die LKW von spanischen Obstlieferanten. Dem französischen Staat wurde in einem von der Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren der Vorwurf gemacht, dass er keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen hatte, um den freien Warenverkehr sicherzustellen. Das Vorabentscheidungsverfahren Schmidberger251 betraf demgegenüber eine nahezu 30-stündige Blockade der Brenner-Autobahn durch eine Organisation, die im Wesentlichen umweltpolitische Zielsetzungen verfolgte; da die österreichischen Behörden hiergegen nicht eingeschritten waren, erhob ein deutsches Transportunternehmen Staatshaftungsklage gegen Österreich. In beiden Fällen leitete der Gerichtshof aus der Warenverkehrsfreiheit in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 AEUV (ex Art. 10 EG) die Verpflichtung der Mitgliedstaaten ab, alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung der Grundfreiheiten sicherzustellen.252 Art. 34 AEUV verbiete – so der EuGH – nicht nur Maßnahmen, die auf den Staat zurückzuführen sind, sondern könne auch dann Anwendung finden, wenn ein Mitgliedstaat untätig bleibe oder es versäume, ausreichende Maßnahmen zur Beseitigung für den freien Warenverkehr zu treffen, die insbesondere durch Handlungen von Privatpersonen in seinem Gebiet geschaffen wurden.253 246

  EuGH, Rs. C‑353/06 (Grunkin und Paul).   Der Rechtsstreit erledigte sich daraufhin; AG Flensburg, Az. 69 III 11/06 (Juris). 248  Zutreffend Nettesheim, JZ 2011, 1030, 1034; vgl. auch Kroll-Ludwigs, JZ 2009, 153, 154. Nach a. A. soll aus dem Urteil demgegenüber keine unmittelbar wirkende Anerkennungspflicht folgen; ­Kubicki, EuZW 2009, 366, 368 f. 249   Vgl. monografisch Jaeckel, Schutzpflichten, 2001, S. 246 ff.; Hoppe, Schutzpflichten, 2006; ­Stachel, Schutzpflichten, 2006. 250   EuGH, Rs. C‑265/95 (Kommission/Frankreich – „Französische Bauernproteste“). 251   EuGH, Rs. C‑112/00 (Schmidberger). 252   EuGH, Rs. C‑265/95 (Kommission/Frankreich – „Französische Bauernproteste“) Rn. 32; Rs.  C‑112/00 (Schmidberger) Rn. 59. 253   EuGH, Rs. C‑265/95 (Kommission/Frankreich – „Französische Bauernproteste“) Rn. 30; Rs.  C‑112/00 (Schmidberger) Rn. 57. 247

D. Die Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte

495

Zwar hat der Gerichtshof mitgliedstaatliche Schutzpflichten bislang nur für die Warenverkehrsfreiheit, nicht aber für die sonstigen Grundfreiheiten aktiviert. Dies dürfte indessen darauf zurückzuführen sein, dass der EuGH noch keine Gelegenheit zur Klarstellung hatte. Im Ergebnis besteht kein Zweifel, dass mitgliedstaatliche Schutzpflichten auch bei den anderen Grundfreiheiten greifen.254 Dementsprechend wäre etwa eine staatliche Verpflichtung zum Einschreiten anzunehmen, wenn Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Dienstleistungserbringer oder Gesellschaften durch Gewaltaktionen, Straßenblockaden, Boykottaufrufe oder gewerkschaftlich organisierte Arbeitskampfmaßnahmen in einem Mitgliedstaat davon abgehalten werden, eine Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat aufzunehmen, ihre Dienstleistungen anzubieten oder eine Niederlassung zu gründen. Für die Warenverkehrsfreiheit werden die mitgliedstaatlichen Schutzpflichten zusätzlich durch die VO Nr. 2679/98 „über das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten“ konkretisiert.255 Wird der Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten durch Privatpersonen behindert (z. B. durch Blockaden oder Boykottaufrufe), so müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 4 der VO alle erforderlichen, der Situation angemessenen Maßnahmen ergreifen, um den freien Warenverkehr sicherzustellen. Die Verordnung sieht in Art. 3 Abs. 1 zudem ein Frühwarnsystem vor, nach dem die Mitgliedstaaten bei drohenden Behinderungen des Warenverkehrs durch Private verpflichtet sind, die Kommission hierüber zu unterrichten. Schutzpflichten lassen sich als Ausfluss der objektiv-rechtlichen Wertung der Grundfreiheiten verstehen. Da die Grundfreiheiten für die Verwirklichung eines Marktes ohne Binnengrenzen unabdingbar sind, ergibt sich bereits aus der objektiven Wertung des AEUV in Verbindung mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, dass die Mitgliedstaaten binnenmarktbehinderndes Verhalten Privater unterbinden müssen. Korrespondierend hierzu kann aber auch dem Einzelnen ein subjektives Recht auf staatliches Einschreiten256 und – sofern der Staat untätig geblieben ist – ein Staatshaftungsanspruch zustehen. Dies setzt indessen voraus, dass das mitgliedstaatliche Ermessen auf Null reduziert ist.257 Der EuGH billigt den Mitgliedstaaten hinsichtlich des Inhalts der zu ergreifenden Maßnahmen und bei Berücksichtigung entgegenstehender Grundrechte der Störer einen weiten Ermessensspielraum zu,258 betont allerdings auf der anderen Seite, dass er überprüfen könne, ob der Mitgliedstaat zur Sicherstellung des freien Warenverkehrs geeignete Maßnahmen ergriffen habe. 254  Calliess/Ruffert/Kingreen, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 12 ff., 104; Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 108. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 62. Hier führte der EuGH die Entscheidungen Französische Bauernproteste und Schmidberger als Beleg dafür an, dass Art. 49 AEUV Drittwirkung entfaltet. 255   VO 2679/98, ABl. 1998 L 337/8; hierzu Hauschild, EuZW 1999, 236 ff. Vgl. auch den Bericht der Kommission über die Anwendung der VO, KOM (2001) 160 endg. 256   Stachel, Schutzpflichten, 2006, S. 211; Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 30; Streinz/Leible, EuZW 2000, 459, 466 f., stellen demgegenüber einseitig den Staatshaftungsanspruch des Geschädigten heraus. Damit schneiden die Autoren ein wichtiges Segment – den präventiven Schutz vor Beeinträchtigungen – aus der Schutzfunktion der Grundfreiheiten hinaus. Den Ausführungen des EuGH im Fall Schmidberger ist jedoch zu entnehmen, dass eine Entschädigung nicht reicht, um den Grundfreiheiten volle Wirksamkeit zu verleihen, vgl. EuGH, Rs. C‑112/00 (Schmidberger) Rn. 60. 257   Langner, Die Problematik der Geltung der Grundrechte zwischen Privaten, 1998, S. 173 ff., 190; offen bei Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, 2001, S. 201 f. Vgl. auch Schwarze, EuR 1998, 53, 59 (Anspruch der Europäischen Gemeinschaft auf Einschreiten der Mitgliedstaaten, wenn das Entschließungsermessen auf Null reduziert ist).

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§ 6  Grundfreiheiten

Im Fall Französische Bauernproteste bejahte der Gerichtshof einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 AEUV in Verbindung mit der Warenverkehrsfreiheit. Angesichts der Häufigkeit und Schwere der betreffenden Vorfälle hätten die von Frankreich ergriffenen Maßnahmen offenkundig nicht ausgereicht, um den freien innergemeinschaftlichen Handelsverkehr zu gewährleisten.259 Anders verhielt es sich in Schmidberger. Zwar meinte der EuGH, dass das Nichteinschreiten der zuständigen Behörden gegen eine Versammlung, die zu einer nahezu 30-stündigen Blockade einer wichtigen Verkehrsverbindung geführt hatte, den innergemeinschaftlichen Warenverkehr beeinträchtigen könne.260 Im Ergebnis konnte den zuständigen österreichischen Behörden jedoch kein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorgeworfen werden:261 Die fragliche Versammlung sei von den österreichischen Behörden genehmigt worden, zudem hätten die Demonstranten den Straßenverkehr auf einer einzigen Strecke nur ein einziges Mal blockiert. Darüber hinaus stehe fest, dass die öffentliche Demonstration nicht den Zweck hatte, den Handel mit Waren einer bestimmten Art oder Herkunft zu beeinträchtigen. Auch habe das Verhalten der Demonstranten im Unterschied zum Fall Französische Bauernproteste keine allgemeine Atmosphäre der Unsicherheit geschaffen, die sich auf die gesamten Handelsströme nachteilig ausgewirkt hätte. Der EuGH gibt damit zu erkennen, dass staatliche Schutzpflichten nur bei spürbaren Binnenmarkthemmnissen ausgelöst werden. Eine Pflicht zum Einschreiten entsteht erst dann, wenn das private Verhalten zu einer evidenten, schweren und nachhaltigen Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handelns führt.262 Dem entspricht, dass die Mitgliedstaaten auch nach der VO 2679/98/EG nur bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen zu einem Einschreiten gegen private Störer verpflichtet sind.263 Gleichermaßen setzt auch die Bindung Privater an die Grundfreiheiten nach hier vertretener Auffassung voraus, dass der zwischenstaatliche Handel in spürbarer Weise gefährdet wird.264 5. Sekundäre Rechtspositionen Da die Grundfreiheiten subjektiv-öffentliche Rechte zugunsten des Einzelnen begründen, kann ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten unionsrechtlich determinierte Staatshaftungsansprüche auslösen.265 Erheben die Mitgliedstaaten in grundfrei258   EuGH, Rs. C‑265/95 (Kommission/Frankreich – „Französische Bauerproteste“) Rn. 33; Rs.  C‑112/00 (Schmidberger) Rn. 82. 259   EuGH, Rs. C‑265/95 (Kommission/Frankreich – „Französische Bauernproteste“) Rn. 40, 44 ff., 49 f., 52; vgl. auch Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2002, 213, 214. 260   EuGH, Rs. C‑112/00 (Schmidberger) Rn. 64. 261   Vgl. zum Folgenden EuGH, Rs. C‑112/00 (Schmidberger) Rn.  84 – 89. 262   Im Ergebnis wie hier Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 392; ähnlich Stachel, Schutzpflichten, 2006, S. 210 (Selbstregulierung des Binnenmarkts muss „massiv gestört“ sein, was dann der Fall ist, wenn eine Vielzahl von Betroffenen daran gehindert wird, eine grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit zu entfalten). 263   Nach Art. 4 der VO 2679/98 bestehen Handlungspflichten gegenüber dem Störer nur bei einer „Behinderung“. Eine solche liegt nach Art. 1 Abs. 1 erst dann vor, wenn das private Verhalten eine schwerwiegende Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs hervorruft, einen ernsthaften Schaden für die betroffenen Personen verursacht und ein unmittelbares Handeln der zuständigen Behörden verlangt. 264  Ausführlich infra, §  6 E.III.2. – 3. 265   Zur Warenverkehrs- und Niederlassungsfreiheit EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 54; vgl. auch Rs. C‑445/06 (Danske Slagterier) Rn. 22. Zur Arbeitnehmer-

D. Die Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte

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heitswidriger Weise Abgaben, so steht dem Einzelnen darüber hinaus ein öffentlichrechtlicher Erstattungsanspruch gegen den Mitgliedstaat zu.266 6. Verfahrensrechte Der EuGH scheint den Grundfreiheiten darüber hinaus Verfahrensgarantien zu entnehmen.267 Wie bereits ausgeführt, besteht jedoch kein Bedarf, das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus den Grundfreiheiten abzuleiten. Es genügt vollkommen, wenn die justiziellen Unionsgrundrechte der Charta (insb. Art. 47 GRC) im Rahmen der Grundfreiheitenprüfung als Schranken-Schranke aktiviert werden.268

II. Rechte gegenüber der Europäischen Union Neben den Mitgliedstaaten sind auch die Unionsorgane an die Grundfreiheiten gebunden.269 Dies folgt nicht aus dem Wortlaut, wohl aber aus der Regelungssystematik des AEUV in Bezug auf das in Art. 26 AEUV niedergelegte Binnenmarktziel.270 Da die Grundfreiheiten zu den Fundamenten des Binnenmarktes zählen (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und die Gesetzgebungskompetenz für den Binnenmarkt in die konkurrierende Zuständigkeit fällt (Art. 4 Abs. 2 lit. a AEUV), können Maßnahmen des Unionsgesetzgebers an den Grundfreiheiten gemessen werden. Einzelne können daher gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter im Wege einer Nichtigkeitsklage (Art. 263 Abs. 4 AEUV) vorgehen oder bei Richtlinien dezentral vor den mitgliedstaatlichen Gerichten Rechtsschutz suchen, um einen Verstoß der Unionsorgane gegen die Grundfreiheiten zu rügen. Bislang hat der EuGH noch nie einen Verstoß der Unionsorgane gegen die Grundfreiheiten festgestellt. Bei harmonisierenden Sekundärrechtsakten handelt es sich nämlich typischerweise um Maßnahmen, die unterschiedliche mitgliedstaatliche Regelungen durch unionsweit einheitliche, jedermann gleich betreffende Standards ersetzen. Sekundärrechtsakte berühren in aller Regel nicht die spezifische, marktzutrittssichernde Gewährleistung der Grundfreiheiten, sondern beseitigen vielmehr gerade diejenigen Handelshemmnisse, die sich aus den unterschiedlichen nationalen Regelungen ergeben konnten. Eingriffe des Unionsgesetzgebers in die Handlungsfreiheit der Wirtschaftsteilnehmer sind daher regelmäßig nicht am Maßstab der Grundfreiheiten, sondern allein am Maßstab der Unionsgrundrechte zu messen. freizügigkeit EuGH, Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 102. Zur Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit EuGH, Rs. C‑446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation) Rn. 211. 266   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 12. Näher supra, § 2 D.IV.1. 267  Hierzu Dörr, Rechtsschutzauftrag, 2003, S. 47 f.; Ehlers/Ehlers, EuGR, 2. Aufl., 2005, § 7 Rn. 41; Calliess/Ruffert/Kingreen, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 12 ff. 268  Näher supra, § 4 C.I.3.a. 269   EuGH, Rs. 15/83 (Denkavit Nederland) Rn. 15 ff.; Rs. C‑51/93 (Meyhui) Rn. 11 ff.; C‑114/96 (Kieffer und Thill) Rn. 27 ff.; Rs. C‑434/02 (Arnold André) Rn. 57; Rs. C‑210/03 (Swedish Match) Rn. 59; Rs. C‑154/04 (Alliance for Natural Health) Rn. 47. Ausführlich Schwemer, Die Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers an die Grundfreiheiten, 1995; Scheffer, Die Marktfreiheiten des EG‑Vertrages als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers, 1997; Möstl, EuR 2002, 318 ff. Nach a. A. sollen die Unionsorgane dagegen nur an die Unionsgrundrechte, nicht aber an die Grundfreiheiten gebunden sein; so insb. Kingreen, EuGRZ 2004, 570, 576; ders., in: von Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, 705, 741. 270  G/H/N/Leible/T. Streinz, 58. EL, 2016, Art. 34 Rn. 36.

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§ 6  Grundfreiheiten

Soweit Harmonisierungsmaßnahmen aufgrund ihrer besonderen inhaltlichen Gestaltung den spezifisch auf den Marktzutritt bezogenen Gewährleistungsgehalt berühren,271 ist im Übrigen zu bedenken, dass dem Unionsgesetzgeber die gleichen Rechtfertigungsmöglichkeiten offen stehen wie dem nationalen Gesetzgeber. Der EuGH betont daher, dass die von den Unionsorganen getroffenen beschränkenden Maßnahmen zur Wahrung allgemeiner Interessen zulässig sein können und den Unionsorganen im Übrigen ein Ermessensspielraum zusteht.272

E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte I. Überblick Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verpflichten die Grundfreiheiten nicht nur die Mitgliedstaaten,273 sondern zugleich private Personen.274 Die Grundfreiheiten entfalten mit anderen Worten eine horizontale unmittelbare Wirkung bzw. horizontale Direktwirkung.275 Korrespondierend hierzu verleihen sie dem Einzelnen, der in der Ausübung seiner Grundfreiheiten gehindert wird, Rechte, die von den mitgliedstaatlichen Gerichten zu schützen sind.276 Die Grundfreiheiten generieren damit nicht nur subjektiv-öffentliche Rechte, sondern zugleich subjektiv-private Rechte. Obwohl der Gerichtshof diese Grundsätze bereits Mitte der 1970er Jahre entwickelte, hat sich bis heute keine einheitliche Rechtsprechungslinie zu sämtlichen Grundfreiheiten herausgebildet. Während die horizontale unmittelbare Wirkung der Personenverkehrsfreiheiten beständig ausgebaut wurde, ist die horizontale Wirkung der Produktverkehrsfreiheiten immer noch ungeklärt (infra, II.). Die Judikatur des Gerichtshofs ist im Schrifttum teils auf Zustimmung,277 überwiegend aber auf Ablehnung gestoßen. Gegen eine horizontale Direktwirkung der Grund271   Denkbar ist dies vor allem dann, wenn sekundärrechtliche Akte zwischen Sachverhalten unterschiedlicher staatlicher Herkunft diskriminieren, den Marktzutritt durch Importkontrollen erschweren oder die Mitgliedstaaten zur Aufrechterhaltung oder Schaffung von Binnenmarkt beeinträchtigenden Maßnahmen ermächtigen; Möstl, EuR 2002, 318, 333. 272   EuGH, Rs. C‑51/93 (Meyhui) Rn. 14 ff., 21; Rs. C‑114/96 (Kieffer und Thill) Rn. 30 ff., 37; Rs. C‑154/04 (Alliance for Natural Health) Rn. 50 ff. 273   Die Abgrenzung zwischen mitgliedstaatlichen Beeinträchtigungen gegenüber privaten Beeinträchtigungen erfolgt funktional. Das Handeln privatrechtlich organisierter Unternehmen ist dem Staat zuzurechnen, wenn der Mitgliedstaat auf sie beherrschenden Einfluss hat; EuGH, Rs. 249/81 (Kommission/Irland  – „Buy Irish“) Rn. 15. Vgl. auch die Rspr. zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien: EuGH, Rs. C‑188/89 (Foster) Rn. 18; verb. Rs. C‑253 – 258/96 (Kampelmann) Rn. 46; Rs. C‑343/98 (Collino) Rn. 23; Rs. C‑157/02 (Rieser Internationale Transporte) Rn. 24. 274   Vgl. monografisch Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, 1987; Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S.  277 – 301; Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, 1997; Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000; Wernicke, Die Privatwirkung, 2002; Parpart, Die unmittelbare Bindung Privater, 2003; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 632 – 818; Preedy, Die Bindung Privater an die europäischen Grundfreiheiten, 2005; Förster, Die unmittelbare Drittwirkung, 2007; Perner, Grundfreiheiten, 2013, S. 141 ff. 275   Zum Begriff der unmittelbaren Wirkung bereits supra, § 5 A.I.1. Der im Schrifttum häufig gebrauchte Begriff der „unmittelbaren Drittwirkung“ wird demgegenüber bewusst nicht verwendet, da er ein bestimmtes Vorverständnis transportiert; vgl. Müller-Graff, EuR 2014, 3, 6 f. 276   EuGH, Rs. 13/76 (Donà) Rn. 20; Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 81, 96; Rs. C‑281/98 (Angonese) Rn. 34; Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 66; Rs. C‑341/05 (Laval) Rn. 97. 277   Für eine umfassende horizontale Direktwirkung der Grundfreiheiten Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, 1987, S. 189 ff.; Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, S. 56 ff., 94 ff.,

E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte

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freiheiten wird zum einen vorgebracht, dass das Wettbewerbsrecht der Art. 101 ff. AEUV für die wichtigsten Fälle der Beeinträchtigung der Grundfreiheiten durch Private Sonderregelungen enthalte, die nicht durch eine Anwendung der Grundfreiheiten unterlaufen werden dürfen.278 Zum anderen wird vorgetragen, dass eine unmittelbare Bindung Privater an die Grundfreiheiten die Privatautonomie gefährde, zu einer Überbewertung des Gewichts der Grundfreiheiten führe und hinreichende Abwägungsmöglichkeiten vermissen lasse.279 Alternativ wird daher vorgeschlagen, die Grundfreiheiten als Schutzpflichten des Mitgliedstaats gegenüber dem Einzelnen zu interpretieren (sog. mittelbare Drittwirkung).280 Beiden Einwänden sowie dem Konzept der sog. mittelbaren Drittwirkung ist im Folgenden nachzugehen (infra, III. – IV.). Im Anschluss hieran ist ein Blick auf die Rechtsfolgen zu werfen, die sich aus dem Unionsrecht und dem nationalen (deutschen) Recht ergeben, wenn man mit dem EuGH davon ausgeht, dass die Grundfreiheiten unmittelbar zwischen Privaten wirken (infra, V.).

II. Rechtsprechung des EuGH 1. Personenverkehrsfreiheiten Die Rechtsprechung des EuGH zur horizontalen unmittelbaren Wirkung der Grundfreiheiten nahm ihren Ausgangspunkt bekanntlich in den Sportverbandsfällen, in denen es darum ging, ob Satzungsbestimmungen nationaler und internationaler Sportverbände am Maßstab der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit (jetzt Art. 45, 56 AEUV) kontrolliert werden können. Der Gerichtshof stellte bereits im Jahre 1974 in der Entscheidung Walrave281 fest, dass die genannten Freiheiten sowie das Diskriminierungsverbot (jetzt Art. 18 AEUV) „jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung verbieten“. Diese Verbote gälten „nicht nur für Akte staatlicher Behörden“, sondern auch für „sonstige Maßnahmen, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten“. Zur Begründung verwies der EuGH vor allem auf den effet utile: Die praktische Wirk103 ff., 119; Förster, Die unmittelbare Drittwirkung, 2007, S. 213 f.; Steindorff, in: FS Lerche, 1993, S. 575 ff.; Reichold, ZEuP 1998, 434, 447 ff.; Wernicke, Die Privatwirkung, 2002, S. 201 ff.; Parpart, Die unmittelbare Bindung Privater, 2003, S. 185 ff. Für eine Bindung „intermediärer Gewalten“ Vieweg/ Röthel, ZHR 166 (2002), 6, 22; W.‑H. Roth, in: FS Everling, Bd. II, 1995, S. 1231, 1256 f.; Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, 1997, S. 263 ff., 285 f. 278   Kluth, AöR 122 (1997), 557, 572 f.; Streinz/Leible, EuZW 2000, 459, 464; Canaris, in: Bauer et al. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 29, 43; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 103; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 745 ff., 765; Herresthal, in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 177, 206 ff. Vgl. zuvor W.‑H. Roth, in: FS Everling, Bd. II, 1995, S. 1231, 1242 ff.; anders aber jetzt ders., in: FS Medicus, 2009, S. 393, 403. 279   Canaris, in: Bauer et al. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 29, 44 ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 103 ff. 280   Burgi, EWS 1999, 327, 330 f.; Streinz/Leible, EuZW 2000, 459, 464; Canaris, in: Bauer et al. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 29, 49 ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 105 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 804; Herresthal, in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 177, 210 ff. 281   EuGH, Rs. 36/74 (Walrave) Rn. 16 ff., zum Reglement eines internationalen Radsportverbandes, wonach der auf Motorrädern den Radfahrern vorausfahrende Schrittmacher dieselbe Nationalität haben musste wie der Radfahrer. Bestätigt durch EuGH, Rs. 13/76 (Donà) Rn. 17 f., zur Satzung eines italienischen Fußballverbandes, derzufolge nur dem Verband angehörende (italienische) Spieler als Profis oder Halbprofis an Fußballspielen teilnehmen durften.

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§ 6  Grundfreiheiten

samkeit der Grundfreiheiten wäre gefährdet, wenn nur staatliche Schranken beseitigt würden, aber „privatrechtliche Vereinigungen oder Einrichtungen kraft ihrer rechtlichen Autonomie“ ähnliche Hindernisse aufrichteten. Zudem sei die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts in Gefahr, wenn derselbe Sachverhalt in einem Mitgliedstaat privatrechtlich und im nächsten Mitgliedstaat staatlich geregelt sei. Im Jahre 1995 erstreckte der Gerichtshof im Urteil Bosman282 seine Rechtsprechung zur horizontalen Direktwirkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit erstmals auf kollektive Regelungen, die in nicht diskriminierender Weise den Zugang zu den Arbeitsmärkten anderer Mitgliedstaaten erschwerten. Seitdem ist in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht nur in ihrer Funktion als Diskriminierungsverbot, sondern auch als Beschränkungsverbot horizontale Direktwirkung entfaltet.283 Im Fall Deliège wurden diese Grundsätze sodann auf die Dienstleistungsfreiheit übertragen.284 Der Gerichtshof stellte in seiner Folgerechtsprechung darüber hinaus klar, dass von der Direktwirkung nicht nur Sportverbandssatzungen erfasst werden, sondern auch andere kollektive Regelwerke nichtstaatlichen Ursprungs wie etwa standesrechtliche Regelungen von Berufskammern,285 sowie tatsächliche Maßnahmen kollektiv handelnder Personengruppen wie etwa Arbeitskampfmaßnahmen, die von einer Gewerkschaft organisiert werden.286 Ob die vom EuGH aufgestellten Grundsätze auch für die Niederlassungsfreiheit gelten, war lange Zeit umstritten.287 Eine Klärung brachte erst das Urteil Viking aus dem Jahre 2007.288 Der Gerichtshof entschied, dass Art. 49 AEUV auch Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbände bindet, die durch organisierte Arbeitskampfmaßnahmen die Niederlassungsfreiheit eines Unternehmens beschränken. Im Ergebnis ist damit davon auszugehen, dass die Personenverkehrsfreiheiten kollektiv handelnde Personengruppen umfassend binden und nicht nur Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch Beschränkungen verbieten. Für die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist der Gerichtshof im Fall Angonese289 noch einen Schritt weiter gegangen. Der EuGH urteilte, dass selbst ein kleines privates 282   EuGH, Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 82, zu unterschiedslos anwendbaren Transferregeln der UEFA und FIFA, wonach ein Spieler auch nach Ablauf seines Vertrages nur dann von einem anderen Verein beschäftigt werden konnte, wenn dieser dem bisherigen Verein eine Transferentschädigung zahlte. 283   Vgl. EuGH, Rs. C‑176/96 (Lehtonen) Rn. 35; Rs. C‑325/08 (Olympique Lyonnais) Rn. 31. 284   EuGH, verb. Rs. C‑51/96 & C‑191/97 (Deliège) Rn. 47, zu einer unterschiedslos anwendbaren Regelung des belgischen Judosportverbandes, die für die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen eine Genehmigung oder Auswahlentscheidung des Verbandes voraussetzte. 285   EuGH, Rs. C‑309/99 (Wouters) Rn. 120, zu unterschiedslos anwendbaren standesrechtlichen Regelungen einer Rechtsanwaltskammer, nach der es Rechtsanwälten verboten war, Sozietäten mit Wirtschaftsprüfern zu bilden. 286   EuGH, Rs. C‑341/05 (Laval) Rn. 97, zu einer Baustellenblockade, die von einer schwedischen Bauarbeitergewerkschaft organisiert worden war, weil ein lettisches Bauunternehmen lettische Arbeitnehmer in ein schwedisches Tochterunternehmen entsenden wollte. 287   Zum früheren Meinungsstand Vieweg/Röthel, ZHR 166 (2002), 6, 20 f. 288   EuGH, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 59 ff. In dem betreffenden Ausgangsverfahren wollte eine finnische Reederei ein Fährschiff ausflaggen und ihrer estnischen Tochtergesellschaft übertragen, um auf diese Weise billigere estnische anstelle der teureren finnischen Arbeitskräfte anzuheuern. Eine finnische Gewerkschaft leitete dagegen Arbeitskampfmaßnahmen ein, die nach finnischem Recht nicht unterbunden werden konnten. 289   EuGH, Rs. C‑281/98 (Angonese) Rn. 30 – 36, zur Stellenausschreibung einer Bozener Bank, die als Voraussetzung für die Teilnahme am Ausschreibungsverfahren den Besitz einer bestimmten öffentlichen Bescheinigung über die deutsch-italienische Zweisprachigkeit festsetzte.

E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte

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Bankunternehmen, das weder eine besondere Marktmacht innehat, noch mit Rechtssetzungsbefugnissen ausgestattet ist, sich am Diskriminierungsverbot des Art. 45 AEUV messen lassen müsse. Der Gerichtshof stützte dieses Ergebnis dabei auf den Wortlaut der Vorschrift, der eine unmittelbare Anwendbarkeit nicht ausschließe, den Gedanken des effet utile, die Wahrung der einheitlichen Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts und schließlich auf den erforderlichen Gleichlauf mit Art. 18 und 157 AEUV: Da dem allgemeinen Diskriminierungsverbot und dem Grundsatz der Entgeltgleichheit horizontale Direktwirkung zugemessen werde und die dafür vorgebrachten Argumente übertragbar seien, müsse dies erst recht für das Diskriminierungsverbot des Art. 45 AEUV gelten. Der Gerichtshof bestätigte in den Fällen Raccanelli (2008)290 und Erny (2012)291 erneut, dass das in Art. 45 AEUV aufgestellte Diskriminierungsverbot für „alle Verträge zwischen Privatpersonen“ gilt und daher auch für private Unternehmen. Alle drei Entscheidungen lassen hingegen offen, ob und inwieweit die im Rahmen des Art. 45 AEUV für Diskriminierungen bejahte Direktwirkung in Bezug auf einzelne Private bei den anderen Personenverkehrsfreiheiten ebenfalls zum Zuge kommt und ggf. auch auf Beschränkungen Anwendung findet. 2. Produktverkehrsfreiheiten a) Bisherige Judikatur zur Warenverkehrsfreiheit Ob den Produktverkehrsfreiheiten, insbesondere der Warenverkehrsfreiheit, horizontale Direktwirkung zukommt, war in der Rechtsprechung bis zur Fra.bo-Entscheidung292 (2012) ungeklärt. In der Rechtssache Dansk Supermarked293 wies der EuGH im Jahre 1981 darauf hin, dass „Vereinbarungen zwischen Privaten in keinem Fall von den zwingenden Bestimmungen des Vertrages über den freien Warenverkehr abweichen dürfen“. Aus dieser Formulierung wurde z. T. abgeleitet, dass der Gerichtshof auch für die Warenverkehrsfreiheit eine horizontale unmittelbare Wirkung anerkannt habe.294 Eindeutige Rückschlüsse lassen sich aus dieser Urteilspassage indessen nicht ableiten, ging es doch in dem betreffenden Fall überhaupt nicht um das Problem der horizontalen Direktwirkung, sondern um die grundfreiheitskonforme Auslegung nationalen Lauterkeitsrechts und damit um eine staatliche Maßnahme.295 Der Gerichtshof relativierte seine in Dansk Supermarked getroffene Aussage zudem in späteren Entscheidungen. So stellte er etwa im Urteil Van de Haar296 fest, dass Art. 85 EWGV (jetzt Art. 101 290   EuGH, Rs. C‑94/07 (Raccanelli) Rn. 45 f., zur Frage, ob die Max-Planck-Gesellschaft als privatrechtlicher Verein verpflichtet gewesen wäre, dem Kläger des Ausgangsverfahrens ein Wahlrecht zwischen einem Stipendienvertrag und einem Arbeitsvertrag einzuräumen. 291   EuGH, Rs. C‑172/11 (Erny) Rn. 36, zu Bestimmungen in Tarif- und Einzelarbeitsverträgen, nach denen bei Berechnung des Arbeitsentgelts der in Altersteilzeit beschäftigten Arbeitnehmer die deutsche Lohnsteuer fiktiv berücksichtigt wurde. 292   EuGH, Rs. C‑171/11 (Fra.bo). 293   EuGH, Rs. 58/80 (Dansk Supermarked) Rn. 17. 294   GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 44; Pescatore, ELRev. 1983, 155, 163; Steindorff, in: FS Lerche, 1993, S. 575, 578; Baquero Cruz, ELRev. 1999, 603, 608. 295  Ebenso W.‑H. Roth, in: FS Everling, Bd. 2, 1995, S. 1231, 1235 f.; Streinz/Leible, EuZW 2000, 459, 460; Canaris, in: Bauer et al. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 55 ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 116 f. 296   EuGH, verb. Rs. 177 – 178/82 (Van de Haar) Rn.  11 – 12.

502

§ 6  Grundfreiheiten

AEUV) an Unternehmen adressiert sei, während Art. 30 EWGV (jetzt Art. 34 AEUV) auf die Beseitigung mitgliedstaatlicher Maßnahmen abziele. Gegenstand des Urteils war allerdings wiederum nicht privates Verhalten, sondern vielmehr die Frage, ob ein niederländisches Strafgesetz mit den Wettbewerbsvorschriften und der Warenverkehrsfreiheit vereinbar war. Auch in sonstigen Entscheidungen finden sich keine überzeugenden Belege gegen eine horizontale unmittelbare Wirkung der Warenverkehrsfreiheit. Den Urteilen Vlaamse Reisbureaus297 und Bayer298 lässt sich entnehmen, dass für eine Anwendung der Vorschriften über den freien Warenverkehr offenbar kein Raum besteht, soweit privates Verhalten bereits von den Wettbewerbsregeln erfasst wird.299 Nicht beantwortet wurde dagegen die Frage, ob Art. 34 AEUV auf private Verhaltensweisen Anwendung findet, soweit die Wettbewerbsvorschriften im konkreten Fall nicht einschlägig sind.300 Ambivalent sind auch die Ausführungen im Urteil Sapod Audic.301 Zwar stellte der Gerichtshof fest, dass eine vertragliche Abrede zur Anbringung des Logos „Grüner Punkt“ auf Verpackungen nicht als Beschränkung im Sinne von Art. 34 AEUV angesehen werden könne, „weil sie nicht von einem Mitgliedstaat angeordnet, sondern zwischen Privaten vereinbart“ worden sei.302 Gegenstand des Vorlageverfahrens war indessen allein eine gesetzliche Vorschrift, die eine allgemeine Pflicht zur Identifizierung von Verpackungen enthielt, nicht jedoch die privatrechtliche Vereinbarung.303 Der Gerichtshof verwies in der zitierten Passage zudem auf Entscheidungen, die sich überhaupt nicht mit dem Problem der horizontalen Direktwirkung beschäftigen, sondern mit der Reichweite des Art. 34 AEUV zugrunde liegenden Beschränkungsverbots.304 Schließlich lassen sich auch die bereits diskutierten Urteile Französische Bauernproteste305 und Schmidberger306 nicht als Beleg307 oder als Indiz308 für die Ablehnung einer horizontalen Direktwirkung der Warenverkehrsfreiheit anführen. Einer solchen Interpretation lässt sich zunächst entgegenhalten, dass den Entscheidungen ein Vertragsverletzungsverfahren zugrunde lag. In einem solchen Verfahren hat die Kommission aber überhaupt keine Möglichkeit, gegen Private vorzugehen, weshalb die hori297   EuGH, Rs. 311/85 (Vlaamse Reisbureaus) Rn. 24, 27, 30, zu einem in Belgien vorgesehenen gesetzlichen Provisionsabgabeverbot für Reisevermittler, das durch inhaltsgleiche private Vereinbarungen zwischen belgischen Reiseveranstaltern und Reisevermittlern flankiert wurde. 298   EuGH, Rs. 65/86 (Bayer) Rn. 11 – 13, zur Frage, ob eine im Wege eines gerichtlichen Vergleichs zwischen zwei Unternehmen vereinbarte Nichtangriffsabrede über Patente mit dem Wettbewerbsrecht und den Vorschriften über den freien Warenverkehr vereinbar ist. 299   Für eine parallele Anwendung der Grundfreiheiten neben dem Kartellrecht aber EuGH, Rs. C‑309/99 (Wouters) Rn. 66 ff. und Rn. 120 ff.; Rs. C‑519/04 P (Meca-Medina) Rn. 28. Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 53. 300   Im Ergebnis auch Gebauer/Wiedmann/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 3 Rn. 49 ff. 301   EuGH, Rs. C‑159/00 (Sapod Audic). 302   EuGH, Rs. C‑159/00 (Sapod Audic) Rn. 74. 303   Vgl. EuGH, Rs. C‑159/00 (Sapod Audic) Rn. 18 (Vorlagefrage 3). 304   EuGH, Rs. C‑159/00 (Sapod Audic) Rn. 74, mit Verweis auf EuGH, Rs. 8/74 (Dassonville) Rn. 5, und Rs. C‑33/97 (Colim) Rn. 36. 305   EuGH, Rs. C‑265/95 (Kommission/Frankreich – „Französische Bauernproteste“). 306   EuGH, Rs. C‑112/00 (Schmidberger). 307   Hirsch, ZEuS 1999, 503, 508. 308   Burgi, EWS 1999, 327, 330 f.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 708 f.

E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte

503

zontale Direktwirkung der Grundfreiheiten gar nicht Streitgegenstand war.309 Dass der Gerichtshof aus Art. 34 und 35 AEUV i. V. m. Art. 4 Abs. 3 EUV eine Pflicht der Mitgliedstaaten hergeleitet hat, „alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung dieser Grundfreiheit sicherzustellen“,310 könnte im Gegenteil für eine horizontale unmittelbare Wirkung der Warenverkehrsfreiheit sprechen:311 Nur weil Private an die Grundfreiheiten gebunden sind, darf der Staat gegen diese vorgehen. Ergibt sich aus den Grundfreiheiten dagegen keine Bindung Privater, so ist nicht ersichtlich, in Erfüllung welcher Pflicht ein Mitgliedstaat handeln sollte, wenn er Private vor Privaten schützt. Dem entspricht, dass der EuGH in der Rechtssache Viking312 die Entscheidungen Französische Bauernproteste und Schmidberger als Bestätigung dafür anführte, dass Art. 49 AEUV horizontale Direktwirkung entfaltet. Mitgliedstaatliche Schutzpflichten sind daher nicht als Alternative zur horizontalen Wirkung der Grundfreiheiten zu verstehen, sondern vielmehr als eine staatengerichtete Ergänzung des horizontal wirkenden Grundfreiheitenschutzes gegenüber privaten Akteuren.313 b) Das Fra.bo-Urteil Eine Klarstellung zur horizontalen Direktwirkung der Warenverkehrsfreiheit brachte das Fra.bo-Urteil vom 12. Juli 2012. Konkret ging es um die Frage, ob Art. 34 AEUV auf Normungs- und Zertifizierungstätigkeiten einer privaten Einrichtung (Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V., DVGW) angewendet werden kann. Der EuGH bejahte dies. Die Normung und Zertifizierung könne nicht als staatliche Tätigkeit qualifiziert werden, da der DVGW eine private Einrichtung ohne Gewinnzweck sei, dessen Tätigkeit von der Bundesrepublik Deutschland weder finanziert noch über Gremien kontrolliert werde.314 Dementsprechend sei zu prüfen, ob die Tätigkeit des DVGW „ebenso wie staatliche Maßnahmen Behinderungen des freien Warenverkehrs zur Folge hat“.315 Dies war nach Ansicht des EuGH der Fall: Der DVGW verfüge aufgrund seiner Ermächtigung zur Zertifizierung über die Befugnis, den Zugang von Erzeugnissen zum deutschen Markt zu regeln.316 Demzufolge sei der DVGW an Art. 34 AEUV gebunden. Der EuGH befürwortet damit erstmals eine horizontale Direktwirkung der Warenverkehrsfreiheit.317 Zwar resultiert die monopolartige Stellung des DVGW, den Zugang zum deutschen Markt zu regeln, nicht zuletzt aus der in § 12 Abs. 4 AVBWasserV angeordneten Vermutung, dass Erzeugnisse mit Zertifikat als gesetzeskonform anzusehen 309   So auch Vieweg/Röthel, ZHR 166 (2002), 6, 19; Wernicke, Die Privatwirkung, 2002, S. 229; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 709. 310  EuGH, Rs. C‑265/95 (Kommission/Frankreich  – „Französische Bauernproteste“) Rn. 32; Rs. C‑112/00 (Schmidberger) Rn. 59. 311  Vgl. Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, S. 69 ff. Vgl. aber zur objektivrechtlichen Dimension staatlicher Schutzpflichten supra, § 6 D.I.4. 312   EuGH, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 62. 313   Im Ergebnis auch W.‑H. Roth, in: FS Medicus, 2009, S. 393, 402 f. 314   EuGH, Rs. C‑171/11 (Fra.bo) Rn. 24. 315   EuGH, Rs. C‑171/11 (Fra.bo) Rn. 26. 316   EuGH, Rs. C‑171/11 (Fra.bo) Rn. 31 f. 317   Wie hier Nowak, FIREU-Newsletter Nr. 10/2012, S. 1 ff.; Müller-Graff, EuR 2014, 3, 9 f.; W.‑H.  Roth, EWS 2013, 16, 20 f.; Schmahl/Jung, NVwZ 2013, 607 ff. A. A. van Leeuwen, EJRR 2013, 405, 407; Perner, Grundfreiheiten, 2013, S. 147.

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§ 6  Grundfreiheiten

sind.318 Die Entscheidungsgründe lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass es letztlich nicht auf die gesetzliche Konformitätsvermutung, sondern auf den tatsächlichen Einfluss der privaten Einrichtung und die marktbeschränkende Wirkung der betreffenden Maßnahmen ankommt.319 Demzufolge ist anzunehmen, dass Art. 34 AEUV auf alle privaten Einrichtungen Anwendung findet, die durch kollektives Handeln in rechtlicher oder faktischer Weise den Marktzugang von Unternehmen behindern. Die Bindung Privater an die Warenverkehrsfreiheit erstreckt sich dabei sowohl auf das Diskriminierungs- als auch das Beschränkungsverbot.320 Wie der EuGH in seinem Fra.bo-Urteil hervorhebt, reicht es für einen Verstoß gegen Art. 34 AEUV nämlich aus, wenn private Einrichtungen den Vertrieb der betreffenden Produkte „erheblich erschweren“.321 Eine Erstreckung des Beschränkungsverbots auf Maßnahmen einzelner Privater ist der Fra.bo-Entscheidung dagegen nicht zu entnehmen.322 Aus dem Urteil folgt nur, dass Art. 34 AEUV jedenfalls dann horizontale Wirkung entfaltet, wenn Organisationen oder sonstige kollektiv handelnde Personengruppen aufgrund ihrer normativen oder sozioökonomischen Macht Dritte davon abhalten, ihre Verkehrsfreiheiten auszuüben. c) Sonstige Produktverkehrsfreiheiten Ob auch den sonstigen Produktverkehrsfreiheiten eine horizontale Direktwirkung zukommt, harrt nach wie vor der Klärung. Dies betrifft zum einen die Dienstleistungsfreiheit. Die vom EuGH entschiedenen Fälle betrafen bislang nur personenbezogene Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit. Ungeklärt ist demgegenüber, ob Art. 49 AEUV in Privatrechtsverhältnissen auch dann greift, wenn die Dienstleistungsfreiheit als Produktverkehrsfreiheit betroffen ist.323 Für die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) liegen ebenfalls noch keine Urteile vor, die sich explizit mit der Frage der horizontalen unmittelbaren Wirkung beschäftigen. In der Tendenz scheint der EuGH private Vereinbarungen eher nicht der Kapitalverkehrsfreiheit unterwerfen zu wollen. Im VW-Urteil wird zur Problematik der Höchststimmrechte (golden shares) hervorgehoben, dass ein Unterschied bestehe „zwischen einer den Aktionären verliehenen Befugnis, von der sie Gebrauch machen können oder auch nicht, und einer den Aktionären durch Gesetz auferlegten spezifischen Verpflichtung, von der sie nicht abweichen können“.324 Dies schließt jedoch nicht aus, dass andere private Beschränkungen Art. 63 AEUV unterworfen werden können,325 so z. B. private Abwehrmaßnahmen gegen Unternehmensübernahmen, satzungsmäßige Vinkulationsklauseln, die eine Veräußerung von Anteilen an Auslandsinvestoren untersagen, oder Bonitätsherabsetzungen durch Ratingagenturen.326 318

  Vgl. EuGH, Rs. C‑171/11 (Fra.bo) Rn.  27 – 28.   EuGH, Rs. C‑171/11 (Fra.bo) Rn. 26, 31. Vgl. GA Trstenjak, die in ihren SchlA (Rn. 42, 47, 49, 53) von einer De-facto-Kompetenz des DVWG spricht. 320   So auch Schmahl/Jung, NVwZ 2013, 607, 610. 321   EuGH, Rs. C‑171/11 (Fra.bo) Rn. 30. Vgl. ferner die SchlA von GA Trstenjak, Rn. 54, 59. 322   Wie hier Schmahl/Jung, NVwZ 2013, 607, 610. 323  Vgl. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 707 f. 324   EuGH, Rs. C‑112/05 (Kommission/Deutschland) Rn. 40; vgl. ferner EuGH, verb. Rs. C‑463 & 464/04 (Federconsumatori u. a.) Rn. 34. 325   Nachstehende Beispiele stammen von Müller-Graff, EuR 2014, 3, 16. 326  Vgl. Kainer, Unternehmensübernahmen im Binnenmarktrecht, 2004, S. 346 ff.; Für eine horizontale Direktwirkung von Art. 63 AEUV auch Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen 319

E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte

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Geht man mit dem EuGH davon aus, dass die Warenverkehrsfreiheit eine horizontale Direktwirkung entfaltet, so muss Entsprechendes für Art. 49 AEUV und Art. 63 AEUV gelten. Zum einen ist auch diesen Grundfreiheiten eine produktbezogene Schutzrichtung immanent. Zum anderen ist das entscheidende Kriterium für die Bindung Privater an die Grundfreiheiten letztlich die Wirkung des privaten Verhaltens auf den Marktzugang. Insoweit ist es jedoch bei sämtlichen Grundfreiheiten unerheblich, ob die Beschränkung von der öffentlichen Hand oder von Privaten ausgeht.

III. Sperrwirkung der Wettbewerbsregeln? 1. Komplementärverhältnis Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln stehen zueinander in einem Komplementärverhältnis: Die Grundfreiheiten sind darauf ausgerichtet, Handelshemmnisse im grenzüberschreitenden Verkehr abzubauen. Der auf diese Weise ermöglichte Wettbewerb soll durch die Wettbewerbsvorschriften vor Verfälschungen durch Unternehmen geschützt werden. Beide Normkomplexe erfüllen unterschiedliche Funktionen und unterliegen anderen Anwendungsvoraussetzungen. Der Gerichtshof geht daher davon aus, dass beide in einem Ergänzungsverhältnis zueinander stehen: Der Umstand, dass ein bestimmtes Verhalten den freien Verkehr nicht beschränkt, schließt nicht aus, dass die entsprechende Tätigkeit dennoch am Maßstab der Art. 101, 102 AEUV kontrolliert werden kann.327 Umgekehrt kann eine Vereinbarung oder eine Tätigkeit, die vom europäischen Wettbewerbsrecht nicht erfasst wird, dennoch am Maßstab der Grundfreiheiten kontrolliert werden.328 Nach der Rechtsprechung des EuGH gibt es demnach keine zwingende Übereinstimmung zwischen den Grundfreiheiten und den Wettbewerbsvorschriften.329 2. Die verschiedenen Konstellationen Damit ist noch keine Aussage darüber getroffen, wie etwaige Wertungswidersprüche zwischen den Wettbewerbsregeln und den Grundfreiheiten zu bewältigen sind. Der Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln ist durch Einschränkungen gekennzeichnet, welche die Grundfreiheiten auf den ersten Blick nicht aufweisen. In persönlicher Hinsicht erfasst das Wettbewerbsrecht nur unternehmerisches Verhalten; das Verhalten von Verbrauchern,330 Arbeitnehmern331 und Sozialpartnern332 ist demgegenüber von der Anwendung des Wettbewerbsrechts ausgenommen. In sachlicher Hinsicht regelt das Wettbewerbsrecht nur die Fälle der unternehmerischen KooperaUnion, 2000, S. 143 ff.; Vieweg/Röthel, ZHR 166 (2002), 6, 21; ablehnend Forsthoff, EWS 2000, 389, 393; differenzierend Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 712 f. 327   EuGH, Rs. C‑519/04 P (Meca-Medina) Rn. 31 – 34; EuG, Rs. T‑23/09 (CNOP) Rn. 81. 328   EuGH, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 53. 329   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑271/08 (Kommission/Deutschland) Rn. 67. 330   Im Rahmen des Wettbewerbsrechts umfasst der Begriff des Unternehmens nur wirtschaftliche Tätigkeiten, vgl. EuGH, Rs. C‑41/90 (Höfner) Rn. 21. Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten; EuGH, Rs. C‑82/01 P (Aéroports des Paris) Rn. 79. 331   Der Unternehmensbegriff setzt nach h. M. eine selbstständige Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr voraus, so dass (wirtschaftlich abhängige) Arbeitnehmer nicht den Wettbewerbsregeln unterfallen; Immenga/Mestmäcker/Emmerich, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 24 m. w. N.

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§ 6  Grundfreiheiten

tion zur Wettbewerbsbeschränkung (Art. 101 AEUV) bzw. des Missbrauchs unternehmerischer Marktmacht (Art. 102 AEUV). Sowohl das Kartellverbot als auch das Missbrauchsverbot erfassen dabei nur solche Verhaltensweisen, die den Wettbewerb und den zwischenstaatlichen Handel in spürbarer Weise beschränken.333 Für das Kartellverbot besteht zudem die Möglichkeit der Kommission, Gruppenfreistellungsverordnungen zu erlassen (Art. 101 Abs. 3 AEUV). Diese speziellen Wertungen könnten durch eine horizontale unmittelbare Wirkung der Grundfreiheiten unterlaufen werden. Dabei gilt es grundsätzlich, folgende Situationen zu unterscheiden: Erstens kann es sein, dass ein bestimmtes Verhalten bereits nach den Art. 101, 102 AEUV verboten ist. In diesen Konstellationen ist eine zusätzliche Kontrolle am Maßstab der Grundfreiheiten grundsätzlich unschädlich.334 Zwar sind die Wettbewerbsvorschriften im Vergleich zu den Grundfreiheiten in tatbestandlicher Hinsicht präziser gefasst, wenn es um das Handeln privater Unternehmen geht. Darüber hinaus stehen mit der primärrechtlich verankerten Nichtigkeitssanktion (Art. 101 Abs. 2 AEUV) und der vom EuGH in Courage und Manfredi aus dem effet utile hergeleiteten Schadensersatzhaftung für kartellbedingte Schäden335 spezifische Rechtsfolgen zur Verfügung, die vom Gerichtshof bislang noch nicht auf Verstöße Privater gegen die Grundfreiheiten erstreckt wurden.336 Eine kumulative Anwendung der Wettbewerbsvorschriften und der Grundfreiheiten auf unternehmerisches Verhalten droht jedoch nicht die spezifischen Wertentscheidungen der Wettbewerbsnormen zu unterlaufen. Das Beispiel der Sportverbandsfälle zeigt dies in eindrücklicher Weise. Bereits GA Lenz war in seinen Schlussanträgen zu dem Resümee gelangt, dass der BosmanFall mit gleichem Ergebnis auch anhand des Kartellverbots (Art. 101 AEUV) hätte gelöst werden können.337 Die zweite Konstellation ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Verhalten Privater zwar tatbestandlich unter die Wettbewerbsregeln fällt, jedoch wettbewerbsrechtlich erlaubt ist, weil die Spürbarkeitsschwelle nicht überschritten wird oder die betreffende Tätigkeit unter eine Gruppenfreistellungsverordnung fällt. Unterzöge man privates Verhalten auch in diesen Fällen einer Grundfreiheitenkontrolle, so bestünde die Gefahr, dass die Wertungen des Wettbewerbsrechts konterkariert werden. Mit den Wettbewerbsregeln wird eine Entscheidung darüber getroffen, wo die Grenze 332   Kollektivvereinbarungen zwischen den Sozialpartnern, die zur Erreichung sozialpolitischer Ziele im Sinne von Art. 151 AEUV geschlossen werden, einschließlich der auf den Abschluss solcher Vereinbarungen gerichteten Kollektivmaßnahmen, fallen nach ständiger Rechtsprechung insbesondere nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV; EuGH, Rs. C‑67/96 (Albany) Rn. 60; zuletzt Rs. C‑437/09 (AG2R Prévoyance) Rn. 29 m. w. N. 333   Für Art. 101 AEUV vgl. EuGH, Rs. 5/69 (Völk) Rn. 5 und 7; Rs. 22/71 (Béguelin) Rn. 16 ff.; sowie die Bagatell-Bekanntmachung der Kommission, ABl. 2001 C 368/13; Frenz, Europäisches Kartellrecht, 2006, Rn. 493 ff. Für Art. 102 AEUV ist von einer Eignung zur spürbaren Beeinflussung der Wettbewerbsbedingungen regelmäßig bereits deshalb auszugehen, weil die Norm nur Missbrauchshandlungen marktbeherrschender Unternehmen erfasst. Für die Eignung zur Beschränkung des zwischenstaatlichen Handelns verlangt der EuGH ausdrücklich eine Spürbarkeit; EuGH, Rs.  C‑241 – 242/91 P Rn.  69; Frenz, a. a. O., Rn. 1158, 1408 ff. 334   Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 759 f., sieht demgegenüber die Gefahr, dass die Wettbewerbsregeln in der Praxis überflüssig werden könnten. 335   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage); verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.). Hierzu infra, § 7 C. 336  Hierzu infra, § 6 E.V.3. 337   GA Lenz, SchlA, Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 253 ff. Zur kartellrechtlichen Beurteilung der Sportverbandsfälle vgl. auch Fleischer, WuW 1996, 473 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 766 ff.

E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte

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zwischen einer systemkonformen Teilnahme am Wettbewerb und marktstörenden Eingriffen in das Wettbewerbsgeschehen zu ziehen ist.338 Durch die Konkretisierung der Eingriffsvoraussetzungen in den Art. 101, 102 AEUV soll der eingriffsfrei verbleibende Verhaltensspielraum der Unternehmen geschützt werden.339 Das Spürbarkeitserfordernis ist Ausdruck eines bewussten staatlichen Regelungsverzichts zugunsten privater Selbststeuerung durch Markt und Wettbewerb.340 Die Gruppenfreistellungsverordnungen basieren ihrerseits auf der Erkenntnis, dass bestimmte wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen sich bei einer Gesamtbetrachtung als binnenmarktfördernd oder gar als notwendig für einen funktionierenden Markt erweisen. Geht man mit dem EuGH von einer horizontalen Direktwirkung der Grundfreiheiten aus, so müssen diese Wertungen berücksichtigt werden, indem ein Spürbarkeitstest in die Grundfreiheitenkontrolle eingeführt wird341 und Verhaltensweisen, die unter eine Gruppenfreistellungsverordnung fallen, aus ihrem Anwendungsbereich ausgeklammert werden.342 Zwar hat sich der Gerichtshof niemals ausdrücklich zu einem Spürbarkeitstest bei den Grundfreiheiten bekannt. Bereits an anderer Stelle konnte jedoch gezeigt werden, dass der Gerichtshof bei staatlich verursachten Beschränkungen in vielen Fällen unausgesprochen einen solchen Test zugrunde legt343 und das Marktzugangskriterium auf diese Weise in adäquater Weise konkretisiert werden kann.344 Entsprechendes muss dann aber erst recht für die Kontrolle privaten Verhaltens am Maßstab der Grundfreiheiten gelten. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund staatlicher Handlungsmacht bereits definitionsgemäß über ein beträchtliches Potenzial, um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts zu stören. Private Wirtschaftsteilnehmer haben demgegenüber vielfach nicht genug Einflussmöglichkeiten, um Dritte erfolgreich daran zu hindern, ihre Verkehrsfreiheiten auszuüben. Selbst wenn man bei staatlichen Maßnahmen ein Spürbarkeitserfordernis ablehnt, muss daher bei Privaten ein de minimis-Vorbehalt greifen, um einer zu weitgehenden Anwendung der Grundfreiheiten entgegenzuwirken. In ähnlicher Weise zu behandeln wäre auch die dritte Konstellation, in der privates Verhalten von vornherein nicht in den Anwendungsbereich der Art. 101 ff. AEUV fällt. Zu denken ist insbesondere an Eingriffe Dritter in das Wettbewerbsgeschehen, etwa in Form von Gewaltaktionen,345 Straßenblockaden346 oder Boykottaufrufen,347 338   Herresthal, in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 177, 207. 339   Kluth, AöR 122 (1997), 557, 573. 340   Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 762. 341   Für die Einführung eines Spürbarkeitstests auch Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, 1987, S. 206; Möllers, EuR 1998, 20, 36 f.; Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, 2001, S. 182 ff.; Wernicke, Die Privatwirkung, 2002, S. 221, 264; W.‑H. Roth, in: FS Medicus, 2009, S. 393, 411 ff.; im Ergebnis auch Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, 1997, S. 146, und Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 764, die sich allerdings beide gegen eine horizontale Direktwirkung aussprechen. Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2002, S. 141 ff., will private Handelsbehinderungen demgegenüber unabhängig von einem Spürbarkeitstest an den Grundfreiheiten messen. 342   So insb. Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2002, S. 156 ff. 343  Siehe supra, § 6 IV.3.c. 344  Siehe supra, § 6 IV.3.d. 345   Vgl. EuGH, Rs. C‑265/65 (Kommission/Frankreich – „Französische Bauernproteste“). 346   Vgl. EuGH, Rs. C‑112/00 (Schmidberger). 347   Vgl. EuGH, Rs. 249/81 (Kommission/Irland – „Buy Irish“).

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§ 6  Grundfreiheiten

sowie an gewerkschaftlich organisierte Arbeitskampfmaßnahmen.348 Da in diesen Fällen kein unternehmerisches Handeln im Sinne des EU‑Wettbewerbsrechts vorliegt, kann der Schutz eines funktionsfähigen Binnenmarkts durch die Wettbewerbsregeln nicht gewährleistet werden. Die Grundfreiheiten müssen dementsprechend ergänzend eingreifen, wenn Dritte, die am Handelsverkehr nicht beteiligt sind, den zwischenstaatlichen Handel in spürbarer Weise gefährden. Verhaltensweisen, die sich nicht spürbar auf den Binnenmarkt auswirken, müssen nach dem zuvor Gesagten dagegen dem Zugriff der Grundfreiheiten entzogen sein. 3. Konkretisierung des Spürbarkeitstests bei Handeln Privater Die Einführung eines Spürbarkeitstests in die Grundfreiheitenprüfung bei Handeln Privater wirft – wie bei staatlichen Maßnahmen349 – die Frage auf, welche Kriterien anzulegen sind. Nach Auffassung von Generalanwalt Poiares Maduro gelten die Grundfreiheiten nur für solche privaten Verhaltensweisen, „die aufgrund ihrer allgemeinen Wirkung auf die Inhaber der Verkehrsfreiheiten geeignet sind, für diese Personen Beschränkungen bei der Ausübung dieser Freiheiten dadurch aufzustellen, dass ein Hindernis geschaffen wird, das die Betreffenden nicht in zumutbarer Weise umgehen können.“350 Legt man diesen Maßstab zugrunde, sind in erster Linie kollektive Eingriffe Dritter in das Marktgeschehen an den Grundfreiheiten zu messen. Isoliertes Handeln einzelner Unternehmen oder Verbraucher, insbesondere Handlungen, die Ausdruck einer individuellen Nachfragepräferenz sind, wie etwa der Entschluss, nur inländische Produkte zu kaufen, unterliegen demgegenüber mangels spürbaren Eingriffs nicht dem Zugriff der Grundfreiheiten. Überprüft man die EuGH-Rechtsprechung anhand dieser Maßstäbe, so ergibt sich, dass der Gerichtshof eine Bindung Privater an die Grundfreiheiten vor allem dann bejaht, wenn Organisationen oder sonstige kollektiv handelnden Personengruppen aufgrund ihrer normativen oder sozioökonomischen Macht Dritte davon abhalten, ihre Verkehrsfreiheiten auszuüben, etwa durch Sportverbandssatzungen,351 standesrechtliche Regelungen,352 Tarifverträge oder Arbeitskampfmaßnahmen.353 Die betreffenden Maßnahmen wirkten sich dabei ohne Zweifel spürbar auf den Binnenmarkt aus. Als problematisch erweist sich dagegen die Rechtsprechung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Im Urteil Angonese verwarf der EuGH die Einstellungsentscheidung eines privaten Bankunternehmens als grundfreiheitswidrig, obwohl das Unternehmen weder mit Rechtssetzungsbefugnissen ausgestattet war noch eine besondere Marktmacht innehatte. GA Poiares Maduro rechtfertigt die Entscheidung des EuGH mit dem Hinweis, dass Arbeitnehmer ihre berufliche Qualifikationen nicht so einfach ändern oder eine alternative Beschäftigung finden könnten, wie Kaufleute ihre Produktpalette ändern oder alternative Wege für deren Vermarktung finden könnten.354 348

  Vgl. EuGH, Rs. C‑341/05 (Laval); Rs. C‑438/05 (Viking).  Hierzu supra, § 6 C.IV.3.d. 350   GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 48; Herv. hinzugefügt. 351   EuGH, Rs. 36/74 (Walrave); Rs. C‑415/93 (Bosman); verb. Rs. 51/96 & C‑191/97 (Deliége); Rs. C‑176/96 (Lethonen); Rs. C‑325/08 (Bernard). 352   EuGH, Rs. C‑309/99 (Wouters). 353   EuGH, Rs. C‑341/05 (Laval); Rs. C‑438/05 (Viking). 354   GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 47. 349

E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte

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Das diskriminierende Auswahlverfahren der Bank sei zudem „Teil einer gefestigten regionalen Praxis“ gewesen.355 Die Besonderheiten des zugrunde liegenden Falls deuten tatsächlich darauf hin, dass es dem EuGH gar nicht um die individuelle Entscheidung des Arbeitgebers gegangen ist, sondern vielmehr um die marktabschottende Praxis in der betreffenden Region.356 Ein anderer Erklärungsansatz bestünde darin, mit einem Teil des Schrifttums davon auszugehen, dass der Rechtssache Angonese ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot zugrunde lag, der Spürbarkeitstest aber nur für die Beschränkungsverbote, nicht hingegen für die Diskriminierungsverbote gilt.357 Dieser Ansatz weist indessen den Nachteil auf, dass die Abgrenzung zwischen Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten alles andere als klar ist. Da viele Beschränkungsmaßnahmen als mehr oder weniger versteckte oder mittelbare Diskriminierungen erklärt werden können, zöge eine solche Unterscheidung verwickelte Streitfragen nach sich.358 Entscheidend für die Sonderstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dürfte schließlich sein, dass der Gerichtshof Art. 45 AEUV als grundrechtsähnliches Recht versteht.359 Eingriffe Privater in die Arbeitnehmerfreizügigkeit lassen sich daher nicht durch einen quantitativen Spürbarkeitstest erfassen. Da die Arbeitnehmerfreizügigkeit die Mobilität von Personen schützt, die in einem anderen Staat einer unselbständigen Beschäftigung nachgehen, kommt es nicht nur auf die Intensität der zugangsbeschränkenden Maßnahme, sondern auch darauf an, ob die betreffende Maßnahme in den von Art. 45 AEUV geschützten Kernbereich eingreift.360 Dieser ist bei diskriminierenden Handlungen unmittelbar berührt. Unter dieser Perspektive ist es folgerichtig, dass der EuGH auch einen einzelnen Arbeitgeber an das Diskriminierungsverbot der Arbeitnehmerfreizügigkeit bindet.

355

 Ibid.   So auch Forsthoff, EWS 2000, 389, 394; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 118; Bachmann, AcP 210 (2010), 424, 476. Auch das Urteil EuGH, Rs. C‑94/07 (Raccanelli), ließe sich auf diese Weise erklären: Die Entscheidung des MPI, ausländischen Doktoranden nur Stipendienverträge und keine Arbeitsverträge zu gewähren, beruhte auf Richtlinien, die vom Verwaltungsrat der MPG beschlossen werden und die Institutsleitungen binden. Dementsprechend sind sie hinsichtlich ihrer Wirkung mit Kollektivverträgen vergleichbar; Repasi, EuZW 2008, 532, 533. Gleiches gilt für EuGH, Rs. C‑172/11 (Erny), denn in diesem Fall ging es um Bestimmungen in Tarif- und Einzelarbeitsverträgen. 357  So Möllers, EuR 1998, 20, 36; W.‑H. Roth, in: FS Medicus, 2009, S. 393, 411. Herresthal, in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 177, 193 ff., 215, will diskriminierendes Verhalten Privater ausschließlich am Maßstab des Art. 18 AEUV messen. 358   Vgl. GA Mengozzi, SchlA, Rs. C‑341/05 (Laval) Rn. 228; Streinz, in: FS Rudolf, 2001, S. 199, 209. Letztlich kann jede Beschränkung, die sich auf zwei Personen unterschiedlich auswirkt, zur Diskriminierung werden; J. Gebauer, Die Grundfreiheiten, 2004, S. 115 m. w. N. zum Streitstand. 359   Vgl. nur EuGH, Rs. 222/86 (Heylens) Rn. 14: „Der freie Zugang zur Beschäftigung ist ein Grundrecht, das jedem Arbeitnehmer der Gemeinschaft individuell vom Vertrag verliehen ist (. . .)“; sowie EuGH, Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 129 (Art. 45 AEUV als „Grundrecht auf freien Zugang zur Beschäftigung“). 360   Zur Unterscheidung zwischen Produkt- und Personenverkehrsfreiheiten im Rahmen des Spürbarkeitskriteriums bereits supra, § 6 C.IV.3.d. 356

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§ 6  Grundfreiheiten

IV. Horizontale Direktwirkung versus mittelbare Drittwirkung 1. Einwände gegen das Konzept der horizontalen Direktwirkung Gegen das Konzept der horizontalen Direktwirkung wird in erster Linie eingewandt, dass eine Bindung Privater an die Grundfreiheiten zu tiefen Eingriffen in die Privatautonomie führe.361 Privatautonomes Handeln zeichne sich dadurch aus, dass es nicht durch irgendwelche Gründe legitimiert werden müsse. Gehe man mit dem EuGH von einer horizontalen unmittelbaren Wirkung aus, unterlägen Private einem solchen Rechtfertigungszwang. Sämtliche Verträge, einseitigen Rechtsgeschäfte und sonstigen Handlungen, die zu einem diskriminierenden oder beschränkenden Eingriff in die Grundfreiheiten anderer Privater führen, wären nur dann erlaubt, wenn sie gerechtfertigt werden könnten. Dabei sei auf der Schrankenebene völlig unklar, welche Rechtfertigungsgründe Privaten zur Verfügung stünden. Die primärrechtlich normierten Rechtfertigungsgründe (insbesondere: öffentliche Ordnung und Sicherheit) und die vom EuGH anerkannten „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses“ seien durchweg auf öffentliche Interessen der Mitgliedstaaten zugeschnitten. Zwar gehe der Gerichtshof davon aus, dass jene Rechtfertigungsgründe auch von Privatpersonen geltend gemacht werden könnten.362 Private verfolgten jedoch andere Zwecke als die Träger von Staatsgewalt. Sie nähmen Individualinteressen wahr und seien grundsätzlich nicht dem Allgemeinwohl verpflichtet. Der Gerichtshof berücksichtige in vielen Urteilen nicht in ausreichendem Maße die (grundrechtlich gewährleistete) Autonomie von Privatpersonen und Verbänden, sondern prüfe stattdessen nur eine Rechtfertigung am Maßstab zwingender Gründe des Allgemein­ interesses. Eine unmittelbare Bindung Privater hätte abgesehen hiervon gravierende Einschnitte in die Strukturen des Privatrechts zur Folge. Sie bewirke, dass die Grundfreiheiten als Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB oder Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen wären. Das nationale Recht kenne demgegenüber mit den §§ 138, 242, 826 BGB seine eigenen Übermaßverbote, die aus gutem Grund gerade nicht auf den Maßstäben der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit aufbauten. 2. Das Konzept der mittelbaren Drittwirkung Selbst die Gegner der horizontalen Direktwirkung folgern daraus aber nicht, dass die Grundfreiheiten keinerlei Wirkung für das Privatrecht hätten. Sie verweisen vielmehr  – in Anlehnung an die deutsche Diskussion zur Drittwirkung von Grundrechten363 und unter Hinweis auf die EuGH-Entscheidung Französische Bauernproteste364 – auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung der Grundfreiheiten sicherzustellen. 361   Vgl. zum Folgenden nur Canaris, in: Bauer et al. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 29, 44 ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 103 ff. 362   Besonders deutlich EuGH, Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 86. 363   Sowohl das BVerfG als auch der BGH haben sich zur Theorie der mittelbaren Drittwirkung bekannt; BVerfGE 73, 261, 269 = NJW 1987, 827 f.; BVerfGE 81, 242, 256 = NJW 1990, 1469, 1470; BGH, NJW 1986, 2944; NJW 2008, 216, 217. Aus dem Schrifttum grundlegend Dürig, in: FS Nawiasky, 1956, S. 157 ff. Siehe ferner Canaris, AcP 184 (1984), 201, 210 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 43. 364   EuGH, Rs. C‑265/95 (Kommission/Frankreich – „Französische Bauernproteste“).

E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte

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Der Vorteil einer bloß mittelbaren Drittwirkung soll nach Auffassung ihrer Vertreter365 darin liegen, dass die über Schutzpflichten vermittelte Wirkung der Grundfreiheiten sowohl die Privatautonomie als auch die Grundstrukturen des Privatrechts schont: Während die horizontale Direktwirkung zur Folge habe, dass an die Stelle des nationalen Privatrechts das Unionsrecht und an die Stelle der Mitgliedstaaten der EuGH trete, führe die Garantenpflicht der Mitgliedstaaten lediglich zu einer ergebnisbezogenen Handlungspflicht der Mitgliedstaaten. Der in seinen Grundfreiheiten beeinträchtigte Private habe einen Schutzanspruch gegen den Staat, der seinerseits durch entsprechende Gesetze sowie ergänzend durch seine Gerichte im Wege einer grundfreiheitskonformen Auslegung von Generalklauseln dafür sorgen müsse, dieser Schutzpflicht gerecht zu werden. Auf diese Weise ließen sich direkte Eingriffe in die nationalen Privatrechtssysteme vermeiden. Eine mittelbare Drittwirkung berücksichtige in adäquatem Maße das Prinzip der Privatautonomie. Eine Garantenpflicht des Staates bestehe nämlich nur dann, wenn ein staatliches Einschreiten zum Schutz der Grundfreiheiten erforderlich sei (Aufgreifschwelle); die Mitgliedstaaten hätten nur ein Mindestmaß an Schutz zu gewährleisten (Untermaßgebot) und bei Erfüllung der Schutzgebote zudem einen Ermessensspielraum. Die mittelbare Wirkung der Grundfreiheiten auf das Privatrecht sei damit ungleich schwächer als eine direkte Bindung Privater an die Grundfreiheiten. 3. Übereinstimmungen zwischen beiden Konzepten Die Unterschiede zwischen einer unmittelbaren und mittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten sind indessen längst nicht so groß, wie üblicherweise behauptet wird. Geht man – wie hier vertreten – davon aus, dass die Grundfreiheiten nur für spürbare Beschränkungen gelten,366 so besteht auch bei Annahme einer horizontalen Direktwirkung eine Aufgreifschwelle. Wendet man die Grundfreiheiten unmittelbar an, so kommt es zudem zu einer Abwägung zwischen der beeinträchtigten Grundfreiheit der einen Partei und den kollidierenden Grundrechten (zu denen auch die Privatautonomie zählt)367 der anderen Partei, die als Dritte an die Grundfreiheiten gebunden wird. Zwar hat der EuGH eine solche Abwägung in früheren Urteilen nicht vorgenommen.368 Seit der Entscheidung Schmidberger369 ist jedoch anerkannt, dass bei einer Kollision von Grundfreiheiten und Unionsgrundrechten die bestehenden Interessen abzuwägen 365   Burgi, EWS 1999, 327, 330 f.; Streinz/Leible, EuZW 2000, 459, 464; Canaris, in: Bauer et al. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 29, 49 ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 105 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 804; Herresthal, in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 177, 210 ff. 366  Siehe supra, § 6 C.IV.3. und § 6 E.III.2. – 3. 367   Vgl. EuGH, verb. Rs. C‑90 – 91/90 (Neu) Rn. 13; Schöbener/Stork, ZEuS 2004, 43, 55 ff. 368   So hebt der Gerichtshof beispielsweise im Urteil Bosman hervor, dass sich Sportverbände auf das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit (Art. 11 EMRK) berufen können; EuGH, Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 79; dieses Grundrecht wird jedoch nicht mit den Grundfreiheiten abgewogen. In der Rechtssache Angonese genügten dem EuGH „sachliche“ bzw. „legitime“ Erwägungen, um diskriminierende Verhaltensweisen bei der Einstellung von Arbeitnehmern zu rechtfertigen; EuGH, Rs. C‑281/98 (Angonese) Rn. 42, 44. Dies deutet darauf hin, dass der Gerichtshof einen großzügigen Maßstab anlegt. Im konkreten Fall ließ er dennoch die rechtlichen und ökonomischen Interessen des Arbeitgebers unbeachtet. 369   EuGH, Rs. C‑112/00 (Schmidberger) Rn. 81; vgl. auch EuGH, Rs. C‑36/02 (Omega) Rn. 35.

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§ 6  Grundfreiheiten

sind und „anhand sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls festzustellen ist, ob das rechte Gleichgewicht zwischen diesen Interessen gewahrt worden ist“. Diesen in Schmidberger für Schutzpflichten der Mitgliedstaaten entwickelten Ansatz hat der Gerichtshof in den Fällen Viking und Laval für Verstöße Privater gegen die Grundfreiheiten weiter ausgebaut. In beiden Entscheidungen wird die Koalitionsfreiheit einschließlich des Streikrechts als ungeschriebener allgemeiner Rechtsgrundsatz (Grundrecht) und zugleich als „berechtigtes Interesse“ anerkannt, das eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit bzw. Niederlassungsfreiheit rechtfertigen kann.370 Unter Zugrundelegung dieses Ansatzes können sämtliche Unionsgrundrechte und also auch der Grundsatz der Privatautonomie mit den Grundfreiheiten abgewogen werden.371 Die Rechtsprechung bedarf freilich noch der Feinjustierung. So überzeugt es beispielsweise nicht, dass der EuGH in den Urteilen Viking und Laval die Abwägung zwischen Grundfreiheiten und Grundrechten allein auf der Rechtfertigungsebene der Grundfreiheiten vornimmt („Grundrechte als Schranken-Schranken der Grundfreiheiten“). Beide Entscheidungen deuten zudem darauf hin, dass die Unionsgrundrechte für sich allein genommen einen Eingriff in die Grundfreiheiten nicht rechtfertigen können; Beschränkungen der Grundfreiheiten müssen zusätzlich den Filter der „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses“ passieren.372 Ein solcher Prüfungsaufbau suggeriert, dass den Grundfreiheiten gegenüber den Grundrechten eine übergeordnete Wirkung zukommt.373 Grundfreiheiten und Grundrechte stehen indes in keinem Hierarchieverhältnis zueinander; sie sind vielmehr gleichrangig.374 Generalanwältin Trstenjak schlägt daher eine doppelte Prüfung vor.375 Einerseits müsse geprüft werden, ob die Beschränkung einer Grundfreiheit durch ein Grundrecht über das hinausgeht, was zur Durchsetzung des Grundrechts geeignet, erforderlich und angemessen ist. Andererseits dürfe die Beschränkung eines Grundrechts durch eine Grundfreiheit aber auch nicht weiter gehen, was zur Durchsetzung der Grundfreiheit geeignet, erforderlich und angemessen ist. Würde der Gerichtshof diesem Ansatz

370

  EuGH, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 43 ff., 75 ff.; Rs. C‑341/05 (Laval) Rn. 90 ff., 103 ff.   Vgl. auch GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 49: „Selbstverständlich bedeutet die Feststellung, dass bestimmte Privatrechtssubjekte den Vorschriften über den freien Verkehr unterliegen, nicht das Ende ihrer Privatautonomie. Ebenso wenig bedeutet dies zwangsläufig, dass auf sie exakt die gleichen Maßstäbe wie auf Mitgliedstaaten anzuwenden sind. Der Gerichtshof kann unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe anlegen, abhängig vom Ursprung und der Schwere des der Ausübung der Verkehrsfreiheit entgegenstehenden Hindernisses und der Bedeutung sowie der Stichhaltigkeit hiermit konkurrierender Belange der Privatautonomie. Mit anderen Worten: Privaten mag oft noch erlaubt werden, was Behörden nicht mehr erlaubt ist.“ 372   Vgl. EuGH, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 75 ff.; Rs. C‑341/05 (Laval) Rn. 103 ff. Zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zählen insbesondere die sozialen Ziele nach Art. 151 AEUV, ein hohes Beschäftigungsniveau (Art. 147 AEUV) sowie ein hohes Maß an sozialem Schutz. 373   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑271/08 (Kommission/Deutschland) Rn. 183 ff.; Davies, Industrial Law Journal 2008, 126, 139 ff. („defensive“ recognition of the right to strike); vgl. auch Rebhahn, ZESAR 2008, 109, 115; Zwanziger, DB 2008, 294, 295. Anders v. Danwitz, EuZA 2010, 6, 15 (gleichrangige Wertigkeit von Grundfreiheiten und Grundrechten wird vom EuGH nicht in Frage gestellt, da beide Rechtssachen von Besonderheiten geprägt sind). 374   GA Stix-Hackl, SchlA, Rs. C‑36/02 (Omega) Rn. 49; GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑271/08 (Kommission/Deutschland) Rn. 186; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, 2004, Rn. 159; Skouris, DÖV 2006, 89, 95 f. 375   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑271/08 (Kommission/Deutschland) Rn.  188 – 192. 371

E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte

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folgen, verlören die gegen die horizontale Direktwirkung vorgetragenen Argumente weiter an Gewicht.376 Die verschiedenen Interessen – also die Verkehrsfreiheiten bzw. Marktzugangsrechte auf der einen Seite und der Grundrechtsschutz, insbesondere das Recht auf freie Wahl des Vertragspartners377 auf der anderen Seite – könnten wirkungsvoll koordiniert werden. Die Rechtssachen Schmidberger,378 Omega379 und Viking380 zeigen zugleich, dass der Gerichtshof den mitgliedstaatlichen Gerichten einen Beurteilungsspielraum eröffnet, soweit es um die einzelfallbezogene Abwägung zwischen den Grundfreiheiten und den Grundrechten geht. Damit entscheiden letztlich (auch) die einzelstaatlichen Gerichte darüber, wie die Kollision zwischen Grundfreiheiten und Grundrechten aufzulösen ist.381 Dieselben Koordinationsprobleme stellen sich, wenn man der Theorie der mittelbaren Drittwirkung folgt.382 Wann die Garantenpflicht des Mitgliedstaats ausgelöst wird (Aufgreifschwelle) und in welchem Umfang staatliche Schutzpflichten bestehen (Untermaßverbot), hängt wiederum von einer Abwägung ab, bei der auf der einen Seite die Marktzugangsrechte des in seiner Grundfreiheit Beeinträchtigten und auf der anderen Seite die Privat- bzw. Verbandsautonomie und andere Grundrechte des Verletzers berücksichtigt werden müssen. Auch ein etwaiger Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten kann nur soweit reichen, wie das Unionsrecht mehrere Regelungsmöglichkeiten akzeptiert. Nationale Gesetze, die einen an den Grundfreiheiten ausgerichteten Schutzauftrag des Staates mediatisieren, sind gegenüber dem unionsrechtlich geforderten Mindestschutz ohne eigenständige Funktion, wenn nicht das Unionsrecht selbst mehrere Alternativen offen lässt.383 Verbieten die Grundfreiheiten bestimmte Handlungsformen, so ändert auch der Rückgriff auf die im nationalen Recht vorhandenen Generalklauseln nichts daran, dass eine vertragliche Gestaltung für nichtig erachtet werden muss, wenn der Schutz der Grundfreiheiten die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts gebietet. Zu diesem Befund passen rechtsvergleichende Untersuchungen zur Drittwirkung von Grundrechten in den Mitgliedstaaten, die belegen, dass in Ländern, in denen die Rechtsprechung dem Konzept der unmittelbaren Drittwirkung folgt, nicht zwangsläufig eine stärkere Konstitutionalisierung des Privatrechts erfolgt ist, als in Staaten, deren Gerichte das Konzept der mittelbaren Drittwirkung zugrunde legen.384

376   Cherednychenko, ERPL 2006, 33, 58, hält es für wahrscheinlicher, dass der EuGH mit wachsender Bedeutung der Unionsgrundrechte auf das Konzept der mittelbaren Drittwirkung umschwenken wird. 377   Vgl. EuGH, verb. Rs. C‑90 – 91/90 (Neu) Rn. 13. 378   EuGH, Rs. C‑112/00 (Schmidberger) Rn. 81 f. 379   EuGH, Rs. C‑36/02 (Omega) Rn. 31, 38. 380   EuGH, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 80 ff. 381   Im Ergebnis auch v. Danwitz, EuZA 2010, 6, 11. 382  Zutreffend Bachmann, AcP 210 (2010), 424, 471 f. 383   Vgl. auch Hager, JZ 1994, 373, 379 (zur unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte). 384  Siehe Cherednychenko, Fundamental Rights, Contract Law and the Protection of the Weaker Party, 2007. S. 122 ff., sowie S. 161: „[T]he German indirect horizontal effect may have much more far-reaching consequences in practice than the Dutch direct horizontal effect.“ Vgl. auch die Länderberichte in: Brüggemeier/Colombi Ciacchi/Comandé (Hrsg.), Fundamental Rights and Private Law in the European Union, Bd. I: A Comparative Overview, 2010; zusammenfassend Seifert, EuZW 2011, 696, 697 f.

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4. Unterschiede zwischen beiden Konzepten Ob unmittelbare und mittelbare Drittwirkung damit stets ergebnisäquivalent sind, wie zuweilen behauptet wird,385 muss dennoch bezweifelt werden. Das Schutzpflichtkonzept kann nur dann zu gleichen Lösungen führen, wenn im nationalen Recht entsprechende Generalklauseln aktiviert werden können. Ist dies nicht der Fall, kann nationales Recht also nicht grundfreiheitskonform auslegt werden, so lässt sich der vom Unionsrecht geforderte Schutz de lege lata nicht erreichen. Wie groß die Unterschiede zwischen der horizontalen Direktwirkung und der mittelbaren Drittwirkung sind, hängt dabei letztlich davon ab, wie weit der Gestaltungsauftrag der Judikative reicht.386 Insoweit ist unter den Anhängern der Theorie der mittelbaren Drittwirkung keine einheitliche Linie erkennbar. Streinz & Leible387 verorten den Handlungsauftrag allein bei der mitgliedstaatlichen Legislative; die Beseitigung von Grundfreiheitsbeeinträchtigungen stehe unter dem Vorbehalt mitgliedstaatlichen Handelns. Der Einzelne habe daher in aller Regel nur die Möglichkeit, bei freizügigkeitswidrigen Maßnahmen anderer Privater Staatshaftungsansprüche geltend zu machen, wenn der Mitgliedstaat es pflichtwidrig unterlassen habe, schützend einzugreifen. Canaris388 und Riesenhuber389 halten demgegenüber eine Konkretisierung von Generalklauseln sowie eine Rechtsfortbildung für möglich, wollen allerdings nur auf §§ 138, 242, 826 BGB, nicht jedoch auf § 134 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB zurückgreifen.390 Herresthal391 meint dagegen, dass eine (Teil‑)nichtigkeit von Rechtsgeschäften auch aus § 134 BGB folgen könne und Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einer als Schutzgesetz qualifizierten Grundfreiheit in Betracht kämen. 5. Ergebnis Das breite Meinungsspektrum belegt, dass mit der Annahme einer bloß mittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten eine erhebliche Rechtsunsicherheit einhergeht. Hinzu tritt, dass in den Mitgliedstaaten die Grenzen der Rechtsfindung nach der Methodenlehre und der (verfassungsrechtlich geprägten) Rollenverteilung zwischen Legislative und Judikative ganz unterschiedlich gezogen werden. Die vom EuGH favorisierte horizontale Direktwirkung der Grundfreiheiten kann demgegenüber zur einheitlichen Wirksamkeit beitragen und gewährleisten, dass die betroffenen Marktteilnehmer in jedem Fall durch privatrechtliche Ansprüche geschützt werden. 385   Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 481 ff. (zur Drittwirkung von Grundrechten); zustimmend (zur Drittwirkung der Grundfreiheiten) GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 40. Nach Alexy (a. a. O., 483) sind zwei juristische Konstruktionen ergebnisäquivalent, wenn jedes Ergebnis, das im Rahmen der einen erzielt werden kann, auch im Rahmen der anderen erzielt werden kann. 386   So bereits Bachmann, AcP 210 (2010), 424, 473, der eine horizontale Direktwirkung jedoch erst dann annehmen will, wenn alle anderen Wege zu einem binnenmarktkonformen Ziel versagen. 387   Streinz/Leible, EuZW 2000, 459, 466 f. 388   Canaris, in: Bauer et al. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 29, 36, 38, 65 ff., der jedoch auch eine unionsrechtskonforme Rechtsfortbildung contra legem für zulässig erachtet (a. a. O., S. 52). 389   Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 101 ff. 390   Für eine Heranziehung von § 138 BGB auch MüKo/Armbrüster, BGB, 7. Aufl., 2015, § 134 BGB Rn. 34, 38. 391   Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 1. Aufl., 2005, § 2 Rn. 80.

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V. Rechtsfolgen der horizontalen Direktwirkung 1. Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts Nach der Rechtsprechung des EuGH steht fest, dass (nahezu) sämtliche Grundfreiheiten private Personen unmittelbar binden und den beeinträchtigten Marktteilnehmern korrespondierende „Rechte“ verleihen, die von den mitgliedstaatlichen Gerichten zu schützen sind.392 Welche konkreten Rechtsfolgen sich bei einem Verstoß Privater gegen die Grundfreiheiten ergeben, ist jedoch weitgehend ungeklärt. Der Gerichtshof verweist zumeist darauf, dass das Unionsrecht keine bestimmte Maßnahme vorschreibt, „sondern ihnen nach Maßgabe der unterschiedlichen denkbaren Sachverhalte die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen Lösungen belässt, die zur Verwirklichung des Ziels der jeweiligen Bestimmungen geeignet sind“.393 Aus dieser Formulierung kann nicht geschlossen werden, dass die Mitgliedstaaten bei der Wahl der Rechtsfolgen frei sind. Vielmehr folgt aus der betreffenden Passage nur, dass sich das Unionsrecht nicht – wie bei Verstößen gegen das Kartellverbot (vgl. Art. 101 Abs. 2 AEUV) – direkt an die Stelle des nationalen Rechts setzt, sondern dass der Rechtsstreit in den Grenzen des Äquivalenz- und Effektivitätsgebots nach dem anwendbaren nationalen Recht zu beurteilen ist.394 Mangels einer einschlägigen Unionsrechtsregelung ist es dementsprechend Sache des innerstaatlichen Rechts, die Rechtsfolgen bei einem Verstoß Privater gegen die Grundfreiheiten zu regeln, wobei die betreffenden Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet werden dürfen als entsprechende innerstaatliche Klagen und die Ausübung der Rechte nicht übermäßig erschweren oder praktisch unmöglich machen dürfen.395 2. Nichtigkeit von Rechtsgeschäften Der EuGH hat bislang in keiner einzigen Entscheidung allgemeingültig ausgesprochen, dass Willenserklärungen, Verträge, Satzungen, Beschlüsse oder einseitige Rechtsgeschäfte, die gegen die Grundfreiheiten verstoßen, nach nationalem Recht nichtig sein müssen. Bereits im Fall Walrave396 wies der Gerichtshof jedoch darauf hin, dass der einzelstaatliche Richter bei der „Prüfung der Gültigkeit oder der Wirkung einer in der Satzung eines Sportverbandes enthaltenen Bestimmung“ die Grundfreiheiten berücksichtigen müsse. Wegen seines zwingenden Charakters sei das Dis392   EuGH, Rs. 13/76 (Donà) Rn. 20; Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 81, 96; Rs. C‑281/98 (Angonese) Rn. 34; Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 66; Rs. C‑341/05 (Laval) Rn. 97. 393   EuGH, Rs. C‑94/07 (Raccanelli) Rn. 50, mit Verweis auf EuGH, Rs. 14/83 (van Colson & Kaman) Rn. 18. 394   Vgl. auch GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 52: „Würde man [den] Parteien gestatten, ein nationales Gericht lediglich unter Bezugnahme auf die anwendbaren Vorschriften des Vertrags über den freien Verkehr anzurufen, bestünde die Gefahr, dass die anwendbaren nationalen Vorschriften außer Betracht blieben. Um dies zu verhindern, können die Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie fordern, dass sich ein gegen ein Privatrechtssubjekt wegen Verstoßes gegen die Verkehrsfreiheit eingeleitetes Verfahren im Rahmen des nationalen Regelwerks bewegt und sich auf einen nach innerstaatlichem Recht klagbaren Anspruch stützt – beispielsweise wegen unerlaubter Handlung oder Vertragsverletzung.“ 395   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 29. 396   EuGH, Rs. 36/74 (Walrave) Rn. 25. 397   EuGH, Rs. 36/74 (Walrave) Rn. 28.

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kriminierungsverbot, so der EuGH, „bei der Prüfung sämtlicher Rechtsbeziehungen zu beachten“.397 Dabei sei es Sache des einzelstaatlichen Richters, „hinsichtlich der Rechtswirkungen dieser Beziehungen die Folgerungen aus einer etwaigen Verletzung des Diskriminierungsverbots zu ziehen“.398 Die sich bei einem Verstoß gegen Grundfreiheiten ergebenden Rechtsfolgen werden zum Teil durch sekundärrechtliche Normen konkretisiert. So greift etwa im Anwendungsbereich des Art. 45 AEUV die VO 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union. Nach Art. 7 Abs. 4 VO dieser Verordnung sind alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeits- und Kündigungsbedingungen „von Rechts wegen nichtig“, soweit sie für ausländische Arbeitnehmer diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen. Die Verordnung verbietet dabei – wie Art. 45 AEUV – nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle anderen versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen.399 Auch in Ermangelung sekundärrechtlicher Vorschriften kann ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten nur dann wirksam sanktioniert werden, wenn diskriminierenden bzw. binnenmarktbeschränkenden Bestimmungen in Verträgen oder Satzungen nach nationalem Recht die Durchsetzbarkeit verweigert wird.400 Ein Rechtsfolgensystem, bei dem eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtswirksam bliebe und der in seinen Grundfreiheiten Beeinträchtigte auf Schadensersatzansprüche verwiesen würde, widerspräche dem Effektivitätsgebot, denn eine solche Rechtsfolge gewährleistete gerade nicht die Marktzugangsrechte im grenzüberschreitenden Verkehr. Auch eine relative Nichtigkeit (nullité relative), ein Anfechtungsrecht oder verwandte Rechtsinstitute, wie etwa das Konzept der voidable contracts im englischen Recht, bei der die Nichtigkeit nur von der Person geltend gemacht werden kann, die durch die verletzte Norm geschützt werden soll, trüge den Erfordernissen des Unionsrechts nicht ausreichend Rechnung. Da die Grundfreiheiten in der gesamten Europäischen Union einen Raum ohne Binnengrenzen gewährleisten sollen (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und somit nicht nur dem Schutz Einzelner, sondern zugleich einem übergeordneten Allgemeininteresse dienen, kommt nur eine von Amts wegen zu beachtende absolute Nichtigkeit (nullité absolue) in Betracht. Für das deutsche Recht bedeutet dies, dass die Grundfreiheiten als Verbotsgesetze i. S. d. § 134 BGB einzuordnen sind,401 soweit nicht ausnahmsweise eine sekundärrechtliche Regelung existiert, aus der sich bereits selbst die Nichtigkeitsfolge ergibt. 398

  EuGH, Rs. 36/74 (Walrave) Rn. 29.   EuGH, Rs. C‑172/11 (Erny) Rn. 39 (zur VO 1612/68, die durch die VO 492/2011 aufgehoben und ersetzt wurde). 400   Im Ergebnis auch Hauschka, DB 1990, 873, 874; Hobe/Tietje, JuS 1996, 486, 492; Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, S. 200; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 719 f.; Herresthal, in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 177, 203 (zu Klauseln, die aufgrund der Staatsangehörigkeit diskriminieren). 401   So auch Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, S. 201; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 719 f., der eine horizontale Direktwirkung jedoch ablehnt; Herresthal, in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 177, 203 (zu Klauseln, die aufgrund der Staatsangehörigkeit diskriminieren). 399

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Die deutsche Rechtsprechung hat diesen Schritt noch nicht vollzogen. Der BGH musste sich in den Sportverbandsfällen nicht zu der Frage äußern, ob die Grundfreiheiten als Verbotsgesetze i. S. d. § 134 BGB einzuordnen sind.402 Das OLG München entschied demgegenüber mit Urteil v. 16.1.2008,403 dass ein österreichischer Staatsangehöriger, der für den Besuch eines Thermalbades in Bayern einen höheren Eintrittspreis zahlen musste als die Einwohner umliegender Gemeinden, ungeachtet eines möglichen Verstoßes gegen Art. 56 AEUV keinen Anspruch auf teilweise Rückzahlung des Eintrittspreises habe, da der Vertrag nicht gem. § 134 BGB nichtig sei. Zur Begründung verwies das OLG München darauf, dass sich das in Art. 56 AEUV enthaltene Diskriminierungsverbot allein gegen den Diskriminierenden, nicht aber gegen den Diskriminierten richte; da es sich um ein einseitig geltendes Verbot handele, könne § 134 BGB nicht greifen. – Dem ist nicht zu folgen. Entscheidend für die Qualifizierung einer Norm als Verbotsgesetz ist nicht, ob das Verbot nur einen bzw. einige oder sämtliche Beteiligten trifft. Maßgebend ist vielmehr, ob Sinn und Zweck der betreffenden Norm für ein Verbotsgesetz und für die Nichtigkeit des Geschäfts streiten.404 Genau dies ist bei den Grundfreiheiten der Fall. Ginge man von der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts aus, so könnten erbrachte Leistungen nicht zurückgefordert werden und der Verstoß gegen die Grundfreiheiten bliebe sanktionslos. Verstößt nur ein Teil des Rechtsgeschäfts gegen die Grundfreiheiten, so fordert das Unionsrecht grundsätzlich nur eine Teilnichtigkeit.405 Die Grundfreiheiten sind nicht dafür konzipiert, den gesamten Vertrag zu bewerten. Auch im Kartellrecht ist anerkannt, dass die in Art. 101 Abs. 2 AEUV angeordnete Nichtigkeitssanktion nur diejenigen Teile einer Vereinbarung oder eines Beschlusses erfasst, die mit dem Kartellverbot unvereinbar sind.406 § 139 BGB ist daher aufgrund des Schutzzwecks der Grundfreiheiten nicht einschlägig, so dass nach nationalem Recht (unter Rückgriff auf den hypothetischen Parteiwillen) ermittelt werden muss, ob der Vertrag im Übrigen wirksam bleibt.

402   Der BGH hat Sportverbandssatzungen nur am Maßstab des Grundgesetzes gemessen, da in den betreffenden Fällen ein grenzüberschreitender Bezug nicht erkennbar war; BGHZ 142, 304 = NJW 1999, 3552; NJW 2000, 1028. In beiden Entscheidungen urteilte der BGH, dass die satzungsmäßige Ausbildungs- und Förderungsentschädigung wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG nichtig ist. Für Art. 4 EGKS-Vertrag hat der BGH demgegenüber eine Anwendung von §§ 134, 823 Abs. 2 BGB mit der Begründung abgelehnt, dass der Norm keine Drittwirkung zukomme; BGHZ 30, 74, 85 = NJW 1959, 1176, 1181. 403   OLG München, EuZW 2008, 773. 404  MüKo/Armbrüster, BGB, 7. Aufl., 2015, § 134 BGB Rn. 41 ff., 47 f. m. w. N. 405   Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, S. 202. Im Ergebnis auch Herresthal, in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 177, 203; sowie (für Diskriminierungsverbote im nationalen Recht) Canaris, AcP 184 (1984), 201, 236; Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395, 422. 406   EuGH, Rs. 56/65 (LTM) Rn. 9; Rs. C‑234/89 (Delimitis) Rn. 40; Rs. C‑279/06 (CEPSA) Rn. 78. Gesamtnichtigkeit tritt nach dieser Rechtsprechung ausnahmsweise nur dann ein, wenn sich die kartellrechtswidrigen Teile von der übrigen Vereinbarung nicht trennen lassen. Aus dem Gedanken der abschreckenden Sanktionierung ergibt sich demgegenüber kein allgemeiner Grundsatz der Gesamtnichtigkeit; zum Ganzen infra, § 7 B.I.3.a.

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§ 6  Grundfreiheiten

3. Schadensersatzansprüche Während der EuGH für Art. 101 AEUV festgestellt hat, dass die durch ein wettbewerbswidriges Verhalten Betroffenen nach dem Unionsrecht Schadensersatz verlangen können müssen,407 liegt für Verstöße Privater gegen die Grundfreiheiten noch keine entsprechende Judikatur vor. Einen ersten Ansatzpunkt liefert die Entscheidung Raccanelli aus dem Jahre 2008. Hier stellte der Gerichtshof fest, dass es Sache des vorlegenden Gerichts sei, „in Ansehung der anwendbaren innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der außervertraglichen Haftung zu beurteilen, welche Art von Wiedergutmachung der Kläger des Ausgangsverfahrens beanspruchen könnte.“408 Diese Ausführungen können dahingehend verstanden werden, dass den tatsächlich Betroffenen,409 die durch einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten Schäden erleiden, grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch gewährt werden muss,410 dessen konkrete Ausgestaltung sich jedoch – insbesondere hinsichtlich der Art der Wiedergutmachung – nach nationalem Recht richtet. In diesem Sinne ging das schwedische Arbeitsgericht (Arbetsdomstolen) im Anschluss an die Laval-Entscheidung411 von einem im Unionsrecht dem Grunde nach bestehenden Schadensersatzanspruch aus, dessen Ausgestaltung sich im Einzelnen nach nationalem Recht unter Wahrung der Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz richtet, und verwies zur Begründung genau auf die zitierte Passage aus dem Urteil Raccanelli.412 In Deutschland ist die Rechtslage immer noch ungeklärt. Schadensersatzansprüche könnten sich zunächst aus § 823 Abs. 2 BGB, § 185 StGB im Falle einer Beleidigung, aus § 826 BGB bei einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung oder aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG bei einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung ergeben. Derartige Ansprüche werden aufgrund des Vorsatzerfordernisses nur im Ausnahmefall bestehen. Weitaus relevanter ist daher die Frage, ob Schadensersatzansprüche auch aus § 280 Abs. 1 BGB, aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 282, 241 Abs. 2 BGB oder aus § 823 Abs. 2 BGB hergeleitet werden können. Dies richtet sich danach, ob die Grundfreiheiten als Schutzgesetze zu betrachten sind. Der BGH hat die Frage, ob Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. den Grundfreiheiten folgen, bislang offen gelassen.413 Das OLG München wies demgegenüber im bereits diskutierten Thermalbad-Fall einen Schadensersatzanspruch ab.414 Nach Ansicht des OLG muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs erkennbar vom Gesetz angestrebt werden. Daran fehle es, da Art. 56 AEUV keine Sanktion anordne. – Diese Auffassung steht in deutlichem Kontrast 407   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage); verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.). Ausführlich infra, § 7 C.I.1. 408   EuGH, Rs. C‑94/07 (Raccanelli) Rn. 51. 409  Dazu supra, § 3 E.V.3.d.bb. 410  Zweifelnd Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 231 ff. 411   EuGH, Rs. C‑341/05 (Laval). 412   Arbetsdomstolen, Urt. Nr. 89/09 v. 2.12.2009, Az. A 268/04, Laval un Partneri Ltd. v. Svenska; hierzu Reich, EuZW 2010, 454; Bernitz/Reich, CMLR 2011, 603; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 235 ff. 413   BGH, NJW 1996, 198, 200. Für Art. 4 EGKS-Vertrag hat der BGH demgegenüber eine Anwendung von § 823 Abs. 2 BGB mit der Begründung abgelehnt, dass der Norm keine Drittwirkung zukomme; BGHZ 30, 74, 85 = NJW 1959, 1176, 1181. 414   OLG München, EuZW 2008, 773, 774.

E. Die Grundfreiheiten als subjektiv-private Rechte

519

zur EuGH-Rechtsprechung. Da die Grundfreiheiten dem Einzelnen, der in der Ausübung seiner Grundfreiheiten gehindert wird, Rechte verleihen, die von den mitgliedstaatlichen Gerichten zu schützen sind,415 müssen sie als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB betrachtet werden.416 Sieht man die Grundfreiheiten als Schutzgesetze an, so schließt sich die Frage an, ob die Haftung nach nationalem Recht an ein Verschulden geknüpft werden kann oder ob stattdessen – wie im Bereich der Staatshaftung417 – auf das Merkmal des „qualifizierten Verstoßes“ abzustellen ist.418 In der Laval-Folgeentscheidung ging das schwedische Arbeitsgericht anscheinend von Letzterem aus; das Gericht prüfte allein die haftungsrechtlich relevante Schwere des Verstoßes, ohne ein Verschulden zu verlangen.419 Eine derartige Vorgabe lässt sich der EuGH-Rechtsprechung indessen nicht entnehmen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, warum die für die Haftung der Mitgliedstaaten entwickelten Grundsätze unbesehen auf die Haftung Privater übertragen werden sollten.420 Dem Unionsrecht kann auch kein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnommen werden, wonach Verstöße Privater gegen das Primärrecht stets durch einen verschuldensunabhängigen Haftungsanspruch sanktioniert werden müssen.421 Aus unionsrechtlicher Sicht ist es daher nicht zu beanstanden, wenn Mitgliedstaaten – wie etwa Deutschland (§§ 823, 276 BGB) – am Erfordernis einer verschuldensabhängigen Schadensersatzhaftung festhalten. Dabei ist freilich zu beachten, dass gem. § 276 Abs. 1 S. 2 BGB ein gruppenspezifisch objektivierter Verschuldensbegriff greift: Wer am Wirtschaftsverkehr teilnimmt oder in diesen störend von außen durch Protestaktionen eingreift, muss nach der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt wissen oder zumindest damit rechnen, dass die Grundfreiheiten anderen Privatpersonen Schutz vor Beschränkungen gewähren.422 Auch der Umfang des Schadensersatzanspruchs richtet sich grundsätzlich nach mitgliedstaatlichem Recht. In Anlehnung an die Manfredi-Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass der Anspruch sowohl den positiven Schaden (damnum emergens) als auch den entgangenen Gewinn (lucrum cessans) umfassen muss.423 Eine Verpflichtung zum Ersatz eines Strafschadensersatzes (punitive bzw. exemplary dama415   EuGH, Rs. 36/74 (Walrave) Rn. 34; Rs. C‑415/93 (Bosman) Rn. 81, 96; Rs. C‑438/05 (Viking) Rn. 66. 416   Im Ergebnis auch Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, 1987, S. 258 f.; Schroeder, Sport und Europäische Integration, 1989, S. 149; Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, S. 203 ff.; Förster, Die unmittelbare Drittwirkung, 2007, S. 212; Reich, CMLR 2007, 705, 709; W.‑H. Roth, in: FS Medicus, 2009, 393, 421; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 249 ff. A. A. Hauschka, DB 1990, 873, 875 f. Zur unionsrechtlich aufgeladenen Schutzzwecktheorie bereits supra, § 3 E.VI. 417   Zum parallel gelagerten Problem bei Kartellverstößen vgl. infra, § 7 C.VI. 418   Für eine Übertragung des Erfordernisses eines „qualifizierten Verstoßes“ auf sämtliche privatrechtliche Schadensersatzansprüche im Bürger/Bürger-Verhältnis bei Verletzung europäischen Rechts Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 308 f. 419   Reich, EuZW 2010, 455 f. 420   G. Wagner, AcP 214 (2014), 602, 604 f. Ähnlich Hartkamp, in: Hartkamp/Hesselink/Hondius/ Mak/du Perron (Hrsg.), Towards a European Civil Code, 2011, S. 127, 137. Bernitz/Reich, CMLR 2011, 603, 617 f., lehnen es ebenfalls ab, den Maßstab des qualifizierten Verstoßes auf die Haftung Privater zu übertragen, fordern jedoch stattdessen, dass der Verstoß „sufficiently clear“ ist. 421   Zum parallel gelagerten Problem bei Kartellverstößen vgl. infra, § 7 C.VI.; a. A. G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 420 f.; Gebauer/Wiedmann/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 2 Rn. 78. 422  Ähnlich Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, S. 206. 423   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 95 f.

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§ 6  Grundfreiheiten

ges) besteht nach dem Äquivalenzgrundsatz dagegen nur dann, wenn das nationale Recht einen solchen Schadensersatz für vergleichbare Verstöße gegen innerstaatliches Recht vorsieht.424 Im deutschen Recht wird selbst im Antidiskriminierungsrecht ein Strafschadensersatz abgelehnt.425 Anders ist die Rechtslage in Schweden. Das schwedische Arbeitsgericht gewährte daher in seiner Laval-Folgeentscheidung dem betroffenen Unternehmen examplary damages i. H. v. 550.000 SEK (ca. 60.000 Euro). Die Zuerkennung dieser Schadensposition beruhte dabei auf der Erwägung, dass ein Strafschadensersatz nach schwedischem Recht grundsätzlich anerkannt ist und die Gerichte in der Vergangenheit bei Verstößen gegen europäisches Antidiskriminierungsrecht ebenfalls exemplary damages gewährt hatten.426 4. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche Rechtliche Beschränkungen werden ipso iure durch die Nichtigkeitsfolge beseitigt. Bei tatsächlichen Beschränkungen – etwa durch Gewaltaktionen,427 Straßenblockaden,428 Boykottaufrufen429 oder gewerkschaftlich organisierten Arbeitskampfmaßnahmen430 – kann dem Betroffenen dagegen nur geholfen werden, wenn die faktische Behinderung beseitigt und ihre erneute Errichtung verhindert wird. Da die Grundfreiheiten ein Abwehrrecht vermitteln, das auf Unterlassung diskriminierender und beschränkender Maßnahmen gerichtet ist, müssen derartige Ansprüche im nationalen Recht vorgesehen werden. Geht man davon aus, dass die Grundfreiheiten als Schutzgesetze zu betrachten sind, so können Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche auf §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB gestützt werden.431 Der drohende bzw. gegenwärtige Eingriff muss dabei nur objektiv widerrechtlich, nicht aber verschuldet sein.432 Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche können sich im Übrigen aus den Vorschriften über den unlauteren Wettbewerb ergeben, nach deutschem Recht also aus §§ 3, 3a, 8 UWG.433 In besonders gelagerten Fällen können die Grundfreiheiten einem Unterlassungsanspruch auch entgegenstehen, insbesondere dann, wenn dieser auf eine grundfreiheitsbeschränkende Vereinbarung gestützt wird. Diese Konstellation lag dem Fall Dansk Supermarked zugrunde. Hier führte der EuGH aus, dass eine Vereinbarung, mit der die Einfuhr einer Ware in einem Mitgliedstaat verboten wird, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden ist, nicht geltend gemacht oder berücksichtigt werden kann, um den Absatz dieser Ware als eine unzulässige oder unlautere Handelspraxis zu qualifizieren.434 424

  EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 93.  Siehe infra, § 9 C.III.2.  Vgl. Bernitz/Reich, CMLR 2011, 603, 610 (mit Fn. 29). 427   Vgl. EuGH, Rs. C‑265/65 (Kommission/Frankreich – „Französische Bauernproteste“). 428   Vgl. EuGH, Rs. C‑112/00 (Schmidberger). 429   Vgl. EuGH, Rs. 249/81 (Kommission/Irland – „Buy Irish“). 430   Vgl. EuGH, Rs. C‑341/05 (Laval); Rs. C‑438/05 (Viking). 431   Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, 1987, S. 259 f.; Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, S. 209; Förster, Die unmittelbare Drittwirkung, 2007, S. 211. Ähnlich Fischer, EuZW 2009, 208, der einen Anspruch auf Abwehr gegen drohende Diskriminierungen jedoch unmittelbar aus den Grundfreiheiten herleiten möchte. 432   Vgl. BGHZ 3, 270; BGHZ 30, 7; BGH, NJW 1958, 1043. 433   Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 254 ff. 434   EuGH, Rs. 58/80 (Dansk Supermarked) Rn. 17. 425 426

F. Ergebnis

521

5. Kontrahierungszwang? Schließlich stellt sich die Frage, ob die Grundfreiheiten einen Kontrahierungszwang begründen, so etwa, wenn einem Ausländer die Teilnahme an einer Ausschreibung oder der Abschluss eines Vertrags aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seiner Ansässigkeit im Ausland verweigert wird.435 Gegen einen Kontrahierungszwang spricht zunächst der Umstand, dass der Gerichtshof für die Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 (jetzt RL 2006/54) hervorgehoben hat, dass Arbeitgeber nicht verpflichtet sind, diskriminierend abgelehnte Bewerber einzustellen.436 Ein Kontrahierungszwang ist davon abgesehen nicht erforderlich, um die praktische Wirksamkeit der Grundfreiheiten zu sichern. Zum einen sind Schadensersatzansprüche hinreichend effektiv, um etwaige materielle Nachteile des Geschädigten auszugleichen. Zum anderen besteht für den benachteiligten Dritten regelmäßig eine Ausweichmöglichkeit, so dass der Diskriminierte nicht auf einen Vertragsschluss angewiesen ist. Gegen einen Kontrahierungszwang spricht schließlich, dass auch bei den Rechtsfolgen eine Abwägung zwischen der beeinträchtigten Grundfreiheit der einen Partei und den kollidierenden Grundrechten der anderen Partei vorgenommen werden muss.437 Zu diesen Grundrechten zählt insbesondere die Privatautonomie, die bei Annahme eines Kontrahierungszwangs in unverhältnismäßiger Weise beschränkt werden würde. Ein Kontrahierungszwang kann sich daher nur ganz ausnahmsweise aus dem Unionsrecht ergeben, so insbesondere, wenn zugleich ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV vorliegt.438

F. Ergebnis Die Grundfreiheiten lassen sich unter Zugrundelegung einer subjektiv-rechtlichen Perspektive als transnationale Wirtschaftsrechte verstehen, die als Marktzutritts- und Marktaustrittsrechte einen Zugang zu den mitgliedstaatlichen Märkten gewährleisten sollen. Der EuGH zieht das Marktzugangskriterium in seiner jüngeren Judikatur nunmehr bei sämtlichen Grundfreiheiten heran, um den Schutzbereich der Grundfreiheiten zu konkretisieren.439 Die Grundfreiheiten wenden sich dabei nicht nur gegen diskriminierende Maßnahmen, sondern zudem gegen spezifische Hemmnisse des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs, ohne dass es darauf ankäme, ob die nachteiligen Folgen „in erster Linie“, „im Wesentlichen“ oder „in der großen Mehrzahl der Fälle“ EU‑Ausländer oder ausländische Produkte treffen.440 435   Für einen Kontrahierungszwang Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395, 429 (zu eng gefassten Ausnahmen, 412 ff.); Fabis, Die Auswirkungen der Freizügigkeit, 1995, S. 193 ff. (für Fälle der Ermessenreduzierung). Gegen einen Kontrahierungszwang Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, S. 210; Förster, Die unmittelbare Drittwirkung, 2007, S. 210 f. Für Art. 18 AEUV einen Kontrahierungszwang ablehnend G/H/N/v. Bogdandy, 58. EL, 2016, Art. 18 AEUV Rn. 28; Herresthal, in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 177, 205 f. 436   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson & Kamann) Rn. 19; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 19; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 24. Hierzu infra, § 9 C.IV.1. 437   Zu dieser Abwägung bereits supra, § 6 IV.3. 438  Ausführlich infra, § 7 D.II.2.a. 439  Vgl. supra, § 6 C.II. 440  Vgl. supra, § 6 C.III.

522

§ 6  Grundfreiheiten

Die Formel vom Marktzugang wirft die Frage auf, wie dieses unbestimmte Kriterium in tatbestandlicher Hinsicht näher eingegrenzt werden kann. Der EuGH hat bislang keine brauchbaren Definitionen entwickelt. In der Rechtsprechung wird der betroffene Markt weder in räumlicher, sachlicher und zeitlicher Dimension abgegrenzt, noch werden eindeutige Kriterien genannt, anhand derer der Schutzbereich der Grundfreiheiten bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen, die unterhalb der Schwelle einer absoluten Marktzugangsschranke liegen, konkretisiert werden kann. Immerhin kann der Judikatur des EuGH aber entnommen werden, dass nichtdiskriminierende Beschränkungen dann an den Grundfreiheiten zu messen sind, wenn sie den Marktzugang „erheblich“ bzw. „ernsthaft“ behindern. Der Gerichtshof legt damit unausgesprochen einen Spürbarkeitstest zugrunde.441 Diesen Ansatz gilt es fortzuentwickeln:442 Für die produktbezogenen Grundfreiheiten empfiehlt sich ein quantitativer Spürbarkeitstest, mit dessen Hilfe das tatsächliche Ausmaß der Marktzugangsbeschränkung anhand empirischer Daten oder Erfahrungswerte gemessen wird. Bei den personenbezogenen Grundfreiheiten ist demgegenüber nicht nur nach der Intensität der zugangsbeschränkenden Maßnahme, sondern zugleich danach zu fragen, ob die betreffende Maßnahme in einen von den Personenverkehrsfreiheiten geschützten Kernbereich eingreift. Entsprechendes gilt für Beschränkungen der Ausfuhr und des Wegzugs, also für Marktaustrittsrechte.443 Die Grundfreiheiten generieren nicht nur objektives Recht, sondern einklagbare subjektiv-öffentliche Rechte, die der Einzelne gegenüber einem Mitgliedstaat geltend machen kann. Dazu zählen Abwehrrechte, Teilhaberechte, Rechte auf hoheitliche Schutzgewähr sowie korrespondierende Sekundäransprüche, die bei einem Verstoß gegen die Grundfreiheiten ausgelöst werden können, so insbesondere Staatshaftungsund Bereicherungsansprüche.444 Die Grundfreiheiten begründen darüber hinaus subjektiv-private Rechte. Angesichts der neueren Rechtsprechung des EuGH ist davon auszugehen, dass nicht nur die Personenverkehrsfreiheiten, sondern auch die Produktverkehrsfreiheiten eine horizontale Direktwirkung entfalten.445 Korrespondierend hierzu verleihen sie dem Einzelnen, der in der Ausübung seiner Grundfreiheiten durch Private beschränkt wird, Rechte, die von den mitgliedstaatlichen Gerichten zu schützen sind. Die im Schrifttum vorgetragenen Einwände gegen das Konzept der horizontalen Direktwirkung sowie die Argumente für eine nur mittelbare Drittwirkung vermögen nicht zu überzeugen. Die horizontale Direktwirkung steht in Einklang mit den Wertungen des Wettbewerbsrechts, wenn man – wie hier vertreten – auch bei Handeln Privater einen Spürbarkeitstest zugrunde legt.446 Sie führt auch nicht zu unverhältnismäßigen Eingriffen in die Privatautonomie, da individuelle Auswahlpräferenzen und rechtsgeschäftliche Vereinbarungen in der Regel mangels spürbaren Eingriffs in den Binnenmarkt nicht der Grundfreiheitenkontrolle unterliegen. Abgesehen davon können gegensätzliche Interessen – also die Marktzugangsrechte der einen Partei und kolli-

441

 Vgl. supra, § 6 C.IV.3.c.  Vgl. supra, § 6 C.IV.3.d.  Vgl. supra, § 6 C.V. 444  Vgl. supra, § 6 D.I. 445  Vgl. supra, § 6 E.II. 446  Vgl. supra, §  6 E.III.2. – 3. 442 443

F. Ergebnis

523

dierende Grundrechte der anderen Partei – abgewogen werden.447 Vorzugswürdig ist die horizontale Direktwirkung schließlich deswegen, weil dieses Konzept im Unterschied zur bloß mittelbaren Drittwirkung sicherstellen kann, dass den Grundfreiheiten im Privatrechtsverkehr in allen Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit Rechnung getragen wird.448 Geht man mit dem EuGH davon aus, dass die Grundfreiheiten unmittelbar zwischen Privaten wirken, so sind rechtsgeschäftliche Klauseln, die gegen die Grundfreiheiten verstoßen, gem. § 134 BGB nichtig.449 Ein Verstoß Privater gegen die Grundfreiheiten begründet zudem Schadensersatzansprüche gem. § 823 Abs. 2 BGB sowie Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gem. § 1004 BGB und ggf. § 8 UWG.450 Ein Kontrahierungszwang ist demgegenüber abzulehnen.451

447

 Vgl. supra, § 6 E.IV.3.  Vgl. supra, §  6 E.IV.4. – 5. 449  Vgl. supra, § 6 E.V.2. 450  Vgl. supra, §  6 E.V.3. – 4. 451  Vgl. supra, § 6 E.V.5. 448

§ 7  Kartellrecht Mit der im Jahre 1999 durch das Weißbuch der Kommission1 eingeleiteten Reform des europäischen Kartellrechts und der Courage-Entscheidung des EuGH2 hat sich im Europäischen Wettbewerbsrecht ein Paradigmenwechsel vollzogen. Seit Inkrafttreten der Verordnung 1/2003 unterliegen wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht mehr einer ex ante Kontrolle seitens der Kommission. Die Durchsetzung soll vielmehr dezentral und ex post durch die nationalen Wettbewerbsbehörden und zudem durch private Klagen vor den Zivilgerichten erfolgen. Der EuGH hat parallel hierzu die Rechte von Kartellgeschädigten gestärkt, indem er im Jahre 2001 im Fall Courage erstmals anerkannte, dass die praktische Wirksamkeit (effet utile) des Art. 101 AEUV nur dann gewährleistet ist, wenn Opfer eines Kartellverstoßes Schadensersatz verlangen können. In den Folgejahren konkretisierte der Gerichtshof sodann in Manfredi3 und weiteren Entscheidungen4 die unionsrechtlichen Anforderungen an die nationale Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen bei Verstößen gegen das europäische Kartellrecht. Diese Entwicklung wurde flankiert durch die Pläne der Kommission, der privaten Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in Europa stärkeren Nachdruck zu verleihen als dies bislang der Fall war. Nachdem die Kommission zunächst ein Grünbuch (2005)5 und später ein Weißbuch (2008)6 veröffentlichte, wurde im November 2014 nach neun Jahren Beratungszeit die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 verabschiedet, die bis zum 27. Dezember 2016 in innerstaatliches Recht umzusetzen ist. Daneben sind in vielen Mitgliedstaaten Reformen in Kraft getreten, mit denen die Rechte Kartellgeschädigter verbessert werden sollen.7 In Deutschland hat der Gesetzgeber mit der im Jahre 2005 in Kraft getretenen 7. GWB-Novelle versucht, die zivilrechtlichen Ansprüche bei Kartellverstößen den europäischen Vorgaben anzupassen. Mit der 8. GWB-Novelle (2013) sollte zudem die kollektive Durchsetzung des Kartellrechts durch Wirtschafts- und Verbraucherverbände gestärkt werden. 1   Weißbuch der Europäischen Kommission über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG‑Vertrag, ABl. 1999 C 132/1. 2   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage). 3   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.). 4   EuGH, Rs. C‑360/09 (Pfleiderer); Rs. C‑199/11 (Otis u. a.); Rs. C‑536/11 (Donau Chemie u. a.); Rs. C‑557/12 (Kone u. a.). 5   Grünbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2005) 672 endg. 6   Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2008) 165 endg. 7  Für Frankreich und das Vereinigte Königreich vgl. infra, § 7 C.X.1. Für Österreich siehe Koffler-Senoner/Siebert, EuZW 2012, 650 ff.; für Polen Motyka-Mojkowski, EuZW 2012, 817 ff.; für Ungarn Csongor István, WuW 2010, 902 ff. Vgl. ferner Bulst, Stichwort „Kartellrecht, private Durchsetzung“, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. I, 2009, S. 946, 947.

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§ 7  Kartellrecht

Der im Kartellrecht eingetretene Paradigmenwechsel ist nicht nur für das europäische und nationale Kartellrecht, sondern zugleich für die Dogmatik subjektiver Unionsrechte von grundlegender Bedeutung. Die vom Gerichtshof getroffenen Aussagen leisten einen wichtigen Beitrag zur Herausbildung eines unionsrechtlichen Haftungsrechts. Der vom EuGH im Wege der Rechtsfortbildung aus dem effet utile hergeleitete Schadensersatzanspruch könnte vom Grundsatz her auch außerhalb des Kartellrechts für alle Situationen Geltung beanspruchen, in denen individualschützende Vorschriften des Unionsrechts durch Private verletzt werden. Die sowohl vom Gerichtshof als auch vom Unionsgesetzgeber favorisierte private Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften entfaltet zugleich eine Ausstrahlungswirkung auf andere Rechtsgebiete, die wie das Wettbewerbsrecht infolge unionsrechtlicher oder nationaler Vorgaben durch eine Gemengelage von öffentlich-rechtlicher und privater Durchsetzung charakterisiert werden. Vor diesem Hintergrund sind die Zivilrechtsfolgen, die sich bei einem Verstoß gegen die Art. 101, 102 AEUV ergeben, einer genaueren Analyse zu unterziehen. Dazu zählen die Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen und hieran anknüpfende Rechtsfolgen (B.), Schadensersatzansprüche (C.) sowie Ansprüche auf negatorischen Rechtsschutz in Gestalt von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen (D.). Speziell für die vom EuGH aus dem Primärrecht entwickelten Schadensersatzansprüche wird schließlich zu fragen sein, welche Schlüsse für die Dogmatik subjektiver Unionsrechte im Allgemeinen und das europäische Haftungsrecht im Besonderen zu ziehen sind (E.). Zuvor gilt es indessen, die eingangs grob skizzierten Entwicklungslinien in ihren wesentlichen Zügen nachzuzeichnen (A.).

A. Grundstrukturen und Entwicklungslinien I. Zweispuriges Sanktionssystem Die Durchsetzung des in Art. 101, 102 AEUV verankerten Kartell- und Missbrauchsverbots wird über ein zweispuriges Sanktionsregime gewährleistet, das einerseits auf der kartellbehördlichen Aufsicht und andererseits auf der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche beruht. 1. Kartellbehördliche Aufsicht Verstöße gegen das europäische Kartellrecht werden in administrativer Hinsicht sowohl von der Europäischen Kommission als auch von den nationalen Wettbewerbsbehörden geahndet. Der Kommission stehen umfangreiche Ermittlungsbefugnisse und Sanktionsmittel zur Verfügung, die in der VO 1/2003 festgelegt sind. Neben zwangsgeldbewehrten Abstellungsverfügungen, Entscheidungen über Verpflichtungszusagen und einstweiligen Maßnahmen können bei einem Verstoß gegen die Art. 101, 102 AEUV insbesondere Geldbußen verhängt werden, die gerade in den letzten Jahren Rekordhöhen erreicht haben.8 8  Im Autoglas-Kartell verhängte die Kommission eine Gesamtgeldbuße i. H. v. 1,383 Mrd. Euro und gleichzeitig die bis dahin höchste Geldbuße gegen ein Unternehmen überhaupt i. H. v. 896 Mio Euro; Kommission, Entsch. v. 12.11.2008, COMP/39.125. Im Bildröhren-Kartell wurden Bußgelder in Höhe von insg. 1,47 Mrd. Euro festgesetzt; Kommission, Beschl. v. 5.12.2012, COMP/39.437.

A. Grundstrukturen und Entwicklungslinien

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Auch die nationalen Wettbewerbsbehörden spielen bei der Durchsetzung des Europäischen Wettbewerbsrechts eine wichtige Rolle. Von den rund 780 Fällen, in denen die EU‑Wettbewerbsvorschriften in der Zeit vom 1. Mai 2004 bis 31. Dezember 2013 zur Anwendung gelangten, wurden 665 Fälle nicht von der Kommission, sondern von den nationalen Wettbewerbsbehörden geprüft.9 Zwar sind die Ermittlungs‑, Entscheidungs- und Sanktionsbefugnisse der nationalen Wettbewerbsbehörden noch nicht harmonisiert worden.10 Sie unterliegen daher grundsätzlich dem nationalen Recht. Viele Mitgliedstaaten haben jedoch ihre Verfahren, wenngleich in unterschiedlichem Maße, freiwillig den Verfahrensvorschriften der VO 1/2003 angepasst.11 Der EuGH hat in der Rechtssache Schenker12 zudem die Forderung aufgestellt, dass Sanktionen, die nationale Kartellbehörden in dezentraler Anwendung der Art. 101, 102 AEUV verhängen, nicht weniger scharf ausfallen dürfen als Sanktionen, die in diesen Fällen von der Europäischen Kommission verhängt würden.13 In dieselbe Richtung gehen Überlegungen der Kommission zur Harmonisierung des nationalen Kartellverfahrens.14 Kriminalstrafrechtliche Sanktionen sieht das Unionsrecht demgegenüber nicht vor,15 wenngleich die Einführung derartiger Sanktionen vereinzelt gefordert wird,16 und auch einige Mitgliedstaaten auf den Einsatz strafrechtlicher Mittel setzen.17

Im Jahr darauf wurde im LIBOR- und EURIBOR-Kartell mit einem Bußgeld von 1,71 Mrd. Euro der Rekord für die höchste jemals in einer Einzelentscheidung festgesetzte Bußgeldsumme nochmals übertroffen; Kommission, Beschl. v. 4.12.2013, COMP/39861 und COMP/39914. Überblick zur Entwicklung der Geldbußen in den letzten Jahren bei Weitbrecht/Mühle, EuZW 2014, 209 ff.; dies., EuZW 2015, 166 ff.; dies., EuZW 2016, 172 ff.  9   Mitteilung der Kommission, Zehn Jahre Kartellrechtsdurchsetzung auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Ergebnisse und Ausblick, COM (2014) 453 final, S. 4 f. (Nr. 8). 10   Art. 5 VO 1/2003 hebt nur hervor, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden Entscheidungen erlassen können, mit denen (i) die Abstellung von Zuwiderhandlungen angeordnet wird, (ii) einstweilige Maßnahmen angeordnet werden, (iii)  Verpflichtungszusagen angenommen werden oder (iv) Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige im innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktionen verhängt werden. 11   Mitteilung der Kommission, Zehn Jahre Kartellrechtsdurchsetzung auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Ergebnisse und Ausblick, COM (2014) 453 final, S. 10 f. (Nr. 31). 12   EuGH, Rs. C‑681/11 (Schenker & Co. u. a.) Rn. 36 (zur Frage, ob die Verhängung von Geldbußen von subjektiven Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf). 13   Der EuGH entfernt sich damit vom Grundsatz (vgl. supra, § 4 A.V.3.), dass nationales Recht nicht am Gebot einheitlicher Wirksamkeit, sondern nur am Effektivitätsgebot zu messen ist. Aus diesem Grunde kritisch Völcker, CMLR 2014, 1497, 1515 ff. 14   Vgl. Mitteilung der Kommission „Zehn Jahre Kartellrechtsdurchsetzung“, COM (2014) 453 final, S. 9 und S. 14 (Nr. 25 und Nr. 46). Ferner: Commission Staff Working Document, Enhancing competition enforcement by the Member States’ competition authorities: institutional and procedural issues, SWD (2014) 231/2. 15   Ob eine diesbezügliche Gesetzgebungskompetenz der Union bestünde, ist umstritten; dagegen Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 22 Rn. 10; dafür Wils, Principles of European Antitrust Enforcement, 2005, S. 24 (Fn. 132) mit Hinweis auf EuGH, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“). 16   So etwa von Alfaro Águila Real, InDret 3/2009, 29; Wils, ECLA 2001, 411 ff.; zur Diskussion in Deutschland Kohlhoff, Kartellstrafrecht und Kollektivstrafe, 2003; vgl. ferner OECD, Cartels: Sanctions against Individuals, DAF/COMP (2004)39. 17  In Frankreich kann der schuldhafte Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften mit vier Jahren Freiheitsentzug und einer Geldstrafe i. H. v. maximal 75.000 Euro geahndet werden; Art. L 420‑6 Code de Commerce. Im Vereinigten Königreich wurden im Jahre 2002 kriminalstrafrechtliche Sanktionen für hardcore-Kartelle eingeführt; sec. 188 Enterprise Act 2002.

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§ 7  Kartellrecht

2. Zivilrechtliche Sanktionen Ein Verstoß gegen die Kartellvorschriften kann darüber hinaus auf privatrechtlichem Wege geahndet werden. Das Unionsrecht regelt die zivilrechtlichen Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das EU‑Kartellrecht nur unvollständig. Im geschriebenen Primärrecht findet sich lediglich in Art. 101 Abs. 2 AEUV die Anordnung der Nichtigkeit von Vereinbarungen oder Beschlüssen, die nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verboten sind. Der AEUV behandelt mit anderen Worten nur die defensive Durchsetzung des Kartellverbots in Form einer Einwendung, die vertraglichen Ansprüchen entgegengehalten werden kann. Die offensive Durchsetzung, etwa in Form von Bereicherungs‑, Unterlassungs- oder Belieferungsansprüchen, wird demgegenüber im geschriebenen Primärrecht ebenso wenig geregelt wie Ansprüche auf Schadensersatz. Lange Zeit herrschte daher die Ansicht vor, dass sich die Ausgestaltung dieser Ansprüche allein nach nationalem Recht richtet.18 Erst seit der Courage-Entscheidung steht fest, dass die durch ein wettbewerbswidriges Verhalten Betroffenen nach dem Unionsrecht Schadensersatz verlangen können müssen. Die neue Kartellschadensersatz-RL 2014/104 kodifiziert und konkretisiert diese Rechtsprechung.19 Um die Wirksamkeit von Schadensersatzklagen in ganz Europa zu verstärken, werden einheitliche Standards bezüglich des Haftungssystems, der Schadensschätzung, der passing on defence, der Verjährung sowie der Offenlegung von Beweismitteln eingeführt. Daneben möchte die Richtlinie aber auch dazu beitragen, die private Durchsetzung von Schadensersatzklagen besser mit der behördlichen Durchsetzung zu koordinieren. 3. Verhältnis zwischen verwaltungs- und zivilrechtlichen Sanktionen Verwaltungsrechtliche und zivilrechtliche Sanktionen ergänzen sich: Während die Kommission und die nationalen Kartellbehörden im öffentlichen Interesse handeln, über einen Ermessensspielraum verfügen und bei ihrer Tätigkeit zur Durchsetzung der Wettbewerbsregeln Prioritäten setzen müssen, obliegt den einzelstaatlichen Gerichten die Aufgabe, in den Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten die sich aus Art. 101, 102 AEUV ergebenden subjektiven Rechte zu wahren.20 Die mitgliedstaatlichen Gerichte können über die Gültigkeit oder Nichtigkeit von Verträgen befinden, und nur sie können bei einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 101, 102 AEUV über Bereicherungs‑, Belieferungs- oder Schadensersatzansprüche entscheiden. Verwaltungsrechtliche und zivilrechtliche Sanktionsmittel können nebeneinander und grundsätzlich unabhängig voneinander zur Anwendung gelangen.21 Eine 18   Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, 1974, S. 567 ff.; Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 1997, § 17 Rn. 148 f.; Baur, EuR 1988, 257, 260.; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, EG‑Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, Art. 85 Abs. 2 Rn. 73 ff. 19  Näher infra, § 7 A.III.2.b. und § 7 C. 20   EuG, Rs. T‑24/90 (Automec II) Rn. 85; ErwGr (7) VO 1/2003; Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG‑Vertrag, ABl. 2004 C 101/65, Rn. 8, 27 f.; Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU‑Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101/54, Rn. 4. Kritisch zu diesem Erklärungsansatz Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 12 ff. 21   EuGH, Rs. 48/72 (Brasserie de Haecht  II) Rn. 3 ff.; Rs. 127/73 (BRT I) Rn. 18 ff.; Rs. 37/79 (Marty/Estée Lauder) Rn. 13 f.

A. Grundstrukturen und Entwicklungslinien

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mehrfache Sanktionierung, etwa durch Geldbuße und Schadensersatz, ist zulässig, solange der Schadensersatz in erster Linie dem Ausgleich und nicht der Bestrafung dient. Enthält der Schadensersatzanspruch nach nationalem Recht ausnahmsweise pönale Elemente,22 sind indessen das Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem) sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.23 Soweit das wettbewerbswidrig handelnde Unternehmen bereits pönale Schadensersatzleistungen leisten musste, sind diese bei Bemessung der Höhe der Geldbuße mindernd zu berücksichtigen.24 Ein besonderer Abstimmungsbedarf zwischen der öffentlichen und der privaten Rechtsdurchsetzung besteht beim Zugang Einzelner zu Informationen, die Wettbewerbsbehörden im Rahmen ihrer Tätigkeit zusammentragen, sowie bei der Frage einer möglichen Privilegierung von Kronzeugen. Die KartellschadensersatzRL 2014/104 trifft daher besondere Vorkehrungen, um beide Formen der Durchsetzung aufeinander abzustimmen.25 Um die öffentliche Durchsetzung des EU‑Wettbewerbsrechts nicht durch wettbewerbsrechtliche Schadensersatzklagen zu gefährden, werden Kronzeugen sowohl in der gesamtschuldnerischen Außenhaftung als auch im Binnenausgleich zwischen Gesamtschuldnern privilegiert.26 Darüber hinaus wird eine Offenlegung bzw. Verwertung von Kronzeugenerklärungen im privaten Schadensersatzprozess ausgeschlossen.27 4. Wechselwirkungen zwischen zentralem und dezentralem Rechtsschutz Die unterschiedliche Aufgabenverteilung der Wettbewerbsbehörden einerseits und der nationalen Zivilgerichte andererseits spiegelt sich auch im Verhältnis zwischen zentralem und dezentralem Rechtsschutz wieder. Konkurrenten und sonstige Dritte, die ein Interesse daran haben, sich gegen wettbewerbsbeschränkende Praktiken auf verwaltungsrechtlichem Wege zur Wehr zu setzen, können zwar nach Art. 7 Abs. 2 VO 1/2003 bei der Kommission eine Beschwerde mit dem Ziel erheben, dass die Kommission die beteiligten Unternehmen dazu verpflichtet, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen.28 Beschwerdebefugt sind dabei nicht nur konkurrierende 22  Hierzu infra, § 7 C.V.1.a. Nach Art. 3 Abs. 3 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 dürfen die Mitgliedstaaten demgegenüber keinen Strafschadensersatz mehr vorsehen. 23   Dazu bereits supra, § 4 C.III.4.a. und C.IV.3.a. Zur Bedeutung des Grundsatzes ne bis in idem im Kartellrecht vgl. allgemein EuGH, Rs. 14/68 (Walt Wilhelm) Rn. 11; EuG, Rs. T‑59/02 (Archer Daniels Midland) Rn. 99. 24   Weller, ZWeR 2008, 170, 183, mit Verweis auf EuG, verb. Rs. T‑236 & 239/01, T‑244 – 246/01, T‑251 – 252/01 (Tokai Carbon u. a.) Rn. 325, 348. Nach dieser Entscheidung sind lediglich Schadensersatzleistungen des Kartellanten, die dieser außerhalb der EU leistet, nicht anzurechnen. Ob umgekehrt bereits verhängte Geldbußen mindernd auf Schadensersatzleistungen anzurechnen sind oder (so Weller, a. a. O., 186 ff.) dem Kartellanten ein Rückerstattungsanspruch gegen die Kommission zusteht, ist dagegen ungeklärt. 25   Vgl. ErwGr (6) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 26  Näher infra, § 7 C.IV.3. 27  Näher infra, § 7 C.IX.2. 28   Der Beschwerdeführer kann bei völliger oder teilweiser Ablehnung seines Antrags Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) erheben; EuGH, Rs. 26/76 (Metro I) Rn. 13; EuG, Rs. T‑37/92 (BEUC) Rn. 36; EuG, Rs. T‑114/92 (BEMIM) Rn. 27. Reagiert die Kommission nicht auf seine Beschwerde, kann der Beschwerdeführer im Rahmen der Untätigkeitsklage (Art. 265 AEUV) geltend machen, dass die Kommission ihrer Verpflichtung zur Bescheidung nicht nachgekommen ist; EuG, Rs. T‑28/90 (Asia Motor France) Rn. 29.

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§ 7  Kartellrecht

Unternehmen, sondern auch Unternehmens- und Verbraucherverbände.29 Selbst Endabnehmer bzw. Verbraucher sind beschwerdebefugt, sofern sie darlegen können, dass sie durch die fragliche Wettbewerbsbeschränkung in ihren wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt wurden oder beeinträchtigt sein können.30 Art. 7 Abs. 2 VO 1/2003 räumt dem Beschwerdeführer aber nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, nicht jedoch einen Anspruch auf ein konkretes Tätigwerden der Kommission ein.31 Die Kommission ist befugt, den ihr vorgetragenen Beschwerden unterschiedliche Priorität einzuräumen, wobei sie in diesem Rahmen auf das Unionsinteresse abstellen kann.32 Die Kommission kann eine Beschwerde mithin abweisen, wenn sie zu der Auffassung gelangt, dass kein ausreichendes Unionsinteresse besteht, das eine Weiterverfolgung des Falls rechtfertigt. Zur Beurteilung des Unionsinteresses kann die Kommission verschiedene Kriterien anlegen.33 Dauer und Gewicht der beanstandeten Zuwiderhandlung können ebenso von Bedeutung sein wie das Verhältnis von Bedeutung des beanstandeten Verhaltens für das Funktionieren des Binnenmarkts zur Wahrscheinlichkeit des Nachweises der Zuwiderhandlung und zum Umfang der erforderlichen Ermittlungshandlungen. In seiner Entscheidung Automec II34 hat das EuG zudem erstmals klargestellt, dass die Kommission eine Beschwerde zurückweisen kann, wenn der Beschwerdeführer seine Rechte im Wege der Klage vor den einzelstaatlichen Gerichten geltend machen kann. Diese Befugnis der Kommission, das Unionsinteresse im Fall bestehender dezentraler Rechtsschutzmöglichkeiten zu verneinen, ist seitdem vom EuG mehrfach bestätigt35 und auch vom EuGH anerkannt worden.36 Auch die Kommission beruft sich in ihrer Beschwerde-Bekanntmachung auf diese Rechtsprechung.37 Zwar darf die Kommission das Unionsinteresse nur dann negieren, wenn die Rechte des Beschwerdeführers „in ausreichender Weise“ vor den nationalen Gerichten geschützt werden können. Der Beschwerdeführer darf auf den Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten insbesondere dann nicht verwiesen werden, wenn das zuständige nationale Gericht angesichts der Komplexität der Sache bei vernünftiger Betrachtung nicht in der Lage ist, die Tatsachen zu ermitteln, die für die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen die unmittelbar anwendbaren Art. 101, 102 AEUV erforderlich sind.38 Nach Auffassung des EuG muss der Beschwerdeführer jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür vorbringen, dass seine Rechte nicht in ausreichender Weise von den nationalen Gerichten gewahrt werden könnten.39 Die Beweislast dafür, dass vor den 29  Zur Beschwerdebefugnis von Unternehmensverbänden vgl. EuG, Rs. T‑114/92 (BEMIM) Rn. 28; zu Verbraucherverbänden EuG, Rs. T‑37/92 (BEUC) Rn. 36. 30   EuG, verb. Rs. T‑213 – 214/01 (Österreichische Postsparkasse) Rn.  114 – 119. 31   St. Rspr. seit EuGH, Rs. 125/78 (GEMA/Kommission) Rn. 18; EuG, Rs. T‑24/90 (Automec II) Rn. 75. 32   St. Rspr. seit EuG, Rs. T‑24/90 (Automec II) Rn. 85. 33   Vgl. die Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG‑Vertrag, ABl. 2004 C 101/65, Rn. 44. 34   EuG, Rs. T‑24/90 (Automec II) Rn.  87 – 96. 35   EuG, Rs. T‑114/92 (BEMIM/Kommission) Rn. 77 – 79; EuG, Rs. T‑575/93 (Koelman/Kommission) Rn.  75 – 80. 36   EuGH, Rs. 91/95 P (Tremblay II) Rn.  41 – 43. 37   Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG‑Vertrag, ABl. 2004 C 101/65, Rn. 44. 38   EuG, Rs. T‑5/93 (Tremblay I) Rn. 68. 39   EuG, Rs. T‑24/90 (Automec II) Rn. 94; EuG, Rs. T‑5/93 (Tremblay I) Rn. 74; EuG, Rs. T‑575/93 (Koelman) Rn. 79. Nach Shaw, ELRev. 1993, 427, 434, kann die Kommission das Unionsinteresse

A. Grundstrukturen und Entwicklungslinien

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einzelstaatlichen Gerichten kein ausreichender Rechtsschutz erlangt werden kann, liegt mit anderen Worten beim Beschwerdeführer.40 Die Beschwerde nach Art. 7 Abs. 2 VO 1/2003 – und korrespondierend hierzu auch die Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklage – gewährleistet daher keinen effektiven Individualrechtsschutz. Dieser kann allein durch eine zivilrechtliche Klage vor den einzelstaatlichen Gerichten realisiert werden.41

II. Praktische Bedeutung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung in Europa 1. Rückblick In der Vergangenheit spielte die zivilrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts in den europäischen Rechtsordnungen eine untergeordnete Rolle. Das Kartellrecht wurde in Europa traditionell als Wirtschaftsrecht verstanden; die Durchsetzung des Kartellrechts war damit eine Frage der Wirtschaftsaufsicht. Diejenigen Mitgliedstaaten der EU, die über eine etwas längere kartellrechtliche Tradition verfügen, verließen sich vor allem auf die Durchsetzung durch die Kartellbehörden.42 Dies ging einher mit einer nur sehr restriktiven Einräumung und Anerkennung zivilrechtlicher Ansprüche für die Betroffenen wettbewerbsbeschränkender Praktiken. Zwar kam eine von der Kommission in Auftrag gegebene Studie bereits im Jahre 1966 zu dem Ergebnis, dass die Rechtsordnungen aller (damals sechs) Mitgliedstaaten den Schadensersatzanspruch als möglichen Rechtsbehelf für Verletzungen des EG‑Kartellrechts vorsahen.43 Der Kommission waren bis zu diesem Zeitpunkt und auch in den späteren Jahren aber keine Fälle bekannt geworden, in denen Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Kartellrechtsvorschriften geltend gemacht worden wären.44 Dieser Befund änderte sich auch nicht in den folgenden Jahren. Eine von Temple Lang durchgeführte Untersuchung konstatierte, dass bis 1984 lediglich acht Zivilverfahren im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft bekannt geworden seien, in denen Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche geltend gemacht wurden.45 verneinen, sofern dezentraler Rechtsschutz prima facie möglich ist. Dem Beschwerdeführer obliege sodann der Nachweis, dass dieser im konkreten Fall nicht erreicht werden kann. 40  GA Edward vertrat demgegenüber in seinen SchlA zur Rs. T‑24/90 (Automec II) Rn. 116 die Auffassung, die Kommission dürfe nicht einfach die Ritualformel wiederholen, dass dezentraler Rechtsschutz zu erhalten sei. Vielmehr müsse sie sich ernsthaft mit der Frage beschäftigen, ob Rechtsschutz tatsächlich zu erhalten ist oder ob sie verpflichtet ist, von ihren eigenen Befugnissen Gebrauch zu machen; so auch Alford, Cornell Int’l L. J. 1994, 271, 293; Behrens, in: FS Everling, Bd. I, 1995, S. 83, 95. 41   Ein ähnliches Bild ergibt sich für das deutsche Recht. Der BGH bejaht einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, nicht aber einen Anspruch auf ein konkretes Tätigwerden der Kartellbehörden; BGH, Urt. v. 11.3.1997, WuW/E BGH 3113, 3114 (Rechtsschutz gegen Berufsordnung). 42   Für alle Gerber, in: Möller/Heinemann (Hrsg.), The Enforcement of Competition Law in Europe, 2007, S. 431 ff., 442 ff. 43   Europäische Kommission, Schadensersatzansprüche bei einer Verletzung der Artikel 85 und 86 des Vertrages zur Gründung der EWG, 1966. 44   Europäische Kommission, Antwort auf die schriftliche Anfrage Nr. 519/72 von Herrn Vrdeling, ABl. 1973 C 67/55, Rn. 2. 45   Temple Lang, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute, 1984, S. 219, 225.

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§ 7  Kartellrecht

Die im Jahre 2004 publizierte Ashurst-Studie46 zeichnete ein ähnliches Bild. Insgesamt seien, so das Ergebnis der Studie, in den 25 Mitgliedstaaten bisher nur 60 gerichtlich entschiedene Fälle bekannt geworden, in denen Schadensersatzansprüche geltend gemacht wurden. Hiervon seien jedoch nur in 18 Verfahren die europäischen Wettbewerbsregeln zur Anwendung gelangt und nur in rund der Hälfte der Verfahren ein Schadensersatz zugesprochen worden. Die Untersuchung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Schadensersatzklagen bei Verletzungen des EU‑Kartellrechts habe, so das vernichtende Resümee, erhebliche Unterschiede der Rechtsordnungen und eine „völlige Unterentwicklung“ im Bereich des kartellrechtlichen Schadensersatzes aufgezeigt.47 Wenngleich die Ashurst-Studie unter methodischen Gesichtspunkten zu Recht kritisiert wurde48 und insbesondere für Deutschland nicht pauschal von einer völligen Unterentwicklung der privaten Rechtsdurchsetzung gesprochen werden kann,49 besteht auf der anderen Seite kein Zweifel, dass sich die Anwendung der Wettbewerbsregeln durch die mitgliedstaatlichen Gerichte in der Vergangenheit im Wesentlichen auf den Nichtigkeitseinwand beschränkte. Die offensive Geltendmachung der Art. 101, 102 AEUV, insbesondere in Form von Schadensersatzklagen, blieb dagegen die Ausnahme.50 Dies bestätigte auch eine weitere, von der Kommission in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahre 2008.51 Im Untersuchungszeitraum Mai 2004 bis Herbst 2007 wurden in den 27 Mitgliedstaaten nur 96 Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU‑Wettbewerbsrechts ausfindig gemacht; in keinem einzigen Fall wurde rechtskräftig Schadensersatz zugesprochen. Die Untersuchung bezog sich allerdings nur auf Fälle, in denen ein Verstoß gegen EU Wettbewerbsrecht geltend gemacht wurde; Verfahren, in denen ausschließlich ein Verstoß gegen nationales Wettbewerbsrecht gerügt wurde, fanden keine Berücksichtigung. Die Kommission schätzte den in Europa nicht geltend gemachten bzw. nicht zugesprochenen Schadensersatz auf eine Größenordnung von 5,6 bis 23,3 Milliarden Euro pro Jahr.52 46

  Waelbroeck/Slater/Even-Shoshan, Study, 2004.   Ibid., 1: „The picture that emerges from the present study on damages for breach of competition law in the enlarged EU is one of astonishing diversity and total underdevelopment.“ 48   Bundeskartellamt, Diskussionspapier „Private Kartellrechtsdurchsetzung“, 2004, S. 5; Hodges, CMLR 2006, 1381, 1401 f.; Lübbig/le Bell, WRP 2006, 1209, 1210 f.; Ritter, WuW 2008, 762, 764 f. Kritisiert wird vor allem, dass nur Schadensersatzklagen betrachtet wurden, nicht dagegen Klagen auf Beseitigung und Unterlassung. Zudem habe man sich nur auf Hardcore-Kartelle konzentriert. Schließlich wird bemängelt, dass sich die Studie ausschließlich auf gerichtliche Entscheidungen stützt und Verfahren unberücksichtigt lässt, die im Vergleichswege oder Schiedsverfahren beendet wurden. 49  Vgl. Peyer, Myths and Untold Stories – Private Antitrust Enforcement in Germany, CCP Working Paper 10 – 12, July 2010. In der Studie wurden nicht nur Erhebungen des BKartA ausgewertet, sondern auch juristische Datenbanken (juris, beck-online und Gerichtsdatenbanken einiger Länder). Zu neueren statistischen Erhebungen des BKartA vgl. auch Böge/Ost, E.C.L.R. 2006, 197; Weidenbach/Saller, BB 2008, 1020, 1021. 50   Im Ergebnis wie hier Hempel, Privater Rechtsschutz im Kartellrecht, 2002, S. 80 ff., 144 ff.; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 589. 51   Renda et al., Making Antitrust Damages Actions More Effective in the EU, 2008, S. 39 f. 52   Vgl. den Folgenabschätzungsbericht der Kommission zum Vorschlag für eine Kartellschadensersatz-RL, SWD (2013) 203 final, Rn. 67, 102, und 172. Neuere Untersuchungen belegen demgegenüber, dass Schadensersatzklagen in Deutschland und einigen anderen Mitgliedstaaten (insb. in England, Frankreich und Italien) deutlich an praktischer Bedeutung gewonnen haben; vgl. Rodger, in: ders. (Hrsg.), Competition Law, Comparative Private Enforcement and Collective Redress Across the EU, 2014, S. 121 ff. 47

A. Grundstrukturen und Entwicklungslinien

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2. Vergleich mit dem US‑amerikanischen Kartellrecht Die Rechtslage in Europa unterscheidet sich deutlich vom US‑amerikanischen Kartellrecht, das seit jeher nicht allein auf einen administrativen Vollzug, sondern darüber hinaus auf das Eigeninteresse der Marktteilnehmer setzt. Um die 90 % aller Anti­ trust-Verfahren werden nicht von den Wettbewerbsbehörden eröffnet, sondern gehen auf die Initiative privater Kläger bzw. entsprechend spezialisierter Anwaltskanzleien zurück.53 Fragt man nach den Ursachen, so werden vor allem drei Faktoren genannt,54 die eine private Kartellrechtsdurchsetzung im US‑amerikanischen Kartellrecht für Geschädigte besonders attraktiv erscheinen lässt: (i) Während das Haftungsrecht in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen auf dem Prinzip der Schadenskompensation beruht,55 dient der Schadensersatz im US‑amerikanischen Kartellrecht auch der Prävention und Abschreckung. Seit Inkrafttreten des Sherman Antitrust Act im Jahre 1890 wird dem Geschädigten das Dreifache des erlittenen Schadens (treble damages) zugesprochen.56 Diese Verdreifachung gilt bis heute unverändert fort und ist nunmehr in Section 4 Clayton Act normiert. (ii) Zweitens erschweren die in den meisten europäischen Rechtsordnungen geltenden Prinzipien des Zivilverfahrensrechts, insbesondere der Beibringungsgrundsatz und die Regelungen zur Darlegungs- und Beweislast eine erfolgreiche Prozessführung des Klägers.57 Das US‑amerikanische Verfahrensrecht sieht demgegenüber mit der pre-trial discovery weitreichende Verpflichtungen zum Austausch von Beweismitteln zwischen den Parteien vor;58 Aufklärungsverlangen im Rahmen der pre-trial discovery können darüber hinaus auch an unbeteiligte Dritte gerichtet werden. (iii) Große Unterschiede bestehen auch im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes, der – zumindest für Schadensersatzklagen – in vielen Mitgliedstaaten noch wenig entwickelt ist.59 Durch die im US‑amerikanischen Prozessrecht verankerte class action kann der Schadensausgleich demgegenüber auch für nur geringfügig Geschädigte 53   Salop/White, (1985 – 1986) 74 Geo. L. J. 1001, 1003. Die statistischen Daten beruhen auf der Georgetown-Study, in der über 2350 Verfahren aus fünf Gerichtsbezirken in den Jahren 1973 – 1983 ausgewertet wurden. Der Anteil der Follow-on-Klagen überstieg in diesem Zeitraum nicht 24 %; Kauper/Snyder, (1985 – 1986) 74 Geo. L. J. 1163, 1221. Neuere, umfassende Statistiken zu privaten Antitrust-Klagen sind, soweit ersichtlich, nicht vorhanden. Lande/Davis, (2008) U. San Francisco Law Review, 879 ff., haben 40 Antitrust-Fälle ausgewertet, in denen seit 1990 mehr als 50 Mio. USD erstritten wurden. 54   Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878 ff. Für einen ausführlichen Vergleich der Rechtsdurchsetzung in den USA und der EU Brkan, World Competition 28 (2005), 479 ff.; Jones, Private Enforcement of Antitrust Law in the EU, UK and USA, 1999, S. 14 ff. 55   Magnus, in: ders. (Hrsg.), Unification of Tort Law: Damages, 2001, Rn. 2 und 17; Koziol, in: Koziol/Wilcox (Hrsg.), Punitive Damages: Common Law and Civil Law Perspectives, 2009, S. 275 ff. 56   Der Supreme Court hat die Abschreckungsfunktion der treble damages immer wieder betont; vgl. Brunswick Corp. v. Pueblo Bowl-O-Mat, Inc., 429 Supreme Court Reports (U. S.) 477, 485 f., 97 S.Ct. 690, 50 L. Ed. 2d 701 (1977); Perma-Life-Mufflers, Inc. v. International Parts Co., 392 U. S. 134, 139, 88 S.Ct. 1981, 20 L. Ed. 2d 982 (1968). 57   Odersky, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 699, 700; Wurmnest, in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch, 2004, S. 213, 226 ff. 58   In jüngerer Zeit hat der US Supreme Court die Voraussetzungen für den Beginn von discovery Maßnahmen erhöht. So stellte der Supreme Court z. B. in Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 2007 WL 141046 (U. S., May 21, 2007), klar, dass beobachtetes Parallelverfahren allein noch kein hinreichender Grund ist, um discovery Maßnahmen hinsichtlich der Kartellabsprache zuzulassen. 59  Vgl. infra, § 7 C.X.1.

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§ 7  Kartellrecht

erreicht werden, die sonst von einer individuellen Geltendmachung ihrer Ansprüche absehen würden. 3. Früheres Freistellungsmonopol der Kommission als Hindernis für die private Kartellrechtsdurchsetzung Als originär unionsrechtliches Hemmnis für die private Kartellrechtsdurchsetzung erwies sich schließlich das frühere Freistellungsmonopol der Kommission. Seit Verkündung der Verordnung Nr. 17 im Jahre 1962 wurde das europäische Wettbewerbsrecht durch ein zentralisiertes Anmelde- und Genehmigungssystem charakterisiert. Allein die Kommission war zuständig, über das Vorliegen der Freistellungsvoraussetzungen des heutigen Art. 101 Abs. 3 AEUV zu entscheiden. Die innerstaatlichen Wettbewerbsbehörden waren demgegenüber nach Art. 9 Abs. 3 VO 17/62 nur solange zur Anwendung des europäischen Kartellrechts befugt, wie die Kommission noch kein Verfahren eingeleitet hatte. Die nationalen Behörden wurden daher kaum tätig. Aufgrund des Freistellungsmonopols bestand auch für Private wenig Anreiz, die europäischen Kartellrechtsvorschriften gerichtlich durchzusetzen.60 Ein Freistellungsantrag führte nämlich nach der Delimitis-Rechtsprechung61 zur Aussetzung des Verfahrens, bis die Kommission entschieden hatte. Teilweise nahmen die Unternehmen das Genehmigungssystem sogar gezielt in Anspruch, um Verfahren vor den Zivilgerichten zu blockieren.62

III. Paradigmenwechsel im Europäischen Kartellrecht 1. Dezentralisierung der Kartellrechtsdurchsetzung durch die VO 1/2003 Mit der VO 1/2003 ist das bisherige Freistellungsmonopol der Kommission aufgehoben und Art. 101 AEUV für unmittelbar anwendbar erklärt worden.63 Art. 101 AEUV stellt damit systematisch ein Verbot mit Legalausnahme dar. Bedurfte es früher für eine Freistellung vom Kartellverbot eines gestaltenden Verwaltungsaktes der Kommission, sind freistellungsfähige Verhaltensweisen seit dem 1.5.2004 ipso iure freigestellt. Die Einführung der Legalausnahme führte zugleich zum Wegfall des früheren Anmelde- und Genehmigungssystems. Außerhalb von GVO entfällt damit die Pflicht und die Möglichkeit, Vereinbarungen, die wettbewerbsbeschränkend im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV sind, von der Kommission überprüfen zu lassen. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen unterliegen daher nicht mehr einer ex ante Kontrolle seitens der Kommission. Die Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs soll vielmehr durch eine dezentrale Durchsetzung ex post durch behördliche und zivilrechtliche Sanktionen erreicht werden. Die Zusammenarbeit der nationalen Wettbewerbsbehörden untereinander und insbesondere mit der Kommission soll durch das neu geschaffene Europäische Wettbewerbsnetz (European Competition 60   Bechtold, ZHR 160 (1996), 660, 662 ff.; Wurmnest, in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch, 2004, S. 213, 224; Basedow, ZWeR 2006, 294, 295 f.; a. A. Mäsch, EuR 2003, 825, 830 ff. 61   EuGH, Rs. C‑234/89 (Delimitis/Henninger Bräu) Rn. 52 ff. 62   Vgl. Weißbuch der Europäischen Kommission über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG‑Vertrag, ABl. 1999 C 132/1, Rn. 100. 63   Art. 1 Abs. 1 – 2 VO 1/2003; vgl. auch ErwGr (4) VO 1/2003.

A. Grundstrukturen und Entwicklungslinien

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Network) gewährleistet werden. Daneben sollen die Art. 101, 102 AEUV künftig vor allem durch private Klagen vor den nationalen Zivilgerichten durchgesetzt werden.64 Die Verordnung setzt damit ein klares Signal in Richtung private enforcement. In rechtlicher Hinsicht werden allerdings nicht die erforderlichen Voraussetzungen geschaffen, um eine effektive private Durchsetzung des Kartellrechts wirklich zu gewährleisten. Die VO 1/2003 regelt in erster Linie das Verfahren und die möglichen Sanktionen für die behördliche Aufsicht durch die Kommission. Nur vereinzelt betreffen die Regelungen der Verordnung auch die private Kartellrechtsdurchsetzung.65 Mit der Dezentralisierung wuchs daher die Gefahr einer Untersanktionierung. Da die Durchsetzung des Kartellrechts in weiten Teilen von der Kommission auf die innerstaatlichen Behörden und Gerichte verlagert worden ist, mussten zugleich die Anreize für Private erhöht werden, kartellrechtlich zweifelhafte Praktiken über Privatklagen anzugreifen. Die Stärkung der privaten Rechtsdurchsetzung ist damit – so Drexl – „eine logische und notwendige Konsequenz der Dezentralisierung der europäischen Kartellrechtsanwendung“.66 2. Stärkung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung a) Der Weg zur Kartellschadensersatz-RL 2014/104 Die Bemühungen der Europäischen (Wirtschafts‑)Gemeinschaft um eine Harmonisierung des Kartelldeliktsrechts blicken auf eine lange Geschichte zurück. Das Europäische Parlament hatte bereits im Jahre 1961 in einer Entschließung zum Vorschlag für die spätere Verordnung Nr. 17/62 eine Harmonisierung von Schadensersatzansprüchen für notwendig erachtet;67 im Ergebnis konnte sich dieser Vorschlag jedoch nicht durchsetzen. Die Europäische Kommission gab seit 1966 wiederholt Studien zu den zivilrechtlichen Sanktionen nach nationalem Recht in Auftrag68 und kündigte in ihrem 13. Wettbewerbsbericht für das Jahr 1983 an, Maßnahmen zur Erleichterung von Schadensersatzklagen zu prüfen.69 Eine Regelungsinitiative der Kommission Ende der 1980er Jahre scheiterte allerdings an der mangelnden Unterstützung durch

64

  ErwGr (7) VO 1/2003.   Vgl. insb. Art. 2 sowie Art. 15 und Art. 16 VO 1/2003. 66   Drexl, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 1339, 1344. Vgl. auch Monopolkommission, Sondergutachten 41, Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, 2004, Rn. 36. 67   Entschließung des Europäischen Parlaments in Beantwortung der vom Ministerrat der EWG zu dem Vorschlag einer ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des EWG-Vertrages vom Parlament erbetenen Konsultation, ABl. 1961 v. 15.11.1961, 1409, 1410 (unter Punkt 11.). Der Binnenmarktausschuss verwies demgegenüber darauf, dass es aufgrund der divergierenden Haftungsregeln in den Mitgliedstaaten verfrüht wäre, bereits in der Verordnung Nr. 17 einheitliche Schadensersatzregelungen vorzusehen. Der Ausschuss forderte daher die Kommission auf, diesem Pro­blem besondere Aufmerksamkeit zu widmen und zu gegebener Zeit Vorschläge vorzulegen; Bericht im Namen des Binnenmarktausschusses (Berichterstatter Deringer), Europäisches Parlament, Sitzungsdokumente 1961 – 1962, Dok. 57 (7.9.1961), Rn. 123. 68   Europäische Kommission, Schadensersatzansprüche bei einer Verletzung der Artikel 85 und 86 des Vertrages zur Gründung der EWG, 1966; Germer, Schadensersatzansprüche bei Verletzung der Art. 85 und 86 des Vertrages zur Gründung der EWG, Dok. IV 292/85, 1985 (unveröffentlicht); Braakman, Die Anwendung der Artikel 85 und 86 des EG‑Vertrags durch die Gerichte der Mitgliedstaaten, 1997; Waelbroeck/Slater/Even-Shoshan, Study, 2004; Renda et al., Making Antitrust Damages Actions More Effective in the EU, 2008. 69   Europäische Kommission, Dreizehnter Bericht über die Wettbewerbspolitik, 1984, Rn. 218. 65

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den Beratenden Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen, der sich aus Vertretern der EWG-Mitgliedstaaten zusammensetzte.70 Konkrete Pläne zur Harmonisierung von Schadensersatzklagen wurden von der Kommission erst vor dem Hintergrund der Dezentralisierung des Kartellverfahrensrechts und unter Eindruck der Entscheidungen Courage und Manfredi wieder in Angriff genommen. Nach Vorlage eines vorbereitenden Grünbuchs im Jahre 2005,71 das einen Problemkatalog mit unterschiedlichen Lösungsoptionen enthielt, veröffentlichte die Kommission im April 2008 das Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts“,72 in dem konkrete Vorschläge unterbreitet wurden, wie kartellrechtliche Schadensersatzklagen innerhalb der Union durch die Schaffung eines EU‑weiten Mindeststandards harmonisiert werden könnten. Daneben sprach sich die Kommission in ihrem Weißbuch für die Einführung einer Verbandsschadensersatzklage durch qualifizierte Einrichtungen (Verbraucherverbände, staatliche Institutionen, berufsständische Organisationen) sowie eine Opt-in-Gruppenklage aus. Das Europäische Parlament nahm im März 2009 eine Entschließung zum Weißbuch an und forderte die Kommission darin auf, vorerst von der Regelung kollektiver Rechtsschutzmechanismen abzusehen, ohne dass das Parlament die Möglichkeit erhalte, im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens an der Verabschiedung entsprechender Mechanismen mitzuwirken.73 Dessen ungeachtet gab die Kommission bereits am folgenden Tag einen internen Richtlinienvorschlag in die Interservice Konsultation.74 Der Vorentwurf zur geplanten Richtlinie, der u. a. auch Vorschläge zu den kollektiven Rechtsdurchsetzungsmechanismen enthielt, sollte dabei allein auf Art. 103 AEUV (ex Art. 83 EGV) gestützt werden und damit das vom Europäischen Parlament angemahnte Mitentscheidungsverfahren umgehen. Nachdem der Richtlinienentwurf im Oktober 2009 aufgrund gezielter Interventionen einiger Mitgliedstaaten vereitelt wurde,75 entschied die Kommission, ihre Pläne für den kollektiven Rechtsschutz auf eine breitere Basis zu stellen und Anfang 2011 einen allgemeinen „horizontalen“ Rahmen vorzustellen, der nicht nur Verstöße gegen das EU‑Wettbewerbsrecht erfasst, sondern einen effektiven Rechtsschutz bei Massenschadensereignissen in Folge der Verletzung in allen von EU‑Recht erfassten Rechtsbereichen gewährleisten soll.76 Von konkreten Legislativvorschlägen zur Ausgestaltung kollektiver Klagen wurde demgegenüber Abstand genommen. Im Jahre 2013 beschränkte sich die Kommission darauf, 70

  Jones, Private enforcement of antitrust law in the EU, UK and USA, 1999, S. 33 mit Fn. 67.   Grünbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2005) 672 endg. Ergänzend hierzu wurde ein umfangreiches Arbeitspapier publiziert: Commission Staff Working Paper, Annex to the Green Paper Damages for breach of EC antitrust rules, SEC (2005) 1732. 72   Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2008) 165 endg. Auch hierzu wurde ein begleitendes Arbeitspapier publiziert: Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules, SEC (2008) 404. Vgl. auch den Folgenabschätzungsbericht: Impact Assessment, SEC (2008) 405. 73   Entschließung des Europäischen Parlaments v. 26.3.2009 zum Weißbuch: Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts (2008/2154(INI), T‑6-0187/2009), Rn. 5. 74   Zu den Regelungen des internen Richtlinienentwurfs Wagner-von Papp, EWS 2009, 445 ff. 75   Bornkamm, GRUR 2010, 501, 502. 76  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Öffentliche Konsultation, Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, SEK (2011) 173 endg. Vgl. hierzu die vom Deutschen Bundestag am 26.5.2011 angenommene Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 17/5956. 71

A. Grundstrukturen und Entwicklungslinien

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eine unverbindliche Empfehlung zu kollektiven Unterlassungs- und Schadensersatzklagen zu veröffentlichen.77 Die Pläne zur individuellen Durchsetzung des EU‑Wettbewerbsrechts nahmen demgegenüber bald konkrete Gestalt an. Nachdem die Kommission im Juni 2013 einen auf Art. 103 und Art. 114 AEUV gestützten offiziellen Richtlinienvorschlag78 und hierzu begleitend eine Mitteilung zur Ermittlung des Schadensumfangs79 nebst Leitfaden80 veröffentlicht hatte, dauerte es nur ein Jahr, bis die KartellschadensersatzRL 2014/104 im November 2014 verabschiedet werden konnte. b) Überblick über die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 wird im Abschnitt zum Schadensersatz ausführlich im Kontext der EuGH-Rechtsprechung analysiert.81 Sie ist an dieser Stelle daher nur in ihren Grundzügen kurz vorzustellen. Der Anwendungsbereich der Richtlinie bezieht sich auf private Schadensersatzklagen, die auf Verstöße gegen Art. 101 oder 102 AEUV gestützt werden. Zuwiderhandlungen gegen nationales Wettbewerbsrecht werden nach Art. 2 Nr. 3 der Richtlinie nur dann erfasst, soweit einzelstaatliche Wettbewerbsnormen gem. Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003 parallel zu den europäischen Vorschriften angewandt werden. Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen rein nationales Recht werden demgegenüber ausgeklammert.82 Die Richtlinie beschränkt sich zudem auf individuelle Schadensersatzklagen. Sonstige Zivilrechtsfolgen, die sich bei einem Verstoß gegen das EU‑Wettbewerbsrecht ergeben können (Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen und hieran anknüpfende Rückabwicklungsansprüche, Unterlassungsund Beseitigungsansprüche, einstweilige Verfügungen, kollektive Schadensersatzklagen sowie sonstige Kollektivklagen) liegen außerhalb ihres Anwendungsbereichs.83 Die Richtlinie erfasst damit nur einen Ausschnitt möglicher privater Ansprüche. Leitprinzip der Richtlinie ist das „Recht auf vollständigen Schadensersatz“, basierend auf einem kompensatorisch konzipierten Schadensersatzanspruch (Art. 3 Abs. 1 u. 2). Eine Überkompensation des Geschädigten in Form eines Strafschadensersatzes 77   Empfehlung der Kommission, Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl. 2013 L 201/60. Dazu Hempel, NZKart 2013, 494 ff.; Hodges, JCP 2014, 67 ff.; Stadler, GPR 2013, 281 ff. 78   Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, COM (2013) 404 final. 79   Mitteilung der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2013 C 167/19. 80   Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, SWD (2013) 205. 81  Siehe infra, § 7 C. 82   ErwGr (10) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 83   Schweitzer, NZKart 2014, 335, 336; Vollrath, NZKart 2013, 434, 437. Im deutschen Recht ist die Abgrenzung zwischen deliktischen Schadensersatzansprüchen und negatorischem Rechtsschutz mitunter schwierig, da der Schadensersatzanspruch auch auf Naturalrestitution gerichtet sein kann; vgl. infra, § 7 D.II.2.a. Diese Abgrenzungsprobleme stellen sich bei der KartellschadensersatzRL 2014/104 nicht, da diese nach ihrem Art. 3 Abs. 2 S. 2 nur Vermögensschäden ausgleichen will.

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oder einer Mehrfachentschädigung wird in Art. 3 Abs. 3 explizit ausgeschlossen.84 Die Richtlinie grenzt sich damit vom Grünbuch ab, in welchem die Kommission noch die Abschreckungswirkung von Schadensersatzansprüchen besonders betont hatte und dementsprechend eine Verdopplung des Schadensersatzes sowie Ansprüche auf Gewinnabschöpfung zur Diskussion gestellt hatte.85 Die primär kompensatorische Zielsetzung zeigt sich auch bei der Regelung der Anspruchsberechtigung. Kartellrechtliche Ansprüche sollen nicht wie im US‑amerikanischen Kartellrecht86 aus Abschreckungsgründen auf die direkten Vertragspartner konzentriert werden. Vielmehr soll jeder, dem infolge eines Kartellrechtsverstoßes ein Schaden entstanden ist, nach Art. 3 Abs. 1 Schadensersatzansprüche geltend machen können. Anspruchsberechtigt sind damit, wie Art. 14 klarstellt, auch Folgeabnehmer auf entfernteren Stufen. Die RL 2014/104 regelt sowohl materiell-rechtliche Fragen (Haftungsbegründung und ‑ausfüllung, Schadensabwälzung, Gesamtschuld, Verjährung) als auch prozessrechtliche Aspekte (Bindungswirkung nationaler Entscheidungen, Schadensschätzung, Offenlegung von Beweismitteln im Prozess, einvernehmliche Streitbeilegung). Die Richtlinie zielt dabei nicht nur auf eine Effektivierung privater Schadensersatzansprüche, sondern zugleich auf eine Koordination des private enforcement mit dem public enforcement. Zu diesem Zweck finden sich insbesondere Regelungen zur Privilegierung von Kronzeugen. Zwar harmonisiert die Richtlinie die Bedingungen für die Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche in Europa. Eine umfassende Vollharmonisierung wird dabei allerdings nicht erreicht. Viele Vorschriften stellen klar, dass es sich um eine bloße Mindestharmonisierung handelt.87 Weitere Regelungsspielräume verbleiben dem nationalen Gesetzgeber, soweit die Richtlinie keine ausdrücklichen Vorgaben enthält.88 In diesem Fall gelten, wie Art. 4 klarstellt, nur das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot. Auch ansonsten will sich die Richtlinie eng an die Rechtsprechung des EuGH anlehnen. Nach ErwGr (12) „bestätigt“ die Richtlinie „den gemeinschaftlichen Besitzstand (. . .) ohne der Weiterentwicklung dieses Besitzstands vorzugreifen.“ Die vom EuGH aus Art. 101 AEUV in Verbindung mit dem effet utile bzw. dem Effektivitätsgebot abgeleiteten Anforderungen an die Ausgestaltung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche sind daher sowohl für die Auslegung der Richtlinie als auch für die Überprüfung nationaler Regelungsspielräume von Bedeutung. Da der Gerichtshof die betreffenden Vorgaben aus dem Primärrecht abgeleitet hat, unterliegt zudem die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 selbst einer Überprüfung dahingehend, ob die in ihr normierten Vorschriften primärrechtskonform sind.89 84

  Vgl. auch Art. 12 Abs. 2, Art. 15 Abs. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104.   Grünbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU‑Wettbewerbsrechts, KOM (2005) 672 endg., S. 4 (unter 1.1.) sowie Optionen 15 und 16; Commission Staff Working Paper, Annex to the Green Paper Damages for breach of EC antitrust rules, SEC (2005) 1732, Rn. 148 ff. 86  Vgl. Hanover Shoe, Inc. v. United Shoe Machinery Corp, 392 U. S. 481 (1968); Illinois Brick Co. v. Illinois, 431 U. S. 720 (1977). 87   Dies gilt z. B. für die Verjährungsfrist (Art. 10 Abs. 3: „mindestens“ 5 Jahre), für die Bindungswirkung nationaler Entscheidungen (Art. 9 Abs. 2: „zumindest“ Anscheinsbeweis) sowie für die Offenlegung von Beweismitteln (Art. 5 Abs. 8: „umfassendere“ Offenlegung von Beweismitteln ist zulässig). 88   Dies betrifft z. B. „Zurechenbarkeit, Adäquanz oder Verschulden“, vgl. ErwGr (11); sowie die Schadensschätzung, vgl. Art. 17 Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 89  Hierzu infra, § 7 C.I.3. 85

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IV. Das deutsche Kartellrecht nach der 7. und 8. GWB-Novelle Der im Europäischen Kartellrecht vollzogene Systemwechsel hat in vielen Mitgliedstaaten dafür gesorgt, dass Reformen in Kraft getreten sind, mit denen die Rechte Kartellgeschädigter erheblich aufgewertet wurden.90 In Deutschland hat der Gesetzgeber im Jahre 2005 die 7. GWB-Novelle91 verabschiedet, um dem Umbruch im Europäischen Wettbewerbsrecht Rechnung zu tragen. Ergänzend hierzu traten im Jahre 2013 mit der 8. GWB-Novelle92 weitere Änderungen in Kraft, mit denen die private Rechtsdurchsetzung durch Verbände gestärkt werden sollte. 1. Leitlinien der Reform Die 7. GWB-Novelle führte zu einer Umgestaltung der zivilrechtlichen Ansprüche im Kartellrecht. Mit dem Gesetz sollte das deutsche Kartellrecht an das europäische Wettbewerbsrecht angepasst werden.93 Maßgeblich für die Reform der zivilrechtlichen Ansprüche war die Überlegung, dass durch die Abschaffung des Systems der Administrativfreistellung und seine Ersetzung durch ein System der Legalausnahme die behördliche Kontrolldichte gegenüber wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und Verhaltensweisen tendenziell vermindert wird.94 Zum Ausgleich sollten daher nicht nur die verwaltungsrechtlichen, sondern auch die zivilrechtlichen Sanktionen bei Kartellverstößen ausgeweitet werden. In diesem Rahmen waren auch die Vorgaben der Courage-Entscheidung zu berücksichtigen.95 Die Neugestaltung der zivilrechtlichen Ansprüche, insbesondere der in § 33 Abs. 3 GWB novellierte Schadensersatzanspruch, beruht ganz wesentlich auf dem Gedanken der Prävention. Mit der Neuregelung soll – so die Regierungsbegründung96 – „ein effektives zivilrechtliches Sanktionssystem geschaffen werden, von dem eine zusätzliche spürbare Abschreckungswirkung ausgeht.“ Der Zweck des Kartellschadensersatzes geht damit über die reine Kompensation hinaus; er zielt auch auf Prävention.97 2. Ausgestaltung des Individualschadensersatzes In systematischer Hinsicht brachte die 7. GWB-Novelle zunächst insoweit eine Änderung, als § 33 GWB nun auch auf Verletzungen der europäischen Wettbewerbsregeln Anwendung findet. Dagegen war nach früherem Recht bei einem Verstoß gegen die Art. 101, 102 AEUV auf § 823 Abs. 2 BGB zurückzugreifen. Gerade das Schutzgesetzprinzip erwies sich als wesentliches Hemmnis für die private Rechtsverfolgung. Zwar wurde der individualschützende Charakter des europäischen Wettbewerbs90

  Vgl. Fn. 7.   Siebtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BGBl. I 2005, S. 1954. 92   Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BGBl. I 2013, S. 1738. 93   Begründung zum Regierungsentwurf, BT‑Drucks. 15/3640, S. 21. 94   Begründung zum Regierungsentwurf, BT‑Drucks. 15/3640, S. 35. 95   Begründung zum Regierungsentwurf, BT‑Drucks. 15/3640, S. 35 und 53. 96   Begründung zum Regierungsentwurf, BT‑Drucks. 15/3640, S. 35. 97   Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 32 f., 127 ff.; W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133 ff.; Fuchs, WRP 2005, 1384, 1395. 91

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rechts als solcher nicht in Frage gestellt.98 Die deutschen Gerichte schränkten aber den Kreis der Anspruchsberechtigten durch verschiedene Kriterien stark ein. Insbesondere mittelbar Geschädigte (Zwischenhändler und Verbraucher) auf weiter entfernten Marktstufen wurden aus dem geschützten Personenkreis herausgenommen.99 Die Rechtsprechung verlangte darüber hinaus einen zielgerichteten Eingriff;100 einige Instanzgerichte lehnten daher selbst nach der Courage-Entscheidung Schadensersatzansprüche von Erstabnehmern eines Preiskartells ab, da sich das Preiskartell nicht gezielt gegen sie gewendet hatte.101 Der neu gefasste § 33 GWB verzichtet demgegenüber auf das Schutzgesetzerfordernis.102 Sowohl Abwehr- als auch Schadensersatzansprüche können von jedem „Betroffenen“ geltend gemacht werden.103 Die bereits zum früheren Recht umstrittene Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen auch entferntere Marktstufen anspruchsberechtigt sind, hat sich damit allerdings nicht erledigt. § 33 Abs. 1 S. 3 GWB spricht allgemein nur davon, dass derjenige „betroffen“ ist, der als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist. Eine eindeutige Antwort, ob auch indirekte Abnehmer Schadensersatzansprüche geltend machen können, lässt sich aus dieser Definition nicht gewinnen.104 Erst die ORWI-Entscheidung105 des BGH stellte klar, dass auch nachgelagerte Abnehmer in mehrstufigen Absatzverhältnissen zum Kreis der Anspruchsberechtigten zählen, dabei allerdings die Darlegungsund Beweislast für die Entstehung und Kausalität des Schadens tragen.106 Auch bzgl. des ersatzfähigen Schadens führt die 7. GWB-Novelle zu Neuerungen. Nach § 33 Abs. 3 S. 3 GWB kann bei der Bemessung des Schadens insbesondere der anteilige Gewinn, den das Unternehmen durch den Verstoß erlangt hat, berück 98  Vgl. BGH, WuW/E BGH 1643, 1645 (BMW-Importe)  = NJW 1980, 1224, 1225; BGH, WuW/E BGH 2451, 2457 (Cartier-Uhren) = NJW 1988, 2175, 2177; BGH, WuW/E DE‑R 206, 207 (Depotkosmetik) = NJW-RR 1999, 189.  99   BGH, WuW/E BGH 1643, 1645 (BMW-Importe) = NJW 1980, 1224, 1225; BGH, WuW/E BGH 2451, 2457 (Cartier-Uhren) = NJW 1988, 2175, 2177. Nach BGHZ 141, 214, 223 f. (Altersrückstellung in der PKV) = NJW 1999, 2741, 2743, waren Verbraucher sogar bei unmittelbarer Betroffenheit nicht anspruchsberechtigt. 100   BGHZ 86, 324, 330 (Familienzeitschrift) = NJW 1984, 2819, 2822; LG Berlin, WuW/E DE‑R 1325, 1326 f. (Berliner Transportbeton I). 101   LG Mannheim, Urt. v. 11.7.2003, GRUR 2004, 182 f. (Vitaminkartell); bestätigt im obiter dictum durch OLG Karlsruhe, NJW 2004, 2243; ähnlich LG Mainz, NJW-RR 2004, 478, 479; kritisch zu dieser Rechtsprechung Köhler, GRUR 2004, 99 ff.; Bulst, NJW 2004, 2201 f. 102   Der Regierungsentwurf wollte am Schutzgesetzerfordernis zunächst festhalten. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit wurde demgegenüber unter Hinweis auf die EuGH-Rechtsprechung empfohlen, das Schutzgesetzerfordernis zu streichen; BT‑Drucks. 15/5049, 48. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1138 f. 103   Dass das neue Kriterium der Betroffenheit auch bei Schadensersatzansprüchen zum Tragen kommt, ergibt sich nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz, da § 33 Abs. 3 GWB nur auf den „Verstoß nach Absatz 1“ verweist. Die Materialien belegen indessen eindeutig, dass die Anspruchsberechtigung für Abwehr- und Schadensersatzansprüche parallel ausgestaltet werden sollte; BT‑Drucks. 15/3640, S. 53. Mit dem Begriff „Verstoß“ ist daher nicht nur der Kartellverstoß, sondern zugleich die Anspruchsberechtigung gemeint; W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1140 f.; Alexander, JuS 2010, 109, 110. 104   Für eine solche Anspruchsberechtigung Basedow, ZWeR 2006, 294, 302; Fuchs, WRP 2005, 1384, 1394 f.; W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1140 ff. Dagegen Alexander, JuS 2007, 109, 111 f.; Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 GWB Rn. 36 ff. 105   BGHZ 190, 145 = NJW 2012, 928 (ORWI). 106  Hierzu infra, § 7 C.III.4.b.

A. Grundstrukturen und Entwicklungslinien

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sichtigt werden. Interpretiert man diese Bestimmung dahingehend, dass im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO nicht nur die aufgrund des Kartellverstoßes erzielte Kartellrendite, sondern der gesamte Verletzergewinn des Unternehmens herangezogen werden kann,107 so hätte auch diese Vorschrift präventiven Charakter, der über die bloße Kompensation hinausginge. Für eine abschreckende Wirkung soll schließlich auch die in § 33 Abs. 3 S. 4, 5 GWB vorgesehene Verzinsungspflicht sorgen.108 Eine Verdopplung des Schadensersatzes, wie sie noch von der Monopolkommission im Vorfeld der 7. GWB-Reform vorgeschlagen wurde,109 konnte sich demgegenüber im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen. 3. Verbandsklagen Die 7. GWB-Novelle setzte sich zum Ziel, auch die Verbandsklagebefugnisse zu stärken. Zu diesem Zweck wurde nicht nur klargestellt, dass Verbände bei einem Verstoß gegen europäisches und deutsches Wettbewerbsrecht auf Unterlassung und Beseitigung klagen können (§ 33 Abs. 2 GWB 2005), sondern zudem – in Anlehnung an § 10 UWG 2004 – erstmals das Institut der Gewinnabschöpfung eingeführt: Hat der Schädiger durch einen vorsätzlichen Wettbewerbsverstoß zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern oder Anbietern einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt, so können Verbände nach § 34a GWB auf Herausgabe des wirtschaftlichen Vorteils klagen, soweit nicht die Kartellbehörde eine Abschöpfung anordnet. Diese Verbandsklagebefugnisse wurden mit der 8. GWB-Novelle in zweifacher Hinsicht erweitert. Zum einen wurde in § 33 Abs. 2 Nr. 1 GWB 2013 klargestellt, dass alle Verbände von „betroffenen“ Unternehmen Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche sowie eine Vorteilsabschöpfung geltend machen können. Aktivlegitimiert sind damit nicht nur Verbände von Wettbewerbern des Verletzers,110 sondern auch Verbände der Marktgegenseite.111 Zum anderen räumt § 33 Abs. 2 Nr. 2 GWB 2013 nunmehr auch Verbraucherverbänden Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche sowie Ansprüche auf Vorteilsabschöpfung ein.112 In der Praxis spielt das in § 34a GWB vorgesehene Instrument der Vorteilsabschöpfung dennoch keine nennenswerte Rolle.113 Ursächlich dafür ist nicht so sehr, dass die Norm einen vorsätzlichen Verstoß voraussetzt.114 Streuschäden beruhen nämlich in aller Regel auf sog. Hardcore-Verstößen und damit auf einem vorsätz107   So insb. Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 GWB Rn. 108; Fuchs, WRP 2005, 1384, 1395; W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1167; kritisch Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 140. 108   Regierungsbegründung, BT‑Drucks. 15/3640, S. 54. 109   Monopolkommission, Sondergutachten 41, Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, 2004, Rn. 75 ff. 110   So LG Köln, GRUR-RR 2010, 124, 125 (zu § 33 Abs. 2 GWB 2005). Vgl. auch Köhler, WRP 2007, 602, 603. 111   Regierungsbegründung, BT‑Drucks. 17/9852, S. 27. 112   Verbraucherverbände sollten bereits nach dem Regierungsentwurf zur 7. GWB-Novelle aktivlegitimiert sein; vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 2 GWB-E, BT‑Drucks. 15/3640. Dieses Vorhaben wurde jedoch in letzter Minute auf Drängen des Bundesrats (vgl. BT‑Drucks. 15/3640, S. 78) im Vermittlungsausschuss gekippt; vgl. BT‑Drucks. 15/5735, S. 2. 113   Nach Immenga/Mestmäcker/Emmerich, GWB, 5. Aufl., 2014, § 34a Rn. 3, ist § 34a GWB bislang in keinem einzigen Fall angewandt worden. 114   Dies unterscheidet § 34a GWB vom Lauterkeitsrecht. Dort erweist sich das in § 10 UWG ebenfalls vorgesehene Vorsatzerfordernis als eigentliches „Fallbeil“; hierzu infra, § 10 C.IV.2.

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§ 7  Kartellrecht

lichen Verhalten.115 Als eigentliches Hindernis erweisen sich vielmehr zwei andere Faktoren. Erstens ist der Nachweis eines „wirtschaftlichen Vorteils“ im Einzelfall äußerst schwierig zu führen. Denn trotz der Möglichkeit richterlicher Schätzung muss der Kläger zumindest nachvollziehbare Informationen dafür liefern, wie sich die Marktsituation ohne das schädigende Ereignis entwickelt hätte. Dies ist selbst dem BKartA in aller Regel nicht möglich.116 Der Gesetzgeber änderte daher mit der 7. GWB-Novelle das Verfahren der Bußgeldbemessung, indem die bisherige Mehrerlösberechnung durch eine umsatzbezogene Berechnung abgelöst wurde (§ 81 Abs. 4 GWB).117 Zweitens ist im Erfolgsfall der vom Schädiger erzielte Gewinn nach § 34a GWB in vollem Umfang an den Bundeshaushalt abzuführen. Dass eine solche Regelung keinen geeigneten Anreiz zur Klageerhebung setzt, liegt auf der Hand.118 Wird ein Prozess verloren, muss der Verband nicht nur seine eigenen Vorbereitungs‑, Gerichtsund Anwaltskosten, sondern zudem die gegnerischen Anwaltskosten tragen. Diesen Verlust kann er durch gewonnene Prozesse nicht ausgleichen, da er im Erfolgsfall nicht mehr erhält als den bloßen Ausgleich der Kosten aus dem jeweiligen Verfahren. Die Neigung der Verbände zur Klageerhebung ist dementsprechend gering. Vor diesem Hintergrund forderte der Bundesrat in seiner Stellungnahme zur 8. GWBNovelle, die in § 34a GWB vorgesehene Herausgabe des abgeschöpften Gewinns an den Bundeshaushalt zu streichen und die abgeschöpften Beträge stattdessen einem Sondervermögen des Bundes zweckgebunden zur Finanzierung der Verbraucherarbeit der Verbraucherorganisationen und zur Erstattung von erforderlichen Aufwendungen, die den gem. § 33 Abs. 2 GWB Berechtigten bei der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen entstehen, zu verwenden.119 Dieser Vorschlag wurde jedoch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens abgelehnt.120 Für die Bewältigung kartellbedingter Streu- und Bagatellschäden stehen im deutschen Recht gegenwärtig auch keine anderen effektiven Instrumente zur Verfügung. Eine Bündelung gleichgerichteter Forderungen im Wege der Streitgenossenschaft (§§ 59 ff. ZPO) oder durch Abtretung an Verbraucherverbände (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 2 Abs. 2 S. 1 RDG) ist dafür ungeeignet, da die geschädigten Verbraucher ermittelt werden und bereit sein müssen, ihre Ansprüche durchzusetzen bzw. abzutreten. Beide Instrumente lösen daher nicht das Problem rationalen Desinteresses. Selbst die Bündelung hoher Einzelforderungen stößt derzeit auf erhebliche Hindernisse, wie das Beispiel der Cartel Damage Claims SA zeigt. Diese hatte sich von insgesamt 36 Zement beziehenden Unternehmen Schadensersatzforderungen gegen 115   Hardcore-Verstöße zeichnen sich gerade dadurch aus, dass die Wettbewerbsbeschränkung von den Beteiligten bezweckt ist. Aus diesem Grund betont der EuGH, dass die wettbewerbswidrigen Auswirkungen einer Vereinbarung nicht bewiesen werden müssen; vgl. EuGH, Rs. C‑49/92 P (Kommission/Anic Partecipazioni) Rn. 99 m. w. N. 116   Vgl. nur BKartA, Beschl. v. 17.12.2003, B9 – 9/03, WuW/E DEV 911, 916 f. – Fotoarbeitstasche. 117  Vgl. hierzu die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit, BT‑Drucks. 15/5049, S. 50. Daneben ist eine fakultative bußgeldrechtliche Vorteilsabschöpfung gem. § 81 Abs. 5 GWB i. V. m. § 17 Abs. 4 OWiG nach wie vor möglich. 118   Stellungnahme des Bundesrats zum Regierungsentwurf, BT‑Drucks. 15/3640, S. 78; G. Wagner, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 41, 79. 119   Stellungnahme des Bundesrates, BT‑Drucks. 17/9852, S. 44 f. Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, die Möglichkeit der Vorteilsabschöpfung verschuldensunabhängig auszugestalten. 120   Gegenäußerung der Bundesregierung, BT‑Drucks. 17/9852, S. 52.

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

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die Teilnehmer des sog. Zementkartells abtreten lassen und den Zedenten im Erfolgsfall eine Beteiligung an den Schadensersatzforderungen versprochen. Das LG Düsseldorf erklärte dieses Modell jedoch mit Urteil v. 17. Dezember 2013 für rechtswidrig.121 Das Landgericht qualifizierte die Abtretungen einerseits als unwirksam nach § 134 BGB, da die Klägerin nach dem damals geltenden RBerG keine Erlaubnis zur geschäftsmäßigen Einziehung fremder Forderungen hatte. Zum anderen urteilte das LG Düsseldorf, dass die Abtretungen selbst nach erfolgter RDG-Registrierung gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und nichtig sind, da die Klägerin zum Zeitpunkt der Abtretungen nicht in der Lage war, bei Prozessverlust die von ihr zu tragenden erheblichen Prozesskosten zu zahlen. Für die gebündelte Geltendmachung von Kartellschadensersatzansprüchen bestehen demnach hohe Hürden. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit steht künftig immer im Raum, wenn der Zessionar nicht ausreichend finanziell ausgestattet ist.122 4. Zwischenergebnis Angesichts dieses Befundes ist fraglich, ob die vom deutschen Gesetzgeber vorgesehenen zivilrechtlichen Sanktionsinstrumente  – wie beabsichtigt  – eine abschreckende Wirkung entfalten.123 Entscheidend wird nicht nur sein, wie die Gerichte den in § 33 GWB verankerten Schadensersatzanspruch im Lichte der EuGH-Rechtsprechung weiter konturieren, sondern auch, ob sich Reformvorschläge zum kollektiven Rechtsschutz in Deutschland bzw. auf Unionsebene realisieren lassen. Unabhängig hiervon müssen die im GWB vorgesehenen privatrechtlichen Ansprüche jedenfalls bis zum 27. Dezember 2016 erneut novelliert werden, um die KartellschadensersatzRL 2014/114 umzusetzen.124

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen und hieran anknüpfende Rechtsfolgen Die Diskussion um die private Durchsetzung des Wettbewerbsrechts konzentriert sich gegenwärtig auf Schadensersatzansprüche. Für die Praxis von Bedeutung ist indessen auch die Frage, ob und in welchem Umfang wettbewerbswidrige Vereinbarungen nichtig sind, und welche Rechtsfolgen sich hieraus für die Rückabwicklung ausgetauschter Leistungen ergeben. Die (Teil‑)Rückabwicklung von Verträgen über das Bereicherungsrecht kann aus der Sicht des Geschädigten eine attraktive Alternative zur Geltendmachung kartellverursachter Vermögensschäden sein.125 Im Unter121   LG Düsseldorf, NZKart 2014, 75. Die Berufung hatte keinen Erfolg, eine Revision wurde nicht zugelassen; OLG Düsseldorf, NZKart 2015, 201. 122   Makatsch/Abele, WuW 2014, 164, 167. 123  Zweifelnd W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1170 f.: Ergebnisse der 7. GWB-Novelle sind – gemessen am Ziel des Gesetzgebers, ein effektives zivilrechtliches Sanktionssystem zu schaffen, von dem eine zusätzliche spürbare Abschreckungswirkung ausgeht – „bescheiden ausgefallen“. 124   Von wissenschaftlicher Seite ist bereits ein sehr detaillierter Gesetzesvorschlag zur Diskussion gestellt worden; vgl. Preuß/Kersting, Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU), 2015. 125   Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 219; di Giò, World Competition 2009, 199, 202.

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§ 7  Kartellrecht

schied zum Schadensersatzanspruch erfordert ein Kondiktionsanspruch nämlich nur den Nachweis einer ungerechtfertigten Bereicherung des Kartellanten, nicht dagegen den u. U. schwer zu führenden Nachweis, dass und in welcher Höhe ein Schaden infolge des wettbewerbswidrigen Verhaltens eingetreten ist. Bereicherungsansprüche sind darüber hinaus verschuldensunabhängig ausgestaltet, während Schadensersatzansprüche in vielen Rechtsordnungen einem Verschuldenserfordernis unterliegen. Schließlich weisen Bereicherungsansprüche in aller Regel eine längere Verjährungsfrist als Schadensersatzansprüche auf. Der EuGH hat die bei einem Wettbewerbsverstoß eintretenden Nichtigkeitsfolgen nur teilweise konkretisiert. Für viele Fragen verweist der Gerichtshof ergänzend auf das nationale Recht. Gerade für diese Bereiche stellt sich die Frage, welche (indirekten) Vorgaben das Unionsrecht trifft und inwieweit ein weitergehender Harmonisierungsbedarf besteht.

I. Nichtigkeit bei Verstoß gegen das Kartellverbot (Art. 101 AEUV) Für Verstöße gegen das Kartellverbot enthält das Unionsrecht eine ausdrücklich angeordnete Rechtsfolge. Nach Art. 101 Abs. 2 AEUV sind Vereinbarungen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen, nichtig. Diese Sanktion soll ihrem Sinn und Zweck nach die Einhaltung des Kartellverbots sicherstellen und damit die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs im Binnenmarkt gewährleisten.126 Die in Art. 101 Abs. 2 AEUV angeordnete Nichtigkeitssanktion weist zugleich eine individualschützende Funktion auf.127 Sie bewirkt, dass die mit der Vereinbarung oder dem Beschluss beabsichtigte Bindungswirkung weder im Verhältnis zwischen den Beteiligten noch gegenüber außenstehenden Dritten eintritt. Art. 101 Abs 2 AEUV schützt damit die wirtschaftliche Handlungsfreiheit128 der Beteiligten und betroffener Dritter und ermöglicht zugleich die Wiederherstellung einer Sachlage, wie sie bei Beachtung des Kartellverbots bestanden hätte.129 Auf abgestimmte Verhaltensweisen findet die Vorschrift demgegenüber von vornherein keine Anwendung, da diese nicht rechtlich, sondern nur faktisch wirken.130 Ausführungsverträge, die aufgrund einer abgestimmten Verhaltensweise abgeschlossen werden, können gleichwohl von der Nichtigkeitsfolge des Art. 101 Abs. 2 AEUV erfasst sein.131

126   EuGH, Rs. 56/65 (Société technique de minière/Maschinenbau Ulm); Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 36. 127   Vgl. EuGH, Rs. 127/73 (BRT I) Rn. 15/17; Rs. C‑234/89 (Delimitis/Henninger Bräu) Rn. 45; EuG, Rs. T‑24/90 (Automec II) Rn. 93 128   v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/Schröter/van der Hout, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 101 AEUV Rn. 213. 129  FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 107. 130   Vgl. Präsident des EuG v. 14.11.2008, Rs. T‑410/08R (GEMA/Kommission) Rn. 60; G/H/N/ Stockenhuber, 58. EL, 2016, Art. 101 Rn. 230; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 628. 131   So wohl auch Präsident des EuG v. 14.11.2008, Rs. T‑410/08R (GEMA/Kommission) Rn. 61, 63.

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

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1. Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV a) Unionsrechtlicher Begriff Der in Art. 101 Abs. 2 AEUV verwendete Begriff der Nichtigkeit ist allein nach unionsrechtlichen Kriterien auszulegen.132 Dementsprechend ist es weder notwendig noch zulässig, zur Auslegung dieses Begriffs auf die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zurückzugreifen.133 Im deutschen Recht kommt daher bei einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht § 134 BGB zur Anwendung, sondern allein Art. 101 Abs. 2 AEUV.134 Die in Art. 101 Abs. 2 AEUV angeordnete Nichtigkeitsfolge darf aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts nicht durch nationales Recht außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden. Die Mitgliedstaaten dürfen andererseits keine im Vergleich zum Unionskartellrecht strengeren Vorschriften erlassen oder anwenden; dies folgt aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003. Die Wirksamkeit von Vereinbarungen oder Beschlüssen darf daher nicht von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die über den Regelungsgehalt der Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV bzw. etwaiger GVO hinausgehen.135 Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003 stellt in diesem Zusammenhang klar, dass nationales Recht nur dann angewendet werden darf, wenn es „überwiegend“ ein von den Art. 101, 102 AEUV abweichendes Ziel verfolgt. Zulässig bleibt damit, die Nichtigkeit von Vereinbarungen bzw. Beschlüssen auf andere Nichtigkeitsgründe zu stützen. Art. 101 Abs. 2 AEUV wirkt somit nur in seinem Anwendungsbereich vollharmonisierend. b) Absolute Nichtigkeit Nichtigkeit bedeutet, dass die Vereinbarung oder der Beschluss keine Rechtswirkung entfaltet.136 Der Gerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung, dass es sich um eine absolute Nichtigkeit handelt: Eine nach Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtige Vereinbarung bzw. ein nichtiger Beschluss erzeugt in den Rechtsbeziehungen zwischen den Vertragspartnern keine Wirkungen und kann auch außenstehenden Dritten nicht entgegengehalten werden.137 Die Nichtigkeit hat mit anderen Worten einen erga omnes Effekt. Die in Art. 101 Abs. 2 AEUV angeordnete Nichtigkeit wirkt zum einen zwischen den Vertragsparteien; sie kann auch von demjenigen geltend gemacht werden, der Vertragspartner ist.138 Der im englischen Recht geltende Grundsatz nemo auditur suam turpitudinem allegans, der nach Auffassung des Court of Appeal im Fall Courage zur Folge haben sollte, dass eine Person, die selbst Partei eines wettbewerbsbeschränkenden Vertrages ist, sich nicht auf Art. 101 Abs. 2 AEUV berufen konn132

  EuGH, Rs. 56/65 (Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm).   Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 150 f. 134  MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 627; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 108; anders offenbar Schmid, Die Instrumentalisierung, 2010, S. 549. 135   Vgl. EuGH, Rs. C‑376/92 (Metro/Cartier) Rn. 24 ff.; Rs. C‑41/96 (V. A. G. Händlerbeirat/ SYD-Consult) Rn. 12 f. 136   EuGH, Rs. 22/71 (Béguelin Import) Rn. 29. 137   EuGH, Rs. 22/71 (Béguelin Import) Rn. 29; Rs. 319/82 (Société de vente de ciments et bétons) Rn. 11; Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 22; verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 57. 138   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 22. 133

546

§ 7  Kartellrecht

te,139 ist nach Auffassung des EuGH nicht mit dem Unionsrecht zu vereinbaren.140 Daraus folgt zugleich, dass die Berufung auf die Nichtigkeit einer Vereinbarung per se weder gegen Treu und Glauben verstoßen noch unter dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium rechtsmissbräuchlich sein kann.141 Eine Anwendung dieser Grundsätze kommt nur dann in Betracht, wenn es um die (unionsrechtlich nicht mehr determinierte) Frage der Aufrechterhaltung des vom Kartellverbot nicht erfassten Restvertrages geht.142 Die Vereinbarung bzw. der Beschluss kann zum anderen auch nicht Dritten entgegengehalten werden. Dementsprechend kann eine Partei eines selektiven Vertriebsnetzes beispielsweise nicht im Wege der Unterlassungsklage gegen einen Parallelimporteur vorgehen, wenn dieser an einen nicht zugelassenen Händler liefert. Der Dritte kann sich vielmehr darauf berufen, dass der Vertrag, der die Grundlage für das selektive Vertriebsnetz bildet, nichtig ist. c) Nichtigkeit ex lege Die in Art. 101 Abs. 2 AEUV angeordnete Nichtigkeit tritt kraft Gesetzes (ex lege) ein, ohne dass eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung erforderlich wäre.143 Die Feststellung der Nichtigkeit in einem behördlichen oder gerichtlichen Verfahren hat also rein deklaratorische Bedeutung. In einem (Zivil‑)Prozess muss die Nichtigkeit von Amts wegen festgestellt werden, sobald die Tatsachen bekannt werden, welche die Unwirksamkeit der Vereinbarung oder des Beschlusses begründen, denn Art. 101 AEUV stellt nach Auffassung des EuGH eine für die Erfüllung der Aufgaben der Europäischen Union unerlässliche Vorschrift dar, die der öffentlichen Ordnung zuzurechnen ist (ordre public communautaire).144 d) Nichtigkeit ex tunc Die Nichtigkeit erfasst die betroffenen Vereinbarungen oder Beschlüsse „in allen ihren vergangenen oder zukünftigen Wirkungen“.145 Sie wirkt mit anderen Worten

139   Vgl. den Vorlagebeschluss des Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) v. 16.7.1999, wiedergegeben in EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 12. 140   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 22, 24. 141  Langen/Bunte/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, Art. 81 Generelle Prinzipien, Rn. 207; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 637. Zum deutschen Recht BGH, WuW/E BGH 1226, 1232 (Eiskonfekt I). 142   Vgl. BGH, WuW/E BGH 1039 (Auto-Lok); Eilmansberger, JBl. 2009, 337, 338. 143   EuGH, Rs. 48/72 (Brasserie de Haecht II) Rn. 25 ff.; vgl. nunmehr auch Art. 1 Abs. 1 VO 1/ 2003. 144   EuGH, Rs. C‑126/97 (Eco Swiss) Rn. 36, 39; verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 31; Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands) Rn. 49. Nach FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 99, soll eine ex-officio-Verpflichtung der nationalen Gerichte dagegen nur dann bestehen, sofern das nationale Recht eine Anwendung von Amts wegen gestattet. Eine derartige Einschränkung lässt sich indessen den zitierten Rechtssachen nicht entnehmen; im Einzelnen Ebers, ERPL 2010, 823, 839 f. Ausreichend (und zugleich notwendig) ist vielmehr, wenn diejenige Partei, die sich auf die Nichtigkeit beruft, die Tatsachen für einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darlegt und ggf. beweist (Art. 2 S. 1 VO 1/2003); i. Erg. ähnlich MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 629. 145  EuGH, Rs. 48/72 (Brasserie de Haecht II) Rn. 26; Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 22; verb. Rs.  C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 57

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

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ex tunc.146 Ob dies auch für kartellrechtswidrige Gesellschaftsverträge gilt147 oder ob diese Verträge nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft vorläufig wirksam bleiben können,148 ist dagegen ungeklärt. Für die zuletzt genannte Auffassung sprechen nicht zuletzt Gläubigerschutzgesichtspunkte. Die Interessen der Gläubiger am Fortbestand einer Gesellschaft werden auch im übrigen Unionsrecht geschützt. Der EuGH hat genau aus diesen Gründen in Marleasing149 entschieden, dass die in Art. 11 Publizitäts-RL 68/151 aufgezählten Nichtigkeitsgründe abschließender Natur sind und nur eng ausgelegt werden dürfen. e) Keine Verjährung Nach überwiegender Auffassung unterliegt die (defensive) Geltendmachung der Nichtigkeit keiner Verjährung.150 Bereicherungs- und Schadensersatzansprüche, die auf einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV gestützt werden, können demgegenüber den nationalen Verjährungsvorschriften unterworfen werden, soweit die Gebote der Effektivität und Gleichwertigkeit beachtet werden.151 2. Ergänzender Rückgriff auf nationales Recht Die sich aus der Nichtigkeit ergebenden Rechtsfolgen werden in Art. 101 Abs. 2 AEUV weder umfassend noch abschließend geregelt. Die Nichtigkeit erfasst nach Auffassung des EuGH nur diejenigen Teile der Vereinbarung oder des Beschlusses, die den Verbotstatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfüllen.152 Die gesamte Abrede ist demgegenüber nur dann nichtig, wenn sich die verbotswidrigen Teile nicht von den übrigen Teilen der Vereinbarung trennen lassen. Können die übrigen Teile von der Vereinbarung gelöst werden, bleibt demgegenüber Raum für die Anwendung nationalen Rechts. Grundsätzlich ist es daher Sache der nationalen Gerichte, nach dem einschlägigen nationalen Recht zu beurteilen, welche Auswirkungen eine etwaige Nichtigkeit bestimmter Vertragsklauseln für die gesamten vertraglichen Beziehungen hat.153 Auch die Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV nicht nur zur Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts führt, sondern zugleich das dingliche Verfügungsgeschäft ergreift, richtet sich nach Ansicht des EuGH nach nationalem Recht.154 Entsprechendes 146   Auf die früher übliche Unterscheidung zwischen vorläufiger und endgültiger Nichtigkeit kommt es demgegenüber seit Inkrafttreten der VO 1/2003 nicht mehr an; van Gerven, ECLA 2001, 53, 55; Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 84 f. 147   Hierfür Langen/Bunte/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 81 EG Rn. 208; Emmerich, Kartellrecht, 13. Aufl., 2014, § 7 Rn. 4. So auch die deutsche Rechtsprechung bei einem Verstoß gegen § 1 GWB: BGH, 13.11.1990, WuW/E BGH 2675, 2678 (Nassauische Landeszeitung). 148  Hierfür K. Schmidt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 763, 771 ff.; Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 323 f.; Eilmansberger, JBl. 2009, 338, 339. 149   EuGH, Rs. C‑106/89 (Marleasing) Rn. 12. 150  MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 635; v. d. Groeben/ Schwarze/Hatje/Schröter/van der Hout, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 101 AEUV Rn. 218; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 123. A. A. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 154. 151   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 77 – 80 (zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen). 152   EuGH, Rs. 56/65 (LTM) Rn. 9; Rs. 319/82 (Société de vente de ciments et bétons) Rn. 12; Rs. C‑234/89 (Delimitis) Rn. 40; Rs. C‑279/06 (CEPSA) Rn. 78. 153   Zuletzt EuGH, Rs. C‑279/06 (CEPSA) Rn. 79. 154   EuGH, Rs. 319/82 (Société de vente de ciments et bétons) Rn. 5 (Vorlagefrage 3) und Rn. 12.

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§ 7  Kartellrecht

gilt für sog. Folgeverträge, also für Verträge, die zwischen den Kartellmitgliedern und unbeteiligten Dritten auf der Grundlage der Kartellabsprache geschlossen werden.155 3. Auswirkungen der Nichtigkeit auf die Gesamtvereinbarung a) Grundsatz der Teilnichtigkeit Nach dem zuvor Gesagten erfasst die in Art. 101 Abs. 2 AEUV angeordnete Nichtigkeit nur diejenigen Teile einer Vereinbarung oder eines Beschlusses, die mit dem Kartellverbot unvereinbar sind. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem primärrechtlichen Grundsatz, dass Sanktionen mit einer abschreckenden Wirkung zu belegen sind.156 Denn zum einen gilt dieser Grundsatz für zivilrechtliche Sanktionen nur dann, wenn keine anderen Sanktionsmittel zur Verfügung stehen, die eine hinreichende Prävention sicherstellen.157 Im Kartellrecht entfalten indessen bereits die verwaltungsrechtlichen Sanktionsmittel der Geldbuße und des Zwangsgelds (Art. 23, 24 VO 1/2003) eine abschreckende Wirkung.158 Gegen eine nach Unionsrecht zwingend eintretende Gesamtnichtigkeit spricht zum anderen, dass die gebundene Vertragspartei häufig daran interessiert sein wird, das Vertragsverhältnis fortzusetzen und dementsprechend größere Anreize zur Geltendmachung der Nichtigkeit einzelner Vertragsbestimmungen hat, wenn sie davon ausgehen kann, dass der Restvertrag aufrechterhalten bleibt. b) Gesamtnichtigkeit bei fehlender Trennbarkeit der Klauseln Gesamtnichtigkeit tritt nach Art. 101 Abs. 2 AEUV ausnahmsweise dann ein, wenn sich die kartellrechtswidrigen Teile von der übrigen Vereinbarung nicht trennen lassen.159 Der Rechtsprechung des EuGH lässt sich entnehmen, dass sich die Frage der Trennbarkeit allein nach unionsrechtlichen Kriterien richtet.160 Welche Kriterien gelten, hat der Gerichtshof noch nicht abschließend geklärt. Von einer fehlenden Trennbarkeit ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der an sich zulässige Vertragsteil bei objektiver Betrachtung zur Herbeiführung oder Durchführung der unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung beiträgt.161 Nichtig sind daher zum Beispiel vertraglich festgelegte Überwachungspflichten, die eine nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verbotene Vertriebsvereinbarung sichern sollen,162 sowie abgetretene gewerbliche Schutzrechte, 155   EuGH, Rs. 319/82 (Société de vente de ciments et bétons) Rn. 11. Vgl. auch GA Colomer, SchlA, verb. Rs. C‑215 – 216/96 u. a. (Bagnasco) Rn. 56. 156   In diese Richtung aber Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 322 f.: Abschreckende Wirkung wird bei Teilnichtigkeit verfehlt. 157  Siehe supra, § 4 C.III.3.b. 158   Im Ergebnis wie hier Weyer, ZEuP 1999, 424, 454; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 639. 159   EuGH, Rs. 56/65 (LTM) Rn. 9; Rs. C‑234/89 (Delimitis) Rn. 40; Rs. C‑279/06 (CEPSA) Rn. 78. 160  EuGH, Rs. 56/65 (LTM) Rn. 9; Rs. C‑234/89 (Delimitis) Rn. 40; Rs. C‑279/06 (CEPSA) Rn. 78; Langen/Bunte/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, Art. 81 Generelle Prinzipien, Rn. 210; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 138. A. A. Furse, Competition Law of the EC and UK, 6. Aufl. 2008, S. 208; di Giò, World Competition 2009, 199, 206. 161  G/H/N/Stockenhuber, 58. EL, 2016, Art. 101 Rn. 233; v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/Schröter/ van der Hout, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 101 AEUV Rn. 221; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 138. 162   Vgl. EuGH, Rs. 26/76 (Metro I) Rn. 27. Hierzu Schneider, Zivilrecht und praktische Wirksamkeit der Artikel 85 und 86 EG‑Vertrag, 2000, S. 50 ff.

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

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die Paralleleinfuhren in das Vertragsgebiet eines Alleinvertriebshändlers erschweren sollen.163 Auf die Intention der Parteien kann es demgegenüber nicht ankommen.164 An sich neutrale Vertragsteile, die der wettbewerbsbeschränkenden Abrede dienen, sind daher selbst dann untrennbar mit der verbotenen Klausel verbunden und nichtig, wenn die Parteien an diesen Klauseln festhalten wollen. Nach Auffassung des BGH und Teilen des Schrifttums soll es (auch) darauf ankommen, ob die Gesamtvereinbarung ohne die unwirksamen Abreden einen selbständiger Geltung fähigen Inhalt behält.165 Das Merkmal der rechtlichen Selbständigkeit ist als ausschließliches Kriterium indessen nicht geeignet, den Zielen des Art. 101 AEUV in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen. Auch Vertragsbestandteile, die rechtlich selbstständig weiter bestehen können, müssen nämlich von der Nichtigkeitsfolge erfasst sein, wenn sie dem Zustandekommen oder der Durchsetzung der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung dienen. c) Rechtsfolgen der Teilnichtigkeit nach nationalem Recht Lassen sich die übrigen Bestimmungen von der verbotenen Absprache trennen, so ist für die Rechtsfolgen der Teilnichtigkeit im Hinblick auf den abtrennbaren Teil nicht das Unionsrecht, sondern das innerstaatliche Recht maßgeblich.166 Dies kann, da unionsweite Regelungen fehlen, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. So ordnet etwa § 139 BGB für das deutsche Recht an, dass aus der Teilunwirksamkeit die Gesamtunwirksamkeit folgt, wenn nicht anzunehmen ist, dass das Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Im Zweifel gilt also Gesamtnichtigkeit. Im Unterschied hierzu gehen zahlreiche Rechtsordnungen (beispielsweise Frankreich, Italien, Österreich und Griechenland) von der grundsätzlichen Aufrechterhaltung des übrigen Rechtsgeschäfts aus und lassen Gesamtnichtigkeit nur eintreten, wenn der Fortbestand des übrigen Rechtsgeschäfts dem Willen der Parteien widersprechen würde.167 In England wenden die Gerichte dagegen mit Blick auf die Frage, ob Gesamt- oder Teilnichtigkeit eintritt, mehrere Kriterien an, die sich teils überschneiden. Nach neuerer Rechtsprechung168 soll entscheidend sein, (i) ob die nichtige Wettbewerbsbeschränkung die Gegenleistung (consideration) für das Versprechen bildete, (ii) ob der Vertrag bei Wegfall der nichtigen Klauseln so verändert wird, dass die Parteien ihn nicht abgeschlossen hätten, (iii) ob die nichtigen Abreden den Hauptzweck und ‑inhalt des Vertrags betreffen bzw. ihr ersatzloser Fortfall den Anwendungsbereich und den Zweck des Vertrags vollständig verändern oder aber im 163

  Vgl. EuGH, Rs. 56 & 58/64 (Consten Grundig); Rs. 28/77 (Tepea) Rn. 11/16.   v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/Schröter/van der Hout, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 101 AEUV Rn. 217. 165   BGH v. 8.2.1994, KZR 2/93 (Pronuptia II), WuW/E BGH 2909, 2913 = NJW 1994, 1651, 1653; Langen/Bunte/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, Art. 81 Generelle Prinzipien, Rn. 209; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 640. 166   EuGH, Rs. 56/65 (LTM) Rn. 9; Rs. 319/82 (Société de vente de ciments et bétons) Rn. 12; Rs. C‑279/06 (CEPSA) Rn. 79. 167   Allgemein HKK-BGB/Dorn, §§ 139 – 141 Rn. 1 ff. Speziell zu Kartellverstößen vgl. für Frankreich Winckler, ECLA 2003, 119, 125; für Österreich Eilmansberger, JBl. 2009, 337, 340 ff. 168   Crehan and others v Courage Ltd and others, [1999] E.C.C. 455, [1999] EWCA Civ. 1501, Rn.  157 – 159; English Welsh and Scottish Railway Ltd v E.ON UK Plc, [2007] EWHC 599 (Comm), Rn. 28 (per Field J.). 169   BGH, 8.2.1994, KZR 2/93 (Pronuptia II), WuW/E BGH 2909, 2913 = NJW 1994, 1651, 1653. 164

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§ 7  Kartellrecht

Gegenteil zu einem für die Parteien akzeptablen Vertrag führen würde, (iv) ob der von einer Hauptpartei beabsichtigte Vertragszweck entfiele, sowie (v) ob die Vereinbarung ihrem Wesen nach eine nichtige Wettbewerbsbeschränkung darstellt. – Bislang ist ungeklärt, in welchem Rangverhältnis diese Kriterien stehen. In der Praxis enthalten viele Verträge eine salvatorische Erhaltungsklausel, derzufolge der Vertrag trotz unwirksamer Abreden im Übrigen fortbestehen soll. Der BGH ging in seiner früheren Rechtsprechung noch davon aus, dass in diesen Fällen § 139 BGB abbedungen ist.169 Nach neuerer Rechtsprechung bewirken derartige Klauseln dagegen nur eine Umkehr der in § 139 BGB enthaltenen Vermutung.170 Die Darlegungs- und Beweislast für die Gesamtnichtigkeit trägt also derjenige, der entgegen der salvatorischen Klausel den Vertrag für insgesamt nichtig hält. Sieht eine salvatorische Klausel zudem vor, dass an die Stelle des nichtigen Teils eine wirtschaftlich gleichwertige Bestimmung treten soll, so ist daraus nach nationalem Recht auf eine Pflicht der Parteien zu schließen, den Vertrag so anzupassen, dass er nicht mehr gegen Art. 101 AEUV verstößt oder unter eine GVO fällt. Nach Auffassung des EuGH richtet sich die Frage, ob die Parteien zur Vertragsanpassung verpflichtet sind, ebenfalls nach dem einschlägigen nationalen Recht.171 Im Schrifttum wird die unionsrechtliche Zulässigkeit der geltungserhaltenden Reduktion überwiegend bejaht.172 Dem ist zuzustimmen, soweit die Reduktion dazu führt, dass eine Vertragsklausel durch Anpassung auf das erlaubte Maß aus dem Verbotsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV entfernt wird. Insoweit kann nämlich nichts anderes gelten als hinsichtlich der Frage, ob nach Art. 101 Abs. 2 AEUV Teil- oder Gesamtnichtigkeit eintritt. Da derjenige Teil einer Vereinbarung, der unterhalb der Schwelle eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV liegt, die unionsrechtliche Zielsetzung nicht tangiert, besteht kein Anlass dafür, dass das Unionsrecht die Nichtigkeitsfolge auf ihn erstreckt.173 Anders verhält es sich dagegen in Fällen, in denen die geltungserhaltende Reduktion dazu führt, dass eine Vertragsklausel sich wieder in den von einer GVO gezogenen Rahmen einfügt. Fällt die fragliche Vereinbarung in den Anwendungsbereich einer GVO, sind schwarze Klauseln (Kernbeschränkungen) und das Alles-odernichts-Prinzip zu beachten. Verstößt eine Klausel gegen Kernbeschränkungen, so entfällt der Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung auch für alle übrigen unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallenden Beschränkungen. Eine geltungserhaltende Reduktion ist daher nicht zulässig, da ansonsten das Alles-oder-nichts-Prinzip konterkariert 170

347 f.

  BGH, 24.9.2002, KZR 10/01 (Tennishallenpachtvertrag), WuW/E DE‑R, 1031 = NJW 2003,

171

  EuGH, Rs. 10/86 (VAG/Magne) Rn. 15.  Immenga/Mestmäcker/K. Schmidt, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 29; Langen/Bunte/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, Art. 81 Generelle Prinzipien, Rn. 212a; Canaris, DB 2002, 930, 935; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 650 ff. Nach Schneider, Zivilrecht und praktische Wirksamkeit der Artikel 85 und 86 EG‑Vertrag, 2000, S. 112, soll eine Anpassung auf das erlaubte Maß dagegen aus generalpräventiven Gründen generell unzulässig sein. FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 136, hält demgegenüber nur eine Reduktion auf das „höchstzulässige Maß“ für unzulässig, nicht jedoch eine Reduktion auf einen „angemessenen Klauselinhalt“. 173   Auch der EuGH hat die Korrektur überschießender Klauseln im Anwendungsbereich von Art. 101 Abs. 1 AEUV implizit gebilligt; vgl. EuGH, Rs. 42/84 (Remia/Kommission) Rn. 36: Entscheidung der Kommission, dass ein Wettbewerbsverbot unter Art. 101 AEUV fällt, soweit es länger als vier Jahre gilt, ist nicht zu beanstanden. 172

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

551

würde.174 Auch die Ausführungen des EuGH im Fall Brünsteiner deuten in diese Richtung. Die Kläger des Ausgangsverfahrens waren der Auffassung, dass ein Verstoß gegen Art. 4 VO 1400/2002 (Kraftfahrzeugsektor) nicht automatisch zur Gesamtnichtigkeit der Vereinbarung führen dürfe; diese Folge könne erst nach einer gescheiterten Anpassung des Vertrags eintreten.175 Der Gerichtshof widersprach dieser Auffassung mit der Begründung, dass bei Verletzung von Art. 4 VO 1400/2002 immer eine schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkung in Rede stehe und, damit verbunden, die GVO in diesem Falle selbst die Unanwendbarkeit der Freistellungsverordnung auf die gesamte Vereinbarung vorsehe.176 4. Auswirkungen der Nichtigkeit auf Ausführungs- und Folgeverträge Die Nichtigkeit kartellrechtswidriger Absprachen kann sich zugleich auf Ausführungs- und Folgeverträge auswirken, also auf Vereinbarungen, die aufgrund oder im Zusammenhang mit der verbotenen Absprache getroffen werden. Auch bei diesen Verträgen stellt sich die Frage, ob die zivilrechtlichen Rechtsfolgen direkt aus Art. 101 Abs. 2 AEUV oder aus dem nationalen Recht zu entnehmen sind. a) Ausführungsverträge Die zivilrechtliche Wirksamkeit von Vereinbarungen und Beschlüssen, die zwischen den Kartellmitgliedern zwecks Ergänzung, Absicherung, Durchführung oder Vertiefung der vereinbarten, beschlossenen oder mittels Verhaltensabstimmung intendierten Wettbewerbsbeschränkung getroffen werden (sog. Ausführungsverträge), beurteilt sich grundsätzlich nach Art. 101 Abs. 2 AEUV. Derartige Verträge sind nichtig, da sie entweder selbst gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen oder aber untrennbar mit der verbotenen Basisabsprache verbunden sind.177 Dies gilt etwa für Lieferverträge zwischen einer Verkaufsgemeinschaft und ihren Gründungsunternehmen,178 für die Übertragung von Warenzeichen aufgrund einer Marktteilungsabsprache179 sowie für Lizenzverträge zwischen den Mitgliedern von Patentpools.180

174   Wie hier Eilmansberger, JBl. 2009, 337, 349; Langen/Bunte/Nolte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, Art. 81 Fallgruppen Vertikal-GVO Nr. 2790/99 Rn. 525; a. A. MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 653; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 137, 153. 175   EuGH, verb. Rs. C‑376 – 377/05 (Brünsteiner) Rn. 49. 176   EuGH, verb. Rs. C‑376 – 377/05 (Brünsteiner) Rn. 50. 177  Langen/Bunte/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 81 Generelle Prinzipien, Rn. 213; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 669; Immenga/ Mestmäcker/K. Schmidt, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 35; FK/ Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 140. 178   Vgl. BGH, 19.6.1975, WuW/E BGH 1367, 1373 (Zementverkaufsstelle Niedersachsen) = NJW 1975, 1837, 1840. 179  Vgl. EuGH, Rs. C‑9/93 (IHT Heiztechnik) Rn. 59, mit der Einschränkung, dass die mit Art. 101 AEUV verbundene Sanktion nicht automatisch für jede Übertragung gilt, sondern erst dann, wenn „der Zusammenhang, die mit der Übertragung verbundenen Verpflichtungen, die Absicht der Parteien und die versprochene Gegenleistung untersucht“ worden sind. 180  Langen/Bunte/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 1 Rn. 296.

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§ 7  Kartellrecht

b) Folgeverträge aa) Rechtsprechung des EuGH Etwas anderes soll demgegenüber für Vereinbarungen gelten, die zwischen den Kartellmitgliedern und unbeteiligten Dritten auf der Grundlage der Kartellabsprache geschlossen werden (sog. Folgeverträge). Der Gerichtshof hat im Fall Société de vente de ciments klargestellt, dass die aufgrund einer verbotswidrigen Absprache erteilten Aufträge und durchgeführten Lieferungen sowie die daraus folgenden Zahlungsverpflichtungen nicht nach Art. 101 Abs. 2 AEUV, sondern nach nationalem Recht zu beurteilen sind.181 bb) Praxis der Kommission Die Kommission hat sich demgegenüber vorbehalten, im Rahmen von Abstellungsverfügungen nicht nur die Beendigung wettbewerbsbeschränkender Verträge anzuordnen, sondern zugleich gegen die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen, die sich für Folgeverträge ergeben, vorzugehen.182 So verpflichtete die Kommission etwa in der Entscheidung Astra183 die Kartellmitglieder, ihre Kunden darüber zu unterrichten, dass diese innerhalb von vier Monaten nach Kenntnisnahme berechtigt seien, die Bedingungen der Verträge neu auszuhandeln oder die Verträge innerhalb einer angemessenen Kündigungsfrist zu beenden. cc) Rechtslage in den Mitgliedstaaten In den meisten nationalen Rechtsordnungen werden Folgeverträge für wirksam erachtet. In Deutschland gehen sowohl Rechtsprechung184 als auch Lehre185 von der Gültigkeit dieser Verträge aus. Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass aus Gründen der Rechtssicherheit der an der Kartellabsprache nicht beteiligte Vertragspartner nicht der Ungewissheit über die Gültigkeit seines Vertrages und der von ihm erworbenen Ansprüche ausgesetzt werden dürfe.186 In Österreich hat der OGH entschieden, dass Folgeverträge nicht „tatbildlich“ im Sinn des Kartellverbots des § 1 KartG 2005 sind; die Erfüllungshandlungen solcher Leistungsaustauschverträge seien nicht Mittel zur Durchführung einer verbotenen 181   EuGH, Rs. 319/82 (Société de vente de ciments) Rn. 11. Vgl. auch GA Warner, SchlA, Rs. 22/79 (Greenwich Film Production), sowie GA Colomer, SchlA, Rs. C‑215/96 (Bagnasco) Rn. 56. 182   KomE v. 23.12.1992 (Astra), ABl. 1993 L 20/23 Rn. 32. 183   KomE v. 23.12.1992 (Astra), ABl. 1993 L 20/23, Art. 3. Vgl. auch die vergleichbare Verpflichtung in KomE v. 19.9.1998 (Trans-Atlantic Conference Agreement), ABl. 1999 L 95/1, 104, Art. 9; bestätigt durch EuG, verb. Rs. T‑191/98, T‑212 – 214/98 (Atlantic Container Line). 184   BGH, 4.5.1956, WuW/E BGH 152, 153 (Spediteurbedingungen) = NJW 1956, 1201; BGH, 9.7.1984, WuW/E BGH 2100, 2102 (Schlussrechnung) = NJW 1984, 2372, 2373; OLG Düsseldorf, 30.7.1987, WuW/E OLG 4182, 4184 (Delkredere-Übernahme); anders noch zum alliierten Dekartellierungsrecht (für Teilnichtigkeit) BGH, 23.9.1955, WuW/E BGH 118, 120 f. (Zement) = NJW 1956, 68 f. 185  Immenga/Mestmäcker/K. Schmidt, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 36; K. Schmidt, in: FS Möschel, 2011, S. 559 ff.; für eine (Teil‑)Nichtigkeit von Folgeverträgen dagegen Säcker, ZWeR 2008, 348, 353, sowie (für Vertragsanpassung) Frenz, Europäisches Kartellrecht, 2006, Rn. 1097. 186   BGH, 9.7.1984, WuW/E BGH 2100, 2102 (Schlussrechnung) = NJW 1984, 2372, 2373; OLG Düsseldorf, 30.7.1987, WuW/E OLG 4182, 4184 (Delkredere-Übernahme)

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

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Kartellvereinbarung, sondern dienten der Durchführung des eigenen Schuldverhältnisses zwischen den Vertragsparteien.187 In Schweden urteilte der Oberste Gerichtshof, dass eine Preisanpassungsklausel, die aufgrund einer Kartellabsprache in einen Stromlieferungsvertrag zwischen einem Kartellmitglied und einem Folgeabnehmer aufgenommen wurde, wirksam sei, da derartige Klauseln nicht vom (nationalen) Kartellverbot erfasst werden.188 Da beide Vertragsparteien gleiche Verhandlungsstärke besäßen, sei die Preisanpassungsklausel auch nicht für unwirksam zu erklären. Auch in Italien gehen die Gerichte größtenteils davon aus, dass sich die Nichtigkeit einer verbotenen Absprache nicht auf Folgeverträge auswirkt.189 Dieselbe Rechtslage besteht in Dänemark, England, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, in den Niederlanden sowie in Portugal und Spanien; lediglich in Polen und Ungarn werden Folgeverträge zwischen Kartellmitgliedern und unbeteiligten Dritten für nichtig gehalten.190 dd) Auswertung Im Ergebnis kann kein Zweifel bestehen, dass ein Kartell den Folgeabnehmern trotz formal bestehender Vertragsfreiheit jede Möglichkeit nimmt, über die Konditionen des Vertrags zu verhandeln. Kartellabsprachen wirken sich in vielen Fällen kausal auf Folgeverträge aus.191 Dies gilt insbesondere für Marktaufteilungsabsprachen und Preiskartelle. Derartige Absprachen sind darauf gerichtet, den Folgevertragspartnern bestimmte Vertragspartner oder Vertragsinhalte aufzuzwingen. Bei einem Marktaufteilungskartell (Kundenbeschränkung) kommen Folgeverträge ohne das kartellrechtswidrige Verhalten in aller Regel schon gar nicht zustande. Bei einem Preiskartell wird der Folgevertrag inhaltlich durch das verbotene Verhalten zumindest „infiziert“, indem überhöhte Preise berechnet werden. Die ursprüngliche Wettbewerbsbeschränkung wirkt sich daher in diesen Konstellationen ursächlich auf den Abschluss bzw. den Inhalt des Folgevertrages aus. Zwischen der kartellrechtswidrigen Verhaltensweise und dem Inhalt des Folgevertrages besteht zudem  – wie Eilmansberger192 zutreffend dargelegt hat – ein Rechtswidrigkeitszusammenhang. Mit dem Verbot von Preis- und Marktaufteilungsabsprachen soll gerade verhindert werden, dass Folgevertragspartner mit den betreffenden Folgen, insb. mit überhöhten Preisen belastet werden. Besteht aber ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen dem kartellrechtswidrigen Verhalten und dem Folgevertrag, so sollten im nationalen Recht auch adäquate Rechtsfolgen dafür geschaffen werden, damit das Kartell im Folgevertrag 187   OGH als KOG, 8.10.2008, 16  Ok 8/08, unter 4.3.; für die Wirksamkeit von Folgeverträgen auch Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl., 1997, § 17 Rn. 147; Eilmansberger, Die Bedeutung der Art. 85 und 86 EG‑V für das österreichische Zivilrecht, 1998, S. 111 f.; anders aber nunmehr ders., JBl. 2009, 427, 432 ff. 188   Högsta Domstolen, Urt. v. 23.12.2004, Boliden Mineral v. Fortum; hierzu Gustafsson/Hoseinian, ECLR 2006, 5 ff. 189   Libertini/Maugeri, ERCL 2005, 250, 260 mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 32. 190   Möllers/Heinemann (Hrsg.), The Enforcement of Competition Law in Europe, 2008, S. 583 ff., 595 f. 191   Eilmansberger, JBl. 2009, 427, 432 ff.; Frenz, Europäisches Kartellrecht, 2006, Rn. 1097. 192   Eilmansberger, JBl. 2009, 427, 433 f.

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§ 7  Kartellrecht

nicht weiterlebt. Zwar wäre eine Gesamtnichtigkeit des Folgevertrages unverhältnismäßig. Eine solche Rechtsfolge wäre schon deswegen unangemessen, weil der Folgevertragspartner dann u. U. schlechter gestellt wäre als zuvor. Wettbewerbsschädlich ist nicht der Folgevertrag als solcher, sondern vielmehr die Bedingungen dieses Vertrages. Dementsprechend ist eine Lösung zu bevorzugen, die von bloßer Teilnichtigkeit des Vertrages ausgeht, dem Folgevertragspartner ein Recht auf Vertragsanpassung für die Zukunft und einen bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsanspruch für das in der Vergangenheit zuviel Bezahlte einräumt.193 In Betracht käme ein solches Vertragsanpassungsrecht allerdings nur für diejenigen Folgeverträge, die einen hinreichend engen Zusammenhang zum kartellrechtswidrigen Verhalten aufweisen. Ein solch enger Zusammenhang besteht jedenfalls bei Verträgen mit Direktabnehmern. Eine Begrenzung der Nichtigkeitsfolgen auf diese Verträge trüge zugleich dem Argument der Rechtssicherheit Rechnung, denn die mit der Teilnichtigkeit und Vertragsanpassung verbundene Rechtsunsicherheit träfe allein den (nicht schutzwürdigen) Kartellanten, nicht jedoch den Folgevertragspartner, der selbst darüber entscheiden könnte, ob er an den oktroyierten Bedingungen festhält oder nicht. Auch aus Effektivitätsgründen wäre eine Begrenzung der Nichtigkeitsfolgen auf Direktabnehmerverträge sinnvoll, denn es sind gerade die Direktabnehmer, die aufgrund der hohen Beträge den vergleichsweise größten Klageanreiz haben, gegen Kartellanten zivilrechtlich vorzugehen. Gegen die vorgetragene Lösung lässt sich einwenden, dass das Unionsrecht eine Teilnichtigkeit und Vertragsanpassung von Folgeverträgen nicht zwingend erfordert, da die betroffenen Abnehmer nach der Courage-Entscheidung insbesondere Schadensersatzansprüche geltend machen können. Die in Art. 13 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 zugelassene passing on defence könnte sogar dafür sprechen, dass die Richtlinie geradezu davon ausgeht, dass durch wirksame Folgeverträge Kartellschäden produziert werden und durch verschiedene Wirtschaftsstufen weitertransportiert werden können. Zwingend ist diese Argumentation jedoch keineswegs. Nach Art. 12 Abs. 1 RL 2014/104 ist genau der Schaden zu ersetzen, der beim Geschädigten tatsächlich entstanden und verblieben ist. Schadensersatzansprüche scheiden daher aus, soweit der Direktabnehmer nach erfolgter Vertragsanpassung einen kartellbedingten Preisaufschlag im Wege des Bereicherungsrechts zurückfordern kann. Die Effektivität der Kartellrechtsdurchsetzung könnte durch eine solche Rechtsfolge erheblich gestärkt werden. Im Unterschied zum Schadensersatzanspruch weist die Sanktion der Teilnichtigkeit und die hiermit verbundene bereicherungsrechtliche (Teil‑)Rückabwicklung nämlich den Vorteil auf, dass das Problem der passing on defence keine Rolle spielen würde. Der Folgevertragspartner hätte einen bereicherungsrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung des nicht zum gültigen Vertragsentgelt gehörenden Kartellgewinns, unabhängig davon, ob er in seiner Rolle als Händler oder Weiterverarbeiter das erworbene Produkt günstig weiterveräußern konnte. Da 193  Im Ergebnis wie hier (für das deutsche Recht) Frenz, Europäisches Kartellrecht, 2006, Rn. 1097; vgl. auch Säcker, ZWeR 2008, 348, 353 (Ersetzung des zu hohen Preises durch einen angemessenen Preis im Wege ergänzender Vertragsauslegung); für Österreich Eilmansberger, JBl. 2009, 427, 435 (relative Teilnichtigkeit im Wege geltungserhaltender Reduktion der kartellierten Kondition). Für Dänemark und die Niederlande Möllers/Heinemann (Hrsg.), The Enforcement of Competition Law in Europe, 2008, S. 595.

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

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es bei einem Kondiktionsanspruch nur auf die Bereicherung des Kartellanten, nicht aber darauf ankommt, ob der Zwischenhändler insgesamt geschädigt wird, käme der Einwand, dass Zwischenhändler den Kartellaufschlag auf ihre Abnehmer abwälzen konnten, also von vornherein nicht zum Tragen.194

II. Nichtigkeit bei Verstoß gegen das Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV) 1. Keine direkten unionsrechtlichen Vorgaben Art. 102 AEUV enthält im Unterschied zu Art. 101 Abs. 2 AEUV keine ausdrückliche Regelung zur Nichtigkeit. Im Schrifttum wird dennoch vereinzelt die Auffassung vertreten, die Nichtigkeit folge unmittelbar aus Art. 102 AEUV.195 Diesem Ansatz folgt auch die Rechtsprechung in England196 und Schweden.197 Der EuGH hat in der Rechtssache Ahmed Saeed Flugreisen indessen eindeutig festgestellt, es sei Sache der nationalen Verwaltungsbehörden oder Gerichte, aus der Anwendbarkeit des Art. 102 AEUV die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und, „mangels einschlägiger gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften gestützt auf ihr nationales Recht, eventuell die Nichtigkeit der fraglichen Vereinbarung festzustellen“.198 Dass die Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen das Missbrauchsverbot im Unionsrecht nicht geregelt sind, erklärt sich zum einen daraus, dass Art. 102 AEUV häufig tatsächliches Handeln erfasst, auf das die Rechtsfolge der Nichtigkeit nicht passt.199 Zum anderen bestehen zwischen dem Kartellverbot und dem Missbrauchsverbot strukturelle Unterschiede. Während die in Art. 101 Abs. 2 AEUV angeordnete Nichtigkeitssanktion stets die missbilligte Interessenkoordination zwischen den Vertragsparteien betrifft, ist die Interessenlage der potentiell Betroffenen bei Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vielschichtiger. Würde das Unionsrecht in Anlehnung an Art. 101 Abs. 2 AEUV alle gegen Art. 102 AEUV verstoßenden Rechtsgeschäfte für nichtig erklären, wären nicht wie bei Art. 101 AEUV ausschließlich die missbilligten Interessen der Kartellanten betroffen, sondern u. U. auch schützenswerte Interessen der Marktgegenseite. 2. Indirekte Vorgaben des Unionsrechts Unionsrechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung der nationalen Zivilrechtsfolgen bei einem Verstoß gegen Art. 102 AEUV ergeben sich indessen aus dem Verbotszweck des Art. 102 AEUV und dem Prinzip der praktischen Wirksamkeit (effet 194   Säcker, ZWeR 2008, 348, 353; vgl. auch BGH, NJW 2014, 3089 (Stromnetznutzungsentgelt VI), Rn. 48 ff. Auch bei einer Bereicherungslösung müsste freilich die Höhe der kartellbedingten Überteuerung der Ware oder Leistung bestimmt werden; Eilmansberger, JBl. 2008, 427, 432. 195   Roth/Rose, Bellamy  & Child, European Community Law of Competition, 6. Aufl., 2008, S. 1431 in Fn. 300. 196   English Welsh & Scottish Railway Ltd v E.ON UK plc, [2007] EWHC 599 (Comm), Rn. 26. 197   Göta Court of Appeal, 27.4.2001, Scandinavian Airlines System (SAS) v. Swedish Board of Civil Aviation (Luftfartsverket), T 33-00; hierzu Bernitz, CompLJ 2003, 195, 197; Pettersson/Alwall, ECLR 2003, 295, 297 ff. Das schwedische Gericht verwies zur Begründung vor allem auf die unmittelbare Wirkung von Art. 102 AEUV, Art. 4 Abs. 3 EUV und EuGH, Rs. 127/73 (BRT I). 198   EuGH, Rs. 66/86 (Ahmed Saeed Flugreisen) Rn. 45. 199   Jones/Sufrin, EC Competition Law, 3. Aufl., 2008, S. 1324; Immenga/Mestmäcker/Möschel/ Fuchs, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, Art. 102 AEUV Rn. 415.

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§ 7  Kartellrecht

utile). Da die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung in Art. 102 AEUV ohne weiteren Konkretisierungsvorbehalt für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird, muss Klauseln, mit denen ein Marktmissbrauch verwirklicht wird, nach nationalem Recht grundsätzlich die Durchsetzung verweigert werden.200 Hieraus folgt allerdings nicht zwangsläufig, dass die betreffenden Vereinbarungen absolut und ex tunc nichtig sind. Vielmehr kommen auch andere Rechtsfolgen in Betracht, so insbesondere eine relative Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit, eine geltungserhaltende Reduktion oder Vertragsanpassung, sowie in zeitlicher Hinsicht eine Nichtigkeit ex nunc. Der Verstoß gegen Art. 102 AEUV muss nicht automatisch zur Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts führen. Vielmehr kann der Normzweck des Art. 102 AEUV gegen die Unwirksamkeit des gesamten Rechtsgeschäfts streiten, so insbesondere dann, wenn das Missbrauchsverbot Abnehmer und Lieferanten vor unangemessenen, unfairen oder diskriminierenden Geschäftsbedingungen schützen soll.201 In diesen Fällen würde eine Gesamtnichtigkeit dazu führen, dass sich der Marktbeherrscher seinen vertraglichen Verpflichtungen entziehen könnte. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass der Benachteiligte in aller Regel darauf angewiesen sein wird, dass er von dem marktbeherrschenden Unternehmen weiterhin beliefert wird. Eine Gesamtnichtigkeit trüge daher den Interessen des schwächeren Teils nicht ausreichend Rechnung. Die Wirksamkeit von Klauseln und Rechtsgeschäften, die auf einer missbräuchlichen Verhaltensweise beruhen, ist damit in Abhängigkeit zu den verschiedenen Missbrauchstypen und den involvierten Interessen zu bestimmen. 3. Fallgruppen Da der EuGH die bei einem Verstoß gegen Art. 102 AEUV eintretenden Rechtsfolgen bislang nicht konkretisiert hat und auf das nationale Recht verweist, andererseits aber in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kaum gerichtliche Entscheidungen vorliegen, ist im Detail Vieles ungeklärt. Bei Verträgen, mit denen ein Ausbeutungsmissbrauch begangen wird, beispielsweise in Form eines Preis- oder Konditionenmissbrauchs (Art. 102 Abs. 2 lit. a AEUV), verlangt der Verbotszweck grundsätzlich die Nichtigkeit der betreffenden Klauseln.202 Da bei ersatzlosem Wegfall einer exzessiven Preisklausel in aller Regel Gesamtnichtigkeit einträte, diese aber nicht den Interessen der nach Art. 102 AEUV geschützten Vertragspartei entspräche, fordert der Schutzzweck des Ausbeutungsverbots indessen keine absolute Nichtigkeit, sondern die bloße Herabsetzung des 200   v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/Schröter/Bartl, Europäisches Unionsrecht, 7.  Aufl. 2015, Art. 102 AEUV Rn. 56; Streinz/Eilmansberger, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 102 AEUV Rn. 125. 201   Wie hier v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/Schröter/Bartl, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 102 AEUV Rn. 60; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 102 AEUV, 71. EL, Mai 2010, Rn. 52, 57; MüKo/Eilmansberger/Bien, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 667, 675. Nach a. A. soll ein unionsrechtliches Verbot der Anordnung der Nichtigkeit nur in den Fällen bestehen, in denen die Nichtigkeit ausschließlich dem marktbeherrschenden Unternehmen nützen würde; Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 329; Schneider, Zivilrecht und praktische Wirksamkeit der Artikel 85 und 86 EG‑Vertrag, 2000, S. 124 f. 202  Streinz/Eilmansberger, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 102 AEUV Rn. 127; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 102 AEUV, 71. EL, Mai 2010, Rn. 62, allerdings mit der Forderung, die Nichtigkeit auf deutliche Verstöße zu begrenzen.

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

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überhöhten Entgeltbetrags auf das zulässige Maß im Wege der Vertragsanpassung.203 Auch in Fällen der Diskriminierung (Art. 102 Abs. 2 lit. c AEUV) wird als vorrangige Rechtsfolge die Vertragsanpassung gesehen, um die Gleichbehandlung der diskriminierten mit der bevorzugten Partei zu erreichen.204 Vom Grundsatz her ist davon auszugehen, dass Behinderungsstrategien, die zu einer Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung führen (Art. 102 Abs. 2 lit. b AEUV), so etwa Wettbewerbsverbote, Ausschließlichkeitsbindungen oder Ein- und Ausfuhrverbote, ebenfalls zur Nichtigkeit der betreffenden Klausel führen.205 In aller Regel wird sich die Nichtigkeit derartiger Klauseln bereits aus Art. 101 Abs. 2 AEUV ergeben.206 Ungeklärt ist, ob der Normzweck des Art. 102 AEUV auch in diesen Fällen bloße Teilnichtigkeit verlangt, wenn die Gesamtnichtigkeit den Interessen des anderen Teils zuwiderliefe. Teils wird davon ausgegangen, dass der Normzweck des Art. 102 AEUV bei einem Behinderungsmissbrauch unergiebig sei, da dem Mitbewerberschutz bereits durch die Beseitigung der Vertragsbestandteile, die die marktabschottende Abnehmerbindung herbeiführen, hinreichend Genüge getan werde.207 Art. 102 AEUV will indessen auch bei einem Behinderungsmissbrauch nicht nur den Wettbewerb und die Wettbewerber, sondern zudem die durch einen solchen Missbrauch betroffenen Unternehmen schützen.208 Besonders umstritten sind die Rechtsfolgen bei Rechtsgeschäften, die zu missbräuchlich niedrigen Preisen oder besonders günstigen Konditionen abgeschlossen werden, um Konkurrenten vom Markt zu drängen. Die Besonderheit dieser Konstellation liegt darin, dass solche Kampfstrategien nur für die Wettbewerber, nicht aber für die unmittelbaren Vertragspartner von Nachteil sind. Vielfach wird vertreten, dass derartige Rechtsgeschäfte von der Nichtigkeitsfolge verschont bleiben.209 Begründet wird dies mit der Schutzbedürftigkeit der gutgläubigen Vertragspartner und den kaum lösbaren Schwierigkeiten der Rückabwicklung von Massengeschäften des täglichen Lebens. Nach der Gegenansicht sollen Unterkostenverkäufe generell nichtig sein, da nur so die praktische Wirksamkeit des Art. 102 AEUV gewahrt werden könne.210 Wiederum andere plädieren dafür, dass noch nicht abgewickelte 203   So OLG Düsseldorf, 9.1.2008, VI‑U (Kart) 45/06, juris, LS 7; v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/ Schröter/Bartl, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 60; G/H/N/Jung, 58. EL, 2016, Art. 102 Rn. 393. Für ein Anfechtungsrecht des Ausgebeuteten dagegen Steindorff, EG‑Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 329; MüKo/Eilmansberger/Bien, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 666. 204   v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/Schröter/Bartl, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 60; G/H/N/Jung, 58. EL, 2016, Art. 102 Rn. 393. So im Ergebnis auch in Schweden Göta Court of Appeal, 27.4.2001, Scandinavian Airlines System (SAS) v. Swedish Board of Civil Aviation (Luftfartsverket), T 33-00; hierzu Bernitz, CompLJ 2003, 195, 197. 205   v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/Schröter/Bartl, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 59. 206   Gleiches gilt für Kopplungsgeschäfte i. S. d. Art. 102 Abs. 2 lit. d AEUV. 207  MüKo/Eilmansberger/Bien, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 676. 208   Im Ergebnis ebenso v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/Schröter/Bartl, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 59; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 102 AEUV, 71. EL, Mai 2010, Rn. 57. 209  Immenga/Mestmäcker/Möschel/Fuchs, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, Art. 102 AEUV Rn. 419; Dieckmann, in: Wiedemann, HdB KartellR, 2. Aufl., 2009, § 40 Rn. 17. 210  G/H/N/Jung, 58. EL, 2016, Art. 102 Rn. 393; v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/Schröter/Bartl, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 61.

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§ 7  Kartellrecht

Dauerschuldverhältnisse ex nunc nichtig sind, während bereits durchgeführte Einzelgeschäfte gültig bleiben sollen.211 – Aus dem Normzweck des Art. 102 AEUV ergibt sich nicht zwingend, dass bereits abgewickelte Unterkostenverkäufe nichtig sein müssen. Die Nichtigkeit dieser Verträge würde nicht dazu führen, dass die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der benachteiligten Wettbewerber wieder hergestellt wird. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es gleichzeitig zu einer Rückabwicklung der Unterkostenverkäufe käme und die Marktgegenseite (wieder) Veranlassung hätte, ihren Bedarf nicht beim Marktbeherrscher, sondern bei den benachteiligten Wettbewerbern zu decken. Weder das marktbeherrschende Unternehmen noch die Marktgegenseite haben indessen ein Interesse daran, dass Unterkostenverkäufe rückabgewickelt werden. In der Praxis ist daher nicht mit einer Rückabwicklung der Verträge zu rechnen. Den benachteiligten Unternehmen kann insofern nur durch Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geholfen werden. Im Fall von Dauerschuldverhältnissen liegt es demgegenüber nahe, eine Nichtigkeit für die Zukunft anzunehmen, soweit die Interessen der begünstigten Partei nach Art und Umfang der Geschäfte keinen besonderen Stellenwert einnehmen. 4. Nationaler Rechtsrahmen Die bei einem Verstoß gegen Art. 102 AEUV eintretenden Rechtsfolgen werden, soweit ersichtlich, in keiner Rechtsordnung ausdrücklich geregelt. In einigen Ländern, so etwa in England und Schweden, rekurrieren die Gerichte direkt auf Art. 102 AEUV, um Vereinbarungen, die auf einer missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung beruhen, für nichtig zu erklären.212 In Deutschland geht die h. M. davon aus, dass Art. 102 AEUV ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB ist.213 In Österreich wird angenommen, dass der Verstoß gegen Art. 102 AEUV die Nichtigkeit der Vereinbarung gem. § 879 ABGB nach sich zieht.214 In beiden Rechtsordnungen tritt bei einem Gesetzesverstoß nicht automatisch Nichtigkeit ein; die Reichweite der Nichtigkeitssanktion bestimmt sich vielmehr nach dem Zweck der übertretenen Norm.215 In Frankreich ordnet Art. L 420‑3 Code de commerce Nichtigkeit nicht nur für Kartellabsprachen, sondern auch für missbräuchliche Verhaltensweisen an. Die Regelung gilt jedoch nur für innerstaatliche Verstöße. Die Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen Art. 102 AEUV sind dagegen nicht ausdrücklich im französischen Recht geregelt. Dementsprechend wird auf allgemeine Regelungen zurückgegriffen. Die Nichtigkeit kann sich entweder aus einem Verstoß gegen den ordre public (Art. 6 Code civil) oder aus dem missbilligten Zweck (cause illicite) des Rechtsgeschäfts (Art. 1131 211  MüKo/Eilmansberger/Bien, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 672 f.; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 102 AEUV, 71. EL, Mai 2010, Rn. 58. 212  Siehe supra, § 7 B.II.1. 213   OLG Düsseldorf, 9.1.2008, VI‑U (Kart) 45/06, juris, LS 7; Immenga/Mestmäcker/Möschel/ Fuchs, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, Art. 102 AEUV Rn. 416; v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/ Schröter/Bartl, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 56; G/H/N/Jung, 58. EL, 2016, Art. 102 Rn. 391; MüKo/Armbrüster, 7. Aufl., 2015, § 134 BGB Rn. 37. Für eine Anwendung der §§ 138, 242 BGB dagegen Langen/Bunte/Dirksen, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, Art. 82 Rn. 208. 214  MüKo/Eilmansberger/Bien, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 664. 215  Für Deutschland MüKo/Armbrüster, 7. Aufl., 2015, § 134 BGB Rn. 103 ff.; für Österreich KBB/Bollenberger, 2. Aufl., 2007, § 879 Rn. 3.

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

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Code civil) ergeben.216 Inwieweit schützenswerte Belange Dritter dazu führen können, dass Rechtsgeschäfte im Einzelfall als wirksam betrachtet werden, ist, soweit ersichtlich, ungeklärt.217 In Italien wird überwiegend vertreten, dass Vereinbarungen, die eine missbräuchliche Verhaltensweise vollziehen, nach Art. 1418 Codice civile nichtig sind, da sie gegen eine zwingende Norm (norma imperativa) verstoßen.218 Die weiteren Rechtsfolgen sind demgegenüber umstritten. Nach einem Teil der Lehre soll stets Teilnichtigkeit eintreten (nullità parziale necessaria); andere Autoren halten den Vertrag dagegen für anfechtbar (annullabile) oder befürworten ein Recht auf Vertragsanpassung. Vereinzelt findet sich im Schrifttum auch die Auffassung, dass ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV überhaupt nicht zur Nichtigkeit führt, sondern nur Schadensersatzansprüche begründet. In anderen Rechtsordnungen führt ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV ebenfalls zur Unwirksamkeit der betreffenden Vereinbarung.219 Die weiteren Konsequenzen der Nichtigkeit bleiben indessen häufig ungeklärt.

III. Herausgabeansprüche 1. Unionsrechtliche Vorgaben Die (Teil‑)Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen wirft die Frage auf, ob und in welchem Umfang ausgetauschte Leistungen nach Unionsrecht zurückzugewähren sind. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des EuGH zum öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch bei Verstößen gegen das Unionsrecht220 ließe sich ein unmittelbar aus dem Unionsrecht folgender Bereicherungsanspruch herleiten.221 Der Gerichtshof ist diesen Schritt gleichwohl (noch) nicht gegangen. In Société de vente de ciments et bétons verwies der EuGH explizit darauf, dass sich Bereicherungsansprüche nach mitgliedstaatlichem Recht richten.222 Damit stellt sich weitergehend die Frage, ob das Unionsrecht vom Grundsatz her verlangt, dass nach nationalem Recht Herausgabeansprüche bestehen. Größtenteils wird vertreten, dass Restitutionsansprüche unionsrechtlich nicht determiniert sind, da sich die Art. 101, 102 AEUV nur gegen Wettbewerbsbeschränkungen, nicht jedoch gegen den Leistungsaustausch als solchen richten. Nur ausnahmsweise soll die Rückabwicklung unionsrechtlich vorgegeben sein, nämlich dann, wenn sich das Kartell216

  Winckler, ECLA 2003, 119, 122.  Nach Winckler, ECLA 2003, 119, 127, können Dritte Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn die Auflösung des Rechtsgeschäfts für diese nachteilig ist. Nach Libertini/Maugeri, ERCL 2005, 250, 271, sind Verträge, die zu missbräuchlich niedrigen Preisen abgeschlossen werden, von den französischen Gerichten noch in keinem Fall für nichtig erklärt worden. 218   Hierzu und zum Folgenden mit umfangreichen Nachweisen Libertini/Maugeri, ERCL 2005, 250, 268 ff. 219  Vgl. Braakman, Die Anwendung der Artikel 85 und 86 des EG‑Vertrags durch die Gerichte der Mitgliedstaaten, 1997. 220  Hierzu supra, § 2 D.IV.1. 221  So Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 219 f.; Whish, Competition Law, 5. Aufl., 2003, S. 296 f., mit Hinweis auf EuGH, Rs. C‑242/95 (GT‑Link) Rn. 58 (ohne Stellungnahme zu diesem Problem jetzt aber die 6. Aufl., 2009). 222   EuGH, Rs. 319/82 (Société de vente de ciments et bétons/Kerpen & Kerpen) Rn. 5 (Vorlagefrage 3) und Rn. 11 f. 217

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§ 7  Kartellrecht

oder Missbrauchsverbot gerade auf den Leistungsaustausch bezieht.223 Andere nehmen demgegenüber an, dass stets eine unionsrechtliche Verpflichtung des nationalen Rechts besteht, einen (wie auch immer verorteten) Herausgabeanspruch zur Verfügung zu stellen, soweit die Art. 101, 102 AEUV die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts verlangen.224 Für die zuletzt genannte Auffassung spricht, dass die in Art. 101 Abs. 2 AEUV angeordnete Nichtigkeit nach Auffassung des EuGH ex tunc wirkt; bereits dies deutet darauf hin, dass grundsätzlich die Herstellung des status quo ante anzustreben ist.225 Daneben sprechen insbesondere der Schutzzweck der Art. 101, 102 AEUV sowie der Sanktionsgedanke für eine Pflicht zur Bereitstellung von Restitutionsansprüchen. Herausgabeansprüche sind unionsrechtlich vor allem dann geboten, wenn das Kartell- oder Missbrauchsverbot dem Schutz einer bestimmten Partei dient. Dies ist bei einem Ausbeutungsmissbrauch (Art. 102 Abs. 2 lit. a AEUV) und bei einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 102 Abs. 2 lit. c AEUV) eindeutig der Fall. In diesen Konstellationen erfordert das Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass der Ausgebeutete bzw. Diskriminierte das (zuviel) Geleistete auch zurückfordern kann. Entsprechendes muss bei einem Verstoß gegen das Kartellverbot (Art. 101 Abs. 1 AEUV) gelten, wenn eine der Parteien aufgrund ihrer schwachen Verhandlungsposition keine erhebliche Verantwortung für den Wettbewerbsverstoß trägt,226 so z. B. bei vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen in Form einer unzulässigen Preis- und Konditionenbindung (Art. 101 Abs. 1 lit. a AEUV). Herausgabeansprüche müssen darüber hinaus dann bestehen, wenn die Rückabwicklung kartellrechtswidriger Leistungen – und damit die Wiederherstellung der Lage, die vor dem Verstoß gegen das Kartell- oder Missbrauchsverbot bestanden hat – im Unionsinteresse liegt. Davon ist auszugehen, wenn ohne eine Rückabwicklung die sich aus der nichtigen Vereinbarung ergebende Wettbewerbsverfälschung aufrechterhalten wird. Dies trifft beispielsweise für Leistungen zu, die zur Durchführung kartellrechtswidriger Kooperationsvorhaben ausgetauscht wurden. Für eine unionsrechtliche Pflicht zur Bereitstellung von Herausgabeansprüchen lässt sich in vielen Fällen auch der Sanktionsgedanke anführen: Grundsätzlich besteht ein unionsrechtliches Interesse daran, dass das kartellrechtswidrige Geschäft nicht zur Ausführung gelangt. Dann kann es aber geboten sein, dem Leistenden einen Anreiz zur rechtzeitigen Aufdeckung des Geschäfts zu geben, indem man ihm für diesen Fall ein Rückforderungsrecht zubilligt.227 223  Streinz/Eilmansberger, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 101 Rn. 120; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 722; Schneider, Zivilrecht und praktische Wirksamkeit der Artikel 85 und 86 EG‑Vertrag, 2000, S. 75. 224   So (ohne nähere Begründung) FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 102 AEUV, 71. EL, Mai 2010, Rn. 66. Einschränkend dagegen noch ders., Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 155 (Rückabwicklung ist jedenfalls dann unionsrechtlich geboten, wenn die Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäfts zu einem dem Verbotszweck zuwiderlaufenden Zustand führt). 225   Wie hier Winckler, ECLA 2003, 119, 126. 226   Vgl. EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 31. 227  Nach Zäch, Wettbewerbsrecht der Europäischen Union, 1994, S. 82 f., soll eine Rückabwicklung freiwillig erbrachter Leistungen dagegen unionsrechtlich stets ausgeschlossen sein, weil allein auf diese Weise Verstöße gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV effizient sanktioniert werden. Gegen einen unionsrechtlich begründeten Ausschluss der Rückabwicklung jedoch explizit EuGH, Rs. 319/82 (Societé de vente de ciments et bétons) Rn. 5 (Vorlagefrage 3) und Rn. 11 f.

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

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Der Sanktionsgedanke greift allerdings nicht in sämtlichen Fallkonstellationen. Dies zeigt sich in jenen Fällen, in denen eine Partei als Gegenleistung für den Verzicht auf Wettbewerbshandlungen ein bestimmtes Entgelt oder andere vermögenswerte Leistungen erhält. Soweit eine solche Wettbewerbsenthaltung vereinbart wird (beispielsweise in Form eines Wettbewerbsverbots oder bei Bezugsbindungen), trägt die Rückabwicklung der Geld- oder Sachleistung für sich genommen nicht dazu bei, den Kartellverstoß zu beseitigen. Vielmehr reicht es in aller Regel aus, wenn diejenige Partei, die auf die Vornahme bestimmter Wettbewerbshandlungen verzichtet, nicht mehr an das Wettbewerbsverbot gebunden ist. Der Sanktionsgedanke könnte in jenen Fällen sogar für den Ausschluss der Rückforderung streiten: Kann der Empfänger der Sach- oder Geldleistung davon ausgehen, dass er das Empfangene auch dann behalten kann, wenn er das vereinbarte Wettbewerbsverbot bricht, so werden für den Betreffenden Anreize gesetzt, sich vertragswidrig zu verhalten und das vereinbarte Kartell zu destabilisieren. Der Ausschluss von Rückabwicklungsansprüchen kann damit ein wirksames Mittel sein, um die gebundene Partei zum „gefahrlosen“ Ausstieg aus dem Kartell zu bewegen. Das Unionsrecht steht daher in diesen Konstellationen einer nationalen Regelung, derzufolge nach den Grundsätzen in pari delicto bzw. in pari turpitudine oder § 817 S. 2 BGB eine Rückforderung ausgeschlossen ist, nicht entgegen. 2. Ausgestaltung der Rückabwicklung in den Mitgliedstaaten In allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist vom Grundsatz her anerkannt, dass das in Erfüllung eines (teil‑)nichtigen Vertrages Geleistete zurückgefordert werden kann.228 Die Mechanismen, die zu einer Restitution führen, werden in dogmatischer Hinsicht allerdings ganz unterschiedlich verortet. Während die Rückabwicklung nichtiger Verträge in vielen Ländern bereicherungsrechtlich qualifiziert wird, kennen einige Rechtsordnungen – beispielsweise das spanische und portugiesische Recht  – besondere, überwiegend vertragsrechtlich qualifizierte Mechanismen zur Rückabwicklung von Verträgen.229 Im englischen Recht hat sich zwar in jüngerer Zeit der Gedanke Bahn gebrochen, dass das Bereicherungsrecht ein selbständiger Teil der Rechtsordnung ist;230 dennoch muss nach wie vor zwischen einzelnen Klagegründen unterschieden werden, ohne dass ihre systematische Zuordnung gänzlich geklärt wäre.231 Besonders deutliche Unterschiede zeigen sich bei dem in vielen Rechtsordnungen anerkannten Verbot der Rückforderung gesetzes- oder sittenwidriger Leistungen, das 228  Umfassend Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa, Bd. I, 2000; speziell zum Kartellrecht Braakman, Die Anwendung der Artikel 85 und 86 des EG‑Vertrags, 1997. FK/ Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 102 AEUV, 71. EL, Mai 2010, Rn. 66, leitet aus der Entscheidung Devenish Nutrition Ltd v Sanofi-Aventis SA and others, [2008] EWCA Civ 1086, demgegenüber ab, dass im englischen Recht Bereicherungsansprüche bei einem Verstoß gegen Art. 101, 102 AEUV ausgeschlossen sind. In dem betreffenden Fall ging es jedoch allein um die Klage eines Folgeabnehmers auf Gewinnabschöpfung (disgorgement of wrongful profits). 229  Für Spanien Art. 1303 ff. CC; für Portugal Art. 289 CC; vgl. Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa, Bd. I, 2000, S. 475 ff. und 491 ff. 230   Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, S. 552 ff. 231   Dies gilt auch für die Frage, ob der Gesetzesverstoß (illegality) als selbständiger Klagegrund (cause of action) zu begreifen ist oder nur einen Ausschlussgrund (defense) darstellt; für Letzteres Swadling, in: Johnston/Zimmermann (Hrsg.), Unjustified Enrichment, 2004, S. 289, 300 ff.

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§ 7  Kartellrecht

teils gesetzlich normiert ist,232 teils auf die römischen Rechtsgrundsätze nemo auditur oder in pari delicto bzw. in pari turpitudine gestützt wird.233 Zwar lässt sich unter Zugrundelegung eines funktionalen Ansatzes feststellen, dass sämtliche Rechtsordnungen, die ein solches Verbot kennen, dazu tendieren, die Entscheidung über den Rückforderungsausschluss am Schutzzweck der verletzten Gesetzes- oder Sittenvorschrift auszurichten.234 Dies darf indessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rechtsprechung und Lehre diesem Ansatz nicht uneingeschränkt folgen und in der Praxis durchaus andere Kriterien zugrunde legen.235 Auch der Inhalt und Umfang von Bereicherungsansprüchen wird in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich geregelt. Dies betrifft die Herausgabe von Nutzungen und Früchten, insb. Zinsen,236 aber auch die mögliche Entlastung des Schuldners bei Wegfall oder Minderung seiner Bereicherung bzw. – funktionsäquivalent – bei change of position.237 3. Vorgaben für das deutsche Recht Rechtsprechung238 und Schrifttum239 gehen einhellig davon aus, dass sich die Rückabwicklung von Leistungen, die aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 101, 102 AEUV rechtsgrundlos erbracht wurden, nach den §§ 812 ff. BGB richtet. In der Praxis läuft ein solcher Anspruch zumeist auf Wertersatz gem. § 818 Abs. 2 BGB hinaus. Ungeklärt ist, ob sich der Anspruchsgegner auf die Rückforderungsschranken der §§ 814 Halbs. 1, 817 S. 2 und 818 Abs. 3 BGB berufen kann. a) Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 Halbs. 1 BGB) Nach § 814 Halbs. 1 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Da die deutsche Rechtsprechung diese Vorschrift eng auslegt, wird der Kondiktionsausschluss in aller Regel nicht eingreifen. Zum einen gilt die Einwendung des § 814 Halbs. 1 BGB nur für freiwillige Leistungen; § 814 BGB findet daher keine Anwendung, wenn sich der Leistende in einer Zwangslage 232  Für Deutschland § 817 S. 2 BGB; für Österreich § 1174 Abs. 1 ABGB; hierzu im kartellrechtlichen Kontext Eilmansberger, JBl. 2009, 427, 429 ff.; für Italien Art. 2035 CC; für Spanien Art. 1305, 1306 CC; für die Niederlande Art. 6:211 BW. 233   So etwa in Frankreich, vgl. Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa, Bd. I, 2000, S. 220 f.; speziell zum Kartellrecht Winckler, ECLA 2003, 119, 126 f. Für Belgien vgl. Schiltz/Linden/Grolig, in: Braakman, Die Anwendung der Artikel 85 und 86 des EG‑Vertrags, 1997, Teil 2, S. 29, mit Hinweis auf Cass., 24.9.76, Pas. 1977, I, 101. Für das englische Recht vgl. Gibbs Mew Plc v Graham Gemmell, [1999] E.C.C. 97, CA.; hierzu Whish, Competition Law, 5. Aufl., 2003, S. 291 f., mit Hinweis darauf, dass der Grundsatz in pari delicto nach der Courage-Entscheidung eingeschränkt werden muss. 234   Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa, Bd. I, 2000, S. 216 ff.; Wendehorst, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen eines europäischen Bereicherungsrechts, 2005, S. 47, 73. 235  Ausführlich Dannemann, in: Johnston/Zimmermann (Hrsg.), Unjustified Enrichment, 2004, S. 310 ff. 236   Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa, Bd. I, 2000, S. 312 ff. 237   Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa, Bd. I, 2000, S. 340 ff. 238   OLG Saarbrücken, WuW/E OLG 3243, 3246 (Zementimport) = OLGZ 1985, 211, 215. 239  Immenga/Mestmäcker/K. Schmidt, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 11.

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

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befunden hat.240 Zum anderen setzt die Vorschrift positive Kenntnis der Nichtschuld voraus.241 Der Leistende muss nicht nur die Tatsachen kennen, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt. Vielmehr muss er sich auch über die Rechtslage insoweit im Klaren sein, als er weiß, dass er nichts schuldet. Grob fahrlässige Unkenntnis führt dagegen nicht zum Ausschluss des Rückforderungsanspruchs. Darüber hinaus kommt § 814 Halbs. 1 BGB dann nicht zur Anwendung, wenn beide Seiten erkennen, dass sie einander aufgrund der Nichtigkeit nichts schulden, gleichwohl aber ihre Leistungen erbringen, um die Gegenleistung des jeweils anderen Teils zu erlangen.242 Damit bleibt für eine Anwendung des § 814 Halbs. 1 BGB letztlich nur Raum, wenn lediglich eine Partei Kenntnis von der Nichtigkeit des Vertrags hatte. Ob das Unionsrecht in diesen Fällen einer Anwendung des § 814 Halbs. 1 BGB entgegensteht, ist ungeklärt. Nach Courage verstößt eine nationale Regelung, die den Beteiligten an einer rechtswidrigen Handlung generell Ausgleichsansprüche verwehrt, gegen das Unionsrecht. § 814 Halbs. 1 BGB schließt Bereicherungsansprüche jedoch nur für einen ganz speziellen Fall aus.243 b) Gesetzesverstoß (§ 817 S. 2 BGB) Im Schrifttum findet sich teils die Behauptung, dass Rückabwicklungsansprüche regelmäßig an § 817 S. 2 BGB scheitern, da der Bereicherungsgläubiger zumeist gegen Art. 101 AEUV und damit gegen ein gesetzliches Verbot verstoße.244 Diese Aussage lässt sich in dieser Pauschalität nicht halten. § 817 S. 2 BGB setzt positive Kenntnis des Leistenden vom Gesetzesverstoß voraus.245 Leichtfertiges Handeln ist einem vorsätzlichen Tun nur dann gleichzustellen, wenn sich der Leistende der Einsicht in die Gesetzeswidrigkeit seines Handelns leichtfertig verschließt.246 Dies dürfte nur bei offenkundigen Wettbewerbsbeschränkungen (Kernverstößen) der Fall sein.247 In sonstigen Fällen darf leichtfertiges Handeln nicht ohne weitere Prüfung des Einzelfalls unterstellt werden. Positive Kenntnis scheidet jedenfalls dann aus, wenn nicht der Leistende, sondern allein der andere Vertragsteil über besondere Kenntnisse verfügt, die für die Anwendung der Art. 101, 102 AEUV relevant sind.248 Soweit § 817 S. 2 BGB dennoch greift, sind die zuvor diskutierten Vorgaben des Unionsrechts zu beachten: Der Ausschluss von Rückforderungsansprüchen ist grundsätzlich unionsrechtswidrig und nur in besonderen Fallkonstellationen zulässig. § 817 240   RGZ 97, 140, 142; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, 13. Aufl. 1994, § 68 III.1.b. 241  MüKo/Schwab, BGB, 6. Aufl., 2013, § 814 BGB Rn. 12. 242   BGH, NJW 1976, 237, 238; NJW 1979, 763 f.; NJW 1999, 2892, 2893. 243  Nach Wurmnest, RIW 2003, 896, 899, steht die Courage-Entscheidung daher einem Ausschluss nach § 814 Halbs. 1 BGB nicht entgegen. 244  Langen/Bunte/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 6. Aufl., 2006, Art. 81 Generelle Prinzipien, Rn. 225; Streinz/Eilmansberger, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 101 AEUV Rn. 121. 245   BGHZ 50, 90, 92. 246   BGH, NJW 2005, 1490, 1491 (Radarwarngerät); NJW 1983, 1420, 1423; im kartellrechtlichen Kontext OLG Stuttgart, WuW/E OLG 3485, 3488 (Strohgäu-Wochenjournal). 247  Ähnlich Eilmansberger, JBl. 2009, 427, 430, für das österreichische Recht, das für den Rückforderungsausschluss nach § 1174 ABGB Wissentlichkeit voraussetzt. 248   Zu denken ist beispielsweise an Konstellationen, in denen eine Partei ein Netz gleichartiger Verträge abgeschlossen hat (Bündeltheorie) oder bestimmte Umsatz- oder Marktanteilsgrenzen überschreitet, die für die Anwendung einer GVO maßgeblich sind; zu derartigen Fallgestaltungen Streinz/ Eilmansberger, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 101 AEUV Rn. 123.

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§ 7  Kartellrecht

S. 2 BGB ist daher im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung einzuschränken. Eine restriktive Interpretation der Vorschrift ist ohne Weiteres möglich. Der BGH hat anerkannt, dass § 817 S. 2 BGB nicht zur Anwendung gelangt, wenn der Schutzzweck der verletzten Norm gegen eine Kondiktionssperre spricht.249 c) Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) Nach § 818 Abs. 3 BGB kann sich der Bereicherungsschuldner auf den Wegfall der Bereicherung berufen, wenn er den Mangel des rechtlichen Grundes nicht kannte (§§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB). Für das Beihilferecht hat der EuGH entschieden, dass sich der Beihilfeempfänger gegenüber der Rückforderung von EU‑rechtswidrig gewährten Beihilfen nicht auf § 818 Abs. 3 BGB stützen kann, wenn die Beihilfe nicht ordnungsgemäß bei der Kommission angemeldet wurde.250 Diese Rechtsprechung ist jedoch auf das Kartellrecht nicht übertragbar.251 Die im Beihilferecht getroffenen Wertungen beruhen auf der Überlegung, dass das beihilfebegünstigte Unternehmen auf die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe nur dann vertrauen darf, wenn diese unter Einhaltung des in Art. 108 AEUV vorgesehenen Verfahrens gewährt worden ist. Im Kartellrecht besteht demgegenüber kein vergleichbares Notifizierungs- und Genehmigungsverfahren. Das Vertrauen in die gewährten Leistungen ist daher schutzwürdig, solange die Parteien keine positive Kenntnis vom Wettbewerbsverstoß haben.

IV. Sonstige Ansprüche Soweit Vereinbarungen nach Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. nach Art. 102 AEUV i. V. m. dem anwendbaren nationalen Recht nichtig sind, können die Beteiligten weder Erfüllungsansprüche noch Ansprüche auf Schadensersatz statt der Leistung geltend machen.252 In einigen Rechtsordnungen wird darüber diskutiert, ob derjenige, der dem anderen Vertragsteil pflichtwidrig verschweigt, dass die abzuschließende Vereinbarung eine nichtige Kartellabrede darstellt, nach culpa in contrahendo haftet.253 Unionsrechtlich sind derartige Ansprüche unbedenklich, denn die Gewährung von Vertrauensschäden führt weder direkt noch indirekt dazu, dass der kartellrechtswidrige Vertrag zur Durchführung gelangt.254 Vereinzelt wird aus der Courage-Entscheidung sogar der Schluss gezogen, dass Ansprüche nach culpa in contrahendo unionsrechtlich geboten sein könnten.255 Haftungsauslösendes Verhalten für den in Courage begrün249

  BGH, NJW 2006, 45, 46 m. w. N.   EuGH, Rs. C‑24/95 (Alcan II) Rn.  49 – 54. Hierzu infra, § 8 C.IV.3.   Wie hier Wurmnest, RIW 2003, 896, 900; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 725. 252   BGH, WuW/E BGH 1000, 1004 (Fruchtsäfte) = GRUR 1969, 501, 504; Langen/Bunte/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, Art. 81 Rn. 223; G/H/N/Stockenhuber, 58. EL, 2016, Art. 101 Rn. 248. 253  Für Deutschland Langen/Bunte/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, Art. 81 Rn. 223; für Österreich Eilmansberger, JBl. 2009, 427, 430 f. In Italien wird im Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung teils ein vorvertraglicher Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen, der eine Haftung nach Art. 1337 CC begründen soll; vgl. Libertini/Maugeri, ERCL 2005, 250, 270. 254   So auch Langen/Bunte/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, Art. 81 Rn. 223; Streinz/Eilmansberger, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 101 AEUV Rn. 123. 255  FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81, 68. EL, Mai 2009, Rn. 178. 250

251

B. Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen

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deten Schadensersatz ist indessen der Verstoß gegen Art. 101 AEUV, nicht jedoch die Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht. Abgesehen hiervon ist zu bedenken, dass eine allgemeine vorvertragliche Pflicht, dem anderen Vertragsteil all jene Umstände mitzuteilen, die einem rechtlich wirksamen Zustandekommen des Vertrages entgegenstehen, in längst nicht allen Rechtsordnungen anerkannt ist.

V. Harmonisierungsbedarf? Die bei einem Verstoß gegen Art. 101, 102 AEUV eintretenden Rechtsfolgen sind bislang nur ansatzweise durch den EuGH konkretisiert worden. Der Gerichtshof verweist in großem Umfang auf das nationale Recht. Dies führt zu divergierenden Lösungen und zu erheblicher Rechtsunsicherheit. In den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen herrschen ganz unterschiedliche Auffassungen darüber, unter welchen Voraussetzungen gegen das Kartell- und Missbrauchsverbot verstoßende Vereinbarungen im Ganzen nichtig oder teilweise wirksam sind,256 ob unwirksame Klauseln angepasst werden können, und welche Auswirkungen ein Verstoß gegen das EU Wettbewerbsrecht auf Folgeverträge hat. Insbesondere bei Verstößen gegen das Missbrauchsverbot findet sich im Schrifttum ein breites Meinungsspektrum. Auch die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung unterliegt ganz unterschiedlichen Regeln. Eine einheitliche Regelung zu den Nichtigkeitsfolgen, einschließlich zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung, könnte die Rechtssicherheit erhöhen und die private Durchsetzung der Art. 101, 102 AEUV fördern.257 Zwar müssten harmonisierte Regeln notgedrungen auf einem abstrakten Niveau formuliert werden. Dies gilt nicht zuletzt für Verstöße gegen das Missbrauchsverbot, da je nach Fallgruppe ganz unterschiedliche Rechtsfolgen (Teilnichtigkeit, geltungserhaltende Reduktion, relative Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit, Nichtigkeit ex nunc) in Betracht kommen. Eine positive Verankerung in einem Sekundärrechtsakt wiese jedoch den Vorteil auf, dass die nationalen Gerichte künftig zur Vorlage an den EuGH gezwungen wären. Nach gegenwärtiger Rechtspraxis unterbleibt eine solche Vorlage, wenn es um Fragen geht, die nach Auffassung des EuGH nicht durch das Unionsrecht, sondern durch das nationale Recht geregelt werden. Wären Regelungen zur Gesamt- und Teilnichtigkeit, zur Anpassung von Verträgen, zur geltungserhaltenden Reduktion und zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung in einem Sekundärrechtsakt verankert, bestünde demgegenüber eine Vorlagepflicht für die nationalen Gerichte. Der Gerichtshof könnte sich nicht mehr darauf berufen, dass in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften nationales Recht anwendbar ist, sondern müsste die Rechtsfolgen selbst konkretisieren. Auf diese Weise entstünden nach einiger Zeit einheitliche Kriterien, die in sämtlichen Mitgliedstaaten von den Gerichten angewendet werden müssten. 256   Vgl. nur English Welsh & Scottish Railway Ltd v E.ON UK plc, [2007] EWHC 599 (Comm), Rn. 27 – 29, ohne Erörterung der umstrittenen Frage (hierzu supra, § 7 B.II.3.), ob der Normzweck des Art. 102 AEUV einer Gesamtnichtigkeit entgegensteht. 257   Für eine Harmonisierung der Nichtigkeitsfolgen und Restitutionsansprüche auch van Gerven, ECLA 2003, 53, 81 f. und (mit konkreten Vorschlägen) S. 90 f.; di Giò, World Competition 2009, 199 ff. Nach Eilmansberger, JBl. 2009, 337, 338, besteht demgegenüber kein legislativer Handlungs‑, sondern allenfalls wissenschaftlicher Präzisierungsbedarf.

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§ 7  Kartellrecht

C. Schadensersatzansprüche Schadensersatzansprüche, die auf Verstöße gegen Art. 101 oder 102 AEUV gestützt und vor den einzelstaatlichen Gerichten geltend gemacht werden, müssen den primärrechtlichen Anforderungen genügen, die der EuGH in seiner Rechtsprechung entwickelt hat. Daneben determiniert auch die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 spätestens nach Ablauf ihrer Umsetzungsfrist (27. Dezember 2016) die Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen. Die nachstehenden Ausführungen gehen daher sowohl auf die vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze als auch auf die Frage ein, wie diese durch die Richtlinie konkretisiert worden sind.

I. Grundsätze 1. Hybrider Anspruch Die Entwicklung des kartelldeliktischen Schadensersatzanspruchs bei Verstößen gegen das EU‑Wettbewerbsrecht wird maßgeblich durch die Rechtsprechung des EuGH geprägt.258 Im Fall Courage259 leitete der Gerichtshof die Existenz des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs direkt aus dem Primärrecht ab. Für die nähere Ausgestaltung dieses Rechts(behelfs) verwies der EuGH demgegenüber auf das nationale Recht: Mangels einer einschlägigen Unionsrechtsregelung sei es – so der Gerichtshof – Sache des innerstaatlichen Rechts, die Einzelheiten des Schadensersatzanspruchs zu regeln, soweit die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität gewahrt blieben.260 Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch erweist sich damit – wie andere vom EuGH entwickelte Rechtsbehelfe auch261 – als hybrider Anspruch, der einerseits im Unionsrecht seine Grundlage hat, andererseits aber der näheren Ausgestaltung durch das nationale Recht bedarf. Angesichts dieser Ausgangslage war bereits vor Erlass der KartellschadensersatzRL 2014/104 umstritten, ob die Anspruchsgrundlage für den kartellrechtlichen Schadensersatz direkt dem Unionsrecht262 oder dem nationalen Recht263 zu entnehmen ist. Andere wiederum meinen, dass die Bedeutung dieses Meinungsstreits von zweitrangiger Bedeutung sei.264 Im Ergebnis komme es nicht so sehr darauf an, ob das nationale Recht einen unionsrechtlichen Anspruch ausgestalte oder das Unionsrecht Vorga258

  Für einen Überblick zur Rechtsprechungsentwicklung siehe supra, § 2 E.II.1.   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26. 260   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 29; verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 62 und 64. 261   Zum unionsrechtlichen Erstattungsanspruch supra, § 2 D.IV.1. Zum Staatshaftungsanspruch supra, § 2 D.IV.3. 262  So Nowak, EuZW 2001, 715, 718; Komninos, CMLR 2002, 447, 465 ff.; Mäsch, EuR 2003, 825, 843; Karollus, ecolex 2006, 797, 799; vgl. auch Reich, CMLR 2005, 35, 65 („relatively autonomous Community law on remedies“). 263  So Basedow, in: Baudenbacher (Hrsg.), Neueste Entwicklungen im europäischen und internationalen Kartellrecht, 2006, S. 353, 355 f.; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 187 ff.; Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, 2008, S. 57 ff.; Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 476 f.; Weyer, ZEuP 2003, 318 ff.; Wurmnest, in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch, 2004, S. 213, 221 f. 264   G. Wagner, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 605, 614. 259

C. Schadensersatzansprüche

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ben für die Ausgestaltung eines im mitgliedstaatlichen Recht wurzelnden Anspruchs mache. Entscheidend sei vielmehr die Dichte der unionsrechtlichen Vorgaben. Aus der Perspektive des Unionsrechts ist es in der Tat unerheblich, ob das nationale Gericht die unionsrechtliche Anspruchsgrundlage sogleich als solche anwendet oder eine nationale Haftungsgrundlage heranzieht. Soweit das nationale Gericht auf eine im nationalen Recht vorgesehene Anspruchsgrundlage zurückgreift, kann den unionsrechtlichen Anforderungen durch eine primärrechtskonforme Auslegung Rechnung getragen werden. Stößt die primärrechtskonforme Auslegung an ihre Grenzen, darf die nationale Norm nicht angewendet werden, da die Art. 101, 102 AEUV unmittelbare horizontale Wirkung in Privatrechtsverhältnissen entfalten und dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts Rechnung zu tragen ist. Entsteht durch die Nichtanwendbarkeit der nationalen Rechtsvorschrift eine Lücke, tritt das Unionsrecht an die Stelle des nationalen Rechts, soweit es subsumtionsfähige positive Aussagen zur Anspruchsausgestaltung trifft.265 Gleiches gilt für den (eher unwahrscheinlichen) Fall, dass das nationale Recht überhaupt keine Anspruchsgrundlage zur Verfügung stellt.266 Schadensersatzansprüche könnten dann ebenfalls auf die unmittelbare horizontale Wirkung der Art. 101, 102 AEUV gestützt werden267 – allerdings auch in diesem Fall nur insoweit, als sich dem Primärrecht in seiner Auslegung durch den EuGH konkrete Vorgaben entnehmen lassen. 2. Auslegung und Überprüfung der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 im Lichte der EuGH-Rechtsprechung Mit der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 werden die vom EuGH entwickelten Vorgaben nunmehr im Sekundärrecht kodifiziert und konkretisiert. Zwar wird das Recht auf Schadensersatz bereits durch den Vertrag selbst garantiert. Die Durchsetzung dieses Anspruchs ist aber vielfach nur unter erschwerten Bedingungen in den Mitgliedstaaten möglich.268 Unterschiedliche mitgliedstaatliche Schadensersatzregeln führen zudem zu Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt.269 Die Richtlinie setzt sich daher zum Ziel, einen einheitlichen Rechtsrahmen für die effektive Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen zu schaffen.270 Darüber soll die private Durchsetzung des Wettbewerbsrechts besser mit der behördlichen Durchsetzung koordiniert werden.271 ErwGr (12) der Richtlinie stellt zudem klar, dass sich die Richtlinie eng an die Rechtsprechung des EuGH anlehnen möchte. Dadurch wird nicht nur der allgemeine Grundsatz der primärrechtskonformen Auslegung bestätigt. Vielmehr wird zugleich hervorgehoben, dass die bisherige Rechtsprechung des EuGH nicht korrigiert wer265   Ist dies nicht der Fall, kommt es nur zur Nichtanwendung entgegenstehenden nationalen Rechts (negative unmittelbare Wirkung), nicht aber zur Ersetzung durch unionsrechtliche Vorgaben (positive unmittelbare Wirkung); hierzu supra, § 5 A.I.2. 266  Die Ashurst-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sämtliche der untersuchten 25 Mitgliedstaaten über Anspruchsgrundlagen verfügen; Waelbroeck/Slater/Even-Shoshan, Study, 2004, S. 1, 27 ff. 267   Im Ergebnis auch Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 201 ff.; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, Rn. 39 und 85 ff.; a. A. Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 128 f. 268   So die Begründung zum Richtlinienvorschlag, COM (2013) 404 final, S. 4. Vgl. auch supra, § 7 A.II.1. 269   So ErwGr (7) und (8) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 270   Art. 1 Abs. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 271   Art. 1 Abs. 2 Kartellschadensersatz-RL 2014/104.

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§ 7  Kartellrecht

den soll, soweit keine abweichenden Regelungen bestehen. Die Richtlinie ist daher im Zweifel unter Rückgriff auf jene Judikatur auszulegen.272 Die vom EuGH aus dem effet utile und dem Effektivitätsgebot hergeleiteten Vorgaben könnten darüber hinaus herangezogen werden, um die KartellschadensersatzRL 2014/104 selbst einer Kontrolle zu unterwerfen. Das Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 47 GRC) bindet nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern zugleich den Richtliniengeber (Art. 51 Abs. 1 GRC). Zwar steht den Unionsorganen grundsätzlich ein legislatorischer Gestaltungsspielraum zu. Mangels jedweder Vorgaben in den Verträgen kann es, wie im Schrifttum zu Recht hervorgehoben wird, nicht Sache des Gerichtshofs sein, allein auf der Basis des primärrechtlichen Verbots­ tatbestands eine abschließende Detailregelung des Schadensersatzanspruchs herauszuarbeiten.273 Dies schließt andererseits aber nicht aus, dass der EuGH zumindest die Grenzen dieses Gestaltungsspielraums kontrollieren kann.274 Auch der Unionsgesetzgeber ist an die primärrechtliche Vorgabe gebunden, dass bei Verletzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte wirksame Rechtsbehelfe (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV) und ein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz (Art. 47 GRC) gewährleistet werden müssen. 3. Primärrechts- und richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts Nationales Recht muss nach Ablauf der Umsetzungsfrist (27. Dezember 2016) richtlinienkonform ausgelegt werden.275 Daneben sind die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung und Anwendung der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 an die vom EuGH entwickelten primärrechtlichen Vorgaben gebunden, die der Gerichtshof aus dem Prinzip der praktischen Wirksamkeit und dem Effektivitätsgebot abgeleitet hat. Soweit die Richtlinie nur Mindestvorgaben aufstellt oder keine ausdrücklichen Regelungen enthält, gelten – wie Art. 4 Richtlinie deklaratorisch hervorhebt276 – die Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz. 4. Horizontale Direktwirkung der primär- und sekundärrechtlichen Vorgaben? Steht nationales Recht nach Ablauf der Umsetzungsfrist in Widerspruch zur Kartellschadensersatz-RL 2014/104, ohne dass eine richtlinienkonforme Auslegung in Betracht kommt, stellt sich die Frage, ob die Richtlinienvorgaben in Privatrechtsverhältnissen unmittelbar wirken. 272

  Vollrath, NZKart 2013, 434, 437.  So Meeßen, Schadensersatz, 2011, S. 40. Vgl. auch Basedow, AcP 210 (2010), 157, 183, der eine Überprüfung sekundärrechtlicher Vorschriften mit der Begründung ablehnt, dass die vom EuGH entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze nicht dazu bestimmt seien, einen Maßstab für die Überprüfung des Unionsprivatrechts zu bilden, da viele von ihnen hierfür zu allgemein und vage seien. 274   Wie hier Schweitzer, NZKart 2014, 335, 343; ähnlich Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 626. Einschränkend W.‑H. Roth, ZHR 179 (2015), 668: Aussagen des EuGH haben weitestgehend gesetzesvertretenden Charakter (mit sekundärrechtlicher Wertigkeit) und sind damit durch den Unionsgesetzgeber modifizierbar. 275   Vor Ablauf der Umsetzungsfrist müssen die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen unterlassen, die geeignet sind, das in der Richtlinie vorgeschriebene Ziel „ernstlich in Frage“ zu stellen; vgl. EuGH, Rs. C‑129/96 (Inter-Environnement Wallonie) Rn. 45 ff. 276   Zur Bedeutung von Sekundärrechtsnormen, die das Effektivitätsgebot konkretisieren, supra, § 4 C.I.4.a. 273

C. Schadensersatzansprüche

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Zwar betont der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass selbst eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche unmittelbar angewendet werden muss.277 Andererseits dient die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 aber der Kodifizierung und Konkretisierung primärrechtlicher Grundsätze. Unter Zugrundelegung der Mangold-Rechtsprechung278 liegt daher der Gedanke nahe, dass die Richtlinie in Verbindung mit den primärrechtlichen Vorgaben eine horizontale unmittelbare Wirkung entfalten kann. Nach einem weiten Verständnis soll aus der Mangold-Doktrin nämlich folgen, dass sämtliche das Primärrecht konkretisierenden Richtliniennormen unmittelbar wirken.279 Überträgt man diesen Ansatz auf das Wettbewerbsrecht, so müsste nationales Recht stets für unanwendbar erklärt werden, wenn die Vorgaben der RL 2014/104 nicht (effektiv) in nationales Recht umgesetzt werden. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen.280 Nach hier vertretener Auffassung ist vielmehr danach zu differenzieren, ob sich die unionsrechtlichen Anforderungen allein aus dem Primärrecht ergeben oder unter Rückgriff auf die betreffende Richtlinie.281 Nur im ersten Fall kommt eine horizontale Direktwirkung in Betracht. Lassen sich die unionsrechtlichen Vorgaben dagegen nur mit Blick auf die in der Richtlinie getroffenen Wertungen begründen, so muss eine horizontale unmittelbare Wirkung ausscheiden. Die Abgrenzung zwischen primär- und sekundärrechtlichen Vorgaben ist zugegebener Maßen schwierig. Der Sache nach spricht jedenfalls viel dafür, dass zumindest diejenigen Vorgaben, die der Gerichtshof vor Erlass der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 aufgestellt hat, primärrechtlicher Natur sind und damit unmittelbar wirken. Welche weiteren Anforderungen direkt aus dem Primärrecht folgen und damit eine horizontale Direktwirkung entfalten, wird der Gerichtshof zu klären haben. 5. Funktionen des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs a) Der Schadensersatzanspruch zwischen Institutionen- und Individualrechtsschutz Die Judikatur des EuGH wirft die Frage nach den Funktionen des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs auf. Auf der einen Seite betont der Gerichtshof in Courage282 unter Hinweis auf seine van Gend & Loos- und die Francovich-Rechtsprechung283 den individualschützenden Charakter kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche. Auf der anderen Seite wird der Schadensersatzanspruch als ein Instrument angesehen, das die Durchsetzungskraft der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln erhöhen und damit die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs insgesamt sicherstellen soll.284

277  Hierzu supra, § 5 A.IV.1. Vollrath, NZKart 2013, 434, 437, schließt daher eine horizontale Direktwirkung der Kartellschadensersatz-RL kategorisch aus. 278   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold); Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci). Hierzu supra, § 5 A.IV.4.b. 279   Supra, § 5 A.IV.4.c. 280   Supra, § 5 A.IV.4.c.cc. 281   So jetzt auch EuGH, Rs. C‑176/12 (Association de mediation sociale). Dazu supra, § 5 A.IV.4.d. 282   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 19. 283   EuGH, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos); verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 31. 284   Supra, § 3 D.I.3.a.

570

§ 7  Kartellrecht

Dies wirft die Frage nach dem Verhältnis beider Zielsetzungen zueinander auf: Dienen private Ansprüche vorrangig der effektiven Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts? Will der EuGH durch die Zuerkennung von Schadensersatzansprüchen also in erster Linie den Wettbewerb als Institution schützen? Oder sind Schadensersatzansprüche (zugleich) als individuelle Rechte eines jeden Geschädigten zu begreifen? Diese Fragen, die in Deutschland mit Blick auf das deutsche Kartellrecht in den 1950er Jahren eine Grundsatzdebatte ausgelöst haben,285 stellen sich auch für das Europäische Unionsrecht, wenngleich unter veränderten Vorzeichen. Die deutsche Diskussion kreiste um die Frage, ob das GWB den Marktteilnehmern unmittelbar subjektive Rechte zuweist oder Dritte nur reflexiv durch das Wettbewerbsrecht geschützt werden. Dieser Streit stellt sich für das Unionsrecht nicht in gleicher Weise. Vom Grundsatz her ist anerkannt, dass die Art. 101, 102 AEUV den Wettbewerb im Binnenmarkt vor Verfälschungen schützen und einen wirksamen Wettbewerb („workable competition“) sicherstellen sollen.286 Die Wettbewerbsvorschriften zielen damit, wie Generalanwältin Kokott jüngst noch einmal hervorgehoben hat, auf den Schutz des Wettbewerbs „als Institution“.287 Kartellrechtliche Individualansprüche werden erst dann ausgelöst, wenn gegen die Art. 101, 102 AEUV verstoßen wird. Insofern ist es durchaus zutreffend, wenn davon gesprochen wird, dass die dem Opfer eingeräumten „Rechte“ nicht autonom zu bestimmen sind, sondern von der Tragweite der Wettbewerbsregeln und den von ihnen verfolgten Zielen abhängen.288 Andererseits besteht nach den Entscheidungen des EuGH in Courage und Manfredi aber kein Zweifel mehr daran, dass die Wettbewerbsvorschriften dem Einzelnen zugleich Rechte verleihen, die von den nationalen Gerichten zu schützen sind. Hinter den betreffenden Schadensansprüchen stehen reale Schäden, deren Kompensation nicht allein aus Gründen des öffentlichen Interesses vom Unionsrecht verlangt wird. Die eigentliche Frage ist denn auch gar nicht, ob die Art. 101, 102 AEUV und die bei ihrem Verstoß entstehenden privatrechtlichen Ansprüche dem Schutz des Wettbewerbs als Institution oder dem Schutz von Individualinteressen dienen, sondern vielmehr, wie Individual- und Institutionenschutz im Konfliktfall auszutarieren sind. Zwar weisen beide Funktionen weitgehend eine parallele Schutzrichtung auf. Durch die Gewährung individueller Ansprüche wird nicht allein dem Individualinteresse der Betroffenen Rechnung getragen, sondern zugleich dem Allgemeininteresse an einem 285   Würdinger, WuW 1953, 721, 722; Ballerstedt, JZ 1956, 267, 271; Benisch, WuW 1956, 480, 483; Strickrodt, WuW 1957, 75, 90 ff.; Säcker, Zielkonflikte und Koordinationsprobleme im deutschen und europäischen Kartellrecht, 1971; K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht – Kartellverwaltungsrecht – Bürgerliches Recht, 1977, S. 62 ff.; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, § 4 Rn. 111. 286   EuGH, Rs. 6/72 (Continental Can) Rn. 22 ff., 25; Rs. 26/76 (Metro I) Rn. 20. Neben den vorgenannten Zielen betont der EuGH weitere Zielsetzungen, so etwa die Marktintegration und den Verbraucherschutz; zu ersterem EuGH, Rs. 15/81 (Gaston Schul Douane Expediteur) Rn. 33; zu letzterem EuGH, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche) Rn. 125; Rs. C‑95/04P (British Airways) Rn. 106. Der Schutz des unverfälschten Wettbewerbs und der offenen Marktwirtschaft gehört auch nach dem Lissabonner Vertrag zu den Grundlagen der europäischen Wettbewerbsverfassung; statt Vieler Drexl, in: von Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, S. 905 ff. 287   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑95/04P (British Airways) Rn. 68. 288  Vgl. W.‑H. Roth, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 109, 123. Siehe auch Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 14.

C. Schadensersatzansprüche

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funktionsfähigen Wettbewerb. Indem der Einzelne seine Schadensersatzansprüche geltend macht, trägt er zugleich dazu bei, dass die Wettbewerbsregeln durchgesetzt werden und der Wettbewerb als Institution geschützt wird. Mit Blick auf die Reichweite zivilrechtlicher Ansprüche macht es indessen durchaus einen Unterschied, ob Schadensersatzansprüche primär dem EU‑Wettbewerbsrecht zum Erfolg verhelfen sollen oder der Schadenskompensation dienen. Begreift man den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch als bloßes Mittel zur Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und den Einzelnen als „Funktionär der Gesamtrechtsordnung“289 bzw. „private attorney general“,290 ist der mit ihm einhergehende Schutz lediglich ein abgeleiteter.291 Im Vordergrund steht dann nicht ein schützenswertes Interesse des Einzelnen an der Kompensation erlittener Schäden, sondern das öffentliche Interesse an der Prävention künftiger Wettbewerbsverstöße. Ansprüche des Einzelnen müssten im Konfliktfall zurücktreten, wenn die Effektivität der Wettbewerbsregeln anderenfalls nicht gewährleistet werden könnte. Versteht man den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch dagegen als Ausfluss individuell verliehener Rechte, wären Ansprüche des Einzelnen der Disposition des europäischen und nationalen Gesetzgebers weitgehend entzogen. Nach dieser Lesart wäre die mit der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen einhergehende präventive Wirkung lediglich ein (sozial erwünschter) Nebeneffekt der privaten Rechtsdurchsetzung. b) Effektivität des Unionsrechts versus effektiver Rechtsschutz Dass beide Funktionen nicht immer parallel laufen, sondern im praktischen Fall zu einer Stellungnahme zwingen, lässt sich besonders plastisch am Beispiel der Anspruchsberechtigung von Folgeabnehmern und dem Problem der passing on defence demonstrieren.292 Unter Effektivitätsgesichtspunkten erscheint es naheliegend, eine Verlagerung der Aktivlegitimation von den Direktabnehmern auf die Folgeabnehmer abzulehnen. Bei Folgeabnehmern entstehen nämlich häufig Streu- bzw. Bagatellschäden, an deren Geltendmachung die Betroffenen vernünftigerweise kein Interesse haben. Der effet utile scheint damit nahezulegen, dass Ansprüche von Folgeabnehmern ausgeschlossen und im Interesse einer wirksamen Kartellrechtsdurchsetzung auf Direktabnehmern konzentriert werden müssen.293 Unter Zugrundelegung einer individualschützenden Konzeption ist eine solche Lösung indessen abzulehnen. Werden überhöhte Preise tatsächlich auf die Folgeabnehmer abgewälzt, so erscheint es unter dem Gesichtspunkt der Schadenskompensation kaum vertretbar, dass Direktabnehmer im Falle der Schadensabwälzung weiterhin ihre Schadensersatzansprüche geltend machen können, während die tatsächlich geschädigten Folgeabnehmer von der Durchsetzung ihrer Ansprüche ausgeschlossen werden. Ähnliche Probleme stellen sich bei der Frage, ob zum Zwecke der wirksamen Kartellrechtsdurchsetzung dem Geschädigten ein suprakompensatorischer Schadensersatz zugesprochen werden soll. Unter dem Gesichtspunkt des Schutzes individueller 289

  So die Formulierung von L. Raiser, in: Summum ius summa iniuria, 1963, S. 145, 159.   So die gängige Formulierung im US‑amerikanischen Kartellrecht; vgl. Associated Industries of New York State, Inc v Ickes, 134 F 2d 694, 704 (2d Cir 1943), per J Jerome Franck. 291  Treffend Glöckner, WRP 2007, 490, 499. 292   Zu den nachfolgenden Beispielen auch Glöckner, WRP 2007, 490, 495 f.; Nebbia, CYELS 2008, 287, 289 ff. 293   Im Ergebnis ist diese Überlegung nicht überzeugend; siehe infra, § 7 C.III.4.a. 290

572

§ 7  Kartellrecht

Rechte wäre ein solcher Schadensersatz nicht erforderlich. Versteht man den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch dagegen als Instrument der Prävention und Verhaltenssteuerung, könnte eine Abschöpfung des vom Verletzer erzielten Gewinns oder die Verhängung eines „Zuschlags“ den Anreiz zur Klageerhebung verstärken und zugleich eine starke Abschreckungs- und Präventionswirkung gegenüber potentiellen Kartellrechtstätern entfalten. Besondere Abstimmungsprobleme zwischen den verschiedenen Funktionen des kartellrechtlichen Schadensersatzes stellen sich schließlich mit Blick auf Kronzeugenprogramme, die sowohl von der Kommission294 als auch vom BKartA295 sowie in nahezu sämtlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten296 vorgesehen sind. Kronzeugenregelungen ermöglichen in vielen Fällen, dass ein Kartellverstoß überhaupt erst aufgedeckt wird.297 Aus öffentlicher Sicht besteht ein überwiegendes Interesse am Schutz von Kronzeugenprogrammen. Die Ermäßigung oder der Erlass einer Geldbuße im Zuge eines Kronzeugenprogramms nützen dem whistleblower allerdings wenig, wenn anschließend Schadensersatzklagen mit Ansprüchen in noch größeren Dimensionen drohen. Die private Rechtsdurchsetzung kann die Attraktivität von Kronzeugenprogrammen erheblich beeinträchtigen. Soll eine effektive Kartellrechtsdurchsetzung sichergestellt werden, liegt es dementsprechend nahe, die zivilrechtliche Haftung von Kronzeugen zu begrenzen oder auszuschließen. Unter dem Gesichtspunkt des Individualrechtsschutzes erscheint es dagegen ausgeschlossen, die zivilrechtlichen Ansprüche der Geschädigten durch Kronzeugenregelungen zu beschränken. c) Meinungsstand Teile des Schrifttums entnehmen der Rechtsprechung des EuGH, dass kartellrechtliche Schadensersatzansprüche in erster Linie als Instrumente der Prävention und Verhaltenssteuerung zu verstehen sind.298 Der Gerichtshof begreife das Privatrecht als „funktionales Äquivalent zum Verwaltungsvollzug“.299 Der Einzelne werde im Inter294   Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, ABl. 2006 C 298/17; Art. 4a VO 773/2004 i. d. F. der VO 2015/1348. 295   BKartA, Bekanntmachung Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – v. 7.3.2006. 296   Borrell/Jiménez/García, Evaluating Antitrust Leniency Programs, XREAP2012-01, 2012. Siehe auch das vom ECN erarbeitete (unverbindliche) Kronzeugenregelungsmodell von November 2012; http://ec.europa.eu/competition/ecn/mlp_revised _2012_en.pdf. 297  In Deutschland wurden seit Einführung des Bonusprogramms beim BKartA zwischen 2001 – 2008 insgesamt 210 Bonusanträge gestellt, die 69 verschiedene Verfahren betrafen; vgl. Bericht des Bundeskartellamts über seine Tätigkeit in den Jahren 2007/2008 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet, BT‑Drucks. 16/13500, S. 33. 298   Hoseinian, (2005) 28 World Competition 3, 7 (compensation objective is nothing but „a tool to increase private parties’ motivation to be vigilant and monitor other actors’ anticompetitive behaviour on the market“); Brinker/Balssen, in: FS Bechtold, 2006, S. 69, 75 (Schadensersatzanspruch des Einzelnen ist „bloßes strategisches Werkzeug der Rechtsdurchsetzung“); G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 404 ff.; ders., in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 605, passim. Für das GWB auch K. Schmidt, AcP 206 (2006), 188, mit Verweis auf Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S. 393: „Der Schutz einzelner Rechtssubjekte erfolgt nur im Interesse der Wettbewerbsordnung und nicht im Interesse einer davon unabhängigen individuellen Interessenverfolgung.“ Vgl. ferner K. Schmidt, ZWeR 2010, 15, 26 f. 299   G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 405.

C. Schadensersatzansprüche

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esse des Unionsrechts instrumentalisiert, um seine Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Dem Gerichtshof gehe es primär um die praktische Wirksamkeit des EU‑Kartellrechts und nicht um die Aktivlegitimation sämtlicher Personen, die irgendwie von einem Wettbewerbsverstoß betroffen seien.300 Entscheidend sei daher, dass der durch die wettbewerbswidrige Handlung verursachte Schaden ausgeglichen werde, wobei auf die praktische Effektivität der vorgesehenen Sanktionen zu achten sei und weniger auf die Frage, ob „jedermann“ klagen dürfe oder nicht. Glöckner hat weitergehend vorgeschlagen, nach der Funktion der kartellrechtlichen Verhaltensnormen zu unterscheiden.301 Bei der Gewährung zivilrechtlicher Ansprüche sei eine Trennlinie zu ziehen zwischen Marktakteuren, die unmittelbar in ihrer wettbewerbsbezogenen Handlungsfreiheit betroffen sind und sonstigen Marktakteuren. Im ersten Fall gewähre das Wettbewerbsrecht einen originären Individualschutz, der einer Disposition aus Gründen überindividueller Interessen weitgehend entzogen sei. Im zweiten Fall schütze das Wettbewerbsrecht den Wettbewerb als Institution, so dass der mit ihm einhergehende Schutz der Marktteilnehmer lediglich ein abgeleiteter sei. Die kartellrechtlichen Verhaltensnormen seien allein im Hinblick auf die effektive Durchsetzung mit zivilrechtlichen Sanktionen ausgestattet. Demzufolge sei in diesen Fällen auch die Bemessung der Reichweite zivilrechtlicher Ansprüche – insbesondere im Hinblick auf die Anspruchsberechtigung, die Zulassung der passing on defence und Kronzeugenprogrammen – eine Frage der gesetzgeberischen Zweckmäßigkeit. d) Auswertung Die These, dass der EuGH den Schadensersatz primär als ein Instrument der Verhaltenssteuerung begreift, findet in der Rechtsprechung keine Stütze.302 Noch bevor der Gerichtshof in seinem Courage-Urteil auf die Sanktionswirkung privater Ansprüche rekurriert, betont er im Anschluss an seine van Gend & Loos-Rechtsprechung den individualschützenden Charakter der Wettbewerbsvorschriften.303 Im Urteil Manfredi verweist der Gerichtshof zur Begründung des unionsrechtlich determinierten Schadensersatzanspruchs überhaupt nicht mehr auf den Sanktionsgedanken, sondern auf die praktische Wirksamkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV.304 Das Sanktionsargument wird in der Urteilsbegründung erst sehr viel später im Zusammenhang mit der Frage verwendet, ob Art. 101 AEUV die nationalen Gerichte zur Gewährung eines Strafschadensersatzes verpflichtet.305 Der Gerichtshof lehnt eine solche Verpflichtung entschieden ab. Nach Auffassung des Gerichts sind die Mitgliedstaaten nur dann zur Gewährung eines suprakompensatorischen Schadensersatzes verpflichtet, wenn das nationale Recht einen solchen Schadensersatz für Verstöße gegen innerstaatliches

300

  G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 410.   Glöckner, WRP 2007, 490, 498 f. 302  Ähnlich Nebbia, ELRev. 2008, 23 ff.; dies., CYELS 2008, 287 ff. 303   EuGH, Rs. 453/00 (Courage) Rn. 19. 304   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 58 – 60. Wenn der EuGH auf den Effektivitätsgrundsatz verweist, kann hiermit sowohl das Gebot effektiven Rechtsschutzes als auch das Gebot wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen gemeint sein; siehe supra, § 4 C.I.2. 305   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 91. 301

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§ 7  Kartellrecht

Kartellrecht vorsieht. Auch dies bestätigt die Vermutung, dass es dem EuGH vorrangig um den effektiven Schutz individueller Rechte und um die Kompensation der Geschädigten geht, und erst in zweiter Linie um eine effektive (abschreckende) Wirkung. In den Fällen Pfleiderer306 und Donau Chemie307 stellte der Gerichtshof zudem klar, dass das Interesse an einer wirksamen Durchsetzung des Kartellverbots durch Kronzeugenprogramme keinen absoluten Vorrang gegenüber dem Individualrechtsschutz beansprucht, sondern vielmehr mit diesem abzuwägen ist. Zwischen den individuellen Rechten des Einzelnen und dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts ist daher, wie auch der BGH in seiner ORWI-Entscheidung308 richtig erkannt hat, eine praktische Konkordanz herzustellen. Dem entspricht, dass der Gerichtshof auch auf anderen Rechtsgebieten, in denen er zunächst die Sanktionswirkung privater Klagen betont hatte, diese in späteren Urteilen relativiert und stattdessen das Rechtsschutzgebot in den Mittelpunkt gerückt hat.309 e) Zwischenergebnis Diese Rechtsprechungsentwicklung legt für das Wettbewerbsrecht die Schlussfolgerung nahe, dass der aus Art. 101, 102 AEUV abgeleitete Schadensersatz vorrangig auf den effektiven Schutz individueller Rechte und damit auf die Kompensation erlittener Schäden gerichtet ist. Folgt man dieser Interpretation, dürfen weder der Unionsgesetzgeber noch die Mitgliedstaaten individuelle Rechte im Interesse einer abschreckenden Sanktionierung in unverhältnismäßiger Weise einschränken. Ein genereller Vorrang des staatlichen Durchsetzungsinteresses gegenüber dem privaten Interesse der Geschädigten existiert nicht. In Konfliktlagen ist es daher hinzunehmen, wenn die öffentlich-rechtliche Kartellrechtsdurchsetzung durch die private Rechtsdurchsetzung beeinträchtigt wird. Auch der Unionsgesetzgeber ist an diese primärrechtlichen Vorgaben gebunden.310 Demzufolge ist nachfolgend zu überprüfen, inwieweit die KartellschadensersatzRL 2014/104 eine angemessene Konkordanz zwischen den individuellen Rechten des Einzelnen und dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung des EU‑Wettbewerbsrechts herstellt.311

II. Haftungsauslösendes Verhalten 1. Verstoß gegen Art. 101, 102 AEUV In der Rechtsprechung des EuGH blieb bislang offen, ob Schadensersatzansprüche nicht nur bei einem Verstoß gegen Art. 101 AEUV, sondern auch bei Zuwiderhand306

  EuGH, Rs. C‑360/09 (Pfleiderer).   EuGH, Rs. C‑536/11 (Donau Chemie u. a.). 308   BGHZ 190, 145, 156 = NJW 2012, 928, 931 (ORWI) Rn. 37. 309   Vgl. nur die Staatshaftungsrechtsprechung; EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 31 ff., 36; Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 33 und 36; Rs. C‑470/03 (AGM COS.MET) Rn. 88. 310  Vgl. supra, § 7 C.I.3. 311   Vgl. insbesondere die Ausführungen zur Anspruchsberechtigung von Folgeabnehmern, infra, § 7 C.III.4.; zur passing on defence, infra, § 7 C.V.3.; sowie zur Privilegierung von Kronzeugen, infra, § 7 C.IV.3. und § 7 C.IX.2. 307

C. Schadensersatzansprüche

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lungen gegen Art. 102 AEUV bestehen müssen.312 Sämtliche Entscheidungen bezogen sich auf Kartellverstöße im Anwendungsbereich von Art. 101 AEUV. Die vom Gerichtshof zur Herleitung des Schadensersatzanspruchs herangezogenen Gründe lassen jedoch den Schluss zu, dass für Verstöße gegen Art. 102 AEUV nichts anderes gelten kann.313 Die volle Wirksamkeit der unionsrechtlichen Wettbewerbsvorschriften wäre beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch ein missbräuchliches Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens entstanden ist. Art. 2 Nr. 2 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 stellt daher klar, dass Schadensersatzansprüche gleichermaßen auf Verstöße gegen Art. 101 AEUV oder Art. 102 AEUV gestützt werden können. 2. Nachweis eines Wettbewerbsverstoßes a) Zugang zu Beweismitteln Kann sich der Geschädigte nicht auf die Ergebnisse behördlicher Ermittlungen stützen,314 bestehen nur geringe Chancen, einen Wettbewerbsverstoß aufzudecken und vor Gericht nachzuweisen. Der Zugang zu Beweismitteln erweist sich in Kartell- und Missbrauchsfällen aufgrund der bestehenden Informationsasymmetrien als eine der Haupthürden für „Stand-Alone“-Schadensersatzprozesse. Die Betroffenen haben zumeist keine Kenntnis von der Wettbewerbsbeschränkung. Wettbewerbswidrige Absprachen werden in aller Regel heimlich getroffen. Die betreffenden Unterlagen werden auf ein Minimum reduziert und befinden sich typischerweise im Besitz der wettbewerbswidrig handelnden Unternehmen. Bei einem grenzüberschreitenden Wettbewerbsverstoß besteht die Schwierigkeit, dass unter Umständen Beweise in mehreren Mitgliedstaaten gesammelt werden müssen. Insbesondere der von der Kommission seit ihrem Weißbuch aus dem Jahre 1999315 favorisierte „more economic approach“ dürfte die private Kartellrechtsdurchsetzung erschweren.316 Nach diesem Ansatz, der in zahlreichen Kommissionsbekanntmachungen seinen Niederschlag gefunden hat,317 vom EuGH allerdings nur bedingt geteilt wird,318 soll es bei Anwendung des Art. 101 AEUV nicht primär darauf ankommen, 312   Anders offenbar GA Mazák, SchlA, Rs. C‑360/09 (Pfleiderer) Rn. 36: „Das Recht der durch Kartelle [sic!] Geschädigten, wegen Verstößen gegen die Art. 101 und 102 AEUV Schadensersatzklagen zu erheben, ist vom Gerichtshof klar betont worden.“ 313   So auch Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules, SEC (2008) 404, Rn. 36; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 271; MüKo/Eilmansberger/Bien, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 678; Jones/Sufrin, EU Competition Law, 4. Aufl., 2011, S. 1211. 314   Hierzu sogleich, infra §  7 C.II.2.c. – d. 315   Weißbuch der Europäischen Kommission über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG‑Vertrag, ABl. 1999 C 132/1, Rn. 78. Allgemein zum „more economic approach“ Drexl, in: Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 905, 919 ff. 316   Basedow, EuZW 2006, 97; Böge/Ost, ECLR 2006, 197, 203 ff.; Burrichter, ECLA 2008, 243, 248 ff.; Ritter, WuW 2008, 762, 765. 317   Vgl. etwa die Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291/1, Rn. 7; Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG‑Vertrag, ABl. 2004 C 101/97, Rn. 16, 21, 24 f. 318   Vgl. EuGH, verb. Rs. C‑501, 513, 515 & 519/06P (GlaxoSmithKline Services u. a./Kommission u. a.) Rn. 63; sowie die SchlA von GA Trstenjak in dieser Rechtssache, Rn. 104 – 106; dazu Behrens, in: FS Möschel, 2011, S. 115, 129 f.

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§ 7  Kartellrecht

was die Parteien vereinbart haben, sondern wie sich eine bestimmte Vereinbarung auf dem relevanten Markt auswirkt. Ein solcher „effects-based approach“ wird von der Kommission auch bei Anwendung des Art. 102 AEUV auf Fälle des Behinderungsmissbrauchs vorgeschlagen.319 Der von der Kommission verfolgte „more economic approach“ beeinträchtigt die Rechtssicherheit und führt gleichzeitig dazu, dass die Gerichte (und damit die Parteien im Rahmen ihrer Darlegungslast) auf der Grundlage ökonomischer Modelle Prognosen aufstellen müssen, die ihrerseits von wettbewerbspolitischen Entscheidungen geprägt werden. Geschädigte können daher im Vorfeld kaum abschätzen, ob ein Verstoß gegen die Art. 101, 102 AEUV vorliegt. Dementsprechend gering ist der Anreiz, eigenständige Klagen ohne vorherige kartellbehördliche Ermittlungen anzustrengen.320 Die in der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 vorgesehene Offenlegung von Beweismitteln321 schafft diesbezüglich keine Abhilfe. Zum einen erfordert eine Offenlegung, dass der Kläger eine substantiierte Begründung vorlegt, die „zugängliche Tatsachen und Beweismittel enthält, die die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs ausreichend stützen“ (Art. 5 Abs. 1 S. 1). Der Kläger muss daher bereits über Beweismittel verfügen, die einen Verstoß gegen Art. 101, 102 AEUV plausibel machen.322 Zum anderen ist eine Offenlegung und Verwertung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind, nach der Richtlinie erst dann möglich, wenn die Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren durch Erlass einer Entscheidung oder in anderer Weise beendet hat (Art. 6 Abs. 5 und Art. 7 Abs. 2). b) Beweislast und Beweismaß Nach Art. 2 VO 1/2003 obliegt die Beweislast für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 oder Art. 102 AEUV der Partei oder Behörde, die diesen Vorwurf erhebt. Dies gilt für alle „einzelstaatlichen und gemeinschaftlichen Verfahren“, also auch für Streitigkeiten vor den nationalen Zivilgerichten. In einem kartellrechtlichen Schadensersatzprozess muss daher derjenige, der behauptet, durch ein wettbewerbswidriges Verhalten einen Schaden erlitten zu haben, den Wettbewerbsverstoß darlegen und beweisen. Aufgrund des zwingenden Charakters der Verordnung ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten keine Möglichkeit haben, zugunsten von Kartellgeschädigten eine Beweislastumkehr einzuführen; möglich bleiben jedoch Beweis­ 319   Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG‑Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, ABl. 2009 C 47/7. Die Kommission stellt in dieser Bekanntmachung vor allem auf ökonomisch zu würdigende Beurteilungsfaktoren ab, aus denen sich eine Marktverschließung zum Schaden des Verbrauchers ergeben soll. 320   H. Schmidt, in: Mackenrodt/Conde Gallego/Enchelmaier (Hrsg.), Abuse of Dominant Position, 2008, S. 137, 161, betont demgegenüber, dass sich der „more economic approach“ auf Folgeklagen positiv auswirken könnte, wenn die Kommission die wettbewerbswidrigen Auswirkungen auf Endkunden detailliert untersucht, da den Geschädigten auf diese Weise der Schadensnachweis erleichtert werde. 321  Hierzu infra, § 7 C.IX. 322   Nach Art. 5 Abs. 3 lit. a Kartellschadensersatz-RL 2014/104 muss das Gericht zudem im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigen, ob der Anspruch durch zugängliche Tatsachen und Beweismittel gestützt wird. Dementsprechend kann das Gericht eine Offenlegung ablehnen, wenn Kosten und Umfang der Offenlegung hoch, die Wahrscheinlichkeit einer Zuwiderhandlung jedoch niedrig ist.

C. Schadensersatzansprüche

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erleichterungen.323 Nach ErwGr (5) S. 4 VO 1/2003 berührt die Verordnung nämlich nicht die nationalen Rechtsvorschriften über das Beweismaß.324 Für den zentralen Rechtsschutz gegen Kommissionsentscheidungen lassen die Unionsgerichte Beweiserleichterungen zugunsten der Kommission zu. Der Gerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung, dass in den meisten Fällen „das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise oder Vereinbarung aus einer Reihe von Koinzidenzen und Indizien abgeleitet werden muss, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können.“325 Liegen solche Indizien vor, obliegt es dem fraglichen Unternehmen, den prima facie gezogenen Schlussfolgerungen unter Vorlage schlüssiger Gegenbeweise zu widersprechen.326 Es kommt also mit anderen Worten zu einem Wechselspiel der Darlegungslasten. Ob Gleiches für Verfahren vor den nationalen Gerichten gilt, ist noch nicht restlos geklärt. Im Urteil T‑Mobile Netherlands327 befasste sich der EuGH mit der Frage, ob die von den europäischen Gerichten für den zentralen Rechtsschutz aufgestellte Kausalitätsvermutung zwischen Abstimmung und Marktverhalten auch für die Überprüfung von Geldbußen vor den nationalen Gerichten gilt, oder ob das einzelstaatliche Gericht die Regeln des nationalen Rechts anwenden darf. Der Gerichtshof urteilte, dass sich die Kausalitätsvermutung aus Art. 101 Abs. 1 AEUV ergibt und daher „integraler Bestandteil des anwendbaren Gemeinschaftsrechts“ ist.328 Damit ist noch nicht gesagt, dass sämtliche Beweiserleichterungen, die in Kommissionsverfahren anerkannt wurden, auch für nationale (Schadensersatz‑)Prozesse gelten müssen.329 Da Art. 2 VO 1/2003 für das Beweismaß auf das mitgliedstaatliches Recht verweist, bleibt dieses anwendbar. 323   In diese Richtung auch GA Kokott, SchlA, Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands) Rn. 80 ff.; Wurmnest, in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch, 2004, S. 213, 232. 324   Die Abgrenzung zwischen Beweislast und Beweismaß kann Schwierigkeiten bereiten; vgl. nur GA Kokott, SchlA zur Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands) Rn. 80 und Rn. 90; sowie Gerbrandy, CMLR 2010, 1199, 1213 f. 325   EuGH, verb. Rs. C‑204, 205, 211, 213, 217 & 219/00 P (Aalborg Portland u. a./Kommission) Rn. 57; Rs. C‑105/04 P (CEF City Electrical Factors und CEF Holdings/Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied und Technische Unie) Rn. 94; Rs. C‑113/04 P (Technische Unie/Kommission) Rn. 165; verb. Rs. C‑403 & 405/04 P (Sumitomo Metal Industries/ Kommission) Rn. 51. Ebenso EuG, Rs. T‑110/07 (Siemens/Kommission) Rn. 48; Rs. T‑117/07 und T‑121/07 (Areva u. a./Kommission) Rn. 165. 326   Zu Art. 101 AEUV vgl. EuGH, verb. Rs. C‑204, 205, 211, 213 217  & 219/00 P (Aalborg Portland u. a./Kommission) Rn. 79 und 81; Rs. C‑413/08 P (Lafarge/Kommission) Rn. 30; EuG, Rs. T‑110/07 (Siemens/Kommission) Rn. 232; zu Art. 102 AEUV vgl. EuGH, verb. Rs. 110, 241 & 242/88 (Lucazeau u. a./SACEM) Rn. 25. Zum Markenrecht EuGH, Rs. T‑50/09 (Ifemy’s/OHMIDada & Co. Kids) Rn. 52. 327   EuGH, Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands). 328   EuGH, Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands) Rn. 52. 329  Im Ergebnis auch Gerbrandy, CMLR 2010, 1199, 1218. Vgl. auch GA Kokott, SchlA, Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands) Rn. 86: „Sicherlich bedeutet all dies keinen Zwang für die Mitgliedstaaten, das nach ihrem jeweiligen innerstaatlichen Recht geltende Beweismaß für die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG in jeder Einzelheit dem Beweismaß anzupassen, das die Gemeinschaftsgerichte zu fordern pflegen, wenn sie Entscheidungen der Kommission nach Art. 81 EG auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen. Wie der fünfte Erwägungsgrund der VO 1/2003 zeigt, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber insoweit bestimmte Abweichungen in der Praxis der Mitgliedstaaten bewusst in Kauf genommen.“

578

§ 7  Kartellrecht

Bei der Anwendung nationalen Rechts ist indessen der Effektivitätsgrundsatz zu beachten, der – wie die Schlussanträge von GA Kokott im Fall T‑Mobile Netherlands330 zeigen – bei weitem Verständnis zu gleichen Ergebnissen führen kann: Mit dem Effektivitätsgrundsatz wäre es – so die Generalanwältin – unvereinbar, wenn die nationalen Gerichte an den Nachweis einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 oder 102 AEUV durch private Kläger derart hohe Anforderungen stellten, dass ein solcher Nachweis übermäßig erschwert oder gar praktisch unmöglich würde. Aus den Eigenarten der Beweisführung bei Verstößen gegen Wettbewerbsregeln folge, dass es der jeweils beweisbelasteten Behörde oder Privatpartei möglich sein müsse, aufgrund von Erfahrungssätzen aus typischen Geschehensabläufen bestimmte Schlussfolgerungen zu ziehen. Dann obliege es der Gegenseite – im Normalfall dem des Wettbewerbsverstoßes bezichtigten Unternehmens – eben diesen prima facie gezogenen, auf Erfahrungssätzen und typischen Geschehensabläufen beruhenden Schlussfolgerungen unter Vorlage schlüssiger Gegenbeweise zu widersprechen. c) Bindung an Entscheidungen der Kommission Liegt bereits eine Kommissionsentscheidung vor, können sich Geschädigte in einem follow-on Verfahren vor den nationalen Zivilgerichten auf diese Entscheidung berufen. Hat ein nationales Gericht einen Sachverhalt nach Art. 101 oder Art. 102 AEUV zu beurteilen, der bereits Gegenstand einer Entscheidung der Kommission war, darf das Gericht nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 keine Entscheidung erlassen, die der Entscheidung der Kommission zuwiderläuft. Die Vorschrift zielt darauf ab, eine einheitliche Anwendung der Wettbewerbsregeln im System paralleler Zuständigkeiten sicherzustellen.331 Sie geht zurück auf die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Delimitis332 und Masterfoods.333 Die Bindungswirkung erstreckt sich dabei auf Entscheidungen der Kommission nach Art. 7, 8 und 29 VO 1/2003, nicht aber auf Verpflichtungszusagen i. S. d. Art. 9 VO 1/2003.334 Kommissionsentscheidungen sind zudem nur dann bindend, wenn zum einen der Untersuchungsgegenstand vor der Kommission mit dem des nationalen Gerichts identisch ist; notwendig ist also eine absolute Identität des rechtlichen und tatsächlichen Rahmens der Streitigkeit.335 Zum anderen müssen sich das Kartellverfahren und der Schadensersatzanspruch gegen dieselbe natürliche oder juristische Person richten.336 330

  GA Kokott, SchlA, Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands) Rn.  87 – 89.   ErwGr (22) VO 1/2003. 332   EuGH, Rs. C‑234/89 (Delimitis). 333   EuGH, Rs. C‑344/98 (Masterfoods). 334  FK/Jaeger, Lfg. 68, Mai 2009, VO 1/2003 Art. 16 Rn. 9 – 11; Immenga/Mestmäcker/Ritter, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, VO 1/2003 Art. 16 Rn. 3; MüKo/Schneider, EUWettbR, 2. Aufl., 2015, VO 1/2003, Art. 16 Rn. 8. Ungeklärt ist demgegenüber, ob von der Kommission nach Art. 10 VO 1/2003 getroffene Entscheidungen eine negative Bindungswirkung haben; zum Meinungsstand Bornkamm/Becker, ZWeR 2005, 213, 221 f. Ob Bußgeldentscheidungen nach Art. 23 Abs. 2 lit. a VO 1/2003 Bindungswirkung haben, ist ebenfalls umstritten; dafür FK/Jaeger, a. a. O., Rn. 12; dagegen MüKo/Schneider, a. a. O., Rn. 8. 335   GA Cosmas, SchlA, Rs. C‑344/98 (Masterfoods) Rn. 16; vgl. auch die Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU‑Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101/54, Rn. 8. 336   Vgl. EuGH, Rs. C‑344/98 (Masterfoods) Rn. 50. So auch das House of Lords in seiner CourageFolgeentscheidung, Inntrepreneur Pub Company (CPC) and Others v Crehan, [2006] UKHL 38; hierzu Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 122 ff. 331

C. Schadensersatzansprüche

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Liegen diese Voraussetzungen vor, sind die nationalen Gerichte sowohl an die rechtliche Würdigung als auch an die Tatsachenfeststellung der Kommissionsentscheidung gebunden.337 d) Bindung an Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden Eine Bindung an Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden war bis zum Erlass der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 nicht unionsrechtlich vorgegeben. Weder Art. 16 Abs. 1 VO 1/2003 noch die Grundsätze der Masterfoods-Entscheidung sehen eine Bindungswirkung für Entscheidungen anderer Behörden als der Kommission vor. Die Zivilgerichte und die nationalen Wettbewerbsbehörden sind gleichberechtigt zur Durchsetzung des EU‑Wettbewerbsrechts verpflichtet. Aus dem Prinzip der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) lässt sich daher für nationale Gerichte keine Pflicht herleiten, Feststellungen ausländischer Kartellbehörden in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für bindend zu betrachten.338 In einigen Mitgliedstaaten war bereits vor Umsetzung der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 vorgesehen, dass nationale Gerichte an die Entscheidung der Kartellbehörde des eigenen Mitgliedstaates gebunden sind, so beispielsweise im Vereinigten Königreich, in Griechenland und Ungarn.339 Andere Mitgliedstaaten kannten eine Bindung dagegen nur in sehr abgeschwächter Form (so etwa Österreich, Finnland und Dänemark) oder überhaupt nicht (Niederlande, Belgien, Frankreich, Italien, Polen und Schweden). Besonders weit geht das deutsche Kartellrecht, das seit der 7. GWB-Novelle in § 33 Abs. 4 GWB eine Bindungswirkung nicht nur für Entscheidungen des BKartA vorsieht, sondern auch für bestandskräftige bzw. rechtskräftige ausländische Behörden- und Gerichtsentscheidungen.340 Art. 9 Abs. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 sieht nunmehr vor, dass die einzelstaatlichen Gerichte an die Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes durch die eigene nationale Wettbewerbsbehörde oder ein zu deren Kontrolle berufenes 337   Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules, SEC (2008) 404, Rn. 140 (Kommissionsentscheidung stellt eine „irrebuttable proof“ für den Wettbewerbsverstoß dar). Auch Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 157, geht von einer rechtlichen und tatsächlichen Bindungswirkung aus; zustimmend Grünberger, in: Möschel/Bien (Hrsg.), Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadensersatzklagen?, 2010, S. 134, 174 f. Nach Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 Rn. 117, soll Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 dagegen nur eine rechtliche Bindung bewirken. 338  Im Ergebnis auch Monopolkommission, Sondergutachten 41 zur 7. GWB-Novelle, 2004, Rn. 50; Meyer, GRUR 2006, 27, 29; Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 117 f. Nach Grünberger, a. a. O., S. 187, folgt aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, dass zumindest der bestandskräftige Tenor der Verwaltungsentscheidung von allen Organen zu respektieren ist, wenn eine Wettbewerbsbehörde ein Unternehmen bestandskräftig aufgefordert hat, eine Zuwiderhandlung zu unterlassen. 339  Vgl. Waelbroeck/Slater/Even-Shoshan, Study, 2004, S. 69. Im Anschluss auch Ashton, ZWeR 2008, 318, 322; Grünberger, a. a. O., S. 151 ff. 340   Die Regelung ist vielfach auf Kritik gestoßen. Vorgetragen wird insbesondere, dass eine unbedingte Bindungswirkung ausländischer Entscheidungen gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) verstoße; Monopolkommission, Sondergutachten 41 zur 7. GWB-Novelle, 2004, Rn. 53; Meyer, GRUR 2006, 27, 29; positiv dagegen Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 Rn. 113.

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§ 7  Kartellrecht

Gericht gebunden sind. Bestandskräftige Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten müssen demgegenüber nach Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie von den Gerichten nur als Anscheinsbeweis dafür zugelassen werden, dass eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen wurde. Dabei handelt es sich jedoch um eine bloße Mindestvorgabe.341 Die in § 33 Abs. 4 GWB vorgesehene Bindungswirkung an ausländische Behörden- und Gerichtsentscheidungen ist dementsprechend mit der Richtlinie zu vereinbaren.

III. Anspruchsberechtigung Der Kreis der Anspruchsberechtigten wird vom EuGH sehr weit gezogen. Nach Ansicht des Gerichtshofs kann grundsätzlich „jedermann“ Ersatz des Schadens verlangen, der ihm durch ein wettbewerbswidriges Verhalten entstanden ist.342 Anspruchsberechtigt können nicht nur Private, sondern auch öffentliche Auftraggeber wie die Europäische Union oder die Mitgliedstaaten sein.343 Wie der EuGH im Fall Kone344 klargestellt hat, haften Kartellbeteiligte unter bestimmten Voraussetzungen selbst gegenüber Kunden eines Kartellaußenseiters, der im „Windschatten“ eines Kartells seine Preise erhöht hat (sog. umbrella pricing). Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 übernimmt diese Vorgaben. Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie ist „jede natürliche oder juristische Person, die einen durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schaden erlitten hat“, anspruchsberechtigt. Dazu zählen, wie sich aus ErwGr (13) ergibt, Unternehmen, Verbraucher und Behörden. Die Aktivlegitimation soll insbesondere nicht davon abhängen, ob der Geschädigte in einer unmittelbaren vertraglichen Beziehung zu dem zuwiderhandelnden Unternehmen steht.345 Auch mittelbare Abnehmer346 sowie Geschädigte eines umbrella pricing347 können daher nach der Richtlinie anspruchsberechtigt sein. Die Aktivlegitimation wird damit sowohl vom EuGH als auch vom Richtliniengeber denkbar weit gefasst. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob nach dem Primär- und Sekundärrecht Einschränkungen der Aktivlegitimation möglich bleiben, um einer ausufernden Haftung entgegenzuwirken. Unter dieser Perspektive ist nachstehend die Anspruchsberechtigung von Kartellbeteiligten (1.), Wettbewerbern (2.), Direktabnehmern (3.), Folgeabnehmern (4.) sowie sonstigen Betroffenen (5.) in den Blick zu nehmen. Im Ergebnis zeigt sich, dass vor allem das Kriterium der Kausalität (ursächlicher Zusammenhang zwischen Wettbewerbsverstoß und Schaden) einer unbegrenzten Schadensersatzhaftung entgegenwirkt (6.).

341

  Art. 9 Abs. 2 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 („zumindest“ als Anscheinsbeweis).   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 26; verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 61. 343   Vgl. EuGH, Rs. C‑199/11 (Otis u. a.) Rn. 44. 344   EuGH, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.). 345   Vgl. ErwGr (13) und Art. 12 Abs. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 346   Vgl. auch Art. 14 Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 347   Zum Richtlinienvorschlag GA Kokott, SchlA, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 88 mit Fn. 51. 342

C. Schadensersatzansprüche

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1. Kartellbeteiligte In England,348 aber auch in Deutschland349 und Österreich350 ging die herrschende Meinung vor der Courage-Entscheidung davon aus, dass Deliktsansprüche zwischen den Kartellbeteiligten ausgeschlossen sind. Begründet wurde dies vor allem damit, dass eine Partei aus ihrem eigenen rechtswidrigen Verhalten keine Vorteile ziehen dürfe (in pari delicto). Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass Kartellmitglieder durch die Nichtigkeit wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen hinreichend geschützt würden. Diese Ansicht lässt sich seit dem Courage-Urteil nicht mehr halten. Einschränkungen sind gleichwohl möglich. Schadensersatzansprüche zwischen den Kartellbeteiligten können nach der Courage-Entscheidung ausgeschlossen werden, wenn der Geschädigte eine „erhebliche“ Verantwortung für die Wettbewerbsverzerrung trägt.351 Dies war bei dem Schankwirt Crehan offensichtlich nicht der Fall, da er einer vertikalen Wettbewerbsbeschränkung unterlag. Vom Grundsatz her konnte daher Crehan die Brauerei Courage auf Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns verklagen.352 Umgekehrt konnten Schadensersatzansprüche der Brauerei gegen Crehan von vornherein ausgeschlossen werden, da die Brauerei den Wettbewerbsverstoß maßgeblich zu verantworten hatte. Ansprüche von Kartellbeteiligten kommen nicht nur – wie im Fall Courage – bei Vertikalvereinbarungen, sondern auch bei horizontalen Vereinbarungen in Betracht.353 Zwar stehen sich bei einer solchen Wettbewerbsbeschränkung die Vertragspartner häufig gleichberechtigt gegenüber. Soweit der Beteiligte aber keine „erhebliche“ Verantwortung für den Wettbewerbsverstoß trägt, erscheinen Schadensersatzansprüche gegen die anderen Kartellbeteiligten nicht von vornherein ausgeschlossen.354 Ob diese Grundsätze auch nach der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 gelten, ist ungewiss. Da die Richtlinie mögliche Ansprüche zwischen den Kartellbeteiligten nicht ausdrücklich regelt und Fragen des (Mit‑)Verschuldens in den Grenzen des Effektivitätsgebots dem mitgliedstaatlichen Recht überantwortet,355 dürften die vom EuGH entwickelten Vorgaben wohl weiterhin Anwendung finden.356

348

  High Court (Chancery), Courage Ltd v Crehan, [1999] Eu. L.R. 409.   KG, WuW/E OLG 1903, 1905 (Air-Conditioning-Anlagen); OLG Schleswig-Holstein, WuW/ E DE‑R 623, 624 (Frauennachtfahrten); Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 Rn. 18 m. w. N. zum früheren Schrifttum. 350   Stillfried/Stockenhuber, wbl 1995, 301, 307; Eilmansberger, Die Bedeutung der Art. 85 und 86 EG‑V für das österreichische Zivilrecht, 1998, S. 139 f. 351   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 31. Ausführlich infra, § 7 C.VII. 352   Die Klage des Gaststättenpächters Crehan wurde von den englischen Gerichten nichtsdestotrotz nach über 13 Jahren Verfahrensdauer mangels Verstoßes gegen Art. 101 AEUV abgewiesen; vgl. Bernhard Crehan v Inntrepreneur Pub Co, [2003] EWHC 1510 (Ch); Inntrepreneur Pub Company (CPC) and others v Crehan, [2006] UKHL 38; zustimmend Komninos, CMLR 2007, 1387, 1404; kritisch Hanley, CMLR 2007, 817, 826 f. 353   Für einen kategorischen Ausschluss von Schadensersatzansprüchen aber Immenga/Mestmäcker/ K. Schmidt, Wettbewerbsrecht: EG, 5. Aufl., 2012, VO 1/2003 Anh. 2, Rn. 20. Sehr restriktiv auch Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Rehbinder, GWB-Kommentar, 2006, § 33 Rn. 14. 354   In diese Richtung auch Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 Rn. 33 f.; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 735. 355   ErwGr (11) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 356   Hierzu auch noch infra, §  7 C.VI. – VII. 349

582

§ 7  Kartellrecht

2. Wettbewerber Die Art. 101, 102 AEUV zielen darauf ab, unverfälschte Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt herzustellen und die Chancengleichheit für konkurrierende Unternehmen zu gewährleisten. Dementsprechend besteht, auch wenn der Gerichtshof dies noch nicht explizit bestätigt hat,357 kein Zweifel daran, dass Wettbewerber diejenigen Schäden ersetzt verlangen können, die auf den Wettbewerbsverstoß zurückzuführen sind und die im Zusammenhang mit dem Verbot der betreffenden Verhaltensweise stehen.358 Gleiches gilt nach der Kartellschadensersatz-RL 2014/104, die das Recht auf vollständigen Schadensersatz „jedem“ Geschädigten einräumt. 3. Direktabnehmer Im Fall Manfredi359 urteilte der Gerichtshof, dass Versicherungsnehmer, die infolge eines Preiskartells von Versicherungsgesellschaften überhöhte Prämien für ihre KfzHaftpflichtversicherung zahlen, grundsätzlich Ersatz des ihnen entstandenen Schadens verlangen können.360 Damit steht erstens fest, dass auch Direktabnehmer aktivlegitimiert sind. Klargestellt ist zweitens, dass die Anspruchsberechtigung nicht davon abhängen darf, ob Direktabnehmer als Unternehmer oder als Verbraucher von einem Kartellverstoß betroffen sind. Beides war im deutschen Recht vor Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle umstritten. Nach verbreiteter Auffassung kam das Kartellverbot für die Marktgegenseite nur dann als Schutzgesetz in Betracht, wenn sich die Absprache oder das abgestimmte Verhalten gezielt gegen bestimmte Abnehmer oder Lieferanten richtete. Einige Instanzgerichte lehnten selbst nach der Courage-Entscheidung in den Vitaminkartell-Prozessen Schadensersatzansprüche von Erstabnehmern mit der Begründung ab, dass sich das Preiskartell nicht gezielt gegen sie gewendet hätte.361 Im Streit stand darüber hinaus, ob auch Verbraucher als Direktabnehmer vom Kartellverbot geschützt sind. So lehnte etwa der BGH im Fall PKV-Alterungsrückstellungen einen auf § 823 Abs. 2 S. 1 BGB i. V. m. Art. 101 AEUV gestützten Anspruch eines Versicherungsnehmers auf Auszahlung von Alterungsrückstellungen pauschal mit dem Argument ab, dass der Kläger als Versicherungsnehmer nicht am Wettbewerb im Markt der Versicherer teilnehme.362 Seit Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle sind diese Beschränkungen nicht mehr zu 357   Siehe aber GA Mischo, SchlA, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 38: „Die Einzelnen, die diesen Schutz erhalten können, sind natürlich in erster Linie Dritte, d. h. die Verbraucher und die Wettbewerber, die durch das verbotene Kartell geschädigt werden“ (Herv. v. Verf.); in diesem Sinne auch GA Bot, SchlA, verb. Rs. C‑322, 327 & 338/07 P (Papierfabrik August Koehler) Rn. 125. Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). 358  G/H/N/Stockenhuber, 58.  EL, 2016, Art.  101 AEUV Rn.  255; Immenga/Mestmäcker/ K. Schmidt, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, VO 1/2003 Anh. 2, Rn. 23. 359   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 61. Zu den Hintergründen dieses Rechtsstreits Afferni, ERCL 2007, 179 ff.; Bulst, ZEuP 2008, 178 ff. 360   Als der Fall zu den italienischen Gerichten zurückverwiesen wurde, wurden dem Versicherungsnehmer ca. 900 € Schadensersatz nebst 500 € Gerichtskosten zugesprochen; Nebbia, ECLR 2007, 591 361   LG Mannheim, GRUR 2004, 182 f. (Vitaminkartell); bestätigt im obiter dictum durch OLG Karlsruhe, NJW 2004, 2243; ähnlich LG Mainz, NJW-RR 2004, 478, 479; kritisch zu dieser Rechtsprechung Köhler, GRUR 2004, 99 ff.; Bulst, NJW 2004, 2201 f. Der BGH verwendete das Kriterium der Zielgerichtetheit dagegen nur als Indiz für die Anspruchsberechtigung eines Betroffenen; BGHZ 64, 232, 238 (Krankenhaus-Zusatzversicherung); BGHZ 86, 324, 330 (Familienzeitschrift). 362   BGH, NJW 1999, 2741; kritisch W.‑H. Roth, NJW 2000, 1313, 1314.

C. Schadensersatzansprüche

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halten. Die Regierungsbegründung stellt unmissverständlich klar, dass Abnehmer und Lieferanten zum einen auch dann geschützt werden, wenn sich die Kartellabsprache nicht gezielt gegen sie richtet, und zum anderen auch Verbraucher zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehören.363 Auch die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 erkennt die Anspruchsberechtigung von Direktabnehmern grundsätzlich an. 4. Folgeabnehmer Unter welchen Voraussetzungen auch Folgeabnehmer (mittelbare Abnehmer) schadensersatzberechtigt sind, also Abnehmer, die infolge eines Preis- oder Absatzkartells oder eines Preismissbrauchs eines marktbeherrschenden Unternehmens überteuerte Waren oder Dienstleistungen nicht unmittelbar von den wettbewerbswidrig handelnden Unternehmen beziehen, sondern über Dritte auf einer nachgelagerten Wirtschaftsstufe, war lange Zeit ungeklärt. Die Ausführungen des EuGH in den Fällen Courage und Manfredi deuteten darauf hin, dass Folgeabnehmer nach dem Primärrecht nicht kategorisch von Schadensersatzansprüchen ausgeschlossen werden dürfen  (a.). Auch der BGH hat die Anspruchsberechtigung mittelbarer Abnehmer in seiner ORWI-Entscheidung grundsätzlich bejaht, dabei allerdings Beweislastanforderungen aufgestellt, die eine Durchsetzung in der Praxis eher unwahrscheinlich machen (b.). Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 setzt sich demgegenüber ausdrücklich zum Ziel, die Ansprüche mittelbarer Abnehmer zu stärken (c.). a) Primärrechtliche Vorgaben Den Entscheidungen Courage und Manfredi ließ sich nicht eindeutig entnehmen, ob auch Folgeabnehmer anspruchsberechtigt sein müssen. In beiden Fällen wurden Schadensersatzansprüche von Personen geltend gemacht, die als Vertragspartner in einem unmittelbaren geschäftlichen Kontakt zum Kartelltäter standen. Dementsprechend heterogen war das Meinungsspektrum. Während Teile des Schrifttums,364 das Bundeskartellamt365 und die Monopolkommission366 die Anspruchsberechtigung indirekter Abnehmer schon vor dem Hintergrund der Courage-Entscheidung für zwingend geboten hielten, waren andere der Auffassung, dass das Urteil überinterpretiert werde und eine Aktivlegitimation von Folgeabnehmern unionsrechtlich nicht vorgegeben sei.367 363   BT‑Drucks. 15/3640, S. 53. Da der Regierungsentwurf noch am Schutzgesetzerfordernis festhalten wollte, enthielt § 33 Abs. 1 S. 3 GWB-RegE darüber hinaus die Klarstellung, dass die Art. 81, 82 EG sowie die Vorschriften des GWB (erster und zweiter Abschnitt) auch dann dem Schutz anderer Marktbeteiligter dienen, wenn sich der Verstoß nicht gezielt gegen diese richtet. Nachdem das Schutzgesetzerfordernis im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gestrichen wurde, konnte auf diese Klarstellung verzichtet werden. 364   Komninos, CMLR 2002, 447, 482; ders., EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 193 und 202 ff.; Lettl, ZHR 2003, 473, 481 f., 489; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., 2004, § 22 Rn. 35; Stuyck, ERCL 2005, 228, 234; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 113, 248 ff.; Drexl, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 1352 ff.; Immenga/Mestmäcker/Emmerich, Wettbewerbsrecht: GWB, 4. Aufl., 2007, § 33 Rn. 29; Langen/Bunte/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 1 Rn. 306. 365   Bundeskartellamt, Diskussionspapier „Private Kartellrechtsdurchsetzung“, 2004, S. 8. 366   Monopolkommission, Sondergutachten 41 zur 7. GWB-Novelle, 2004, Rn. 39 und 72. 367  Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 Rn. 36; G. Wagner, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 605, 643 ff.; Dittrich, GRUR 2009, S. 123, 126 f.; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 192.

584

§ 7  Kartellrecht

Bereits die Ausführungen des EuGH im Fall Manfredi deuteten indessen darauf hin, dass auch Folgeabnehmer zu den potenziellen Anspruchsberechtigten gehören müssen. Die in diesem Urteil getroffene Aussage, jedermann müsse Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen können, „wenn zwischen dem Schaden und einem nach Artikel 81 EG verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht“,368 lässt keinen Spielraum für eine Differenzierung zwischen Direktund Folgeabnehmern. Entscheidend für die Anspruchsberechtigung ist allein der Kausalzusammenhang zwischen Wettbewerbsverstoß und eingetretenem Schaden. Ein solcher Kausalzusammenhang lässt sich mit Blick auf die Folgeabnehmer nicht kategorisch ausschließen. Werden überhöhte Preise auf die Folgeabnehmer abgewälzt, so realisiert sich gerade der Schaden, den Art. 101 AEUV verhindern will.369 Der hiergegen erhobene Einwand, dass sich für Folgeabnehmer lediglich ein latent vorhandenes „allgemeines Marktrisiko“ verwirkliche, da sie stets dem Risiko ausgesetzt seien, dass Direktabnehmer gestiegene Preise auf sie abwälzen, und Folgeabnehmer dementsprechend keinen „Kartellpreis“, sondern nur den „Wettbewerbspreis“ zahlen,370 überzeugt nicht. Eine solche Argumentation läuft letztlich darauf hinaus, die Anspruchsberechtigung zu verneinen, weil dem Verletzer infolge des Dazwischentretens eines Dritten der Schaden nicht mehr zugerechnet werden kann.371 Häufig bleibt den Direktabnehmern indessen gar nichts anderes übrig, als erhöhte Preise (soweit möglich) auf ihre Abnehmer abzuwälzen. Das Verhalten der Direktabnehmer stellt dann eine vorhersehbare, marktkonforme, defensive Reaktion dar, die den Zurechnungszusammenhang nicht unterbricht. Gegen eine Anspruchsberechtigung von Folgeabnehmern wird zudem eingewandt, dass sich der Kartellschaden mit zunehmender Weiterreichung entlang der Vertriebskette in eine Vielzahl kleiner Streuschäden auflöse. Dies führe dazu, dass auf Seiten der indirekten Abnehmer keine ausreichenden finanziellen Anreize zur Klageerhebung bestünden. Im Interesse einer wirksamen Kartellrechtsdurchsetzung müssten daher Ansprüche – wie im US‑amerikanischen Kartellrecht372 – auf die Direktabnehmer konzentriert werden.373 Der Umstand, dass ganz entfernte Abnehmer ihren Schaden faktisch nur schwer geltend machen können, ist freilich kein überzeugendes Argument, das gegen eine Aktivlegitimation spricht. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass das Unionsrecht Schwellenwerte akzeptiert, ab denen ein Schaden rechtlich schutzwürdig ist. Zum anderen sollte der Umstand, dass bei ganz entfernten Folgeabnehmern häufig Streu368

  EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 61.   Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 481 f. 370  So Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, 2007, S. 198 und 216 f.; ähnlich Köhler, GRUR 2004, 99, 101. Nach Reich, CMLR 2005, 35, 46, soll bei Schäden von Folgeabnehmern kein unmittelbarer Kausalzusammenhang i. S. d. Staatshaftungsrechtsprechung vorliegen. 371  Zutreffend Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 386. 372  Vgl. Hanover Shoe, Inc. v. United Shoe Machinery Corp, 392 U. S. 481 (1968); Illinois Brick Co. v. Illinois, 431 U. S. 720 (1977). 373   Reich, CMLR 2005, 35, 45 ff.; Keßler, BB 2005, 1125, 1128; Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 887; Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 Rn. 36 ff., 41; G. Wagner, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 605, 643 ff. Differenzierend Kersting, ZWeR 2008, 252, 261 f. (Konzentration der Anspruchsberechtigung auf Direktabnehmer, die allerdings – um den Vorgaben des Unionsrechts zu genügen – ausnahmsweise durchbrochen werden kann). 369

C. Schadensersatzansprüche

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schäden entstehen, eher Anlass geben, im Interesse einer effektiven Rechtsdurchsetzung über eine Stärkung der kollektiven Rechtsschutzmöglichkeiten nachzudenken, als die Anspruchsberechtigung von Folgeabnehmern überhaupt in Frage zu stellen.374 Abgesehen hiervon zielt das Gebot der praktischen Wirksamkeit nicht primär darauf ab, hohe Schadenssummen auf einer Abnehmerstufe zu konzentrieren, um eine möglichst wirksame Abschreckungswirkung gegenüber (potentiellen) Schädigern zu erzielen. Aus dem Effektivitätsgebot folgt vielmehr die Pflicht, die Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte „nicht praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren“. Versagt man aber nachgelagerten Abnehmern in der Lieferkette bereits die Anspruchsberechtigung, wäre für all diese Kartellbetroffenen die Durchsetzung der aus dem Unionsrecht folgenden Schadensersatzansprüche nicht mehr möglich. Dies widerspräche nicht nur dem Prinzip der Schadenskompensation, sondern verhinderte zudem eine wirksame Sanktionierung im Wege der privaten Rechtsdurchsetzung: Wären nur die Direktabnehmer, nicht aber die Folgeabnehmer aktivlegitimiert, bestünde die Gefahr, dass die Wettbewerbsvorschriften nicht mehr in sämtlichen Fällen wirksam durchgesetzt werden könnten.375 Zum einen werden die Direktabnehmer vor einer Klage zurückschrecken oder sich auf Vergleiche einlassen, wenn sie ihre Lieferbeziehungen zum wettbewerbswidrig handelnden Unternehmen nicht gefährden wollen.376 Zum anderen haben Direktabnehmer bei erfolgreicher Abwälzung ihres Schadens auf die Folgeabnehmer vielfach keinen Anlass, sich mit einem Prozess zu belasten.377 Schließlich besteht das Risiko, dass die betreffenden Direktabnehmer bei Aufdeckung eines langjährigen Kartells nicht mehr existieren.378 Im Ergebnis sprechen damit die überwiegenden Argumente dafür, dass Folgeabnehmer nach dem Primärrecht grundsätzlich anspruchsberechtigt sein müssen. b) Die ORWI-Entscheidung des BGH Auch der BGH hat eine Anspruchsberechtigung indirekter Abnehmer im ORWIUrteil379 grundsätzlich bejaht. Die Anerkennung des Art. 101 AEUV als Schutzge374

 Hierzu infra, § 7 C.X.   Harris/Sullivan, [1979] 128 U. Pa. L. Rev. 269, 351 f.; Hovenkamp, [1990] 103 Harv. L. Rev. 1717, 1727 ff.; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 252; Petrucci, ECLR 2008, 33, 36. 376   Kersting, ZWeR 2006, 252, 262, hält diesen Einwand für unbegründet, da es an einem empirischen Nachweis fehle. Für ein plastisches Beispiel aber G. Wagner, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung 2007, S. 605, 639 f., mit Hinweis auf den Microsoft-Fall, der auch die europäischen Gerichte beschäftigte. 377   Bei den Direktabnehmern verbleibt freilich auch bei erfolgreicher Abwälzung ein Absatz- und damit ein Gewinnverlust. Ob dieser ausreicht, um einen finanziellen Anreiz zur Klage zu begründen, ist jedoch zweifelhaft, ganz abgesehen davon, dass sich Umsatzverluste aufgrund eines Preiskartells nur schwer beweisen lassen. 378   Geäußert wird zudem die Befürchtung, der Kartelltäter könne eine unbeteiligte Vertriebstochter zwischenschalten, um sich vor Schadensersatzansprüchen abzuschirmen; Monopolkommission, Sondergutachten 41 zur 7. GWB-Novelle, 2004, Rn. 73. Werde der Direktabnehmer von dem Kartellanten beherrscht, sei mit der Durchsetzung von Ersatzansprüchen nicht mehr zu rechnen. Wie das US‑amerikanische Wettbewerbsrecht zeigt, lassen sich derartige Gefahren jedoch durch eine entsprechende „ownership and control“-Ausnahme bewältigen; vgl. Illinois Brick Co v. Illinois, 431 U. S. 720, 736 Fn. 16 (1977); zum Ganzen Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 74. 379   BGHZ 190, 145 = NJW 2012, 928 (ORWI). 375

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§ 7  Kartellrecht

setz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB380 erfordert nach Ansicht des Gerichts, auch Folgeabnehmern Schadensersatzansprüche zu gewähren. Ob dieses Ergebnis zugleich vom Unionsrecht zwingend vorgegeben ist, wird dabei offengelassen.381 Andererseits rekurriert der BGH aber maßgeblich auf den Effektivitätsgrundsatz, um eine Anspruchsberechtigung der Folgeabnehmer zu begründen.382 Für die Durchsetzung derartiger Ansprüche werden demgegenüber hohe Hürden aufgestellt. Der Folgeabnehmer muss nach Ansicht des BGH darlegen, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem verbotenen Kartell und dem entstandenen Vermögensnachteil besteht und darlegen, dass und gegebenenfalls in welcher Höhe der kartellbedingte Preisaufschlag auf seine Marktstufe abgewälzt wurde.383 Grundsätzlich bestehe dabei keine Vermutung, dass eine im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kartell auftretende Preiserhöhung auf den Anschlussmärkten ursächlich auf das Kartell zurückzuführen sei; die Kausalität müsse vielmehr „im Einzelfall“ nachgewiesen werden.384 Von einer kartellbedingten Weiterwälzung des Preisaufschlags sei nur dann auszugehen, wenn die meisten konkurrierenden Anbieter den Kartellpreis zahlen müssten und auf der nachgelagerten Marktstufe keine oder nur geringe Ausweichmöglichkeiten bestünden.385 Demgegenüber fehle es an einem ersatzfähigen Schaden des mittelbaren Abnehmers mangels adäquater Kausalität, wenn sich der weiterliefernde Abnehmer seinen Preissetzungsspielraum durch eigene kaufmännische Leistungen und Anstrengungen erworben habe.386 Der BGH erteilt damit einer Beweiserleichterung in Form einer widerleglichen Vermutung, dass Preiserhöhungen kartellbedingt sind, eine Absage. Auf der Grundlage der ORWI-Rechtsprechung haben indirekte Abnehmer, die auf entfernteren Marktstufen stehen, kaum die Möglichkeit, ihre Ansprüche durchzusetzen. In aller Regel können diese Abnehmer nämlich nicht darlegen und beweisen, dass und in welcher Höhe kartellbedingte Preise auf sie abgewälzt wurden. Zwar belegen ökonomische Untersuchungen, dass ein Großteil der Preisüberhöhungsschäden zumindest auf längere Sicht an die Folgeabnehmer weitergereicht wird; ob es einem Abnehmer gelingt, überhöhte Preise auf die nachfolgende Absatzstufe abzuwälzen, ist jedoch von sehr unterschiedlichen Faktoren abhängig.387 Folgeabnehmer verfügen zumeist nicht über die erforderlichen Informationen, wie sich die Preise infolge des Kartells von Absatzstufe zu Absatzstufe entwickelt haben. Der Nachweis, dass der wirtschaftliche Nachteil auf den Kartellverstoß zurückzuführen ist, wird den indirekten Abnehmern umso schwerer fallen, je länger die Absatzkette ist und je weiter unten sie in der Absatzkette stehen. Denkbar ist darüber hinaus, dass sich der Schädiger auf rechtmä380  Das ORWI-Urteil bezog sich auf die Rechtslage vor Inkrafttreten der 6. GWB-Novelle. Die Ausführungen des BGH lassen jedoch keinen Zweifel, dass die Erwägungen für § 33 GWB 2005 gleichermaßen gelten. 381   BGHZ 190, 145, 151 f. = NJW 2012, 928 (ORWI), Rn. 24. 382   BGHZ 190, 145, 155 f. = NJW 2012, 928 (ORWI), Rn. 34 ff. 383   BGHZ 190, 145, 158 = NJW 2012, 928 (ORWI), Rn. 44. 384   BGHZ 190, 145, 158 f. = NJW 2012, 928 (ORWI), Rn. 45. 385   BGHZ 190, 145, 159 f. = NJW 2012, 928 (ORWI), Rn. 47. 386   BGHZ 190, 145, 159 f. = NJW 2012, 928 (ORWI), Rn. 47. 387   Entscheidend sind vor allem die Nachfrageelastizität, die Preiselastizität des Angebots, die Dauer des Wettbewerbsverstoßes sowie die Intensität des Wettbewerbs zwischen Direktabnehmern und anderen Zwischenabnehmern; im Einzelnen Harris/Sullivan, [1979] 128 U. Pa. L. Rev. 269, 275 ff.; European Commission (Hrsg.), Quantifying antitrust damages, December 2009, S. 116 ff.

C. Schadensersatzansprüche

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ßiges Alternativverhalten beruft, also darauf, dass die Preiserhöhung in Wirklichkeit auf andere Ursachen zurückzuführen ist, etwa auf gestiegene Energiepreise. Auch die Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen388 vermag diese Beweisprobleme nicht zu lösen. Steht fest, dass eine Vereinbarung oder sonstige Verhaltensweise einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, brauchen deren Auswirkungen auf den Wettbewerb von der Kommission nicht geprüft werden.389 Die Kommission ist selbst bei Festsetzung von Geldbußen nicht verpflichtet, die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt genau zu quantifizieren oder eine bezifferte Beurteilung vorzulegen.390 Die von der Kommission oder den nationalen Wettbewerbsbehörden getroffene Feststellung, dass ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV vorliegt, besagt daher für sich genommen nichts darüber, ob Folgeabnehmer auch tatsächlich einen Überteuerungsschaden erlitten haben.391 Die im ORWI-Urteil vom BGH getroffene Darlegungs- und Beweislastverteilung führt somit dazu, dass kartellrechtliche Ansprüche de facto nur von Abnehmern geltend gemacht werden können, die relativ weit oben in der Absatzkette stehen.392 c) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 weicht von der ORWI-Entscheidung grundlegend ab. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie stellt zunächst klar, dass auch Folgeabnehmer (mittelbare Abnehmer) zu den Anspruchsberechtigten zählen. Zwar tragen diese nach Art. 14 Abs. 1 grundsätzlich die Beweislast für das Vorliegen und den Umfang der Schadensabwälzung. Gleichzeitig werden aber zugunsten des Folgeabnehmers eine Reihe von Regelungen vorgesehen, die eine Anspruchsdurchsetzung begünstigen. Zum einen können mittelbare Abnehmer für den Beweis der Schadensabwälzung nach Art. 5 von dem Beklagten oder von Dritten eine Offenlegung von Beweismitteln verlangen.393 Zum anderen profitiert der Folgeabnehmer hinsichtlich der Schadensweiterwälzung von einem weitreichenden Anscheinsbeweis, der faktisch zu einer Beweislastumkehr394 führt: Nach Art. 14 Abs. 2 ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der mittelbare Abnehmer den Beweis für eine Schadensabwälzung erbracht hat, wenn er nachweisen kann, dass (i) der Beklagte eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen hat, (ii) die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht einen Preisaufschlag für den unmittelbaren Abnehmer des Beklagten zur Folge hatte und (iii) der mittelbare Abnehmer kartellbetroffene Waren oder Dienstleistungen erworben hat. 388

 Hierzu supra, §  7 C.II.2.c. – d.   St. Rspr., vgl. nur EuGH, Rs. C‑8/08 (T‑Mobile Netherlands u. a.) Rn. 30.  EuG, Rs. T‑43/02 (Jungbunzlauer/Kommission) Rn. 151 ff.; Rs. T‑59/02 (Archer Daniels Midland/Kommission) Rn. 161; vgl. auch die Rechtsprechungsübersicht von GA Bot, SchlA, verb. Rs. C‑125, 133, 135 & 137/07 P (Erste Group Bank u. a./Kommission) Rn. 277 ff. 391   Auch die in § 33 Abs. 4 GWB angeordnete Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen bezieht sich konsequenterweise nur auf das Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes, nicht aber auf den eingetretenen Schaden, die Kausalität oder die Schadenshöhe; vgl. Regierungsbegründung zur 7. GWB-Novelle, BT‑Drucks. 15/3640, S. 54. 392   Wie hier Kersting/Dworschak, JZ 2012, 777, 780. 393   Vgl. auch Art. 14 Abs. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 (Beweislast für das Vorliegen und den Umfang einer solchen Schadensabwälzung liegt beim Kläger, „der in angemessener Weise Offenlegungen von dem Beklagten oder von Dritten verlangen kann“). 394  So Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7, 12. 389

390

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§ 7  Kartellrecht

In der Praxis dürfte dieser Nachweis den Folgeabnehmer vor keine großen Probleme stellen. Der Wettbewerbsverstoß ergibt sich bei Follow-on Klagen bereits aus der kartellbehördlichen Entscheidung, die nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 bzw. Art. 9 Abs. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 eine Bindungswirkung entfaltet.395 Für den Nachweis, dass der Verstoß gegen Art. 101 oder 102 AEUV einen Preisaufschlag für den unmittelbaren Abnehmer zur Folge hatte, gilt demgegenüber die in Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie aufgestellte Vermutung, dass Hardcore-Verstöße einen Schaden verursachen.396 Im Ergebnis muss der Folgeabnehmer für die Weiterwälzungsvermutung daher nur nachweisen, dass er kartellierte Waren bzw. Dienstleistungen erworben hat.397 Ob diese Regeln tatsächlich ausreichen, um die erheblichen Hürden zu überwinden, die in der Praxis für Folgeabnehmer bestehen, ist unsicher.398 Jedenfalls führt die Richtlinie dazu, dass die Ansprüche mittelbarer Abnehmer erheblich gestärkt werden, da die Beweisanforderungen an das Vorliegen eines kartellbedingten Vermögensnachteils im Vergleich zur ORWI-Entscheidung deutlich zu Gunsten des Folgeabnehmers verschoben werden. 5. Sonstige mittelbar Betroffene a) Unbegrenzte Anspruchsberechtigung? Neben den Folgeabnehmern kann eine Vielzahl weiterer Personengruppen von den nachteiligen Wirkungen eines Wettbewerbsverstoßes betroffen sein. So kann es beispielsweise sein, dass Unternehmen, die nicht an der wettbewerbsbeschränkenden Praktik beteiligt sind, aus Gewinnmaximierungsgründen und/oder wegen steigender Grenzkosten399 unter den „Preisschirm“ des Kartells treten und von ihren Abnehmern höhere Preise verlangen (sog. umbrella pricing). Möglich ist desweiteren, dass potenzielle Abnehmer infolge einer wettbewerbswidrigen Preiserhöhung auf den Bezug des kartellbefangenen Guts verzichten und statt der eigentlich gewünschten Ware ein teureres Substitut beziehen. Der durch ein Preiskartell eintretende Nachfragerückgang kann darüber hinaus bei vielen Unternehmen zu Umsatzeinbußen führen. So kann ein Preiskartell der Kraftstoffhersteller etwa zur Folge haben, dass wegen der erhöhten Benzinkosten weniger Autos verkauft werden.400 Können in diesem Fall die Kfz-Produzenten entgangenen Gewinn geltend machen? Stehen auch den Betreibern von Ausflugslokalen Schadensersatzansprüche zu, wenn aufgrund der gestiegenen Benzinpreise weniger Gäste kommen? Können als Betroffene von einem 395

 Hierzu supra, §  7 C.II.2.c. – d.   Hierzu auch noch infra, § 7 C.V.3.d.   Im Ergebnis auch Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7, 12; Stauber/Schaper, NZKart 2014, 346, 352. 398   Probleme bestehen vor allem hinsichtlich des Umfangs der Schadenshöhe. Art. 14 Abs. 2 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 gilt nämlich nur für das „Ob“ der Schadensweiterwälzung; ausführlich infra, § 7 C.V.2. 399   Preiserhöhungen durch Kartelltäter lassen die Nachfrage nach den kartellbefangenen Produkten sinken. Gleichzeitig wird die Nachfrage nach Produkten anderer Unternehmen desselben Marktes steigen. Die steigende Nachfrage nach diesen Produkten wird vom Kartellaußenseiter häufig durch zusätzliches Angebot ausgeglichen, was zu einem Anstieg der Grenzkosten und damit zur Erhöhung ihrer Preise führen kann; grundlegend Blair/Maurer, Utah Law Review 1982, 763 ff.; ferner Inderst/ Maier-Rigaud/Schwalbe, WuW 2014, 1043, 1047. 400   Beispiele nach Eilmansberger, ecolex 2002, 28, 30; W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1155; vgl. auch Kersting, ZWeR 2008, 253, 259. 396 397

C. Schadensersatzansprüche

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Wettbewerbsverstoß sogar Personen aktivlegitimiert sein, die überhaupt nicht am Marktgeschehen teilnehmen, wie z. B. die Arbeitnehmer einer Gesellschaft?401 Da der EuGH in Courage und Manfredi mit der „jedermann“-Formel operiert und im Übrigen nur auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen Kartellverstoß und Schaden abstellt, ist ungeklärt, welchen Einschränkungen die Anspruchsbefugnis unterworfen werden kann. b) Kausalität zwischen Wettbewerbsverstoß und Schaden als Frage des Unionsrechts oder des nationalen Rechts? Eine Eingrenzung des anspruchsbefugten Personenkreises erfolgt vor allem über das Kriterium der (haftungsausfüllenden) Kausalität.402 Ist der Wettbewerbsverstoß nicht ursächlich für den eingetretenen Schaden, ist der Geschädigte auch nicht anspruchsbefugt. Problematisch ist dementsprechend, ob die Ermittlung des „ursächlichen Zusammenhangs“ eine Frage der Auslegung des Unionsrechts ist oder in den Zuständigkeitsbereich des nationalen Rechts fällt, das nur an den Geboten der Äquivalenz und Effektivität zu messen ist. Generalanwältin Kokott ging in ihren Schlussanträgen im Fall Kone403 zu Preisschirmeffekten von einem genuin unionsrechtlichen Kausalitätsbegriff aus. Während das Bestehen von Schadensersatzansprüchen allein nach Unionsrecht zu beurteilen sei, richteten sich die Einzelheiten der Anwendung und die Modalitäten der konkreten Durchsetzung solcher Ansprüche, also insbesondere Zuständigkeiten, Verfahren, Fristen und Beweisführung in den Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots nach nationalem Recht.404 Bei der Frage der zivilrechtlichen Haftung von Kartellanten für Preisschirmeffekte handele es sich nicht allein um Modalitäten des Schadensersatzanspruchs („Wie“ des Schadensersatzes), sondern um das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs („Ob“).405 Ob Preisschirmeffekte adäquat kausal durch einen Wettbewerbsverstoß verursacht worden seien, müsse daher allein nach unionsrechtlichen Kriterien beurteilt werden. Anderenfalls bestünde die Gefahr einer Ungleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer, was zum forum shopping führen könne.406 Der EuGH hatte demgegenüber bereits in Manfredi betont,407 dass der Begriff des „ursächlichen Zusammenhangs“ mangels Unionsregelung unter Berücksichtigung des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes Sache des innerstaatlichen Rechts ist. 401   Komninos, EC Antitrust Private Enforcement, 2007, S. 193, Fn. 315, hält auch diese Gruppen für anspruchsbefugt, soweit ihnen der Kausalitätsnachweis gelingt. Im deutschen Recht sind Anteilseigner und Arbeitnehmer dagegen von vornherein nicht aktivlegitimiert, denn nach § 33 GWB werden nur „Marktbeteiligte“ geschützt; W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1141. 402   Aus deutscher Perspektive ist der ursächliche Zusammenhang zwischen Wettbewerbsverstoß und Schaden eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität. Hiervon zu unterscheiden ist die haftungsbegründende Kausalität, also der Ursachenzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und der Rechtsgutsverletzung. Anderen Rechtsordnungen sind diese Kategorien unbekannt, da ihr Deliktsrecht nicht an die Verletzung eines geschützten Rechtsguts anknüpft; vgl. nur Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 174. Der Begriff der „haftungsausfüllenden“ Kausalität erscheint daher aus der Warte des Unionsrechts unpräzise. 403   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 21 ff. 404   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 23. 405   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 28. 406   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 29. 407   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 64.

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§ 7  Kartellrecht

Diese Ausführungen werden im Urteil Kone408 nahezu wörtlich wiederholt, was den Schluss zulässt, dass sich die Feststellung der Kausalität in den Grenzen der Effektivität und Äquivalenz vorrangig nach nationalem Recht richtet.409 Eindeutig ist dies jedoch nicht. Nach der betreffenden Passage prüft der Gerichtshof nämlich nicht, ob der vom österreichischen OGH angenommene kategorische Ausschluss eines ursächlichen Zusammenhangs beim „umbrella pricing“ die Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte „praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert“, sondern ob hierdurch die „wirksame Anwendung“410 bzw. „volle Wirksamkeit“411 der Art. 101 und 102 AEUV beeinträchtigt wird. Durch diesen Kunstgriff412 gelingt es dem Gerichtshof letztlich doch, unionsrechtliche Kriterien für die Kausalität aufzustellen.413 c) Unionsrechtliche Anforderungen an die Feststellung der Kausalität Der EuGH stellt im Fall Kone eine Reihe von Kriterien auf, die von den mitgliedstaatlichen Gerichten bei Prüfung des Kausalzusammenhangs zwischen Wettbewerbsverstoß und geltend gemachtem Schaden zu berücksichtigen sind. Diese Kriterien betreffen zwar vorrangig Preisschirmeffekte. Die Ausführungen lassen jedoch zugleich Rückschlüsse auf die unionsrechtlich erforderliche Kausalitätsprüfung im Allgemeinen zu. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist ein kategorischer Ausschluss eines „ursächlichen Zusammenhangs“ beim sog. umbrella pricing nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Zwar treffe der Kartellaußenseiter die Entscheidung über die Höhe seines Angebotspreises autonom; dieser Entscheidung liege jedoch der Marktpreis als einer der wichtigsten Wettbewerbsparameter für die Preisfestsetzung zugrunde.414 Gelinge es einem Kartell, den Preis für bestimmte Produkte künstlich hoch zu halten und seien „bestimmte Marktbedingungen, insbesondere hinsichtlich der Art des Produkts oder der Größe des von diesem Kartell erfassten Markts, erfüllt“, könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Kartellaußenseiter entschließe, den Preis für sein Angebot höher festzusetzen, als er dies unter normalen Wettbewerbsbedingungen getan hätte.415 Der EuGH wendet sich damit gegen die vom österreichischen OGH416 und auch im Schrifttum417 vertretene Ansicht, dass es sich beim „umbrella pricing“ um eine autonome Entscheidung des Kartellaußenseiters handelt, die als neue Ursache den Kausalzusammenhang unterbricht. Vielmehr genügt es für die Kausalität, wenn der Wettbewerbsverstoß für den eingetretenen Schaden mitursächlich ist.418 408

  EuGH, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 24.   Lettl, WuW 2014, 1032, 1036; Fritzsche, NZKart 2014, 428, 429. 410   EuGH, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 26. 411   EuGH, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 32. 412  So Fritzsche, NZKart 2014, 428, 429; ähnlich Zöttl, EuZW 2014, 588, 589 (fragwürdige Berufung auf den effet utile). 413   Diese Vorgehensweise belegt erneut, wie fließend die Übergänge zwischen einer am effet utile orientierten Auslegung des Unionsrechts einerseits und der Kontrolle nationaler Regelungen am Maßstab des Effektivitätsgebots andererseits sind; hierzu bereits supra, § 4 A.VI.1. 414   EuGH, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 29. 415   EuGH, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 29. 416   OGH, Beschluss v. 17.10.2012, 7 Ob 48/12b (Kone u. a.), BeckRS 2012, 24864. 417   Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 388 f.; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 255; Meeßen, Schadensersatz, 2011, S. 256 f. 418   Lettl, WuW 2014, 1032, 1037. 409

C. Schadensersatzansprüche

591

Daraus folge, so der EuGH weiter, dass ein durch das „umbrella pricing“ Geschädigter Schadensersatz verlangen könne, wenn erwiesen sei, dass (i) dieses Kartell nach den Umständen des konkreten Falles und insbesondere den Besonderheiten des betreffenden Marktes ein „umbrella pricing“ durch eigenständig handelnde Dritte zur Folge haben konnte, und (ii) diese Umstände und Besonderheiten den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben konnten. Der Gerichtshof stellt damit sowohl eine objektive als auch eine subjektive Voraussetzung auf,419 die sich im Wesentlichen mit der Adäquanztheorie deutscher Prägung deckt.420 Danach besteht ein adäquater Kausalzusammenhang, wenn das Ereignis im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg der fraglichen Art herbeizuführen.421 Liegt der Schaden demgegenüber so weit außerhalb aller Wahrscheinlichkeit, dass vom Standpunkt eines optimalen Beobachters mit seinem Eintritt vernünftigerweise nicht zu rechnen war, fehlt es an einem adäquaten Zusammenhang. Die vom Gerichtshof in der Rechtssache Kone für den Kausalitätsnachweis entwickelten Kriterien können aufgrund der allgemein gehaltenen Formulierungen als primärrechtliche Mindestanforderungen betrachtet werden, die von den einzelstaatlichen Gerichten bei Ermittlung der haftungsausfüllenden Kausalität nicht nur bei Preisschirmeffekten, sondern generell zu beachten sind.422 Abstrahiert man die vom EuGH aufgestellten Kriterien vom konkreten Fall, so gilt, wie Tobias Lettl423 zutreffend herausgearbeitet hat, erstens, dass das Hinzutreten einer eigenen Entscheidung eines Dritten nicht notwendigerweise zu einer Unterbrechung der Kausalkette führt, und zweitens, dass ein ursächlicher Zusammenhang besteht, wenn erwiesen ist, dass (i) der Wettbewerbsverstoß bestimmte Auswirkungen auf den Markt haben kann und (ii) dies den Kartellanten nicht verborgen bleiben konnte. Entsprechendes gilt für die Rechtslage nach Umsetzung der KartellschadensersatzRL 2014/104. Zwar weist ErwGr (11) darauf hin, dass der Begriff des „ursächlichen Zusammenhangs“ durch die Richtlinie „nicht behandelt“ wird, sondern dem nationalen Recht zu entnehmen ist.424 Dieses ist jedoch seinerseits am Effektivitätsgebot425 in seiner Auslegung durch den EuGH426 zu messen.

419

  Dunne, CMLR 2014, 1813, 1822; Lettl, WuW 2014, 1032, 1038.   Fritsche, NZKart 2014, 428, 430; sowie (zu den Schlussanträgen) Stöber, EuZW 2014, 257, 259. Abweichungen von der deutschen Rechtslage ergeben sich möglicherweise insoweit, als der EuGH nur verlangt, dass das Kartell unter bestimmten Marktbedingungen Preisschirmeffekte haben „konnte“. Darin könnte eine Beweiserleichterung liegen; Kühne, BB 2014, 1552; Lettl, WuW 2014, 1032, 1038. 421   BGH, NJW 1995, 126, 127; BGH, NJW 1998, 138, 140; BGH, NJW 2005, 1420, 1421. 422   Wie hier Lettl, WuW 2014, 1032, 1042; Fritzsche, NZKart 2014, 428, 429 f. A. A. Pauer, WuW 2015, 14, 22 f. 423   Lettl, WuW 2014, 1032, 1041 f. 424   Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 enthält zwar eine Reihe von Kausalitätsvermutungen (vgl. nur Art. 14 Abs. 2 und Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie). Welche allgemeinen Grundsätze für die Etablierung eines Kausalzusammenhangs gelten, bleibt jedoch offen; Lianos, CLES Research Paper Series 2/2015, S. 46 ff. 425   Vgl. ErwGr (11) und Art. 4 S. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 426  Hierzu supra, § 7 C.I.3. 420

592

§ 7  Kartellrecht

d) Rückgriff auf Schutzzweckerwägungen? Im Schrifttum wird häufig der Versuch unternommen, die Anspruchsberechtigung entfernter Betroffener einzugrenzen, indem bei Prüfung des Kausalzusammenhangs zusätzlich auf Schutzzweckerwägungen zurückgegriffen wird.427 Im deutschen und österreichischen Recht liegt ein solcher Rückgriff nahe. Nach der Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang ist bei Etablierung des Kausalzusammenhangs nicht nur auf die Adäquanztheorie, sondern auch auf den Schutzzweck der jeweiligen Haftungsnorm abzustellen. Verstößt der Schädiger gegen eine bestimmte Verhaltensnorm, so sind ihm Schäden nur insoweit zurechenbar, als die verletzte Norm nach ihrem Sinn und Zweck den Eintritt gerade dieser Schäden verhindern wollte und der Betroffene zu dem Personenkreis zählt, zu dessen Schutz die verletzte Verhaltensnorm besteht.428 Ob diese Kriterien auch bei Verstößen gegen die Art. 101, 102 AEUV Geltung beanspruchen, ist zweifelhaft. Bereits das Courage-Urteil verdeutlicht, dass der EuGH für die Frage der Anspruchsberechtigung keine restriktiven Schutzzweckerwägungen zugrunde legt, sondern vor allem auf den effet utile der Wettbewerbsvorschriften rekurriert. Auch im Fall Manfredi hat der Gerichtshof davon abgesehen, ein „rechtlich relevantes Interesse“ des Geschädigten zu fordern.429 Die Kommission und die deutsche Regierung hatten demgegenüber vorgeschlagen, Art. 101 AEUV dahingehend auszulegen, „dass er Dritten, die ein rechtlich relevantes Interesse hätten“, erlaube, Schadensersatz zu verlangen, wenn zwischen dem Kartell oder Verhalten und dem Schaden ein Kausalzusammenhang bestehe.430 Diese Formulierung wird vom Gerichtshof gerade nicht aufgegriffen, was darauf hindeutet, dass es bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs auf Schutzzwecküberlegungen offenbar nicht ankommt. Im Fall Kone wurde der Gerichtshof vom vorlegenden Gericht sogar ausdrücklich auf die Lehre vom Schutzzweck hingewiesen. Der OGH führte in seinem Vorlagebeschluss431 aus, dass der auf dem Preisschirmeffekt beruhende Schaden nach österreichischem Recht nicht ersatzfähig sei, da zwischen dem Kartellverstoß und dem Schaden nicht der erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang bestehe. Die Preisabsprache ziele nämlich nur auf die Schädigung jener ab, die Produkte von den Kartellanten selbst erwerben. Der Gerichtshof ging auf diese Ausführungen mit keinem Wort ein. Während Generalanwältin Kokott nicht nur die Adäquanz, sondern auch den Schutzzweck der Norm als (unionsrechtlich determinierte) Voraussetzung der Kausalität begreift,432 problematisiert der Gerichtshof nur die Vorhersehbarkeit des 427  So insbesondere Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 Rn. 21 f.; G/H/N/Stockenhuber, 58. EL, 2016, Art. 101 AEUV Rn. 256; W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1155, will demgegenüber prüfen, ob die entstehenden Streuschäden nicht primär auf autonomen Entscheidungen der jeweiligen Nachfrager beruhen, die dem Schädiger im Wege wertender Betrachtung nicht zugerechnet werden können. 428  Für Deutschland vgl. allgemein BGHZ 27, 137 ff.; BGHZ 57, 137, 140; BGH, NJW 2013, 1679, 1680, Rn. 12 m. w. N.; MüKo/G. Wagner, BGB, 6. Aufl., 2013, § 823 Rn. 59, 366 ff.; für Verstöße gegen Art. 101 AEUV vgl. BGH, WuW/E DE‑R 1998, 206, 207 (Depotkosmetik) = GRUR 1999, 276, 277. Für Österreich OGH, Beschluss v. 17.10.2012, 7 Ob 48/12b (Kone u. a.), BeckRS 2012, 24864; Karner, in: Koziol/Bydlinsky/Bollenberger (Hrsg.), ABGB, 3. Aufl., 2010, § 1295 ABGB Rn. 9 ff. 429  Vertiefend Bulst, ZEuP 2008, 178, 188. 430   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 55. 431   OGH, Beschluss v. 17.10.2012, 7 Ob 48/12b (Kone u. a.), BeckRS 2012, 24864. 432   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 40, 53 ff.

C. Schadensersatzansprüche

593

Schadens. Zwar klingen Schutzzweckerwägungen an, soweit im Urteil betont wird, dass die einzelstaatlichen Gerichte bei Auslegung des Begriffs „ursächlicher Zusammenhang“ berücksichtigen müssten, dass Art. 101 AEUV der Aufrechterhaltung eines wirksamen unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt dient.433 Dies ist jedoch eine rein teleologische Betrachtung, die aufgrund ihrer Unbestimmtheit nicht geeignet ist, den Kreis der potentiellen Anspruchsberechtigten oder die Art der ersatzfähigen Schäden näher einzugrenzen. 6. Zwischenergebnis Sowohl der EuGH als auch die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 ziehen die Aktivlegitimation denkbar weit. Zum Kreis der potentiell Anspruchsberechtigten zählen sowohl Kartellbeteiligte, Wettbewerber, Direktabnehmer, Folgeabnehmer, „umbrella plaintiffs“ sowie sonstige Personen, die durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht Schäden erlitten haben. Die Ersatzfähigkeit der eingetretenen Schäden und damit letztlich auch die Aktivlegitimation richten sich maßgeblich danach, ob zwischen dem Wettbewerbsverstoß und dem geltend gemachten Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Für Folgeabnehmer behilft sich die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 mit einer Weiterwälzungsvermutung.434 Kunden von Kartellaußenseitern, die im Schaden des Kartells ihre Preise erhöhen, sind demgegenüber nur dann anspruchsbefugt, wenn das Kartell Preisschirmeffekte am Markt haben konnte und dies den Kartellanten nicht verborgen bleiben konnte. Inwieweit sonstige Personen anspruchsberechtigt sind, harrt nach wie vor der Klärung. Da der EuGH bislang nur auf die Adäquanztheorie, nicht aber auf den Schutzzweck abstellt, ist es dem Gericht bislang nicht gelungen, die Haftung für reine Vermögensschäden einzugrenzen.435 Verzichtet man gänzlich auf Schutzzweckerwägungen, ist eine uferlose Haftung des Schädigers gleichwohl nicht zu befürchten. Zum einen sind einer unbegrenzten Haftung bereits in faktischer Hinsicht Grenzen gesetzt, denn entfernt Betroffene werden häufig nicht in der Lage sein, den Kausalitätsnachweis zu erbringen.436 Zum anderen könnte der Gerichtshof den durch die „jedermann“-Formulierung eröffneten weiten Anwendungsbereich relativieren, indem er auf seine Rechtsprechung zur Staatshaftung und zur außervertraglichen Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV zurückgreift:437 Ein unionsrechtlich begründeter Staatshaftungsanspruch ist nach der Rechtsprechung nur bei Vorliegen eines „unmittelbaren Kausalzusammen433

  EuGH, Rs. C‑557/12 (Kone u. a.) Rn. 32.  Hierzu supra, § 7 C.III.4.c. 435   Kritisch hierzu bereits supra, § 3 E.VI. 436   Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 231, will daher im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs von vornherein keine prinzipiellen Haftungsbeschränkungen für gewisse Personengruppen akzeptieren, sondern nur in Bezug auf die nötigen Anforderungen für den Kausalitäts- und Schadensnachweis zwischen einzelnen Marktakteuren differenzieren. 437   Für einen Rückgriff auf diese Rechtsprechung bereits GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑128/92 (Banks) Rn. 52. Im Anschluss daran auch Streinz/Eilmansberger, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 101 Rn. 135; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 252 ff.; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81, 68. EL, Mai 2009, Rn. 195. Dagegen Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 388 (Kriterium der Unmittelbarkeit zu wenig konturiert). 434

594

§ 7  Kartellrecht

hangs“ geboten.438 Auch für die Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV verlangen der EuGH und das EuG, dass zwischen dem Schaden und dem fehlerhaften Verhalten eines Organs der Union oder eines Bediensteten ein „unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang“ besteht.439 Nach ständiger Rechtsprechung kann die Union nur für Schäden in Haftung genommen werden, die sich hinreichend unmittelbar aus dem rechtswidrigen Verhalten des betroffenen Organs ergeben; das Verhalten muss der ausschlaggebende Grund für den Schaden sein. Dagegen besteht keine Verpflichtung der Union, für jede „noch so entfernte nachteilige Folge“ Schadenersatz zu leisten.440 Unter Zugrundelegung dieser Kriterien wären Schäden, die Anteilseignern, Arbeitnehmern eines Unternehmens oder anderen Personen aufgrund eines kartellbedingten Nachfragerückgangs entstehen, mangels Unmittelbarkeit wohl auch nicht anspruchsbefugt.441

IV. Passivlegitimation und gesamtschuldnerische Haftung 1. Anspruchsgegner Grundsätzlich haftet derjenige auf Schadensersatz, der gegen Art. 101 oder Art. 102 AEUV verstoßen hat. Dieser Grundsatz findet sich in der KartellschadensersatzRL 2014/104 wieder. Art. 1 Abs. 1 S. 1 spricht ausdrücklich davon, dass es um Verletzungshandlungen von „Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen“ geht. Diese werden in Art. 2 Nr. 2 auch als „Rechtsverletzer“ bezeichnet. Nicht eindeutig geregelt ist die Frage, ob eine Muttergesellschaft für Kartellrechtsverstöße ihrer Tochtergesellschaften haftet, wenn ihr selbst keine direkte Beteiligung am Kartellrechtsverstoß nachgewiesen werden kann.442 „Rechtsverletzer“ ist nach Art. 2 Nr. 2 nur das Unternehmen oder die Unternehmensvereinigung, das bzw. die die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen hat. Fragen der Haftungszurechnung richten sich demgegenüber nach ErwGr (11) grundsätzlich nach nationalem Recht. Für das verwaltungsrechtliche Bußgeldverfahren geht der EuGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich eine Muttergesellschaft das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft zurechnen lassen muss, wenn die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Mutter438   EuGH, Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 51; Rs. C‑392/93 (British Telecommunications) Rn. 39; Rs. C‑5/94 (Hedley Lomas) Rn. 25; Rs. C‑224/01 (Köbler) Rn. 51; Rs. C‑470/03 (A.G.M.-COS.MET) Rn. 78, 83. 439  EuGH, verb. Rs. 64, 113/76, 176  & 239/78, 27, 29  & 45/79 (Dumortier frères), Rn. 21; Rs. C‑446/04 (Test Claimants) Rn. 218; EuG, Rs. T‑168/94 (Blackspur) Rn. 40; Rs. T‑226/01 (CAS Succi di Frutta) Rn. 37 m. w. N. Viele Generalanwälte interpretieren dieses Kriterium als Ausdruck der Adäquanztheorie; vgl. GA de Lamothe, SchlA, Rs. 4/69 (Lütticke/Kommission); GA Colomer, SchlA, Rs. C‑440/07P (Kommission/Schneider Electric) Rn. 140. Der Gerichtshof der Europäischen Union vermeidet es demgegenüber, den Begriff der Adäquanz in seinen Urteilen zu verwenden. 440   EuGH, verb. Rs. 64, 113/76, 176 & 239/78, 27, 29 & 45/79 (Durmortier frères) Rn. 21; EuG, Rs. T‑42/06 (Gollnisch) Rn. 110. 441   Vgl. auch EuG, Rs. T‑12/93 (Comité Central d’Entreprise de la Société Anonyme Vittel) Rn. 50: Arbeitnehmervertreter sind von einer Unternehmensfusion, die von der Kommission genehmigt wurde, nicht i. S. d. Art. 263 Abs. 4 AEUV unmittelbar betroffen, da eigene Rechte nicht beeinträchtigt werden. 442  Anders Kersting, WuW 2014, 564, 565 (Übernahme des europäischen Unternehmensbegriffs wird durch die Richtlinie zwingend vorgegeben).

C. Schadensersatzansprüche

595

gesellschaft befolgt.443 Ein solcher bestimmender Einfluss wird widerleglich vermutet, wenn die Mutter direkt oder indirekt eine 100 %ige Beteiligung an der Tochter hält.444 Bei geringeren Beteiligungen muss demgegenüber der bestimmende Einfluss durch eine Betrachtung der „wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen“ der beiden Rechtssubjekte nachgewiesen werden.445 Ob diese Rechtsprechung auf die privatrechtliche Haftung der Muttergesellschaft übertragen werden kann, ist noch ungeklärt. Im Bußgeldverfahren wurde die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit entwickelt, um eine Umgehung der Verantwortlichkeit durch gesellschaftsrechtliche Konstrukte zu verhindern. Dieser Gedanke muss entsprechend für die privatrechtliche Haftung gelten.446 Es widerspräche dem Effektivitätsgrundsatz, wenn die Geschädigten von der Muttergesellschaft bei Entdeckung eines Kartells, an dem allein die Tochter beteiligt war, darauf verwiesen werden könnten, ihre Schäden allein bei der – möglicherweise demnächst insolventen – Tochtergesellschaft zu liquidieren. 2. Gesamtschuldnerische Haftung Nach Art. 11 Abs. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 haften die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im Außenverhältnis grundsätzlich gesamtschuldnerisch. Der Geschädigte kann daher von jedem einzelnen Unternehmen den Ersatz des vollen Schadens verlangen, bis der Schaden vollständig ersetzt ist. Im Innenverhältnis steht dem Schädiger nach Art. 11 Abs. 5 der Richtlinie ein Regressanspruch zu, wenn er mehr an Schadensersatz gezahlt haben sollte, als es seinem eigenen Anteil entspricht. Dieser Anteil bestimmt sich anhand der „relativen Verantwortung“ des Rechtsverletzers für den durch die Zuwiderhandlung entstandenen Schaden. Wie der jeweilige Anteil zu bestimmen ist, bemisst sich in den Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots grundsätzlich nach nationalem Recht. ErwGr (37) listet beispielhaft den Umsatz, den Marktanteil sowie die Rolle im Kartell als mögliche Kriterien auf. Hat sich der Geschädigte mit einem Schädiger verglichen, verringert sich sein Anspruch gegen die übrigen Schädiger um den Anteil, den der am Vergleich beteiligte Schädiger im Innenverhältnis gem. Art. 11 Abs. 5 tragen müsste (Art. 19 Abs. 1).447 Die übrigen Schädiger haben im Innenverhältnis keinen Ausgleichsanspruch gegen den sich vergleichenden Schädiger (Art. 19 Abs. 2 S. 2). Eine Nachforderung des Geschädigten gegen den sich vergleichenden Schädiger ist selbst dann ausgeschlossen, wenn die übrigen Schädiger den verbleibenden Schadensersatzanspruch nicht erfül443  EuGH, Rs. C‑97/08 P (Akzo Nobel u. a./Kommission) Rn. 58 ff.; Rs. C‑90/09 P (General Química u. a./Kommission) Rn. 37 ff.; Rs. C‑521/09 P (Elf Aquitaine/Kommission) Rn. 54 ff.; verb. Rs.  C‑231 – 233/11  P (Kommission/Siemens Österreich u. a.) Rn. 46 ff. 444   EuGH, Rs. C‑97/08 P (Akzo Nobel u. a./Kommission) Rn. 60; Rs. C‑90/09 P (General Química u. a./Kommission) Rn. 39; Rs. C‑521/09 P (Elf Aquitaine/Kommission) Rn. 56. 445   EuGH, Rs. C‑97/08 P (Akzo Nobel u. a./Kommission) Rn. 58; Rs. C‑90/09 P (General Química u. a./Kommission) Rn. 37; Rs. C‑521/09 P (Elf Aquitaine/Kommission) Rn. 54. 446  Ebenso Ackermann, ZWeR 2010, 329, 343; Kersting, Der Konzern 2011, 445, 457; ders., WuW 2014, 564, 565; Vollrath, NZKart 2013, 434, 438; Wurmnest, in: Remien (Hrsg.), Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 48 f. 447   Dementsprechend muss bereits bei der Außenhaftung das Innenverhältnis der Kartellanten untereinander ermittelt werden. Dies gestaltet die Abwicklung unnötig kompliziert. Zu Recht kritisch Krüger, NZKart 2013, 483, 487; Kersting, WuW 2014, 564, 571.

596

§ 7  Kartellrecht

len können, vorausgesetzt, ein derartiger Ausschluss wird ausdrücklich in die Vergleichsabrede aufgenommen (Art. 19 Abs. 3 UAbs. 2). 3. Privilegierung von Kronzeugen Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 privilegiert Kronzeugen sowohl im Außenwie im Innenverhältnis. Unternehmen oder natürliche Personen, denen im Rahmen eines Kronzeugenprogramms eine Geldbuße vollständig erlassen worden ist,448 haften im Außenverhältnis grundsätzlich nur gegenüber ihren eigenen (unmittelbaren und mittelbaren) Abnehmern und Lieferanten (Art. 11 Abs. 4 UAbs. 1 lit. a). Gegenüber den Kunden anderer Unternehmen haften Kronzeugen demgegenüber erst dann, wenn die Geschädigten von den übrigen Schädigern keinen vollständigen Schadensersatz erlangen können (Art. 11 Abs. 4 UAbs. 1 lit. b). Auch im Innenverhältnis ordnet die Richtlinie eine Haftungsprivilegierung zugunsten des Kronzeugen an. Gemäß Art. 11 Abs. 5 S. 2 darf der Ausgleichsbetrag des Kronzeugen nicht größer sein als der Schaden, den die Zuwiderhandlung seinen eigenen (unmittelbaren oder mittelbaren) Abnehmern oder Lieferanten verursacht hat. Beide Regelungen dienen dem Schutz des public enforcement. Da Kronzeugen eine Schlüsselrolle bei der Aufdeckung und Abstellung von Zuwiderhandlungen spielen, sollen sie vor übermäßigen Schadensersatzansprüchen geschützt werden.449 Der Richtliniengeber weist zudem darauf hin, dass wettbewerbsbehördliche Entscheidungen gegenüber Kronzeugen mangels Anfechtung in aller Regel früher rechtskräftig werden als gegenüber anderen Kartellbeteiligten; dies habe zur Folge, dass der Kronzeuge aufgrund der Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen (Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003; Art. 9 Kartellschadensersatz-RL 2014/104) einem erhöhten Risiko von Schadensersatzklagen ausgesetzt sei.450 Diese Erwägungen rechtfertigen indes keinen Ausschluss der Außenhaftung gegenüber sonstigen Geschädigten. Eine Privilegierung des Kronzeugen im Innenverhältnis reicht vollständig aus, um dem berechtigten Anliegen an einer wirksamen öffentlich-rechtlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts Rechnung zu tragen.451 Der Grundsatz der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts beansprucht, wie zuvor gezeigt, keinen Vorrang gegenüber dem Individualrechtsschutz.452 Beide Belange sind vielmehr, wie der EuGH zu Recht hervorgehoben hat, auszutarieren.453 Es ist daher zweifelhaft, ob Art. 11 Abs. 4 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 dem primär448

104.

449

  So die Legaldefinition des „Kronzeugen“ gem. Art. 2 Nr. 19 Kartellschadensersatz-RL 2014/

  ErwGr (38) Kartellschadensersatz-RL 2014/104.   ErwGr (38) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 451  Ebenso Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 422 ff.; Dworschak/Maritzen, WuW 2013, 829, 841; Krüger, WuW 2012, 6, 13; Meeßen, Schadensersatz, 2011, S. 558 ff.; sowie Kersting, ZWeR 2008, 252, 266 ff., der jedoch de lege ferenda eine eingeschränkte Außenhaftung durch prozentuale Kürzung in Höhe der Bußgeldermäßigung befürwortet. A. A. Bien, EuZW 2011, 889 f., der eine Privilegierung sowohl im Außen- wie Innenverhältnis ablehnt, und stattdessen einen Erstattungsanspruch des Kronzeugen gegen die Staatskasse ins Spiel bringt. 452  Vgl. supra, §  7 C.I.5.d. – e. 453   EuGH, Rs. C‑360/09 (Pfleiderer) Rn. 30; Rs. C‑536/11 (Donau Chemie) Rn. 31: Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung und dem Schutz subjektiver Rechte ist erforderlich, da „jede starre Regel (. . .) die wirksame Anwendung insbesondere des Art. 101 AEUV und der Rechte, die diese Bestimmung dem Einzelnen verleiht, beeinträchtigen kann“. 450

C. Schadensersatzansprüche

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rechtlichen Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz entspricht.454 Zwar wird eine vollständige „Enteignung“ entfernterer Geschädigter verhindert, da Art. 11 Abs. 4 UAbs. 1 lit. b eine Ausfallhaftung des Kronzeugen für den Fall anordnet, dass die Geschädigten von anderen Schädigern keinen Ausgleich erlangen können. Auf diese Weise wird jedoch die Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen zu Lasten der Geschädigten übermäßig erschwert. Dies jedenfalls dann, wenn die Geschädigten zunächst gegen alle anderen Kartellbeteiligten vorgehen und erfolglose Vollstreckungsversuche unternehmen müssen. Dies ist nicht nur unpraktikabel,455 sondern zudem kostenintensiv und damit abschreckend. Das Ziel einer Privilegierung des Kronzeugen darf nicht auf Kosten der Geschädigten und ihres Anspruchs auf Schadenskompensation gehen. 4. Privilegierung von KMU Nicht nur Kronzeugen, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollen nach der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 in den Genuss einer Haftungsprivilegierung kommen und nur gegenüber ihren (unmittelbaren oder mittelbaren) Abnehmern haften, wenn sie während der Zuwiderhandlung einen Marktanteil von unter 5 % hatten und eine gesamtschuldnerische Haftung die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens unumkehrbar beeinträchtigen und zum Wertverlust aller Vermögensgegenstände führen würde (Art. 11 Abs. 2). Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn das KMU Anführer des Kartells war, andere zur Teilnahme gezwungen hat oder Wiederholungstäter ist (Art. 11 Abs. 3). Diese Regelung, die erst in letzter Minute aufgenommen und von der deutschen, polnischen und slowenischen Delegation im Rat vehement abgelehnt wurde,456 ist nicht nur rechtspolitisch vollkommen verfehlt, da sie zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung führt. Sie belastet die Opfer eines Wettbewerbsverstoßes zudem mit erheblichen Prozessrisiken und ‑kosten.457 Geschädigte werden im Vorfeld eines Prozesses weder den Marktanteil des Unternehmens für den gesamten Zeitraum des Kartells ermitteln noch verlässlich einschätzen können, ob Schadensersatzansprüche zu einer drohenden Entwertung des Anlagevermögens führen. Die Privilegierung von KMU steht damit in direktem Gegensatz zu der vom EuGH geforderten Stärkung privater Schadensersatzklagen.

454   Im Ergebnis auch Böni, EWS 2014, 324, 328; Kersting, WuW 2014, 546, 566; Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7, 11; wohl auch Krüger, NZKart 2013, 483, 486. A. A. Schweitzer, NZKart 2014, 335, 344 f. (Privilegierung im Außen- und Innenverhältnis ist zu begrüßen). Vgl. auch Vollrath, NZKart 2013, 434, 443 (Privilegierung ist angesichts der Ausfallhaftung des Kronzeugen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden). 455   Krüger, NZKart 2013, 483, 486. 456   Siehe Ratsdok. Nr. 14680/14 ADD 1 v. 3.11.2014. 457   Kersting, WuW 2014, 564, 567 f.; Böni, EWS 2014, 324, 326; Schweitzer, NZKart 2014, 335, 344.

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§ 7  Kartellrecht

V. Art und Umfang des Schadensersatzes 1. Ersatzfähiger Schaden a) Primärrechtliche Vorgaben Der Gerichtshof hat in Manfredi458 unter Rückgriff auf seine Staatshaftungsrechtsprechung klargestellt, dass ein Geschädigter Ersatz für alle erlittenen Vermögenseinbußen erlangen kann. Der Anspruch auf eine vollständige Entschädigung erstreckt sich nicht nur auf den positiven Schaden (damnum emergens), sondern auch auf entgangenen Gewinn (lucrum cessans). Überträgt man diese Kriterien auf ein Preiskartell, so ergibt sich, dass einem Direkt- oder Folgeabnehmer die Differenz zwischen dem gezahlten, rechtswidrig überhöhten Preis und dem hypothetischen Wettbewerbspreis zu ersetzen ist. Zwischenhändler können darüber hinaus Ersatz des entgangenen Gewinns fordern, der dadurch entsteht, dass sie aufgrund des Preiskartells weniger Einheiten verkaufen bzw. produzieren können (sog. dead weight loss). Der EuGH leitet aus der Staatshaftungsrechtsprechung ferner ab, dass ein Kartellgeschädigter die Zahlung von Zinsen verlangen können muss.459 Unter Zugrundelegung der Staatshaftungsrechtsprechung ist schließlich davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten keine absolute Anspruchsobergrenze vorsehen dürfen.460 Auf der anderen Seite bleibt es ihnen aber unbenommen, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt.461 Die Einführung eines Strafschadensersatzes ist nach Auffassung des EuGH im Interesse einer wirksamen Abschreckung nicht geboten. Wenn das nationale Recht einen solchen Schadensersatz für Verstöße gegen innerstaatliches Kartellrecht vorsieht, muss dieser aber nach dem Äquivalenzgebot auch bei Verstößen gegen das Unionskartellrecht zugesprochen werden können.462 Ansprüche auf Zahlung eines Strafschadensersatzes (examplary damages) und Gewinnabschöpfung (restitutionary damages) sind insbesondere im englischen Recht anerkannt.463 Der Court of Appeal lehnte es unter Berufung auf das Verbot der Doppelbestrafung dennoch ab, derartige Schadenspositionen zu gewähren, da die Europäische Kommission bereits zuvor ein Bußgeld verhängt hatte.464 Etwas anderes gilt, wenn die (englische) Wettbewerbsbehörde zwar eine Kartellrechtsverletzung feststellt, aber kein Bußgeld verhängt. In einem solchen Fall sah sich das Competition Appeal Tribunal im Jahre 2012 nicht daran gehindert, neben dem kompensatorischen Schadensersatz i. H. v. ca. 33.818 2GBP auch noch exemplary damages i. H. v. 60.000 2GBP zuzusprechen.465 458

  EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 95 f.   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 97, mit Verweis auf EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 31. 460   EuGH, Rs. 217/91 (Marshall II) Rn. 30; vgl. auch Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 30. 461   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 94. 462   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 93. 463   Rookes v Barnard [1964] AC 1129; Kuddas v Chief Constable of Leicestershire, [2002] 2 AC 122. Zum Überblick vgl. Law Commission, Report No. 247, Aggravated, Exemplary and Restitutionary Damages, 1997. 464   Devenish Nutrition Ltd v Sanofi-Aventis SA and others, [2007] EWHC 2394 (Ch), bestätigt durch [2008] EWCA Civ 1086; kritisch hierzu Al-Ameen, World Competition 2009, 327 ff. Ausführlich zu dieser Rechtsprechung supra, § 4 D.VI.3. 465   2 Travel Group Plc v Cardiff City Transport Services Ltd, [2012] CAT 19. 459

C. Schadensersatzansprüche

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b) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 lehnt sich eng an die primärrechtlichen Vorgaben an. Art. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie stellen klar, dass jeder Kartellgeschädigte das Recht auf „vollständigen“ Ersatz des eingetretenen Schadens hat. Zu den ersatzfähigen Schäden zählen eingetretene Vermögenseinbußen, entgangener Gewinn sowie Zinsen ab Schadensentstehung.466 Leitgedanke des Schadensersatzes ist das Prinzip der vollständigen Entschädigung, basierend auf einem kompensatorisch konzipierten Schadensersatzanspruch. Der Geschädigte soll gem. Art. 3 Abs. 2 S. 1 in die Lage versetzt werden, in der er sich befände, wenn die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nicht begangen worden wäre. Eine Überkompensation des Geschädigten ist dagegen – im Unterschied zu den in Manfredi entwickelten Vorgaben – unzulässig. Nach Art. 3 Abs. 3 darf der vollständige Ersatz „nicht zu Überkompensation führen, unabhängig davon, ob es sich dabei um Strafschadensersatz, Mehrfachentschädigung oder andere Arten von Schadensersatz handelt“. Flankierend hierzu verpflichtet Art. 12 Abs. 2 die Mitgliedstaaten, durch prozessuale Regeln sicherzustellen, dass der Ersatz von Schäden in Form von Vermögenseinbußen auf jeder Vertriebsstufe nicht höher ist als der aus dem überhöhten Preis resultierende Schaden. Die Richtlinie grenzt sich damit nicht nur vom Grünbuch ab, in welchem die Kommission noch eine Verdopplung des Schadensersatzes sowie Ansprüche auf Gewinnabschöpfung zur Diskussion gestellt hatte,467 sondern zugleich von der Judikatur des Gerichtshofs, derzufolge das Äquivalenzgebot die Zuerkennung eines überkompensatorischen Schadensersatzes erfordern kann. Angesichts Art. 3 Abs. 3, Art. 12 Abs. 2 ist diese Rechtsprechung überholt. Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 kann allerdings nur in ihrem (sachlichen) Anwendungsbereich eine vollharmonisierende Wirkung entfalten. Das Verbot der Überkompensation gilt nur „im Rahmen dieser Richtlinie“ (Art. 3 Abs. 3). Außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie liegen kollektive Rechtsdurchsetzungsmechanismen. Der in Deutschland vorgesehene kollektive Gewinnabschöpfungsanspruch (§ 34a GWB) bleibt daher auch nach der Richtlinie zulässig. 2. Ermittlung des ersatzfähigen Schadens Die Ermittlung des ersatzfähigen Schadens wirft im Wettbewerbsrecht erhebliche Probleme auf. Bei Zugrundelegung der Differenzhypothese ist der durch die Wettbewerbsbeschränkung eingetretene Zustand mit dem Zustand zu vergleichen, der ohne diese Wettbewerbsbeschränkung bestanden hätte. Bei einem Preiskartell bestünde der Schaden damit in erster Linie in der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Güterpreis und dem hypothetischen Güterpreis, der zu zahlen gewesen wäre, wenn es das Kartell nicht gegeben hätte.468 Damit stellt sich die Frage, nach welcher Berech466

  ErwGr (12) und Art. 3 Abs. 2 S. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104.   Grünbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2005) 672 endg., S. 4 (unter 1.1.) sowie Optionen 15 und 16; Commission Staff Working Paper, Annex to the Green Paper Damages for breach of EC antitrust rules, SEC (2005) 1732, Rn. 148 ff. 468   In die Schadensberechnung sind darüber hinaus diejenigen Schäden mit einzubeziehen, die durch einen Nachfragerückgang entstehen (dead weight loss); vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 41 zur 7. GWB-Novelle, 2004, Rn. 62 ff.; G. Wagner, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 605, 625 ff. 467

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§ 7  Kartellrecht

nungsmethode der hypothetische Wettbewerbspreis zu ermitteln ist,469 und welche Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast gelten. Da die Ermittlung des Schadensumfangs mit großen Unwägbarkeiten verbunden ist, sieht die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 eine Reihe von Regelungen vor, die eine Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in der Praxis erleichtern sollen: – Gem. Art. 17 Abs. 1 S. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 dürfen erstens die Anforderungen an den Nachweis der Schadenshöhe weder hinsichtlich der Beweislast noch des Beweismaßes so hoch angesetzt werden, dass die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. Notwendig ist nach Art. 17 Abs. 1 S. 2 insbesondere ein Rückgriff auf Schätzungen. – Die Richtlinie hilft dem Geschädigten ferner mit einer widerleglichen Schadensvermutung bei Hardcore-Verstößen. Gem. Art. 17 Abs. 2 wird vermutet, dass Zuwiderhandlungen in Form von Kartellen, wie z. B. Preis- und Quotenabsprachen oder Marktaufteilungsvereinbarungen (vgl. Art. 2 Nr. 14), einen Schaden verursachen. Die Vermutung erstreckt sich allerdings nur auf das Bestehen eines Schadens dem Grunde nach sowie auf den Kausalzusammenhang zwischen Kartellverstoß und Schadenseintritt,470 nicht aber auf die Schadenshöhe.471 – Drittens können sich Folgeabnehmer unter den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 2 auf die Vermutung berufen, dass eine Weiterwälzung des Schadens stattgefunden hat. Auch diese Vermutung bezieht sich allein auf das „Ob“ des passing on, nicht jedoch auf dessen Höhe.472 – Viertens kann der Geschädigte von dem Beklagten oder von Dritten eine Offenlegung von Beweismitteln verlangen (Art. 5). – Schließlich können sich fünftens die einzelstaatlichen Gerichte bei der Schadensermittlung nach Art. 17 Abs. 3 der Hilfe der einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden versichern und zur Erleichterung der Schadensberechnung auf den praktischen Leitfaden473 zurückgreifen, der im Auftrag der Kommission gem. Art. 16 erstellt wurde und der approximative Methoden zur Berechnung und vereinfachte Regeln zur Schätzung von erlittenen Verlusten enthält. Als bloße Mitteilung ist der praktische Leitfaden allerdings rein informativ und für einzelstaatliche Gerichte oder Parteien unverbindlich (vgl. Art. 288 Abs. 5 AEUV). Inwieweit diese Regeln ausreichen, um eine effektive Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in der Praxis sicherzustellen, ist zweifelhaft. Auch eine Schadensschät469   Zu den verschiedenen Bemessungsmethoden vgl. Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, SWD (2013) 205; Commission Staff Working Paper, Annex to the Green Paper Damages for breach of EC antitrust rules, SEC (2005) 1732, Rn. 130 ff.; Bundeskartellamt, Diskussionspapier „Private Kartellrechtsdurchsetzung“, 2004, S. 21 ff.; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 286 ff.; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 419 ff. 470   Stauber/Schaper, NZKart 2014, 346, 351. 471   Vgl. ErwGr (47) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 472   Schweitzer, NZKart 2014, 335, 338 f. 473   Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, SWD (2013) 205.

C. Schadensersatzansprüche

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zung kann in aller Regel nur auf der Grundlage eines substantiierten Vortrags und ggf. Beweis des Geschädigten vorgenommen werden. So verlangen die deutschen Gerichte für die Schadensschätzung (§ 287 ZPO), dass der Geschädigte die Berechnungs- und Schätzungsgrundlagen schlüssig darlegt und die Größenordnung beziffert bzw. einen Mindestbetrag angibt.474 Die in der Richtlinie vorgesehenen Beweisvermutungen werden aus diesem Grunde sehr skeptisch beurteilt. Da der Geschädigte Anknüpfungstatsachen für die Schadensschätzung vortragen müsse, tendiere die Bedeutung der in Art. 17 Abs. 2 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 vorgesehenen Schadensvermutung, so wird befürchtet, gegen Null.475 Gleiches gelte für die Weiterwälzungsvermutung nach Art. 14 Abs. 2. Mangels Einblick in die Preiskalkulation direkter Abnehmer falle es Folgeabnehmern äußerst schwer, den Preisaufschlag auf der ersten Marktstufe zu beziffern.476 Zwar könnten die Geschädigten Offenlegungsansprüche geltend machen. Wie wirksam diese sein werden, bleibe aber eine offene Frage.477 Bei all dieser durchaus berechtigten Kritik sollte nicht übersehen werden, dass die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 die Ermittlung des ersatzfähigen Schadens unter den Vorbehalt der Effektivität stellt. Die Mitgliedstaaten dürfen daher keine überzogenen Anforderungen an den Vortrag des Geschädigten stellen, wenn es um die Schlüssigkeit von Ausgangs- und Anknüpfungstatsachen für die Schadensschätzung geht. Fehlt es an den erforderlichen Daten, mittels derer der Umfang der Preisbildung im Kartellzeitraum geschätzt werden kann, bleibt es den einzelstaatlichen Gerichten unbenommen, auf Durchschnittswerte zurückzugreifen. Empirisch belegte Schätzungen, wonach „Kartelle zu einem Preisaufschlag X führen“, könnten von den Gerichten zumindest als Beweis des ersten Anscheins akzeptiert werden.478 Der Beklagte müsste dann seinerseits darlegen, dass der Schaden im konkreten Einzelfall unter diesen Durchschnittswerten lag. Akzeptieren die Gerichte derartige Durchschnittswerte nicht als Beweis des ersten Anscheins für die Schadensschätzung, obwohl der Kläger zuvor alle Beweismöglichkeiten ausgeschöpft hat, müsste im Zweifel der EuGH angerufen werden, um diese Frage zu klären. 3. Einwand der Schadensabwälzung a) Problemaufriss Zu den umstrittensten Problemen des Kartellrechts gehört die Frage, ob der Schädiger einwenden kann, es sei dem Geschädigten gelungen, einen überhöhten Preis 474   OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.5.2008, Az. U (Kart) 14/07, WuW DE‑R 2311, 2312 = BeckRS 2008, 10947. Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BGH zurückgewiesen; BGH, Beschl. v. 7.4.2009, KZR 42/08, GRUR-RR 2009, 319. Vertiefend Bernhard, NZKart 2013, 488 ff. 475   Kersting, WuW 2014, 564, 573. 476   Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7, 12. 477   Schweitzer, NZKart 2014, 335, 339. 478   Bernhard, NZKart 2013, 488, 492 ff. Auch die Europäische Kommission diskutiert diese Möglichkeit; vgl. den Folgenabschätzungsbericht zur Kartellschadensersatz-RL, SWD (2013) 203 final, Rn. 89. Das ungarische Kartellrecht enthält sogar eine gesetzliche widerlegliche Vermutung für eine kartellbedingte Preiserhöhung i. H. v. 10 % für horizontale Hardcore-Kartelle; Csongor István, WuW 2010, 902, 904 ff. Im Vereinigten Königreich konnte sich der Vorschlag, eine gesetzliche Vermutung für eine kartellbedingte Preisüberhöhung i. H. v. 20 % zu verankern, dagegen nicht durchsetzen; vgl. Bernhard, NZKart 2013, 488, 494 m. w. N. in Fn. 77 – 78.

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§ 7  Kartellrecht

an seine Abnehmer weiterzugeben (sog. passing on defence).479 Lässt man den Einwand der Schadensabwälzung unbegrenzt zu, wird die Effektivität der privaten Kartellrechtsdurchsetzung erheblich in Frage gestellt. Soweit dieser Einwand gegenüber dem Direktabnehmer und weiteren Folgeabnehmern Erfolg hat, könnten nämlich nur noch die Endabnehmer Schadensersatz für den Überteuerungsschaden beanspruchen. Bei diesen kommt es indessen regelmäßig zu einer Vielzahl kleiner Streuschäden, an deren Geltendmachung die Betroffenen häufig kein Interesse haben. Zudem wird es Endabnehmern aufgrund der weiteren Entfernung zum Verstoß sehr schwer fallen, die Kausalität zwischen Wettbewerbsverstoß und Schaden nachzuweisen. Schließt man den Einwand der Schadensabwälzung dagegen aus, kommt es zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Direktabnehmers, wenn dieser den Preisaufschlag tatsächlich an seine Kunden weitergegeben hat, dennoch aber seine Schadensersatzklage gegen den Kartellanten bzw. Marktbeherrscher erfolgreich durchsetzen kann. Sind indirekte Abnehmer anspruchsberechtigt, kann es bei Ausschluss der passing on defence darüber hinaus zu einer mehrfachen Inanspruchnahme des Schädigers für denselben Schaden kommen. Er wird möglicherweise sowohl vom Direktabnehmer in Anspruch genommen als auch von einer Vielzahl von Folgeabnehmern verschiedener Absatzstufen. Häufig findet sich im Schrifttum unter Verweis auf das US‑amerikanische Kartellrecht die Einschätzung, dass das Problem der Mehrfachentschädigung theoretischer Natur sei.480 Der US Supreme Court hat die passing on defence bekanntlich für Direkt­abnehmerklagen ausgeschlossen;481 indirekte Abnehmer sind nach dem US‑Bundesrecht nicht anspruchsbefugt.482 Die Bundesstaaten dürfen dennoch in ihren Kartellgesetzen Schadensersatzansprüche für indirekte Abnehmer vorsehen.483 Obwohl dies in mehr als 35 Bundesstaaten geschehen ist,484 sind in der Praxis nur wenige Fälle aktenkundig geworden, in denen es zu einer mehrfachen Inanspruchnahme gekommen ist. Dies mag indessen auch an der hohen Vergleichsquote liegen und dem Umstand geschuldet sein, dass der tatsächlich eingetretene Schaden bei indirekten Abnehmern nur schwer zu ermitteln ist. Auch in den USA wird daher die Befürchtung geäußert, es könne zu Mehrfachentschädigungen kommen.485 In den meisten Mitgliedstaaten wird das Problem der Schadensabwälzung nicht ausdrücklich geregelt. Nach der Ashurst Studie greifen die Mitgliedstaaten überwiegend auf ihr allgemeines Deliktsrecht zurück; der Einwand der Schadensabwälzung scheint hiernach grundsätzlich zulässig zu sein.486 In der Gerichtspraxis der Mitgliedstaaten wird das Problem allerdings – soweit ersichtlich – bislang kaum behandelt. Französische Gerichte tendieren dazu, den Einwand der Schadensabwälzung zuzu479   Gegenstand des passing on-Einwands kann nur der Schaden sein, der in der Differenz zwischen Kartell- und hypothetischem Wettbewerbspreis zu sehen ist (sog. Überteuerungsschaden). Der Einwand greift indessen nicht bzgl. des entgangenen Gewinns, der dadurch entsteht, dass der Abnehmer aufgrund des Preiskartells weniger Einheiten verkaufen bzw. produzieren kann. 480  So Basedow, ZWeR 2006, 294, 303 f.; Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489, 511. 481   Hanover Shoe, Inc. v. United Shoe Machinery Corp, 392 U. S. 481 (1968). 482   Illinois Brick Co. v. Illinois, 431 U. S. 720 (1977). 483   California v. ARC America Corp., 490 U. S. 93 (1989). 484   Antitrust Modernization Commission (AMC), Report and Recommendations, April 2007, S. 269. 485   Vgl. nur AMC, a. a. O., S. 271 m. w. N. in Fn. 35. 486   Waelbroeck/Slater/Even-Shoshan, Study, 2004, S. 79.

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lassen.487 In England wies der Court of Appeal eine Klage von Folgeabnehmern auf Gewinnabschöpfung ab und führte hilfsweise aus, dass eine passing on defence statthaft sei.488 In Deutschland war die Rechtslage nach Inkrafttreten der 7. GWBNovelle ungeklärt. Erst seit der ORWI-Entscheidung des BGH steht fest, dass der Einwand grundsätzlich zulässig ist.489 b) Rückgriff auf die Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Erstattungsanspruch? Teilweise wird aus dem effet utile abgeleitet, dass der passing on-Einwand stets auszuschließen ist.490 Der EuGH hat indessen sowohl in Courage491 als auch in Manfredi492 hervorgehoben, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen können, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt. Der Gerichtshof greift in beiden Entscheidungen ausdrücklich auf seine Judikatur zum unionsrechtlichen Erstattungsanspruch zurück.493 Nach dieser Rechtsprechung kann ein Mitgliedstaat einem Abgabenpflichtigen die Erstattung einer unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen innerstaatlichen Abgabe verweigern, wenn es dem Abgabepflichtigen gelungen ist, die Mehrkosten an den Markt weiterzureichen.494 Der EuGH verlangt mit anderen Worten keinen kategorischen Ausschluss der passing on defence.495 Umgekehrt ist der Abwälzungseinwand von den mitgliedstaatlichen Gerichten aber auch nicht zwingend zu berücksichtigen.496 Der Gerichtshof beschränkt sich vielmehr in sämtlichen Urteilen auf die Aussage, dass das Unionsrecht einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die eine ungerechtfertigte Bereicherung verhindern sollen. Die Mitgliedstaaten haben somit die Wahl, ob sie die passing on defence zulassen oder nicht. Ist der Abwälzungseinwand nach nationalem Recht beachtlich, gelten nach der Rechtsprechung zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch besondere Voraussetzungen: 487   Vgl. Tribunal de Commerce de Nanterre, 11.5.2006, Laboratoires Pharmaceutiques Arkopharma v. Roche et Hoffman La Roche; Tribunal de Commerce de Paris, 26.1.2007, Laboratoires Juva et al. v. Sociéte Hoffman La Roche; zu beiden Entscheidungen Bulst, in: Möschel/Bien (Hrsg.), Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadensersatzklagen?, 2010, S. 225, 241. 488   Devenish Nutrition v. Sanofi-Aventis, [2008] EWCA Civ 1086; zum Meinungsstand Whish, Competition Law, 6. Aufl., 2009, 302. Vgl. auch Emerald Supplies Ltd v British Airways Plc, [2009] EWHC 741 (Ch), Rn. 36. 489  Hierzu infra, § 7 C.V.3.c. 490  So Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 487 f.; Wurmnest, in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch, 2004, S. 213, 243. 491   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 30. 492   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 94. 493   Der Verweis bezieht sich sowohl auf Erstattungsansprüche des Einzelnen gegen Mitgliedstaaten als auch auf die Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV. Allgemein zum unionsrechtlichen Erstattungsanspruch supra, § 2 D.IV.1. 494   St. Rspr. seit EuGH, Rs. 68/79 (Just) Rn. 26; zuletzt bestätigt durch EuGH, Rs. C‑147/01 (Weber’s Wine World) Rn. 94 ff. 495   GA Tesauro hatte demgegenüber in seinen SchlA zu den verb. Rs. C‑192 – 218/95 (Comateb) Rn. 24 f., einen kategorischen Ausschluss der passing on defence gefordert. Der Gerichtshof ist diesem Vorschlag jedoch nicht gefolgt, sondern entschied, dass ein Mitgliedstaat einem Abgabenpflichtigen die Erstattung einer unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgabe unter bestimmten Voraussetzungen verweigern könne. 496   GA Slynn, SchlA, verb. Rs. 331, 376 & 378/85 (Bianco und Girard); Commission Staff Working Paper, Annex to the Green Paper Damages for breach of EC antitrust rules, SEC (2005) 1732, Rn. 168; Rush, The Defence of Passing On, 2006, S. 85.

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§ 7  Kartellrecht

– Eine Minderung des Erstattungsanspruchs ist nur insoweit möglich, wie eine Abwälzung auf die Folgeabnehmer nachweislich stattgefunden hat.497 Bei einer teilweisen Abwälzung muss der verbleibende Rest erstattet werden.498 – Es kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass die Abgabe tatsächlich in jedem Fall abgewälzt wird. Denn die völlige oder teilweise Abwälzung hängt bei jedem Handelsgeschäft von mehreren Faktoren ab, die je nach Fallkonstellation unterschiedlich sein können. Dementsprechend ist die Frage der Abwälzung oder Nichtabwälzung in jedem Einzelfall eine Tatfrage.499 – Grundsätzlich darf nicht zugunsten des Mitgliedstaats gesetzlich vermutet werden, dass eine Abwälzung stattgefunden hat.500 Dem Abgabepflichtigen darf auch nicht die Beweislast dafür auferlegt werden, dass keine Abwälzung stattgefunden hat.501 – Selbst dann, wenn es dem Abgabepflichtigen gelingt, die Abgabe in vollem Umfang an seine Abnehmer weiterzugeben, kann aus einem Absatzrückgang ein wirtschaftlicher Schaden entstanden sein.502 Allein aus der erfolgten Weitergabe darf daher nicht auf die ungerechtfertigte Bereicherung und das Entfallen der Erstattungspflicht geschlossen werden. Vorliegen und Umfang der ungerechtfertigten Bereicherung lassen sich vielmehr erst nach einer wirtschaftlichen Untersuchung feststellen, bei der alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt werden.503 Ob diese Grundsätze mutatis mutandis auf den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch übertragen werden können,504 ist ungeklärt. Zwar dürfte das Unionsrecht dem (nationalen und unionalen) Gesetzgeber einen weitgehenden Entscheidungsspielraum belassen. Nicht sämtliche Regeln, die der Gerichtshof zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch entwickelt hat, lassen sich daher auf das Kartellrecht übertragen. Vom Grundsatz her spricht jedoch viel dafür, dass zumindest die Beweislastregeln im Kartellrecht entsprechend gelten. Auch im Kartellrecht besteht bei Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang erhöhte Preise tatsächlich auf die weiteren Wirtschaftsstufen abgewälzt werden konnten, eine Unsicherheit, die nicht systematisch zu Lasten der Geschädigten gehen darf.505 Der Gerichtshof behilft sich genau aus diesem Grunde in seiner Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Erstattungsanspruch mit einer Beweislastregel: Grundsätzlich muss der Nachweis der Schadensabwälzung in jedem Einzelfall vom Mitgliedstaat erbracht werden. Auch im Kartellrecht darf daher 497   EuGH, verb. Rs. C‑192 – 218/95 (Societé Comateb) Rn. 27 f.; verb. Rs. C‑441 – 442/98 (Michaïlidis) Rn. 33. 498  EuGH, verb. Rs. C‑192 – 218/95 (Societé Comateb) Rn. 27 f.; Rs. C‑147/01 (Weber’s Wine World) Rn. 94. 499   EuGH, verb. Rs. 331, 376 & 378/85 (Bianco und Girard) Rn. 11 f.; verb. Rs. C‑192 – 218/95 (Societé Comateb) Rn. 25. 500   EuGH, verb. Rs. 331, 376 & 378/85 (Bianco und Girard) Rn. 11 f. 501   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 14. 502   EuGH, verb. Rs. C‑192 – 218/95 (Societé Comateb) 29 ff.; verb. Rs. C‑441 – 442/98 (Michaïlidis) Rn. 34 f.; Rs. C‑147/01 (Weber’s Wine World) Rn. 99. 503   EuGH, Rs. C‑147/01 (Weber’s Wine World) Rn. 100. 504   Für einen Rückgriff auf die Erstattungsrechtsprechung vor allem Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 244 f.; ders., ZEuP 2008, 178, 191; W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1151 f.; Petrucci, ECLR 2008, 33, 40; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 117. Dagegen Lettl, ZHR 167 (2003), 472, 488; Wurmnest, in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch, 2004, S. 213, 243 f.; zweifelnd Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 404. 505   EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio) Rn. 15.

C. Schadensersatzansprüche

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die Beweislast für das Vorliegen der Schadensabwälzung nur beim Schädiger, nicht aber beim Geschädigten liegen. Diesen Vorgaben entsprechen sowohl die gegenwärtige Rechtslage in Deutschland (c.) als auch die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 (d.). Beide unterscheiden sich dennoch in wesentlichen Punkten. c) Die ORWI-Entscheidung des BGH Nach Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle war ungeklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen der Einwand der Schadensabwälzung zulässig ist. Zwar stellte der Gesetzgeber in § 33 Abs. 3 S. 2 GWB klar, dass der Eintritt eines Schadens infolge des Bezugs überteuerter Güter nicht schon dadurch ausgeschlossen werden soll, weil die Ware oder Dienstleistung weiterveräußert wurde. Die Vorschrift, die erst vom Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit eingefügt wurde,506 betrifft allerdings nur die Definition des Schadens. Ob der Einwand der Abwälzung im Wege der Vorteilsausgleichung oder auf andere Weise schadensmindernd berücksichtigt werden kann, geht demgegenüber weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzesbegründung507 hervor.508 Erst seit der ORWI-Entscheidung des BGH509 steht fest, dass der Einwand der Schadensabwälzung im Wege des Vorteilsausgleichs zulässig ist. An einen Vorteilsausgleich werden allerdings strenge Bedingungen geknüpft. Der Schädiger muss auf der Grundlage der ökonomischen Gegebenheiten auf den Anschlussmärkten darlegen und beweisen, dass der überhöhte Kaufpreis weitergegeben wurde.510 Ausgeschlossen ist ein Vorteilsausgleich, wenn die Abwälzung nur aufgrund besonderer kaufmännischer Leistungen und Anstrengungen möglich war oder sonst auf einem unabhängig vom Kartell erlangten Preissetzungsspielraum des Abnehmers beruht.511 Der Schädiger muss zudem nachweisen, dass der Weiterwälzung kein Nachfragerückgang gegenübersteht, durch den die Preiserhöhung (ganz oder teilweise) kompensiert worden ist.512 Schließlich betont der BGH, dass eine Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast nur ausnahmsweise in Betracht kommt. Die Annahme einer sekundären Darlegungslast des Geschädigten dürfe insbesondere nicht zur Gefährdung einer effektiven Durchsetzung privater Schadensersatzansprüche führen.513 506   Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit, BT‑Drucks.  15/5049, S. 17. 507   Nach der Begründung soll es darauf ankommen, „ob im Rahmen einer wertenden Betrachtungsweise eine Vorteilsausgleichung bei Kartellrechtsverstößen sachgerecht ist“; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit, BT‑Drucks. 15/5049, S. 49. 508   Für einen Ausschluss des Abwälzungseinwands Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 410 ff.; Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 886; Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 487 f.; für einen Ausschluss der Abwälzungseinwands bei gleichzeitigem Ausschluss der Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 Rn. 107; Dittrich, GRUR 2009, 123, 128; Kersting, ZWeR 2008, 252, 261 f. Für Zulassung des Abwälzungseinwands Beninca, WuW 2004, 604, 606 ff.; Schütt, WuW 2004, 1124, 1129; einschränkend (Beweislast des Schädigers) W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1162 ff., 1165 f. 509   BGHZ 190, 145 = NJW 2012, 928 (ORWI). 510   BGHZ 190, 145 = NJW 2012, 928 (ORWI) Rn. 59. 511   BGHZ 190, 145 = NJW 2012, 928 (ORWI) Rn. 60. 512   BGHZ 190, 145 = NJW 2012, 928 (ORWI) Rn. 69. 513   BGHZ 190, 145 = NJW 2012, 928 (ORWI) Rn. 64, 68 ff. 76.

606

§ 7  Kartellrecht

Diese Grundsätze führen letztlich dazu, dass eine erfolgreiche Berufung auf die passing on defence eher unwahrscheinlich ist.514 Der Einwand der Schadensabwälzung dürfte regelmäßig nur dann durchgreifen, wenn Marktteilnehmer der nachfolgenden Absatzstufe ihrerseits Ansprüche gegenüber dem Kartellteilnehmer geltend machen können. Jene Folgeabnehmer müssen jedoch ihrerseits darlegen und beweisen, dass kartellbedingte Preiserhöhungen auf sie abgewälzt worden sind, was in aller Regel nicht gelingt.515 Die ORWI-Entscheidung begünstigt damit eine Konzentration sämtlicher Ansprüche auf der Ebene der Direktabnehmer. d) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 Nach Art. 13 S. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, den Abwälzungseinwand zuzulassen. Der Schädiger trägt dabei nach Art. 13 S. 2 die Beweislast für die Weitergabe des Preisaufschlags. Dies entspricht der deutschen Rechtslage. Im Unterschied zur ORWI-Entscheidung begünstigt die Richtlinie allerdings den Schädiger in mehrfacher Hinsicht. Erstens kann der Schädiger, der sich auf den Einwand der Schadensabwälzung beruft, nach Art. 13 S. 2 vom Kläger oder von Dritten in angemessener Weise Offenlegung der für den Nachweis der Weiterwälzung benötigten Beweismittel nach den Vorgaben des Art. 5 verlangen. Zweitens verlangt die Richtlinie vom Schädiger keinen Vollbeweis für die passing on defence. Die nationalen Gerichte müssen vielmehr nach Art. 12 Abs. 5 befugt sein zu schätzen, welcher Teil des Preisaufschlags weitergegeben wurde. Abweichungen gegenüber der ORWI-Entscheidung ergeben sich schließlich hinsichtlich des Nachweises entgangenen Gewinns, der aufgrund des durch die Preiserhöhung bedingten Nachfragerückgangs eingetreten ist. Während der BGH derartige Einbußen des Klägers bereits bei der Zulässigkeit des Einwands der Schadensabwälzung berücksichtigen will516 und damit dem Kläger den schwierigen Nachweis eines entgangenen Gewinns erspart,517 muss entgangener Gewinn nach Art. 12 Abs. 3 als eigener Schadensposten eingeklagt werden. Insgesamt ist damit zu konstatieren, dass die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 den passing on-Einwand im Vergleich zum bisherigen deutschen Recht stärkt. Dies könnte dazu führen, dass Direktabnehmer künftig weniger Chancen haben, ihre Ansprüche gegenüber Kartellanten durchzusetzen. Gleichzeitig stärkt die Richtlinie die Ansprüche mittelbar Geschädigter.518 Auch diese müssen sich jedoch den Einwand der Schadensabwälzung entgegenhalten lassen. Nur die Endabnehmer sind nicht der passing on defence ausgesetzt. Gerade bei diesen treten aber häufig sehr kleine Schäden ein, die nur bei einer deutlichen Stärkung von Kollektivklagen geltend gemacht würden.519

514

  van den Bergh, ZEuP 2013, 145, 161.  Hierzu supra, § 7 C.III.4.b.   BGHZ 190, 145 = NJW 2012, 928 (ORWI) Rn. 69. 517   Schweitzer, NZKart 2014, 335, 337. 518  Hierzu supra, § 7 C.III.4.c. 519   Schweitzer, NZKart 2014, 335, 339. 515 516

C. Schadensersatzansprüche

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4. Verhinderung einer Über- und Unterkompensation a) Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 Nach der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 besteht die Gefahr, dass es zu einer Über- oder Unterkompensation kommt.520 Einerseits trägt der Schädiger gegenüber seinen unmittelbaren Abnehmern gem. Art. 13 S. 2 die Beweislast für eine Schadensabwälzung. Andererseits muss er im Prozess gegenüber seinen mittelbaren Abnehmern gem. Art. 14 Abs. 2 glaubhaft machen, dass der Preisaufschlag nicht oder nicht vollständig an diese weitergegeben wurde. Beide Regelungen können zusammengenommen zu einer Mehrfachhaftung des Schädigers bzw. zu einer Überkompensation der Geschädigten führen, wenn Abnehmer unterschiedlicher Absatzstufen parallel oder zeitlich versetzt Prozesse anstrengen und der Nachweis auf beiden Ebenen scheitert. Dann haftet der Schädiger mehrfach für den gleichen Schaden, nämlich zum einen gegenüber den Direktabnehmern, wenn er nicht beweisen kann, dass der Schaden abgewälzt wurde, und zum anderen gegenüber den indirekten Abnehmern, wenn er nicht beweisen kann, dass der Schaden nicht abgewälzt wurde. Gelingt dem Schädiger dagegen der Nachweis auf beiden Ebenen, haftet er überhaupt nicht bzw. nicht in vollem Umfang. Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 will sowohl einer Über- als auch Unterkompensation entgegenwirken. Nach Art. 12 Abs. 2 darf der Ersatz von Schäden in Form von Vermögenseinbußen auf jeder Vertriebsstufe nicht höher sein als der aus dem überhöhten Preis resultierende Schaden. Um zu verhindern, dass Schadensersatzklagen von Klägern verschiedener Vertriebsstufen zu einer mehrfachen Haftung oder fehlenden Haftung des Rechtsverletzers führen, müssen die Mitgliedstaaten zudem nach Art. 15 sicherstellen, dass die einzelstaatlichen Gerichte in der Lage sind, Schadensersatzklagen und Urteile, die dieselbe Zuwiderhandlung, aber andere Vertriebsstufen betreffen, gebührend zu berücksichtigen. Konkrete Regelungen zur Vermeidung divergierender Gerichtsentscheidungen finden sich in der Richtlinie demgegenüber nicht. ErwGr (44) verweist nur auf die allgemeine Möglichkeit, verschiedene Klagen zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung zu verbinden. b) Streitverkündung In Deutschland hat der BGH in seiner ORWI-Entscheidung vor allem auf das Instrument der Streitverkündung (§§ 72 f. 68 ZPO) verwiesen, um divergierende Gerichtsentscheidungen zu Schadensersatzklagen von Klägern verschiedener Vertriebsstufen zu vermeiden.521 Die Streitverkündung reicht jedoch nicht aus, um einer Über- oder Unterkompensation in der Praxis entgegenzuwirken.522 Zum einen kann der Kartellteilnehmer, wie der BGH selbst einräumt,523 potentiellen Anspruchsberechtigten überhaupt nicht den Streit verkünden, wenn es sich um einen unüberschaubar großen Personenkreis handelt. Zum anderen ist die Streitverkündung für den Schädiger unattraktiv, weil sie potentielle Kläger erst auf den Plan rufen könnte.

520

  Vgl. auch Kersting, WuW 2014, 564, 570.   BGHZ 190, 145 = NJW 2012, 928 (ORWI) Rn. 73. 522  Vgl. Bergmann/Fiedler, BB 2012, 206, 209; Kersting/Dworschak, JZ 2012, 777, 780. 523   BGHZ 190, 145 = NJW 2012, 928 (ORWI) Rn. 74. 521

608

§ 7  Kartellrecht

c) Innenausgleich zwischen den Geschädigten? Im deutschen Schrifttum mehren sich Stimmen, die einen Ausgleich zwischen den Geschädigten mehrerer Absatzstufen nach den (deutschen) Regeln der Gesamtgläubigerschaft befürworten.524 Folgt man diesem Vorschlag, könnten sämtliche Abnehmer unabhängig voneinander Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger geltend machen. Sofern der Direktabnehmer vom Schädiger bereits Schadensersatz erlangt hat, müssten die indirekten Abnehmer den auf sie abgewälzten Preisaufschlag vom Direktabnehmer verlangen. Leistet der Schädiger dagegen zuerst an die indirekten Abnehmer, würde diese Erfüllung auch gegenüber dem Direktabnehmer wirken. Teils wird eine Heranziehung der §§ 428 ff. BGB sogar de lege lata befürwortet. So hat das KG Berlin im Fall Berliner Transportbeton bereits für die Rechtslage vor Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle angenommen, dass direkte und indirekte Abnehmer Gesamtgläubiger i. S. d. § 428 BGB sind.525 Der Einwand der Vorteilsausgleichung sei im Verhältnis zwischen den Kartellteilnehmern und den Direktabnehmern ausgeschlossen. Dem direkten Abnehmer komme eine „schadensersatzverteilende Funktion“ zu. Direktabnehmer müssten eine erhaltene Schadensersatzleistung gem. § 430 BGB in demjenigen Umfang an die Folgeabnehmer weiterreichen, als diesen durch den Verstoß ein Schaden entstanden sei. Der BGH hat in seiner ORWI-Entscheidung eine Gesamtgläubigerschaft zwischen direkten und indirekten Abnehmern abgelehnt.526 Auch die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 dürfte diesem Modell entgegenstehen. Denn nach der Richtlinie ist grundsätzlich jeder Geschädigte berechtigt, den vollständigen Ersatz des Schadens zu verlangen (Art. 1 Abs. 1 S. 1; Art. 3 Abs. 1; Art. 11 Abs. 1). Eine Gesamtgläubigerschaft weist zudem entscheidende Nachteile auf.527 Zum einen verlagert sich der Streit darüber, auf welcher Absatzstufe der Überteuerungsschaden entstanden ist, auf die Gesamtgläubiger mit der Folge, dass sämtliche Kontroversen über eine erfolgte oder nicht erfolgte Abwälzung im Verfahren mit dem Direktabnehmer ausgefochten werden müssen. Angesichts des drohenden Risikos, mit Folgeprozessen der Folgeabnehmer überzogen zu werden, steht zu befürchten, dass Direktabnehmer auf die Geltendmachung ihrer Schadensersatzansprüche von vornherein verzichten. Zum anderen werden indirekte Abnehmer mit dem Risiko der Insolvenz des direkten Abnehmers belastet. d) Verfahrenskonzentration Sowohl eine Über- als auch eine Unterkompensation könnte vermieden werden, wenn sämtliche Abnehmerklagen an einem Gerichtsstand in einem Verfahren konzentriert werden müssten. Dies ist nach derzeitigem Stand des Unionsrechts bislang nicht der Fall. Bei einem Verstoß gegen das EU‑Wettbewerbsrecht stellt sich aufgrund der grenzüberschreitenden Wirkung von Kartellen vielmehr das Problem, dass die Brüssel I-VO 1215/2012 eine Fülle von Gerichtsständen eröffnet. 524   Drexl, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 1339, 1355 – 1359; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 395 ff.; Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 412 ff. 525   KG Berlin, 1.10.2009, 2 U 10/03 Kart; hierzu Bulst, in: Möschel/Bien (Hrsg.), Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadensersatzklagen?, 2010, S. 225 ff.; Bornkamm, GRUR 2010, 501, 505 f. Für eine analoge Anwendung der §§ 428 ff. BGB MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 760. 526   BGHZ 190, 145 = NJW 2012, 928 (ORWI) Rn. 22. 527  Ausführlich Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 334 – 336.

C. Schadensersatzansprüche

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Jeder Kläger hat die Wahl zwischen drei Gerichtsständen. Er kann nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel I-VO 1215/2012 am Sitz des Beklagten528 oder nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel I-VO 1215/2012 am Handlungs- oder Erfolgsort klagen.529 Bei einem Preiskartell liegt der Handlungsort an dem Ort, an dem das Kartell definitiv gegründet oder eine Absprache getroffen wurde, die für sich allein das ursächliche Geschehen für den verursachten Schaden bildete.530 Erfolgsort ist der Ort, an dem sich der behauptete Schaden konkret zeigt.531 Bei einem Preiskartell liegt dieser Ort grundsätzlich am Sitz des Geschädigten.532 Wie der EuGH im Urteil CDC533 nunmehr in Abgrenzung zur Entscheidung Shevill534 klargestellt hat, kann der Geschädigte dabei an diesem Gericht grundsätzlich den gesamten Schaden einklagen, der beim Bezug der kartellbefangenen Produkte aufgrund der Mehrkosten entstanden ist. Das für Persönlichkeitsrechtsverletzungen nach Shevill geltende Mosaikprinzip, demzufolge der Kläger am Gerichtsstand des Erfolgsorts lediglich den an diesem Ort eingetretenen Schaden geltend machen kann, gilt daher nicht im Kartellrecht. Den Klägern wird damit die Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzklagen erheblich erleichtert. Das eigentliche Problem, wie Schadensersatzklagen von Klägern verschiedener Vertriebsstufen miteinander koordiniert werden können, hat sich dennoch nicht erledigt. Nach der CDC-Entscheidung muss der Erfolgsort nämlich für jeden einzelnen Geschädigten ermittelt werden.535 Bei einem Preiskartell, das regelmäßig viele Abnehmer verschiedener Vertriebsstufen aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten betrifft, wird dementsprechend eine Fülle von Gerichtsständen eröffnet, die nach gegenwärtiger Rechtslage nicht konzentriert werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist zu überlegen, ob nicht de lege ferenda sämtliche Abnehmerklagen an einem Gerichtsstand in einem Verfahren durchgeführt werden sollten. Genau dies ist der Vorschlag, den die Antitrust Modernization Commission (AMC) für das US‑amerikanische Kartellrecht unterbreitet hat.536 Nach den Empfehlungen der AMC soll das Verfahren in drei Phasen unterteilt werden, nämlich (i) Feststellung 528   Werden mehrere Unternehmen als Gesamtschuldner auf Schadensersatz verklagt, ist eine Zuständigkeitskonzentration nach Art. 8 Brüssel‑I VO 1215/2012 möglich, wenn die Kommission per Entscheidung festgestellt hat, dass sich die betreffenden Unternehmen an einem einheitlichen Verstoß gegen Art. 101 AEUV beteiligt haben; EuGH, Rs. C‑352/13 (CDC) Rn. 33. 529   EuGH, Rs. C‑352/13 (CDC) Rn. 38 m. w. N. 530   EuGH, Rs. C‑352/13 (CDC) Rn. 50. Vor der CDC-Entscheidung war unklar, ob Handlungsort der Ort der Preisabsprache, der Ort der Umsetzung der Preisabsprache oder der Ort des Tätigkeitsschwerpunkts der Kartellanten ist; vgl. Bulst, EWS 2004, 403, 405; Mäsch, IPRax 2005, 509, 514 f.; Ashton/Vollrath, ZWeR 2006, 1 ff.; Becker, EWS 2008, 228, 230. 531   EuGH, Rs. C‑189/08 (Zuid-Chemie) Rn. 27. 532   EuGH, Rs. C‑352/13 (CDC) Rn. 52. Auch diese Frage war bislang ungeklärt. Teils wurde angenommen, dass „Erfolgsort“ der Lageort des konkreten Vermögensinteresses ist; Mäsch, IPRax 2005, 509, 516. Andere sahen dagegen den Markt als Schutzgut an und stellten demzufolge auf den Marktort ab; Bulst, EWS 2004, 403, 406. 533   EuGH, Rs. C‑352/13 (CDC) Rn. 54. 534   EuGH, Rs. C‑68/93 (Shevill) Rn.  28 – 33. 535   EuGH, Rs. C‑352/13 (CDC) Rn. 52. 536   Antitrust Modernization Commission (AMC), Report and Recommendations, April 2007, S. 275 – 278. In diese Richtung auch Grünbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2005) 672 endg., Option 34: Zweistufiges Verfahren, bei dem die passing on defence ausgeschlossen ist, der Rechtsverletzer von jedem Geschädigten verklagt werden kann und in einem zweiten Schritt der überhöhte Kaufpreis zwischen allen Parteien, die einen Verlust erlitten haben, aufgeteilt wird.

610

§ 7  Kartellrecht

des Wettbewerbsverstoßes, (ii) Feststellung des Gesamtschadens, sowie (iii) Verteilung des Schadens auf die Abnehmer. Eine solche Verfahrenskonzentration würde die Aufteilung des Schadens auf die einzelnen Absatzstufen erheblich erleichtern, sind es doch gerade die Direktabnehmer und sonstigen Zwischenhändler, die über Informationen darüber verfügen, zu welchen Konditionen die betreffenden Güter weiterveräußert wurden. Eine Klagebündelung würde zugleich Prozessvergleiche zwischen den einzelnen Abnehmerstufen begünstigen. Steht die Verantwortlichkeit des Schädigers für den Gesamtschaden dem Grunde nach fest, könnten die Verteilungsfragen zwischen den einzelnen Abnehmergruppen geklärt werden, ohne dass der Schädiger an diesem Verfahrensabschnitt notwendigerweise beteiligt werden müsste. Das Problem der passing on defence würde sich dann nicht mehr stellen. Die Übernahme eines solchen Modells bietet sich auch für die Europäische Union an.537 Realisierbar wäre eine solche Anspruchsbündelung indessen nur dann, wenn sich die Mitgliedstaaten darauf verständigen könnten, dass in Abweichung zur geltenden Brüssel I-VO 1215/2012 nur ein einziger Gerichtsstand eröffnet wird. Für Streuschäden müsste zugleich eine Gruppenklage nach dem Opt-out-Prinzip eingeführt werden.538 Erst dann wäre gewährleistet, dass in einem einzigen Prozess über sämtliche Ansprüche mit allseitiger Rechtskraft entschieden werden kann.

VI. Verschulden? 1. Offene Fragen Die Frage des Verschuldens spielt in dem seit 2001 geltenden System der Legalausnahme eine besondere Rolle. Da die Unternehmen selbst einschätzen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Freistellung gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV vorliegen, sind bona fide-Verstöße keineswegs ausgeschlossen.539 Insbesondere die Anwendung ökonometrischer Modelle im Rahmen des more economic approach kann dazu führen, dass Unternehmen gegen die Art. 101, 102 AEUV verstoßen, ohne dass ihnen nach nationalem Recht der Vorwurf gemacht werden kann, fahrlässig gehandelt zu haben. Der EuGH hat sich noch nicht dazu geäußert, ob der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch nach mitgliedstaatlichem Recht an den Nachweis eines Verschuldens 537  Die American Bar Association hat in ihrer Stellungnahme zum Weißbuch für eine Übernahme dieser Vorschläge in das Unionsrecht plädiert; American Bar Association, Section of Antitrust Law, Section of International Law, and Section of Business Law, Joint Comments on the Commission of European Communities’ White Paper on Damages Actions for Breach of the EC Antitrust Rules, 30.6.2008, S. 22 f. Auch das Office of Fair Trading (OFT) steht einer solchen Lösung aufgeschlossen gegenüber; OFT, Response to the European Commission’s White Paper, Damages actions for breach of the EC antitrust rules, 6.7.2008, OFT1006, unter 5.5. Für eine Verfahrenskonzentration auch Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 415. Cengiz, CCP-Working Paper 07 – 21, Nov. 2007, S. 37 ff., plädiert demgegenüber für den Ausbau des Europäischen justiziellen Netzes für Zivilund Handelssachen. 538  Hierzu infra, § 7 C.X. 539   Wie hier Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 269. Nach Basedow, EBOR 2001, 443, 461 f., und Wurmnest, in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch, 2004, S. 213, 238 f., soll ein Verschulden dagegen in aller Regel unproblematisch zu bejahen sein, da Art. 101 AEUV eine „willentliche Koordinierung“ verlangt und Art. 102 AEUV ein „missbräuchliches Ausnutzen“ einer marktbeherrschenden Stellung. Der Gerichtshof trennt in seiner Rechtsprechung jedoch zwischen dem Wettbewerbsverstoß und den Voraussetzungen der zivilrechtlichen Haftung; vgl. EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 35 zur Frage des Mitverschuldens.

C. Schadensersatzansprüche

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geknüpft werden darf.540 In den bislang entschiedenen Rechtssachen wird das Verschulden als Haftungsvoraussetzung nicht erwähnt. Vielmehr spricht der EuGH ganz allgemein davon, dass ein Schadensersatzanspruch begründet wird, wenn zwischen dem Wettbewerbsverstoß und dem Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht.541 Auch die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 trifft zum Verschulden keine Vorgaben. Stattdessen hebt ErwGr (11) hervor, dass die Mitgliedstaaten Regelungen zum Verschulden beibehalten können, sofern dies mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz und den Richtlinienbestimmungen im Einklang steht. Im Grünbuch hatte die Kommission dagegen noch eine verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung erwogen,542 während im Weißbuch eine Haftung für vermutetes Verschulden favorisiert wurde.543 In den Mitgliedstaaten wird die Frage des Verschuldens unterschiedlich behandelt.544 Während wettbewerbsrechtliche Schadensersatzklagen in einigen Rechtsordnungen verschuldensunabhängig ausgestaltet sind oder bei nachgewiesenem Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht einer unwiderlegbaren Verschuldensvermutung unterliegen, verlangen andere Rechtsordnungen – wie beispielsweise Deutschland545 – einen zumindest fahrlässigen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln. 2. Übertragbarkeit der Antidiskriminierungs- und Staatshaftungsrechtsprechung? Der EuGH hat insbesondere für das Antidiskriminierungsrecht betont, dass haftungsrechtliche Sanktionen, die bei Verstößen gegen Richtlinienrecht vorgesehen sind, verschuldensunabhängig ausgestaltet sein müssen, wenn die Richtlinie selbst nicht den Nachweis eines Verschuldens fordert.546 – Im Anschluss an diese Rechtsprechung hatte GA van Gerven bereits in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Banks die Auffassung vertreten, dass Schadensersatzansprüche wegen eines Verstoßes gegen das EG‑Wettbewerbsrecht nicht an den Nachweis eines Verschuldens geknüpft werden dürfen.547 540   Für das Bußgeldverfahren bestehen demgegenüber klare Vorgaben; vgl. Art. 23 Abs. 2 VO 1/ 2003 sowie EuGH, Rs. C‑681/11 (Schenker & Co. u. a.). 541   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 61. 542   Grünbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2005) 672 endg., Option 11. Kritisch hierzu Eilmansberger, CMLR 2007, 431, 459. 543   Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2008) 165 endg., S. 8. Danach sollte der Rechtsverletzer bereits dann für den verursachten Schaden haften, wenn das Opfer einen Verstoß gegen Art. 101 oder 102 AEUV nachgewiesen hat. Etwas anderes sollte nur bei einem „genuin entschuldbaren Irrtum“ gelten. Ein solcher Irrtum sollte nach dem Weißbuch vorliegen, wenn eine vernünftige Person, die ein hohes Maß an Sorgfalt walten lasse, nicht hätte wissen können, dass ihr Verhalten den Wettbewerb beeinträchtigt. 544  Vgl. Waelbroeck/Slater/Even-Shoshan, Study, 2004, S. 50 ff. 545   § 33 Abs. 3 S. 1 GWB. Die Gerichte haben bislang strenge Anforderungen an die Unvermeidbarkeit eines Rechtsirrtums gestellt; vgl. BGH, WuW/E BGH 2341, 2344 f. (Taxizentrale Essen) = GRUR 1987, 564, 565 f.; BGH, WuW/E BGH 2603, 2607 (Neugeborenentransporte) = NJW 1990, 1531, 1533; KG WuW/E OLG 1407, 1409 (Bilder aus Gold). Wie Rechtsirrtümer im neuen System der Legalausnahme beurteilt werden, ist indessen noch nicht hinreichend geklärt. 546   EuGH, Rs. 177/88 (Dekker) Rn. 24 f.; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 18 f. Zum Vergaberecht vgl. ferner EuGH, Rs. C‑314/09 (Stadt Graz) Rn.  30 – 45. 547   GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑128/92 (Banks) Rn. 53; ders., in: Basedow (Hrsg.), Private Enforcement of EC Competition Law, 2007, S. 19, 28. Ebenso (für sämtliche Verstöße Privater gegen primäres Unionsrecht) Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010, Kap. 2 Rn. 78.

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§ 7  Kartellrecht

Auch der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch darf nach Auffassung des EuGH nicht von Verschuldenskriterien abhängig gemacht werden, die über das Erfordernis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes hinausgehen.548 Dessen ungeachtet fließen in die Haftungsvoraussetzungen des Staatshaftungsanspruchs durchaus Verschuldenselemente ein. Ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegt, beurteilt sich nämlich u. a. danach, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen wurde, ob ein etwaiger Rechtsirrtum entschuldbar ist, sowie nach dem Umstand, ob Verhaltensweisen eines Unionsorgans zu dem verbotswidrigen Verhalten beigetragen haben.549 – Teile des Schrifttums wollen diese zum Staatshaftungsrecht entwickelten Kriterien analog auf den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch übertragen.550 Dabei wird teils davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen eines qualifizierten Verstoßes bei einem Verstoß gegen Art. 101, 102 AEUV stets vorliegen, da es sich bei diesen Vorschriften um klare und eindeutige Verpflichtungen handele, die keinerlei Ermessen einräumen,551 und der Gerichtshof in diesen Fällen ohne Weiteres die bloße Verletzung des Unionsrechts ausreichen lasse, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.552 Angesichts der zuvor zitierten Rechtsprechung erscheint es keineswegs ausgeschlossen, dass der Gerichtshof in künftigen Entscheidungen eine verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung für Kartellverstöße begründet oder einen objektivierten Verschuldensmaßstab in Form des Erfordernisses eines „qualifizierten Verstoßes“ einführt. Gleichwohl sind Zweifel angebracht, ob sich die genannten Urteile auf das EU‑Wettbewerbsrecht übertragen lassen. Dies gilt vor allem für die Antidiskriminierungsrechtsprechung. Die zur Umsetzung der Allgemeinen Gleichbehandlungs-RL 76/207 ergangene Rechtsprechung erfolgte vor dem Hintergrund, dass sich die Niederlande und Deutschland dafür entschieden hatten, Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot ausschließlich durch einen Schadensersatzanspruch zu sank­tionieren. Dementsprechend musste allein das Haftungsrecht für eine wirksame und abschreckende Sanktionierung sorgen. Im Kartellrecht liegen die Dinge dagegen anders, denn Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht werden im dualen Sanktionssystem auch durch die Europäische Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden verfolgt.553 Der EuGH hat im Urteil Courage zudem erkennen lassen, dass subjektive Elemente bei der Schadensersatzhaftung durchaus eine Rolle spielen können.554 So wies 548   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 79; Rs. C‑173/03 (Traghetti del Mediterraneo) Rn. 42 f.; Rs. C‑429/09 (Fuß) Rn. 67. 549   EuGH, verb. Rs. C‑46 & 48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) Rn. 56; Rs. C‑424/97 (Haim) Rn. 43; Rs. C‑118/00 (Larsy) Rn. 39. 550   Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 268; Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 194 ff.; Weyer, ZEuP 1999, 424, 449; einschränkend aber nunmehr FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81, 68. EL, Mai 2009, Rn. 196. Auch die Kommission scheint von einer Übertragbarkeit der Staatshaftungsrechtsprechung auszugehen, vgl. Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules, SEC (2008) 404, Rn. 168 ff. 551   Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 195, im Anschluss an GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑128/92 (Banks) Rn. 53; a. A. Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 268. 552   Vgl. EuGH, Rs. C‑5/94 (Hedley Lomas) Rn. 28; Rs. C‑140/97 (Rechberger) Rn. 51. 553   Im Ergebnis wie hier Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 267; Schneider, Zivilrecht und praktische Wirksamkeit, 2000, S. 184 ff. 554   Lettl, ZHR 167 (2003), 373, 485.

C. Schadensersatzansprüche

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der Gerichtshof in Beantwortung der Frage, ob Schadensersatzansprüche von den Beteiligten eines Kartells geltend gemacht werden können, ausdrücklich darauf hin, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte diesbezüglich das Verhalten der beiden Vertragsparteien berücksichtigen können.555 Dem Unionsrecht kann auch kein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnommen werden, wonach Verstöße Privater gegen das Primärrecht stets durch einen verschuldensunabhängigen Haftungsanspruch sanktioniert werden müssen.556 Ein solcher ergibt sich weder aus dem Geist und der Systematik der EU‑Verträge noch ist er Ausfluss der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, die im Privatrecht ja gerade überwiegend am Verschuldensprinzip festhalten. Aus dem Sekundärrecht folgt nichts anderes.557 Ein näherer Blick auf das Richtlinienrecht zeigt vielmehr, dass das Unionsrecht bereichsspezifisch verschiedene Haftungsregime anerkennt.558 Während die Produkthaftungs-RL 85/374 eine vollständige Harmonisierung der Gefährdungshaftung für fehlerhafte Produkte anstrebt,559 gestatten z. B. Art. 23 Abs. 2 DatenschutzRL 95/46 und Art. 6 Signatur-RL 1999/93 eine Haftung für vermutetes Verschulden. Schadensersatzansprüche wegen Verletzung geistigen Eigentums setzen nach Art. 13 Abs. 1 Durchsetzungs-RL 2004/48 demgegenüber voraus, dass der Verletzer „wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm“. Ratingagenturen haften nach Art. 35a Abs. 1 Rating-VO 1060/2009 i. d. F. der VO 462/2013 sogar erst dann, wenn die betreffende Zuwiderhandlung vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen wurde. Für Haftpflichtansprüche bei Verkehrsunfällen hat der EuGH schließlich ausgesprochen, dass die Kfz-HaftpflichtversicherungsRichtlinien keine Aussage dazu treffen, ob eine Gefährdungs- oder Verschuldenshaftung greift; die Wahl der bei Verkehrsunfällen geltenden zivilrechtlichen Haftung unterliege grundsätzlich der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.560 3. Zwischenergebnis Als Fazit ist festzuhalten, dass nationale Verschuldenserfordernisse nicht per se unzulässig sind. Mangels einer unionsrechtlichen Regelung greifen nur die allgemeinen Gebote der Äquivalenz und Effektivität. Nach dem Äquivalenzgrundsatz müssen Mitgliedstaaten, die bei Verstößen gegen das nationale Kartellrecht eine verschuldensunabhängige Haftung oder eine Haftung für vermutetes Verschulden vorsehen, diese Maßstäbe auch bei Verstößen gegen das EU‑Wettbewerbsrecht anlegen. Soweit Haftungsansprüche nach nationalem Recht ein Verschulden voraussetzen, darf dies nach dem Effektivitätsprinzip nicht dazu führen, dass die private Kartellrechtsdurchsetzung praktisch unmöglich wird. Bei einem nachgewiesenen Hardcore-Verstoß 555

  EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 32.   So aber G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 420 f.; Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 2 Rn. 78. Wie hier Wilman, Private Enforcement, 2015, S. 264 ff.; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 435 ff. 557   Zur Herleitung allgemeiner Rechtsgrundsätze aus dem Sekundärrecht vgl. allgemein EuGH, Rs. C‑101/08 (Audiolux) Rn. 62 f., sowie die SchlA von GA Trstenjak, Rn. 74 – 96. 558   Hierzu auch Lukas, in: Koziol/Schulze (Hrsg.), Tort Law of the European Community, 2008, S. 81 ff. Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 153 ff., konstatiert demgegenüber, dass Verschuldenselemente im Unionsrecht sehr schwach ausgeprägt sind. 559  Hierzu supra, § 4 C.II.4. 560   EuGH, Rs. C‑348/98 (Ferreira) Rn. 39. 556

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§ 7  Kartellrecht

erscheint ein entschuldbarer Rechtsirrtum ohnehin kaum denkbar.561 Aber auch bei nicht eindeutigen Wettbewerbsbeschränkungen darf die in vielen Fällen schwierige Beurteilung kartellrechtlichen Verhaltens nicht dazu führen, dass diese regelmäßig aus dem Bereich der Fahrlässigkeit herausfallen. Schließlich dürfen die Gerichte an den Nachweis des Verschuldens keine übersteigerten Anforderungen stellen.

VII. Mitverschulden und Obliegenheit zur Schadensminderung Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 enthält keine Regelungen zum Mitverschulden und zur Schadensminderung. Damit unterfallen diese Bereiche dem mitgliedstaatlichen Recht, das seinerseits dem Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz in seiner Auslegung durch den EuGH entsprechen muss. Der EuGH hat in Courage562 den in vielen Mitgliedstaaten geltenden Grundsatz, dass ein Einzelner aus seinem eigenen rechtswidrigen Verhalten keinen Nutzen ziehen soll, grundsätzlich anerkannt. Nach Auffassung des Gerichtshofs können Schadensersatzansprüche nach nationalem Recht sogar gänzlich ausgeschlossen werden, wenn der Geschädigte als Kartellbeteiligter eine „erhebliche“ Verantwortung für die Wettbewerbsverzerrung trägt. Der Gerichtshof verlangt allerdings eine konkrete, auf die tatsächlichen Gegebenheiten abstellende Betrachtungsweise. Das einzelstaatliche Gericht muss insbesondere den wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich die Parteien befinden, sowie die Stärke der Verhandlungsposition und das jeweilige Verhalten der beiden Vertragsparteien berücksichtigen.563 Der Einwand des Mitverschuldens darf nach Auffassung des EuGH insbesondere in zwei Situationen nicht zum Tragen kommen. Zum einen dann, wenn die geschädigte Partei der anderen Partei eindeutig unterlegen war, so dass ihre Freiheit, die Vertragsbedingungen auszuhandeln, ernsthaft beschränkt oder nicht vorhanden gewesen war.564 Zum anderen scheidet der Einwand des Mitverschuldens aus, wenn die Kartellvereinbarung allein deshalb gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt, weil sie zu einem Netz von ähnlichen Verträgen gehört, die sich kumulativ auf den Wettbewerb auswirken.565 In einem solchen Fall trägt der Vertragspartner des Netzinhabers nach Ansicht des Gerichtshofs keine erhebliche Verantwortung für den Verstoß gegen Art. 101 AEUV, insbesondere wenn ihm die Vertragsbedingungen tatsächlich vom Netzinhaber vorgeschrieben werden. Auch eine Obliegenheit zur Schadensminderung ist mit dem Effektivitätsgebot vom Grundsatz her vereinbar. Die nationalen Gerichte können, so der Gerichtshof, insbesondere prüfen, ob die angeblich geschädigte Partei durch den „rechtzeitigen Einsatz aller ihr zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten“ den Schadenseintritt verhindern oder den Schadensumfang hätte begrenzen können.566 Auch insoweit verlangt der EuGH wiederum eine konkrete, auf die tatsächlichen Gege561   Hardcore-Verstöße zeichnen sich gerade dadurch aus, dass die Wettbewerbsbeschränkung von den Beteiligten bezweckt ist. Aus diesem Grunde betont der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass die wettbewerbswidrigen Auswirkungen einer Vereinbarung nicht bewiesen werden müssen; vgl. EuGH, Rs. C‑49/92 P (Kommission/Anic Partecipazioni) Rn. 99 m. w. N. 562   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 31. 563   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 32. 564   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 33. 565   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 34. 566   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 33.

C. Schadensersatzansprüche

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benheiten abstellende Betrachtungsweise, die insbesondere die jeweilige Stärke der Verhandlungspositionen der Parteien berücksichtigt. Welche Rechtsschutzmöglichkeiten der Geschädigte im Rahmen seiner Obliegenheit zur Schadensminderung in Anspruch nehmen muss, ist bislang ungeklärt. Bei Kartellbeteiligten liegt der Einwand nahe, dass der Eintritt des Schadens bereits durch die Berufung auf die Nichtigkeit und die damit bewirkte Auflösung des Vertrags hätte abgewendet werden können.567 Darüber hinaus ist an die Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen (gegebenenfalls im einstweiligen Rechtsschutz) zu denken.568 Für Staatshaftungsansprüche hat der Gerichtshof indessen anerkannt, dass es dem Effektivitätsgebot widerspräche, von dem Geschädigten zu verlangen, systematisch von allen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch zu machen, wenn dies zu übermäßigen Schwierigkeiten führen würde oder ihm nicht zugemutet werden könnte.569 Diese Grundsätze können für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch gleichermaßen Geltung beanspruchen.

VIII. Verjährung Die Verjährung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche wird in den Mitgliedstaaten bislang ganz unterschiedlich geregelt.570 Die Verjährungsfristen variieren zwischen einem Jahr und dreißig Jahren. In einigen Mitgliedstaaten beginnt die Verjährung mit der Zuwiderhandlung, während in anderen der Verjährungsbeginn von dem Zeitpunkt abhängt, zu dem der Schaden entdeckt wurde oder unter normalen Umständen hätte entdeckt werden müssen. Viele Mitgliedstaaten kombinieren zudem subjektive und objektive Elemente. Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 enthält in Art. 10 ausführliche Regelungen zur Verjährung, die wie das deutsche Recht (vgl. § 199 Abs. 1 BGB) auf einem subjektiven Verjährungsregime basieren. Gleichwohl ergeben sich im Detail signifikante Abweichungen. Während die Regelverjährung im deutschen Recht drei Jahre beträgt (§ 195 BGB), muss die Verjährungsfrist nach der Richtlinie mindestens fünf Jahre betragen (Art. 10 Abs. 3 Kartellschadensersatz-RL 2014/104). Auch der Verjährungsbeginn ist in der Richtlinie anders ausgestaltet. Nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie beginnt die Verjährung nicht vor Ende der Zuwiderhandlung und nicht bevor der Geschädigte („Kläger“)571 wusste oder vernünftigerweise wissen musste, (a) dass das Verhalten des Schädigers einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht darstellt, (b) dass ihm ein Schaden entstanden ist, (c) wer Schädiger ist. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist dagegen erst mit dem Schluss des betreffenden Jahres zu laufen. Mögliche Abweichungen ergeben sich darüber hinaus bei fortgesetzten Zuwiderhandlungen. Während die Richtlinie auf das Ende 567

 Streinz/Eilmansberger, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 101 AEUV Rn. 133.   Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 490. 569   EuGH, Rs. C‑445/08 (Danske Slagterier) Rn. 62. 570   Vgl. zum Folgenden Waelbroeck/Slater/Even-Shoshan, Study, 2004, S. 87 ff. Zur Rechtslage in England, Frankreich, Deutschland und Österreich Sanner, ZEuP 2014, 173, 180 ff. 571   Art. 10 Abs. 2 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 spricht missverständlicher Weise vom Kläger („claimant“) und nicht vom Geschädigten. Darin liegt offensichtlich ein Redaktionsversehen; Stauber/Schaper, NZKart 2014, 346, 349. 568

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§ 7  Kartellrecht

der Zuwiderhandlung des gesamten Kartellverstoßes abstellt,572 entstehen Ansprüche nach deutschem Recht bereits dann, wenn der Geschädigte den Schadensersatz erstmalig geltend machen und nötigenfalls klageweise durchsetzen kann.573 Auch der Fahrlässigkeitsmaßstab ist ein anderer. Die Richtlinie spricht von der Kenntnis, die „vernünftigerweise erwartet werden kann“; damit ist vermutlich einfache Fahrlässigkeit gemeint.574 § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlangt für den Verjährungsbeginn dagegen grob fahrlässige Unkenntnis des Geschädigten.575 Mit Blick auf die anspruchsbegründenden Umstände, die dem Geschädigten (potentiell) bekannt sein müssen, ist die Richtlinie dagegen wesentlich großzügiger als das deutsche Recht. Art. 10 Abs. 2 lit. a der Richtlinie verlangt Kenntnis bzw. Kennenmüssen des Geschädigten bzgl. der Tatsache, dass das betreffende Verhalten des Schädigers eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht darstellt. Demgegenüber betont der BGH, dass Rechtsunkenntnis den Verjährungsbeginn nur ganz ausnahmsweise hinausschieben kann, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag.576 Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 sieht im Unterschied zum deutschen Recht (§ 199 Abs. 3 S. 1 BGB) auch keine kenntnisunabhängigen Höchstfristen von zehn bzw. dreißig Jahren vor. Zwar können die Mitgliedstaaten nach ErwGr (36) der Richtlinie absolute Verjährungsfristen beibehalten oder einführen. Dies jedoch nur dann, wenn diese Fristen die Ausübung des Rechts auf Schadensersatz nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Auch der EuGH betont, dass kenntnisunabhängige Verjährungsfristen die effektive Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche übermäßig erschweren können.577 Ob die zehnjährige kenntnisunabhängige Verjährungsfrist (§ 199 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB) diesen Anforderungen entspricht, ist aus diesen Gründen fraglich. Da Kartelle z. T. erst nach mehr als zehn Jahren aufgedeckt werden, könnten die Geschädigten ihre Ansprüche nicht mehr durchsetzen, wenn die Regelung nicht geändert wird. Die Vorschriften der Richtlinie zur Verjährungshemmung weichen demgegenüber nur marginal vom deutschen Recht ab. Sowohl Art. 10 Abs. 4 S. 1 der Richtlinie als auch § 33 Abs. 5 S. 1 GWB sehen vor, dass die Verjährungsfrist gehemmt ist, wenn eine Wettbewerbsbehörde wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ein Verfahren einleitet. Unterschiedlich ist allein das Ende der Verjährungshemmung. Nach Art. 10 Abs. 4 S. 2 der Richtlinie endet die Hemmung frühestens ein Jahr nach Bestandskraft der Zuwiderhandlungsentscheidung oder anderweitigen Beendigung des Verfahren. Nach § 33 Abs. 5 S. 2 GWB i. V. m. § 204 Abs. 2 BGB beträgt diese Frist demgegenüber sechs Monate. 572   Art. 10 Abs. 3 des Kommissionvorschlags (COM (2013) 404 final) sprach noch deutlicher davon, dass die Verjährungsfrist nicht vor dem Tag beginnt, „an dem eine dauernde oder fortgesetzte Zuwiderhandlung beendet ist. 573  Ausführlich Gussone/Schreiber, WuW 2013, 1040, 1051 m. w. N. 574   So auch der Bundesrat in seinem Beschluss zum (ähnlich lautenden) Richtlinienvorschlag; BR‑Drucks. 514/13(B), S. 5 f. 575   Das deutsche Recht ist insoweit für den Geschädigten vorteilhafter. Da die Verjährungsregeln der Richtlinie dem Prinzip der Mindestharmonisierung folgen (vgl. Art. 10 Abs. 3 Kartellschadensersatz-RL 2014/104: „mindestens fünf Jahre“) ist eine Anpassung des deutschen Rechts wohl nicht erforderlich; so auch Stauber/Schaper, NZKart 2014, 346, 350. 576   BGHZ 160, 216, 231 f. = NJW 2005, 429, 433; NJW-RR 2008, 1237 f., Rn. 7; NJW 2014, 3713, 3715, Rn. 35. Ausführlich infra, § 10 F.II.4.e. 577   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 82.

C. Schadensersatzansprüche

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Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie ordnet weiterhin an, dass die Verjährung während einer einvernehmlichen Streitbeilegung gehemmt ist. Dies entspricht der deutschen Rechtslage, allerdings mit dem Unterschied, dass die Verjährungsfrist nach § 203 S. 2 BGB erst drei Monate nach dem endgültigen Abbruch der Vergleichsgespräche wieder zu laufen beginnt.

IX. Zugang zu Beweismitteln Die Geschädigten verfügen im Zivilprozess häufig nicht über die zur Anspruchsbegründung erforderlichen Informationen. Ein Zugang zu Beweismitteln ist nicht nur zur Vorbereitung von Initiativklagen (Stand Alone-Klagen), sondern auch dann von essentieller Bedeutung, wenn die Europäische Kommission oder nationale Wettbewerbsbehörden einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht bereits positiv festgestellt haben (Folgeklagen; Follow on-Klagen). In diesem Fall werden die Geschädigten nämlich nach Art. 16 Abs. 1 VO 1/2003 bzw. Art. 9 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 nur von der Darlegungslast für den Verstoß entlastet. Noch nicht bewiesen ist damit aber, ob die Zuwiderhandlung überhaupt zu einem Schaden geführt hat und wie hoch dieser ist. Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 sieht aus diesen Gründen einen Anspruch des Klägers (Geschädigten) gegenüber Beklagten und Dritten auf Offenlegung von Beweismitteln vor (1.). Andererseits schließt die Richtlinie aber eine Offenlegung und Verwertung von Kronzeugenanträgen per se aus. Diese Privilegierung lässt sich nach hier vertretener Ansicht nicht mit den primärrechtlichen Vorgaben vereinbaren, die der EuGH in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat (2.). Insgesamt betrachtet wird die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 dennoch zu einer erleichterten Durchsetzung von Folgeklagen beitragen (3.). 1. Vorgaben der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 Art. 5 Abs. 1 S. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 räumt Klägern (Geschädigten) das Recht ein, eine durch das Gericht angeordnete Offenlegung der für ihren Anspruch relevanten Beweismittel durch den Beklagten oder einen Dritten zu erwirken. Um den Grundsatz der Waffengleichheit zu wahren, kann umgekehrt auch der Beklagte eine Offenlegung von Beweismitteln durch den Kläger oder einen Dritten beantragen (Art. 5 Abs. 1 S. 2).578 Voraussetzung für eine Offenlegungsanordnung zugunsten des Klägers ist zunächst das prima facie Vorliegen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung der Wettbewerbsnormen (Art. 5 Abs. 1 S. 1). Der Kläger muss daher aufgrund der ihm zugänglichen Materialien und Beweismittel plausibel machen, dass eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht vorliegt,579 dass der Beklagte hierfür die zivilrechtliche Verantwortlichkeit trägt und dass er hierdurch einen Schaden erlitten hat.580 Eine Offenlegung setzt zweitens voraus, dass einzelne Beweismittel oder bestimmte Kategorien von Beweismitteln genau bezeichnet werden (Art. 5 Abs. 2). Wird die Offenlegung ganzer Kategorien von Beweismitteln beantragt, muss das Gericht diese 578

  Vgl. auch ErwGr (15) Kartellschadensersatz-RL 2014/104.   Hierzu bereits supra, § 7 C.II.2. 580   Vollrath, NZKart 2013, 434, 444. 579

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§ 7  Kartellrecht

Kategorien so genau und so präzise abgrenzen, wie dies auf der Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen in der substantiierten Begründung möglich ist. Allgemeine Ausforschungsmaßnahmen sind unzulässig.581 Das Gericht darf daher keine Offenlegung anordnen, wenn dies auf eine ungezielte oder unnötig weit gefasste Suche nach Informationen hinausliefe, die für den Antragsteller wahrscheinlich nicht relevant sind. Drittens sind die nationalen Gerichte verpflichtet, die Offenlegung von Beweismitteln nur nach Maßgabe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung anzuordnen (Art. 5 Abs. 3 S. 1). Im Rahmen dieser Prüfung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Klage oder Klageerwiderung bereits hinreichend durch verfügbare Fakten belegt ist, welche Kosten die Offenlegung verursacht, und ob die offenzulegenden Beweismittel vertrauliche Informationen enthalten (Art. 5 Abs. 3 S. 2). Relevante Beweismittel, die Geschäftsgeheimnisse enthalten, sind von der Offenlegung nicht per se ausgeschlossen; die Mitgliedstaaten müssen jedoch ggf. Vorkehrungen zum Schutz vertraulicher Informationen treffen (Art. 5 Abs. 4), beispielsweise durch Unkenntlichmachung sensibler Passagen oder durch Beschränkung des Personenkreises, der Einsicht nehmen darf.582 Betroffene Parteien sind vor der Offenlegung anzuhören (Art. 5 Abs. 7). Den Mitgliedstaaten bleibt es demgegenüber unbenommen, in gewissen Grenzen583 Vorschriften beizubehalten oder einzuführen, die zu einer umfassenderen Offenlegung von Beweismitteln führen (Art. 5 Abs. 8). Eine Offenlegung von Kartellverfahrensakten mitgliedstaatlicher Wettbewerbsbehörden oder der Kommission kann ebenfalls angeordnet werden.584 Art. 6 und 7 der Richtlinie enthalten insoweit spezielle Bestimmungen. So müssen die Gerichte bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung insbesondere berücksichtigen, ob der Antrag die offenzulegenden Dokumente hinsichtlich Art, Gegenstand und Inhalt hinreichend genau formuliert (Art. 6 Abs. 4 lit. a). Die Offenlegung von Beweismitteln darf die Wirksamkeit der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts durch die Wettbewerbsbehörden nicht übermäßig beeinträchtigen (Art. 6 Abs. 4 lit. b).585 Viele Beweismittel, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind, dürfen zudem erst dann offengelegt bzw. verwertet werden, wenn die Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren durch Erlass einer Entscheidung oder in anderer Weise beendet hat (Art. 6 Abs. 5 und Art. 7 Abs. 2). Um die öffentliche Durchsetzung des EU‑Wettbewerbsrechts nicht durch wettbewerbsrechtliche Schadensersatzklagen zu gefährden, wird zudem eine Offenlegung und ­Verwertung von Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen im privaten Schadensersatzprozess per se ausgeschlossen (Art. 6 Abs. 6 und Art. 7 Abs. 1). Flankierend hierzu verlangt Art. 8 bei Missachtung einer Offenlegungsanordnung oder bei einem Verstoß gegen Beweisverwertungsverbote wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen. Dazu gehört die Möglichkeit des Gerichts, nachtei581

  ErwGr (23) Kartellschadensersatz-RL 2014/104.   ErwGr (18) Kartellschadensersatz-RL 2014/104.   Nach Art. 5 Abs. 8 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 sind folgende Regelungen vom Prinzip der Mindestharmonisierung ausgenommen: Art. 5 Abs. 4 (Wirksame Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen); Art. 5 Abs. 7 (Anhörung von Betroffenen); Art. 6 (Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind). 584   Werden relevante Dokumente aus Verfahrensakten der Kommission angefordert, gilt der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) sowie das in Art. 15 Abs. 1 VO 1/2003 geregelte Verfahren der Amtshilfe; vgl. ErwGr (15) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 585   Vgl. auch ErwGr (21) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 582

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C. Schadensersatzansprüche

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lige Schlüsse zu Lasten desjenigen zu ziehen, der einer Vorlageanordnung nicht nachkommt. 2. Keine Offenlegung von Kronzeugenerklärungen Der in Art. 6 Abs. 6 und Art. 7 Abs. 1 Kartellschadensersatz-RL 2014/104 angeordnete pauschale Ausschluss einer Offenlegung und Verwertung von Kronzeugenerklärungen im privaten Schadensersatzprozess ist aus primärrechtlicher Sicht problematisch. a) Primärrechtliche Vorgaben Für den Zugang Geschädigter zu den Kartellverfahrensakten nationaler Wettbewerbsbehörden hat der EuGH in den Urteilen Pfleiderer586 und Donau Chemie587 grundsätzlich eine Einzelabwägung zwischen dem public enforcement (Effektivität behördlicher Kronzeugenprogramme) und dem private enforcement (Effektivität privater Schadensersatzansprüche) gefordert. Nach dieser Rechtsprechung dürfen die Mitgliedstaaten einen Zugang zu Kronzeugenerklärungen nicht pauschal verbieten. Jeder Antrag muss vielmehr einer Einzelfallbeurteilung unterliegen, bei der sowohl der Schutz nationaler Kronzeugenprogramme als auch die Interessen des Geschädigten zu berücksichtigen sind.588 Die Notwendigkeit einer solchen Abwägung ergebe sich, so der Gerichtshof, daraus, dass „jede starre Regel – sei es im Sinne einer völligen Verweigerung eines Zugangs zu den betreffenden Dokumenten oder im Sinne eines allgemein gewährten Zugangs zu diesen – die wirksame Anwendung insbesondere des Art. 101 AEUV und der Rechte, die diese Bestimmung den Einzelnen verleiht, beeinträchtigen kann“.589 Vor diesem Hintergrund urteilte das OLG Hamm590 im Jahre 2013, dass die Staatsanwaltschaft einem Zivilgericht, das über einen kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch zu entscheiden hat, grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren hat, auch wenn diese Akten Bonusanträge enthalten.591 Auch in England stehen die Gerichte einem Akteneinsichtsrecht in Kronzeugenerklärungen grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber.592 Für den Zugang Geschädigter zu den Kartellverfahrensakten der Kommission gilt ebenfalls das Gebot der Einzelfallabwägung. Zwar darf die Kommission nach dem EnBW-Urteil593 einen nach der Transparenz-VO 1049/2001594 gestellten Antrag auf 586

  EuGH, Rs. C‑360/09 (Pfleiderer).   EuGH, Rs. C‑536/11 (Donau Chemie u. a.). 588   EuGH, Rs. C‑360/09 (Pfleiderer) Rn. 31; Rs. C‑536/11 (Donau Chemie u. a.) Rn. 34, 43. 589   EuGH, Rs. C‑536/11 (Donau Chemie u. a.) Rn. 31. 590   OLG Hamm, NZKart 2014, 107; bestätigt durch BVerfG, NJW 2014, 1581. 591   Das AG Bonn, EuZW 2012, 193, und das OLG Düsseldorf, NZKart 2013, 39, hatten eine Einsicht in Bonusanträge demgegenüber noch verweigert. Vertiefend zu den Akteneinsichtsrechten im deutschen Recht Dreher, ZWeR 2008, 325 ff. 592  Vgl. National Grid Electricity Transmission Plc v ABB Ltd., [2012] EWHC 869 (Ch). 593   EuGH, Rs. C‑365/12 P (Kommission/EnBW) Rn. 93. 594   VO 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABl. 2001 L 145/43. Art. 16 AEUV garantiert allen Unionsbürgern sowie natürlichen und juristischen Personen mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat den Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. Die für diesen Zugang geltenden Grundsätze, Bedingungen und Einschränkungen sind in der TransparenzVO 1049/2001 geregelt. 587

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§ 7  Kartellrecht

Einsichtnahme selbst nach Abschluss ihrer Untersuchungen „ohne konkrete und individuelle Prüfung jedes einzelnen Dokuments“ verweigern und sich dabei auf die Annahme stützen, „dass die Verbreitung dieser Dokumente grundsätzlich den Schutz der geschäftlichen Interessen der an einem solchen Verfahren beteiligten Unternehmen“ im Sinne des Art. 4 Abs. 2 Spiegelstrich 1 und 3 Transparenz-VO 1049/2001 beeinträchtigt.595 Diese „allgemeine Vermutung“ gilt auch dann, wenn der Zugang zu Kronzeugenerklärungen beantragt wird.596 Gleichzeitig muss dem Geschädigten aber die Möglichkeit gegeben werden, die Vermutung für ein bestimmtes Dokument zu widerlegen oder ein überwiegendes Interesse an der Verbreitung dieses Dokuments gem. Art. 4 Abs. 2 Transparenz-VO 1049/2001 nachzuweisen.597 Ein solches überwiegendes Interesse kann nach Auffassung des EuGH insbesondere dann unterstellt werden, wenn der Zugang zu konkreten Dokumenten der Kommissionsakte für eine Schadensersatzklage notwendig ist.598 Gelingt dem Antragsteller dieser Nachweis, so muss die Kommission nach den in Donau Chemie entwickelten Grundsätzen im Einzelfall abwägen, ob dieses Interesse die in Art. 4 Abs. 2 Transparenz-VO 1049/2001 niedergelegten Geheimhaltungsinteressen überwiegt.599 b) Primärrechtswidrige Privilegierung von Kronzeugen in der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 Hiervon abweichend schließt die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 eine Offenlegung und Verwertung von Kronzeugenanträgen pauschal aus. Dies ist mit den primärrechtlichen Vorgaben, die der EuGH in Pfleiderer und Donau Chemie aufgestellt hat, nicht zu vereinbaren.600 Die vom Gerichtshof geforderte Einzelabwägung resultiert nicht aus dem Fehlen einer spezifisch unionsrechtlichen Regelung,601 sondern auf einer Auslegung der Art. 101, 102 AEUV und damit auf individualschützenden primärrechtlichen Normen.602 Zwar steht dem Unionsgesetzgeber grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum zu. Dieser wird jedoch überschritten, wenn ein genereller Vorrang des staatlichen Durchsetzungsinteresses gegenüber den Interessen der Opfer statuiert wird. Die in der Richtlinie vorgesehenen Offenlegungs- und Beweisverwer595   Das EuG hatte diese Praxis dagegen zuvor beanstandet; EuG, Rs. T‑437/08 (CDC/Kommission); Rs. T‑344/08 (EnBW/Kommission). Dazu Palzer, EuR 2012, 583 ff. 596   EuGH, Rs. C‑365/12 P (Kommission/EnBW) Rn. 97. 597   EuGH, Rs. C‑365/12 P (Kommission/EnBW) Rn. 100. 598   EuGH, Rs. C‑365/12 P (Kommission/EnBW) Rn. 106 ff. 599   EuGH, Rs. C‑365/12 P (Kommission/EnBW) Rn. 107. Nach dem Urteil bleibt offen, wie dem Antragsteller dieser Beweis gelingen soll, wenn er keine Kenntnis vom Inhalt des betreffenden Dokuments hat. Palzer, ZEuP 2015, 416, 431, hält einen Zugang Geschädigter zu den Akten nach der EnBW-Entscheidung für ausgeschlossen, da die Vermutung praktisch nie zu widerlegen sei. Nach Hempel, EuZW 2014, 297, 300, sollte der Antrag demgegenüber zunächst auf das Inhaltsverzeichnis der Kartellverfahrensakte bezogen werden. Auf dieser Grundlage könnten sodann weitere Dokumente konkret bezeichnet werden. 600   Wie hier Kersting, JZ 2013, 737, 739; ders., WuW 2014, 564, 566; Dworschak/Maritzen, WuW 2013, 829, 839; Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7, 9; vgl. auch Kapp, BB 2013, 1556 („Dogma der Einzelabwägung ist nur durch eine Änderung des Primärrechts möglich“). An der Primärrechtskonformität zweifelnd Gussone/Schreiber, WuW 2013, 1040, 1048; Schweitzer, NZKart 2014, 335, 343. Für Primärrechtskonformität dagegen Böni, EWS 2014, 324, 328; Fiedler/Huttenlauch, NZKart 2013, 350, 354; Palzer, NZKart 2013, 324, 326; Vollrath, NZKart 2013, 434, 446. 601   So jedoch Palzer, NZKart 2013, 324, 326; Böni, EWS 2014, 324, 328; W.‑H. Roth, ZHR 175 (2015), 668, 688. 602   Kersting, JZ 2013, 737, 739; Schweitzer, NZKart 2014, 335, 343.

C. Schadensersatzansprüche

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tungsverbote vereiteln eine wirksame Durchsetzung in Fällen, in denen Geschädigte auf den Zugang zu einzelnen Dokumenten in der Kartellverfahrensakte zwingend angewiesen sind. Der Kronzeuge kann sich demgegenüber auf kein vergleichbar schutzwürdiges Interesse berufen. Durch den Erlass der Geldbuße und die schadensersatzrechtliche Privilegierung im Außen- und Innenverhältnis603 wird hinreichend sichergestellt, dass der Kronzeuge nicht übermäßig belastet wird. Hiervon abgesehen davon wirkt der Ausschluss der Offenlegung von Kronzeugenunterlagen nicht nur zugunsten des Kronzeugen, sondern einseitig zugunsten aller Kartellmitglieder, unabhängig davon, ob diese einen Aufklärungsbeitrag geleistet haben. 3. Zwischenergebnis Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 gewährt nur einen begrenzten und gerichtlich kontrollierten Offenlegungsanspruch. Die Richtlinie unterscheidet sich damit von der noch im Grünbuch604 diskutierten Option einer umfassenden Offenlegungspflicht ohne gerichtliche Beteiligung nach dem Vorbild der US‑amerikanischen pretrial discovery.605 Sie beschreitet somit einen Mittelweg zwischen den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, die auf dem Beibringungsgrundsatz basieren und eine prozessuale Aufklärungspflicht der Gegenseite nur unter besonderen Umständen anerkennen, und dem anglo-amerikanischen Recht, das insoweit großzügiger verfährt.606 Im deutschen Recht müssen insbesondere die Regeln zur Urkundenvorlage (§§ 142 Abs. 1, 421 ff. ZPO) an die Richtlinie angepasst werden.607 Ob mit diesen Maßnahmen Initiativklagen erleichtert werden, darf bezweifelt werden. Kann sich der Geschädigte nicht auf die Ergebnisse behördlicher Ermittlungen stützen, wird es ihm, da er keinen Einblick in die internen Geschäftsunterlagen hat, kaum gelingen, die Plausibilitätsschwelle zu überschreiten und einen Wettbewerbsverstoß nachzuweisen.608 Für Folgeklagen dürften sich die Offenlegungspflichten dagegen trotz des (primärrechtswidrigen) Ausschlusses von Kronzeugenanträgen grundsätzlich positiv auswirken, vorausgesetzt, die Gerichte handhaben die Offenlegungsanforderungen nicht allzu streng. Lehnt ein einzelstaatliches Gericht einen Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln ab, so unterliegen die der Entscheidung zugrunde gelegten Kriterien zumindest einer gerichtlichen Überprüfung durch den EuGH, der im Zweifel von letztinstanzlich entscheidenden Gerichten im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens angerufen werden muss.

603

 Hierzu supra, § 7 C.IV.3.   Grünbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2005) 672 endg., Option 3. 605  Die pre-trial discovery wurde von der Kommission bereits in ihrem Weißbuch abgelehnt; Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules, SEC (2008) 404, Rn. 93 ff. 606  Vertiefend R. Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201, 232 ff. Ferner Becker, in: Augenhofer (Hrsg.), Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, 2009, S. 15, 31 ff.; Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489, 505 f. 607  Näher Schweitzer, NZKart 2014, 335, 340 f.; Stauber/Schaper, NZKart 2014, 346, 348. 608  Vgl. supra, § 7 C.II.2.a. 604

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§ 7  Kartellrecht

X. Kollektive Schadensersatzklagen 1. Ausgangssituation Das Unionsrecht sieht bislang keine Mechanismen zur kollektiven Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen Privater wegen eines Verstoßes gegen das EU‑Wettbewerbsrecht vor. Entgegen vereinzelt geäußerter Stimmen609 lässt sich eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einführung kollektiver Schadensersatzklagen auch nicht aus dem effet utile unter Rückgriff auf die Entscheidungen Courage und Manfredi oder aus dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 GRC) herleiten.610 ErwGr (13) Kartellschadensersatz-RL 2014/104 hebt ebenfalls hervor, dass die Mitgliedstaaten durch die Richtlinie nicht dazu verpflichtet werden, „Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes für die Durchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV einzuführen.“ Eine europaweite Einführung bzw. Harmonisierung kollektiver Schadensersatzklagen erscheint dessen ungeachtet rechtspolitisch geboten. Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 konzentriert Ansprüche Geschädigter nicht auf die Direktabnehmer, sondern räumt auch Folgeabnehmern einen Schadensersatzanspruch ein.611 Korrespondierend hierzu kann der Schädiger den Einwand der Schadensabwälzung geltend machen.612 Ist dieser Einwand auf sämtlichen Zwischenabsatzstufen erfolgreich, sind nur noch die Endabnehmer anspruchsberechtigt. Bei diesen entstehen aber in der Regel relativ geringe Streuschäden, an deren Geltendmachung die Geschädigten angesichts der mit einem Gerichtsverfahren verbundenen Kosten und Risiken kein Interesse haben. Bislang bestehen nur in wenigen Mitgliedstaaten kollektive Rechtsschutzinstrumente, mit denen das Problem der Streuschäden angemessen bewältigt werden kann. In den meisten Mitgliedstaaten beruht das Zivilprozessrecht immer noch auf dem Leitbild des Zwei-Parteien-Prozesses. Wenngleich in den letzten Jahren in einer Reihe von Mitgliedstaaten neue kollektive Rechtsschutzformen entstanden sind, sehen derzeit nur ungefähr die Hälfte der Mitgliedstaaten überindividuelle Schadensersatzklagen vor.613 Diese sind zudem ganz unterschiedlich ausgestaltet614 und weisen häufig einen begrenzten Anwendungsbereich auf. 609  Nach Nazzini, in: Barnard/Odudu (Hrsg.), The Outer Limits of European Law, 2009, 401, S. 422 – 429, folgt aus dem effet utile eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung kollektiver Schadensersatzklagen, ggf. sogar nach dem Opt-Out Prinzip. Nach Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, 2005, S. 47 f., liefert der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes dagegen noch keine konkreten Vorgaben für die Anerkennung von Verbandsklagen; die Einführung einer Verbandsklage durch Richterrecht sei dennoch möglich, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten. 610  Siehe supra, § 3 E.V.3.d.dd. 611   Supra, § 7 C.III.4. 612   Supra, § 7 C.V.3.d. 613   Civic Consulting/Oxford Economics, Collective redress, 2008, S. 13. Ferner Stuyck et al., An analysis and evaluation of alternative means of consumer redress, 2007, S. 260 ff.; Hodges, The Reform of Class and Representative Actions in European Legal Systems, 2008. Für einen Kurzüberblick Stadler, JZ 2009, 121, 122. Speziell zum Kartellrecht Waelbroeck/Slater/Even-Shoshan, Study, 2004, S. 42 ff.; Commission Staff Working Paper, Annex to the Green Paper Damages for breach of EC antitrust rules, SEC (2005) 1732, Rn. 195 ff. 614   Vgl. Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Öffentliche Konsultation: Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, SEK (2011) 173 endg., Rn. 9: „Im Grunde gibt es so viele Formen der Schadensersatzklage wie es Mitgliedstaaten gibt: es gibt keine zwei nationalen Systeme, die gleich wären.“

C. Schadensersatzansprüche

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So bestehen etwa in Deutschland keine spezifisch auf das Kartellrecht zugeschnittenen Rechtsschutzinstrumente, die eine kollektive Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen erlauben.615 Allgemeine Mechanismen, wie beispielsweise die Streitgenossenschaft (§§ 59 Alt. 2, 60 ZPO), die Einziehung von Forderungen durch Verbraucherverbände (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 4 RDG) oder durch spezialisierte Unternehmen (vgl. § 7 RDG) nach dem Modell der Cartel Damage Claims SA,616 eignen sich demgegenüber nicht für die Geltendmachung von Streuschäden.617 Das Instrument der Streitgenossenschaft führt nur zu einer gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung einer Vielzahl gleichgerichteter Einzelklagen; da jeder Geschädigte Klage erheben muss, wird das für Streu- bzw. Bagatellschäden typische „rationale Desinteresse“ der Einzelnen im Hinblick auf die Geltendmachung ihres Individualschadens nicht überwunden. Auch die Einziehung von Forderungen durch Verbraucherverbände oder spezialisierte Unternehmen erweist sich bei Streuschäden angesichts des entstehenden Aufwands (Individualisierung der Betroffenen, Nachweis der Anspruchsberechtigung, Aushandlung der Abtretungserklärungen, Vorfinanzierung des Prozesses) als ungeeignet. Die Cartel Damage Claims SA räumt daher selbst ein, dass sich ihr Geschäftsmodell nicht für die Geltendmachung von Streuschäden eignet.618 In Frankreich wurde demgegenüber in den CCons mit Wirkung zum 1. Oktober 2014 eine Gruppenklage für akkreditierte französische Verbraucherschutzverbände eingeführt, die auf dem Opt-in-Prinzip beruht.619 Im Vereinigten Königreich existiert seit Inkrafttreten des Consumer Rights Act 2015 sogar eine Opt-out-Gruppenklage, die im Competition Act 1998 geregelt wird.620 Nach sec. 47B Competition Act 1998 können vom Competition Appeal Tribunal autorisierte Repräsentanten eine Gruppenklage initiieren und für alle potentiell Geschädigten, die nicht ausdrücklich aus dem Kollektiv austreten, Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüche geltend machen. Der Opt-out-Mechanismus gilt nur für Einwohner des Vereinigten Königreichs; Geschädigte aus anderen Ländern können sich aber der Klage durch ein opt-in anschließen.621 Klagebefugt sind nicht nur Wirtschafts- und Verbraucherverbände, sondern sämtliche Personen, die vernünftigerweise als Repräsentanten der Klägergruppe betrachtet werden können.622 Ein Strafschadensersatz (exemplary damages) kann bei einer Gruppenklage nicht zugesprochen werden.623 Zulässig ist demgegenüber ein Gesamtschadensersatz, der vom Gericht auf der Grundlage sämtlicher Schadensersatzforderungen der potentiell 615

  Hierzu bereits supra, § 7 A.IV.3.  Die Cartel Damage Claims (CDC) SA, eine Aktiengesellschaft belgischen Rechts, die anlässlich des Zementkartells gegründet wurde, bündelt Ansprüche geschädigter Unternehmen, indem sie sich die Forderungen abtreten lässt; vgl. www.carteldamageclaims.com. Der BGH hat die prozessuale Zulässigkeit des Vorgehens der CDC bejaht; BGH, WRP 2009, 745 = GRUR-RR 2009, 319. 617   Vgl. die Beiträge von G. Wagner und W.‑H. Roth, beide in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 41, 75 f. und S. 109, 125 ff. 618   Wirtschaftswoche Nr. 18 v. 27.4.2009, S. 52, 53. Selbst die Bündelung hoher Einzelforderungen stößt derzeit auf erhebliche Widerstände; vgl. LG Düsseldorf, NZKart 2014, 75. Hierzu supra, § 7 A.IV.3. 619  Dazu Bien, NZKart 2014, 507 ff. 620   Vgl. Schedule 8, Part 1 Consumer Rights Act 2015. Zu Vorentwürfen Eckel, WuW 2015, 4 ff. 621   Sec. 47B (11) (b) Competition Act 1998. 622   Sec. 47B (8) (b) Competition Act 1998. 623   Sec. 47C (1) Competition Act 1998. 616

624

§ 7  Kartellrecht

Geschädigten geschätzt wird.624 Im Erfolgsfall ist dieser an diejenigen Geschädigten auszuschütten, die sich bei Gericht melden. Nicht verteilte Schadensbeträge fließen an gemeinnützige Organisationen oder an den Repräsentanten zwecks Deckung der aufgewendeten Kosten.625 2. Pläne der Europäischen Kommission Um die Bereitschaft von Betroffenen zur Durchsetzung auch kleinerer Schäden zu fördern, hatte die Kommission in ihrem Weißbuch626 noch zwei sich ergänzende Mechanismen vorgeschlagen, die grundsätzlich (unter Vermeidung einer Mehrfachentschädigung) neben die individuelle Geltendmachung von Ansprüchen treten sollten. Zum einen sollten qualifizierte Einrichtungen, wie z. B. Verbraucherverbände oder berufsständische Organisationen, aber auch staatliche Institutionen, für eine Gruppe genauer zu umschreibender bzw. „identifizierbarer Einzelpersonen“ eine Verbandsklage erheben können. Zum anderen wollte die Kommission Opt-in-Gruppenklagen zulassen, zu denen sich Opfer eines wettbewerbswidrigen Verhaltens ausdrücklich zusammenschließen können, um ihre Schadensersatzansprüche in einer einzigen Klage geltend zu machen. Während die Opt-in-Gruppenklage überwiegend auf positives Echo gestoßen ist, wurde die geplante Verbandsklage heftig kritisiert.627 Beanstandet wurde vor allem der Vorschlag der Kommission, Verbandsklagen nicht nur für eine Gruppe genau benannter Geschädigter, sondern auch für bloß „identifizierbare Einzelpersonen“ zuzulassen. Hinter dieser Formulierung verstecke sich, so der Vorwurf, eine Optout-Klage, die in vielen Mitgliedstaaten mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren sei, zu Missbräuchen einlade und zu einer „Amerikanisierung“ der privaten Rechtsdurchsetzung in Europa führe.628 Auch das Europäische Parlament sprach sich im März 2009629 gegen eine Opt-out-Verbandsklage aus und bemängelte zudem die fehlende Abstimmung mit den Vorschlägen der Generaldirektion Verbraucherschutz zu Kollektivklagen für Verbraucher.630 Die Kommission leitete daraufhin im Jahre 2011 einen neuen Konsultationsprozess zum kollektiven Rechtsschutz ein.631 Im Unterschied zu früheren Rechtssetzungsvor624

  Sec. 47C (2) Competition Act 1998.   Sec.  47C (5) – (6) Competition Act 1998. 626   Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts“, KOM (2008) 165 endg., S. 4 f. 627   Vgl. die gemeinsame Stellungnahme des BMWi, BMJ, BMVel und des BKartA, S. 9 f.; Stellungnahme des BDI, Dok. Nr. D 0212, S. 17 f., beide abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/ antitrust/actionsdamages/white_ paper_comments.html; Stellungnahme des Bundesrates zum Weißbuch, BR‑Drucks. 248/08 (Beschluss), S. 4 f.; Hess, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 135, 144 ff.; Ritter, WuW 2008, 762, 767 f.; Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489, 503 f. 628   Statt Vieler Clausnitzer, EuZW 2009, 233. 629   Entschließung des Europäischen Parlaments v. 26.3.2009 zu dem Weißbuch: Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts (2008/2154(INI)), Dok. T6-0187/2009, Rn. 5 f. und 10; vgl. auch den Bericht des Berichterstatters Lehne v. 9.3.2009, Dok. A6-0123/2009, 11 f.; dazu Clausnitzer, EuZW 2009, 233. 630   Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher, KOM (2008) 794 endg. 631  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Öffentliche Konsultation: Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, SEK (2011) 173 endg. 625

C. Schadensersatzansprüche

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haben verfolgt die Kommission dabei nicht mehr einen sektorspezifischen, auf das Kartellrecht konzentrierten Ansatz, sondern, wie vom Parlament angemahnt, einen horizontalen Ansatz, der u. a. die Bereiche Wettbewerb, Verbraucherschutz, Umweltschutz und Finanzdienstleistungen umfasst.632 Von konkreten Legislativvorschlägen wurde demgegenüber Abstand genommen. Im Jahre 2013 beschränkte sich die Kommission darauf, eine unverbindliche Empfehlung zu kollektiven Unterlassungs- und Schadensersatzklagen zu veröffentlichen.633 Diese spricht sich im Wesentlichen für eine Vertretungsklage durch private Vertreterorganisationen und eine Gruppenklage durch zwei oder mehr Personen aus. Ein Opt-out-Mechanismus wird von der Kommission demgegenüber bei allen kollektiven Schadensersatzklagen ausdrücklich abgelehnt.634 3. Auswertung Die von der Kommission ursprünglich angedachte Einführung einer Opt-out-Klage weist dennoch in die richtige Richtung.635 Opt-in-Gruppenklagen sind grundsätzlich nicht geeignet, dem Phänomen der Bagatellschäden adäquat Rechnung zu tragen.636 Angesichts der geringen Schadenshöhe werden Verbraucher in aller Regel davon absehen, sich zu einer Gruppe zusammenzuschließen. Außenstehende Dritte haben aufgrund des beträchtlichen Organisationsaufwands und der entstehenden Kosten keinen Anreiz, eine Gruppenklage vorzubereiten. Dies belegen Erfahrungen im Vereinigten Königreich. Mit dem Enterprise Act 2002 wurde zunächst eine Opt-inSammelklage zugunsten von Verbraucherverbänden eingeführt.637 Diese erwies sich aber in der Praxis als wirkungslos. Seit Inkrafttreten der Opt-in-Regelung wurde nur ein einziger Rechtsstreit vor Gericht gebracht,638 dem sich lediglich 0,1 % der Geschädigten (130 Verbraucher) angeschlossen hatten.639 Bei einem Opt-out-Mechanismus wird das Problem des rationalen Desinteresses dagegen besser überwunden, denn unter einem solchen Regime ist die vertretene Gruppe von vornherein umfangreicher.640 Genau aus diesem Grund wurde im Jahre 2015 mit dem Consumer Rights Act die bereits erwähnte Opt-out-Gruppenklage eingeführt. 632   Vgl. Arbeitsdokument „Kollektiver Rechtsschutz“, a. a. O., Rn. 30; ferner Empfehlung der Kommission, Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl. 2013 L 201/60, Rn. 7. 633   Empfehlung der Kommission, Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl. 2013 L 201/60. Dazu Hempel, NZKart 2013, 494 ff.; Hodges, JCP 2014, 67 ff.; Stadler, GPR 2013, 281 ff. 634   Empfehlung der Kommission, a. a. O., Empfehlung V.21. Die Kommission befürwortet demgegenüber kein Verbot der Opt-out-Klage. Stattdessen sieht Empfehlung V.21 vor, dass jede per Gesetz oder richterliche Entscheidung verfügte Ausnahme „mit Gründen der ordnungsgemäßen Rechtspflege“ gerechtfertigt werden sollte. 635   Positiv zur Einführung einer Opt-out-Verbandsklage auch Becker, in: Augenhofer (Hrsg.), Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, 2009, S. 15, 30 f.; W.‑H. Roth, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 109, 128 ff. 636   Zu den Vor- und Nachteilen von Opt-in- und Opt-out-Modellen Stuyck et al., An analysis and evaluation of alternative means of consumer redress, 2007, S. 287 ff. 637  Dazu Afferni/Bulst, ZEuP 2005, 155 f.; Nordhausen Scholes, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage, 2009, S. 193, 208 ff. 638   Consumer Association v JJB Sports, [2009] CAT 2. 639   Eckel, WuW 2015, 4, 6. 640   Gerade bei Streuschäden ist es unwahrscheinlich, dass eine größere Anzahl von Betroffenen aus der Sammelklage austreten wird. Dementsprechend lassen sich höhere Kostenersparnisse und eine

626

§ 7  Kartellrecht

Wie das Beispiel der US‑amerikanischen class action zeigt, weisen Opt-out-Klagen allerdings ein hohes Missbrauchspotenzial auf. Die Einführung eines solchen Modells bedarf daher eingehender Regelungen: Um das Missbrauchspotenzial zu reduzieren, müssten unionsweite Mindeststandards zur Auswahl und Kontrolle der klagebefugten Personen bzw. Einrichtungen eingeführt werden. Gleichzeitig müsste im Einklang mit dem Grundrecht auf rechtliches Gehör641 geregelt werden, wie die Geschädigten informiert werden. Notwendig erscheinen darüber hinaus Regelungen zur Aufteilung der verschiedenen Gruppen, zur Verteilung des erstrittenen Schadensersatzes, zur Finanzierung der Verbände sowie zur Koordinierung der nationalen Prozessrechte in den Bereichen Zuständigkeit, Rechtshängigkeit und Urteilsanerkennung. Bevor über solche Regelungen nachgedacht wird, sollten die nationalen Rechtsordnungen evaluiert, die Erfahrungen mit kollektiven Rechtsschutzmechanismen ausgewertet und die denkbaren Optionen auf ihre Vereinbarkeit mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, der EMRK, der GRC und den nationalen Verfassungsrechten überprüft werden. Da bislang nur wenige Mitgliedstaaten Opt-out-Klagen eingeführt haben642 und derartige Klagen in einigen Mitgliedstaaten auf großen Widerstand stoßen,643 ist nicht damit zu rechnen, dass ein schneller Kompromiss gefunden werden kann. Mittel­ fristig dürfte der Druck zur Einführung derartiger Klagen aber durch das forum shopping steigen. Werden mehrere Unternehmen auf Schadensersatz verklagt, ist nach der CDC-Entscheidung des EuGH644 eine Zuständigkeitskonzentration nach Art. 8 Brüssel I-VO 1215/2012 möglich, wenn die Kommission per Entscheidung festgestellt hat, dass sich die betreffenden Unternehmen an einem einheitlichen Verstoß gegen Art. 101 AEUV beteiligt haben. Dementsprechend müssen auch deutsche Unternehmen damit rechnen, zusammen mit einem in Großbritannien ansässigen Beklagten im Vereinigten Königreich im Wege der Opt-out-Gruppenklage verklagt zu werden.645

bessere Risikoverteilung erreichen; im Einzelnen van den Bergh/Keske, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 17, 24 f. 641   Der EuGH hat den Anspruch auf rechtliches Gehör ausdrücklich als grundrechtlich fundierten allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts anerkannt. Hiernach muss eine Partei insbesondere durch die Übermittlung sämtlicher Verfahrensunterlagen über Einleitung und Stand des Verfahrens informiert werden; EuGH, Rs. C‑63/01 (Evans) Rn. 56; Rs. C‑341/04 (Eurofood IFSC) Rn. 66. 642   Neben dem Vereinigten Königreich folgt auch das portugiesische Gruppenverfahren grundsätzlich dem Opt-out-Modus. In den Niederlanden besteht seit 2005 die Möglichkeit, dass ein außergerichtlicher Vergleich von einer Interessenvertretung der Geschädigten mit dem Schädiger ausgehandelt wird und gerichtlich für alle Geschädigten in einem Opt-out-Verfahren für verbindlich erklärt wird. In Dänemark kann das Prozessgericht bei Gruppenklagen vom Opt-in-Modus abweichen, wenn aufgrund der geringen individuellen Schadenshöhe bei den Geschädigten nicht in nennenswertem Ausmaß mit Beitrittserklärungen zu rechnen ist. Vgl. im Einzelnen Civic Consulting/ Oxford Economics, Collective redress, 2008, S. 29; Stadler, JZ 2009, 121, 122 und 128 f. 643   Vgl. nur die Kontroverse zur Frage der Anerkennung von US‑amerikanischen opt-out class actions in Europa; hierzu Pinna, [2008] Erasmus Law Review 1, 31 ff. Vgl. zudem die vom Deutschen Bundestag in seiner 111. Sitzung am 26.5.2011 angenommene Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT‑Drucks 17/5956, S. 10, die ein Opt-out-Verfahren kategorisch ablehnt. 644   EuGH, Rs. C‑352/13 (CDC) Rn. 33. 645   Der durch den Consumer Rights Act eingeführte Opt-out-Mechanismus findet freilich nur für Einwohner des Vereinigten Königreichs Anwendung; Klägern aus anderen Staaten steht ein opt-in zur Verfügung; sec. 47B (11) (b) Competition Act 1998. Dies allein könnte allerdings schon ausreichen, um Schadensersatzforderungen in beträchtlicher Höhe zu begründen.

C. Schadensersatzansprüche

627

XI. Zusammenfassende Bewertung Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 kodifiziert und konkretisiert die vom EuGH entwickelten Vorgaben zur Ausgestaltung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche sowohl in materiell- als auch prozessrechtlicher Hinsicht. Eine Vollharmonisierung wird demgegenüber nicht erreicht. Soweit die Richtlinie nur Mindestvorgaben aufstellt oder keine ausdrücklichen Regelungen enthält, gelten daher weiterhin das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot in ihrer Interpretation durch den EuGH. Auch die Richtlinie selbst unterliegt einer Kontrolle dahingehend, ob die in ihr normierten Vorschriften primärrechtskonform sind. Insgesamt ist zu erwarten, dass die Richtlinie in vielen Mitgliedstaaten zu einer effektiveren Durchsetzung des EU‑Wettbewerbsrechts durch Schadensersatzklagen führt, zumal in einigen Mitgliedstaaten immer noch erhebliche Defizite bestehen. Das von der Richtlinie aufgestellte Leitprinzip einer vollständigen Kompensation der Kartellgeschädigten wird demgegenüber nur bedingt verwirklicht. Problematisch ist insbesondere die in der Richtlinie vorgesehene einseitige Privilegierung von Kronzeugen bei der Außenhaftung646 und der Offenlegung von Beweismitteln.647 Beide Regelungen führen im Ergebnis dazu, dass dem Bedürfnis nach einer wirksamen (öffentlichen) Durchsetzung des Wettbewerbsrechts – im Widerspruch zur EuGHRechtsprechung – einseitig der Vorrang vor den subjektiven Rechten der Geschädigten eingeräumt wird Die in der Richtlinie vorgesehene Stärkung der Rechte von Folgeabnehmern648 ist vom Grundsatz her zu begrüßen. Ob die betreffenden Regelungen ausreichen, um die beträchtlichen Hürden zu überwinden, die in der Praxis bei der Quantifizierung des eingetretenen Schadens bestehen, ist dennoch fraglich. Insoweit wird es vor allem darauf ankommen, ob die mitgliedstaatlichen Gerichte bereit sind, für die Schadensschätzung auf Durchschnittswerte zurückzugreifen.649 Eine Untersanktionierung droht vor allem dann, wenn die von der Richtlinie zugelassene passing on defence650 von den Gerichten großzügig zugunsten des Beklagten angewandt wird. Ist der Einwand der Schadensabwälzung auf sämtlichen Zwischenabsatzstufen erfolgreich, können die bei den anspruchsberechtigten Endabnehmern entstehenden Streuschäden in vielen Mitgliedstaaten nicht effektiv eingeklagt werden, da die Richtlinie auf die Einführung einer Opt-out-Klage verzichtet.651 Umgekehrt trifft die Richtlinie auch keine ausreichenden Vorkehrungen, um einer Mehrfachhaftung des Schädigers entgegenzuwirken.652 De lege ferenda sollten daher sämtliche Abnehmerklagen an einem Gerichtsstand in einem Verfahren konzentriert werden. Könnte in einem einzigen Prozess über sämtliche Ansprüche mit allseitiger Rechtskraft entschieden werden, ließe sich sowohl eine Über- als auch Unterkompensation vermeiden. Dass eine solche Anspruchskonzentration in die Brüssel I-VO 1215/2012 eingeführt wird, ist indessen wenig realistisch. 646

 Hierzu supra, § 7 C.IV.3.  Hierzu supra, § 7 C.IX.2. 648  Hierzu supra, § 7 C.III.4.c. 649  Hierzu supra, § 7 C.V.2. 650  Hierzu supra, § 7 C.V.3. 651  Hierzu supra, § 7 C.X.1. 652  Hierzu supra, § 7 C.V.4. 647

628

§ 7  Kartellrecht

Vielmehr ist zu erwarten, dass sich die Anreize zu einem forum shopping gerade im Bereich der kollektiven Rechtsdurchsetzung verstärken. Da Brüssel I-VO 1215/2012 keine speziellen Zuständigkeitsvorschriften für Massenverfahren enthält, werden Geschädigte verstärkt in Ländern klagen, in denen attraktive Gruppenklagen zur Verfügung stehen. Damit dürfte auch der Druck auf die Europäische Kommission wachsen, die seit 2011 zurückgestellten Arbeiten an einer Harmonisierung kollektiver Schadensersatzklagen wieder aufzunehmen.

D. Negatorischer Rechtsschutz I. Praktische Bedeutung Ein Verstoß gegen Art. 101, 102 AEUV kann nicht nur Schadensersatzansprüche auslösen, sondern zugleich Ansprüche auf negatorischen Rechtsschutz in Gestalt von Unterlassungsansprüchen zur Abwehr gegenwärtiger oder zukünftiger Rechtsverletzungen und Beseitigungsansprüchen zur Abhilfe gegen fortwirkende Folgen der Rechtsverletzung. In den meisten Mitgliedstaaten können Unterlassungs- und Beseitigungsklagen parallel zu kartellbehördlichen Verfahren geltend gemacht werden.653 Zwar weist das kartellbehördliche Verfahren gegenüber der privaten Rechtsdurchsetzung den Vorteil auf, dass auch die Kommission und die nationalen Kartellbehörden Anordnungen zur Abstellung und ggf. zur Beseitigung des kartellrechtswidrigen Verhaltens erlassen können, gleichzeitig aber über umfassende Untersuchungsbefugnisse verfügen, ohne dass der vom Kartellverstoß Betroffene mit Rechtsverfolgungskosten belastet wird. Die Verfolgung von Kartellverstößen steht indessen im Ermessen der Behörden,654 zudem kann der Schutz vor den einzelstaatlichen Gerichten schneller und effizienter sein. Wettbewerber, Unternehmensvereinigungen sowie Verbraucherverbände haben daher ein vitales Interesse, durch Unterlassungs- oder Beseitigungsklagen (vorläufigen) Rechtsschutz zu erlangen. Da derartige Verfahren nicht den (zumeist nur schwierig zu führenden) Nachweis eines Schadens erfordern, stellt der negatorische Rechtsschutz eine attraktive Alternative gegenüber einem Schadensersatzprozess dar. Eine besondere Bedeutung erlangen Unterlassungsklagen, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen unter Verstoß gegen Art. 102 AEUV den Zugang zu Gütern oder Dienstleistungen verweigert, denn in diesen Fällen will das betroffene Unternehmen von vornherein nicht auf Schadensersatzansprüche verwiesen, sondern in aller Regel beliefert werden.655

653

  Möllers/Heinemann (Hrsg.), The Enforcement of Competition Law in Europe, 2008, S. 494 f.   Für Beschwerden gegenüber der Kommission vgl. EuGH, Rs. 125/78 (GEMA/Kommission) Rn. 18; EuG, Rs. T‑24/90 (Automec II) Rn. 75; für Deutschland BGH, Urt. v. 11.3.1997, WuW/E BGH 3113, 3114 (Rechtsschutz gegen Berufsordnung). 655   Zum Kontrahierungszwang in diesen Fällen infra, § 7 D.II.2.a. 654

D. Negatorischer Rechtsschutz

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II. Unionsrechtliche Vorgaben 1. Individueller Rechtsschutz Der EuGH hat in der Rechtssache Muñoz656 anerkannt, dass es einem Wirtschaftsteilnehmer möglich sein muss, die Beachtung unionsrechtlich vorgegebener Qualitätsnormen im Wege eines Zivilprozesses gegen einen Konkurrenten durchzusetzen. Zur Begründung verwies das Gericht auf die Courage-Entscheidung und insbesondere darauf, dass eine solche Klagebefugnis die Durchsetzungskraft des Unionsrechts stärke sowie die Tätigkeit der staatlichen Behörden sinnvoll ergänze. Konkurrentenklagen vor den nationalen Gerichten seien, so der Gerichtshof weiter, besonders geeignet, zur Sicherung des lauteren Handels und der Markttransparenz in der Union beizutragen. Diese Überlegungen sind auf Verstöße gegen Art. 101, 102 AEUV mutatis mutandi übertragbar.657 Vom Grundsatz her ist davon auszugehen, dass konkurrierenden Unternehmen das Recht eingeräumt werden muss, mit einer Unterlassungsklage gegen Kartellrechtsverstöße vorzugehen. Welche Bedingungen nach nationalem Recht an Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche geknüpft werden dürfen, ist derzeit ungeklärt. Dies betrifft zunächst die Frage nach dem locus standi: Die „jedermann“-Formulierung im Courage-Urteil könnte darauf hindeuten, dass nach dem Unionsrecht nicht nur Direktabnehmer einen Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch geltend machen können, sondern auch indirekte Abnehmer. Der deutsche Gesetzgeber hat das Courage-Urteil in der Tat so verstanden und in § 33 Abs. 1 GWB sämtlich betroffenen Marktbeteiligten, also auch indirekten Abnehmern, Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche eingeräumt.658 Da sich die Courage-Entscheidung nur auf Schadensersatzansprüche bezieht und der EuGH Unterlassungsansprüche bislang nur konkurrierenden Unternehmen eingeräumt hat, ist dieser Schluss jedoch nicht zwingend.659 Ein Unterlassungsanspruch zugunsten der Folgeabnehmer wirft jedenfalls in praktischer Hinsicht einige Probleme auf. Mittelbare Abnehmer werden in der Regel nicht bereits durch das kartellrechtswidrige Verhalten beeinträchtigt, sondern erst durch das Verhalten der Vorlieferanten, beispielsweise durch die Weitergabe kartellrechtswidrig überhöhter Preise. Der Anspruch auf Unterlassung künftiger Kartellverstöße kann damit erst dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn eine (drohende) Beeinträchtigung in Form eines wirtschaftlichen Nachteils nachgewiesen werden kann. Für Unterlassungsansprüche stellt sich des Weiteren die Frage, ob die Geltendmachung eines solchen Anspruchs den Eintritt eines (schuldhaft) verursachten (drohenden) Schadens voraussetzt oder ob sonstige Beeinträchtigungen (z. B. in der Auswahlfreiheit) ausreichend sind. Dieses Problem stellt sich vor allem für jene Rechts656

  EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 28 – 31. Eingehend hierzu supra, § 2 E.II.2.  Wie hier MüKo/Eilmansberger/Bien, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 685; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 AEUV Rn. 762; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, 68. EL, Mai 2009, Rn. 205 ff., 207. Teile des Schrifttums leiten einen unionsrechtlich begründeten Unterlassungsanspruch bereits aus der Courage-Entscheidung ab; vgl. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 218; G. Monti, in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, 2010, S. 286, 297, mit dem Vorschlag, dass in Situationen, in denen die Kommission eine Abstellungsanordnung erlassen würde, die nationalen Gerichte dieselben Kriterien anwenden müssten, wenn es um Unterlassungs- und Beseitigungsklagen gehe. 658   Vgl. BT‑Drucks. 15/5049, 49; hierzu W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1138. 659  Ebenso W.‑H. Roth, in: FS Huber, 2006, S. 1133, 1139. 657

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§ 7  Kartellrecht

ordnungen, die den Unterlassungsanspruch aus den allgemeinen Regeln ihres Deliktsrechts herleiten.660 Da der EuGH in Muñoz weder das Vorliegen eines konkret eingetretenen oder drohenden Schadens661 noch ein Verschulden gefordert hat, spricht Vieles dafür, dass Gleiches auch für kartellrechtliche Unterlassungsansprüche gelten muss.662 Seit der Factortame I‑Entscheidung ist anerkannt, dass die nationalen Gerichte in der Lage sein müssen, einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen.663 Dies muss auch für den negatorischen Rechtsschutz im Kartellrecht gelten.664 Die Voraussetzungen, unter denen einstweiliger Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten erlangt werden kann, richten sich indessen nach mitgliedstaatlichem Recht, solange die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität gewahrt sind.665 2. Sonderfall „Kontrahierungszwang“ a) Verstöße gegen das Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV) Weigert sich ein marktbeherrschendes Unternehmen, einem anderen Marktteilnehmer den Zugang zu Gütern oder Dienstleistungen zu gewähren, die unerlässlich sind, um auf einem nachgelagerten Markt konkurrieren zu können, so kann ein solches Verhalten unter besonderen Umständen als missbräuchlich i. S. d. Art. 102 AEUV angesehen werden.666 Zu denken ist etwa an die Weigerung, Produkte an bereits vorhandene oder neue Abnehmer zu liefern,667 eine Lizenz für Immaterialgüterrechte zu erteilen668 oder den Zugang zu einer wesentlichen Einrichtung (essential facility) oder einem Netz zu gewähren.669 Die Kommission kann in diesen Fällen im Wege der 660

  Überblick zur dogmatischen Einordnung des negatorischen Rechtsschutzes infra, § 7 D.III.1.   In diese Richtung allerdings GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 60. 662   Wie hier FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81, 68. EL, Mai 2009, Rn. 207; Wilman, Private Enforcement, 2015, S. 294 ff. 663   EuGH, Rs. C‑213/89 (Factortame) Rn. 20 f.; Rs. C‑1/99 (Kofisa) Rn. 47 f.; Rs. C‑226/99 (Siples) Rn. 18 f.; Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 67, 75. 664   Wie hier: Europäische Kommission, Commission Staff Working Paper, Annex to the Green Paper Damages for breach of EC antitrust rules, SEC (2005) 1732, Rn. 17. 665  Siehe supra, § 2 D.IV.2. 666   Mitteilung der Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG‑Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, ABl. 2009 C 45/7, Rn. 75 ff., 78 ff. 667   Vgl. EuGH, verb. Rs. 6 – 7/73 (Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/ Kommission) Rn. 25 – Lieferung von Rohstoffen; vgl. auch Rs. 311/84 (CBEM) Rn. 26 – Verkauf von Sendezeiten für Telemarketingmaßnahmen; EuG, Rs. T‑301/04 (Clearstream/Kommission) Rn. 147 ff. – Grenzüberschreitende Clearing- und Abrechnungsleistungen für Namensaktien. 668   Vgl. EuGH, verb. Rs. C‑241 – 242/91 P (RTE und ITP/Kommission  – „Magill“) Rn. 50 ff.; Rs. C‑418/01 (IMS Health) Rn. 38 ff., 52; EuG, Rs. T‑201/04 (Microsoft/Kommission) Rn. 331 ff. Der EuGH und das EuG unterscheiden dabei zwischen der Lizenzverweigerung als solcher, die als Substanz eines Ausschließlichkeitsrechts kein Marktmissbrauch sein kann, und „außergewöhnlichen Umständen“, die eine Lizenzverweigerung missbräuchlich machen können; Wirtz/Holzhäuser, WRP 2004, 683 ff. 669   Vgl. KomE v. 21.12.1993 (Seehafen), ABl. 1994 L 55/52; KomE v. 14.1.1998 (Flughafen), ABl. 1998 L 72/30; KomE v. 27.8.2003, ABl. 2004 L 11/17 (Schienenpersonenverkehr); Kommissionsverfahren v. 20.4.2007 (Erdgaspipelines), MEMO/07/187; vgl. auch Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998 C 265/2, Rn. 49 – 53 und 87 – 98. Allgemein zur essential facilities-Doktrin, GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑7/97 (Bronner) Rn. 47 ff. 661

D. Negatorischer Rechtsschutz

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Abstellungsanordnung Maßnahmen ergreifen, die auf einen Kontrahierungszwang hinauslaufen. So verpflichtete die Kommission etwa im Fall Commercial Solvents670 das marktbeherrschende Unternehmen, einen Kunden weiterhin mit Rohstoffen zu beliefern. In Magill671 entschied die Kommission, dass irische und britische Fernsehanstalten, die ein faktisches Monopol zu Sendedaten innehatten, dem Unternehmen Magill die zur Herausgabe einer Fernsehwochenschrift erforderlichen Programminformationen gegen eine angemessene Lizenzgebühr zur Verfügung stellen müssen. Im Fall Microsoft672 ordnete die Kommission an, dass Microsoft Schnittstellenprotokolle der Serversoftware anderen Software-Produzenten zur Verfügung stellen muss, damit diese ihre Programme so gestalten können, dass sie für die Kommunikation mit Microsoft-Servern kompatibel sind. In Clearstream673 verpflichtete die Kommission das marktbeherrschende Unternehmen, künftig sich nicht mehr zu weigern, grenzüberschreitende Clearing- und Abrechnungsleistungen für Namensaktien zu erbringen. – Der Gerichtshof hat diese Vorgehensweise gebilligt. Ist, wie bei Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung üblich, nur ein Mittel zur Abstellung der Zuwiderhandlung denkbar,674 so verlangt das Gebot der praktischen Wirksamkeit, dass die Kommission entsprechende Verpflichtungen – beispielsweise eine Lieferpflicht oder die Erteilung von Lizenzen – auch anordnen kann.675 In privatrechtlicher Hinsicht folgt in den genannten Fällen aus Art. 102 AEUV ein Kontrahierungszwang.676 Da Art. 102 AEUV die privatrechtlichen Rechtsfolgen nicht selbst regelt, richtet sich die Ausgestaltung dieses Anspruchs allerdings nach dem anwendbaren nationalen Recht. In dogmatischer Hinsicht kann der Kontrahierungszwang als Schadensersatzanspruch oder als Unterlassungsanspruch konstruiert werden.677 Schadensersatzansprüche kommen in Betracht, wenn man davon ausgeht, dass der Anspruch auf Vertragsschluss (Belieferungszwang, Zwangslizenz) eine Form der Naturalrestitution ist. Über einen Schadensersatzanspruch kann allerdings nur die vergangene Nichtbelieferung sanktioniert, nicht jedoch die zukünftige Belieferung angeordnet werden. Schon deswegen liegt es näher, einen Anspruch auf Unterlassung der Nichtbelieferung anzunehmen.

670   EuGH, verb. Rs. 6 – 7/73 (Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission). 671   EuGH, verb. Rs. C‑241 – 242/91 P (RTE und ITP/Kommission – „Magill“). 672   EuG, Rs. T‑201/04 (Microsoft/Kommission). 673   EuG, Rs. T‑301/04 (Clearstream/Kommission). 674   Die Möglichkeit des Marktbeherrschers, den Betrieb einzustellen oder das Angebot umzustellen, bleibt zumeist nur theoretisch; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S. 228 f. 675   EuGH, verb. Rs. C‑241 – 242/91 P (Magill) Rn. 91. 676   Vgl. EuGH, Rs. 311/84 (CBEM); in dem betreffenden Fall ging es nicht (wie sonst) um eine Kommissionsmaßnahme, sondern um eine Unterlassungsklage, die ein Unternehmen gegen den Marktbeherrscher angestrengt hatte. Siehe ferner GA Kokott, SchlA, Rs. C‑454/06 (Pressetext Nachrichtenagentur) Rn. 133. Auch im Schrifttum wird einhellig angenommen, dass aus Art. 102 AEUV ein Kontrahierungszwang folgen kann; vgl. nur MüKo/Eilmansberger/Bien, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 102 AEUV Rn. 683; Wiedemann/Dieckmann, Hdb. des Kartellrechts, 2. Aufl., 2008 § 40 Rn. 22. 677   Zur umstrittenen Einordnung im deutschen Recht Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S. 396 ff.; Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 391 ff.

632

§ 7  Kartellrecht

b) Verstöße gegen das Kartellverbot (Art. 101 AEUV) Ob sich aus Art. 101 AEUV ein Kontrahierungszwang ergeben kann, ist streitig. Praxisrelevant ist diese Frage vor allem für selektive Vertriebsbindungssysteme, die einzelne Händler in diskriminierender Weise ausschließen. Während Verstöße gegen Art. 102 AEUV anerkanntermaßen einen unionsrechtlich vorgegebenen Kontrahierungszwang zur Folge haben können, ist das EuG bei Verletzung des Art. 101 AEUV deutlich zurückhaltender. In Automec II678 betonte das Gericht, dass der Kommission bei einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV grundsätzlich nicht die Befugnis zuerkannt werden könne, einer Partei die Begründung vertraglicher Beziehungen aufzugeben, da die Vertragsfreiheit die Regel bleiben müsse. Unabhängig hiervon könne ein mitgliedstaatliches Gericht einen Wirtschaftsteilnehmer allerdings nach den Vorschriften des nationalen Rechts gegebenenfalls zum Vertragsschluss verurteilen.679 Diese Grundsätze wurden in Atlantic Container Line bestätigt.680 Für das deutsche Recht wird zu Recht davon ausgegangen, dass der zu einem selektiven Vertriebsbindungssystem nicht zugelassene, diskriminierte Händler keinen Anspruch auf Belieferung, sondern nur auf kompensatorischen Schadensersatz hat.681 Gegen einen Belieferungsanspruch kann allerdings nicht ins Feld geführt werden, dass das Vertriebssystem bei planmäßiger Diskriminierung in seiner Gesamtheit nichtig ist.682 In diesem Fall scheidet allein ein Anspruch auf Aufnahme in das Vertriebssystem aus; allgemeine Belieferungsansprüche bleiben demgegenüber weiterhin möglich. Gegen einen Kontrahierungszwang spricht jedoch zum einen, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV – im Unterschied zu Art. 102 AEUV – nicht die Nichtbelieferung an sich verbietet, sondern nur die Verhaltenskoordination. Die Weigerung, einen bestimmten Händler nicht zu beliefern, stellt für sich genommen keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV dar.683 Der BGH geht daher zu Recht davon aus, dass Art. 101 AEUV einem Hersteller zwar verbietet, seine Waren unter unzulässiger Beschränkung des Wettbewerbs in einem einzelne Händler diskriminierenden Vertriebssystem abzusetzen, ihm aber nicht gebietet, sämtliche fachlich geeigneten Wiederverkäufer zu beliefern.684 Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Verstoß gegen ein Diskriminierungsverbot grundsätzlich auf dreifache Weise behoben werden kann: Die Begünstigung kann ausgedehnt oder allen entzogen werden, oder aber der Verstoß wird zum Anlass genommen, den Sachverhalt auf andere Weise neu 678

  EuG, Rs. T‑24/90 (Automec II) Rn. 51 f.   EuG, Rs. T‑24/90 (Automec II) Rn. 50. 680   EuG, Rs. T‑395/94 (Atlantic Container Line) Rn. 414. 681   BGH, WuW/E DE‑R 1998, 206, 207 (Depotkosmetik) = GRUR 1999, 276, 277; WRP 1999, 203, 205 f. (Hochwertige Kosmetikartikel); zustimmend Streinz/Eilmansberger, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 101 Rn. 138; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 AEUV Rn. 769; kritisch Haslinger, WRP 1999, 161, 164 ff.; Mäsch, ZIP 1999, 1507 ff.; differenzierend Weyer, GRUR 2000, 848, 853 ff. (Belieferungsanspruch außerhalb des Vertriebsbindungssystems ist aus Abschreckungsgründen erforderlich). 682  Vgl. Weyer, GRUR 2000, 848, 852, mit Hinweis darauf, dass die Gesamtnichtigkeit des selektiven Vertriebssystems auch nicht durch eine spätere Zulassung der diskriminierten Händler geheilt werden kann; siehe KommE v. 6.1.182 (AEG Telefunken), ABl. 1982 L 117/15, bestätigt durch EuGH, Rs. 107/82 (AEG Telefunken). 683   Whish, Competition Law, 6. Aufl., 2009, S. 251; Streinz/Eilmansberger, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 101 Rn. 138. 684   BGH, WuW/E DE‑R 1998, 206, 207 (Depotkosmetik) = GRUR 1999, 276, 277. 679

D. Negatorischer Rechtsschutz

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zu regeln. Eine diskriminierende Verhaltenskoordination im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems begründet daher nicht zwangsläufig einen Kontrahierungszwang, da der Verstoß – wie das EuG685 und auch der BGH686 hervorheben – auch durch endgültige Aufgabe des nichtigen Vertriebssystems sowie ggf. durch Begründung eines kartellrechtskonform umgestalteten Vertriebssystems behoben werden kann. Der hiergegen vorgetragene Einwand, eine Aufgabe oder Abänderung des Systems sei in der Praxis unrealistisch,687 überzeugt nicht, denn in jedem Falle müssen die Angehörigen des Vertriebssystems eine Entscheidung über die künftige Gestaltung und Handhabung des Vertriebssystems treffen. Der Anspruch verengt sich erst dann zu einem Belieferungsanspruch, wenn der Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV allein durch Aufnahme in das Vertriebssystem beseitigt werden kann, also dann, wenn das selektive Vertriebssystem rechtlich fortbesteht und die Beteiligten des Vertriebssystems keine Entscheidung über eine Aufgabe oder Umgestaltung getroffen haben.688 3. Kollektiver Rechtsschutz Das geschriebene Unionsrecht räumt Verbraucher- und Unternehmensverbänden derzeit nicht das Recht ein, im Wege einer Unterlassungsklage gegen Wettbewerbsverstöße vorzugehen. Die UKlaRL 2009/22, die qualifizierten Einrichtungen, insbesondere Verbraucherverbänden, ein Recht zur Erhebung einer Unterlassungsklage gewährt,689 bezieht sich nur auf Verstöße gegen nationale Rechtsvorschriften, die in Umsetzung der in Anhang I aufgeführten verbraucherschützenden Sekundärrechtsakte ergangen sind. Verstöße gegen das Primärrecht (hier: Art. 101, 102 AEUV) werden demgegenüber nicht von der Richtlinie erfasst. Kollektive Klagerechte ergeben sich auch nicht – wie zuweilen vertreten wird690 – aus der UGP-RL 2005/29, die in der UKlaRL 2009/22 aufgeführt wird691 und zudem in Art. 11 unter besonderen Voraussetzungen auch Mitbewerbern gewisse Rechtsbehelfe einräumt. Zwar deutet der weite Wortlaut des Art. 5 UGP-RL 2005/29 darauf hin, dass Verstöße gegen Art. 101, 102 AEUV grundsätzlich als missbräuchliche Geschäftspraktiken betrachtet werden könnten, vorausgesetzt, der Verstoß betrifft nicht „ausschließlich“ die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern oder Rechtsgeschäfte zwischen Gewerbetreibenden.692 Nach ErwGr (9) berührt die UGPRL 2005/29 jedoch nicht „die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft und die nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung derselben“.693 Zu Recht wird daher ange685

  EuG, Rs. T‑24/90 (Automec II) Rn. 52.   BGH, WuW/E DE‑R 1998, 206, 1204 (Depotkosmetik) = GRUR 1999, 276, 277 f.   Haslinger, WRP 1999, 161, 165. 688   Nach Immenga/Mestmäcker/K. Schmidt, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, VO 1/2003 Anhang 2, Rn. 33, soll ein Kontrahierungszwang dagegen schon in der Zwischenzeit bestehen, also solange das Vertriebssystem noch nicht umgestellt worden ist. 689   Vgl. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 lit. a UKlaRL 2009/22. Wahlweise können die Mitgliedstaaten nach Art. 3 allerdings auch eine unabhängige öffentliche Stelle benennen, die speziell für den Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher zuständig ist. 690   Cauffman, Maastricht European Private Law Institute, Working Paper No. 2011/05, S. 5. 691   Anhang I Nr. 11 Unterlassungsklagen-Richtlinie 2009/22/EG. 692   Vgl. ErwGr (6) UGP-RL 2005/29 sowie EuGH, Rs. C‑304/08 (Plus Warenhandelsgesellschaft) Rn. 39; Rs. C‑540/08 (Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag) Rn. 21 ff. 693   Vgl. auch die Begründung zum Kommissionsvorschlag, KOM (2003) 356 endg, Rn. 41. 686 687

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§ 7  Kartellrecht

nommen, dass Verstöße gegen Art. 101, 102 AEUV nicht von der UGP-RL 2005/29 erfasst werden.694 Umgekehrt ist es natürlich nicht ausgeschlossen, dass sich ein Mitgliedstaat dafür entscheidet, das Arsenal verfügbarer Rechtsbehelfe auszudehnen, indem Zuwiderhandlungen gegen Art. 101, 102 AEUV als lauterkeitsrechtlich relevant eingestuft werden.695 Die UGP-RL 2005/29 verbietet die Sanktionierung von Verstößen gegen Art. 101, 102 AEUV mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts schon deswegen nicht, weil sich das in ihr geregelte Konzept der Vollharmonisierung nur auf ihren sachlichen Anwendungsbereich erstreckt, der Verstöße gegen Art. 101, 102 AEUV gerade nicht erfasst. Auch die VO 1/2003 steht mitgliedstaatlichen Regelungen nicht entgegen, mit denen ein Kartellverstoß durch lauterkeitsrechtliche Rechtsbehelfe geahndet werden kann. Zum einen steht die Verordnung der Anwendung von Bestimmungen einzelstaatlichen Rechts nicht entgegen, die überwiegend ein von den Art. 101, 102 AEUV abweichendes Ziel verfolgen (Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003). Dies trifft insbesondere auf lauterkeitsrechtliche Regelungen zu,696 soweit diese nicht nur (wie etwa beim Rechtsbruchtatbestand) an einen Verstoß gegen das Kartell- oder Missbrauchsverbot anknüpfen, sondern an eigenständige lauterkeitsrechtliche Gebote.697 Zum anderen statuiert Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 für das Kartellverbot eine Konkordanz von Unionsrecht und nationalem Recht nur bzgl. der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten rechtmäßig ist oder nicht. Eine Konkordanz der Sanktionen, insbesondere der zivilrechtlichen Rechtsfolgen, ist in Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 demgegenüber nicht vorgesehen.

III. Ausgestaltung in den Mitgliedstaaten 1. Individueller Rechtsschutz Sämtliche Mitgliedstaaten kennen vom Grundsatz her Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. In systematischer Hinsicht werden diese jedoch unterschiedlich verortet. Während einige Mitgliedstaaten spezialgesetzliche Regelungen für das Kartellrecht vorsehen698 oder auf das Lauterkeitsrecht rekurrieren,699 greifen viele 694   Abbamonte, in: Weatherill/Bernitz (Hrsg.), EC Directive 2005/29, 2007, S. 11, 17; Wilhelmsson, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson (Hrsg.), European Fair Trading Law, 2006, S. 49, 70. 695   Dies betrifft nicht nur die Staaten, die – wie Ungarn, die baltischen Staaten und Bulgarien – das Kartellrecht zusammen mit dem Lauterkeitsrecht regeln; vgl. Henning-Bodewig, in: Hilty/ Henning-Bodeweg (Hrsg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire, 2009, S. 9, 17. Vielmehr stellt sich in sämtlichen Rechtsordnungen die Frage, wie das Verhältnis zwischen Kartell- und Lauterkeitsrecht zu bewerten ist; hierzu etwa Stuyck, in: Weatherill/Bernitz (Hrsg.), EC Directive 2005/29, 2007, S. 159, 171 ff., 174 („plea for an integrative approach at European level“). In Deutschland hat sich seit der Reform des kartellrechtlichen Sanktionssystems im Zuge der 7. GWB-Novelle eine restriktive Auffassung durchgesetzt. Nach Auffassung des BGH enthält das GWB eine abschließende Regelung der zivilrechtlichen Ansprüche, so dass auf das UWG nur noch zurückgegriffen werden darf, wenn in der fraglichen Praktik zugleich ein selbständiger UWG-Verstoß liegt; BGHZ 166, 154, 159 f. (Rn. 13 ff.) = NJW 2006, 2627, 2628 f.; BGHZ 177, 150, 153 (Rn. 11) = GRUR 2008, 810, 812. 696   Vgl. ErwGr (9) VO 1/2003. 697   Anders Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, EU‑Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, VO 1/2003, Art. 3 Rn. 47, demzufolge das Recht zum Schutz gegen unlauteren Wettbewerb insgesamt ausgenommen ist. 698   So z. B. Deutschland (§ 33 Abs. 1 GWB) sowie (für Verstöße gegen das nationale Kartellrecht) Irland (sec. 14 (5) (a) Competition Act 2002). 699   So z. B. Belgien; hierzu Cauffmann, Maastricht European Private Law Institute, Working Paper No. 2011/05, S. 18 ff. In Österreich hat der OGH wiederholt ausgesprochen, dass ein Verstoß

D. Negatorischer Rechtsschutz

635

Rechtsordnungen auf die allgemeinen Regeln des Deliktsrechts zurück.700 Soweit der Wettbewerbsverstoß gleichzeitig mit einer vertraglichen Pflichtverletzung einhergeht (beispielsweise bei Abbruch von Lieferbeziehungen durch ein marktbeherrschendes Unternehmen), kommen in einigen Mitgliedstaaten darüber hinaus (vorrangig) vertragliche Rechtsbehelfe zur Anwendung.701 Im englischen Recht stellt die injunction ein equitable remedy dar. Die Gerichte behalten sich daher das Recht vor, eine injunction zu versagen, wenn ihnen dies nach den besonderen Umständen des konkreten Falls als angemessen erscheint. Auch ansonsten weichen die Voraussetzungen für den negatorischen Rechtsschutzes in den Mitgliedstaaten voneinander ab. Dies betrifft etwa die Frage, wer als Anspruchsberechtigter in Frage kommt, ob ein Verschulden nachgewiesen werden muss, sowie das Problem, ob Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche neben Schadensersatzansprüchen geltend gemacht werden können. In nahezu allen Mitgliedstaaten können Unterlassungsklagen alternativ zu Schadensersatzklagen erhoben werden.702 Anders ist die Rechtslage dagegen in England. Eine injunction wird grundsätzlich nur gewährt, wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass die Rechtsordnung dem Kläger auf andere Weise hinreichenden Schutz nicht zu verschaffen vermag.703 Der negatorische Rechtsschutz wird mit anderen Worten als „Notbehelf“ angesehen, der dem Kläger nur dann zur Verfügung steht, wenn seine Interessen durch die „normalen“ Rechtsbehelfe – insbesondere durch die Schadensersatzklage – nicht genügend gesichert werden können. Diese Grundsätze wurden vom House of Lords im Fall Garden Cottage Foods704 für Verstöße gegen Art. 102 AEUV bestätigt. In dem betreffenden Fall hatte ein marktbeherrschendes Unternehmen angekündigt, dem bislang belieferten Abnehmer keine Butter mehr zu liefern. Der betroffene Abnehmer machte geltend, dass dieses Verhalten gegen Art. 102 AEUV verstoße und beantragte eine einstweilige Verfügung (interlocutory injunction). Das englische Gericht (Parker J.) wies den Antrag mit der Begründung ab, dass der Antragsteller durch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ausreichend geschützt sei. Während der Court of Appeal die Entscheidung aufhob,705 bestätigte das House of Lords die Ausgangsentscheidung.706 Vor diesem Hintergrund sind im Schrifttum Zweifel geäußert worden, ob die englische Rechtslage mit dem Unionsrecht vereinbar ist.707 gegen die Vorschriften des EU‑Kartellrechts einen Verstoß gegen § 1 UWG darstellen kann; OGH, 15.10.2002, 4 Ob 201/02s (ÖTV-Ballverträge). 700   Negatorische Rechtsbehelfe werden insbesondere in Frankreich und England dem Deliktsrecht zugeordnet; vgl. allgemein Kötz, AcP 174 (1974), 145, 152 ff.; G. Wagner, in: FS Medicus, 2009, S. 589, 609 f.; speziell zu Kartellverstößen Cauffman, a. a. O., S. 21 ff. m. w. N. zum Meinungsstand. In den Niederlanden wird gleichfalls angenommen, dass Unterlassungsansprüche aus Art. 6:162 BW folgen; Möllers/Heinemann (Hrsg.), The Enforcement of Competition Law in Europe, 2008, S. 483. Für das österreichische Recht wird im Schrifttum dafür plädiert, einen allgemeinen deliktischen Unterlassungsanspruch anzuerkennen; Streinz/Eilmansberger, 1. Aufl., 2003, Art. 81 Rn. 119. 701   So insbesondere in Frankreich; vgl. Cauffman, a. a. O., S. 21 f. 702  Vgl. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 215 m. w. N. in Fn. 464. 703   American Cyanamid Co. Appellants v Ethicon Ltd. Respondents, [1975] AC 396 (HL). 704   Garden Cottage Foods Ltd v Milk Marketing Board, [1984] AC 130 (HL). 705   Garden Cottage Foods Ltd v Milk Marketing Board, [1982] 3 All E.R. 292 (CA). 706   Garden Cottage Foods Ltd v Milk Marketing Board, [1984] AC 130 (HL). Anders aber das Minderheitsvotum von Lord Wilberforce. 707   G. Monti, in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, 2010, S. 286, 297.

636

§ 7  Kartellrecht

Neuere Entscheidungen zeigen indessen, dass die englischen Gerichte negatorischen Rechtsschutz nicht schematisch verwehren. Schadensersatzklagen werden von den Gerichten insbesondere dann als unzureichend erachtet, wenn der Betroffene infolge des kartellrechtswidrigen Verhaltens seinen Betrieb einstellen müsste708 oder den eingetretenen Schaden in einem späteren Schadensersatzprozess nur schwer beweisen könnte.709 So wendete sich etwa Adidas im Fall Adidas-Salomon AG v Draper and Others erfolgreich gegen die Veranstalter von Wimbledon und der US Open. Diese hatten ihre dresscodes dahingehend geändert, dass Firmenlogos auf der Kleidung der gesponserten Spieler eine bestimmte Größe nicht überschreiten durften. Adidas machte einen Verstoß gegen Art. 101, 102 AEUV geltend und beantragte eine einstweilige Verfügung (interim injunction). Der High Court gab dem Antrag statt. Nach Auffassung des Gerichts war die Unterlassungsklage der einzig wirksame Rechtsbehelf, da der drohende Gewinnausfall später nur schwer zu beziffern gewesen wäre. 2. Kollektiver Rechtsschutz In den meisten Mitgliedstaaten können Verbraucherverbände nicht im Wege einer Unterlassungsklage gegen kartellrechtswidriges Verhalten vorgehen.710 In Deutschland wurde erst mit der 8. GWB-Novelle eine entsprechende Klagebefugnis geschaffen.711 Gleichzeitig wurde klargestellt, dass nicht nur Verbände von Wettbewerbern des Verletzers, sondern auch Verbände der Marktgegenseite klagebefugt sind. In Österreich gibt es demgegenüber nach wie vor keine speziellen Verbandsklagen im Kartellrecht. Eine Klagebefugnis zugunsten von Vereinigungen zur Förderung wirtschaftlicher Interessen von Unternehmern sowie ggf. auch Verbraucherverbänden kann sich allerdings aus § 14 öUWG ergeben, sofern die Verletzung der Art. 101, 102 AEUV eine unlautere Geschäftspraktik i. S. d. § 1 öUWG begründet.712 Auch in Belgien können Unterlassungsklagen auf das Lauterkeitsrecht gestützt werden;713 bei einem lauterkeitsrechtlichen Verstoß sind sowohl berufliche und zwischenberufliche Vereinigungen als auch Verbraucherverbände unter bestimmten Voraussetzungen klagebefugt. Anders ist die Rechtslage dagegen in den Niederlanden. Unterlassungsansprüche ergeben sich hier aus der allgemeinen Deliktsnorm (Art. 6:162 BW). Diese können gem. Art. 3:305a Abs. 1 BW von einer Stiftung oder einem Verein mit voller Rechtsfähigkeit zum Schutze gleichartiger Interessen von anderen Personen eingereicht werden, soweit nach der Satzung diese Interessen wahrgenommen werden.714 708   Cutsforth v Mansfield Inns, [1986] 1 CMLR 1 (QBD), Rn. 37 (per Sir Neil Lawson); Holleran and Evans v Thwaites plc, [1989] 2 CMLR 917 (ChD), Rn. 61 (per Gibson J.). 709   Adidas-Salomon AG v Draper and Others, [2006] EWHC 1318 (Ch), Rn. 68 – 69; Software Cellular Network Ltd v T‑Mobile (UK) Ltd, [2007] EWHC 1790 (Ch), Rn. 34; Network Multimedia Television Limited (T/A Silicon.Com) v Jobserve Limited, [2001] WL 415569 (Ch), Rn. 90 ff., bestätigt durch [2001] EWCA Civ 2021. 710   Möllers/Heinemann (Hrsg.), The Enforcement of Competition Law in Europe, 2008, S. 496. 711  Siehe supra, § 7 A.IV.3. 712   Vgl. OGH, 15.10.2002, 4 Ob 201/02s (ÖTV-Ballverträge); HG Wien, 1.7.2003, 10 Cg 61/03 f (Styrian Spirit/AUA). Zu beiden Fällen Reidlinger/Zellhofer, ecolex 2004, 114 ff. 713   Cauffmann, Maastricht European Private Law Institute, Working Paper No. 2011/05, S. 18 ff. 714  Siehe Möllers/Heinemann (Hrsg.), The Enforcement of Competition Law in Europe, 2008, S. 484; Cauffmann, Maastricht European Private Law Institute, Working Paper No. 2011/05, S. 16 ff. Allgemein zu Art. 3:305a BW Frenk/Boele-Woelki, in: Basedow (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, 1999, S. 213 ff.

D. Negatorischer Rechtsschutz

637

In England können anerkannte Verbraucherverbände nach sec. 11 des Enterprise Act 2002 eine sog. „super-complaint“ an das Office of Fair Trading oder die anderen benannten speziellen Behörden richten. Das Verfahren und die Rechtsdurchsetzung liegt jedoch allein in der Hand der Behörden; Verbraucherorganisationen haben nach dieser Regelung keine Klagebefugnis.715 Seit Inkrafttreten des Consumer Rights Act 2015 können vom Competition Appeal Tribunal autorisierte Repräsentanten (einschließlich Verbraucherschutzverbände) demgegenüber nach sec. 47B Competition Act 1998 eine Gruppenklage initiieren und für alle potentiell Geschädigten Unterlassungsansprüche geltend machen.

IV. Perspektiven Angesichts der Bedeutung des negatorischen Rechtsschutzes für die private Durchsetzung des Kartellrechts überrascht es, dass die Kommission eine diesbezügliche Harmonisierung bislang nicht in Angriff genommen hat.716 Dabei würde gerade eine Harmonisierung von Unterlassungsklagen vermutlich auf geringere Widerstände stoßen als die Einführung kollektiver Schadensersatzklagen. Zum einen dürfte ein solches Vorhaben schon deswegen auf größere Akzeptanz stoßen, weil Unterlassungsklagen aufgrund der UKlaRL 2009/22 jedenfalls im B2C-Bereich bereits ansatzweise harmonisiert worden sind.717 Zum anderen würde eine Harmonisierung des negatorischen Rechtsschutzes keine weitreichenden Eingriffe in das allgemeine Deliktsrecht und das allgemeine Zivilprozessrecht erfordern und damit auch nicht die Herausbildung eines Sonderdelikts- und Prozessrechts begünstigen. Eine Harmonisierung kartellrechtlicher Unterlassungsklagen könnte erfolgen, indem der Anwendungsbereich der UKlaRL 2009/22 auf Kartellverstöße ausgedehnt wird.718 Die Richtlinie räumt Verbraucherschutzverbänden in ihrer gegenwärtigen Fassung allerdings kein zwingendes Verbandsklagerecht ein. Nach Art. 3 haben die Mitgliedstaaten vielmehr ein Wahlrecht.719 Die Durchsetzung verbraucherschützender Vorschriften kann durch eine oder mehrere unabhängige öffentliche Stellen erfolgen (lit. a) „und/oder“ durch Verbraucherschutzorganisationen (lit. b). Eine Fortschreibung der UKlaRL 2009/22 hätte zudem den Nachteil, dass Konkurrenten unberücksichtigt blieben. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss aber gewährleistet sein, dass konkurrierenden Unternehmen das Recht eingeräumt wird, im Wege einer Unterlassungsklage gegen Verstöße gegen das Kartell- und Missbrauchsverbot vorzugehen. Entsprechendes sollte dann aber auch für Wirtschaftsverbände gelten. 715  Eingehend Nordhausen-Scholes, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 193, 208 f. 716   Ebenso die Einschätzung von Wilman, Private Enforcement, 2015, S. 300 („missed opportunity“). 717   Vgl. die Mitteilung der Kommission zu Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen bezüglich der qualifizierten Einrichtungen, die berechtigt sind, eine Klage im Sinne des Artikels 2 dieser Richtlinie zu erheben, ABl. 2010 C 167/37. 718   In diese Richtung Stuyck et al., An analysis and evaluation of alternative means of consumer redress, 2007, S. 329; Möllers/Heinemann (Hrsg.), The Enforcement of Competition Law in Europe, 2008, S. 498. 719   Vgl. auch ErwGr (10) UKlaRL 2009/22.

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§ 7  Kartellrecht

Vorzugswürdig erscheint damit eine Regelung, die sowohl Konkurrenten, Unternehmensvereinigungen im weiteren Sinne als auch Verbraucherverbänden Ansprüche auf negatorischen Rechtsschutz einräumt. Angesichts der unterschiedlichen Ausformung des negatorischen Rechtsschutzes und der hierdurch entstehenden Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt sollten zugleich die Voraussetzungen, unter denen dieser zu erlangen ist, geregelt werden. Die Kompetenzgrundlage für einen solchen Rechtsakt könnte Art. 103 AEUV sowie ergänzend Art. 114 AEUV entnommen werden.720

E. Bedeutung des EU‑Wettbewerbsrechts für das europäische Haftungsrecht Die Entscheidungen des EuGH zum Kartelldeliktsrecht sind nicht nur für das Europäische Wettbewerbsrecht von Bedeutung. Die vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen an die private Kartellrechtsdurchsetzung strahlen zugleich auf das nationale Wettbewerbsrecht und das allgemeine Haftungsrecht der Mitgliedstaaten aus. Die Entscheidungen sowie die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 leisten darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur Herausbildung eines europäischen Haftungsrechts.

I. Ausstrahlung auf das nationale Wettbewerbsrecht Formal gesehen betreffen die Entscheidungen des EuGH nur Verstöße gegen das EU‑Wettbewerbsrecht, nicht aber Verstöße gegen einzelstaatliches Wettbewerbsrecht. Nach Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003 sind die nationalen Gerichte allerdings verpflichtet, bei Anwendung des nationalen Rechts das EU‑Wettbewerbsrecht parallel anzuwenden, wenn sich wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen oder der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung auf den zwischenstaatlichen Handel auswirken können. Bei vertraglichen Wettbewerbsbeschränkungen setzt sich das EU‑Wettbewerbsrecht stets gegenüber abweichendem nationalem Kartellrecht durch (Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003). Für Verstöße gegen das Missbrauchsverbot greift der Anwendungsvorrang zumindest in Form einer Mindestharmonisierung. Nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO 1/2003 bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, strengere Vorschriften zur Unterbindung einseitiger Handlungen zu erlassen oder anzuwenden. Ob Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 auch für Zivilrechtsfolgen gilt, ist ungeklärt. Die Vorschrift will vor allem die Tatbestandsvoraussetzungen der Art. 101, 102 AEUV, nicht jedoch die Rechtsfolgen parallelisieren. Unabhängig von der VO 1/2003 ergibt sich jedoch aus dem Vorrangprinzip, dass die vom EuGH in Courage und Manfredi aufgestellten Mindestanforderungen zur haftungsrechtlichen Durchsetzung nicht durch die Anwendung nationalen Rechts unterlaufen werden dürfen: Verstößt eine Verhaltensweise sowohl gegen europäisches wie auch gegen nationales Wettbewerbsrecht, dürfen die vom Gerichtshof formulierten Kriterien nicht durch minder strenge Rechtsfolgen konterkariert werden. Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 erfasst konsequenterweise auch Zuwiderhandlungen gegen nationales Wettbewerbsrecht, soweit nationale 720   Auf diesen Kompetenzgrundlagen beruht auch die Kartellschadensersatz-RL 2014/104; vgl. auch noch infra, § 11 B.

E. Bedeutung des EU‑Wettbewerbsrechts für das europäische Haftungsrecht

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Wettbewerbsnormen gem. Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003 parallel zu den europäischen Vorschriften angewandt werden.721 Etwas anderes gilt, wenn kein zwischenstaatlicher Bezug vorliegt. In diesem Fall kommt allein nationales Wettbewerbsrecht zur Anwendung, so dass sich auch die Rechtsfolgen allein nach dieser Rechtsordnung richten. De facto besteht indessen in vielen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ein Konformitätszwang. Die meisten Mitgliedstaaten haben ihr nationales Wettbewerbsrecht im Einklang mit dem EU‑Wettbewerbsrecht ausgestaltet. Dies trifft seit der 7. GWB-Novelle722 auch für Deutschland zu. Soweit die Mitgliedstaaten die Vorgaben des EU‑Wettbewerbsrechts über deren unionsrechtlich vorgeschriebenen Anwendungsbereich hinaus übernommen haben (sog. überobligatorische oder autonome Rechtsangleichung), besteht zwar kein unionsrechtlicher Zwang zur primärrechts- und sekundärrechtskonformen Auslegung.723 Aus innerstaatlichem Recht, insbesondere aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitsgrundsatz kann sich jedoch ergeben, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte zu einer unionsrechtsorientierten Auslegung verpflichtet sind, denn anderenfalls käme es zu einer gespaltenen Auslegung zwischen den Bereichen des nationalen Rechts, die unmittelbar dem Unionsrecht unterfallen, und den Bereichen, die im nationalen Recht überobligatorisch angeglichen wurden. In einigen Mitgliedstaaten verpflichten die nationalen Wettbewerbsgesetze ausdrücklich zu einer Auslegung des nationalen Wettbewerbsrechts anhand des Unionsrechts, so insbesondere in Italien, Belgien sowie (in eingeschränktem Umfang) in den Niederlanden.724 Für Deutschland ist ebenfalls davon auszugehen, dass bei Anwendung des § 33 GWB eine gespaltene Auslegung zu vermeiden ist.725 Der deutsche Gesetzgeber wollte mit der „Synchronisierung“ zwischen dem deutschen und dem europäischen Wettbewerbsrecht Wertungswidersprüche vermeiden, Wettbewerbsnachteile für kleinere und mittlere Unternehmen verhindern726 und zugleich einen Beitrag zur Schaffung eines einheitlichen Wettbewerbsrechts in Europa leisten.727 Die Novellierung der in § 33 GWB vorgesehenen zivilrechtlichen Sanktionen erfolgte zudem vor dem Hintergrund der Courage-Entscheidung.728 Dementsprechend ist auch bei Umsetzung der Kartellschadenersatz-RL 2014/104 eine Erstreckung der Richtlinienvorgaben auf rein nationale Sachverhalte empfehlenswert.729

721

  Art. 2 Nr. 3 Kartellschadensersatz-RL 2014/104.  Hierzu supra, § 7 A.IV. 723   Leible/Domröse, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 8 Rn. 43. 724  Vgl. van Gerven, ECLA 2003, 53, 80 (mit Fn. 151); Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht: GWB, 4. Aufl. 2007, Einleitung, Rn. 82. 725   Wie hier Langen/Bunte/Bornkamm, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., 2006, § 33 GWB Rn. 28. 726   BT‑Drucks. 15/3640, S. 21. 727   BT‑Drucks. 15/3640, S. 23. 728   BT‑Drucks. 15/3640, S. 35. 729   Für eine überobligatorische Angleichung auch Stauber/Schaper, NZKart 2014, 346 („zwecks Vermeidung zusätzlicher Komplexität“). 722

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§ 7  Kartellrecht

II. Ausstrahlung auf das nationale Haftungsrecht Die in Courage und Manfredi entwickelten Grundsätze haben zugleich einen „spillover-Effekt“ auf das allgemeine Haftungsrecht der Mitgliedstaaten. Die meisten Mitgliedstaaten kennen bislang keine ausdrückliche Anspruchsgrundlage für Schadensersatzklagen aufgrund der Verletzung des EU‑Wettbewerbsrechts, sondern greifen stattdessen auf allgemeine deliktische Generalklauseln zurück.730 So richtet sich der Schadensersatzanspruch von Kartellgeschädigten etwa in Frankreich,731 Belgien und Luxemburg nach Art. 1382 CC, in Spanien nach Art. 1902 CC732 und in Italien nach Art. 2043 CC.733 In anderen Mitgliedstaaten gelangen Vorschriften zur Anwendung, die wie der „breach of statutory duty“ im englischen Recht734 oder § 1311 S. 2 ABGB in Österreich735 an eine Schutzgesetzverletzung anknüpfen. In England argumentierte der Court of Appeal in seiner Courage-Nachfolgeentscheidung, dass das Verbot der Alleinbezugsvereinbarung (Art. 101 Abs. 1 lit. b AEUV) konkurrierenden Unternehmen den Marktzugang offen halten solle, nicht aber dazu diene, den Gebundenen vor ungünstigen Vertragsbedingungen zu schützen; angesichts der Courage-Entscheidung sah sich das Gericht jedoch gezwungen, von derartigen Schutzzwecküberlegungen Abstand zu nehmen.736 Teils wird im Schrifttum sogar proklamiert, dass im englischen Recht der „breach of EC‑statutory duty“ als neuer tort anerkannt werden solle.737 In Deutschland hat die Courage-Entscheidung dafür gesorgt, dass auf das zuvor bestehende Erfordernis einer Schutzgesetzverletzung (§ 823 Abs. 2 S. 1 BGB) verzichtet wurde und mit § 33 GWB n. F. eine Vorschrift geschaffen wurde, die für Verstöße gegen deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht gleichermaßen Anwendung findet. Die Entwicklungen im Unionsrecht haben insoweit die Herausbildung eines Sonderdeliktsrechts begünstigt. Im Unterschied zu § 823 Abs. 2 S. 1 BGB kommt es nicht mehr darauf an, ob die verletzte Bestimmung dem Schutz des Anspruchstellers dient. Anspruchsberechtigt ist vielmehr jeder Betroffene (§ 33 Abs. 1 S. 1 GWB), und betroffen ist, wer als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist (§ 33 Abs. 1 S. 3 GWB). § 33 GWB ist im Verhältnis zu § 823 Abs. 2 BGB als lex specialis zu verstehen.738 Wie weit sich § 33 GWB tatsächlich vom 730

  Waelbroeck/Slater/Even-Shoshan, Study, 2004, S. 27 ff.  Hierzu Winckler, ECLA 2003, 119, 127 ff.; Idot, in: Basedow (Hrsg.), Private Enforcement of EC Competition Law, 2007, S. 85, 98 ff. 732   Darüber hinaus kommen Schadensersatzansprüche nach spanischem „UWG“ (Art. 15 Abs. 2 Ley de Competencia Desleal) in Betracht; Sancho Gargallo, InDret 1/2009, S. 13 – 15. 733  Hierzu Castronovo, in: Basedow (Hrsg.), Private Enforcement of EC Competition Law, 2007, S. 107, 112 ff. 734   Garden Cottage Foods Ltd v Milk Marketing Board, [1984] AC 130, 141 (HL) (per Lord Diplock); ausführlich Whish, Competition Law, 6. Aufl., 2009, S. 299 f., 301 f. 735   Vgl. OGH 16.12.2002, 16 Ok 10/02; LG Graz 2.4.2004, 30 Cg 145/02a; ausführlich Eilmansberger, Die Bedeutung der Art. 85 und 86 EG‑V für das österreichische Zivilrecht, 1998, S. 121 ff., 126. Parallel hierzu kann ein Verstoß auch über das UWG geahndet werden, vgl. OGH 15.10.2002, 4 Ob 201/02s; HG Wien 1.7.2003, 10 Cg 61/03 f. Seit dem Kartell- und Wettbewerbsrechts-Änderungsgesetz 2012 existiert demgegenüber in § 37a Kartellgesetz eine spezialgesetzliche Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch. 736   Bernard Crehan v Inntrepreneur Pub Co, [2004] EWCA 637, [2004] UKCLR 1500, Rn. 154 –  168. 737   Betlem, (2005) CLJ 126 ff. 738   Hempel, WuW 2004, 362, 367; MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 AEUV Rn. 728; Wiedemann/Topel, Hdb. des Kartellrechts, 2. Aufl., 2008, § 50 Rn. 78; 731

E. Bedeutung des EU‑Wettbewerbsrechts für das europäische Haftungsrecht

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BGB-Deliktsrecht entfernt hat, ist damit noch nicht gesagt. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass mit der Einführung des § 33 GWB das deliktsrechtliche Schutzgesetzprinzip vollständig beseitigt wurde.739 Harm Peter Westermann spricht von einer sonderprivatrechtlichen Deliktsgeneralklausel.740 Karsten Schmidt sieht im Kartellrecht demgegenüber einen „Lehrmeister“ des zivilen Deliktsrechts und plädiert dafür, die zu § 823 Abs. 2 BGB entwickelte Schutznormtheorie im Lichte des § 33 GWB zu modifizieren.741 Wechselwirkungen zwischen § 823 Abs. 2 BGB und § 33 GWB können sich in mehrfacher Hinsicht ergeben. Da § 33 GWB eine spezielle Ausprägung des § 823 Abs. 2 BGB darstellt, liegt zum einen der Rückgriff auf die dort entwickelten Grundsätze nahe, soweit diese mit den Geboten der wirksamen und effektiven Durchsetzung vereinbar sind.742 Zum anderen ist aber auch denkbar, dass § 33 GWB und das in dieser Norm niedergelegte „Betroffenen“-Konzept auf § 823 Abs. 2 BGB zurückwirkt. § 823 Abs. 2 BGB muss als allgemeine Transformationsnorm immer dann unionsrechtskonform ausgelegt werden, wenn es um Verstöße gegen unmittelbar geltendes EU‑Recht geht oder um nationales Transformationsrecht, mit dem Richtlinienvorgaben umgesetzt werden. Soweit nach dem Unionsrecht den „Betroffenen“ klagefähige Rechtspositionen eingeräumt werden müssen, die bei restriktiven Schutzzwecküberlegungen nicht gegeben wären, könnten die Gerichte auf das in § 33 GWB verankerte Modell zurückgreifen, um die Schutznormtheorie zu modifizieren. Darüber hinaus könnte § 33 GWB aber auch für all jene (rein nationalen) Sachverhalte eine Ausstrahlungswirkung entfalten, in denen es um einen nicht notwendig individuell verletzten, aber doch schutzwürdigen Personenkreis geht.

III. Auf dem Weg zu einem europäischen Haftungsrecht Die Entscheidungen Courage und Manfredi leisten einen wichtigen Beitrag zur Herausbildung eines europäischen Schadensersatzrechts.743 Beide Urteile stehen in engem Zusammenhang mit der Rechtsprechung des EuGH zur außervertraglichen Haftung der Union (Art. 340 Abs. 2 AEUV) und der in Francovich entwickelten Staatshaftung. Zwar rekurriert der Gerichtshof weder in Courage noch in Manfredi auf diese Judikatur, soweit es um die Anspruchsvoraussetzungen geht.744 Für den Umfang des zu leistenden Schadensersatzes verweist der Gerichtshof demgegenüber ausdrücklich auf seine Staatshaftungsrechtsprechung, die ihrerseits der Haftung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV nachgebildet ist.745 739   Hempel, WuW 2004, 362, 367; Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 881; MüKo/G. Wagner, 5. Aufl., 2009, § 823 BGB Rn. 336 (Schutzgesetzkonzept ist im Bereich des Kartellrechts „erledigt“). 740   Westermann, AcP 208 (2008), 141, 174. 741   K. Schmidt, AcP 206 (2006), 169, 198 f.; ders., in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 1175, 1186 ff.; ders., ZWeR 2010, 15, 28 f. Vgl. auch Zetzsche, ZHR 179 (2015), 490 ff. 742  MüKo/Säcker/Jaecks, EuWettbR, 2. Aufl., 2015, Art. 101 AEUV Rn. 728. 743   Van Gerven, CMLR 2004, 505, 520 ff.; Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 77 f., 88 ff.; ders., in: Remien (Hrsg.), Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 50 f.; Bulst, ZEuP 2008, 178, 190 ff.; Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 325 ff. 744   Dementsprechend bleibt offen, ob ein „qualifizierter Verstoß“ gegen Art. 101, 102 AEUV ausreicht oder ob die Haftung nach mitgliedstaatlichem Recht (zusätzlich) an ein Verschulden geknüpft werden darf; vgl. supra, § 7 C.VI. 745   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 93, 96 f.

642

§ 7  Kartellrecht

Verbindungslinien zwischen der Haftung Privater bei Verstößen gegen Art. 101, 102 AEUV und der Staatshaftung zeigen sich auch in umgekehrter Richtung. So ging der Gerichtshof beispielsweise in Danske Slagterier davon aus, dass die in Manfredi aufgestellten Grundsätze zur Verjährung entsprechend für die Haftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen das Unionsrecht gelten.746 Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich mit Blick auf das Bereicherungsverbot und das Problem der Schadensabwälzung. Einerseits greift der Gerichtshof für den Kartellschadensersatzanspruch diesbezüglich auf seine Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Erstattungsanspruch zurück.747 Andererseits wirken die zum Kartellrecht ergangenen Urteile ihrerseits auf die Erstattungsrechtsprechung748 sowie auf andere Rechtsgebiete, wie z. B. das Verbraucherrecht749 zurück.

IV. Fazit Die angeführten Entscheidungen verdeutlichen, dass der Gerichtshof die Fortentwicklung des Kartelldeliktsrechts unter Rückgriff auf andere Gebiete des Haftungsrechts vorantreibt und dabei insbesondere Anleihen an der Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV, der Francovich-Haftung sowie der Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Abgaben nimmt. Die im Kartellrecht entwickelten Lösungen wirken ihrerseits auf diese Rechtsgebiete wieder zurück und strahlen gleichzeitig auf andere Bereiche (wie etwa das Verbraucherrecht) aus. Auf diese Weise entstehen allgemeine Haftungskriterien, die als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsprivatrechts von rechtsgebietsübergreifender Bedeutung sein können. Die Heranziehung allgemeiner Rechtsgrundsätze steht freilich immer unter dem Vorbehalt, dass die übertragene Lösung den Besonderheiten des Haftungssystems gerecht wird, in welches sie übertragen wird.750 Die Anerkennung eines „allgemeinen“ Grundsatzes bedeutet nicht automatisch, dass dieser flächendeckend in der gesamten Unionsrechtsordnung Geltung beansprucht. Besondere Vorsicht ist insbesondere bei Haftungselementen geboten, die – wie etwa das Kriterium des „qualifizierten Verstoßes“ – in einem spezifischen, nicht generalisierbaren öffentlich-rechtlichen Kontext entwickelt worden sind.751 Soweit der Gerichtshof elementare Grundsätze des Privatrechts in „öffentlichrechtlicher Einkleidung“752 entwickelt hat, spricht demgegenüber nichts dagegen, diese auf die Haftung Privater zu übertragen. Viele der vom Gerichtshof für das öffentliche Recht entwickelten Haftungselemente wie etwa Rechtswidrigkeit, Schaden, Bereicherungsverbot oder Mitverschulden entstammen ursprünglich dem Privatrecht der Mitgliedstaaten. Die hierzu aufgestellten Grundsätze tragen nicht den 746

  EuGH, Rs. C‑445/08 (Danske Slagterier) Rn.  50 – 52.   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 30; verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 94. Ausführlich supra, § 7 C.V.3.b. 748   Vgl. etwa GA Cruz Villalón, SchlA, Rs. C‑398/09 (Lady & Kid) Rn. 39 (in Fn. 25); GA Kokott, SchlA, Rs. C‑94/10 (Danfoss) Rn.  78 – 83. 749   Vgl. nur GA Trstenjak in den SchlA zur Rs. C‑489/07 (Messner) Rn. 34 und 134 (mit Fn. 108). Ausführlich zum Messner-Urteil infra, § 10 E.IV.3.b. 750   Wie hier Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 89; Bulst, ZEuP 2008, 178, 190 ff.; Metzger, Extra legem, intra ius, 2009, S. 349 f. 751   Hierzu bereits supra, § 7 C.VI. 752  So Metzger, Extra legem, intra ius, 2009, S. 348 ff. 747

E. Bedeutung des EU‑Wettbewerbsrechts für das europäische Haftungsrecht

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Besonderheiten normativen oder judikativen Unrechts Rechnung, sondern könnten als allgemeine Prinzipien auch im privaten Haftungsrecht Geltung beanspruchen. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz der Horizontalhaftung, der auf Schutzzwecküberlegungen gänzlich verzichtet und jedem tatsächlich Betroffenen bei einem Verstoß gegen das Unionsrecht Schadensersatzansprüche einräumt, ist damit nicht verbunden. Ein solches Konzept liefe auf eine unbegrenzte Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden hinaus. Zwar legen die Urteile Courage, Manfredi und Muñoz ein solches Verständnis durchaus nahe, denn der Gerichtshof rekurriert in allen drei Entscheidungen nicht (explizit) auf den Schutzzweck, sondern auf die unmittelbare Wirkung der betreffenden Norm und das Prinzip effektiver Sanktionierung. Auch im Fall Kone ist der EuGH nicht weiter auf die Frage eingegangen, ob bei Prüfung des Kausalzusammenhangs auf Schutzzweckerwägungen zurückzugreifen ist.753 Bereits an anderer Stelle konnte jedoch gezeigt werden, dass nicht jede Verletzung von Unionsnormen eine Haftung auslöst.754 Sowohl die außervertragliche Haftung der Union für normatives Unrecht nach Art. 340 Abs. 2 AEUV755 als auch die unionsrechtliche Haftung der Mitgliedstaaten setzen nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass eine Rechtsnorm verletzt wird, die bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen.756 Für die Haftung Privater kann nichts anderes gelten. Die Kriterien, unter denen eine Norm des Unionsrechts als Schutznorm zu qualifizieren ist, decken sich freilich nicht immer mit dem deutschen Verständnis. Auch hat der EuGH gerade im Kartellrecht bislang nicht erkennen lassen, nach welchen Kriterien der Kreis möglicher Anspruchsberechtigter einzugrenzen ist. In anderen Bereichen hat der Gerichtshof hingegen eine Haftung für Verstöße gegen Vorschriften des Unionsrechts mit der Begründung abgelehnt, dass diese keine Schutznormen sind.757 Die einzelstaatlichen Gerichte sollten dem EuGH daher durch Vorabentscheidungsersuchen die Gelegenheit geben, eine (europäische) Schutznormtheorie auch im Kartellrecht zu entwickeln.

753

 Hierzu supra, § 7 C.III.5.d.  Vgl. supra, §  3 E.V.2. – 3. 755   EuGH, Rs. C‑352/98 P (Bergaderm und Goupil/Kommission) Rn. 42; Rs. C‑312/00 P (Kommission/Camar und Tico) Rn. 53; Rs. C‑472/00 P (Kommission/Fresh Marine) Rn. 25; Rs. C‑282/05 P (Holcim (Deutschland)/Kommission) Rn. 47. 756   EuGH, verb. Rs. C‑6 & 9/90 (Francovich u. a.) Rn. 40; Rs. C‑5/94 (Hedley Lomas) Rn. 25; Rs. C‑140/97 (Rechberger) Rn. 21 f. 757   So etwa bei Verletzung von Kompetenzbestimmungen, welche die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts zum Gegenstand haben, vgl. EuGH, Rs. C‑282/90 (Vreugdenhil) Rn. 20 f.; bei Verletzung von Form- und Verfahrensbestimmungen, vgl. EuGH, Rs. 106/81 (Kind) Rn. 14 und EuGH, Rs. 19/88 (AERPO) Rn. 19; bei Verletzung von Vorschriften, mit denen die staatliche Aufsicht und Kontrolle über Banken, Versicherungen, Börsen und den Wertpapierhandel geregelt wird, vgl. EuGH, Rs. C‑222/02 (Peter Paul) Rn. 25 ff. und 33 ff. 754

§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot A. Private Durchsetzung des Beihilferechts Neben dem Kartellrecht schützen auch die in Art. 107 ff. AEUV normierten beihilferechtlichen Vorschriften den unverfälschten Wettbewerb im Binnenmarkt und flankierend hierzu – wie der EuGH in ständiger Rechtsprechung1 betont – die Interessen derjenigen, die durch eine von der Beihilfemaßnahme verursachten oder bevorstehenden Wettbewerbsverfälschung betroffen sind. Mitgliedstaatliche Beihilfen, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht gewährt werden und den Wettbewerb im Binnenmarkt verfälschen (Art. 107 Abs. 1 AEUV), führen dazu, dass die begünstigten Unternehmen einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber ihren Konkurrenten erlangen. Die hierdurch entstehenden finanziellen Einbußen, die für konkurrierende Unternehmen entstehen, können beträchtlich sein – angefangen vom Verlust von Marktanteilen über Gewinneinbußen bis hin zum Marktaustritt, wenn der Konkurrent aufgrund der rechtswidrigen Beihilfe (beispielsweise wegen Insolvenz) gänzlich aus dem Markt verdrängt wird. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV sieht vor, dass die Mitgliedstaaten neue Beihilfen und modifizierte Beihilfen nicht gewähren dürfen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss (zuvor: Entscheidung) über die Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Binnenmarkt getroffen hat (sog. Durchführungsverbot; Stand-Still-Verpflichtung). Wie der EuGH hervorhebt, überträgt Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV den nationalen Gerichten die Aufgabe, die Rechte des Einzelnen davor zu schützen, dass staatliche Stellen das Verbot der Durchführung der Beihilfen verletzen. Die nationalen Gerichte müssen daher „entsprechend ihrem nationalen Recht sämtliche Folgerungen sowohl bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Beitreibung der unter Verletzung dieser Bestimmung gewährten finanziellen Unterstützungen oder eventueller vorläufiger Maßnahmen ziehen.“2 Die Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot richten sich dementsprechend nach nationalem Recht. Dabei sind jedoch das Effektivitätsgebot und das Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu beachten:3 Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot

1   EuGH, Rs. 120/73 (Lorenz) Rn. 8; Rs. C‑354/90 (FNCE) Rn. 12; verb. Rs. C‑149 – 150/91 (Sanders Adour) Rn. 26; Rs. C‑174/02 (Streekgewest) Rn. 17 ff.; Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 38; Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 26. 2   EuGH, Rs. C‑354/90 (FNCE) Rn. 12. Bestätigt u. a. durch EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 40; verb. Rs.  C‑261 – 262/01 (van Calster) Rn. 64; Rs. C‑368/04 (Transalpine Ölleitung Österreich) Rn. 47; Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 41. 3   Darüber hinaus ist auch dem Äquivalenzgebot Rechnung zu tragen; hierzu bereits supra, § 4 D. Für das Beihilferecht wird dieses Gebot in der Rechtsprechung allerdings seltener genannt; so z. B. in EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 75; EuG, Rs. T‑459/93 (Siemens) Rn. 82.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

wirksam sanktioniert4 und das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht beeinträchtigt wird.5 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche (privatrechtlichen) Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot im Verhältnis zwischen Beihilfegeber und Beihilfenehmer eintreten und welche Rechtsbehelfe Wettbewerber nach dem Unionsrecht haben müssen. In Betracht kommen in erster Linie Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche, mit denen die Auszahlung einer Beihilfe verhindert oder deren Rückzahlung nebst Zinsen an den Beihilfegeber bewirkt werden kann, Schadensersatzansprüche sowie Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes. Die betreffenden Ansprüche könnten sich dabei sowohl gegen den Beihilfegeber oder den Mitgliedstaat als auch gegen den Beihilfenehmer richten. Verlangt das Unionsrecht, dass derartige Rechtsbehelfe im nationalen Recht grundsätzlich vorhanden sein müssen? Welche konkreten Vorgaben trifft das Unionsrecht für die rechtliche Durchsetzung der beihilferechtlichen Vorschriften und wie lassen sich diese Anforderungen im nationalen (deutschen) Recht umsetzen? Ist die private Durchsetzung auf mitgliedstaatlicher Ebene überhaupt geeignet, um der Durchsetzung des EU‑Beihilferechts zum Erfolg zu verhelfen? Eine von der Kommission im Jahre 2005 in Auftrag gegebene und im Jahre 2006 veröffentlichte Studie zur Durchsetzung des Beihilferechts auf nationaler Ebene6 zieht eine ernüchternde Bilanz. In der Praxis spielen Konkurrentenklagen in den Mitgliedstaaten bislang kaum eine Rolle. Von den in der Studie untersuchten über dreihundert Gerichtsentscheidungen ging es in rund 2/3 der Fälle überhaupt nicht um originäre Wettbewerberklagen, sondern um Klagen von Steuerzahlern gegen mutmaßlich diskriminierende Belastungen bzw. Klagen von Beihilfeempfängern gegen die Rückforderung rechtswidriger und nicht mit dem Binnenmarkt vereinbarer Beihilfen. Von den wenigen Konkurrentenklagen, die auf eine Verletzung des Beihilferechts gestützt wurden, waren nur die wenigsten mit Erfolg beschieden. Eine im Jahre 2009 veröffentlichte Aktualisierung dieses Berichts zeichnet ein ähnliches Bild.7 Auch in Deutschland bilden Konkurrentenklagen seit jeher die Ausnahme. Zwar haben sowohl das BVerwG (2010)8 als auch der BGH (2011)9 den drittschützenden Charakter des beihilferechtlichen Durchführungsverbots anerkannt und damit der instanzgerichtlichen Rechtsprechung, die sich über Jahre hartnäckig weigerte, Ansprüche der betroffenen Konkurrenten dem Grunde nach anzuerkennen, ein Ende gesetzt. Nach wie vor wird jedoch die „fehlende Bereitschaft deutscher Gerichte zur Durchsetzung des Beihilferechts“ beklagt,10 teils wird sogar von einer „offenen Verweigerungshaltung der deutschen Rechtsprechung gegenüber dem Beihilferecht“ gesprochen.11  4   Die Anwendung nationalen Rechts darf insbesondere nicht die unionsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung von Beihilfen nicht praktisch unmöglich machen, vgl. EuGH, Rs. C‑24/95 (Alcan II) Rn. 24 m. w. N.  5   EuGH, Rs. C‑174/02 (Streekgewest) Rn. 18.  6   Jestaedt/Derenne/Ottervanger, Study, 2006.  7   Derenne/Kaczmarek/Clovin, Study, 2009.  8   BVerwGE 138, 322 = EuZW 2011, 269 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung).  9   BGHZ 188, 326 = EuZW 2011, 440 (Flughafen Frankfurt-Hahn); BGH, Urt. v. 10.2.2011, Az. I ZR 213/08, BeckRS 2011, 05517 (Flughafen Lübeck). Vgl. ferner BGH, GRUR-RR 2012, 157 (Flughafen Berlin-Schönefeld). 10   Martin-Ehlers, EuZW 2014, 821; ähnlich Kühling, EuZW 2013, 651 f. 11   So z. B. Martin-Ehlers, EuZW 2013, 247, 252.

A. Private Durchsetzung des Beihilferechts

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Im Schrifttum wird bereits seit geraumer Zeit darüber diskutiert, wie die Belange der Konkurrenten besser vor den nationalen Gerichten geschützt werden könnten.12 Auch die Kommission hat in den letzten Jahren intensiv versucht, die private Rechtsdurchsetzung im Bereich des Beihilferechts zu stärken, und zu diesem Zweck im Jahre 2009 eine Mitteilung publiziert, in der mögliche Ansprüche von Konkurrenten erörtert werden.13 Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich in besonderem Maße auf den Rechtsschutz vor den Zivilgerichten, der vor allem dann bedeutsam wird, wenn die Beihilfe nicht durch öffentlich-rechtliches Handeln, sondern durch einen privatrechtlichen Vertrag gewährt wird. In diesem Fall richtet sich nämlich die Rückabwicklung rechtswidriger Beihilfen als actus contrarius in Deutschland und in vielen anderen Mitgliedstaaten ebenfalls nach zivilrechtlichen Vorschriften.14 Dies ist nach Ansicht des EuGH zulässig, sofern die Mitgliedstaaten eine fristgerechte Rückabwicklung sicherstellen.15 Auch der Rechtsschutz von Konkurrenten gegen den Beihilfeempfänger ist in den meisten Mitgliedstaaten – ungeachtet der Beihilfeform – vor den Zivilgerichten zu suchen. In Deutschland wird zudem die Durchsetzung von Staatshaftungsansprüchen den Zivilgerichten zugewiesen.16 Um die Vorgaben des Unionsrechts für das (deutsche) Zivilrecht darzustellen, ist in einem ersten Schritt auf die Aufgabenverteilung zwischen den nationalen Gerichten und der Kommission einzugehen (B.). Im Anschluss ist sodann zu fragen, welche (privatrechtlichen) Rechtsfolgen sich nach Unionsrecht und deutschem Recht im Verhältnis zwischen Beihilfegeber und Beihilfenehmer für die Gültigkeit rechtswidriger Beihilfemaßnahmen ergeben und welche Besonderheiten bei einer etwaigen Rückabwicklung der Verträge nach Bereicherungsrecht zu beachten sind (C.). Vor diesem Hintergrund können die rechtlichen Anforderungen an den mitgliedstaatlichen Rechtsschutz analysiert und die praktischen Probleme der Konkurrentenklage näher beleuchtet werden (D.).

12  Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Beljin, Europarecht, 2. Aufl. 2010, § 28 Rn. 264 ff.; Lübbig/MartínEhlers, Beihilfenrecht der EU, 2. Aufl. 2009, Rn. 1017 ff.; Schmidt-Kötters, in: Heidenhain (Hrsg.), Hdb. des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 58. Monografisch Sasserath, Schadensersatzansprüche, 2001; Staebe, Rechtsschutz, 2001; Nordmann, Die negative Konkurrentenklage, 2002; Geburtig, Konkurrentenrechtsschutz aus Art. 88 Abs. 3 S. 3 EGV, 2004. 13   Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. 2009 C 85/1. Hierzu Brandtner/Beranger/Lessenich, EStAL 2010, 23 ff.; Filpo, EStAL 2010, 323 ff. 14   Jestaedt/Derenne/Ottervanger, Study, 2006, S. 44. Für Deutschland siehe Schulze/Zuleeg/ Kadelbach/Beljin, Europarecht, 2. Aufl., 2010, § 28 Rn. 270 m. w. N. Abweichend hiervon geht das OVG Berlin-Brandenburg, NVwZ 2006, 104 = EuZW 2006, 91, davon aus, dass materiell rechtswidrige Beihilfen, die auf vertraglicher Basis gewährt wurden, durch Verwaltungsakt zurückgefordert werden können; zu Recht ablehnend Hildebrandt/Castillon, NVwZ 2006, 298 ff.; Uwer/Wodarz, DÖV 2006, 989 ff.; Herrmann/Kruis, EuR 2007, 141 ff. 15   EuGH, Rs. C‑527/12 (Kommission/Deutschland) Rn. 39, 44, 55 ff. (zur innerstaatlichen Durchsetzung von Negativentscheidungen der Kommission). Vertiefend Karpenstein/Corzilius, EuZW 2014, 827 f. 16   Für den Staatshaftungsanspruch aus § 839 i. V. m. 34 GG ist der ordentliche Rechtsweg zwingend, vgl. Art. 34 S. 3 GG; § 17 Abs. 2 S. 2 GVG. Für den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch i. S. der Francovich-Rechtsprechung vgl. Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 2158.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

B. Aufgabenverteilung zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH obliegt die unionsrechtlich gebotene Kontrolle nationaler Beihilfen sowohl der Kommission als auch den nationalen Gerichten, wobei ihnen ergänzende, aber unterschiedliche Rollen zufallen.17 Während die Kommission verpflichtet ist, die materielle Vereinbarkeit der Beihilfe mit Art. 107 Abs. 2 – 3 AEUV zu prüfen (I.), müssen die nationalen Gerichte bis zu einem abschließenden Beschluss der Kommission die Rechte der Wettbewerber bei einer Verletzung des Durchführungsverbots (Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV) schützen (II.). Diese Abgrenzung wirft in der Praxis erhebliche Probleme auf, wenn die Europäische Kommission und die einzelstaatlichen Gerichte unterschiedlicher Auffassung darüber sind, ob überhaupt eine Beihilfe vorliegt (III.).

I. Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit durch die Kommission Die Hauptaufgabe der Kommission besteht darin, die materielle Vereinbarkeit der (geplanten) Beihilfemaßnahmen mit dem Binnenmarkt anhand der in Art. 107 Abs. 2 – 3 AEUV niedergelegten Maßstäbe zu prüfen. Beihilfen, die den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV verwirklichen, sind mit dem Binnenmarkt grundsätzlich unvereinbar und dementsprechend verboten. Eine Beihilfe kann jedoch rechtmäßig sein, wenn die in Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV aufgeführten Ausnahmen greifen. Besondere praktische Bedeutung kommt vor allem dem Ausnahmetatbestand des Art. 107 Abs. 3 AEUV zu. Nach dieser Vorschrift hat die Kommission die Möglichkeit, bestimmte Beihilfen nach ihrem Ermessen für mit dem Binnenmarkt vereinbar zu erklären. Dazu zählen unter anderem Beihilfen zur Förderung bestimmter Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft (lit. c) sowie Beihilfen zur Behebung einer Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats (lit. b). Während die zuerst genannte Ausnahme in der Vergangenheit regelmäßig Anwendung fand, um sog. Rettungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen nach Maßgabe der entsprechenden Kommissionsleitlinien durchzuführen,18 greift die Kommission seit Ende 2008 in großem Stil auf die zuletzt genannte Ausnahme zurück, um die Folgen der Finanz- und Staatsschuldenkrise zu bewältigen.19 Nach Auffassung des EuGH steht der Kommission grundsätzlich ein weites Ermessen zu, wenn sie staatliche Beihilfen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 Abs. 3 AEUV prüft.20 Begründet wird dies mit dem Wortlaut 17   EuGH, Rs. C‑284/12 (Deutsche Lufthansa) Rn. 27 m. w. N. Vgl. ferner die Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilferechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. 2009 C 85/1, 2 ff. 18   Mitteilung der Kommission „Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten“, ABl. 2004 C 244/2; nunmehr: Mitteilung der Kommission „Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten“, ABl. 2014 C 249/1. 19   Ausführlich zu diesen Maßnahmen Arhold, EuZW 2008, 713 ff.; Soltész/von Köckritz, EuZW 2010, 167 ff.; Herrmann, WiVerw 2010, 36 ff.; Koenig/Soltész, WM 2013, 145 ff. 20   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 36; Rs. C‑278/00 (Griechenland/Kommission) Rn. 97.

B. Aufgabenverteilung zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten

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der Vorschrift21 und der Erwägung, dass die dort aufgezählten Fallgruppen ausfüllungsbedürftige Begriffe enthalten, die eine komplexe Abwägung nach Maßgabe wirtschaftlicher und sozialer Wertungen im Gemeinschaftskontext erfordern.22 Demzufolge dürfen die Unionsgerichte die von der Kommission getroffene Ermessensentscheidung nicht durch ihre eigene ersetzen, sondern nur prüfen, ob die Beurteilung offensichtlich fehlerhaft oder ermessensmissbräuchlich ist.23 Die einzelstaatlichen Gerichte sind demgegenüber überhaupt nicht befugt, sich zur materiellen Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahme mit dem Binnenmarkt zu äußern. Die nach Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV vorzunehmende Prüfung fällt nach der Rechtsprechung des EuGH in die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission und unterliegt nur einer Kontrolle durch die Unionsgerichte.24 Allein die Kommission soll und kann über die materielle Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt unter Berücksichtigung der vielschichtigen und raschen Änderungen unterliegenden wirtschaftlichen Gegebenheiten entscheiden. Das allgemeine Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt aus diesem Grund auch nicht die Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung.25 Dem Einzelnen ist es daher verwehrt, sich in einem Verfahren vor den nationalen Gerichten direkt auf Art. 107 Abs. 1 AEUV zu berufen.26 Stellt die Kommission fest, dass eine Beihilfe mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist oder missbräuchlich angewendet wird, so entscheidet sie, dass der betreffende Staat sie binnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat (Art. 108 Abs. 2 AEUV). Hat der Mitgliedstaat die Beihilfe bereits gewährt, erlässt die Kommission einen Rückforderungsbeschluss.27 Der betreffende Mitgliedstaat muss in diesem Fall nach nationalem Recht alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Beihilfe vom Empfänger nebst Zinsen zurückzufordern. Mitgliedstaatliche Regelungen, die der Rückforderung einer materiell rechtswidrigen Beihilfe entgegenstehen, müssen gegebenenfalls unangewendet bleiben oder können nur modifiziert zur Anwendung kommen.28 Der Durchsetzung eines bestandskräftigen Rückforderungsbeschlusses der Kommission kann insbesondere nicht die Rechtskraft eines nationalen (Zivil‑)Urteils entgegengehalten werden, das die Rückforderung behindert.29

21

  EuGH, Rs. 730/79 (Philip Morris) Rn. 17; Rs. C‑91/01 (Italien/Kommission) Rn. 44.   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 36; Rs. C‑66/02 (Italien/Kommission) Rn. 135 23   EuGH, Rs. C‑310/99 (Italien/Kommission) Rn. 58; Rs. C‑278/00 (Griechenland/Kommission) Rn. 97. 24   EuGH, Rs. C‑354/90 (FNCE) Rn. 14; Rs. C‑17/91 (Lornoy u. a.) Rn. 30; Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 38. 25   EuGH, Rs. 77/72 (Capolongo) Rn. 6; Rs. 78/76 (Steinike & Weinlig) Rn. 8 f. Besonders deutlich GA Roemer, der in seinen SchlA zu Capolongo ausführt, dass aufgrund der komplizierten Ausnahmeregelungen der Art. 107 Abs. 2 – 3 AEUV keine unbedingte Verpflichtung im Sinne der Van GendRechtsprechung vorliegt. 26   EuGH, Rs. 78/76 (Steinike & Weinlig) Rn. 10. 27   Vgl. Art. 14 BeihVerf-VO 659/1999, zuletzt geändert durch Verordnung Nr. 734/2013, ABl. 2013 L 204/15. 28  EuGH, Rs. 310/85 (Deufil); Rs. 94/87 (Primäraluminium); Rs. C‑5/89 (BUG-Alutechnik); Rs. C‑24/95 (Alcan II); Rs. C‑232/05 (Kommission/Frankreich – „Scott Paper“) Rn. 53. 29   EuGH, Rs. C‑119/05 (Lucchini) Rn. 63; EuG, Rs. T‑309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung) Rn. 235 ff., 241. Bestehen nach innerstaatlichem Recht anderweitige Möglichkeiten zur Herstellung eines EU‑beihilferechtskonformen Zustands, ist eine Rechtskraftdurchbrechung nicht erforderlich; vgl. EuGH, Rs. C‑507/08 (Kommission/Slowakei) Rn. 60; hierzu Kühling/Schwendinger, EWS 2015, 1, 5 f. Allgemein zu Fragen der Rechtskraft supra, § 5 B.II.3. 22

650

§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

II. Sanktionierung formell rechtswidriger Beihilfen durch die mitgliedstaatlichen Gerichte Von dem materiellen Beihilfeverbot ist die verfahrensrechtliche Seite der Beihilfegewährung zu unterscheiden. Art. 108 Abs. 2 AEUV, ergänzt durch die BeihVerfVO 659/99 und die dazugehörige Durchführungs-VO 794/2004,30 regelt das förmliche Beihilfekontrollverfahren. Um der Kommission eine Entscheidung über die Vereinbarkeit (geplanter) Beihilfemaßnahmen zu ermöglichen, verpflichtet Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV die Mitgliedstaaten, neue Beihilfen oder geänderte alte Beihilfen der Kommission gegenüber anzuzeigen (Notifizierungspflicht). Gleichzeitig gilt bis zur Genehmigung einer Beihilfe durch die Kommission das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV: Der Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat. Da der Mitgliedstaat aus der Verletzung der Anmeldepflicht keine Vorteile ziehen soll, gilt das Durchführungsverbot selbstverständlich erst recht, wenn die Beihilfe überhaupt nicht notifiziert wurde.31 Von der Anmelde- und Genehmigungspflicht ausgenommen sind demgegenüber Beihilfen, die unter die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung fallen.32 Gleiches gilt nach der De-Minimis-Verordnung33 für Beihilfen, die eine Gesamtsumme von 200.000 Euro in einem Zeitraum von drei Steuerjahren nicht überschreiten. Das Durchführungsverbot soll sicherstellen, dass die wettbewerbsverzerrenden Wirkungen einer Beihilfe nicht eintreten, bevor die Kommission das Vorhaben im Einzelnen prüfen und gegebenenfalls das in Art. 108 Abs. 2 AEUV vorgesehene Verfahren einleiten kann.34 Da bis zu einem bestandskräftigen Beschluss der Kommission unter Umständen mehrere Jahre vergehen können, soll das Durchführungsverbot einen Vorgriff des Mitgliedstaates auf die allein der Kommission (und den Unionsgerichten) vorbehaltene Entscheidung über die Zulässigkeit der Beihilfe verhindern. Verletzt ein Mitgliedstaat das Durchführungsverbot, so ist die Beihilfe bis zum Erlass eines Beschlusses durch die Kommission formell rechtswidrig.35 Die Kommission kann in dieser Zwischenzeit nur begrenzt tätig werden. Zwar wurden die Ermittlungsbefugnisse der Kommission durch die Novellierung der BeihVerf-VO 659/99 im Jahre 2013 beträchtlich erweitert.36 Nach wie vor hat die Kommission jedoch nicht 30   Verordnung Nr. 794/2004 zur Durchführung der Verordnung Nr. 659/1999 des Rates über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG‑Vertrags, ABl. 2004 L 140/1, zuletzt geändert durch Verordnung Nr. 372/2014, ABl. 2014 L 109/14. 31   EuGH, Rs. C‑354/90 (FNCE) Rn. 11; Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 39. 32   Art. 3 Allgemeine Gruppenfreistellungs-VO 651/2014, ABl. 2014 L 187/1. Mit der zum 1.7.2014 in Kraft getretenen Verordnung wurde die Allgemeine Gruppenfreistellungs-VO Nr. 800/2008, ABl. 2008 L 214/3, abgelöst. Jene hatte erstmals alle früheren Gruppenfreistellungen unter Einbeziehung neuer Maßnahmebereiche in einem einzigen Instrument zusammengefasst. Mit der neuen VO 651/2014 wurde der Anwendungsbereich nochmals deutlich erweitert; Überblick bei Soltész, EuZW 2015, 127, 131. 33   Art. 3 Abs. 2 De-Minimis-VO 1407/2013, ABl. 2013 L 352/1. 34   EuGH, Rs. C‑301/87 (Frankreich/Kommission – „Boussac“) Rn. 17; Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 36. 35   Art. 1 lit. f BeihVerf-VO 659/99 bezeichnet neue Beihilfen, die unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot eingeführt werden, allgemein als „rechtswidrig“. 36   Art. 6a der neuen BeihVerf-VO 659/1999 i. d. F. der VO 734/2013 gibt der Kommission nunmehr das Recht, nach Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens insbesondere in technisch komplexen Fällen direkt Fragen an Dritte, wie z. B. Beihilfeempfänger, Wettbewerber, Verbände, etc. zu

B. Aufgabenverteilung zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten

651

das Recht, eine Beihilfe schon allein wegen Verletzung des Durchführungsverbots für mit dem Binnenmarkt unvereinbar zu erklären.37 Die Kommission darf die Beihilfe nur am inhaltlichen Maßstab des Art. 107 AEUV messen. Der bloß formelle Verstoß gegen das Durchführungsverbot berechtigt die Kommission daher nicht, eine endgültige Rückforderung der Beihilfe anzuordnen. Nach der Beihilfeverfahrens-Verordnung besteht für die Kommission allerdings die Möglichkeit, dem Mitgliedstaat vorläufig aufzugeben, ggf. noch ausstehende weitere Zahlungen auszusetzen (Aussetzungsanordnung).38 In besonderen Sachlagen kann die Kommission den Mitgliedstaat ferner verpflichten, alle rechtswidrigen Beihilfen einstweilen zurückzufordern, bis die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat. Der Erlass einer solchen Rückforderungsanordnung setzt indessen voraus, dass hinsichtlich des Beihilfecharakters der betroffenen Maßnahme keinerlei Zweifel besteht, ein Tätigwerden dringend geboten ist und ein erheblicher und nicht wiedergutzumachender Schaden für einen Konkurrenten ernsthaft zu befürchten ist.39 Angesichts der beschränkten Befugnisse der Kommission betont der EuGH, dass das in Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV enthaltene Durchführungsverbot unmittelbare Wirkung besitzt und Rechte des Einzelnen begründet, die von den nationalen Gerichten zu beachten sind.40 Nach Auffassung des Gerichtshofs entbindet auch die Einleitung eines Prüfungsverfahrens durch die Kommission die nationalen Gerichte nicht von ihrer Verpflichtung, einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot eigenständig zu sanktionieren.41 Besteht die Wahrscheinlichkeit, dass eine gewisse Zeit verstreichen wird, bevor die Kommission abschließend entscheiden wird, so muss das nationale Gericht vielmehr vorläufige Maßnahmen anordnen, um die Interessen der Beteiligten zu schützen. In der Rechtssache CELF II beschreibt der Gerichtshof die Aufgabe der nationalen Gerichte wie folgt:42 „Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG [Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV] liegt der Sicherungszweck zugrunde, zu gewährleisten, dass eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe niemals durchgeführt wird. (. . .) Gegenstand der Aufgabe der nationalen Gerichte ist somit die Anordnung von Maßnahmen, die geeignet sind, die Rechtswidrigkeit der Beihilfen zu beseitigen, damit der Empfänger in der bis zur Entscheidung der Kommission noch verbleibenden Zeit nicht weiterhin frei über sie verfügen kann.“

Daraus folgt zugleich, dass ein nationales Gericht die Entscheidung über eine Klage auf Rückzahlung einer rechtswidrigen staatlichen Beihilfe nicht aussetzen darf,43 bis eine bestandskräftige Entscheidung der Kommission oder des Gerichtshofs der Europäischen Union über die materiell-rechtliche Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt vorliegt.44 Die Aussetzung des Verfahrens führte nämlich dazu, dass vor richten. Bei Nichtbeantwortung oder unrichtiger Beantwortung können nach Art. 6b BeihVerf-VO sogar Geldbußen und Zwangsgelder verhängt werden. Vertiefend Nehl, EStAL 2014, 235 ff. 37   EuGH, Rs. C‑301/87 (Frankreich/Kommission – „Boussac“) Rn. 19 – 21; Rs. 142/87 (Belgien/ Kommission – „Tubemeuse“) Rn. 11 ff., 20; Rs. C‑354/90 (FNCE) Rn. 13; Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 43; verb. Rs.  C‑261 – 262/01 (van Calster) Rn. 76. 38   Art. 11 Abs. 1 BeihVerf-VO 659/1999. 39   Art. 11 Abs. 2 BeihVerf-VO 659/1999; vgl. auch Kiethe, RIW 2003, 782, 784. 40   EuGH, Rs. 120/73 (Lorenz) Rn. 8; Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 38; Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 26. 41   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 44. 42   EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn.  29 – 30. 43   Für das deutsche Recht vgl. § 148 ZPO, § 94 VwGO. 44   EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 32, 39 – 40. Vgl. auch BGH, NVwZ-RR 2012, 960 ff.

652

§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

Erlass des Kommissionsbeschlusses gar keine Entscheidung über die Begründetheit der erhobenen Klage erginge. Sie liefe – wie der Gerichtshof in CELF II betont – darauf hinaus, dass der Vorteil der Beihilfe während des Zeitraums des Durchführungsverbots beim Beihilfeempfänger verbliebe. Gerade dies wäre aber mit dem Grundsatz der Effektivität unvereinbar.

III. Probleme der Aufgabenverteilung Die zuvor beschriebene Aufgabenverteilung zwischen der Kommission und den mitgliedstaatlichen Gerichten bereitet in der Praxis Probleme, wenn nicht ohne Weiteres festgestellt werden kann, ob eine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt. 1. Bisherige Rechtslage Der EuGH ging bislang davon aus, dass eine Verpflichtung der nationalen Gerichte zur Sanktionierung von Verstößen gegen das Durchführungsverbot nur dann besteht, wenn die staatliche Hilfe eindeutig als Beihilfe qualifiziert werden kann.45 Gleichzeitig hob der Gerichtshof hervor, dass sowohl die einzelstaatlichen Gerichte als auch die Kommission befugt sind, den Begriff der staatlichen Beihilfe auszulegen.46 Diese doppelte Aufgabenzuweisung führte in der Vergangenheit nicht nur zu divergierenden Entscheidungen, wenn die einzelstaatlichen Gerichte eine Beihilfe und dementsprechend einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot verneinten und die Kommission oder die Unionsgerichte die Maßnahme prüften und eine vom nationalen Gericht abweichende Auffassung vertraten.47 Vielmehr bestand zugleich die Gefahr, dass der Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten erheblich verzögert und dadurch entwertet wurde. Zwar können die einzelstaatlichen Gerichte die Kommission nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) um eine Stellungnahme ersuchen, wenn Zweifel bestehen, ob eine staatliche Beihilfe vorliegt. Die Kommission hat in ihrer Bekanntmachung über die „Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte“48 die nationalen Gerichte ausdrücklich dazu aufgefordert, sich mit ihr in Verbindung zu setzen, wenn sie bei der Anwendung des Art. 108 Abs. 3 AEUV auf Schwierigkeiten stoßen, und erläutert, welcher Art die Auskünfte sind, die sie erteilen kann. Auch stellte der Gerichtshof bereits im Jahre 1996 fest, dass die Kommission derartige Anfragen nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sobald wie möglich zu beantworten hat.49 Angesichts der teils sehr langen Dauer der Prüfverfahren der Kommission bieten Antworten der Kommission in einem frühen Verfahrensstadium allerdings nur eine geringe Sicherheit. Eine von der Kommission abgegebene Stellungnahme ist für die mitgliedstaatlichen Gerichte zudem ohne Bindungswirkung.50 Auch für Eröff45

  EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 36.   EuGH, Rs. 78/76 (Steinike & Weinlig) Rn. 14; Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 49; Rs. C‑354/90 (FNCE) Rn. 10; Rs. C‑368/04 (Transalpine Ölleitung) Rn. 39. 47   Schmidt-Kötters, in: Heidenhain (Hrsg.), Hdb. des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 56 Rn. 13; Sinnaeve, EuZW 1996, 569 f. 48   ABl. 2009 C 85/1, 18 ff. (insb. Rn. 89 ff.). 49   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 50. 50   Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. 2009 C 85/1, 21 (Rn. 93). Zu Negativentscheidungen der Kommission vgl. 46

B. Aufgabenverteilung zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten

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nungsentscheidungen der Kommission wurde bislang keine Bindungswirkung angenommen.51 Einzige Möglichkeit, die parallele Zuständigkeit der einzelstaatlichen Gerichte einerseits und der Kommission andererseits in rechtlicher Hinsicht zu koordinieren, war daher ein Vorabentscheidungsersuchen des einzelstaatlichen Gerichts zur Auslegung des Beihilfebegriffs. Auf diesem Wege können die beschriebenen Pro­bleme jedoch letztlich nicht bewältigt werden. Zum einen tritt mit der Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens ein erheblicher Zeitverlust ein, der die Effektivität des Rechtsschutzes vor den nationalen Gerichten beeinträchtigt. Zum anderen stößt das Vorlageverfahren gerade bei schwierigen Fallgestaltungen an seine Grenzen. Zwar sind die einzelnen Beihilfemerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV grundsätzlich voll gerichtlich überprüfbar; der Gerichtshof der Europäischen Union räumt der Kommission jedoch ein Ermessen ein, wenn eine „komplexe wirtschaftliche Beurteilung“ erforderlich ist.52 Der Gerichtshof kann daher dem Beschluss der Kommission nicht vorgreifen und selbst die erforderliche Ermessensentscheidung treffen. 2. Neuere EuGH-Rechtsprechung: Bindungswirkung von Eröffnungsbeschlüssen der Kommission Der EuGH versucht die beschriebenen Probleme in seiner neueren Rechtsprechung dadurch in den Griff zu bekommen, dass Entscheidungen der Kommission, mit denen das in Art. 108 Abs. 2 AEUV vorgesehene förmliche Prüfverfahren eröffnet wird, eine Bindungswirkung zugesprochen wird: Sofern die Kommission ein förmliches Prüfverfahren eröffnet hat und zu der vorläufigen Bewertung gelangt ist, dass die Maßnahme Beihilfeelemente enthält, sind die nationalen Gerichte nach den Urteilen Deutsche Lufthansa53 vom 21. November 2013 und Flughafen Lübeck54 vom 4. April 2014 dazu verpflichtet, „alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Konsequenzen aus einem eventuellen Verstoß gegen die Pflicht zur Aussetzung der Durchführung dieser Maßnahme zu ziehen“. Der EuGH begründet diese Bindungswirkung mit der praktischen Wirksamkeit des Durchführungsverbots.55 Einzelstaatliche Gerichte könnten ansonsten den Beihilfecharakter einer Maßnahme ablehnen, obwohl die Kommission in ihrem Eröffzudem EuGH, Rs. C‑69/13 (Mediaset) LS 1: Das nationale Gericht ist an eine Negativentscheidung der Kommission zwar gebunden, nicht jedoch an von der Kommission im Rahmen der Durchführung der Entscheidung abgegebene Stellungnahmen. 51   Vgl. nur Arhold, EWS 2011, 209, 215; Bartosch, RIW 2011, 577, 582 ff., 587; Soltész, EuR 2012, 60, 63 f. Nach BGH, NVwZ-RR 2012, 960, 962, Rn. 14, soll selbst eine verfahrensabschließende Entscheidung der Kommission, die vor dem EuG angefochten worden ist, keine Bindungswirkung entfalten, da der „Europäischen Kommission und damit ebenfalls dem EuGH (. . .) kein Auslegungsvorrang gegenüber den nationalen Gerichten zu[kommt]“; vielmehr seien „die nationalen Gerichte (. . .) ebenso wie die Kommission befugt und verpflichtet, den Begriff der staatlichen Beihilfe (. . .) auszulegen“; dazu Bartosch, EuZW 2013, 208 ff. Für eine Übertragung der im Kartellrecht entwickelten Masterfoods-Rechtsprechung auf beihilferechtliche Eröffnungsentscheidungen dagegen MartinEhlers, EuZW 2011, 583, 588. 52   EuG, Rs. T‑67/94 (Ladbroke Racing/Kommission) Rn. 52; verb. Rs. T‑228  & 233/99 (Westdeutsche Landesbank/Kommission) Rn. 282; Rs. T‑1/08 (Buczek Automotive/Kommission) Rn. 82; Rs. T‑196/04 (Ryanair/Kommission) Rn. 41. EuGH, Rs. C‑73/11 P (Frucona Košice) Rn. 74 f. m. w. N. 53   EuGH, Rs. C‑284/12 (Deutsche Lufthansa) LS 1; Herv. hinzugefügt. 54   EuGH, Rs. C‑27/13 (Flughafen Lübeck) LS 1; Herv. hinzugefügt. 55   EuGH, Rs. C‑284/12 (Deutsche Lufthansa) Rn. 38 ff.; Rs. C‑27/13 (Flughafen Lübeck) Rn. 21 ff.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

nungsbeschluss festgestellt hat, dass die betreffende Maßnahme (eventuell) Beihilfeelemente aufweise. Selbst wenn die Kommission in ihrem endgültigen Beschluss zu dem Ergebnis gelange, dass keine Beihilfeelemente vorlägen, dürften die nationalen Gerichte keine endgültigen Fakten schaffen, bis eine abschließende Entscheidung der Kommission vorliege. Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) müssten die nationalen Gerichte es insbesondere unterlassen, „Entscheidungen zu treffen, die einer Entscheidung der Kommission zuwiderlaufen, selbst wenn sie nur vorläufigen Charakter hat“.56 Damit steht fest, dass die einzelstaatlichen Gerichte an die im Eröffnungsbeschluss enthaltene vorläufige Qualifizierung als Beihilfe gebunden sind und dem Durchführungsverbot durch geeignete Maßnahmen Geltung verschaffen müssen, wenn ein Wettbewerber auf Unterlassung der Durchführung der betreffenden Maßnahme und auf Rückforderung bereits geleisteter Zahlungen klagt. Vor Erlass eines Eröffnungsbeschlusses ist es dagegen Sache der nationalen Gerichte zu prüfen und zu entscheiden, ob eine Maßnahme als Beihilfe anzusehen ist.57 Die Bindungswirkung kann sich ferner nur auf diejenigen Ausführungen des Eröffnungsbeschlusses beziehen, die sich konkret mit dem Beihilfecharakter auseinandersetzen.58 Sind dem Beschluss keine klaren Ausführungen zu entnehmen, ob oder in welchem Umfang nach Ansicht der Kommission eine Beihilfe vorliegt, so können bzw. müssen die einzelstaatlichen Gerichte ein Vorabentscheidungsverfahren einleiten.59 Hinsichtlich der Maßnahmen, die von den einzelstaatlichen Gerichten zu treffen sind, stellt der Gerichtshof klar, dass die nationalen Gerichte beschließen können, „die Durchführung der in Rede stehenden Maßnahmen auszusetzen und die Rückforderung der bereits gezahlten Beträge anzuordnen. Sie können auch beschließen, einstweilige Maßnahmen zu erlassen, um zum einen die Interessen der beteiligten Parteien und zum anderen die praktische Wirksamkeit der Entscheidung der Kommission, das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen, zu wahren.“60 Der EuGH räumt den nationalen Gerichten damit Ermessen ein.61 Sie können zwischen der Aussetzung der Beihilfe, der Rückforderung der Beihilfe oder einstweiligen Maßnahmen (bspw. Einzahlung der Beträge auf ein Sperrkonto) wählen. In jedem Fall müssen die nationalen Gerichte jedoch handeln. Eine Aussetzung der einzelstaatlichen Entscheidung bis zum Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens ist demgegenüber unzulässig.62 56

  EuGH, Rs. C‑284/12 (Deutsche Lufthansa) Rn. 41; Rs. C‑27/13 (Flughafen Lübeck) Rn. 24.   EuGH, Rs. C‑284/12 (Deutsche Lufthansa) Rn. 34 f. Hat ein nationales Gericht vor der Eröffnungsentscheidung ohne Prüfung der Beihilferechtswidrigkeit die Wirksamkeit eines Vertrages festgestellt, so darf die Rechtskraft dieses (ersten) Urteils die nationalen Gerichte nicht daran hindern, die Beihilferechtswidrigkeit in einem (zweiten) Urteil festzustellen; EuGH, Rs. C‑505/14 (Klausner Holz Niedersachen). 58   Fronczak, EuR 2014, 576, 585; Giesberts/Kleve, EuZW 2014, 643, 645. 59   EuGH, Rs. C‑284/12 (Deutsche Lufthansa) Rn. 44. 60   EuGH, Rs. C‑284/12 (Deutsche Lufthansa) Rn. 43; Rs. C‑27/13 (Flughafen Lübeck) Rn. 26 Herv. hinzugefügt. 61   Wie hier Fronczak, EuR 2014, 576, 583 f.; Ghazarian, EStAL 2014, 108, 110; Giesberts/Kleve, NVwZ 2014, 643, 644. A. A. v. Bonin/Wittenberg, EuZW 2014, 68, 69 (Nationale Gerichte „müssen“ vorläufige Rückforderungsanordnungen treffen); Martin-Ehlers, EuZW 2014, 247, 249 (unbedingte Rückforderung bzw. Aussetzung der Beihilfe ist erforderlich). 62   EuGH, Rs. C‑27/13 (Flughafen Lübeck) Rn. 30 ff. Ob dies auch dann gilt, wenn das einzelstaatliche Gericht Zweifel am Beihilfecharakter oder bzgl. der Gültigkeit oder Auslegung der Eröffnungsentscheidung hat und deswegen ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH einleitet, ist bislang offen; Giesberts/Kleve, EuZW 2014, 643, 645. 57

C. Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen

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3. Auswertung Die Entscheidungen Deutsche Lufthansa und Flughafen Lübeck verstärken die private Rechtsdurchsetzung im Beihilferecht. Betroffene Konkurrenten können gegen staatliche Zuwendungen bereits dann vorgehen, wenn noch gar nicht feststeht, ob überhaupt eine Beihilfe gewährt worden ist. Ausreichend ist ein Eröffnungsbeschluss, in welchem die Kommission vorläufig feststellt, dass die betreffende Maßnahme Beihilfeelemente enthält. Wettbewerber können sich damit vor einer etwaigen, möglicherweise irreversiblen Wettbewerbsverzerrung schützen, ohne den Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens abwarten zu müssen. Dies ist aus der Perspektive der betroffenen Konkurrenten uneingeschränkt zu begrüßen. Problematisch bleibt, dass der EuGH den Interessen des (vermeintlichen) Beihilfeempfängers kaum Rechnung trägt.63 Stellt die Kommission in ihrem endgültigen Beschluss fest, dass die fragliche Maßnahme doch keine Beihilfe ist, können schwere irreparable Nachteile für den Zuwendungsempfänger entstehen, wenn die Zuwendung allein auf der Grundlage eines Eröffnungsbeschlusses ausgesetzt oder rückabwickelt wird.64 Insgesamt betrachtet handelt es sich dabei allerdings um Ausnahmen. Zum einen besteht die Gefahr einer unterschiedlichen Beurteilung des Beihilfecharakters nur in ernsthaft zweifelhaften Fällen. In einem solchen Fall kann der (mögliche) Beihilfegeber aber, wie auch der BGH hervorhebt, die betreffende Maßnahme von sich aus oder auf Betreiben des möglichen Beihilfeempfängers vorsorglich bei der Kommission anmelden.65 Zum anderen zeigt ein Blick in die Praxis, dass die Kommission nach Erlass eines Eröffnungsbeschlusses am Ende des förmlichen Prüfverfahrens lediglich in 7 % der Fälle zu dem Schluss gelangt, dass doch keine Beihilfe vorgelegen hat.66

C. Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen im Verhältnis zwischen Beihilfegeber und Beihilfenehmer Wird eine Beihilfe unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot gewährt, so müssen die Mitgliedstaaten die Beihilfe zurückfordern.67 Auf welche Art und Weise der Mitgliedstaat dieses Ziel erreicht, steht grundsätzlich in seinem Ermessen. Entscheidend ist allein, dass der Empfänger in der bis zum Beschluss der Kommission 63  Die Deutsche Lufthansa-Entscheidung wird aus diesem Grund im Schrifttum harsch kritisiert; vgl. nur Ghazarian, EStAL 2014, 108 ff.; Giesberts/Kleve, NVwZ 2014, 643, 645 f.; Nicolaides, EStAL 2014, 409, 411 ff.; Soltész, NJW 2013, 3773, 3774; Traupel/Jennert, EWS 2014, 1, 2 ff.; zustimmend dagegen Martin-Ehlers, EuZW 2014, 247, 252 (EuGH entwickelt das Beihilferecht „konsequent und schlüssig weiter“). 64   Zwar können Beihilfeempfänger den Eröffnungsbeschluss gerichtlich angreifen. Derartige Klagen haben jedoch nach Art. 278 S. 1 AEUV keinen Suspensiveffekt. Vorläufiger Rechtsschutz wird demgegenüber nur unter sehr restriktiven Bedingungen vom EuG gewährt; vertiefend Ghazarian, EStAL 2014, 108, 112 m. w. N. Hiervon abgesehen ist nach st. Rspr. „die Kontrolle durch den Gemeinschaftsrichter auf die Prüfung beschränkt, ob der Kommission ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist, als sie der Meinung war, sie habe bei einer ersten Prüfung der betroffenen Maßnahme diese Frage nicht ohne Schwierigkeiten beantworten können“; EuG, verb. Rs. T‑269, 271 & 272/99 (Territorio Histórico de Guipúzcoa u. a./Kommission) Rn. 49. 65   BGHZ 188, 326, 337 = EuZW 2011, 440, 443 (Flughafen Frankfurt-Hahn) Rn. 31. 66  Vgl. Nicolaides, EStAL 2014, 409, 411 ff. 67   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 68.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

noch verbleibenden Zeit nicht weiterhin frei über sie verfügen kann.68 Adressat der Rückforderung muss das Unternehmen sein, das den tatsächlichen Nutzen aus der rechtswidrigen Beihilfe gezogen hat, auch wenn dieses Unternehmen nicht eindeutig von der Kommission identifiziert werden kann.69 Scheidet der Beihilfeempfänger wegen Insolvenz faktisch als Rückzahlungsschuldner aus, so ist der Beihilfegeber unionsrechtlich verpflichtet, sein Recht als Insolvenzgläubiger uneingeschränkt wahrzunehmen, und insbesondere seine Rückzahlungsforderung im Insolvenzverfahren anzumelden.70 Grundsätzlich ist die Beihilfe an den Beihilfegeber zurückzuzahlen. Alternativ kann das nationale Gericht auch die Einzahlung der Beträge auf ein Sperrkonto anordnen, damit der Empfänger nicht weiter über sie verfügen kann.71 Die Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen richtet sich nach nationalem Recht, auch wenn dieses durch unionsrechtliche Vorgaben weitgehend überformt wird (I.). Für das deutsche Recht hat der BGH in mehreren Aufsehen erregenden Urteilen angenommen, dass privatrechtliche Verträge zur Durchführung von Beihilfen, die nicht bei der Kommission angezeigt wurden, als nichtig i. S. d. § 134 BGB anzusehen sind.72 Diese Ansicht wird durch die neuere Rechtsprechung des EuGH in Frage gestellt (II.). Weitgehend ungeklärt ist ferner, in welchem Umfang privatrechtliche Verträge von einer Nichtigkeit oder schwebenden Unwirksamkeit betroffen sind. Hier stellt sich die insbesondere für umfangreiche Investitionsvorhaben drängende Frage, ob der gesamte Vertrag zurückabgewickelt werden muss oder nur der beihilfegewährende Teil (III.). Schließlich ist auf die Besonderheiten einzugehen, die sich aus der Beachtung unionsrechtlicher Vorgaben für die Rückabwicklung nach deutschem Bereicherungsrecht (IV.) und die prozessuale Durchsetzung des Anspruchs im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (V.) ergeben.

I. Anwendung des nationalen Rechts Im Unterschied zum Kartellrecht (Art. 101 Abs. 2 AEUV) enthält Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV keine ausdrückliche Regelung, wonach Rechtsakte, die gegen das Durchführungsverbot verstoßen, nichtig sind. Zwar hat der EuGH vereinzelt die Formulierung verwendet, dass eine Verletzung des Durchführungsverbots „die Gültigkeit 68

  EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 30.   EuGH, Rs. C‑303/88 (Italien/Kommission) Rn. 57 für Tochtergesellschaften des Beihilfeempfängers. Zur umstrittenen Frage, wer Rückforderungsschuldner bei einem share deal oder asset deal ist, vgl. EuGH, Rs. C‑390/98 (Banks/Coal Authority) Rn. 78; Rs. C‑74/00 P und 75/00 P (Falck) Rn. 180; Rs. C‑277/00 (Deutschland/Kommission – „SMI“) Rn. 80; Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht der EU, 2. Aufl., 2009, Rn. 1092 ff. 70   EuGH, Rs. 142/87 (Belgien/Kommission – „Tubemeuse“) Rn. 58 ff.; Rs. C‑277/00 (Deutschland/Kommission) Rn. 85. Vgl. auch die Entscheidungen der Kommission in der Sache „Gröditzer Stahlwerke“, ABl. 1999 L 292/27, Rn. 100, und in der Sache „CDA Compact Disc Albrechts GmbH, Thüringen“, Entsch. v. 21.6.2000, ABl. 2000 L 318/62, Rn. 115 f., sowie BGH, NJW-RR 2007, 1693 ff. Zum Ganzen Koenig, EuZW 2001, 37, 43 f. 71   EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 37, mit Hinweis auf die Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. 2009 C 85/1, 14 f. (unter Rn. 62). 72   BGH, Urt. v. 4.4.2003 (Flächenerwerb I), EuZW 2003, 444 = WM 2003, 1491; bestätigt durch BGH, Urt. v. 24.10.2003 (Flächenerwerb II), EuZW 2004, 254  = WM 2004, 693; BGH, Urt. v. 20.1.2004 (Investitionszuschuss), EuZW 2004, 252 = WM 2004, 468 = NVwZ 2004, 636. 69

C. Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen

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der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen“ beeinträchtigt.73 Daraus ist im Schrifttum teils abgeleitet worden, dass privatrechtliche Verträge bei einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot ohne Weiteres gem. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV nichtig sind, ohne dass ein Rückgriff auf nationales Recht notwendig wäre.74 Der Gerichtshof betont indessen in ständiger Rechtsprechung, dass die nationalen Gerichte verpflichtet sind, aus dem Verstoß gegen das Durchführungsverbot „entsprechend ihrem nationalen Recht sämtliche Folgerungen (. . .) bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte“ zu ziehen und die gewährte Unterstützung zurückzufordern.75 Für materiell rechtswidrige Beihilfen stellt Art. 14 Abs. 3 BeihVerf-VO 659/99 sogar ausdrücklich klar, dass die Rückforderung nach den Verfahren des betreffenden Mitgliedstaats erfolgt. Nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts ist daher davon auszugehen, dass sich Gültigkeit und Rückabwicklung behilfegewährender Rechtsakte nach nationalem Recht richten.76

II. Nichtigkeit oder schwebende Unwirksamkeit des beihilfegewährenden Vertrags? Die Rechtsprechung des EuGH wirft die Frage auf, welche Folgen der Verstoß gegen das Durchführungsverbot für privatrechtliche Verträge77 nach deutschem Recht hat. Als Alternativen kommen Nichtigkeit oder schwebende Unwirksamkeit des Vertrags in Betracht.78 Der Unterschied zwischen beiden Konzepten wirkt sich bei einem positiven Kommissionsbeschluss aus: Wird der Vertrag als von Anfang an nichtig angesehen, so besteht von vornherein kein Rechtsgrund für die gewährte Beihilfe. Die Beihilfe kann dementsprechend vollumfänglich nach Bereicherungsrecht zurückgefordert werden. Soll der Beihilfeempfänger nach einem Positivbeschluss der Kommission dennoch in den Genuss der Beihilfe kommen, müsste ein neuer Vertrag geschlossen werden.79 73   EuGH, Rs. C‑354/90 (FNCE) Rn. 12. Die (maßgebliche) französische Fassung des Urteils spricht davon, „que la validité des actes comportant mise à exécution de mesures d’ aide est affectée par la méconnaissance“. 74   So insbesondere Pechstein, EuZW 1998, 495, 496 f. Auch Heidenhain, EuZW 2005, 135 ff., leitet die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV unmittelbar aus dem Unionsrecht ab; dabei kommt er indessen zu dem Ergebnis, dass von einer (teilweisen) schwebenden Unwirksamkeit der Vereinbarung auszugehen ist. 75   EuGH, Rs. C‑354/90 (FNCE) Rn. 12 (Kursivsetzung hinzugefügt); vgl. auch EuGH, Rs. C‑39/ 94 (SFEI) Rn. 40. 76   So auch Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Beljin, Europarecht, 2. Aufl. 2010, § 28 Rn. 202; Jestaedt/ Loest, in: Heidenhain, Hdb. des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 52 Rn. 2; Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212, 213; Remmert, EuR 2000, 469, 473. 77   Nach § 59 Abs. 1 VwVfG gelten für den öffentlich-rechtlichen Vertrag dieselben Rechtsfolgen wie für den privatrechtlichen Vertrag; vgl. auch Gellermann, DVBl. 2003, 481, 484 ff.; Remmert, EuR 2000, 469, 473 ff. Wird die Beihilfe dagegen durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt gewährt, so muss dieser gem. § 48 VwVfG zurückgenommen und die Erstattung der rechtsgrundlos erlangten Leistungen gem. § 49a VwVfG angeordnet werden; siehe Jestaedt/Loest, in: Heidenhain (Hrsg.), Hdb. des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 52 Rn. 20 ff. 78   Soweit im früheren Schrifttum vertreten wurde, dass das Verpflichtungsgeschäft bis zu einer negativen Entscheidung (jetzt: Beschluss) der Kommission wirksam ist (so noch Schmidt-Kötters, in: Heidenhain (Hrsg.), Hdb. des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 56 Rn. 29 ff. m. w. N.), lässt sich diese Ansicht von vornherein mit dem Unionsrecht nicht vereinbaren, denn nach der Rechtsprechung des EuGH muss bereits vor Erlass einer abschließenden Kommissionsentscheidung eine Rückforderungsmöglichkeit bestehen; vgl. nur EuGH, Rs. 1/09 (CELF II) Rn. 37 f. 79   Heidenhain, EuZW 2005, 135, 136; Pütz, NJW 2004, 2199, 2200.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

Nimmt man dagegen an, dass der Vertrag schwebend unwirksam ist, so wird der Vertrag mit dem (positiven) Kommissionsbeschluss ex tunc wirksam, so dass die Parteien an ihre vertraglichen Pflichten weiter gebunden werden.80 1. Die Rechtsprechung des BGH Für das deutsche Recht hat der BGH erstmals im Jahre 2003 klargestellt, dass Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV ein Verbotsgesetz i. S. d. § 134 BGB darstellt, dessen Verletzung zur Nichtigkeit des zur Gewährung der Beihilfe abgeschlossenen privatrechtlichen Vertrags führt.81 Zwar stelle die unterlassene Notifizierung – so der BGH – lediglich einen formellen Verstoß dar, der für sich genommen noch nicht die Sanktion des § 134 BGB auslöse. Doch komme dem Abschluss beihilfegewährender Verträge ohne vorherige Notifizierung und abschließende (positive) Kommissionsentscheidung (jetzt: Kommissionsbeschluss) materielle Bedeutung zu, weil das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV im Interesse gleicher Wettbewerbsvoraussetzungen eine solche verfrühte Beihilfegewährung verhindern solle.82 Dass das Durchführungsverbot seinem Wortlaut nach nur an die Mitgliedstaaten, nicht jedoch an den Empfänger staatlicher Beihilfen adressiert sei, stehe der Anwendung des § 134 BGB nicht entgegen. § 134 BGB finde nämlich anerkanntermaßen auch dann Anwendung, wenn es zwar um die Verletzung eines nur an eine Vertragspartei gerichteten gesetzlichen Verbots gehe, der Zweck des Gesetzes aber nicht anders zu erreichen sei als durch „Annullierung“ der durch das Rechtsgeschäft getroffenen Regelung.83 Zwar musste sich der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob dies auch dann gilt, wenn die Kommission einen positiven Beschluss getroffen hat, denn in allen vom BGH entschiedenen Sachverhalten war ein negativer Beschluss (zuvor: Entscheidung) der Kommission vorausgegangen.84 Der in den Urteilsgründen hervorgehobene Hinweis, dass eine Rückforderung selbst dann erfolgen müsse, wenn die Kommission eine Positiventscheidung getroffen habe, legt eine solche Interpretation jedoch nahe. Der BGH hat zudem in einem der Urteile die von der Vorinstanz vertretene Auffassung, dass eine nicht genehmigte Beihilfe bis zur Entscheidung durch die Kommission schwebend unwirksam sei, gerade nicht aufgegriffen und damit implizit abgelehnt.85 Auch in seiner Entscheidung v. 5. Dezember 2012 im Fall CEPS-Pipeline86 hält der BGH am Modell der anfänglichen Nichtigkeit grundsätzlich fest. Zwar modifizierte der BGH seine Rechtsprechung insofern, als ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot bei einem bilateralen Kaufvertrag der öffentlichen Hand mit einem Privaten 80

 Vgl. Quardt/Nieland, EuZW 2004, 201, 204.   BGH, EuZW 2003, 444 = WM 2003, 1491 (Flächenerwerb I); bestätigt durch BGH, EuZW 2004, 254 = WM 2004, 693 (Flächenerwerb II); BGH, EuZW 2004, 252 = WM 2004, 468 = NVwZ 2004, 636 (Investitionszuschuss); BGH, NJW-RR 2007, 1693, 1695 (Rückforderung bei Insolvenz); BGHZ 188, 326, 338 f. = EuZW 2011, 440, 444 (Flughafen Frankfurt-Hahn) Rn. 40. Der Auffassung des BGH folgend OLG Schleswig, Urt. v. 20.5.2008, Az. 6 U 54/06, BeckRS 2009, 01231; LG Flensburg, NJW 2006, 1981; LG Magdeburg, Urt. v. 8.12.2004, Az. 5 O 92/04, BeckRS 2007, 18083. 82   BGH, EuZW 2003, 444, 445 (Flächenerwerb I); EuZW 2004, 252, 253 (Investitionszuschuss). 83   BGH, EuZW 2004, 252, 253 (Investitionszuschuss). 84   So der zutreffende Hinweis von Heidenhain, EuZW 2008, 324. 85   Vgl. BGH, EuZW 2004, 252 (Investitionszuschuss), sowie das Urteil der Vorinstanz OLG Hamm, Urt. v. 8.3.2003, Az. 31 U 140/98. Zum Ganzen Pütz, NJW 2004, 2199. 86   BGHZ 196, 260 = EuZW 2013, 753 (CEPS-Pipeline). 81

C. Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen

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nicht mehr zwingend die Gesamtnichtigkeit des Vertrags gem. § 134 BGB zur Folge hat. Die Gesamtnichtigkeit bleibt gleichwohl die Regelfolge, da eine Teilnichtigkeit praktisch nur in sehr begrenzten Fällen denkbar ist.87 Ist ausnahmsweise dennoch von einer Teilnichtigkeit auszugehen, so kann diese durch einen Positivbeschluss der Kommission nicht rückwirkend geheilt werden. Eine ex nunc-Nichtigkeit wird auch im Schrifttum zum Teil favorisiert.88 Über die vom BGH vorgetragenen Argumente hinaus wird darauf verwiesen, dass bei einer (nur) schwebenden Unwirksamkeit die effektive Durchsetzung des Durchführungsverbots nicht gewährleistet sei. Insbesondere sei es den Parteien möglich, Vorleistungen zu vereinbaren.89 Darüber hinaus seien sie verpflichtet, die Genehmigung herbeizuführen und den Erfolg des Vertrags nicht zu gefährden.90 All dies widerspreche dem Effektivitätsgrundsatz. 2. Die CELF-Rechtsprechung des EuGH Die frühere Rechtsprechung des EuGH legte in der Tat den Schluss nahe, dass Beihilfen, die unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot gewährt werden, selbst bei einem positiven Beschluss der Kommission zurückzufordern sind.91 Seit der CELF I-Entscheidung92 hebt der Gerichtshof jedoch zugleich hervor, dass nationale Gerichte nach einer Positiventscheidung der Kommission nicht mehr die Rückzahlung der gesamten Beihilfe anordnen müssen. Erlasse die Kommission eine positive Entscheidung, so erweise sich, dass das Ziel des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV, nur mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen auszuzahlen, nicht mehr in Frage gestellt werde. In diesem Fall bestehe der ungerechtfertigte Vorteil des Beihilfeempfängers zum einen in der Nichtzahlung von Zinsen für den Zeitraum zwischen der Ausreichung der Mittel und der positiven Kommissionsentscheidung und zum anderen in der Verbesserung seiner Wettbewerbsposition gegenüber seinen Konkurrenten während der Dauer dieser formellen Rechtswidrigkeit.93 Daraus leitet der Gerichtshof zwei Folgerungen ab: – Das Unionsrecht verlangt vom nationalen Richter nicht, nach erfolgter Genehmigungsentscheidung der Kommission eine Rückforderung der gesamten Beihilfe anzuordnen. In einem solchen Fall ist das nationale Gericht lediglich verpflichtet, dem Beihilfeempfänger aufzugeben, für die Dauer der Rechtswidrigkeit Zinsen zu zahlen. – Die Mitgliedstaaten können im Rahmen ihres nationalen Rechts eine vollständige Rückforderung anordnen. Sie können außerdem veranlasst sein, Anträgen auf Ersatz von durch die Rechtswidrigkeit der Beihilfemaßnahme verursachten Schäden stattzugeben. 87

 Ausführlich infra, § 8 C.III.2.   Schmidt-Räntsch, NJW 2005, 106; MüKo/Armbrüster, BGB, 7. Aufl., 2015, § 134 BGB Rn. 104; Bunte, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl., 2007, § 142 Rn. 42c. Für die Nichtigkeit beihilfegewährender privatrechtlicher Verträge gem. § 134 BGB auch schon zuvor Steindorff, ZHR 152 (1988), 474, 488 f. 89   Schmidt-Räntsch, NJW 2005, 106, 108, mit Hinweis auf BGH, NJW 1999, 1329, 1330 und Armbrüster, NJW 1999, 1306. 90   Vgl. BGH, NJW 1993, 648, 651; NJW 1976, 1939; Erman/Böttcher/Hohloch, BGB, 14. Aufl., 2014, § 242 BGB Rn. 83. 91   Vgl. EuGH, Rs. C‑354/90 (FNCE) Rn. 16; verb. Rs. C‑261 – 262/01 (van Calster) Rn. 58 ff., 62 ff.; EuGH, Rs. C‑368/04 (Transalpine Ölleitung) Rn. 56. 92   EuGH, Rs. C‑199/06 (CELF I). 93   EuGH, Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 50 f. 88

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

Im Schrifttum ist die Entscheidung des EuGH vor allem unter dem Gesichtspunkt mangelnder Effektivität kritisiert worden.94 Der Verstoß gegen das Durchführungsverbot sei kein bloßer Verfahrensfehler, der durch einen positiven Beschluss der Kommission nachträglich geheilt werden könne. Die Entscheidung des EuGH wirke sich zudem kontraproduktiv auf Konkurrentenklagen aus. In diesem Sinne hatte bereits GA Mazák in seinen Schlussanträgen95 darauf hingewiesen, es sei äußerst fragwürdig, ob Private überhaupt irgendeinen Anreiz verspürten, Klage bei einem nationalen Gericht zu erheben, wenn an die Stelle der Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfe die bloße Verpflichtung zur Verzinsung der vorzeitigen Auszahlung oder eine Schadensersatzklage träte, deren Erfolg im nationalen Recht durch erhebliche Kausalitätsprobleme gefährdet sei. Dieser Einwand übersieht, dass auch eine Zinsrückforderung für den Beihilfenehmer erhebliche Sanktionswirkungen entfalten kann. Dies vor allem dann, wenn die Kommission – wie im Fall CELF – über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren mehrere positive Beschlüsse erlässt, die von einem Konkurrenzunternehmen erfolgreich angefochten werden. Nach Auffassung des Gerichtshofs sind Zinsen nämlich nicht nur für den Zeitraum zu zahlen, bis die Kommission erstmalig einen positiven Beschluss getroffen hat, sondern auch für jene Zeitspanne, in der eine Genehmigung bestand, die jedoch nach Anfechtung des Konkurrenten für nichtig erklärt wird.96 Das Durchführungsverbot entfällt mit anderen Worten also erst mit einem bestandskräftigen Positivbeschluss der Kommission.97 Welche Folgen dies hat, wird wiederum im Fall CELF deutlich: Während die ursprünglich gewährte Beihilfe ca. 4 Mio. Euro betrug, beliefen sich die Zinsrückforderungen auf ca. 11 Mio. Euro.98 Die CELF‑I-Entscheidung betrifft zudem die Sonderkonstellation, dass ein positiver Beschluss der Kommission vorliegt, wenn das nationale Gericht über die Rückforderung der Beihilfe zu entscheiden hat. Solange eine Entscheidung der Kommission noch fehlt oder aufgrund einer Klage des Konkurrenten erfolgreich angefochten wurde, bleibt es dagegen – wie der EuGH in CELF II99 unmissverständlich klargestellt hat – bei der früheren Rechtsprechung: Das nationale Gericht muss alle geeigneten Maßnahmen treffen, damit der Empfänger bis zum abschließenden Beschluss der Kommission nicht weiterhin über die Beihilfe frei verfügen kann. Das nationale Gericht kann dabei entweder die Rückzahlung der Beihilfen nebst Zinsen oder aber die Einzahlung der Beträge auf ein Sperrkonto anordnen. Unterlassungsklagen gegen formell rechtswidrige Beihilfen vor Genehmigung bleiben daher weiterhin attraktiv.100 Erst recht muss die Beihilfe natürlich bei einem negativen Beschluss der Kommission endgültig zurückgefordert werden.

94

  Vgl. insbesondere Adriaanse, REALaw 2009, 73, 81 ff.   GA Mazák, SchlA, Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 32. 96   EuGH, Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 61, 63, 67. Hierzu Gundel, EWS 2008, 161, 165. 97   Denkbar wäre in diesen Fällen eine Haftung der EU gegenüber dem Beihilfeempfänger für die zunächst erteilte, aber nicht bestandskräftige Genehmigung. Dieser Auffassung hat der Gerichtshof jedoch in CELF II eine Absage erteilt: Solange der Kommissionsbeschluss noch angefochten werden kann und solange die Unionsgerichte noch keine endgültige Entscheidung getroffen haben, kann sich der Beihilfeempfänger nicht auf berechtigtes Vertrauen berufen; EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 45. 98   Coutrelis, EStAL 2010, 272. CELF musste daraufhin liquidiert werden. 99   EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 30, 37 f. 100   Jaeger, ecolex 2008, 484, 488. 95

C. Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen

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3. Folgerungen für das deutsche Recht Die vom BGH vertretene Lösung, derzufolge beihilfegewährende Verträge als von Anfang an nichtig anzusehen sind, führt zu unangemessenen Ergebnissen, wenn eine Beihilfe zunächst unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV gewährt, später aber von der Kommission genehmigt wird. Ginge man auch in diesen Fällen von einer anfänglichen Nichtigkeit des beihilfegewährenden Vertrages aus, so dürfte der Beihilfenehmer die Beihilfe nur dann behalten, wenn man in umständlicher Weise eine Bestätigung des nichtigen Rechtsgeschäfts gem. § 141 BGB konstruiert101 oder die Parteien einen neuen Vertrag abschließen. Die Parteien sind bei dieser Lösung aber nicht dazu verpflichtet, den Vertrag zu denselben oder vergleichbaren marktgerechten Bedingungen erneut abzuschließen.102 Das vom BGH favorisierte Modell der anfänglichen Nichtigkeit eröffnet den Vertragsparteien damit die Möglichkeit, bei unliebsamer Veränderung der Umstände von dem Vertrag Abstand nehmen zu können. Dem Durchführungsverbot wird damit in Deutschland eine stärkere Wirkung verliehen als unionsrechtlich erforderlich. Zwar ist die Rechtsprechung des BGH mit der neueren EuGH-Rechtsprechung vereinbar,103 denn die CELF‑I-Entscheidung belässt den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Möglichkeit, selbst bei einem positiven Beschluss der Kommission eine vollständige Rückerstattung der Beihilfe anzuordnen.104 Angesichts des Umstands, dass sich der BGH argumentativ in seinen Urteilen auf die frühere, inzwischen modifizierte Rechtsprechung des EuGH stützt, sollte der Bundesgerichtshof aber seine Rechtsprechung überdenken.105 Anderenfalls könnten nämlich für deutsche Unternehmen erhebliche Wettbewerbsnachteile entstehen  – und dies nicht nur gegenüber Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedsland, dessen Rechtsprechung sich nur an die vom EuGH entwickelten Mindestvorgaben hält, sondern, da vergleichbar strenge Beihilferegelungen wie in Europa auf internationaler Ebene nicht existieren,106 weltweit. All diese Probleme könnten mit dem Modell der schwebenden Unwirksamkeit vermieden werden. Eine solche Lösung wird im Schrifttum bereits seit einiger Zeit favorisiert.107 Im Unterschied zur Nichtigkeit kann ein schwebend unwirksames Rechts101   Das LG Magdeburg, Urt. v. 8.12.2004, Az. 5 O 92/04, BeckRS 2007, 18083, geht davon aus, dass bei einer Positiventscheidung (jetzt: Positivbeschluss) der Kommission aus einem nichtigen Rechtsgeschäft ohne Weiteres durch Bestätigung gem. § 141 BGB ein vollwirksames Rechtsgeschäft werden kann. 102   Heidenhain, EuZW 2005, 135, 136. 103   Anders offenbar v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 556 in Fn. 487 (Rechtsprechung des BGH dürfte mit dem CELF-Urteil „schwerlich vereinbar“ sein); missverständlich auch Bartosch, EuZW 2008, 235, der eingangs betont, dass die Judikatur des BGH nicht mehr als gemeinschaftskonform betrachtet werden könne, dann aber später selbst einräumt, dass nach nationalem Recht die Rückforderung der Beihilfe angeordnet werden dürfe. 104   EuGH, Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 53. 105   Wie hier Bartosch, EuZW 2008, 235; Ehlers/Scholz, JZ 2011, 585, 587; a. A. Heidenhain, EuZW 2008, 324. Für das österreichische Recht geht Jaeger, ecolex 2008, 484, 487, entsprechend davon aus, dass das Modell der anfänglichen Nichtigkeit nach dem CELF-Urteil nicht mehr zu halten ist. Vgl. auch dens., ecolex 2010, 505, 509. 106   Insbesondere die Subventionsregelungen des GATT (Art. XVI) bleiben in der Praxis weitgehend ohne Wirkung, vgl. nur Pitschas, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, 2003, Teil B.I.12 Rn. 4, 9, 13. 107  Vgl. W.‑H. Roth, in: König/Roth/Schön (Hrsg.), Aktuelle Fragen des EG‑Beihilfenrechts, 2001, S. 133, 156 f.; Pütz, NJW 2004, 2199, 2201; Quardt/Nielandt, EuZW 2004, 201, 204; Heinemann, GPR 2007, 62, 64; Frenz, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1493 ff., 1499 ff.; Dauses/Götz/

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

geschäft noch wirksam werden, wenn das fehlende Wirksamkeitserfordernis durch die Genehmigung der Kommission nachgeholt wird. Die Rechtsfolge der schwebenden Unwirksamkeit ist dabei ebenso geeignet den Schutz der Wettbewerber zu gewährleisten wie das Konzept der Nichtigkeit. Solange ein abschließender Beschluss der Kommission noch nicht vorliegt, kann die Beihilfe zurückgefordert werden, denn für einen Rückzahlungsanspruch kommt es nicht darauf an, ob das Rechtsgeschäft schwebend unwirksam oder nichtig ist; in beiden Fällen erfolgt die Auszahlung ohne Rechtsgrund.108 Bestehende vertragliche Treuepflichten treten insofern hinter dem Effektivitätsgebot zurück.109 Erfolgt eine spätere Genehmigung der Beihilfe durch die Kommission, so kommt der Vertrag dagegen ex tunc mit dem ursprünglich vereinbarten Inhalt zustande. In diesem Fall besteht – wie vom EuGH gefordert – hinsichtlich der Zinsen für den Zeitraum zwischen der Ausreichung der Mittel und dem positiven Kommissionsbeschluss ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung. Auch die Einordnung von Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV als Verbotsgesetz spricht dabei nicht gegen eine schwebende Unwirksamkeit, denn nach dem Wortlaut des § 134 BGB sind Rechtsgeschäfte nur dann nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz „ein anderes“ ergibt. Der Verstoß eines Rechtsgeschäfts gegen ein Verbotsgesetz muss daher nicht unbedingt seine Nichtigkeit zur Folge haben.110 Die hier vertretene Lösung vermeidet zudem einen Wertungswiderspruch zum öffentlichen Recht. Nach zutreffender Rechtsprechung des BVerwG ist nämlich ein Verwaltungsakt, der unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot eine Beihilfe gewährt, grundsätzlich nicht unwirksam, sondern nur rechtswidrig.111 Demzufolge kann bei einer Positiventscheidung der Kommission der Verwaltungsakt ex nunc analog § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG geheilt werden.112

III. Reichweite des Durchführungsverbots Unabhängig davon, ob man den beihilfegewährenden Vertrag für nichtig oder schwebend unwirksam betrachtet, stellt sich gerade bei umfangreichen Investitionsvorhaben, bei denen die behilferechtswidrige Zuwendung Bestandteil eines umfangreichen Vertragswerks ist, die Frage, ob das gesamte Rechtsgeschäft nichtig bzw. unwirksam ist oder nur der beihilfegewährende Teil.113 Martínez Soria, EU‑WirtschaftsR, 25. Aufl. 2010, EL 18, H.III., Rn. 283; Ehlers/Scholz, JZ 2011, 585, 587. 108   Für schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte BGHZ 65, 123 ff.; allgemein Palandt/Ellenberger, BGB, 75. Aufl. 2016, Überbl v § 104 BGB Rn. 31. 109   Quardt/Nielandt, EuZW 2004, 201, 204; a. A. Heidenhain, EuZW 2008, 324 f. 110   Pütz, NJW 2004, 2199, 2200; MüKo/Armbrüster, BGB, 7. Aufl., 2015, § 134 Rn. 104. 111   BVerwGE 138, 322, 326 f. = EuZW 2011, 269, 271 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung) Rn. 16. 112   Finck/Gurlit, Jura 2011, 87, 91; Ehlers/Scholz, JZ 2011, 585, 587. 113   Weitere Fragen, denen nachfolgend nicht weiter nachgegangen werden kann, stellen sich insbesondere bei Bürgschaftsverträgen. Hier konzentriert sich die Auseinandersetzung auf die Frage, ob der in Erfüllung der Bürgschaftszusage zwischen dem Bürgen (Staat) und dem Kreditgläubiger (Bank) geschlossene Bürgschaftsvertrag als Durchführungsmaßnahme von Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV erfasst und unwirksam bzw. nichtig ist; zum Streitstand einerseits Habersack, ZHR 159 (1995), 663 ff.; Hopt/ Mestmäcker, WM 1996, 753 ff. und 801 ff.; andererseits Steindorff, ZHR 152 (1988), 474, 488 f.; ders., EuZW 1997, 7 ff. Aus jüngerer Zeit Wielpütz, EWS 2010, 14, 17 f.; sowie EuGH, Rs. C‑275/10 (Residex Capital IV); Koenig/Förtsch, EWS 2014, 61 ff.

C. Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen

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1. Unionsrechtliche Vorgaben: Keine zwingende Gesamtnichtigkeit des Vertrags Zuweilen wird die Auffassung vertreten, dass dem Effektivitätsgebot nur durch eine Gesamtnichtigkeit des behilferechtswidrigen Vertrags Rechnung getragen werden kann.114 Zur Begründung wird angeführt, dass es den Parteien ansonsten ohne erhebliches Risiko möglich sei, die Grenzen der Beihilferechtswidrigkeit auszutesten, wenn sie darauf vertrauen könnten, dass der Vertrag mit dem gerade noch zulässigen Inhalt aufrechterhalten würde. Allein die Gesamtnichtigkeit des Vertrages bewirke eine hinreichend abschreckende Prävention. Gegen diese Auffassung spricht bereits die Überlegung, dass bei vielen öffentlich geförderten Projekten gerade das Festhalten des Investors (Beihilfeempfängers) an den von ihm vertraglich geschuldeten Leistungspflichten bei gleichzeitiger Rückführung der Beihilfe eine erhebliche Sanktionswirkung entfalten kann.115 Der Investor ist dann nämlich verpflichtet, den Vertrag zu marktgerechten Konditionen durchzuführen. Darüber hinaus kann dem Anliegen des Beihilferechts, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, auch ohne Gesamtnichtigkeit Rechnung getragen werden, soweit nur sichergestellt ist, dass das rechtswidrige Beihilfeelement nebst Zinsen vollständig an den Mitgliedstaat zurückfließt. In diesem Fall wird nämlich der rechtswidrige Wettbewerbsvorteil ebenso abgeschöpft wie im Falle der Totalnichtigkeit. Schließlich ist zu bedenken, dass der EuGH selbst im Kartellrecht keine Gesamtnichtigkeit verlangt.116 Im Ergebnis ist aber nicht ersichtlich, warum Verstöße gegen das Beihilferecht in stärkerem Maße sanktioniert werden sollten als Verstöße gegen das Kartellrecht. Da beide Teilrechtsordnungen dem Schutz des unverfälschten Wettbewerbs dienen, besteht kein Grund, bei der Rückabwicklung zwischen kartellrechtsoder beihilferechtswidrigen Vereinbarungen zu differenzieren.117 2. Aufrechterhaltung des Vertrags mit beihilferechtskonformem Inhalt Aus den vorangegangenen Überlegungen ergibt sich, dass das Unionsrecht nicht unter allen Umständen eine Gesamtnichtigkeit bzw. Gesamtunwirksamkeit des beihilfegewährenden Vertrags fordert. Soweit die Beihilfe nicht separat in einem Subventionsvertrag geregelt, sondern Bestandteil eines (umfangreichen) Vertragswerks mit der öffentlichen Hand ist (so z. B. bei Kaufverträgen zu vergünstigten Preisen), kann der Vertrag nach nationalem Recht vielmehr mit beihilferechtskonformem Inhalt aufrechterhalten werden. Davon gehen auch der niederländische Hoge Raad118 sowie der österreichische OGH119 aus. 114   Kühling, ZWeR 2003, 498, 504 ff. Die Präventionswirkung der Gesamtnichtigkeit betonen auch Deckert/Schroeder, EuR 1998, 291, 322 f.; Pechstein, EuZW 2003, 447 f.; Busz/Rosenkötter, NZM 2004, 561, 566. 115   Wie hier Koenig, EuZW 2003, 417; Verse/Wurmnest, AcP 204 (2004), 855, 860. 116   EuGH, Rs. 56/65 (Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm) Rn. 9; Rs. 319/82 (Société de vente de ciments et bétons de l’Est/Kerpen & Kerpen) Rn. 11; Rs. C‑230/96 (Cabour/Arnor) Rn. 51; Rs. C‑279/06 (CEPSA Estaciones de Servicio/LV Tobar e Hijos) Rn. 79. Zum Ganzen § 7 B.I.3.a. 117   Wie hier Steindorff, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 497, 506; Verse/Wurmnest, AcP 204 (2004), 855, 861 f.; Heinemann, GPR 2007, 62, 67. 118   Hoge Raad der Nederlanden, Urt. v. 18.1.2013, ECLI:NL:HR:2013:BY0543; wiedergeben bei Adriaanse/Metselaar, EStAL 2014, 229. 119   OGH, Urt. v. 25.3.2014, 4 Ob 209/13h.

664

§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

Auch der BGH sieht dies mittlerweile so. Im Urteil CEPS-Pipeline120 vom 5. Dezember 2012 konkretisierte er seine bisherige Rechtsprechung dahingehend, dass ein Kaufvertrag, der in Form des Kaufpreises eine Beihilfe gewährt, nicht zwingendermaßen gem. § 134 BGB nichtig ist: Da sich die Stillhalteverpflichtung des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV nur an eine Vertragspartei (nämlich den Mitgliedstaat) und nicht etwa auch an den Käufer richte, komme eine Gesamtnichtigkeit nach § 134 BGB nur dann in Betracht, wenn der Zweck des Durchführungsverbots eine solche verlange.121 Nach der CELF-Rechtsprechung des EuGH reiche es zur Beseitigung des rechtswidrigen Wettbewerbsvorteils aus, wenn vom Beihilfeempfänger die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem vereinbarten und dem höheren beihilfefreien Preis zuzüglich des bis zur Rückforderung entstandenen Zinsvorteils verlangt werde.122 Folglich könne ein Kaufvertrag, der Beihilfeelemente enthält, durch Vereinbarung einer salvatorischen Klausel mit beihilferechtskonformem Inhalt gegebenenfalls aufrechterhalten werden. Im konkreten Fall lehnte der BGH eine Aufrechterhaltung des Vertrages dennoch ab, da sich die Beihilfe auf den Kaufpreis und somit auf eine essentialia negotii bezog und auch ein hypothetischer Wille der Parteien zur Beibehaltung oder Anpassung des Vertrages nicht erkennbar war.123 Die Vereinbarung einer (allgemein gehaltenen) salvatorischen Klausel konnte daran nichts ändern. Eine solche Ersetzungsklausel führe nämlich, so der BGH, lediglich zu einer Umkehr der Vermutungswirkung aus § 139 BGB in ihr Gegenteil.124 Der vom BGH aufgestellte Grundsatz, dass beihilferechtswidrige Verträge nicht automatisch nichtig sind, ist zu begrüßen. Klargestellt ist nunmehr, dass eine teilweise Aufrechterhaltung des Vertrages bei Vereinbarung einer salvatorischen Klausel und entsprechendem Parteivortrag zum hypothetischen Vertragswillen möglich ist.125 Problematisch bleibt, dass die Gesamtnichtigkeit gleichwohl die Regelfolge bleibt, wenn die öffentliche Hand Sachen unter dem marktüblichen Niveau veräußert oder Leistungen über dem marktüblichen Niveau vergütet. Da die Preisvereinbarung zu den essentialia negotii zählt und an das Vorliegen eines hypothetischen Parteiwillens trotz salvatorischer Klauseln hohe Anforderungen gestellt werden, dürfte eine Teilnichtigkeit insbesondere dann nicht in Betracht kommen, wenn die Parteien – wie häufig – bei Abschluss des Kaufvertrages nicht erkennen konnten, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Kaufpreis Beihilfeelemente enthält. Zu einer überzeugenden Lösung gelangen demgegenüber Verse & Wurmnest126 mit der Annahme, dass Preisklauseln bei Anwendung salvatorischer Klauseln und – falls solche fehlen – im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu einem marktgerechten Preis aufrechterhalten werden können, wenn der Beihilfeempfänger eine solche Anpassung innerhalb angemessener Frist verlangt: Hätten die Vertragsparteien die Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit der ursprünglichen Preisvereinbarung erkannt, hätten sie entweder einen höheren Preis vereinbart, oder der Erwerber hätte den Vertrag 120

  BGHZ 196, 260 = EuZW 2013, 753 (CEPS-Pipeline).   BGHZ 196, 260 = EuZW 2013, 753 (CEPS-Pipeline) Rn. 45. 122   BGHZ 196, 260 = EuZW 2013, 753 (CEPS-Pipeline) Rn. 46. 123   BGHZ 196, 260 = EuZW 2013, 753 (CEPS-Pipeline) Rn. 51 ff. 124   BGHZ 196, 260 = EuZW 2013, 753 (CEPS-Pipeline) Rn. 53. 125   Bartosch, EuZW 2013, 759 f.; Kainer, LMK 2013, 350127; Kühling/Schwendinger, EWS 2015, 1, 4. 126   Verse/Wurmnest, AcP 204 (2004), 855, 869 ff., mit Hinweis auf die Tagespreisklausel-Entscheidung des BGH, BGHZ 90, 69. 121

C. Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen

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nicht geschlossen. Dementsprechend muss dem Beihilfeempfänger das Recht zugestanden werden, den Vertrag zum marktgerechten Preis aufrechtzuerhalten. Den Interessen der Vertragsparteien wird hierdurch ausreichend Rechnung getragen, da die Rückführung der Beihilfe für die öffentliche Hand ausschließlich vorteilhaft ist und der Beihilfeempfänger wählen kann, ob er den Vertrag zu marktgerechten Konditionen aufrechterhält oder vom Vertrag gänzlich Abstand nimmt. Genau diese Lösung wird vom BGH jedoch unter Hinweis auf die Grenze zwischen vertraglicher Gestaltung und richterlicher Vertragsanpassung verworfen.127

IV. Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung 1. Anspruchsgrundlage Scheidet eine beihilferechtskonforme Aufrechterhaltung des Vertrags von vornherein aus oder kommt eine Vertragsanpassung nicht zustande, weil der Beihilfenehmer nicht bereit ist, einen marktkonformen Preis zu zahlen, so muss der Vertrag zur Gänze nach Bereicherungsrecht rückabgewickelt werden. Rechtsgrundlage für einen derartigen Rückforderungsanspruch der öffentlichen Hand gegen den Beihilfeempfänger ist in aller Regel § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB. Für die Frage, ob die Beihilfegewährung „ohne Rechtsgrund“ erfolgte, ist nach dem zuvor Gesagten danach zu differenzieren, ob zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem nationalen Gericht ein Beschluss der Kommission bereits vorliegt oder nicht: Solange ein abschließender Beschluss der Kommission fehlt, ist der Vertrag schwebend unwirksam; damit fehlt es an einem Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung. Das Erlangte kann damit (vorläufig) zurückgefordert werden. Nach Auffassung der Kommission ist es dabei am zweckmäßigsten, wenn das Gericht in diesem Fall die Einzahlung der Beihilfe auf ein Sperrkonto anordnet, bis die materiell-rechtlichen Fragen geklärt sind.128 Entscheidet die Kommission zu einem späteren Zeitpunkt, dass die Beihilfe mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar ist, wird das Rechtsgeschäft endgültig unwirksam; das einzelstaatliche Gericht kann dann in seinem abschließenden Urteil anordnen, dass die auf dem Sperrkonto befindlichen Beträge an die beihilfegewährende Behörde zurücküberwiesen werden. Bei einem positiven Beschluss der Kommission wird das Rechtsgeschäft dagegen ex nunc wirksam, so dass nur für den Zinsvorteil weiterhin kein Rechtsgrund besteht. Das Gericht kann in diesem Fall anordnen, dass die Beträge auf dem Sperrkonto freigegeben und Rechtswidrigkeitszinsen an die beihilfegewährende Behörde zu zahlen sind. 2. Kein Ausschluss der Rückforderung nach §§ 814, 817 S. 2 BGB Die Anwendung bereicherungsrechtlicher Vorschriften steht unter dem Vorbehalt des Effektivitätsgebots. Entgegenstehende Vorschriften des Bereicherungsrechts sind nach den Grundsätzen der unionsrechtskonformen Auslegung zu modifizieren und müssen ggf. unangewendet bleiben. 127

  BGHZ 196, 260 = EuZW 2013, 753 (CEPS-Pipeline) Rn. 59.   Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. 2009 C 85/1, 14 (Rn. 61). Der EuGH hat sich dieser Auffassung angeschlossen; EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 37. 128

666

§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

Außer Frage steht, dass die in §§ 814 1. Alt., 817 S. 2 BGB vorgesehenen Kondiktionssperren wegen des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden dürfen. Die öffentliche Hand könnte sich anderenfalls darauf berufen, dass eine Rückforderung ausscheidet, weil sie wissentlich oder leichtfertig rechtswidrige Beihilfen gewährt hat (§ 814 S. 1 BGB) bzw. selbst für den Verstoß gegen das Beihilferecht verantwortlich ist (§ 817 S. 2 BGB).129 Ein solcher Einwand würde eine wirksame Rückforderung der gewährten Beihilfe vereiteln und wäre dementsprechend mit dem Effektivitätsgebot unvereinbar.130 3. Vertrauensschutz und Wegfall der Bereicherung Gegen eine Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen wird von den betroffenen Unternehmen zumeist eingewendet, dass ein schutzwürdiges Vertrauen bzgl. der Rechtmäßigkeit der Beihilfe bestand. Zwar ist dem Beihilfeempfänger der Einwand berechtigten Vertrauens nicht von vornherein versperrt.131 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind an das Vorliegen schutzwürdigen Vertrauens aber sehr strenge Anforderungen zu stellen. Das beihilfebegünstigte Unternehmen darf auf die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe nur dann vertrauen, wenn diese unter Einhaltung des in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Verfahrens gewährt worden ist. Der EuGH hebt hervor, dass es einem sorgfältigen Gewerbetreibenden regelmäßig möglich ist, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren eingehalten wurde.132 Dies gilt auch für kleine und mittlere Unternehmen.133 Rechtswidriges Handeln des Mitgliedstaats begründet keine unionsrechtlich geschützte Rechtsposition.134 In der Regel ist damit kein Raum für Vertrauensschutzerwägungen, wenn gegen die Notifizierungspflicht des Art. 108 Abs. 3 AEUV verstoßen wurde.135 Der Empfänger einer Beihilfe könnte sich höchstens darauf berufen, dass Unionsorgane berechtigte Erwartungen geweckt haben. Nach CELF II ist indessen selbst ein positiver Beschluss der Kommission nicht geeignet, ein schutzwürdiges Vertrauen des Empfängers zu begründen, solange der Kommissionsbeschluss noch von einem Konkurrenten angefochten werden kann und solange die Unionsgerichte noch keine endgültige Entscheidung getroffen haben.136 129   Gegen eine Anwendung des § 817 S. 2 BGB spricht zudem, dass diese Vorschrift einschränkend ausgelegt werden muss, wenn durch ihre Anwendung der Zweck des gesetzlichen Verbots umgangen würde; vgl. BGHZ 111, 308, 311 ff.; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., 2016, § 817 BGB Rn. 18. 130   Jestaedt/Loest, in: Heidenhain (Hrsg.), Hdb. des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 52 Rn. 61; Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212, 214 (zu § 817 S. 2 BGB). 131   Der Schutz berechtigten Vertrauens ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der vom EuGH anerkannt wird und auch in Art. 14 Abs. 1 S. 2 und Art. 15 Abs. 1 BeihVerf-VO 659/99 zum Ausdruck kommt. 132  EuGH, Rs. C‑5/89 (Kommission/Deutschland  – „BUG-Alutechnik“) Rn. 14; Rs. C‑24/95 (Alcan II) Rn. 25; Rs. 99/02 (Kommission/Italien) Rn. 21; Rs. C‑148/04 (Unicredito Italiano) Rn. 104. 133   EuG, Rs. T‑55/99 (CETM) Rn. 126. 134   Vgl. EuGH, Rs. 5/82 (Maizena) Rn. 22. 135  EuGH, Rs. C‑24/95 (Alcan II) Rn. 30 ff.; verb. Rs. C‑183/02 P  & C‑187/02 P (Demesa) Rn. 44 f.; Rs. C‑148/04 (Unicredito Italiano) Rn. 104. Kritisch zur Alcan-Entscheidung Berrisch, EuR 1997, 155, 160 (Verweis auf Vertrauensschutz ist „Augenwischerei“); Hoenike, EuZW 1997, 279, 280. Das BVerwG hat demgegenüber in seinem abschließenden Urteil den Einwand, der EuGH habe seine Kompetenzen überschritten, zurückgewiesen; BVerwG, NJW 1998, 3728. Die gegen das Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG für unzulässig erklärt, BVerfG, NJW 2000, 2015. 136   EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 45.

C. Rückabwicklung formell rechtswidriger Beihilfen

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Diese Wertungen haben nach Auffassung des EuGH zugleich zur Folge, dass sich der Beihilfeempfänger in der Regel nicht auf den Einwand der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen kann. Der Wegfall der Bereicherung ist nämlich – wie der Gerichtshof in Alcan II137 hervorgehoben hat – kein atypischer Fall, sondern vielmehr die Regel. Beihilfen werden im Allgemeinen solchen Unternehmen gewährt, die sich in Schwierigkeiten befinden und deren Bilanz im Zeitpunkt der Rückforderung nicht mehr den aus der Beihilfe unbestreitbar resultierenden Vermögenszuwachs erkennen lässt. Die beihilfegewährende Behörde ist daher zu einer Rückforderung selbst dann verpflichtet, wenn dies nach nationalem Recht wegen Wegfalls der Bereicherung mangels Bösgläubigkeit des Beihilfeempfängers ausgeschlossen ist. Im deutschen Recht kann den unionsrechtlichen Anforderungen am besten Rechnung getragen werden, indem der Beihilfeempfänger einem bösgläubigen Kondiktionsschuldner (§ 819 Abs. 1 BGB) gleichgestellt wird.138 Zwar führt bei gegenseitigen Verträgen bereits die konsequente Anwendung der Saldotheorie zu einer Einschränkung des § 818 Abs. 3 BGB.139 Die Saldotheorie versagt jedoch, wenn sich keine gleichartigen Bereicherungsansprüche gegenüberstehen. Eine Saldierung ist zudem nur in Höhe der vom Beihilfeempfänger erbrachten Leistung möglich. 4. Verzinsung des Rückforderungsbetrags Der Beihilfeempfänger ist bei einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot auch zur Zahlung von Zinsen verpflichtet. Erlässt die Kommission einen Rückforderungsbeschluss, so muss nach Art. 14 Abs. 2 BeihVerf-VO 659/99 nicht nur die Rückforderung des nominalen Beihilfebetrags angeordnet werden, sondern auch die Zahlung von Zinsen, die zum Zeitpunkt, ab dem die rechtswidrige Beihilfe dem Empfänger zur Verfügung stand, bis zur tatsächlichen Rückzahlung der Beihilfe angefallen sind. In Art. 9 Durchführungs-VO 794/2004 wird die Methode zur Festsetzung des Zinssatzes im Einzelnen festgelegt. Liegt kein Rückforderungsbeschluss der Kommission vor, so kann auf diese Regelungen zwar nicht direkt zurückgegriffen werden. Der EuGH hat indessen festgestellt, dass bei noch ausstehendem Kommissionsbeschluss und sogar bei einem positiven Kommissionsbeschluss der aus der vorzeitigen Beihilfegewährung erwachsene Zinsvorteil vollständig zurückerstattet werden muss.140 Die Kommission geht davon aus, dass die vom einzelstaatlichen Gericht angewandte Zinsberechnungsmethode nicht weniger streng sein darf als die in der Beihilfeverfahrens-Verordnung festgelegte Methode.141 Die unionsrechtlichen Anforderungen können am besten erfüllt werden, wenn der Beihilfeempfänger wiederum einem bösgläubigen Kondiktionsschuldner gleichge137

  EuGH, Rs. C‑24/95 (Alcan II) Rn.  49 – 54.   Jestaedt/Loest, in: Heidenhain (Hrsg.), Hdb. des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 52 Rn. 62 ff. Verse/Wurmnest, AcP 204 (2004), 855, 877 f., wollen demgegenüber den Beihilfeempfänger nur punktuell einem bösgläubigen Kondiktionsschuldner gleichstellen. Im Ergebnis lassen jedoch auch sie den Entreicherungseinwand nur für einen einzigen Sonderfall gelten, nämlich für den Ersatz wertsteigernder Aufwendungen. 139   Heinemann, GPR 2007, 62, 65; Verse/Wurmnest, AcP 204 (2004), 855, 879. 140   EuGH, Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 52; Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 37. 141   Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. 2009 C 85/1, 10 (Rn. 41c). 138

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

stellt wird. Nach §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1, 292, 987 Abs. 2 BGB bestünde dann eine Haftung für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen. Gegen diese Lösung wird zwar eingewandt, dass sich der Betrag der schuldhaft nicht gezogenen Nutzungen nicht unbedingt mit dem Betrag der unionsrechtlich gebotenen Zinsen decken muss.142 Nach der Rechtsprechung des EuG darf die Vereinnahmung von Zinsen jedoch nur zum Ausgleich der finanziellen Vorteile vorgenommen werden, die sich „tatsächlich aus der Zurverfügungstellung der Beihilfen an den Empfänger ergeben“.143 Damit kommt es letztlich nicht auf den Referenzzinssatz der Kommission an, sondern auf den tatsächlichen Zinsvorteil,144 mithin also auf den Zinssatz, den der Beihilfeempfänger gezahlt hätte, wenn er sich die Beihilfe bis zum Erlass des Kommissionsbeschlusses auf dem Markt hätte leihen müssen. Auch der BGH geht davon aus, dass nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen auf den marktüblichen Zinssatz abzustellen ist.145

V. Einstweiliger Rechtsschutz Erlässt die Kommission eine einstweilige Rückforderungsanordnung oder einen Rückforderungsbeschluss, so müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 2 S. 2, 14 Abs. 3 BeihVerf-VO 659/99 dafür sorgen, dass die Rückforderung der Beihilfe nach den Verfahren des betreffenden Mitgliedstaats „unverzüglich“ erfolgt. Aber auch ohne eine Kommissionsentscheidung ist die öffentliche Hand bei einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot unionsrechtlich verpflichtet, alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die (vorläufige) Rückzahlung der Beihilfe zu beschleunigen, wenn dies zur Wahrung der Wirksamkeit von Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV oder zum Schutz der Rechte konkurrierender Unternehmen146 erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen die mitgliedstaatlichen Gerichte insbesondere dann einstweilige Verfügungen in Betracht ziehen, wenn wahrscheinlich ist, dass eine gewisse Zeit verstreichen wird, bevor das nationale Gericht abschließend entscheiden wird.147 Gleiches gilt für einen Eröffnungsbeschluss der Kommission, der nach neuester Judikatur eine Bindungswirkung entfaltet148 und die einzelstaatlichen Gerichte zu einem unverzüglichen Handeln verpflichten kann. Die Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Verfügungen richten sich dabei nach nationalem Recht, solange die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität sowie der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes gewahrt werden.149 Im deutschen Recht lässt sich der einstweilige Rechtsschutz im Rahmen der zivilrechtlichen Leistungsklage durch eine einstweilige Verfügung in der Variante der Leistungsverfügung (§§ 935, 940 ZPO) erreichen.150 Die Rechtsgrundlage der Leis142

  Verse/Wurmnest, AcP (204) 2004, 855, 880.   EuG, Rs. T‑459/93 (Siemens/Kommission) Rn. 99. 144  Vgl. Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht der EU, 2. Aufl., 2009, Rn. 965. 145   BGH, NVwZ 2004, 636, 637. 146   Hierzu noch infra, § 8 D.II.5 und D.III.6. 147   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 52; Rs. C‑368/04 (Transalpine Ölleitung) Rn. 46. 148  Hierzu supra, § 8 B.III.2. 149   EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn. 67, 75. Allgemein zu den unionsrechtlichen Anforderungen des einstweiligen Rechtsschutzes supra, § 3 D.II.1.b. 150   Herrmann/Kruis, EuR 2007, 141, 155 ff. Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht der EU, 2. Aufl. 2009, Rn. 960, halten demgegenüber das Arrestverfahren (§§ 916 ff. ZPO) für einschlägig. Der Sache 143

D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten

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tungsverfügung ist umstritten, letztlich jedoch ohne Relevanz, da die Zulässigkeit der Leistungsverfügung allgemein anerkannt ist.151 Voraussetzung für den Erlass einer Leistungsverfügung ist, dass Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund glaubhaft gemacht werden. Als Verfügungsanspruch kommt grundsätzlich jeder materiell-rechtliche Anspruch in Betracht und folglich auch ein Bereicherungsanspruch nach § 812 BGB. Ein Verfügungsgrund liegt vor, wenn die objektiv begründete Gefahr besteht, dass durch Veränderung des status quo die Rechtsverwirklichung des Antragstellers im gegenwärtigen oder zukünftigen Hauptverfahren vereitelt oder erschwert werden könnte. Zwar sind die insoweit typischen Fallgruppen (wie beispielsweise die Existenzgefährdung des Antragstellers oder die Abwendung eines endgültigen Rechtsverlusts)152 offensichtlich nicht einschlägig. Eine (vorläufige) Rückforderung der Beihilfe nebst Zinsen könnte vielmehr umgekehrt für den Antragsgegner (Beihilfeempfänger) existenzgefährdende Folgen zeitigen und zudem zu einer vom Grundsatz her unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache führen. Ohne eine Leistungsverfügung könnte jedoch nicht sichergestellt werden, dass die Rückforderung „unverzüglich“ i. S. d. Art. 14 Abs. 3 BeihVerf-VO 569/1999 erfolgt bzw. die Rechte konkurrierender Unternehmen bei einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot zeitnah geschützt werden. Die Anforderungen an den Verfügungsgrund sind daher im Lichte des Effektivitätsgrundsatzes und des Unionsgrundrechts auf zeitnahen Rechtsschutz (Art. 47 Abs. 2 GRC) zu modifizieren.153 Betrachtet man § 940 ZPO als Rechtsgrundlage der Leistungsverfügung, so steht der Wortlaut des Gesetzes – wie Herrmann & Kruis154 zu Recht betonen – einer unionsrechtskonformen Auslegung nicht im Wege, da § 940 ZPO eine Verfügung auch dann zulässt, wenn dies „aus anderen Gründen nötig erscheint“.

D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten bei Verstößen gegen das Durchführungsverbot Verstöße gegen das Durchführungsverbot müssen nicht nur von Amts wegen von den mitgliedstaatlichen Behörden geahndet werden. Der EuGH verlangt darüber hinaus, dass die von einem Verstoß „betroffenen“ Dritten zugleich das Recht haben, sich vor den einzelstaatlichen Gerichten gegen eine Verletzung von Art. 108 Abs. 3 AEUV zur Wehr zu setzen (I.). Im Einzelnen ist immer noch ungeklärt, welche Anforderungen nach geht es jedoch um einen Zahlungsanspruch der Behörde, nicht aber um dessen Sicherung. Einen anderen Weg wählt demgegenüber das OVG Berlin-Brandenburg, NVwZ 2006, 104 = EuZW 2006, 91. Nach Auffassung des Gerichts können materiell rechtswidrige Beihilfen, die auf vertraglicher Basis gewährt wurden, durch Verwaltungsakt zurückgefordert werden, denn nur die Rückforderung durch Verwaltungsakt könne eine sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Kommissionsentscheidung gewährleisten. Gegen diese Auffassung indessen zutreffend Herrmann/Kruis, a. a. O.; Hildebrandt/Castillon, NVwZ 2006, 298. 151  MüKo/Drescher, ZPO, 4. Aufl., 2012, § 935 ZPO Rn. 3 ff. 152  MüKo/Drescher, ZPO, 4. Aufl., 2012, § 935 ZPO Rn. 17. 153   Für eine unionsrechtskonforme Auslegung der ZPO-Vorschriften auch Herrmann/Kruis, EuR 2007, 141, 157; Martin-Ehlers, EuZW 2014, 247, 249; Uwer/Wodarz, DÖV 2006, 989, 994; Soltész, EuZW 2006, 641. 154   Herrmann/Kruis, EuR 2007, 141, 157.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

das Unionsrecht an die Ausgestaltung der Rechtsbehelfe stellt. Die nachfolgenden Ausführungen widmen sich daher zunächst der Frage, welche Ansprüche gegen den Beihilfegeber bzw. den Mitgliedstaat einerseits und gegebenenfalls gegen den Beihilfenehmer andererseits aus Sicht des Unionsrechts bestehen müssen (II.). Im Anschluss hieran wird die zivilgerichtliche Praxis in Deutschland (III.) und einigen ausgewählten Mitgliedstaaten (IV.) untersucht. Vor diesem Hintergrund können die praktischen und rechtlichen Probleme der Konkurrentenklage resümierend in den Blick genommen werden (V.).

I. Rechtsschutzauftrag der einzelstaatlichen Gerichte 1. Das Durchführungsverbot als subjektives Recht Der Gerichtshof stellte bereits im Jahre 1964 in Costa/ENEL155 in einem obiter dictum fest, dass das Durchführungsverbot die Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung erfüllt. In der Rechtssache Lorenz aus dem Jahr 1973 konkretisierte er diese Feststellung mit dem Hinweis, dass aus dem Durchführungsverbot zugleich Individualrechte folgen. Nach Auffassung des Gerichts besitzt Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV „unmittelbare Geltung und begründet Rechte der einzelnen, die von den nationalen Gerichten zu beachten sind“.156 Seit den 1990er Jahren spricht der Gerichtshof noch deutlicher davon, dass die nationalen Gerichte diese Individualrechte nicht nur zu beachten, sondern zu schützen haben.157 Im Jahre 2005 verknüpfte der Gerichtshof im Fall Streekgewest die vorangegangene Rechtsprechung sodann mit dem Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, das nunmehr in Art. 47 GRC verankert ist.158 Der Rechtsschutzauftrag der einzelstaatlichen Gerichte erklärt sich aus der bereits beschriebenen Aufgabenverteilung zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten und dem Umstand, dass ein effektiver Rechtsschutz von Privaten, deren Chancengleichheit durch das beihilfewidrige Verhalten der Mitgliedstaaten beeinträchtigt wird, nicht durch die Unionsgerichte realisiert werden kann. Der Rechtsschutz vor den innerstaatlichen Gerichten ist nicht nur in zeitlicher Hinsicht effektiver. Er geht auch in Bezug auf die geltend zu machenden Anspruchsziele sowie die zu berücksichtigenden Einwände regelmäßig weiter. Die Unionsgerichte schützen Konkurrenten nur gegen Maßnahmen der Kommission im Rahmen des Genehmigungsverfahrens. Zwar hat der Gerichtshof die Rechtsschutzmöglichkeiten von Konkurrenten, gegen Entscheidungen (jetzt: Beschlüsse) der Kommission im Wege der Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) vorzugehen, gerade in letzter Zeit verstärkt.159 155

  EuGH, Rs. 6/64 (Costa/ENEL).   EuGH, Rs. 120/73 (Lorenz) Rn. 8. 157   EuGH, Rs. C‑17/91 (Lornoy) Rn. 30; verb. Rs. C‑149 – 150/91 (Sanders Adour) Rn. 26; Rs. C‑39/ 94 (SFEI) Rn. 52; verb. Rs. C‑261 – 262/01 (van Calster) Rn. 53; Rs. C‑199/01 (CELF I) Rn. 38; Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 26. 158   EuGH, Rs. C‑174/02 (Streekgewest) Rn.  17 – 18. 159   So hat der Konkurrent nach neuerer Rechtsprechung etwa die Möglichkeit, im Wege der Nichtigkeitsklage vorzugehen, wenn die Kommission seine Beschwerde gegen eine Beihilfe ohne Sachentscheidung nicht weiterverfolgt; EuGH, Rs. C‑521/06 P (Athinaïki Techniki) Rn. 37; hierzu M. Lorenz, EWS 2008, 505 ff. Wettbewerber müssen zudem bei Klagen gegen Beschlüsse zum Abschluss eines beihilferechtlichen Vorprüfverfahrens nicht mehr nachweisen, dass ihre Wettbewerbsstellung auf dem 156

D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten

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Die Kommission (und folglich auch die Unionsgerichte) können die Genehmigung jedoch nicht allein deswegen versagen, weil ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot vorliegt.160 Auch die in der Beihilfe-Verfahrensverordnung vorgesehene Befugnis der Kommission, in besonderen Sachlagen eine einstweilige Rückforderungsanordnung zu erlassen, begründet für Konkurrenten keinen einklagbaren Rechtsanspruch: Nach Auffassung des EuG kann ein Konkurrent trotz individueller Betroffenheit im Rahmen der Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) nicht geltend machen, die Kommission habe gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV verstoßen, weil sie dem betreffenden Mitgliedstaat nicht aufgegeben habe, die Durchführung der Beihilfe auszusetzen und eine Rückforderung zu verlangen.161 Das EuG verweist stattdessen explizit auf die Möglichkeit des Konkurrenten, Rechtsschutz vor den einzelstaatlichen Gerichten zu erlangen.162 2. Klagebefugnis und Rechtsschutzinteresse Der Gerichtshof ist in den Rechtssachen Streekgewest, Transalpine Ölleitung und CELF I erstmals auf die Frage eingegangen, wessen Rechte die einzelstaatlichen Gerichte zu schützen haben: Grundsätzlich sind diejenigen klagebefugt, die von der Wettbewerbsverzerrung, die durch die Gewährung der rechtswidrigen Beihilfe hervorgerufen wurde, betroffen sind.163 Zwar ist der Kreis der Betroffenen in erster Linie von den Mitgliedstaaten zu bestimmen.164 Das Effektivitätsgebot setzt dem jedoch Grenzen. Wie der EuGH in Streekgewest herausgestellt hat, verlangt das Unionsrecht effektive nationale Rechtsvorschriften über die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse, die die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht beeinträchtigen.165 Im Einzelnen sind hier noch viele Fragen offen. So ist insbesondere ungeklärt, ob der Kreis der durch Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV geschützten Personen nach denselben Maßstäben zu ermitteln ist, die auch für die Nichtigkeitsklage gelten.166 Private Personen müssen nach Art. 263 Abs. 4 AEUV nicht nur unmittelbar, sondern darüber hinaus individuell betroffen sein, wenn sie nicht Adressat eines Beschlusses (früher: Entscheidung) sind. Nach der Plaumann-Formel,167 die auch nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags weiterhin Anwendung findet,168 ist indessen nur derjenige indiviMarkt durch die Beihilfe „spürbar“ beeinträchtigt wird, wenn sie „Beteiligte“ im Sinne von Art. 108 Abs. 2 AEUV und Art. 1 lit. h BeihVerf-VO 659/99 sind; EuGH, verb. Rs. C‑75 & 80/05 P (Krono­ france) Rn. 44; hierzu M. Lorenz, EWS 2009, 25 ff. 160   Hierzu bereits supra, unter § 8 B.II. 161   EuG, Rs. T‑49/93 (SIDE/Kommission) Rn. 83 ff. 162   EuG, Rs. T‑49/93 (SIDE/Kommission) Rn. 86. Ähnlich EuG, Rs. T‑330/94 (Salt Union/Kommission) Rn. 39. 163  EuGH, Rs. C‑174/02 (Streekgewest) Rn. 19; Rs. C‑368/04 (Transalpine Ölleitung) Rn. 46; Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 38. 164   GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑174/02 (Streekgewest) Rn. 52, 54. 165   EuGH, Rs. C‑174/02 (Streekgewest) Rn. 18. 166   In diese Richtung Jaeger, ecolex 2006, 804 ff., in Fn. 40, mit (unzutreffendem) Verweis auf EuGH, Rs. C‑174/02 (Streekgewest) Rn. 19. 167   EuGH, Rs. 25/62 (Plaumann). Aus neuerer Zeit EuGH, Rs. C‑106/98 P (Comité d’entreprise de la Société française de production) Rn. 39; EuG, Rs. T‑88/01 (Sniace) Rn. 55; Rs. T‑36/99 (Lenzing) Rn. 73. 168   EuGH, Rs. C‑583/11 P (Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat) Rn. 71 f., 105; zuvor EuG, Rs. T‑18/10 (Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat) Rn. 41 und 88.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

duell betroffen, der von dem Beschluss wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen heraushebender Umstände, in ähnlicher Weise individualisiert wird wie der Adressat. Gegen eine unbesehene Übertragung der zu Art. 263 Abs. 4 AEUV entwickelten Grundsätze spricht bereits, dass die Plaumann-Formel nicht für den dezentralen Rechtsschutz gilt; die vom Gerichtshof für andere Rechtsgebiete geforderten Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen vor den nationalen Gerichten gehen häufig weiter als beim zentralen Rechtsschutz.169 Die für Art. 263 Abs. 4 AEUV aufgestellten Anforderungen können daher nur hinreichende, nicht aber notwendige Kriterien sein, wenn es um die Klagebefugnis vor den nationalen Gerichten geht. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Gerichtshof für Nichtigkeitsklagen in Beihilfeverfahren spezifische Anforderungen entwickelt hat, die den Besonderheiten des Beihilfeaufsichtsverfahrens Rechnung tragen, die aber bei einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot keine Rolle spielen können. So berücksichtigt der Gerichtshof etwa im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 AEUV insbesondere den Umstand, ob der Wettbewerber eine aktive Beteiligung am förmlichen Prüfverfahren nachweisen kann.170 Dies vorausgeschickt, spricht nichts dagegen, auf die übrigen zu Art. 263 Abs. 4 AEUV entwickelten Kriterien zurückzugreifen, um Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, wer bei einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot vor den nationalen Gerichten klagebefugt ist: Wettbewerber sind hiernach individuell betroffen, wenn ihre Marktstellung durch die Beihilfe spürbar beeinträchtigt wird.171 Die Rechtsprechung stellt für die Spürbarkeit auf unterschiedliche Kriterien ab.172 Entscheidend ist unter anderem, ob zwischen dem Beihilfeempfänger und dem Dritten ein unmittelbares Wettbewerbsverhältnis besteht,173 ob Umsatzrückgänge feststellbar sind174 oder ob durch die Beihilfegewährung ein sonstiger Schaden entstanden ist, der adäquat kausal durch die Beihilfegewährung herbeigeführt wurde und vom Schutzzweck des Art. 108 Abs. 3 AEUV gedeckt ist.175 Daneben könnten auch potenzielle Wettbewerber des Beihilfeempfängers, die (noch) nicht auf dem Markt des Beihilfeempfängers tätig sind, aktivlegitimiert sein. Dafür spricht, dass das Beihilferecht nicht nur den unverfälschten Wettbewerb im Markt, sondern auch den Wettbewerb um den Markt schützt.176 Aktivlegitimiert müssen daher auch Unternehmen sein, die gegenwärtig noch auf einem benachbarten sachlich und räumlich relevanten Markt tätig sind, aber infolge der Beihilfegewährung daran gehindert werden, auf den Markt des Beihilfeempfängers vorzustoßen. 169

 Hierzu supra, § 3 D.II.1.a.   Für Nichtigkeitsklagen gegen Beschlüsse (zuvor: Entscheidungen) im Vorprüfverfahren siehe EuGH, Rs. C‑198/91 (Cook) Rn. 22 ff., 25 f.; Rs. C‑225/91 (Matra) Rn. 16 ff.; verb. Rs. C‑75 & 80/05 P (Kronofrance) Rn. 42 ff. Zu Klagen gegen Beschlüsse im förmlichen Prüfverfahren EuGH, Rs. 169/84 (Cofaz) Rn. 23 ff.; Rs. C‑106/98 P (Comité d’entreprise de la Société française de production) Rn. 40 f. 171   EuGH, Rs. 169/84 (Cofaz) Rn. 25; Rs. C‑260/05 P (Sniace) Rn. 54. 172   In der Rechtsprechung werden die materiellen Kriterien für den Spürbarkeitstest nicht einheitlich definiert. Kritisch hierzu Soltész, in: Heidenhain (Hrsg.), Hdb. des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 44 Rn. 24, 46, mit dem Vorschlag, die Spürbarkeit der Marktbeeinträchtigung nach den Maßstäben zu bestimmen, die eine tatsächliche oder drohende Wettbewerbsverfälschung i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV determinieren; zustimmend Frenz, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1601. 173   EuG, Rs. T‑88/01 (Sniace) Rn.  60 – 78. 174   EuG, Rs. T‑69/96 (Hamburger Hafen) Rn. 42 ff.; Rs. T‑11/95 (BP Chemicals) Rn. 80 f. 175   EuG, Rs. T‑41/01 (Pérez Escolar) Rn. 41 ff. 176   Koenig/Hellstern, GRUR Int. 2012, 14 ff. 170

D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten

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Auch Unternehmensvereinigungen, insbesondere Berufsverbände, können aus abgeleitetem Recht gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV klagebefugt sein, wenn der Verband die Interessen seiner Mitglieder vertritt und zumindest einige seiner Mitglieder selbst klagebefugt sind.177 Diese Rechtsprechung lässt sich für den Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten ebenfalls fruchtbar machen. Ein originäres, aus dem Unionsrecht folgendes ungeschriebenes Verbandsklagerecht besteht demgegenüber nicht. Ein solches wird den Verbänden im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nur dann zugesprochen, wenn und soweit die Vereinigung in ihrer Position als Verhandlungspartnerin betroffen ist, die sie im Verfahren vor der Kommission angenommen hat.178 Beim Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten geht es jedoch nicht um die Beteiligungsrechte im Beihilfeaufsichtsverfahren, sondern um einen vom Prüfverfahren der Kommission unabhängigen Rechtsschutz. Aus dem effet utile folgt nichts anderes:179 Eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Einführung einer Verbandsklage bedürfte angesichts des weitreichenden Eingriffs in die nationalen Rechtsordnungen einer gesetzlichen Fundierung im Unionsrecht. In besonders gelagerten Konstellationen können sogar Dritte, die von einer Wettbewerbsverfälschung nicht unmittelbar betroffen sind, ein Rechtsschutzinteresse haben. Insbesondere bei Beihilfen in Form der Befreiung von Abgaben oder sonstigen finanziellen Verpflichtungen ist der Kreis der Klagebefugten weiter zu ziehen: Nach der Rechtsprechung des EuGH können sämtliche Abgabepflichtigen vor den innerstaatlichen Gerichten einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot geltend machen, wenn das Abgabenaufkommen nach den einschlägigen einzelstaatlichen Vorschriften ausschließlich für die Finanzierung der rechtswidrigen staatlichen Beihilfe verwendet werden darf und unmittelbar den Umfang der unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährten Beihilfe beeinflusst.180 3. Mögliche Rechtsbehelfe des Konkurrenten Der Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV kann unterschiedliche Ansprüche zugunsten von Konkurrenten bzw. sonstiger Dritten auslösen. In ihrer Bekanntmachung aus dem Jahre 2009181 listet die Kommission die folgenden Rechtsbehelfe auf: – – – – –

Verhinderung der Auszahlung (formell) rechtswidriger Beihilfen, Rückforderung (formell) rechtswidriger Beihilfen, Zahlung von Rechtswidrigkeitszinsen, Schadensersatz für Mitbewerber und sonstige Dritte, sowie einstweilige Maßnahmen gegen rechtswidrige Beihilfen.

Inwieweit diese Ansprüche dritten Personen aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben vor den nationalen Gerichten zur Verfügung stehen müssen, ist Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung. 177   EuG, Rs. T‑55/99 (CETM) Rn. 23 f.; Rs. T‑114/00 (Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum) Rn. 53. 178   EuGH, verb. Rs. 67 – 68 & 70/85 (van der Kooy) Rn. 21 ff.; EuG, Rs. T‑114/00 (Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum) Rn. 65. 179   Hierzu bereits supra, § 3 E.V.3.d.dd. 180   EuGH, Rs. C‑174/02 (Streekgewest) Rn. 19, 26; verb. Rs. C‑266 – 270, 276 & 321 – 325/04 (Casino France) Rn. 40; verb. Rs. C‑393/04 & C‑41/05 (Air Liquide) Rn. 46. 181   Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. 2009 C 85/1, 6 f. (Rn. 26).

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

II. Unionsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung mitgliedstaatlicher Rechtsbehelfe 1. Anwendung des nationalen Rechts Rechtsbehelfe des Einzelnen folgen nicht bereits aus der unmittelbaren Wirkung des Art. 108 Abs. 3 AEUV.182 Der Gerichtshof verweist für die prozessuale Durchsetzung auf das innerstaatliche Recht,183 ebenso wie generell das nationale Recht für die innerstaatlichen Folgen von Verstößen gegen das Beihilferecht einschlägig ist.184 Rechtsprechung185 und Lehre186 gehen daher zu Recht davon aus, dass die maßgebliche Anspruchsgrundlage im nationalen Recht zu suchen ist. Im Folgenden kann es nur um die Frage gehen, welche Anforderungen das Unionsrecht an die Ausgestaltung mitgliedstaatlicher Rechtsbehelfe stellt. Wie diese von den Mitgliedstaaten umzusetzen sind, ist demgegenüber eine hiervon zu trennende Frage: Behindern materielle oder prozessuale Bestimmungen die Anwendung des Beihilfenrechts vor den nationalen Gerichten, liegt eine sog. indirekte Kollision187 vor, so dass die fraglichen Bestimmungen ggf. unionsrechtskonform ausgelegt oder unangewendet bleiben müssen. Lässt sich den unionsrechtlichen Anforderungen auf diese Weise nicht ausreichend Rechnung tragen, so verlangt das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, Art. 47 Abs. 1 GRC), dass die Mitgliedstaaten die zur Durchsetzung des Unionsrechts erforderlichen Rechtsbehelfe schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz gewährleistet ist. 2. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den Beihilfegeber In Betracht kommen zunächst Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche des Wettbewerbers gegen den Beihilfegeber. Ist die Beihilfe noch nicht (vollständig) ausgezahlt worden, könnte der Konkurrent durch eine gegen den Beihilfegeber gerichtete (vorbeugende) Unterlassungsklage die Auszahlung der Beihilfe verhindern. Ist die Beihilfe bereits gewährt worden, kommt demgegenüber ein Folgenbeseitigungsanspruch in Betracht. Ein solcher Anspruch wäre einerseits darauf gerichtet, dass der Beihilfegeber seine (vertraglichen bzw. bereicherungsrechtlichen) Ansprüche gegenüber dem Beihilfenehmer geltend macht und die Beihilfe vom Beihilfenehmer zurückfordert bzw. ihre Einzahlung auf ein Sperrkonto verlangt.188 Andererseits könnte der Konkurrent vom Beihilfegeber verlangen, dass dieser die aus der vorzeitigen Beihilfegewährung erwachsenden Zinsvorteile vom Beihilfenehmer herausverlangt.

182   So aber Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht der EU, 2. Aufl., 2009, Rn. 1053, die davon ausgehen, dass Art. 108 Abs. 3 AEUV aufgrund seiner unmittelbaren Wirkung – flankiert durch den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes – im zivilrechtlichen Verfahren eine eigene Anspruchsgrundlage des Wettbewerbers gegen die öffentliche Hand auf Rückforderung der Beihilfe bildet. 183   EuGH, Rs. C‑174/02 (Streekgewest) Rn.  17 – 18. 184   Hierzu bereits supra, § 8 C.I. 185   BVerwGE 138, 322 = EuZW 2011, 269 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung) Rn. 14; BGHZ 188, 326 = EuZW 2011, 440 (Flughafen Frankfurt-Hahn) Rn. 22. 186  Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Beljin, Europarecht, 2. Aufl., 2010, § 28 Rn. 267; wohl auch Hentschelmann, EWS 2009, 515, 516; Schmidt-Kötters, in: Heidenhain (Hrsg.), Hdb. des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 58. 187   Zum Begriff der indirekten Kollision supra, § 4 A.V.2.b. 188   Hierzu bereits supra, § 8 C.II.2., C.III. und C.IV.

D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten

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Seit dem Urteil SFEI189 steht fest, dass Wettbewerber, die durch einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot geschädigt werden, grundsätzlich einen Folgenbeseitigungsanspruch gegen den Beihilfegeber geltend machen können.190 Dementsprechend muss, wenn die Beihilfe noch nicht bzw. noch nicht vollständig ausgezahlt worden ist, erst recht ein (vorbeugender) Unterlassungsanspruch bestehen. Wie der EuGH in SFEI191 und zuletzt in CELF II192 klargestellt hat, steht die Konkurrentenklage indessen unter mehreren Vorbehalten: Die Verpflichtung des nationalen Gerichts zum Erlass von Schutzmaßnahmen besteht nur, wenn (i) die Qualifizierung als staatliche Beihilfe nicht zweifelhaft ist, wenn (ii) die Durchführung der Beihilfe unmittelbar bevorsteht oder die Beihilfe durchgeführt wurde und wenn (iii) keine außergewöhnlichen Umstände, die eine Rückforderung unangemessen erscheinen lassen, festgestellt worden sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so muss das nationale Gericht den Antrag zurückweisen. Dass hierdurch die Effektivität von Konkurrentenklagen erheblich gemindert werden kann, zeigt ein rechtsvergleichender Blick in die Judikatur der mitgliedstaatlichen Gerichte. In vielen Fällen scheitern Konkurrentenklagen daran, weil nach Auffassung des nationalen Gerichts entweder schon gar keine Beihilfe vorliegt193 oder aber „außergewöhnliche Umstände“194 vorliegen sollen. Die vom EuGH geforderte Zusammenarbeit der nationalen Gerichte mit der Kommission unterbleibt dabei zumeist. Der Konkurrent kann das nationale Gericht auch nicht zu einer Vorlage an den EuGH zwingen. Ihm bleibt nur die Möglichkeit, die Klageabweisung durch ein höherrangiges Gericht überprüfen zu lassen. In der Praxis bestehen darüber hinaus Beweisschwierigkeiten: Grundsätzlich muss der Konkurrent darlegen und beweisen, dass eine Beihilfe überhaupt gewährt wurde. Konkurrierende Unternehmen verfügen indessen häufig über bruchstückhafte Informationen; Anfragen bei den zuständigen öffentlichen Stellen bleiben in der Praxis ohne Erfolg, da sich die Behörden zumeist auf ihre Geheimhaltungspflicht berufen.195 Erschwerend kommt hinzu, dass viele staatliche Beihilfen in mehr oder weniger versteckter Form gewährt werden. Die Kommission weist in ihrer Mitteilung von 2009196 indessen zutreffend darauf hin, dass in diesen Fällen die vom EuGH in Laboratoires Boiron197 entwickelten Beweiserleichterungen heranzuziehen sind: Liegt die Beweislast für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe bei dem „betroffenen“ Dritten, und ist dieser Umstand geeignet, die Führung dieses Beweises praktisch unmöglich zu machen oder über189

  EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 70.   Pernice, EuZW 1992, 66; Jestaedt, EuZW 1993, 49, 51; Klanten, ZIP 1995, 535, 541; Sinnaeve, EuZW 1996, 569, 570. 191   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 70. 192   EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 36 193  Für Italien vgl. etwa Tribunale di Genova, Urt. v. 26.4.1993, Grandi traghetti di navigazione S.p.A v. Viamare di navigazione S.p.a. und Finmare S.p.A., wiedergegeben bei Jestaedt/Derenne/ Ottervanger, Study, 2006, Part I, S. 326 f. Vgl. auch das der Rechtssache Traghetti zugrunde liegende Ausgangsverfahren, EuGH, Rs. C‑173/03 (Traghetti del Mediterraneo) Rn. 9. 194   So lehnte etwa das OLG Koblenz, EuZW 2010, 274, eine Leistungsklage des Konkurrenten als unbegründet ab, da seiner Ansicht nach „außergewöhnliche Umstände“ vorlagen, die es rechtfertigten, von einer Rückerstattung abzusehen; kritisch zu dieser Entscheidung Klein, EuZW 2010, 278, 279. 195   Soltész, ZWeR 2006, 388, 391. 196   ABl. 2009 C 85/17 (Rn. 76). 197   EuGH, Rs. C‑526/04 (Laboratoires Boiron) Rn. 55. 190

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

mäßig zu erschweren (z. B. weil sich die betreffenden Unterlagen nicht in seinem Besitz befinden), so muss das einzelstaatliche Gericht nach dem Effektivitätsgrundsatz „alle ihm nach dem nationalen Recht zu Gebote stehenden Verfahrensmaßnahmen ­ausschöpfen, darunter die Anordnung der erforderlichen Beweiserhebungen, einschließlich der Vorlage von Urkunden oder Schriftstücken durch eine Partei oder einen Dritten.“ Deutlich einfacher ist die private Rechtsdurchsetzung, wenn ein Eröffnungsbeschluss der Kommission vorliegt. Hat die Kommission ein förmliches Prüfverfahren eingeleitet, so sind die einzelstaatlichen Gerichte, wie der EuGH in den Fällen Deutsche Lufthansa198 und Flughafen Lübeck199 klargestellt hat, an die im Beschluss enthaltene vorläufige Qualifizierung als Beihilfe gebunden und müssen dementsprechend tätig werden.200 3. Schadensersatzansprüche gegen den Mitgliedstaat Neben Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen kommen auch Schadensersatzansprüche des Konkurrenten gegen den Mitgliedstaat201 in Betracht. Schadensersatzansprüche sind umso notwendiger, je länger eine rechtswidrig gewährte Beihilfe auf dem Binnenmarkt eine wettbewerbsverzerrende Wirkung zum Nachteil des Konkurrenten entfaltet. Letztlich kann der Eintritt von Wettbewerbsnachteilen weder durch ein schnelles Handeln auf europäischer noch auf nationaler Ebene vollständig verhindert werden. Konkurrenten und Kommission werden häufig erst aufgrund der Veränderungen auf dem Binnenmarkt auf die rechtswidrige Beihilfevergabe eines Mitgliedstaats aufmerksam. Sind aber bereits Schäden der Mitbewerber eingetreten, können diese durch eine spätere Rückforderung der Beihilfesumme zuzüglich Zinsen nicht mehr kompensiert werden. Der entstandene Schaden in Form von Gewinneinbußen oder Marktanteilsverlusten kann daher nur noch über einen Schadensersatzanspruch ausgeglichen werden. Nach der Francovich-Doktrin sind Staatshaftungsansprüche unionsrechtlich vorgegeben, wenn eine Norm des Unionsrechts verletzt wird, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen. Dass das Durchführungsverbot diese Voraussetzung erfüllt, wurde vom EuGH allgemein im Fall Traghetti bestätigt.202 Der Verstoß gegen das Unionsrecht muss ferner „hinreichend qualifiziert“ sein. Ein hinreichend qualifizierter Verstoß liegt in der Regel vor, wenn die innerstaatliche Behörde über keinerlei Ermessensspielraum verfügt und gegen eindeutige und klar vorgezeichnete Handlungspflichten verstößt.203 Bei dem Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 198

  EuGH, Rs. C‑284/12 (Deutsche Lufthansa).   EuGH, Rs. C‑27/13 (Flughafen Lübeck). 200   Im Einzelnen supra, §  8 C.III.2. – 3. 201   Die Mitgliedstaaten können auch vorsehen, dass der Beihilfegeber haftet. Aus unionsrechtlicher Perspektive ist allein entscheidend, dass die innerstaatlichen Verfahrensregelungen einen wirksamen Schutz der Rechte ermöglichen, die dem Einzelnen aufgrund des Unionsrechts zustehen, und die Geltendmachung dieser Rechte nicht im Vergleich solcher Rechte erschwert ist, die dem Einzelnen nach innerstaatlichem Recht zustehen; EuGH, Rs. C‑424/97 (Haim) Rn. 30 ff. 202   EuGH, Rs. C‑173/03 (Traghetti del Mediterraneo) Rn. 41, mit Hinweis auf die SchlA von GA Léger, Rn. 87 – 89. Vgl. auch schon zuvor GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 77. 203   EuGH, Rs. C‑5/94 (Hedley Lomas) Rn. 28; Rs. C‑424/97 (Haim) Rn. 38; Rs. C‑278/05 (Robins) Rn. 71. 199

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AEUV handelt es sich um eine solche Pflicht.204 Auch wenn im konkreten Fall unklar ist, ob eine notifizierungspflichtige Beihilfe vorliegt, muss der Staat grundsätzlich die Kommission von dem Vorhaben informieren.205 Problematisch ist der für einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch erforderliche Nachweis, dass der Verstoß gegen das Durchführungsverbot zu einem Schaden des Konkurrenten geführt hat. Dies erfordert grundsätzlich die Darlegung einer „doppelten“ Kausalität:206 (i) Erstens muss der Konkurrent den Kausalzusammenhang zwischen der Subventionsgewährung und dem schadensverursachenden Verhalten des Beihilfenehmers beweisen. (ii) Zweitens muss er den Kausalzusammenhang zwischen dem schadensverursachenden Handeln und dem behaupteten Schaden beweisen. Dies unterscheidet die Durchsetzung beihilferechtlicher Schadensersatzansprüche von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen, bei denen grundsätzlich nur die zweite Voraussetzung (Kausalität zwischen Wettbewerbsverstoß und Schaden) bewiesen werden muss.207 Zwar mag es Fälle geben, in denen der „doppelte“ Kausalitätsnachweis einfach erbracht werden kann, so etwa, wenn der Beihilfeempfänger aufgrund der rechtswidrigen Beihilfe anstelle des Konkurrenten den Zuschlag für einen Auftrag erhalten hat.208 Der Nachweis ist demgegenüber ungleich schwerer zu erbringen, wenn die Beihilfe dem Unternehmen gewährt wurde, um dessen allgemeine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. In diesen Fällen muss der Konkurrent bei Schadensersatzansprüchen, die mit allgemeinen Marktanteilseinbußen begründet werden, darlegen und beweisen, dass (i) die rechtswidrige Beihilfe zur Preisunterbietung genutzt wurde und (ii) er gerade durch dieses Verhalten Verluste erlitten hat.209 Beide Voraussetzungen stellen beträchtliche Hürden dar. Erstens wird der Beklagte regelmäßig einwenden, dass der Beihilfeempfänger seinen Konkurrenten auch ohne Beihilfegewährung unterboten hätte. Zweitens wird er geltend machen, dass der Verlust von Marktanteilen nicht durch das Preisverhalten des Beihilfenehmers verursacht wurde, sondern auf die allgemeine Marktlage oder die geringere Wettbewerbsfähigkeit des Konkurrenten zurückzuführen ist. Besonders problematisch ist der Kausalitätsnachweis, wenn die Kommission die gewährte Beihilfe in einem abschließenden Beschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt. Der Konkurrent müsste dann nachweisen, dass er allein aufgrund der vorzeitigen Beihilfegewährung und des hiermit verbundenen Zeitvorteils des Beihilfeempfängers einen Schaden erlitten hat. 204   So auch die Kommission in ihrer Bekanntmachung über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. 2009 C 85/1, 12 (Rn. 47). Aus dem Schrifttum Frenz, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, § 3 Rn. 1678; Schneider, DVBl. 1996, 1301, 1307; Staebe, Rechtsschutz, 2001, S. 214; Temple Lang, EStAL 2014, 440, 441 f. 205   Ein Haftungsausschluss kommt allenfalls bei einer gutgläubigen Vergabe atypischer Beihilfen in Betracht, sofern der Mitgliedstaat nachweisen kann, dass auch bei Anwendung der unionsrechtlich gebotenen Sorgfalt die richtige Einschätzung der Rechtslage nicht möglich gewesen ist; Sasserath, Schadensersatzansprüche, 2001, S. 188. 206   Honoré/Jensen, EStAL 2011, 265, 271. 207  Dazu supra, § 7 C.V.2. 208  Weiterführend Honoré/Jensen, EStAL 2011, 265, 277 mit weiteren Fallbeispielen, in denen die „doppelte“ Kausalität einfacher bewiesen werden kann. 209   Soltész, EuZW 2001, 202, 206. Zu den Schwierigkeiten des Schadensnachweises siehe auch Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht der EU, 2. Aufl., 2009, Rn. 1075.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

Die Kommission spricht in ihrer Mitteilung von 2009 die Probleme des Kausalitätsnachweises nur teilweise an, indem sie auf die Möglichkeit verweist, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte nach den „einzelstaatlichen Verfahrensvorschriften“ befugt sein könnten, sich bei der Festsetzung des Schadensersatzes – vorbehaltlich der Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes – auf angemessene Schätzungen zu stützen, bei denen die tatsächliche (anhand der Gewinn- und Verlustrechnung ermittelte) Einkommenssituation des Klägers mit der hypothetischen Einkommenssituation bei Nichtgewährung der rechtswidrigen Beihilfe verglichen wird. Die einzelstaatlichen Gerichte können die Kommission um Stellungnahme zu den rechtlichen Voraussetzungen der Schadensersatzklage sowie zu Fragen im Zusammenhang mit der Ermittlung des erlittenen Schadens ersuchen.210 Inwieweit der Effektivitätsgrundsatz die nationalen Gerichten verpflichtet, dem geschädigten Konkurrenten durch eine Erleichterung der Nachweispflicht zu helfen (etwa durch Annahme eines prima facie Beweises oder sogar eine Umkehr der Beweislast), ist indessen eine bislang ungelöste Frage. 4. Ansprüche gegen den Beihilfeempfänger? Theoretisch kommen auch Ansprüche des Konkurrenten gegen den Beihilfeempfänger auf Unterlassung, auf Rückzahlung der Beihilfe an den Beihilfegeber sowie auf Schadensersatz in Betracht. Insbesondere ein Schadensersatzanspruch könnte die Effektivität der europäischen Beihilferegelungen erheblich verstärken. Der Vorteil eines Schadensersatzanspruchs läge allerdings nicht so sehr in kompensatorischer als vielmehr in präventiver Hinsicht.211 Gerade im Fall der Rückforderung der Beihilfe werden Schadensersatzansprüche des Wettbewerbers vielfach an der Zahlungsunfähigkeit des Beihilfeempfängers scheitern. Eine Schadensersatzpflicht hätte angesichts der zu erwartenden hohen Haftungssummen aber eine abschreckende Wirkung. Während Beihilfenehmer das Rückzahlungsrisiko trotz bestehender Zinsverpflichtungen häufig in Kauf nehmen, könnte eine drohende Haftung die Unternehmen dazu veranlassen, im eigenen Interesse von der Annahme der ihnen vom Staat angebotenen rechtswidrigen Beihilfen bzw. einer weiteren Nutzung abzusehen. Auf diese Weise könnten Wettbewerbsverzerrungen verhindert oder zumindest in ihrem Ausmaß beschränkt werden. Ansprüche des geschädigten Konkurrenten gegen Beihilfenehmer setzen indessen voraus, dass die in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Pflichten nicht nur die innerstaatliche Behörde binden, sondern zugleich den Beihilfeempfänger. Eine solche horizontale Direktwirkung wird jedoch vom EuGH zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass Notifizierungspflicht und Durchführungsverbot ausschließlich an den Mitgliedstaat, nicht aber an den Beihilfeempfänger gerichtet sind.212 Auch der in Courage entwickelte kartellrechtliche Schadensersatzanspruch kann nicht auf das Beihilferecht übertragen werden,213 denn der Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 210   Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. 2009 C 85/1, 21 (Rn. 91). 211  Zutreffend Sasserath, Schadensersatzansprüche, 2001, S. 220. 212   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn.  72 – 76. 213   Im Fall Betws Anthracite Ltd. v. DSK Anthrazit Ibbenburen GmbH, [2004] 1 CMLR 12, p. 381, 396, machte der Kläger genau dieses Argument geltend. Der englische High Court lehnte es

D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten

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AEUV beruht nicht wie bei einem Kartellverstoß auf einem Verhalten des begünstigten Unternehmens, sondern auf dem Verhalten des Mitgliedstaats, der es unterlässt, die Beihilfe der Kommission gegenüber anzuzeigen. Dem Beihilfenehmer könnte allenfalls vorgeworfen werden, dass er sich bei Annahme der Beihilfe nicht von der Einhaltung des Notifizierungsverfahrens überzeugt hat. Zwar hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass es einem sorgfältigen Gewerbetreibenden regelmäßig möglich ist, sich zu vergewissern, ob der Mitgliedstaat seiner Notifizierungspflicht nachgekommen ist.214 Der Beihilfenehmer kann sich daher in der Regel nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, wenn der Beihilfegeber die ausgezahlte Beihilfe zurückfordert.215 Diese Nachforschungspflicht des Beihilfenehmers stellt aber eine bloße Obliegenheit dar. Der Sache nach besteht indessen ein qualitativer Unterschied, ob einem Unternehmen, welches eine Beihilfe annimmt, ohne sich zuvor über die Einhaltung des Notifizierungsverfahrens vergewissert zu haben, die Berufung auf schutzwürdiges Vertrauen versagt wird, oder ob das Unternehmen seinem Konkurrenten gegenüber zur Kompensation entstandener Schäden verpflichtet ist.216 Gegenwärtig bestehen damit keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Gerichtshof gewillt wäre, eine horizontale Haftung des Beihilfenehmers unter Rückgriff auf effet utile und die Courage-Doktrin zu konstruieren. Ansprüche konkurrierender Unternehmen gegen den Beihilfenehmer können ihre Grundlage daher nur im nationalen Recht, nicht jedoch im Unionsrecht haben. 5. Einstweiliger Rechtsschutz Der Rechtsschutzauftrag der einzelstaatlichen Gerichte beschränkt sich nicht auf den Erlass abschließender Urteile, sondern kann bei Eilbedürftigkeit auch die Verpflichtung umfassen, einstweilige Maßnahmen zu treffen: Ist wahrscheinlich, dass eine gewisse Zeit verstreichen wird, bevor das nationale Gericht abschließend entscheiden wird, so muss das Gericht nach Auffassung des EuGH beurteilen, „ob es zweckmäßig ist, unter Beachtung des nationalen Rechts vorläufige Regelungen wie die Aussetzung der betreffenden Maßnahmen zu erlassen, um die Interessen der Beteiligten zu schützen.“217 Je nach Art der im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsbehelfe kann bei einem nationalen Gericht daher ein Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt werden, um die Interessen derjenigen zu schützen, die von der Wettbewerbsverzerrung betroffen sind.218 Die Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen bestimmen sich dennoch mangels Unionsregelung nach nationalem Recht, solange die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität gewahrt sind: Der Gerichtshof hat es in Unibet219 insbesondere abgelehnt, die in Zuckerfabrik Süderdithmarschen220 und Atlanta Fruchthanjedoch ab, einen „Community Law tort“ unter Rückgriff auf die Courage-Doktrin für das Beihilferecht anzunehmen. 214  EuGH, Rs. C‑5/89 (Kommission/Deutschland  – „BUG-Alutechnik“) Rn. 14; Rs. C‑24/95 (Alcan II) Rn. 25; Rs. 99/02 (Kommission/Italien) Rn. 21; Rs. C‑148/04 (Unicredito Italiano) Rn. 104. 215  Hierzu supra, § 8 C.IV.3. 216   GA Jacobs, SchlA, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn.  80 – 84. 217   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 52. 218   EuGH, Rs. C‑368/04 (Transalpine Ölleitung) Rn. 46. 219   EuGH, Rs. C‑432/05 (Unibet) Rn.  80 – 82. 220   EuGH, verb. Rs. C‑143/88 und C‑92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen) Rn. 26 f.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

delsgesellschaft221 aufgestellten einheitlichen Kriterien für den zentralen Rechtsschutz auf den dezentralen Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten zu übertragen.222

III. Rechtslage in Deutschland 1. Überblick In Deutschland bildeten Konkurrentenklagen lange Zeit die Ausnahme.223 Erst in der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wurde anerkannt, dass Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV eine Schutznorm i. S. d. § 42 Abs. 2 VwGO ist, auf die sich ein Konkurrent berufen kann, wenn er darlegt, dass er in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zum Beihilfegeber steht und durch die Subventionierung spürbare Nachteile erwarten muss.224 Derartige Entscheidungen führten bislang aber nicht zur Rückerstattung der rechtswidrigen Beihilfe.225 Für den Rechtsschutz vor den Zivilgerichten galt lange Zeit dasselbe. Konkurrentenklagen wegen Verstoßes gegen das Durchführungsverbot wurden in der Vergangenheit durchweg abgewiesen.226 Für eine Rechtsprechungsänderung sorgten erst drei Klagen deutscher Luftverkehrsunternehmen, die sich gegen die Subventionierung von Billigfluggesellschaften durch die Betreiber der Flughäfen Frankfurt-Hahn, Lübeck und Berlin-Schönefeld zur Wehr gesetzt hatten, nachdem die Kommission in der Entscheidung Charleroi227 angeordnet hatte, dass Belgien die vom Betreiber des Flughafens Brüssel-Charleroi an Ryanair gewährten Beihilfen zurückfordern muss. In den betreffenden Verfahren begehrten die Kläger von den staatlichen Betreibergesellschaften (i) Auskunft über die Höhe der gewährten Subventionen, (ii) Unterlassung der weiteren Auszahlung von Beihilfen, sowie (iii) Rückforderung der Beihilfe durch den Beihilfegeber. Alle drei Klagen hatten in der Berufung keinen Erfolg. Erst die Revision zum BGH brachte im Jahre 2011 den Durchbruch.228 221

  EuGH, Rs. C‑465/93 (Atlanta Fruchhandelsgesellschaft) Rn. 39.  Hierzu supra, § 3 D.II.1.b. 223   Schmidt-Kötters, in: Heidenhain (Hrsg.), Hdb. des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 56 Rn.  1, 63 – 69; Streinz/Kühling, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 108 AEUV Rn. 57, Fn. 180 m. w. N. 224   OVG Koblenz, EuZW 2010, 274, 275 f., bestätigt durch BVerwGE 138, 322 = EuZW 2011, 269 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung). Implizit auch VG Magdeburg, EuZW 1998, 669 m. Anm. Pechstein. 225   Das OVG Koblenz, EuZW 2010, 274, lehnte eine Leistungsklage des Konkurrenten als unbegründet ab, da seiner Ansicht nach „außergewöhnliche Umstände“ vorlagen, die es rechtfertigten, von einer Rückerstattung abzusehen; kritisch zu dieser Entscheidung Klein, EuZW 2010, 278, 279. Die hiergegen erhobene Revision des Wettbewerbers wurde von BVerwGE 138, 322 = EuZW 2011, 269 wegen Verfristung zurückgewiesen, da es der Kläger versäumt hatte, den der Leistung zu Grunde liegenden Verwaltungsakt binnen einen Jahres nach Kenntnis anzufechten. Kritisch Martin-Ehlers, EuZW 2011, 583, 590 f. 226   OLG München, EuZW 2004, 125 (städtisches Krematorium); OLG Koblenz, Urt. v. 25.2.2009, Az. 4 U 759/07, openJur 2009, 275 (Flughafen Frankfurt-Hahn), aufgehoben durch BGHZ 188, 326 = EuZW 2011, 440; OLG Schleswig, Urt. v. 20.5.2008, Az. 6 U 54/06, BeckRS 2009, 01231 (Flughafen Lübeck), aufgehoben durch BGH, Urt. v. 10.2.2011, Az. I ZR 213/08, BeckRS 2011, 05517. Offengelassen von OLG Brandenburg, Urt. v. 21.7.2009, Kart U 1/07, NJOZ 2010, 208 = BeckRS 2009, 87039 (Flughafen Berlin-Schönefeld), aufgehoben durch BGH, GRUR-RR 2012, 157. 227   KomE v. 12.2.2004, ABl. 2004 L 137/1. Vgl. auch die im Anschluss von der Kommission veröffentlichten Leitlinien für die Finanzierung von Flughäfen und für die Gewährung staatlicher Anlaufbeihilfen für Luftfahrtunternehmen auf Regionalflughäfen, ABl. 2005 C 312/1 ff. 228   BGHZ 188, 326 = EuZW 2011, 440 (Flughafen Frankfurt-Hahn); BGH, Urt. v. 10.2.2011, Az. I ZR 213/08, BeckRS 2011, 05517 (Flughafen Lübeck); BGH, GRUR-RR 2012, 157 (Flughafen Berlin-Schönefeld). 222

D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten

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2. Deliktische Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den Beihilfegeber Ansprüche des Konkurrenten gegen den Beihilfegeber auf Unterlassung und Rückforderung der Beihilfe können sich nach deutschem Recht aus §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV ergeben. Dies setzt voraus, dass das Durchführungsverbot als ein Schutzgesetz zu qualifizieren ist. Während die wohl herrschende Lehre diese Frage schon früh bejahte,229 vertraten sowohl das OLG Koblenz als auch das OLG Schleswig die Ansicht, das beihilferechtliche Durchführungsverbot sei kein Schutzgesetz, da es sich ausschließlich an die Mitgliedstaaten richte und nicht dazu bestimmt sei, Wettbewerbern des Beihilfeempfängers ein subjektives Recht gegenüber dem Beihilfegeber zu vermitteln.230 Beide Urteile standen in offensichtlichem Widerspruch zur EuGH-Rechtsprechung,231 derzufolge das Durchführungsverbot dazu dient, „die Interessen derjenigen zu schützen, die von der Wettbewerbsverzerrung, die durch die Gewährleistung der rechtswidrigen Beihilfe hervorgerufen wurde, betroffen sind.“232 Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV bezweckt den Schutz der einzelnen Wettbewerber und ist damit auch Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB. Die Belange der Konkurrenten werden gerade nicht, wie das OLG Koblenz meint, durch ein mögliches Kommissionsverfahren ausreichend gewahrt: Zum einen kann die Kommission nur in ganz besonderen Fällen eine vorläufige Rückforderung anordnen, zum anderen haben konkurrierende Unternehmen keinen einklagbaren Rechtsanspruch gegenüber der Kommission auf Erlass einer Rückforderungsanordnung.233 Vor diesem Hintergrund verweist das EuG234 explizit auf den Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten. Auch der EuGH stellte in CELF II235 nochmals klar, dass die Einleitung eines Prüfverfahrens durch die Kommission die nationalen Gerichte nicht von ihrer Verpflichtung entbindet, die Rechte des Einzelnen bei Verletzung der Verpflichtung zur vorherigen Unterrichtung zu schützen. Auch der BGH sah dies letztlich so. In zwei bahnbrechenden Urteilen vom 10. Februar 2011 hob der I. Zivilsenat die Entscheidungen des OLG Koblenz und OLG Schleswig auf und stellte erstmals fest, dass das beihilferechtliche Durchführungsverbot als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB zu betrachten ist.236 Die von der Beihilfemaßnahme „Betroffenen“ wie insbesondere Wettbewerber können daher auf der Grundlage dieser Vorschrift in Verbindung mit § 1004 BGB Auskunft, Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz fordern. 229   Frenz, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1685; Gundel, EWS 2008, 161, 165; Hentschelmann, EWS 2009, 515 ff.; Martín-Ehlers/Strohmayr, EuZW 2008, 745, 748; Schmidt-Kötters, in: Heidenhain (Hrsg.), Hdb. des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 58 Rn. 30; Soltész, EuZW 2001, 202, 203; Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212, 216, 221. 230   OLG Koblenz, Urt. v. 25.2.2009, Az. 4 U 759/07, openJur 2009, 275 (Flughafen FrankfurtHahn), Rn. 70, 75; OLG Schleswig, Urt. v. 20.5.2008, Az. 6 U 54/06, BeckRS 2009, 01231 (Flughafen Lübeck), unter II.2.a. 231   Im Ergebnis wie hier von Brevern/Gießelmann, EWS 2008, 740, 741; Hentschelmann, EWS 2009, 515, 518; Fiebelkorn/Petzold, EuZW 2009, 323, 326; Martín-Ehlers/Strohmayr, EuZW 2008, 745 ff. 232   EuGH, Rs. C‑199/06 (CELF I) Rn. 38; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 26. 233   EuG, Rs. T‑49/93 (SIDE/Kommission) Rn. 83 ff. 234   EuG, Rs. T‑49/93 (SIDE/Kommission) Rn. 86. 235   EuGH, Rs. C‑1/09 (CELF II) Rn. 27. 236   BGHZ 188, 326, 330 ff. = EuZW 2011, 440 (Flughafen Frankfurt-Hahn) Rn. 17 ff.; BGH, Urt. v. 10.2.2011, Az. I ZR 213/08, BeckRS 2011, 05517 (Flughafen Lübeck) Rn. 23 ff.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

Zur Begründung setzte sich der BGH nicht nur mit der Rechtsprechung des EuGH zum beihilferechtlichen Durchführungsverbot, den verschiedenen Prüfstadien, der Rolle der nationalen Gerichte bei der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes sowie mit Parallelen zu Art. 101, 102 AEUV auseinander. Vielmehr betonte er zugleich, dass die private Rechtsdurchsetzung dazu beiträgt, Verstöße gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot zu sanktionieren:237 Könnten die in den Schutzzweck des Durchführungsverbots einbezogenen Wettbewerber derartige Klagen nicht geltend machen, so blieben Verstöße gegen das Beihilferecht regelmäßig sanktionslos. Beihilfeempfänger, Beihilfegeber und von der Beihilfe nicht betroffene Wirtschaftsteilnehmer hätten, so der BGH, regelmäßig kein eigenes Interesse, über die Einhaltung des Durchführungsverbots zu wachen. Demgegenüber könnten die wirtschaftlichen Interessen von Wettbewerbern schwer beeinträchtigt werden, wenn sie sich am Markt gegen den Beihilfeempfänger behaupten müssen. Daher würden in erster Linie Wettbewerber bereit sein, das Verbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV durchzusetzen. Hinsichtlich des Kreises der „betroffenen“ Wirtschaftsteilnehmer, die zu dem durch § 823 Abs. 2 i. V. m. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV geschützten Personenkreis zählen,238 grenzt sich der BGH deutlich von der Ansicht des OLG Brandenburg239 ab, das einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in einem Parallelverfahren abgelehnt hatte, weil die klagende Fluggesellschaft ihre Flüge nicht von demselben Flughafen wie der Beihilfenehmer abgewickelt und von dort auch nicht dieselben Flughäfen angeflogen hatte. Auf diesen Gesichtspunkt kommt es nach Ansicht des BGH nicht an. Entscheidend sei, dass die klagenden Luftverkehrsunternehmen jedenfalls Flughäfen genutzt hatten, die im selben Einzugsbereich der jeweiligen Flughäfen der Beihilfeempfänger lagen, so dass die „angebotenen Flugverbindungen aus der Sicht der Passagiere zumindest für Ferienreiseziele in erheblichem Maß austauschbar sind“.240 Der BGH stellt also mit anderen Worten auf die Substituierbarkeit der angebotenen Leistungen aus der Sicht der Nachfrager ab, um die Aktivlegitimation zu begründen.241 3. Lauterkeitsrechtliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den Beihilfegeber Der BGH stellte in seinen Urteilen vom 10. Februar 2011 zugleich klar, dass Ansprüche des konkurrierenden Unternehmens gegen den Beihilfegeber auf Unterlassung und Rückforderung der Beihilfe auch auf §§ 3, 4 Nr. 11 (jetzt § 3a UWG 2015), 8 Abs. 1 UWG i. V. m. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV gestützt werden können.242 Ob ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot den Tatbestand des Rechtsbruchs (§ 3a UWG) verwirklicht, war lange Zeit umstritten. Normzweck dieser Fallgruppe ist nicht, Gesetzesverstöße generell zu sanktionieren. Die verletzte Norm muss nach § 3a UWG vielmehr „auch dazu bestimmt [sein], im Interesse der Marktteilnehmer 237

  BGHZ 188, 326, 334 f. = EuZW 2011, 440, 442 f. (Flughafen Frankfurt-Hahn) Rn. 26.   Hierzu aus unionsrechtlicher Perspektive bereits supra, § 8 D.I.2. 239   OLG Brandenburg, Urt. v. 21.7.2009, Az. Kart U 1/07, NJOZ 2010, 208, 210 (Flughafen Berlin-Schönefeld). 240   BGH, Urt. v. 10.2.2011, Az. I ZR 213/08, BeckRS 2011, 05517 (Flughafen Lübeck) Rn. 43. 241   Koenig/Hellstern, GRUR Int. 2012, 14, 16. 242   BGHZ 188, 326, 341 = EuZW 2011, 440 (Flughafen Frankfurt-Hahn) Rn. 50 ff.; BGH, Urt. v. 10.2.2011, Az. I ZR 213/08, BeckRS 2011, 05517 (Flughafen Lübeck) Rn. 34, 47. 238

D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten

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das Marktverhalten zu regeln“. Diese Formulierung beruht auf der AbgasemissionsEntscheidung des BGH.243 Unter Bezugnahme auf dieses Urteil lehnte es das OLG München ab, das Durchführungsverbot als Marktverhaltensregelung zu qualifizieren. Nach Auffassung des Gerichts weisen die Beihilfevorschriften keinen auch nur sekundären Marktbezug auf; sie hätten auch keine die Wettbewerber schützende Wirkung.244 Ein Großteil des Schrifttums folgte dieser Ansicht.245 Der BGH ist dem jedoch zu Recht entgegengetreten.246 Die Gewährung formell rechtswidriger Beihilfen ist eine marktbezogene Maßnahme, die geeignet ist, Wettbewerbsverzerrungen hervorzurufen. Da Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV gerade die Interessen der von der Wettbewerbsverzerrung betroffenen Wettbewerber schützen will, muss das beihilferechtliche Durchführungsverbot auch als Marktverhaltensregelung i. S. von § 3a UWG angesehen werden. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche stehen nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG dem „Mitbewerber“ zu, also nur einem Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG). Konkurrierende Unternehmen stehen in der Regel nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zu der beihilfegewährenden Stelle. Nach Auffassung des OLG Schleswig247 kann sich daher eine Fluggesellschaft nicht gegen den Flughafenbetreiber wegen der Subventionierung von sog. „Billigfliegern“ zur Wehr setzen, da Luftfahrtunternehmen und Flughafenbetreiber nicht dieselben Abnehmer bedienen. Bei der Förderung fremder Unternehmensinteressen reicht es indessen aus, wenn das konkrete Wettbewerbsverhältnis zwischen dem geförderten Unternehmen und dem klagenden Mitbewerber besteht.248 Entscheidend ist somit allein, dass der Mitbewerber durch die Förderung des dritten Unternehmens in seinen eigenen wettbewerbsrechtlich geschützten Interessen berührt ist. Der BGH sah die klagenden Luftverkehrsunternehmen daher zu Recht als aktivlegitimiert an.249 4. Schadensersatzansprüche gegen den Beihilfegeber und Staatshaftungsansprüche Aufgrund der BGH-Urteile vom 10. Februar 2011 steht fest, dass Konkurrenten gegen den Beihilfegeber nach § 823 Abs. 2 BGB und §§ 3, 3a, 9 S. 1 UWG, jeweils i. V. m. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV, auch Schadensersatzansprüche zustehen können.250 Daneben kommen Amtshaftungsansprüche gem. § 839 BGB i. V. m. Art. 34 243  BGHZ 144, 255, 264 ff.; ausführlich zur Entwicklung Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 34. Aufl., 2016, § 3a UWG Rn. 1.2 ff. 244   OLG München, EuZW 2004, 125, 126 = GRUR 2004, 169, 170; zustimmend OLG Köln, EuZW 2005, 637 = GRUR 2005, 780, 782 (In-house-Geschäfte) Rn. 27. 245   Mees, in: FS Erdmann, 2002, S. 657, 666 f.; Teplitzky, WRP 2003, 173, 180; MüKo/Schaffert, Lauterkeitsrecht, Bd. 1, 2006, § 4 Nr. 11 UWG Rn. 65; Elskamp, Gesetzesverstoß und Wettbewerbsrecht, 2008, S. 204 ff.; a. A. Haslinger, WRP 2007, 1412, 1417; Nordmann, Die negative Konkurrentenklage, 2002, S. 229; Maier/Nordmann, EuZW 2004, 127 f. 246   BGHZ 188, 326, 341 f. = EuZW 2011, 440 (Flughafen Frankfurt-Hahn) Rn. 53. 247   OLG Schleswig, Urt. v. 20.5.2008, Az. 6 U 54/06, BeckRS 2009, 01231 (Flughafen Lübeck). 248   Vgl. BGH GRUR 1997, 907, 908 (Emil-Grünbär-Klub); BGH, GRUR 1989, 430 (Krankentransportbestellung); BGH, GRUR 1997, 914, 915 (Die Besten II); BGH, GRUR 2000, 344, 347 (Beteiligungsverbot für Schilderpräger). 249   BGHZ 188, 326, 341 = EuZW 2011, 440 (Flughafen Frankfurt-Hahn) Rn. 51. 250   Vgl. BGHZ 188, 326, 337 f. u. 343 = EuZW 2011, 440 (Flughafen Frankfurt-Hahn) Rn. 34, 57.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

GG251 und Staatshaftungsansprüche nach der Francovich-Rechtsprechung252 in Betracht. Derartige Ansprüche setzen einen schuldhaften (§ 823 Abs. 2 S. 2 BGB; § 9 S. 1 UWG) bzw. (bei der unionsrechtlichen Staatshaftung) einen „hinreichend qualifizierten“ Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV voraus. Da es sich beim beihilferechtlichen Durchführungsverbot um ein eindeutiges Verbot handelt, ist diese Voraussetzung in der Regel erfüllt. Selbst Zweifel hinsichtlich des Beihilfecharakters der Maßnahme entlasten die öffentliche Hand nicht von ihrer Pflicht, die Kommission von dem betreffenden Vorhaben zu informieren.253 Problematisch ist demgegenüber der zuvor diskutierte „doppelte“ Nachweis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen (i) der Subventionsgewährung und dem schadensverursachenden Verhalten und (ii) dem betreffenden Verhalten und dem eingetretenen Schaden.254 Werden keine Beweiserleichterungen anerkannt, scheitern Schadensersatzklagen an diesem Erfordernis. Soweit ersichtlich, sind daher in Deutschland bislang keine Fälle bekannt, in denen ein Konkurrent (erfolgreich) Schadensersatz- oder Staatshaftungsansprüche geltend machen konnte. 5. Ansprüche gegen den Beihilfeempfänger? Ansprüche des Konkurrenten gegen den Beihilfeempfänger auf Rückzahlung der Beihilfe an den Beihilfegeber, auf Unterlassung der weiteren Verwendung der Beihilfe sowie auf Schadensersatz könnten möglicherweise ebenfalls auf deliktische (§ 823 Abs. 2 BGB, ggf. i. V. m. § 1004 BGB) oder lauterkeitsrechtliche Anspruchsgrundlagen (§§ 3, 3a, 8 Abs. 1, 9 S. 1 UWG), jeweils in Verbindung mit Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV, gestützt werden. Dann müsste bereits die bloße Annahme der nicht notifizierten Beihilfe als Verstoß gegen ein Schutzgesetz bzw. als „Rechtsbruch“ zu qualifizieren sein. Nach Auffassung des EuGH richtet sich das Durchführungsverbot jedoch nur an den Mitgliedstaat.255 Wegen dieser „Staatsbezogenheit“ der Beihilfevorschriften bietet das Unionsrecht keine ausreichende Grundlage für eine Haftung des Beihilfeempfängers, der nicht geprüft hat, ob die Kommission von der Beihilfe ordnungsgemäß unterrichtet wurde. Die Entgegennahme einer Beihilfe begründet daher keinen Verstoß gegen ein Schutzgesetz bzw. keinen eigenen Rechtsbruch.256 Eine Beteiligung am frem251

 Eingehend Frenz, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1673 ff.   Der BGH bringt einen unmittelbar aus dem Unionsrecht folgenden Staatshaftungsanspruch zur Anwendung, wenn das nationale Recht für die Klageforderung keine Anspruchsgrundlage bietet; BGHZ 134, 30, 32 f. 253   Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. 2009 C 85/1, 12 (Rn. 47); Frenz, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, § 3 Rn. 1678; Schneider, DVBl. 1996, 1301, 1307; Staebe, Rechtsschutz, 2001, S. 214; Temple Lang, EStAL 2014, 440, 441 f. 254  Vgl. supra, § 8 D.II.3. 255   EuGH, Rs. C‑39/94 (SFEI) Rn. 74; ausführlich supra, § 6 D.II.4. 256   Nordmann, Die negative Konkurrentenklage, 2002, S. 231; Sasserath, Schadensersatzansprüche, 2001, S. 237; Schmidt-Kötters, in: Heidenhain (Hrsg.), Hdb. des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 58 Rn. 16, 18, 33 f.; Ullmann, GRUR 2003, 817, 822. Groeschke, BB 1995, 2329, 2332, will demgegenüber bereits die Annahme einer Beihilfe als sittenwidrig ansehen, weil es sich um eine unzulässige „Konkurrenzvereitelung“ als Unterfall der Behinderung (jetzt § 4 Nr. 4 UWG) handelt. 252

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den Rechtsbruch bzw. eine Haftung aus § 830 BGB setzt demgegenüber besondere Umstände voraus. Die bloße Unkenntnis einer Verletzung der Anmeldepflicht bzw. des Durchführungsverbots kann jedenfalls noch keine Beteiligung darstellen.257 Denkbar bleibt, dass die Verwendung einer Beihilfe eine unlautere geschäftliche Handlung darstellt. Nach Auffassung von Köhler & Steindorff258 ist die Nutzung einer Beihilfe, die unter Missachtung des Durchführungsverbots gewährt oder nach einem beihilfeaufsichtsrechtlichen Verfahren bereits untersagt worden ist, als Behinderung von Mitbewerbern (jetzt § 4 Nr. 4 UWG) zu qualifizieren, wenn sie zur Preisunterbietung genutzt wird. Beide Autoren greifen dabei auf ein Urteil des belgischen Tribunal de Commerce Bruxelles259 und auf die (deutsche) Rechtsprechung zur Preisunterbietung durch die öffentliche Hand mittels zweckwidriger Mittelverwendung260 zurück und befürworten eine analoge Anwendung dieser Fallgruppe auf den Fall des Einsatzes von rechtswidrigen Beihilfen durch den Beihilfeempfänger. Folgt man dieser These, so entstünden für konkurrierende Unternehmen jedenfalls erhebliche Beweisprobleme: In einem betreffenden Prozess müsste der Wettbewerber nämlich darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass der Beihilfeempfänger sein Angebot auf der Grundlage rechtswidrig erlangter Beihilfen kalkuliert und damit die Preise von Mitbewerbern unterbietet. Der Wettbewerber müsste mit anderen Worten die internen Kalkulationsgrundlagen des Beihilfeempfängers kennen und nachweisen, dass die gewährte Beihilfe zum „Preisdumping“ verwendet wird.261 Zusätzlich müsste für einen Schadensersatzanspruch dargelegt werden, dass der Beihilfeempfänger die Umstände kennen musste, aus denen sich die Unlauterkeit seines Wettbewerbsverhaltens ergibt. 6. Einstweiliger Rechtsschutz Effektiver Rechtsschutz für Konkurrenten bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit: Je länger die wettbewerbsverzerrende Wirkung von Beihilfen, die unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot gewährt wurden, anhält, desto größer wird der für Konkurrenten entstehende Schaden. Der EuGH fordert von den nationalen Gerichten daher einen zeitnahen Rechtsschutz, der einstweilige Maßnahmen insbesondere dann erforderlich macht, wenn absehbar ist, dass eine gewisse Zeit verstreichen wird, bevor das nationale Gericht abschließend entscheiden wird.262 Hinsichtlich der Voraussetzungen verweist der Gerichtshof indessen mangels unionsrechtlicher Regelung auf das nationale Recht. 257   Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212, 220, nehmen dagegen an, dass der Beihilfeempfänger i. d. R. als Mittäter i. S. d. §§ 830, 840 BGB anzusehen sind. Vgl. auch Nordmann, Die negative Konkurrentenklage, 2002, S. 231, der eine Störerhaftung des Beihilfeempfängers befürwortet. 258   Köhler/Steindorff, NJW 1985, 1705, 1708; im Anschluss daran auch Sasserath, Schadensersatzansprüche, 2001, S. 254 ff., die einen Schadensersatzanspruch jedoch nur dann befürwortet, wenn die Beihilfe materiell rechtswidrig ist. Die bloße Verletzung der Anmeldepflicht bzw. des Durchführungsverbots wird demgegenüber nicht für ausreichend gehalten. Gegen die These von Köhler/Steindorff dagegen dezidiert Staebe, Rechtsschutz, 2001, S. 224 f. 259   Tribunal de Commerce Bruxelles, Urt. v. 13.2.1995, no. A.C./441/95, Breda Fucine Merdionali SPA/Manoir Industries S. A., hierzu auch infra, E.IV.1. 260   Vgl. RGZ 138, 174, 178 f. (Haus der Jugend); BGH, NJW 1982, 2125 (Kinderbeträge); BGH, NJW 1987, 60 (Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb I). 261   Soltész, EuZW 2001, 202, 205. 262  Siehe supra, § 8 D.II.5.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

Unterlassungsansprüche des Konkurrenten gegen den Beihilfegeber (und ggf. auch gegen den Beihilfenehmer) können grundsätzlich durch eine Leistungsverfügung (§§ 935, 940 ZPO) geltend gemacht werden. Werden diese Ansprüche auf das UWG gestützt, so wird das Vorliegen eines Verfügungsgrundes nach § 12 Abs. 2 UWG widerleglich vermutet.263 Hinsichtlich des Verfügungsanspruchs verbleibt es demgegenüber sowohl hinsichtlich der Schlüssigkeitsprüfung wie auch hinsichtlich der Glaubhaftmachung der den Anspruch begründenden Tatsachen bei den Vorschriften des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.264 Die zuvor beschriebenen Beweisprobleme bzgl. der Frage, ob überhaupt eine Beihilfe vorliegt,265 bestehen damit auch beim vorläufigen Rechtsschutz, es sei denn, es liegt bereits ein Eröffnungsbeschluss der Kommission vor, in welchem die betreffende Maßnahme vorläufig als Beihilfe qualifiziert wird. Dann muss das nationale Gericht auch bei seiner Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung von einer Beihilfe ausgehen.266 Liegt kein Eröffnungsbeschluss der Kommission vor, so kommt erschwerend hinzu, dass der einstweilige Rechtsschutz auf einem summarischen Verfahren beruht. Gerade bei komplexen Transaktionen wird es für den Richter nicht möglich sein, den Beihilfecharakter zuverlässig zu beurteilen. Nach überwiegender Meinung ist eine Aussetzung des Verfahrens wegen der besonderen Eilbedürftigkeit grundsätzlich ausgeschlossen; eine Vorlagepflicht an den EuGH soll im Eilverfahren nicht bestehen.267 Beseitigungsansprüche werden vom Regelungsgehalt des § 12 Abs. 2 UWG nicht erfasst. Konkurrierende Unternehmen müssen daher für einen Beseitigungsanspruch zusätzlich den Verfügungsgrund darlegen. Insofern müssen die diesbezüglichen Anforderungen nach unionsrechtlichen Kriterien modifiziert werden, indem unterstellt wird, dass ein Verfügungsgrund gem. § 940 ZPO „aus anderen Gründen nötig erscheint“.268 Da einheitliche unionsrechtliche Kriterien für den einstweiligen Rechtsschutz fehlen, bleibt indessen unklar, welchen Spielraum die nationalen Gerichte besitzen.269 Die Durchsetzung von Direktansprüchen des Wettbewerbers gegen den Beihilfeempfänger im Wege der einstweiligen Verfügung birgt zudem ein hohes Haftungsrisiko für konkurrierende Unternehmen.270 Erweist sich nämlich die einstweilige Verfügung im Nachhinein als unberechtigt, so haftet der Wettbewerber nach § 945 ZPO verschuldensunabhängig auf Schadensersatz.

263   Regierungsbegründung zu § 12 UWG, BT‑Drucks. 15/1487, S. 25. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG findet dagegen keine Anwendung auf Unterlassungsansprüche, die auf § 823 Abs. 2 BGB gestützt werden; vgl. OLG Stuttgart, WRP 2001, 956, 957; Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig (Hrsg.), UWG-Kommentar, 2004, § 12 Rn. 335. 264   BGH, GRUR 2000, 151, 152 (Späte Urteilsbegründung) zu § 24 UWG a. F. 265  Hierzu supra, § 8 D.II.2. 266  Hierzu supra, §  8 B.III.2. – 3. 267  Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 32. Aufl., 2016, Vor § 916 ZPO Rn. 7 f. m. w. N. Differenzierend Heß, ZZP 108 (1995), 59, 93 ff.; Mankowski, JR 1993, 402 ff. 268  Vgl. supra, § 8 C.V. 269   Rechtsvergleichend zeigt sich, dass Anträge konkurrierender Unternehmen im einstweiligen Rechtsschutz nur in wenigen Mitgliedsländern Erfolg hatten; vgl. Jestaedt/Derenne/Ottervanger, Study, 2006, Part I, S. 47 f.; Derenne/Kaczmarek/Clovin, Study, 2009. 270   Soltész, ZWeR 2006, 388, 397.

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IV. Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten 1. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche In vielen Mitgliedstaaten werden (zivilrechtliche) Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche des Wettbewerbers gegen den Beihilfegeber und teils auch gegen den Beihilfenehmer für möglich gehalten. Die Gerichte stützen sich dabei vornehmlich auf deliktische oder lauterkeitsrechtliche Anspruchsgrundlagen. So entschied in Italien das Tribunale di Genova,271 dass der Verstoß gegen beihilferechtliche Vorschriften nicht nur für den Beihilfegeber, sondern auch für den Beihilfenehmer eine unlautere Handlung begründet, die im Wege der Unterlassungsklage von Konkurrenten verfolgt werden kann. Im Ergebnis wurde die Unterlassungsklage dennoch zurückgewiesen, da nach Auffassung des Gerichts kein Verstoß gegen Art. 107, 108 AEUV vorlag. Erfolg hatte dagegen eine vor dem Tribunale di Roma272 erhobene Unterlassungsklage der Fluggesellschaft Air One, die darauf gerichtet war, Alitalia zu untersagen, an einer Ausschreibung teilzunehmen. Das Gericht befand, dass Alitalia die vom italienischen Staat gewährte und von der Kommission genehmigte Beihilfe zweckwidrig verwenden würde, wenn sie an der Ausschreibung teilnähme; die Teilnahme an der Ausschreibung sei daher eine unlautere Handlung i. S. d. Art. 2598 Abs. 3 Codice civile. In Belgien urteilte das Handelsgericht Brüssel,273 dass ein Verstoß gegen die guten Sitten im Handelsverkehr vorliegt, wenn ein Unternehmen nicht genehmigte Beihilfen erhält und dadurch in die Lage versetzt wird, auf eine Ausschreibung der belgischen Bahn hin 40 % unter den Preisen der Konkurrenz anzubieten. Der Konkurrent konnte daher dem begünstigten Unternehmen verbieten, sich an der Ausschreibung der Bahn weiterhin als Bieter zu beteiligen. Das Urteil betrifft – wie der Fall Air One v. Alitalia – den besonderen Fall, dass die gewährte Beihilfe zur Preisunterbietung verwendet wird, und lässt daher keine allgemeinen Rückschlüsse darüber zu, ob bereits die Annahme der Beihilfe eine unlautere Handlung darstellt.274 In Frankreich hat der Conseil d’Etat grundsätzlich anerkannt, dass Wettbewerber auf dem Verwaltungsrechtsweg gegen den Beihilfegeber vorgehen können, wenn Beihilfen unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot gewährt werden.275 Ob entsprechende Klagen auch vor den Zivilgerichten zulässig sind und gegen den Beihilfenehmer gerichtet werden können, ist – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden. 271   Tribunale di Genova, Urt. v. 26.4.1993, Grandi traghetti di navigazione S.p.A v. Viamare di navigazione S.p.a. und Finmare S.p.A., wiedergegeben bei Jestaedt/Derenne/Ottervanger, Study, 2006, Part I, S. 326 f. 272   Tribunale di Roma, Urt. v. 27.1.2006, Air One v. Alitalia, wiedergegeben unter http://ec.europa. eu/competition/court/state_aid/italy.pdf. 273   Tribunal de Commerce Bruxelles, Urt. v. 13.2.1995, no. A.C./441/95, Breda Fucine Merdionali SPA/Manoir Industries S. A., wiedergegeben bei Köhler/Steindorff, NJW 1995, 1705 sowie bei Jestaedt/ Derenne/Ottervanger, Study, 2006, Part I, S. 87 ff. 274   Dieux/Bournonville, IV/5, 22 und IV/9, verneinen grundsätzlich eine Haftung des Beihilfeempfängers. 275   Conseil d’Etat, 27.2.2006, Companie Ryanair Limited/Chambre de commerce et d’industrie de Strasbourg Bas-Rhin, No. 264406 und 264545; Conseil d’Etat, 19.12.2008, No. 274923 und 274967, Centre d’exportation du livre Français/Ministre de la culture et de la communication; wiedergegeben unter http://ec.europa.eu/competition/court/state_aid/france.pdf.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

In Österreich klagte ein Hotelbetreiber gegen ein Thermal- und Kurzentrum, dessen Anteilsmehrheit von der öffentlichen Hand gehalten wurde.276 In seiner Unterlassungsklage machte der Hotelbetreiber geltend, dass das Thermal- und Kurzentrum unter Verstoß gegen die europäischen Beihilfebestimmungen konkurrierende Hotels bevorzugt behandelt habe und daher ein Verstoß gegen § 1 österreichisches UWG vorliege. Der OGH gab der Klage statt. Tragender Grund für die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes war aber nicht der Verstoß gegen die Beihilfevorschriften, sondern gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, der nach Auffassung des Gerichtshofs vom Staat auch dann zu beachten ist, wenn er im privaten Sektor handelt. In einem anderen Fall, mit dem sich der OGH in den Jahren 2008 und 2014 befassen musste,277 ging es um die Privatisierung der Hypo-Bank Burgenland AG. Anlässlich der Privatisierung dieser Bank im Wege der öffentlichen Ausschreibung verkaufte das Burgenland (Erstbeklagte) die Aktien an diesem Unternehmen für 100,3 Mio. Euro an zwei Unternehmen (Zweit- und Drittbeklagte). Ein konkurrierendes Unternehmen (Kläger) hatte demgegenüber 155 Mio. Euro geboten. Die Kommission war der Auffassung, dass das Burgenland der Zweit- und Drittbeklagten einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil verschafft habe, der einer rechtswidrigen Beihilfe gleichkomme, und ordnete daraufhin die Rückerstattung i. H. v. 54,7 Mio. Euro (die Differenz zwischen dem Preisangebot der Kläger und dem von Zweit- und Drittbeklagter bezahlten Preis) an.278 Die parallel hierzu erhobene Klage des übergangenen Bieters nach dem UWG auf vollständige Rückabwicklung des Aktienkaufvertrags hatte demgegenüber keinen Erfolg.279 Zwar begründet der Verstoß gegen das Durchführungsverbot nach Ansicht des OGH eine „sonstige unlautere Handlung“ im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 österreichisches UWG. Bei einem Verkauf unter Marktwert könne der Beseitigungsanspruch jedoch, so der OGH, nur auf eine entsprechende Korrektur des Kaufpreises, nicht aber auf eine vollständige Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtet sein. Im konkreten Fall bestehe die Störung des lauteren Wettbewerbs nämlich nur darin, dass die Zweit- und die Drittbeklagte die Aktien unter dem Marktwert erwerben konnten. Auch unionsrechtlich sei nur eine Rückführung der Beihilfe, nicht aber eine vollständige Rückabwicklung des Vertrags geboten. 2. Schadensersatzansprüche Schadensersatzklagen konkurrierender Unternehmen gegen den Beihilfegeber oder gegen den Beihilfenehmer hatten – soweit ersichtlich – bislang in keinem einzigen Mitgliedstaat Erfolg. In Frankreich wies das Tribunal de Commerce de Paris280 im Anschluss an das SFEI-Urteil des EuGH die Schadensersatzklage des Konkurrenten gegen den Beihilfenehmer ab. Da der Empfänger einer formell rechtswidrigen Beihilfe nach Unionsrecht nicht haften müsse, sei die Schadensersatzklage – so das Gericht – unbegründet. Ob der Beihilfenehmer nach französischem Recht dennoch schadensersatzpflichtig 276

  OGH, Urt. v. 4.5.2004, Az. 4 Ob 14/04v.   OGH, Beschluss v. 15.12.2008, Az. 4 Ob 133/08z; OGH, Urt. v. 25.3.2014, Az. 4 Ob 209/13h.   KomE v. 30.4.2008, K (2008)1625 endgültig. 279   OGH, Urt. v. 25.3.2014, Az. 4 Ob 209/13h. 280   Tribunal de Commerce de Paris, 7.12.1999, Union française de l’express international/La Poste, no. 96072418, wiedergegeben bei Jestaedt/Derenne/Ottervanger, Study, 2006, S. 178 f. 277 278

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ist, wurde vom Tribunal de Commerce demgegenüber nicht erläutert, obwohl der EuGH in SFEI darauf hingewiesen hatte, dass Konkurrentenklagen nach nationalem Recht begründet sein könnten und der Kläger seinen Schadensersatzanspruch ausdrücklich auf Art. 1382 Code civile gestützt hatte.281 In einem anderen Fall wies die Cour de Cassation282 eine auf Art. 1382 Code civile gestützte Schadensersatzklage demgegenüber mit der Begründung zurück, dass die Kommission die gewährte Beihilfe für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt hatte und der Kläger den Kausalzusammenhang zwischen Beihilfegewährung und eingetretenem Schaden nicht habe beweisen können. Auch Staatshaftungsansprüche des Wettbewerbers hatten in Frankreich bislang keinen Erfolg. Derartige Klagen scheiterten zumeist daran, dass der Konkurrent wiederum nicht ausreichend darlegen konnte, dass zwischen der Beihilfegewährung und dem Wettbewerbsnachteil ein Kausalzusammenhang bestand.283 Im Vereinigten Königreich musste der High Court (Q. B.) über eine Schadensersatzklage des walisischen Anthrazitherstellers Betws gegen die deutsche Preussag AG entscheiden.284 Der Kläger machte geltend, dass die Preussag AG vom deutschen Staat Beihilfen bekommen habe und daher Anthrazit auf dem britischen Markt günstiger habe anbieten können. Betws berief sich zur Begründung auf eine Rückforderungsentscheidung der Kommission gegenüber Preussag und machte unter Bezugnahme auf die Courage-Entscheidung geltend, dass die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts die Einräumung von Schadensersatzansprüchen erfordere. Der High Court wies die Klage ab. Nach Auffassung des Gerichts folgt aus der SFEI-Entscheidung des EuGH, dass nur der Mitgliedstaat, nicht aber der Beihilfenehmer Adressat der Rückforderungsentscheidung ist.285 Der Kläger könne daher seine Klage nicht auf einen „Community law tort“ stützen. Ein solcher Schadensersatzanspruch sei im Übrigen auch deswegen abzulehnen, weil er eine Klageflut auslösen könnte.286 Mit der Frage, ob nach nationalem Recht – etwa auf der Grundlage des breach of statutory duty – ein Schadensersatzanspruch besteht, setzte sich der High Court nicht auseinander. Das Gericht wies stattdessen darauf hin, dass Betws unter Umständen Staatshaftungsansprüche gegen den deutschen Staat geltend machen könne. In den Niederlanden entschied der Gerechtshof Amsterdam287 über eine Klage eines Kindermöbelherstellers gegen einen Konkurrenten, der durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der niederländischen Regierung gefördert worden war. Der Hersteller machte geltend, dass die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eine rechtswidrige Beihilfe sei, die seinem Konkurrenten einen Wettbewerbsvorteil verschaffe und 281   Aus diesem Grunde kritisch Jouve, Le juge français et le droit communautaire des aides, 2006 –  2007, S. 110. 282   Cour de cassation, 15.6.1999, Etablissements J. Richard Ducros/Société Métallique Finsider Sud, No. 1236, Petition no. B 97 – 15.684, Revue trimestrielle de droit commercial et de droit économique 2000, 261 f. 283   Vgl. Cour administrative d’appel de Paris, 4ème chambre  – formation A, 5 octobre 2004, n° 01PA02717, Dr. Adm., janvier 2005, n° 2, 20 – 21. 284   Betws Anthracite Ltd. v. DSK Anthrazit Ibbenburen GmbH, [2004] 1 CMLR 12, p. 381. 285   Betws Anthracite Ltd. v. DSK Anthrazit Ibbenburen GmbH, [2004] 1 CMLR 12, p. 381, 400. 286   Betws Anthracite Ltd. v. DSK Anthrazit Ibbenburen GmbH, [2004] 1 CMLR 12, p. 381, 402: „But to create a Community law tort which enabled a competitor to sue the recipient of unlawful aid would be to open a potential floodgate.“ 287   Gerechtshof Amsterdam, Urt. v. 29.6.2006, LJN AZ 1425, Baby Dan A/S v. Werkvoorziening Weert en Omstreken (De Risse) und Werkvoorzienning De Kanaalstreek (WeDeKa), wiedergegeben unter http://ec.europa.eu/competition/court/state_aid/netherlands.pdf.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

diesem ermögliche, dieselben Produkte zu geringeren Preisen anzubieten. In der Annahme der Beihilfen liege eine unerlaubte Handlung, die zum Schadensersatz verpflichte. Zwar folgte der Gerechtshof Amsterdam der Auffassung des Klägers, dass das Arbeitsförderungsprogramm eine nicht notifizierte Beihilfe darstellt. Im Ergebnis wurde die Klage jedoch mit der Begründung abgewiesen, dass die Notifizierungspflicht allein den Staat, nicht jedoch den Beihilfeempfänger treffe. Der Konkurrent habe daher keine unerlaubte Handlung begangen. Anders wäre nur dann zu entscheiden gewesen, wenn eine Negativentscheidung der Kommission bereits vorgelegen hätte. Unter diesen Umständen wäre die Entgegennahme der Beihilfe auch als unerlaubte Handlung zu qualifizieren gewesen. Eine Kehrtwende zeichnet sich in Schweden ab. Während schwedische Gerichte in der Vergangenheit auf das schwedische Wettbewerbsgesetz288 gestützte Konkurrentenklagen vor den Zivilgerichten abgelehnt haben, entschied der Oberste Gerichtshof, der Högsta domstolen, im Jahre 2009, dass Wettbewerber vor den Zivilgerichten sowohl Unterlassungsansprüche als auch Schadensersatzansprüche gegen den Beihilfegeber geltend machen können.289 Bislang ist aber unklar, unter welchen Voraussetzungen diese Ansprüche bestehen. Das im Jahre 2013 in Kraft getretene Gesetz über die Anwendung des EU Beihilferechts290 konnte daran nichts ändern, da Ansprüche Dritter, anders als ursprünglich geplant, in dem Gesetz nicht geregelt werden.291

V. Praktische und rechtliche Probleme der Konkurrentenklage Die vom EuGH geforderte und von der Kommission in letzter Zeit forcierte private Durchsetzung des Beihilferechts stößt in vielen Mitgliedstaaten auf Widerstand. In einigen Mitgliedstaaten wird konkurrierenden Unternehmen bereits per se das Recht abgesprochen, sich vor den einzelstaatlichen Gerichten gegen nicht notifizierte Beihilfen zur Wehr zu setzen. Der Gerichtshof hebt demgegenüber in ständiger Rechtsprechung hervor, dass dem Durchführungsverbot im Verhältnis zwischen konkurrierendem Unternehmen und Beihilfegeber eine drittschützende Wirkung zukommt. Die einzelstaatlichen Gerichte müssen daher nach dem Gebot des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 47 Abs. 1 GRC, Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV) die zur Durchsetzung des Beihilferechts erforderlichen Rechtsbehelfe schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz für konkurrierende Unternehmen gegenüber dem Beihilfegeber gewährleistet ist. Den unionsrechtlichen Vorgaben kann in den meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Rechnung getragen werden, indem Generalklauseln des Delikts- und Lauterkeitsrechts unionsrechtskonform ausgelegt werden. Für das deutsche Zivilrecht folgt daraus, dass das Durchführungsverbot, wie nunmehr auch der BGH anerkannt hat, als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB sowie als Marktverhaltensregelung i. S. d. § 3a UWG einzustufen ist.292

288

  Konkurrenslagen 2008:579.   Högsta domstolen, 22.10.2009, Stockholms kommun und Stockholms Stadshus AB v. NDSHT Nya Destination Stockholm Hotell & Theaterpaket Aktiebolag, Az. Ö 1261 – 08, wiedergegeben bei Eriksson, EStAL 2010, 19 ff. 290   Lag (2013:388) om tillämpning av Europeiska unionens statsstödsregler. 291   Eriksson, EStAL 2013, 636 f. 292   Supra, §  8 D.III.2. – 3. 289

D. Rechtsschutz Dritter vor den Zivilgerichten

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Die private Durchsetzung des Beihilferechts wird in der Praxis dadurch erschwert, dass in vielen Fällen nicht erkennbar ist, ob überhaupt eine Beihilfe gewährt worden ist. Konkurrenten verfügen als Außenstehende häufig nur über bruchstückhafte Informationen. Für einen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch muss jedoch dargelegt und im Zweifel bewiesen werden, dass eine staatliche Beihilfe vorliegt. Auch die einzelstaatlichen Gerichte werden bei komplizierten Transaktionen nicht ohne Weiteres feststellen können, ob eine Beihilfe gewährt worden ist. Derartige Nachweisprobleme werden durch die neuere EuGH-Rechtsprechung jedenfalls dann behoben, wenn die Kommission ein förmliches Prüfverfahren eingeleitet hat. Dann nämlich sind die einzelstaatlichen Gerichte an die im Eröffnungsbeschluss enthaltene vorläufige Qualifizierung als Beihilfe gebunden.293 Als besonders hoch erweisen sich die prozessualen Hürden, die bei einer Schadensersatzklage zu nehmen sind. Der Wettbewerber trägt im Zivilprozess grundsätzlich die volle Beweislast. Für einen Schadensersatzanspruch muss daher nicht nur das Vorliegen einer Beihilfe bewiesen werden, sondern auch der schwierige Nachweis geführt werden, dass ein Kausalzusammenhang zwischen (i) der Subventionsgewährung und dem schadensverursachenden Verhalten des Beihilfenehmers sowie (ii) dem betreffenden Verhalten des Beihilfenehmers und dem behaupteten Schaden besteht.294 Soll die Beweisführung nicht zu einer probatio diabolica verkommen, müssen Beweiserleichterungen anerkannt werden. In der Rechtsprechung des EuGH finden sich genügend Anhaltspunkte dafür, dass der Effektivitätsgrundsatz solche Beweiserleichterungen fordert.295 Bislang sind die nationalen Gerichte aber nicht gewillt, auf die vom EuGH im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten Grundsätze zurückzugreifen. Ähnliche Probleme stellen sich beim einstweiligen Rechtsschutz, der nach Auffassung des Gerichtshofs immer dann von den nationalen Gerichten in Betracht zu ziehen ist, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine gewisse Zeit verstreichen wird, bevor das nationale Gericht abschließend entscheiden wird. Zwar bestünde für die nationalen Gerichte auch hier die Möglichkeit, die Anforderungen an den Verfügungsgrund nach unionsrechtlichen Kriterien zu modifizieren. Dazu sind die einzelstaatlichen Gerichte jedoch kaum bereit.296 Auch der Gerichtshof hat es bislang abgelehnt, für den dezentralen vorläufigen Rechtsschutz einheitliche Kriterien zu entwickeln. Dementsprechend fehlt es an eindeutigen Vorgaben, die von den nationalen Gerichten zu beachten wären. Die Effektivität des Beihilferechts könnte verstärkt werden, wenn konkurrierende Unternehmen nicht nur den Beihilfegeber, sondern auch den Beihilfenehmer in Anspruch nehmen könnten. Das Durchführungsverbot entfaltet indessen – wie der EuGH in SFEI hervorgehoben hat – keine horizontale Direktwirkung zu Lasten des Beihilfeempfängers.297 Anspruchsgrundlagen im nationalen Recht, die wie § 823 Abs. 2 BGB, § 3a UWG im deutschen Recht oder der „breach of statutory duty“ im 293   EuGH, Rs. C‑284/12 (Deutsche Lufthansa); Rs. C‑27/13 (Flughafen Lübeck). Im Einzelnen supra, §  8 C.III.2. – 3. 294  Hierzu supra, § 8 D.II.3. 295   Vgl. EuGH, Rs. C‑526/04 (Laboratoires Boiron) Rn. 55. 296   Rechtsvergleichend zeigt sich, dass Anträge konkurrierender Unternehmen im einstweiligen Rechtsschutz nur in wenigen Mitgliedsländern Erfolg haben; vgl. Jestaedt/Derenne/Ottervanger, Study, 2006, Part I, S. 47 f.; Derenne/Kaczmarek/Clovin, Study, 2009. 297  Siehe supra, § 8 D.II.4.

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

englischen Recht, an den Verstoß einer anderen Norm anknüpfen, laufen daher leer. Die nationalen Gerichte lehnen eine Haftung des Beihilfeempfängers durchweg mit der Begründung ab, dass sich das Durchführungsverbot nicht an den Beihilfeempfänger, sondern allein an die Mitgliedstaaten wendet. Insgesamt ist nicht zu erwarten, dass sich an dieser Situation etwas ändert. Erfordert schon das Unionsrecht keine Direkthaftung des Beihilfeempfängers, so besteht aus Sicht der Mitgliedstaaten wenig Veranlassung, dem Beihilferecht zu einer stärkeren Wirkung zu verhelfen als unionsrechtlich erforderlich.

E. Perspektiven Die private Durchsetzung des Beihilferechts ist im Vergleich zum Kartellrecht immer noch deutlich unterentwickelt. Theoretisch stehen Wettbewerbern, die durch einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot geschädigt werden, umfassende primär- und sekundärrechtliche Ansprüche zu. Praktisch gesehen besteht aber seitens der mitgliedstaatlichen Gerichte – trotz der im Jahre 2009 veröffentlichten Kommissionsmitteilung zur Durchsetzung des Beihilferechts – kaum Bereitschaft, die vom EuGH aufgestellten Rechtsschutzpostulate auszuschöpfen. Bereits seit geraumer Zeit steht die Forderung im Raum, die Rechtsschutzmöglichkeiten drittbetroffener Konkurrenten in einer Richtlinie oder Verordnung zu regeln.298 Der Europäische Anwaltsverein hatte im Jahre 1996 einen Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt, in der die Rechtsbehelfe konkurrierender Unternehmen gegenüber dem Beihilfegeber und Beihilfenehmer detailliert geregelt wurden; nach den Vorstellungen des Europäischen Anwaltsvereins sollten insbesondere Schadensersatzansprüche des Konkurrenten harmonisiert werden.299 Zwar wäre eine Harmonisierung der nationalen Rechtsfolgen im Bereich des Beihilferechts durchaus wünschenswert. Rechtspolitisch dürften derartige Vorhaben angesichts des zu erwartenden Widerstands der Mitgliedstaaten gegen die Beihilfekontrolle im Allgemeinen und die Harmonisierung von Schadensersatzansprüchen im Besonderen aber kaum zu realisieren sein. Die Durchsetzung des Beihilferechts unterscheidet sich insoweit 298   Vgl. die Vorschläge des britischen Industrieverbandes CBI, Controlling State Aids, 1994; dazu Schütterle, EuZW 1994, 265; sowie den Entwurf der Union of Industrial and Employers’ Confederations of Europe (UNICE), 28.6.1996, Nr. 23/3; Association Européenne des Avocats (AEA), Entwurf für eine Verordnung zur Kontrolle staatlicher Beihilfen (Beihilfenkontroll-Verordnung), EuZW 1996, 688 – 694; hierzu Müller-Ibold, EuZW 1996, 677 ff. 299   Vgl. Art. 3 Abs. 3 des von der Association Européenne des Avocats vorgelegten Entwurfs, EuZW 1996, 688: „Any Interested Party whose competitive position is negatively affected by State Aid granted unlawfully (. . .) shall have an enforceable right to enjoin the Beneficiary from receiving and the responsible entity from granting the State Aid. If a diligent economic operator could have noticed that the State Aid was granted contrary to the implementation prohibition, then the aggrieved person shall be entitled, in addition, to claim damages from the entity granting the State Aid and the Beneficiary, who shall be jointly and severally liable.“ Zum Ausgleich sollte gleichzeitig die Rechtsposition des Beihilfeempfängers gestärkt werden, indem ein Verfahren der sog. „negative clearance“ in Art. 21 ff. des Vorschlags vorgesehen wurde. Danach sollte der Beihilfeempfänger das Recht haben, sich von der Kommission bescheinigen zu lassen, dass die ihm angebotene staatliche Maßnahme nicht gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV verstößt. Durch positive Zusage der Kommission bzw. Zusagefiktion im Falle einer fehlenden Auskunft innerhalb einer bestimmten Frist sollte ein die spätere Rücknahme ausschließendes schutzwürdiges Vertrauen des Beihilfeempfängers begründet und eine Haftung ausgeschlossen werden.

E. Perspektiven

693

grundlegend vom europäischen Wettbewerbsrecht, da Schadensersatzansprüche Dritter nicht gegen private Unternehmen, sondern vornehmlich gegen die öffentliche Hand gerichtet werden. Die Kommission als unabhängige Aufsichtsbehörde, die mit weitgehenden Ermittlungsbefugnissen ausgestattet ist, wird insofern für den Rechtsschutz betroffener Konkurrenten im Beihilferecht weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Sollte sich zeigen, dass der vom EuGH geforderte Rechtsschutz weiterhin von den einzelstaatlichen Gerichten ignoriert wird, müsste zunächst darüber nachgedacht werden, die Rechtsschutzmöglichkeiten konkurrierender Unternehmen im zentralen Rechtsschutz zu stärken, indem betroffenen Unternehmen ein Anspruch gegen die Kommission auf Erlass einer vorläufigen Rückforderungsanordnung eingeräumt wird. Das Gebot eines kohärenten effektiven Rechtsschutzes verlangt, dass die zen­ tralen und dezentralen Rechtsschutzmöglichkeiten vor den Unionsgerichten einerseits und den mitgliedstaatlichen Gerichten andererseits aufeinander abzustimmen sind.300 Nicht auszuräumende Lücken des dezentralen Rechtsschutzes müssen daher durch zentrale Rechtsschutzmöglichkeiten geschlossen werden. Derzeit ist freilich nicht zu erwarten, dass dies geschehen wird. Bereits bei der Novellierung der ­BeihVerf-VO 659/99 im Jahre 2013 durch die VO 734/2013 hatte die Kommission im Vorfeld versucht, die Rechte betroffener Unternehmen im Beschwerdeverfahren zu reduzieren, um die gegenwärtige Beschwerdeflut einzudämmen.301 Eine Verbesserung der zentralen Rechtsschutzmöglichkeiten könnte zudem nur eine unverzügliche Rückforderung der gewährten Beihilfen sicherstellen. Die infolge einer Wettbewerbsverzerrung entstandenen Schäden können demgegenüber nur im dezentralen Verfahren vor den einzelstaatlichen Gerichten kompensiert werden. Entscheidende Impulse für die Verstärkung der dezentralen Rechtsschutzmöglichkeiten müssten daher vom EuGH ausgehen. Dass der Gerichtshof gewillt ist, für eine effektive Durchsetzung des Beihilferechts zu sorgen, kommt in jüngeren Entscheidungen deutlich zum Ausdruck (Bindungswirkung von Eröffnungsbeschlüssen,302 Rechtskraftdurchbrechung303 sowie Staatshaftungsansprüche,304 wenn letztinstanzliche Gerichtsentscheidungen gegen das Beihilferecht verstoßen). Konsequenterweise müsste das Effektivitätsgebot nunmehr aktiviert werden, um Schadensersatzansprüchen betroffener Konkurrenten den Weg zu ebnen.305 Dafür spricht nicht nur der Schutz der betroffenen Konkurrenten (subjektive Ausprägung des Effektivitätsgebots), sondern auch der allgemeine Auftrag der Mitgliedstaaten zur effektiven Durchführung des Beihilferechts (objektive Ausprägung des Effektivitätsgebots).306 Da betroffene Konkurrenten in der Praxis nur Unterlassungs- und Beseitigungsansprü300

  Nowak, EuR 2000, 724.  Vgl. den Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG‑Vertrags, COM (2012) 725 final. Mit diesen Forderungen konnte sich die Kommission jedoch nicht durchsetzen; zum Ganzen Soltész, NJW 2014, 3128, 3131; vertiefend Nehl, EStAL 2014, 235, 240 ff. 302   EuGH, Rs. C‑284/12 (Deutsche Lufthansa); Rs. C‑27/13 (Flughafen Lübeck). Dazu supra, § 8 B.III.2. – 3. 303   EuGH, Rs. C‑119/05 (Lucchini) Rn. 63; Rs. C‑505/14 (Klausner Holz Niedersachsen) Rn. 45; EuG, Rs. T‑309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung) Rn. 235 ff., 241. 304   EuGH, Rs. C‑173/03 (Traghetti Mediterano). 305   Wie hier Honoré/Jensen, EStAL 2011, 265, 283 f. 306   Zu diesen beiden Ausprägungen des Effektivitätsgebots supra, § 4 C.I.2. 301

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§ 8  Das beihilferechtliche Durchführungsverbot

che, nicht aber Schadensersatzansprüche durchsetzen können, müssen Beihilfegeber, die gegen das Durchführungsverbot verstoßen, bislang mit keinerlei Sanktionen rechnen.307 Im Gegenteil: Ist der vom Konkurrenten geltend gemachte Rückforderungsanspruch erfolgreich, so erhält die öffentliche Hand die gewährte Beihilfe sogar nebst Zinsen zurück. Die Effektivität von Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Durchführungsverbot könnte erheblich verbessert werden, wenn die mitgliedstaatlichen Gerichte Beweiserleichterungen zulassen müssten. Der EuGH könnte in einem ersten Schritt für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen eine widerlegliche Vermutung fordern, dass sich die Gewährung einer Beihilfe grundsätzlich nachteilig auf die Wettbewerbssituation konkurrierender Unternehmen auswirkt.308 Ließe man derartige Beweiserleichterungen zu, wäre dennoch keine uferlose Haftung der Mitgliedstaaten zu befürchten. Denn der betroffene Konkurrent müsste immer noch glaubhaft machen, dass der von ihm konkret geltend gemachte Schaden ursächlich auf der eingetretenen Wettbewerbsverzerrung beruht. Für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gilt insoweit nicht nur im Kartellrecht, sondern auch im Beihilferecht der vom EuGH aufgestellte Grundsatz, dass nur derjenige „Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen kann, wenn zwischen diesem und dem [verbotenen] Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht“.309

307

  So auch Temple Lang, EStAL 2014, 440 f.   Für eine solche Vermutung auch Honoré/Jensen, EStAL 2011, 265, 283 f. 309   EuGH, verb. Rs. C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) LS 2. 308

§ 9  Antidiskriminierungsrecht A. Diskriminierungsverbote, subjektive Rechte und Privatautonomie I. Marktbezogene und sozialpolitische Diskriminierungsverbote Der Grundsatz der Gleichbehandlung nimmt im Unionsrecht eine hervorgehobene Stellung ein. Neben den bereits diskutierten marktbezogenen Diskriminierungsverboten, die im Wesentlichen auf eine Gleichbehandlung aller Marktbürger unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit zielen,1 nehmen vor allem die sozialpolitischen Diskriminierungsverbote im Unionsrecht einen zentralen Platz ein. Ihren historischen Ausgangspunkt nahmen diese Diskriminierungsverbote im Bereich des Arbeitslebens.2 Bereits der Vertrag von Rom sah in Art. 119 EWGV (jetzt Art. 157 AEUV) den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher bzw. gleichwertiger Arbeit vor. Flankierend hierzu erließ der Gemeinschaftsgesetzgeber in den 1970er Jahren eine Reihe von Sekundärrechtsakten, mit denen der Schutz vor Diskriminierungen wegen des Geschlechts auf weitere Bereiche des Arbeitslebens ausgedehnt wurde.3 Eine grundlegende Wende brachte der Amsterdamer Vertrag, der mit Art. 13 EG (jetzt Art. 19 AEUV) den Rat ermächtigte, geeignete Vorkehrungen zu treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Gestützt auf diese neue Kompetenzgrundlage wurde der Diskriminierungsschutz durch eine „neue Richtliniengeneration“ seit dem Jahre 2000 in zweierlei Hinsicht erweitert: Zum einen wurden die verbotenen Diskriminierungsmerkmale ausgeweitet, zum anderen wurden die Diskriminierungsverbote über den Bereich des Arbeitsrechts hinaus auf den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen und damit auf weite Teile des allgemeinen Zivilrechtsverkehrs erstreckt.4

II. Unbestimmte Rechtsfolgen, Sanktionsverpflichtung und subjektive Rechte Gemeinsam ist all diesen Vorschriften, dass die bei einem Verstoß gegen Diskriminierungsverbote eintretenden Rechtsfolgen nur rudimentär festgelegt werden. Dies hat den EuGH allerdings nicht daran gehindert, auf die Ausgestaltung der Rechtsfolgen Einfluss zu nehmen. Der Gerichtshof hat die im Primär- und Sekundärrecht veran1   Zu den Grundfreiheiten supra, § 6; zu den wettbewerbsrechtlichen Diskriminierungsverboten supra, §§  7 – 8. 2   Allgemein zur Entwicklung der Diskriminierungsverbote im Unionsrecht Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. 3   Hierzu sogleich, unter § 9 C. 4   Im Einzelnen infra, § 9 C.I.

696

§ 9  Antidiskriminierungsrecht

kerten Diskriminierungsverbote schrittweise zu subjektiven Rechten ausgebaut und die dem Einzelnen bei einer Diskriminierung zustehenden Rechte über den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes und das Gebot „wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen“ nach unionsrechtlichen Kriterien konkretisiert. Der Unionsgesetzgeber hat in den Richtlinien der „neueren Generation“ auf diese Entwicklung reagiert und versucht, die vom EuGH entwickelten Grundsätze positiv zu kodifizieren, indem Fragen der Rechtsdurchsetzung eingehender als bislang geregelt werden. Die im Schrifttum immer noch verbreitete Auffassung, der nationale Gesetzgeber könne bei Umsetzung der Antidiskriminierungs-Richtlinien frei darüber entscheiden, ob der Verstoß gegen Diskriminierungsverbote zivilrechtlich, verwaltungsrechtlich oder strafrechtlich sanktioniert wird,5 lässt sich daher in dieser Allgemeinheit nicht mehr halten. Eine genauere Analyse zeigt vielmehr, dass sowohl das Rechtsformenermessen der Mitgliedstaaten als auch die konkrete Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen durch die vom EuGH entwickelten und im Sekundärrecht inzwischen positivierten Vorgaben in weitem Umfang eingeschränkt wird.

III. Diskriminierungsschutz und Privatautonomie Die neue Richtliniengeneration, insbesondere die Ausweitung der Diskriminierungsverbote auf den Bereich des allgemeinen Zivilrechtsverkehrs, hat im deutschen Schrifttum einen Sturm der Empörung ausgelöst.6 Im Zentrum der Kritik steht das Argument, dass der Schutz vor Diskriminierungen mit den Grundprinzipien des Privatrechts unvereinbar sei. Das Vertragsrecht basiere ganz wesentlich auf dem Gedanken der Vertragsfreiheit und der damit verbundenen Möglichkeit, durch die Wahl eines Vertragspartners andere Personen auszuschließen und damit zu diskriminieren. Gerade mit einem solchen Verständnis kollidiere indessen das Verbot der Diskriminierung, da die Wahl des Vertragspartners nicht mehr an bestimmten Kriterien ausgerichtet werden könne. Infolge der Anwendung des Vertragsrechts werde die iustitia comutativa durch die iustitia distributiva verdrängt; an die Stelle der dezentralen Steuerung durch individuelle Entscheidungen trete eine Verteilungsgerechtigkeit, die durch den Staat verordnet sei und durch die Gerichte durchgesetzt werde; der individualrechtliche Güteraustausch werde „sozialisiert“.7 Vor diesem Hintergrund wird der Untergang der Privatrechtsgesellschaft prophezeit,8 vom „Ende der Privatrechtsautonomie“9 und von der „Veröffentlichrechtlichung des Zivilrechts“10 gesprochen. 5   So z. B. Benecke/Kern, EuZW 2005, 360, 362 f.; ErfK/Schlachter, 16. Aufl., 2016, § 15 AGG Rn. 1. 6  Vgl. Picker, JZ 2002, 880 ff.; ders., JZ 2003, 540 ff.; Reichhold, JZ 2004, 384 ff. Auch in anderen Ländern wird das europäische Antidiskriminierungsrecht scharf kritisiert, so etwa in Belgien von M. Storme, Vivat Academia 2005, Nr. 126, 3 – 27. 7   Picker, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004: Haftung wegen Diskriminierung nach derzeitigem und künftigem Recht, 2005, S. 7, 20. 8   Zum Gefährdungspotenzial der Antidiskriminierungsmaßnahmen für die Privatrechtsgesellschaft vor allem Herresthal, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 1107, 1125; Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2008, S. 207, 255 ff. 9   Picker, JZ 2002, 880 ff.; vgl. auch Repgen, in: Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 11, mit dem provokanten Titel: „Antidiskriminierung – die Totenglocke des Privatrechts läutet“. 10   Reichhold, JZ 2004, 384, 389.

A. Diskriminierungsverbote, subjektive Rechte und Privatautonomie

697

Dass sich derartige Befürchtungen als überzogen erweisen, zeigt der Blick in jene Rechtsordnungen, die dem Prinzip der Privatautonomie einen hohen Stellenwert einräumen, andererseits aber seit langem Vorschriften zum Schutz vor Diskriminierungen kennen.11 So enthielten etwa im Vereinigten Königreich bereits der Sex Discrimination Art von 1975, der Race Relations Act aus dem Jahre 1976 sowie der Disability Discrimination Act von 1995 neben arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverboten auch solche für den Bereich der Versorgung mit Waren oder den Zugang zu Einrichtungen und Dienstleistungen, soweit diese zumindest einer gewissen Öffentlichkeit angeboten wurden.12 Auch in Frankreich ist der Diskriminierungsschutz im allgemeinen Zivilrechtsverkehr bereits seit langem in Form des réfus de vente anerkannt, geht aber heute sehr viel weiter als das englische Recht: Nach dem Code de la consommation ist jegliche Ablehnung der Belieferung eines Verbrauchers verboten, gleichgültig aus welchem Grund sie erfolgt.13 Die pauschal vorgetragene Kritik gegen das Antidiskriminierungsrecht verstellt den Blick auf das berechtigte Anliegen, die richtige Balance zwischen Vertragsfreiheit und Diskriminierungsschutz zu finden. Die gegenwärtige Diskussion krankt auch daran, dass die rechtspolitische Kritik nicht in ausreichendem Maße zu den unionsrechtlich geforderten Rechtsfolgen in Beziehung gesetzt wird: Inwieweit die gegen das europäische Antidiskriminierungsrecht vorgebrachten Einwände berechtigt sind, bemisst sich schließlich auch danach, welche Rechte einer diskriminierten Person im Falle der Verletzung eines Diskriminierungsverbots zustehen. Gerade für das Privatrecht ist nicht so sehr entscheidend, ob ein bestimmtes Verhalten verboten oder erlaubt ist; relevant ist vielmehr, welches Verhalten die privaten Rechtssubjekte voneinander verlangen können und worauf ihre Ansprüche gerichtet sind, wenn eine Pflichtverletzung vorliegt.14

IV. Gang der Untersuchung Die folgenden Ausführungen widmen sich zunächst den (sozialpolitischen) Diskriminierungsverboten des Primärrechts (B.). Im Anschluss werden die sekundärrechtlichen Vorgaben mit Blick auf die Rechtsfolgen, insbesondere hinsichtlich der Haftungsansprüche näher ausgelotet (C.). Vor dem Hintergrund der so gewonnenen Erkenntnisse ist zu überprüfen, inwieweit die Umsetzung der AntidiskriminierungsRichtlinien in Deutschland den Vorgaben des Unionsrechts entspricht  (D.). Der letzte Abschnitt beschäftigt sich schließlich in einem Ausblick mit dem Sanktionssystem in den Acquis Principles (ACQP) und im Draft Common Frame of Reference (DCFR) (E.).

11

 Zutreffend Lehmann, in: Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 67 ff.  Eingehend Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, 2000, S. 96 – 103; vgl. auch Berger, ERPL 2008, 843, 852. 13   Art. L 122‑1 französischer Code de la consommation. Ein Vorläufer dieser Regelung war Art. 30-36 der Ordonnance 86-1243 vom 1.12.1986. 14   Basedow, ZEuP 2008, 230, 240. 12

698

§ 9  Antidiskriminierungsrecht

B. Diskriminierungsverbote im Primärrecht und ihre Sanktionierung Das europäische Primärrecht kennt eine Reihe von ausdrücklichen Diskriminierungsverboten. Gemäß Art. 18 AEUV ist „[u]nbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge“ in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Zu diesen besonderen Bestimmungen zählen vor allem die Grundfreiheiten des Binnenmarkts, die ihrer ursprünglichen Konzeption nach ebenfalls als Diskriminierungsverbote konzipiert waren.15 Da diese Diskriminierungsverbote nicht sozialpolitischen Zielen, sondern in erster Linie der Herstellung und dem Funktionieren des Binnenmarkts dienen, kann man sie mit Basedow16 auch als binnenmarktbezogene Diskriminierungsverbote bezeichnen. An dieser Stelle sollen allein die Diskriminierungsverbote interessieren, die einen sozialpolitischen Zweck erfüllen. Von zentraler Bedeutung ist dabei zunächst das in Art. 157 AEUV niedergelegte Verbot der Entgeltdiskriminierung, das nach Ansicht des EuGH auch in privaten Rechtsverhältnissen unmittelbar wirkt (I.). Darüber hinaus hat der Gerichtshof im Fall Mangold die Existenz eines unabhängig vom Sekundärrecht bestehenden Verbots der Altersdiskriminierung behauptet. Damit stellt sich die Frage, inwieweit dem Primärrecht ein allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz zu entnehmen ist, der auch im Privatrecht zu beachten ist (II.).

I. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit (Art. 157 AEUV) 1. Ursprüngliche Konzeption als objektiv-rechtliche Norm Der in Art. 157 AEUV verankerte Grundsatz, dass Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein gleiches Entgelt erhalten müssen, ist seiner ursprünglichen Konzeption nach als eine objektiv-rechtliche Norm konzipiert worden: Der Grundsatz der Entgeltgleichheit sollte Verzerrungen zwischen den einzelstaatlichen Märkten verhindern. Unternehmen mit Sitz in Mitgliedstaaten, die wie Frankreich den Grundsatz der Lohngleichheit bereits vor Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anerkannt hatten, sollten vor Wettbewerbsnachteilen gegenüber Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten, in denen ein solcher Grundsatz noch keine Gültigkeit beanspruchte, geschützt werden.17 Der objektiv-rechtliche Charakter ist in der Ausgestaltung der Norm nach wie vor erkennbar. Nach Art. 157 Abs. 1 AEUV gilt, dass jeder „Mitgliedstaat“ die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts sicherstellen muss.18 Adressaten des Diskriminierungsverbots sind nach dem Wortlaut der Vorschrift somit allein die Mitgliedstaaten.

15

 Hierzu supra, § 6 C.I.   Basedow, ZEuP 2008, 230, 234. 17  Vgl. EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 8/11; verb. Rs. C‑270/97 und C‑271/97 (Sievers) Rn. 54; G/H/N/Langenfeld, 58. EL., 2016, Art. 157 AEUV Rn. 3. 18   Art. 119 Abs. 1 EWGV blieb an Schärfe hinter der Neufassung nach Amsterdam noch etwas zurück, denn hier hieß es: „Jeder Mitgliedstaat wird während der ersten Stufe den Grundsatz des gleichen Entgelts (. . .) anwenden und in der Folge beibehalten.“ 16

B. Diskriminierungsverbote im Primärrecht und ihre Sanktionierung

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2. Anerkennung als subjektives Recht Der EuGH sprach dem Grundsatz der Entgeltgleichheit dennoch im Jahre 1976 in Defrenne II19 nicht nur unmittelbare Wirkung im Verhältnis zu öffentlichen Arbeitgebern, sondern zugleich für privatrechtliche Beschäftigungsverhältnisse zu. Aus dem zwingenden Charakter des Art. 119 EWGV (jetzt Art. 157 AEUV) folge, so der Gerichtshof, dass das Verbot von Diskriminierungen zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern nicht nur für die öffentlichen Behörden verbindlich sei, sondern sich auch auf alle, die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden Tarifverträge und alle Verträge zwischen Privatpersonen erstrecke.20 Art. 119 EWGV begründe Rechte für die Bürger, welche die Gerichte zu schützen haben. Den Einwand, dass die Vorschrift ausdrücklich nur die Mitgliedstaaten als Normadressaten anspricht, ließ der EuGH demgegenüber nicht gelten, denn dieser Umstand schließe „nicht aus, dass zugleich allen an der Einhaltung der so umschriebenen Pflichten interessierten Privatpersonen Rechte verliehen sein können.“21 Die belgische Stewardess Gabrielle Defrenne, die über mehrere Jahre trotz gleichwertiger Arbeit weniger Lohn erhalten hatte als ihr männlicher Kollege, konnte dementsprechend ihren Anspruch auf Lohnnachzahlung gegen ihren Arbeitgeber, die private belgische Fluggesellschaft Sabena, unmittelbar auf Art. 119 EWGV stützen. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit hat sich auf diese Weise von einer funktional auf den Binnenmarkt bezogenen Wettbewerbsvorschrift zu einer Norm entwickelt, die dem Einzelnen sowohl subjektiv-öffentliche als auch subjektiv-private Rechte vermittelt. Der mit Art. 157 AEUV ursprünglich verfolgte wirtschaftliche Zweck hat gegenüber dem sozialen Ziel der Vorschrift nur noch eine nachgeordnete Bedeutung.22 Der Gerichtshof zählt das Diskriminierungsverbot zugleich zu den „Grundlagen der Gemeinschaft“.23 Darauf aufbauend hat er das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung als Grundrecht anerkannt, das die Mitgliedstaaten und auch die Union selbst bindet.24 Im Unterschied zu den Grundfreiheiten25 ist Art. 157 AEUV daher auch auf rein inländische Konstellationen anwendbar.26 3. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich Parallel hierzu hat der EuGH sowohl den sachlichen wie auch den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift ausgedehnt. Zwar stellte der Gerichtshof bereits in der Rechtssache Defrenne III27 klar, dass die Vorschrift grundsätzlich nicht über 19

  EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II).  EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 39. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit gilt, wie der Gerichtshof in späteren Entscheidungen klargestellt hat, darüber hinaus in hoheitlich begründeten Rechtsverhältnissen, etwa im Beamtenrecht; EuGH, Rs. C‑1/95 (Gerster) Rn.  17 – 19. 21   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 30/34. 22   So EuGH, verb. Rs. C‑270/97 und C‑271/97 (Sievers) Rn. 57. 23   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 12; verb. Rs. C‑270 – 271/97 (Sievers) Rn.  53 – 57; Rs.  C‑256/ 01 (Allonby) Rn. 65; Rs. C‑17/05 (Cadman) Rn. 28. 24   EuGH, Rs. C‑25/02 (Rinke) Rn.  25 – 27. 25  Hierzu supra, § 6 B.II. 26   Dies zeigen die drei Defrenne-Entscheidungen, aber auch die Urteile des EuGH zur Aufnahme von Frauen ins Militär; siehe EuGH, Rs. 80/70 (Defrenne I); Rs. 43/75 (Defrenne II); Rs. 149/77 (Defrenne III); Rs. C‑285/98 (Kreil); Rs. C‑271/97 (Sirdar). 27   EuGH, Rs. 149/77 (Defrenne III) Rn. 19/23. 20

700

§ 9  Antidiskriminierungsrecht

das Arbeitsentgelt hinaus auf sonstige Arbeitsbedingungen erstreckt werden könne. Der in Art. 157 Abs. 2 AEUV näher definierte Begriff „Entgelt“ ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung weit auszulegen. Er umfasst „alle gegenwärtigen oder künftigen in bar oder in Sachleistungen gewährten Vergütungen, vorausgesetzt, dass sie der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses gewährt“.28 Daher werden nicht nur Gehaltszahlungen, sondern auch Leistungen nach Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses erfasst. Selbst Betriebsrenten fallen unter den Anwendungsbereich des Art. 157 AEUV, da sie zumindest mittelbar an das Arbeitsverhältnis anknüpfen, gleich ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer die Beiträge zahlen.29 Leistungen der staatlichen Sozialversicherungssysteme werden demgegenüber vom Entgeltbegriff ausgenommen.30 Der vom EuGH weit verstandene Begriff des Entgelts provoziert Abgrenzungsfragen vor allem im Verhältnis zur Allgemeinen Gleichbehandlungs-RL 76/207 (jetzt RL 2006/54), die vor allem deshalb relevant werden, weil der primärrechtliche Grundsatz der Entgeltgleichheit im Unterschied zu Richtlinien in Horizontalverhältnissen direkt anwendbar ist.31 In der Rechtsprechungspraxis spielte insbesondere die Frage eine Rolle, ob die bei einer Entlassung gewährten Entschädigungsleistungen unter Art. 119 EWGV (jetzt 157 AEUV) oder unter die RL 76/207 fallen. Zu Überschneidungen kommt es insbesondere dann, wenn eine sozial ungerechtfertigte (im Einzelnen aber nicht diskriminierende) Entlassung vorliegt und die Entschädigungsregelung Arbeitnehmer wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Für diese Konstellationen trifft der EuGH eine komplizierte, nicht sehr einsichtige Differenzierung:32 Die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer im Fall einer sozial ungerechtfertigten Entlassung Anspruch auf eine Entschädigung hat, fallen nach Auffassung des Gerichtshofs unter Art. 119 EWGV (jetzt 157 AEUV). Die Voraussetzungen, unter denen der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung hat, sollen sich dagegen nach der RL 76/207 (jetzt RL 2006/54) richten. In persönlicher Hinsicht ist in erster Linie der Arbeitnehmer anspruchsberechtigt. Bei Tod des Arbeitnehmers kann sich auch der überlebende Ehegatte bzgl. seines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente auf die unmittelbare Wirkung von Art. 119 EWGV (jetzt 157 AEUV) berufen.33 Der Anspruch auf Entgeltgleichheit kann nicht nur gegenüber dem Arbeitgeber, sondern auch gegenüber dritten Personen geltend gemacht werden, wie z. B. dem Verwalter eines Betriebsrentensystems.34 28

  EuGH, Rs. C‑167/97 (Seymour-Smith und Perez) Rn. 23 m. w. N.   EuGH, Rs. C‑262/88 (Barber) Rn. 28.   EuGH, Rs. 80/70 (Defrenne I). 31  Zur fehlenden Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen vgl. supra, § 5 A.IV.2. Siehe ferner Costello/Davies, CMLR 2006, 1567, 1574 f., die zudem darauf hinweisen, dass Art. 157 AEUV im Unterschied zur Allgemeinen Gleichbehandlungs-RL keine speziellen Rechtfertigungsgründe für Diskriminierungen kennt. 32   EuGH, Rs. C‑167/97 (Seymour-Smith und Perez) LS 5; bestätigt durch Rs. C‑19/01 (Hlozek) Rn. 37. Kritisch zu dieser Rechtsprechung Barnard/Hepple, CLJ 1999, 399, 404 f. 33   EuGH, Rs. C‑200/91 (Coloroll Pension Trustees) Rn. 18 – 19; bestätigt durch Rs. C‑379/99 (Menauer) Rn. 18. Nach EuGH, Rs. C‑117/01 (K. B.) Rn. 26, dürfen auch transsexuelle Partner des Arbeitnehmers nicht von einer Hinterbliebenenrente ausgeschlossen werden. 34   EuGH, Rs. C‑128/93 (Fisscher) Rn. 31. Bestätigt durch Rs. C‑435/93 (Dietz) Rn. 31; Rs. C‑379/ 99 (Menauer) Rn. 29 ff. 29 30

B. Diskriminierungsverbote im Primärrecht und ihre Sanktionierung

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4. Konkretisierung der Zivilrechtsfolgen durch den EuGH Der Gerichtshof leitet die zivilrechtlichen Rechtsfolgen, die bei einem Verstoß gegen den Grundsatz der Entgeltgleichheit eintreten, unmittelbar aus dem Primärrecht ab, wenn mitgliedstaatliches Recht, Tarifverträge oder Individualarbeitsverträge gegen den Grundsatz der Entgeltgleichheit verstoßen. Art. 157 Abs. 1 AEUV verleiht dem Berechtigten einen Anspruch auf Herstellung von Entgeltgleichheit bei gleicher und gleichwertiger Arbeit. Gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen, die gegen diesen Grundsatz verstoßen, dürfen aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden.35 Diskriminierende Vereinbarungen sind nach deutschem Recht nichtig (§ 134 BGB);36 im Übrigen bleibt der Vertrag aber wirksam.37 An die Stelle der unwirksamen Bestimmung tritt eine Regelung, die ihrem Umfang nach für die in der Vergangenheit erbrachten Arbeitsleistungen eine Lohnangleichung nach oben (levelling-up) bewirkt: Solange keine unionsrechtskonformen Maßnahmen zur Beseitigung der Ungleichbehandlung getroffen worden sind, kann der Gleichbehandlungsgrundsatz nur dergestalt gewahrt werden, dass die Vergünstigungen, die die Mitglieder der begünstigten Gruppe erhalten, auf die Mitglieder der benachteiligten Gruppe erstreckt werden.38 Bis zu einer ordnungsgemäßen Beachtung des Gleichbehandlungsgebots bleibt die günstigere Regelung somit das „einzig gültige Bezugssystem“.39 Für die Zukunft, d. h. für die nach Feststellung des Verstoßes gegen Art. 157 Abs. 1 AEUV liegende Zeit, bleibt es dem nationalen Gesetzgeber, den Tarifvertragsparteien bzw. dem Arbeitgeber dagegen unbenommen, dem bisher begünstigten Geschlecht die bestehenden Vergünstigungen zu nehmen bzw. diese auf das Leistungsniveau der benachteiligten Arbeitnehmer abzusenken. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, verlangt Art. 157 Abs. 1 AEUV nämlich nur, dass Männer und Frauen bei gleicher Arbeit das gleiche Entgelt erhalten, ohne dabei eine bestimmte Höhe vorzuschreiben.40 Ansprüche des Arbeitnehmers auf Zahlung rückständigen Arbeitsentgelts können durch Verjährungs- und Klagefristen grundsätzlich eingeschränkt werden.41 Insoweit müssen jedoch die Grundsätze der Effektivität und Gleichwertigkeit beachtet werden.42 35

  EuGH, Rs. C‑184/89 (Nimz) Rn. 17.   Nach § 7 Abs. 2 AGG sind Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, unwirksam; die Vorschrift hat aber nur deklaratorischen Charakter; vgl. die Regierungsbegründung zum AGG; BT‑Drucks. 16/1780, S. 34. Die Nichtigkeit diskriminierender Vereinbarungen ergibt sich weiterhin aus § 134 BGB; Kamanabrou, RdA 2006, 321, 333; MüKo/Thüsing, BGB, 7. Aufl., 2015, § 7 AGG Rn. 11. 37   Seifert, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 39 Rn. 79. 38   EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne II) Rn. 15; Rs. C‑33/89 (Kowalska) Rn. 19; Rs. C‑184/89 (Nimz) Rn. 18; C‑408/92 (Smith) Rn. 15. 39   EuGH, Rs. C‑33/89 (Kowalska) Rn. 20; Rs. C‑184/89 (Nimz) Rn. 18 ff.; Rs. C‑408/92 (Smith) Rn. 16 f.; Rs. C‑28/93 (van den Akker) Rn. 16; Rs. C‑18/95 (Terhoeve) Rn. 57 (zur Arbeitnehmerfreizügigkeit); Rs. C‑399/09 (Landtová) Rn. 51 (zu Art. 18 AEUV). Vgl. auch BAG, NZA-RR 2012, 100 (zur RL 2000/78): Anpassung „nach oben“ nicht nur dann, wenn eine kleinere Beschäftigungsgruppe von einer begünstigenden Norm ausgenommen wird, sondern auch in Fällen, in denen eine tarifliche Vergütungsregelung insgesamt wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot wegen des Alters unwirksam ist, und von den nicht diskriminierten Arbeitnehmern Leistungen nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg zurückgefordert werden können. 40   EuGH, Rs. C‑200/91 (Coloroll Pension Trustees) Rn. 33. 41   EuGH, Rs. C‑326/96 (Levez) Rn. 34. 42   Zur Überprüfung nationaler Ausschlussfristen am Maßstab der Effektivität und Äquivalenz siehe G/H/N/Langenfeld, 58. EL., 2016, Art. 157 AEUV Rn. 73 ff.; G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1091 ff. 36

702

§ 9  Antidiskriminierungsrecht

II. Der Gleichbehandlungsgrundsatz als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts 1. Entwicklungslinien Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz ungeschriebener Bestandteil des Primärrechts ist.43 Der Grundsatz bindet in erster Linie die Mitgliedstaaten. Wie sich der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz in Rechtsverhältnissen zwischen Privaten auswirkt, ist bislang ungeklärt. Für spezifische Ausprägungen des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes hat der Gerichtshof eine unmittelbare horizontale Wirkung bejaht. Nachdem der Gerichtshof den Grundsatz der Entgeltgleichheit (Art. 157 AEUV) für unmittelbar anwendbar in Privatrechtsverhältnissen erklärt hatte, erstreckte er diese Rechtsprechung auf andere Vorschriften des Primärrechts, so insbesondere auf die in den Grundfreiheiten enthaltenen Diskriminierungsverbote.44 In den Urteilen Mangold und Kücükdeveci45 ging der Gerichtshof darüber hinaus davon aus, dass das Verbot der Altersdiskriminierung als ungeschriebener allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts zu betrachten ist, der in Privatrechtsstreitigkeiten eine negative unmittelbare Wirkung haben kann. Im Urteil Association de médiation sociale46 bekräftigte der Gerichtshof, dass das Verbot der Altersdiskriminierung, das seit Inkrafttreten der Grundrechtecharta in Art. 21 GRC festgelegt ist, „schon für sich allein dem Einzelnen ein subjektives Recht verleiht, das er als solches geltend machen kann“, um die Anwendung einer diskriminierenden nationalen Rechtsvorschrift in einem privaten Rechtsstreit auszuschließen. 2. Horizontale Direktwirkung? Dies wirft die Frage auf, ob auch der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz unmittelbare horizontale Wirkung entfaltet.47 Dafür ließe sich anführen, dass die speziellen primärrechtlichen Diskriminierungsverbote vom Gerichtshof als spezifischer Ausdruck des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots betrachtet werden.48 In den Fällen Angonese49 und Raccanelli50 begründete der EuGH die unmittelbare horizontale Wirkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit mit dem Argument, dass auch der primärrechtliche Grundsatz der Entgeltgleichheit derartige Wirkungen entfalte. Die rechtlichen Wirkungen einer speziellen Vorschrift (Art. 157 AEUV) können jedoch nicht ohne 43   Aus der Rechtsprechung vgl. nur EuGH, Rs. 810/79 (Überschär) Rn. 16; Rs. C‑81/05 (Cordero Alonso) Rn. 37 m. w. N. Aus dem Schrifttum Tridimas, The General Principles of EU Law, 2. Aufl., 2006, S. 59 ff. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist nunmehr in Kapitel III der Grundrechtecharta ausführlich geregelt. 44  Hierzu supra, § 6 E. 45   EuGH, Rs. C‑144/04 (Mangold); Rs. C‑555/07 (Kücükdeveci). Ausführlich supra, § 5 A.IV.4.b. 46   EuGH, Rs. C‑176/12 (Association de médiation sociale) Rn. 47; hierzu supra, § 5 A.IV.4.d. 47   In diese Richtung (Übertragung der Mangold-Doktrin auf Art. 21 Abs. 1 GRC) Preis/Temming, NZA 2010, 185, 190; Bauer/v. Medem, ZIP 2010, 449, 452; Thüsing, ZIP 2010, 199, 201. Gegen eine horizontale Direktwirkung des allgemeinen Diskriminierungsverbots Basedow, ZEuP 2008, 230, 248 f.; Metzger, RabelsZ 75 (2011), 845, 876 ff., 880. 48   Vgl. allgemein EuGH, Rs. 810/79 (Überschär) Rn. 16. 49   EuGH, Rs. C‑281/98 (Angonese) Rn. 34 ff. 50   EuGH, Rs. C‑94/07 (Raccanelli) Rn. 45 f.

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

703

Weiteres auf eine andere spezielle Vorschrift (Art. 45 AEUV) übertragen werden. Die Argumentation des Gerichtshofs ist nur dann frei von logischen Brüchen, wenn dem Unionsrecht ein allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz zugrunde liegt, der Wirkung auch zwischen Privaten erzeugt.51 Gerade dies ist jedoch nicht der Fall. Art. 19 AEUV ist eine reine Ermächtigungsgrundlage, die nach unbestrittener Auffassung gerade keine unmittelbare Wirkung entfaltet.52 Auch dem Sekundärrecht kann kein allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz für das Zivilrecht entnommen werden. Der überwiegende Teil der Richtlinien, der eine Diskriminierung in privaten Rechtsverhältnissen untersagt, bezieht sich auf das Arbeitsrecht. Im allgemeinen Zivilrechtsverkehr gilt das Verbot der Diskriminierungen nur bezüglich der Unterscheidungsmerkmale Geschlecht, Rasse oder ethnische Herkunft, und nur insoweit, als es um den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen geht, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.53 Würde der Gerichtshof einen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz auch für das Privatrecht statuieren, könnte sich der Einzelne in Privatrechtsstreitigkeiten direkt auf diesen Grundsatz berufen, ohne dass es auf die konkreten Rechtssetzungsmaßnahmen des Unionsgesetzgebers mehr ankäme. Das institutionelle Gleichgewicht zwischen den Unionsorganen wäre beeinträchtigt.54 Der Unionsgesetzgeber hätte keine Einschätzungsprärogative mehr, ob überhaupt Maßnahmen getroffen werden und unter welchen Voraussetzungen der Gleichbehandlungsgrundsatz im allgemeinen Zivilrechtsverkehr gelten soll. Die aus dem Primärrecht abgeleiteten Vorgaben wären nur noch im Wege einer Vertragsänderung korrigierbar, die eine Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten voraussetzt. Unabhängig hiervon widerspräche ein allgemeines Diskriminierungsverbot im Privatrechtsverkehr der Grundentscheidung, dass die Europäische Union auch nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags an der Entscheidung für eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb festhält55 und die Vertragsfreiheit in Form der unternehmerischen Freiheit durch Art. 16 GRC schützt.56

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung I. Überblick über den Stand der Rechtsentwicklung 1. Diskriminierungsverbote im Arbeitsrecht Der in Art. 119 EWGV (jetzt 157 AEUV) verankerte Grundsatz der Entgeltgleichheit wurde schon früh durch eine Reihe sekundärrechtlicher Regelungen ergänzt. Die Entgelt-Gleichbehandlungs-RL 75/117 gestaltete den Grundsatz der Entgeltgleichheit näher aus. Die Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 (neu gefasst durch die 51

  Repasi, EuZW 2008, 532.   EuG, verb. Rs. T‑219/02 und T‑337/02 (Herrera) Rn. 89; Calliess/Ruffert/Epiney, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 19 AEUV Rn. 1; G/H/N/Grabenwarter, 58. EL, 2016, Art. 19 AEUV 13 Rn. 6; Preis, NZA 2006, 401, 407. A. A. Schwarze/Holoubek, EU‑Kommentar, 2. Aufl., 2009, Art. 13 EGV Rn. 9. 53   Hierzu sogleich, infra, § 9 C.I.2. 54   Zum Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts Jacqué, CMLR 2004, 383 ff. Vgl. auch supra, § 4 A.VI.3. 55  Hierzu supra, § 3 D.I.3.b. 56   Wie hier Basedow, ZEuP 2010, 230, 248 f. 52

704

§ 9  Antidiskriminierungsrecht

Richtlinie 2002/73) dehnte das Gleichbehandlungsgebot auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit, zum beruflichen Aufstieg und zu sonstigen Arbeitsbedingungen aus. Die RL 86/378 regelte demgegenüber ein Diskriminierungsverbot für betriebliche Systeme sozialer Sicherheit, während die Rechtsdurchsetzung in Diskriminierungsprozessen durch die Beweislast-RL 97/80 erleichtert werden sollte. Alle vier Richtlinien sind inzwischen aufgehoben und in der Richtlinie 2006/54 „zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen“ zusammengefasst worden. Neben diesen Regelungen wurde der Diskriminierungsschutz auf der Grundlage des durch den Vertrag von Amsterdam neu aufgenommenen Art. 13 EG (jetzt Art. 19 AEUV) in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet, indem der Gleichbehandlungsgrundsatz in Beschäftigung und Beruf durch die RL 2000/78 auf die Diskriminierungsmerkmale Alter, Behinderung, Religion und Weltanschauung sowie sexuelle Ausrichtung erstreckt wurde. 2. Diskriminierungsverbote im allgemeinen Zivilrecht Der Gleichbehandlungsgrundsatz wurde darüber hinaus durch zwei Richtlinien auf das allgemeine Zivilrecht ausgedehnt. Die Antirassismus-RL 2000/43 regelt die Gleichbehandlung bezüglich Rasse und ethnischer Herkunft. Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich nicht nur auf das Arbeitsrecht (Art. 3 Abs. 1 lit. a, c, d), sondern auch auf gesundheits- und bildungsbezogene Leistungen (Art. 3 Abs. 1 lit. b, e, g), soziale Vergünstigungen (Art. 3 Abs. 1 lit. f) sowie auf „den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum“ (Art. 3 Abs. 1 lit. h). Die Bedeutung der Richtlinie für den allgemeinen Privatrechtsverkehr erschließt sich über den Begriff der „Öffentlichkeit“. Wann eine Leistung „öffentlich zu Verfügung steht“, ist zwar im Einzelnen ungeklärt. Einigkeit besteht aber insoweit, dass hiervon jedenfalls sämtliche Leistungen erfasst werden, die typischerweise in einer Vielzahl von Fällen ohne Ansehen des Vertragspartners öffentlich am Markt angeboten werden, beispielsweise durch Werbung in den Medien, Zeitungsannoncen oder Schaufensterauslagen.57 Die Gender-RL 2004/113 folgt dem Modell der Antirassismus-RL 2000/4358 und erweitert das Gebot zur Gleichbehandlung im allgemeinen Zivilrechtsverkehr auf die geschlechtsbezogene Diskriminierung. Das Gebot zur Gleichbehandlung der Geschlechter gilt ausweislich Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie „für alle Personen, die Güter und Dienstleistungen bereitstellen, die der Öffentlichkeit ohne Ansehen der Person 57  Hierzu Schiek, in: Rust u. a. (Hrsg.), Die Gleichbehandlungsrichtlinien der EU und ihre Umsetzung in Deutschland, 2003, S. 129, 132 ff.; Thüsing, NJW 2003, 3441, 3442 f.; Wiedemann/Thüsing, DB 2002, 463, 465. 58   Obwohl die RL 2000/43 und die RL 2004/113 eine ähnliche Struktur aufweisen, bestehen im Detail bzgl. des Anwendungsbereichs Unterschiede. Während die RL 2000/43 auf Verträge Anwendung findet, die eine Bildungsleistung zum Gegenstand haben (Art. 3 Abs. 1 lit. g RL 2000/43), wird dieser Bereich von der RL 2004/113 ausdrücklich ausgenommen (Art. 3 Abs. 3 RL 2004/113). Unterschiede zeigen sich auch bei Versicherungsverträgen. Da es sich bei diesen Verträgen grundsätzlich um Dienstleistungen handelt, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, fallen Versicherungsverträge grundsätzlich unter den Anwendungsbereich beider Richtlinien. Für geschlechtsbezogene Diskriminierungen enthält die RL 2004/113 allerdings in Art. 5 eine Sonderregel; vertiefend Armbrüster, VersR 2006, 1297 ff.

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

705

zur Verfügung stehen (. . .), und die außerhalb des Bereichs des Privat- und Familienbereichs und der in diesem Kontext stattfindenden Transaktionen angeboten werden.“ Das Unionsrecht verfolgt damit im Antidiskriminierungsrecht einen zweispurigen Regelungsansatz.59 Während der Diskriminierungsschutz im Arbeits- und Sozialrecht in weitgehendem Maße verwirklicht wird und sämtliche in Art. 19 AEUV genannten Diskriminierungen erfasst werden, weist das Gleichbehandlungsgebot im allgemeinen Zivilrecht einen beschränkten Anwendungsbereich auf: Zum einen betrifft das Diskriminierungsverbot im allgemeinen Zivilrecht nur die Kriterien „Geschlecht“, „Rasse“ und „ethnische Herkunft“. Zum anderen werden in der Regel nicht Privatper­sonen, sondern nur „Unternehmer“ gebunden, die Güter oder Dienstleistungen am Markt öffentlich anbieten. Den vorerst letzten Akt auf europäischer Ebene bildet der im Juli 2008 veröffentlichte Vorschlag der Kommission zum Erlass einer Richtlinie „zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zwischen Personen ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuellen Ausrichtung außerhalb des Arbeitsrechts“.60 Mit dieser Richtlinie sollen die genannten Diskriminierungsmerkmale nicht nur auf soziale Dienste, Gesundheitsdienste und Bildung ausgedehnt werden (Art. 3 Abs. 1 lit. a – c des Vorschlags), sondern darüber hinaus auf das gesamte Zivilrecht, soweit der Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, betroffen ist (Art. 3 Abs. 1 lit. d des Vorschlags). Einschränkend soll das Diskriminierungsverbot für das allgemeine Zivilrecht nach dem Richtlinienvorschlag für Einzelne allerdings nur insoweit gelten, als sie eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausüben (Art. 3 Abs. 2 des Vorschlags); Transaktionen zwischen Privatpersonen, wie beispielsweise die Vermietung eines Zimmers in einem Privathaus, sollen also nicht unter die Richtlinie fallen.61

II. Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts zur Ausgestaltung der Rechtsfolgen 1. Grundsatz der Wahlfreiheit Den meisten Antidiskriminierungsrichtlinien lässt sich nicht entnehmen, wie ein Verstoß gegen Diskriminierungsverbote im mitgliedstaatlichen Recht geahndet werden soll. Insbesondere in früheren Richtlinien fehlte es an einem positiv-rechtlichen Anknüpfungspunkt.62 Paradigmatisch ist insoweit die inzwischen aufgehobene Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207, auf deren Auslegung der EuGH auch in neueren Entscheidungen Bezug nimmt. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung und Berufsbildung, des beruflichen Aufstiegs sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und die soziale Sicherheit zu verwirklichen. Wird gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen, so garantiert die Richtlinie den betroffenen Arbeitnehmern die Eröffnung des Rechtswegs, ohne die Rechtsbehelfe konkret 59

  G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1087.   KOM (2008) 426 endg.; hierzu Reppelmund, EuZW 2008, 514. 61   KOM (2008) 426 endg., S. 9. 62   Zu den Richtlinien der „neueren Generation“ sogleich, infra, § 9 C.III. 60

706

§ 9  Antidiskriminierungsrecht

festzulegen. Nach Art. 6 RL 76/207 müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass „jeder, der sich wegen der Nichtanwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (. . .) auf seine Person für beschwert hält, nach etwaiger Befassung anderer zuständiger Stellen seine Rechte gerichtlich geltend machen kann.“ Diese Formulierung lässt für sich genommen nicht erkennen, welche Sanktionen die Mitgliedstaaten vorsehen müssen. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot könnte in zivilrechtlicher Hinsicht vor allem einen Kontrahierungszwang oder Schadensersatzansprüche auslösen, in Betracht kommt aber auch eine Durchsetzung mit den Mitteln des öffentlichen Rechts, also durch Verwaltungszwang, durch Bußgelder oder Kriminalstrafen, sofern sichergestellt ist, dass Betroffenen der Rechtsweg offensteht. Angesichts dieser unbestimmten Rechtsfolgenanordnung lassen sich in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Sanktionsinstrumente finden.63 Die Kernfrage lautet daher im vorliegenden Kontext, ob das Rechtsformenermessen der Mitgliedstaaten dennoch eingeschränkt ist: Müssen die Mitgliedstaaten trotz unbestimmter Rechtsfolgenanordnung spezifisch zivilrechtliche Rechtsfolgen vorsehen, insbesondere Ansprüche auf (Wieder‑)Einstellung oder Schadensersatz? 2. Konkretisierung der Zivilrechtsfolgen durch den EuGH Der EuGH hat auf diese Fragen in einer Reihe von Urteilen reagiert. Dabei lassen sich mehrere Judikaturlinien voneinander unterscheiden. a) Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung In den Rechtssachen von Colson und Kamann, Harz, Dekker und Draehmpaehl betonte der Gerichtshof für die Fälle einer unzulässigen Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung, dass Art. 6 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 keine bestimmte Sanktion für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot erfordere, sondern den Mitgliedstaaten die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen, zur Verwirklichung der Zielsetzung geeigneten Lösungen belasse.64 Die Richtlinie schreibe den Mitgliedstaaten insbesondere nicht vor, den Arbeitgeber zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit dem diskriminierten Bewerber zu verpflichten.65 In jedem Falle müsse die vom nationalen Gesetzgeber jedoch geeignet sein, „einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten“ und gegenüber dem Arbeitgeber eine „wirklich abschreckende Wirkung“ haben.66 Entscheide sich ein Mitgliedstaat dafür, die aufgrund einer Diskriminierung erlittenen Schäden im Rahmen einer Regelung über die zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers zu ersetzen, so müsse diese Entschädigung „in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden“ stehen. Diese Ausführungen deuten darauf hin, dass der EuGH zwar von einer allgemeinen Sanktionspflicht der Mitgliedstaaten ausgeht, nicht jedoch von einer Pflicht, zivilrechtliche Rechtsfolgen anzuordnen.67 63

 Hierzu infra, § 9 C.V. und § 9 C.VI.1.   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 18; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 18; Rs. C‑177/88 (Dekker) Rn. 23; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 24. 65   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 19; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 19. 66   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23; Rs. C‑177/88 (Dekker) Rn. 23; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25. 67   Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 53 ff. und S. 184 f. 64

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

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b) Diskriminierende Entlassung Wesentlich restriktiver ist der EuGH dagegen in den Fällen der diskriminierenden Entlassung. Dies zeigt die Rechtssache Marshall II. Zwar betont der Gerichtshof auch hier, dass Art. 6 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 keine bestimmte Maßnahme im Fall einer Verletzung des Diskriminierungsverbots vorschreibt. Gleichzeitig weist er aber darauf hin, dass die „Besonderheiten jedes einzelnen Falles“ berücksichtigt werden müssten.68 Der Gerichtshof bringt damit offenbar zum Ausdruck, dass sich der Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten in Abhängigkeit zur Art der Diskriminierung unter Umständen reduzieren kann. Denn weiter heißt es in dem betreffenden Urteil: „Im Falle einer diskriminierenden, gegen Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie verstoßenden Entlassung kann jedoch die Gleichheit ohne Wiedereinstellung der diskriminierten Person oder aber finanzielle Wiedergutmachung des ihr entstandenen Schadens nicht wiederhergestellt werden.“69 Werde als Maßnahme die finanzielle Wiedergutmachung gewählt, so müssten die durch die diskriminierende Entlassung tatsächlich entstandenen Schäden zudem gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang ausgeglichen werden.70 Der EuGH weicht damit von den Grundsätzen ab, die er in von Colson und Kamann und den darauf folgenden Urteilen entwickelt hat. Nach Marshall II verpflichtet Art. 6 RL 76/207 die Mitgliedstaaten bei einer diskriminierenden Entlassung nicht nur allgemein zum Erlass wirksamer Sanktionen, sondern zur Verwirklichung konkreter zivilrechtlicher subjektiver Rechtspositionen. Für Deutschland sind die Auswirkungen des Urteils gering geblieben, denn nach deutschem Recht führte eine diskriminierende Kündigung gem. §§ 134, 611a Abs. 1 BGB a. F. erst gar nicht zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses, so dass sich Ansprüche auf Wiedereinstellung oder Schadensersatz erübrigten.71 Im Vereinigten Königreich hat das Urteil demgegenüber dafür gesorgt, dass die Gerichte aufgrund der Marshall II-Rechtsprechung in der Folgezeit weitreichende Schadensersatzansprüche anerkannt haben.72 c) Generelle Pflicht zur Einführung zivilrechtlicher Sanktionen? Wichtiger ist die grundsätzliche Frage, ob der Gerichtshof mit der Entscheidung Marshall II zugleich einen Paradigmenwechsel vollzogen hat: Ist die von Colson und Kamann-Rechtsprechung überholt? Müssen bei einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot zwangsläufig zivilrechtliche Rechtsbehelfe vorgesehen werden? Im Schrifttum ist dies in der Tat so angenommen worden.73 Gegen diese Ansicht lässt sich allerdings einwenden, dass sich Marshall II ausdrücklich nur auf Entlassungssachverhalte bezieht.74 Auch ist zu bedenken, dass der Gerichtshof in der (zeitlich später ergangenen) Entscheidung Draehmpaehl für den Zugang zur Beschäftigung – Bezug 68

  EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn.  23 – 25.   EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 25. 70   EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 26. 71  Hk-BGB/Eckert, 4. Aufl., 2005, § 611a Rn. 3; vgl. nunmehr § 7 Abs. 2 AGG. 72   Siehe im Einzelnen Barnard/Greaves, CMLR 1994, 1055, 1081 ff.; Szyszczak, ELRev. 1994, 218, 221. 73   Ellis, CMLR 1994, 43, 54; vgl. auch Curtin, CMLR 1994, 631, 641. 74   Eilmansberger, Rechtsfolgen, 1997, S. 184 f. 69

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

nehmend auf seine frühere Rechtsprechung in v. Colson und Kamann – wiederum hervorgehoben hat, dass die Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 den Mitgliedstaaten keine bestimmte Sanktion vorschreibt. Auf der anderen Seite ging es in Draehmpaehl (im Unterschied zu v. Colson und Kamann und Harz) aber gar nicht um die Frage, ob ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot überhaupt einen Anspruch auf Schadensersatz auslöst, sondern darum, ob die Mitgliedstaaten die (im nationalen Recht bereits vorgesehene) zivilrechtliche Haftung von weiteren einschränkenden Voraussetzungen abhängig machen können. Der Verweis des Gerichtshofs auf den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten war insoweit nicht entscheidungserheblich. Daher könnte man auch davon ausgehen, dass seit Marshall II sämtliche durch einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot entstandenen Schäden zu ersetzen sind. Eine solche Sichtweise findet nicht zuletzt in der neuen GleichbehandlungsRL 2006/54 eine Stütze, hat doch der Unionsgesetzgeber die Mitgliedstaaten unter Bezugnahme auf die EuGH-Rechtsprechung in Art. 18 S. 1 der Richtlinie explizit dazu verpflichtet, dem Diskriminierungsopfer generell – für jegliche geschlechtsbezogene Diskriminierung – einen Schadensersatzanspruch zu gewähren.75 d) Abstrakte Diskriminierungen Wie der EuGH in den Fällen Feryn76 und Asociaţia Accept77 klargestellt hat, setzt eine unmittelbare Diskriminierung nicht voraus, dass durch die betreffende Handlung eine individualisierbare Person konkret benachteiligt wird. Bereits eine abstrakt-diskriminierende Äußerung eines Arbeitgebers in der Öffentlichkeit reicht nach Ansicht des Gerichtshofs aus, um den Tatbestand der Diskriminierung zu verwirklichen und die Sanktionspflicht der Mitgliedstaaten auszulösen. Da es bei derartigen Diskriminierungen an einem konkreten Diskriminierungsopfer und damit an einem individualisierbaren Schaden fehlt, führte der Gerichtshof in der Rechtssache Feryn78 eine Reihe von möglichen Sanktionen an, die in Betracht kommen, nämlich (i) Feststellung der Diskriminierung durch staatliche Stellen, verbunden mit der Anordnung einer adäquaten Veröffentlichung auf Kosten des Arbeitgebers, (ii) die zwangsgeldbewehrte Unterlassungsanordnung, sowie (iii) ein Schadensersatzanspruch eines klagenden Verbandes. Im Fall Asociaţia Accept79 stellte der Gerichtshof zusätzlich klar, dass ein im nationalen Recht zugunsten von Antidiskriminierungsverbänden vorgesehener Schadensersatzanspruch für sich allein keine effektive Sanktion gegen abstrakte Diskriminierungen darstellt, da bei einer solchen Diskriminierung regelmäßig kein Vermögensschaden des Verbandes nachgewiesen werden kann. Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass es (flankierender) öffentlich-rechtlicher Maßnahmen bedarf, um eine wirksame und abschreckende Sanktionierung auch in den Fällen zu gewährleisten, in denen es kein identifizierbares Diskriminierungsopfer gibt.80 75

  Zur Auslegung dieser Vorschrift infra, § 9 C.III.1.   EuGH, Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 23 ff. (zur Antirassismus-RL 2000/43). 77   EuGH, Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 60 ff. (zur RL 2000/78). 78   EuGH, Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 39. 79   EuGH, Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 69. 80   Bayreuther, NZA 2008, 986, 989, hält auch die Einführung überindividueller Verbandsklagerechte für möglich. Verbandsklagerechte wären jedoch nur dann wirksam und abschreckend, wenn sie einen überkompensatorischen Schadensersatz und/oder Gewinnabschöpfungsansprüche vorsehen. 76

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

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3. Ergebnis Soweit die Antidiskriminierungs-Richtlinien keine konkreten Rechtsfolgen anordnen, haben die Mitgliedstaaten grundsätzlich ein weites Rechtsformenermessen. Sie können entscheiden, ob ein Verstoß gegen Diskriminierungsverbote durch strafrechtliche, verwaltungsrechtliche und/oder zivilrechtliche Sanktionen geahndet werden soll. Voraussetzung ist jedoch stets, dass die von den Mitgliedstaaten angeordneten Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. Der in Marshall‑II81 aufgestellte Grundsatz, dass bei einer diskriminierenden Entlassung „die Gleichheit ohne Wiedereinstellung der diskriminierten Person oder aber finanzielle Wiedergutmachung des ihr entstandenen Schadens nicht wiederhergestellt werden“ kann, könnte allerdings darauf hindeuten, dass bei einer konkreten Diskriminierung dem Betroffenen stets zivilrechtliche Rechtsbehelfe einzuräumen sind. Für abstrakte Diskriminierungen kann die Rechtsprechung demgegenüber dahingehend interpretiert werden, dass rein zivilrechtliche (kollektive) Rechtsbehelfe gerade nicht ausreichen, sondern durch öffentlich-rechtliche Sanktionen ergänzt oder ersetzt werden müssen.

III. Schadensersatz bei Verstoß gegen Diskriminierungsverbote 1. Sekundärrechtliche Vorgaben Neuere Richtlinien auf dem Gebiet des Antidiskriminierungsrechts enthalten nicht nur einen allgemeinen, an die Mitgliedstaaten gerichteten Sanktionsauftrag, sondern schreiben teils konkretere Rechtsfolgen fest. Dies gilt vor allem für Schadensersatzansprüche. a) Art. 18, 25 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54 Die Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 wurde zunächst durch die RL 2002/73 revidiert und schließlich durch die RL 2006/54 abgelöst. Durch die im Jahre 2002 erfolgte Novellierung wurde die RL 76/207 nicht nur sprachlich modernisiert und strukturell mit den übrigen Rechtsakten abgestimmt, sondern zugleich in ihrem Schutzumfang auf sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz erweitert. Gleichzeitig wurden neue Vorschriften zur Rechtsdurchsetzung eingefügt. – Vorschriften, die sich wortgleich in der RL 2006/54 wiederfinden. In Art. 18 S. 1 RL 2006/54 (zuvor: Art. 6 Abs. 2 RL 76/207 i. d. F. der RL 2002/73) heißt es nunmehr unter der Überschrift „Schadenersatz oder Entschädigung“: „Die Mitgliedstaaten treffen im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnungen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der einer Person durch eine Diskriminierung entstandene Schaden – je nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten – tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, wobei dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise geschehen muss.“ Nach a. A. soll eine abstrakte Diskriminierung dagegen sanktionslos bleiben können; Krause, CMLR 2010, 917, 928; sowie Lobinger, EuZA 2009, 365, 383 f. 81   EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 25. 82   Wie hier (zur RL 2002/73 ohne weitere Begründung) G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1087; Bauer/Evers, NZA 2006, 893; zur RL 2006/54 Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2009, § 8 Rn. 54, S. 186; v. Roetteken, NZA-RR 2013, 337. A. A. Kamanabrou, RdA 2006, 321, 335; ErfK/ Schlachter, 16. Aufl., 2016, § 15 AGG Rn. 1.

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

Angesichts dieser klaren Formulierung ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (auch) durch Schadensersatzansprüche sanktionieren müssen.82 Wie aus ErwGr (33) hervorgeht, hielt der Unionsgesetzgeber einen Anspruch auf Schadensersatz bei der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach der Rechtsprechung des EuGH für unbedingt erforderlich.83 Die Richtlinie generalisiert insoweit die in Marshall II entwickelte Argumentation und verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, dem Diskriminierungsopfer einen Schadensersatz gegen den Diskriminierungstäter zu gewähren,84 ohne dass es darauf ankäme, ob die Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung, während oder erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgte. Für Missverständnisse sorgt der Umstand, dass Schadensersatzleistungen in Art. 25 S. 2 RL 2006/54 (zuvor: Art. 8d S. 2 RL 76/207 i. d. F. der RL 2002/78) nur als eine denkbare Alternative unter den möglichen Sanktionen genannt werden. In der Vorschrift heißt es: „Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“85 Aus dieser Formulierung kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass die Mitgliedstaaten über die Ausgestaltung der Sanktionen frei entscheiden und anstelle zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche auch gänzlich andere (etwa rein ordnungswidrigkeitsrechtliche) Rechtsfolgen vorsehen könnten.86 Art. 18 und Art. 25 RL 2006/54 betreffen systematisch betrachtet zwei unterschiedliche Fragen. Während Art. 18 S. 1 eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung eines spezifischen Rechtsbehelfs (Schadensersatz) begründet, bezieht sich das in Art. 25 S. 2 niedergelegte Gebot einer „effektiven Sanktionierung“ ganz allgemein auf die Ausgestaltung sämtlicher Sanktionen. Dabei ist zu beachten, dass nach Art. 18 S. 1 Schadensersatzansprüche dem Diskriminierungsopfer natürlich nur dann zustehen, wenn und soweit ein Schaden tatsächlich entstanden ist. Deswegen spricht Art. 25 S. 2 davon, dass die Sanktionen auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen „können“. Dass die Mitgliedstaaten zwingendermaßen Schadensersatzansprüche zugunsten der Geschädigten vorsehen müssen, ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der RL 2006/54. Die vom Europäischen Parlament während des Gesetzgebungsverfahrens geforderten Änderungen bzgl. der Schadensersatz- und Sanktionsregelungen87 wurden von der Europäischen Kommission erfolgreich mit der Begründung zurückgewiesen, dass es irreführend wäre, wenn „der Eindruck erweckt würde, dass eine Entschädigung an sich nicht obligatorisch ist und die Mitgliedstaaten entscheiden können, ob sie eine vollständige Entschädigung eines Schadens garantieren 83   ErwGr (33), S. 1 RL 2006/54: „Der Gerichtshof hat eindeutig festgestellt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nur dann als tatsächlich verwirklicht angesehen werden kann, wenn bei allen Verstößen eine dem erlittenen Schaden angemessene Entschädigung zuerkannt wird.“ Herv. hinzugefügt. Vgl. zuvor ErwGr (18), S. 1 RL 2002/73. 84  Kritisch Kamanabrou, RdA 2006, 321, 335 (Regelung beruht auf missverstandener EuGHRechtsprechung). 85   Herv. vom Verf. 86   So jedoch ErfK/Schlachter, 16. Aufl., 2016, § 15 AGG Rn. 1. 87   Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, P6_TA (2005)0283. Vgl. insbesondere die Änderungsvorschläge bzgl. ErwGr (36) und Art. 19.

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

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wollen oder nicht. Nach Artikel 18 haben sie keine entsprechende Wahlmöglichkeit.“88 Den Mitgliedstaaten ist es andererseits nicht verwehrt, durch gesetzliche Maßnahmen dafür zu sorgen, dass der Eintritt eines materiellen Schadens von vornherein verhindert wird, beispielsweise, indem im nationalen Recht angeordnet wird, dass eine gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßende Kündigung keine Rechtswirkungen erzeugt. In diesem Fall sind nur noch etwaige immaterielle Schäden auszugleichen. b) Art. 8 Abs. 2 Gender-RL 2004/113 Die einschlägigen Normen der Gender-RL 2004/113 entsprechen nahezu wörtlich der RL 2006/54. Einerseits weist Art. 14 S. 2 Gender-RL 2004/113 (wie Art. 25 S. 2 RL 2006/54) darauf hin, dass die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen und dabei auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen „können“. Andererseits stellt Art. 8 Abs. 2 S. 1 Gender-RL 2004/113 klar, dass bei einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung der „entstandene Schaden gemäß den von den Mitgliedstaaten festzulegenden Modalitäten tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird“. Die Gender-RL 2004/113 sieht somit wie Art. 18 S. 1 RL 2006/54 Schadensersatzansprüche vor, die in jedem Falle von den Mitgliedstaaten zu gewähren sind. c) Art. 8 Abs. 2 Antirassismus-RL 2000/43 Im Unterschied hierzu sind in der Antirassismus-RL 2000/43 keine Art. 18 S. 1 RL 2006/54, Art. 8 Abs. 2 S. 1 RL 2004/113 vergleichbaren Regelungen zu finden. Vielmehr wird nur allgemein festgelegt, dass die „Sanktionen, die auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen können, (. . .) wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen. Dies legt den Schluss nahe, dass Schadensersatzansprüche nach der RL 2000/43 nicht zwingendermaßen von den Mitgliedstaaten vorzusehen sind.89 Gleiches gilt für die RL 2000/78.90 Ein Grund für eine unterschiedliche Behandlung ist indessen nicht ersichtlich, zumal die Kommission in ihren Vorschlägen zur Antirassismus-RL 2000/43 stets betont hat, dass bei Diskriminierungen aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft ein einheitliches Mindestschutzniveau gewährleistet sein soll, das auch einen Anspruch auf Entschädigung einschließt.91 2. Funktionen des Schadensersatzes Nach ständiger Rechtsprechung muss der Schadensersatzanspruch einen „tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz“ gewährleisten und dabei vor allem zwei Kriterien erfüllen. Erstens muss der Ersatzumfang in einem „angemessenen Verhältnis 88   Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung), KOM 2005 (380), 2.2.2.; siehe darüber hinaus 2.3.7. 89   G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1087. 90   Vgl. Art. 17 S. 2 RL 2000/78. 91   Vgl. den ersten Kommissionsvorschlag, KOM 99 (566), S. 22, sowie den geänderten Kommissionsvorschlag, KOM 2000 (328), S. 15.

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

zum erlittenen Schaden“ stehen.92 Zweitens muss der Schadensersatz „eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben“93 und zur Gewährleistung tatsächlicher Chancengleichheit beitragen. Der Gerichtshof folgt damit der Europäischen Kommission, die bereits in den Rechtssachen von Colson und Kamann und Harz die Auffassung gefordert hatte, dass die im mitgliedstaatlichen Recht vorgesehene Sanktion ein „ernstzunehmendes Druckmittel darstellen müsse, durch das der Arbeitgeber zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes angehalten“ wird.94 Damit sind bereits die beiden wesentlichen Kriterien genannt, die den unionsrechtlich determinierten Schadensersatzanspruch bestimmen. Einerseits soll der eingetretene Schaden kompensiert, andererseits soll weiteren Verstößen präventiv entgegengewirkt werden.95 Die in der Rechtsprechung des EuGH und im Sekundärrecht an vielen Stellen zu findende Formulierung, dass Sanktionen eine „abschreckende“ Wirkung haben müssen, ist demgegenüber nicht als Forderung zur Einführung eines Strafschadensersatzes zu verstehen.96 In der Rechtsprechung des Gerichtshofs lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, dass Schadensersatzansprüche auf eine Bestrafung abzielen müssen.97 Mitgliedstaatlich gewährte Schadensersatzansprüche müssen nicht per se abschreckend wirken, sondern vielmehr, damit „ihre Wirksamkeit und ihre abschreckende Wirkung gewährleistet sind, in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen Schaden stehen“.98 Aus Art. 18 S. 1 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54 folgt daher, wie der Gerichtshof nunmehr im Fall Arjona Chamacho99 klargestellt hat, keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung eines Strafschadensersatzes. Auch die Regierungsbegründung zum AGG stellt zutreffend klar, dass mit „Abschreckung“ gerade nicht die Forderung nach dem „Strafcharakter“ des Schadensersatzes verbunden ist.100 Die deutschen Gerichte folgen diesem Ansatz.101 Etwas ergibt sich nur dann, wenn nach mitgliedstaatlichem Recht ein Strafschadensersatz gewährt werden kann. In diesem Fall folgt aus dem Äquivalenzgrundsatz, dass ein Strafschadensersatz auch bei vergleichbaren, das Unionsrecht betreffenden Klagen gewährt werden muss.102 Die abschreckende Wirkung hinsichtlich zivilrechtlicher Rechtsfolgen ist folglich so zu verstehen, dass der Schaden zu ersetzen ist, der erlitten wurde. Für das Antidiskriminierungsrecht ist dabei zu beachten, dass eine Diskriminierung nicht nur materi 92   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25 und 27.  93   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23; Rs. C‑177/88 (Dekker) Rn. 23; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25, 39, 40; Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 24.  94   Siehe EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 14; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 14.  95   G. Wagner, AcP 106 (2006), 352, 451 ff.; zuvor bereits Annuß, NZA 1999, 738, 743.  96   So jedoch Adomeit, NJW 1997, 2295; Annuß, NZA 1999, 738, 740; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004, S. 353 f.  97  Eingehend supra, § 3 D.I.3.c sowie § 4 C.III.3.b. – c.  98   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 28; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 28.  99   EuGH, Rs. C‑407/14 (Arjona Camacho) Rn. 37. 100   BT‑Drucks. 16/1780, S. 46. 101   Vgl. BAG, NJW 2012, 3805, 3807, Rn. 38 (zu § 15 Abs. 2 AGG); OLG Stuttgart, NJW 2012, 1085 (zu § 21 Abs. 2 S. 3 AGG). 102   EuGH, verb. Rs. C‑295/04 bis 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 93. Diese Forderung hat indessen selbst in England nicht dazu geführt, dass bei einem Verstoß gegen europäisches Antidiskriminierungsrecht exemplary damages gewährt werden müssen; vgl. supra, § 4 D.VI.3.

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

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elle Schäden verursacht, sondern auch immaterielle Schäden, die durch eine Kränkung des Diskriminierungsopfers entstehen. Gerade in diesem Rahmen ist darauf zu achten, dass der Präventivfunktion des Schadensersatzes ausreichend Rechnung getragen wird und Entschädigungsbeträge nicht zu gering bemessen werden. 3. Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung Schadensersatzansprüche dürfen nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH nicht von einem Verschulden des Diskriminierenden abhängig gemacht werden. Der Gerichtshof hat diese Grundsätze in den Rechtssachen Dekker und Draehmpaehl aufgestellt. In beiden Fällen hob er hervor, dass jeder Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot für sich genommen ausreichen muss, um die volle Haftung seines Urhebers auszulösen, ohne dass die im nationalen Recht vorgesehenen Schuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden können.103 Anderenfalls würde dies – so der EuGH – „die praktische Wirksamkeit dieser Grundsätze erheblich beeinträchtigten“.104 Der Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung bezieht sich sowohl auf materielle wie immaterielle Schäden. Denn nach Ansicht des EuGH muss „jeder Verstoß“ gegen das Diskriminierungsverbot genügen, um die „volle Haftung“ seines Urhebers auszulösen.105 Wie der Gerichtshof im Fall Asociaţia Accept106 klargestellt hat, haftet ein Arbeitgeber sogar dann verschuldensunabhängig für eigenes Unterlassen, wenn er sich von diskriminierenden Äußerungen nicht vertretungsbefugter Dritter nicht eindeutig distanziert. Damit wird zugleich klar, dass Bußgelder und Kriminalstrafen im Antidiskriminierungsrecht für sich genommen nicht die Anforderungen an eine effektive Rechtsdurchsetzung erfüllen können.107 Denn derartige Sanktionen sind üblicherweise (im Einklang mit Art. 6 EMRK) von einem Verschulden des Täters abhängig. Der Gerichtshof begreift daher Bußgelder nur als zusätzliche Sanktionsmittel, die den Schutz des Diskriminierungsopfers verstärken, nicht aber ersetzen können.108 4. Umfang des Schadensersatzes a) „Schadenersatz oder Entschädigung“ im Sinne des Art. 18 S. 1 RL 2006/54 Den Antidiskriminierungs-Richtlinien lassen sich keine genauen Anhaltspunkte entnehmen, wie der Schadensersatzanspruch von den Mitgliedstaaten auszugestalten ist. 103

  EuGH, Rs C‑177/88 (Dekker) Rn. 25; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 18.   EuGH, Rs C‑177/88 (Dekker) Rn. 24. Zu den Auswirkungen des Dekker-Urteils in Deutschland vgl. Annuß, NZA 1999, 738, 740 und 742; zum englischen Recht Shaw, ELRev. 1991, 313, 319. Zu den Auswirkungen in anderen Mitgliedstaaten siehe Magnus/Wurmnest, Casebook Europäisches Haftungs- und Schadensrecht, 2002, S. 135 – 144. 105   EuGH, Rs C‑177/88 (Dekker) Rn. 25; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 18. 106   EuGH, Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 47 ff. 107   So auch Tobler, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Antidiskriminierungsrecht der EG, 2005, S. 39. 108   Vgl. EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 18: „Zu solchen Maßnahmen könnten zum Beispiel Vorschriften gehören, die den Arbeitgeber zur Einstellung des diskriminierten Bewerbers verpflichten oder eine angemessene finanzielle Entschädigung gewähren und die gegebenenfalls durch eine Bußgeldregelung verstärkt werden.“ Herv. hinzugefügt. Gleichlautend Rs. 79/83 (Harz) Rn. 18. 104

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

Auch der Wortlaut des Art. 18 S. 1 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54 ist insoweit unklar. Die Überschrift der Vorschrift spricht von „Schadenersatz oder Entschädigung“ (in der englischen Sprachfassung „compensation or reparation“, in der französischen „indemnisation ou réparation“). Aus dieser Differenzierung lassen sich keine weiteren Erkenntnisse gewinnen. Insbesondere wäre es verfehlt, in Anlehnung an die Terminologie des deutschen § 15 AGG unter dem Begriff „Schadenersatz“ allein den materiellen Schaden und unter einer „Entschädigung“ den immateriellen Schaden zu verstehen. Nichts deutet darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber eine derartige Unterscheidung vor Augen hatte, die im Übrigen auch im deutschen Recht vor Inkrafttreten des AGG im Antidiskriminierungsrecht nicht vorgenommen wurde.109 Näher liegt die Vermutung, dass sich der Sprachgebrauch der RL 2006/54 am internationalen Recht orientiert, insbesondere an den „Grundprinzipien und Leitlinien betreffend das Recht der Opfer von groben Verletzungen der internationalen Menschenrechtsnormen und schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht auf Rechtsschutz und Wiedergutmachung“.110 Hiernach umfassen die Begriffe „compensation“ bzw. „indemnisation“ eine Entschädigung für jeden wirtschaftlich messbaren Schaden, der durch eine grobe Verletzung der internationalen Menschenrechtsnormen und schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht entstanden ist, wie beispielsweise physische oder psychische Schäden, entgangene Chancen, einschließlich Erwerbstätigkeit, Bildung und Sozialleistungen, materielle Schäden und Verdienstausfall sowie immaterielle Schäden.111 Die Begriffe „reparation“ bzw. „réparation“ gehen demgegenüber sehr viel weiter. Sie umfassen als Oberbegriff eine Fülle von Rechtsbehelfen, die neben dem Schadensersatz dem Opfer kumulativ zur Verfügung stehen sollen, so insbesondere Restitution, Rehabilitierung, Genugtuung und Garantien zur Nichtwiederholung.112 Der Verweis auf „Schadenersatz oder Entschädigung“ lässt sich insoweit dahingehend verstehen, dass die Mitgliedstaaten neben einer finanziellen Wiedergutmachung des eingetretenen Schadens weitere Formen der Entschädigung vorsehen können. Ein Recht der Mitgliedstaaten, zwischen dem Ersatz materieller und immaterieller Schäden wählen zu können, ist mit dieser Formulierung aber nicht verbunden.113 b) Ersatzfähigkeit materieller und immaterieller Schäden Der Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung vom Prinzip der Totalreparation aus. Der erlittene Schaden muss „in vollem Umfang“ ausgeglichen werden114 bzw. in einem „angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden“ stehen.115 Neuere Richt109

  Zur früheren Rechtslage in Deutschland vgl. G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1093.   UN‑Resolution Nr. 60/147 vom 21. März 2006. Vorentwürfe hierzu wurden bereits Jahre zuvor diskutiert und konnten insoweit auch vom Unionsgesetzgeber berücksichtigt werden. Zur Bedeutung des internationalen Rechts bei der Auslegung des Antidiskriminierungsrechts Tobler, Remedies and Sanctions in EC non-discrimination law, 2005, S. 33. 111   Siehe Nr. 20 der UN‑Resolution Nr. 60/147 (englische und französische Sprachfassung). 112   Siehe Nr. 18 der UN‑Resolution Nr. 60/147 (englische und französische Sprachfassung). Vgl. darüber hinaus die International Law Commissions Draft Articles on International Responsibility of States, Part Two, ILC Yearbook 1980 Vol. II, 30 – 34. 113   Im Ergebnis auch v. Roetteken, NZA-RR 2013, 337, 338 f. 114   EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 26. 115   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25. 110

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

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linien bekräftigen diesen Grundsatz: Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass der durch eine Diskriminierung entstandene Schaden „tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, wobei dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise geschehen muss“.116 GA van Gerven legte in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Marshall II dar, dass die finanzielle Wiedergutmachung so beschaffen sein muss, dass der Schaden unter Berücksichtigung der wichtigsten Schadensbestandteile ausgeglichen werde, die das Haftungsrecht in den Mitgliedstaaten üblicherweise heranziehe. Hierzu gehören der Verlust materieller Vermögensaktiva (damnum emergens), entgangene Einnahmen (lucrum cessans), immaterielle Schäden sowie der durch Zeitablauf entstandene Schaden, beispielsweise Zinsen.117 Der EuGH ist den Ausführungen des Generalanwalts gefolgt. Zwar differenziert der Gerichtshof nicht zwischen einzelnen Schadenskategorien, jedoch hebt er hervor, dass eine Entschädigungsregelung nur dann angemessen ist, wenn sie es erlaubt, den „tatsächlich entstandenen Schäden gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen“.118 Aus dieser Formulierung folgt, dass nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Schäden zu ersetzen sind.119 Im Unterschied zum deutschen Recht120 knüpft das Unionsrecht dabei nicht an eine Persönlichkeitsrechtsverletzung an. Die unionsrechtlichen Vorgaben sehen insbesondere keine Geringfügigkeitsschwelle vor, die überschritten werden muss, damit ein ideeller Schaden ersatzfähig wird.121 Vielmehr löst grundsätzlich jede Missachtung der Diskriminierungsverbote eine Ersatzpflicht aus. Mit Blick auf den Umfang der Entschädigung hat der EuGH klargestellt, dass auch Zinsen auf den Hauptbetrag vom Tag der Diskriminierung bis zum Tag der Zahlung der Entschädigung zu ersetzen sind.122 Eine rein symbolische Entschädigung wird den Erfordernissen des Unionsrechts dagegen nicht gerecht.123 Schadensersatzzahlungen dürfen daher nicht auf das negative Interesse begrenzt werden.124 Der Schadensersatzanspruch muss insbesondere den Ersatz verlorener Chancen umfassen. In der Rechtssache Draehmpaehl125 urteilte der Gerichtshof, dass ein 116

113.

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  Art. 18 S. 1 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54; Art. 8 Abs. 2 S. 1 Gender-RL 2004/

  GA van Gerven, SchlA, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 18.   EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 26. Vgl. ferner Rs. C‑177/88 (Dekker) Rn. 26 („volle Haftung“ des Arbeitgebers). 119   Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, 2015, S. 155 ff. 120   Vgl. die Regierungsbegründung zum AGG, BT‑Drucks. 16/1780, S. 46: „Auch für den spezialgesetzlichen Geldentschädigungsanspruch nach § 21 Abs. 2 Satz 1 und 3 wegen der in der Benachteiligung liegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt hierin der maßgebliche Entschädigungszweck.“ Vertiefend Grünberger, Personale Gleichheit, 2013, S. 731 ff. m. w. N. 121   Grünberger, Personale Gleichheit, 2013, S. 731 ff.; Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, 2015, S. 159 ff. 122   EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 31. Eine Ausnahme gilt für die Zahlung von rückständigen Leistungen der sozialen Sicherheit. Wie der EuGH klargestellt hat, haben Beträge, die als Leistung der sozialen Sicherheit gezahlt werden, keinen Entschädigungscharakter. Deswegen besteht grundsätzlich keine Pflicht zur Zahlung von Zinsen; EuGH, Rs. C‑66/95 (Sutton) Rn. 20 ff. 123   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 23 f.; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 23 f.; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25. 124   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 24; Rs. 79/83 (Harz) Rn. 24; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 25. 125   EuGH, Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 32 ff. 118

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

ersatzfähiger Schaden nicht nur einem Bewerber entsteht, der ohne die Diskriminierung eingestellt worden wäre, sondern auch einem Bewerber, der bei diskriminierungsfreiem Auswahlverfahren wahrscheinlich erfolglos geblieben wäre. Bereits die Diskriminierung innerhalb eines Auswahlverfahrens und die damit einhergehende Beeinträchtigung der Karriereentwicklung begründet mit anderen Worten einen ersatzfähigen Schaden. Ob es ohne Benachteiligung zur Einstellung des Bewerbers gekommen wäre, ist nur entscheidend für die Frage, in welchem Umfang der Schaden zu ersetzen ist. Der Schadensersatz könne, so der EuGH, der Tatsache Rechnung tragen, dass bestimmte Bewerber auch bei diskriminierungsfreier Auswahl die zu besetzende Position wegen der besseren Qualifikation des eingestellten Bewerbers nicht erhalten hätten. Denn es stehe außer Frage, so der Gerichtshof weiter, dass solche Bewerber, da sie nur einen Schaden erlitten haben, der sich aus ihrem Ausschluss von dem Einstellungsverfahren ergebe, nicht geltend machen könnten, ihr Schaden sei ebenso hoch wie der von Bewerbern, die bei diskriminierungsfreier Auswahl die zu besetzende Position erhalten hätten. Dem entspricht, dass das EuG und der EuGH auch bei der Haftung der Europäischen Union als Dienstherr gem. Art. 270 AEUV i. V. m. Art. 91 Statut der Beamten der Union126 den Verlust einer Chance als ersatzfähigen Schaden einstufen.127 Zwar bleibt nach der Rechtsprechung unklar, ob es sich insoweit um einen materiellen oder immateriellen Schaden handelt.128 Vom Grundsatz her steht jedoch außer Zweifel, dass bereits der Verlust einer Einstellungs- oder Beförderungschance als ersatzfähiger Schaden angesehen wird. Die europäischen Gerichte verlangen insoweit nur, dass die Chance eine gewisse Realisierungswahrscheinlichkeit besitzt.129 Eine erfolglos gebliebene Bewerbung für ein europäisches Stipendium, das aufgrund unzutreffender formaler Gründe nicht gewährt wird, begründet daher nur dann einen Schadensersatzanspruch gegen die Europäische Union, wenn der Bewerber die sachlichen Vergabevoraussetzungen erfüllte.130 c) Haftungshöchstgrenzen Die Schadensersatzhaftung darf nach Auffassung des Gerichtshofs grundsätzlich nicht durch mitgliedstaatliche Vorschriften „gedeckelt“ werden.131 Eine Obergrenze darf das nationale Recht bei der Diskriminierung zum Zugang zur Beschäftigung nur für diejenigen abgelehnten Bewerber vorsehen, die auch bei diskriminierungs126   VO 31 (EWG) 11 (EAG) über das Statut der Beamten und über die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. 1962 Nr. 45/1385, zuletzt geändert durch VO 1023/2013, ABl. 2013 L 287/15. 127   EuG, Rs. T‑13/92 (Moat/Kommission) Rn. 44; Rs. T‑45/01 (Sanders u. a./Kommission) Rn. 151 f.; Rs. T‑166/04 (C/Kommission) Rn. 70; EuGH, Rs. C‑348/06 P (Kommission/Girardot) Rn. 54 ff. Vgl. auch Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 213 ff. 128   Zur uneinheitlichen Rechtsprechung GA Mengozzi, SchlA, Rs. C‑348/06 P (Kommission/ Girardot) Rn. 58 m. w. N. in Fn. 40 – 43. 129   Vgl. GA Mengozzi, SchlA, Rs. C‑348/06 P (Kommission/Girardot) Rn. 77, 80 f. 130   EuG, Rs. T‑230/94 (Farrugia/Kommission) Rn. 43. Auch nach deutscher Rechtsprechung kann ein Bewerber Entschädigungsansprüche wegen Diskriminierung nur dann geltend machen, wenn er objektiv für die in Aussicht genommene Stelle in Betracht kam; BAG, Urt. v. 12.11.1998, Az. 8 AZR 365/97, AP Nr. 16 zu § 611a BGB; BAG, Urt. v. 13.10.2011, Az. 8 AZR 608/10, BeckRS 2012, 65090, Rn. 54 ff. 131   EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 30; Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 26 ff.

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

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freiem Auswahlverfahren wahrscheinlich erfolglos geblieben wären.132 Art. 18 S. 2 RL 2006/54 positiviert diese Rechtsprechung,133 indem die Vorschrift klarstellt, dass eine im Voraus festgelegte Höchstgrenze nur in den Fällen zulässig ist, „in denen der Arbeitgeber nachweisen kann, dass der einem Bewerber durch die Diskriminierung im Sinne der Richtlinie entstandene Schaden allein darin besteht, dass die Berücksichtigung seiner Bewerbung verweigert wurde.“ Demgegenüber scheint Art. 8 Abs. 2 S. 2 Gender-RL 2004/113 eine Begrenzung von Schadensersatzansprüchen wegen geschlechtsbezogener Diskriminierung bei Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit ohne Ansehen der Person zur Verfügung stehen, pauschal auszuschließen.134 Teilweise wird eine Obergrenze für erforderlich gehalten, um bei Verstößen gegen Diskriminierungsverbote dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nachzukommen.135 Sowohl der EuGH als auch das geschriebene Sekundärrecht verpflichten die Mitgliedstaaten indessen nicht zur Einführung von Höchstgrenzen. Die Mitgliedstaaten sind lediglich befugt, im Anwendungsbereich der RL 2006/54 zwischen dem ohne Diskriminierung eingestellten Bewerber und allen anderen Bewerbern zu differenzieren. 5. Ausschluss- und Verjährungsfristen Angemessene Ausschluss- und Verjährungsfristen sind mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar, da sie der Rechtssicherheit dienen.136 Speziell für das Antidiskriminierungsrecht entschied der Gerichtshof im Fall Bulicke,137 dass die im deutschen Recht in § 15 Abs. 4 AGG vorgesehene zweimonatige Ausschlussfrist mit dem Effektivitätsgebot in Einklang steht. Derartige Ausschlussfristen dürfen allerdings erst dann beginnen, wenn der Betroffene von der Benachteiligung Kenntnis erlangt hat.138 Einen Verstoß gegen das Äquivalenzgebot hielt der EuGH im Fall Bulicke139 dagegen für möglich. Nach diesem Grundsatz dürfen Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig gestaltet sein als entsprechende Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen. Der Gerichtshof verpflichtete das vorlegende LAG Hamburg daher zu 132

  EuGH, Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 33 ff.   Vgl. ErwGr (33) S. 2 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54. 134  Art. 8 Abs. 2 S. 2 Gender-RL 2004/113: „Die vorherige Festlegung einer Höchstgrenze schränkt diese Ausgleichs- oder Ersatzpflicht nicht ein“. Vgl. auch die englische Fassung: „The fixing of a prior upper limit shall not restrict such compensation or reparation“; Herv. hinzugefügt. 135   Bauer/Evers, NZA 2006, 893, 895 (zu Art. 15 Abs. 1 AGG). Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen bereits supra, § 4 C.III.4. Weitergehend wird vertreten, dass Entschädigungsregelungen ohne Beschränkung ihre abschreckende Wirkung verlieren, da sie nicht kalkulierbar sind; so Thüsing, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, 3, 15; dagegen aber Kamanabrou, RdA 2006, 321, 337, mit dem Argument, dass unkalkulierbare Regelungen auf Arbeitgeber gerade abschreckend wirken. 136  EuGH, Rs. C‑261/95 (Palmisani) Rn. 28; Rs. C‑78/98 (Preston u. a.) Rn. 33; Rs. C‑255/00 (Grundig Italiana) 34; Rs. C‑2/06 (Kempter) Rn. 58. 137   EuGH, Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 39 (zur RL 2000/78). Bestätigt für eine zweimonatige Ausschlussfrist im Anwendungsbereich der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, die im Anhang der Richtlinie 1999/70 enthalten ist, EuGH Rs. C‑272/10 (Berkizi-Nikolakaki) Rn. 58; Rs. C‑177/10 (Rosado Santana) Rn. 95. 138   EuGH, Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 40 f.; Rs. C‑177/10 (Rosado Santana) Rn. 97 ff. 139   EuGH, Rs. C‑246/09 (Bulicke) Rn. 34. 133

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

prüfen, ob im deutschen Recht vergleichbare Klagearten existieren, die eine längere Frist vorsehen.140

IV. Sonstige zivilrechtliche Rechtsfolgen 1. Kein Kontrahierungszwang nach Unionsrecht Der Gerichtshof urteilte bereits im Fall von Colson und Kamann,141 dass die Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 76/207 keinen Kontrahierungszwang verlangt. Die Mitgliedstaaten sind daher nicht verpflichtet, als Sanktion für eine wegen des Geschlechts erfolgte Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung den Arbeitgeber zum Abschluss eines Arbeitsvertrages mit dem diskriminierten Bewerber zu verpflichten. Dies erscheint sachgerecht, ist doch zu bedenken, dass ein Anspruch auf Einstellung bei mehreren diskriminierten Bewerbern kaum durchsetzbar und für ein harmonisches Eingliedern am Arbeitsplatz wenig förderlich wäre.142 Ein Anspruch auf Abschluss eines Vertrages ist daher in kaum einer Rechtsordnung vorgesehen.143 Außerhalb des Arbeitsrechts könnte ein Kontrahierungszwang für den Diskriminierten dagegen vorteilhaft sein, so beispielsweise, wenn einem Mietinteressenten in diskriminierender Weise Wohnraum verweigert wird. Die Antirassismus-RL 2000/43 verpflichtet die Mitgliedstaaten in Art. 15 S. 2 jedoch nur allgemein zu wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen, die auch Schadensersatzleistungen umfassen können. Aus dieser Sanktionstrias kann keine Pflicht zur Einführung eines Anspruchs auf Abschluss eines verweigerten Vertrags hergeleitet werden.144 Die Gender-RL 2004/113 spricht in Art. 8 Abs. 2 S. 1 ausdrücklich davon, dass der entstandene Schaden wirksam „ausgeglichen oder ersetzt“ werden muss. Durch diese Alternativformulierung wird deutlich gemacht, dass der Ausgleich sowohl durch Naturalrestitution als auch durch finanzielle Leistungen erfolgen kann. Ein Kontrahierungszwang trägt im Übrigen dem Gebot wirksamer und abschreckender Sanktionen nicht ausreichend Rechnung. Ein Anspruch auf Vertragsabschluss ist zum einen nicht in der Lage, die mit der Vertragsverweigerung einhergehende Herabwürdigung des Diskriminierungsopfers auszugleichen. Zum anderen ist ein Kontrahierungszwang für den Vertragsgegner wirtschaftlich häufig vorteilhafter als ein Schadensersatzanspruch.145 Bei einem Kontrahierungszwang realisieren sich nämlich die Gewinne, die der Vertragsgegner in sein Angebot einkalkuliert hat. Bei einem Schadensersatz für etwaig getätigte Deckungsgeschäfte kommt der Gewinn dagegen anderen Marktteilnehmern zugute, mit denen der Benachteiligte das Deckungsgeschäft tätigt. 140

  Dazu ausführlich supra, § 4 D.VI.1.   EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann) Rn. 19. 142   Zuleeg, RdA 1984, 325, 329 f. 143   Für das Arbeitsrecht Hoppe, ZEuP 2002, 78, 83 f.; für das allgemeine Zivilrecht Schmidt-Kessel, in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 53, 64 f. 144   Armbrüster, KritV 2005, 41, 43; Busche, in: Leible/Schachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 159, 172; Nickel NJW 2001, 2668, 2671. A. A. Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, 2015, S. 194 ff., der einen Kontrahierungszwang für besondere Situationen aus dem Telos der europäischen Diskriminierungsverbote ableitet. 145   Armbrüster, KritV 2005, 41, 47; Busche in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 159, 175. 141

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

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2. Unwirksamkeit diskriminierender Rechtsgeschäfte und hieran anknüpfende Rechtsfolgen Nahezu sämtliche Antidiskriminierungsrichtlinien sehen vor, dass mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarende Bestimmungen in „Arbeits- und Tarifverträgen, Betriebsordnungen und Statuten der freien Berufe und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen und allen sonstigen Vereinbarungen und Regelungen nichtig sind, für nichtig erklärt werden können oder geändert werden“.146 Die AntirassismusRL 2000/43 und die Gender-RL 2004/113 heben zusätzlich hervor, dass die Nichtigkeitsfolge auch für „Statuten von Vereinigungen mit oder ohne Erwerbszweck“ gilt.147 Eine geltungserhaltende Reduktion diskriminierender Vereinbarungen auf ein „nicht diskriminierendes“ Maß dürfte ausgeschlossen sein.148 Die Nichtigkeit einzelner Vertragsbedingungen führt nicht zur Unwirksamkeit des gesamten Vertrags, sondern grundsätzlich nur dazu, dass der Vertrag trotz des Wegfalls der Klausel Bestand hat und für die Parteien bindend bleibt. Kann der Vertrag ohne die diskriminierende Bedingung nicht aufrechterhalten werden, tritt Gesamtnichtigkeit ein. Liegt die Gesamtnichtigkeit nicht im Interesse des Benachteiligten, so können an die Stelle der unwirksamen Bedingung dispositive gesetzliche Regelungen treten.149 Bei diskriminierenden Vereinbarungen zum Arbeitsentgelt tritt an die Stelle der nichtigen Bestimmung eine Regelung, die eine Lohnangleichung nach oben (levellingup) bewirkt, solange keine unionsrechtskonformen Maßnahmen zur Beseitigung der Ungleichbehandlung getroffen worden sind.150 Werden Güter oder Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, in diskriminierender Weise zu überhöhten Preisen verkauft bzw. erbracht, stellt sich die Frage, ob die Preisvereinbarung ersatzlos wegfällt. Teils wird vertreten, dass der vereinbarte Preis auf das Maß des Üblichen reduziert werden muss.151 Dies könnte jedoch dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion widersprechen. Daher wird letztlich der EuGH entscheiden müssen, wie in einem solchen Fall zu verfahren ist. 3. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche Das geschriebene Sekundärrecht sieht derzeit keine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einführung von Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen vor. Der EuGH hat allerdings hervorgehoben, dass die Antidiskriminierungsrichtlinien eine „tatsächliche Chancengleichheit“ gewährleisten sollen und dieses Ziel nicht erreicht wird, wenn Maßnahmen fehlen, durch die diese Gleichheit wiederhergestellt werden kann, falls sie nicht gewahrt ist.152 Die von einer Diskriminierung Betroffenen müssen daher 146  Art. 23 lit. b Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54. Nahezu identisch: Art. 16 lit. b RL 2000/78; Art. 14 lit. b Antirassismus-RL 2000/43; Art. 13 lit. b Gender-RL 2004/113. 147   Art. 14 lit. b Antirassismus-RL 2000/43; Art. 13 lit. b Gender-RL 2004/113. 148   Bauer/Thüsing/Schunder, NZA 2005, 32, 33; MüKo/Thüsing, BGB, 7. Aufl., 2015, § 21 AGG Rn. 82. Zur Klausel-RL 93/13 vgl. auch EuGH, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 73; Rs. C‑26/13 (Kásle und Káslerné Rábai) Rn. 79. 149   So zur Klausel-RL 93/13 EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 82 ff. 150   EuGH, Rs. C‑187/00 (Kutz-Bauer) Rn. 72 (zur Allgemeinen Gleichbehandlungs-RL 76/207); Rs. C‑442/00 (Caballero) Rn. 42 (zur Insolvenzschutz-RL 80/987). Zu Verstößen gegen Art. 157 AEUV bereits supra, § 9 B.I.4. 151  MüKo/Thüsing, BGB, 7. Aufl., 2015, § 21 AGG Rn. 88. 152   EuGH, Rs. C‑271/91 (Marshall II) Rn. 24; Rs. C‑460/06 (Paquay) Rn. 45.

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

einen Anspruch auf Abstellung des benachteiligenden Zustands haben. Aus der Rechtssache Muñoz153 kann darüber hinaus abgeleitet werden, dass für Betroffene ein (vorbeugender) Unterlassungsanspruch bestehen muss, wenn künftige Benachteiligungen zu besorgen sind. Ein allgemeiner Normenvollzugsanspruch bzw. eine Popularklage zur Durchsetzung der Diskriminierungsverbote muss dagegen nicht im mitgliedstaatlichen Recht vorgesehen werden. Dem Unionsrecht ist ein solcher ungeschriebener Anspruch grundsätzlich fremd.154

V. Beteiligung von Verbänden Die Antidiskriminierungsrichtlinien räumen Verbänden keine Klagebefugnisse, sondern nur Beteiligungsrechte ein. Um einen effektiven Schutz zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass „Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die gemäß den in ihrem nationalen Recht festgelegten Kriterien ein rechtmäßiges Interesse“ daran haben, für die Einhaltung der Richtlinien zu sorgen, sich entweder „im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung und mit deren Einwilligung“ an den zur Durchsetzung der Ansprüche „vorgesehenen Gerichts- und/oder Verwaltungsverfahren beteiligen zu können“.155 Wie der Gerichtshof in den Fällen Feryn156 und Asociaţia Accept157 hervorgehoben hat, verpflichten die Richtlinien die Mitgliedstaaten insoweit nicht zu bestimmten Sanktionen. Im Schrifttum wird daher zu Recht davon ausgegangen, dass keine Pflicht zur Einführung einer Verbandsklage besteht.158 Den Mitgliedstaaten steht mit Blick auf die Ausgestaltung der Verbandsbeteiligungsbefugnisse ein Ermessensspielraum zu. Sie können in den Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes frei entscheiden, welche Organisationen ein „rechtmäßiges Interesse“ an der Einhaltung der Richtlinienbestimmungen haben.159 Auch die Art und Weise der Verbandsbeteiligung kann durch die Mitgliedstaaten näher bestimmt werden. Nach den Richtlinien muss Organisationen das Recht zustehen, sich entweder (i) im Namen der beschwerten Person (Vertretung, Prozessstandschaft) oder (ii)  zu deren Unterstützung an den Verfahren zur Durchsetzung der Rechte beteiligen zu können. In den meisten Mitgliedstaaten wurde Verbänden im Sinne der zweiten Alternative nur die Befugnis zugesprochen, sich an laufenden Verfahren zur Unterstützung der Diskriminierungsopfer zu beteiligen,160 so auch in Deutschland (§ 23 Abs. 2, 153   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 28 – 31 (zur Unterlassungsklage eines Konkurrenten). Dazu supra, § 2 E.II.2. 154  Siehe supra, § 3 E.V.3.d. Im Ergebnis auch BAG, NJW 2014, 1130, 1133 f., Rn. 40, 44 f. 155   Art. 17 Abs. 2 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54; Art. 9 Abs. 2 RL 2000/78; Art. 9 Abs. 2 RL 2010/41; Art. 7 Abs. 2 Antirassismus-RL 2000/43; Art. 8 Abs. 3 Gender-RL 2004/113. 156   EuGH, Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 37 (zur Antirassismus-RL 20007/43). 157   EuGH, Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 61 ff. (zur RL 2000/78). 158   Benecke/Böglmüller, EuZW 2013, 474, 475; Lindner, RdA 2009, 45, 47; Lobinger, EuZA 2009, 365, 371; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2009, § 8 Rn. 67, S. 191; a. A. Nickel, NJW 2001, 2668, 2671. Zu den Verbandsklagebefugnissen im Unionsrecht siehe auch supra, § 3 E.V.3.d.dd. 159   Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2009, § 8 Rn. 68, S. 191; a. A. Kocher, ZEuP 2004, 260, 267 f., die davon ausgeht, dass Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften stets Beteiligungsrechte haben müssen. 160   Benecke, Rechtsvergleich, 2010, S. 55.

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

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3 AGG).161 Eine Ausnahme gilt nur für Behindertenverbände, die nach § 23 Abs. 4 AGG ihre gesonderten Klagerechte außerhalb des AGG gem. § 63 SGB IX und § 13 BGG weiterhin geltend machen können. In einigen Mitgliedstaaten verfügen Verbände über das Recht, im Namen von Diskriminierungsopfern oder im eigenen Namen klagen zu können, so beispielsweise in Belgien, Bulgarien, Frankreich, Lettland, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden und Ungarn.162 Darüber hinaus können in vielen Ländern auch die nationalen Gleichstellungsbehörden ein Gerichtsverfahren initiieren.163

VI. Notwendigkeit flankierender öffentlich-rechtlicher Sanktionen? 1. Rechtslage in den Mitgliedstaaten Angesichts der im Unionsrecht unbestimmt ausgestalteten Rechtsfolgen haben die Mitgliedstaaten die Antidiskriminierungsrichtlinien im Bereich der Beschäftigung und beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ganz unterschiedlich umgesetzt. Während ein Verstoß gegen Diskriminierungsverbote in Deutschland nur durch zivilrechtliche Ansprüche geahndet werden kann,164 kombinieren viele Länder zivilrechtliche Rechtsbehelfe mit straf- oder verwaltungsrechtlichen Sanktionen.165 In Frankreich wird das Antidiskriminierungsrecht sowohl durch privatrechtliche Ersatzansprüche als auch strafrechtliche Sanktionen durchgesetzt.166 Nach Art. 225‑2 Code pénal kann jede unerlaubte Diskriminierung mit einer dreijährigen Freiheitsstrafe sowie mit einer Geldstrafe bis zu 45.000 Euro geahndet werden. Ist die Tat in der Öffentlichkeit begangen worden, können Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren und Geldstrafen bis zu 75.000 Euro verhängt werden. Auch in Belgien kann eine Diskriminierung strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.167 In beiden Ländern kann der Benachteiligte im Strafprozess auftreten und zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geltend machen.168 Die in Frankreich und Belgien eingerichteten Antidiskriminierungsstellen sind darüber hinaus mit weitgehenden Befugnissen ausgestattet worden. In Frankreich kann die HALDE ein Verfahren initiieren, auf Ersuchen des Betroffenen, des Gerichts oder auf eigene Initiative in einem laufenden Verfahren intervenieren oder außergerichtliche Lösungen durch Vergleiche bzw. Mediation 161   Die Einführung einer Verbandsklage wurde des Öfteren diskutiert, so z. B. am 15.10.2008 in der 114. Sitzung des Rechtsausschusses des deutschen Bundestags; vgl. Streibel, Rassendiskriminierung als Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, 2010, S. 278. 162  Vgl. Milieu, Comparative study, 2011, Annex IB, Table IB.1. 163   Hierzu sogleich, infra, § 9 C.VI.1. 164   Der deutsche Gesetzgeber hat bewusst auf öffentlich-rechtliche Elemente, wie z. B. Bußgelder oder eine behördliche Aufsicht, verzichtet; vgl. die Regierungsbegründung zum AGG, BT‑Drucks.  16/1780, S. 25. 165   Für einen rechtsvergleichenden Überblick über die Sanktionen vgl. vor allem Milieu, Comparative study, 2011, Annex IE; Bell/Chopin/Palmer, Entwicklung des Antidiskriminierungsrechts in Europa, 2007; Benecke, Rechtsvergleich, 2010; Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, 2010, S.  12 – 30. 166  Vertiefend Lehmann, in: Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 67, 82; Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, 2010, S. 13 ff. 167  Dazu Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, 2010, S. 19. 168  Vgl. Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, 2010, S. 15, 19 m. w. N.

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

suchen.169 In Belgien sind ebenfalls zentrale Antidiskriminierungsstellen geschaffen worden, die ein Gerichtsverfahren einleiten oder die Betroffenen unterstützen können.170 In Spanien normiert der Código Penal in den Art. 314, 510, 511 und 512 vier verschiedene Diskriminierungstatbestände, die mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder Berufsverbot bewehrt sind. Verweigert ein Unternehmer oder ein sonstiger gewerblicher Anbieter aus Gründen der Weltanschauung, der Religion, der ethnischen oder nationalen Herkunft, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der familiären Situation, wegen Krankheit oder Behinderung, eine öffentliche Leistung, auf die der Vertragsinteressent einen Anspruch hat, so kann der Diskriminierungstäter gem. Art. 511 Código Penal mit einer Freiheitsstrafe (sechs Monate bis zwei Jahre), mit einer Geldstrafe (Tagessätze á 12 bis 24 Monate) und/oder mit einem dreijährigen Berufsverbot bestraft werden.171 Daneben sieht das spanische Recht in Art. 4 Gesetz Nr. 49/2007 Geldbußen zwischen 301 Euro und 1 Mio. Euro vor, wenn gesetzlich vorgeschriebene positive Maßnahmen zur Behindertenförderung nicht eingehalten werden; bei der Bemessung der Geldbuße ist auch der Umsatz des Unternehmens zu berücksichtigen.172 In Dänemark kann ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot beim Zugang zu öffentlichen Plätzen, sowie zu Gütern oder Dienstleistungen mit einer Geldstrafe oder mit einer bis zu sechsmonatigen Freiheitsstrafe geahndet werden.173 Auch in Finnland können strafrechtliche Sanktionen ergriffen werden; Geldstrafen werden in Abhängigkeit zum Einkommen des Diskriminierungstäters berechnet, zudem kann eine bis zu sechsmonatige Freiheitsstrafe verhängt werden.174 In Schweden kann eine Diskriminierung aus Gründen der ethnischen Herkunft, der Weltanschauung oder sexuellen Orientierung ebenfalls mit einer Geldstrafe oder mit einer bis zu einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert werden.175 Strafrechtliche Sanktionen bestehen ferner in Malta sowie in Zypern.176 In Griechenland kann eine Diskriminierung beim Zugang zu öffentlich angebotenen Gütern und Dienstleistungen mit einer Freiheitsstrafe (sechs Monate bis drei Jahre) und einer Geldstrafe (1.000 Euro bis 5.000 Euro) sanktioniert werden.177 Daneben sehen viele Mitgliedstaaten Verwaltungssanktionen vor. In Portugal können Diskriminierungstäter mit einem Bußgeld belegt werden, denkbar sind aber auch Nebenstrafen, wie z. B. ein zeitweiliges Berufsverbot, der Entzug von Genehmigungen, der Entzug des Rechts auf Teilnahme an Messen oder öffentlichen Märkten oder der Entzug des Rechts auf Leistungen von öffentlichen Einrichtungen oder Diensten.178 169

  Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, 2010, S. 16 f.   Vgl. EuGH, Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn.  11 – 14; Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, 2010, S. 19 f. 171   Vgl. auch Lehmann, in: Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 67, 82. 172   Benecke, Rechtsvergleich, 2010, S. 50. 173   Milieu, Comparative study, 2011, Annex IE.1. 174   Milieu, Comparative study, 2011, Annex IE.1. 175   Milieu, Comparative study, 2011, Annex IE.1. 176   Milieu, Comparative study, 2011, Annex IE.1. 177   Milieu, Comparative study, 2011, Annex IE.1. 178   Vgl. vor allem Art. 11, 13 Lei 18/2004; Art. 7 Abs. 2 Lei 134/99; Art. 4 und Art. 7 Abs. 2 Decreto-Lei 111/2000. Aus dem Schrifttum Bell/Chopin/Palmer, Entwicklung des Antidiskriminierungsrechts in Europa, 2007, S. 67. Allgemein zur Umsetzung der RL 2000/43 und 2000/78 Sinde Moteiro/Mota Pinto/Kern, VersR 2005, 189 ff. 170

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

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In Tschechien sind Bußgelder bis ca. 30.000 Euro möglich, in Ungarn kann die Gleichstellungsbehörde Bußgelder zwischen 200 und 24.000 Euro verhängen.179 Auch in Rumänien können Bußgelder von einer spezialisierten Stelle verhängt werden.180 In Bulgarien kann die Gleichstellungsbehörde Sanktionen von ca. 125 Euro bis 12.500 Euro verhängen.181 In Italien bestehen zwar keine vergleichbaren Sanktionsinstrumente, die Rechtsdurchsetzung basiert vielmehr auf einem vornehmlich zivilrechtlichen Ansatz. Gleichwohl besteht die Möglichkeit, Unternehmen, die Arbeitnehmer wegen der Rasse bzw. ethnischen Herkunft sowie des Geschlechts diskriminieren, öffentliche Leistungen zu entziehen und sie für einen Zeitraum von zwei Jahren von der Vergabe öffentlicher Aufträge auszuschließen.182 Ähnlich sieht das österreichische Recht für Gesellschaften, die ein Diskriminierungsverbot nicht beachten, einen Ausschluss von öffentlicher Förderung durch den Bund vor (§ 14 GlGB). Wer als Arbeitsvermittler einen Arbeitsplatz in diskriminierender Weise ausschreibt, ist darüber hinaus mit einer Geldstrafe bis 360 Euro zu bestrafen (§ 10 GlBG; § 24 i. V. m. § 23 GlBG).183 Im Vereinigten Königreich fußt die Rechtsdurchsetzung ebenfalls auf einem privatrechtlichen Modell. Allerdings verfügt die für England, Wales und Schottland zuständige zentrale Antidiskriminierungsstelle, die Equality and Human Rights Commission, über weitreichende Befugnisse.184 Nach sec. 16 Equality Act 2006 kann die Antidiskriminierungsstelle selbständig ohne Anfangsverdacht ermitteln. Ist die Kommission der Auffassung, dass gegen Diskriminierungsverbote verstoßen wurde, kann nach sec. 20 Equality Act 2006 eine förmliche Untersuchung eingeleitet werden. Die Kommission kann nähere Informationen von derjenigen Person verlangen, gegen die ermittelt wird. Kommt die betreffende Person dieser Aufforderung nicht nach oder werden unrichtige Aussagen gemacht, macht sie sich strafbar.185 Die Kommission kann den Betreffenden auffordern, Diskriminierungen zu unterlassen. Sie ist ferner befugt, im eigenen Namen eine Unterlassungsklage anzustrengen (sec. 24 (1) Equality Act 2006), oder sich an laufenden Verfahren zu beteiligen (sec. 30 Equality Act 2006). Alternativ kann die Kommission durch Vergleiche (agreements) und andere Formen der Streitbeilegung auf eine außergerichtliche Lösung hinwirken (sec. 23 Equality Act 2006). Hält sich der Betreffende nicht an die vergleichsweise getroffene Vereinbarung, kann die Kommission die zuständigen Gerichte anrufen (sec.  24 (2) – (3) Equality Act 2006). Der kursorische Überblick verdeutlicht, dass viele Mitgliedstaaten nicht auf ein rein privatrechtliches Diskriminierungsschutzkonzept setzen, sondern auf eine Kombination unterschiedlicher Durchsetzungsinstrumente. Zwar löst eine Diskriminie179

  Benecke, Rechtsvergleich, 2010, S. 48.   Benecke, Rechtsvergleich, 2010, S. 48. 181   Benecke, Rechtsvergleich, 2010, S. 51. 182   Art. 4 Abs. 1 decreto legislativo Nr. 215/2003 i. V. m. Art. 44 Abs. 11 Testo Unico Immigrazione (TUI) bzw. Art. 55-quinquies Abs. 8 Codice delle pari opportunità (Cpo); vgl. Haberl, GPR 2009, 202, 205. 183  Hierzu Rebhahn, ZfA 2006, 347, 354; Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, 2010, S. 26 f. 184   Zum Folgenden O’Cinneide, Industrial Law Journal 2007, 141 ff. Zur früheren Rechtslage und den Befugnissen der Commission for Racial Equality vgl. Bell/Chopin/Palmer, Entwicklung des Antidiskriminierungsrechts in Europa, 2007, S. 61. 185   Equality Act 2006, Schedule 2, para. 13. 180

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

rung in allen erwähnten Mitgliedstaaten auch privatrechtliche Ansprüche aus. Darüber hinaus kann ein Verstoß aber auch strafrechtliche und/oder verwaltungsrechtliche Folgen haben. 2. Vorgaben des Unionsrechts Die Antidiskriminierungsrichtlinien sehen keine strafrechtlichen Sanktionen vor. Sie stellen insoweit nur klar, dass die in den Richtlinien zugunsten der Diskriminierungsopfer vorgesehenen Beweiserleichterungen nicht für Strafverfahren gelten.186 Auch Verwaltungssanktionen sind nicht zwingend vorgeschrieben. Nach den Richtlinien sind die Mitgliedstaaten lediglich verpflichtet, eine oder mehrere Stellen einzurichten, deren Aufgabe darin besteht, die Opfer von Diskriminierungen auf unabhängige Weise zu unterstützen, unabhängige Untersuchungen durchzuführen und unabhängige Berichte zu erarbeiten.187 Dementsprechend bestehen zwischen Mitgliedstaaten deutliche Unterschiede mit Blick auf die Kompetenzen der Gleichstellungsbehörden. Einige Länder haben sich mit einer Minimallösung begnügt. So wurde beispielsweise in Deutschland eine Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingerichtet, die die Betroffenen lediglich über die Möglichkeiten des rechtlichen Vorgehens informieren und eine „gütliche Beilegung“ vermitteln kann (§ 27 Abs. 2 AGG), aber zur gerichtlichen Durchsetzung von Rechten kein Mandat hat. In anderen Ländern sind die Gleichstellungsbehörden dagegen mit weitgehenden Eingriffsund teils auch Klagemöglichkeiten ausgestattet worden.188 Zwar verbleibt den Mitgliedstaaten grundsätzlich ein Rechtsformenermessen, ob sie neben den zwingend vorgesehenen zivilrechtlichen Rechtsbehelfen auch noch straf- oder verwaltungsrechtliche Sanktionen einführen. Diese Wahlfreiheit wird allerdings eingeschränkt, wenn zivilrechtliche Ausgleichsmöglichkeiten nicht ausreichen, um Verstöße wirksam und abschreckend zu sanktionieren. Ein grundsätzliches Problem der privaten Rechtsdurchsetzung besteht darin, dass Normadressaten durch drohende Schadensersatzansprüche häufig nicht von einem Fehlverhalten abgehalten werden.189 Da in der Praxis nicht sämtliche Schadensersatzansprüche durchgesetzt werden und unrechtmäßig erwirtschaftete Gewinne zudem nicht abgeschöpft werden können, geht von einem rein kompensatorisch berechneten Schadensersatzanspruch keine hinreichend effektive Abschreckungswirkung aus. Gänzlich ungeeignet sind Schadensersatzansprüche bei abstrakten Diskriminierungen. Richtet sich eine diskriminierende Äußerung an die Allgemeinheit, ohne dass 186   Art. 19 Abs. 5 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54; Art. 10 Abs. 3 RL 2000/78; Art. 8 Abs. 3 Antirassismus-RL 2000/43; Art. 9 Abs. 3 Gender-RL 2004/113. 187   Art. 20 Allgemeine Gleichbehandlungs-RL 2006/54; Art. 13 Antirassismus-RL 2000/43; Art. 12 Gender-RL 2004/113. Demgegenüber enthält die RL 2000/78 keine entsprechende Verpflichtung. In den meisten Mitgliedstaaten erstreckt sich das Mandat der nationalen Gleichstellungsstelle jedoch auch auf die in jener Richtlinie genannten Diskriminierungsgründe; vgl. den Gemeinsamen Bericht der Kommission über die Anwendung der RL 2000/43 und RL 2000/78, KOM (2014) 2 final, S. 14. 188   Vgl. den vorangegangenen Abschnitt sowie den Bericht der FRA „Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen in der EU, abrufbar unter http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-2012-accessto-justice-social_de.pdf; European Commission, Catalysts for Change? Equality bodies according to Directive 2000/43/EC – existence, independence and effectiveness, March 2006, abrufbar unter http:// ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId= 2015& langId=en; sowie Milieu, Comparative study, 2011, Annex IB. 189  Hierzu supra, § 4 C.III.3.b. sowie § 4 C.V.2.b.

C. Diskriminierungsverbote im Sekundärrecht und ihre Sanktionierung

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ein konkretes Opfer identifiziert werden kann, kommen Schadensersatzansprüche Einzelner von vornherein nicht in Betracht. Im Schrifttum werden Geldbußen und Kriminalstrafen als Ergänzung zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen aus unterschiedlichen Gründen für erforderlich gehalten.190 Dies entspricht dem bereits entwickelten Modell der wechselseitigen Auffangordnungen.191 Für eine wirksame und abschreckende Durchsetzung des Antidiskriminierungsrechts kann nur gesorgt werden, wenn die Vorteile der privaten Rechtsdurchsetzung mit denen der öffentlich-rechtlichen Rechtsdurchsetzung kombiniert werden. Dabei sind Bußgelder gegenüber strafrechtlichen Sanktionen vorzugswürdig. Strafrechtliche Sanktionen unterliegen aufgrund des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips engen Grenzen; sie können auch aus unionsrechtlicher Perspektive nur angeordnet werden, wenn das EU‑Recht durch zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche Sanktionen nicht wirksam durchsetzt werden kann.192 Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts die Vorgaben der GRC zu beachten,193 die bei strafrechtlichen Sanktionen besonders streng sind.194 Wegen des Prinzips nulla poena sine lege (Art. 49 Abs. 1 S. 1 GRC) müssen strafrechtliche Sanktionen hinreichend bestimmt sein; zu unbestimmt formulierte Diskriminierungsverbote können dem Bestimmtheitsgebot nicht genügen. Auch eine Beweislastmodifikation zulasten des Diskriminierungstäters ist aufgrund der Unschuldsvermutung (Art. 48 Abs. 1 GRC) nur eingeschränkt möglich. Schließlich stößt eine verschuldens­ unabhängige Bestrafung des Täters wegen des Prinzips nulla poena sine culpa auf enge Grenzen. Zwar wird dieses Prinzip in der Charta nicht ausdrücklich erwähnt; es ist jedoch als notwendige Voraussetzung der Unschuldsvermutung implizit in Art. 48 Abs. 1 GRC enthalten.195 Vorzugswürdig ist daher eine Lösung, die zivilrechtliche Rechtsbehelfe und Geldbußen sowie sonstige verwaltungsrechtliche Sanktionen miteinander kombiniert.

190  Bauer/Thüsing/Schunder/Bauer, NZA 2006, 774, 775; Kamanabrou, ZfA 2006, 327, 337; Moon, ERA seminar paper 2004, S. 3; Waaldijk, in: Waaldijk/Bonini-Baraldi/Littler (Hrsg.), Combating sexual orientation discrimination in employment, 2004, 19.5.4; Wank, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, 16, 19; Zoll, in: Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 85, 101 ff., 105. Im Ergebnis auch Annuß, NZA 1999, 738, 744 (zu § 611a Abs. 1 BGB a. F.). Benecke/Kern, EuZW 2005, 360, 363 f., wollen auf Schadensersatzansprüche sogar komplett verzichten und plädieren stattdessen für rein öffentlich-rechtliche Sanktionen. Nach Armbrüster, KritV 2005, 41, 44, sollen zivilrechtliche Ansprüche der Betroffenen dagegen im Vergleich zu Ordnungswidrigkeitstatbeständen „das modernere und effizientere Mittel“ sein. 191  Hierzu supra, § 4 C.V. 192   Vgl. EuGH, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 48 (strafrechtliche Sanktionen als „unerlässliche Maßnahme“); seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags Art. 83 Abs. 2 S. 1 AEUV. Vgl. ferner die Mitteilung der Kommission „Auf dem Weg zu einer europäischen Strafrechtspolitik: Gewährleistung der wirksamen Durchführung der EU‑Politik durch das Strafrecht“, KOM (2011) 573 endg., S. 8. 193  Dazu supra, § 4 A.I.2. 194   Die Anforderungen an verwaltungsrechtliche Sanktionen sind dagegen geringer; vgl. nur EuG, Rs. T‑99/04 (AC‑Treuhand/Kommission) Rn. 113. Zur Abgrenzung zwischen strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Sanktionen supra, § 4 C.IV.1.b. Geldbußen sind nur dann als „Strafe“ i. S. d. GRC und EMRK zu betrachten, wenn sie so gewichtig sind, dass sie für den Betroffenen eine schwerwiegende Konsequenz darstellen; EGMR, 24.9.1997, Nr. 18996/91 (Garyfallou/Greece) Rn. 34. 195   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑681/11 (Schenker & Co. u. a.) Rn. 41.

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

D. Folgerungen für das deutsche Recht I. Regelungsstruktur des AGG Der deutsche Gesetzgeber hat die Antidiskriminierungs-RL 2000/43, 2002/73, 2000/78 und 2004/113 im AGG umgesetzt. Das AGG ist nach heftigen politischen Kontroversen und stark verspätet am 18. August 2006 in Kraft getreten. Obwohl die erwähnten Richtlinien hinsichtlich der erfassten Differenzierungsgründe und ihres sachlichen Anwendungsbereichs sehr verschieden sind, hat es der deutsche Gesetzgeber gleichwohl unternommen, die vier Richtlinien in einem einheitlichen Gesetz umzusetzen. Die Umsetzung geht dabei für den allgemeinen Zivilrechtsverkehr weit über die europäischen Vorgaben hinaus. Das Gesetz kombiniert nämlich den weiten sachlichen Anwendungsbereich der RL 2000/43 und RL 2004/113 mit dem weiteren Katalog unzulässiger Differenzierungsgründe der anderen Richtlinien und verbietet eine Benachteiligung bei Massengeschäften und Privatversicherungen nicht nur aus Gründen der Rasse oder ethnischen Herkunft (RL 2000/43) und des Geschlechts (RL 2004/113), sondern erstreckt den Diskriminierungsschutz auch auf die Merkmale Behinderung, Alter, sexuelle Identität und Religion. In einem allgemeinen Teil bestimmt das AGG Ziel und Anwendungsbereich und enthält die zentrale Definition der Benachteiligung. Abschnitt 2 regelt das Benachteiligungsverbot im Arbeitsrecht, Abschnitt 3 regelt den Schutz vor Benachteiligung im allgemeinen Zivilrechtsverkehr, Abschnitt 4 enthält allgemeine Bestimmungen über den Rechtsschutz. Diese Regelungen werden durch weitere Abschnitte ergänzt, die im Folgenden nicht weiter interessieren sollen.

II. Ausgestaltung der Rechtsfolgen im Arbeitsrecht Die für das Arbeitsrecht maßgeblichen Bestimmungen finden sich in den §§ 6 – 18 AGG. Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot führen gem. § 15 Abs. 6 AGG nicht zu einem Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungs- oder Berufsausbildungsverhältnisses und begründen keinen Anspruch auf beruflichen Aufstieg. Vielmehr sieht das AGG allein Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche zugunsten der betroffenen Bewerber und Beschäftigten vor (§ 15 AGG). Für Kündigungen findet das AGG überhaupt keine Anwendung, vielmehr gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz (§ 2 Abs. 4 AGG). Die Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit dem Unionsrecht ist zweifelhaft. 1. Verschuldensabhängiger Schadensersatzanspruch Das AGG differenziert bei den Sekundäransprüchen zwischen Schadensersatzansprüchen (§ 15 Abs. 1 AGG), die auf den Ersatz des materiellen Schadens gerichtet sind, und Ersatzansprüchen (§ 15 Abs. 2 AGG), die sich auf den immateriellen Schaden beziehen. Während der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens verschul­ dens­unabhängig ausgestaltet ist (§ 15 Abs. 2 AGG), kann sich der Arbeitgeber, der gegen ein Diskriminierungsverbot verstoßen hat, von seiner Haftung für materielle Schäden durch den Nachweis entlasten, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (§ 15 Abs. 1 S. 2 AGG). Dies ist mit dem Unionsrecht nicht zu vereinbaren, denn der EuGH hat in den Rechtssachen Dekker und Draehmpaehl eine vom Ver-

D. Folgerungen für das deutsche Recht

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schulden unabhängige volle Haftung gefordert.196 Da sich diese Forderung sowohl auf Nichtvermögensschäden wie auch Vermögensschäden bezieht, liegt die Unionsrechtswidrigkeit des § 15 Abs. 1 S. 2 AGG auf der Hand.197 Die Zulässigkeit der Regelung lässt sich nicht mit dem Argument rechtfertigen, für die Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben genüge der verschuldensunabhängige Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG.198 Dieser Anspruch erfasst nämlich allein immaterielle Schäden und kann deshalb nicht ausreichen, um das unionsrechtliche Gebot eines vollständigen Ausgleichs der entstandenen materiellen und immateriellen Schäden umzusetzen. Problematisch ist auch die in § 15 Abs. 3 AGG vorgesehene Haftungsbeschränkung. Nach dieser Norm haftet der Arbeitgeber selbst für immaterielle Schäden nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit, wenn die Benachteiligung auf der Anwendung einer kollektivrechtlichen Vereinbarung (z. B. auf einem Tarifvertrag) beruht. Der Gesetzgeber rechtfertigt die Haftungsbeschränkung mit Blick auf die „vermutete höhere Richtigkeitsgewähr“ tarifvertraglicher Regelungen.199 Nach der Rechtsprechung des EuGH muss jedoch jeder Schaden auf Grund einer Benachteiligung auch bei fehlendem Verschulden ersetzt werden, wenn sich der Gesetzgeber für eine Schadensersatzlösung entschieden hat.200 § 15 Abs. 3 AGG ist daher ebenfalls unionsrechtswidrig.201 2. Haftungsobergrenze für immaterielle Schadensersatzansprüche § 15 Abs. 2 S. 2 AGG setzt für den Fall der Einstellungsdiskriminierung eine Obergrenze von 3 Monatsgehältern fest für diejenigen, die auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wären. Die Vorschrift ist zwar rechtspolitisch verfehlt,202 denn warum sollte ein Bewerber, der sich um eine lukrative Stelle bewirbt, einen höheren immateriellen Schaden erleiden als ein einfacher Arbeiter? Unionsrechtlich ist die Vorschrift indessen nicht zu beanstanden.203 Denn der EuGH hat im Fall Draehmpaehl204 die Einführung einer finanziellen Obergrenze im Umfang von § 15 Abs. 2 S. 2 AGG für Bewerber, die auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wären, ausdrücklich gebilligt. 3. Ausnahme diskriminierender Kündigungen vom Anwendungsbereich des AGG Problematisch ist, dass diskriminierende Kündigungen gem. § 2 Abs. 4 AGG nicht unter das AGG fallen, sondern allein unter die Bestimmungen zum Kündigungs196

 Siehe supra, § 9 C.III.3.   Wie hier Kamanabrou, RdA 2006, 321, 335 f.; ErfK/Schlachter, 16. Aufl., 2016, § 15 AGG Rn. 5; Stoffels, RdA 2009, 204, 210; MüKo/Thüsing, BGB, 7. Aufl., 2015, § 15 AGG Rn. 24; G. Wagner/ Potsch, JZ 2006, 1085, 1091. A. A. OVG Lüneburg, 25.1.2011, Az. 5 LC 190/09, BeckRS 2011, 46692, unter 2.; Bauer/Evers, NZA 2006, 893; zu § 21 Abs. 2 S. 1 AGG Maier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2581 f. 198   So jedoch Bauer/Evers, NZA 2006, 893. 199   BT‑Drucks. 16/1780, S. 38. 200   Siehe wiederum supra, § 9 C.III.3. 201  Ebenso Jacobs, RdA 2009, 193, 198; Kamanabrou, RdA 2006, 321, 337 f.; MüKo/Thüsing, BGB, 7. Aufl., 2015, § 15 AGG Rn. 40; G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1091. 202   Jacobs, RdA 2009, 193, 203; Kamanabrou, RdA 2006, 321, 337; G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1094; Walker, NZA 2009, 5, 7. 203   Wie hier Jacobs, RdA 2009, 193, 203; Kamanabrou, RdA 2006, 321, 337; ErfK/Schlachter, 16. Aufl., 2016, § 15 AGG Rn. 11; a. A. v. Roetteken, NZA-RR 2013, 337, 339. 204   EuGH, Rs. C‑180/95 (Draehmpaehl) Rn. 32 ff. Hierzu supra, § 9 C.III.4.c. 197

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

schutz. Dies führt nicht nur zu schwierigen Abgrenzungsfragen zwischen dem AGG und dem KSchG, wenn eine diskriminierende Kündigung nach dem KSchG objektiv gerechtfertigt ist,205 sondern bei weiter Interpretation vor allem zu einem Ausschluss von Sekundäransprüchen nach dem AGG. Beschäftigte, denen aus einem diskriminierenden Grund gekündigt wird, könnten nach diesem Verständnis nicht die in § 15 AGG vorgesehenen Sekundäransprüche geltend machen.206 Geht man indessen davon aus, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 18 S. 1 RL 2006/54 den Opfern einer Diskriminierung zwingender Maßen Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz einräumen müssen,207 lässt sich ein solcher Ausschluss mit dem Unions­recht nicht vereinbaren.208 Soweit eine Kündigung nach dem KSchG für unwirksam erachtet wird, entsteht zwar regelmäßig (mit Ausnahme etwaiger Rechtsverfolgungskosten) kein materieller Schaden für das Diskriminierungsopfer; bei dem Benachteiligten verbleibt jedoch gerade in den Fällen einer direkten Diskriminierung ein immaterieller Schaden, der aufgrund der Sperrwirkung des § 2 Abs. 4 AGG nicht gem. § 15 Abs. 2 AGG ersatzfähig wäre.

III. Ausgestaltung der Rechtsfolgen im allgemeinen Zivilrecht 1. Verschuldensabhängiger Anspruch auf Ersatz materieller Schäden Für Diskriminierungen im allgemeinen Zivilrechtsverkehr sieht das AGG nicht nur verschuldensunabhängige Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche (§ 21 Abs. 1 AGG) vor, sondern auch Ansprüche wegen entstandener materieller und immaterieller Schäden (§ 21 Abs. 2 AGG). Der Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens ist dabei wie im Arbeitsrecht (§ 15 Abs. 1 S. 2 AGG) als Haftung für vermutetes Verschulden ausgestaltet (§ 21 Abs. 2 S. 2 AGG). Insoweit stellt sich auch hier die Frage, ob eine solche Regelung mit Dekker und Draehmpaehl vereinbar ist. Teilweise wird davon ausgegangen, dass § 21 Abs. 2 S. 2 AGG unionsrechtskonform ist.209 Da dem Benachteiligten im allgemeinen Zivilrecht anders als im Arbeitsrecht ein verschuldensunabhängiger Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 21 Abs. 1 AGG zustehe und ein solcher Anspruch zu einem Kontrahierungszwang führe, habe der Gesetzgeber – so wird argumentiert – ausreichende Sanktionen vorgesehen.210 Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die europäischen Richtlinien nicht zwingend verlangen, dass Schadensersatzansprüche gewährt werden.211 Im 205  Hierzu Diller/Krieger/Arnold, NZA 2006, 887 ff. Nach BAGE 128, 238 = NZA 2009, 361, Rn. 40, und BAG, NZA 2012, 1044, Rn. 47, sind die materiellen Diskriminierungsverbote einschließlich der Rechtfertigungsgründe der §§ 1 – 10 AGG zur Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des KSchG heranzuziehen. 206   Im Einzelnen ist noch nicht geklärt, ob § 2 Abs. 4 AGG tatsächlich auch Sekundärrechtsansprüche nach dem AGG ausschließt. LAG Hamburg, NZA-RR 2010, 510, verneint dies. Offen gelassen dagegen von BAG, NZA 2010, 280; NJW 2011, 2458. Vgl. auch BAG, NZA 2014, 372. 207  Siehe supra, § 9 C.III.1.a. 208   Hamacher/Ulrich, NZA 2007, 657, 659; Kamanabrou, RdA 2007, 199, 204; Preis/Temming, NZA 2010, 185, 192; ErfK/Schlachter, 16. Aufl., 2016, § 2 Rn. 17. 209  Erman/Armbrüster, BGB, 14. Aufl., 2014, § 21 AGG Rn. 1; Busche, in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 159, 176; Hey/Kremer, AGG, 2009, § 21 Rn. 61; Maier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2581 f.; G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1099. 210   G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1099. 211   G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1099.

D. Folgerungen für das deutsche Recht

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Übrigen gelte die Rechtsprechung des EuGH zum verschuldensunabhängigen Ersatz von Nichtvermögensschäden nur für das Arbeitsrecht.212 Eine solche Argumentation übersieht, dass ein Kontrahierungszwang als Rechtsfolge eines Beseitigungsanspruchs nach § 21 Abs. 1 AGG213 unter der Voraussetzung steht, dass die Erfüllung des angestrebten Vertrags für den Anspruchsgegner noch möglich ist. Hat der Anbieter den vom Benachteiligten angestrebten Vertrag in der Zwischenzeit mit einem Dritten geschlossen, so dürfte jedoch in vielen Fällen Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB vorliegen, beispielsweise, wenn der Anbieter ein Einzelstück bereits übereignet oder eine Wohnung bereits anderweitig vermietet hat.214 Materielle Schäden wären dann nur noch gem. § 21 Abs. 2 AGG ersatzfähig, so dass sich der Anbieter exkulpieren könnte.215 Dass die RL 2000/43 im Unterschied zur Gender-RL 2004/113 Schadensersatzansprüche nicht ausdrücklich verlangt, dürfte dabei wohl kaum ins Gewicht fallen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung der RL 2000/43 und 2004/113 für eine zivilrechtliche Lösung entschieden und muss sich insoweit an den Vorgaben des EuGH messen lassen. Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtsprechung des EuGH nur für das Arbeitsrecht gilt, sind ebenso wenig ersichtlich. Sowohl die RL 2000/43 als auch die RL 2004/113 unterscheiden nicht zwischen Arbeits- und Zivilrecht; sie ordnen für beide Teilrechtsgebiete wirksame und abschreckende Sanktionen an. Angesichts der großen Bedeutung, die der Gerichtshof den Diskriminierungsverboten zumisst, ist auch nicht zu erwarten, dass der EuGH zwischen Arbeits- und Zivilrecht differenzieren wird. Somit sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass § 21 Abs. 2 S. 2 AGG richtlinienwidrig ist.216 2. Kein Schutz vor Viktimisierung Art. 9 Antirassismus-RL 2000/43 und Art. 10 Gender-RL 2004/113 fordern, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um den Einzelnen vor Benachteiligungen zu schützen, die als Reaktion auf eine Beschwerde oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung erfolgen (sog. Viktimisierung). Der deutsche Gesetzgeber ist diesem Umsetzungsauftrag nur für das Arbeitsrecht nachgekommen (§ 16 AGG). Für Viktimisierungen im allgemeinen Zivilrechtsverkehr fehlt es dagegen an einer entsprechenden Regelung. Hierin liegt ein weiterer Verstoß gegen die Richtlinien.217 Die Anwendung allgemeiner Regeln des Privat- und Strafrechts ist für eine Umsetzung nicht ausreichend. 212  Erman/Armbrüster, BGB, 14. Aufl., 2014, § 21 AGG Rn. 1; Hey/Kremer, AGG, 2009, § 21 Rn. 52. 213   Ob das AGG überhaupt einen Kontrahierungszwang vorsieht, ist umstritten; dafür Rust/ Falke/Bittner, AGG, 2007, § 21 Rn. 15; Däubler/Bertzbach/Deinert, AGG, 3. Aufl., 2013, § 21 Rn. 77 ff., 82; Rolfs, NJW 2007, 1489, 1493 f.; Schmidt-Räntsch, NZM 2007, 6, 14; Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 22; G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1098; dagegen Armbrüster, NJW 2007, 1495, 1497 f.; Koch, VersR 2007, 288, 294. 214   Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 24 f. 215   Auch nach den Regelungen des BGB käme bei (hier anzunehmender anfänglicher) Unmöglichkeit nur eine Haftung für vermutetes Verschulden in Betracht (§ 311a Abs. 2 S. 2 BGB). 216   Im Ergebnis auch Rust/Falke/Bittner, AGG, 2007, § 21 Rn. 24; MüKo/Thüsing, BGB, 7. Aufl., 2015, § 21 AGG Rn. 47. 217   Wie hier Däubler/Bertzbach/Deinert, AGG, 3. Aufl., 2013, § 21 Rn. 14; Hey/Kremer, AGG, 2009, § 21 Rn. 1 ff.; MüKo/Thüsing, BGB, 7. Aufl., 2015, Vor §§ 19 AGG Rn. 15.

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§ 9  Antidiskriminierungsrecht

Denn der EuGH fordert gerade bei Umsetzung der durch das Unionsrechts verliehenen Rechte, dass die Berechtigten in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen.218

IV. Keine Sanktionen bei abstrakter Diskriminierung Die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien im AGG wirft daneben übergreifende Fragen auf, die sich sowohl im Arbeits- als auch im allgemeinen Zivilrecht stellen. Diese betreffen vor allem den Schutz vor abstrakten Diskriminierungen. Nach den Urteilen Feryn219 und Asociaţia Accept220 setzt eine unmittelbare Diskriminierung nicht voraus, dass es ein identifizierbares Diskriminierungsopfer gibt. Bereits die öffentliche Äußerung eines Arbeitgebers, er werde keine Arbeitnehmer einer bestimmten ethnischen Herkunft oder einer bestimmten sexuellen Ausrichtung einstellen, begründet eine unmittelbare Diskriminierung. Derartige Ankündigungen sind nämlich geeignet, bestimmte Arbeitnehmer ernsthaft davon abzuhalten, ihre Bewerbungen einzureichen und damit am Zugang zum Arbeitsmarkt zu hindern.221 Wären solche Äußerungen nicht erfasst, wäre eine effektive Umgehung der Diskriminierungsverbote gerade bei besonders drastischen und vor allem öffentlichkeitswirksamen Äußerungen möglich.222 Diskriminierungen müssen daher auch dann, wenn es kein identifizierbares Opfer gibt, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sanktioniert werden.223 Entsprechendes muss im allgemeinen Zivilrechtsverkehr gelten. Die in der Antirassismus-RL 2000/43 und der Gender-RL 2004/113 niedergelegten zivilrechtlichen Benachteiligungsverbote werden bereits dann verletzt, wenn ein Unternehmer Waren oder Dienstleistungen öffentlich anbietet, dabei jedoch aus diskriminierenden Gründen einem geschützten Personenkreis von vornherein jeglichen geschäftlichen Kontakt, wie beispielsweise den Zugang zu einem Ladenlokal, verwehrt. Das deutsche Recht trägt diesen unionsrechtlichen Anforderungen nicht Rechnung. Zwar sind die Diskriminierungsverbote in § 7 AGG und § 19 AGG einer Auslegung dahingehend zugänglich, dass sie unabhängig vom Bestand bestimmter (vor‑) vertraglicher Schuldverhältnisse eingreifen können.224 Abstrakte Diskriminierungen lösen jedoch nicht die im AGG vorgesehenen Sekundäransprüche aus. Wie das BAG mehrfach hervorgehoben hat, kommen Schadensersatzansprüche nach dem AGG nicht in Betracht, da es bei abstrakten Diskriminierungen an einem konkret Benachteiligten fehlt.225 Auch (vorbeugende) Unterlassungsansprüche bestehen nicht, da es 218

 Vgl. supra, § 3 E.II.2.b.   EuGH, Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 23 ff. (zur Antirassismus-RL 2000/43). 220   EuGH, Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 60 ff. (zur RL 2000/78). 221   EuGH, Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 28. 222   GA Poiares Maduro, SchlA, Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn.  15 – 17. 223   EuGH, Rs. C‑54/07 (Feryn) Rn. 40; Rs. C‑81/12 (Asociaţia Accept) Rn. 62. 224   G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1090; Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, 2010, S. 55 f. 225   So zu § 15 Abs. 2 AGG: BAG, 19.8.2010, Az. 8 AZR 370/09, AP SGB IX § 81 Nr. 19, Rn. 32 ff. Bestätigt durch BAG, NZA 2013, 955, 958, Rn. 40 f.; NJW 2014, 1130, 1133, Rn. 40. Auch im Schrifttum wird überwiegend davon ausgegangen, dass eine diskriminierende Ausschreibung keine Entschädigungsansprüche auslöst; Däubler/Bertzbach/Buschmann, AGG, 3. Aufl., 2013, § 11 Rn. 24; ErfK/ Schlachter, 16. Aufl., 2016, § 11 Rn. 2. 219

D. Folgerungen für das deutsche Recht

731

nach Ansicht der deutschen Richter an einer nationalen gesetzlichen Grundlage für einen solchen „generalpräventiven“ Unterlassungsanspruch fehlt.226 Die besonders öffentlichkeitswirksame Zurschaustellung z. B. einer rassistischen oder sexistischen Gesinnung und darauf beruhende Vertragsverweigerungen bleiben damit im deutschen Recht sanktionslos, sofern die Benachteiligung bereits im Frühstadium der Anbahnung rechtsgeschäftlicher Kontakte geschieht. Dieses Sanktionsdefizit kann nur beseitigt werden, indem der deutsche Gesetzgeber weitere Sanktionen schafft. Empfehlenswert ist, die zivilrechtlichen Rechtsbehelfe durch Geldbußen und sonstige verwaltungsrechtliche Sanktionen zu ergänzen.

V. Ergebnis Das deutsche Recht zur Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien ist aus unionsrechtlicher Perspektive in mehrfacher Hinsicht defizitär. Im Arbeitsrecht verstößt die verschuldensabhängige Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen in den §§ 15 Abs. 1 S. 2, 15 Abs. 3 AGG gegen den vom EuGH aufgestellten Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung. Die in § 2 Abs. 4 AGG angeordnete Ausnahme diskriminierender Kündigungen vom Anwendungsbereich des AGG ist mit dem Unionsrecht ebenso wenig zu vereinbaren, sofern dieser Ausschluss auch auf die im AGG geregelten Sekundärrechtsansprüche bezogen wird. Im allgemeinen Zivilrecht lässt sich die in § 21 Abs. 2 S. 2 AGG angeordnete Haftung für vermutetes Verschulden nicht mit der Antirassismus-RL 2000/43 und der Gender-RL 2004/113 in Einklang bringen; denn nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen Verstöße gegen Diskriminierungsverbote gerade nicht verschuldensabhängig ausgestaltet sein. Auch der von den Richtlinien geforderte Schutz vor Viktimisierungen wird im AGG nicht ausreichend gewährleistet. Inwieweit sich die angeführten Umsetzungsdefizite durch eine richtlinienkonforme Auslegung der betreffenden Vorschriften und gegebenenfalls zivilrechtlicher Generalklauseln beseitigen lassen, erscheint zweifelhaft. Denkbar wäre auch, dass die unionsrechtswidrigen Vorschriften nach der Mangold-Doktrin selbst in Privatrechtsstreitigkeiten nicht angewendet werden dürfen.227 Der deutsche Gesetzgeber ist jedenfalls zur Nachbesserung des AGG verpflichtet, denn anderenfalls besteht die Gefahr, dass Diskriminierungsopfer über die ihnen zustehenden Rechte nicht klar und verständlich informiert werden. Weitere Defizite sind mit Blick auf die fehlenden öffentlich-rechtlichen Sanktionen zu konstatieren. Während viele Länder die zivilrechtlichen Rechtsbehelfe durch straf- und/oder verwaltungsrechtliche Sanktionen ergänzen, den nationalen Gleichstellungsbehörden weitgehende Eingriffsbefugnisse zugestehen und teils auch Verbandsklagebefugnisse vorsehen, hat sich der deutsche Gesetzgeber bewusst für eine rein zivilrechtliche Lösung entschieden, bei der nur die von einer Diskriminierung konkret-individuell Betroffenen Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten haben. Dieser Ansatz greift bereits bei konkreten Diskriminierungen zu kurz, da auf Kompensa226

  BAG, NJW 2014, 1130, 1133, Rn. 40 f.  Hierzu supra, § 5 A.IV.4.b. – d. Diese Rechtsfolge kommt indessen nur in Betracht, wenn die Ausschlusswirkung für sich genommen ausreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herzustellen. Gebietet das Unionsrecht eine positive Rechtsgestaltung, hilft die bloße Nichtanwendung nationalen Rechts dagegen nicht weiter. 227

732

§ 9  Antidiskriminierungsrecht

tion ausgerichtete Schadensersatzansprüche in aller Regel nicht für eine wirksame und abschreckende Sanktionierung sorgen können. Bei abstrakten Diskriminierungen wird der Änderungsbedarf besonders deutlich; nach deutschem Recht bleiben besonders öffentlichkeitswirksame Diskriminierungen vor Aufnahme von Vertragsverhandlungen sanktionslos. Der deutsche Gesetzgeber sollte die zivilrechtlichen Sanktionen daher durch öffentlich-rechtliche Sanktionen ergänzen, indem ein Bußgeldtatbestand eingeführt wird.

E. Ausblick: Das Sanktionssystem in den ACQP und im DCFR I. Regelungsgehalt Angesichts der im Unionsrecht nur rudimentär vorgegebenen Rechtsbehelfe sind die bei Verletzung von Diskriminierungsverboten greifenden Sanktionen von Mitgliedsland zu Mitgliedsland sehr unterschiedlich ausgestaltet worden. Vor diesem Hintergrund verdienen die Acquis Principles (ACQP) und der Draft Common Frame of Reference (DCFR) besondere Beachtung. Beide Regelwerke unternehmen erstmals den Versuch, einen „Allgemeinen Teil“228 des privatrechtlichen Antidiskriminierungsrechts zu erarbeiten.229 Sowohl Art. 3:101 ff. ACQP als auch Art. II.-2:101 ff. und Art. III.-1:105 DCFR verorten den Diskriminierungsschutz dabei im Vertragsrecht.230 Die Regelungen basieren vornehmlich auf den zivilrechtlichen Vorschriften der Antirassismus-RL 2000/43 und der Gender-RL 2004/113. Die weitergehenden Antidiskriminierungsvorschriften des europäischen Arbeitsrechts wurden demgegenüber nicht berücksichtigt, da die ACQP und der DCFR nicht speziell auf dieses Rechtsgebiet zielen.231 Beide Regelwerke beschränken den Diskriminierungsschutz (entsprechend den zugrunde liegenden Richtlinien) auf Diskriminierungen aus rassistischen bzw. ethnischen Gründen sowie wegen des Geschlechts.232 Unterschiede bestehen insoweit, als die ACQP in Art. 3:101 ein allgemeines Verbot der Diskriminierung aufstellen, das erst auf der Rechtsfolgenseite durch Art. 3:201 (1) eine Einschränkung auf Verträge, die öffentlich angebotene Güter und Dienstleistungen zum Gegenstand haben, erfährt. Der DCFR garantiert demgegenüber in Art. II.-2:101 ein Recht auf Nichtdiskriminierung, das bereits tatbestandlich auf Verträge und andere Rechtsgeschäfte begrenzt wird, die den Zugang zu bzw. die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, betreffen. 228   Schulte-Nölke, in: Schulze/v. Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 47, 53. 229   Die PECL enthalten demgegenüber keine Bestimmungen zu Fragen des Diskriminierungsschutzes. 230   Zu den Hintergründen Leible, in: Schulze (Hrsg.), Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law, 2. Aufl., 2009, S. 123, 127; Zoll, in: Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 85, 87 f. 231   Schulte-Nölke, in: Schulze/v. Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 47, 54. 232  Die Mangold-Entscheidung zur Altersdiskriminierung wurde dagegen bewusst außer Acht gelassen; vgl. ACQP, 2009, Art. 3:101 Rn. 6; DCFR, Full Edition, 2009, Art. II.-2:101, Notes Rn. 4, S. 170.

E. Ausblick: Das Sanktionssystem in den ACQP und im DCFR

733

Im Bereich der Rechtsfolgen gehen sowohl die ACQP als auch der DCFR über den status quo der Antidiskriminierungsrichtlinien hinaus, da sie konkretere Sanktionen anordnen.233 Die ACQP sehen in Art. 3:201 (1) als Hauptrechtsbehelf einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Schadensersatz vor, der nach Art. 3:202 (1) sowohl materielle als auch immaterielle Schäden umfasst. Daneben kann die diskriminierte Person gem. Art. 3:201 (2) von allen möglichen weiteren Rechtsbehelfen Gebrauch machen, wenn dies „angemessen“ (appropriate) ist und die Rechtsbehelfe geeignet sind, die Folgen der diskriminierenden Handlung zu beseitigen oder weitere Diskriminierungen zu verhindern. Der Begriff der Angemessenheit verweist auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.234 Art. 3:202 (2) hebt zusätzlich hervor, dass die Höhe des Ersatzes immaterieller Schäden und die sonstigen Rechtsbehelfe einerseits verhältnismäßig zu der Verletzung sein müssen, andererseits aber auch die abschreckende Wirkung von Rechtsbehelfen berücksichtigt werden kann. Ähnliche Regelungen enthält der DCFR. Im Unterschied zu den ACQP ist der Schadensersatzanspruch allerdings nicht als Hauptrechtsbehelf ausgestaltet. Der DCFR verweist vielmehr in Art. II.-2:104 (1) auf die im dritten Buch des DCFR in Kapitel 3 vorgesehenen Ansprüche wegen Nichterfüllung, wobei eine weitergehende deliktische Haftung unberührt bleibt. Ergänzend stellt die Vorschrift klar, dass zu den Rechtsbehelfen wegen Nichterfüllung insbesondere der Anspruch auf Ersatz der materiellen und immateriellen Schäden zählt; damit wird auf die Schadensersatzhaftung nach Art. III.-101 ff. DCFR verwiesen, die vom Grundsatz verschuldensunabhängig ausgestaltet ist.235 Darüber hinaus kommen weitere Rechtsbehelfe in Betracht, so insbesondere Vertragsanpassungs- und Vertragsaufhebungsrechte. Ein Unterlassungsanspruch wird im DCFR nicht ausdrücklich vorgesehen;236 die ACQP erfassen demgegenüber auch einen Anspruch auf Unterlassung, denn dieser Rechtsbehelf ist im Sinne des Art. 3:201 (2) ACQP geeignet, weitere Diskriminierungen zu verhindern. Bei einer diskriminierenden Vertragsverweigerung kann sowohl nach den ACQP237 als auch nach dem DCFR238 ausnahmsweise ein Kontrahierungszwang bestehen, wenn ein Schadensersatzanspruch nicht geeignet ist, die Folgen einer diskriminierenden Handlung zu beseitigen. Die Erläuterungen zu beiden Regelwerken führen als Beispiel den Fall einer schwangeren Frau an, der aus diskriminierenden Gründen Wohnraum verweigert wird. Im Unterschied hierzu soll kein Kontrahierungszwang bestehen, wenn aus rassistischen Gründen Nahrungsmittel nicht an Ausländer verkauft werden; in diesem Fall soll angesichts der bestehenden Ausweichmöglichkeiten auf andere Verkäufer ein Schadensersatzanspruch ausreichend sein. 233   Zum Rechtsfolgenregime in den ACQP und im DCFR vgl. auch Ebert/Pinkel, German Law Journal 2009, 1417, 1433 ff.; Haberl, GPR 2009, 202, 208 f.; Leible, in: Schulze (Hrsg.), Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law, 2. Aufl., 2009, S. 123, 126 ff.; Zoll, in: Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 85, 92 f. 234   ACQP, 2009, Art. 3:201 Rn. 25. 235  Vgl. Leible, in: Schulze/v. Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 97, 109. Siehe auch Ebert/Pinkel, German Law Journal 2009, 1417, 1433. 236   Leible, in: Schulze (Hrsg.), Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law, 2. Aufl., 2009, S. 123, 138, mit dem Vorschlag, den Unterlassungsanspruch aus dem Erfüllungsanspruch (Art. III.-3:302 (1) DCFR) herzuleiten. 237   Art. 3:201 (2) ACQP; hierzu ACQP, 2009, Art. 3:201 Rn. 22. 238   Art. II.-2:104 i. V. m. Art. III.-3:302 DCFR; hierzu DCFR, Full Edition, 2009, Art. II.-2:104, Comments D., S. 189 f.

734

§ 9  Antidiskriminierungsrecht

II. Auswertung Die akademischen Regelwerke entwickeln die im Sekundärrecht niedergelegten und vom EuGH für zivilrechtliche Rechtsbehelfe aufgestellten Vorgaben auf überzeugende Art weiter; die vorgesehenen Rechtsfolgen stimmen weitgehend mit dem deutschen Recht überein.239 Da sich beide Regelwerke auf das Privatrecht, insbesondere auf das Vertragsrecht beschränken, wird allerdings nicht das gesamte Sanktionsspektrum abgedeckt. Im Vergleich zum deutschen Recht greifen beide Regelwerke in weitaus geringerem Maße in den Grundsatz der Privatautonomie ein. Während das AGG eine Benachteiligung im allgemeinen Zivilrechtsverkehr nicht nur aus Gründen der Rasse oder ethnischen Herkunft und des Geschlechts, sondern auch wegen Behinderung, Alter, sexueller Identität und Religion verbietet, übernehmen die ACQP und der DCFR nur die in der Antidiskriminierungs-RL 2000/43 und Gender-RL 2004/113 geregelten Diskriminierungsgründe Rasse bzw. ethnische Herkunft und Geschlecht.240 Insgesamt betrachtet wird damit in beiden Regelwerken ein gelungener Ausgleich zwischen Vertragsfreiheit und Diskriminierungsschutz erzielt.

239

  So auch Ebert/Pinkel, German Law Journal 2009, 1417, 1436.  Kritisch Hesselink, ERCL 2008, 248, 265 f., der eine Ausweitung auf die in Art. 21 GRC genannten Diskriminierungsmerkmale befürwortet. 240

§ 10  Verbraucherrecht A. Einleitung I. Revision des Verbraucherrechts und Harmonisierung des Europäischen Privatrechts Das Verbraucherrecht in Europa befindet sich in einer Umbruchphase. Nachdem seit Beginn der 1980er Jahre der Bestand an unionsrechtlichen Rechtsakten mit verbraucherschützender Zielsetzung kontinuierlich angewachsen ist und Einzug in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gehalten hat, wächst auf europäischer wie auch nationaler Ebene zunehmend die Einsicht, dass die bestehenden Verbraucherrechtsakte ihrer Zielsetzung nicht gerecht werden und einer weiteren Harmonisierung bedürfen. Die Europäische Kommission leitete Anfang des neuen Millenniums einen Revisionsprozess ein,1 der darauf abzielte, ursprünglich acht verbraucherschützende Richtlinien,2 später nur mehr vier zentrale Richtlinien3 in einer neuen Horizontal-RL zusammenzufassen und zu vereinheitlichen. Parallel hierzu hatte die Kommission im Jahre 2001 in ihrer Mitteilung zum Europäischen Vertragsrecht den Startschuss für die weitere Vereinheitlichung des Vertragsrechts in Europa gegeben.4 In ihrem im Jahre 2003 veröffentlichten Aktionsplan für ein „kohärenteres europäisches Vertragsrecht“ kündigte die Kommission an, mit Hilfe von Forschern und interessierten Parteien einen Referenzrahmen aufzustellen, der „gemeinsame Grundsätze und Begriffe im Bereich des europäischen Vertragsrechts festlegt“ und der „den Gemeinschaftsorganen helfen soll, eine kohärentere Ausgestaltung der geltenden und künftigen Gemeinschaftsvorschriften im Bereich des europäischen Vertragsrechts zu gewährleisten“.5 Auf dieser Grundlage wurde im Auftrag der Kommission im Rahmen eines europäischen Forschungsnetzwerks von der Study Group on a European Civil Code und der Research Group on EC Private Law (Acquis Group) der akademische Entwurf für 1   Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union, KOM (2001) 531, S. 14; Mitteilung „Verbraucherpolitische Strategie 2002 – 2006“, KOM (2002) 208 endg., S. 14 f.; Mitteilung „Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen“, KOM (2004) 651 endg., S.  3 – 5. 2   HWiRL 85/577, PRRL 90/314, Klausel-RL 93/13, TSRL 94/47, FARL 97/7, PreisangabenRL 98/6, UKlaRL 98/27, KaufRL 99/44; Mitteilung der Kommission „Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands  – weiteres Vorgehen“, KOM (2004) 651 endg., S. 3. 3   HWiRL 85/577, Klausel-RL 93/13, FARL 97/7 und KaufRL 99/44; vgl. Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher, KOM (2008) 614 endg. 4   Mitteilung der Kommission zum Europäischen Vertragsrecht, KOM (2001) 398 endg., ABl. 2001 C 255/1. 5   Mitteilung der Kommission „Ein kohärenteres europäisches Vertragsrecht“ – Ein Aktionsplan, KOM (2003) 68 endg., Nr. 59.

736

§ 10  Verbraucherrecht

einen Gemeinsamen Referenzrahmen (Draft Common Frame of Reference; DCFR) erarbeitet.6 Sowohl die Revision des Verbraucherrechts als auch die Arbeiten an der Harmonisierung des europäischen Privatrechts sind nunmehr zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Mit der am 12. Dezember 2011 in Kraft getretenen Verbraucherrechte-RL (VRRL) 2011/83 wurden die Rechte und Pflichten bei außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen (zuvor: Haustürgeschäfte) und Fernabsatzverträgen vollständig harmonisiert. Daneben wurden weitere verbraucherschützende Richtlinien überarbeitet und ebenfalls nach dem Modell der Vollharmonisierung ausgestaltet.7 Zeitgleich unterbreitete die Kommission einen auf der Grundlage des DCFR basierenden Vorschlag für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (Proposal for a Regulation on a Common European Sales Law; PR CESL),8 das als optionales Instrument immer dann zur Anwendung gelangen sollte, wenn sich die Parteien für die Verwendung des in Anhang I des Verordnungsvorschlags geregelten Kaufrechts (Draft Common European Sales Law; im Folgenden: DCESL) entschieden haben. Nachdem der Vorschlag Ende 2014 zurückgezogen wurde, veröffentlichte die Europäische Kommission im Dezember 2015 mehrere Legislativvorschläge, die darauf abzielen, einen europäischen Rechtsrahmen für den digitalen Binnenmarkt zu schaffen.9

II. Unbestimmte Rechtsfolgen im Verbraucherrecht Trotz der mittlerweile fortgeschrittenen Harmonisierung bleiben große Teile der Rechtsfolgen und Sanktionen im europäischen Verbraucherrecht weiterhin ungeregelt. Das europäische Verbraucherrecht formuliert zwar eine Reihe von Gebots- und Verbotsnormen, die ein Unternehmer im Rechtsverkehr mit Verbrauchern zu beachten hat. Einen eindeutigen Hinweis darauf, ob und inwieweit mit diesen Verpflichtungen zugleich korrespondierende Rechte zugunsten der einzelnen Verbraucher verbunden sind, enthalten diese Normen jedoch in aller Regel nicht. Die zivilrechtlichen Rechtsbehelfe und sonstigen Sanktionen bei einem Verstoß gegen verbraucherschützende Normen sind häufig überhaupt nicht geregelt. Auch soweit verbraucherschützende Richtlinien konkrete Rechte oder Ansprüche zugunsten des einzelnen Verbrauchers begründen, bleibt meistens ungeklärt, wie diese auszugestalten sind. Angesichts der weitreichenden Anforderungen, die der EuGH für die Ausgestaltung der Rechtsbehelfe und Sanktionen entwickelt hat, ist das Zusammenspiel zwischen Unionsrecht und national ausgestalteten Rechtsfolgen zu überdenken: Welche Vorgaben trifft das Unionsrecht für die Bereitstellung und Ausgestaltung zivilrechtlicher Rechtsbehelfe und sonstiger Sanktionen im Verbraucherrecht? Lassen sich aus der Rechtsprechung des EuGH ungeschriebene Rechtsbehelfe herleiten? Inwieweit 6   v. Bar/Clive/Schulte-Nölke (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law: Draft Common Frame of Reference (DCFR), Interim Outline Edition, 2008; v. Bar/Clive/ Schulte-Nölke (Hrsg.) Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law: Draft Common Frame of Reference (DCFR), Outline Edition, 2009. 7   Dies betrifft die VerbrKrRL 2008/48 und die TSRL 2008/122. 8   Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM (2011) 635 endg. 9  Hierzu infra, § 10 B.IV.4.

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

737

sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Vertragslösungsrechte und Schadensersatzansprüche zugunsten des einzelnen Verbrauchers vorzusehen? Wie müssen derartige Rechtsbehelfe von den Mitgliedstaaten ausgestaltet werden? Welche Ansatzpunkte lassen sich dem Unionsrecht und den akademischen Regelwerken (ACQP; DCFR) für eine weitergehende Harmonisierung der Rechtsfolgen im Verbraucherrecht entnehmen?

III. Gang der Darstellung Die nachfolgenden Ausführungen geben zunächst einen Überblick über die Entwicklung des Verbraucherrechts in Europa, den erreichten Besitzstand im Europäischen Privatrecht sowie die Arbeiten an der Harmonisierung des Privatrechts, insbesondere des Vertragsrechts in Europa (B.). Für die weitere Analyse der Rechtsfolgen ist sodann von Interesse, welche Sanktionssysteme zur Durchsetzung des Verbraucherrechts in den Mitgliedstaaten im Allgemeinen anzutreffen sind (C.). Im Anschluss daran werden jene Verbraucherschutzinstrumente untersucht, die mittlerweile zum Kernbestand des Acquis communautaire gehören, nämlich vorvertragliche Informationspflichten (D.), Widerrufsrechte (E.), die Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Vertragsklauseln (F.) sowie die Rechtsbehelfe des Verbrauchers bei Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter (G.).

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts Die Entwicklung des europäischen Verbraucherrechts kann im Anschluss an Cámara Lapuente10 in einem Dreiphasenmodell nachgezeichnet werden – eine Beschreibung, der sich nunmehr, mit Inkrafttreten der VRRL 2011/83 und dem Vorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, eine vierte Phase hinzufügen lässt, die im Jahre 2001 mit dem Grünbuch zum Verbraucherschutz und der Mitteilung der Europäischen Kommission zum Europäischen Vertragsrecht ihren Anfang genommen hat (I. – IV.).11 Vor diesem Hintergrund ist der erreichte Besitzstand im europäischen Verbraucherrecht sowie ganz allgemein im Europäischen Privatrecht zu untersuchen und der Frage nachzugehen, inwieweit verbraucherschützende Regelungen – über ihren engen Anwendungsbereich hinaus – in das allgemeine Privatrecht der Mitgliedstaaten integriert worden sind (V.).

I. Ausgangssituation nach den Römischen Verträgen (1957 – 1975) In der Anfangszeit (1957 – 1975) spielte der Schutz der Verbraucher auf europäischer Ebene praktisch keine Rolle. Der EWG-Vertrag vom 25. März 1957 sah die Herausbildung eines selbständigen Politikbereichs Verbraucherschutz mit eigenen Kompetenzzuweisungen und Institutionen nicht vor. Er richtete sich in seiner ursprünglichen 10

  Cámara Lapuente, in: Reyes López (Hrsg.), Derecho privado de consumo, 2004, S. 45, 46.  Zur Entwicklung des europäischen Verbraucherrechts vgl. ferner Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 44 ff.; Howells/Wilhelmsson, EC Consumer Law, 1997, S. 9 ff.; Schulte-Nölke, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 23 Rn. 1 ff.; Stuyck, CMLR 2000, 367, 377 ff.; Weatherill, EU Consumer Law and Policy, 2005, S. 1 ff. 11

738

§ 10  Verbraucherrecht

Fassung primär an erwerbswirtschaftlich auftretende Unternehmen und Arbeitskräfte, die durch die im Vertrag verankerten Grundfreiheiten einen Marktzugang zum Gemeinsamen Markt erhalten sollten12 und erwähnte den Begriff „Verbraucher“ lediglich am Rande.13 Die Grundlagen für eine eigenständige Verbraucherpolitik waren daher noch nicht gelegt. Erst mit dem Aufkommen der Verbraucherschutzbewegung in den sechziger Jahren14 und den ersten verbraucherschützenden Rechtsakten auf mitgliedstaatlicher Ebene in den siebziger Jahren begannen Kommission und Rat in zunehmendem Maße, verbraucherschützende Fragestellungen aufzugreifen.

II. Verbraucherschutzpolitik in der zweiten Phase (1975 – 1985) Die zweite Phase (1975 – 1985) wird vor allem durch zwei Entwicklungsschübe geprägt: Zum einen entwickelte die Kommission in zwei verbraucherpolitischen Programmen in den Jahren 1975 und 1981 einen Katalog von „Verbraucherrechten“, die für den weiteren Fortgang der europäischen Verbraucherpolitik prägend waren.15 Hierzu zählen (1) das Recht auf den Schutz der Gesundheit und Sicherheit, (2) das Recht auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen, (3) das Recht auf Wiedergutmachung erlittenen Schadens, (4) das Recht auf Unterrichtung und Bildung sowie (5) das Recht auf Vertretung (Recht, gehört zu werden). Entscheidende Impulse für den Aufbau einer europäischen Verbraucherpolitik gingen zum anderen vom EuGH aus. In der Entscheidung Cassis de Dijon16 aus dem Jahre 1979 hob der Gerichtshof erstmalig hervor, dass nationale Verbraucherschutzbestimmungen den freien Warenverkehr (jetzt Art. 34 AEUV) nur dann einschränken dürfen, wenn sie für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, den Absatz inländischer und eingeführter Erzeugnisse rechtlich wie tatsächlich gleichermaßen treffen und verhältnismäßig sind. Die Kontrolle des nationalen Verbraucherrechts am Maßstab der Grundfreiheiten, insbesondere am Verhältnismäßigkeitsprinzip, führte schrittweise zu einer richterrechtlich geprägten, genuin europäischen Verbraucherschutzkonzeption. Der EuGH modellierte in seiner Rechtsprechung das Bild vom europäischen Verbraucher und gab in seinen Entscheidungen zugleich eine Antwort darauf, welche nationalen Verbraucherschutzvorstellungen unter dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts noch Anerkennung finden können.17 12

 Reich/Micklitz/Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 2003, S. 14.   Der EWGV erwähnte den „Verbraucher“ lediglich bei der gemeinsamen Agrarpolitik in Art. 39 Abs. 1 lit. e, Art. 40 Abs. 3 Ziff. 2 EWGV (jetzt Art. 39 Abs. 1 lit. e, Art. 40 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV) und im Kartellrecht in Art. 85 Abs. 3, Art. 86 Abs. 2 lit. b EWGV (jetzt Art. 101 Abs. 3, Art. 102 Abs. 2 lit. b AEUV). 14   Siehe insbesondere die Verbraucherbotschaft von Präsident Kennedy vom 15.3.1962, abgedruckt bei v. Hippel, Verbraucherschutz, 3. Aufl., 1986, S. 281 ff., sowie – für das Vereinigte Königreich – den Moloney-Report aus dem Jahre 1962, Final Report of the Committee on Consumer Protection, Cmnd 1781. 15   Erstes Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl. 1975 C 92/1; Zweites Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl. 1981 C 133/1. 16   EuGH, Rs. 120/78 (Rewe-Zentral – „Cassis de Dijon“). Zur Rezeption des Urteils in den Mitgliedstaaten Schulze/Schulte-Nölke, Casebook Europäisches Verbraucherrecht, 1999, S. 65 ff. 17   Zum Einfluss der Grundfreiheiten auf das deutsche Lauterkeitsrecht siehe monographisch Hösch, Einfluss, 1994; Reese, Grenzüberschreitende Werbung, 1994; G. Schmid, Freier Dienstleis13

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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In ihrer konkreten Anwendung hat die Rechtsprechung vor allem dem weithin bekannten Informationsparadigma18 den Weg geebnet. Nach Ansicht des Gerichtshofs stellt die Pflicht zur Information gegenüber zwingenden Vorschriften in vielen Bereichen das mildere und adäquatere Mittel dar, um die Marktteilnehmer zu schützen und die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes sicherzustellen. Es gilt der Grundsatz, dass Regelungen immer dann dem Grundsatz „Transparenz vor Verbot“ zu folgen haben, wo dies möglich ist. Dies hat in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern, zum Abbau zahlreicher restriktiver Werberegelungen geführt und auf Unionsebene zu einer Vielzahl von Informationspflichten. Dass der Einfluss der Grundfreiheitenrechtsprechung auf das nationale Verbraucherrecht, insbesondere auf das Lauterkeits- und Vertragsrecht, gleichwohl begrenzt geblieben ist, liegt an mehreren Gründen. Erstens betrifft die EuGH-Rechtsprechung immer nur punktuell einen Einzelfall. Zweitens hat die Keck-Entscheidung19 aus dem Jahre 1993 dafür gesorgt, dass nationales Recht nicht mehr in vollem Umfang an der Warenverkehrsfreiheit gemessen werden kann. Drittens ist zu bedenken, dass sich die Rechtsprechung des EuGH vor allem auf öffentlich-rechtliche Regelungen der Mitgliedstaaten bezieht. Einer Kontrolle privatrechtlicher Vorschriften am Maßstab der Grundfreiheiten steht der Gerichtshof demgegenüber bislang zurückhaltend gegenüber. Der Gerichtshof neigt dazu, unterschiedslos geltende Normen des allgemeinen Privatrechts schon allein deshalb vom Anwendungsbereich der Grundfreiheiten auszunehmen, weil die von ihnen ausgehenden Wirkungen zu ungewiss und von zu mittelbarer Bedeutung seien, um den Handel zwischen den Mitgliedstaaten behindern zu können.20 Durch diese Entwicklung verstärkte sich zugleich das Bedürfnis, die in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe im Sekundärrecht zu verankern und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen insbesondere jene Bereiche anzugleichen, in denen die Mitgliedstaaten nach der Cassis-Rechtsprechung abweichende nationale Standards im Verbraucherrecht aufrechterhalten können.

III. Die dritte Phase (1985 – 2001) 1. Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarkts und Einheitliche Europäische Akte Die europäische Verbraucherpolitik der dritten Phase wird maßgeblich von der Cassis-Philosophie beeinflusst.21 Die Europäische Kommission stellte in ihrem Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarkts (1985)22 einen Katalog von Rechtsangleichungstungsverkehr, 2000. Zum (Verbraucher‑)Strafrecht Dannecker, ZStW 117 (2005), 697, 704 – 714; Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001. Zur Prüfung des (Verbraucher‑)Vertragsrechts am Maßstab der Grundfreiheiten Remien, Zwingendes Vertragsrecht, 2003, S. 178 ff. Zum Einfluss auf das europäische (Lauterkeits‑)Recht Radeideh, Fair Trading in EC Law, 2005; Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz, 2004, S. 119 – 149, sowie Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, 2004, S. 110 – 127. 18   Vgl. nur Dauses, RIW 1998, 750 ff. 19   EuGH, verb. Rs. C‑267 und C‑268/91 (Keck und Mithouard). Hierzu supra, § 6 C.II.4.a. 20  EuGH, Rs.  C‑93/92 (CMC Motorradcenter) Rn.  11  f.; Rs.  C‑69/88 (Krantz) Rn. 11; Rs. C‑190/98 (Graf) Rn. 25. Hierzu supra, § 4 B.III.3.a. 21   Zur Bedeutung der Cassis-Entscheidung für die Entwicklung des Verbraucherrechts insb. Micklitz, ZEuP 1998, 253 ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 142 f.; G.‑P. Calliess, ZEuP 2006, 742, 754. 22   Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes, KOM (85) 310 endg. Vgl. zuvor bereits die Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 („Cassis de Dijon“), ABl. 1980 C 256/2 – 3.

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§ 10  Verbraucherrecht

maßnahmen für diejenigen Bereiche auf, in denen die Mitgliedstaaten sich auf „zwingende Erfordernisse“ berufen können, also unter anderem auf den Verbraucherschutz. Nach der im Weißbuch angekündigten „neuen Strategie“ sollte dabei keine Vollharmonisierung angestrebt werden, sondern nur noch eine Mindestharmonisierung, kombiniert mit dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung.23 Mit der Einheitlichen Europäischen Akte (1987) wurde sodann eine eindeutige Rechtsgrundlage für binnenmarktbezogene Rechtsangleichungsmaßnahmen mit verbraucherschützender Zielrichtung geschaffen. Zugleich wurde der Rechtssetzungsprozess wesentlich vereinfacht. Während frühere Richtlinien24 noch auf der Grundlage des damaligen Art. 100 EWGV verabschiedet wurden und insoweit eine (nur mühsam zu erzielende) Einstimmigkeit im Rat voraussetzten, konnten durch den neu geschaffenen Art. 100a EGV (jetzt Art. 114 AEUV) verbraucherschützende Richtlinien fortan mit qualifizierter Mehrheit erlassen werden. Vor diesem Hintergrund gewann die europäische Verbraucherschutzgesetzgebung erheblich an Dynamik. 2. Maastricht – Amsterdam – Lissabon: Das Modell des „confident consumer“ Mit dem Vertrag von Maastricht (1992) fand der Verbraucherschutz als allgemeines Ziel der Tätigkeit der Gemeinschaft formelle Berücksichtigung im Vertrag (Art. 3 Abs. 1 lit. s EG). Mit dem neu geschaffenen Art. 129a EG wurde zugleich ein eigener Titel zum Verbraucherschutz eingefügt, der durch den Amsterdamer Vertrag (1997) in Art. 153 EG neu gefasst wurde. Der Vertrag von Lissabon (2007) hat diese Vorschrift nahezu wortgleich übernommen (Art. 169 AEUV). Zwar ebnete der Amsterdamer Vertrag den Weg zu einer weitgehend vom Binnenmarktkonzept losgelösten Verbraucherschutzpolitik. Der Unionsgesetzgeber hält indessen weiterhin am Binnenmarktkonzept fest. Bis auf wenige Ausnahmen25 sind sämtliche verbraucherschützenden Rechtsangleichungsmaßnahmen im Bereich des Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrechts stets auf Art. 114 AEUV (ex 95 EG; ex Art. 100a EGV) gestützt worden.26 An diesem Befund hat sich bis heute nichts geändert. Die dahinter stehende Philosophie rekurrierte auf den „confident consumer“.27 Die Gemeinschaft möchte mit der Schaffung einheitlicher Mindeststandards den Binnenmarkt funktionsfähig gestalten. Im Zentrum steht der Schutz des aktiven Verbrauchers, der im Unterschied zum passiven Verbraucher bei grenzüberschreitenden Geschäften nicht durch das Bestimmungslandprinzip (jetzt Art. 6 Rom I-VO 593/2008) geschützt wird, sondern nach dem Herkunftslandprinzip (jetzt 23   Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes, KOM (85) 310 endg., Rn. 63, 65, 77, 102 f. 24  Irreführungs-RL 84/450 (aufgehoben durch RL 2006/114), Produkthaftungs-RL 85/374, HWiRL 85/577 (aufgehoben durch RL 2011/83) und VerbrKrRL 87/102 (aufgehoben durch RL 2008/ 48). 25  Insbesondere die Preisangaben-RL 98/6 ist ausdrücklich auf Art. 129a Abs. 2 EG gestützt ­worden. 26   Übersicht bei Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, 2004, S. 90 f. 27   Das Modell vom „confident consumer“ wurde erstmals im Sutherland Report (1992) mit Nachdruck proklamiert; The Internal Market After 1992: Meeting the Challenge: Report to the EEC Commission by the High Level Group on the Operation of the Internal Market, presided over by Peter Sutherland, SEC (92) 2044. Zum Ganzen Weatherill, in: Micklitz (Hrsg.), Rechtseinheit oder Rechtsvielfalt in Europa?, 1996, S. 423 ff., 462 ff.

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO 593/2008) damit rechnen muss, fremden Rechtsordnungen ausgesetzt zu sein. Verbraucherschützende Harmonisierungsmaßnahmen sollen dementsprechend dazu beitragen, dass der aktive Verbraucher die Vorteile des Binnenmarktes realisieren und darauf vertrauen kann, dass auch bei Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaats ein Mindestschutzniveau gilt. Verbraucherschützende Richtlinien weisen daher eine doppeltes Ziel auf: Sie dienen sowohl der Binnenmarktverwirklichung als auch dem Schutz des (aktiven) Verbrauchers.28 Dieses auf dem Prinzip der Mindestharmonisierung basierende Konzept wurde von der EU Kommission jedoch im Laufe der Zeit zunehmend hinterfragt. 3. Das Problem der Mindestharmonisierung Bis zum Erlass der FDL-FARL 2002/65 aus dem Jahre 2002 räumten sämtliche verbraucherschützenden Richtlinien auf dem Gebiet des Vertragsrechts29 den Mitgliedstaaten das Recht ein, mit dem Primärrecht in Einklang stehende strengere Bestimmungen zu erlassen oder aufrechtzuerhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen.30 Richtlinien, die auf eine bloße Mindestharmonisierung ausgerichtet sind, führen jedoch letztlich nicht zu einer Angleichung der rechtlichen Wettbewerbsbedingungen.31 Da die Mitgliedstaaten von den Richtlinienvorgaben zum Schutz der Verbraucher nach oben abweichen durften, sind zentrale verbraucherschützende Vorschriften in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich ausgestaltet worden, so beispielsweise Informationspflichten, Widerrufsrechte, Gewährleistungsrechte beim Kaufvertrag und die Kontrolle missbräuchlicher Vertragsklauseln.32 Durch derartige Rechtsunterschiede entstehen für den grenzüberschreitenden Handel erhebliche Transaktionskosten. Wer Allgemeine Geschäftsbedingungen formuliert, muss auf das Recht aller 28 Mitgliedstaaten Rücksicht nehmen. Das ist vor allem kostenintensiv.33 Unternehmer konnten im Binnenmarkt auch nicht einheitlich über ihre Produkte informieren oder die Verbraucher einheitlich über ihr Widerrufsrecht belehren. Da Informationspflichten und Widerrufsrechte in jedem Mitgliedstaat anders ausgestaltet waren, mussten vielmehr in jedem Mitgliedstaat unterschiedliche Rechtsvorschriften eingehalten werden. Eine einheitliche Geschäftsstrategie, basierend auf einer einheitlichen 28   So die Begründung zahlreicher Verbraucherschutzrichtlinien, vgl. insb. ErwGr (2) – (5) KaufRL 99/44. 29   Außerhalb des Vertragsrechts existieren bereits seit langem Richtlinien, die auf eine Vollharmonisierung ausgerichtet sind, so z. B. die Produkthaftungs-RL 85/374, vgl. EuGH, Rs. C‑402/03 (Skov und Bilka); sowie im Lauterkeitsrecht die RL über vergleichende Werbung 97/55, EuGH, Rs. C‑44/01 (Pippig Augenoptik), und die RL über kosmetische Mittel 76/768, siehe EuGH, Rs. C‑77/97 (Österreichische Unilever) Rn. 24. 30   Mindestharmonisierungsklauseln finden sich in Art. 8 HWiRL 85/577, Art. 15 VerbrKrRL 87/102, Art. 8 PRRL 90/314, Art. 8 Klausel-RL 93/13, Art. 11 TSRL 94/47, Art. 14 FARL 97/7, Art. 8 KaufRL 99/44. Eine Vielzahl von Richtlinien eröffnet den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung zudem Wahlmöglichkeiten (sog. Optionen). 31   So bereits Taschner, in: Everling/W.‑H. Roth (Hrsg.), Mindestharmonisierung im Europäischen Binnenmarkt, 1997, S. 159 ff. 32  Ausführlich Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium, 2008. 33   Die Europäische Kommission schätzt, dass ein Unternehmen für jeden weiteren Exportmarkt durchschnittlich 10.000 Euro für Rechtsberatung und Anpassung der AGB aufwenden muss; Pressemitteilung v. 11.10.2011, IP/11/1175, S. 2; vgl. auch die Folgenabschätzung zum CESL, Impact Assessment, SEC (2011) 1165 final.

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§ 10  Verbraucherrecht

Vertragsgestaltung, war bislang nur Illusion. Eine Vollharmonisierung könnte dagegen – so die Hoffnung der Kommission – dafür sorgen, dass Transaktionskosten vermindert werden und damit zugleich die Bereitschaft der Unternehmen erhöht wird, im grenzüberschreitenden Handel tätig zu werden. Auch dem (aktiven) Verbraucher wird durch eine reine Mindestharmonisierung nicht umfassend geholfen, denn er kann nicht darauf vertrauen, bei Rechtsgeschäften außerhalb seines Wohnlandes im gleichen Maße wie zu Hause geschützt zu werden. Die Kommission variierte daher das Modell des „confident consumer“: Sollte das Verbrauchervertrauen nach früherem Verständnis durch Mindeststandards gefördert werden, so ging die Kommission nunmehr davon aus, dass der Verbraucher erwarte, überall in Europa gleiche Rechtspositionen zu genießen.34

IV. Die vierte Phase (2001 – ) Die Europäische Kommission setzte sich mit den angesprochenen Fragen intensiv auseinander und leitete im Jahre 2001 – beginnend mit dem Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union und der Mitteilung zum Europäischen Vertragsrecht – einen Konsultationsprozess ein, der sowohl um die Revision des Verbraucherrechts als auch um die allgemeine Frage kreist, wie das europäische Privatrecht kohärenter ausgestaltet und weiter harmonisiert werden könnte. 1. Revision des Europäischen Verbraucherrechts a) Die neue Strategie: Horizontaler Ansatz und Vollharmonisierung Mit dem im Oktober 2001 veröffentlichten Grünbuch zum Verbraucherschutz35 initiierte die Kommission eine breit angelegte Konsultation der Öffentlichkeit zur künftigen Ausrichtung des Verbraucherschutzes in der EU. Die im Grünbuch favorisierte neue Strategie unterschied sich von den Harmonisierungsbemühungen der Vergangenheit in zweifacher Hinsicht: Anstatt den bestehenden Regelungen noch weitere sektorspezifische Bestimmungen hinzuzufügen, erachtete die Kommission nunmehr die Schaffung einer Rahmenrichtlinie, die einige wenige Grundprinzipien formuliert und bei Bedarf durch sektorspezifische Regeln ergänzt werden kann, als zielführender.36 Die Kommission bezeichnet dieses Regelungsmodell (im Gegensatz zum bisherigen spezifischen bzw. vertikalen Ansatz) als sog. kombinierten bzw. horizontalen Ansatz. Die zweite Besonderheit, die den neuen Ansatz kennzeichnet, ist das Fehlen einer Mindestharmonisierungsklausel. Die im Jahre 2005 nach einem längeren Konsultationsprozess37 verabschiedete UGP-RL 2005/29 verwirklicht beide Anliegen. Anders als bisherige sektorale Richt34   Vgl. nur das Grünbuch zur Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz, KOM (2006) 744 endg., ABl. 2007 C 61/4, mit Hinweis auf das Special Eurobarometer Nr. 252, Consumer Protection in the Internal Market. Kritisch zu dieser Argumentation Micklitz, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law, 2009, S. 47, 53; Reich, ZEuP 2010, 7, 17 f.; Rott/Terryn, ZEuP 2009, 456, 461; Wilhelmsson, JCP 2004, 317 ff.; ders., ZEuP 2008, 225 ff. 35   Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union, KOM (2001) 531 endg. 36   Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union, KOM (2001) 531 endg., S. 13 ff. 37   Zur Entstehungsgeschichte Glöckner, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 17 Rn. 133 ff.

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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linien beschränkt sich der Anwendungsbereich der UGP-RL 2005/29 nicht auf bestimmte Produkte, Vertriebsformen oder Kommunikationsmedien. Vielmehr werden vom Grundsatz her38 sämtliche unlauteren Geschäftspraktiken erfasst, die dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten der Verbraucher wesentlich zu beeinflussen. Im Unterschied zu anderen Richtlinien zielt die UGP-RL 2005/29 zweitens nicht auf eine bloße Mindestharmonisierung. Die Richtlinie beabsichtigt vielmehr eine Vollharmonisierung der verbraucherschützenden lauterkeitsrechtlichen Regeln im Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern.39 Die Mitgliedstaaten dürfen daher das mit der Richtlinie etablierte Schutzniveau weder unter- noch überschreiten.40 b) Überprüfung des Verbraucherrechts Die Kommission hatte bereits in ihrem Grünbuch zum Verbraucherschutz angekündigt, dass flankierend zur Reform des Lauterkeitsrechts eine Überarbeitung der bestehenden Verbraucherschutzrichtlinien erfolgen könnte, um das Verbraucherrecht kohärenter zu gestalten.41 Dieses Vorhaben wurde in der Mitteilung „Verbraucherpolitische Strategie 2002 – 2006“42 weiter verfolgt und im Jahre 2004 in der Mitteilung „Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands“43 konkretisiert. Ursprünglich standen acht verbraucherschützende Richtlinien auf dem Prüfstand. Im Einzelnen handelte es sich um die vier Richtlinien, die im Jahre 2008 Bestandteil des Richtlinienvorschlags wurden (HWiRL 85/577; FARL 97/7, KaufRL 99/44 und Klausel-RL 93/13), sowie um die PRRL 90/314 (jetzt PRRL 2015/2302), die TSRL 94/47 (jetzt TSRL 2008/122), die Preisangaben-RL 98/6 und die UKlaRL 98/27 (jetzt UKlaRL 2009/22). Für jede dieser acht Richtlinien sollte untersucht werden, wie die Vorgaben des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten umgesetzt worden sind und inwieweit die Richtlinien den Verbraucherschutz- und Binnenmarktzielen in der Praxis gerecht werden. Die Kommission ließ deutlich erkennen, dass sie auch im Verbrauchervertragsrecht einen generellen Wechsel vom Konzept der sog. Mindestharmonisierung zur Vollharmonisierung erwägt.44 Eine von der Kommission in Auftrag gegebene Studie, das EC Consumer Law Compendium, analysierte daraufhin in einer breit angelegten 38

  Zu Ausnahmen Brömmelmeyer, GRUR 2007, 295 ff.   EuGH, Rs. C‑304/08 (Plus Warenhandelsgemeinschaft) Rn. 41 ff.; Rs. C‑540/08 (Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag) Rn. 30 ff.; Rs. C‑206/11 (Köck) Rn. 35 ff. Die Reichweite der Vollharmonisierung ist dennoch strittig; vgl. nur Sosnitza, WRP 2006, 1 ff. Ungeklärt ist insb., ob die Binnenmarktklausel (Art. 4 UGP-RL 2005/29) im vollständig angeglichenen Bereich eigenständige Bedeutung erlangt; hierzu Gamerith, WRP 2005, 391, 407 ff.; Stuyck/Terryn/van Dyck, CMLR 2006, 107, 117 ff.; Ohly, WRP 2006, 1401, 1408 ff.; Brömmelmeyer, GRUR 2007, 295 ff. 40   Das Konzept der Vollharmonisierung erstreckt sich freilich nur auf die Verhaltensgebote, nicht jedoch auf die Sanktionen. Diese bleiben nach der UGP-RL 2005/29, trotz proklamierter Vollharmonisierung, weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen; ausführlich infra, § 10 D.III.2. 41   Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union, KOM (2001) 531 endg., S. 14 42   Mitteilung „Verbraucherpolitische Strategie 2002 – 2006“, KOM (2002) 208 endg., S. 14 f. 43   Mitteilung „Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen“; KOM (2004) 651 endg., S. 3 – 5. 44   Vgl. die Kommissionsmitteilung aus dem Jahre 2004, KOM (2004) 651 endg., S. 4. Vgl. auch die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Annäherung des Zivil- und Handelsrechts der Mitgliedstaaten, ABl. C 140E/538, Nr. 12. 39

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§ 10  Verbraucherrecht

Untersuchung die Umsetzung der acht Richtlinien in sämtlichen Mitgliedstaaten.45 Auf dieser Grundlage veröffentlichte die Kommission im Februar 2007 zunächst ein Grünbuch zur Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz46, bis im Jahre 2008 ein Richtlinienvorschlag vorgelegt wurde. c) Der Richtlinienvorschlag aus dem Jahr 2008 Der von der Europäischen Kommission im Oktober 2008 vorgelegte Vorschlag für eine „Richtlinie über Rechte der Verbraucher“47 wollte das europäische Verbraucherrecht tiefgreifend verändern. Mit dem Richtlinienvorschlag sollten die HWiRL 85/577, die FARL 97/7, die KaufRL 99/44 sowie die Klausel-RL 93/13 in einem einzigen horizontalen Rechtsinstrument geregelt werden. Durch die Verschmelzung dieser Richtlinien sollten übergreifende Aspekte (wie z. B. die Begriffe „Verbraucher“ und „Gewerbetreibender“, die vorvertraglichen Informationspflichten sowie Widerrufsrechte) systematisch und kohärenter geregelt sowie Überschneidungen und Unstimmigkeiten zwischen den Richtlinien beseitigt werden. Gleichzeitig sollte das bisherige Konzept der Mindestharmonisierung nicht nur für Haustür- und Fernabsatzgeschäfte, sondern auch für die Haftung für vertragswidrige Verkaufsgüter und für die Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln aufgegeben werden. Der geplante Wechsel von der Mindest- zur Vollharmonisierung stieß nicht nur im Schrifttum,48 sondern auch in den Mitgliedstaaten,49 in der zuständigen Ratsarbeitsgruppe50 sowie später im Europäischen Parlament51 auf erhebliche Widerstände. Man befürchtete, dass eine Vollharmonisierung zu einer Reduzierung der nationalen Verbraucherschutzstandards führen würde. Daneben wurde die Sorge geäußert, dass die Mitgliedstaaten aufgrund der Vollharmonisierung die Möglichkeit verlieren, schnell und flexibel auf neue nationale Entwicklungen zu reagieren. Als besonders problematisch wurde die Vollharmonisierung schließlich für jene Bereiche bewertet, die – wie die KaufRL 99/44 – Kernbestandteile des Obligationenrechts betreffen. Viele Mit45   Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium, 2008. Parallel hierzu wurde eine Datenbank zum europäischen Verbraucherrecht aufgebaut: http://www.eu-consumer-law.org/index.html. 46   Grünbuch „Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“, KOM (2006) 744 endg., ABl. 2007 C 61/1. Hierzu Micklitz/Reich, VuR 2007, 121 ff.; Twigg-Flesner, ERCL 2007, 198 ff.; Heiderhoff/Kenny, ELRev. 2007, 740 ff. 47   Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher, KOM (2008) 614 endg. 48   Kritisch zum Konzept der Vollharmonisierung vor allem Howells/Wilhelmsson, ELRev. 2003, 370 ff.; Lilleholt, ERPL 2009, 335 ff.; Loos, ERPL 2010, 15 ff. (bzgl. KaufRL 99/44); V. Mak, ERPL 2009, 55, 65 ff.; Micklitz/Reich, CMLR 2009, 471, 474 ff., 517; Rott/Terryn, ZEuP 2009, 456, 462 f.; Smits, ERPL 2010, 5 ff.; Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff.; Whittaker, ERCL 2009, 223 ff.; sowie Ebers, InDret 2/2010, S. 1, 38 f. (bzgl. Klauselkontrolle). Positiv zum Richtlinienvorschlag dagegen Hondius, ERPL 2010, 103 ff. 49  Für Deutschland vgl. nur Zypries, ZEuP 2009, 225 ff.; für das Vereinigte Königreich: Government Response to the Consultation Document on the EU Proposals for a Consumer Rights Directive, July 2009, Nr. 29, abrufbar unter http://webarchive.nationalarchives.gov.uk/2009060900 3228/http://www.berr.gov.uk/files/file52168.pdf. 50   Der Richtlinienvorschlag wurde in der Ratsarbeitsgruppe in mehr als 60 Sitzungen unter sieben Präsidentschaften diskutiert; im Einzelnen Unger, ZEuP 2012, 270, 273 f. 51   Zwar begrüßten die federführenden Ausschüsse des Parlaments den neuen Ansatz der Vollharmonisierung; viele Abgeordnete befürchteten jedoch eine Herabsetzung ihrer jeweiligen Verbraucherschutzstandards; Schmidt-Kessel, GPR 2010, 129 f.; Unger, ZEuP 2012, 270, 274.

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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gliedstaaten, darunter Deutschland, hatten sich bei Umsetzung dieser Richtlinie dafür entschieden, die betreffenden Normen in systematischer Weise in die schuldrechtlichen Regelungen ihres Zivilgesetzbuchs zu integrieren.52 Eine solch überschießende Umsetzung ist indessen nur bei einer Mindestharmonisierung möglich. Bei einer Vollharmonisierung des Verbrauchsgüterkaufrechts wäre eine Integration unionsrechtlicher Vorgaben in das allgemeine Obligationenrecht nicht mehr möglich.53 Es käme in den Mitgliedstaaten zwangsläufig zu einer Aufsplitterung zwischen dem allgemeinen Obligationenrecht auf der einen Seite und dem Verbraucherrecht auf der anderen – eine Abspaltung, die letztlich einer Harmonisierung des allgemeinen Zivilrechts in Europa abträglich wäre. Ende 2010 gelang es der belgischen Ratspräsidentschaft schließlich, die Blockaden in der Ratsarbeitsgruppe zu überwinden, indem der Kommissionsvorschlag radikal verschlankt wurde. Zwar wurde weiterhin am Konzept der Vollharmonisierung festgehalten, die Kapitel zum Verbrauchsgüterkauf und zur Klauselkontrolle wurden jedoch ersatzlos gestrichen.54 d) Die neue VRRL 2011/83 Die am 12. Dezember 2011 in Kraft getretene Richtlinie 2011/83 über die Rechte der Verbraucher (VRRL 2011/83) enthält im Vergleich zum ursprünglichen Richtlinienvorschlag nur noch einen Torso.55 In der Richtlinie werden die Regelungen für außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossene Verträgen (zuvor: Haustürgeschäfte) und Fernabsatzgeschäfte zusammengeführt und nach dem Konzept der Vollharmonisierung geregelt (Art. 4). Das betrifft vor allem das verbraucherschützende Widerrufsrecht, das im Unterschied zu den Vorgänger-Richtlinien sehr viel ausführlicher geregelt worden ist (Art. 9 – 16), sowie die absatzspezifischen Informationspflichten (Art. 6) und formalen Anforderungen (Art.  7 – 8). Die VRRL 2011/83 statuiert ferner in Art. 5 erstmals eine allgemeine, von der Absatzform unabhängige Informationspflicht für alle Vertragstypen. Im Unterschied zu den absatzspezifischen Informationspflichten bleibt es für diesen Bereich allerdings beim Mindestharmonisierungsstandard (Art. 5 Abs. 4). Die VRRL 2011/83 stellt daneben einen rechtlichen Rahmen für Verträge über digitale Inhalte56 sowie eine Reihe von eigens auf den Telefon‑, Zahlungs- und elektronischen Geschäftsverkehr zugeschnittenen Schutzbestimmungen zur Verfügung.57 52

 Hierzu infra, § 10 B.V.3.   So die Kritik von Zoll, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law, 2009, S. 279 ff. 54   Council of the European Union, General Approach for Consumer Rights, 17.10.2010, Dok.Nr. 16933/10. 55  So Zöchling-Jud, AcP 212 (2012), 550, 553; vgl. auch Grundmann, JZ 2013, 53, 54 („dramatische Reduktion“); Weatherill, CMLR 2012, 1279 (Directive is „trivial in content“, „no charter of consumer rights“). 56   Die VRRL 2011/83 definiert erstmals den Begriff des digitalen Inhalts (Art. 2 Nr. 11) und sieht für diese spezielle Aufklärungspflichten vor; vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. g, h; Art. 6 Abs. 1 lit. r, s. Zu diesen und weiteren Regelungen Lehmann, CR 2012, 261 ff.; Unger, ZEuP 2012, 270, 299 – 302. 57   Vgl. Art. 19, 21 und 22 VRRL 2011/83. Die Regelungen betreffen vor allem die Preistransparenz, insbesondere Internet-Kostenfallen. 53

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Darüber hinaus enthält die Richtlinie Normen zur Lieferung (Fälligkeit) und zum Gefahrübergang – Regelungen, die der Sache nach auf eine Ergänzung der KaufRL 99/44 hinauslaufen. Sofern die Vertragsparteien keine abweichenden Vereinbarungen getroffen haben, muss der Unternehmer die Waren unverzüglich, jedoch nicht später als dreißig Tage nach Vertragsschluss liefern (Art. 18 Abs. 1). Liefert der Unternehmer die Waren nicht innerhalb einer vom Verbraucher zusätzlich bestimmten Frist, kann der Verbraucher vom Vertrag zurücktreten (Art. 18 Abs. 2). In diesem Fall hat der Unternehmer unverzüglich alle gemäß dem Vertrag gezahlten Beträge zurückzuerstatten (Art. 18 Abs. 3). Für den Versendungskauf stellt Art. 20 klar, dass der Unternehmer das Risiko für einen Verlust oder eine Beschädigung der Waren beim Transport solange trägt, bis der Verbraucher die Waren in Besitz genommen hat. Von der geplanten Revision des Verbraucheracquis ist damit wenig übrig geblieben. Dies gilt vor allem für die ursprünglich anvisierte Überarbeitung der KaufRL 99/44 und der Klausel-RL 93/13. Die Kommission setzte ihre Hoffnungen diesbezüglich ganz in das Gemeinsame Europäische Kaufrecht.58 2. Der akademische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen Die Überarbeitung des Verbraucherrechts steht in engem Zusammenhang mit den Aktivitäten der Kommission zur Harmonisierung des europäischen Vertragsrechts. Nachdem das Europäische Parlament in mehreren Entschließungen59 dazu aufgerufen hatte, mit den erforderlichen Vorbereitungsarbeiten zur Ausarbeitung eines einheitlichen europäischen Zivilgesetzbuches zu beginnen, und der Europäische Rat von Tampere im Jahre 199960 eine Evaluation gefordert hatte, ob die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes eine Zivilrechtsangleichung erfordere, veröffentlichte die Kommission im Juli 2001 zunächst eine Mitteilung zum Europäischen Vertragsrecht, in der verschiedene Optionen zur Schaffung eines europäischen Vertragsrechts zur Diskussion gestellt wurden.61 Die Mitteilung der Kommission fand im Rat, im Europäischen Parlament, in den Mitgliedstaaten sowie in Wissenschaft und Praxis reges Echo.62 Viele sprachen sich dafür aus, das geltende Gemeinschaftsrecht kohärenter zu gestalten und die Entwicklung des europäischen Vertragsrechts weiter voranzutreiben.

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  Tonner, VuR 2013, 443, 444.   Entschließungen des Europäischen Parlaments vom 26.6.1989, ABl. 1989 C 158/400, und vom 25.7.1994, ABl. 1994 C 205/518; dazu Remien, ZfRV 1995, 116, 120 ff. Siehe ferner die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16.3.2000, ABl. 2000 C 377/323, Punkt 28. 60   Europäischer Rat von Tampere, 15./16.10.1999, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, SI (1999) 800, Punkt 39. 61   Mitteilung der Kommission zum Europäischen Vertragsrecht, KOM (2001) 398 endg., ABl. 2001 C 255/1. 62   Siehe hierzu den Bericht des Rates vom 16.11.2001, 13017/01 JUSTCIV 12, die Resolution des Europäischen Parlaments vom 15.11.2001, A5-0384/2001, die von der Europäischen Kommission erstellte Zusammenfassung der eingegangenen Stellungnahmen, abgedruckt im Anhang des Aktionsplans, KOM (2003) 68 endg. (ABl. EG 2003 C 63/1), 30 ff., sowie Arroyo i Amayuelas/Vaquer Aloy, La Ley 2002, Nr. 5482; v. Bar/Lando/Swann, ERPL 2002, 183 ff.; Cámara Lapuente, ERA-Forum, 2002/2, 89 ff.; Grundmann, NJW 2002, 393 ff.; Leible, EWS 2001, 471 ff.; Schulze/Schulte-Nölke, in: dies. (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 11 ff.; Schwintowski, JZ 2002, 205 ff.; Staudenmayer, ERPL 2002, 249 ff.; Weatherill, EBLR 2002, 497 ff. 59

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

747

Die Kommission griff diese Forderungen im Februar 2003 mit ihrem Aktionsplan für ein „kohärenteres europäisches Vertragsrecht“63 auf und leitete damit zugleich eine neue Phase auf dem Weg zu einem europäischen Vertragsrecht ein. Der Aktionsplan schlug eine „Kombination aus nicht gesetzgeberischen und gesetzgeberischen Maßnahmen“ vor, die „darauf abzielen, die geltenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen auf dem Gebiet des Vertragsrechts stärker miteinander in Einklang zu bringen“.64 Zu diesem Zweck kündigte die Kommission an, „mit Hilfe von Forschung und aller interessierten Parteien“65 einen Referenzrahmen aufzustellen, der „gemeinsame Grundsätze und Begriffe im Bereich des europäischen Vertragsrechts festlegt“ und der „den Gemeinschaftsorganen helfen soll, eine kohärentere Ausgestaltung der geltenden und künftigen Gemeinschaftsvorschriften im Bereich des europäischen Vertragsrechts zu gewährleisten“.66 In den Folgejahren förderte die Europäische Kommission im Rahmen des sechsten Forschungsrahmenprogramms ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern, deren Aufgabe vor allem darin bestand, einen akademischen Vorentwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen (Draft Common Frame of Reference; DCFR) zu entwerfen.67 Zu den beteiligten Gruppen gehörte zum einen die Study Group on European Civil Code, die sich selbst als Nachfolger der Commission on European Contract Law (nach ihrem Begründer auch Lando-Kommission genannt) versteht. Die LandoKommission hatte bereits in den Jahren 1995, 2000 und 2003 auf rechtsvergleichender Basis „Grundregeln für ein Europäisches Vertragsrecht“ (Principles of European Contract Law; PECL) veröffentlicht.68 Hierauf aufbauend wurden von der Study Group weitere Grundregeln (Principles of European Law, PEL) für besondere Vertragsarten sowie außervertragliche Schuldverhältnisse, weite Teile des Mobiliarsachenrechts sowie Trusts erarbeitet.69 Zum anderen wirkte bei der Erstellung des akademischen Referenzrahmens die Research Group on EC Private Law (Acquis Group) mit. Die von der Gruppe veröffentlichten „Grundregeln des bestehenden Vertragsrechts der 63   Mitteilung der Kommission „Ein kohärenteres europäisches Vertragsrecht – Ein Aktionsplan“, KOM (2003) 68 endg. Hierzu v. Bar/Swann, ERPL 2003, 595 ff.; G.‑P. Calliess, German Law Journal 2003, 333 ff.; Fauvarque-Cosson, Le Dalloz 2003, no. 18, 1171; Gambaro, ERPL 2003, 768 ff.; Hesselink, ERPL 2004, 397 ff.; Heutger, ERPL 2003, 581 ff.; Lando, RIW 2005, 1 ff.; Schmidt-Kessel, RIW 2003, 481 ff.; Smits, Maastricht J. 2003, 111 ff.; Schulze, ERPL 2005, 3 ff.; Staudenmayer, EuZW 2003, 165 ff. Kritisch zum Aktionsplan Study Group on Social Justice in European Private Law, ELJ 2004, 653 ff.; Kenny, ELRev. 2003, 538 ff.. Weitere Stellungnahmen zum Aktionsplan im ERA-Forum 2003/3, 99 ff. 64   Aktionsplan, KOM (2003) 68 endg., Nr. 3. 65   Aktionsplan, KOM (2003) 68 endg., Einleitung. 66   Aktionsplan, KOM (2003) 68 endg., Nr. 59. 67   Neben der Study Group und der Acquis Group wirkten weitere Gruppen im Forschungsnetzwerk mit. So bestand etwa die Aufgabe der Project Group Restatement of European Insurance Contract Law darin, Grundregeln des Europäischen Versicherungsvertragsrechts zu entwerfen; Basedow/ Bird/Clarke/Cousy/Heiss (Hrsg.), Principles of European Insurance Contract Law (PEICL), 2009; dazu Ebers, ERPL 2010, 1037 ff. Zu den sonstigen Gruppen und ihren Aufgaben siehe http://www. copecl.org/. 68   Beale/Lando, The Principles of European Contract Law, Part 1, Performance, Non-Performance and Remedies, 1995; Lando/Beale, Principles of European Contract Law, Parts I and II, Combined and Revised, 2000; Lando/Clive/Prüm/Zimmermann, Principles of European Contract Law, Part III, 2003. 69   Für einen Überblick v. Bar, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Gemeinsame Referenzrahmen, 2009, S. 23, 26 ff.

748

§ 10  Verbraucherrecht

Europäischen Gemeinschaft“ (Acquis Principles; ACQP)70 basieren im Unterschied zu den von der Study Group erstellten PEL nicht auf einem rechtsvergleichenden Ansatz. Sie sind vielmehr der Versuch, das überwiegend inkohärente, weitgehend auf kaum miteinander abgestimmten Richtlinien beruhende Unionsprivatrecht zu systematisieren und anhand der ihm innewohnenden Prinzipien darzustellen.71 Die Erstellung des DCFR war durch großen zeitlichen Druck geprägt.72 Die Study Group und die Acquis Group veröffentlichten den DCFR bereits Anfang 2008 in einer vorläufigen Version73 und Anfang 2009 in der endgültigen Fassung.74 Im Oktober 2009 wurde sodann das über 6000seitige Gesamtwerk einschließlich comments und rechtsvergleichender notes publiziert.75 Die Endversion des DCFR geht weit über das von der Kommission anvisierte Vertragsrecht hinaus. Der DCFR ähnelt vielmehr einem (deutschen) Entwurf für ein europäisches Zivilgesetzbuch,76 allerdings ohne Verbraucherkreditrecht, Immobiliarsachenrecht, sowie ohne Familien- und Erbrecht. Der akademische Entwurf besteht aus mehreren, recht heterogenen Textmassen.77 Bücher II und III des DCFR basieren auf einer revidierten Version der PECL, die um die ACQP ergänzt worden sind. Die Bücher IV – X des DCFR beruhen dagegen ausschließlich auf den PEL. Lange Zeit war unklar, welchen rechtlichen Status der gemeinsame Referenzrahmen haben sollte. Die Verfasser des akademischen Referenzrahmens betrachten den DCFR als rein wissenschaftliches Ergebnis und wollen diesen strikt vom politischen CFR unterscheiden.78 Die Europäische Kommission bezeichnete den CFR wiederholt als eine „tool box“, eine Art Werkzeugkasten für die Interpretation des bestehenden Sekundärrechts und für die Ausarbeitung künftiger Gesetzgebungsakte.79 Von Anfang an stand außerdem die Idee zur Debatte, mit dem Referenzrahmen eine optionale Vertragsrechtsordnung zur Verfügung zu stellen, die die Parteien wählen können.80 70

  ACQP, 2009; deutsche Übersetzung in ZEuP 2012, 377 – 421.   Twigg-Flesner, GPR 2011, 54 ff., Zoll, GPR 2008, 106 ff.; kritisch Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1113 ff. 72  Hierzu Schulte-Nölke, in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, 2010, S. 131, 144 ff.; Doralt, RabelsZ 75 (2011), 260, 275 ff.; Riesenhuber, JZ 2011, 537, 539. 73   DCFR, Interim Outline Edition, 2008. 74   DCFR, Outline Edition, 2009. 75   DCFR, Full Edition, 2009. 76   Vgl. nur Lando, ERCL 2007, 245, 250 (logic of the DCFR is „borrowed from the German Civil Code“); Grundmann, ERCL 2008, 225, 246 (DCFR „is mainly a comparative law synthesis of traditional Codes, with a certain Germanic bias, supplemented by the rules taken from the acquis (and generalised)“); Ernst, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Gemeinsame Referenzrahmen, 2009, S. 55, 70 (DCFR als „ein ins Englische übertragenes BGB“). 77   Zu den unterschiedlichen „Textstufen“ des DCFR Zimmermann, EuZW 2009, 319, 320 f. Zum Aufbau des DCFR Zoll, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 1. Aufl., 2016, § 9 Rn. 54 ff. 78   v. Bar, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Gemeinsame Referenzrahmen, 2009, S. 23, 24 f.; SchulteNölke, in: Schulze (Hrsg.), Common Frame of Reference and Existing EC Private Law, 2. Aufl., 2009, S. 45, 46 ff.; Schulze, in: Schulze/v. Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 1, 10 ff. 79   Vgl. nur die Mitteilung „European Contract Law and the revision of the acquis: the way forward“, COM (2004) 651 final, S. 3 und Annex I. 80   Mitteilung der Kommission zum Europäischen Vertragsrecht, KOM (2001) 398 endg., ABl. 2001 C 255/11, Option IV, Nr. 66; Mitteilung der Kommission „Ein kohärenteres europäisches Ver71

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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Im Jahre 2010 wurde der DCFR auf Initiative der Europäischen Kommission durch eine von ihr eingesetzte Expertengruppe überarbeitet, deren Aufgabe darin bestand, den DCFR auf die Teile zurückzuführen, die für das Vertragsrecht relevant sind.81 Daneben wurden im Juni 2010 in einem weiteren Grünbuch82 insgesamt sieben Optionen zur Diskussion gestellt, die von einer bloßen Veröffentlichung bisheriger und laufender Arbeiten, bis hin zu einem optionalen europäischen Vertragsrecht in verschiedenen Ausgestaltungen und sogar einer gesamteuropäischen Kodifikation reichten. Die Kommission machte dessen ungeachtet deutlich, dass sie den Erlass eines optionalen Instruments klar favorisierte.83 Nachdem die Expertengruppe Anfang Mai 2011 ihre Arbeitsergebnisse in einer „feasibility study“ vorgelegt hatte,84 begann man in der Europäischen Kommission, auf der Grundlage dieser Machbarkeitsstudie einen Verordnungsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht auszuarbeiten. 3. Der Verordnungsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht Der von der Kommission am 11. Oktober 2011 veröffentlichte, mittlerweile zurückgezogene Vorschlag für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (Proposal for a Regulation on a Common European Sales Law; PR CESL)85 sollte es Unternehmen ermöglichen, sich beim Abschluss von grenzübergreifenden Kaufverträgen auf gemeinsame Vorschriften zu stützen und dieselben Vertragsbestimmungen zu verwenden (vgl. Art. 1 Abs. 2 PR CESL). Eine Harmonisierung sollte dabei nicht durch eine Änderung der bestehenden innerstaatlichen Vertragsrechte bewirkt werden, sondern durch Schaffung einer fakultativen zweiten Vertragsregelung86 in jedem Mitgliedstaat: Haben die Vertragsparteien eine gültige Vereinbarung über die Verwendung des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts für einen Vertrag getroffen, so sollte nur noch das in Anhang I des Verordnungsvorschlags geregelte Gemeinsame Europäische Kaufrecht (DCESL) für die darin geregelten Fragen maßgebend sein (Art. 11 PR CESL). Dies galt auch für zwingende Verbraucherschutzvorschriften. Der Vorschlag sollte einen „vollständigen Satz voll harmonisierter zwintragsrecht – Ein Aktionsplan“, KOM (2003) 68 endg., S. 27 f.; Mitteilung der Kommission „Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen“; KOM (2004) 651 endg., S. 9 f. und Anhang II. Auch im Schrifttum wurde ein optionales Instrument zunehmend favorisiert; vgl. z. B. Beale, ERCL 2007, 257, 269 ff.; Leible, BB 2008, 1469 ff.; SchulteNölke, ERCL 2007, 332 ff. 81   Beschluss 2010/233/EU der Kommission v. 26.4.2010 zur Einsetzung einer Expertengruppe für einen gemeinsamen Referenzrahmen im Bereich des europäischen Vertragsrechts, ABl. 2010 L 105/109. 82   Grünbuch „Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen“, KOM (2010) 348 endg. 83   Vgl. nur die Rede der zuständigen Kommissarin Reding vor dem Deutschen Anwaltsverein am 14.5.2010, auszugsweise wiedergegeben bei Riesenhuber, JZ 2011, 537, 541. 84   European Commission, A European contract law for consumers and businesses: Publication of the results of the feasibility study carried out by the Expert Group on European contract law for stakeholders’ and legal practitioners’ feedback, 2011, abrufbar unter http://ec.europa.eu/justice/contract/ files/feasibility_study_final.pdf. Dazu Lehmann, GPR 2011, 218 ff. 85   Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM (2011) 635 endg. 86   Zu dieser sog. einheitsrechtlichen Lösung im Unterschied zur kollisionsrechtlichen Lösung Busch, EuZW 2011, 655 ff.; Fornasier, RabelsZ 76 (2012), 401 ff.; Herresthal, ZIP 2011, 1347, 1349 ff.; Mankowski, RIW 2012, 97 ff.; Stürner, GPR 2011, 236 ff.

750

§ 10  Verbraucherrecht

gender Verbraucherschutzvorschriften“87 enthalten88 und zugleich vertragsrechtliche Sachverhalte regeln, die während des gesamten „Lebenszyklus“ eines Vertrags von praktischer Bedeutung sind.89 Der Verordnungsvorschlag wurde vom Europäischen Parlament am 26. Februar 2014 in erster Lesung zunächst positiv aufgenommen.90 Im Schrifttum und bei den Verbraucherverbänden stieß der Vorschlag dagegen auf geteiltes Echo. Als besonders problematisch erwies sich die Frage, ob die Verordnung – wie von der Kommission avisiert – auf Art. 114 AEUV oder auf die Abrundungskompetenz nach Art. 352 AEUV hätte gestützt werden können.91 Nachdem vier Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Österreich, Vereinigtes Königreich) im Wege der Subsidiaritätsrüge vorgegangen waren92 und die Justizminister mehrerer Staaten (Deutschland, Finnland, Frankreich, Niederlande, Österreich, Vereinigtes Königreich) in einem gemeinsamen Schreiben an die neue Justizkommissarin ihre Vorbehalte zum Ausdruck gebracht hatten,93 entschied sich die Kommission, den Vorschlag am 16.12.2014 zurückzuziehen. Gleichzeitig kündigte sie aber in ihrem Arbeitsprogramm für 2015 an, neue Vorschläge vorzulegen, „um das Potenzial des elektronischen Handels im digitalen Binnenmarkt voll zur Entfaltung zu bringen“.94 4. Die Legislativvorschläge zum digitalen Binnenmarkt Im Dezember 2015 veröffentlichte die Europäische Kommission sodann mehrere Legislativvorschläge, die darauf abzielen, einen europäischen Rechtsrahmen für den digitalen Binnenmarkt zu schaffen.95 Dazu zählen die Entwürfe für (i) eine Richtlinie über den Online-Warenhandel (im Folgenden: Onlinehandel-RL),96 (ii) eine Richtlinie über digitale Inhalte,97 sowie (iii) eine Verordnung zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten.98 87

  ErwGr (11) PR CESL.  Vertiefend Ebers, InDret 1/2012; ders., in: FS Schwintowski, 2012, S. 43 ff. 89   ErwGr (26) PR CESL. 90   Der Kommissionvorschlag wurde von der Mehrheit der Abgeordneten unterstützt (416 JaStimmen, 159 Nein-Stimmen, 65 Enthaltungen); European Commission, MEMO/14/137. 91   Vgl. die Kompetenzkritik von Basedow, EuZW 2012, 1 f.; Grigoleit, in: Remien/Herrler/Limmer (Hrsg.), Gemeinsames Europäisches Kaufrecht für die EU?, 2012, S. 67, 75 ff.; Ludwigs, EuZW 2012, 608 ff.; Riesenhuber, EWS 2012, 7 ff.; W.‑H. Roth, EWS 2012, 12 ff. Für Art. 114 AEUV als geeignete Kompetenzgrundlage dagegen Micklitz/Reich, EUI Working Papers, Law 2012/04, S. 4 ff.; Moser, in: Remien/Herrler/Limmer (Hrsg.), a. a. O., S. 7, 10 f. Für Art. 352 AEUV Herresthal, EuZW 2011, 7, 9. 92  Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 26.2.2014, Dokument P7_ TA (2014) 0159, 4.  Spiegelstrich. Für Deutschland: Stellungnahme gem. Protokoll Nr. 2 zum EUV und zum AEUV, BT‑Drucks. 17/8000 mit BT‑Plenarprotokoll 17/146, S. 17507 D. 93   Abgedruckt in ZEuP 2015, 433 ff. 94  Mitteilung der Kommission, Arbeitsprogramm der Kommission 2015, Ein neuer Start, COM (2014) 910 final, Annex 2, S. 13. 95   Vgl. hierzu auch die Mitteilung der Komission, Ein modernes Vertragsrecht für Europa – Das Potenzial des elektronischen Handels freisetzen, COM (2015) 633 endg. 96   Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren, COM (2015) 635 final. 97   Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte, COM (2015) 634 final. 98   Vorschlag für eine Verordnung zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt, COM (2015) 627 final. 88

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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Besondere Bedeutung kommt im vorliegenden Kontext dem Richtlinienvorschlag für den Onlinehandel zu, der im Fernabsatz geschlossene B2C-Kaufverträge erfassen soll.99 Im Unterschied zum DCESL strebt die Onlinehandel-RL nicht mehr an, den gesamten „Lebenszyklus“ eines Vertrags zu regeln. Stattdessen konzentriert sich der Vorschlag auf Regelungen zur Vertragsmäßigkeit von Waren, auf die Rechte des Käufers (Verbrauchers) bei Vertragswidrigkeit und einige damit verwandte Aspekte, also auf Bereiche, die bereits jetzt durch die KaufRL 99/44 harmonisiert worden sind. Während die KaufRL 99/44 dem Prinzip der Mindestharmonisierung folgt, basiert die Onlinehandel-RL allerdings auf dem Konzept der Vollharmonisierung.100 Sollte die Onlinehandel-RL in Kraft treten, gäbe es daher künftig zwei verschiedene Kaufrechtsordnungen: Für die im normalen Ladengeschäft abgeschlossenen Kaufverträge gälte weiterhin die auf dem Prinzip der Mindestharmonisierung beruhende KaufRL 99/44.101 Im Fernabsatz geschlossene Kaufverträge unterlägen dagegen den vollharmonisierenden Regelungen der Onlinehandel‑RL. Diese Harmonisierungsstrategie ist kaum einsichtig. Sie führt zu einer Privilegierung der Fernabsatzbranche im Vergleich zum klassischen Warenvertrieb.102 Auch die angestrebte Senkung von Transaktionskosten dürfte kaum erreicht werden. Einerseits weist der Richtlinienvorschlag einen derart begrenzten Regelungsbereich auf, dass für sonstige kaufrechtliche Fragen doch wiederum auf nicht harmonisiertes mitgliedstaatliches Recht zurückgegriffen werden müsste. Andererseits ergäben sich für Unternehmen, die sowohl im Fernabsatz als auch im klassischen Handel tätig sind, zusätzliche Transaktionskosten.103 Schließlich ist zu bezweifeln, ob der Richtlinienvorschlag tatsächlich zu einer „Stärkung des Verbauchervertrauens“104 in den Online-Handel führt. Da den Mitgliedstaaten die Möglichkeit belassen wird, für das klassische Ladengeschäft ein gegenüber der KaufRL 99/44 höheres Verbraucherschutzniveau beizubehalten, könnte es durchaus sein, dass dem Verbraucher bei Erwerb einer Ware im Fernabsatz weniger Rechte zustehen als bei einem Erwerb im klassischen Vertrieb.105 Insgesamt betrachtet dürfte der Vorschlag für eine Onlinehandel-RL eher zu einer weiteren Fragmentierung der kaufrechtlichen Rechtsbehelfe als zu größerer Kohärenz führen.106

 99

  Vgl. 1 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags.   Vgl. Art. 3 des Richtlinienvorschlags. 101   Vgl. Art. 19 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags. 102   Maultzsch, JZ 2016, 236, 238. 103   Maultzsch, JZ 2016, 236, 238. 104   Vgl. ErwGr (3) und (7) des Richtlinienvorschlags. 105   Maultzsch, JZ 2016, 236, 238. 106   So auch die Einschätzung von Smits, The new proposal for harmonised rules for the online sales of tangible goods: conformity, lack of conformity and remedies, Study für den JURI-Ausschuss des Europäischen Parlaments, 2016, PE 536.492, S. 8 und 16. Nach Schmidt-Kessel/Erler/Grimm/ Kramme, GPR 2016, 2, 3, werden Kohärenzprobleme dadurch verstärkt, dass die Kommission nicht das Instrument der Verordnung, sondern das der Richtlinie gewählt hat. Positiv zu den Richtlinienvorschlägen dagegen Wendtland, EuZW 2016, 126, 131. 100

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§ 10  Verbraucherrecht

V. Gegenwärtiger Bestand des Verbraucherrechts Nachdem die Entwicklung des europäischen Verbraucherrechts nachgezeichnet wurde, gilt es einen Blick auf den erreichten Besitzstand im europäischen Verbraucherrecht (1.) sowie ganz allgemein im Europäischen Privatrecht (2.) zu werfen. Für die weitere Analyse der Rechtsfolgen ist ferner von Interesse, welche Umsetzungstechniken die Mitgliedstaaten bei Integration verbraucherschützender Vorgaben in die nationalen Rechtsordnungen verwendet haben (3.). 1. Europäisches Verbraucherrecht a) Verbraucherrecht als Rechtsgebiet Häufig werden die Begriffe „Verbraucher“ und „Verbraucherrecht“ in der politischen, teils aber auch in der rechtswissenschaftlichen Diskussion in einem sehr weiten Sinne verwendet.107 Das Verbraucherrecht lässt sich als eigenständiges Rechtsgebiet indessen nur erfassen, wenn ein enges Begriffsverständnis zugrunde gelegt wird.108 Zu weit führt es daher, wenn der Schutz der Umwelt,109 die Rechte der Arbeitnehmer110 oder gar das Mietrecht111 zum Verbraucherrecht gezählt werden. Das Unionsrecht verfolgt mit verbraucherschützenden Normen ein spezifisches Konzept, das sich in zahlreichen Rechtsakten und in der Rechtsprechung des EuGH zusehends konkretisiert hat. Der Einzelne handelt in seiner Funktion als „Verbraucher“ gerade nicht als Umweltbetroffener, Arbeitnehmer oder Mieter, sondern in einer rechtlich wie auch soziologisch festgelegten Rolle. Der Umstand, dass sich im Unionsrecht kein allumfassender einheitlicher Verbraucherbegriff herausgebildet hat, erschwert eine Systembildung. Das Primärrecht spricht den Verbraucherschutz in unterschiedlichen Zusammenhängen an,112 ohne diesen Begriff näher zu bestimmen. Im europäischen Sekundärrecht hat der Begriff des Verbrauchers dagegen mittlerweile klare Konturen gewonnen. Sämtliche verbraucherschützenden Richtlinien auf vertragsrechtlichem Gebiet setzen voraus, dass der Verbraucher (i) eine natürliche Person ist, die (ii) zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit liegt.113 Auch das internationale Zivilprozessrecht (Art. 17 Abs. 1 Brüssel I-VO 1215/2012) sowie das internationale Kollisionsrecht (Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO 593/2008) folgen dieser Definition. 107   Daraus erklärt sich der kritische Einwand, ein Verbraucherbegriff als übergreifender Rechtsbegriff existiere nicht; vgl. nur Dreher, JZ 1997, 167 ff. 108   So auch Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 117 f. 109   Zu den Unterschieden zwischen Verbraucher- und Umweltrecht Wilhelmsson JCP 1998, 45, 50 ff. 110   Zu einer Verschränkung zwischen Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz kommt es vor allem im deutschen Recht, da § 13 BGB auch Arbeitnehmer erfasst; vgl. BAG NJW 2005, 3305 (zur Klauselkontrolle); zurückhaltend BAG NJW 2004, 2401 (zum Widerrufsrecht von Arbeitsverträgen nach § 312 BGB). Ob der sekundärrechtlich fixierte Verbraucherbegriff auch Arbeitnehmer umfasst, ist demgegenüber ungeklärt; dafür Faber, ZEuP 1998, 854, 872 f., dagegen Mohr, AcP 204 (2004), 660, 671. 111   Vgl. nur Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 24 (soziales Mietrecht als Verbraucherrecht „besonderer Art“). 112   Siehe Art. 4 Abs. 2 lit. f, 12, 101 Abs. 3, 102 UAbs. 2 lit. b, 107, 169 AEUV, Art. 38 GRC. Vgl. auch Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, 2004, S. 105. 113   Im Einzelnen Ebers, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 453 ff.

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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Kennzeichnend für das europäische Verbraucherrecht ist, dass sich das Unionsrecht einer Standardisierung bzw. Typisierung bedient.114 Jede natürliche Person kann – ohne Rücksicht auf ihren intellektuellen oder ökonomischen Status – Verbraucher sein, wenn sie zu privaten Zwecken handelt. Unerheblich ist, ob der Verbraucher im Einzelfall schutzbedürftig ist. Wie der EuGH bereits in Benincasa115 klargestellt hat, bemisst sich die Verbrauchereigenschaft „nach der Stellung dieser Person innerhalb des konkreten Vertrages in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht nach der subjektiven Stellung dieser Person“. Verbraucherschützende Rechtsbehelfe wie z. B. Widerrufsrechte können daher in Anspruch genommen werden, wenn der objektive Tatbestand der Verbraucherdefinition erfüllt ist, ohne dass nachgewiesen werden muss, dass die Person vom Gewerbetreibenden manipuliert worden ist.116 Die Verbrauchereigenschaft ist nicht nur wirtschaftlich schwachen oder sonst benachteiligten Personen vorbehalten. Verbraucherschützende Normen kommen selbst dann zur Anwendung, wenn die betreffende Person über eine erhebliche Geschäftserfahrung verfügt.117 Umgekehrt werden gewerblich Handelnde durch das europäische Verbrauchervertragsrecht selbst dann nicht geschützt, wenn sie über wenig Geschäftserfahrung verfügen oder atypische Geschäfte tätigen.118 Entscheidend ist somit allein der Zweck des konkret abgeschlossenen Rechtsgeschäfts. Ist dieser privater Natur, so wird unter abstrakter Betrachtung verbraucherprivatrechtlicher Schutz ausgelöst. Dahinter steht die Überlegung, dass der Verbraucher dem Unternehmer strukturell unterlegen ist. Verbraucherschutzinstrumente sind gesetzliche Fälle unwiderleglich vermuteter struktureller Unterlegenheit einer Partei.119 Sie greifen korrigierend ein, indem sie die materielle Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers zu erhöhen versuchen. Die dem Verbraucherrecht zugrunde liegende Typisierung und Abstraktion verstärkt zugleich die Effektivität der Rechtsdurchsetzung.120 Überindividuelle Rechtsbehelfe und öffentlich-rechtliche Sanktionen setzen keine einzelfallbezogene Untersuchung des Pflichtenverstoßes voraus; sie können bereits dann greifen, wenn festgestellt wird, dass ein Unternehmer bei Geschäften in dem abstrakt bezeichneten Bereich seinen Pflichten nicht nachkommt. Die Typisierung der Schutzbedürftigkeit schließt andererseits nicht aus, dass bei Anwendung verbraucherschützender Normen unterschiedliche Verbraucherleitbilder zugrunde gelegt werden können. Insbesondere im Lauterkeitsrecht ist anerkannt, dass der Rekurs auf den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher (average consumer)121 nicht als starres Schutzkonzept zu 114  Zu den Vor- und Nachteilen dieser Typisierung Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S.  1132 – 1148; kurz auch Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, 2004, S. 130 – 131. 115   EuGH, Rs. C‑269/95 (Benincasa) Rn. 16. 116   EuGH, Rs. C‑423/97 (Travel Vac) Rn. 43; Rs. C‑229/04 (Crailsheimer Volksbank) Rn. 44. 117   EuGH, Rs. C‑110/14 (Costea). Dazu Schürnbrand, GPR 2016, 19 ff. 118   EuGH, Rs. C‑361/89 (Di Pinto) Rn. 15. 119   Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S. 1133 (zu verbraucherschützenden Widerrufsrechten). 120   Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S. 268; ebenso GA Cruz Villalón, SchlA, Rs. C‑110/14 (Costea) Rn. 30. 121  Zu diesem Leitbild i. R. d. Grundfreiheiten EuGH, Rs. C‑220/98 (Estée Lauder Cosmetics) Rn. 27 f.; für das Sekundärrecht EuGH, Rs. C‑210/96 (Gut Springenheide und Tusky) Rn. 31; Rs. C‑44/01 (Pippig Augenoptik) Rn. 55; Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 74. Zum hiervon abweichenden Verbraucherleitbild bei der Rechtsdurchsetzung supra, § 4 C.III.2.f.

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§ 10  Verbraucherrecht

verstehen ist, sondern unter Berücksichtigung „sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren“ erfolgen muss.122 Darüber hinaus schützt das Unionsrecht in besonderen Sachlagen auch denjenigen, der aufgrund besonderer Eigenschaften oder Umstände besonders schutzbedürftig bzw. verletzlich ist (vulnerable consumer).123 b) Systematik des europäischen Verbraucherrechts Das europäische Verbraucherrecht lässt sich in systematischer Hinsicht in einen allgemeinen Teil, einen besonderen Teil und in Rechtsdurchsetzungsregeln einteilen.124 aa) Allgemeiner Teil Zum allgemeinen Teil zählen diejenigen Sekundärrechtsakte, die prinzipiell auf alle Geschäftspraktiken oder sämtliche Verträge im B2C-Bereich Anwendung finden, ohne dass spezifische Vorgaben für besondere Vertragstypen definiert werden. Für das Lauterkeitsrecht etabliert die UGP-RL 2005/29 einen allgemeinen, vollharmonisierten Rechtsrahmen, der vom Grundsatz her sämtliche Geschäftspraktiken erfasst, die dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten von Verbrauchern wesentlich zu beeinflussen. Vom Anwendungsbereich der Richtlinie sind nur solche nationalen Rechtsvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken ausgeschlossen, die „lediglich“ die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern schädigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen.125 Ergänzend hierzu treten sektorspezifische Richtlinien, die ebenfalls den Schutz der Lauterkeit des Wettbewerbs im B2C-Bereich bezwecken.126 Für das Verbrauchervertragsrecht ist an erster Stelle die Klausel-RL 93/13 anzuführen, die querschnittartig nahezu sämtliche Verträge erfasst und eine Inhalts- und Transparenzkontrolle für nicht im Einzelnen ausgehandelte Klauseln in Verbraucherverträgen vorsieht. Die VRRL 2011/83 statuiert darüber hinaus allgemeine Informationspflichten, die bei sämtlichen von der Richtlinie erfassten B2C-Verträgen zu beachten sind.127 Weitere Richtlinien stellen auf besondere Vertriebsformen oder Absatzwege ab. Sie greifen nur dann, wenn der Vertrag in einer besonderen Art und Weise angebahnt bzw. 122

  EuGH, Rs. C‑220/98 (Estée Lauder Cosmetics) Rn. 29; ErwGr (18) UGP-RL 2005/29.   Für die Grundfreiheitenrechtsprechung vgl. EuGH, Rs. 382/87 (Buet) Rn. 13 ff.; Rs. C‑441/04 (A‑Punkt Schmuckhandel) Rn. 29. Für das Sekundärrecht ErwGr (18), Art. 5 Abs. 3 UGP-RL 2005/29; hierzu Weatherill, in: Weatherill/Bernitz (Hrsg.), EC Directive 2005/29, 2007, S. 115 ff. Vgl. ferner ErwGr (34) VRRL 2011/83. Für die Universaldienstleistungs-Richtlinien Micklitz, EUI Working Paper Law 2009/12. Kritisch Waddington, Maastricht Faculty of Law Working Paper 2013 – 2, mit der Forderung, dass die Rechte verletzlicher Verbraucher stärker im EU‑Sekundärrecht geschützt werden sollten. Vgl. auch die Entschließung des Europäischen Parlaments v. 22.5.2012 zu einer Strategie zur Stärkung der Rechte schutzbedürftiger Verbraucher (2011/2272 (INI)), ABl. 2013 C 264 E/11. 124   Wie hier, wenngleich einen weiteren Verbraucherbegriff zugrunde legend, Micklitz, in: 69. DJT, Bd. 1, 2012, A 17 f. 125   ErwGr (6) UGP-RL 2005/29; EuGH, Rs. C‑540/08 (Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag) Rn. 21; Rs. C‑206/11 (Köck) Rn. 30. 126   Vgl. insb. Preisangaben-RL 98/6; Nährwertkennzeichnungs-RL 90/496; Lebensmittel-Etikettierungs-RL 2000/13; Lebensmittel-Basis-VO 178/2002; Nahrungsergänzungsmittel-RL 2002/46; Health Claims-VO 1924/2006; Humanarzneimittel-RL 2001/83; Kosmetik-VO 1223/2009; Kosmetik-Claims-VO 655/2013; Tabakwerbe-RL 2003/33; RL 2010/13 über audiovisuelle Mediendienste. Die genannten Rechtsakte stellen teils auf den „Verbraucher“, teils auf den „Endverbraucher“ ab. 127   Art. 5 VRRL 2011/83. 123

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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abgeschlossen wird. Dazu zählen die HWiRL 85/577 und die FARL 97/7, die beide durch die VRRL 2011/83 aufgehoben worden sind,128 sowie die FDL-FARL 2002/65 und die ECRL 2000/31. Zwar ist der Schutzbereich der ECRL 2000/31 weiter gefasst, da grundsätzlich sämtliche natürlichen oder juristischen Personen, die zu beruflichen oder sonstigen Zwecken einen Dienst der Informationsgesellschaft in Anspruch nehmen, als „Nutzer“ geschützt werden.129 Handelt eine natürliche Person als „Verbraucher“, so sind die in der Richtlinie vorgesehenen Informationspflichten sowie die bei Abgabe einer Bestellung geltenden Regeln aber nicht mehr dispositiv, sondern zwingend.130 bb) Besonderer Teil Der besondere Teil des europäischen Verbraucherrechts definiert Vorgaben für spezifische Vertragstypen. Dazu zählen die KaufRL 99/44, die durch Vorschriften zum Leistungszeitpunkt und zum Gefahrübergang durch die VRRL 2011/83 ergänzt wird,131 die TSRL 2008/122, die VerbrKrRL 2008/48 sowie die Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. Daneben ist auch die PSD I 2007/64 (jetzt PSD II 2015/2366) zu nennen, die grundsätzlich alle Zahlungsdienstnutzer132 schützt, im B2C-Bereich jedoch zwingend ist.133 Die Dienstleistungs-RL 2006/123 kann demgegenüber nicht zum Verbraucherprivatrecht gerechnet werden. Abgesehen davon, dass das Privatrecht nur am Rande berührt wird,134 schützt die Richtlinie als „Dienstleistungsempfänger“ jede Person, die für berufliche oder andere Zwecke eine Dienstleistung in Anspruch nimmt oder in Anspruch nehmen möchte.135 Auch die Produkthaftungs-RL 85/374 kann nicht als Teil des europäischen Verbraucherrechts im engeren Sinne betrachtet werden.136 Sie schützt grundsätzlich alle potentiellen oder tatsächlichen Opfer, soweit Gefährdungen an Leib, Leben und Gesundheit zu befürchten sind, ohne dass es darauf ankäme, ob die geschädigte Person zu gewerblichen oder privaten Zwecken handelt. Eine Differenzierung erfolgt allein auf der Rechtsfolgenseite dahingehend, dass Sachschäden nur dann ersatzfähig sind, sofern die betroffene Sache gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt ist und von dem Geschädigten auch hauptsächlich zum privaten Gebrauch oder Verbrauch verwendet worden ist.137 128   Die vertriebsspezifischen Regeln der HWiRL 85/577 und FARL 97/7 finden sich nunmehr in geänderter Form in Art. 6 – 16 VRRL 2011/83. 129   Art. 2 lit. d ECRL 2000/31; vgl. auch ErwGr (20). 130   Art. 10 Abs. 1 – 2, Art. 11 Abs. 1 – 2 ECRL 2000/31. 131   Vgl. Art. 17, 18 und 20 VRRL 2011/83. 132   „Zahlungsdienstnutzer“ ist nach Art. 4 Abs. 10 PSD I 2007/64 „eine natürliche oder juristische Person, die einen Zahlungsdienst als Zahler oder Zahlungsempfänger oder in beiden Eigenschaften in Anspruch nimmt“. 133   Näher zum persönlichen Anwendungsbereich der einzelnen Vorschriften Roppo, in: Roppo/ Cafari Panico/Delle Monache (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im europäischen Vertrags- und Gesellschaftsrecht, 2010, S. 3, 15 ff. 134   Zu den vertragsrechtlich relevanten Regelungen der Dienstleistungs-RL 2006/123 gehören vor allem die Informationspflichten; vgl. Ackermann, ZEuP 2009, 230, 257 ff.; Schauer, ERCL 2008, 1 ff.; Schmidt-Kessel, GPR 2008, 63 ff. 135   Art. 4 Nr. 3 Dienstleistungs-RL 2006/123. Dennoch fügt Art. 42 Dienstleistungs-RL 2006/123 die Richtlinie in den Anhang der UKlaRL 2009/22 ein. 136   Staudenmayer, RIW 1999, 733, 736; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, 2004, S. 109. 137   Art. 9 S. 2 lit. b Produkthaftungs-RL 85/374.

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§ 10  Verbraucherrecht

cc) Rechtsdurchsetzung Für die individuelle Rechtsdurchsetzung sind vor allem die ADR-RL 2013/11, die ODR-VO 524/2013 sowie die verbraucherschützenden Vorschriften im internationalen Zivilprozessrecht (Art. 17, 18 Brüssel I-VO 1215/2012) und internationalen Privatrecht (Art. 6 Rom I-VO 593/2008) relevant. Daneben sind die verstreuten sektoralen IPR-Vorschriften des europäischen Richtlinienrechts zu beachten (Art. 23 Rom I-VO 593/2008).138 Fragen der kollektiven Rechtsdurchsetzung werden in der UKlaRL 2009/22 geregelt, die auf einer Reihe verbraucherrechtlicher Richtlinien „aufsattelt“, indem sie „qualifizierten Einrichtungen“ zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher139 einen Anspruch bzw. ein Klagerecht auf Unterlassung von Verstößen gegen die in Anhang I aufgezählten Richtlinien gewährt. Regelungen zu den kollektiven Rechtsbehelfsmöglichkeiten finden sich vereinzelt auch in anderen Richtlinien, so beispielsweise in Art. 11 UGP-RL 2005/29, in Art. 7 Klausel-RL 93/13 sowie in Art. 23 Abs. 2 VRRL 2011/83. Flankierend hierzu regelt die CPC-VO 2006/2004 die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Verbraucherschutzbehörden bei grenzüberschreitenden Verstößen. Die Kommission hat darüber hinaus im Jahre 2011 einen Konsultationsprozess zu kollektiven Rechtsschutzverfahren eingeleitet140 und im Jahre 2013 in einer Empfehlung „Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten“ veröffentlicht.141 2. Europäisches Privatrecht jenseits des Verbraucherrechts Neben dem Verbraucherrecht im engeren Sinne sind im europäischen Sekundärrecht weitere Rechtsakte zu finden, die ein abweichendes Schutzkonzept zugrunde legen. Besonders ausgeprägt ist dieses im europäischen Reiserecht (a.), im europäischen Finanzdienstleistungsrecht (b.) sowie bei Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (c.). Vereinzelt sind auch Rechtsakte anzutreffen, die reine B2B-Verträge regeln (d.). a) Europäisches Reiserecht Zu den Sekundärrechtsakten auf vertragsrechtlichem Gebiet, die nicht nur Verbraucher schützen, zählen zunächst diejenigen Rechtsakte, die zum Schutz von Reisenden 138   IPR-Vorschriften finden sich vor allem in Art. 6 Abs. 2 Klausel-RL 93/13, Art. 12 Abs. 2 FARL 97/7; Art. 7 Abs. 2 KaufRL 99/44; Art. 12 Abs. 2 FDL-FARL 2002/65; Art. 22 Abs. 4 VerbrKrRL 2008/48; Art. 12 Abs. 2 TSRL 2008/122. Näher zum Verhältnis zwischen IPR-Vorgaben in Richtlinien und der Rom I-VO 593/2008 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 531; W.‑H. Roth, in: FS Spellenberg, 2010, S. 309, 314 ff. 139   Unter Kollektivinteressen sind nach ErwGr (3) UKlaRL 2009/22 „die Interessen zu verstehen, bei denen es sich nicht um eine Kumulierung von Interessen durch einen Verstoß geschädigter Personen handelt“. Es geht mit anderen Worten um überindividuelle bzw. diffuse Interessen. 140  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Öffentliche Konsultation, Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, SEK (2011) 173 endg. 141   Empfehlung der Kommission, Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl. 2013 L 201/60.

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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erlassen worden sind und die sich mittlerweile zu einem europäischen Reiserecht verdichtet haben.142 Die PRRL 90/314 verwendete zwar irreführender Weise den Begriff des „Verbrauchers“. Hierunter verstand die Richtlinie jedoch nicht die zu privaten Zwecken handelnde Person, sondern schlichtweg jede Person, welche die Pauschalreise bucht („der Hauptkontrahent“), eine Person, in deren Namen der Hauptkontrahent sich zur Buchung der Pauschalreise verpflichtet („die übrigen Begünstigten“), oder eine Person, der der Hauptkontrahent oder einer der übrigen Begünstigten die Pauschalreise abtritt („der Erwerber“).143 Nach der Richtlinie wurde dementsprechend auch derjenige geschützt, der eine Reise zu gewerblich-beruflichen Zwecken abschließt.144 Auch die neue PRRL 2015/2302 schützt Geschäftsreisende; ausgenommen werden lediglich Reisen, die auf der Grundlage eines Rahmenvertrags über die Erbringung von Geschäftsreisen gebucht werden (Art. 2 Abs. 2 lit. c). Die europäischen Passagierrechte-Verordnungen, also die FluggastrechteVO 261/2004, die Eisenbahn-Fahrgastrechte-VO 1371/2007, die Schifffahrt-Fahrgastrechte-VO 1177/2010 sowie die Busverkehr-Fahrgastrechte-VO 181/2011, knüpfen an die Kategorie des Fahr- bzw. Fluggasts an. Diese Begriffe werden in den genannten Verordnungen nicht ausdrücklich definiert. Aus den betreffenden Vorschriften erschließt sich jedoch, dass damit diejenigen Personen gemeint sind, die aufgrund eines Beförderungsvertrags Flugzeug, Eisenbahn, Schiff oder Bus nutzen, ohne dass es auf eine etwaige Privatnützigkeit des Reisezwecks ankommt.145 Dahinter steht die Überlegung, dass der Fahrgast – unabhängig davon, ob er Verbraucher ist oder nicht, – die schwächere Partei eines Beförderungsvertrags ist.146 b) Europäisches Finanzdienstleistungsrecht Im Bereich der Finanzdienstleistungen verfolgt das Unionsrecht ebenfalls ein abweichendes Konzept. Zwar schützen einige Richtlinien, wie etwa die FDL-FARL 2002/65, die VerbrKrRL 2008/48 und die Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17, allein Verbraucher. Der Großteil der im Bereich der Finanzdienstleistungen ergangenen Rechtsakte legt den persönlichen Anwendungsbereich demgegenüber nach anderen Kriterien fest. Geschützt wird nicht der zu privaten Zwecken handelnde Verbraucher, sondern der „Anleger“, „Kunde“ oder der „Versicherungsnehmer“. Eine Differenzierung erfolgt dabei nicht nach der Zweckrichtung des Geschäfts, sondern nach der Professionalität des jeweiligen Kunden und/oder dem Transaktionsvolumen. 142   Zur Systematik des europäischen Reiserechts Karsten, in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, 2010, S. 201 ff.; ders., JCP 2007, 117 ff. Vgl. auch European Consumer Law Group, Protecting the Rights of Passengers and Holidaymakers, ECLG/039/05-February 2005, S. 21 ff., mit dem Vorschlag, sämtliche das Reiserecht betreffenden Normen in einem einzigen Rechtsakt zusammenzufassen. Auch die Kommission betrachtet das europäische Reiserecht mittlerweile im Zusammenhang; Mitteilung der Kommission, Stärkung der Rechte von Reisenden in der Europäischen Union, KOM (2005), 46 endg. 143   Art. 2 Abs. 4 PRRL 90/314. 144   Vgl. auch BGH, NJW 2002, 2238 (Incentive). 145   Karsten, VuR 2008, 201, 205 ff.; Lindner/Tonner, GPR 2011, 86, 93 f. 146   Vgl. ErwGr (3) Eisenbahn-Fahrgastrechte-VO 1371/2007; ErwGr (2) Schifffahrt-Fahrgastrechte-VO 1177/2010; ErwGr (2) Busverkehr-Fahrgastrechte-VO 181/2011.

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§ 10  Verbraucherrecht

Insbesondere im europäischen Kapitalmarktrecht dominiert das Konzept des Anlegerschutzes.147 Mit dem in zahlreichen Richtlinien verwendeten Begriff des Anlegers bezeichnet das Unionsrecht regelmäßig die Marktgegenseite der Wertpapierfirma bzw. des Kreditinstituts. Als Anleger kann sowohl das Kollektiv als auch der Anleger in seiner Rolle als Vertragspartner gemeint sein. Eine ausdrückliche Definition des Anlegerbegriffs findet sich in Art. 1 Nr. 4 AnlegerentschädigungsRL 97/9. „Anleger“ ist hiernach „eine Person, die einer Wertpapierfirma im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften Gelder oder Instrumente anvertraut hat“. In manchen Richtlinien wird der Anleger auch als „Kunde“ bezeichnet – ein Begriff, der in Art. 4 Abs. 1 Nr. 10 MiFID I 2004/39 (jetzt Art. 4 Abs. 1 Nr. 9 MiFID II 2014/65) konkretisiert wird: Kunde ist „jede natürliche oder juristische Person, für die eine Wertpapierfirma Wertpapierdienstleistungen und/oder Nebendienstleistungen erbringt.“ Im Unterschied zum Verbraucherrecht erfasst das Kapitalmarktrecht als Anleger gleichermaßen natürliche wie juristische Personen, unabhängig davon, ob sie privat oder gewerblich handeln. Die vom Unternehmer zu erfüllenden Pflichten bestimmen sich stattdessen nach der Professionalität der Anleger.148 So unterscheidet beispielsweise die MiFID II 2014/65 zwischen Kleinanlegern, professionellen Anlegern und geeigneten Gegenparteien. Entsprechend dieser Differenzierung gelten unterschiedliche Schutzanforderungen bei der Produktausrichtung auf Zielgruppen und bei der Erstellung von Kundeninformationen,149 bei der Eignungs- und Zweckmäßigkeitsbeurteilung einer Finanzdienstleistung sowie bei der Ausgestaltung der Kundenvereinbarung.150 Die in der PRIIP-VO 1286/2014 vorgeschriebenen Basisinformationsblätter sind demgegenüber nur Kleinanlegern zur Verfügung zu stellen.151 Die Anlegerentschädigungs-RL 97/9 ist ebenfalls keine Verbraucherschutzrichtlinie im engeren Sinn. Die Richtlinie will für Kleinanleger einen harmonisierten Mindestschutz für den Fall gewährleisten, dass eine Wertpapierfirma nicht in der Lage ist, ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden nachzukommen.152 Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten eine Mindestentschädigung in Höhe von 20.000 Euro je Anleger vorsehen. Professionelle und institutionelle Anleger können von der Entschädigung ausgeschlossen werden.153 Besonders weitgehend ist die Rating-VO 1060/2009, die durch die am 20. Juni 2013 in Kraft getretene VO 462/2013 geändert wurde. Die neue Verordnung fügt in die Rating-VO mit Art. 35a erstmals eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage zur Gel147  Hierzu Fleischer, in: Schulte-Nölke/Schulze (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 171 ff.; Zwicker, Das europäische Verbraucherleitbild bei Finanzdienstleistungen, 2003. Zur Frage, ob sich der Anlegerschutz hin zum Verbraucherschutz entwickelt, vgl. BuckHeeb, ZHR 177 (2013), 310, 340 ff.; dies., ZHR 176 (2012), 66 ff.; Vogel, Vom Anlegerschutz zum Verbraucherschutz, 2005. 148   Zetzsche, Prinzipien der kollektiven Vermögensanlage, 2015, S. 597 ff.; Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 1. Aufl., 2016, § 7 A Rn. 196 ff. 149   Art. 24 Abs. 14 lit. c MiFID II 2014/65. 150   Art. 25 Abs. 8 lit. c MiFID II 2014/65. 151   ErwGr (12), Art. 5 Abs. 1 PRIIP-VO 1286/2014. 152   ErwGr (4) Anlegerentschädigungs-RL 97/9. 153   Art. 4 Abs. 2 i. V. m. Anhang I Anlegerentschädigungs-RL 97/9.

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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tendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Ratingagenturen wegen fehlerhafter Ratings ein. Anspruchsberechtigt sind dabei sowohl Anleger als auch Emittenten.154 Die Einlagensicherungs-RL 94/19 (jetzt RL 2014/49) trägt demgegenüber wiederum dem Schutz von Kleineinlegern Rechnung. Nach der ursprünglichen Richtlinienfassung mussten die Mitgliedstaaten für Bankeinlangen Entschädigungssysteme für Beträge bis zu 20.000 Euro einrichten.155 Infolge der Finanzmarktkrise wurde die Deckungssumme durch die RL 2009/14 mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 auf 100.000 Euro angehoben.156 Demgegenüber können institutionelle Anleger von den Entschädigungssystemen ausgenommen werden.157 Die VO 924/2009 über grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft158 grenzt ihren Schutzbereich von vornherein durch das Volumen des getätigten Geschäfts ein: Der Grundsatz der Entgeltgleichheit gilt nach Art. 3 Abs. 1 nur für grenzüberschreitende Zahlungen bis zu einem Betrag von 50.000 Euro. Ein ähnliches Bild ergibt sich für das Versicherungsrecht. Die in Art. 31, 43 Dritte Schadensversicherungs-RL 92/49 (jetzt Art. 183 – 184 Solvabilitäts‑II-RL 2009/138) normierten Informationspflichten sind nicht nur gegenüber Verbrauchern zu erfüllen, sondern gegenüber sämtlichen Versicherungsnehmern. Davon ausgenommen sind nur juristische Personen159 und Verträge, die ein Großrisiko versichern.160 Auch nach der IMD 2002/92 brauchen die in dieser Richtlinie geregelten Auskünfte dem Versicherungsinteressenten dann nicht erteilt werden, wenn ein Versicherungsvertrag für Großrisiken vermittelt werden soll.161 Ansonsten greifen die Informations- bzw. Beratungspflichten aber gegenüber sämtlichen natürlichen und juristischen Personen, die zu privaten oder gewerblichen Zwecken handeln.162 Nach der neuen IDD 2016/97 können die Mitgliedstaaten demgegenüber vorsehen, dass die für Versicherungsanlageprodukte vorgesehenen speziellen Auskünfte einem professionellen Kunden gegenüber nicht erteilt zu werden brauchen.163

154   Wer „Anleger“ ist, wird in der Rating-VO nicht definiert. „Emittent“ ist gem. Art. 3 Abs. 1 lit. s Rating-VO 1060/2009 i. d. F. der VO 462/2013 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 lit. h Prospekt-RL 2003/71 „eine Rechtspersönlichkeit, die Wertpapiere begibt oder zu begeben beabsichtigt“. Nach dem Kommissionsvorschlag sollten dagegen nur Anleger anspruchsberechtigt sein; Wojcik, NJW 2013, 2385, 2387. 155   Art. 7 Abs. 1 Einlagensicherungs-RL 94/19. 156   Art. 7 Abs. 1a Einlagensicherungs-RL 94/19 i. d. F. der RL 2009/14. 157   Art. 7 Abs. 2 i. V. m. Anhang I Einlagensicherungs-RL 94/19 (jetzt Art. 5 Abs. 1 Einlagensicherungs-RL 2014/49) 158   Geändert durch die SEPA-VO 260/2012. 159   Art. 31 Abs. 2 Dritte Schadensversicherungs-RL 92/49 (jetzt Art. 183 Abs. 2 Solvabilitäts‑IIRL 2009/138) formuliert negativ dahingehend, dass die in diesem Artikel geregelten Informationspflichten nur dann Anwendung finden, wenn der Versicherungsnehmer eine natürliche Person ist. 160   Art. 43 Abs. 2 UAbs. 3 Dritte Schadensversicherungs-RL 92/49 i. V. m. Art. 5 lit. b Erste Schadensversicherungs-RL 73/239 (jetzt Art. 184 Abs. 1 UAbs. 3 i. V. m. Art. 13 Nr. 27 Solvabilitäts‑IIRL 2009/138). 161   Art. 12 Abs. 4 IMD 2002/92. Daneben schließt die Vorschrift auch die Rückversicherungsvermittlung aus. 162   Nach Art. 12 und Art. 13 IMD 2002/92 muss der Versicherungsvermittler die Auskünfte dem „Kunden“ erteilen. Dieser Begriff wird in der Richtlinie nicht definiert, jedoch in Art. 13 Abs. 3 S. 1 in bewusster Abgrenzung zum Verbraucherbegriff verwendet. 163   Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 IDD 2016/97.

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§ 10  Verbraucherrecht

Ungeklärt ist der Anwendungsbereich der LV‑RL 2002/83 (jetzt Solvabilitäts‑IIRL 2009/138). Zwar verwendet die Richtlinie in ihren Erwägungsgründen den Begriff „Verbraucher“.164 In den das Privatrecht betreffenden Vorschriften wird jedoch allein von „Versicherungsnehmern“ gesprochen.165 Da beide Begriffe nicht näher definiert werden, bleibt unklar, ob auch juristische Personen sowie ganz allgemein zu gewerblichen Zwecken handelnde (natürliche und juristische) Personen geschützt werden.166 c) Dienstleistungen von allgemeinem Interesse Über den Reise- und Finanzdienstleistungssektor hinaus bilden Dienstleistungen von allgemeinem Interesse den dritten großen Bereich, der sich im europäischen Sekundärrecht neben dem Verbraucherrecht im engeren Sinne als weiteres Rechtsgebiet herauskristallisiert hat. Unter Dienstleistungen von allgemeinem Interesse versteht die Europäische Kommission sowohl marktbezogene als auch nichtmarktbezogene Dienstleistungen, die von staatlichen oder ehemals staatlichen Stellen im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden.167 Dazu zählen vor allem Telekommunikations- und Postdienste sowie die Elektrizitäts‑, Gas- und Wasserversorgung. Sekundärrechtsakte auf diesem Gebiet schützen nicht nur den Verbraucher, sondern auch den „Nutzer“, „Endnutzer“, „Teilnehmer“ oder „Kunden“.168 Die betreffenden Richtlinien tasten die bestehenden Verbraucherschutzrichtlinien nicht an, sondern ergänzen diese.169 Die in der Universaldienst-RL 2002/22 i. d. F. der RL 2009/136 enthaltenen „Bestimmungen über die Verträge“ sollen nach ErwGr (21) der RL 2009/136 „nicht nur für Verbraucher, sondern auch für andere Endnutzer, insbesondere Kleinstunternehmen und kleine und mittlere Unternehmen (KMU), gelten“.170 Die Richtlinie verwendet allerdings keine einheitliche Terminologie. Als Anspruchsberechtigte werden abwechselnd „alle Endnutzer“,171 „Verbraucher und andere Endnutzer“,172 164

  ErwGr (52) LV‑RL 2002/83 (jetzt ErwGr (79) Solvabilitäts‑II-RL 2009/138).   Vgl. Art. 35, 36 i. V. m. Anhang III LV‑RL 2002/83 (jetzt Art. 185 Solvabilitäts‑II-RL 2009/138). 166   Zum Meinungsstand Lenzing, in: Basedow/Fock (Hrsg.), Europäisches Versicherungsvertragsrecht, 2002, S. 139, 159; Osing, Informationspflichten des Versicherers, 1996, S. 37 f. 167   Europäische Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM  (2004) 374 endg., Anhang 1, S. 27; Mitteilung der Kommission „Ein Qualitätsrahmen für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Europa“, KOM (2011) 900 endg., S. 3 f. Der Begriff umfasst damit zugleich die in Art. 14 AEUV, Art. 36 GRC und Protokoll Nr. 26 des Lissabon-Vertrags genannten „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“. 168  Vertiefend Nihoul, Yearbook of Consumer Law 2009, 67 ff.; Rott, JCP 2007, 49, 53 ff. Ferner Keßler/Micklitz, Kundenschutz auf liberalisierten Märkten, 3 Bände (Telekommunikation, Personenverkehr/Eisenbahn, Energie), 2008. 169   Vgl. Art. 1 Abs. 4 Universaldienst-RL 2002/22 i. d. F. der RL 2009/136; Anhang I Abs. 1 Elektrizitäts-RL 2009/72; Anhang I Abs. 1 Erdgas-RL 2009/73. 170   Die ursprüngliche Universaldienst-RL 2002/22 beschränkte vorvertragliche Informationspflichten und Kontrahierungszwang dagegen in Art. 20 Abs. 2 S. 1 auf Verbraucher. Die Mitgliedstaaten hatten nach Art. 20 Abs. 2 S. 3 aber das Recht, diese Verpflichtungen auf weitere Endnutzer auszudehnen. 171   Art. 3 Abs. 1 (Verfügbarkeit des Universaldienstes), Art. 5 (Auskunftsdienste und Teilnehmerverzeichnisse) Universaldienst-RL 2002/22 i. d. F. der RL 2009/136. 172   Art. 20 Abs. 1 S. 1 (Kontrahierungszwang) Universaldienst-RL 2002/22 i. d. F. der RL 2009/136. 165

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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„Teilnehmer“,173 teils aber auch nur „Verbraucher“174 genannt. Art. 2 S. 1 Universaldienst-RL 2002/22 verweist für diese Begriffe auf die in der Rahmen-RL 2002/21 niedergelegten Definitionen.175 Der durch die Universaldienst-RL 2002/22 geschaffene Rechtsrahmen für die elektronische Kommunikation wird durch die Roaming-VO531/2012 i. d. F. der VO 2015/2120 ergänzt. Die Verordnung legt Obergrenzen für Entgelte fest, die Mobilfunkbetreiber auf der Großkundenebene und der Endkundenebene für die Erbringung von Auslandsroamingdiensten innerhalb der Union in Rechnung stellen dürfen. Geschützt wird als „Roamingkunde“ jeder Kunde eines Anbieters von regulierten Roamingdiensten in einem terrestrischen öffentlichen Mobilfunknetz in der Union,176 unabhängig davon, ob er zu privaten oder gewerblichen Zwecken handelt. Nach Art. 3 Postdienst-RL 97/67177 müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass den „Nutzern“ ein Universaldienst zur Verfügung steht, der ständig flächendeckend postalische Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle „Nutzer“ bietet. Die Richtlinie legt zu diesem Zweck u. a. Grundsätze für den Zugang zu Postdienstleistungen und die Tarifgestaltung fest. „Nutzer“ ist gemäß Art. 2 Nr. 17 der Richtlinie „die natürliche oder juristische Person, die einen Postdienst als Absender oder Empfänger in Anspruch nimmt“. Auch die Elektrizitäts-RL 2009/72 und die Erdgas-RL 2009/73 gehen über das traditionelle Verbraucherrecht hinaus. Beide Richtlinien knüpfen an den Begriff des „Kunden“ an, der sowohl „Großhändler“ als auch „Endkunden“ umfasst.178 Während der „Großhändler“ eine natürliche oder juristische Person ist, die Elektrizität oder Erdgas zum Zwecke des Weiterverkaufs kauft,179 ist der „Endkunde“ ein Kunde, der Elektrizität oder Erdgas für den eigenen Verbrauch kauft.180 Der Endkunde kann dabei entweder „Haushalts-Kunde“ sein, der Elektrizität oder Erdgas für den Eigenverbrauch zu nicht gewerblichen Zwecken kauft (dies entspricht dem klassischen Verbraucherbegriff),181 oder ein „Nichthaushaltskunde“, der für andere Zwecke als den Eigenverbrauch im Haushalt kauft.182 Unter Zugrundelegung dieser Terminologie führen beide Richtlinien ein differenziertes Schutzsystem ein. Das Recht auf Grundversorgung mit Elektrizität wird nur 173   Art. 20 Abs. 2 (Widerrufsrecht bei AGB-Änderung), Art. 30 Abs. 1 (Beibehaltung der Telefonnummer bei Anbieterwechsel) Universaldienst-RL 2002/22 i. d. F. der RL 2009/136. 174  Art.  30 Abs.  5 (Höchstlaufzeit von Verträgen) Universaldienst-RL 2002/22 i.  d.  F. der RL 2009/136. 175   Art. 2 Rahmen-RL 2002/21 definiert die Begriffe dabei wie folgt: lit. h „Nutzer: eine natürliche oder juristische Person, die einen öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienst in Anspruch nimmt oder beantragt“; lit. i „Verbraucher: jede natürliche Person, die einen öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienst zu anderen als gewerblichen oder beruflichen Zwecken nutzt oder beantragt“; lit. k „Teilnehmer: jede natürliche oder juristische Person, die mit einem Anbieter öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste einen Vertrag über die Bereitstellung derartiger Dienste geschlossen hat“; lit. n „Endnutzer: ein Nutzer, der keine öffentlichen Kommunikationsnetze oder öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienste bereitstellt“. 176   Art. 2 Abs. 2 lit. g Roaming-VO 531/2012. 177   Zuletzt geändert durch die RL 2008/6. 178   Art. 2 Nr. 7 Elektrizitäts-RL 2009/72; Art. 2 Nr. 24 Erdgas-RL 2009/73. 179   Art. 2 Nr. 8 Elektrizitäts-RL 2009/72; Art. 2 Nr. 29 Erdgas-RL 2009/73. 180   Art. 2 Nr. 9 Elektrizitäts-RL 2009/72; Art. 2 Nr. 27 Erdgas-RL 2009/73. 181   Art. 2 Nr. 10 Elektrizitäts-RL 2009/72; Art. 2 Nr. 25 Erdgas-RL 2009/73. 182   Art. 2 Nr. 11 Elektrizitäts-RL 2009/72; Art. 2 Nr. 26 Erdgas-RL 2009/73.

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§ 10  Verbraucherrecht

Haushalts-Kunden zugesprochen.183 Sämtliche Kunden haben aber zumindest das Recht, Strom und Erdgas vom Anbieter ihrer Wahl zu kaufen.184 Die Mitgliedstaaten müssen ferner sicherstellen, dass bei Ausübung von Vertragslösungsrechten die Betreiber einen Anbieterwechsel innerhalb von drei Wochen ermöglichen.185 Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten weitere Vorkehrungen zum Schutz sämtlicher Endkunden treffen186 und einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der Vertragsbedingungen und allgemeinen Informationen gewährleisten.187 Im Fall von Haushalts-Kunden legen beide Richtlinien schließlich detailliert den Mindestinhalt des Vertrags, vorvertragliche Informationspflichten sowie Vertragslösungsrechte bei einer AGB-Änderung fest.188 d) Reiner B2B-Bereich Vereinzelt regelt das Unionsrecht ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen unternehmerisch tätigen Personen. Die lauterkeitsrechtlichen Pflichten im unternehmerischen Geschäftsverkehr werden insbesondere durch die RL 2006/114 über irreführende und vergleichende Werbung normiert.189 Zweck der Richtlinie ist nach Art. 1 der Schutz von Gewerbetreibenden vor irreführender Werbung sowie die Festlegung der Bedingungen für zulässige vergleichende Werbung. Da irreführende Geschäftspraktiken, die zumindest auch die Interessen von Verbrauchern beeinträchtigen, allein von der UGP-RL 2005/29 erfasst werden,190 greifen die Normen der RL 2006/114 zum Schutz gegen Irreführung nur dann, wenn die Werbung ausschließlich die wirtschaftlichen Interessen von Gewerbetreibenden berührt.191 Auch die VerzugsRL 2011/7 erfasst nur den unternehmerischen Geschäftsverkehr. Die Richtlinie betrifft Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmern oder zwischen Unternehmern und öffentlichen Stellen, die zu einer Lieferung von Gütern 183   Art. 3 Abs. 3 Elektrizitäts-RL 2009/72. Die Erdgas-RL 2009/73 enthält keine vergleichbare Bestimmung; sie verpflichtet in Art. 3 Abs. 3 S. 4 die Mitgliedstaaten nur dazu, geeignete Maßnahmen zum Schutz von Endkunden in entlegenen Gebieten zu treffen, die an das Erdgasnetz angeschlossen sind. Diese Unterschiede haben ihren Grund in der geringeren Dichte des Gasnetzes gegenüber dem Stromnetz; Fleckenstein, in: Kermel (Hrsg.), Praxishandbuch der Konzessionsverträge und Konzessionsabgaben, 2012, Kap. 6, Rn. 221. 184   Art. 3 Abs. 4 Elektrizitäts-RL 2009/72; Art. 3 Abs. 5 Erdgas-RL 2009/73. 185   Art. 3 Abs. 5 Elektrizitäts-RL 2009/72; Art. 3 Abs. 6 Erdgas-RL 2009/73. 186   Art. 3 Abs. 7 S. 1 Elektrizitäts-RL 2009/72; Art. 3 Abs. 3 S. 1 Erdgas-RL 2009/73. 187   Art. 3 Abs. 7 S. 5 Elektrizitäts-RL 2009/72; Art. 3 Abs. 3 S. 6 Erdgas-RL 2009/73. 188   Art. 3 Abs. 7 S. 7 i. V. m. Anhang I Elektrizitäts-RL 2009/72; Art. 3 Abs. 3 S. 8 i. V. m. Anhang I Erdgas-RL 2009/73. Die betreffenden Anhänge sind mit der Überschrift „Maßnahmen zum Schutz der Kunden“ versehen. Daraus folgt nicht, dass der Anhang für sämtliche Kunden gilt; so jedoch Danner/Theobald/Eder, Energierecht, 79. EL, 2013, § 41 EnWG Rn. 4. Denn die Richtlinien verweisen in den zitierten Vorschriften nur für Haushalts-Kunden auf den Anhang. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑92/11 (RWE Vertrieb) Rn. 45: Anhang A der Gas-RL 2003/55 gilt für „Verbraucher“. 189   Zur geplanten Überarbeitung der Richtlinie vgl. die Kommissionsmitteilung „Schutz von Unternehmen vor irreführenden Vermarktungspraktiken und Gewährleistung der wirksamen Durchsetzung“, KOM (2012) 702 endg.; sowie das Grünbuch „über unlautere Handelspraktiken in der B2BLieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel in Europa“, KOM (2013), 37 endg. 190   Vgl. EuGH, Rs. C‑540/08 (Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag) Rn. 21; Rs. C‑206/11 (Köck) Rn. 30. 191   Vergleichende Werbung beurteilt sich dagegen ausschließlich nach der RL 2006/114, unabhängig davon, ob sie sich an Verbraucher oder Unternehmer richtet. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑52/13 (Posteshop): RL 2006/114 behandelt irreführende und unzulässige vergleichende Werbung als zwei selbständige Zuwiderhandlungen.

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oder Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt führen.192 Die Rechtsverhältnisse zwischen Unternehmern und Verbrauchern werden demgegenüber vollständig ausgeklammert.193 Nähere Eingrenzungen zum persönlichen Schutzbereich trifft die Richtlinie nicht. Zwar sollen vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) geschützt werden.194 Die VerzugsRL 2011/7 enthält jedoch keine spezifischen Vorschriften zum Schutz der KMU, sondern schützt vielmehr sämtliche Gläubiger einer Entgeltforderung. Die Handelsvertreter-RL 86/653 regelt ebenfalls nur zweiseitige Unternehmensverträge, genauer: die Rechtsbeziehungen zwischen einem Handelsvertreter und seinem Unternehmer.195 Die Richtlinie schützt dabei nicht nur einseitig eine der beiden Vertragsparteien, sondern versucht, einen Interessenausgleich zwischen Handelsvertreter und Unternehmer zu schaffen. Schließlich findet sich in vielen Richtlinien ein Hinweis auf kollektive Rechtsbehelfe, mit denen Personen (insb. Mitbewerber) oder Organisationen (insb. Berufsverbände), die nach anwendbarem nationalen Recht ein „berechtigtes Interesse“ an der Rechtsdurchsetzung haben, die Gerichte oder zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können, um die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinien sicherzustellen.196 3. Mitgliedstaatliche Gesetzgebungstechniken bei Umsetzung verbraucherschützender Richtlinien Die Mitgliedstaaten bedienen sich bei Umsetzung verbraucherschützender Richtlinien im engeren Sinne unterschiedlicher Techniken. Diese sind vor allem deswegen von Interesse, weil sie Aufschluss darüber geben, inwieweit verbraucherschützende Regelungen – über ihren engen Anwendungsbereich hinaus – in das allgemeine Privatrecht integriert worden sind und dieses beeinflussen. Rechtsvergleichend lassen sich vier verschiedene Umsetzungstechniken unterscheiden.197 a) Umsetzung in Einzelgesetzen In einer Reihe von Mitgliedstaaten wurden für jede einzelne Verbraucherschutzrichtlinie Sondergesetze oder Rechtsverordnungen erlassen bzw. die bestehenden Rechts192

  Art. 1 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Nr. 1 VerzugsRL 2011/7.   Siehe ErwGr (13) VerzugsRL 2011/7: „Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie sollte auf die als Entgelt für Handelsgeschäfte geleisteten Zahlungen beschränkt sein. Diese Richtlinie sollte weder Geschäfte mit Verbrauchern noch die Zahlung von Zinsen im Zusammenhang mit anderen Zahlungen (. . .) umfassen“. 194   Art. 1 Abs. 1 VerzugsRL 2011/7. 195   Art. 1 Abs. 1 Handelsvertreter-RL 86/653. 196   Vgl. Art. 11 Abs. 1 UAbs. 2 UGP-RL 2005/29; Art. 5 Abs. 1 RL 2006/114 über irreführende und vergleichende Werbung; Art. 23 Abs. 2 lit. c VRRL 2011/83 (vgl. zuvor auch Art. 11 Abs. 2 lit. c FARL 97/7); Art. 13 Abs. 2 lit. c FDL-FARL 2002/65; Art. 13 Abs. 2 lit. c TSRL 2008/122; Art. 7 Abs. 5 VerzugsRL 2011/7; Art. 52 Abs. 2 lit. c MiFID I 2004/39 (jetzt Art. 74 Abs. 2 lit. c MiFID II 2014/65). 197   Vgl. zum Folgenden die Länderberichte bei Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 10 – 78; Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, 2009, S.  206 – 236; Cámara Lapuente, Revista de Derecho Civil 2015, 105 ff. Zur Umsetzung der KaufRL 99/44 Mansel, AcP 204 (2004), 396, 410 ff. Ferner v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006; Wölk, Die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, 2001. 193

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normen modifiziert. Zu diesen Ländern zählen das Vereinigte Königreich, Irland und Zypern.198 Auch in Dänemark und Schweden existieren viele Sondergesetze zum Schutz der Verbraucher. Die Umsetzung europäischer Verbraucherschutzrichtlinien führte zumeist zu einer Novellierung dieser Gesetze.199 Änderungen haben sich im Vereinigten Königreich durch den Consumer Rights Act 2015 ergeben, der auf eine Konsolidierung des Verbraucherrechts abzielt und am 1. Oktober 2015 in Kraft getreten ist. Mit der Reform wurden zum einen die wichtigsten Verbraucherrechte bei Verträgen über Waren und Dienstleistungen einschließlich der Regelungen zu missbräuchlichen Klauseln und zum Verbrauchsgüterkauf,200 die zuvor in 8 verschiedenen Rechtsakten geregelt waren, in den Consumer Rights Act 2015 überführt und durch Regelungen zu digitalen Inhalten ergänzt. Zum anderen wurden die administrativen Durchsetzungsbefugnisse der Behörden, die in rund 60 Rechtsakten normiert waren, in das neue Gesetz integriert. Eine umfassende Konsolidierung oder gar Kodifikation des Verbraucherrechts konnte mit dem Consumer Rights Act 2015 dennoch nicht erzielt werden.201 Vielmehr werden zentrale Vorschriften, wie insbesondere die zur Umsetzung der UGP-RL 2005/29 und der VRRL 2011/83 geschaffenen Normen, weiterhin separat geregelt. b) Umsetzung im Verbrauchergesetzbuch Andere Mitgliedstaaten verfügen über ein eigenständiges Verbraucherschutzgesetz. In Frankreich wurde die gesamte Verbrauchergesetzgebung im Code de la consommation (1993) zusammengefasst.202 Seitdem werden alle wesentlichen Verbraucherrichtlinien in diesem Gesetz umgesetzt. Der CCons schützt nicht nur den „consommateur“, sondern als „non-professionnel“ auch denjenigen, der einen Vertrag zu einem Zweck abschließt, der nicht in direktem Zusammenhang (qui n’ont pas de rapport direct) zu seiner gewerblichen Tätigkeit steht.203 Der CCons erhebt den Anspruch, übergreifende Grundsätze für das gesamte Verbraucherrecht aufzustellen. Ob dies tatsächlich gelungen ist, wird unterschiedlich beurteilt.204 198   Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 17 f., 42, 76 f. Zur Umsetzung in England auch Whittaker, ERCL 2007, 381 ff. 199   Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 21 ff., 73 f. 200  Sowohl The Sale and Supply of Goods to Consumers Regulations 2002 als auch The Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations 1999 wurden in das neue Gesetz überführt. Verbraucherschützende Normen, die zuvor im Sale of Goods Act 1979 sowie im Unfair Contract Terms Act 1977 geregelt waren, wurden in modifizierter Form ebenfalls in den Consumer Rights Act 2015 integriert. Überblick bei Whittaker, in: Chitty on Contracts, II, 32. Aufl., 2015, Rn. 38 – 196, 38 – 341, 38 – 402 und 38 – 439. 201   Whittaker, in: Chitty on Contracts, II, 32. Aufl., 2015, Rn. 38 – 006; sowie zu Vorentwürfen Twigg-Flesner, in: Gullifer/Vogenauer (Hrsg.), English and European Perspectives on Contract and Commercial Law, 2014, S. 67, 74 ff. 202  Hierzu Calais-Auloy/Steinmetz, Droit de la Consommation, 7. Aufl., 2006, Rn. 37 ff.; Witz/ Wolter, ZEuP 1995, 35 ff.; Szönyi, GRUR Int. 1996, 83 ff.; monografisch Heuer, Der Code de la Consommation, 2002. 203  Vertiefend Ebers, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 458 f. 204   Calais-Auloy, RTD Com. 1998, 115 ff.; Pizzio, RTD Com. 1998, 53 ff. Aus dem deutschen Schrifttum Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 75 (bloße Kompilation ohne Systematik und dogmatischen Anspruch); Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, 2004 (kein geschlossenes System des Verbraucherschutzrechts).

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Italien hat seit 2005 ebenfalls ein Verbraucherschutzgesetz, den Codice del consumo.205 Das Änderungsgesetz überführte über 20 Einzelgesetze und ‑verordnungen in den Codice del consumo. Auch die Regeln über missbräuchliche Klauseln und den Verbrauchsgüterkauf, die zuvor im Codice civile geregelt waren, wurden in das Verbraucherschutzgesetz integriert, um den einheitlichen Charakter des Gesetzes als Rechtsquelle im Bereich des Verbraucherrechts sicherzustellen. Auch Spanien verfügt über ein eigenständiges Verbraucherschutzgesetz. Mit dem am 1.12.2007 in Kraft getretenen Königlichen Dekret Nr. 1/2007 sollten die zahlreichen, auf EU‑Richtlinienvorgaben beruhenden verbraucherschützenden Einzelgesetze konsolidiert und zusammen mit dem Allgemeinen Verbraucherschutzgesetz Nr. 26/1984 in einem einzigen Text zusammengefasst werden. Im Unterschied zum französischen Code de la consommation und dem italienischen Codice del consumo handelt es sich bei dem neuen Verbraucherschutzgeetz dennoch nicht um ein „Gesetzbuch“.206 Die Reform hat lediglich dazu geführt, dass das Allgemeine Verbraucherschutzgesetz Nr. 26/1984 mit nur fünf Einzelgesetzen (Haustürgesetz, Fernabsatzgesetz, Verbrauchsgüterkaufgesetz, Pauschalreisegesetz und Produkthaftungsgesetz) verschmolzen wurde. Sonstige Verbraucherschutzgesetze wurden demgegenüber nicht integriert. Seit 2011 existiert auch in Luxemburg ein Code de la consommation, der mit Ausnahme der Produkthaftung nahezu sämtliche Bereiche des Verbraucherrechts abdeckt.207 Verbraucherschutzgesetze, die nahezu sämtliche Verbraucherschutzrichtlinien umsetzen, finden sich ferner in Finnland, Lettland und Litauen, sowie in Slowenien.208 In Belgien wurde Mitte der 1990er Jahre eine Kodifizierung in einem Verbraucherschutzgesetzbuch vorgeschlagen,209 die jedoch zunächst ergebnislos verlief.210 Erst seit dem Jahre 2013 konnte das Wetboek van Economisch Recht etappenweise in Kraft treten. Das Gesetzbuch regelt zum einen typisch handelsrechtliche Fragen, zum anderen wird die Mehrzahl der Verbraucherrichtlinien umgesetzt; hiervon ausgenommen sind die auf der KaufRL 99/44 basierenden Normen, die seit 2004 in den Art. 1649bis – 1649oct CC zu finden sind.211 c) Gemischte Ansätze Eine dritte Gruppe von Mitgliedstaaten hat verbraucherschützende Richtlinien teils in einem Verbraucherschutzgesetz, teils in Sondergesetzen, teils in der allgemeinen Zivilrechtskodifikation umgesetzt. In Österreich wurde den Verbraucherschutzrichtlinien überwiegend durch eine Änderung oder Ergänzung des Konsumentenschutzgesetzes (KSchG) Rechnung getragen.212 Für Teilzeitnutzungsrechte, Verbraucherkreditverträge und im Fernab205

 Hierzu Pasa/Weitenberg, VuR 2005, 446 ff.; Omodei-Salè, ZEuP 2007, 785 ff.   Cámara Lapuente, in: ders. (Hrsg.), Comentarios a las Normas de Protección de los Consumidores, 2011, S. 77, 79 ff.; Ebers, ZEuP 2012, 451. 207  Dazu Poillot, in: Aubert de Vincelles/Sauphanor-Bouillaud (Hrsg.), Les 20 ans du Code de la Consommation, 2013, S. 57 ff. 208   Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 26 f., 46 f., 48 f., 67. 209   Bourgoignie, in: Liber amicorum Reich, 1997, S. 221 ff. 210   Micklitz, RabelsZ 65 (2001), 566. 211   Cámara Lapuente, Revista de Derecho Civil 2015, 105, 130 f. 212   Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2. Aufl., 2008, S. 16, 60 ff., 110 ff., 150 ff. 206

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satz geschlossene Finanzdienstleistungsverträge sind dagegen eigene Rechtsakte verabschiedet worden. Demgegenüber führte die KaufRL 99/44 dazu, dass sowohl das österreichische ABGB als auch das KSchG angepasst wurden.213 In Griechenland wurden die meisten Richtlinien im Verbraucherschutzgesetz umgesetzt.214 Für Teilzeitnutzungsrechte und Unterlassungsklagen bestehen dagegen Sondergesetze, während die KaufRL 99/44 sowohl zu Änderungen im Zivilgesetzbuch als auch im Verbraucherschutzgesetz geführt hat. In Polen sind viele Richtlinien im Gesetz vom zum Schutz von Verbraucherrechten und zur Haftung für unsichere Produkte umgesetzt worden.215 Die Regelungen der Klausel-RL 99/44 finden sich demgegenüber im Zivilgesetzbuch,216 während die Vorgaben der KaufRL 99/44 im Verbrauchsgüterkaufgesetz berücksichtigt werden.217 In Ungarn wollte der im Jahre 2003 unterbreitete Vorschlag für ein neues Zivilgesetzbuch ursprünglich alle privat- und handelsrechtlichen Richtlinien möglichst vollständig in den neuen Kodex integrieren.218 Davon wurde jedoch aus unterschiedlichen Gründen Abstand genommen. Das im Jahre 2014 in Kraft getretene neue Zivilgesetzbuch regelt das Verbraucherrecht nur selektiv, während das übrige Material im Verbraucherschutzgesetz belassen wurde.219 Zur dritten Gruppe gehören ferner Mitgliedstaaten, in denen das Verbraucherschutzgesetz nur als Rahmengesetz fungiert, das durch Einzelgesetze ausgefüllt oder durch Regelungen des Zivilgesetzbuchs ergänzt wird, so beispielsweise in Portugal und Malta220 sowie in Rumänien.221 In der Slowakei erfolgte die Umsetzung dagegen teils im Verbraucherschutzgesetz, teils in Sondergesetzen, teils im Zivilgesetzbuch. Ein gemischter Ansatz liegt auch der estnischen Rechtsordnung zugrunde.222 Während das Verbraucherschutzgesetz allgemeine Regeln für Verbrauchergeschäfte aufstellt, indem bestimmte Begriffe definiert und die Rechte von Verbraucherverbänden sowie staatlichen Überwachungsbehörden festgelegt werden, sind die meisten materiellen Regelungen der Verbraucherschutzrichtlinien im Schuldrechtsgesetz zu finden. d) Integration unionsrechtlicher Vorgaben in das Zivilgesetzbuch In die vierte Gruppe fallen schließlich die (wenigen) Mitgliedstaaten, die sich um eine systematische Integration verbraucherschützender Richtlinien in ihre allgemeine Zivilrechtskodifikation bemüht haben. Sie verfolgen eine „Einheitslösung“ oder „große Lösung“, die darauf abzielt, das Verbraucherrecht zusammen mit dem übrigen Zivilrecht zu regeln. 213  Hierzu Gruber, in: Schermaier (Hrsg.), Verbrauchsgüterkauf in Europa, 2003, S. 153 ff.; Mansel, AcP 204 (2004), 396, 410 ff. 214   Paparseniou, Griechisches Verbrauchervertragsrecht, 2008. 215   Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 58 ff. 216   Ebers, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 197, 216 f. 217   Sieja, ZfRV 2011, 89 ff. 218  Dazu Vékás, ZEuP 2016, 37, 50. 219   Vékás, ZEuP 2016, 37, 50 ff. 220   Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 52 f., 62 f. 221  Vgl. Bojin, in: Schulze/Zoll (Hrsg.), The Law of Obligations in Europe, 2013, S. 377, 379 f. 222   Allgemein zum estnischen Zivilrecht Varul, ERPL 2008, 95 ff. Speziell zum estnischen Verbraucherrecht Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 24 f.

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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Vorreiter für diesen integrativen Ansatz war das niederländische neue Burgerlijk Wetboek (BW), das von 1970 bis 1992 etappenweise in Kraft getreten ist.223 Die Neukodifikation führte zur Zusammenlegung von Zivil- und Handelsrecht sowie zur Integration sämtlicher verbraucherschützender Normen in das BW.224 Die KaufRL 99/44 löste daher keinen gravierenden Änderungsbedarf aus und konnte durch eine Modifikation der bestehenden Regeln im BW berücksichtigt werden.225 Angesichts der Integration verbraucherschützender Richtlinien in das BW geht Hondius226 davon aus, dass das niederländische „Verbraucherrecht nicht mehr als Sonderrecht, sondern als allgemeines Zivilrecht betrachtet werden muß“. Überwiegend handelt es sich indessen um eine formale Integration. Zwar gelten einige Konzepte, wie etwa das Prinzip der Vertragsmäßigkeit der Ware (conformiteitsbeginsel), für sämtliche Kaufverträge. Inhaltlich unterscheiden die meisten kaufrechtlichen Vorschriften jedoch nach wie vor zwischen B2C- und sonstigen Normen.227 Gleiches gilt für die Tschechische Republik. Zwar wurden nahezu alle europäischen Verbraucherrichtlinien in das neue Zivilgesetzbuch (2012; in Kraft seit dem 1.1.2014) integriert; dabei wurde das Verbraucherrecht jedoch in separaten Abschnitten geregelt, so dass es zu Überschneidungen und Verdopplungen mit dem allgemeinen Zivilrecht kommt.228 In keinem anderen Land war die Umsetzung der KaufRL 99/44 mit derart gravierenden Änderungen des allgemeinen und besonderen Schuldrechts verbunden wie in Deutschland. Die Umsetzung dieser Richtlinie wurde zum Anlass genommen,229 die im Jahre 1992 veröffentlichten Vorschläge zur Schuldrechtsmodernisierung230 wieder aufzugreifen. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001231 wurden nicht nur zahlreiche verbraucherschützende Gesetze, die zuvor in Einzelgesetzen geregelt waren, in das BGB integriert, damit „die Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuchs als zentrale zivilrechtliche Kodifikation wiederhergestellt und gestärkt“ wird.232 Die Reform führte infolge der überobligatorischen Richtlinienumsetzung zugleich zu einer Europäisierung weiter Teile des deutschen Schuldrechts. Zum einen wurden zentrale Strukturelemente des Verbraucherrechts im BGB standardisiert und Vorschriften geschaffen, die auf alle Verbraucherverträge 223  Dazu Hartkamp, AcP 191 (1991), 396 ff.; ders., RabelsZ 1993, 644 ff.; Hondius, AcP 1991, 378 ff.; Remien, ZEuP 1994, 187 ff.; Vranken, AcP 191 (1991), 411 ff. 224   Hondius, VuR 1996, 295 ff. 225  Ausführlich Sirks, in: Schermaier (Hrsg.), Verbraucherkauf in Europa, 2003, S. 275 ff.; Janssen, in: Ajani/Ebers (Hrsg.), Uniform Terminology for European Contract Law, 2005, S. 343 ff.; Duivenvoorde/Hondius, in: Ebers/Janssen/Meyer (Hrsg.), European Perspectives on Producers’ Liability, 2009, S. 445 ff. 226   Hondius, VuR 1996, 295; ähnlich Hesselink, ERPL 2010, 57, 59 f. Große Teile des niederländischen Schrifttums fordern demgegenüber eine stärkere Unterscheidung zwischen B2B- und B2CGeschäften; vgl. Hesselink, a. a. O., 61 m. w. N. in Fn. 21. 227  Näher Janssen, in: Ajani/Ebers (Hrsg.), Uniform Terminology for European Contract Law, 2005, S. 343 ff. 228   Tichý, in: Schulze/Zoll (Hrsg.), The Law of Obligations in Europe, 2013, S. 27, 36 f. 229  Kritisch U. Huber, ZIP 2000, 2273, 2280 (KaufRL als „Trojanisches Pferd“). 230   Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1992. 231   Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001, BGBl. I 2001, S. 3138. 232  Begründung zum Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vom 4.8.2000, abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsreform 2002, 2002, S. 66.

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§ 10  Verbraucherrecht

anwendbar sind.233 Zum anderen entschied sich der Gesetzgeber in Bezug auf Kaufverträge für die sog. „große Lösung“.234 Die meisten Regelungen der KaufRL 99/44 wurden nicht nur auf den Verbrauchsgüterkauf, sondern auf sämtliche Kaufverträge erstreckt. Gleichzeitig wurde das Kaufrecht in das allgemeine Leistungsstörungsrecht integriert. Normen des allgemeinen Schuldrechts, die prinzipiell auf sämtliche synallagmatischen Verträge Anwendung finden, insbesondere die Regelungen zur Unmöglichkeit (§§ 275, 326, 311a BGB) und zum Rücktritt (§§ 323, 326 Abs. 6 BGB) sowie mittelbar auch die mit dem Rücktritt parallelisierten Vorschriften über den Schadensersatz statt der Leistung (§§ 281, 283 BGB), beruhen damit auf der (überobligatorischen) Umsetzung der KaufRL 99/44.235 Diese Umsetzungstechnik führte dazu, dass das BGB zu einer „permanenten Baustelle“236 geworden ist. Indem der deutsche Gesetzgeber darauf verzichtete, sich bei der Umsetzung der Richtlinien auf den schmalen Bereich der Richtlinienvorgaben zu beschränken, konnten zwar auf nationaler Ebene Systembrüche und Wertungsdivergenzen anfangs noch vermieden werden. Gleichzeitig führt die „große Lösung“ aber infolge der EuGH-Rechtsprechung237 und nachträglich erlassener Richtlinien238 zu einem permanenten Nachbesserungsbedarf. Als besonders gravierend wird empfunden, dass tragende Prinzipien des deutschen Schuldrechts, insbesondere der Grundsatz der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit, durch die überobligatorische Umsetzung in einem wesentlich größeren Ausmaß durchbrochen werden, als dies aus unionsrechtlichen Gründen eigentlich der Fall sein müsste.239 Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie vom 20. September 2013240 wurde die vereinheitlichende Umsetzung und Zusammenfassung der 233   Dieser Prozess setzte bereits mit der Umsetzung der FARL 97/7 ein; Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 27.6.2000, BGBl. I 2000, S. 897. Hierzu vor allem die Regierungsbegründung, BT‑Drucks. 14/2658, S. 29. 234   Zur Kontroverse zwischen „großer“ und „kleiner“ Lösung Brüggemeier, JZ 2000, 529 ff.; Däubler-Gmelin, NJW 2001, 2281 ff.; Dauner-Lieb, JZ 2001, 8 ff.; Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410 ff.; dies., ZIP 2000, 1812 ff.; Huber, ZIP 2000, 2273 ff.; Schmidt-Räntsch, ZIP 2000, 1639 ff. 235   Vgl. nur MüKo/Ernst, BGB, 7. Aufl., 2016, Vor § 275 BGB Rn. 23; Ebers, ADC 2003, 1575 ff. 236   W.‑H. Roth, in: Dauner Lieb/Konzen/Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 25, 26; Wendehorst, NJW 2011, 2551. Zur Frage, ob mit der Inkorporation von Richtlinien in das BGB tatsächlich ein „Kodifikationsgewinn“ erzielt werden kann, ferner J. Koch, JZ 2006, 277 ff.; Lobinger, GPR 2008, 262 ff.; Müller-Graff, GPR 2009, 106 ff. 237   Vor allem EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger): Novellierung des § 355 Abs. 3 BGB durch das OLG-Vertretungsänderungsgesetz v. 23.7.2002, BGBl. I 2002, S. 2850; EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle): Änderung des § 439 Abs. 4 BGB durch § 474 Abs. 2 S. 1 BGB durch Gesetz v. 10.12.2008, BGBl. I 2008, S. 2399; EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner): Einfügung von § 312e BGB und Änderung u. a. des § 357 Abs. 3 BGB durch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften über den Wertersatz bei Widerruf von Fernabsatzverträgen und über verbundene Verträge v. 27.7.2011, BGBl. I 2011, S. 1600; EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz): Korrektur von § 439 Abs. 1 u. Abs. 3 BGB erforderlich, aber noch nicht erfolgt; vgl. Kaiser, JZ 2013, 346 ff. 238   Überblick bei Wendehorst, NJW 2011, 2551, mit der Bemerkung, dass die entsprechenden Teile des BGB sowie des EGBGB und der BGB-InfoV zurzeit ein bis zwei Mal pro Jahr vom deutschen Gesetzgeber umgestaltet werden. 239   Statt Vieler Koch, JZ 2006, 277 ff.; Lobinger, GPR 2008, 262 ff. Der BGH wirkt dieser Tendenz punktuell entgegen, indem er für B2C- und sonstige Kaufverträge eine gespaltene Auslegung vornimmt; BGH, NJW 2009, 427, 429 (Quelle II) Rn. 27 f.; NJW 2013, 220 (Kunstrasengranulat). 240   Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Wohnungsvermittlung v. 20.9.2013, BGBl. I 2013, S. 3642.

B. Entwicklung und Bestand des europäischen Verbraucherrechts

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Verbraucherrichtlinien zum Teil zurückgenommen. Da die VRRL 2011/83 auf dem Prinzip der Vollharmonisierung beruht, war es nicht mehr möglich, die auf europäischer Ebene unterschiedlich geregelten Fragen im Wege der (überschießenden) Umsetzung auf nationaler Ebene kohärenter zu regeln. Insbesondere die ursprünglich einheitlich normierten Widerrufsrechte (§§ 355 ff. BGB) mussten durch das Umsetzungsgesetz zugunsten einer stärker vertikal differenzierenden Regelung wieder aufgebrochen werden.241 Zum anderen wurde die problematische Verknüpfung der Rechtsfolgen eines Widerrufs mit den Rechtsfolgen eines Rücktritts aufgegeben.242 Dass der Gesetzgeber die Integration verbraucherschützender Richtlinien in das BGB in naher Zukunft vollständig revidiert, ist nicht zu erwarten. Der auf dem 69. Deutschen Juristentag im Jahre 2012 diskutierte Vorschlag, die zivilrechtlichen Verbraucherschutzregelungen aus dem BGB herauszulösen und in ein eigenes Verbrauchergesetzbuch zu verlagern,243 ist auf dem Juristentag mit breiter Mehrheit abgelehnt worden.244 4. Ergebnis Der acquis communautaire hat sich im Bereich des Verbraucherrechts kontinuierlich verdichtet. Kennzeichnend für die seit 2001 von der Europäischen Kommission verfolgte neue Strategie ist zum einen ein Wechsel von der Mindest- zur Vollharmonisierung. Zum anderen versucht die Kommission den bislang verfolgten sektorspezifischen Ansatz zu überwinden, indem verbraucherrechtliche Fragen bereichsübergreifend in Horizontalrichtlinien geregelt werden sollen. Daneben ist zu beobachten, dass in letzter Zeit in bestimmten Bereichen (insb. im europäischen Reiserecht, im Finanzdienstleistungsrecht sowie im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse) immer mehr Rechtsakte erlassen wurden, die ein gegenüber dem traditionellen Verbraucherrecht abweichendes Schutzkonzept zugrunde legen. Geschützt werden nicht nur natürliche Personen, die zu privaten Zwecken einen Vertrag abschließen, sondern ganz allgemein die Empfänger bestimmter Dienstleistungen. Daran zeigt sich, dass die Gattung der Verbraucherverträge dazu tendiert, ihre herkömmlich zentrale Position im Europäischen Privatrecht zu verlieren.245 Von einem echten Paradigmenwechsel kann dennoch nicht gesprochen werden. Nach wie vor werden Kernbereiche des nationalen Vertragsrechts, wie beispielsweise die Kontrolle missbräuchlicher Klauseln oder das Kaufrecht, durch Richtlinien determiniert, die an den klassischen Verbraucherbegriff anknüpfen. Rechtsvergleichend zeigt sich bei der Umsetzung verbraucherschützender Richtlinien, dass die Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Gesetzgebungstechniken anwenden, die von der copy-and-paste-Technik in Einzelgesetzen über die Umsetzung in einem Verbraucherschutzgesetzbuch bis hin zur Integration unionsrechtlicher Vor241

  Tonner, VuR 2013, 443, 445; Wendehorst, NJW 2014, 557, 563.   Schmidt-Kessel, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie, 2013, S. 24 (zum Regierungsentwurf). 243  Dafür Micklitz, in: 69. DJT, Bd. 1, 2012, A. 244   Deutscher Juristentag (Hrsg.), Verhandlungen des 69. Deutschen Juristentages, Bd. 2, 1, Sitzungsberichte – Referate und Beschlüsse, 2013, I 87. 245   So auch Roppo, ERCL 2009, 304 ff., mit der zutreffenden These, dass der europäische Gesetzgeber in verstärktem Maße asymmetrische Verträge regelt und den Empfänger bestimmter Dienstleistungen schützt, ohne an den Begriff des Verbrauchers anzuknüpfen. 242

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§ 10  Verbraucherrecht

gaben in die nationale Zivilrechtskodifikation reichen.246 Zwar haben einige Richtlinien, wie insbesondere die Klausel-RL 93/13 und die KaufRL 99/44, letztlich in allen Mitgliedstaaten einen überaus großen Einfluss auf das nationale Privatrecht, was sich an den zahlreichen Überarbeitungen und Reformen der nationalen Schuldrechtsordnungen anlässlich der Umsetzung dieser Richtlinien deutlich zeigt. Am stärksten wird das allgemeine Obligationenrecht jedoch in denjenigen Ländern beeinflusst, die wie Deutschland das nationale Recht überobligatorisch angeglichen und nicht nur das Kaufrecht, sondern zugleich weite Teile des Leistungsstörungsrechts an die europäischen Vorgaben angepasst haben.

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich Die Mitgliedstaaten verfolgen unterschiedliche Verbraucherschutzstrategien, um zu gewährleisten, dass Verstöße gegen verbraucherschützende Normen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend verfolgt werden.247 Für die private Rechtsdurchsetzung bedeutsam sind nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Rechtsbehelfe, mit denen mehrere natürliche Personen oder juristische Personen bzw. Verbände Unterlassungsklage erheben oder Schadensersatz geltend machen können. Durch die ADR-RL 2013/11 und die ODR-VO 524/2013 werden zudem außergerichtliche Formen der Streitbeilegung künftig an Bedeutung gewinnen (I.). Daneben setzen viele Mitgliedstaaten auf eine Rechtsdurchsetzung durch Verwaltungsbehörden (II.). In einigen Ländern wird das Verbraucherrecht sogar durch strafrechtliche Sanktionen durchgesetzt (III.). Im Ergebnis zeigt sich, dass die überwiegende Mehrzahl der Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung verbraucherschützender Normen auf eine Kombination zwischen privat- und öffentlich-rechtlichen Maßnahmen setzt. In Deutschland wird das Verbraucherrecht demgegenüber allein im Wege des private enforcement durchgesetzt, soweit rein inländische Fälle betroffen sind. Damit stellt sich die Frage, ob das deutsche Sanktionsregime der Forderung „wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender“ Sanktionen entspricht (IV.).

I. Private Rechtsdurchsetzung 1. Individuelle und kollektive Rechtsbehelfe Bei der privaten Rechtsdurchsetzung lassen sich individuelle und kollektive Rechtsbehelfe voneinander unterscheiden. Da die individuellen Rechtsbehelfe im Zusammenhang mit spezifischen Verbraucherschutzinstrumenten behandelt werden,248 sind im vorliegenden Kontext vor allem die kollektiven Rechtsschutzformen von Inter246   Der Aussage, die Integration des Verbraucherrechts in das allgemeine Privatrecht sei rechtsvergleichend uneingeschränkt der Trend, so Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 70, kann daher nicht gefolgt werden. 247   Für einen Vergleich der Sanktionssysteme im Verbraucherrecht, der auch außereuropäische Rechtsordnungen einbezieht, vgl. die für die OECD erstellte Studie von Ogus/Faure/Philipsen, Best Practices for Consumer Policy: Report on the Effectiveness of Enforcement Regimes, DSTI/ CP (2006)21/FINAL, 2006; zusammenfassend Faure/Ogus/Philipsen, Loyola Consumer Law Review 2008, 361 ff. 248  Siehe infra, § 10 D.‑G.

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich

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esse (2. – 3.). Alternativ zur gerichtlichen Durchsetzung werden auch außergerichtliche Streitbeilegungsmechanismen in Zukunft eine größere Rolle spielen (4.). 2. Unterlassungsklagen Die UKlaRL 2009/22 (zuvor: UKlaRL 98/27) verpflichtet die Mitgliedstaaten, in ihrem nationalen Recht die Möglichkeit von Unterlassungsklagen bei Verletzung der im Richtlinienanhang aufgeführten verbraucherschützenden Rechtsakte vorzusehen. Klagebefugt sind nach Art. 3 der Richtlinie „qualifizierte Einrichtungen“, zu denen „unabhängige öffentliche Stellen“ (Verbraucherschutzbehörden) und/oder „Organisationen“ (Verbraucherverbände) gehören, die für den Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher zuständig sind. Die Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten damit die Wahl zwischen einem Behördenmodell, einem rein zivilrechtlichen Modell oder einer Kombination beider.249 Daneben sehen auch noch andere Richtlinien Unterlassungsklagen vor.250 Hervorzuheben ist vor allem die Klausel-RL 93/13, die in Art. 7 die Einrichtung abstrakter Kontrollverfahren verlangt, mit denen die Verwendung missbräuchlicher Klauseln über den Einzelfall hinaus untersagt werden kann. Die Umsetzung dieser Richtlinie hat in nahezu sämtlichen Mitgliedstaaten dazu geführt, dass Verbraucherverbände die Möglichkeit haben, im Wege einer Unterlassungsklage gegen Personen vorzugehen, die missbräuchliche Klauseln verwenden oder empfehlen.251 Bei einem Verstoß gegen sonstige verbraucherschützende Normen sieht die Rechtslage anders aus. Die von der Europäischen Kommission im Jahre 2012 veröffentlichte Liste über qualifizierte Einrichtungen zeigt, dass in einigen Mitgliedstaaten (Irland, Lettland, Litauen und Schweden) nur staatliche Einrichtungen berechtigt sind, eine Klage i. S. v. Art. 2 UKlaRL 2009/22 zu erheben.252 Den Verbraucherverbänden kommt in der Praxis darüber hinaus eine ganz unterschiedliche Bedeutung zu. Mehr als die Hälfte der in der Europäischen Union registrierten „qualifizierten Einrichtungen“ entfallen auf Verbraucherverbände und sonstige private Organisationen in Deutschland (26,4 %) und Griechenland (25,7 %).253 Besonders große Unterschiede bestehen zwischen den „alten“ Mitgliedstaaten und den im Jahre 2004 neu hinzugekommenen zehn Mitgliedstaaten. Während auf die alten Mitgliedstaaten 85 % aller qualifizierten Einrichtungen entfallen, stammen nur 15 % aller qualifizierten Einrichtungen aus den neuen Mitgliedstaaten.254 Diese Unterschiede sind darauf zurückzuführen, dass die Mehrzahl der Mitgliedstaaten vornehmlich auf eine Rechtsdurchsetzung durch staatliche Behörden setzt.255 249   ErwGr (10) und (11) UKlaRL 2009/22. A. A. G/H/Micklitz/Rott, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 25, Art. 3 Rn. 14, die aus dem effet utile eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einführung einer Unterlassungsklage für Verbraucherverbände ableiten. 250  Näher supra, § 10 B.V.1.b. 251   Ebers, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 197, 257. 252   Vgl. die Mitteilung der Kommission zu Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen, ABl. 2012 C 97. Vgl. ferner den Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen, KOM (2012) 635 endg., S. 6. 253   Twigg-Flesner, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 383, 398. Die Erhebung basiert auf Informationen, die von der Europäischen Kommission im Jahre 2006 veröffentlicht wurden; Mitteilung der Kommission zu Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 98/27/EG über Unterlassungsklagen, ABl. 2006 C 39/2. 254   Twigg-Flesner, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 383, 398 f. 255  Hierzu infra, § 10 C.II.2.

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§ 10  Verbraucherrecht

Durch den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten hat sich der Trend hin zur behördlichen Rechtsdurchsetzung verstärkt. Dies hat verschiedene Gründe. Zum einen existieren in den ehemals kommunistisch-sozialistischen Ländern nach wie vor nur wenige private Verbraucherorganisationen, weswegen in erster Linie auf die staatliche Rechtsdurchsetzung gesetzt wird.256 Zum anderen hatte die Kommission im Rahmen der Beitrittsverhandlungen aber auch darauf gedrängt, dass in den neuen Mitgliedstaaten staatliche Behörden mit dem Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher betraut werden.257 Die mit der UKlaRL 2009/22 verbundene Hoffnung der Kommission, die private Rechtsdurchsetzung zu stärken, konnte sich nicht erfüllen. Da die Richtlinie auf eine Harmonisierung der nationalen Verfahrensrechte im Bereich kollektiver Unterlassungsklagen verzichtet und nur die gegenseitige Anerkennung der Klagebefugnisse vorschreibt,258 sind Unterlassungsklagen in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgestaltet worden.259 Insbesondere der mit der Richtlinie angestrebte „freie Verkehr der Unterlassungsklagen“260 bei grenzüberschreitenden Verstößen stößt in der Praxis auf erhebliche Probleme.261 Die Kommission setzt daher mit der CPC-VO 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz mittlerweile auf ein öffentlich-rechtliches Durchsetzungsmodell.262 3. Kollektive Schadensersatzklagen a) Überblick Neben der Unterlassungsklage sehen viele Mitgliedstaaten auch kollektive Verfahren vor, mit denen mehrere natürliche Personen oder juristische Personen bzw. Verbände Schadensersatz einklagen können. Nach Angaben der Kommission bestanden im Jahre 2008 in dreizehn Mitgliedstaaten derartige Verfahren,263 die allerdings von Land zu Land erheblich variieren.264 256

  Ebers, Contratto e impresa/Europa 2007, 696, 729.   Bakardjieva Engelbrekt, in: Weatherill/Bernitz (Hrsg.), EC Directive 2005/29, 2007, S. 47, 74 f., 81 ff. Die Tendenz zur behördlichen Rechtsdurchsetzung des Verbraucherrechts wurde zusätzlich durch den Umstand verstärkt, dass in vielen neuen Mitgliedstaaten die Wettbewerbsbehörden gleichermaßen für das Kartellrecht wie für das Lauterkeits- bzw. Verbraucherrecht zuständig sind; Bakardjieva Engelbrekt, a. a. O., S. 80. 258   Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, 2001, S. 1, 9. 259   Im Einzelnen Micklitz, in: Micklitz/Rott/Docekal/Kolba (Hrsg.), Verbraucherschutz durch Unterlassungsklagen, 2007, S. 219 ff.; Twigg-Flesner, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 383 ff. 260   Grünbuch der Kommission über den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt, KOM (93) 576 endg., S. 87. 261   Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 98/27/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, KOM (2008) 756 endg., S. 5 ff.; Micklitz, in: Weatherill/ Bernitz (Hrsg.), EC Directive 2005/29, 2007, S. 235, 238 ff. 262   Hierzu sogleich, infra, § 10 C.II.1. 263   Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher, KOM (2008) 794 endg., S. 5, mit Hinweis auf die von der Kommission in Auftrag gegebene Studie: Civic Consulting/ Oxford Economics, Collective redress, 2008, S. 47: Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien und Vereinigtes Königreich (England und Wales). 264   Vgl. Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Öffentliche Konsultation, Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, SEK (2011) 173 endg., S. 4: „Im Grunde gibt es so viele Formen der Schadensersatzklage wie es Mitgliedstaaten gibt: Es gibt keine zwei nationale[n] Systeme, die gleich wären.“ 257

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich

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Ursächlich dafür ist der Umstand, dass auf europäischer Ebene bislang keine Harmonisierung der kollektiven Schadensersatzklagen stattgefunden hat. Die mit der UKlaRL 2009/22 (zuvor: UKlaRL 98/27) geschaffene Verbandsklage der Verbraucherverbände bzw. sonstiger „qualifizierter Einrichtungen“ ist auf Unterlassungsklagen beschränkt. Verbände und sonstige qualifizierte Einrichtungen können keine Schadensersatzansprüche auf diese Richtlinie stützen. Obwohl die Kommission in ihrer verbraucherpolitischen Strategie 2007 – 2013 angekündigt hatte, Maßnahmen in Sachen Verbraucher-Sammelklagen bei Verstößen gegen Verbraucherschutzbestimmungen ergreifen zu wollen265 und auf dieser Grundlage zunächst ein Grünbuch veröffentlicht266 und später einen Konsultationsprozess eingeleitet hatte,267 sind bislang keine Legislativvorschläge ausgearbeitet worden.268 Im Jahre 2013 beschränkte sich die Kommission darauf, eine Empfehlung zu kollektiven Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren zu veröffentlichen.269 Mit Blick auf die Formen kollektiver Schadensersatzklagen lassen sich drei Grundmodelle voneinander unterscheiden, nämlich Gruppenklagen, Verbandsklagen und Musterverfahren.270 Gemeinsam ist all diesen kollektiven Rechtsschutzformen, dass sie die rechtsökonomischen Defizite von Individualklagen kompensieren wollen,271 indem die rationale Apathie des Einzelnen überwunden und die mit einem Einzelprozess verbundenen Kosten und Risiken auf eine Vielzahl von Personen verteilt oder auf eine qualifizierte Einrichtung verlagert werden. Kollektive Rechtsschutzformen können die Effizienz der privatrechtlichen Normdurchsetzung sowohl bei Massenschäden als auch bei Streu- bzw. Bagatellschäden erhöhen. Gruppenklagen, Verbandsklagen und Musterverfahren sind allerdings nicht beliebig austauschbar. Es handelt sich vielmehr um jeweils spezielle Instrumente, deren Leistungsfähigkeit von der Art des eingetretenen Schadens und den konkreten Verfahrensbedingungen abhängt. b) Gruppenklagen Bei Gruppenklagen272 kann ein genau abgrenzbarer Personenkreis individuelle Schadensersatzansprüche gemeinsam einklagen. Die Prozessführung wird dabei mit Wirkung für und gegen alle entweder einem einzelnen Geschädigten, einem gewählten 265   Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007 – 2013). Stärkung der Verbraucher – Verbesserung des Verbraucherwohls – wirksamer Verbraucherschutz, KOM (2007) 99 endg., S. 13. 266   Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher, KOM (2008) 794 endg. Hierzu Alexander, WRP 2009, 683 ff.; Tamm, EuZW 2009, 439 ff. 267  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Öffentliche Konsultation, Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, SEK (2011) 173 endg. Vgl. hierzu die vom Deutschen Bundestag am 26.5.2011 angenommene Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 17/5956. 268   Kritisch: Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zu „Ein Verbraucherprogramm 2014 –  2020“, ABl. 2012 C 225/217. 269   Empfehlung der Kommission, Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl. 2013 L 201/60. Dazu Hodges, JCP 2014, 67 ff.; Stadler, GPR 2013, 281 ff. 270   Zu dieser Einteilung Micklitz/Stadler, EBLR 2006, 1473, 1477 – 1481; Stadler, in: BMELV (Hrsg.), Kollektive Rechtsdurchsetzung, 2006, S. 125, 131 ff.; Stuyck et al., An analysis and evaluation of alternative means of consumer redress, Final Report, 2007, S. 261 f. 271   Zur (mangelnden) Effektivität von Individualklagen aus rechtsökonomischer Sicht bereits supra, § 4 C.V.2. 272   Der Begriff der „class action“ ist im europäischen Kontext irreführend, da die Mitgliedstaaten keine Gruppenklagen kennen, die der US‑amerikanischen „class action“ (vollständig) entsprechen.

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§ 10  Verbraucherrecht

Vertreter oder einem sonstigen Repräsentanten überlassen. Gruppenklagen können nach dem Opt-in-Modell oder nach dem Opt-out-Modell ausgestaltet werden. Bei der Opt-in-Lösung werden nur diejenigen Geschädigten in ein Verfahren einbezogen, die sich ausdrücklich dazu bereit erklären. Bei einer Opt-out-Lösung wird dagegen jeder in den Prozess einbezogen, der einer Beteiligung an einer Gruppenklage nicht widersprochen hat. Opt-in-Gruppenklagen eignen sich besonders gut für die Bewältigung von Massenschäden, da die Geschädigten angesichts der Höhe der Einzelschäden regelmäßig zur Klage bereit sind. Für die Bewältigung von Streu- bzw. Bagatellschäden sind Opt-in-Gruppenklagen dagegen ungeeignet, da wegen des geringen Einzelstreitwerts kaum davon auszugehen ist, dass der Einzelne seine Ansprüche anmeldet.273 Opt-out-Gruppenklagen können dieses Problem beheben, sind jedoch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten problematisch, weil damit gegen den Dispositionsgrundsatz der Geschädigten verstoßen wird und der Anspruch auf rechtliches Gehör gefährdet wird, wenn sie nicht von der Einleitung eines Gruppenverfahrens benachrichtigt werden können. Die meisten Staaten274 und auch die Europäische Kommission275 lehnen daher die Einführung von Opt-Out-Gruppenklagen ab. Gruppenklagen finden sich in den skandinavischen Ländern (Dänemark, Finnland, Schweden sowie Norwegen),276 in Portugal,277 Spanien278 und Italien,279 in England und Wales,280 in Bulgarien281 sowie neuerdings auch in Frankreich.282 In den meisten dieser Länder sind Gruppenklagen nach dem Opt-in-Modell geregelt. Lediglich die portugiesische Regelung beinhaltet einen Opt-out-Mechanismus, der in der Praxis aber bislang kaum in Anspruch genommen wird.283 In Dänemark und 273   v. d. Bergh/Keske, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 17, 24. 274   Aus deutscher Sicht vgl. die Bundestag am 26.5.2011 angenommene Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 17/5956, S. 10; Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß, 2001, S. 1, 16 ff. 275   Empfehlung der Kommission, Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl. 2013 L 201/60, unter Rn. 21 – 24. 276   Allgemeiner Überblick bei Viitanen, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 219 ff. Für Schweden vgl. Lindblom/Nordback, in: BMELV (Hrsg.), Kollektive Rechtsdurchsetzung, 2006, S. 191 ff.; Mom, in: Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, 2005, S. 497 ff. In Finnland kann die Gruppenklage nur vom Verbraucherombudsmann erhoben werden; Viitanen, a. a. O., S. 224. 277   Gesetz 83/95. Hierzu Antunes, in: Globalization of Class Action, 2007; Gonçalves Borges/ Serra Baptista, in: Karlsgodt (Hrsg.), World class actions, 2012, S. 312 ff. 278  Dazu Mom, in: Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, 2005, S. 655, 717 ff. 279   Ursprünglich sollte im Codice del consumo eine kollektive Schadensersatzklage zugunsten von qualifizierten Einrichtungen (Vereine und Ausschüsse) eingeführt werden; vgl. Barba, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 243 ff. Nach der am 1.1.2010 in Kraft getretenen Regelung liegt die Aktivlegitimation dagegen nur noch bei den betroffenen Verbrauchern; Bastian, in: Schmidt-Kessel/Schubmehl (Hrsg.), Lauterkeitsrecht in Europa, 2011, S. 355, 400 f. 280   Hodges, The Reform of Class and Representative Actions in Europe, 2008, S. 53 ff. Nordhausen Scholes, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 192, 199 ff. 281   Civic Consulting/Oxford Economics, Collective redress, 2008, S. 32. 282   Mit dem Gesetz „Hamon“ v. 17.3.2014 wurde in die Art. L. 423 – 1 bis L. 423 – 26 C.Cons. die Möglichkeit eingeführt, dass Verbraucher Schadensersatzansprüche gegen Unternehmer im Wege der Gruppenklage („action de groupe“) gerichtlich geltend machen können; hierzu Klein, RIW 2014, Heft 6, Die erste Seite; Rohlfing-Dijoux, EuZW 2014, 771 ff. 283   Antunes, in: Globalization of Class Actions, 2007.

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich

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Norwegen kann das Prozessgericht vom Opt-in-Modus abweichen und ein Optout-Verfahren wählen, wenn aufgrund der geringen individuellen Schadenshöhe nicht damit zu rechnen ist, dass Geschädigte dem Verfahren beitreten.284 c) Verbandsklagen Von der Gruppenklage zu unterscheiden ist die Verbandsklage, bei der Ersatzansprüche der einzelnen Geschädigten zu einem einzigen Ersatzanspruch gebündelt und einem Verband an die Hand gegeben werden. Die Klage kann einerseits als Mitgliederverbandsklage bzw. egoistische Verbandsklage ausgestaltet sein, mit welcher der Verband Individualrechte seiner Mitglieder gebündelt geltend macht. Denkbar ist andererseits die altruistische bzw. ideelle Verbandsklage, bei der den Verbänden ein eigener Schadensersatzanspruch bei Verletzung eines überindividuellen Verbraucherinteresses zugesprochen wird. Die Verbandsklage ist in diesen Fällen nicht auf Schadenskompensation, sondern auf Prävention ausgerichtet. Verbandsklagen weisen den Vorteil auf, dass die Verbände – ähnlich wie staatliche Behörden – als repeat player agieren und dadurch spezifische Kenntnisse ansammeln können, über die Einzelne nicht verfügen.285 Da der klagebefugte Verband bzw. die Verbandsmitglieder als Gemeinschaft die Prozesskosten und das Prozessrisiko tragen, kann auch das Problem des rationalen Desinteresses bei Streu- bzw. Bagatellschäden überwunden werden. Erfolgreich ist das Modell der Verbandsklage allerdings nur dann, wenn eine ausreichende Finanzierung der Verbände sichergestellt wird.286 Altruistische Verbandsklagen bestehen in Frankreich,287 Griechenland288 und Bulgarien.289 In Deutschland wurde im Zuge der Novellierung des UWG im Jahre 2004 ein Gewinnabschöpfungsanspruch eingeführt. Nach § 10 UWG können Verbraucherverbände unter Verstoß gegen das UWG erlangte Gewinne von den Unternehmen herausverlangen. Die Gewinne sind an den Bundeshaushalt abzuführen. Es geht daher nicht um Schadenskompensation, sondern um Abschreckung bzw. Prävention.290 Da die abgeschöpften Gewinne abzuführen sind, die Verbände aber das Prozessrisiko tragen, bestehen in der Praxis für die Verbände sehr geringe Kla284

  Stadler, JZ 2009, 121, 128 m. w. N.   van den Bergh/Keske, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 17, 35 f. 286  Weiterführend G. Wagner, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 41, 78 f. 287   Die in Art. L 421‑1 CCons vorgesehene, im strafprozessualen Adhäsionsverfahren geltend zu machende action civile ermächtigt die anerkannten Verbraucherverbände, kollektive Verbraucherinteressen gerichtlich wahrzunehmen; Franke, Verbandsklagen, 2002; Mäsch, ZEuP 2003, 375, 382 ff. Im Unterschied zu früher werden nicht mehr nur die Verfahrenskosten bzw. symbolische Beträge den Verbänden zugesprochen, sondern zunehmend auch Straf- und Abschreckungsgesichtspunkte bei der Schadensbemessung berücksichtigt; Keßler/Micklitz, Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts, 2003, S. 122. 288   Keßler/Micklitz, Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts, 2003, S. 127 f. 289   Civic Consulting/Oxford Economics, Collective redress, 2008, S. 32. 290  Regierungsbegründung zur UWG-Novelle 2004, BT‑Drucks. 15/1487, S. 24. Aus diesem Grunde kritisch Engels/Salomon, WRP 2004, 32, 42 (Gewinnabschöpfung als „Schreckgespenst“); Sack, WRP 2003, 549, 558 (Gewinnabschöpfung ist wegen ihres Strafcharakters mit elementaren Rechtsgrundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar); Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12 ff. 285

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§ 10  Verbraucherrecht

geanreize.291 Eine besondere Mischform zwischen Gruppen- und Verbandsklage existiert in den Niederlanden. Nach der im Jahre 2005 eingeführten Neuregelung für Massenschäden kann ein außergerichtlicher Vergleich, der von einer Interessenvertretung der Geschädigten ausgehandelt wurde, gerichtlich für alle Geschädigten in einem Opt-out-Verfahren für verbindlich erklärt werden.292 d) Musterverfahren In einigen Ländern bestehen schließlich Musterverfahren, bei denen Sach- und Rechtsfragen, die sich in vielen Verfahren gleichermaßen stellen, anhand eines exemplarischen Falles geklärt werden können, so dass die gewonnenen Erkenntnisse als „Muster“ für weitere Verfahren zur Verfügung stehen. Kennzeichnend für diese Form des kollektiven Rechtsschutzes ist, dass das Musterverfahren auf eine befriedende, klärende oder verändernde Rechtslage für eine Vielzahl von Betroffenen hinausläuft.293 Musterprozesse eignen sich vor allem für die Bewältigung von Massenschäden, wenn es darum geht, rechtliche oder tatsächliche Fragen, die in vielen ähnlich gelagerten Streitfällen eine Rolle spielen, zusammenzufassen. Bei Streu- bzw. Bagatellschäden tragen Musterverfahren dagegen kaum zur Lösung der Probleme bei, da angesichts der geringen Streitwerte weder einzelne Verbraucher noch Verbraucherverbände bereit sein werden, einen Musterprozess im Interesse anderer anzustrengen. In Deutschland besteht seit 2005 mit dem Kapitalmusterverfahrensgesetz (KapMuG)294 die Möglichkeit, auf Antrag einer Partei einen Musterprozess295 durchzuführen, sofern sich mindestens neun weitere Geschädigte der Klage anschließen (§ 6 Abs. 1 S. 1 KapMuG 2012). Das übergeordnete OLG bestimmt den Musterkläger (§ 9 Abs. 2 S. 1 KapMuG 2012) und fällt einen Musterentscheid, der für die Prozessgerichte in allen parallel ausgesetzten Verfahren bindend ist (§ 22 KapMuG 2012). Der Geltungsbereich des KapMuG ist im Wesentlichen auf Schadensersatzansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation beschränkt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG 2012).296 Zur Durchsetzung „rein“ verbraucherrechtlicher Bestimmungen steht in Deutschland neben den traditionellen Bündelungsformen, die von der Verfahrensverbindung 291   So die Stellungnahme des Bundesrates in der Regierungsbegründung zum GWB 2005, das in § 34a GWB eine § 10 UWG entsprechende Regelung für das Kartellrecht enthält, BT‑Drucks. 15/3640, S. 78. Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559, 562. 292   van Boom, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 171, 177 ff. 293   H. Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990, S. 8. 294   Das KapMuG war ursprünglich auf fünf Jahre befristet, um in dieser Zeit zu evaluieren, ob sich das Gesetz in seiner praktischen Erprobung bewährt; § 9 Abs. 2 KapMuG 2005. Nach einer Verlängerung der Geltungsdauer um zwei Jahre bis zum 31.10.2012 wurde das Gesetz im Jahre 2012 neu verkündet und erneut mit einem Verfallsdatum versehen; BGBl. I 2012, S. 2182. Es tritt nunmehr am 1.11.2020 außer Kraft (§ 28 KapMuG 2012). 295   Das Musterverfahren nach dem KapMuG wird im Schrifttum häufig als „Hybrid“ aus Gruppenklage und Musterprozess bezeichnet; vgl. Reuschle, in: Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl., 2014, § 9 Rn. 2 ff. Vgl. auch Zimmer/Höft, ZGR 2009, 662, 672 ff. 296   Daneben gilt das KapMuG für einen Erfüllungsanspruch aus Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruht (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG 2012). Durch das KapMuG 2012 wurde der Anwendungsbereich zudem gegenüber dem bisherigen Recht moderat erweitert und in § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG auf Rechtsstreitigkeiten mit mittelbarem Bezug zu einer öffentlichen Kapitalmarktinformation und somit insbesondere auf Anlagevermittler und ‑berater ausgedehnt.

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich

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über die Streitgenossenschaft bis zur Musterprozessabrede reichen, nur die sog. „Verbandsmusterklage“297 zur Verfügung: Verbraucherzentralen und andere mit öffentlichen Mitteln geförderte Verbraucherverbände können fremde Forderungen oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretene Forderungen einziehen (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 2 Abs. 2 S. 1 RDG) und gleichgerichtete Verbraucheransprüche in einem gerichtlichen Verfahren geltend machen (§ 79 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO).298 Der Verband hat damit die Möglichkeit, aus einer Vielzahl von Betroffenen einen oder mehrere auszuwählen und eine Verbandsmusterklage anzustrengen. Auch in Österreich kann sich ein Verbraucherverband die Ansprüche geschädigter Parteien abtreten lassen und diese im Wege der objektiven Klagehäufung geltend machen.299 Problematisch ist in beiden Ländern,300 dass über sämtliche Ansprüche der Verbraucher einzeln entschieden werden muss, da eine gerichtliche Entscheidung keine rechtliche Bindungswirkung für Parallelfälle entfaltet. Zudem ist das Einsammeln von Abtretungserklärungen aufwändig. 4. Außergerichtliche Streitbeilegung Außergerichtliche Formen der Streitbeilegung (Alternative Dispute Resolution, ADR) eröffnen eine Alternative zum traditionellen Rechtsweg, indem sie den Betroffenen die Möglichkeit zur außergerichtlichen Lösung eines Konflikts in einem nicht förmlichen Verfahren zur Verfügung stellen. a) Unionsrechtliche Vorgaben In der Vergangenheit verpflichtete das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nur in einigen wenigen sektorspezifischen Richtlinien zur Einrichtung von außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren.301 Diese Situation hat sich mit der ADR-RL 2013/11 geändert. Die Richtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, für inländische und grenzübergreifende Streitigkeiten aus B2C-Kauf- und Dienstleistungsverträgen bis zum 9. Juli 2015 ein flächendeckendes Angebot an Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung bereitzustellen.302 Für die Beilegung von Streitigkeiten aus elektronischen 297

 Hierzu Brönneke, VuR 2002, 153 f.; Heidemann-Peuser, VuR 2002, 455 ff.   Nach früherer Gesetzeslage musste die gerichtliche Einziehung gem. Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG „im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich“ sein; hierzu BGHZ 170, 18 = NJW 2007, 593; Micklitz/Hüttner, JZ 2008, 151 f. Dieses Erfordernis wurde durch das am 1.7.2008 in Kraft getretene RDG beseitigt; BGH, NJW 2013, 3580. 299   Zu dieser „Sammelklage österreichischer Prägung“ Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2. Aufl., 2008, S. 258 ff.; Augenhofer, in: dies. (Hrsg.), Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, 2009, S. 39, 58. 300   Für das deutsche Recht G. Wagner, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 41, 61 ff.; für das österreichische Recht Augenhofer, in: dies. (Hrsg.), Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, 2009, S. 39, 58. 301   Vgl. Art. 83 PSD I 2007/64; Art. 24 VerbrKrRL 2008/48; Art. 34 Abs. 1 Universaldienstleistungs-RL 2002/22 i. d. F. der RL 2009/136; Anhang I Abs. 1 lit. f Elektrizitäts-RL 2009/72; Anhang I Abs. 1 lit. f Erdgas-RL 2009/73. Daneben müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 17 Abs. 1 ECRL 2000/31 sicherstellen, dass ihre Rechtsvorschriften die Inanspruchnahme der nach innerstaatlichem Recht verfügbaren Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung, auch auf geeignetem elektronischen Wege, nicht erschweren. 302   Art. 5 ADR-RL 2013/11; hierzu Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 17 („unionsrechtlicher ADR-Gewährleistungsanspruch“). Anders offenbar Reich, ERCL 2014, 258, 268 („Member States are free to set it up“). Den Mitgliedstaaten bleibt es demgegenüber überlassen, 298

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§ 10  Verbraucherrecht

Verbraucherverträgen (Online Dispute Resolution, ODR) gilt ergänzend die ODRVO 524/2013. Die Verordnung sieht vor, dass die Kommission für die Online-Streitbeilegung eine interaktive Internetseite einrichtet, die als zentrale Anlaufstelle für Verbraucher und Unternehmer dient und vor allem die richtige ADR-Stelle vermitteln soll.303 Beide Rechtsakte zielen darauf ab, dem Verbraucher branchenübergreifend eine „einfache, schnelle und kostengünstige Möglichkeit der außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten“ zur Verfügung zu stellen.304 Die ADR-RL 2013/11 schreibt zu diesem Zweck bestimmte qualitative Mindestanforderungen für „unabhängige, unparteiische, transparente, effektive, schnelle und faire“ ADR-Verfahren vor.305 Den Mitgliedstaaten bleibt es demgegenüber überlassen, wie Streitbeilegungsverfahren strukturiert werden und wer auf welcher Grundlage und mit welcher Bindungswirkung eine Entscheidung trifft.306 b) Kritik Mit der Einrichtung von ADR-Stellen in ganz Europa könnte der gerichtliche Rechtsschutz in Verbrauchersachen in bedenklicher Weise ausgehöhlt werden.307 Ein abgeschlossenes ADR-Verfahren kann nach Wahl der Mitgliedstaaten nicht nur zu einer Empfehlung der ADR-Stelle, sondern auch zu einer verbindlichen Entscheidung oder zu einem Vergleich zwischen den Parteien führen (Art. 2 Abs. 1 ADR-RL 2013/11). Zwar dürfen ADR-Verfahren nicht so gestaltet werden, „dass sie gerichtliche Verfahren ersetzen oder Verbrauchern oder Unternehmern das Recht nehmen, den Schutz ihrer Rechte vor Gericht einzufordern“.308 Die Mitgliedstaaten müssen daher sicherstellen, dass Schiedsvereinbarungen für den Verbraucher unverbindlich sind, wenn sie vor dem Entstehen der Streitigkeit getroffen wurden und wenn sie dazu führen, dass dem Verbraucher das Recht entzogen wird, die Gerichte zur Beilegung des Streitfalls anzurufen (Art. 10 Abs. 1 ADR-RL 2013/11). Den Parteien darf eine verbindliche Lösung ferner nur dann auferlegt werden, wenn sie voll informiert wurden und ausdrücklich zugestimmt haben (Art. 10 Abs. 2 ADR-RL 2013/11). Art. 11 ADR-RL 2013/11 bestimmt zudem, dass die auferlegte Lösung dem Verbraucher nicht den Schutz der zwingenden Bestimmungen seines gewöhnlichen Aufenthalts entziehen darf. Die Richtlinie sieht jedoch keinerlei Kontrollmechanismen vor, mit denen die Einhaltung dieser Verpflichtungen überwacht werden könnte. Da die streitbeilegende Person nur über ein „allgemeines Rechtsverständnis“, nicht aber über ein abgeschlossenes juristisches Studium ob sie die Unternehmen zur Teilnahme an einem ADR-Verfahren verpflichten oder nur ermutigen; ErwGr (49) ADR-RL 2013/11. 303   Die ODR-Plattform stellt vor allem ein elektronisches Beschwerdeformular zur Verfügung, über das eine Beschwerde eingereicht und die zuständige ADR-Stelle ermittelt werden kann; Art. 5, 8 und 9 ODR-VO 524/203. 304   ErwGr (5) ADR-RL 2013/11; ähnlich ErwGr (8) ODR-VO 524/2013. 305   Art. 1 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 6 – 12 ADR-RL 2013/11. Hierzu Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 25 ff. 306   Art. 2 Abs. 1 ADR-RL 2013/11 (ADR-Stelle, „die eine Lösung vorschlägt oder auferlegt oder die Parteien mit dem Ziel zusammenbringt, sie zu einer gütlichen Einigung zu veranlassen“). 307   Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704, 1707 f.; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 31 ff.; Reich, ERCL 2014, 258 ff.; H. Roth, JZ 2013, 637 ff.; G. Wagner, CMLR 2014, 165, 178 f. Positiv dagegen Hirsch, NJW 2013, 2088, 2093 f. (keine Konkurrenz zwischen Richter und Schlichter). 308   ErwGr (45) ADR-RL 2013/11. Vgl. auch ErwGr (26) ODR-VO 524/2013.

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verfügen muss,309 ist nicht sichergestellt, dass die zwingenden Vorschriften tatsächlich beachtet und richtig angewendet werden.310 ADR-Stellen sind auch nicht befugt, dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorzulegen.311 Schließlich sieht die Richtlinie keine Rechtsbehelfe vor, mit denen der Verbraucher die ordentlichen Gerichte anrufen könnte, wenn das ADR-Verfahren aufgrund einer unwirksamen Vereinbarung eingeleitet wurde oder die ADR-Stelle eine Entscheidung trifft, die gegen zwingendes Verbraucherrecht verstößt.312 Die ADR-RL 2013/11 könnte damit dazu führen, dass die dem Verbraucher durch das Unionsrecht zugewiesenen Rechte im außergerichtlichen Verfahren der Streitbeilegung entzogen werden. Dies stünde im Widerspruch zum Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 47 GRC) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH. Zum einen hat der Gerichtshof im Fall Alassini313 hervorgehoben, dass ein obligatorisches Schlichtungsverfahren mit dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes nur dann vereinbar ist, wenn dieses Verfahren nicht zu einer die Parteien bindenden Entscheidung führt. Zum anderen hat er in einer Reihe von Entscheidungen betont, dass der ordre public unionsrechtlicher Vorschriften ein Eingreifen der nationalen Gerichte von Amts wegen erfordern kann und dass zu diesem ordre public insbesondere die zwingenden Vorschriften des europäischen Verbraucherrechts zählen.314 Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung bedarf die ADR-RL 2013/11 einer primärrechtskonformen Auslegung:315 Unterbreitet die ADR-Stelle nicht nur – wie in Deutschland vorgesehen316 – einen unverbindlichen Entscheidungsvorschlag, sondern wird ihr nach nationalem Recht die Befugnis eingeräumt, eine verbindliche Entscheidung zu treffen, so müssen dem Verbraucher nach mitgliedstaatlichem Recht die erforderlichen Rechtsbehelfe eingeräumt werden, um diese Entscheidung gerichtlich nachprüfen lassen zu können.317 309   Art. 6 Abs. 1 S. 2 lit. a ADR-RL 2013/11; vgl. auch ErwGr (36) ADR-RL 2013/11: Streitbeilegende Personen sollten „über ausreichende allgemeine Rechtskenntnisse verfügen, um die rechtlichen Folgen der Streitigkeit zu verstehen, wobei es nicht erforderlich sein sollte, dass sie für den Berufsstand der Juristen qualifiziert sind“. 310   Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704, 1707; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 36 f.; H. Roth, JZ 2013, 637, 643 f. 311   St. Rspr.; vgl. EuGH, Rs. C‑125/04 (Denuit und Cordenier) Rn. 13 m. w. N. 312   Nach Art. 2 Abs. 4 ADR-RL 2013/11 liegt es ausschließlich in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, festzulegen, ob ADR-Stellen in ihrem Hoheitsgebiet „Lösungen auferlegen“ dürfen. Nach ErwGr (45) muss nur bei unverbindlichen ADR-Verfahren sichergestellt werden, dass die Parteien im Anschluss an ein ADR-Verfahren nicht daran gehindert werden, ein Gerichtsverfahren hinsichtlich dieser Streitigkeit einzuleiten. 313   EuGH, verb. Rs. C‑317 – 320/08 (Alassini) Rn. 54 (zu Art. 34 Universaldienst-RL 2002/22); dazu bereits supra, § 2 E.IV. 314   Zu Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 EuGH, Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 35 f.; Rs. C‑243/ 08 (Pannon) Rn. 31 f.; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 52. Zu Art. 11 Abs. 2 VerbrKrRL 87/102 (jetzt Art. 15 Abs. 2 VerbrKrRL 2008/48) EuGH, Rs. C‑429/05 (Rampion) Rn. 62 f. Zu Art. 4 HWiRL 85/577 (jetzt Art. 6 Abs. 1 lit. h VRRL 2011/83) EuGH, Rs. C‑227/08 (Martín Martín) Rn. 28. Zum Ganzen Ebers, ERPL 2010, 823 ff. 315   Zur primärrechtskonformen Auslegung im Lichte des Art. 47 GRC supra, § 4 C.I.4.b. 316   Nach § 5 Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (BGBl. I 2016, S. 254) darf die Verbraucherschlichtungsstelle keine Konfliktbeilegungsverfahren durchführen, die dem Verbraucher eine verbindliche Lösung auferlegen oder die das Recht des Verbrauchers ausschließen, die Gerichte anzurufen. Verfahren, bei denen der Verbraucher sich vorab verpflichtet, sich einem ihm noch nicht bekannten Entscheidungsvorschlag des Schlichters zu unterwerfen, sind somit ausgeschlossen; vgl. BT‑Drucks. 18/5089, S. 54. 317   Im Ergebnis auch Reich, ERCL 2014, 258, 280. G. Wagner, CMLR 2014, 165, 172 f., hält es dagegen für unwahrscheinlich, dass der EuGH die ADR-RL 2013/11 oder darauf basierende mitglied-

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II. Rechtsdurchsetzung durch Verwaltungsbehörden 1. Unionsrechtliche Vorgaben: Die CPC-VO 2006/2004 Die geltenden Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet des Verbraucherrechts verpflichten die Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich zur behördlichen Rechtsdurchsetzung, wenn es um einen rein innerstaatlichen Verstoß gegen Verbraucherschutzgesetze geht. Hiervon ausgenommen sind lediglich Finanzdienstleistungen, deren Vertrieb nach einigen Richtlinien einer behördlichen Aufsicht bedarf.318 Für innergemeinschaftliche Verstöße319 etabliert die CPC-VO 2006/2004 „über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden“ (Consumer Protection Cooperation; CPC) dagegen ein behördliches Rechtsdurchsetzungsmodell. Die Verordnung hat zum Ziel, die Kooperation von mitgliedstaatlichen Verbraucherschutzbehörden untereinander und mit der EU‑Kommission bei der Durchsetzung zu verbessern, indem ein EU‑weites Behördennetzwerk geschaffen wird (Art. 1 CPC-VO 2006/2004). Jeder Mitgliedstaat hat gem. Art. 4 Abs. 1 CPC-VO 2006/2004 die zuständigen Behörden und eine zentrale Verbindungsstelle zu benennen, die Verstöße gegen die im Anhang genannten Richtlinien und Verordnungen mit den erforderlichen hoheitlichen Befugnissen verfolgen und sanktionieren können. Die Verordnung stellt zugleich Mindestanforderungen für die Ermittlungs- und Durchsetzungsbefugnisse dieser Behörden auf. Dazu gehört insbesondere das Recht, relevante Unterlagen jeglicher Art und Form einzusehen, von jedermann einschlägige Auskünfte zu verlangen, Ermittlungen vor Ort durchzuführen, Unterlassungsverfügungen zu erwirken bzw. zu erlassen sowie die Befugnis, im Falle der Nichtbeachtung einer Entscheidung von der unterlegenen Partei zu verlangen, einen bestimmten Betrag an eine öffentliche Kasse oder an einen anderen im Rahmen einzelstaatlicher Rechtsvorschriften bezeichneten Begünstigten zu zahlen (Art. 4 Abs. 6 CPC-VO 2006/2004). Die mitgliedstaatlichen Behörden müssen tätig werden, wenn Amtshilfeersuchen von Behörden aus anderen Mitgliedstaaten eingehen. Die Amtshilfe umfasst dabei sowohl Informations- als auch Durchsetzungsersuchen. Der Europäischen Kommission werden demgegenüber keine Durchsetzungsrechte übertragen. Sie unterstützt und koordiniert vielmehr in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die Durchsetzungstätigkeiten und die Verwaltungszusammenarbeit.320 staatliche Regelungen wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz für nichtig bzw. nicht anwendbar erklären wird. 318   Vgl. nur Art. 20 VerbrKrRL 2008/48. 319   Nach Art. 2 Abs. 1 CPC-VO 2006/2004 gilt die Verordnung nur für innergemeinschaftliche Verstöße. Innergemeinschaftliche Verstöße sind nach Art. 3 lit. b CPC-VO 2006/2004 solche, bei denen die betroffenen Verbraucher in einem anderen Mitgliedstaat oder anderen Mitgliedstaaten als dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem die Handlung bzw. Unterlassung ihren Ursprung hatte oder stattfand, oder in dem der verantwortliche Unternehmer niedergelassen ist oder in dem Beweismittel oder Vermögensgegenstände betreffend die Handlung oder die Unterlassung vorhanden sind. 320   Im Rahmen der Vorarbeiten wies die Kommission ausdrücklich darauf hin, dass eine zentrale Durchsetzung des Verbraucherrechts durch die Kommission nicht in Betracht komme, vgl. MEMO/01/307: „Die Kommission hat weder die nötigen Mittel noch die Absicht, und schon gar nicht die EG‑vertragliche Befugnis, als eine Art Fair Trade Commission für die Durchsetzung von Verbraucherrecht zu fungieren.“ Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, 2006, S. 79 f., fordert demgegenüber, dass der Kommission zur Durchsetzung des Lauterkeitsrechts – wie im EU‑Kartellrecht – die von der Verordnung umfassten Eingriffsermächtigungen erteilt werden sollten.

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich

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Die CPC-VO 2006/2004 verstärkt die Tendenz hin zur behördlichen Durchsetzung des Verbraucherrechts in Europa. Besonders betroffen sind damit diejenigen Staaten, die wie Deutschland und Österreich traditionell auf ein rein privatrechtliches Modell der Rechtsdurchsetzung durch Verbraucher- und Wirtschaftsverbände setzen. Die Verordnung führt zwar nicht zwangsläufig zu einem Paradigmenwechsel321 in diesen Ländern. Zum einen ist der Anwendungsbereich der Verordnung ausschließlich auf innergemeinschaftliche Verstöße beschränkt.322 Deutschland und Österreich halten daher auch nach Erlass der Verordnung bei innerstaatlichen Verstößen an einem rein privatrechtlichen Durchsetzungsmodell fest (hierzu sogleich, sub 2). Zum anderen räumt die Verordnung den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, dass Stellen, die ein legitimes Interesse an der Verfolgung innergemeinschaftlicher Verstöße haben, von den zuständigen Behörden mit der zivilgerichtlichen Durchsetzung beauftragt werden können.323 Diese Öffnungsklausel gestattet den Mitgliedstaaten, die Rechtsdurchsetzung selbst bei innergemeinschaftlichen Verstößen in die Hände von Verbraucherorganisationen und Wirtschaftsverbänden zu legen und der staatlichen Behörde eine bloße Residualverantwortung für die grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung zuzuweisen. Die Verordnung nimmt auf diese Weise Rücksicht auf die Tradition jener Mitgliedstaaten, die wie Deutschland und Österreich ein ausschließlich privatrechtliches Durchsetzungsregime vorsehen.324 Mittelfristig ist dennoch nicht auszuschließen, dass mit zunehmenden Amtshilfeersuchen aus anderen Mitgliedstaaten der politische Druck wachsen wird, der staatlichen Verbraucherschutzbehörde bei innerstaatlichen Verstößen dieselben Kompetenzen einzuräumen wie bei grenzübergreifenden. 2. Rechtslage in den Mitgliedstaaten a) Administrative Rechtsdurchsetzung In der Mehrzahl der Mitgliedstaaten können Verbraucherschutzgesetze nicht nur durch Private, sondern auch durch öffentliche Behörden durchgesetzt werden, die für den Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher zuständig sind.325 Solche Ämter bestehen insbesondere in den nordischen Ländern (Dänemark, Finnland, Schweden) mit dem Verbraucherombudsmann, in Estland mit dem Consumer Protection Board, in Lettland mit dem Consumer Rights Protection Centre, in Litauen mit dem National Consumers’ Rights Protection Board, in Malta mit dem Director of Consumer Affairs, in Polen mit dem Director of the Office for the Protection of Competition and Consumers, in der Slowakei mit der Slovak Trade Inspection, in Ungarn mit der National Consumer Protection Authority, in Zypern mit dem Director of Competition and Consumer’s Protection Service, in Irland mit der Nati321  So Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 94; vgl. auch Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, 2006, S. 79; Leistner, ZEuP 2009, 56, 78 f.; Micklitz, in: Weatherill/Bernitz (Hrsg.), EC Directive 2005/29, 2007, S. 235, 245 ff. 322   Art. 2 Abs. 1 CPC-VO 2006/2004. 323   Art. 4 Abs. 2 S. 2, Art. 8 Abs. 3 CPC-VO 2006/2004. 324   Vgl. den Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz, Ausschuss für Recht und Binnenmarkt, Berichterstatterin: Evelyne Gebhardt, A5 – 0191/2004, S.  38 f. 325   Zum Folgenden Ebers, Contratto e impresa/Europa 2007, 696, 724 ff.

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§ 10  Verbraucherrecht

onal Consumer Agency (zuvor: Director of Consumer Affairs) sowie im Vereinigten Königreich326 mit den Trading Standard Services (TSS) sowie dem Office of Fair Trading (OFT), dessen Aufgaben seit April 2014 von der Competition and Markets Authority (CMA) wahrgenommen werden. Administrative Elemente finden sich darüber hinaus in weiteren Ländern, die Verwaltungsbehörden zwar keine weitreichenden Kontrollbefugnisse einräumen, diesen Stellen aber die Möglichkeit geben, eine Unterlassungsklage vor Gericht zu erheben, so beispielsweise in Belgien, Portugal und Spanien. In den Niederlanden hat der Erlass der CPC-VO 2006/2004 dazu geführt, dass im Jahre 2007 mit der Consumentenautoriteit eine neue Aufsichtsbehörde geschaffen wurde, die die Einhaltung und Durchsetzung des niederländischen Verbraucherschutzrechts gewährleisten soll.327 Zwar erstreckt sich der Anwendungsbereich der CPC-VO 2006/2004 nur auf innergemeinschaftliche Verstöße. Bei Durchführung der Verordnung entschied man sich dennoch dafür, den Zuständigkeitsbereich der Consumentenautoriteit nicht auf diese Fälle zu beschränken, um Rechtsdurchsetzungsdefizite im niederländischen Recht grundsätzlich zu beheben und einer Inländerdiskriminierung entgegenzuwirken. Die Kompetenzen der Verbraucherschutzbehörden sind in den Mitgliedstaaten unterschiedlich stark ausgeprägt. In vielen Ländern wird den Behörden die Aufgabe zugewiesen, Verbraucherbeschwerden nachzugehen bzw. auf eigene Initiative Ermittlungen einzuleiten. Hiermit korrespondiert das Recht der Verbraucherschutzbehörden, von Unternehmen relevante Dokumente und Informationen einzufordern. Auf dieser Grundlage versuchen viele Behörden, im Verhandlungswege auf eine Einhaltung der Verbraucherschutzgesetze hinzuwirken. Charakteristisch ist dieses Verfahren vor allem in den nordischen Staaten328 sowie im Vereinigten Königreich.329 Daneben setzen viele Länder im Lauterkeitsrecht auf eine „Vorkontrolle“ durch Selbstregulierung.330 In einigen Mitgliedstaaten gehen die Kompetenzen der Verbraucherschutzbehörden besonders weit. Sie umfassen nicht nur die Befugnis, vor Gericht eine Klage zu erheben, sondern auch das Recht, selbst eine Verfügung zu erlassen. In Dänemark331 hat der Verbraucherombudsmann das Recht, bei einem eindeutigen Verstoß gegen das Marktgesetz Unterlassungsverfügungen zu erlassen, soweit die Zuwiderhandlung nicht im Verhandlungswege beseitigt werden kann. Das betroffene Unternehmen

326   Zur Aufgabenverteilung zwischen CMA und sonstigen Behörden vgl. CMA, Consumer Protection: Guidance on the CMA’s approach to use of its consumer powers, March 2014, CMA7. 327   Mom, Kollektiver Rechtsschutz in den Niederlanden, 2011, S. 45 ff.; zum Gesetzesvorschlag Heldeweg, Utrecht Law Review 2006, 67, 72 ff. 328  Dazu Dahl, in: Dahl/Melchior/Tamm, Danish Law in a European Perspective, 2. Aufl., 2002, S. 413, 421 ff. 329   Vgl. nur sec. 214 (1) Enterprise Act 2002: „An enforcer must not make an application for an enforcement order unless he has engaged in appropriate consultation with (a) the person against whom the enforcement order would be made (. . .)“. Siehe auch Nordhausen-Scholes, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 193, 205. Inwieweit die mit dem Consumer Rights Act 2015 neu eingeführten „enhanced consumer measures“ (hierzu Whittaker, in: Chitty on Contracts, II, 32. Aufl., 2015, Rn. 38 – 129) einen Paradigmenwechsel herbeiführen, bleibt abzuwarten. 330   Vgl. für das britische Recht Jergolla, WRP 2003, 431 ff. 331   Sec. 23, 27 und 30 Consolidated Marketing Practices Act Nr. 58 v. 20.1.2012.

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich

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kann die Verfügung anfechten und vor Gericht bringen. Verstößt der Unternehmer gegen eine Verfügung des Ombudsmanns bzw. des Gerichts, kann diese Zuwiderhandlung durch eine Geldstrafe oder eine bis zu viermonatige Gefängnisstrafe geahndet werden. In Schweden332 kann der Verbraucherombudsmann bei Scheitern von Verhandlungen in Fällen geringerer Bedeutung ebenfalls eine Verbotsverfügung erlassen. Unterbleibt eine Unterwerfung oder handelt es sich um einen bedeutenden Fall, kann der Ombudsmann ein Unterlassungsverfahren vor dem Marktgerichtshof einleiten. Ähnlich hierzu hat in Finnland333 der Verbraucherombudsmann die Möglichkeit, eine Unterlassungsverfügung in Fällen geringerer Bedeutung zu erlassen. Die Verfügung bindet den Gewerbetreibenden allerdings nur dann, wenn dieser nicht innerhalb von acht Tagen widerspricht. Der Ombudsmann kann darüber hinaus eine Geldstrafe verhängen, aber letztlich entscheidet der Marktgerichtshof, ob diese vom Unternehmer zu zahlen ist. In Estland, Lettland, Polen, Ungarn und der Slowakei können die für den Verbraucherschutz zuständigen staatlichen Behörden ebenfalls eine Unterlassungsverfügung erlassen, die bei Zuwiderhandlung mit einer Geldbuße durchgesetzt werden kann.334 In Malta335 hat der Director of Consumer Affairs sogar die Möglichkeit, entweder in eigener Initiative oder aufgrund einer Anfrage einer qualifizierten Einrichtung eine Verfügung zu erlassen, die darauf abzielt (i) die in Verbraucherverträgen verwendeten, vom Director für missbräuchlich erachteten Klauseln zu entfernen oder zu ändern, (ii) neue Vertragsbedingungen aufzunehmen, die der Director notwendig erachtet, damit Verbraucher besser informiert werden oder damit ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Rechten und Pflichten verhindert wird. Der betroffene Unternehmer kann eine gegen ihn erlassene Verfügung vor dem Court of Magistrates (Civil Jurisdiction) anfechten. Missachtet der Unternehmer eine Verfügung, so ist diese Zuwiderhandlung strafbar. b) Rein private Rechtsdurchsetzung In anderen Ländern ist es dagegen auch nach Erlass der CPC-VO 2006/2004 für innerstaatliche Verstöße bei einem rein privaten Rechtsdurchsetzungsmodell geblieben. In Deutschland wurde das EG‑Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz (VSchDG) erlassen.336 Nach diesem Gesetz ist grundsätzlich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) dafür zuständig, die erforderlichen Maßnahmen zur Feststellung, Beseitigung oder Verhütung künftiger innergemeinschaftlicher Verstöße zu treffen (§ 2 Nr. 1 VSchDG). Daneben sind auf Bundesebene zwei weitere Behörden zuständig, nämlich einerseits die BAFin, soweit Verstöße von Versicherungsunternehmen oder Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten herrühren

332

  Sec. 28, 47 Marketing Act v. 5.6.2008, SFS 2008:486.   Act No. 40/1978 on Consumer Agency. Dazu Kaulamo, in: Schricker (Hrsg.), Recht der Werbung in Europa, 2002, S. 125, Rn. 324 f. 334   Ebers, Contratto e impresa/Europa 2007, 696, 726. 335   Art. 94 Consumer Affairs Act, abrufbar unter http://www.eu-consumer-law.org. 336   EG‑Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz v. 21.12.2006, BGBl. I 2006, S. 3367; zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 51 des Gesetzes vom 7.8.2013, BGBl. I 2013, S. 3154. 337   Regierungsbegründung zum VSchDG, BT‑Drucks. 16/2930, S. 15 f. 333

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(§ 2 Nr. 2 VSchDG), und andererseits das Luftfahrt-Bundesamt bei Verletzung von Passagierrechten (§ 2 Nr. 3 VSchDG). In Einzelfällen können auch die nach Landesrecht zuständigen Behörden die Rechtsdurchsetzung übernehmen (§ 2 Nr. 4 und 6 VSchDG). Das VSchDG hält grundsätzlich am bisherigen privatrechtlichen Rechtsdurchsetzungssystem fest.337 Die Befugnisse der zuständigen Behörde greifen daher nur subsidiär: Bevor die zuständige Behörde selbst tätig wird, soll sie zunächst geeignete dritte Stellen mit der Rechtsdurchsetzung betrauen (§ 7 Abs. 1 VSchDG). Zu den beauftragten Dritten, mit denen Rahmenvereinbarungen geschlossen wurden, gehört der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv) und die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. (Wettbewerbszentrale).338 Soweit die Behörde in Einzelfällen selbst tätig werden muss und eine behördliche Verfügung erlässt, kann diese vor den Zivilgerichten angegriffen werden.339 Auch in Österreich hat man davon abgesehen, die CPC-VO 2006/2004 überobligatorisch durchzuführen.340 Die im Verbraucherbehörden-Kooperationsgesetz (VBKG)341 vorgesehenen Befugnisse der zuständigen Behörden342 finden allein auf innergemeinschaftliche Verstöße Anwendung. Die Durchsetzung und Vollziehung ausländischer Ersuchen erfolgt dabei auf zivilrechtlicher Ebene durch die Gerichte. Die zuständige Behörde muss sich zur Durchsetzung ihrer Ermittlungsbefugnisse an die Gerichte wenden, wenn der Unternehmer dem Ermittlungsverlangen der Behörde nicht nachkommt (§ 6 Abs. 2 VBKG). Darüber hinaus kann die zuständige Behörde im Wege der Unterlassungsklage gerichtlich gegen den Unternehmer vorgehen (§ 7 VBKG). Dritte Personen können demgegenüber nur dann mit der Durchsetzung beauftragt werden, wenn sie gegen den Unternehmer bereits gerichtlich oder außergerichtlich einen Unterlassungsanspruch geltend gemacht haben, der mit dem innergemeinschaftlichen Verstoß in einem sachlichen oder rechtlichen Zusammenhang steht (§ 12 Abs. 1 S. 1 VBKG).

338

  Rahmenvereinbarung v. 30.5.2008, Bundesanzeiger Nr. 2008 v. 19.6.2008, S. 2145 ff.   Der 5. Abschnitt des VSchDG enthält Rechtswegverweisungen an die Zivilgerichte, da das von der Behörde anzuwendende materielle Recht nach Ansicht des Gesetzgebers zivilrechtlicher Natur ist und die besondere Sachkunde der Zivilgerichte auch dann genutzt werden sollte, wenn die Untersagung von Geschäftspraktiken ausnahmsweise in Form einer behördlichen Unterlassungsverfügung erfolgt, BT‑Drucks. 16/2930, S. 16. 340   Vgl. den Bericht des Justizausschusses, 1615 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP: „In Österreich sind diese EG‑Vorschriften zum größten Teil zivilrechtlich umgesetzt worden (. . .). Dieses System hat sich auch im europäischen Vergleich bewährt. Es besteht kein Anlass, davon abzurücken, weil die Vollziehung des Verbraucherschutzes in anderen Mitgliedstaaten anders, etwa durch besondere Ombudsleute oder eigene Behörden, erfolgt“. 341   Bundesgesetz über die Zusammenarbeit von Behörden im Verbraucherschutz (Verbraucherbehörden-Kooperationsgesetz – VBKG), BGBl. I Nr. 148/2006, geändert durch BGBl. I Nr. 102/2011 und BGBl. I Nr. 2/2012. Dazu kurz Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2. Aufl., 2008, S. 267 f. 342   Zuständige Behörden i. S. d. Art. 3 lit. d CPC-VO 2006/2004 sind nach § 3 Abs. 1 VBKG der Bundeskartellanwalt (für die wichtigsten zivilrechtlichen Richtlinien), der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie (für Passagierrechte), die Bundeswettbewerbsbehörde (für unlautere Geschäftspraktiken und Preisauszeichnungen) sowie die Kommunikationsbehörde Austria und das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen. 339

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich

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III. Strafrechtliche Sanktionen 1. Überblick Verbraucherschützende Sekundärrechtsakte stehen einer strafrechtlichen Sanktionierung nach mitgliedstaatlichem Recht grundsätzlich nicht entgegen, enthalten andererseits aber auch keine Verpflichtung zur Einführung derartiger Sanktionen.343 Für die Verfolgung innergemeinschaftlicher Verstöße betont die CPC-VO 2006/2004 in ErwGr (8), dass die zuständigen Behörden neben den festgelegten administrativen Maßnahmen auch von anderen, ihnen auf nationaler Ebene eingeräumten Befugnissen oder Handlungsmöglichkeiten Gebrauch machen sollten, einschließlich der Befugnis, eine Strafverfolgung einzuleiten oder zu veranlassen, um auf ein Amtshilfeersuchen hin gegebenenfalls unverzüglich die Einstellung oder ein Verbot innergemeinschaftlicher Verstöße zu bewirken. In Deutschland spielt die strafrechtliche Durchsetzung des Verbraucherrechts seit jeher eine untergeordnete Rolle.344 Obwohl im Nebenstrafrecht relativ frühzeitig Normen geschaffen wurden, die dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher dienen, ist die rechtstatsächliche Bedeutung dieser Vorschriften gering geblieben. Der bei weitem wichtigste Straftatbestand der unwahren Werbung (§ 4 UWG 1909; jetzt § 16 Abs. 1 UWG) ist in der Praxis eine „stumpfe Waffe“.345 In den 1970er Jahren wurden mehrere Anläufe gestartet, um den strafrechtlichen Schutz gegen irreführende Werbung zu verschärfen.346 Die betreffenden Regierungsentwürfe blieben jedoch alle im Gesetzgebungsverfahren stecken.347 Auch die UWG-Novelle aus dem Jahre 2004 hält am Modell der privaten Rechtsdurchsetzung fest. Da sich die zivilrechtliche Verfolgung von Wettbewerbsverstößen in der Praxis als ausreichend effektiv bewährt haben soll, werden nur besonders gefährliche Formen der Werbung strafrechtlich sanktioniert.348 In anderen Mitgliedstaaten wird der Verstoß gegen verbraucherschützende Normen dagegen traditionell mit den Mitteln des Strafrechts sanktioniert. Hervorzuheben sind vor allem Frankreich und das Vereinigte Königreich.349 Für beide Rechtsordnungen ist kennzeichnend, dass spezielle strafrechtliche Normen zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher erlassen wurden, die unterhalb der Schwelle üblicher Vermögensdelikte (insb. des Betrugs) greifen.

343

  Vgl. bereits supra, §  4 C.IV.2. – 3.   Zu den möglichen Gründen J. Vogel, GA 1990, 241 ff. 345   So bereits die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB), BT‑Drucks. 6/3250, S. 374. Zu den Ursachen (mit Blick auf den neuen § 16 UWG) Kunkel, WRP 2008, 292 ff. 346   BT‑Drucks. 6/3250; BT‑Drucks. 7/550; BT‑Drucks. 8/2145; BT‑Drucks 9/1707; BT‑Drucks.  10/80. Zu diesen Reformvorschlägen Otto, GRUR 1982, 274 ff.; Schricker, GRUR Int. 1975, 33 ff. 347   Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BGBl. I 1986, S. 721, weitete die Strafnormen des UWG lediglich bei der progressiven Kundenwerbung (§ 6c UWG a. F., jetzt § 16 Abs. 2 UWG) und der Betriebsspionage (§ 17 UWG a. F., jetzt § 17 UWG) aus. Die angestrebte Neufassung des § 4 UWG a. F. (jetzt § 16 Abs. 1 UWG) wurde mit diesem Gesetz dagegen nicht verwirklicht; hierzu Achenbach, NJW 1986, 1835, 1840 f. 348   So die Regierungsbegründung zu § 16 UWG, BT‑Drucks. 15/1487, S. 26. 349   Strafrechtliche Sanktionen zur Durchsetzung des Verbraucherrechts finden sich darüber hinaus in Irland und Portugal; vgl. Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz, 2004, S. 234 ff. und S. 276 ff. 344

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§ 10  Verbraucherrecht

2. Frankreich In Frankreich dominierte nach dem zweiten Weltkrieg die Idee einer staatlich geführten Wirtschaft. Aus diesem Grund sind nahezu sämtliche Verstöße gegen verbraucherschützende Normen im Code de la consommation (CCons)350 strafrechtlich sanktioniert.351 Daneben besteht die Möglichkeit privatrechtlicher Durchsetzung. Im Lauterkeitsrecht unterscheidet man daher zwischen „unlauterem Wettbewerb“ (concurrence déloyale) und „verbotenem Wettbewerb“ (concurrence interdite).352 Bei einem Verstoß gegen das Verbot der irreführenden Werbung kann der Werbende mit einer zweijährigen Freiheitsstrafe und/oder mit einer Geldstrafe bis zu 300.000 Euro bestraft werden (Art. L. 121‑6 CCons).353 Die Höhe der Geldstrafe kann dabei entweder die aus der irreführenden Werbung gezogenen Gewinne (10 % des durchschnittlichen Umsatzes der letzten drei Jahre ab Kenntnis vom Verstoß) berücksichtigen oder 50 % der Kosten, die für die verbotene Werbung aufgewandt wurden. Gleiches gilt bei einem Verstoß gegen verbotene vergleichende Werbung (Art. L. 121-14 CCons). Bei Haustür- und Fernabsatzgeschäften kann der Verstoß gegen die gesetzlich normierten Informationspflichten gem. Art. L. 121-22 CCons mit einer (administrativen) Geldbuße bis zu 3.000 Euro (natürliche Personen) bzw. 15.000 Euro (juristische Personen) geahndet werden. Wird bei Haustür- und Fernabsatzgeschäften gegen Widerrufsbelehrungspflichten verstoßen, so beträgt die maximale Geldbuße gem. Art. L. 121-22‑1 CCons 15.000 Euro (natürliche Personen) bzw. 75.000 Euro (juristische Personen). Darüber hinaus sieht Art. L. 121-23 CCons für Haustürgeschäfte eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren und/oder eine Geldstrafe in Höhe von 150.000 Euro vor, wenn der Unternehmer dem Verbraucher nicht den Vertrag in der vorgeschriebenen Form mit sämtlichen Informationen und dem Muster-Widerrufsformular zur Verfügung stellt oder gegen das Anzahlungsverbot verstößt. Schließlich regelt Art. L. 122‑8 CCons den Straftatbestand der abus de faiblesse, der eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren und/oder eine Geldstrafe bis zu 375.000 Euro ermöglicht, wenn der Unternehmer die Unwissenheit und Unterlegenheit des Verbrauchers bei einem Haustürgeschäft ausnutzt. Bei Teilzeitwohnrechteverträgen kann ein Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten mit einer Geldstrafe in Höhe von 150.000 Euro sanktioniert werden (Art. L‑121-79‑2 CCons). Wird vor Ablauf der Widerrufsfrist vom Verbraucher eine Zahlung verlangt, kann eine maximale Geldstrafe in Höhe von 300.000 Euro verhängt werden (Art. L‑121-79‑3 CCons). Bei einem Verbraucherkreditvertrag kann ein Verstoß gegen Informationspflichten mit einer Geldstrafe bis zu 1.500 Euro sanktioniert werden (Art. L. 311-49 CCons). 350

  Rechtsstand: 18. März 2016.   Radeideh/Franck, in: Micklitz/Keßler (Hrsg.), Marketing Practices Regulation and Consumer Protection in the EC Member States and the US, 2002, S. 75, 76. 352   Beuchler, in: Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, 2004, S. 57, 72, in Fn. 23 m. w. N. 353   Die betreffenden Vorschriften setzen ein vermutetes Verschulden voraus; in der Praxis vermag der Werbende allerdings nur selten den Entlastungsbeweis zu führen; Henning-Bodewig, in: HarteBavendamm/Henning-Bodewig, UWG-Kommentar, 2004, Einl. E Rn. 142 m. w. N. 354   Beuchler, in: Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, 2004, S. 57, 69; Baumann, GRUR Int. 1975, 367, 379. 355  Näher G. Wagner, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 2003, S. 189, 211. 351

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Verstößt der Darlehnsgeber gegen das Anzahlungsverbot (Art. L. 311-14, L. 311-40 CCons), beträgt die maximale Geldstrafe 300.000 Euro (Art. L. 311-50 CCons). In der Praxis werden nicht sämtliche Verstöße gegen verbraucherschützende Normen strafrechtlich verfolgt.354 Die Strafprozessordnung gibt der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, von der Einleitung eines Strafverfahrens abzusehen. Besondere Bedeutung hat daher die action civile, die darauf gerichtet ist, den aus einem Strafverstoß resultierenden Schaden zu ersetzen: Betroffene Mitbewerber, Verbraucher und Verbraucherverbände können mit der action civile ihre zivilrechtlichen Ansprüche im Wege des Adhäsionsverfahrens vor den Strafgerichten geltend machen und damit ein Strafverfahren in Gang setzen. Wird Strafanklage erhoben, so sind anhängige Zivilverfahren bis zur Entscheidung des Strafgerichts auszusetzen. Im Anschluss hieran ist das Zivilgericht an die relevanten Tatsachenfeststellungen des Strafgerichts gebunden.355 3. Vereinigtes Königreich Verbraucherschützende Normen werden auch im Vereinigten Königreich mit Mitteln des Strafrechts durchgesetzt.356 Zwar regen sich mittlerweile Stimmen, die sich gegen eine Kriminalisierung verbraucherschutzwidriger Praktiken wenden, wenn diese allein die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher berühren.357 Auch wurde bei Umsetzung der UGP-RL 2005/29 in das britische Recht intensiv darüber diskutiert, ob Verstöße gegen die in dieser Richtlinie normierten Verbote überhaupt strafrechtlich sanktioniert werden können.358 Die britische Regierung wollte dennoch am bisherigen Sanktionsregime keine größeren Veränderungen vornehmen: „At the time of writing, the Government is not minded to change the current balance between civil and criminal sanctions. This means that, although much existing consumer legislation using criminal sanctions will need amending, their criminal offences will be retained where it is possible and sensible to do so.“359

Der Begriff der „strafrechtlichen“ Sanktion bedarf im vorliegenden Kontext der Relativierung. Die meisten verbraucherschützenden Straftatbestände zählen nicht zu den Straftaten im engeren Sinn („real crimes“), sondern zu den „regulatory offences“, 356   Im Schrifttum wird betont, dass die Durchsetzung verbraucherschützender Normen mit Mitteln des Strafrechts geradezu das primäre Sanktionsmittel darstellt; Cartwright, Consumer protection and the criminal law, 2001, S. IX: „The criminal law has been the prime technique used by successive post-war governments to implement consumer policy in the UK.“ 357   So vor allem Cartwright, JCP 2007, 1 ff. Auch die Law Commission wendet sich gegen „lowlevel criminal offences“, vor allem, wenn der angestrebte Abschreckungseffekt genauso gut durch zivilrechtliche oder andere Sanktionen erzielt werden könnte; The Law Commission, Consultation Paper No. 195, Criminal Liability in Regulatory Contexts, S. 8, Proposal 3. 358   Da die UGP-RL 2005/29 generalklauselartige Verbotstatbestände enthält, ergaben sich Bedenken vor allem mit Blick auf den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Hierzu The Law Commission, Simplifying Consumer Legislation, A response from the Law Commission to the DTI’s Consultative Document on Consumer Strategy, 29 October 2004, S. 19 f. Deutlich großzügiger dagegen die im Auftrag des DTI erstellte Studie von Twigg-Flesner/Parry/Howells/Nordhausen, An Analysis of the Application and Scope of the Unfair Commercial Practices Directive, 18 May 2005, S. 69 ff., die zu dem Ergebnis kommt, dass angesichts der großzügigen Haltung des EGMR selbst Verstöße gegen Art. 5 UGP-RL 2005/29 strafrechtlich geahndet werden können. 359   Department of Trade and Industry (DTI), The Unfair Commercial Practices Directive: Consultation on implementing the EU Directive on unfair commercial practices and amending existing consumer legislation, 2005, S. 47 f.

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die sich als „quasi crimes“ durch eine Reihe von Besonderheiten auszeichnen.360 Im Unterschied zum Kriminalstrafrecht beinhalten die „regulatory offences“ ein geringeres Unwerturteil als „wirkliche Straftaten“.361 Sie sind zumeist im Zusammenhang mit den jeweiligen verwaltungsrechtlichen Bestimmungen geregelt und greifen unter weniger strengen Voraussetzungen als Straftaten im engeren Sinn. Ihre Verfolgung liegt zumeist im Ermessen der zuständigen Verwaltungsbehörden. Insoweit können sie mit dem deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht verglichen werden. Dennoch bestehen Unterschiede. Zum einen sind für die Verhängung der Sanktionen nicht die Behörden, sondern die Gerichte zuständig, zum anderen können nicht nur Geld‑, sondern auch Freiheitsstrafen verhängt werden. Die „regulatory offences“ bewegen sich damit auf der Schnittstelle zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht.362 Das zur Umsetzung der UGP-RL 2005/29 verabschiedete statutory instrument „The Consumer Protection from Unfair Trading Regulations 2008“ (CPRs) normiert in Teil 3 unter der Überschrift „offences“ die Voraussetzungen, unter denen ein Verstoß gegen das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken strafbar ist. Gewerbetreibende, die gegen die in reg. 3 (3) niedergelegte, auf Art. 5 UGP-RL 2005/29 beruhende große Generalklausel verstoßen, machen sich nach reg. 8 (1) CPRs strafbar, wenn sie wissentlich oder leichtfertig (knowingly or recklessly) gehandelt haben. Das Verschulden wird nach reg. 8 (2) CPRs grundsätzlich vermutet, wenn sich der Gewerbetreibende nicht darum gekümmert hat, ob sein Verhalten den Anforderungen der beruflichen Sorgfalt entspricht. Bei einem Verstoß gegen das Verbot irreführender Geschäftspraktiken (irreführende Handlungen und Unterlassungen) sowie aggressiver Geschäftspraktiken sehen die regs. 9 – 11 CPRs sogar eine verschuldensunabhängige Verantwortlichkeit (strict liability) vor. Gleiches gilt nach reg. 12 CPRs für bestimmte Geschäftspraktiken, die per se unlauter sind (schwarze Liste). Die verschuldensunabhängige strafrechtliche Verantwortlichkeit trifft nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen (reg. 15 CPRs). Daneben kann der Gewerbetreibende auch für Handlungen Dritter strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden (reg. 16 CPRs). Die strenge strafrechtliche Verantwortlichkeit kann in sämtlichen Fällen nur durch die „due diligence defence“363 oder die „innocent publication of advertisement defence“364 abgewendet werden. Art und Höhe der strafrechtlichen Sanktionen bestimmen sich danach, ob die Tat in einem summarischen oder einem vollständi360  Hierzu Cartwright, Consumer protection and the criminal law, 2001, S. 82 ff.; Ramsay, Consumer Law and Policy, 3. Aufl., 2012, S. 222 ff. 361   Vgl. nur Sherras v. De Rutzen, [1895] 1 QB 918, 922, per Wright J.: „[Regulatory offences] are not criminal in any real sense, but are acts which in the public interest are prohibited under a penalty“. Ähnlich Alphacell Ltd. v. Woodward, HL [1972] A.C. 824, 848, per Lord Salmon. 362   O. Wagner, Die umweltrechtliche Anlagenaufsicht in England und Wales, 1996, S. 231. 363   Reg. 17 (1) CPRs: „In any proceedings against a person for an offence under regulation 9, 10, 11 or 12 it is a defence for that person to prove (a) that the commission of the offence was due to (i) a mistake; (ii) reliance on information supplied to him by another person; (iii) the act or default of another person; (iv) an accident; or (v) another cause beyond his control; and (b) that he took all reasonable precautions and exercised all due diligence to avoid the commission of such an offence by himself or any person under his control.“ 364   Reg. 18 (1) CPRs: „In any proceedings against a person for an offence under regulation 9, 10, 11 or 12 committed by the publication of an advertisement it shall be a defence for a person to prove that (a) he is a person whose business it is to publish or to arrange for the publication of advertisements; (b) he received the advertisement for publication in the ordinary course of business; and (c) he did not know and had no reason to suspect that its publication would amount to an offence under the regulation to which the proceedings relate.“

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gen Verfahren abgeurteilt wird. Im ersteren Fall beträgt die Höchststrafe 5.000 Pfund bzw. in Schottland 10.000 Pfund.365 Im Rahmen eines vollständigen Verfahrens droht dagegen eine Geldstrafe in unbegrenzter Höhe sowie eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren.366 Auch sonstige verbraucherschützende Rechtsakte werden in Großbritannien durch strafrechtliche Sanktionen flankiert. Der zur Umsetzung der VRRL 2011/83 ergangene Rechtsakt sieht eine verschuldensunabhängige Strafbarkeit vor, wenn der Unternehmer bei außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen den Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht belehrt.367 Bei Teilzeitwohnrechteverträgen greifen die ebenfalls verschuldensunabhängig ausgestalteten regulatory offences weitergehend dann, wenn der Unternehmer gegen vorvertragliche Informationspflichten, Widerrufsbelehrungspflichten, Formvorschriften oder gegen das Verbot der Voranzahlung verstößt.368 Beide Rechtsakte ermöglichen – wie die CPRs – eine „due diligence defence“.369 Im Unterschied zu den CPRs können jedoch keine Freiheitsstrafen, sondern nur Geldstrafen verhängt werden.370 Ob ein Strafverfahren überhaupt eingeleitet wird, liegt im Ermessen der zuständigen Behörden. Die Competition & Markets Authority (CMA) will Strafverfahren nur dann einleiten, wenn Unterlassungsverfahren vor den Zivilgerichten keinen Erfolg versprechen und/oder ein schwerwiegender Verstoß eine strafrechtliche Verfolgung erfordert, damit die Allgemeinheit geschützt und die erforderliche Abschreckungswirkung erzielt werden kann.371 Freiheitsstrafen werden bei einem Verstoß gegen verbraucherschützende Normen nicht sehr häufig verhängt.372 Demgegenüber sind Geldstrafen durchaus üblich. Im Zeitraum April 2013 bis Ende März 2014 wurden 303 Strafverfahren wegen Verstoßes gegen die CPRs 2008 durchgeführt und Geldstrafen in Höhe von insg. 513.889 Pfund festgesetzt.373 In England und Wales kann im Rahmen eines Strafverfahrens nach sec. 130 Powers of Criminal Courts (Sentencing) Act 2000 anstelle oder zusätzlich zur Strafe auch eine „compensation order“ erlassen werden, die den Angeklagten verpflichtet, Schadensersatz für die aus dem Verstoß resultierenden Schäden (personal injury, loss or damage) zu leisten. Auch in Schottland besteht diese Möglichkeit.374 Bei den erwähnten 303 Strafverfahren, die zwischen April 2013 und Ende März 2014 durchgeführt wurden, führten „compensation orders“ zu Entschädigungen in Höhe von insgesamt 160.624 Pfund.375 Die entstandenen Schäden können auf diese Weise nicht in vollem 365   Reg. 13 (a) CPRs i. V. m. sec. 32 (9) Magistrates’ Courts Act 1980 bzw. Art. 4 (8) Fines and Penalties (Northern Ireland) Order 1984 bzw. sec. 225 (8) Criminal Procedure (Scotland) Act 1995. 366   Reg.  13 (b) CPRs. 367   Reg. 19 CCR 2013. 368   Reg. 12 (8), 14 (5), 15 (8) (a), 16 (4) (a), 18 (5), 25 (7), 26 (5) The Timeshare, Holiday Products, Resale and Exchange Contracts Regulations 2010. 369   Reg. 20 CCR 2013; reg. 30 The Timeshare, Holiday Products, Resale and Exchange Contracts Regulations 2010. 370   Reg. 19 (2) CCR 2013; reg. 27 The Timeshare, Holiday Products, Resale and Exchange Contracts Regulations 2010. 371   CMA, Consumer Protection: Guidance on the CMA’s approach to use of its consumer powers, March 2014, CMA7, S. 48. 372  Näher Cartwright, Consumer protection and the criminal law, 2001, S. 77 f. 373   OFT Annual Report 2013 – 2014, Annex F, Table F.1. 374   Vgl. sec. 249 Criminal Procedure (Scotland) Act 1995. 375   OFT Annual Report 2013 – 2014, Annex F, Table F.1.

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§ 10  Verbraucherrecht

Umfang ausgeglichen werden.376 Da Strafverfahren nur bei besonders schwerwiegenden Verstößen eingeleitet werden, kommt den „compensation orders“ insgesamt betrachtet eine untergeordnete Bedeutung zu.377

IV. Folgerungen für die deutsche Rechtslage 1. Auswertung Der rechtsvergleichende Überblick verdeutlicht, dass die Mitgliedstaaten im Verbraucherrecht bei Ausgestaltung der Rechtsbehelfe und Sanktionen von ihrem Rechtsformenermessen sehr umfangreich Gebrauch gemacht haben. Neben individuellen Rechtsbehelfen, die dem einzelnen Verbraucher bei bestimmten Verstößen zur Verfügung stehen, kann ein Verstoß gegen verbraucherschützende Normen in vielen Mitgliedstaaten durch kollektive Rechtsbehelfe, durch administrative Maßnahmen und teils sogar durch strafrechtliche Sanktionen geahndet werden. Das geltende Sekundärrecht trifft für die Ausgestaltung der Sanktionen nur sehr rudimentäre Vorgaben. Die UKlaRL 2009/22 verpflichtet zur Einführung von Unterlassungsklagen, räumt den Mitgliedstaaten aber das Recht ein, zwischen einem Behördenmodell, einem rein zivilrechtlichen Modell oder einer Kombination beider zu wählen. Eine Trendwende zeichnet sich mit der CPC-VO 2006/2004 ab. Die Kommission hatte schon im Jahre 2001 in ihrem Grünbuch zum Verbraucherschutz angekündigt, die behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts stärker zu forcieren: „Obgleich den einzelnen Verbrauchern und den Verbraucherverbänden weiterhin eine wichtige Rolle insoweit zukommen wird, als sie ihre Rechte vor Gericht durchsetzen müssen, ist ein in vollem Umfang funktionsfähiger Binnenmarkt auch darauf angewiesen, dass staatliche Behörden, die miteinander kooperieren, sozusagen als ‚letzte Durchsetzungsinstanz‘ tätig werden können.“378

Der Harmonisierungseffekt der CPC-VO 2006/2004 ist indessen begrenzt, da sich die Verordnung nur auf innergemeinschaftliche Verstöße bezieht und den Mitgliedstaaten zudem die Möglichkeit belässt, geeignete Dritte (insb. Verbraucherverbände) mit der Rechtsdurchsetzung zu beauftragen. Einige Mitgliedstaaten, wie beispielsweise Deutschland und Österreich, halten daher bei nationalen Sachverhalten weiterhin an einem rein privatrechtlichen Durchsetzungsmodell fest. Rechtsvergleichend betrachtet ist ein solcher Regelungsansatz die Ausnahme. Die überwiegende Mehrzahl der 376   Die Gerichte können die Entschädigungshöhe relativ frei festlegen; vgl. sec. 130 (4) Powers of Criminal Courts (Sentencing) Act 2000: „Compensation (. . .) shall be of such amount as the court considers appropriate, having regard to any evidence and to any representation that are made by or on behalf of the accused or the prosecutor.“ Dabei ist nach sec. 130 (11) auch die Vermögenslage des Angeklagten zu berücksichtigen. Bei (summarischen) Verfahren vor dem Magistrates’ Court begrenzt sec. 131 (1) die Entschädigung auf maximal 5000 Pfund pro Vergehen. 377   The Law Commission, Consultation Paper No. 199/The Scottish Law Commission, Discussion Paper No. 149, Consumer Redress For Misleading and Aggressive Practices, A Joint Consultation Paper, 2012, S. 46 ff. 378   Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union, KOM (2001) 531 endg., S. 20. Vgl. auch die Mitteilung der Kommission zum Stand der Durchsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz, KOM (2009) 330 endg., S. 2: „Unter den möglichen Maßnahmen, mit denen sich sicherstellen lässt, dass die Verbraucherschutzvorschriften eingehalten werden, ist die Durchsetzung seitens der Behörden ein zentrales Element, das die Grundlage für alle anderen Strategien bildet und für deren Erfolg unerlässlich ist.“

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich

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Mitgliedstaaten setzt auf eine Kombination von zivilrechtlichen Rechtsbehelfen und öffentlich-rechtlichen, insbesondere verwaltungsrechtlichen Sanktionen. 2. Sanktionsdefizite im deutschen Recht bei Streuschäden Für die deutsche Rechtslage ist fraglich, ob die bestehenden Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten der Forderung nach „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen“ ausreichend Rechnung tragen. Zwar hat der EuGH im Fall Parmigiano Reggiano379 das in Deutschland bestehende Sanktionsregime im Zusammenhang mit dem Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel ausdrücklich gebilligt. Eine rein privatrechtliche Rechtsdurchsetzung ist grundsätzlich zulässig, wenn der zugrunde liegende Sekundärrechtsakt eine behördliche Rechtsdurchsetzung nicht explizit anordnet und auch ein Eingreifen von Amts wegen nicht erforderlich ist. Ein auf private enforcement basierendes Durchsetzungsmodell ist aber nur dann hinreichend effektiv, wenn Private tatsächlich Anlass haben, ihre Rechte und damit das Recht insgesamt durchzusetzen.380 Gerade dies ist im Verbraucherrecht problematisch. Ein Verstoß gegen verbraucherschützende Normen führt häufig zu Streu- und Bagatellschäden, bei denen eine Vielzahl von Verbrauchern geschädigt wird und dem Unternehmer ein erheblicher Gewinn aus seinem normwidrigen Verhalten erwachsen kann. Gleichzeitig ist der individuelle Schaden für die einzelnen Verbraucher aber so gering, dass in der Regel von der individuellen Rechtsverfolgung abgesehen wird.381 Für die Bewältigung derartiger Streu- und Bagatellschäden stehen im deutschen Recht gegenwärtig keine effektiven Instrumente zur Verfügung. Eine Bündelung gleichgerichteter Forderungen im Wege der Streitgenossenschaft (§§ 59 ff. ZPO) oder durch Abtretung an Verbraucherverbände (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. §2 Abs. 2 S. 1 RDG) ist dafür ungeeignet, da die geschädigten Verbraucher ermittelt werden und bereit sein müssen, ihre Ansprüche durchzusetzen bzw. abzutreten. Beide Instrumente lösen daher nicht das Problem rationalen Desinteresses. Hinzu kommt, dass die massenweise Bündelung von Bagatellklagen äußerst unökonomisch ist. Die Erhebung von Millionen von Bagatellklagen durch minimal geschädigte Verbraucher wäre, wie Gerhard Wagner treffend hervorhebt, „ein Alptraum für Justiz, Wirtschaft und Gesellschaft“.382 Auch Unterlassungsklagen (§§ 1, 2 UKlaG, § 8 UWG) können das Problem der Streuschäden nicht effektiv bewältigen.383 Da Unterlassungsanspruch und Unter379   EuGH, Rs. C‑132/05 (Kommission/Deutschland – „Parmigiano Reggiano“). Hierzu supra, § 4 C.IV.4.c. 380  GA Mazák, SchlA, Rs. C‑132/05 (Kommission/Deutschland  – „Parmigiano Reggiano“) Rn. 99 f. 381   Nach einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie verzichtet jeder fünfte Verbraucher in Europa bei Beträgen unter 1000 Euro darauf, vor Gericht zu gehen. Bei Streitwerten unter 200 Euro verzichtet sogar die Hälfte der Verbraucher auf die Einlegung von Rechtsbehelfen; Grünbuch über kollektive Rechtsschutzverfahren für Verbraucher, KOM (2008) 794 endg., S. 4. Ausführlich zu den Schwellenwerten: Spezial-Eurobarometer, Die Bürger der Europäischen Union und der Zugang zur Justiz, Oktober 2004, S. 28 ff. 382   G. Wagner, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 41, 75. 383   Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, 2003, S. 53; Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz, 2004, S. 338 f.

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§ 10  Verbraucherrecht

lassungsurteil nur Wirkung für die Zukunft entfalten, müssen die Normadressaten nicht um den Verlust ihrer in der Vergangenheit erworbenen unrechtmäßigen Vorteile fürchten. Ein gerichtliches Unterlassungsverbot hat insbesondere keine Auswirkungen auf bereits abgeschlossene Verträge.384 Dem Unternehmer verbleiben daher die Gewinne, die er auf der Grundlage dieser Verträge erzielt hat. Er hat allenfalls zu befürchten, die Kosten des Rechtsstreits bzw. der Abmahnung tragen zu müssen. Der deutsche Gesetzgeber hat die bestehenden Sanktionsdefizite durchaus erkannt und mit der UWG-Novelle im Jahre 2004 einen Gewinnabschöpfungsanspruch in § 10 UWG eingeführt, der laut Regierungsbegründung dafür sorgen soll, die Rechtsdurchsetzungslücken bei Streuschäden zu schließen.385 In seiner konkreten Ausgestaltung ist der Gewinnabschöpfungsanspruch aber viel zu eng geraten. Zum einen ist der Anspruch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens386 auf vorsätzliche Verstöße beschränkt worden, um unangemessene Risiken für die Wirtschaft zu vermeiden.387 Gerade das Vorsatzerfordernis hat sich in der Praxis jedoch als eigentliches „Fallbeil“ des Abschöpfungsanspruchs erwiesen.388 Die bisherigen Entscheidungen zeigen, dass die Gerichte einen Gewinnabschöpfungsanspruch häufig mangels ausreichenden Nachweises vorsätzlichen Verhaltens abweisen.389 Die Effektivität des Anspruchs wird zum anderen dadurch geschmälert, dass die aktivlegitimierten Verbände bei einer erfolgreichen Klage den erstrittenen Betrag an den Bundeshaushalt auszukehren haben, während sie im Fall des Unterliegens die Kosten des Verfahrens tragen müssen. Die Verbände können daher keine ausreichenden Rücklagen für Prozesse bilden. Auch deswegen bestehen zu geringe Anreize für Verbraucherverbände, den Gewinnabschöpfungsanspruch in der Praxis tatsächlich durchzusetzen.390 Die von Meller-Hannich/Höland391 durchgeführte Studie zur Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente gelangt denn auch zu dem Ergebnis, dass der Gewinnabschöpfungsanspruch in seiner jetzigen Form ineffektiv ist. Insgesamt ist damit zu konstatieren, dass in Deutschland nach wie vor keine wirksamen Sanktionen zur Verfügung stehen, um das bei Bagatellschäden bestehende rationale Desinteresse der Verbraucher zu kompensieren und für eine wirksame Durchsetzung zu sorgen. Zur Schließung dieser Sanktionslücke bieten sich mehrere 384   Eine Ausnahme gilt für den in § 1 UKlaG geregelten Unterlassungs- und Widerrufsanspruch bei AGB. § 11 S. 1 UKlaG erstreckt die Wirkungen eines Unterlassungsurteils zugunsten der am Unterlassungsprozess nicht beteiligten Verbraucher auch auf nachfolgende Individualprozesse. Das Gericht muss daher ohne eigene Sachprüfung von der Missbräuchlichkeit und in der Folge von der Unwirksamkeit der Klausel ausgehen, soweit nicht besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen oder den Besonderheiten des Individualverfahrens Rechnung zu tragen ist. 385   BT‑Drucks. 15/1487, S. 23. 386   Zum Gesetzgebungsverfahren im Einzelnen Zimmer/Höft, ZGR 2009, 662, 678. 387   Regierungsbegründung zum UWG 2004, BT‑Drucks. 15/1487, S. 23 f. 388  So Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 514. 389   Vgl. nur LG Bonn, GRUR-RR 2006, 111; LG Berlin, Urt. v. 25.9.2007, BeckRS 2008, 05647; LG Heilbronn, VuR 2007, 73; OLG Hamm, GRUR-RR 2008, 435. Bisher fanden sich nur wenige Gerichte dazu bereit, aufgrund von Indizien einen zumindest bedingten Vorsatz anzunehmen; so OLG Stuttgart, GRUR 2007, 435. Für bedingten Vorsatz zumindest nach Zugang einer Abmahnung LG Hanau, TeilUrt. v. 1.9.2008, BeckRS 2008, 25034; OLG Frankfurt a. M., GRUR-RR 2010, 482; OLG Schleswig, MMR 2013, 579. 390   So bereits die Stellungnahme des Bundesrats zu § 34a GWB und § 10 UWG, BT‑Drucks.  15/3640, S. 78. 391   Meller-Hannich/Höland, Gutachten Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, 2011, S. 48, 65, 148 f.

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich

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Möglichkeiten an. Einerseits könnte der Gewinnabschöpfungsanspruch attraktiver ausgestaltet werden, indem die Vorschrift auf fahrlässige Verstöße erweitert wird392 und den Verbänden das Recht zugesprochen wird, einen Teil des erstrittenen Betrags für satzungsmäßige Zwecke verwenden zu können.393 Andererseits könnte sich der Gesetzgeber aber auch dafür entscheiden, die Durchsetzung verbraucherschützender Normen nicht nur in die Hände von Privaten, sondern auch von Behörden zu legen. 3. Administrative Durchsetzung des Verbraucherrechts in Deutschland? Über das Problem der Streu- und Bagatellschäden hinaus stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, ob die private Durchsetzung des Verbraucherrechts in Deutschland künftig nicht durch Eingriffsbefugnisse einer staatlichen Verbraucherschutzbehörde ergänzt werden sollte,394 soweit die Wahrscheinlichkeit privater Rechtsdurchsetzung – aufgrund von Informationsdefiziten der Betroffenen, hoher Kosten, Scheu vor Prozessrisiken und langen, komplizierten Verfahren oder aus anderen Gründen – zu gering ist. Für diese Lösung spricht nicht nur, dass die überwiegende Mehrzahl der Mitgliedstaaten auf ein behördliches Rechtsdurchsetzungsmodell setzt und auch in Deutschland infolge der CPC-VO 2006/2004 mit dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) bereits eine Behörde existiert, die zumindest bei grenzüberschreitenden Fällen über die erforderlichen Befugnisse verfügt.395 Vielmehr ist auch in rechtsökonomischer Hinsicht zu berücksichtigen, dass eine effiziente und effektive Normdurchsetzung in der Regel nur durch eine (sich ergänzende) staatliche und private Rechtsdurchsetzung erreicht werden kann (Modell der wechselseitigen Auffangordnungen).396 Gerade im Verbraucherrecht kann staatliche Kontrolle neben der privaten Rechtsdurchsetzung wichtige Komplementärfunktionen erfüllen, die sich mit Merli397 wie folgt beschreiben lassen: Verstärkungsfunktion: Öffentlich-rechtliche Regelungen verstärken den privatrechtlichen Verbraucherschutz. Staatliche Rechtsdurchsetzung hängt im Unterschied zum private enforcement nicht vom Nutzenkalkül zufällig Betroffener ab. Sie kann privatrechtliche Instrumente vor allem dann ergänzen, wenn die Wahrscheinlichkeit 392   G. Wagner, in: 66. DJT, Bd. 1, 2006, A 112 f.; Zimmer/Höft, ZGR 2009, 662, 704. Für eine Erweiterung auf grob fahrlässige Verstöße Gärtner, GRUR Int. 2008, 817, 818. Im Vorfeld der UWGReform wurde dagegen vorgeschlagen, den Anspruch auf bestimmte Täuschungshandlungen gegenüber Verbrauchern zu beschränken; Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317, 1322. 393   So die Empfehlung von G. Wagner, in: 66. DJT, Bd. 1, 2006, A 115; im Ergebnis auch Zimmer/ Höft, ZGR 2009, 662, 705. Nach a. A. sollten die abgeschöpften Gewinne weiterhin an den Staat fließen, aber im Bundeshaushalt zweckgebunden für unabhängige Verbraucherarbeit eingesetzt werden; Gärtner, GRUR Int. 2008, 817, 819; Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 284. 394   Für den verstärkten Einsatz öffentlich-rechtlicher Sanktionen Brönneke, VuR 2012, 334 ff.; Schmidt-Kessel/Sorgenfrei, GPR 2013, 242, 247; F. Weber, VuR 2013, 323 ff. Angesprochen auch bei Micklitz, in: 69. DJT, 2012, A 122; skeptisch Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz, 2004, S. 343 f. Zur Diskussion in den 1970er Jahren vgl. Schricker, GRUR Int. 1973, 694 ff.; Mertens, ZHR 139 (1975), 438 ff.; v. Hippel, RabelsZ 40 (1976), 513, 520 ff.; Gaedertz, WRP 1977, 681, 683 ff.; Kreuzer, WRP 1979, 255 ff. 395   Außerhalb des Verbraucherrechts im engeren Sinne bestehen zudem mit der BaFin und der BNetzA Behörden, die Verbraucherinteressen zumindest indirekt wahrnehmen; hierzu Micklitz, in: 69. DJT, 2012, A 101 ff. 396  Hierzu supra, § 4 C.V. 397   Merli, in: Aicher/Holoubek (Hrsg.), Der Schutz von Verbraucherinteressen, 2000, S. 1, 11 ff.

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§ 10  Verbraucherrecht

privater Rechtsdurchsetzung zu gering ist. Gleichzeitig kann durch staatliche Maßnahmen eine größere Breitenwirkung erzielt werden, als dies bei der privaten Rechtsdurchsetzung der Fall ist. Im Zivilprozess entfalten Urteile eine beschränkte Rechtskraft; sie binden nur die Prozessparteien und betreffen stets ein konkretes Verhalten. Demgegenüber können Verwaltungsbehörden auf der Grundlage eines rechtskräftigen Urteils gegen ähnliche wettbewerbswidrige Handlungen und sonstige Unternehmer vorgehen, und damit einem Urteil de facto Wirkungen verleihen, die weit über den Einzelprozess hinausgehen.398 Präventionsfunktion: Öffentlich-rechtliche Regelungen können bereits im Vorfeld eine präventive Wirkung entfalten, indem ein bestimmtes Verhalten unter Erlaubnisvorbehalt gestellt oder im Verhandlungswege mit der zuständigen Behörde abgestimmt wird. Das Privatrecht greift demgegenüber in bereits individualisierte Rechtsbeziehungen ein, nachdem ein vorvertragliches, vertragliches oder gesetzliches Schuldverhältnis begründet wurde. Privatrechtliche Regelungen entfalten daher häufig nur eine indirekte Präventionswirkung. Vertrauensbildungsfunktion: Öffentlich-rechtliche Maßnahmen dienen dem Institutionenschutz. Marktzulassungs- und Aufsichtsregeln können dafür sorgen, dass das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Funktionsfähigkeit der Märkte gestärkt wird, indem wettbewerbswidrige Eingriffe verhindert und verbraucherschutzwidrige Praktiken unterbunden werden. Vorklärungsfunktion: Das öffentliche Verbraucherrecht kann für private Rechtsstreitigkeiten eine wichtige Vorklärungsfunktion entfalten. Der Zivilrichter kann sich bei der Rechtsanwendung an den Regelungen des öffentlichen Rechts und an Entscheidungen der Aufsichtsbehörde orientieren. Privatrechtliche Informationspflichten, Sorgfaltsstandards und andere Handlungs- oder Unterlassungspflichten können im Lichte des öffentlichen Rechts interpretiert werden. Zwar entfaltet das öffentliche Wirtschaftsrecht grundsätzlich keine bindende Ausstrahlungswirkung auf private Rechtsverhältnisse. Verstöße gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften können, müssen aber nicht zwangsläufig zur Nichtigkeit privater Verträge oder zur Schadensersatzhaftung führen.399 Das öffentliche Verbraucherschutzrecht kann aber durch eine Grobsteuerung das Terrain dafür bereiten, dass die erforderliche Feinabstimmung im Anschluss durch das Privatrecht vorgenommen werden kann. Eine wichtige Vorklärungsfunktion übernimmt die staatliche Rechtsdurchsetzung dann, wenn Entscheidungen von Aufsichtsbehörden eine Bindungswirkung für follow-on-Klagen entfalten. So ordnen Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 und § 33 Abs. 4 GWB an, dass die Zivilgerichte sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht an Kommissionsentscheidungen und Entscheidungen des BKartA gebunden sind. Immunisierungsfunktion: Öffentlich-rechtliche Regelungen und Entscheidungen von Aufsichtsbehörden können auch dem betroffenen Unternehmer zugute kommen. Soweit staatliche Behörden ein bestimmtes Marktverhalten ausdrücklich billigen oder dulden, kann das Vertrauen der Normadressaten geschützt werden, indem die betref398

  Ebers, Contratto e impresa/Europa 2007, 696, 728 f.   So rekurriert der BGH beispielsweise auf die im WpHG geregelten aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltenspflichten, um den Umfang der vorvertraglichen und vertraglichen Pflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu bestimmen; BGH, NJW 2007, 1876, Rn. 21; NJW 2011, 1949, Rn. 22, 32. Dieser Rückgriff erfolgt jedoch in unverbindlicher Weise; BGH, WM 2011, 2268, Rn. 47; NJW 2012, 66, Rn. 47; NJW 2012, 2873, Rn. 25. Zur Diskussion bereits supra, § 4 C.IV.5.a. 399

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich

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fende Geschäftspraxis von den Zivilgerichten als rechtmäßig eingestuft400 oder von einem unvermeidbaren Irrtum ausgegangen wird.401 Kronzeugenprogramme können so ausgestaltet sein, dass Leniency-Antragsteller nicht nur von Geldbußen, sondern zugleich von privatrechtlichen Schadensersatzklagen freigestellt werden.402 Entlastungsfunktion: Eine wichtige Funktion der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung des Verbraucherrechts liegt schließlich in der Entlastung der Zivilgerichte. Die zuvor erwähnten Funktionen können dazu beitragen, dass weniger Rechtsstreitigkeiten im Wege der privaten Rechtsdurchsetzung ausgetragen werden. Dadurch sinken zugleich die gesamtgesellschaftlichen Kosten, die für die Entdeckung, Überführung und Sanktionierung aufgewendet werden müssen.403 All diese Argumente sprechen dafür, dass in Deutschland intensiver als bislang über die Einführung administrativer Mechanismen zur Durchsetzung des Verbraucherrechts diskutiert werden sollte. In diesem Sinne hat sich auch der 69. Deutsche Juristentag im Jahre 2012 dafür ausgesprochen, dass die Durchsetzung des Verbraucherrechts nicht auf zivilrechtliche Rechtsmittel beschränkt werden dürfe, sondern auch öffentlich-rechtliche Instrumente in Betracht zu ziehen sind.404 4. Kein Bedarf an strafrechtlichen Sanktionen Eine Verschärfung oder Einführung strafrechtlicher Sanktionen unterhalb des Betrugstatbestands bei Verletzung wirtschaftlicher Verbraucherinteressen ist demgegenüber abzulehnen. Das Strafrecht ist die schärfste Waffe, die dem Gesetzgeber zur Verfügung steht.405 Gemäß dem rechtsstaatlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) darf der Gesetzgeber von diesem Mittel als ultima ratio nur behutsam und zurückhaltend Gebrauch machen, wenn anders ein effektiver Rechtsgüterschutz nicht zu erreichen ist.406 Auch nach dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dürfen strafrechtliche Sanktionen von den Mitgliedstaaten nur angeordnet werden, wenn das EU‑Recht durch zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche Sanktionen nicht wirksam durchgesetzt werden kann.407 400   So die frühere Rechtsprechung zum Rechtsbruchtatbestand (jetzt § 3a UWG 2015): BGH, GRUR 1988, 382, 383 (Schelmenmarkt); BGH, GRUR 1998, 407, 412 (TIAPRIDAL); BGH, GRUR 2002, 269, 270 (Sportwetten-Genehmigung); OLG Köln, GRUR 2004, 166, 168 (Selbstentsorgergemeinschaft). 401   So die aktuelle Rechtsprechung zum Rechtsbruchtatbestand: BGHZ 163, 265, 270 = GRUR 2005, 778, 779 (Atemtest); BGH, GRUR 2006, 82, 84 (Betonstahl). Nach dieser Rechtsprechung kann das Vertrauen des Normadressaten die objektive Feststellung eines Normverstoßes grundsätzlich nicht beseitigen. Bei einem unvermeidbaren Irrtum werden lediglich die verschuldensabhängigen Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche ausgeschlossen. Verschuldensunabhängige Abwehransprüche bleiben demgegenüber bestehen. 402   Eine derartige Privilegierung besteht nach der Kartellschadensersatz-RL 2014/104; supra, § 7 C.IV.3. 403   Zu den Kosten der öffentlich-rechtlichen und privaten Rechtsdurchsetzung bereits supra, § 4 C.V.1.b. und § 4 C.V.2. 404   Deutscher Juristentag (Hrsg.), Verhandlungen des 69. Deutschen Juristentages, Bd. 2, 1, Sitzungsberichte – Referate und Beschlüsse, 2013, Abteilung Zivilrecht, Beschluss Nr. I.3.b., I 87: „Zur Rechtsdurchsetzung sind auch Mittel des Verwaltungs‑, Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts zu rechnen.“ 405   BVerfGE 39, 1, 45 (Schwangerschaftsabbruch). 406   BVerfGE 39, 1, 45, 46 f. (Schwangerschaftsabbruch); Roxin, Strafrecht, AT, Bd. 1, 4. Aufl., 2006, § 2 Rn. 97 ff. 407   Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als Obergrenze für mitgliedstaatliche Sanktionen supra, § 4 III.4.

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§ 10  Verbraucherrecht

Strafrechtliche Sanktionen unterliegen daneben weiteren Grenzen, die nicht nur durch das deutsche Verfassungsrecht, sondern auch durch das Unionsrecht gezogen werden. Die Mitgliedstaaten müssen bei Durchführung des Unionsrechts insbesondere die Vorgaben der GRC beachten,408 bei deren Auslegung die zur EMRK ergangene Rechtsprechung des EGMR eine wichtige Rolle spielt.409 Bedenken gegen strafrechtliche Mittel zur Durchsetzung des Verbraucherrechts ergeben sich zunächst aus dem Grundsatz „nullum crimen, nulla poena sine lege“ (Art. 49 Abs. 1 S. 1 GRC; Art. 7 EMRK) und dem hieraus folgenden Bestimmtheitsgrundsatz, der sowohl vom EuGH410 als auch vom EGMR411 anerkannt worden ist. Das Verbraucherrecht ist in besonderem Maße auf flexible Generalklauseln angewiesen, die in Konflikt mit diesem Grundsatz geraten würden.412 Insbesondere im Lauterkeitsrecht besteht das Bedürfnis nach Generalklauseln, mit denen die Gerichte auf neue Formen unlauteren Wettbewerbs reagieren können. Die UGP-RL 2005/29 bedient sich aus diesem Grund einer großen Generalklausel (Art. 5), die durch kleine Generalklauseln für irreführende (Art. 6 – 7) und aggressive (Art. 8 – 9) Geschäftspraktiken ergänzt wird. Dabei ist vor allem das in Art. 5 Abs. 2 lit. a UGP-RL 2005/29 erwähnte Merkmal der beruflichen Sorgfalt in höchstem Maße unscharf.413 Nach dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz muss eine strafbare Handlung aber im Gesetz klar definiert werden, damit die Normadressaten wissen, welches Verhalten strafbar ist. Dies gilt selbst dann, wenn das nationale Strafgesetz nahezu wortgleich einer EU‑Richtlinie entspricht.414 Auch die richtlinienkonforme Auslegung von Straftatbeständen unterliegt strengen Grenzen, denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH darf die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen nicht auf einen nationalen Straftatbestand gestützt werden, der erst durch die Heranziehung von Richtlinienbestimmungen eine hinreichend bestimmte Beschreibung der Verbotsmaterie erlangt.415 Zwar stellt die Rechtsprechung keine sehr hohen Anforderungen an die Bestimmtheit. So räumt der EGMR selbst ein, dass der Wortlaut vieler Gesetze nicht absolut präzise ist und viele Gesetze angesichts der „Notwendigkeit, übermäßige Starrheit zu vermeiden und mit den sich ändernden Umständen Schritt zu halten“ Begriffe verwenden müssen, die mehr oder weniger unbestimmt sind.416 Aus 408

 Dazu supra, § 4 A.I.2.   Nach Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRC dürfen die Gewährleistungen der EMRK einschließlich der dazu ergangenen Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung und Anwendung der Charta-Grundrechte nicht unterschritten werden. Zum Einfluss der EGMR-Rechtsprechung nach Beitritt der EU zur EMRK supra, § 3 C.I.3.c. 410   EuGH, verb. Rs. C‑74 & 129/95 (Telecom Italia) Rn. 25; Rs. C‑303/05 (Advocaten voor de Wereld) Rn. 50; Rs. C‑352/09 (ThyssenKrupp Nirosta/Kommission) Rn. 80 f. Ebenso EuG, Rs. T‑279/ 02 (Degussa/Kommission) Rn. 66. 411   EGMR, 25.5.1993, Nr. 14307/88 (Kokkinakis/Griechenland) Rn. 52, ÖJZ 1994, 59, 61. 412   So bereits Schricker, GRUR Int. 1973, 694, 698; Mertens, ZHR 139 (1975), 438, 458. Vgl. auch Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz, 2004, S. 344 f. 413   Nach Art. 2 lit. h UGP-RL 2005/29 ist berufliche Sorgfalt „der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, bei denen billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Gewerbetreibende sie gegenüber dem Verbraucher gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet“. Hierzu Köhler, WRP 2012, 22 ff. 414   EGMR, 15.11.1996, Nr. 17862/91 (Cantoni/Frankreich) Rn. 30, EuGRZ 1999, 193, 197. 415  EuGH, Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen) Rn. 13; Rs. C‑168/95 (Arcaro) Rn. 42; verb. Rs. C‑74 & 129/95 (Telekom Italia) Rn. 25. 416   EGMR, 25.5.1993, Nr. 14307/88 (Kokkinakis/Griechenland) Rn. 40, ÖJZ 1994, 59, 60. 409

C. Mitgliedstaatliche Sanktionssysteme im Vergleich

797

dem Bestimmtheitsgrundsatz folgt daher nicht, dass „die schrittweise Klärung von Regeln der strafrechtlichen Verantwortlichkeit durch richterliche Auslegung von Fall zu Fall“ unrechtmäßig ist, vorausgesetzt, dass „die daraus resultierende Entwicklung mit dem Wesen der strafbaren Handlung im Einklang steht und vernünftigerweise vorhergesehen werden kann“.417 Wann eine durch die Rechtsprechung vorgenommene Auslegung vorhersehbar ist, bleibt jedoch häufig ungewiss.418 Die Abgrenzung zwischen einer noch zulässigen Auslegung und einer unzulässigen richterlichen Rechtsfortbildung ist letztlich eine Gratwanderung.419 Weitere Einschränkungen ergeben sich aus dem Grundsatz „nulla poena sine culpa“. Das Prinzip der Unschuldsvermutung (Art. 48 Abs. 1 GRC, Art. 6 Abs. 2 EMRK) impliziert, dass der Beschuldigte nur verurteilt werden darf, wenn dem Gericht der Beweis der Schuld gelingt.420 Ein Verstoß gegen verbraucherschützende Normen muss demgegenüber auch dann untersagt und sanktioniert werden können, wenn der Unternehmer schuldlos gehandelt hat.421 Zwar verstoßen Schuldvermutungen nicht in jedem Fall gegen die Unschuldsvermutung. Sie können nach der Rechtsprechung des EGMR zulässig sein, wenn sie an ein Verhalten anknüpfen, das nach den tatsächlichen Umständen auf die schuldhafte Begehung der Tat schließen lassen.422 Auch der EuGH hat mitgliedstaatliche Regelungen, die eine objektive strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Verstößen gegen das Unionsrecht vorsehen, bislang nicht beanstandet.423 Beide Gerichte fordern nur, dass Schuldvermutungen widerlegbar sein müssen und die Verteidigungsrechte gewahrt werden.424 Die in Großbritannien vorgesehene strafrechtliche Sanktionierung verbraucherschützender Normen in Form der strict liability, verbunden mit der due diligence defence,425 verstößt aus diesem Grunde nicht per se gegen die EMRK oder die GRC.426 Nach deutschem Ver417

  EGMR, 22.11.1995, Nr. 20166/92 (S. W./Vereinigtes Königreich) Rn. 36, ÖJZ 1996, 356, 357.   Der EGMR stellt vor allem auf den Adressatenkreis ab. Richtet sich der Straftatbestand gegen Unternehmer, so soll es dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit grundsätzlich nicht entgegenstehen, wenn die betroffene Person in einem vernünftigen, den Umständen entsprechenden Maße rechtlichen Rat einholen muss, um die möglichen Folgen eines bestimmten Handelns zu ermitteln; EGMR, 15.11.1996, Nr. 17862/91 (Cantoni/Frankreich) Rn. 35, EuGRZ 1999, 193, 198. 419   Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl., 2016, § 24 Rn. 150, S. 557. 420   Für eine Herleitung des Prinzips „nulla poena sine culpa“ aus der Unschuldsvermutung auch GA Kokott, SchlA, Rs. C‑681/11 (Schenker & Co. u. a.) Rn. 41. 421   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑435/11 (CHS Tour Services): Verkaufsbroschüre, die eine falsche Information enthält, muss nach der UGP-RL 2005/29 auch dann als „irreführende Geschäftspraxis“ i. S. d. Art. 6 eingestuft werden, wenn dem Gewerbetreibenden kein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht zur Last gelegt werden kann. 422   EGMR, 7.10.1988, Nr. 10519/83 (Salabiaku/France) Rn. 28; EGMR, 25.9.1992, Nr. 13191/87 (Pham Hoang/Frankreich) Rn. 33, EuGRZ 1992, 472. 423   Vgl. EuGH, Rs. C‑326/88 (Hansen) LS 2; Rs. C‑315/05 (Lidl Italia) Rn. 60. Für Art. 2 Abs. 1 MAD 2003/6 hat der EuGH sogar eine Vorsatzvermutung aufgestellt; EuGH, Rs. C‑45/08 (Spector Photo Group) Rn. 38; kritisch Opitz, BKR 2010, 71 ff. Demgegenüber können Bußgelder im Kartellrecht nur verhängt werden, wenn die Zuwiderhandlung vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden ist (Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 VO 1/2003); dazu EuGH, Rs. C‑681/11 (Schenker u. a.) Rn. 37 ff. 424  EGMR, 25.9.1992, Nr. 13191/87 (Pham Hoang/Frankreich) Rn. 33 f., EuGRZ 1992, 472; EuGH, Rs. C‑45/08 (Spector Photo Group) Rn. 44. 425  Hierzu supra, § 10 C.II.3. 426   Zur Diskussion Sullivan, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 195 ff., insb. S. 201: „It would be naive to assume that one of the ultimate consequences of the incorporation of the Convention into English law will be the demise of strict liability in English criminal law.“ 418

798

§ 10  Verbraucherrecht

fassungsrecht könnten derartige Straftatbestände dagegen leicht gegen das Verbot der Verdachtsstrafe verstoßen.427 Problematisch ist auch, dass Strafen in Deutschland nur gegen natürliche Personen verhängt werden können. Eine Sanktionierung juristischer Personen, die zur effektiven Durchsetzung des Unionsrechts erforderlich sein kann, scheidet demgegenüber nach deutschem Strafrecht aus, da einer solchen Bestrafung nach herkömmlicher Auffassung der im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Schuldgrundsatz entgegensteht.428 Schließlich sind Strafverfahren äußerst schwerfällig, während der zivilrechtliche Unterlassungsanspruch in einem Eilverfahren binnen Stunden durchgesetzt werden kann.429 5. Ergebnis Alles in allem erscheinen daher zivilrechtliche Rechtsbehelfe, ergänzt um administrative Sanktionen, als der sinnvollere und effektivere Weg, um das europäische Verbraucherrecht wirksam, verhältnismäßig und abschreckend durchzusetzen.

D. Vorvertragliche Informationspflichten Die vorangegangenen Überlegungen haben sich ganz allgemein mit den Sanktionen beschäftigt, die bei einem Verstoß gegen verbraucherschützende Normen im Unionsrecht und mitgliedstaatlichen Recht ausgelöst werden. Vor diesem Hintergrund ist nunmehr zu untersuchen, wie der Verstoß gegen spezielle Verbraucherschutzinstrumente zu sanktionieren ist. Zu den zentralen Verbraucherschutzinstrumenten gehören vor allem vorvertragliche Informationspflichten, die sich heutzutage – dem Informationsparadigma entsprechend (I.) – in nahezu jeder Verbraucherrichtlinie finden (II.). Die bei einem Verstoß eintretenden Rechtsfolgen werden demgegenüber nur ansatzweise im Sekundärrecht geregelt (III.). Damit stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten im nationalen Recht vorgesehen werden müssen, um dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem Sanktionsauftrag der Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen. In diesem Rahmen ist zugleich zu diskutieren, ob die in den Acquis Principles und im DCFR für einen Informationspflichtenverstoß vorgesehenen Rechtsfolgen adäquate Lösungsvorschläge unterbreiten, mit denen das „nahezu chronische Rechtsfolgendefizit“430 im europäischen Sekundärrecht de lege ferenda behoben werden könnte (IV.). 427   Vgl. BVerfGE 9, 167, 170 f. = NJW 1959, 619; BVerfGE 74, 358, 371 = NJW 1987, 2427 f. Im Lissabon-Urteil betont das BVerfG, dass bei Auslegung europäischen Strafrechts keinesfalls das Prinzip „nulla poena sine culpa“ verletzt werden dürfe; BVerfGE 123, 267, 413 (Lissabon) = NJW 2009, 2267, 2289. Siehe auch Lindemann, Voraussetzungen und Grenzen legitimen Wirtschaftsstrafrechts, 2012, S. 230, 560. 428  Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Strafgesetzbuch, 29. Aufl., 2014, Vor §§ 25 ff. Rn. 121; monografisch Hartan, Unternehmensstrafrecht in Deutschland und Frankreich, 2006; Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht im Kontext, 2007. 429   Stellungnahme der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht zum Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB), GRUR 1974, 652. 430  So Schwintowski, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss, 2003, S. 267, 270.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

799

Der Umfang der nachfolgenden Ausführungen muss notwendigerweise begrenzt werden. Zum einen beschränkt sich die Untersuchung auf Richtlinien, die zum Verbraucherrecht im engeren Sinne zählen.431 Zum anderen werden nur vorvertragliche Informationspflichten in den Blick genommen, also Pflichten, die vor Vertragsschluss erfüllt werden müssen.432 Im Fokus stehen zudem nur die (standardisierten) Informationspflichten, nicht jedoch die (individuellen) Beratungspflichten, die eine qualifizierte Bewertung von Informationen und eine sachgerechte Empfehlung unter Berücksichtigung der Lebenssituation und der Interessen des Kunden erfordern.433 Eine Eingrenzung auf originär vertragsrechtliche Informationspflichten unter Ausschluss des Lauterkeitsrechts wird demgegenüber nicht vorgenommen. Lauterkeitsund Vertragsrecht sind im Unionsrecht wechselseitig aufeinander bezogen.434 Dies zeigt sich in besonderem Maße bei den vorvertraglichen Informationspflichten. Informationspflichten dienen nicht nur der wettbewerbsbezogenen Steuerung des Marktverhaltens, sondern zugleich der vertragsbezogenen Regelung des ersten Kontakts im vorvertraglichen Bereich.435 Das Zusammenspiel zwischen Lauterkeits- und Vertragsrecht tritt vor allem bei den Rechtsfolgen deutlich hervor. Einerseits kann ein Verstoß gegen lauterkeitsrechtliche Informationsgebote vertragsrechtliche Sanktionen zur Folge haben, beispielsweise, wenn unzutreffende Werbeangaben Gewährleistungsansprüche auslösen.436 Andererseits kann die Missachtung vorvertraglicher Informationspflichten, die in Richtlinien mit primär vertragsrechtlichem Gehalt angeordnet sind, als unlautere Geschäftspraktik gewertet werden und damit lauterkeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.437 Beide Informationsregime sind daher gemeinsam in ihrem Wechselspiel zu betrachten.

I. Das Informationsparadigma 1. Informationspflichten als Kernbestandteil des Verbraucherrechts Informationspflichten zählen zum Kernbestand des acquis communautaire, sie sind eine tragende Säule in der gegenwärtigen Architektur des Verbraucherrechts.438 Der 431

  Zum Verbraucherrecht „im engeren Sinne“ supra, § 10 B.V.1.a.   Der Begriff der „vorvertraglichen“ Information wird dabei nicht funktional, sondern temporal verstanden; so auch Piers, ZEuP 2012, 867, 868. Daher werden auch zwingende Pflichtangaben über den Vertragsinhalt und die AGBs zu den vorvertraglichen Informationspflichten gezählt. Nach einem funktionalen Verständnis wären derartige Pflichtangaben dagegen nicht mehr dem vorvertraglichen Bereich zuzuordnen, da sie einen bereits erzielten Konsens zwischen den Parteien voraussetzen; vgl. Grigoleit, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss, 2003, S. 201, 208; Kroll-Ludwigs, ZEuP 2010, 509, 516. 433   Zur Unterscheidung zwischen Informations- und Beratungspflichten Kieninger, AcP 198 (1998), 190, 193. 434   Busch, in: Ajani/Ebers (Hrsg.), Uniform Terminology for European Contract Law, 2005, S. 219 ff.; ders., Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, 2008, S. 32 ff.; M. Schmidt, JZ 2007, 78 ff. Pfeiffer/Ebers, in: ACQP, 2009, Art. 2:101 Rn. 3 ff. 435   Micklitz/Keßler, WRP 2003, 919, 931. 436   Vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. d KaufRL 99/44; Art. 3 Abs. 2 S. 2 PRRL 90/314 (jetzt Art. 6 Abs. 1 S. 1 PRRL 2015/2302); Art. 5 Abs. 2 TSRL 2008/122; Art. 6 Abs. 5 VRRL 2011/83; hierzu infra, § 10 D.IV.3.b. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič): Die Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung i. S. d. UGP-RL 2005/29 bildet einen wichtigen Anhaltspunkt dafür, ob eine Vertragsklausel missbräuchlich i. S. d. Klausel-RL 93/13 ist; dazu infra, § 10 D.III.7. 437  Dazu infra, § 10 D.III.2.b. 438   Kieninger, in: 69. DJT, Bd. 2, 1, 2013, I 29. 432

800

§ 10  Verbraucherrecht

Bestand an verbraucherschützenden Informationspflichten in Sekundärrechtsakten ist während der letzten Jahrzehnte exponentiell gewachsen. Von Anfang an war dabei der Gedanke maßgeblich, dass die Pflicht zur Information gegenüber zwingenden Vorschriften in aller Regel das mildere und adäquatere Mittel ist, um Verbraucher zu schützen und die Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts sicherzustellen. Nachdem der EuGH im Jahre 1979 in der Rechtssache Cassis de Dijon439 entschieden hatte, dass mitgliedstaatliche Maßnahmen immer dann dem Grundsatz „Information statt Verbot“ zu folgen haben, wo dies möglich ist, setzte auch der europäische Gesetzgeber zunehmend auf eine Regulierung des Verbraucherrechts durch Informationspflichten: staatliche Kontrolle und zwingendes Recht wurden in vielen Bereichen zurückgedrängt und durch Informationspflichten ersetzt.440 Der Vorteil des Informationsmodells gegenüber inhaltlich zwingenden Regelungen liegt zweifelsohne darin, dass der Privatautonomie der Marktteilnehmer besser Rechnung getragen werden kann und ein schonenderer Eingriff in die bestehenden Marktmechanismen erfolgt. Zwingende Normen, die den Vertragsinhalt vorgeben, reduzieren die Gestaltungsfreiheit und tragen den unterschiedlichen Präferenzen der Nachfrager nicht ausreichend Rechnung. Demgegenüber ermöglichen Informationspflichten, selbst wenn sie zwingend ausgestaltet sind, individuelle Auswahlentscheidungen, ohne dass paternalistisch eine staatliche Entscheidung an die Stelle der jeweiligen individuellen Präferenzen gesetzt wird. Die Dominanz des Informationsparadigmas erklärt sich daneben durch rechtspolitische Umstände. Die Einführung von Informationspflichten verursacht für die Union und die Mitgliedstaaten keine unmittelbaren Kosten; die für Unternehmen entstehenden Kosten sind entfernt und diffus.441 Ein zweiter Vorteil liegt darin, dass über Informationsregeln offenbar leichter Konsens zu erzielen ist als über inhaltlich zwingende Regelungen, die zumindest auf den ersten Blick sehr viel tiefer in die nationalen Privatrechtssysteme eingreifen als Informationspflichten.442 Beide Annahmen sind freilich zu hinterfragen. Zum einen ist nicht ausgeschlossen, dass Informationspflichten zu höheren Kosten führen als zwingende Produktregelungen. Weder die Beschaffung und Bereitstellung von Informationen durch den Anbieter noch ihre Verarbeitung durch den Nachfrager ist letztlich kostenlos.443 Zudem können die Rechtsverfolgungskosten außerordentlich hoch sein.444 Zum anderen ist fraglich, ob Informationspflichten tatsächlich zu einem schonenderen Eingriff in den Vertragsmechanismus führen. Informationspflichten sind keineswegs vertragsinhaltsneutral. Die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten kann sich je nach Gegenstand der Information auf das Zustandekommen des Vertrags, dessen Wirksamkeit oder dessen Inhalt auswirken.445 Zwar richtet sich die Ausgestaltung dieser Rechtsfolgen mangels 439

  EuGH, Rs. 120/78 (Rewe-Zentral – „Cassis de Dijon“) Rn. 13. Dazu bereits supra, § 10 B.II.   Besonders deutlich wird dies im Versicherungsrecht. Die durch den Fortfall der präventiven Bedingungs- und Tarifkontrolle entstandene Produktvielfalt und erwartete Intransparenz der Angebote soll durch Informationspflichten kompensiert werden; vgl. ErwGr (52) LV‑RL 2002/83 sowie ErwGr (19) Dritte Schadensversicherungs-RL 92/49. Dazu Ebers, VersWissStud. 26, 123 ff. 441   Grigoleit, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 223, 261. 442   Grundmann, JZ 2000, 1133, 1143; Weatherill, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, 2001, S. 173, 181. 443   Schön, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 1191, 1205 ff. 444   Grigoleit, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 223, 261. 445   Hierzu sogleich, infra, § 10 D.IV. 440

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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ausdrücklicher Regelung im Unionsrecht primär nach nationalem Recht. Da das Unionsrecht eine effektive und abschreckende Sanktionierung verlangt, werden derartige Rechtsfolgen aber durch unionsrechtliche Vorgaben überlagert. 2. Grenzen des Informationsmodells Das von der Europäischen Union favorisierte Informationsmodell steht seit geraumer Zeit in der Kritik.446 Aus der Sicht der betroffenen Unternehmen wird bezweifelt, ob diese überhaupt in der Lage sind, den unionsrechtlich normierten Informationspflichten mit vertretbarem Aufwand und hinreichender Rechtssicherheit nachzukommen.447 Dabei wird sowohl der Umfang der vorgeschriebenen Informationen als auch die sektorielle, größtenteils inkohärente Herangehensweise des Richtliniengebers bei der Normierung von Informationspflichten moniert. Aus der Sicht der Verbraucher stellt sich die Frage, ob das Instrument der Informationspflichten geeignet ist, eine informierte Auswahlentscheidung zu ermöglichen: – Die Kritik wendet sich erstens gegen den überbordenden Umfang der nach Unionsrecht zu erteilenden Informationen. Wachsende Informationsfülle wirkt sich in der Regel kontraproduktiv auf den Entscheidungsprozess aus; ein quantitativ höheres Maß an Information bedeutet nicht notwendig, dass eine informierte und damit bessere Entscheidung getroffen wird.448 Im Gegenteil: Da Verbraucher über begrenzte Fähigkeiten zur Informationsaufnahme und ‑verarbeitung verfügen, nimmt der Grenznutzen zusätzlicher Informationen nicht nur ab, sondern wird ab einer bestimmten Informationsmenge sogar negativ.449 – Zweitens wird darauf verwiesen, dass selbst präzise Informationen von vielen Verbrauchern aus zeitlichen Gründen nicht zur Kenntnis genommen werden.450 – Drittens wird geltend gemacht, dass das Entscheidungsverhalten von Verbrauchern nicht den Anforderungen strikter Rationalität entspricht.451 Selbst ein voll informierter Verbraucher unterliegt häufig Fehlvorstellungen über seine persönlichen Fähigkeiten, seine wirtschaftliche Situation oder seine aktuellen und künftigen Präferenzen. – Viertens setzen Informationen ein Mindestmaß an Verständnismöglichkeiten voraus, sie richten sich regelmäßig an den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher. Besonders schutzbedürftige bzw. verletzliche Verbraucher, die diesem Leitbild nicht entsprechen, werden daher nicht ausreichend durch vorvertragliche Informationen geschützt.452

446   Vgl. nur Howells, Journal of Law and Society 2005, 349 ff.; Kieninger, in: 69. DJT, Bd. 2, 1, 2013, I  29 ff.; Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 511 ff.; Rehberg, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 284 ff.; Schön, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, 1191, 1206 ff. 447   Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1155; Kieninger, in: 69. DJT, Bd. 2, 1, 2013, I 29, 36 f. 448   Simon, Q.J.Econ. 1955, 99 ff.; Miller, The Psychological Review 1956, 81 ff. 449   Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218; Fleischer, ZEuP 2000, 772, 787 f. 450   Howells, Journal of Law and Society 2005, 349, 356 f. 451   Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218 f.; Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, 2007, S. 128 ff. 452   Howells, Journal of Law and Society 2005, 349, 357 (information as a „middle-class tool“).

802

§ 10  Verbraucherrecht

– Schließlich stößt das Informationsmodell fünftens an seine Grenzen, wenn ein „Schutz vor dem unerwünschten Vertrag“ durch Informationspflichten überhaupt nicht zu erreichen ist.453 Dies betrifft einerseits Fälle, in denen der Verbraucher durch aggressives Geschäftsverhalten zu einem Vertrag gedrängt wird, andererseits aber auch Konstellationen, in denen der Verbraucher aufgrund der Marktstruktur (Monopole) oder der Vertragsgestaltung (langfristige Vertragsbindungen) auch bei ausreichender Information nicht auf Alternativangebote ausweichen kann. Das Informationsparadigma ist aus all diesen Gründen zu hinterfragen. Zwar sind die genannten Kritikpunkte nicht geeignet, das sekundärrechtliche Informationsmodell grundsätzlich in Frage zu stellen. De lege ferenda stellt sich für den Unionsgesetzgeber jedoch die Aufgabe, den gegenwärtigen Bestand verbraucherschützender Informationspflichten auf den Prüfstand zu stellen. Informationspflichten sollten im Unionsrecht nicht nur kohärenter geregelt werden, sondern, soweit möglich, in ihrem Umfang zurückgeschnitten werden, damit dem Verbraucher eine informierte Auswahlentscheidung anhand präziser und griffiger Informationen ermöglicht wird. Der auf dem 69. Deutschen Juristentag im Jahre 2012 getroffene Beschluss, Informationspflichten nur dort vorzusehen, wo sie für Verbraucherentscheidungen typischerweise eine zentrale Bedeutung haben,454 ist daher uneingeschränkt zu begrüßen. Bei alledem sollte das Informationsmodell nicht als Alternative zum zwingenden Recht verstanden werden. Beide stehen vielmehr in einem Ergänzungsverhältnis. Soweit das Informationsmodell versagt, muss durch zwingendes Recht Abhilfe geschaffen werden.

II. Systematisierung der verbraucherschützenden Informationspflichten 1. Individual- und marktordnungsrechtliche Funktion vorvertraglicher Informationspflichten Vorvertragliche Informationspflichten dienen unterschiedlichen Zwecken.455 Sie erfüllen einerseits eine individualschützende Funktion. Der einzelne Verbraucher soll in die Lage versetzt werden, eine informierte Auswahlentscheidung zu treffen. Vorvertragliche Informationspflichten sollen für Leistungs‑, Preis- und Verpflichtungstransparenz sorgen und damit die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Entscheidungsfreiheit nicht nur in rechtlicher Hinsicht (formale Vertragsfreiheit), sondern zugleich in tatsächlicher Hinsicht (materiale Vertragsfreiheit) gewährleistet ist.456 So 453

1209.

  Howells, Journal of Law and Society 2005, 349, 358; Schön, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, 1191,

454

  Deutscher Juristentag (Hrsg.), Verhandlungen des 69. Deutschen Juristentages, Bd. 2, 1, Sitzungsberichte – Referate und Beschlüsse, 2013, I 88. 455   Über die nachstehend genannten Zwecke wird Informationspflichten eine Reihe weiterer Funktionen zugeschrieben. Vgl. nur Sefton-Green, in: dies. (Hrsg.), Mistake, Fraud and Duties to Inform in European Contract Law, 2005, S. 1, 14, die unter Einbeziehung der Irrtumsregeln insgesamt acht Hauptaufgaben unterscheidet, nämlich (i) protecting the consent of the parties, (ii) upholding the security of transactions, (iii) controlling contractual fairness, (iv) upholding the moral duty to tell the truth, (v) protecting or compensating the innocent reliance of a mistaken party, (vi) imposing or regulating standards of behaviour expected by contracting parties for normative purposes, (vii) setting objective standards in relation to the content of the contract, (viii) allocating risks under the contract. 456   Zur Unterscheidung zwischen formaler und materialer Privatautonomie Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277 f.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 8 ff.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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gesehen leisten Informationspflichten einen wichtigen Beitrag zur prozeduralen Vertragsgerechtigkeit457 und Richtigkeitsgewähr458 des Vertrages. Informationspflichten durchbrechen daher das in vielen Mitgliedstaaten geltende Prinzip caveat emptor (emptor debet esse curiosus),459 demzufolge jede Vertragspartei grundsätzlich verpflichtet ist, sich die erforderlichen Informationen bei der Vertragsanbahnung selbst zu verschaffen. Informationspflichten erfüllen andererseits eine wichtige marktordnungsrechtliche Funktion.460 Verbraucherentscheidungen, die auf der Grundlage falscher oder unvollständiger Informationen getroffen werden, führen nicht nur dazu, dass die Richtigkeitsgewähr des individuellen Vertrags in Frage gestellt wird. Ein unzureichender Informationszugang beeinträchtigt vielmehr zugleich die Effizienz bei der Allokation von Ressourcen. In extremen Fällen können Informationsdefizite sogar zum weitgehenden Zusammenbruch von Märkten führen und erhebliche volkswirtschaftliche Schäden zur Folge haben. Informationspflichten dienen daher nicht nur dem Schutz der betroffenen Kunden, sondern auch der Herstellung eines funktionsfähigen Wettbewerbs. Sie leisten einen Beitrag zur Senkung von Transaktionskosten und helfen, die durch Informationsasymmetrien verursachten Formen des Marktversagens zu verhindern. Im Unionsrecht spielt daneben der Binnenmarktgedanke eine entscheidende Rolle. Die im Unionsrecht vorgesehenen Informationspflichten sollen das Vertrauen der Verbraucher stärken und damit die grenzüberschreitende Nachfrage von Gütern und Dienstleistungen stimulieren. Der Umstand, dass Informationspflichten eine marktordnungsrechtliche Funktion aufweisen, spricht für sich genommen nicht gegen die Annahme, dass subjektive Rechte des Einzelnen begründet werden sollen.461 Institutionen- und Individualschutz laufen im Marktordnungsrecht regelmäßig parallel, sie sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille.462 Auch der EuGH differenziert bei Herleitung der Unionsrechte grundsätzlich nicht danach, ob die betreffende Norm vorrangig öffentliche Interessen oder Individualinteressen schützt.463 Entscheidend für die Herleitung (ungeschriebener) Rechte des Einzelnen sind vielmehr der personale Bezug des geschützten Rechtsguts und die tatsächliche Betroffenheit. Einen wichtigen Anhaltspunkt für die Ermittlung subjektiver Rechte bildet zudem die Erkenntnis, dass die von der Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte dazu beitragen sollen, das Unions457   Canaris, AcP 200 (2000), 273, 287; Remien, Zwingendes Vertragsrecht, 2003, S. 275. Vgl. auch Lienhard, Der asymmetrisch standardisierte Vertragsschluss im EG‑Privatrecht, 2004, S. 111 f.: Verbraucherrecht als „standardisierte Form prozeduraler Privatautonomie“ zur Erreichung materieller Privatautonomie. 458   Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 132 ff., 152 ff. 459   Zu diesem Prinzip Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 66 f., 586 f., 821 ff.; St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 416 ff. Zum englischen Recht Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, 1979, S. 178 ff. und S. 464 ff. 460  Grundlegend Akerlof, (1970) 84 Q.J.Econ. 488 ff. Aus juristischer Perspektive statt aller Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 209 ff.; ders., ZEuP 2000, 772, 778. 461  Anders Börger, Sanktionen, 2010, S. 87 – 100, der zwischen individualschützenden und marktordnungsrechtlichen Informationspflichten differenziert, und auf dieser Grundlage „funktionsangemessene Sanktionen“ bestimmt. 462   So für das Lauterkeitsrecht schon L. Raiser, in: Summum Ius, 1963, S. 145, 156. Allgemein Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 1994, S. 434 (Institutionenschutz ist meist kein Selbstzweck, sondern dient i. d. R. auch dem Individualschutz). Zur Diskussion bereits supra, § 3 E.VI. 463   Supra, § 3 E.V.3.a.

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recht in den Mitgliedstaaten durchzusetzen.464 Dementsprechend ist bei Herleitung ungeschriebener unionsrechtlicher Rechtsfolgen danach zu fragen, welche Rechtsbehelfe erforderlich sind, um dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem Sanktionsauftrag der Mitgliedstaaten ausreichend Rechnung zu tragen.465 2. Gründe für das Entstehen von Informationspflichten Informationspflichten können entstehen, wenn der Informationsempfänger aufgrund persönlicher oder situativer Umstände oder aufgrund des konkreten Vertragstypus nicht in der Lage ist, seine Rechte und Pflichten vor Vertragsschluss zutreffend einzuschätzen. Ein Teil des Schrifttums betont im Verbraucherrecht vor allem den zuerst genannten Aspekt. Nach dieser Ansicht tragen Informationspflichten dem typischen Informationsgefälle in B2C-Kontakten Rechnung.466 Die speziell normierten Informationspflichten werden dabei als Ausprägung eines allgemeinen Prinzips der Aufklärung von Verbrauchern angesehen.467 Gegen eine solche Gesamtanalogie wird eingewendet, dass Verbraucher ihren Vertragspartnern nicht pauschal unterlegen seien und nicht notwendigerweise allein deswegen an einem Informationsdefizit leiden, weil sie ein Geschäft für den privaten Konsum abschließen.468 Kein Aufklärungsbedarf bestehe, wenn der Verbraucher über besondere Fachkenntnisse verfüge. Umgekehrt könne der unternehmerisch Handelnde bei B2B-Verträgen aufgrund mangelnder Fachkenntnis genauso schutzwürdig sein wie ein Verbraucher. Informationspflichten dürften daher nicht pauschal an die Verbraucherstellung anknüpfen. Entscheidend für das Entstehen einer Informationspflicht sei vielmehr das fachliche Informationsgefälle zwischen den Vertragspartnern, unabhängig von ihrer Gruppenzugehörigkeit.469 a) Situative und vertragstypbezogene Informationspflichten Das geschriebene Unionsrecht kannte bis zum Erlass der VRRL 2011/83 keine Informationspflichten für allgemeine Verbraucherverträge. Die meisten Sekundärrechtsakte statuieren Informationspflichten, die nicht allein an die Verbraucherstellung anknüpfen, sondern darüber hinaus an situative oder vertragstypbezogene Elemente. Zu den besonderen situativen Umständen, für die das Unionsrecht spezielle Informationspflichten statuiert, zählen vor allem Fernabsatzgeschäfte470 sowie außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge.471 Der besondere Informationsbedarf bei derartigen Geschäften erklärt sich daraus, dass der Verbraucher aufgrund räumlicher 464

 Hierzu supra, § 3 D., insb. § 3 D.IV.  Hierzu infra, § 10 D.IV.   Reich, NJW 1978, 513 ff.; Lurger, Vertragliche Solidarität, 1998, S. 14 ff. und S. 75 ff. 467   Reich, NJW 1978, 513, 519; R. Schumacher, Vertragsaufhebung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner, 1979, S. 93 ff. 468   Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S. 105 ff.; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 269 f.; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, 2003, S. 159 ff. 469   Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 270, 571. 470   Geregelt in der FARL 97/7 (jetzt VRRL 2011/83) und in der FDL-FARL 2002/65. Daneben ordnet auch die ECRL 2000/31 vertriebsspezifische Informationspflichten an. 471   Während die HWiRL 85/577 nur rudimentäre Informationspflichten statuierte, erstreckt die VRRL 2011/83 die für Fernabsatzverträge vorgesehenen Informationspflichten auf außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge. 465 466

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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Distanz472 oder psychischem Druck473 nicht in der Lage ist, sich über den Vertragsgegenstand zu informieren und die Sache genauer zu untersuchen. Andere Informationspflichten im Unionsrecht sind auf spezielle Vertragstypen zugeschnitten.474 Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass der Inhalt bestimmter Verträge besonders komplex ist und die gegenseitigen Rechte und Pflichten, insbesondere das Preis-Leistungsverhältnis nur schwer beurteilt werden können. Daneben können weitere vertragstypische Faktoren hinzutreten, die einen gesteigerten Informationsbedarf beim Verbraucher auslösen, beispielsweise bestimmte Risikofaktoren (Vertragsrendite, Wechselkursschwankungen), die Langfristigkeit des Vertrages oder der spezifische Vertragszweck (z. B. Altersvorsorge).475 b) Allgemeine verbraucherschützende Informationspflichten Bei diesen Informationspflichten ist es indessen nicht geblieben. Mittlerweile kennt das Unionsrecht auch allgemeine verbraucherschützende Informationspflichten, die für nahezu sämtliche Verbraucherverträge gelten. Einen ersten Schritt in diese Richtung geht die UGP-RL 2005/29. Art. 7 der Richtlinie etabliert weitreichende lauterkeitsrechtliche Informationsgebote, die ein Unternehmer im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern zu beachten hat. Nach Art. 7 Abs. 1 gilt eine Geschäftspraxis als irreführend, wenn sie im konkreten Fall wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen. Art. 7 Abs. 4 enthält dabei eine Liste von „Basisinformationen“,476 die stets als wesentlich gelten und daher übermittelt werden müssen, wenn die kommerzielle Kommunikation eine „Aufforderung zum Kauf“ darstellt, was nach Art. 2 lit. i immer dann der Fall ist, wenn der Verbraucher durch die (unvollständigen) Werbeangaben so viel über das Produkt und dessen Preis erfährt, dass er sich für den Kauf entscheiden kann.477 Damit wird zwar keine allgemeine Informationspflicht statuiert.478 Denn zum einen hat es der Unternehmer selbst in der Hand, ob er das angepriesene Produkt in Werbebotschaften so 472

  ErwGr (11) – (14) FARL 97/7; sowie zum Widerrufsrecht ErwGr (37) VRRL 2011/83.   Vgl. ErwGr (4) HWiRL 85/577; ErwGr (21) VRRL 2011/83. 474   Vertragstypbezogene Informationspflichten finden sich in der TSRL 2008/122, in der VerbrKrRL 2008/48 sowie in der Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. Die KaufRL 1999/44 enthält demgegenüber keine Informationspflichten, sondern nur Informationsobliegenheiten; hierzu infra, § 10 D.III.7. 475  Vgl. EuGH, Rs. C‑209/12 (Endress) Rn. 29: Versicherungsnehmer befinden sich in einer schwachen Position, da Versicherungsverträge rechtlich komplexe Finanzprodukte sind, die je nach anbietendem Versicherer große Unterschiede aufweisen und über einen potenziell sehr langen Zeitraum erhebliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen können. 476   So ErwGr (14) UGP-RL 2005/29. Zu den Basisinformationen zählen nach Art. 7 Abs. 4 die Anschrift und Identität des Gewerbetreibenden, die wesentlichen Merkmale des Produkts, der Preis, die Zahlungs‑, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie das Bestehen eines etwaigen Widerrufsrechts. 477   Vgl. EuGH, Rs. C‑122/10 (Ving Sverige) Rn. 30, 33. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass der Verbraucher bereits durch die Art der kommerziellen Kommunikation die tatsächliche Möglichkeit zum Vertragsabschluss erlangt; EuGH, a. a. O., Rn. 32. Im Anschluss auch BGH, GRUR 2013, 1169 (Brandneu von der IFA) Rn. 10. Vertiefend Alexander, WRP 2012, 125 ff. 478   Wie hier Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Glöckner, UWG, 3. Aufl., 2013, B. Europäisches Lauterkeitsrecht, Rn. 383 f.; Steinbeck, WRP 2006, 632, 636. A. A. Fezer, WRP 2006, 781, 786 f.; Keßler, WRP 2007, 714, 720 f.; MüKo/Micklitz, Lauterkeitsrecht, Bd. 1, 2. Aufl., 2014, EG D, Art. 7 Rn. 4. 473

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weit konkretisiert, dass eine „Aufforderung zum Kauf“ vorliegt.479 Zum anderen begründet das Vorenthalten einer wesentlichen Information selbst bei Aufforderung zum Kauf noch nicht per se die Unlauterkeit, sondern nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie erst dann, wenn beim Verbraucher auch eine konkrete Fehlvorstellung begründet wird, die geeignet ist, das Marktverhalten des Verbrauchers zu beeinflussen.480 Da es sich bei den Basisinformationen um Informationen handelt, deren Verschweigen in aller Regel eine Irreführung darstellt,481 kommt Art. 7 Abs. 4 aber einem selbständigen Informationsgebot sehr nahe.482 Dieser Ansatz wurde in der VRRL 2011/83 weiter fortgeführt. Die Richtlinie sieht in Art. 5 allgemeine Informationspflichten vor, die unabhängig von der Absatzform für nahezu sämtliche Kauf- und Dienstleistungsverträge gelten.483 Die dem Verbraucher vor Vertragsschluss mitzuteilenden Umstände sind vielfältig. Sie betreffen die wesentlichen Eigenschaften des Vertragsgegenstands (lit. a), die Identität des Unternehmers (lit. b), den Gesamtpreis (lit. c), die Zahlungs‑, Liefer- und Leistungsbedingungen (lit. d), bestimmte Rechte des Verbrauchers (lit. e), die Laufzeit des Vertrags (lit. f) sowie die Funktionsweise und Interoperabilität digitaler Inhalte (lit. g – h). Art. 5 VRRL 2011/83 geht damit weit über den bisherigen Besitzstand hinaus. Indem die Richtlinie allgemeine Informationspflichten für nahezu sämtliche Verbraucherverträge vorschreibt, wird nicht mehr an bestimmte Vertriebsformen oder Vertragstypen, sondern allein an die Verbrauchereigenschaft angeknüpft. Im Unterschied zu anderen Richtlinien wird damit auch das reguläre Ladengeschäft erfasst. Der weite Anwendungsbereich wird allerdings durch zwei Ausnahmen eingeschränkt. Zum einen muss der Verbraucher dann nicht informiert werden, wenn sich eine Information ohnehin aus den Umständen ergibt (Art. 5 Abs. 1).484 Zum anderen können die Mitgliedstaaten Geschäfte des täglichen Lebens ausnehmen, die bei Vertragsschluss sofort erfüllt werden (Art. 5 Abs. 3). Trotz dieser Einschränkungen sollte die praktische Bedeutung der allgemeinen Informationspflichten nicht unterschätzt werden. Da das Unionsrecht nunmehr auch für den allgemeinen Verbrauchervertrag Informa479   Nach ErwGr (14) UGP-RL 2005/29 darf nicht jede Werbung bereits als Aufforderung zum Kauf angesehen werden. Insbesondere bei reiner Aufmerksamkeits- oder Imagewerbung liegt keine „Aufforderung zum Kauf“ vor, so dass auch keine Informationspflichten ausgelöst werden; vgl. die Begründung des Kommissionsentwurfs, KOM (2003) 356 endg., Rn. 64; Busch, Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, 2008, S. 101 ff.; Steingass/Teworte, WRP 2005, 676, 681 f. 480   Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1331; Steinbeck, WRP 2006, 632, 636; a. A. Seichter, WRP 2005, 1087, 1093; Keßler, WRP 2007, 714, 720 f.; MüKo/Micklitz, Lauterkeitsrecht, Bd. 1, 2. Aufl., 2014, EG D, Art. 7 Rn. 5. 481   Nach ErwGr (14) UGP-RL 2005/29 handelt es sich bei den in Art. 7 Abs. 4 genannten Angaben um Informationen, die der Verbraucher „benötigt“, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen. Vgl. auch die Regierungsbegründung zu § 5a Abs. 3 UWG 2008, BT‑Drucks. 16/10145, S. 25: „Es handelt sich um Informationen, deren Vorenthaltung in aller Regel eine Irreführung darstellt“; Herv. hinzugefügt. 482   Wie hier Busch, Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, 2008, S. 67 f. 483   Einschränkungen ergeben sich aus Art. 3 Abs. 3 VRRL 2011/83. Danach erstreckt sich der Anwendungsbereich der Richtlinie weder auf die in Art. 3 Abs. 3 lit. a – k genannten Verträge noch auf die in Art. 3 Abs. 3 lit. l – m erwähnten Absatzformen. Für einige der vom Anwendungsbereich ausgeschlossenen Vertragstypen finden sich aber in anderen Richtlinien spezielle Informationspflichten; vgl. Hall/Howells/Watson, ERCL 2012, 139, 143. 484   Nach der deutschen Richtlinienfassung muss sich die Information zudem „unmittelbar“ aus den Umständen ergeben. In anderen Sprachfassungen (z. B. der englischen) wird dieses Merkmal allerdings nicht erwähnt, vgl. bereits Howells/Schulze, in: dies. (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law, 2009, S. 3, 14.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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tionspflichten vorsieht, unterliegen Rechtsfolgen, die im mitgliedstaatlichen Recht an einen Informationspflichtenverstoß geknüpft werden, in weitaus größerem Umfang dem Gebot „wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender“ Sanktionierung, als dies bislang der Fall war.485 3. Informationsinhalte Die im Sekundärrecht niedergelegten verbraucherschützenden Informationspflichten sind nicht in Form einer Generalklausel geregelt, sondern als spezifizierte Informationspflichten,486 deren Inhalt sich mehr oder weniger konkret bestimmen lässt.487 Inhaltlich lassen sich Informationspflichten wie folgt voneinander unterscheiden:488 – Information über die Identität des Unternehmers: Viele Richtlinien regeln Anbieterkennzeichnungspflichten, die den Unternehmer dazu verpflichten, seine Identität gegenüber dem Verbraucher offenzulegen.489 – Informationen über den Vertragsgegenstand: Darüber hinaus bestehen im Unionsrecht reichhaltige Produktbeschreibungspflichten. Der Informationspflichtige muss die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung konkret umschreiben. Die zu erteilenden Informationen sind für bestimmte Vertragstypen äußerst umfangreich. So schreibt allein die TSRL 2008/122 für Teilzeitnutzungsrechte in Anhang I, Teil 1, 3 mehr als zwanzig Pflichtangaben vor. Andere Richtlinien, wie beispielsweise die VRRL 2011/83, verlangen demgegenüber nur eine Information über „die wesentlichen Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen“ in „angemessenem Umfang“.490 – Informationen über den Preis: Sämtliche verbraucherschützenden Richtlinien enthalten Vorschriften zur Angabe des Preises. Der Verbraucher ist über den Gesamtpreis der Waren oder Dienstleistungen einschließlich aller Steuern und Abgaben zu informieren. Ferner sind Angaben über zusätzliche Gebühren (z. B. Fracht‑, Liefer- und Versandkosten) erforderlich. – Informationen über Vertragsbedingungen: Daneben sehen viele Richtlinien vor, dass der Verbraucher über die Bedingungen oder bestimmte Details des Vertrages unterrichtet wird. Dazu zählen vor allem die Zahlungs‑, Liefer- und Leistungsbe485

  Ähnlich die Einschätzung von Wendehorst, NJW 2014, 577, 578.   Zur Unterscheidung zwischen spezifizierten und generalklauselartigen Informationspflichten Faust/Grigoleit, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 193, 197 ff. 487   Außerhalb des Verbraucherrechts im engeren Sinne sind demgegenüber in einigen Richtlinien generalklauselartig formulierte Informationspflichten anzutreffen, so insb. im Finanzdienstleistungsrecht; vgl. z. B. Art. 5 Abs. 1 Prospekt-RL 2003/71; Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Nr. 1 UAbs. 1 MAD 2003/6. 488   Ausführlich m. w. N. Ebers, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis communautaire, 2003, S. 171, 176 ff. Auch die ACQP und der DCFR orientieren sich an diesen Kategorien, vgl. Art. 2:202 (2) (3), 2:203 (1) ACQP und Art. II.-3:102 (2) (2), II.3:103 (1) DCFR; dazu Wilhelmsson/Twigg-Flesner, ERCL 2006, 441, 461 f. Ähnlich die Einteilung bei Börger, Sanktionen, 2010, S. 30 ff.; und Grigoleit, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 223, 234 ff. 489   Die Anbieterkennzeichnungspflichten sind von Richtlinie zu Richtlinie unterschiedlich ausgestaltet. Nicht sämtliche Richtlinien fordern umfassende Angaben. Vgl. nur EuGH, Rs. C‑298/07 (deutsche internet versicherung): Art. 5 Abs. 1 lit. c ECRL 2000/31 verlangt nicht zwingend die Angabe einer Telefonnummer. 490   Art. 5 Abs. 1 lit. a VRRL 2011/83. Ähnlich Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. a FDL-FARL 2002/65. 486

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dingungen. Manche Richtlinien verlangen weitergehend, dass dem Verbraucher vor Vertragsschluss sämtliche Vertragsbedingungen zur Verfügung gestellt werden.491 – Rechtsbelehrungspflichten: Eine fünfte Kategorie bilden die Rechtsbelehrungspflichten, durch die der Verbraucher über seine bestehenden Rechte, wie beispielsweise Widerrufs- und Kündigungsrechte, den Zugang zu außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsstellen und etwaige Entschädigungsregelungen informiert werden soll. Die aufgezählten Informationspflichten werden je nach Vertriebsform und Vertragstyp durch weitere Pflichtangaben ergänzt.492 Eine besondere Regelung zu Art und Weise des Vertragsschlusses enthält Art. 10 Abs. 1 lit. a ECRL 2000/31. Nach dieser Norm ist über die technischen Schritte, die zu einem Vertragsschluss führen, und über die technischen Mittel zur Erkennung und Korrektur von Eingabefehlern vor Abgabe der Bestellung zu informieren. 4. Formale Anforderungen: Transparenz- und Formerfordernisse Die übermittelten Informationen müssen klar und verständlich sein. Dieser Grundsatz, der in vielen Richtlinien niedergelegt ist,493 wird nunmehr für sämtliche Verbraucherverträge als allgemeines Prinzip statuiert. Nach Art. 5 Abs. 1 VRRL 2011/83 muss der Unternehmer den Verbraucher über die dort aufgelisteten Informationen in „klarer und verständlicher Weise“ informieren. Die Richtlinie formuliert damit für alle (von ihrem Anwendungsbereich erfassten) Verbraucherverträge ein Transparenzgebot.494 Für die Darstellungsform ist auch das eingesetzte Kommunikationsmittel zu berücksichtigen.495 Die Informationen müssen insoweit mediengerecht aufbereitet werden und den spezifischen Möglichkeiten der jeweils eingesetzten Kommunikationsform Rechnung tragen. Uneinheitlich wird im Unionsrecht die Frage geregelt, welche Formanforderungen bei der Informationsübermittlung zu erfüllen sind. Art. 5 VRRL 2011/83 setzt für allgemeine Verbraucherverträge keine besondere Form voraus; es genügt daher, wenn der Verbraucher mündlich, durch Ladenaushang oder Produktaufdruck informiert wird.496 Für den Fernabsatz etablieren die einschlägigen Richtlinien dagegen ein zweistufiges Modell. Vor Vertragsschluss müssen die Informationen nur in einer 491

  Art. 10 Abs. 3 ECRL 2000/31; Art. 5 Abs. 1 FDL-FARL 2002/65.   So ist insbesondere im Fernabsatz darüber aufzuklären, wie lange Angebot oder Preis gültig sind; Art. 4 Abs. 1 lit. h FARL 97/7; Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. e FDL-FARL 2002/65. Die an die Stelle der FARL 97/7 getretene VRRL 2011/83 enthält demgegenüber keine derartige Informations­ pflicht. 493   Vgl. Art. 5 S. 1 Klausel-RL 93/13. Im Kontext der Informationspflichten ferner Art. 7 Abs. 2 UGP-RL 2005/29; Art. 5 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 S. 2, Art. 8 Abs. 1 – 2 VRRL 2011/83; Art. 3 Abs. 2 FDLFARL 2002/65; Art. 10 Abs. 1 ECRL 2000/31; Art. 13 Abs. 1 Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. Andere Richtlinien tragen dem Transparenzgebot Rechnung, indem sie eine Übermittlung der Informationen in einem Standardformular anordnen, so z. B. Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Anhang I – IV TSRL 2008/122; Art. 5 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Anhang II VerbrKrRL 2008/48; Art. 14 Abs. 2 i. V. m. Anhang II Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. 494   Zu den Kriterien der Klarheit und Verständlichkeit ausführlich infra, § 10 F.III.1.a. 495   Vgl. Art. 8 Abs. 1 VRRL 2011/83; Art. 3 Abs. 2 FDL-FARL 2002/65. 496   Unger, ZEuP 2012, 270, 282 f. Zur Frage, ob die Mitgliedstaaten Formgebote einführen können und sich dabei auf die Mindestharmonisierungsklausel des Art. 5 Abs. 4 VRRL 2011/83 stützen dürfen, Unger, a. a. O., 283. 492

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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dem Abschlussmedium angepassten Art und Weise bereitgestellt werden.497 Nach Vertragsabschluss müssen die Informationen und die Vertragsinhalte dagegen innerhalb einer angemessenen Frist auf einem dauerhaften Datenträger bestätigt werden.498 Deutlich strengere Formvorschriften bestehen für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge. Nach Art. 7 Abs. 1 VRRL 2011/83 müssen die Informationen bereits vor Vertragsschluss auf Papier oder, bei Zustimmung des Verbrauchers, auf einem anderen dauerhaften Datenträger zur Verfügung gestellt werden. Ähnlich strenge Formvorschriften bestehen für Teilzeitwohnrechteverträge sowie für Verbraucherkreditverträge. Die einschlägigen Richtlinien verlangen eine Übermittlung der vorvertraglichen Informationen in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger gemäß den Formblättern, deren Inhalt in den Anhängen der betreffenden Richtlinien detailliert vorgegeben wird.499 Derartige Formvorschriften dienen in erster Linie dem Abbau von Informationsasymmetrien. Indem die Information auf einem dauerhaften Datenträger500 zu übermitteln ist, soll eine dauerhafte Dokumentation und Verfügbarkeit der Informationen ermöglicht werden.501 Daneben erfüllen die an die Informationsübermittlung gestellten Formanforderungen eine wichtige Warnfunktion, wenn sie vor Vertragsschluss greifen. Der Verbraucher soll insbesondere bei wirtschaftlich bedeutenden Verträgen (Timeshareverträge, Kreditverträge) vor einer übereilten Vertragsbindung gewarnt werden.502 Schließlich ermöglichen Formvorschriften einen Beweis darüber, ob Informationspflichten (ordnungsgemäß) erfüllt wurden. 5. Zeitpunkt der Informationserteilung In zeitlicher Hinsicht unterscheidet der acquis communautaire zwischen denjenigen Angaben, die der Unternehmer bereits vor Abschluss des Vertrages mitzuteilen hat, und den Informationen, die nach Abschluss des Vertrags zu übermitteln sind. Der Zeitpunkt der Informationserteilung ist von großer Bedeutung. Während sich die vorvertraglichen Informationspflichten auf den Entscheidungsprozess auswirken können, also auf die Frage, ob überhaupt ein Vertrag abgeschlossen wird, zielen die nachvertraglichen Informationspflichten allein darauf ab, dass der Informationsempfänger seine vertraglichen Rechte aus einem bereits abgeschlossenen Vertrag adäquat wahrnehmen kann. Vorvertragliche Informationspflichten erstrecken sich vielfach auf sämtliche Phasen der Vertragsanbahnung. Die in Richtlinien statuierten Informationspflichten rei497   Art. 8 Abs. 1, 4 und 5 VRRL 2011/83; Art. 3 Abs. 2 FDL-FARL 2002/65, allerdings mit der Einschränkung (vgl. Art. 5 Abs. 2), dass eine (formgerechte) Erfüllung der Informationspflichten nur dann zulässig ist, wenn der Vertrag auf Ersuchen des Verbrauchers mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wurde, das die Vorlage der Vertragsbedingungen sowie der entsprechenden Informationen nicht gestattet. 498   Art. 8 Abs. 7 VRRL 2011/83; Art. 5 Abs. 2 FDL-FARL 2002/65. 499   Art. 4 Abs. 1, 2 i. V. m. Anhang I – IV TSRL 2008/122; Art. 5 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Anhang II VerbrKrRL 2008/48; Art. 14 Abs. 2 i. V. m. Anhang II Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. 500   Zum Begriff des dauerhaften Datenträgers, der in zahlreichen Richtlinien definiert ist, vgl. die Erläuterungen zu Art. 1:306 ACQP. Ferner EuGH, Rs. C‑49/11 (Content Services). 501   Mankowski, in: Schulte-Nölke/Schulze (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 181, 201; Zoll, GPR 2008, 106, 109. 502   Vgl. nur ErwGr (21) Wohnimmobilienkredit-RL 2008/122, mit Hinweis auf die Bedeutung der finanziellen Verpflichtungen, die der Verbraucher eingeht.

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§ 10  Verbraucherrecht

chen von der Werbephase, in der abstrakt für das Produkt oder die Dienstleistung geworben wird, über die Phase der Vertragsanbahnung, in der ein erster Kontakt zwischen Unternehmer und Verbraucher stattfindet, bis hin zur individualisierten vorvertraglichen Kommunikation kurz vor Abschluss des Vertrags. Insoweit wird zutreffend von einem „vertragsrechtlichen Kontinuum“503 gesprochen. Unter welchen Voraussetzungen eine Vertragsbindung zustande kommt, wird demgegenüber in sämtlichen Richtlinien offengelassen. Der Unionsgesetzgeber hat den Vertragsschluss selbst, insbesondere des Zusammenspiels zwischen Antrag und Annahme, bislang nicht harmonisiert. Einschlägige Vorschläge zur Harmonisierung des Vertragsschlusses in den Arbeiten zur FARL 97/7, zur ECRL 2000/31 und zur FDL-FARL 2002/65 erwiesen sich als nicht konsensfähig.504 Neuere Richtlinien stellen daher ausdrücklich klar, dass sich der Abschluss von Verträgen nach nationalem Recht richtet.505 Der in vielen Richtlinien verwendete Begriff „vor Vertragsschluss“ ist dessen ungeachtet autonom auszulegen.506 Dies betrifft insbesondere den Fall, wenn (nach anwendbarem nationalen Recht) nicht der Unternehmer, sondern der Verbraucher eine bindende Willenserklärung abgibt. In dieser Konstellation kann dem Sinn und Zweck vorvertraglicher Informationspflichten nur Rechnung getragen werden, wenn der Verbraucher bereits vor Abgabe seiner Willenserklärung die Informationen übermittelt bekommt.507 Da die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Vertrag vom Verbraucher nur zu einem einzigen Zeitpunkt, nämlich bei Abgabe seiner Willenserklärung, getroffen wird, muss er zu diesem Zeitpunkt bereits belehrt worden sein.508 Verbraucherschützende Rechtsakte509 konkretisieren daher seit der FDLFARL 2002/65 den Zeitpunkt dahingehend, dass die Informationspflichten zu erfüllen sind, bevor der Verbraucher „durch einen Vertrag“ oder „durch ein Angebot“ gebunden ist.510

503  Vgl. Reich, EuZW 1997, 581, 582; Micklitz/Keßler, WRP 2003, 919, 931; M. Schmidt, JZ 2007, 78, 79; Busch, Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, 2008, S. 33. 504   Zur ursprünglichen Fassung der ECRL 2000/31, die auf eine Vereinheitlichung des Vertragsschlusses bei Diensten der Informationsgesellschaft abzielten, Hoeren, MMR 1999, 192, 198. 505   Art. 3 Abs. 2 UGP-RL 2005/29; ErwGr (14) VRRL 2011/83; ErwGr (30) VerbrKrRL 2008/48; ErwGr (21) Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. 506   EuGH, Rs. C‑264/02 (Cofinoga Mérignac) Rn. 23, 29 (zur VerbrKrRL 87/102); BVerfG, 2 BvR 2437/14, unter III.2.a.bb. (1) (zur Dritten LV‑RL 92/96). 507   Wie hier GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑209/12 (Endress) Rn. 62 (zur Lebensversicherung): „Der Zweck der Belehrungspflicht wäre verfehlt worden, wenn die Informationen erst nach Abgabe des Angebots durch den Versicherungsnehmer und somit nach seiner Wahl eines Versicherers und eines Vertrags vorgelegt worden wären.“ 508   Ebers, in: Micklitz (Hrsg.), Verbraucherrecht in Deutschland, 2005, S. 253, 262 f. m. w. N. 509   Art. 5 Abs. 1 und 6 Abs. 1 VRRL 2011/83; Art. 3 Abs. 1 FDL-FARL 2002/65; Art. 4 Abs. 1 TSRL 2008/122; Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Art. 6 Abs. 1 VerbrKrRL 2008/48; Art. 36 Abs. 1 S. 1 und 41 Abs. 1 S. 1 PSD I 2007/64; Art. 14 Abs. 1 lit. b Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. 510   Daneben heben einige Richtlinien hervor, dass vorvertragliche Informationspflichten „rechtzeitig“ vor Vertragsschluss bzw. vor Abgabe einer bindenden Willenserklärung durch den Verbraucher erteilt werden müssen; so z. B. Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 FDL-FARL 2002/65; Art. 4 Abs. 1 TSRL 2008/122; Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 6 Abs. 1 VerbrKrRL 2008/48; Art. 14 Abs. 1 lit. b Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. Zum Kriterium der Rechtzeitigkeit Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, Praxiskommentar zum neuen VVG, 2. Aufl., 2010, § 7 Rn. 61.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

811

6. Auswertung Eine kritische Würdigung der Informationspflichten würde den vorgegebenen Rahmen der Untersuchung sprengen. Neben dem bereits angesprochenen Problem der Informationsflut511 müsste eine größere Kohärenz vor allem zwischen den allgemeinen und den spezifisch vertriebsbezogenen Informationspflichten erzielt werden. Friktionen ergeben sich insbesondere durch die FDL-FARL 2002/65. Obwohl diese Richtlinie nur für Distanzgeschäfte gilt, etabliert Art. 3 UAbs. 2 nicht nur medienspezifische Informationspflichten, die den Besonderheiten des Distanzgeschäfts Rechnung tragen, sondern zugleich weiterreichende, allgemeine Informationspflichten, wie beispielsweise die Pflicht, die wesentlichen Merkmale der Finanzdienstleistung zu beschreiben und den Gesamtpreis einschließlich aller damit verbundenen Provisionen, Gebühren und Abgaben anzugeben.512 Dies hat zur Folge, dass Unternehmen, die Finanzdienstleistungen im Fernabsatz anbieten, weitergehende Informationspflichten haben, als solche, die ihre Produkte auf herkömmliche Weise vertreiben.513 Eine derartige Regelungstechnik vermag nicht zu überzeugen. Spezialregelungen für den Fernabsatz erscheinen nur im Hinblick auf diejenigen Angaben sinnvoll, die einem spezifischen Informationsbedarf bei Distanzgeschäften Rechnung tragen. Viele Pflichtinformationen betreffen zudem Vertragsinhalte, die typischerweise in AGB niedergelegt sind. Dies führt zu einer wiederholenden Verdopplung der Angaben, die nicht unbedingt die Transparenz erhöht.514 Zwar haben Verbraucher ein berechtigtes Interesse daran, nicht nur in den AGB, sondern auch durch zusätzliche Pflichtangaben über ihre Rechte und Pflichten zumindest in Grundzügen informiert zu werden.515 Detaillierte Informationen über sämtliche Vertragsbedingungen sind demgegenüber überflüssig; sie überfordern den Verbraucher und sind zudem unnötig, da der Verbraucher durch eine nachträgliche AGB-Kontrolle geschützt werden kann. Schließlich ist problematisch, dass viele Informationen bereits vorvertraglich zu erteilen sind, obwohl sie ersichtlich keinen Einfluss auf die Auswahlentscheidung des Verbrauchers haben.516 Dies betrifft insbesondere bestimmte Rechtsbelehrungspflichten, wie beispielsweise die Pflicht, den Verbraucher über außergerichtliche Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren zu belehren. Derartige Informationen benötigt der Verbraucher letztlich erst nach Abschluss des Vertrags, wenn es um die Durchsetzung seiner Rechte geht.

III. Rechtsbehelfe und Sanktionen im geschriebenen Unionsrecht Im geschriebenen Sekundärrecht finden sich vereinzelt ausdrücklich angeordnete Rechtsfolgen, die an eine unterbliebene oder falsche Information geknüpft werden.

511

  Supra, unter § 10 D.I.2.   Vgl. die tabellarische Übersicht bei Ebers, VersWissStud. 26, 123, 136 – 138. 513   Die in Art. 5 VRRL 2011/83 für allgemeine Verbraucherverträge vorgesehenen Informationspflichten gelten nicht für Finanzdienstleistungen, da diese von der Richtlinie nicht erfasst werden; Art. 3 Abs. 3 lit. d VRRL 2011/83. 514   Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 511, 521; Kieninger, in: 69. DJT, 2013, Bd. 2, 1, 2013, I 45 f. 515  Anders Kieninger, in: 69. DJT, 2013, Bd. 2, 1, 2013, I 44. 516   Vgl. auch die Kritik am CESL bei N. Jansen, ZEuP 2012, 741, 763. 512

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§ 10  Verbraucherrecht

1. UKlaRL 2009/22 Nach der UKlaRL 2009/22 müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass ein Verstoß gegen verbraucherschützende Informationspflichten, die unter die in Anhang I aufgeführten Richtlinien fallen, im Wege der Unterlassungsklage sanktioniert werden kann. Mit der Unterlassungsklage kann ein Verbot oder die Einstellung des betreffenden Verstoßes durch die zuständigen Gerichte oder Verwaltungsbehörden erwirkt werden (Art. 2 Abs. 1 lit. a). Gegenstand der Unterlassungsklage kann auch eine Verpflichtung zur „Unterlassung der Unterlassung“ sein; mit der Unterlassungsklage kann daher auch verlangt werden, dass ein Unternehmer es unterlässt, Verbraucherverträge ohne gesetzlich vorgesehene Informationen abzuschließen.517 Die Entscheidung ist in angemessener Form zu veröffentlichen (Art. 2 Abs. 2 lit. b) und, sofern dies nach dem Recht des Mitgliedstaats zulässig ist, mit einer Zwangsgeldanordnung zu bewehren (Art. 2 Abs. 2 lit. c). Die Ausgestaltung der Anspruchs- bzw. Klageberechtigung wird demgegenüber in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt. Nach Art. 3 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten entscheiden, ob unabhängige öffentliche Stellen (Verbraucherschutzbehörden) und/oder sonstige Organisationen (Verbraucherverbände) mit der Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze betraut werden.518 Individualklagen zugunsten einzelner Verbraucher sind nicht vorgesehen. Die Richtlinie beschränkt sich auf Klagen öffentlicher Einrichtungen und Verbandsklagen. 2. UGP-RL 2005/29 a) Informationspflichtverstöße als unlautere Geschäftspraktik Ein Verstoß gegen verbraucherschützende Informationspflichten kann eine unlautere Geschäftspraktik im Sinne der UGP-RL 2005/29 darstellen und damit auch wettbewerbsrechtliche Sanktionen auslösen. Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie ist eine Geschäftspraxis irreführend und damit unlauter, wenn sie im konkreten Fall wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen. Dieses Verbot wird in Art. 7 Abs. 5 näher konkretisiert. Hiernach gelten sämtliche im sonstigen Unionsrecht vorgesehenen Informationspflichten stets als „wesentlich“.519 Die Vorschrift normiert damit einen abstrakten Gefährdungstatbestand.520 Bereits der bloße Verstoß gegen die im Unionsrecht vorgeschriebenen Informationspflichten begründet eine irreführende Unterlassung, ohne dass es auf eine konkrete Irreführungsgefahr ankäme.521

517   So für das deutsche Recht Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl., 2016, § 2 UKlaG Rn. 7; MellerHannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 297. 518   Hierzu bereits supra, § 10 C.I.2. 519   Die UGP-RL 2005/29 enthält in ihrem Anhang II, auf den Art. 7 Abs. 5 verweist, eine nicht abschließende Aufzählung der Bestimmungen des Unionsrechts, die Informationsanforderungen in bezug auf kommerzielle Mitteilungen, Werbung oder Marketing festlegen. 520  MüKo/Micklitz, Lauterkeitsrecht, Bd. 1, 2. Aufl., 2014, EG D, Art. 7 Rn. 33; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Glöckner, UWG, 3. Aufl., 2013, B. Europäisches Lauterkeitsrecht, Rn. 387. 521   Körber/Heinlein, WRP 2009, 780, 788, fordern demgegenüber eine Rückbindung an das Irreführungsverbot, um einen gerechten Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen herzustellen.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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b) Regelung der Sanktionen in der UGP-RL 2005/29 Die Sanktionen, die an eine irreführende Unterlassung geknüpft werden, sind demgegenüber trotz angestrebter Vollharmonisierung nur rudimentär harmonisiert worden. Neben dem allgemeinen Sanktionsgebot, das in Art. 13 festgelegt ist,522 müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 1 UAbs. 1 im Interesse der Verbraucher sicherstellen, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vorhanden sind, um die Einhaltung der Richtlinie durchzusetzen. Zu diesen Mitteln zählt vor allem die Einstellung der unlauteren Geschäftspraktik sowohl bei Wiederholungsgefahr als auch bei Erstbegehungsgefahr, unabhängig von etwaigen Schäden auf Seiten des Anspruchsberechtigten oder von Verschulden auf Seiten des Verletzers (Art. 11 Abs. 2 UAbs. 1).523 Daneben können die Mitgliedstaaten auch eine Veröffentlichung der Entscheidung sowie einer berichtigenden Erklärung anordnen (Art. 11 Abs. 2 UAbs. 3). Die Art des Sanktionensystems bleibt weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen. Nach Art. 11 Abs. 1 UAbs. 2 muss es möglich sein, entweder gerichtlich gegen unlautere Geschäftspraktiken vorzugehen „und/oder“ gegen unlautere Geschäftspraktiken ein Verfahren bei einer Verwaltungsbehörde einzuleiten, die für die Entscheidung über Beschwerden oder für die Einleitung eines geeigneten gerichtlichen Verfahrens zuständig ist. Jedem Mitgliedstaat bleibt es dabei nach Art. 11 Abs. 1 UAbs. 3 S. 1 vorbehalten zu entscheiden, welcher dieser Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen soll. Die Mitgliedstaaten können somit zwischen der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung durch Verbraucherschutzbehörden und der privaten Rechtsdurchsetzung wählen; auch eine Kombination beider Durchsetzungsformen ist möglich. Auch die Anspruchs- bzw. Klageberechtigung wird in der Richtlinie äußerst vage umschrieben. Nach Art. 11 Abs. 1 UAbs. 2 müssen Personen (einschließlich Mitbewerber) oder Organisationen, die nach nationalem Recht „ein berechtigtes Interesse“ an der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben, die Möglichkeit haben, gegen unlautere Geschäftspraktiken im Sinne der Richtlinie vorzugehen. c) Keine Pflicht zur Einführung individueller Rechtsbehelfe des Verbrauchers Umstritten ist, ob auch einzelnen Verbrauchern ein Rechtsbehelf zur Unterbindung unlauteren Wettbewerbsgebarens eingeräumt werden muss. Vereinzelt wird aus der verbraucherschützenden Zielsetzung der UGP-RL 2005/29 abgeleitet, dass der einzelne Verbraucher die Möglichkeit haben müsse, gegen unlautere Geschäftspraktiken vorzugehen und/oder ein verwaltungsbehördliches Verfahren einzuleiten.524 Andere vertreten die Ansicht, dass der effet utile die Mitgliedstaaten verpflichte, den Verbraucher mit einem individuellen (Schadensersatz‑)Anspruch bei Verstößen gegen die UGP-RL 2005/29 auszustatten.525 Gegen diese Sichtweise spricht bereits der Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 UAbs. 2, der nur Mitbewerbern, nicht aber sonstigen Personen das Recht einräumt, gegen unlautere 522   Art. 13 S. 2 UGP-RL 2005/29 fordert wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen. 523  Vertiefend Alexander, GRUR Int. 2005, 809, 812. 524   Berlit, RIW 5/2005, „Die erste Seite“. 525   Fezer, WRP 2006, 781, 788; Keßler/Micklitz, VuR 2009, 88, 95; Twigg-Flesner/Parry, in: Weatherill/Bernitz (Hrsg.), EC Directive 2005/29, 2007, S. 215, 230 f.

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§ 10  Verbraucherrecht

Geschäftspraktiken vorzugehen. Art. 3 Abs. 2 hebt zudem hervor, dass die Richtlinie „das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags unberührt“ lässt. Die Mitgliedstaaten sind folglich nicht verpflichtet, einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher als nichtig oder anfechtbar zu behandeln, wenn dessen Abschluss (und Inhalt) auf eine vorausgegangene, unlautere Geschäftspraxis zurückzuführen ist.526 Auch sonstige, über das Vertragsrecht hinausgehende individuelle Ansprüche des Verbrauchers, wie etwa deliktische Schadensersatzansprüche, werden von der Richtlinie nicht gefordert. ErwGr (9) stellt nämlich klar, dass die UGP-RL 2005/29 „individuelle Klagen von Personen, die durch eine unlautere Geschäftspraxis geschädigt wurden“, grundsätzlich „unberührt“ lässt.527 Mit der überwiegenden Meinung im Schrifttum528 ist daher davon auszugehen, dass die UGP-RL 2005/29 die Frage individueller Ansprüche nicht regeln will, sondern hierfür auf die bereits bestehenden sonstigen verbraucherschützenden Richtlinien verweist529 und die Einführung von Individualrechten im Übrigen den Mitgliedstaaten überlässt. Diese klare Entscheidung des Unionsgesetzgebers zugunsten der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten darf nicht durch eine am effet utile orientierte Auslegung contra legem umgangen werden. d) Ausgestaltung der Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten Damit ist nicht gesagt, dass eine unlautere Geschäftspraktik keinen Einfluss auf das Vertragsrecht haben kann. Den Mitgliedstaaten bleibt es unbenommen, den Verbraucher mit einem individuellen Anspruch bei Verstößen gegen die UGP-RL 2005/29 auszustatten. Rechtsvergleichende Untersuchungen von De Cristofaro530 zu diesem Thema zeigen, dass die Mitgliedstaaten bei Umsetzung der UGP-RL 2005/29 ganz unterschiedliche Lösungen gewählt haben. Während einige Mitgliedstaaten die Auswirkungen eines lauterkeitsrechtlichen Verstoßes auf einen abgeschlossenen Vertrag überhaupt nicht regeln oder im Sinne des Art. 3 Abs. 2 klarstellen, dass das Lauterkeitsrecht das allgemeine Vertragsrecht „unberührt“ lässt, enthalten die Umsetzungsgesetze anderer Länder eine Vorschrift, die ausdrücklich ausschließt, dass der bloße Verstoß gegen das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken zur Ungültigkeit oder Anfechtbarkeit des Vertrages führt. Auch in Deutschland hat der Gesetzgeber bewusst von der Ein526   Abbamonte, in: Weatherill/Bernitz (Hrsg.), EC Directive 2005/29, 2007, S. 11, 16; Collins, ERCL 2005, 417, 425; De Cristofaro, GRUR Int. 2010, 1017 f.; zum RL – Vorschlag auch Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1049. 527   Cristofaro, GRUR Int. 2010, 1017, 1018. Whittaker, in: Weatherill/Bernitz (Hrsg.), EC Directive 2005/29, 2007, S. 139, 146 ff., stützt dieses Ergebnis dagegen auf eine extensive Auslegung von Art. 3 Abs. 2 UGP-RL 2005/29 mit der Überlegung, dass es nicht vom anwendbaren Recht abhängen könne, ob Schadensersatzansprüche dem Vertragsrecht oder den gesetzlichen Schuldverhältnissen zugeordnet werden. 528   Alexander, GRUR Int. 2005, 809, 813; Augenhofer, WRP 2006, 171 f.; De Cristofaro, GRUR Int. 2010, 1017, 1018; Collins, ERCL 2005, 425, 431; Gamerith, WRP 2005, 391, 403; Köhler, GRUR 2005, 793, 801; M. Schmidt, JZ 2007, 78, 83; Whittaker, in: Weatherill/Bernitz (Hrsg.), EC Directive 2005/29, 2007, S. 139, 148; Wilhelmsson, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson (Hrsg.), European Fair Trading Law, 2006, S. 49, 52. 529   Zum Zusammenspiel zwischen UGP-RL 2005/29 und anderen Richtlinien vor allem infra, § 10 D.III.7. 530   De Cristofaro, GRUR Int. 2010, 1017 ff.; ders., in: Schulze (Hrsg.), Compensation of Private Losses, 2011, S. 115 ff.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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führung lauterkeitsrechtlicher Rechtsbehelfe der einzelnen Verbraucher Abstand genommen.531 Das früher existierende Rücktrittsrecht des Verbrauchers (§ 13a UWG a. F.) ist mit der UWG-Reform 2004 ersatzlos weggefallen, da es in der Praxis keine Bedeutung erlangt hatte532 und der Gesetzgeber der Ansicht war, dass die Interessen des einzelnen Verbrauchers durch die vorhandenen allgemeinen Rechtsbehelfe (insb. durch Anfechtungs‑, Widerrufs- und Gewährleistungsrechte) ausreichend geschützt werden.533 In anderen Ländern wurde die Umsetzung der UGP-RL 2005/29 dagegen zum Anlass genommen, die zivilrechtlichen Rechtsfolgen eines lauterkeitsrechtlichen Verstoßes ausdrücklich zu regeln. Die gewählten Lösungen reichen dabei von der Unwirksamkeit des Vertrags und Vertragslösungsrechten über die Vertragsanpassung und ‑umdeutung bis zu Schadensersatzansprüchen und besonders geregelten gesetzlichen Zahlungsansprüchen des Verbrauchers.534 e) Ergebnis Als Fazit ist damit festzuhalten, dass die UGP-RL 2005/29 zu keiner Harmonisierung der Rechtsbehelfe und Sanktionen geführt hat, sondern die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen eher verstärkt hat. Die von der Richtlinie angestrebte Vollharmonisierung wird damit grundsätzlich in Frage gestellt. Da die Richtlinie nur die Verhaltensgebote im Rechtsverkehr von Unternehmern und Verbrauchern, nicht aber die Rechtsfolgen harmonisiert, kann sie letztlich nicht dazu beitragen, die durch unterschiedliche Rechtsvorschriften verursachten „Verzerrungen des Wettbewerbs und Hemmnisse für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts“535 vollständig abzubauen. 3. VRRL 2011/83 Über die kollektivrechtlichen Sanktionen hinaus finden sich in einigen Richtlinien individualvertragliche Rechtsfolgen, die an einen Informationspflichtenverstoß geknüpft werden. Die VRRL 2011/83 regelt zwar nicht die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die in Art. 5 VRRL 2011/83 vorgesehenen Informationspflichten bei allgemeinen Verbraucherverträgen. Für Fernabsatzverträge und für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge werden aber zumindest einige Rechtsfolgen normiert: Erstens hat die Nichtaufklärung des Verbrauchers über Fracht‑, Liefer- und Versandkosten bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen nach Art. 6 Abs. 6 Alt. 1 VRRL 2011/83 zur Folge, dass der Unternehmer diese Kosten zu tragen hat. Zweitens statuiert die VRRL 2011/83 eine spezifische 531   Regierungsbegründung zum UWG 2004, BT‑Drucks. 15/1487, S. 14 (zur Aufhebung des § 13a UWG a. F.) und S. 22 (zu Individualansprüchen des Verbrauchers); Alexander, GRUR Int. 2005, 809, 813; Eppe, WRP 2005, 808, 812; M. Schmidt, JZ 2007, 78, 81. 532   Zu den Gründen Alexander, Vertrag und unlauterer Wettbewerb, 2002, S. 68 f.; Weiler, WM 2002, 1784, 1793 f. 533  Regierungsbegründung zum UWG 2004, BT‑Drucks. 15/1487, S. 14 f.; im Ergebnis auch Köhler, GRUR 2003, 265 ff. Für lauterkeitsrechtliche Individualrechte der Verbraucher dagegen Fezer, WRP 2003, 127 ff.; Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 103 ff.; Lehmann/ Dürrschmidt, GRUR 1997, 549, 556 ff. 534  Näher De Cristofaro, GRUR Int. 2010, 1017, 1021 ff. Für das Vereinigte Königreich Whittaker, in: Chitty on Contracts, II, 32. Aufl., 2015, Rn. 38 – 145 und 38 – 160 ff. 535   So ErwGr (3) UGP-RL 2005/29.

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§ 10  Verbraucherrecht

Rechtsfolge für Fernabsatzverträge, die auf elektronischem Wege geschlossen werden: Wird der Verbraucher nicht unmittelbar vor Abgabe seiner Bestellung darauf hingewiesen, dass die Bestellung mit einer Zahlungsverpflichtung verbunden ist, so ist er nach Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 S. 3 VRRL 2011/83 nicht an den Vertrag oder die Bestellung gebunden. Drittens wirkt sich eine unterlassene oder nicht vollständig erteilte Information bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen auf das Widerrufsrecht des Verbrauchers und die Widerrufsfolgen aus.536 Schließlich enthält die VRRL 2011/83 spezifische Rechtsfolgen für unrichtig erteilte Informationen: Nach Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie werden die bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen erteilten Informationen „fester Bestandteil“ des Vertrags, es sei denn, die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes. Die VRRL 2011/83 knüpft damit, wie andere Richtlinien auch, an das Leistungsstörungsrecht an, das insbesondere durch die KaufRL 99/44 harmonisiert worden ist: Erweist sich die erteilte Information als unzutreffend, weil der Unternehmer beispielsweise in der Erfüllungsphase von ihnen abweicht, liegt eine Vertragsverletzung vor, die ihrerseits Rechtsbehelfe des Verbrauchers auslösen kann.537 Sonstige Rechtsfolgen, insbesondere über das Widerrufsrecht hinausgehende Vertragslösungsrechte oder Schadensersatzansprüche, werden in der VRRL 2011/83 dagegen nicht behandelt. Die Richtlinie begnügt sich mit der Forderung, dass die Mitgliedstaaten zur Durchsetzung „angemessene und wirksame Mittel“ zur Verfügung stellen müssen (Art. 23 Abs. 1) und Verstöße „wirksam, angemessen und abschreckend“ zu sanktionieren sind (Art. 24 Abs. 1 S. 2). Die Richtlinie enthält dementsprechend kein abschließendes Sanktionensystem und steht daher trotz Vollharmonisierung ergänzenden nationalen Rechtsfolgen nicht im Wege.538 Die im Vorfeld geäußerte Hoffnung, dass die (ansonsten vollharmonisierte) VRRL zur umfassenden Kodifikation der Rechtsfolgen bei Informationspflichtverstößen genutzt werden könnte,539 hat sich damit nicht erfüllt. 4. FDL-FARL 2002/65, VerbrKrRL 2008/48 und Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17 Äußerst dürftig fällt der Befund zu den Rechtsfolgen aus, die in der FDL-FARL 2002/65 vorgesehen sind. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie koppelt den Beginn des Widerrufsrechts an die ordnungsgemäße Information. Weitere Sanktionen sieht die Richtlinie nicht vor. Sie beschränkt sich in Art. 11 auf den allgemeinen Hinweis, dass Verstöße gegen das umgesetzte Richtlinienrecht „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ geahndet werden müssen. Ein ähnliches Bild ergibt sich im Verbraucherkreditrecht. Die (ansonsten) vollharmonisierende VerbrKrRL 2008/48 ordnet mit Blick auf Pflichtinformationen nur eine einzige zivilrechtliche Rechtsfolge ausdrücklich an: Nach Art. 14 Abs. 1 UAbs. 2 536

 Ausführlich infra, § 10 E.II.1.c.   Näher § 10 D.IV.3.b.   Wie hier Schmidt-Kessel/Sorgenfrei, GPR 2013, 242, 244. Die von der VRRL 2011/83 vollharmonisierten Rechtsbehelfe (wie z. B. das Widerrufsrecht) dürfen durch nationale Rechtsfolgen allerdings nicht konterkariert werden; hierzu infra, § 10 D.IV.5.b. 539   Twigg-Flesner/Metcalfe, ERCL 2009, 368, 381. 537 538

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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lit. b der Richtlinie beginnt die vierzehntägige Widerrufsfrist erst an dem Tag, zu dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und die in Art. 10 für die Vertragsurkunde zwingend vorgesehenen Pflichtangaben erhält. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das Widerrufsrecht zeitlich unbegrenzt.540 Ansonsten beschränkt sich die Richtlinie wiederum auf die allgemeine Vorgabe, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festzulegen (Art. 23). Nach ErwGr (30) regelt die Richtlinie „nicht Aspekte des Vertragsrechts, die die Wirksamkeit von Kreditverträgen betreffen“. ErwGr (25) hebt zudem hervor, dass die Mitgliedstaaten die Frage regeln können, ob vorvertragliche Informationen verbindlichen Charakter haben. All dies spricht dafür, dass der natio­nale Gesetzgeber trotz Vollharmonisierung nicht daran gehindert ist, ergänzende natio­nale Sanktionen vorzusehen.541 Auch die auf dem Prinzip der Mindestharmonisierung beruhende Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17 konkretisiert nicht Rechtsfolgen, die an einen Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten geknüpft werden müssen. Stattdessen findet sich der Hinweis auf die Sanktionstrias (Art. 38 Abs. 1) sowie die Klarstellung, dass die Richtlinie das allgemeine innerstaatliche Vertragsrecht, insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen und die Wirkungen eines Vertrags unberührt lässt, soweit Aspekte des allgemeinen Vertragsrechts in der Richtlinie nicht geregelt werden.542 5. TSRL 2008/122 Die auf dem Prinzip der Vollharmonisierung basierende TSRL 2008/122 regelt nur partiell die Rechtsfolgen, die bei einem Verstoß gegen die in der Richtlinie vorgesehenen Informationspflichten greifen. Zum einen wird die Widerrufsfrist in Art. 6 Abs. 4 an die Erfüllung vorvertraglicher Informationen geknüpft. Zum anderen bestimmt Art. 5 Abs. 2 UAbs. 1, dass sämtliche vorvertraglichen Informationen „fester Vertragsbestandteil“ werden. Im Übrigen begnügt sich die TSRL 2008/122 mit dem Hinweis, dass die Mitgliedstaaten im Interesse der Verbraucher „geeignete und wirksame“ Rechtsbehelfe (Art. 13 Abs. 1)543 sowie „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ Sanktionen (Art. 15) für den Fall vorsehen müssen, dass ein Gewerbetreibender gegen die aufgrund der Richtlinie erlassenen Vorschriften verstößt.544 Art. 1 Abs. 2 UAbs. 2 lit. a stellt zudem klar, dass die Richtlinie nationale „Rechtsvorschriften über allgemeine vertragsrechtliche Rechtsbehelfe“ unberührt lässt. Den Mitgliedstaaten verbleibt damit – trotz des Konzepts der Vollharmonisierung – ein erheblicher Umsetzungsspielraum. 540   Eine zeitliche Befristung des Widerrufsrechts wurde im Entwurf der Beschlussempfehlung für die zweite Lesung vom 25.10.2007 in Betracht gezogen; vgl. Committee on the Internal Market and Consumer Protection, Rapporteur: Kurt Lechner, Draft recommendation for second reading on the Council common position, 25.10.2007, 2002/0222 (COD), PE 396.526v02-00, Amendment 73. Dieser Vorschlag konnte sich jedoch nicht durchsetzen. 541   Wie hier Wendehorst, ZEuP 2011, 263, 275; a. A. Riehm/Schreindorfer, GPR 2008, 244, 248 f. 542   ErwGr (9) und (21) Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. 543   Vgl. auch ErwGr (12) TSRL 2008/122: „Verbraucher sollen über wirksame Rechtsbehelfe für den Fall verfügen, dass Gewerbetreibende die Bestimmungen über die vorvertraglichen Informationen nicht einhalten (. . .).“ 544   Art. 6 Abs. 3 UAbs. 2 TSRL 2008/122 stellt zusätzlich klar, dass die Mitgliedstaaten geeignete Sanktionen gem. Art. 15 insbesondere für den Fall vorsehen müssen, dass der Gewerbetreibende bei Ablauf der Widerrufsfrist die Informationsanforderungen der Richtlinie nicht erfüllt hat.

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§ 10  Verbraucherrecht

6. KaufRL 99/44 Die KaufRL 99/44 enthält zwar keine ausdrücklich angeordneten Informationspflichten. Dessen ungeachtet ist die Richtlinie aber für die Bestimmung von Informationsverantwortlichkeiten und die Rechtsfolgen unrichtig erteilter Informationen von zentraler Bedeutung. Entspricht die Ware nicht der normalen Beschaffenheit, kann der Verkäufer einer Sachmängelhaftung nur dann entgehen, wenn er den Käufer vor Vertragsschluss in hinreichend transparenter und widerspruchsfreier Weise über den tatsächlichen Zustand der Kaufsache informiert.545 Die KaufRL 99/44 schafft damit einen Anreiz für den Verkäufer, den Verbraucher über die wesentlichen Eigenschaften des Produkts aufzuklären.546 Nach Art. 2 Abs. 2 lit. a und lit. d KaufRL 99/44 wird zudem vermutet, dass eine Ware vertragsgemäß ist, wenn sie mit der vom Verkäufer gegebenen Beschreibung bzw. mit den öffentlichen Werbeaussagen des Verkäufers oder Herstellers übereinstimmt. Entspricht die Ware nicht den Aussagen des Verkäufers oder Herstellers, ist sie nicht vertragsgemäß. Dem Verbraucher stehen dann alle Rechtsbehelfe zu, die ihm die Richtlinie bei mangelhafter Ware gewährt. Er kann nach Art. 3 Abs. 2 KaufRL 99/44 vom Verkäufer sein Recht auf Nacherfüllung, Minderung oder Vertragsauflösung geltend machen. Die KaufRL 99/44 führt auf diese Weise zu einer vertraglichen Einstandspflicht für falsche Werbeangaben und sonstige vorvertragliche Informationen. Legitime Erwartungen des Verbrauchers, die durch vorvertragliche Angaben geweckt wurden, werden geschützt, indem die Haftung des Verkäufers für eben diese Angaben erweitert wird. Art. 2 Abs. 2 lit. d KaufRL 99/44 stellt damit funktional betrachtet eine vertragsrechtliche Sanktion für irreführende Werbeangaben und sonstige unzutreffende Informationen dar.547 Diese Funktion wird durch die in Art. 6 Abs. 5 VRRL 2011/83 angeordnete Bindung des Unternehmers an vorvertragliche Angaben verstärkt. Da alle erteilten vorvertraglichen Informationen nach dieser Vorschrift „fester Bestandteil“ des Fernabsatzvertrags oder des außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags werden, muss sich der Unternehmer an ihnen grundsätzlich – über Beschaffenheitsangaben hinaus – festhalten lassen.548 7. Klausel-RL 93/13 Die Klausel-RL 93/13 ordnet keine positiven Informationspflichten an.549 Ein Verstoß gegen Informationspflichten kann sich aber auf die Frage auswirken, ob eine 545   Zur Frage, in welchem Umfang der Verkäufer die Gewährleistungshaftung über eine Beschaffenheitsvereinbarung eingrenzen kann, ohne dass eine unzulässige Umgehung des zwingenden Rechts i. S. v. Art. 7 Abs. 1 KaufRL 99/44 vorliegt, vgl. Schulze/Ebers, JuS 2004, 462, 466 m. w. N. 546   Riesenhuber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, 2001, S. 348, 352 f. Die Acquis Principles transformieren diese Informationsobliegenheit in Art. 2:201 ACQP in eine Informationspflicht; kritisch Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1113, 1125 f. 547   Wie hier Busch, Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, 2008, S. 180; Magnus, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis communautaire, 2003, S. 291, 301. 548   Näher zur Bindungswirkung vorvertraglicher Erklärungen infra, § 10 D.IV.3.b. 549   So bereits zum deutschen AGB-Recht Niedenführ, Informationsgebote des AGB-Gesetzes, 1986, S. 4 ff. sowie (zum Unterschied zwischen Informationsobliegenheit und Informationspflicht)

D. Vorvertragliche Informationspflichten

819

nicht im Einzelnen ausgehandelte Klausel „missbräuchlich“ (Art. 3 Abs. 1) und damit „unverbindlich“ (Art. 6 Abs. 1) ist, weil sie gegen das in Art. 5 festgelegte Transparenzgebot verstößt.550 Nach Art. 5 S. 1 der Richtlinie müssen schriftlich niedergelegte Klauseln stets „klar und verständlich“ abgefasst sein. ErwGr (20) stellt ergänzend klar, dass der Verbraucher tatsächlich die Möglichkeit haben muss, von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen. Aus diesem Transparenzgebot folgt eine Informationsobliegenheit.551 Wie der EuGH in den Rechtssachen RWE Vertrieb552 und Kásler553 hervorgehoben hat, ist es für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung, dass er vor Abschluss eines Vertrages über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses informiert wird. Insbesondere auf der Grundlage dieser Informationen entscheidet der Verbraucher, ob er sich gegenüber dem Gewerbetreibenden vertraglich binden möchte, indem er sich den vorformulierten Bedingungen unterwirft. Die Klarheit und Verständlichkeit einer Klausel beurteilt sich daher auch danach, „ob ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher in Anbetracht aller einschlägigen Tatsachen, einschließlich der (. . .) bereitgestellten Werbung und Informationen“, die für ihn möglicherweise erheblichen wirtschaftlichen Folgen der Klausel zutreffend einschätzen konnte.554 Dogmatisch findet diese Ansicht in Art. 4 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 ihre Stütze. Nach dieser Vorschrift sind bei Beurteilung des missbräuchlichen Charakters einer Klausel alle „den Vertragsschluss begleitenden Umstände“ und also auch die in der vorvertraglichen Phase gemachten Angaben zu berücksichtigen. Auch die im sonstigen Unionsrecht vorgesehenen Informationspflichten sind für die Frage relevant, ob eine Klausel intransparent und damit missbräuchlich ist.555 Verstößt ein Unternehmer vor Abschluss des Vertrags gegen die in anderen Richtlinien vorgesehenen Informationspflichten, so begründet dieser Umstand ein Indiz für die Intransparenz und Missbräuchlichkeit von Klauseln, wenn die unterlassene, unvollständige oder falsche Information in Zusammenhang mit der als missbräuchlich angegriffenen Klausel steht. Dies ergibt sich aus zwei neueren Entscheidungen des EuGH. S. 185 ff.; Merkt, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, 2011, S. 230, 243, entnimmt dem Transparenzgebot des Art. 5 KlauselRL 93/13 dagegen eine Informationspflicht. 550   Im Unterschied zum deutschen Recht (vgl. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB) lässt die Klausel-RL 93/13 offen, ob ein Verstoß gegen das Transparenzgebot ausreicht, um eine Klausel als missbräuchlich einzustufen. Der EuGH-Rechtsprechung lässt sich jedoch entnehmen, dass es sich bei dem Transparenzgebot um ein gesondert normiertes Kriterium der Missbräuchlichkeit handelt; ausführlich infra, § 10 F.III.2.b. 551   Micklitz/Reich, EuZW 2013, 457, 460; dies., CMLR 2014, 771, 786. Zum deutschen AGBRecht Ebers, Die Überschußbeteiligung in der Lebensversicherung, 2001, S. 313 ff. 552   EuGH, Rs. C‑92/11 (RWE Vertrieb) Rn. 44, 50 ff. 553   EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 70. 554   EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 74. 555   Im deutschen Recht wird zumeist diskutiert, ob die Erfüllung von Informationspflichten als besondere Einbeziehungsvoraussetzung für AGB (§§ 305 Abs. 2, 305c Abs. 1 BGB) zu begreifen ist; bejahend MüKo/Wendehorst, BGB, 6. Aufl., 2012, § 312c BGB Rn. 70 f., 136; Kocher, DB 2004, 2679, 2682; verneinend Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., 2016, EGBGB Einf. v. 238 Rn. 13; BeckOK BGB/ Schmidt-Räntsch, Ed. 32, 2011, § 312c Rn. 39; Staudinger/Thüsing, 2012, § 312c BGB Rn. 104. Die Klausel-RL 93/13 enthält jedoch keine Regeln zur Einbeziehung von AGB. Daher stellen sich die betreffenden Fragen aus Sicht des EuGH nur im Rahmen der Auslegung und Inhaltskontrolle.

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§ 10  Verbraucherrecht

Im Fall Pohotovost556 ging es um die Frage, wie sich ein Verstoß gegen die in der VerbrKrRL 87/102 vorgesehene Pflicht zur Angabe des effektiven Jahreszinses auf die Inhaltskontrolle von Klauseln auswirkt. Der Gerichtshof urteilte, dass ein solcher Verstoß ein „maßgeblicher Faktor“ für die Frage sein kann, ob eine Klausel „klar und verständlich“ abgefasst ist.557 Das nationale Gericht müsse daher prüfen, „ob in Anbetracht aller den Abschluss dieses Vertrages begleitenden Umstände das Unterbleiben der Angabe des effektiven Jahreszinses in der Vertragsklausel, die die Kosten dieses Kredits betrifft, zur Missbräuchlichkeit dieser Klausel im Sinne der Art. 3 und 4 der Richtlinie 93/13 führen kann“.558 Ähnlich entschied der EuGH im Fall Pereničová.559 Hier stellte sich das Problem, ob eine unlautere Geschäftspraxis im Sinne der UGP-RL 2005/29 vorliegt, wenn ein Gewerbetreibender einen geringeren effektiven Jahreszins als den realen Jahreszins angibt, und welche Auswirkungen dies auf die Wirksamkeit des Vertrags nach der Klausel-RL 93/13 habe. Der EuGH bejahte ohne Weiteres das Vorliegen einer irreführenden Geschäftspraxis i. S. d. UGP-RL 2005/29.560 Weitergehend betonte der Gerichtshof die Verbindungslinien zwischen der UGP-RL 2005/29 und der KlauselRL 93/13:561 Zwar sei die Unlauterkeit nicht geeignet, automatisch und für sich allein den missbräuchlichen Charakter der streitigen Klausel zu begründen. Auch habe die Feststellung einer unlauteren Geschäftspraxis keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Vertrag als Ganzes. Denn die UGP-RL 2005/29 lasse in ihrem Art. 3 Abs. 2 das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit eines Vertrags unberührt. Im Ergebnis meinte der Gerichtshof jedoch, dass die Feststellung des unlauteren Charakters einer Geschäftspraxis einen wichtigen Anhaltspunkt darstellt, aus dem sich die Missbräuchlichkeit einer Klausel ergeben kann.562 Das Urteil verdeutlicht, dass bei der Transparenz- und Inhaltskontrolle vorformulierter Klauseln nicht nur die Wertungen der Klausel-RL 93/13 bedacht werden müssen, sondern zudem die Vorgaben anderer Richtlinien. Die unterschiedlichen Regelungsbereiche der UGP-RL 2005/29 und der Klausel-RL 93/13 dürfen, wie GA Trstenjak in ihren Schlussanträgen zu Recht hervorhebt, nicht dazu führen, dass ein einheitlicher Sachverhalt, auf den beide Richtlinien anwendbar sind, rechtlich unterschiedlich bewertet wird: „Vielmehr bedarf es einer kohärenten Auslegung der jeweils einschlägigen Rechtsnormen, um widersprüchliche Wertungsergebnisse zu vermeiden. Dies ist umso notwendiger, als beide Richtlinien insofern eine Konvergenz in ihrer Schutzrichtung aufweisen, als beide darauf abzielen, die Beurteilungsfähigkeit und Entscheidungsfreiheit im Geschäftsverkehr zu schützen.“563 Diese Aussagen lassen sich generalisieren: Da die Klausel-RL 93/13 querschnittsübergreifend sämtliche Vertragsschlussformen und Vertragstypen erfasst, sind ihre Vorgaben stets zu beachten, wenn eine spezifische Verbraucherrichtlinie vorvertrag556

  EuGH, Rs. C‑76/10 (Pohotovost’).   EuGH, Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 71.   EuGH, Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 77. 559   EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič). 560   EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 41. 561   EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn.  43 – 45. 562   EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 43. Die umgekehrte Frage, wann die Verwendung missbräuchlicher Vertragsklauseln als unlautere Handlung i. S. d. UGP-RL 2005/29 einzustufen ist, stellte sich dagegen nicht in der EuGH-Entscheidung. Zur Diskussion infra, § 10 F.IV.4. 563   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 90. 557 558

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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liche Informationspflichten statuiert, die sich auf den vorformulierten Inhalt eines Vertrages beziehen. In diesem Fall ist zu prüfen, ob die Missachtung vorvertraglicher Informationspflichten zugleich einen Verstoß gegen das Transparenzgebot und Missbrauchsverbot begründet, der zur Unwirksamkeit der Klausel und u. U. sogar des gesamten Vertrags führt. Relevant sind in diesem Zusammenhang solche Informationspflichten, die sich auf die streitige Vertragsklausel beziehen. Denn derartige Informationen wirken sich regelmäßig auf die Frage aus, ob der Verbraucher einzelnen Klauseln oder dem Vertragsinhalt insgesamt zustimmt.564 Vorvertragliche Informationspflichten, die in speziellen Richtlinien niedergelegt sind, werden auf diese Weise durch das Sanktionsregime der Klausel-RL 93/13 ergänzt. 8. Sonstiges Sekundärrecht Im sonstigen Sekundärrecht werden die bei einem Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten eintretenden Rechtsfolgen nur vereinzelt konkretisiert. Die PRRL 2015/2302 regelt eine Prospekthaftung, wenn der Veranstalter einen Reiseprospekt verwendet. Nach Art. 6 Abs. 1 werden die in dem Prospekt enthaltenen Angaben integraler Bestandteil des Pauschalreisevertrags, es sei denn, die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes. Weicht die Reiseleistung von den Reiseprospektangaben ab, so stehen dem Kunden unter weiteren Voraussetzungen die in Art. 13 f. der Richtlinie genannten Rechtsbehelfe (Recht auf Abhilfe und Selbstabhilfe, Preisminderungsrecht, Rücktrittsrecht, Schadensersatzanspruch) zu. Auch für gänzlich unterlassene vorvertragliche Informationen trifft die neue PRRL 2015/2302 eine Regelung:565 Ist der Reisende vor Vertragsschluss nicht über zusätzliche Gebühren, Entgelte oder sonstige Kosten informiert worden, so ist er auch nicht verpflichtet, diese zusätzlichen Kosten zu tragen (Art. 6 Abs. 2 PRRL 2015/2302). Sehr viel unbestimmter sind demgegenüber die Zivilrechtsfolgen bei Finanzdienstleistungen, die über das Verbraucherrecht im engeren Sinne hinausgehend darauf abzielen, nicht nur Verbraucher, sondern Kunden im Allgemeinen zu schützen.566 Im Versicherungsrecht werden vorvertragliche Informationspflichten regelmäßig nicht durch spezifisch zivilrechtliche Rechtsfolgen flankiert. Dies gilt sowohl für die Dritte Schadensversicherungs-RL 92/49 als auch für die LV‑RL 2002/83, die mittlerweile beide durch die Solvabilitäts‑II-RL 2009/138 ersetzt wurden, aber auch für die IMD 2002/92 sowie für die IDD 2016/97. Für die Lebensversicherung hat der EuGH im Fall Endress567 immerhin klargestellt, dass die einschlägigen Richtlinien einer zeitlichen Befristung des Rücktritts- bzw. Widerrufsrechts entgegenstehen, wenn der Versicherungsnehmer nicht über dieses Recht belehrt worden ist.

564  Ähnlich Alexander, WRP 2012, 515, 518 (zum Verhältnis zwischen UGP-RL 2005/29 und Klausel-RL 93/13). 565   Die PRRL 90/314 enthielt demgegenüber keine Rechtsfolge für gänzlich unterlassene Informationen; Magnus, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis communautaire, 2003, S. 291, 300 f. 566   Zum persönlichen Anwendungsbereich der Finanzdienstleistungs-Richtlinien bereits supra, § 10 B.V.2.b. 567   EuGH, Rs. C‑209/12 (Endress) Rn. 32 (zu Art. 15 Abs. 1 Zweite LV‑RL 90/619 i. V. m. Art. 31 Dritte LV‑RL 92/96, jetzt Art. 185, Art. 186 Abs. 1 Solvabilitäts‑II-RL 2009/138).

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§ 10  Verbraucherrecht

Auch im europäischen Kapitalmarktrecht ist die zivilrechtliche Haftung für unterlassene oder unrichtige Kapitalmarktinformationen noch nicht harmonisiert worden.568 So lässt sich der Prospekt-RL 2003/71569 sowie der TransparenzRL 2004/109570 zwar die Vorgabe entnehmen, dass bei Missachtung der Prospektbzw. Publizitätspflichten eine zivilrechtliche Haftung vorzusehen ist. Die nähere Ausgestaltung dieser Haftung wird jedoch den Mitgliedstaaten überlassen, die insoweit, wie der EuGH im Fall Hirmann571 hervorgehoben hat, über einen „weiten Ermessenspielraum“ verfügen. Andere Kapitalmarktrichtlinien verlangen noch nicht einmal dem Grunde nach zivilrechtliche Rechtsbehelfe. So beschränkt sich die MAD 2003/6 in ihrem Art. 14 auf den Hinweis, dass gegen die verantwortlichen Personen „geeignete Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder im Verwaltungsverfahren zu erlassende Sanktionen“ verhängt werden müssen, wobei diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Die MAD 2003/6 enthält daher keinerlei Vorgaben für die zivilrechtliche Haftung.572 Ein Verstoß gegen die in der MiFID I 2004/39 geregelten Wohlverhaltensgebote muss nach der Genil-Entscheidung573 ebenfalls nicht durch zivilrechtliche Rechtsfolgen sanktioniert werden.574 Selbst in jüngeren Rechtsakten, wie beispielsweise der MAR 596/2014 und der MiFID II 2014/65, finden sich keine Regeln zur zivilrechtlichen Haftung. Eine Ausnahme bildet die Rating-VO 1060/2009, die durch die am 20. Juni 2013 in Kraft getretene VO 462/2013 geändert wurde, und nunmehr in ihrem Art. 35a einen detailliert ausgestalteten Schadensersatzanspruch gegen Ratingagenturen wegen fehlerhafter Ratings vorsieht.575 Selbst diese Norm verweist jedoch hinsichtlich zahlreicher Fragen auf das anwendbare nationale Recht, so z. B. hinsichtlich des Verschuldensmaßstabs sowie zur Frage, welcher Schaden von der Ratingagentur zu ersetzen ist. Ähnlich verhält es sich mit der PRIIP-VO 1286/2014, die zwar in Art. 11 Abs. 2 eine zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Basisinformationsblätter dem Grunde nach anordnet, andererseits jedoch wesentliche Aspekte der Haftung den Mitgliedstaaten überlässt.576 Zu Recht wird daher konstatiert, dass das europäische Kapitalmarkthaftungsrecht derzeit nur ein Torso ist.577

568   Kritisch zum Rechtsfolgendefizit Weber, NZG 2004, 360, 366; Hellgardt, AG 2012, 154, 167. Für einen Wettbewerb der Rechtsordnungen dagegen Veil/Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches Kapitalmarktrecht, 2011, § 7 Rn. 24; Wundenberg, ZGR 2015, 124, 154 f. (Harmonisierung der privaten Rechtsdurchsetzung sollte erst nach Koordination der behördlichen Rechtsdurchsetzung erfolgen). 569   Art. 6 und Art. 25 Abs. 1 S. 1 Prospekt-RL 2003/71. Hierzu Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004, Rn. 687; König, GPR 2003 – 2004, 152, 154; Kunold/Schlitt, BB 2004, 501, 511; Weber, NZG 2004, 360, 366. 570   ErwGr (17), Art. 7 Transparenz-RL 2004/109. Hierzu Löneke, Kapitalmarktinformationshaftung, 2009, S. 39; Möllers, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 3. Aufl., 2015, § 18 Rn. 116. 571   EuGH, Rs. C‑174/12 (Hirmann) Rn. 41. 572   Löneke, Kapitalmarktinformationshaftung, 2009, S. 38; Veil, ZBB 2006, 162, 164. 573   EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos) Rn. 57. 574   Dazu bereits supra, § 4 C.IV.2.a und § 4 C.IV.5. 575  Dazu Gietzelt/Ungerer, GPR 2013, 333 ff.; Wojcik, NJW 2013, 2385 ff. 576   Vgl. nur Art. 11 Abs. 3 PRIIP-VO 1286/2014. 577   Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 1. Aufl., 2016, § 7 A Rn. 147.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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IV. Systematisierung der Rechtsfolgen unter Berücksichtigung der effet utile-Rechtsprechung 1. Systematisierung, Konkretisierung und Herleitung von Zivilrechtsfolgen bei Informationspflichtverstößen Der vorangegangene Streifzug durch den acquis commautaire zeigt, dass die Haftung für unterlassene und fehlerhafte Informationen im Sekundärrecht bislang nur ansatzweise und zudem in inkohärenter Weise geregelt worden ist. Die nachstehende Analyse verfolgt daher ein mehrfaches Anliegen. Zum einen sind die verstreuten Rechtsfolgen zu systematisieren und zu konkretisieren. Dabei ist insbesondere danach zu fragen, inwieweit Rechtsfolgen, die in einer spezifischen Richtlinie angeordnet sind, auf andere Richtlinien übertragen werden können. Eine solche richtlinien- bzw. rechtsaktübergreifende Rechtsfindung578 oder Inter-Instrumental-Interpretation579 zur Konkretisierung unbestimmter Begriffe und Rechtsfolgen kann als Teil der systematischen Auslegung begriffen werden: Bei autonomer Auslegung unionsrechtlicher Normen ist nicht nur eine systematische Interpretation innerhalb ein- und desselben Rechtsakts erforderlich, sondern zugleich der systematische Bezug zu anderen Rechtsakten in Rechnung zu stellen. Wenn Regelungswerke von ein und demselben Gesetzgeber geschaffen werden – wie im Fall von Richtlinien – kann nämlich vermutet werden, dass diese trotz ihres pointilistischen bzw. fragmentarischen Charakters nicht unverbunden nebeneinander stehen sollen, sondern vom Gesetzgeber als ein zusammenhängendes widerspruchsfreies Ganzes gewollt sind.580 Eine solche rechtsaktübergreifende Auslegung wird auch vom EuGH befürwortet. Nach ständiger Rechtsprechung ist „jede Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in ihrem Zusammenhang zu sehen und im Lichte des gesamten Gemeinschaftsrechts, seiner Ziele und seines Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift auszulegen.“581 Basierend auf diesem Ansatz geht der Gerichtshof davon aus, dass gleiche Begriffe in Parallelrechtsakten im Zweifel auch gleich auszulegen sind.582 Weitergehend hat der Gerichtshof auch Rechtsfolgen, die bei Verstoß gegen die in einer bestimmten Richtlinie angeordneten Informationspflichten greifen, auf andere Richtlinien übertragen. Entscheidend war insoweit der Gedanke, dass die zugrunde liegenden Richtlinien (im konkreten Fall: HWiRL 85/577 und Dritte LV‑RL 92/96) übereinstimmend das Regelungsanliegen verfolgen,

578

  Ebers, VuR 2005, 361, 363.   Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882 ff. Vgl. auch Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, S. 448 ff. 580   Bleckmann, ZGR 1992, 364, 369; Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, 2004, S. 158 f.; Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882, 904 f.; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 22 ff.; zur Gesetzesauslegung in Deutschland Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent, Band 1, 2001, S. 206. 581   EuGH, Rs. C‑283/81 (Cilfit) Rn. 20. Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑97/96 (Daihatsu) Rn.  18 – 21; Rs. 149/77; Rs. C‑423/97 (Travel Vac) Rn. 22 f. 582   So z. B. zum Begriff des dauerhaften Datenträgers EuGH, Rs. C‑49/11 (Content Services) Rn. 44. Weitere Beispiele bei Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, 2004, S. 159 f. Für den Verbraucherbegriff betont auch der BGH, NJW 2005, 1045 f., dass der persönliche Anwendungsbereich einer Richtlinie „nicht allein aus dieser Richtlinie heraus zu bestimmen“, sondern „im Zusammenhang mit der gleich lautenden Definition in zahlreichen anderen Richtlinien des Gemeinschaftsrechts zu sehen“ sei. 579

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§ 10  Verbraucherrecht

den Verbraucher als schwächere Partei zu schützen und Informationsasymmetrien abzubauen.583 Zum anderen ist auszuloten, inwieweit aus dem effet utile Zivilrechtsfolgen abgeleitet werden können, die über die bestehenden Regelungen hinausgehen. Der EuGH hat mit den Urteilen Courage und Manfredi für das Kartellrecht sowie im Urteil Muñoz für das B2B-Lauterkeitsrecht deutlich gemacht, dass die Einräumung ungeschriebener Zivilrechtsfolgen unabdingbar sein kann, um die Rechte des Einzelnen zu schützen und die Durchsetzungskraft des Unionsrechts zu verstärken.584 Inwieweit Entsprechendes auch bei Informationspflichtverstößen gilt, ist offen.585 Dagegen könnte vor allem die Rechtsprechung des EuGH zum Kapitalmarktrecht sprechen. Wie der EuGH im Fall Genil586 klargestellt hat, muss ein Verstoß gegen die in der MiFID I 2004/39 geregelten Wohlverhaltensgebote nicht durch zivilrechtliche Rechtsfolgen sanktioniert werden. Kann Entsprechendes für das Verbraucherrecht behauptet werden? Haben die Mitgliedstaaten auch hier einen „weiten Spielraum“587 und können sie frei darüber entscheiden, ob sie einen Verstoß gegen Informationspflichten mit den Mitteln des Straf‑, Verwaltungs- oder Zivilrechts sanktionieren? – Eine solche Präzedenzwirkung wäre anzunehmen, wenn die Finanzmarktrichtlinien tatsächlich mit den Verbraucherrichtlinien vergleichbar wären. Dies ist aber nicht der Fall. Die Zurückhaltung des EuGH im Fall Genil erklärt sich daraus, dass die MiFID I 2004/39 die Mitgliedstaaten zu einer aufsichtsrechtlichen Sanktionierung verpflichtet.588 Angesichts der aufsichtsrechtlichen Regelungstendenz der Finanzmarktrichtlinien, die durch die Finanzmarktreformen erheblich verstärkt worden ist,589 bestand im konkreten Fall kein Anlass, zivilrechtliche Rechtsfolgen im Wege der Rechtsfortbildung herzuleiten. Dies ist im Verbraucherrecht anders. Die geltenden Verbraucherrichtlinien außerhalb des Finanzdienstleistungsbereichs verpflichten die Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich zur behördlichen Rechtsdurchsetzung.590 Sie enthalten im Unterschied zu den Finanzmarktrichtlinien zudem Regelungen, die eindeutig dem Vertragsrecht zuzurechnen sind. Die meisten Verbraucherrichtlinien stellen einen unmittelbaren Bezug der Informationspflichten zum Vertragsverhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher her. Damit wird deutlich, dass die Informationspflichten (auch) als zivilrechtliche Pflichten der Unternehmen wirken sollen. Ein Verstoß muss daher zivilrechtliche Rechtsbehelfe zugunsten der Verbraucher auslösen, die tatsächlich von die-

583

  EuGH, Rs. C‑209/12 (Endress) Rn.  28 – 30.  Vgl. supra, §  2 E.II.1. – 2. 585   Für die Herleitung ungeschriebener Zivilrechtsfolgen bei Informationspflichtverstößen insb. Angermann, Informationspflichten, 2010, S. 170; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 274 f.; Schwintowski, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis commautaire, 2003, S. 267, 287 ff. Differenzierend Börger, Sanktionen, 2010, S. 87 – 100. A. A. Grigoleit, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 223, 251: Unionsrecht stellt keine Mindestanforderungen an die vertragliche Sanktionierung. 586   EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos) Rn. 57. 587   So EuGH, Rs. C‑174/12 (Hirmann) Rn. 41 (zur MAD 2003/6, zur Prospekt-RL 2003/71 sowie zur Transparenz-RL 2004/109). 588   Hierzu bereits supra, § 4 C.IV.5.b. 589   Aufgrund der Finanzkrise wurden zahlreiche Finanzmarktrichtlinien überarbeitet. Dabei wurden vor allem die aufsichtsrechtlichen Sanktionen konkretisiert und verschärft; vgl. supra, § 4 C.I.4.a. 590  Siehe supra, § 10 C.II.1. 584

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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sem betroffen sind.591 Die eigentliche Frage ist daher nicht so sehr, ob bei Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten überhaupt individuelle Rechtsbehelfe greifen, sondern vielmehr, welche konkreten Rechtsfolgen bei bestimmten Pflichtverletzungen zur Verfügung stehen müssen. 2. Zustandekommen und Wirksamkeit des Vertrags Den einschlägigen Sekundärrechtsakten lässt sich zumeist nicht entnehmen, wie sich unterlassene Pflichtinformationen auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit von Verträgen auswirken. Da der Unionsgesetzgeber von einer Harmonisierung der Vertragsschlussregeln bislang Abstand genommen hat, heben zahlreiche Richtlinien hervor, dass sich das Zustandekommen von Verträgen und insbesondere deren Wirksamkeit nach nationalem Recht richtet.592 Dieser Vorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten gilt indessen nur, soweit die betreffenden Richtlinien nicht selbst Fragen des Vertragsschlusses ansprechen.593 Darüber hinaus ist auch bei einem ausdrücklichen Verweis auf mitgliedstaatliches Recht das Effektivitätsgebot zu beachten. Die im mitgliedstaatlichen Recht angeordneten Rechtsfolgen dürfen die Durchsetzung der Richtlinienvorgaben daher weder praktisch unmöglich machen noch übermäßig erschweren. a) Vorvertragliche Pflichtangaben als essentialia negotii? In allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kommt ein Vertrag nur zustande, wenn die Parteien über die wesentlichen Bedingungen des Vertrags eine Einigung erzielen.594 Zu diesen essentialia negotii gehören vor allem die Hauptleistungspflichten. Damit stellt sich die Frage, ob ein wirksamer Vertrag überhaupt zustande kommen kann, wenn wesentliche Pflichtangaben dem Verbraucher vorenthalten werden. Vielfach wird darauf hingewiesen, dass die meisten Pflichtangaben schon nach den Regeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre als essentialia negotii für einen wirksamen Abschluss eines Vertrages erforderlich sind.595 Erfüllt ein Unternehmer die umfangreichen vorvertraglichen Informationspflichten und kommt es zum Vertragsschluss, kann in der Tat davon ausgegangen werden, dass die Parteien die Bedingungen des Vertrags ausreichend festgelegt haben.596 Daraus folgt aber nicht im Umkehrschluss, dass unterlassene Pflichtangaben zu den wesentlichen Vertragsbestandteilen einen Konsens stets verhindern.597 Fehlt es 591   Zur „tatsächlichen Betroffenheit“ als Kriterium der Zuerkennung individueller Rechte supra, § 3 E.V.3.d.bb. 592   ErwGr (14) VRRL 2011/83; ErwGr (30) VerbrKrRL 2008/48; ErwGr (21) Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. 593   Vgl. nur ErwGr (14) VRRL 2011/83: „Diese Richtlinie sollte das innerstaatliche Vertragsrecht unberührt lassen, soweit vertragsrechtliche Aspekte durch diese Richtlinie nicht geregelt werden; Herv. hinzugefügt. 594   Vgl. die rechtsvergleichenden Notes zu Art. 2:103 PECL, in: Lando/Beale, Principles of European Contract Law, Parts I and II, Combined and Revised, 2000; ferner DCFR, Full Edition, 2009, Art. II.-4:103 DCFR, S. 279 ff. 595   Vgl. nur die Regierungsbegründung zum FernabsG, BT‑Drucks. 14/2658, S. 2; ausführlich Pützhoven, Europäischer Verbraucherschutz im Fernabsatz, 2001, S. 154 f. 596   Wie hier Schulze/Terryn, Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 30 CESL Rn. 8. 597  Nach Reich, EuZW 1997, 581, 584, kann eine rechtliche Bindung dagegen nicht ohne die erforderliche Information eintreten; tendenziell auch Boente/Riehm, Jura 2002, 222, 228. 598   Vgl. die Nw. in Fn. 594.

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§ 10  Verbraucherrecht

an einer ausdrücklichen Bestimmung der Hauptleistungen, so greifen nach mitgliedstaatlichem Recht vielmehr Auslegungsregeln, welche die Parteien hinsichtlich der Bestimmtheitsanforderungen entlasten.598 Diese Grundsätze gelten auch im deutschen Recht.599 Nach dem schuldrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz kann nicht nur eine bestimmte, sondern auch eine bestimmbare Leistung Gegenstand einer schuldrechtlichen Verpflichtung sein. Eine vertragliche Verpflichtung wird daher bereits dann begründet, wenn sich die Vertragspartner über die Hauptleistungspflichten in einer Weise geeinigt haben, die es erlaubt, die Grundzüge des Vertragsprogramms im Wege der Auslegung zu erschließen. Entsprechendes gilt für die Verletzung von Anbieterkennzeichnungspflichten. Zwar setzt ein wirksamer Vertrag voraus, dass der Unternehmer als Rechtssubjekt aus der Sicht des Verbrauchers eindeutig identifizierbar ist. Dazu ist es aber nicht erforderlich, dass sämtliche Anbieterkennzeichnungspflichten (wie beispielsweise die Adresse, Rechtsform, etc.) erfüllt werden. Ausreichend ist vielmehr, dass die Vertragsparteien zumindest im Wege der Auslegung identifiziert werden können.600 Dies wird zumeist der Fall sein. Unternehmer werden bereits aus Eigeninteresse die wesentlichen Hauptleistungspflichten konkretisieren und Mindestangaben zur Selbstidentifikation treffen. Verbraucher werden keinen Vertrag abschließen, wenn die Identität des Unternehmers und das Preis-Leistungsverhältnis nicht zumindest in Grundzügen bestimmbar sind. Verbraucherverträge werden daher nur in Ausnahmefällen derart unbestimmt sein, dass es an einer vertraglichen Verpflichtung der Parteien überhaupt fehlt. b) Mangelndes Erklärungsbewusstsein aufgrund unterlassener Pflichtangaben Eine ausdrückliche Regelung zum Zustandekommen von Verträgen enthält Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 S. 3 VRRL 2011/83. Wird der Verbraucher bei einem Fernabsatzvertrag im elektronischen Geschäftsverkehr nicht unmittelbar vor Abgabe seiner Bestellung darauf hingewiesen, dass die Bestellung mit einer Zahlungsverpflichtung verbunden ist, so ist er nicht an den Vertrag oder an die Bestellung gebunden.601 Die Vorschrift typisiert Fälle des mangelnden Erklärungsbewusstseins: Eine unterlassene Information über das Zustandekommen des Vertrags kann dazu führen, dass der Verbraucher eine Bestellung vornimmt, obwohl er überhaupt (noch) keine verbindliche Willlenserklärung abgeben möchte. Dogmatisch gesehen könnte dieselbe Rechtsfolge bereits durch einen Rückgriff auf die Auslegungsregeln hergeleitet werden: Wird der Verbraucher nicht über die technischen Schritte informiert, die zu einem Vertragsschluss führen, so kann seine Bestellung nach objektivem Empfän599   Allgemein MüKo/Busche, BGB, 7. Aufl., 2015, § 154 BGB Rn. 3; Ebers, Die Überschußbeteiligung in der Lebensversicherung, 2001, S. 298 ff. Speziell im Kontext der verbraucherschützenden Informationspflichten Kocher, ZEuP 2006, 785, 797. 600   Führen fehlende Angaben zur Rechtsform dazu, dass der Anschein persönlicher Haftung erweckt wird, greifen nach deutscher Rechtsprechung zudem die Regelungen der Rechtsscheinhaftung unter entsprechender Anwendung von § 179 BGB; vgl. BGH ZIP 2007, 908; hierzu Altmeppen, ZIP 2007, 889 ff. 601   Ergänzend hierzu verlangt Art. 10 Abs. 1 ECRL 2000/31 Informationen „über die einzelnen technischen Schritte, die zu einem Vertragsschluss führen“ (lit. a), sowie eine Aufklärung über „die technischen Mittel zur Erkennung und Korrektur von Eingabefehlern vor Abgabe der Bestellung“ (lit. c). Die ECRL 2000/31 knüpft an eine Pflichtverletzung aber keine ausdrücklichen Rechtsfolgen.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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gerhorizont nicht als bindende Erklärung behandelt werden.602 Art. 8 Abs. 1 UAbs. 2 S. 3 VRRL 2011/83 sieht freilich eine schärfere Rechtsfolge vor. Selbst wenn nach allgemeinen Auslegungsregeln eine Willenserklärung des Verbrauchers vorliegen sollte, dürfen die Mitgliedstaaten diese nicht als bindend betrachten. Ob der Verbraucher trotz Informationspflichtenverstoß am Vertrag festhalten und dessen Erfüllung verlangen kann, geht aus Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 S. 3 VRRL 2011/83 nicht eindeutig hervor. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Frage verneint. Nach § 312j Abs. 4 BGB kommt ein Vertrag nur zustande, wenn der Hinweis auf die Zahlungspflicht erfolgt ist. Anderenfalls fehlt es an einem Vertragsschluss.603 Die VRRL 2011/83 spricht indessen davon, dass allein der Verbraucher an seine Willenserklärung oder an den Vertrag nicht gebunden ist. Auch streitet der verbraucherschützende Zweck der Vorschrift dafür, dem Verbraucher bei Informationspflichtverstößen ein Wahlrecht zu belassen (hierzu sogleich, unter c.). Die deutsche Umsetzungsnorm ist daher richtlinienwidrig und muss aus Gründen der Rechtsklarheit neu gefasst werden.604 c) Keine absolute Nichtigkeit des Vertrags bei unterlassener Information Ein Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten könnte auch mit der Sanktion der absoluten Nichtigkeit belegt werden. Dann könnte die Nichtigkeit von jedermann geltend gemacht werden und auch die Gerichte müssten diese von Amts wegen berücksichtigen, ohne dass sich der Verbraucher (wie bei der relativen Nichtigkeit) auf sie berufen müsste.605 Eine solche Rechtsfolge liegt insbesondere dann nahe, wenn Informationen in schriftlicher Form zu übermitteln sind, denn in diesem Fall führt die Nichtübermittlung vorvertraglicher Informationen zu einem Formverstoß, der in vielen Rechtsordnungen außerhalb des Verbraucherrechts mit der Nichtigkeit des Vertrags sanktioniert wird. Wie der EuGH im Fall Martín Martín606 klargestellt hat, besteht aus unionsrechtlicher Perspektive grundsätzlich kein Zwang, den Verstoß gegen (schriftlich zu erfüllende) Widerrufsbelehrungspflichten bei Haustürgeschäften mit der Sanktion der absoluten Vertragsnichtigkeit zu belegen. Diese Aussage lässt sich auf sämtliche Informationspflichtverstöße übertragen. Bereits die erweiterte Widerrufsmöglichkeit bei Informationspflichtverstößen607 spricht in systematischer Hinsicht gegen die Annahme, dass die Verletzung von Informationspflichten per se die Nichtigkeit des 602   In diesem Sinne Grigoleit, WM 2001, 597, 601, der allerdings selbst einräumt, dass die objektive Auslegung trotz unterlassener Aufklärung den Tatbestand einer bindenden Erklärung ohne Erklärungsbewusstsein begründen kann. In diesem Fall wäre die Willenserklärung des Verbrauchers nach deutschem Recht nur analog § 119 BGB anfechtbar, denn nach h. M. ist das Erklärungsbewusstsein kein notwendiges Erfordernis einer Willenserklärung; vgl. BGHZ 91, 324, 327 ff. 603  Vgl. die Regierungsbegründung zu § 312 g Abs. 4 BGB (jetzt § 312j Abs. 4 BGB), BT‑ Drucks. 17/7745, S. 12. 604   Im Ergebnis wie hier (zu § 312 g Abs. 4 BGB a. F.) Alexander, NJW 2012, 1985, 1989; Rudkowski/Werner, MMR 2012, 711, 714 f. Offenlassend Looschelders, in: Remien/Herrler/Limmer (Hrsg.), Gemeinsames Kaufrecht für die EU?, 2012, S. 107, 120 f., der für die deutsche Umsetzungsnorm Rechtssicherheitserwägungen anführt. 605   Zur Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit (nullité absolue et relative) aus rechtsvergleichender Sicht U. Hübner, in: FS H. Hübner, 1984, S. 487, 496 ff. Ferner GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑227/08 (Martín Martín) Rn. 51. 606   EuGH, Rs. C‑227/08 (Martín Martín) Rn.  34 – 35. 607   Zur Verlängerung der Widerrufsfrist bei Informationspflichtverstößen infra, § 10 E.II.1.c.

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§ 10  Verbraucherrecht

Vertrags zur Folge hat. Dann wäre ein Widerruf nämlich regelmäßig sinnlos, da der Verbraucher ohnehin nicht an den Vertrag gebunden wäre.608 Hiervon abgesehen widerspricht das Konzept der absoluten Nichtigkeit dem Zweck der Informationspflichten, die gerade auf die Herstellung realer Entscheidungsfreiheit abzielen. Wäre der Vertrag automatisch nichtig, könnte der Verbraucher nicht mehr selbst entscheiden, ob er an dem Vertrag festhält oder nicht. Er müsste eine Rückabwicklung des Vertrages in Kauf nehmen, selbst wenn er ein Interesse an dessen Durchführung hat. Die absolute Nichtigkeit des Vertrages würde dem Verbraucher daher eher schaden als nützen.609 Eine von Amts wegen zu beachtende absolute Nichtigkeit könnte zudem die Rechtssicherheit empfindlich beeinträchtigen, denn in vielen Fällen lässt sich ein Informationspflichtenverstoß nicht ohne Weiteres feststellen.610 Gegen diese Rechtsfolge spricht schließlich das Verhältnismäßigkeitsprinzip, demzufolge mitgliedstaatliche Sanktionen auf das zur Erreichung der vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziele erforderliche Maß beschränkt werden müssen.611 Da die automatische Nichtigkeit nachhaltig in die privatautonomen Vereinbarungen eingreift, bedarf sie als ultima ratio einer besonderen Rechtfertigung.612 All diese Argumente streiten dafür, dass ein Verstoß gegen verbraucherschützende Informationspflichten durch die Mitgliedstaaten nicht mit dem scharfen Schwert der absoluten Nichtigkeit sanktioniert werden darf. d) Rechtsvergleich Die meisten Mitgliedstaaten tragen diesen Vorgaben Rechnung. Rechtsvergleichend betrachtet wird der Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten zumeist nicht mit der absoluten Nichtigkeit sanktioniert.613 Soweit einige Mitgliedstaaten, wie beispielsweise Frankreich614 und Spanien,615 in ihren Verbraucherschutzgesetzen eine Nichtigkeit des Vertrags anordnen, wird diese überwiegend als relative Nichtigkeit verstanden.616 In Grossbritannien617 608  Staudinger/Thüsing, 2012, § 312 g BGB Rn. 75; BeckOK BGB/Schmidt-Räntsch, Ed. 32, 2012, § 312e Rn. 30. Auch die Entstehungsgeschichte einiger Richtlinien spricht gegen eine absolute Nichtigkeit. Insbesondere im Zuge der Vorarbeiten zur HWiRL 85/577 wurde diskutiert, Verträge bei fehlender Widerrufsbelehrung für nichtig zu erklären; diese Sanktion erwies sich aber nicht als konsensfähig; vgl. G/H/Micklitz, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 2, Rn. 65. 609   Börger, Sanktionen, 2010, S. 77; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 4. Aufl., 2016, Rn. 312, S. 146; Kocher, ZEuP 2006, 785, 792; Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2002, § 312c BGB Rn. 126. 610   BeckOK BGB/Schmidt-Räntsch, Ed. 32, 2011, § 312c Rn. 32. 611   Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip supra, § 4 C.III.4. 612   So auch Angermann, Informationspflichten, 2010, S. 190. 613   Vgl. auch GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑227/08 (Martín Martín) Rn. 82. 614   Vgl. Art. L. 121 – 18‑1, L. 121-19‑3, L. 121-79‑5 CCons, version consolidée au 14 juillet 2014. Die (relative) Nichtigkeit wird von der Rechtsprechung zudem aus dem Umstand abgeleitet, dass die betreffenden Vorschriften strafbewehrt sind und damit zum „ordre public“ zählen; so für Haustürgeschäfte Cour de Cassation, 1ère, 7.12.2004, RTD civ 2005, 389. 615   Vgl. Art. 100 TR‑LGDCU i. d. F. des Gesetzes 3/2014 v. 27.3.2014. Zur früheren Rechtslage (vor Umsetzung der VRRL 2011/83 durch das Gesetz 3/2014) vgl. Art. 112 TR‑LGDCU. 616  Für Frankreich vgl. Calais-Auloy/Steinmetz, Droit de Consommation, 7. Aufl., 2006, Rn. 57, 99. Für Spanien vgl. Barber Cárcamo, in: Cámara Lapuente (Hrsg.), Comentarios a las Normas de Protección de los Consumidores, 2011, S. 1043, 1045; Ebers/Arroyo Amayuelas, Revista de la Facultad de Derecho de la Universidad de Granada, Núm. 9, 2006, S. 409, 432 ff. 617   Reg. 7 (6) The Cancellation of Contracts made in a Consumer’s Home or Place of Work etc. Regulations 2008, S. I. 2008/1816.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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sah die zur Umsetzung der HWiRL 85/577 erlassene Regelung vor, dass der Vertrag bei einem Informationspflichtenverstoß gegenüber einem Verbraucher nicht durchsetzbar (not enforceable) war, während der Verbraucher Erfüllung verlangen konnte. Seit der Umsetzung der VRRL 2011/83 durch die CCR 2013618 sind Verträge demgegenüber voll wirksam.619 Die Missachtung vorvertraglicher Informationspflichten begründet nurmehr einen „breach of contract“.620 Auch in Deutschland herrscht Konsens, dass sich ein Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten grundsätzlich nicht auf die Wirksamkeit des Vertrags auswirkt.621 3. Vertragsinhalt Ein Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten kann sich auf den Inhalt eines abgeschlossenen Vertrages auswirken. Dabei ist zwischen unterlassenen Informationen einerseits (a.) und unzutreffenden Informationen andererseits (b.) zu unterscheiden. Hiervon abzugrenzen ist das Problem, ob Angaben des Unternehmers, die an die Allgemeinheit gerichtet sind, zugleich ein bindendes Angebot darstellen (c.). a) Keine Bindung an ungünstige Vertragsbestandteile bei unterlassener Information Werden Informationen zu Vertragsinhalten nicht übermittelt, kann bereits eine am objektiven Empfängerhorizont orientierte Auslegung des Vertrages dazu führen, dass der Verbraucher nicht an Vertragsbedingungen gebunden wird, die für ihn nachteilig sind. Auf dieser Wertung beruht Art. 6 Abs. 6 1. Alt. VRRL 2011/83. Danach hat die Nichtaufklärung des Verbrauchers über Fracht‑, Liefer- und Versandkosten bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zur Folge, dass der Unternehmer diese Kosten zu tragen hat. In ähnlicher Weise ordnet die Richtlinie für den Widerrufsfall einen Übergang der Rücksendekosten auf den Unternehmer an, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über diese informiert worden ist.622 Ein derartiges Prinzip liegt auch der Klausel-RL 93/13 zugrunde. Denn das Transparenzgebot (Art. 5 S. 1 Klausel-RL 93/13) nebst contra proferentem-Regel 618   The Consumer Contracts (Information, Cancellation and Additional Charges) Regulation 2013, S. I. 2013/3134. 619   Bei Umsetzung der VRRL 2011/83 wurde ausdrücklich darauf verzichtet, die Figur des „not enforceable“ zu übernehmen, da diese Sanktion für unvereinbar mit den in der Richtlinie spezifisch angeordneten Rechtsfolgen angesehen wurde; vgl. Department for Business, Innovation & Skills, Enhancing Consumer Confidence by Modernising Consumer Law, Consultation on the implementation of the Consumer Rights Directive 2011/83/EU, August 2012, S. 49, Nr. 75. 620   Dies ergibt sich aus reg. 18 CCR 2013. Danach ist die Pflicht zur Erfüllung vorvertraglicher Informationspflichten implizit im Vertrag vereinbart. Vgl. auch Whittaker, in: Chitty on Contracts, II, 32. Aufl., 2015, Rn. 38 – 101. 621   Vgl. die Regierungsbegründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT‑Drucks. 14/6040, S. 173; BGH, NJW 2008, 2026, 2028, Rn. 25. Grigoleit, WM 2001, 597, 600; Staudinger/Thüsing, 2012, § 312c BGB Rn. 104 und § 312 g BGB Rn. 75 f. Anders ist die Rechtslage, wenn Pflichtangaben im Vertrag selbst aufgenommen werden müssen und der Vertrag einer besonderen Form bedarf. So ist ein Verbraucherkreditvertrag, bei dem die Pflichtangaben des § 492 Abs. 2 BGB fehlen, nach § 494 Abs. 1 2. Alt. BGB nichtig. Um diese Rechtsfolge abzumildern, sind allerdings Heilungsvorschriften vorgesehen. Vertiefend Wendehorst, ZEuP 2011, 263, 274. 622   Art. 14 Abs. 1 UAbs. 2 Alt. 2 und Art. 6 Abs. 6 Alt. 2 VRRL 2011/83.

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§ 10  Verbraucherrecht

(Art. 5 S. 2 Klausel-RL 93/13) führt in der Regel dazu, dass der Verbraucher nicht an ungünstige Vertragsbedingungen gebunden wird, wenn der Unternehmer Informationspflichten verletzt, mit denen der Verbraucher gerade über den Inhalt der ungünstigen Klausel aufgeklärt werden sollte.623 Dahinter steht ein allgemeiner Gedanke, der sich für das europäische Verbraucherrecht generalisieren lässt. Vorvertragliche Informationen konkretisieren und typisieren den Empfängerhorizont des jeweiligen Geschäfts. Der Unternehmer muss über den Inhalt bestimmter Vertragsbedingungen gerade deswegen aufklären, weil eine diesbezügliche Kenntnis des Verbrauchers nicht erwartet werden kann. Fehlen die betreffenden Informationen, geht dies im Rahmen der Auslegung zu Lasten des Unternehmers. Hat der Unternehmer beispielsweise nicht über Preisbestandteile, Nebenkosten, Steuern oder bestimmte Zahlungsmodalitäten informiert, kann daher davon ausgegangen werden, dass diese nicht Vertragsinhalt werden, selbst wenn nach allgemeinen Grundsätzen eine Vereinbarung möglich gewesen wäre.624 Eine entsprechende Regelung enthalten die Acquis Principles und der akademische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen. Nach Art. 2:208 (2) ACQP und Art. II.-3:109 (2) DCFR werden bei einem Informationspflichtenverstoß nur diejenigen Verpflichtungen zum Vertragsinhalt, die die andere Partei (Verbraucher) vernünftigerweise als Folge des Fehlens der Informationen erwarten konnte. b) Bindung an „unzutreffende“ vorvertragliche Informationen Nicht nur unterlassene Informationen, sondern auch „unzutreffende“ Informationen können sich auf den Inhalt des Vertrags auswirken.625 Detaillierte Informationen im vorvertraglichen Stadium präformieren die Erwartungen der kontrahierungswilligen Kunden. Je präziser der Verbraucher über die wesentlichen Merkmale der vom Unternehmer zu erbringenden Leistung, den zu zahlenden Preis, sonstige AGB und über seine Rechtsbehelfe informiert wird, desto eher kann er erwarten, dass er den Unternehmer „beim Wort“ nehmen kann und die betreffenden Angaben verbindlich sind. Das Unionsrecht schützt diese in der Vertragsanbahnungsphase geweckten Erwartungen nicht nur durch kollektive Rechtsschutzmöglichkeiten,626 sondern zugleich durch vertragsrechtliche Rechtsfolgen. Eine Reihe von Richtlinien ordnet an, dass vorvertragliche Informationen „Bestandteil“ des Vertrages werden bzw. der Unternehmer an diese „gebunden“ ist.627 Zwar weichen die betreffenden Regelungen voneinander ab.628 Uneinheitlich wird beispielsweise die Frage geregelt, für welche 623

 Ausführlich supra, § 10 D.III.7.   Hoffmann, ZIP 2005, 829, 836; Kocher, ZEuP 2006, 785, 802; Grigoleit, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 223, 256 f.; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., 2016, EGBGB Einf. v. 238 Rn. 13. Das deutsche Recht überträgt daher die in Art. 6 Abs. 6 VRRL 2011/83 angeordnete Rechtsfolge in § 312a Abs. 2 S. 2 BGB auf den stationären Handel; vgl. die Regierungsbegründung zu § 312c BGB‑E, BT‑Drucks. 17/12637, S. 51. 625   Werden vorvertragliche Informationen zum Inhalt des Vertrags, handelt es sich genau genommen nicht um „unzutreffende“ Informationen. 626   Irreführende (falsche) Informationen stellen nach Art. 6 UGP-RL 2005/29 eine unlautere Geschäftspraxis dar, die nach Art. 11 UGP-RL 2005/29 durch kollektive Rechtsbehelfe bekämpft werden muss. 627   Art. 6 Abs. 5 VRRL 2011/83; Art. 2 Abs. 2 lit. d KaufRL 99/44; Art. 5 Abs. 2 TSRL 2008/122; Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 PRRL 90/314 (jetzt Art. 6 Abs. 1 S. 1 PRRL 2015/2302). 628   Vgl. die Richtlinienanalyse bei Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 359 ff. 624

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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Äußerungen eine vertragliche Einstandspflicht entsteht. Während Art. 6 Abs. 5 VRRL 2011/83 eine Bindungswirkung für alle vorvertraglich zu übermittelnden Informationsinhalte anordnet,629 haftet der Verkäufer nach Art. 2 Abs. 2 lit. d KaufRL 99/44 für sämtliche „insbesondere in der Werbung oder bei der Etikettierung gemachten öffentlichen Äußerungen“,630 die beim Verbraucher „berechtigte Erwartungen“ hinsichtlich der „konkreten Eigenschaften des Gutes“ geweckt haben. Nach Art. 5 Abs. 2 TSRL 2008/122 und Art. 6 Abs. 1 S. 1 PRRL 2015/2302 werden demgegenüber nur die im Formblatt bzw. im Prospekt enthaltenen Angaben zum Bestandteil des Vertrags. Unterschiedlich wird auch die Frage geregelt, unter welchen Voraussetzungen der Unternehmer an eigene vorvertragliche Angaben nicht (mehr) gebunden ist. Schließlich haftet der Unternehmer nach Art. 2 Abs. 2 lit. d KaufRL 99/44 nicht nur für eigene vorvertragliche Äußerungen, sondern auch für Äußerungen des Herstellers und dessen Vertreters. Trotz dieser Unterschiede wird man den genannten Richtlinien einen gemeinsamen Rechtsgrundsatz entnehmen können, wonach der Unternehmer für eigene vorvertragliche Informationen prinzipiell einzustehen hat, wenn ein Vertrag zustande kommt.631 Unter Zugrundelegung einer systematischen, richtlinienübergreifenden Auslegung ist davon auszugehen, dass eine Bindungswirkung auch dann eintreten muss, wenn eine solche in der konkreten Richtlinie nicht angeordnet ist.632 Unbeachtlich ist daher, dass Art. 6 Abs. 5 VRRL 2011/83 eine Bindungswirkung nur für Fernabsatzverträge und für außerhalb von geschlossenen Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, nicht aber für allgemeine Verbraucherverträge anordnet. Dem liegt keine bewusste Entscheidung des Unionsgesetzgebers zugrunde. Da die Interessenlage des Verbrauchers vergleichbar ist, kann die Norm entsprechend auf allgemeine Verbraucherverträge angewendet werden.633 Sowohl die Acquis Principles als auch der akademische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen spiegeln diesen gemeinsamen Besitzstand wieder. Nach Art. 4:107 ACQP und Art. II.-9:102 DCFR sind alle öffentlichen Aussagen, die ein Unternehmer vor Abschluss eines Vertrages über die spezifischen Eigenschaften des Vertragsgegenstandes macht, vertraglich bindend. Damit werden allerdings nur vorvertragliche Angaben erfasst, die sich auf die „spezifischen Eigenschaften“ des Vertragsgegenstands beziehen. Die VRRL 2011/83, die TSRL 2008/122 sowie die PRRL 90/314 629   Die deutsche Umsetzungsnorm weicht (möglicherweise richtlinienwidrig) hiervon ab. Nach § 312d Abs. 1 S. 2 BGB wird eine vorvertragliche Angabe Vertragsinhalt, wenn sie „in Erfüllung“ einer Informationspflicht erfolgt, was darauf hindeuten könnte, dass eine Informationspflicht tatsächlich bestehen muss und die erteilte Information ordnungsgemäß ist; Schmidt-Kessel/Sorgenfrei, GPR 2013, 242, 247 f. 630   Ob zu den „öffentlichen Äußerungen“ auch die im individuellen Verkaufsgespräch erfolgten Informationen zählen, ist ungeklärt; bejahend Weiler, WM 2002, 1784, 1786; verneinend Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 361. 631  Anders Angermann, Informationspflichten, 2010, S. 193 f., die einen allgemeinen Rechtsgrundsatz mit dem unzutreffenden (siehe infra, § 10 D.IV.3.c.) Argument verneint, dass bei einer Bindung an falsche Informationen jede vorvertragliche Information als verbindliches Vertragsangebot zu qualifizieren wäre. 632   Zum Grundsatz der richtlinienübergreifenden Auslegung bereits supra, § 10 D.IV.1. 633   Wie hier (mit kleineren Einschränkungen) auch Unger, ZEuP 2012, 270, 286 in Fn. 71; für das deutsche Recht plädieren Schmidt-Kessel/Sorgenfrei, GPR 2013, 242, 252, dafür, die in § 312d Abs. 1 S. 2 BGB vorgesehene Regel „durch überschießende Umsetzung“ auf alle Informationspflichten in Verbraucherverträgen auszuweiten.

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§ 10  Verbraucherrecht

(jetzt PRRL 2015/2302) gehen demgegenüber weiter. Sie erstrecken die Bindungswirkung auf sämtliche vorvertraglichen Angaben, für die eine Informationspflicht besteht,634 bzw. auf (nahezu) sämtliche Prospektangaben.635 Art. 2:208 (2) ACQP und Art. II.-3:109 (2) DCFR enthalten jedoch zusätzlich die Klarstellung, dass ganz allgemein diejenigen Verpflichtungen zum Inhalt des Vertrags gehören, die der Verbraucher vernünftigerweise als Folge der Unrichtigkeit der Informationen erwarten konnte. Rechtsfolge der Bindungswirkung ist, dass vorvertragliche Informationen zum Vertragsbestandteil werden und nach allgemeinen Grundsätzen vertragliche Erfüllungsansprüche, Gewährleistungsansprüche oder sonstige Ansprüche wegen Pflichtverletzung bzw. Nichterfüllung auslösen, wenn der Unternehmer in der Erfüllungsphase von den vorvertraglichen Informationen abweicht. Entspricht die verkaufte Ware beispielsweise nicht den Aussagen des Verkäufers, stehen dem Verbraucher alle Rechtsbehelfe zu, die ihm das nationale, durch die KaufRL 99/44 geprägte Recht bei mangelhafter Ware gewährt. Der Unternehmer haftet darüber hinaus für sonstige unrichtig erteilte Informationen, die nichts mit der „Eigenschaft“ des Vertragsgegenstands zu tun haben. Stellt der Unternehmer z. B. vorvertraglich einen bestimmten Liefertermin in Aussicht, so verletzt er den Vertrag, wenn er in der Erfüllungsphase hiervon abweicht. Auch Rechtsbelehrungen können eine vertragliche Bindungswirkung entfalten. Informiert der Unternehmer etwa irrtümlich über das Bestehen eines Widerrufsrechts, wird man ein solches als vertraglich vereinbart ansehen müssen, selbst wenn das Gesetz kein Widerrufsrecht vorsieht.636 Dies gilt unabhängig von der Frage, ob die betreffende Information als Willlens- oder Wissenserklärung einzustufen ist. Auch wenn man vorvertragliche Informationen als reine Wissenserklärungen einstuft, bezieht der Verbraucher das Angegebene doch in seine Willensbildung ein, so dass ihr Gegenstand im Wege der Auslegung auch konkludent zum Inhalt des Vertrags wird.637 Anders liegen die Dinge, wenn der Inhalt einer Rechtsbelehrung vom zwingenden Recht abweicht, so z. B., wenn der Unternehmer den Verbraucher darüber informiert, dass ein Vertrag zustande gekommen ist, obwohl nach anwendbarem mitgliedstaatlichen Recht noch kein Vertrag geschlossen worden ist. In diesem Fall können die mitgliedstaatlichen Vertragsschlussregeln selbstverständlich nicht außer Kraft gesetzt werden. Indessen kann auch hier dem Verbraucher, wie Christiane Wendehorst638 zutreffend hervorhebt, vielfach geholfen werden. Soll beispielsweise ein Vertrag nach den Auskünften des Unternehmers bereits mit Absendung des Bestellformulars durch den Verbraucher zustande kommen und verlangt der Verbraucher Erfüllung, wäre es widersprüchlich, wenn sich der Unternehmer darauf beruft, den Antrag des Verbrauchers nie angenommen zu haben. 634

  Art. 6 Abs. 5 VRRL 2011/83.   Art. 5 Abs. 2 TSRL 2008/122; Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 PRRL 90/314 (einschränkend nunmehr Art. 6 Abs. 1 S. 1 PRRL 2015/2302). 636   OLG Köln, Urt. v. 22.7.2009, 27 U 5/09, juris-Rn. 22 f.; OLG Brandenburg, Urt. v. 6.4.2011, 7 U 137/10, juris Rn. 26 f.; Ebnet, NJW 2011, 1029, 1030 f.; MüKo/Masuch, BGB, 6. Aufl., 2012, § 360 BGB Rn. 15; Schmidt-Kessel, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 1. Aufl., 2016, § 4 Rn. 422; offenlassend BGH, NJW 2012, 1066, 1067 f., Rn. 16 f.; a. A. OLG Hamburg, Urt. v. 19.6.2009, 11 U 210/06, juris-Rn. 121; Kolbe, JZ 2013, 441 ff. 637   Kocher, ZEuP 2006, 785, 801. 638  MüKo/Wendehorst, BGB, 6. Aufl., 2012, § 312c BGB Rn. 138. Ähnlich Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 203 f. 635

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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c) Exkurs: Öffentliche Aussagen des Unternehmers als Angebot? Eine von der Bindungswirkung vorvertraglicher Erklärungen zu unterscheidende Frage ist, ob Angaben des Unternehmers, die an die Allgemeinheit gerichtet sind, zugleich ein bindendes Angebot darstellen. Dann könnte sich der Verbraucher auf die vorvertraglichen Informationen nicht nur verlassen, wenn ein Vertrag zustande kommt, sondern den Vertrag durch bloße Annahme zustande bringen. Diesem Modell folgen sowohl die PECL als auch der DCFR.639 Der Vorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht ging demgegenüber einen anderen Weg. Nach 31 (3) DCESL stellt ein an die Allgemeinheit gerichteter Vorschlag grundsätzlich kein Angebot dar, es sei denn, aus den Umständen ergibt sich etwas anderes.640 Diese Lösung ist im Ergebnis vorzugswürdig.641 Anderenfalls wäre der Unternehmer einem Kontrahierungszwang unterworfen, der seine Entscheidungsfreiheit in unzulässiger Weise einschränkt. Die in den PECL und im DCFR aufgestellte Regel führt zudem zur Rechtsunsicherheit, wenn mehrere Annahmeerklärungen von Verbrauchern gleichzeitig eingehen, der Vorrat aber nicht für alle reicht.642 Das geltende Sekundärrecht trifft demgegenüber – mit Ausnahme von Garantieerklärungen (Art. 6 Abs. 1 KaufRL 99/44) – überhaupt keine Vorgaben zur Frage, ob an die Öffentlichkeit gerichtete Informationen als bindende Angebote zu behandeln sind.643 Da der Vertragsschluss nicht harmonisiert worden ist, können die Mitgliedstaaten frei entscheiden, ob vorvertragliche Informationen als Angebote zu werten sind oder erst nach erfolgtem Vertragsschluss Vertragsbestandteil werden.644 Dem effet utile lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen, denn der Zweck der betreffenden Richtlinien liegt, wie Riesenhuber645 zu Recht betont, nicht darin, einen Vertrag mit einem bestimmten Inhalt zustande zu bringen, sondern dafür zu sorgen, dass die aufgrund vorvertraglicher Äußerungen geweckten Erwartungen nicht enttäuscht werden, wenn der Vertrag zustande kommt. 4. Anspruch auf Information? Stellt ein Unternehmer die vorgeschriebenen Informationen nicht zur Verfügung oder macht er falsche Angaben, fragt sich, ob der Verbraucher die Übermittlung (richtiger) Pflichtangaben im Wege der Leistungsklage erzwingen kann. Dabei ist zwischen der Phase vor und nach Vertragsschluss zu unterscheiden.

639   Nach Art. 2:201 (3) PECL und Art. II.-4:201 (3) DCFR wird ein Vorschlag zur Lieferung von Waren oder zur Leistung von Diensten zu festgesetzten Preisen, den ein Unternehmer in einer öffentlichen Anzeige oder in einem Katalog oder durch eine Auslage von Waren unterbreitet, im Zweifel als Angebot zum Verkauf oder zur Leistung zu diesem Preis behandelt, bis der Vorrat an Waren oder die Kapazität des Unternehmers zur Leistung der Dienste erschöpft ist. 640   Ähnlich stellt Art. 14 (2) CISG die Regel auf, dass ein Vorschlag, der nicht an eine oder mehrere bestimmte Personen gerichtet ist, nur als Aufforderung zur Abgabe eines Angebots zu verstehen ist, wenn nicht die Person, die den Vorschlag macht, das Gegenteil deutlich zum Ausdruck bringt. 641   Kritisch dagegen Schulze/Terryn, Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 31 Rn. 10. 642   Im Einzelnen Köhler, in: Basedow (Hrsg.), Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000, S. 33, 36 ff. 643   Art. 4:103 ACQP ist daher als „grey rule“ formuliert worden. 644   So auch Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 369 ff. Tendenziell anders Lienhard, Der asymmetrisch standardisierte Vertragsschluss im EG‑Privatrecht, 2004, S. 159 f. 645   Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 370.

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§ 10  Verbraucherrecht

Im vorvertraglichen Stadium billigen die betreffenden Richtlinien dem Verbraucher keinen Erfüllungsanspruch auf Übermittlung der Pflichtangaben zu.646 Da der Verbraucher keinen Anspruch auf Abschluss eines Vertrages hat, sind auch die Informationspflichten in der vorvertraglichen Phase nicht einklagbar. Nach Abschluss des Vertrages geben demgegenüber viele Richtlinien dem Verbraucher einen Anspruch auf nachträgliche Erfüllung der Informationspflichten und Übersendung der AGB.647 Durch die nachvertragliche Übermittlung der Informationen soll sichergestellt werden, dass der Verbraucher die notwendigen Informationen erhält, die zur korrekten Ausführung des Vertrags erforderlich sind.648 Der Verbraucher soll die Möglichkeit erhalten, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, welche Bedingungen für seinen Vertrag gelten und in die Lage versetzt werden, seine Rechte effektiv ausüben zu können. Die Verpflichtung zur nachträglichen Übermittlung der Verbraucherinformationen ist daher keine bloße Obliegenheit, sondern eine Nebenleistungspflicht, die vom Verbraucher ggf. im Wege der Leistungsklage durchgesetzt werden kann.649 5. Vertragslösungsrechte a) Begründung eines ungeschriebenen unionalen Vertragslösungsrechts? Im acquis communautaire finden sich derzeit keine Rechtsakte, die dem Verbraucher bei einem Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten ein Vertragslösungsrecht einräumen. Zwar kann sich ein Vertragslösungsrecht aus der KaufRL 99/44 ergeben. Entspricht die verkaufte Ware nicht den vorvertraglichen Informationen des Verkäufers oder weicht sie von der Normalbeschaffenheit ab, ohne dass der Verkäufer vor Vertragsschluss darauf hingewiesen hat, kann der Verbraucher nach Art. 3 Abs. 5 – 6 KaufRL 99/44 vom Vertrag zurücktreten, sofern Nacherfüllungsansprüche ausscheiden und die Vertragswidrigkeit nicht geringfügig ist. Diese Rechtsfolge ist jedoch keine Sanktion für unterlassene oder unzutreffende Informationen. Die zur Mängelgewährleistung führende Pflichtverletzung liegt nicht im Informationspflichtenverstoß, sondern vielmehr in der Lieferung der mangelhaften Ware.650 Ein Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten kann darüber hinaus zur Verlängerung von Widerrufsfristen führen.651 Daraus kann jedoch kein allgemeiner Rechtsgrundsatz abgeleitet werden, dass der Unionsgesetzgeber ein generelles Recht 646   Wie hier Magnus, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis communautaire, 2003, S. 291, 308; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 219 f.; zur TSRL MüKo/Franzen, BGB, 7. Aufl., 2016, § 482 BGB Rn. 3. A. A. Dauses/Micklitz/Rott, EU‑WirtschaftsR, 34. EL, 2013, H.V., Rn. 185: Subjektives Recht auf Information entsteht, sobald der Kontakt zwischen Verbraucher und Unternehmer hergestellt ist. 647   Vgl. nur Art. 8 Abs. 7 VRRL 2011/83; Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 FDL-FARL 2002/65; Art. 5 Abs. 3 VerbrKrRL 2008/48; Art. 13 Abs. 1 Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. 648   So ErwGr (13) FARL 97/7. 649   Wie hier Riesenhuber, in: FS Bezzenberger, 2000, S. 721 ff.; MüKo/Wendehorst, BGB, 6. Aufl., 2012, § 312c BGB Rn. 146. Für den E‑Commerce vgl. BT‑Drucks. 14/6040, S. 173. Unklar dagegen die Regierungsbegründung zu § 312 f BGB, die nur Schadensersatzansprüche und Rücktrittsrechte erwähnt; BT‑Drucks. 17/12637, S. 55. 650   Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1113, 1126. Die ACQP und der DCFR deuten das Gewährleistungsrecht dagegen in eine vorvertragliche Aufklärungspflicht um und sehen dementsprechend die Veränderung des Vertragsinhalts als „remedy“ an. 651   Im Einzelnen infra, § 10 E.II.1.c.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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zur Beseitigung von Verträgen für jeglichen Verstoß gegen Informationspflichten schaffen wollte.652 Bei der Fristverlängerung steht weniger die Vertragsaufhebung als solche, sondern der Gesichtspunkt der Fristverlängerung im Vordergrund. Das Beseitigungsrecht selbst folgt demgegenüber aus dem Widerrufsrecht. Dieses wird im Unionsrecht jedoch nicht generell gewährt, sondern nur in besonderen Vertragsabschlusssituationen oder bei speziellen Vertragsarten.653 Daneben sprechen grundsätzliche Überlegungen gegen die Einräumung eines Vertragslösungsrechts bei sämtlichen Informationspflichtverstößen. Da die Rückabwicklung eines Vertrages das Prinzip pacta sunt servanda durchbricht und aus ökonomischer Sicht zudem mit besonders hohem Aufwand verbunden sein kann, ist ein Beseitigungsrecht nur gerechtfertigt, wenn die mangelnde oder unzutreffende Weitergabe von Informationen eine schwerwiegende Willensstörung verursacht, die die konkrete Vertragsentscheidung beeinflusst hat oder typischerweise wesentlich beeinflusst.654 Viele der im Unionsrecht normierten Informationspflichten wirken sich indessen von vornherein überhaupt nicht auf die Entscheidung des Verbrauchers über den Vertrag aus. Dies betrifft z. B. Anbieterkennzeichnungspflichten, mit Ausnahme der Identität des Unternehmers, da diese für den Vertragsabschluss entscheidend sein kann; zusätzlich anfallende Kosten, soweit sich diese im üblichen Rahmen bewegen; Informationen zum Rechtsweg, denn diese Informationen werden i. d. R. nur für die Rechtsverfolgung relevant; aber auch den Fall, dass die überlieferte Information nur geringfügige Ungenauigkeiten aufweist. In all diesen Fällen gibt es keinen Grund, dem Verbraucher ein Vertragslösungsrecht zu gewähren. Soweit die betreffenden Informationen für den Verbraucher typischerweise entscheidungserheblich sind, ist demgegenüber zu fragen, ob das Unionsrecht die Einräumung eines Vertragslösungsrechts verlangt. Dafür spricht vor allem das Prinzip effektiven Rechtsschutzes. Da Informationspflichten eine individualschützende Funktion aufweisen und der einzelne Verbraucher von einer Rechtsverletzung bei Abschluss des Vertrags direkt betroffen ist, begründen die Informationspflichten individuelle Rechte des Einzelnen.655 Es wäre daher nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn Anfechtungsrechte oder sonstige Vertragslösungsrechte im mitgliedstaatlichen Recht pauschal ausgeschlossen werden.656 Dieses Problem dürfte sich in der Praxis aber nur selten stellen. In den meisten Mitgliedstaaten kann ein Vertrag nämlich bei Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten wegen Irrtums oder Täuschung angefochten oder durch Anwendung sonstiger Rechtsinstitute (wie z. B. der culpa in contrahendo) rückgängig gemacht werden. Diese Regeln bilden gleichsam die Folie für die im Unionsrecht normierten vorvertraglichen Informationspflichten. Der acquis communautaire setzt die Möglichkeit eines Vertragslösungsrechts als notwendige Bedingung voraus, damit die betroffenen Verbraucher bei schwerwiegenden, 652   Wilhelmsson, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis communautaire, 2003, S. 245, 253. 653   Im Einzelnen infra, § 10 E.I.2. 654   Grigoleit, WM 2001, 597, 598 f.; ders., in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 223, 254 ff.; Micklitz/Ebers, VersR 2002, 641, 645 f.; Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2002, § 312c BGB Rn. 135 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, Praxiskommentar zum neuen VVG, 2. Aufl., 2010, § 7 Rn. 61. 655   Näher zum Kriterium der tatsächlichen Betroffenheit in einem geschützten Rechtsgut bei Ermittlung der Unionsrechte supra, § 3 E.V.3.d.bb. 656   Im Ergebnis auch Kramer, ZEuP 2007, 247, 254.

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§ 10  Verbraucherrecht

durch einen Informationspflichtenverstoß verursachten Willensstörungen vom Vertrag Abstand nehmen können.657 Im Einzelnen divergieren die in den Mitgliedstaaten zu findenden Anfechtungsrechte und sonstigen Vertragslösungsrechte allerdings erheblich. Auf dem Gebiet des Irrtumsrechts gibt es bislang keinen common core, der für die Herausbildung gemeinsamer Rechtsgrundsätze herangezogen werden könnte.658 Wohl unterliegen die mitgliedstaatlichen Anfechtungsrechte und sonstigen Vertragslösungsrechte aber einer Kontrolle darüber, ob sie dem Gebot „wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionierung“ entsprechen bzw. – soweit man wie hier in den Informationspflichten subjektive Rechte sieht – die Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Informationsrechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Darüber hinaus ist das Äquivalenzgebot zu beachten:659 Soweit Verträge nach rein innerstaatlichem Recht bei einem Informationspflichtenverstoß angefochten oder aufgehoben werden können, muss diese Möglichkeit auch bei Verletzung unionsrechtlich determinierter Informationspflichten gewährt werden. b) Sperrwirkung der Widerrufsregeln? Ungeklärt ist, ob Widerrufsrechte eine Sperrwirkung gegenüber anderen Vertragslösungsrechten entfalten. Im deutschen Schrifttum wird diese Frage vor allem für Ansprüche aus culpa in contrahendo (§§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB) diskutiert, die zur schadensrechtlichen Vertragsaufhebung führen können.660 Nach wohl vorherrschender Ansicht sind die Widerrufsregeln als abschließende Spezialregelung zu verstehen.661 Es wäre widersprüchlich, so wird argumentiert, wenn der Verbraucher den Vertrag nach Ablauf der Widerrufsfrist noch im Wege der culpa in contrahendo aufheben könnte. Wirke sich der Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten auf die Widerrufsfrist aus, dürfe diese Entscheidung nicht durch andere Lösungsrechte umgangen werden. Zum Teil wird eine Sperrwirkung der Widerrufsregeln sogar dann bejaht, wenn von vornherein kein Widerrufsrecht besteht, weil dieses für die konkrete Vertragsform nicht vorgesehen ist oder weil in der betreffenden Konstellation eine Ausnahmeregelung greift.662 Dieser Ansicht ist entgegenzuhalten, dass Widerrufsrechte die Rechtsstellung des Verbrauchers verbessern, nicht aber verschlechtern sollen.663 Der deutsche Gesetzgeber hat bei Umsetzung verbraucherschützender Richtlinien zum Teil ausdrück657   In diese Richtung auch DCFR, Full Edition, Vol. 1, 2009, Introduction 59, S. 23: „Thus general principles on mistake, fraud and provision of incorrect information form essential background to the consumer acquis on pre-contractual information.“ 658   Kramer, ZEuP 2007, 247 f.; Fabre-Magnan/Sefton-Green, in: Hartkamp/Hesselink/Hondius et al. (Hrsg.), Towards a European Civil Code, 3. Aufl, 2004, S. 399, 400 ff., 410 f.; Jansen/Zimmermann, AcP 210 (2010), 196, 229 ff.; Martens, AcP 211 (2011), 845, 854. 659   Allgemein zum Äquivalenzgebot supra, § 4 D. 660   Dazu sogleich, infra, § 10 D.IV.5.c.bb. 661  Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., 2016, EGBGB Einf. v. 238 Rn. 11; Hoffmann, ZIP 2005, 829, 837; Beck OK/Schmidt-Räntsch, Ed. 32, 2011, § 312c Rn. 37. Vgl. auch Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S. 1079 f. A. A. Angermann, Informationspflichten, 2010, S. 260 f.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 217; Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2002, § 312c BGB Rn. 131 ff.; Rott, BB 2005, 53, 59. 662   Hoffmann, ZIP 2005, 829, 837. 663   Kocher, ZEuP 2006, 785, 795.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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lich darauf verwiesen, dass bei einem Informationspflichtenverstoß Ansprüche aus culpa in contrahendo in Betracht kommen.664 Darüber hinaus ist zu bezweifeln, ob die Widerrufsregeln für sich allein genommen überhaupt eine wirksame und abschreckende Sanktionierung bei Informationspflichtverstößen gewährleisten können. Die bloße Verlängerung der Widerrufsfrist trägt diesem Gebot nicht ausreichend Rechnung, denn diese Sanktion greift nicht bei Verträgen, bei denen das Widerrufsrecht ausgeschlossen ist, gleichwohl aber Informationspflichten zu erfüllen sind. Schließlich ist zu bedenken, dass Widerrufsrechte und Ansprüche aus culpa in contrahendo eine unterschiedliche Schutzwirkung aufweisen und sich auch in ihren Voraussetzungen grundsätzlich voneinander unterscheiden. Während das Widerrufsrecht dem Verbraucher eine Bedenkzeit gewähren soll, innerhalb derer die Entscheidung für den Abschluss eines Vertrags ohne Angabe von Gründen rückgängig gemacht werden kann, basiert die culpa in contrahendo auf der schuldhaften Verletzung vorvertraglicher Pflichten. Beide Rechtsinstitute kommen deswegen nur bei bestimmten Pflichtangaben zur Deckung. Nach richtiger Ansicht ist daher wie folgt zu unterscheiden: – Soweit es um die Verletzung von Widerrufsbelehrungspflichten geht, ist für eine Vertragsauflösung wegen vorvertraglichen Verschuldens in der Tat kein Raum.665 Derartige Belehrungspflichten dienen allein dem Zweck, dem Verbraucher in effektiver Weise die Ausübung des Widerrufsrechts zu ermöglichen. Die Sanktionierung durch den Nichtbeginn der Widerrufsfrist ist daher eine abschließende Rechtsfolge, die durch eine Vertragsaufhebung nach culpa in contrahendo nicht unterlaufen werden darf.666 – Hiervon zu unterscheiden ist die Verletzung sonstiger Informationspflichten, die für den Verbraucher typischerweise entscheidungserheblich sind. Da derartige Informationspflichten nicht akzessorisch der Absicherung des Widerrufsrechts, sondern ganz allgemein der Sicherung der informationellen Entscheidungsgrundlage dienen, kann die Verlängerung der Widerrufsfrist als Rechtsfolge keine abschließende Wirkung entfalten.667 Ob Gleiches auch bei vollharmonisierten Widerrufsrechten gilt, ist fraglich. Dann nämlich ist der betreffenden Richtlinie die negative Vorgabe zu entnehmen, dass dem Verbraucher keine Vertragslösungsrechte eingeräumt werden dürfen, die das Ziel der Vollharmonisierung konterkarieren.668 Das Konzept der Vollharmonisierung will nicht nur den Interessen der Verbraucher, sondern auch den Belangen der grenzüberschreitend agierenden Anbieter Rechnung tragen. Unternehmer sollen in die Lage 664   Vgl. die Regierungsbegründung zu § 312e BGB a. F. (jetzt § 312i BGB), BT‑Drucks. 14/6040, S. 173; sowie die Regierungsbegründung zu § 312d BGB n. F., BT‑Drucks. 17/12637, S. 54. Siehe auch die Regierungsbegründung zum TzWrG, die mehrfach betont, dass andere Rechtsinstitute durch das Widerrufsrecht unberührt bleiben sollen, BT‑Drucks. 13/4185, S. 11 ff. 665   Wie hier Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, 2007, S. 716 f. 666   Schadensersatzansprüche nach culpa in contrahendo wegen eines Verstoßes gegen Widerrufsbelehrungspflichten bleiben demgegenüber möglich. Denn insoweit geht es nicht um das (durch den Nichtbeginn der Widerrufsfrist abschließend geschützte) Vertragslösungsinteresse des Verbrauchers, sondern um die Verursachung sonstiger Schäden, die nach den Vorgaben von EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte), ersatzfähig sein müssen; hierzu infra, § 10 D.IV.6.a. 667   Im Ergebnis auch Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, 2007, S. 718 f. 668   Zur Vollharmonisierung von Rechtsfolgen bereits supra, § 4 C.II.4.

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§ 10  Verbraucherrecht

versetzt werden, überall in der Europäischen Union ihre Waren und Dienstleistungen zu denselben (rechtlichen) Wettbewerbsbedingungen anbieten zu können.669 Dies kann nur erreicht werden, wenn die in der Richtlinie enthaltenen Rechtsbehelfe und Sanktionen im gesamten Binnenmarkt in gleicher Weise Anwendung finden. Unternehmer müssen sich daher bei vollharmonisierten Widerrufsrechten darauf verlassen können, dass nach Ablauf der Widerrufsfrist eine einseitige, voraussetzungslose Auflösung des Vertrags nicht mehr möglich ist.670 Die deutsche Umsetzung der VerbrKrRL 2008/48, wonach die Widerrufsfrist nicht – wie in der Richtlinie vorgesehen – vierzehn Tage, sondern bei unterlassener Widerrufsbelehrung einen ganzen Monat betrug,671 war daher mit dem von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie verfolgten Anliegen, die Widerrufsfrist unionsweit zu vereinheitlichen, unvereinbar.672 Aus der Vollharmonisierung folgt andererseits keine generelle Sperrwirkung gegenüber sämtlichen Vertragslösungsrechten. Vollharmonisierende Richtlinien folgen im Verbraucherrecht durchgängig dem Modell der „targeted (full) harmonisation“.673 Während die meisten Verhaltenspflichten vollständig harmonisiert sind, werden die Rechtsbehelfe und Sanktionen nur zum Teil und gerade nicht abschließend geregelt. Die betreffenden Richtlinien bringen dies regelmäßig durch den Hinweis zum Ausdruck, dass die Mitgliedstaaten – über die in der Richtlinie geregelten Rechtsfolgen hinaus – „angemessene und wirksame Mittel“ zur Verfügung stellen bzw. Verstöße „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sanktionieren müssen.674 Eine Vollharmonisierung der Widerrufsrechte und insbesondere Widerrufsfristen schließt daher keinesfalls aus, dass die Mitgliedstaaten dem Verbraucher weitere Vertragslösungsrechte einräumen, soweit diese nicht an die Verletzung von Widerrufsbelehrungspflichten anknüpfen, sondern an sonstige Störungen im vorvertraglichen Willensbildungsprozess. c) Vertragslösungsrechte im deutschen Recht Im deutschen Recht kommen bei einem Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten sowohl Anfechtungsrechte als auch ein auf Vertragsaufhebung gerichteter Anspruch aus culpa in contrahendo in Betracht. aa) Anfechtungsrechte Anfechtungsrechte nach §§ 119 ff. BGB werden nur in seltenen Fällen bestehen. Wird der Verbraucher unrichtig oder überhaupt nicht informiert, unterliegt er in aller Regel weder einem Inhalts- noch einem Erklärungsirrtum i. S. d. § 119 Abs. 1 BGB.675 Etwas anderes gilt, wenn vorvertragliche Informationspflichten ausnahmsweise darauf abzielen, Fehler bei der Willensäußerung zu vermeiden. Wird der Verbraucher beispielsweise nicht – wie in Art. 10 Abs. 1 lit. c ECRL 2000/31 und § 312i Abs. 1 669

  Zum Konzept der Vollharmonisierung im Verbraucherrecht supra, § 10 B.III.3.   Riehm, JZ 2006, 1035, 1042. 671   § 355 Abs. 2 S. 3 i. V. m. § 495 Abs. 2 Nr. 1 BGB a. F. 672   So die Regierungsbegründung zu § 495 Abs. 2 BGB n. F., BT‑Drucks. 17/1394, S. 19. 673   Zu diesem Konzept supra, § 4 C.II.4. 674   Vgl. Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 S. 2 VRRL 2011/83; Art. 13 Abs. 1 FDL-FARL 2002/65; Art. 13 Abs. 1, Art. 15 TSRL 2008/122; Art. 23 VerbrKrRL 2008/48. 675   Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2002, § 312c Rn. 127. 670

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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S. 1 Nr. 2 BGB i. V. m. Art. 246c Nr. 3 EGBGB vorgesehen – über die verfügbaren technischen Mittel zur Erkennung und Berichtigung von Eingabefehlern informiert, so liegt ein Erklärungsirrtum vor, wenn dem Verbraucher infolgedessen bei der Ausfüllung des Bestellformulars ein Fehler unterläuft.676 Denkbar ist auch, dass der Verbraucher aufgrund eines Informationspflichtverstoßes eine Willenserklärung abgibt, obwohl er überhaupt keine abgeben wollte, so beispielsweise, wenn er nicht – wie in Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 – 2 VRRL 2011/83 und § 312j Abs. 3 BGB vorgesehen – vor Abgabe seiner Bestellung darauf hingewiesen wird, dass die Bestellung mit einer Zahlungsverpflichtung verbunden ist. Für diesen Fall mangelnden Erklärungsbewusstseins sieht Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 S. 3 VRRL 2011/83 nunmehr eine Sonderregel vor, die gegenüber möglichen Anfechtungsrechten als lex specialis zu beachten ist: Der Verbraucher wird nicht an den Vertrag oder die Bestellung gebunden.677 Auch eine Anfechtung wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft gem. § 119 Abs. 2 BGB wird regelmäßig ausscheiden. Zwar beziehen sich viele Informationspflichten auf verkehrswesentliche Eigenschaften der Ware oder Dienstleistung.678 Eine unterlassene oder unrichtige Aufklärung beeinflusst jedoch in aller Regel den Vertragsinhalt zu Gunsten des Verbrauchers, so dass eine hiervon abweichende Leistung Gewährleistungsrechte nach den §§ 434 ff. oder §§ 634 ff. BGB auslöst,679 die das Anfechtungsrecht aus § 119 Abs. 2 BGB verdrängen.680 Besteht ausnahmsweise doch ein Anfechtungsrecht des Verbrauchers nach § 119 BGB, stellt sich die Frage, ob der Unternehmer Ersatz des Vertrauensschadens nach § 122 Abs. 2 BGB verlangen kann. Dies wird im Schrifttum zu Recht abgelehnt. Zum einen greift die Ausschlussregel des § 122 Abs. 2 BGB, wenn der Unternehmer die Anfechtbarkeit aufgrund des Informationspflichtverstoßes hätte kennen müssen.681 Zum anderen ist der Schadensersatzanspruch des Unternehmers jedenfalls nach § 242 BGB wegen widersprüchlichen Verhaltens ausgeschlossen, da der Unternehmer den Irrtum pflichtwidrig hervorgerufen hat.682 Theoretisch denkbar ist schließlich eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB. Die Hürden dafür liegen allerdings sehr hoch, da für einen Täuschungsvorsatz zumindest ein bedingter Vorsatz des Unternehmers vorliegen muss und die Rechtsprechung in ständiger Spruchpraxis darauf achtet, dass die Grenze zur groben Fahrlässigkeit nicht verwischt wird.683

676   Boente/Riehm, Jura 2002, 222, 228; Dörner, AcP 202 (2002), 363, 380; Grigoleit, WM 2001, 597, 601; Staudinger/Thüsing, 2012, § 312g BGB Rn. 79. Umstritten ist, ob der Informationspflichtenverstoß ursächlich für den Eingabefehler gewesen sein muss; so Grigoleit, a. a. O. Dagegen spricht, dass die ECRL 2000/31 dem Verbraucher unabhängig davon eine Korrekturmöglichkeit einräumen will, ob der Eingabefehler seinen Willensbildungsprozess beeinflusst hat oder nicht, solange nur ein „Eingabefehler“ vorliegt; Micklitz/Ebers, VersR 2002, 641, 645 f. 677   Zu dieser Rechtsfolge und der (missglückten) deutschen Umsetzungsnorm (§ 312j Abs. 4 BGB) vgl. supra, § 10 D.IV.2.b. 678   Zu den Produktbeschreibungspflichten supra, § 10 D.II.3. 679  Hierzu supra, §  10 D.IV.3.a. – b. 680   Vgl. BGH, NJW-RR 2008, 222, 223. 681  So Glatt, ZUM 2001, 390, 395; für analoge Anwendung des § 122 Abs. 2 BGB (allerdings nur bei Eingabefehlern eines Nicht-Verbrauchers) Dörner, AcP 202 (2002), 363, 382. 682   BT‑Drucks. 14/6040, S. 173; Boente/Riehm, Jura 2002, 222, 228; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., 2016, EGBGB Einf. v. 238 Rn. 4; Staudinger/Thüsing, 2012, § 312 g BGB Rn. 82. 683   Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 334 m. w. N.

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§ 10  Verbraucherrecht

Insgesamt betrachtet zieht die Verletzung von Informationspflichten daher nur in Ausnahmefällen ein Anfechtungsrecht gem. §§ 119, 123 BGB nach sich. Das Irrtumsrecht ist demzufolge bei den meisten Informationspflichtverstößen nicht geeignet, für eine effektive Sanktionierung zu sorgen.684 bb) Culpa in contrahendo Abhilfe könnte eine Vertragsaufhebung über die Regeln der culpa in contrahendo schaffen. Nach ständiger Rechtsprechung kommt bei einem zumindest fahrlässigen Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB in Betracht, der dem Informa­tions­ empfänger unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Aufhebung des Vertrags im Wege der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) ermöglicht.685 Das Erfordernis einer fahrlässigen Pflichtverletzung dürfte zumeist vorliegen. Die im Verbraucherrecht besonders normierten Informationspflichten sind als Nebenpflichten einzustufen, die das vorvertragliche Pflichtenprogramm des § 311 Abs. 2 BGB konkretisieren.686 Ein Verstoß ist in aller Regel vom Unternehmer nach § 276 BGB zu vertreten.687 Da der Umfang vorvertraglicher Informationspflichten im Verbraucherrecht gesetzlich normiert ist und von Gewerbetreibenden eine umfassende Kenntnis der Normen bzgl. des eigenen Tätigkeitsbereichs verlangt wird,688 ist für einen Rechtsirrtum zumeist kein Raum.689 Problematisch ist demgegenüber das Vorliegen eines Schadens. Der BGH verlangt für die Vertragsaufhebung, dass der falsch oder nicht informierte Vertragspartner einen Vermögensschaden erlitten hat.690 Eine vordringende Literaturmeinung betont demgegenüber, dass bereits die Eingehung eines Vertrags als Schaden anzusehen ist.691 Für diese Ansicht spricht vor allem der Schutzzweck vorvertraglicher Informationspflichten, an dem sich auch die Rechtsfolgen auszurichten haben. Da vorvertragliche Informationspflichten darauf abzielen, eine störungsfreie Willensbildung zu ermöglichen, ist bereits der Abschluss eines „unerwünschten“ Vertrags als (immaterieller) Schaden anzusehen, der nach § 249 Abs. 1 BGB im Wege der Naturalrestitution einen Anspruch auf Vertragsaufhebung begründet. Im Ergebnis hat sich auch der BGH dieser Ansicht angenähert. Denn nach nunmehr ständiger Rechtsprechung kann selbst bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung ein Vermögensschaden 684   So auch Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2002, § 312c BGB Rn. 127; Angermann, Informationspflichten, 2010, S. 231. 685   Ständige Rechtsprechung seit BGH, NJW 1962, 1196, 1198 f. (Kreissägefall). 686   Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1155; Kroll-Ludwigs, ZEuP 2010, 509, 518; vgl. auch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 436. 687   Zur Frage, ob ein nationaler Schadensersatzanspruch bei Informationspflichtverstößen überhaupt verschuldensabhängig ausgestaltet werden darf, infra, § 10 D.IV.6.a. 688  Staudinger/Caspers, 2014, § 276 BGB Rn. 56; MüKo/Grundmann, BGB, 7. Aufl., 2016, § 276 BGB Rn. 73. 689   Hoffmann, ZIP 2005, 829, 837 m. w. N.; im Ergebnis auch (für Widerrufsbelehrungspflichten) Schwintowski, EuZW 2006, 725, 726. 690   BGHZ 115, 213, 221 = NJW 1992, 228, 230 f.; BGH, NJW 1998, 302, 304; NJW 2000, 1254, 1256. 691   St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 67 ff. und 387 ff.; Wiedemann, JZ 1998, 1176 f.; Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 111 ff. Andere befürworten eine gesetzeskorrigierende Rechtsfortbildung des § 123 BGB und plädieren dafür, ein Anfechtungsrecht auch bei fahrlässiger vorvertraglicher Irreführung zu gewähren; so Grigoleit, NJW 1999, 900, 902 f.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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bereits im Vertragsschluss liegen, wenn die Leistung für die Zwecke des Kunden nicht voll brauchbar ist.692 An einem unerwünschten Vertrag (und erst recht an einem subjektiven Vermögensschaden) fehlt es, wenn der Informationspflichtenverstoß nach den bereits erörterten Grundsätzen zur Folge hat, dass ein Vertrag zustande kommt, der für den Verbraucher günstig ist. Wird der Verbraucher von vornherein nicht an ungünstige Vertragsbedingungen bei Verletzung hierauf bezogener Pflichtinformationen gebunden693 oder muss der Unternehmer für „unzutreffende“ Informationen einstehen,694 ist eine Vertragsaufhebung nach culpa in contrahendo grundsätzlich ausgeschlossen.695 Auch das Bestehen eines Widerrufsrechts kann Ansprüche aus c.i.c. abschneiden. Zwar entfalten die Widerrufsregeln bei entscheidungserheblichen Informationen, die nicht die Widerrufsbelehrungspflicht betreffen, keine Sperrwirkung; eine Vertragsaufhebung wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung kommt insbesondere in Betracht, wenn die Widerrufsfrist abgelaufen ist oder wenn das Widerrufsrecht aus anderen Gründen ausgeschlossen ist.696 Solange sich der Verbraucher vom Vertrag durch Widerruf noch lösen kann, ist jedoch das Vorliegen eines Schadens abzulehnen.697 Voraussetzung für einen Anspruch auf Vertragsaufhebung ist schließlich, dass die schuldhaft nicht oder falsch erteilte Information Einfluss auf die Willensentscheidung des Verbrauchers und damit den Vertragsschluss hatte und der Vertrag bei korrekter Aufklärung nicht oder nicht so geschlossen worden wäre. Dieses Kausalitätserfordernis bereitet in der Praxis erhebliche Probleme. In aller Regel kann nicht festgestellt werden, wie sich der Verbraucher bei ordnungsgemäßer Information verhalten hätte. Häufig bleibt unklar, ob es zum Abschluss desselben Vertrags, zum Abschluss eines anderen Vertrags mit demselben Unternehmer oder einem Dritten oder überhaupt nicht zu einem Vertragsabschluss gekommen wäre. Die Rechtsprechung behilft sich daher bei herkömmlichen Aufklärungspflichten mit einer Beweislastumkehr. Danach besteht im Regelfall eine Vermutung für die Kausalität zwischen der Aufklärungspflichtverletzung und dem Vertragsschluss. Folglich muss der Aufklärungspflichtige nachweisen, dass der andere Teil auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung denselben Vertrag abgeschlossen hätte.698 Ob die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens auch bei Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten greift, wird unterschiedlich beurteilt. Der BGH hat in den Schrottimmobilienfällen die Anwendung einer Kausalitätsvermutung abgelehnt.699 In diesen Fällen ging es allerdings nur um die Verletzung von Widerrufsbelehrungspflichten, nicht jedoch um den Verstoß gegen sonstige Informationspflichten. Im Schrifttum wird ein Rückgriff auf die Kausalitätsvermutung z. T. mit dem 692

  BGH, NJW 1998, 302, 304; NJW 2005, 1579, 1580.  Hierzu supra, § 10 D.IV.3.a. 694  Hierzu supra, § 10 D.IV.3.b. 695   Vgl. hierzu die Überlegungen von Grigoleit, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss, 2003, S. 201, 225. 696  Hierzu supra, § 10 D.IV.5.b. 697   Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2003, S. 217; Staudinger/Thüsing, 2012, § 312c BGB Rn. 105; wohl auch MüKo/Wendehorst, BGB, 6. Aufl., 2012, § 312c Rn. 76 m. w. N. 698   BGHZ 61, 118, 120 ff. = NJW 1973, 1688 f.; ferner BGH, NJW 1998, 302, 303; NJW 2007, 3057, 3060, Rn. 39. 699   BGHZ 169, 109, 121 f. = NJW 2007, 357, 360, Rn. 43; NZG 2008, 378, 381, Rn. 34. Dazu ausführlich infra, § 10 D.IV.6.a. 693

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§ 10  Verbraucherrecht

Argument abgelehnt, dass die unionsrechtlichen Aufklärungspflichten eine Vielzahl verhältnismäßig peripherer Aspekte beträfen, deren mangelnde Weitergabe grundsätzlich nicht zu einer schwerwiegenden Willensstörung führe.700 Die pauschale Versagung von Beweiserleichterungen lässt sich indessen nicht mit dem Effektivitätsgebot vereinbaren.701 Ohne Beweiserleichterungen könnten die Informationspflichten nicht wirksam durchgesetzt werden, da Ansprüche aus culpa in contrahendo regelmäßig am Kausalitätsnachweis scheiterten. Zwar kann nicht jeder Verstoß gegen verbraucherschützende Informationspflichten zu einem Recht auf Vertragsauflösung führen. Denn viele der unionsrechtlich geforderten Informationen wirken erkennbar nicht auf den vorvertraglichen Willensbildungsprozess ein.702 Eine Vertragsaufhebung ist daher nicht gerechtfertigt, wenn sich der Pflichtverstoß auf unwesentliche Pflichtangaben bezieht.703 Etwas anderes gilt demgegenüber für Pflichtangaben, die für den Verbraucher typischerweise entscheidungserheblich sind. Bei diesen muss die von der Rechtsprechung entwickelte Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens greifen, um dem Schutzzweck der Informationspflichten und dem Effektivitätsgebot Rechnung zu tragen. d) Vertragslösungsrechte im DCFR Der akademische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen normiert im Unterschied zu den ACQP704 ein Anfechtungsrecht wegen Irrtums (Art. II.-7:201  (1) (b) (iii) DCFR)705 und arglistiger Täuschung (Art. II.-7:205 (1) DCFR). Der bei einer Informationspflichtverletzung ebenfalls in Betracht kommende Schadensersatzanspruch (Art. II.-3:109 (3) DCFR) wird demgegenüber auf Geldersatz beschränkt,706 so dass – anders als im deutschen Recht – keine Aufhebung des Vertrags im Wege der Naturalrestitution verlangt werden kann. Der Verstoß gegen Informationspflichten begründet für sich genommen noch kein Anfechtungsrecht wegen Irrtums. Ein solches besteht nach Art. II.-7:201 (1) (a) DCFR erst dann, wenn der Anfechtende, wäre er dem Irrtum nicht unterlegen, den Vertrag nicht oder nur mit grundlegend (fundamental) anderen Vertragsbestimmungen geschlossen hätte, und die andere Partei dies wusste oder hätte wissen müssen. Den Erläuterungen zum DCFR707 lässt sich entnehmen, dass es nicht ausreicht, wenn sich 700   Grigoleit, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 223, 255 f.; BeckOK BGB/Schmidt-Räntsch, Ed. 32, 2011, § 312c Rn. 37. 701   Nach der EuGH-Rechtsprechung müssen Beweiserleichterungen gewährt werden, wenn das nationale Recht mit seiner Beweislastverteilung die Durchsetzung der durch das Unionsrecht gewährten Rechte übermäßig erschwert; vgl. EuGH, Rs. C‑526/04 (Laboratoires Boiron) Rn. 50 ff. 702  Hierzu supra, § 10 D.IV.5.a. 703   In diese Richtung auch BT‑Drucks. 14/6040, S. 173. 704   Die Acquis Principles sehen bei einem Informationspflichtenverstoß keine Anfechtungsrechte, sondern nur einen Schadensersatzanspruch vor (Art. 2:208 (2) ACQP), der nicht auf Naturalrestitution gerichtet, sondern auf die Zahlung eines Geldbetrages beschränkt ist (Art. 8:402 (1) ACQP). 705   Die Norm lässt sich nur schwer von Art. II.-7:201 (1) (b) (i) – (ii) DCFR abgrenzen. Kritisch zur Normstruktur Jansen/Zimmermann, AcP 210 (2010), 196, 245 m. w. N.; Martens, AcP 211 (2011), 845, 855 ff. 706   Nach Art. II.-3:501 (1) DCFR begründet die in Art. II.-3:109 (3) DCFR angeordnete vorvertragliche Haftung für Informationspflichtverstöße ein Recht auf Schadensersatz („damages“). Dieser wird im Anhang des DCFR als Geldzahlung („sum of money to which a person may be entitled“) verstanden. 707   DCFR, Full Edition, Vol. 1, 2009, S. 459.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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die anfechtungswillige Partei lediglich über Umstände geirrt hat, die für den Vertragsschluss und die Vertragsbedingungen erheblich (material) waren. Der Irrtum muss die Entscheidung des Anfechtenden vielmehr dergestalt beeinflusst haben, dass dieser ohne den Irrtum vom Vertragsschluss abgesehen oder auf grundlegend (fundamental) andere Bedingungen bestanden hätte. Für die Irrtumsanfechtung bestehen demzufolge sehr hohe Hürden. Inwieweit diese durch eine Kausalitätsvermutung überwunden werden können,708 bleibt offen. Das Recht der Irrtumsanfechtung ist im DCFR zudem nur unzureichend mit anderen Rechtsfolgen abgestimmt worden. Dies gilt vor allem für das Verhältnis zur Gewährleistung. Nach Art. II.-7:216 DCFR kann eine Partei sowohl Anfechtungsrechte geltend machen als auch Rechtsbehelfe wegen Nichterfüllung. Dies führt zu Problemen: Unzutreffende Informationen über die wesentlichen Eigenschaften der Kaufsache führen einerseits zu einem Informationspflichtenverstoß, der zur Irrtumsanfechtung berechtigt, andererseits wird die unzutreffende Eigenschaftsbeschreibung aber zum Inhalt des Vertrages, so dass bei Abweichungen in der Erfüllungsphase Ansprüche wegen Nichterfüllung bestehen.709 Diese Kumulation von Rechtsbehelfen vermag nicht zu überzeugen: Entspricht der Inhalt des Vertrags den berechtigten Erwartungen des Verbrauchers, so bedarf es neben Ansprüchen wegen Nichterfüllung keines zusätzlichen Anfechtungsrechts wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten. Denn in diesen Fällen wird der Berechtigte bereits durch den Vertrag selbst hinreichend geschützt. 6. Schadensersatzansprüche Derzeit finden sich im europäischen Verbraucherrecht keine Normen, die ausdrücklich einen Schadensersatzanspruch zugunsten des Verbrauchers bei Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten vorsehen. Die Acquis Group hat dessen ungeachtet unter Hinweis auf die Rechtssachen Courage710 und Muñoz711 gemeint, dass sich ein solcher aus dem effet utile ableiten lasse.712 a) Vorgaben des EuGH in den Fällen Schulte und Crailshaimer Volksbank Diese Ansicht wird durch die Urteile Schulte713 und Crailsheimer Volksbank714 in den sog. Schrottimmobilien-Fällen bekräftigt. Konkret ging es um die Rechtsfolgen unterlassener Widerrufsbelehrungen bei kreditfinanzierten Immobilienkaufverträgen, die Ende der 1990er Jahre in großer Zahl von Verbrauchern aus Gründen der Steuerersparnis außerhalb geschlossener Geschäftsräume abgeschlossen wurden, die sich aber häufig als unlukrativ erwiesen, da die erwarteten Mieteinnahmen und/oder Wertsteigerungen der Immobilien vielfach ausblieben. Verbraucher konnten nach Ansicht des BGH den Darlehnsvertrag nur widerrufen, wenn sie den Kreditbetrag samt marktüblicher Zinsen an die Bank sofort zurückzahlten.715 Dies war den meisten Anlegern 708

 Dafür Kramer, ZEuP 2012, 898, 901 f.   Zur Bindung an vorvertragliche Informationen bereits supra, § 10 D.IV.3.b. 710   EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage). Hierzu supra, § 2 E.II.1. und § 7 C.I.2. 711   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). Hierzu supra, § 2 E.II.2. 712   Twigg-Flesner/Wilhelmsson, in: ACQP, 2009, Art. 2:208 ACQP Rn. 2, S. 146 f. 713   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte). 714   EuGH, Rs. C‑229/04 (Crailsheimer Volksbank). 715   BGHZ 150, 248 = NJW 2002, 1881 (Heininger II). 709

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§ 10  Verbraucherrecht

aber nicht möglich, da sie die erworbene Immobilie nur mit beträchtlichen Verlusten veräußern konnten. Im Ergebnis standen daher viele Verbraucher besser da, wenn sie von der Ausübung ihres Widerrufsrechts absahen.716 Damit stellte sich die Frage, ob diese Rechtslage mit der HWiRL 85/577 vereinbar ist. Der EuGH betonte zunächst, dass nach der HWiRL 85/577 nur der Realkreditvertrag, nicht aber der Immobilienkaufvertrag widerrufen werden könne, da die Richtlinie Kaufverträge über Immobilien ausdrücklich und unmissverständlich von ihrem Anwendungsbereich ausschließe.717 Der Widerruf des Kreditvertrags habe auch keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Kaufvertrag, da die Richtlinie keine Regelung zu verbundenen Verträgen enthalte.718 Die Mitgliedstaaten müssten jedoch bei unterlassener Widerrufsbelehrung geeignete Maßnahmen treffen, damit nicht der Verbraucher, sondern der Darlehensgeber diejenigen Risiken trage, die mit der Kapitalanlage in Immobilien verbunden sind. Wörtlich heißt es in beiden Urteilen: „In einem Fall, in dem der Verbraucher, wenn das Kreditinstitut seiner Verpflichtung, ihn über sein Widerrufsrecht zu belehren, nachgekommen wäre, es hätte vermeiden können, sich den Risiken auszusetzen, die mit Kapitalanlagen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art verbunden sind, verpflichtet Artikel 4 der Richtlinie jedoch die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass ihre Rechtsvorschriften die Verbraucher schützen, die es nicht vermeiden konnten, sich solchen Risiken auszusetzen, indem sie Maßnahmen treffen, die verhindern, dass die Verbraucher die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken tragen.“719

Der EuGH statuiert damit eine neue Haftung für das Unterlassen einer (ordnungsgemäßen) Widerrufsbelehrung.720 Zwar bezeichnet der Gerichtshof die von ihm geforderte Haftung der Kreditinstitute nicht ausdrücklich als Schadensersatzanspruch. Auch heben die Urteilsgründe hervor, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte bei Auslegung des nationalen Rechts selbst entscheiden können, wie den Anforderungen des Unionsrechts am Besten Rechnung getragen werden kann.721 Im deutschen Schrifttum wurde daher zur Umsetzung der EuGH-Vorgaben nicht nur eine Haftung der Kreditinstitute wegen vorvertraglichen Verschuldens (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) für erforderlich gehalten, sondern auch die Möglichkeit diskutiert, den Immobilienkaufvertrag und den finanzierenden Darlehensvertrag in richtlinienkonformer Auslegung als verbundene Geschäfte zu behandeln.722 Gerade diese Lösung 716   Vgl. nur BGHZ 152, 331, 338 = NJW 2003, 422, 423: „Der Senat verkennt nicht, dass mit der Pflicht zur sofortigen Rückzahlung und marktüblichen Verzinsung der Darlehensvaluta ein Widerruf der Darlehensvertragserklärung für viele Darlehensnehmer wirtschaftlich wenig oder nicht interessant ist.“ 717   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 75. Hierzu bereits supra, § 4 C.II.2. 718   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 76 ff. 719   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 103; Rs. C‑229/04 (Crailsheimer Volksbank) Rn. 48. 720   Wie hier Freitag, WM 2006, 61, 64 f. (neuartige Haftung; Anspruch auf Ersatz von Folgeschäden des widerruflichen Vertrags); Habersack, JZ 2006, 91, 94 (Widerrufsbelehrung ist als Pflicht des Unternehmers zu qualifizieren, deren Verletzung zum Schadensersatz verpflichtet); Rösler, ZEuP 2006, 869, 888 (Statuierung eines völlig neuartigen Haftungsgrundes bei fehlender Widerrufsbelehrung). 721   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 71, 102. 722  So Hofmann, BKR 2005, 487, 492 ff.; Fischer, DB 2005, 2507, 2510; Rott, GPR 2006, 25, 26. Daneben wurden im Schrifttum weitere Umsetzungsmöglichkeiten diskutiert, so insb. eine bereicherungsrechtliche Lösung; vgl. Derleder, BKR 2005, 442, 448 f.; Knops, BKR 2005, 59 ff.; zuvor Häublein, ZBB 2004, 1, 7 ff.; sowie ein Rückgriff auf die gesetzliche Wertung der § 3 Abs. 2 HWiG, §§ 357 Abs. 3, 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB; vgl. Knops, WM 2006, 70, 77; Staudinger, NJW 2005, 3521, 3524; Tonner/Tonner, WM 2006, 505, 510 ff. Zu diesen Vorschlägen im Einzelnen Franzen, in: FS Canaris, Bd. 1, 2007, S. 251, 257 ff.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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wird jedoch vom Gerichtshof verworfen.723 Die Ausführungen zu Haftungsgrund und Haftungsfolgen deuten stattdessen darauf hin, dass der EuGH bei unterlassener Widerrufsbelehrung von einem Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz von Folgeschäden ausgeht. So spricht der Gerichtshof explizit von einer (vorvertraglichen) Verpflichtung des Kreditinstituts zur Widerrufsbelehrung, bei deren Verletzung der Verbraucher einen Anspruch auf Ersatz solcher „Risiken“ haben kann, die er hätte vermeiden können, wenn er über sein Widerrufsrecht belehrt worden wäre.724 Die Widerrufsbelehrung ist daher, wie auch der BGH in seinen Anschlussentscheidungen betont hat, keine bloße Obliegenheit, sondern eine echte Rechtspflicht, welche nach deutschem Recht die Grundlage für einen Schadensersatzanspruch nach culpa in contrahendo bilden kann.725 Der Gerichtshof gibt zudem konkrete Hinweise, wie der Umfang des Schadens zu berechnen ist. Die Rückabwicklung unter Rückgewähr der empfangenen Leistungen müsse, so der EuGH, mit dem Ziel der „Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands“ stattfinden.726 Zu den Schäden, die sich bei unterlassener Widerrufsbelehrung typischerweise verwirklichen können, zählen vor allem die ursprüngliche Überbewertung der Immobilie, die unzutreffende Einschätzung der veranschlagten Mieteinnahmen sowie die falsche Prognose bzgl. der Wertentwicklung des Immobilienmarktes.727 Für eine schadensersatzrechtliche Qualifizierung spricht schließlich, dass gerade das Schadensersatzrecht dem Ausgleich dieser Nachteile dient und sich die vom EuGH thematisierte Kausalitätsfrage, ob der Verbraucher bei ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung bestimmte Risiken „hätte vermeiden können“, typischerweise nur im Schadensersatzrecht, nicht aber im Rahmen des verbundenen Geschäfts stellt.728 Im Ergebnis sprechen damit die besseren Argumente dafür, dass der Gerichtshof eine neuartige Haftung des Unternehmers bei Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (genauer: bei Verletzung von Widerrufsbelehrungspflichten) kreiert hat. Die weiteren Haftungsvoraussetzungen und ‑folgen werden vom Gerichtshof demgegenüber nicht weiter erörtert. So bleibt unklar, ob die im deutschen Recht angeordnete Haftung für vermutetes Verschulden (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB) mit dem Unionsrecht vereinbar ist.729 Da der Gerichtshof für eine Haftung lediglich eine Verletzung der Widerrufsbelehrungspflicht verlangt, ohne ein Verschuldenserfordernis zu erwähnen, wird im Schrifttum teils behauptet, die Haftung müsse zwingend verschuldensunabhängig ausgestaltet sein.730 Dieser Auffassung hatte sich auch das OLG 723   Formal betrachtet sind die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, nach nationalem Recht von einem verbundenen Geschäft auszugehen; EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 80. Diese Lösung deckt sich jedoch nicht mit den Anforderungen, die der EuGH entwickelt hat; Habersack, JZ 2006, 91, 92. 724   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 94, 100. 725   BGHZ 169, 109, 121 f. = NJW 2007, 357, 360; NJW 2008, 1585, 1586. 726   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 92. 727   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 98, 52. 728   Freitag, WM 2006, 61, 66. 729   Diese Frage wurde in den Schrottimmobilienfällen vor allem deswegen virulent, weil selbst der BGH noch in seinem Heininger-Vorlagebeschluss davon ausging, dass bei einem Realkreditvertrag kein Widerrufsrecht (und demzufolge auch keine Widerrufsbelehrungspflicht) nach dem HWiG bestand; BGH, NJW 2000, 521, 522 (Heininger I). Im Schrifttum wurde daher teils vertreten, dass sich die Unternehmen in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befanden; Freitag, WM 2006, 61, 69; Habersack, JZ 2006, 91, 93; Hoffmann, ZIP 2005, 1985, 1991 f.; Oechsler, NJW 2006, 1399, 1400; offengelassen von BGH, NJW 2008, 1585, 1587, Rn. 22. 730   Derleder, BKR 2005, 442, 448; Habersack, JZ 2006, 91, 93; Hoffmann, ZIP 2005, 1985, 1991; Jungmann, NJW 2007, 1562, 1566; Kuhlke, NJW 2007, 360, 361.

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§ 10  Verbraucherrecht

Bremen angeschlossen.731 Eine derart weitreichende Vorgabe ist den Urteilen Schulte und Crailsheimer Volksbank indessen nicht zu entnehmen.732 Die Schadensersatzhaftung beruht in vielen Mitgliedstaaten auf dem Verschuldensprinzip. Auch lässt sich dem Unionsrecht kein genereller Rechtsgrundsatz entnehmen, dass eine verschuldensunabhängige Haftung erforderlich ist.733 Hätte der EuGH tatsächlich eine solche Haftung statuieren wollen, wäre eine ausdrückliche Klarstellung in den Urteilsgründen erforderlich gewesen. Das Problem des Verschuldens stellt sich abgesehen hiervon in der Praxis ohnehin nur selten, da bei Verstoß gegen gesetzlich vorgesehene Informationspflichten für einen unverschuldeten Rechtsirrtum regelmäßig kein Raum ist.734 In den Schrottimmobilien-Fällen hat der BGH einen Rechtsirrtum zwar für möglich gehalten; im gleichen Atemzug wies er aber darauf hin, dass die Banken eine Widerrufsbelehrung selbst vor der Heininger-Entscheidung nicht für entbehrlich halten durften, da diese Frage im Schrifttum umstritten war.735 Sollten die nationalen Gerichte dennoch von einem Rechtsirrtum ausgehen, müsste an den EuGH eine entsprechende Vorlagefrage gerichtet werden. Auch die Frage der Kausalität zwischen unterlassener Widerrufsbelehrung und den eingetretenen Schäden bereitet Schwierigkeiten. In aller Regel werden Verbraucher kaum beweisen können, dass sie den Darlehnsvertrag bei ordnungsgemäßer Belehrung auch tatsächlich widerrufen und den Immobilienkaufvertrag nicht abgeschlossen hätten. Ein solcher Widerruf wäre nur dann wahrscheinlich, wenn dem Verbraucher innerhalb der regulären Widerrufsfrist die Risiken seiner Investitionsentscheidung bewusst geworden wären. Häufig verwirklichten sich die mit der Investition verbundenen Risiken jedoch erst im Laufe der Zeit. Der BGH verneinte daher in seinen Anschlussentscheidungen eine Kausalität zwischen fehlender Belehrung und Schaden und ließ auch einen Rückgriff auf die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens nicht zu, da diese voraussetze, dass es für den Verbraucher bei ordnungsgemäßer Belehrung nur eine Handlungsalternative gegeben hätte. Daran zweifelte das Gericht, da der Verbraucher die Risiken seiner Investitionsentscheidung nicht innerhalb der regulären Widerrufsfrist hätte erkennen können.736 Diese Auslegung wird den Vorgaben des EuGH nicht gerecht. Nach den Ausführungen im Fall Schulte ist allein entscheidend, ob der Verbraucher den Schadens­ eintritt bei ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung „hätte vermeiden können“.737 Ob der Vertrag tatsächlich widerrufen worden wäre, ist damit irrelevant. Ausreichend ist, dass der Verbraucher bei ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung hypothetisch die Möglichkeit hatte, sich vom Vertrag zu lösen und den Schaden zu vermeiden. Das Vorliegen der Kausalität ist dementsprechend widerleglich zu vermuten.738 Jedes 731

  OLG Bremen, NJW 2006, 1210, 1213 f.   Im Ergebnis auch BGHZ 169, 109, 121 f. = NJW 2007, 357, 360, Rn. 42; NJW 2008, 1585, 1587, Rn. 21. 733  Hierzu supra, § 7 C.VI. 734  Hierzu supra, § 10 D.IV.5.c.bb. 735   BGH, NJW 2008, 1585, 1587, Rn. 22. 736   BGHZ 169, 109, 121 f. = NJW 2007, 357, 360, Rn. 43. 737   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 101. 738   Freitag, WM 2006, 61, 67; Habersack, JZ 2006, 91, 93; Jungmann, NJW 2007, 1562, 1565; Rösler, ZEuP 2006, 869, 882; Staudinger, NJW 2005, 3521, 3523. Gegen jegliche Kausalitätsvermutung Franzen, in: FS Canaris, Bd. 1, 2007, S. 251, 267; Lechner, NZM 2005, 921, 926; Pieckenbrock, WM 2006, 466, 476; Thume/Edelmann, BKR 2005, 477, 483 f. 732

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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andere Ergebnis widerspräche dem Effektivitätsgebot. Ginge man davon aus, dass der Verbraucher die Kausalität zwischen fehlender Belehrung und Schaden stets beweisen müsste, könnte der Verbraucher seinen Anspruch praktisch nie durchsetzen. Schutzwürdige Interessen des Unternehmers sind nicht ersichtlich. Schließlich hat der Unternehmer die Beweisschwierigkeiten durch seine Informationspflichtverletzung selbst herbeigeführt. Ein weiteres Kausalitätsproblem stellt sich mit Blick auf die zeitliche Abfolge der Vertragsabschlüsse. Nach Ansicht des BGH ist ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterteilung einer Widerrufsbelehrung mangels Kausalität ausgeschlossen, wenn der Verbraucher bereits vor Abschluss des Darlehnsvertrags an den Kaufvertrag gebunden war; in diesem Fall hätte es der Verbraucher nämlich selbst bei ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung nicht vermeiden können, sich den Anlagerisiken auszusetzen.739 Die zeitliche Reihenfolge spielt für den EuGH aber ersichtlich keine Rolle. Während der Darlehnsvertrag in der Rechtssache Schulte vor dem Immobilienkaufvertrag geschlossen wurde, war dies in den Ausgangsverfahren, die dem Fall Crailsheimer Volksbank zugrunde lagen, zum Teil anders. Die Urteilsbegründung ist dennoch in beiden Entscheidungen deckungsgleich.740 Zu Recht. Die zeitliche Reihenfolge der Vertragsabschlüsse kann nicht ausschlaggebend dafür sein, ob die Bank für eine unterlassene Widerrufsbelehrung haftet.741 Für den Verbraucher ist es irrelevant, welcher Vertrag zuerst geschlossen wird. Selbst wenn der Kaufvertrag vor dem Darlehnsvertrag abgeschlossen wird, gehen sämtliche Beteiligten bei einem kreditfinanzierten Immobilienkaufvertrag regelmäßig davon aus, dass die Finanzierung durch den (üblicherweise bereits vorgelegten) Darlehensvertrag gesichert ist.742 Der Widerruf des Darlehensvertrags muss sich daher zugleich auf den zuvor geschlossenen Kaufvertrag auswirken, da letzterer konkludent unter der aufschiebenden Bedingung geschlossen wurde, dass ein wirksamer Darlehnsvertrag zustande kommt.743 Im Ergebnis können die Anschlussentscheidungen des BGH daher nicht überzeugen. Obwohl der EuGH eine neue Haftung für unterlassene Widerrufsbelehrungen statuiert hat und der BGH diesen Vorgaben zumindest ansatzweise gefolgt ist, da er eine Haftung aus culpa in contrahendo grundsätzlich für möglich hält, führen die von ihm eigenmächtig ohne EuGH-Vorlage angewandten Kausalitätsanforderungen dazu, dass die Durchsetzung dieses Rechts im Widerspruch zum Effektivitätsgebot übermäßig erschwert wird.

739   BGH, NJW 2006, 2099, 2103, Rn. 38; NJW 2007, 361, 363, Rn. 24; NJW 2008, 1585, 1586, Rn. 18. Etwas anderes gilt, wenn sich der Verbraucher zum Zeitpunkt des hypothetischen Widerrufs bei ordnungsgemäßer Belehrung noch vom Kaufvertrag hätte lösen können, so z. B. bei Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, bei Verletzung weiterer Aufklärungspflichten oder Verstößen gegen das RBerG; vgl. Häublein, NJW 2006, 1553, 1557; Franzen, in: FS Canaris, Bd. 1, 2007, S. 251, 266 m. w. N. zur Rechtsprechung. 740   Derleder, BKR 2005, 442, 449. 741   Wie hier Derleder, BKR 2005, 442, 449; Schwintowski, VuR 2006, 5, 6; Staudinger, NJW 2005, 3521, 3524. 742   Derleder, BKR 2005, 442, 449; Schwintowski, VuR 2006, 5, 6. 743   Schwintowski, VuR 2006, 5, 6.

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§ 10  Verbraucherrecht

b) Bedeutung der EuGH-Entscheidungen für die Schadensersatzhaftung bei Informationspflichtverstößen im Allgemeinen Die Entscheidungen Schulte und Crailsheimer Volksbank betreffen nur die Schadensersatzhaftung für eine unterlassene Widerrufsbelehrung. Schrifttum744 und Rechtsprechung745 gehen jedoch zu Recht davon aus, dass diese Haftung auch bei einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung greifen kann. Auch der EuGH hat im Fall Hamilton746 die fehlerhafte Widerrufsbelehrung einer gänzlich unterlassenen Belehrung gleichgestellt, da beide den Verbraucher gleichermaßen im Hinblick auf sein Widerrufsrecht irreführen. Besonderheiten sind bei der Kausalität zwischen Pflichtverstoß und Schaden zu beachten. Da der Verbraucher bei einer fehlerhaften Belehrung zumindest über das Widerrufsrecht als solches informiert wird, kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass er bei ordnungsgemäßer Belehrung den Vertrag widerrufen hätte, wenn gleichzeitig feststeht, dass er von der Ausübung seines Widerrufsrechts abgesehen hat. Denkbar ist allein, dass der Verbraucher durch eine fehlerhafte Belehrung von der (korrekten) Ausübung seines Widerrufsrechts abgehalten wird, und ihm dadurch ein Schaden entsteht. Da die vom EuGH entschiedenen Fälle nur die Auslegung der HWiRL 85/577 betreffen, bleibt des Weiteren fraglich, ob eine Schadensersatzhaftung des Unternehmers in Betracht kommt, wenn der Verbraucher über andere im Unionsrecht vorgesehene Widerrufsrechte nicht (ordnungsgemäß) belehrt wird.747 Dafür spricht, dass der EuGH die zu Haustürgeschäften entwickelte Heininger-Rechtsprechung auf Widerrechte ausgedehnt hat, die nach anderen Richtlinien bestehen.748 Soweit Richtlinien spezielle Regelungen für verbundene Verträge enthalten, gehen diese allerdings als lex specialis der allgemeinen Schadensersatzhaftung vor. Schließlich stellt sich die prinzipielle Frage, wie ein Verstoß gegen sonstige Informationspflichten zu sanktionieren ist. Die Entscheidungen Schulte und Crailsheimer Volksbank sind – über die von der Acquis Group aufgeführten Urteile Courage und Muñoz hinaus – ein starkes Indiz dafür, dass der EuGH bei einem Verstoß gegen andere vorvertragliche Informationspflichten einen Schadensersatzanspruch zumindest dem Grunde nach fordern wird. Beide Urteile verdeutlichen, dass die Beseitigung eines Vertrags im Wege des Widerrufsrechts häufig nicht ausreicht, um einen wirksamen Verbraucherschutz zu gewährleisten. Vielmehr müssen zugleich die infolge der Informationspflichtverletzung entstandenen Schäden kompensiert werden, um dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Ein solcher Schadensersatzanspruch wird rechtsvergleichend betrachtet nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Mitgliedstaaten anerkannt. Zwar hat die culpa in contrahendo in anderen Mitgliedstaaten längst nicht dieselbe Bedeutung wie in Deutschland erlangt.749 In den meisten Ländern finden sich jedoch Konzepte

744   Derleder, BKR 2005, 442, 446; Habersack, JZ 2006, 91, 92; Rösler, ZEuP 2006, 869, 877; Staudinger, NJW 2005, 3521, 3523. 745   OLG Bremen, NJW 2006, 1210, 1213. 746   EuGH, Rs. C‑412/06 (Hamilton) Rn. 35. 747  Dagegen Freitag, WM 2006, 61, 66, mit der Begründung, dass die HWiRL 85/577 eine für den Verbraucher situativ besonders gefährliche Art des Vertragsschlusses regelt. 748   EuGH, Rs. C‑209/12 (Endress) Rn. 28 ff. 749   Vgl. nur Lehmann, ZEuP 2009, 693 695 m. w. N.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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und Instrumente, mit denen funktional betrachtet ähnliche Ergebnisse erzielt werden.750 Sollte der EuGH einen allgemeinen Haftungsanspruch bei Verletzung von Informationspflichten anerkennen, ist zu erwarten, dass die konkrete Ausgestaltung dieses Anspruchs „mangels einer einschlägigen Unionsregelung“ den Mitgliedstaaten überlassen wird. Die einzelnen Haftungsvoraussetzungen und ‑folgen unterliegen in diesem Fall dennoch einer Kontrolle nach dem Effektivitätsgrundsatz. Die einzelstaatlichen Gerichte sind daher zur Vorlage verpflichtet, wenn sie ein Verschuldenserfordernis zugrunde legen oder Ansprüche der Verbraucher kategorisch vom Beweis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs751 abhängig machen. Bei alledem ist wiederum der Vorrang der Auslegungsregeln zu beachten. Werden unterlassene, für den Verbraucher ungünstige Pflichtangaben nach den Regeln der Auslegung nicht Vertragsinhalt752 oder wird der Unternehmer an „unzutreffende“ Angaben vertraglich gebunden,753 kommt ein Schadensersatzanspruch wegen Informationspflichtverletzung nicht in Betracht, soweit der Verbraucher bereits durch den Vertrag selbst geschützt wird. c) Schadensersatzansprüche in den ACQP und im DCFR Sowohl die Acquis Principles als auch der DCFR räumen dem Geschädigten bei einem Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten verschuldensunabhängig ausgestaltete Schadensersatzansprüche ein. Nach Art. 2:208 (3) ACQP hat bei Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten die andere Partei, auch wenn kein Vertrag geschlossen worden ist, einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens. Im Übrigen, also auch soweit ein Vertrag geschlossen wurde, verweist die Vorschrift auf die Regelungen zur Nichterfüllung in Art. 8:401 ff. ACQP. Der Schadensersatzanspruch umfasst nach Art. 8:402 (1) ACQP keine Naturalrestitution, sondern nur die Zahlung eines Geldbetrags, der erforderlich ist, um den Gläubiger in die Lage zu versetzen, in der er sich bei ordnungsgemäßer Erfüllung befunden hätte. Der DCFR differenziert dagegen weitergehend zwischen der Nichterfüllung von Informationspflichten und der Erteilung falscher Informationen. Im ersten Fall ist die andere Partei nach Art. II.-3:109 (3) DCFR zum Ersatz für jeden Verlust (any loss) verpflichtet, der aus der Pflichtverletzung resultiert. Der Begriff „Verlust“ umfasst sowohl den materiellen Verlust als auch einen etwaigen immateriellen Verlust in Form erlittener Schmerzen und erlittenen Leids.754 Eine Naturalrestitution ist nach dem DCFR dagegen nicht möglich.755 Art und Umfang des Schadensersatzes werden im Übrigen nicht weiter konkretisiert. So bleibt offen, ob der Gläubiger die Ware oder Dienstleistung im Fall eines zustande gekommenen Vertrags behalten bzw. annehmen muss (kleiner Schadensersatz) oder diese auch zurückgeben bzw. auf sie verzich750   Siehe auch DCFR, Full Edition, Vol. 1, 2009, Art. II.-3:109 DCFR Rn. 7, S. 240: „In most Member States the general rules on pre-contractual obligations, on breach of contract or on noncontractual liability for damage may lead to claims for damages.“ 751   Zum Kartellrecht vgl. EuGH, Rs. C‑557/12 (Kone) Rn. 32 f. 752  Hierzu supra, § 10 D.IV.3.a. 753  Hierzu supra, § 10 D.IV.3.b. 754   Vgl. Art. II.-3:501 DCFR und Annex, definition of „loss“. 755   Hierzu bereits supra, § 10 D.IV.5.d.

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§ 10  Verbraucherrecht

ten kann (großer Schadensersatz).756 Ungeklärt ist ferner, wie der Schadensersatzanspruch bei einem gescheiterten Vertrag zu berechnen ist. Da Art. II.-3:109 (3) DCFR im Unterschied zu Art. 2:208 (3) (1) ACQP nicht von Vertrauensschäden, sondern von sämtlichen Verlusten spricht, scheint nach dem DCFR auch das Erfüllungsinteresse ersatzfähig zu sein.757 Gänzlich ungelöst ist schließlich, welche Anforderungen an den erforderlichen Kausalitätsnachweis zwischen Informationspflichtenverstoß und Schaden zu stellen sind.758 Die Haftung für die Erteilung unrichtiger bzw. irreführender Informationen ist demgegenüber in Art. II.-7:204 DCFR geregelt.759 Nach dieser Norm hat die geschädigte Partei bei falscher Auskunft einen Anspruch auf Ausgleich des Vermögensnachteils, der durch die falschen Angaben entstanden ist, sowie auf Ersatz etwaiger Folgeschäden.760 Die Haftung ist dabei im Unterschied zur Nichterfüllung von Informationspflichten eingeschränkt. Dem Geschädigten stehen Schadensersatzansprüche nur zu, wenn er bei Vertragsschluss vernünftigerweise auf die Information vertraut hat. Dies ist nicht der Fall, wenn er Selbstinformationsobliegenheiten verletzt, es also unterlässt, den relevanten Sachverhalt auf der Grundlage verfügbarer Informationsquellen selbst zu ermitteln.761 Daneben sieht Art. II.-7:214 DCFR einen weiteren Schadensersatzanspruch vor, wenn der Gläubiger zur Anfechtung berechtigt ist oder war und die andere Partei den Anfechtungsgrund kannte oder hätte kennen müssen. 7. Unterlassungsansprüche? Verbraucherschützende Sekundärrechtsakte räumen dem einzelnen Verbraucher nicht das Recht ein, bei einem Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten im Wege der Unterlassungsklage gegen Unternehmen vorzugehen.762 Derartige Ansprüche bzw. Klagebefugnisse werden grundsätzlich nur kollektivrechtlich den Verbraucherverbänden und/oder staatlichen Einrichtungen sowie in besonderen Fällen Wirtschaftsverbänden zugesprochen.763 Demgegenüber leitete der EuGH im Fall Muñoz764 aus dem effet utile ab, dass es einem Wirtschaftsteilnehmer möglich sein muss, die Beachtung unionsrechtlich vorgegebener Qualitätsnormen im Wege einer Unterlassungsklage gegen einen Konkurrenten durchzusetzen. Offen bleibt nach der Entscheidung, ob dieses Recht auch Ver756

  Lehmann, ZEuP 2006, 693, 713.   Lehmann, ZEuP 2006, 693, 713 (zum DCFR). 758  Die comments zu Art. II.-3:501 DCFR deuten auf Beweiserleichterungen hin; vgl. DCFR, Full Edition, Vol. 1, 2009, S. 262: „Given the purpose of pre-contractual duties it should not readily be assumed that normal and reasonable behaviour by the person who suffers the loss would break the chain of causation.“ 759   Die systematische Stellung dieser Vorschrift ist zu Recht kritisiert worden, da sich eine gemeinsame Regelung mit der Nichterfüllung von Informationspflichten angeboten hätte; Faust, in: Schulze/v. Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, S. 115, 120 (zur Interim Outline Edition). 760   Looschelders, ZEuP 2009, 800, 810 f. 761   Vgl. DCFR, Full Edition, Vol. 1, 2009, S. 488. 762   Magnus, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis communautaire, 2003, S. 291, 309. 763  Näher supra, § 10 D.III.1. und D.III.2.c. 764   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). 757

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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brauchern zustehen muss.765 Gegen eine solche ungeschriebene Verpflichtung spricht, dass die bei einem Verstoß gegen Informationspflichten nahezu immer einschlägige UGP-RL 2005/29 „individuelle Klagen“ ausdrücklich ausschließt.766 Ein individueller Unterlassungsanspruch ist im Übrigen nicht erforderlich, um den effet utile zu wahren. Während Konkurrentenklagen vor nationalen Gerichten besonders geeignet sind, zur Sicherung eines lauteren Handelns und der Markttransparenz in der Union beizutragen,767 haben Verbraucher wenig Anreize, gegen drohende, in der Zukunft liegende Verstöße vorzugehen. Ungeschriebene Unterlassungsklagen zugunsten des einzelnen Verbrauchers folgen auch nicht aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes. Dem Unionsrecht ist ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch – ebenso wie das prozessuale Pendant der Popularklage – fremd.768 Während Konkurrenten ein „konkretes wirtschaftliches Interesse“ an der Einhaltung des Marktordnungsrechts haben,769 werden Verbraucher durch systematische Verstöße nicht in einem vom Unionsrecht geschützten Rechtsgut spezifisch betroffen, da sie in aller Regel keine repeat player sind. 8. Sonstige Rechtsfolgen Ein Informationspflichtenverstoß kann eine Reihe weiterer Rechtsfolgen nach sich ziehen. Denkbar sind Minderungsrechte, Zurückbehaltungsrechte und Zinsansprüche.770 Sanktionen können darüber hinaus als bloße Rechtsnachteile ausgestaltet sein, die bei Nichterfüllung bestimmter Pflichten eintreten. Derartige Rechtsfolgen sind auch im Unionsrecht zu finden. So wird etwa der Beginn der Widerrufsfrist in zahlreichen Richtlinien davon abhängig gemacht, dass der Unternehmer über das Widerspruchsrecht ordnungsgemäß belehrt; teils beginnt die Widerrufsfrist sogar erst, wenn der Unternehmer sämtliche Informationspflichten erfüllt hat.771 Auch die Rechtsfolgen eines ausgeübten Widerrufs richten sich zum Teil danach, ob der Unternehmer über diese ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Nach der VRRL 2011/83 sind beispielsweise Wertersatzansprüche des Unternehmers im Widerrufsfall wegen Verschlechterung von Waren oder empfangener Dienstleistungen ausgeschlossen, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über diese informiert worden ist.772 Geht es im konkreten Rechtsstreit darum, ob Informationen vor Vertragsschluss nicht oder unkorrekt erteilt wurden, stellt sich die Frage, ob ein Verstoß gegen Informationspflichten vermutet werden kann. Eine solche Vermutung hat der EuGH im Fall Lange773 für die arbeitsrechtliche Nachweis-RL 91/533 abgelehnt, da diese 765   Biondi, CMLR 2003, 1241, 1249, hält unionsrechtlich geforderte Unterlassungsansprüche zugunsten der Verbraucher denkbar, da der Gerichtshof in seiner Entscheidung hervorhebt, dass die betreffenden Normen auch den Zweck haben, Erzeugnisse von unzureichender Qualität vom Markt fernzuhalten und die Erzeugung so auszurichten, dass den Anforderungen der Verbraucher entsprochen wird. 766   ErwGr (9) UGP-RL 2005/29; hierzu supra, § 10 D.III.2.c. 767   So EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 31. 768  Hierzu supra, § 3 E.V.3.d.aa. 769   So GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑253/00 (Muñoz) Rn. 75 f. 770   Magnus, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis communautaire, 2003, S. 291, 309. 771  Näher infra, § 10 E.II.1.c. 772   Art. 14 Abs. 2 S. 2 und Abs. 4 lit. a (i) VRRL 2011/83. 773   EuGH, Rs. C‑350/99 (Lange) Rn. 34 f.; vgl. auch EuGH, verb. Rs. C‑253 – 258/96 (Kampelmann u. a.) Rn. 31 ff.; Riesenhuber, in: FS Bezzenberger, 2000, S. 721, 732 ff.

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§ 10  Verbraucherrecht

Richtlinie keine Beweisregelungen enthält. Dies ist im Verbraucherrecht anders, da einige Richtlinien, insbesondere Art. 6 Abs. 9 VRRL 2011/83, dem Unternehmer von vornherein die Beweislast für die Erfüllung bestimmter Informationspflichten auferlegen.774 Auch soweit Verbraucherrichtlinien keine Regeln zur Beweislast enthalten, ist mit dem EuGH davon auszugehen, dass der Unternehmer grundsätzlich den Nachweis der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Informationspflichten zu erbringen hat: Nach den Ausführungen des Gerichtshofs im Fall CA Consumer Finance775 wäre die Einhaltung der in der VerbrKrRL 2008/48 vorgeschriebenen Informationspflichten gefährdet, wenn die Beweislast für die Nichterfüllung dieser Pflichten dem Verbraucher obläge. Ein sorgfältiger Kreditgeber müsse sich der Notwendigkeit bewusst sein, Beweise für die Erfüllung der ihm obliegenden Informations- und Erläuterungspflichten zu sammeln und zu sichern. Die Effektivität könne daher (nur) durch eine innerstaatliche Bestimmung gewährleistet werden, derzufolge der Kreditgeber grundsätzlich verpflichtet sei, vor dem Richter den Beweis für die ordnungsgemäße Erfüllung der vorvertraglichen Informationspflichten zu erbringen. Unterzeichne der Verbraucher eine formularmäßige Erklärung über den Erhalt und die Kenntnisnahme der Informationen, stelle die betreffende Standardklausel nur ein Indiz dar, das der Kreditgeber durch ein oder mehrere entsprechende Beweismittel untermauern müsse. Eine solche Klausel dürfe nach nationalem Recht jedoch nicht zur Folge haben, dass der Verbraucher damit zugleich die korrekte und vollständige Erfüllung der dem Kreditgeber obliegenden Verpflichtungen bestätige.

V. Auswertung 1. Individuelle Rechtsbehelfe Bei einem Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten kommen ganz unterschiedliche Rechtsfolgen und Rechtsbehelfe in Betracht: – Denkbar ist, dass bei unterlassenen Informationen ein Vertrag schon gar nicht zustande kommt, weil die betreffenden Pflichtangaben als essentialia negotii für einen wirksamen Abschluss des Vertrags erforderlich sind. Dieser Fall dürfte allerdings nur selten eintreten, da die Grundzüge des Vertragsprogramms in aller Regel im Wege der Auslegung bestimmt werden können. – Eine absolute Nichtigkeit des Vertrags bei unterlassenen Informationen ist im Unionsrecht nicht vorgesehen. Eine derartige Rechtsfolge darf auch im mitgliedstaatlichen Recht nicht angeordnet werden, da der Verbraucher selbst entscheiden können muss, ob er an dem Vertrag festhält oder nicht. – Ein Verstoß gegen Informationspflichten kann sich ferner auf den Inhalt eines abgeschlossenen Vertrags auswirken. Wird der Verbraucher über bestimmte, für ihn ungünstige Vertragsbestandteile nicht informiert, können eine am objektiven Empfängerhorizont orientierte Auslegung sowie die Regeln zur Klauselkontrolle 774   Art. 6 Abs. 9 VRRL 2011/83 bezieht sich nur auf Informationspflichten bei Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, nicht jedoch auf allgemeine Verbraucherverträge. Die deutsche Umsetzungsnorm (§ 312k Abs. 2 BGB) erfasst demgegenüber sämtliche Verbraucherverträge. 775   EuGH, Rs. C‑449/13 (CA Consumer Finance) Rn. 22, 27 ff.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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dazu führen, dass ungünstige Vertragsbedingungen nicht Bestandteil des Vertrages werden. „Unzutreffende“, für den Verbraucher günstige vorvertragliche Informationen sind dagegen in aller Regel vertraglich bindend, so dass Erfüllungsansprüche, Gewährleistungsansprüche oder sonstige Ansprüche wegen Nichterfüllung in Betracht kommen, wenn der Unternehmer in der Erfüllungsphase von diesen abweicht. – Daneben sind Vertragslösungsrechte erforderlich, wenn eine Auslegung nicht weiterhilft und die unterlassene oder unzutreffende Weitergabe von Informationen eine schwerwiegende Willensstörung verursacht, die die konkrete Vertragsentscheidung des Verbrauchers beeinflusst hat oder typischerweise wesentlich beeinflusst. – Schließlich kann dem Unionsrecht der allgemeine Grundsatz entnommen werden, dass bei einem Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten Schadensersatzansprüche dem Grunde nach gewährt werden müssen. Welche dieser Rechtsfolgen eingreift und welcher Rechtsbehelf im konkreten Fall zur Verfügung steht, hängt von vielen Faktoren ab. Die Rechtsfolgen lassen sich nicht generalisierend für alle Informationspflichtverstöße bestimmen. Sowohl die ACQP als auch der DCFR listen daher ein ganzes Bündel von möglichen Sanktionen auf, angefangen vom Hinausschieben der Widerrufsfrist, über die Veränderung des Vertragsinhalts und Schadensersatzansprüche bis zur Anfechtung.776 Diese Regulierungsweise ist im Schrifttum auf scharfe Kritik gestoßen.777 Die Regelwerke erweckten den Eindruck, so die Kritik, als kämen die Sanktionen gleichermaßen und wahlweise für alle Informationspflichtverletzungen in Betracht. Dies verursache eine Reihe von Zweifelsfragen und Widersprüchlichkeiten. Es sei deshalb konzeptionell verfehlt, marktregulatorisch begründete Informationspflichten mit einer einheitlichen Sanktionsnorm zu verknüpfen. Die ACQP und der DCFR müssten in der Tat stärker zum Ausdruck bringen, in welchem Verhältnis die einzelnen Rechtsfolgen zueinander stehen. Dies gilt vor allem für die Rechtsfolge „Veränderung des Vertragsinhalts“, die in missverständlicher Weise als „remedy“ bezeichnet wird.778 Soweit eine unterlassene oder unrichtige Aufklärung den Vertragsinhalt zugunsten des Verbrauchers beeinflusst, besteht kein Grund, dem Verbraucher auch noch einen Schadensersatzanspruch oder Anfechtungsrechte wegen eines Informationspflichtenverstoßes einzuräumen. Dies sollte in den Regelwerken deutlicher klargestellt werden, als dies bislang der Fall ist. Auf der anderen Weise ist zu berücksichtigen, dass die Entwicklung und Festschreibung spezifischer Rechtsfolgen schnell an ihre Grenzen stößt. Zwar ist der Inhalt der verletzten Informationspflicht ein brauchbarer Ausgangspunkt, um die Rechtsfolgen näher zu konkretisieren, denn je nach Art der betreffenden Pflicht kommen ganz unterschiedliche Rechtsfolgen in Betracht.779 Daneben sind aber eine 776

  Art. 2:208 ACQP; Art. II.-3:109 und Art. II.-7:201, II.-7:205 DCFR.   Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 545; N. Jansen, ZEuP 2012, 741, 764; Zöchling-Jud, AcP 212 (2012), 550, 561 ff. 778   Die Veränderung des Vertragsinhalts ist genau genommen kein Rechtsbehelf, sondern eine für den Unternehmer ungünstige Rechtsfolge, die sich aus der Vertragsauslegung ergibt. 779   Dieser Erkenntnis folgend wird im Schrifttum der Versuch unternommen, die Rechtsfolgen für spezifische Informationsinhalte gesondert zu bestimmen; so z. B. Börger, Sanktionen, 2010, S. 121 ff.; Grigoleit, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 223, 236 ff. 777

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§ 10  Verbraucherrecht

Reihe weiterer Faktoren für die Rechtsfolgenbestimmung relevant, so insbesondere, ob ein Vertrag geschlossen wurde oder nicht; ob Informationen gänzlich unterlassen oder unzutreffend erteilt wurden; ob sich der Verstoß auf wesentliche oder unwesentliche Vertragsbestandteile bezieht; ob bei dem Verstoß zugleich Formvorschriften verletzt wurden; sowie ganz allgemein die Art und Weise der Verletzungshandlung. Eine Kodifizierung spezifischer Rechtsfolgen für einzelne Informationspflichten oder Fallgruppen birgt daher die Gefahr, dass bei der Rechtsanwendung nicht mehr in flexibler Weise den Besonderheiten eines Informationspflichtenverstoßes Rechnung getragen werden kann. Nicht zuletzt deswegen verzichtet auch der deutsche Gesetzgeber darauf, die Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen verbraucherschützende Informationspflichten festzulegen.780 Im Unterschied hierzu konkretisieren die ACQP und der DCFR die möglichen Rechtsfolgen sehr viel weitgehender und legen so die Grundlagen dafür, dass sich in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und in der Rechtsprechung ein gemeineuropäischer Konsens über die spezifischen Rechtsfolgen herausbilden kann. 2. Bedarf an flankierenden überindividuellen Sanktionen Dass im Verbraucherrecht ein Bedarf besteht, die bestehenden individuellen Rechtsbehelfe durch überindividuelle Sanktionen, insbesondere durch kollektive Rechtsbehelfe und eine behördliche Aufsicht zu verstärken, wurde bereits dargelegt.781 Speziell im Fall der Informationspflichten sprechen zusätzliche Argumente dafür, individualvertragliche Rechtsbehelfe durch institutionelle Sanktionen zu flankieren. Ein effektiver Schutz durch individuelle Rechtsbehelfe setzt voraus, dass Verbraucher nach Vertragsschluss in der Lage sind, zuvor verschwiegene Nachteile des erworbenen Produkts erkennen zu können. Diese Möglichkeit besteht nur bei Such- und Erfahrungsgütern, nicht aber bei Waren oder Dienstleistungen, deren Qualität der Nachfrager selbst nach Abschluss des Vertrages nicht feststellen kann.782 Bei diesen sog. Vertrauensgütern oder „credential goods“ kann eine ausreichende Transparenz vor Vertragsschluss nur durch institutionelle Drittparteien gewährleistet werden. Eine abschreckende Wirkung entfalten individuelle Rechtsbehelfe zudem nur dann, wenn die Verbraucher ihre Rechte in der Praxis auch wahrnehmen. Dies ist regelmäßig nur bei hochwertigen und langlebigen Produkten zu erwarten. Bei billigen Alltagsprodukten laufen vertragsrechtlich sanktionierte Informationspflichten dagegen leer. Da die Rechtsdurchsetzungskosten im Verhältnis zum Streitwert unver780  Vgl. nur die Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT‑Drucks. 14/6040, S. 173: „Der Entwurf sieht (. . .) davon ab, die Rechtsfolgen, die sich aus einem Pflichtenverstoß des Unternehmers im Übrigen ergeben können, statisch (. . .) zu regeln. Dies hat seinen Grund darin, dass die (. . .) geregelten Pflichten von derart unterschiedlicher Gewichtung und Art sind, dass die Bestimmung ein und derselben Rechtsfolge wie zum Beispiel die Einräumung eines Widerrufsrechts oder die Nichtigkeit des Vertrags nicht sachgerecht wäre. Die Rechtsfolgen eines Pflichtenverstoßes sollen sich daher nach den allgemeinen Bestimmungen des Schuldrechts richten. Diese sehen ein differenziertes und effektives Sanktionssystem für den Fall des Verstoßes gegen vorvertragliche Informations- und sonstige vertragliche Pflichtverletzungen vor.“ 781  Siehe supra, §  10 C.IV.2. – 3. 782   Die informationsökonomische Unterscheidung zwischen Such- und Erfahrungsgütern beruht auf Nelson, 78 J. Pol. Econ. 311 (1970). Diese wurde sodann von Darby/Karni, 16 J.L. & Econ. 67 (1973), um die Kategorie der Vertrauensgüter erweitert. Allgemein Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 118 f.

D. Vorvertragliche Informationspflichten

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hältnismäßig hoch sind, sehen viele Verbraucher davon ab, ihre Rechte vor Gericht durchzusetzen. Schließlich ist zu bedenken, dass individuelle Rechtsbehelfe bei bestimmten Informationspflichtverstößen von vornherein ausscheiden. So ist beispielsweise nicht erkennbar, wie ein Verstoß gegen Anbieterkennzeichnungspflichten durch individuelle Rechtsbehelfe wirksam sanktioniert werden kann.783 Vertragslösungsrechte kommen häufig nicht in Betracht, da viele Anbieterkennzeichnungspflichten (wie beispielsweise die Angabe der Adresse oder einer Telefonnummer) bei Nichtaufklärung keine schwerwiegende Willensstörung hervorrufen, die eine Abstandnahme vom Vertrag rechtfertigt. Verschleiert ein Unternehmer bewusst seine Identität, sind individualvertragliche Folgen ebenfalls nicht zielführend, da es sich in diesen Fällen zumeist um unseriöse Anbieter handelt, von denen ohnehin kein Ersatz zu erlangen wäre.784 Ähnliches gilt für versteckte Preise, insbesondere für sog. Kostenfallen im Internet. Zwar kann der Verbraucher individualvertraglich geschützt werden, indem er rechtlich an den verschleierten Preis oder an den Vertrag nicht gebunden wird.785 In der Praxis liegt das Problem jedoch häufig darin, dass unseriöse Anbieter die Unwissenheit und Angst von Verbrauchern zur Durchsetzung unbegründeter Forderungen ausnutzen.786 Eine überindividuelle Sanktionierung durch Verbraucherverbände oder Behörden kann demgegenüber darauf hinwirken, dass Informationspflichtverstöße wirksam sanktioniert werden und künftige Verstöße unterbleiben. Das Unionsrecht trifft für die kollektive Durchsetzung des Verbraucherrechts allerdings nur minimale Vorgaben, da nur Unterlassungsklagen geregelt werden, und selbst diese nur ansatzweise harmonisiert worden sind. Die ACQP und der DCFR blenden überindividuelle Rechtsbehelfe sogar vollständig aus. In Deutschland kann ein Verstoß gegen Informationspflichten kollektivrechtlich vor allem durch Unterlassungsklagen nach dem UWG geahndet werden. Diese erweisen sich allerdings in der Praxis nicht als abschreckend. Unternehmer müssen bei einem Unterlassungsurteil nicht um den Verlust ihrer in der Vergangenheit erworbenen Vorteile fürchten. Auch für die Zukunft entfalten Unterlassungsurteile häufig keine präventive Wirkung, da Unternehmer im Anschluss an das Urteil ihre Geschäftspraktik oft minimal ändern, so dass das Urteil das neue Geschäftsmodell entweder nicht mehr erfasst oder dies jedenfalls behauptet werden kann.787 Die in § 10 UWG vorgesehene Gewinnabschöpfung bleibt theoretisch und ist daher nicht geeignet, die gegenwärtigen Probleme zu lösen.788 Nimmt man das Gebot der wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionierung ernst, ist dieser Zustand mit dem Unionsrecht unvereinbar.789 Es müsste für eine bessere Durchsetzung gesorgt werden, indem kollektive Rechtsschutzinstrumente verstärkt und/oder durch öffentlich-rechtliche Sanktionen ergänzt werden. 783  Ausführlich Grigoleit, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 223, 236 ff. 784   Kieninger, in: 69. DJT, Bd. 2, 1, 2013, I 29, 42. 785  Hierzu supra, § 10 D.IV.3.a. 786   Grigoleit, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 223, 242. 787   Brönneke, VuR 2012, 334, 335. 788  Hierzu supra, § 10 C.IV.2. 789  Anders Kieninger, in: 69. DJT, Bd. 2, 1, 2013, I 29, 50.

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§ 10  Verbraucherrecht

Verstöße gegen unionsrechtlich veranlasste Informationspflichten können in einem (schmalen) Teilbereich bereits heute durch das Ordnungswidrigkeitenrecht sanktioniert werden. Der deutsche Gesetzgeber hat die Pflichten des Art. 5 Abs. 1 ECRL 2000/31 nicht im BGB oder im EGBGB, sondern stattdessen in § 5 Abs. 1 TMG umgesetzt. Eine Verletzung dieser Pflichten begründet nach § 16 TMG eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu 50.000 Euro geahndet werden kann. Warum diese Sanktion nicht bei sämtlichen Informationspflichtverstößen zur Verfügung steht, bleibt unerfindlich.

E. Widerrufsrechte Widerrufsrechte zielen wie vorvertragliche Informationspflichten darauf ab, dem Verbraucher eine präferenzkonforme, von äußeren Einflüssen freie Entscheidung für oder gegen die Geltung eines Vertrags zu ermöglichen. Im Unterschied zu Informationspflichten setzen Widerrufsrechte allerdings nicht ex ante vor Vertragsschluss bei der durch Informationsasymmetrien hervorgerufenen Störung des Willensbildungsprozesses an, sondern ex post, indem sie dem Verbraucher das Recht zusprechen, sich von einer bindenden Willenserklärung oder von einem geschlossenen Vertrag ohne Angabe von Gründen zu lösen. Der EuGH hat verbraucherschützende Widerrufsrechte in einer Reihe von Entscheidungen unter Rückgriff auf den effet utile näher konkretisiert.790 Einige dieser Urteile sind mittlerweile überholt, da neuere Richtlinien, insbesondere die VRRL 2011/83, die Rechtsbehelfe des Verbrauchers sehr viel konkreter festlegen, als dies bislang der Fall war. Die nachfolgende Analyse hat sich vorrangig an diesen Regelungen zu orientieren. Für offene Rechtsfragen können die Judikate des Gerichtshofs aber nach wie vor Anhaltspunkte dafür liefern, wie das Widerrufsrecht in den Mitgliedstaaten auszugestalten ist. Nach einem Überblick über den gegenwärtigen Bestand der verbraucherschützenden Widerrufsrechte  (I.) werden zunächst die Voraussetzungen des Widerrufs behandelt (II.), um sodann die Rechtsfolgen vor und nach Ausübung des Widerrufs im Einzelnen zu analysieren (III. – IV.). Im Lichte dieser Erkenntnisse ist sodann der Frage nachzugehen, ob das Widerrufsrecht in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung ein geeignetes Mittel zur Gewährleistung eines effektiven Verbraucherschutzes ist (V.). Die Untersuchung bezieht dabei nicht nur das geltende Sekundärrecht ein, sondern zugleich die Widerrufsregeln in den ACQP und im DCFR.

790   Zur HWiRL 85/577 vgl. EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger); Rs. C‑350/03 (Schulte); Rs. C‑229/ 04 (Crailsheimer Volksbank); Rs. C‑412/06 (Hamilton); Rs. C‑227/08 (Martín Martín); Rs. C‑215/08 (Friz). Zur FARL 97/7 vgl. EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner); Rs. C‑511/08 (Heinrich Heine). Zu den LV‑RL 90/619 und 92/96 vgl. EuGH, Rs. C‑209/12 (Endress). Zur Rechtsprechungsentwicklung supra, § 2 E.II.4. und III.2.

E. Widerrufsrechte

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I. Bestand der verbraucherschützenden Widerrufsrechte 1. Inkohärente Regelungen im Sekundärrecht Der Erlass der VRRL 2011/83 hat nicht zu einer Vereinheitlichung der verbraucherschützenden Widerrufsrechte geführt. Die Richtlinie hat die früheren Regelungen der HWiRL 85/577 und FARL 97/7 lediglich zusammengeführt791 und erweitert: Im Unterschied zu früher können nicht mehr nur Haustürgeschäfte, sondern nahezu sämtliche Verträge widerrufen werden, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen oder angebahnt worden sind.792 Daneben existieren nach wie vor weitere Richtlinien, die ebenfalls ein Widerrufsrecht zugunsten des Verbrauchers vorsehen, nämlich die FDL-FARL 2002/65,793 die VerbrKrRL 2008/48794 sowie die TSRL 2008/122.795 Auch die Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17 verlangt die Einräumung einer Frist, die dem Verbraucher ausreichend Zeit gibt, um Angebote vergleichen und eine fundierte Entscheidung treffen zu können.796 Diese Frist kann von den Mitgliedstaaten entweder als Bedenkzeit vor Vertragsschluss oder als Widerrufsrecht nach Vertragsschluss ausgestaltet werden; denkbar ist auch eine Kombination beider Varianten.797 Außerhalb des Verbraucherrechts im engeren Sinne räumt schließlich die LV‑RL 2002/83 (jetzt Solvabilitäts‑IIRL 2009/138) dem Versicherungsnehmer ein „Rücktrittsrecht“ ein,798 das – wie der EuGH im Fall Endress799 klargestellt hat – dem verbraucherschützenden Widerrufsrecht vergleichbar ist. Die von der Europäischen Kommission ursprünglich anvisierte Harmonisierung der verbraucherschützenden Widerrufsrechte in einer einzigen Horizontalrichtlinie800 ist damit gescheitert. Sowohl die Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen des Widerrufs weichen von Richtlinie zu Richtlinie voneinander ab. Unterschiedlich ist auch der Harmonisierungsgrad. Während die VRRL 2011/83, die FDLFARL 2002/65, die VerbrKrRL 2008/48 sowie die TSRL 2008/122 das Widerrufsrecht voll harmonisieren, basieren die Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17 und die LV‑RL 2002/83 (jetzt Solvabilitäts‑II-RL 2009/138) weiterhin auf dem Prinzip der Mindestharmonisierung. Die Acquis Principles versuchen demgegenüber, die verbraucherschützenden Widerrufsrechte systematischer zu regeln. Sie enthalten in Art. 5:105 ACQP einen allgemeinen Teil, der vorbehaltlich spezieller Regelungen immer dann Anwendung findet, wenn eine Partei nach anderen Normen ein gesetzliches Widerrufsrecht hat. Derartige Widerrufsrechte bestehen bei Verträgen, bei denen der Verbraucher seine vertragsbezogene Willenserklärung außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers abgegeben hat, wozu auch Fernabsatzverträge einschließlich der Fernabsatz von Finanz791

  Art.  9 – 16 VRRL 2011/83.   Art. 2 Nr. 8 VRRL 2011/83. 793   Art. 6 und Art. 7 FDL-FARL 2002/65. 794   Art. 14 und Art. 15 VerbrKrRL 2008/48. 795   Art.  6 – 8 TSRL 2008/122. 796   Art. 14 Abs. 6 UAbs. 1 Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. 797   ErwGr (23) und Art. 14 Abs. 6 UAbs. 2 Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. 798   Art. 35 LV‑RL 2002/83 (jetzt Art. 186 Solvabilitäts‑II-RL 2009/138). 799   EuGH, Rs. C‑209/12 (Endress) Rn. 28 f. 800   Vgl. die Mitteilung der Kommission „Ein kohärenteres europäisches Vertragsrecht – Ein Aktionsplan“, KOM (2003) 68 endg., S. 8, Nr. 16. 792

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§ 10  Verbraucherrecht

dienstleistungen zählen (Art. 5:A-01 ‑CQP), bei Teilzeitrechteverträgen (Art. 5:C‑01) sowie bei Verbraucherkreditverträgen (Art. 5:F‑01 ACQP). Die Art. II.-5:101 ff. DCFR folgen dieser Regelungstechnik.801 Im Unterschied zu den ACQP konnte das durch die VerbrKrRL 2008/48 neu eingeführte Widerrufsrecht jedoch nicht mehr im DCFR berücksichtigt werden. 2. Ratio und Effektivität der Widerrufsrechte Widerrufsrechte durchbrechen das in allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen anerkannte Prinzip pacta sunt servanda, da sie dem Verbraucher das Recht geben, ohne Angabe von Gründen von einem bereits geschlossenen Vertrag Abstand zu nehmen. Sie bedürfen aus diesem Grund einer besonderen Rechtfertigung. Die geltenden Richtlinien räumen dem Verbraucher daher kein generelles Reurecht ein, sondern erlauben einen Widerruf nur in besonderen Vertragsschlusssituationen oder bei besonderen Vertragsarten. Das für Haustürgeschäfte bestehende Widerrufsrecht basiert auf dem Gedanken, dass der Verbraucher aufgrund der besonderen Abschlusssituation einem erhöhten psychischen Druck in Form der Überrumpelung ausgesetzt ist802 und bei Vertragsschluss zudem keine Vergleichsmöglichkeiten mit Produkten anderer Händler hat.803 Beide Gründe rechtfertigen die Einräumung eines Widerrufsrechts freilich nur dann, wenn der Verbraucher überraschungsbedingt in einen Vertrag einwilligt, den er unter normalen Umständen nicht geschlossen hätte. Die VRRL 2011/83 sowie die ACQP und der DCFR gestehen dem Verbraucher demgegenüber ein Widerrufsrecht selbst dann zu, wenn er den Unternehmer ausdrücklich zu sich bestellt hat.804 In dieser Konstellation fällt das besondere Überraschungsmoment jedoch weg; die Überrumplungswirkung und der psychische Druck sind bei derart angebahnten Verträgen nicht viel größer als beim normalen Ladengeschäft. Die vorgenommene Ausweitung auf solche Situationen ist daher zu Recht kritisiert worden.805 Bei Fernabsatzverträgen wird das Widerrufsrecht üblicherweise damit gerechtfertigt, dass der Verbraucher aufgrund räumlicher Distanz vor Vertragsschluss keine Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen bzw. die Eigenschaften der Dienstleistung in Augenschein zu nehmen.806 Ob diese Überlegung sämtliche Widerrufsrechte im Fernabsatz trägt, ist zweifelhaft. Zum einen kann sich der Verbraucher bei standardisierten Gütern bereits vorab von deren Qualität und Eigenschaften überzeugen.807 Zum anderen kann der Verbraucher bei (Finanz‑)Dienstleistungen häufig erst nach Ausführung der Dienstleistung und damit nach Ablauf der regulären Widerrufsfrist feststellen, ob er tatsächlich einen präferenzkonformen Vertrag abgeschlossen 801   Für einen Vergleich zwischen ACQP und DCFR vgl. Terryn, in: Schulze (Hrsg.), Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law, 2. Aufl., 2009, S. 141 ff. 802   Vgl. ErwGr (4) HWiRL 85/577; ErwGr (21) und (37) VRRL 2011/83. 803   Vgl. ErwGr (4) HWiRL 85/577. 804   Sowohl die VRRL 2011/83 als auch die ACQP und der DCFR enthalten keine Art. 1 Abs. 1 Spiegelstrich 2 a. E. HWiRL 85/577 vergleichbare Regelung. Vgl. auch ErwGr (21) VRRL 2011/83. 805   Zur VRRL 2011/83 vgl. die Erklärung Österreichs, Dok.-Nr. 16933/10 ADD 1 REV 1; Ackermann, EBLR 2010, 587, 600; Unger, ZEuP 2012, 270, 279. Positiv dagegen Rott/Terryn, ZEuP 2009, 456, 475 f.; Schwab/Giesemann, EuZW 2012, 253, 254. 806   ErwGr (14) FARL 97/7; ErwGr (37) VRRL 2011/83. 807   Eidenmüller, in: Schulze/v. Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 88.

E. Widerrufsrechte

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hat.808 Grund zur Abschaffung des zwingenden Widerrufsrechts bei Fernabsatzverträgen besteht deswegen aber nicht.809 Durch die Einräumung eines Widerrufsrechts sollte und konnte das Vertrauen der Verbraucher in (grenzüberschreitende) Fernabsatzgeschäfte gestärkt werden.810 Es wäre daher ein erheblicher Rückschritt im Verbraucherrecht, wenn das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen entfiele. Bei Timeshare‑, Verbraucherkredit- und Lebensversicherungsverträgen beruht das Widerrufsrecht auf der Wertung, dass diese Vertragstypen rechtlich komplexe (Finanz‑)produkte sind, die über einen potenziell sehr langen Zeitraum erhebliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen können.811 Ratio des Widerrufsrechts ist weniger ein situatives Schutzanliegen als vielmehr das abstrakte Risiko, dass der Verbraucher seine Entscheidung für den Abschluss des Vertrags nicht hinreichend überlegt getroffen hat.812 Das Widerrufsrecht soll dem Verbraucher die Möglichkeit geben, seine Rechte und Pflichten aus dem Vertrag noch einmal überdenken und die Vertragskonditionen mit denen konkurrierender Anbieter vergleichen zu können. Ob Widerrufsrechte tatsächlich ein effektives Verbraucherschutzinstrument sind, wird von vielen Seiten bezweifelt. Empirische Studien zeigen, dass das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen nur in ca. 15 % der Fälle ausgeübt wird.813 Bei Haustürgeschäften ist dieser Prozentsatz noch niedriger.814 Ursächlich dafür ist sicherlich nicht der Umstand, dass Verbraucher in der Regel präferenzkonforme Verträge abschließen. Vielmehr besteht das generelle Problem, dass viele Verbraucher, selbst wenn sie ihre Rechte kennen,815 davor zurückscheuen, eine einmal getroffene Entscheidung wieder rückgängig zu machen (sog. Nachentscheidungsdissonanz).816 Schließlich kann auch die konkrete Ausgestaltung des Widerrufsrechts dafür verantwortlich sein, dass das Widerrufsrecht in der Praxis nur selten wahrgenommen wird.817 Ob das Widerrufsrecht ein effektives Verbraucherschutzinstrument ist, hängt letztlich davon ab, unter welchen Voraussetzungen dieser Rechtsbehelf zur Verfügung steht und welche Rechtsfolgen sich im Widerrufsfall ergeben.

808

  Loos, ZEuP 2007, 5, 10.   So jedoch Eidenmüller, AcP 210 (2010), 67 ff.; Jansen, ZEuP 2012, 741, 768 f.; G. Wagner, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), in: Revision des Verbraucher-acquis?, 2011, S. 1, 27 ff. 810   Im Ergebnis auch Hall/Howells/Watson, ERCL 2012, 139, 156; Zöchling-Jud, AcP 212 (2012), 550, 564. 811   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑209/12 (Endress) Rn. 29 (zur Lebensversicherung). 812   Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S. 239. 813  Vgl. Eurostat, Consumers in Europe, 2009, S. 127. 814   Hier werden Ausübungsquoten zwischen 1 %-6 % angegeben; vgl. Eidenmüller, in: Schulze/ v. Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 89 m. w. N. in Fn. 23. 815   Nach EU‑weiten Umfragen im Jahre 2012 sind ca. ein Viertel der befragten Verbraucher fälschlicherweise der Ansicht, dass sie im Fernabsatz kein Widerrufsrecht haben; Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen: Barometer zur Lage der Verbraucher – Verbraucher zu Hause im Binnenmarkt, 9. Ausgabe – Juli 2013, SWD (2013) 291 final, S. 54 f. 816  Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, Marketing, 18. Aufl., 1997, S. 558, 660; Rehberg, Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem, 2003, S. 60 f.; Eidenmüller, JZ 2005, 216, 221. 817   Kroll-Ludwigs, ZEuP 2010, 509, 520 ff. 809

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§ 10  Verbraucherrecht

II. Voraussetzungen des Widerrufs 1. Widerrufsfrist a) Reguläre Widerrufsfrist Art. 9 Abs. 1 VRRL 2011/83 hat eine einheitliche Widerrufsfrist von 14 Kalendertagen für die von ihr erfassten Fernabsatzverträge und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträge eingeführt. Dieselbe Frist findet sich in der FDL-FARL 2002/65, in der VerbrKrRL 2008/48 sowie in der TSRL 2008/122.818 Auch nach den ACQP und dem DCFR beträgt die Widerrufsfrist 14 Kalendertage.819 Die VRRL 2011/83 und der DCFR präzisieren zusätzlich, wie Widerrufsfristen zu berechnen ist.820 Hiervon abweichend sieht die Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17 eine Bedenkzeit bzw. Widerrufsfrist von mindestens 7 Tagen vor.821 Für Lebensversicherungsverträge müssen die Mitgliedstaaten demgegenüber nach Art. 35 Abs. 1 LV‑RL 2002/83 (jetzt Art. 186 Abs. 1 Solvabilitäts‑II-RL 2009/138) eine Rücktrittfrist festlegen, die „zwischen 14 bis 30 Tagen“ betragen kann. Dabei handelt es sich jedoch um ein Redaktionsversehen. Die LV‑RL 2002/83 wollte die bis dahin bestehenden Richtlinien „aus Gründen der Klarheit“ in einem einzigen Rechtsakt zusammenfassen.822 Bereits vor Erlass der LV‑RL 2002/83 hatte Art. 17 FDL-FARL 2002/65 aber die Rücktrittsfrist für sämtliche (also nicht nur für die im Fernabsatz geschlossenen) Lebensversicherungsverträge auf 30 Kalendertage angehoben. Da Widerrufsrechte dem Verbraucher eine Bedenkzeit einräumen sollen, innerhalb derer eine selbstbestimmte Entscheidung über den persönlichen Nutzen des Vertrags typischerweise möglich ist, müssten die Widerrufsfristen eigentlich je nach Vertragstyp unterschiedlich sein.823 Während bei Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs eine kurze Frist ausreicht, erscheint bei komplexen (Finanzdienstleistungs‑)Verträgen eine längere Frist erforderlich. Eine einheitliche Widerrufsfrist von 14 Tagen für sämtliche Vertragsschlussformen und Vertragsarten trägt andererseits zur Rechtssicherheit bei. Der Verbraucher wird nicht mit unterschiedlichen Widerrufsfristen konfrontiert, sondern kann sich darauf verlassen, dass stets dieselbe Bedenkzeit gilt.824 b) Beginn der regulären Widerrufsfrist Die VRRL 2011/83 differenziert für den Fristbeginn nach dem jeweiligen Vertragsgegenstand. Während die Frist bei Kaufverträgen erst mit Erhalt des physischen Besit818   Art. 6 Abs. 1 S. 1 FDL-FARL 2002/65; Art. 14 Abs. 1 S. 1 VerbrKrRL 2008/48; Art. 6 Abs. 1 TSRL 2008/122. 819   Art. 5:103 (1) ACQP; Art. II.-5:103 (2) DCFR; Art. 41 Abs. 1 i. V. m. Art. 42 Abs. 1 DCESL. 820   ErwGr (41) VRRL 2011/83 verweist auf die VO 1182/71 über die Festlegung der Regeln für Fristen, Daten und Termine, ABl. 1971 L 124/1. Auf dieser Verordnung aufbauend wird die Berechnung von Fristen in Art. I.‑1:110 DCFR genau vorgegeben. 821   Art. 14 Abs. 6 UAbs. 1 Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17. 822   Vgl. ErwGr (1) LV‑RL 2002/83. 823   Büßer, Das Widerrufsrecht des Verbrauchers, 2001, S. 183. Mankowski, in: Schulze/SchulteNölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 357, 366 ff., fordert insb. für Timeshareverträge eine lange Widerrufsfrist von fünf Jahren. 824  Ausführlich Loos, ZEuP 2007, 5, 31 f.

E. Widerrufsrechte

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zes beginnt, kann sie bei Dienstleistungsverträgen bereits ab Vertragsschluss beginnen.825 Nach der FDL-FARL 2002/65, der VerbrKrRL 2008/48 sowie nach der TSRL 2008/122 läuft die reguläre Widerrufsfrist ebenfalls bereits ab dem Tag des Vertragsschlusses bzw. (bei Timeshareverträgen) ab Abschluss eines verbindlichen Vorvertrags.826 Dieselben Regeln finden sich in den ACQP und im DCFR.827 Allein Art. 186 Abs. 1 Solvabilitäts‑II-RL 2009/138 bestimmt abweichend hiervon, dass die Rücktrittsfrist nicht mit Vertragsschluss, sondern erst dann beginnt, wenn der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen worden ist. Dass bei Warenlieferungen der Tag des physischen Besitzes für den Fristbeginn ausschlaggebend ist, erklärt sich aus der Ratio des Widerrufsrechts. Da der Verbraucher die Ware prüfen können soll, darf die Widerrufsfrist erst beginnen, wenn ihm die Ware zur Verfügung steht. Auch bei Dienstleistungen wäre eigentlich nicht der Vertragsschluss der richtige Anknüpfungspunkt, sondern der Tag, an welchem mit der Ausführung der Dienstleistung begonnen wird.828 Vorher bestehen für den Verbraucher nämlich noch keine realen Vergleichsmöglichkeiten. Der frühere Fristbeginn bei Dienstleistungen lässt sich wohl nur mit den spezifischen Problemen bei der Rückabwicklung erklären. Im Unterschied zu Waren können Dienstleistungen nicht in natura herausgegeben werden.829 Für den Verbraucher besteht daher die Gefahr, dass er Wertersatz für empfangene Dienste leisten muss, die er eigentlich nicht haben wollte. Die Widerrufsfrist knüpft daher an den Vertragsschluss und nicht an die Ausführung der Dienstleistung an. c) Verlängerte Widerrufsfrist bei Verstoß gegen Informationspflichten aa) Verstoß gegen Widerrufsbelehrungspflichten Wird der Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht belehrt, kann er dieses Recht infolge Unkenntnis auch nicht ausüben. Der Gerichtshof urteilte daher in der Rechtssache Heininger830 für die HWiRL 85/577, dass der Widerruf bei unterlassener Widerrufsbelehrung zeitlich nicht befristet werden darf. Dem Urteil Hamilton831 lässt sich entnehmen, dass Gleiches für eine nicht ordnungsgemäße Belehrung gilt. Art. 10 Abs. 2 VRRL 2011/83 sieht dementsprechend vor, dass die vierzehntägige Widerrufsfrist erst zu laufen beginnt, wenn der Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. Um Unternehmern die Erfüllung ihrer Widerrufsbelehrungspflichten zu erleichtern, kann die in Anhang I.A. der Richtlinie vorgesehene Muster-Widerrufsbelehrung verwendet werden; in diesem Fall wird nach Art. 6 Abs. 4 S. 2 der Richtlinie zugunsten des Unternehmers eine vollständige Erfüllung der Widerrufsbelehrungspflichten unterstellt. 825

  Art. 9 Abs. 2 lit. a – b VRRL 2011/83.   Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 FDL-FARL 2002/65; Art. 14 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a VerbrKrRL 2008/48; Art. 6 Abs. 2 lit. a TSRL 2008/122. 827   Art. 5:103 (1) ACQP; Art. II.-5:103 (2) DCFR. 828   Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S. 746; Loos, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law, 2009, S. 237, 252. 829   Hierzu sogleich, infra § 10 E.IV.3.c. 830   EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger) Rn. 45 ff. 831   EuGH, Rs. C‑412/06 (Hamilton) Rn. 35. 826

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§ 10  Verbraucherrecht

Auch die FDL-FARL 2002/65, die VerbrKrRL 2008/48 sowie die TSRL 2008/122 knüpfen den Fristbeginn bzw. die Länge der Widerrufsfrist an den Erhalt einer ordnungsgemäßen Belehrung.832 Gleiches gilt nach der Endress-Entscheidung833 für das Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungsverträgen. Ob die in Art. 14 Abs. 6 Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17 vorgeschriebene siebentägige Überlegungsfrist ebenfalls an den Erhalt einer Belehrung geknüpft werden muss, bleibt offen, ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift aber zu bejahen, denn ohne eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung wäre diese Frist sinnlos. bb) Verstoß gegen sonstige Informationspflichten Uneinheitlich wird im Unionsrecht die Frage geregelt, ob der Verstoß gegen sonstige Informationspflichten ebenfalls zu einer Verlängerung der Widerrufsfrist führt. Nach der FDL-FARL 2002/65 und der TSRL 2008/122 wird die Widerrufsfrist nicht nur an eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung, sondern an die Erfüllung sämtlicher Informationspflichten geknüpft.834 In ähnlicher Weise beginnt die Widerrufsfrist nach der VerbrKrRL 2008/48 erst bei Erhalt des Kreditvertrags, der sämtliche Pflichtangaben enthalten muss.835 Auch für das Rücktrittsrecht in der Lebensversicherung wird angenommen, dass die Frist erst durch die Übermittlung der Verbraucherinformationen in Gang gesetzt wird.836 Die Acquis Principles und der DCFR generalisieren diesen Rechtsgedanken. Nach Art. 2:208 (1) ACQP und Art. II.-3:109 (1) (1) DCFR beginnt die Widerrufsfrist nicht, bevor alle vorvertraglichen Informationen gegeben worden sind. Abweichend hiervon bestimmt Art. 10 VRRL 2011/83, dass nur der Erhalt der Widerrufsbelehrung, nicht aber die Übermittlung der sonstigen Verbraucherinformationen Voraussetzung für den Fristbeginn ist. Dies bedeutet einen erheblichen Rückschritt gegenüber dem bisherigen Verbraucherschutzniveau.837 Stehen dem Verbraucher während der Bedenkzeit die vorvertraglichen Informationen nicht zur Verfügung, kann er auch keine informierte Entscheidung darüber treffen, ob er am Vertrag festhält. Durch den Fortfall der Verlängerung der Widerrufsfrist entfällt zudem ein wichtiges Mittel zur Sanktionierung von Informationspflichtverstößen. Zwar kann ein Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten sonstige individualvertragliche Rechtsfolgen auslösen.838 Die Verlängerung der Widerrufsfrist bildet jedoch ein besonders einfaches Instrument, um derartige Verstöße zu sanktionieren, und es 832   Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 FDL-FARL 2002/65; Art. 14 Abs. 1 UAbs. 2 lit. b VerbrKrRL 2008/48; Art. 6 Abs. 4 S. 1 TSRL 2008/122. Im Unterschied zu anderen Richtlinien wird der Beginn der Widerrufsfrist in Art. 14 Abs. 1 UAbs. 2 lit. b VerbrKrRL 2008/48 streng genommen nicht an die Erfüllung vorvertraglicher Informationspflichten (Art. 5), sondern an die im Kreditvertrag aufzunehmenden Pflichtangaben (Art. 10) geknüpft. Diese Pflichtangaben umfassen aber gem. Art. 10 Abs. 2 lit. p, q der RL auch die Belehrung über das Widerrufsrecht. 833   EuGH, Rs. C‑209/12 (Endress) Rn. 32. 834   Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 FDL-FARL 2002/65; Art. 6 Abs. 4 S. 2 TSRL 2008/122. 835   Art. 14 Abs. 1 UAbs. 2 lit. b VerbrKrRL 2008/48. 836   BGH, NJW 2014, 2646, 2647 f., Rn. 21. Der BGH geht damit über die vom EuGH entwickelten Vorgaben hinaus. Die Entscheidung EuGH, Rs. C‑209/12 (Endress), bezieht sich nämlich nur auf die Verletzung von Widerrufsbelehrungspflichten. 837   Ebenfalls kritisch (zur VRRL und Vorentwürfen) Howells/Schulze, in: dies. (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law, 2009, S. 3, 17 f.; R. Koch, JZ 2014, 758, 760 f. 838  Hierzu supra, § 10 D.IV.

E. Widerrufsrechte

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ist keineswegs sicher, ob die Mitgliedstaaten bei Umsetzung der VRRL 2011/83 auf andere, gleich effektive Mittel zurückgreifen werden. d) Maximalfrist vs. ewiges Widerrufsrecht Art. 10 Abs. 1 VRRL 2011/83 statuiert eine Maximalfrist für die Ausübung des Widerrufsrechts. Hat der Unternehmer nicht (ordnungsgemäß) über das Widerrufsrecht belehrt, kann der Verbraucher sein Widerrufsrecht nur noch innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist ausüben, also 12 Monate und 14 Tage nach Abschluss des Vertrags bzw. Erhalt der Ware.839 ErwGr (43) der Richtlinie rechtfertigt diese Ausschlussfrist damit, dass „Rechtssicherheit bezüglich der Dauer der Widerrufsfrist gewährleistet“ sein müsse. Auch in der TSRL 2008/122 wird das Widerrufsrecht zeitlich befristet. Nach Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie beginnt die vierzehntägige Widerrufsfrist frühestens an dem Tag zu laufen, an dem der Verbraucher das für die Widerrufsbelehrung vorgesehene Formblatt sowie die sonstigen vorgeschriebenen Informationen erhält. Verletzt der Unternehmer seine Pflicht zur Übermittlung der Widerrufsbelehrung, so erlischt das Widerrufsrecht aber in jedem Fall gem. Art. 6 Abs. 3 lit. a 12 Monate und 14 Tage nach regulärem Fristbeginn, also nach Abschluss des Vertrags oder verbindlichen Vorvertrags oder Aushändigung der Vertragsunterlagen, falls dies nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses liegt. Werden sonstige Informationspflichten missachtet, endet die Widerrufsfrist dagegen nach Art. 6 Abs. 3 lit. b bereits 3 Monate und 14 Tage nach regulärem Fristbeginn. Alle sonstigen Richtlinien, also die FDL-FARL 2002/65, die VerbrKrRL 2008/48 sowie die LV‑RL (jetzt Solvabilitäts‑II-RL 2009/138), sehen demgegenüber keine zeitliche Befristung des Widerrufsrechts vor. Für diese Richtlinien sind die vom EuGH in Heininger840 und Endress841 entwickelten Vorgaben („ewiges Widerrufsrecht“ bei Nichtbelehrung) weiterhin von Bedeutung. Art. 10 VRRL 2011/83 kann insbesondere kein gemeineuropäisches Prinzip der Befristung von Widerrufsrechten entnommen werden.842 Der Unionsgesetzgeber hatte bereits vor der Heininger-Entscheidung in der FARL 97/7 und der früheren TSRL 94/47 Maximalfristen vorgesehen.843 Dennoch entschied der Gerichtshof für die HWiRL 85/577 im Fall Heininger anders. Selbst nach Verabschiedung der VRRL 2011/83 wurde das „ewige Widerrufsrecht“ im Fall Endress für Lebensversicherungsverträge erneut bestätigt. Dass einige verbraucherschützende Widerrufsrechte nur innerhalb einer Maximalfrist ausgeübt werden können, während andere bei unterbliebener Widerrufsbelehrung und teils sogar bei unterbliebener Verbraucherinformation zeitlich unbegrenzt sind, lässt sich nicht rechtfertigen. Der Unionsgesetzgeber ist aufgerufen, diese Inkohärenzen zu beseitigen.

839   Art. 5:103 (1) (1) ACQP und Art. II.-5:103 (3) DCFR sehen demgegenüber eine Einjahresfrist vor, die nicht um 14 Tage verlängert wird. 840   EuGH, Rs. C‑481/99 (Heininger) Rn. 45 ff. 841   EuGH, Rs. C‑209/12 (Endress) Rn. 32. 842   So jedoch OLG München, NJOZ 2014, 204, 206; Brand, VersR 2013, 1, 11; in diese Richtung auch Armbrüster, NJW 2014, 497. Unklar Unger, ZEuP 2012, 270, 289 (Heininger-Rechtsprechung ist europarechtlich passé). 843   Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 FARL 97/7; Art. 5 Abs. 1, 2. Spiegelstrich TSRL 94/47.

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§ 10  Verbraucherrecht

e) Verwirkung des Widerrufsrechts? Der EuGH musste sich noch nicht mit der Frage beschäftigen, ob verbraucherschützende („ewige“) Widerrufsrechte nach nationalem Recht durch das Rechtsinstitut der Verwirkung zeitlich begrenzt werden dürfen. Während der BGH diese Frage im allgemeinen Verbraucherrecht bislang offen gelassen hat,844 entschied er mit Urteil vom 16. Juli 2014 für Lebensversicherungsverträge, dass es einem Versicherungsnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt sei, nach jahrelanger Durchführung des Versicherungsvertrags von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen.845 Dies gelte, so der BGH in einem obiter dictum, selbst dann, wenn der Berechtigte keine Kenntnis von seiner Berechtigung gehabt habe.846 Die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens hielten die deutschen Richter für entbehrlich, da auch nach der EuGH-Rechtsprechung eine missbräuchliche Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet sei.847 2. Ausübung des Widerrufsrechts Sämtliche verbraucherschützenden Widerrufsrechte basieren auf dem Grundsatz, dass sie ohne Angabe von Gründen ausgeübt werden können.848 Widerrufsrechte dienen dem Schutz vor einem „unerwünschten Vertrag“. Anders als bei sonstigen Vertragslösungsrechten (wie beispielsweise der Anfechtung wegen Irrtums, Täuschung und Drohung) kommt es nicht darauf an, dass die Vertragsentscheidung des Verbrauchers auf einem aktuellen Fehler in der Willensbildung beruht. Dem Verbraucher soll durch das Widerrufsrecht eine Abstandnahme vom Vertrag selbst dann ermöglicht werden, wenn er diesen aufgrund eines (formal) fehlerfreien Willlens geschlossen hat. Daher kann auch die Ausübung des Widerrufs nicht von einem Begründungserfordernis abhängig gemacht werden. Die Modalitäten der Widerrufsausübung werden im Sekundärrecht nur ansatzweise geregelt. Unklar ist insbesondere, in welcher Form der Verbraucher den Widerruf erklären kann. Die meisten Richtlinien treffen keine konkreten Vorgaben, sondern überlassen diese Frage dem anwendbaren nationalen Recht.849 Dies hat rechtsvergleichend betrachtet zu unterschiedlichen Anforderungen in den Mitgliedstaaten geführt. Während rund die Hälfte der Mitgliedstaaten keine Formvorschriften vorsieht, verlangen andere Länder eine Erklärung in Schriftform, in Textform oder per Einschreiben und lassen teils alternativ einen Widerruf durch Rücksendung der Ware zu.850 844   BGH, NJW-RR 2005, 180, 182; NJW-RR 2007, 257, 259. Vgl. jetzt aber BGH, NJW 2016, 1951: Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) kommt nur ausnahmsweise in Betracht, z. B. bei arglistigem oder schikanösem Verhalten des Verbrauchers. 845   BGH, NJW 2014, 2723, 2727, Rn. 32 ff. 846   BGH, NJW 2014, 2723, 2727, Rn. 36. 847   BGH, NJW 2014, 2723, 2728, Rn. 42. Ausführlich supra, § 4 E.V.3. 848   Die meisten Richtlinien heben dies ausdrücklich hervor; vgl. Art. 9 Abs. 1 VRRL 2011/83; Art. 6 Abs. 1 S. 1 FDL-FARL 2002/65; Art. 14 Abs. 1 S. 1 VerbrKrRL 2008/48; Art. 6 Abs. 1 TSRL 2008/122. 849   Art. 5 Abs. 1 S. 1 HWiRL 85/577; Art. 6 Abs. 6 S. 1 FDL-FARL 2002/65; Art. 14 Abs. 3 lit. a S. 1 VerbrKrRL 2008/48; Art. 186 Abs. 1 UAbs. 3 Solvabilitäts‑II-RL 2009/138. Art. 7 S. 1 TSRL 2008/122 verlangt demgegenüber eine Widerrufsentscheidung „in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger“; der Verbraucher kann dazu das in Anhang V der Richtlinie vorgesehene Formblatt verwenden. 850   Vgl. nur Schulte-Nölke/Börger, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 307, 344 f. (zur Umsetzung der FARL 97/7). Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2003, § 14 Rn. 375, hält Form-

E. Widerrufsrechte

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Die vollharmonisierende VRRL 2011/83 enthält demgegenüber verbindliche Vorgaben zur Ausübung des Widerrufsrechts. Nach Art. 11 Abs. 1 S. 2 kann der Verbraucher entweder das in Anhang I Teil B der Richtlinie vorgesehene Muster-Widerrufsformular verwenden (lit. a)851 oder „eine entsprechende Erklärung in beliebiger anderer Form abgeben, aus der sein Entschluss zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgeht“ (lit. b). Beide Möglichkeiten können dem Verbraucher nach Art. 11 Abs. 3 S. 1 auch elektronisch auf der Webseite des Unternehmers zur Verfügung gestellt werden. Eine Ausübung des Widerrufsrechts durch bloße Rücksendung der Ware ist demgegenüber nicht (mehr) möglich. Da die Richtlinie eine an den Unternehmer gerichtete Erklärung verlangt, aus der die Widerrufsentscheidung „eindeutig“ hervorgeht, muss die Rücksendung der Ware von einer deutlichen Widerrufserklärung begleitet sein.852 Die ACQP und der DCFR statuieren demgegenüber für die Widerrufserklärung nur den Grundsatz der Formfreiheit, ohne ein Muster-Widerrufsformular vorzusehen, und lassen im Übrigen auch eine (konkludente) Ausübung des Widerrufsrechts durch Rücksendung der Ware zu.853 Schließlich stellen nahezu sämtliche Richtlinien und die akademischen Regelwerke klar, dass die Widerrufsfrist gewahrt ist, wenn die Mitteilung vor Ablauf der Widerrufsfrist abgesandt wird (sog. dispatch principle).854 Dementsprechend trägt nicht der Verbraucher das Risiko einer etwaigen Verzögerung des Zugangs, sondern der Unternehmer, sofern der Verbraucher nur beweisen kann (vgl. Art. 11 Abs. 4 VRRL 2011/83), dass er die Widerrufserklärung rechtzeitig auf den Weg gebracht hat.

III. Rechtslage während der Widerrufsfrist 1. Schwebende Wirksamkeit des Vertrags Lange Zeit war ungeklärt, welche Auswirkungen die Möglichkeit eines Widerrufs auf das Bestehen eines abgeschlossenen Vertrags hat. In Deutschland galt bis zur Umsetzung der FARL 97/7 im Jahre 2000 für Haustürgeschäfte, Verbraucherkreditverträge und Teilzeitwohnrechteverträge das Konzept der schwebenden Unwirksamkeit.855 Danach führte erst ein Ausbleiben des Widerrufs mit Ablauf der Widerrufsfrist vorschriften für nicht mit dem Effektivitätsgebot vereinbar, da diese die Ausübung des Widerrufs übermäßig erschweren. EuGH-Rechtsprechung liegt hierzu noch nicht vor. Der Gerichtshof hat bislang nur entschieden, dass die HWiRL 85/577 einem Mitgliedstaat nicht verbietet, einen formlosen Widerruf zu gestatten; EuGH, Rs. C‑423/97 (Travel Vac) Rn. 51. 851   Unklar bleibt, ob der Unternehmer das Muster-Widerrufsformular dem Verbraucher zwingend zur Verfügung stellen muss. Art. 6 Abs. 1 lit. h VRRL 2011/83 verpflichtet den Unternehmer nur zur Information über das Formular, ohne zu präzisieren, ob dieses beigefügt werden muss (ebenfalls unklar: Art. 17 (1) CESL). Für eine derartige Verpflichtung Looschelders, in: Remien/Herrler/Limmer (Hrsg.), Gemeinsames Europäisches Kaufrecht für die EU?, 2012, S. 107, 131 (zu Art. 17 (1) DCESL); Schmidt/Brönneke, VuR 2013, 448, 455 (zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und S. 2 EGBGB). 852   ErwGr (44), Art. 11 Abs. 1 S. 2 lit. b VRRL 2011/83. 853   Art. 5:102 ACQP; Art. II.-5:102 DCFR. 854   Art. 11 Abs. 2 VRRL 2011/83; Art. 6 Abs. 6 S. 3 FDL-FARL 2002/65; Art. 14 Abs. 3 lit. a S. 2 VerbrKrRL 2008/48; Art. 7 S. 3 TSRL 2008/122; Art. 5:103 (2) ACQP; Art. II.-5:103 (4) DCFR. 855   Nach § 1 Abs. 1 HWiG a. F. (1986), § 7 Abs. 1 VerbrKrG a. F. (1990) und § 5 Abs. 1 TzWrG a. F. (1996) wurde die Willenserklärung des Verbrauchers „erst wirksam“, wenn dieser sie nicht fristgerecht widerruft. Zum Konzept der schwebenden Unwirksamkeit vgl. die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BT‑Drucks. 14/2658, S. 41.

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§ 10  Verbraucherrecht

zur Wirksamkeit des Vertrags. Vor Ablauf der Widerrufsfrist bestand demgegenüber ein Schwebezustand, der nach Ansicht des BGH weder Erfüllungs- noch Sekundäransprüche zwischen den Parteien begründete.856 Auch in anderen Mitgliedstaaten wurden verbraucherschützende Widerrufsrechte nach diesem Konzept geregelt, so beispielsweise in Belgien.857 Demgegenüber hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass das geltende Sekundärrecht bis zur Ausübung des Widerrufsrechts einen (schwebend) wirksamen Vertrag voraussetzt.858 Alle einschlägigen Regelungen knüpfen nämlich die Widerrufsfrist entweder an den Abschluss eines Vertrags oder den Empfang der Ware.859 Auch in Deutschland,860 in Österreich861 sowie in vielen anderen Mitgliedstaaten862 wird nunmehr von einer schwebenden Wirksamkeit des Vertrags ausgegangen. Die Vertragsparteien haben demzufolge während der Widerrufsfrist sowohl Erfüllungs- als auch Sekundäransprüche. 2. Verbot des Leistungsaustauschs Dieser Grundsatz wird durch Ausnahmen durchbrochen. Nach der TSRL 2008/122 müssen die Mitgliedstaaten zwingend ein Anzahlungsverbot vorsehen. Gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darf der Unternehmer vor Ablauf der Widerrufsfrist Zahlungen des Verbrauchers weder fordern noch annehmen. Andere Richtlinien ordnen zwar kein zwingendes Verbot des Leistungsaustauschs an. Sie räumen aber die Möglichkeit ein, derartige Verbote im nationalen Recht zu verankern. Nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 FDL-FARL 2002/65 können die Mitgliedstaaten zusätzlich zum Widerrufsrecht vorsehen, dass die Wirksamkeit von Fernabsatzverträgen über Geldanlagedienstleistungen für die Dauer der Widerrufsfrist ausgesetzt wird. Auch Art. 14 Abs. 7 VerbrKrRL 2008/48 gestattet den Mitgliedstaaten eine Frist vorzuschreiben, innerhalb derer die Ausführung des Vertrags nicht beginnen kann. Anzahlungsverbote erleichtern dem Verbraucher die Wahrnehmung seines Widerrufsrechts, weil er im Falle des Widerrufs keine Ansprüche auf Rückzahlung geltend machen muss. Die Grundfreiheiten stehen aus diesem Grund einer nationalen Regelung nicht entgegen, die es dem Unternehmer untersagt, vom Verbraucher bei grenzüberschreitenden Geschäften vor Ablauf der Widerrufsfrist eine Anzahlung oder Zahlung zu verlangen. Derartige Normen sind nach Auffassung des EuGH grundsätzlich geeignet und erforderlich, um ein hohes Schutzniveau für die Verbraucher in

856   BGHZ 119, 283, 298 = NJW 1993, 64, 68; BGHZ 131, 82, 87 = NJW 1996, 57 f.; St. Lorenz, NJW 1995, 2258, 2260 f.; a. A. Mankowski, WM 2001, 793, 799 ff. 857   Terryn, in: Schulze (Hrsg.), Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law, 2. Aufl., 2009, S. 141, 159 (mit Fn. 87). 858   Møgelvang-Hansen/Terryn/Schulze, in: ACQP, 2009, Art. 5:105 ACQP Rn. 4, S. 261 f.; v. Bar/ Clive (Hrsg.), Draft Common Frame of Reference (DCFR), Full Edition, 2009, S. 373. 859  Hierzu supra, § 10 E.II.1.b. 860  Vgl. nur die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BT‑Drucks. 14/2658, S. 47, mit Hinweis darauf, dass „die Konstruktion der schwebenden Wirksamkeit für alle Verbrauchschutzgesetze eingeführt“ werden soll. 861   Kalss/Lurger, JBl. 1998, 219, 225. 862  Vgl. Büßer, Das Widerrufsrecht des Verbrauchers, 2001, S. 205 – 212.

E. Widerrufsrechte

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Bezug auf die Ausübung ihres Widerrufsrechts sicherzustellen.863 Unverhältnismäßig ist nach Ansicht des Gerichtshofs lediglich ein Verbot, das dem Unternehmer untersagt, vom Verbraucher vor Ablauf der Widerrufsfrist die Nummer seiner Kreditkarte zu verlangen.864 Die Grundfreiheiten greifen freilich nur in Bereichen, in denen keine abschließende Harmonisierung erfolgt ist.865 Die vollharmonisierende VRRL 2011/83 ordnet in Art. 9 Abs. 3 demgegenüber ausdrücklich an, dass die Mitgliedstaaten den Vertragsparteien eine Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen während der Widerrufsfrist nicht verbieten dürfen. Ein Anzahlungsverbot bei Fernabsatzverträgen ist daher nach der VRRL 2011/83 generell unzulässig. Lediglich bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen dürfen nach Art. 9 Abs. 3 S. 2 innerstaatliche Rechtsvorschriften aufrechterhalten werden, die dem Unternehmer verbieten, innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Vertragsschluss eine Zahlung vom Verbraucher zu fordern oder entgegenzunehmen.866 3. Erlöschen des Widerrufsrechts bei Erfüllung Werden vor Ablauf der Widerrufsfrist Leistungen ausgetauscht, stellt sich die Frage, ob der Verbraucher weiterhin von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen darf oder ob dieses erlischt. Im Fall Hamilton867 erklärte der Gerichtshof die im deutschen § 2 Abs. 1 S. 4 HWiG a. F. geregelte Befristung des Widerrufsrechts auf einen Monat nach vollständiger Erbringung der wechselseitigen Leistungen mit den Vorschriften der HWiRL 85/577 selbst dann für vereinbar, wenn der Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt wurde. Dies war jedoch keine zwingende Vorgabe. Da die HWiRL 85/577 auf dem Prinzip der Mindestharmonisierung beruht, konnten viele Mitgliedstaaten an Regelungen festhalten, nach denen ein Widerruf selbst nach vollständiger Leistungserbringung noch zulässig war.868 Nach der vollharmonisierenden VRRL 2011/83 ist dies bei Dienstleistungsverträgen nicht mehr möglich. Art. 16 lit. a der Richtlinie gestattet einen Widerruf nur bis zur Vollendung der Erbringung der Dienstleistung, wenn der Verbraucher dem Beginn der Dienstleistung ausdrücklich zugestimmt und zur Kenntnis genommen hat, dass sein Widerrufsrecht mit Vollendung der Dienstleistung erlischt.869 Die FDL-FARL 2002/65 stellt demgegenüber nicht einseitig auf die Leistungserbringung des Unternehmers, sondern auf die beiderseitige vollständige Erfüllung des Vertrags ab. Nach Art. 6 Abs. 2 lit. c erlischt das Widerrufsrecht nur bei Verträgen, die auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten bereits voll erfüllt 863   EuGH, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts) Rn. 56, für Verträge im Anwendungsbereich der (mindestharmonisierenden) FARL 97/7. 864   EuGH, Rs. C‑205/07 (Gysbrechts) Rn. 62. 865   EuGH, Rs. C‑322/01 (Deutscher Apothekerverband) Rn. 64; Rs. C‑205/07 (Gysbrechts) Rn. 33. 866   Der ursprüngliche Richtlinienvorschlag aus dem Jahre 2008, KOM (2008) 614 endg., wollte demgegenüber den Mitgliedstaaten in Art. 12 Abs. 4 generell verbieten, Anzahlungsverbote im nationalen Recht aufzunehmen; dazu Ebers, InDret 2/2010, 1, 19. 867   EuGH, Rs. C‑412/06 (Hamilton). Dazu Ebers, VuR 2008, 270 f.; Häublein, ZIP 2008, 2005 ff.; Kroll, NJW 2008, 1999 ff.; Mankowski, JZ 2008, 1141 ff. 868   Ebers, VuR 2008, 270, 271 m. w. N. zu mitgliedstaatlichen Regelungen 869   Bei digitalen Inhalten, die nicht auf einem körperlichen Datenträger bereitgestellt werden, endet das Widerrufsrecht nach Art. 16 lit. m sogar bereits dann, wenn der Unternehmer mit der Ausführung beginnt. Voraussetzung ist allerdings auch hier, dass der Verbraucher der Ausführung ausdrücklich zugestimmt und die Kenntnis vom Erlöschen seines Widerrufsrechts bestätigt hat.

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§ 10  Verbraucherrecht

sind, bevor der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt. Ähnliche Regelungen finden sich in den ACQP und im DCFR.870 Rechtspolitisch lässt sich der in der VRRL 2011/83 angeordnete vollständige Ausschluss des Widerrufsrechts nach Leistungserbringung kaum rechtfertigen.871 Das Widerrufsrecht soll dem Verbraucher die Möglichkeit geben, seine Entscheidung für den Vertrag noch einmal überdenken zu können. Dies setzt voraus, dass er die versprochene Dienstleistung prüfen kann. Diese Chance wird ihm versperrt, wenn er die ihm (aufgrund des schwebend wirksamen Vertrags) zustehende Leistung in Anspruch nehmen will, der Unternehmer daraufhin vollständig erfüllt, und das Widerrufsrecht infolgedessen erlischt. Bei sukzessiven Dienstleistungen verliert der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach der VRRL 2011/83 zwar erst mit Erbringung der letzten Teilleistung. Häufig ist ihm jedoch weder der genaue Erfüllungszeitpunkt bekannt, noch wird ihm bewusst sein, dass gerade die Vornahme der letzten Erfüllungshandlung sein Widerrufsrecht erlöschen lässt.872 Auch praktische Probleme bei der Rückabwicklung von Dienstleistungen vermögen einen Ausschluss des Widerrufsrechts nach vollständiger Leistungserbringung nicht zu rechtfertigen,873 da sich diese mit Hilfe eines Wert­ersatzanspruchs im Widerrufsfall bewältigen lassen.874 Die Regelung beschwört vor allem Missbrauchsgefahren hervor. Für Unternehmer wird geradezu ein Anreiz geschaffen, auf eine schnelle Vertragsabwicklung zu drängen und den Verbraucher zu einer Zustimmung zu bewegen. Einem derartigen Missbrauch begegnet die VRRL 2011/83 nicht mit wirksamen Mitteln. Der Verbraucher muss der Dienstleistungserbringung lediglich zustimmen, nicht jedoch – wie in Art. 6 Abs. 2 lit. c FDL-FARL 2002/65 vorgesehen – einen dahingehenden Wunsch selbst äußern. Die Initiative kann daher auch vom Unternehmer ausgehen und damit dem Verbraucher aufgedrängt werden. Die VRRL 2011/83 verlangt zudem nur Kenntnis des Verbrauchers vom Verlust seines Widerrufsrechts. Die Übermittlung sonstiger Informationen ist demgegenüber nicht Voraussetzung für das Erlöschen des Widerrufsrechts. Damit besteht die Gefahr, dass der Verbraucher einer sofortigen Leistungserbringung zustimmt und dadurch sein Widerrufsrecht verliert, obwohl er zu diesem Zeitpunkt weder die Dienstleistung prüfen konnte noch detaillierte Informationen über diese erhalten hat.

IV. Rechtsfolgen des Widerrufs Die Effektivität verbraucherschützender Widerrufsrechte wird maßgeblich durch die Rechtsfolgen beeinflusst, die sich nach Ausübung des Widerrufsrechts für beide Parteien ergeben. Wird der Verbraucher aufgrund des Rückabwicklungsregimes wirtschaftlich betrachtet am ungewollten Vertrag letztlich doch festgehalten oder 870   Art. 5:A-01 (4) (b), (4) (d) (ii) und (5) ACQP; Art. II.-5:201 (3) (b), (3) (d) (ii) und (4) DCFR. Nach diesen Regeln wird das Widerrufsrecht im Unterschied zur VRRL 2011/83 bei Dienstleistungen (außer Finanzdienstleistungen) allerdings nicht bei vollständiger Erfüllung, sondern bereits dann ausgeschlossen, wenn die Leistung vor Ende der Widerrufsfrist begonnen hat. 871  Grundlegend Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S. 518 ff. (zu § 312d Abs. 3 Nr. 2 BGB a. F.). 872  So Kroll-Ludwigs, ZEuP 2010, 509, 522 f. 873   So jedoch Tonner, in: Micklitz/Tonner, Vertriebsrecht, 2002, § 312d BGB Rn. 21; Unger, ZEuP 2012, 270, 296. 874  Zutreffend Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S. 518; ders., JZ 2008, 1141, 1146.

E. Widerrufsrechte

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sonst mit prohibitiv hohen Kosten belastet, wird er in der Regel von einem Widerruf absehen. Der EuGH urteilte daher in den Rechtssachen Messner875 und Heine,876 dass nationale Rückabwicklungsvorschriften im Einklang mit der Zielsetzung der zugrunde liegenden Richtlinie und insbesondere mit dem Effektivitätsgebot stehen müssen. 1. Allgemeine Wirkungen des Widerrufs Unter der Geltung der HWiRL 85/577 und FARL 97/7 war ungeklärt, welche Rechtswirkungen ein ausgeübter Widerruf auf einen bereits abgeschlossenen Vertrag hat. Im Fall Schulte877 verlangte der EuGH für den Haustürwiderruf lediglich eine Wiederherstellung des status quo ante: Der Widerruf bewirke, so der Gerichtshof, einen Wegfall der gegenseitigen Verpflichtungen und „eine Wiederherstellung der ursprünglichen Situation“. Offen blieb nach der Entscheidung, ob dem Widerruf exnunc- oder ex-tunc-Wirkung zukommt.878 In den Mitgliedstaaten wird diese Frage uneinheitlich beantwortet.879 Auch die Rückabwicklung unterliegt unterschiedlichen Regeln. Während das deutsche Recht bis zur Umsetzung der VRRL 2011/83 für die Widerrufsfolgen in weitem Umfang auf das Rücktrittsrecht Bezug nahm,880 erfolgt die Rückabwicklung in anderen Rechtsordnungen entweder nach eigenständigen Regeln, nach Rücktrittsrecht, nach den Regeln zur Rückabwicklung bei Vertragsnichtigkeit oder nach bereicherungsrechtlichen Normen.881 Art. 12 lit. a VRRL 2011/83 statuiert, dass mit der Ausübung des Widerrufsrechts die „Verpflichtungen“ der Vertragsparteien zur Erfüllung des Fernabsatz- oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags „enden“ („withdrawal shall terminate the obligations of the parties“).882 An die Stelle der ursprünglichen Leistungspflichten treten nach Art. 13 – 14 spezielle Pflichten des Unternehmers und Verbrauchers im Widerrufsfall. Dies spricht dafür, dass der Widerruf das bestehende Vertragsverhältnis ex tunc in ein Rückgewährschuldverhältnis verwandelt.883 Die VRRL 2011/83 regelt zudem den Fall, dass der Verbraucher nur ein Angebot abgeben hat, ohne dass ein Vertrag zustande gekommen ist; Art. 12 lit. b bestimmt für diese Konstellation, dass der Verbraucher dann bei Widerruf an sein Angebot nicht mehr gebunden ist. 875

  EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn. 29.   EuGH, Rs. C‑511/08 (Heinrich Heine) Rn. 54. 877   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 88. 878   GA Léger, SchlA, Rs. C‑229/04 (Crailsheimer Volksbank) Rn. 72, argumentierte demgegenüber, dass der Widerruf „zur rückwirkenden Aufhebung des Vertrages“ führe. 879   Møgelvang-Hansen/Terryn/Schulze, in: ACQP, 2009, Art. 5:105 ACQP Rn. 5, S. 262; Terryn, in: Schulze (Hrsg.), Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law, 2. Aufl., 2009, S. 141, 163 f. 880   § 357 Abs. 1 S. 1 BGB a. F. Seit Umsetzung der VRRL 2011/83 werden die Widerrufsfolgen dagegen separat von den Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt geregelt; hierzu BT‑Drucks.  17/12637, S. 33, 59; Schmidt-Kessel/Sorgenfrei, GPR 2013, 242, 251 f.; Wendehorst, NJW 2014, 577, 583. 881   Zimmermann, JBl. 2010, 205, 207 m. w. N. 882   Ebenso Art. 8 Abs. 1 TSRL 2008/122: „Die Wahrnehmung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher beendet die Verpflichtung der Parteien, den Vertrag zu erfüllen.“ Vgl. auch Art. 186 Abs. 1 UAbs. 2 Solvabilitäts‑II-RL 2009/138: „Die Mitteilung des Versicherungsnehmers, dass er vom Vertrag zurücktritt, befreit ihn für die Zukunft von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen“; Herv. hinzugefügt. 883   In diese Richtung auch Micklitz/Reich, CMLR 2009, 470, 501 (zum Richtlinienentwurf 2008). 876

870

§ 10  Verbraucherrecht

Einen anderen Ansatz verfolgen die akademischen Regelwerke. Während die Acquis Principles angesichts des lückenhaften Sekundärrechts bewusst nur rudimentäre Regeln aufstellen,884 verweist Art. II.-5:105 (2) DCFR auf das Rücktrittsfolgenrecht der Art. III.-3:510 ff. DCFR. 2. Pflichten des Unternehmers Der Unternehmer hat gem. Art. 13 Abs. 1 VRRL 2011/83 alle Zahlungen, die er vom Verbraucher erhalten hat, zu erstatten. Hierzu zählen, wie die Vorschrift im Nachgang zur Heine-Entscheidung885 klarstellt, auch die Lieferkosten. Wählt der Verbraucher eine kostenintensivere Lieferung als die vom Unternehmer angebotene Standardlieferung, muss er nach Art. 13 Abs. 2 selbst für den Differenzbetrag aufkommen.886 Die Pflicht zur Rückerstattung ist vom Unternehmer nach Art. 13 Abs. 1 unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von 14 Tagen ab Zugang der Widerrufserklärung zu erfüllen. Die Richtlinie räumt dem Unternehmer bei Kaufverträgen jedoch ein Zurückbehaltungsrecht ein. Nach Art. 13 Abs. 3 kann er die Rückzahlung solange verweigern, bis er die Waren wieder zurückerhalten hat oder bis der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er die Waren zurückgeschickt hat, je nachdem, welches der frühere Zeitpunkt ist. Der Verbraucher ist somit vorleistungspflichtig. Im Unterschied hierzu verzichten Art. 5:105 (1) (4) ACQP und Art. II.-5:105 (3) DCFR darauf, dem Unternehmer ein Zurückbehaltungsrecht einzuräumen. Der widerrufsberechtigte Verbraucher solle, so die Begründung, von der Ausübung seines Widerrufsrechts nicht durch den faktischen Zwang abgeschreckt werden, die Ware zurückgeben zu müssen, bevor er den gezahlten Kaufpreis zurückerhalte.887 Das in der VRRL 2011/83 vorgesehene Zurückbehaltungsrecht benachteiligt den Verbraucher dennoch nicht unangemessen.888 Vielmehr wird ein angemessener Interessenausgleich sichergestellt. Einerseits wird der Unternehmer davor geschützt, dass der Verbraucher den Vertrag widerruft und die Ware nicht zurücksendet. Andererseits wird das Risiko des Verbrauchers, keinen wirksamen Druck auf den Unternehmer zur Rückzahlung des Kaufpreises ausüben zu können, auf ein angemessenes Maß begrenzt, da das Zurückbehaltungsrecht des Unternehmers nach Art. 13 Abs. 3 VRRL 2011/83 entfällt, sobald die Absendung der Ware nachgewiesen ist. 3. Pflichten des Verbrauchers a) Rückgewähr der Waren und Rücksendekosten Der Verbraucher hat die erhaltenen Waren nach Art. 14 Abs. 1 VRRL 2011/83 „unverzüglich“, spätestens aber innerhalb von 14 Tagen nach Zugang der Widerrufserklärung zurückzugewähren. Die Pflicht zur Rücksendung entfällt, wenn der Unternehmer angeboten hat, die Ware abzuholen. In diesem Fall ist der Verbraucher nur zur Rückgabe bei Abholung verpflichtet. 884

  Møgelvang-Hansen/Terryn/Schulze, in: ACQP, 2009, Art. 5:105 ACQP Rn. 6, 9, S. 262, 263 f.   EuGH, Rs. C‑511/08 (Heinrich Heine) Rn. 59.   Vgl. auch ErwGr (46) S. 3 VRRL 2011/83. 887   Hierzu DCFR, Full Edition, 2009, S. 374. 888   Wie hier Unger, ZEuP 2012, 270, 290 f.; R. Koch, JZ 2014, 758, 762. Kritisch dagegen (zum Richtlinienentwurf 2008): Micklitz/Reich, CMLR 2009, 471, 500; Zimmermann, JBl. 2010, 205, 209 f. 885 886

E. Widerrufsrechte

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Die Kosten der widerrufsbedingten Rücksendung trägt nach der VRRL 2011/83 grundsätzlich der Verbraucher, es sei denn, (i) der Unternehmer erklärt sich vertraglich zur Kostenübernahme bereit, oder (ii) der Unternehmer unterlässt es, den Verbraucher vor Vertragsschluss auf dessen Kostentragungspflicht hinzuweisen, oder (iii) der Unternehmer versäumt es bei einem Fernabsatzvertrag über Waren, die aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht normal mit der Post zurückgesandt werden können, über die Höhe der Rücksendekosten aufzuklären.889 Im Fall von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ist der Unternehmer darüber hinaus zur Abholung der Waren auf eigene Kosten verpflichtet, wenn er diese zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Wohnung des Verbrauchers geliefert hat und die Waren nicht regulär mit der Post zurückgesandt werden können.890 Die in der VRRL 2011/83 angeordnete Kostenverteilung trägt den Interessen beider Parteien in angemessener Weise Rechnung.891 Der Verbraucher wird durch die betreffenden Kosten nicht übermäßig belastet. Zum einen muss er im Widerrufsfall nur die Kosten der Rücksendung, nicht aber der Hinsendung tragen. Zum anderen muss er selbst die Rücksendekosten nicht übernehmen, wenn er vor Vertragsschluss nicht ordnungsgemäß über diese aufgeklärt worden ist. b) Wertersatz für Waren Im Fall Messner892 urteilte der EuGH, dass der Verbraucher nach der FARL 97/7 grundsätzlich keinen Wertersatz für die bloße Nutzungsmöglichkeit des im Fernabsatz gelieferten Verbrauchsguts leisten muss. Ein derart pauschalierter Wertersatz nähme dem Verbraucher die Möglichkeit, die Ware während der Widerrufsfrist „völlig frei und ohne jeden Druck“ zu nutzen. Die Wertersatzpflicht dürfe auch nicht daran anknüpfen, dass der Verbraucher die Ware tatsächlich nutzt, indem er sie prüft und ausprobiert. Das Widerrufsrecht solle dem Verbraucher gerade diese Möglichkeit einräumen. Mit der Richtlinie vereinbar sei dagegen eine nationale Regelung, wonach der Verbraucher einen angemessenen Wertersatz zu zahlen hat, wenn er die Ware in einem mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise genutzt hat. Zur Frage, ob Wertersatz für die Verschlechterung der Ware zu leisten ist, äußerte sich der EuGH nicht direkt. Dem Urteil lässt sich jedoch entnehmen, dass auch insoweit die vom Gerichtshof vorgenommene Abgrenzung zwischen Prüfung/Ausprobieren der Ware einerseits und einer weitergehenden Nutzung der Ware andererseits ausschlaggebend ist. Eine Ersatzpflicht für den Wertverlust der Ware ist demzufolge nur dann zulässig, wenn diese an eine über das Ausprobieren hinausgehende tatsächliche Nutzung der Ware durch den Verbraucher anknüpft.893 889

  Art. 14 Abs. 1 UAbs. 2, Art. 6 Abs. 1 lit. i und Art. 6 Abs. 6 VRRL 2011/83.   Art. 14 Abs. 1 UAbs. 3 VRRL 2011/83. 891   Wie hier R. Koch, JZ 2014, 758, 762 f.; vgl. auch Rühl, EuZW 2005, 199, 201 f. 892   EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn.  22 – 29. 893   Faust, JuS 2009, 1049, 1051 f.; Mörsdorf, JZ 2010, 232, 239 f.; Stempel, ZEuP 2010, 925, 938 f.; wohl auch Hellwege, GPR 2010, 74, 77; mit Einschränkungen auch Rott, ERPL 2010, 185, 193. A. A. Schinkels, ZGS 2009, 539, 542: Ersatz für nutzendes Ausprobieren der Ware nur bei Treuwidrigkeit, die bei normaler Nutzung dauerhafter Güter innerhalb der Regelwiderrufsfrist der FARL 97/7 (7 Tage) nicht vorliegt. 890

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§ 10  Verbraucherrecht

Die VRRL 2011/83 trägt diesen Vorgaben Rechnung. Gemäß Art. 14 Abs. 2 hat der Verbraucher für einen Wertverlust der Waren nur einzustehen, wenn dieser auf einen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise bzw. zur Feststellung der Art, Beschaffenheit und Funktionstüchtigkeit nicht erforderlich war. Der Verbraucher haftet für einen Wertverlust zudem nur dann, wenn der Unternehmer ihn gem. Art. 6 Abs. 1 lit. h über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt hat. Dies erscheint sachgerecht. Wird der Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht belehrt, so muss er auch nicht damit rechnen, dem Verkäufer eine Wertminderung des Gegenstandes finanziell erstatten zu müssen. Schuldete der Verbraucher selbst bei Belehrungsmängeln Wert­ersatz, könnte der Unternehmer das Widerrufsrecht dadurch entwerten, dass sich der Verbraucher in die dauerhafte Wirksamkeit des Vertrags quasi sukzessive „hineinnutzt“.894 Die Abgrenzung zwischen (erlaubter) Prüfung und (ersatzbehaftetem) übermäßigem Gebrauch der Ware verursacht in der Praxis demgegenüber erhebliche Probleme. Regelmäßig tritt ein Wertverlust bereits mit dem ersten Ausprobieren der Sache ein.895 Die VRRL 2011/83 stellt auf einen Vergleich mit dem regulären Ladengeschäft ab. Nach ErwGr (47) der Richtlinie darf der Verbraucher mit den Waren nur so umgehen, wie er das auch im normalen Ladengeschäft dürfte.896 Rechtsunsicherheiten lassen sich durch dieses Kriterium nicht vermeiden. Im Prozess kann regelmäßig nur der Grad der Abnutzung zweifelsfrei feststellt werden, nicht aber der Umfang der tatsächlichen Nutzung. Der EuGH hilft dem Verbraucher daher mit einer Beweiserleichterung: Nach den Vorgaben im Fall Messner897 hat der Unternehmer zu beweisen, dass der Verbraucher die Ware während der Widerrufsfrist in einer Weise benutzt hat, die über das hinausgeht, was zur zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich ist. Der Verbraucher befindet sich dementsprechend prozessual in einer äußerst günstigen Lage. Ob Wertersatz für die bloß zufällige Verschlechterung oder für den zufälligen Untergang der Ware zu leisten ist, bleibt sowohl nach der Messner-Entscheidung898 als auch nach der VRRL 2011/83899 offen. Für eine Wertersatzpflicht des (ordnungsgemäß belehrten) Verbrauchers spricht, dass die Rechtsordnung opportunistisches Verhalten von Verbrauchern nicht prämieren sollte. Ohne Wertersatzpflicht würden viele Verbraucher ihr Widerrufsrecht wohl nur deshalb ausüben, weil der Kaufgegenstand untergegangen ist.900 Andererseits sollte der Verbraucher durch die Wahl einer 894

 So Mörsdorf, JZ 2010, 232, 237.   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn. 49, 77, war deswegen der Ansicht, dass der Verbraucher ein Recht auf eine zeitlich begrenzte tatsächliche Nutzung der Ware haben müsse, denn anderenfalls könnte die zu besorgende Rechtsunsicherheit ihn von der effektiven Ausübung seiner Rechte abhalten. 896   Nach Ansicht des BGH, NJW 2011, 56, 58 (Wasserbett), darf demgegenüber der Vergleich mit den Prüfungsmöglichkeiten im Ladengeschäft nicht das einzige Kriterium für den zulässigen Umgang mit der Ware sein; hierzu Föhlisch, NJW 2011, 30 ff. 897   EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn. 27. Dazu Faust, JuS 2009, 1049, 1052; Mörsdorf, JZ 2010, 232, 238 f. 898   Gegen eine Wertersatzpflicht des Verbrauchers Mörsdorf, JZ 2010, 232, 240; Rott, ERPL 2010, 185, 193; a. A. Stempel, ZEuP 2010, 925, 939. 899   Unger, ZEuP 2012, 270, 293, betont, dass eine Wertersatzpflicht in Art. 14 Abs. 2 VRRL 2011/83 nur für Verschlechterungen vorgesehen ist, die auf den „Umgang“ des Verbrauchers mit der Ware zurückzuführen sind. Der Verbraucher dürfe daher nicht mit dem Zufallsrisiko belastet werden. 900  So Zimmermann, JBl. 2010, 205, 212. 895

E. Widerrufsrechte

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besonderen Vertriebsform nicht schlechter gestellt werden, als wenn er regulär im Laden gekauft hätte.901 Beim normalen Ladengeschäft trägt indessen allein der Verkäufer das Risiko, dass die Ware zufällig untergeht.902 Nach der VRRL 2011/83 bleibt schließlich ungeklärt, ob Wertersatz für die bloße Nutzung des Gegenstands zu leisten ist, wenn die Nutzung zu keiner Verschlechterung geführt hat. Nach richtiger Ansicht folgt ein solcher Ausschluss jedoch aus Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie.903 Denn nach dieser Norm darf der Verbraucher – über die in der Richtlinie ausdrücklich geregelten Fälle hinaus – aufgrund der Ausübung seines Widerrufsrechts grundsätzlich nicht vom Unternehmer in Anspruch genommen werden. c) Wertersatz für Dienstleistungen Bereits in der Vergangenheit hatte der EuGH geklärt, dass ein ordnungsgemäß belehrter Verbraucher im Widerrufsfall grundsätzlich Wertersatz für in Anspruch genommene Dienstleistungen schuldet. In den Fällen Schulte904 und Crailsheimer Volksbank905 urteilte der Gerichtshof, dass es nach der HWiRL 85/577 grundsätzlich hinzunehmen ist, wenn die Mitgliedstaaten dem Unternehmer bei einem widerrufenen Kreditvertrag einen Anspruch auf Rückzahlung der Valuta und einen Zinsanspruch zuerkennen, vorausgesetzt, der Verbraucher wurde ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt. Sowohl die FDL-FARL 2002/65906 als auch die VerbrKrRL 2008/48907 räumen dem Unternehmer dementsprechend einen Wertersatzanspruch für die vor Widerruf des Vertrags erbrachten Dienstleistungen ein. Im Unterschied hierzu statuiert Art. 8 Abs. 2 TSRL 2008, dass der Verbraucher im Widerrufsfall nicht für den Wert der Leistungen aufkommen muss, die vor dem Widerruf möglicherweise erbracht worden sind. Dieser Ausschluss beruht jedoch auf dem zwingenden Anzahlungsverbot, das in der Richtlinie vorgesehen ist. Da der Unternehmer nach Art. 9 Abs. 1 TSRL 2008/122 vor Ablauf der Widerrufsfrist Zahlungen des Verbrauchers weder fordern noch annehmen darf, wäre es widersprüchlich, wenn er für in dieser Zeit geleistete Dienste Wertersatz fordern könnte. Auch Art. 14 Abs. 3 VRRL 2011/83 sieht eine Wertersatzpflicht des Verbrauchers für empfangene Dienstleistungen vor. Diese Rechtsfolge greift aber nur dann, wenn der Widerruf vor Vollendung der Dienstleistungserbringung erfolgt ist. Ist die Dienstleistung bereits vollständig erbracht worden, so ist entweder ein Widerruf nach Art. 16 lit. a ausgeschlossen, weil der Verbraucher der Dienstleistungserbringung ausdrücklich zugestimmt hat; oder aber der Verbraucher schuldet keinen Wertersatz, weil 901

  Vgl. ErwGr (45) VRRL 2011/83.   Mörsdorf, JZ 2010, 232, 240; Rott, ERPL 2010, 185, 193. 903   Janal, WM 2012, 2314, 2321; Leier, VuR 2013, 457, 459. Mit Einschränkungen auch Unger, ZEuP 2012, 270, 294 f. 904   EuGH, Rs. C‑350/03 (Schulte) Rn. 93. 905   EuGH, Rs. C‑229/04 (Crailsheimer Volksbank) Rn. 49. 906   Nach Art. 7 Abs. 1 S. 1 FDL-FARL 2002/65 darf vom Verbraucher im Widerrufsfall die unverzügliche Zahlung für die vom Anbieter tatsächlich erbrachte Dienstleistung verlangt werden. 907   Nach Art. 14 Abs. 3 lit. b VerbrKrRL 2008/48 muss der Verbraucher im Widerrufsfall dem Kreditgeber unverzüglich, spätestens jedoch binnen 30 Kalendertagen nach Absendung der Widerrufserklärung das Darlehen einschließlich der ab dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Kredits bis zum Zeitpunkt der Rückzahlung des Darlehens aufgelaufene Zinsen zurückzahlen. 902

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§ 10  Verbraucherrecht

keine ausdrückliche Zustimmung und damit erst recht kein ausdrückliches Verlangen des Verbrauchers i. S. v. Art. 14 Abs. 4 lit. a (ii) vorlag. Ein Wertersatz ist zudem ausgeschlossen, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht und insbesondere nicht über die Wertersatzpflicht belehrt worden ist (Art. 14 Abs. 4 lit. a (i) VRRL 2011/83). Hat der Verbraucher ausdrücklich beantragt, dass vor Ablauf der Widerrufsfrist mit der Erbringung der Dienstleistung begonnen werde und Kenntnis von seinem Widerrufsrecht genommen, so bemisst sich die Höhe des Wertersatzes gem. Art. 14 Abs. 3 S. 1 – 2 VRRL 2011/83 nach dem vor Ausübung des Widerrufs empfangenen Anteil der Dienstleistung am vereinbarten Gesamtpreis. Ist der Gesamtpreis überhöht, so ist nach Art. 14 Abs. 3 S. 3 der anteilige Betrag auf der Grundlage des Marktwerts der erbrachten Leistung zugrunde zu legen. Wann der Gesamtpreis überhöht ist, wird in der VRRL 2011/83 nicht konkretisiert.908 Erwähnt wird nur, dass der Verbraucher die Beweislast dafür trägt, dass der Gesamtpreis überhöht ist.909 Eine Sonderregel besteht für digitale Inhalte, die nicht auf einem materiellen Datenträger zur Verfügung gestellt werden. Bei derartigen Leistungen erlischt das Widerrufsrecht nach Art. 16 lit. m VRRL 2011/83 bereits mit Beginn der Ausführung, wenn der Verbraucher der vorzeitigen Ausführung ausdrücklich zustimmt und zur Kenntnis genommen hat, dass er hierdurch das Widerrufsrecht verliert. Damit soll einem Rechtsmissbrauch vorgebeugt werden. Ansonsten könnte der Verbraucher nämlich digitale Inhalte „probeweise“ in Anspruch nehmen und nach ihrem erstmaligen Download im RAM unkontrollierbar vervielfältigen. Ist der Widerruf nicht ausgeschlossen, so schuldet der Verbraucher dagegen keinen Wertersatz für in Anspruch genommene digitale Inhalte (Art. 14 Abs. 4 lit. b VRRL 2011/83). 4. Akzessorische Verträge Ein widerrufener Vertrag steht nicht selten in Wechselbeziehung zu einem anderen Vertrag, der mit diesem akzessorisch verbunden ist.910 Während frühere Richtlinien überhaupt keine (HWiRL 85/577) oder nur lückenhafte Regelungen (FARL 97/7; TSRL 94/47) zu akzessorischen Verträgen enthielten, normieren die VerbrKrRL 2008/48, die TSRL 2008/122 und die VRRL 2011/83 sehr viel ausführlicher die Voraussetzungen und Rechtsfolgen, nach denen ein Widerrufsdurchgriff möglich ist.911 Zwar weichen die betreffenden Regelungen voneinander ab. Dessen ungeachtet verfolgen sie jedoch dasselbe Ziel: Der Verbraucher soll von der Geltendmachung seines Widerrufsrechts nicht dadurch abgehalten werden, dass er an einen weiteren Vertrag gebunden bleibt, der für ihn isoliert betrachtet keine Bedeutung mehr hat.912 Nach 908  Nach Looschelders, in: Remien/Herrler/Limmer (Hrsg.), Gemeinsames Europäisches Kaufrecht für die EU?, 2012, S. 107, 139 (zum CESL), kann eine Überhöhung angenommen werden, wenn der Gesamtpreis den anderthalbfachen Wert des durchschnittlichen Marktpreises übersteigt. 909   ErwGr (50) VRRL 2011/83. 910   Die Terminologie ist uneinheitlich. Art. 15 Abs. 1 VRRL 2011/83 spricht von „akzessorischen Verträgen“, Art. 6 Abs. 7 FDL-FARL 2002/65 von „hinzugefügten“ Verträgen, Art. 14 Abs. 4 VerbrKrRL 2008/48 von Vereinbarungen über „Nebenleistungen“ und Art. 11 Abs. 1 TSRL 2008/122 von „untergeordneten“ Tauschverträgen oder sonstigen „akzessorischen“ Verträgen. 911   Art. 15 Abs. 2 VerbrKrRL 2008/48 räumt dem Verbraucher zudem einen Einwendungsdurchgriff ein. 912   So auch die Regierungsbegründung zu § 360 Abs. 2 BGB n. F., BT‑Drucks. 17/12637, S. 67.

E. Widerrufsrechte

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allen drei Richtlinien beendet der Widerruf daher zugleich akzessorisch verbundene Verträge. Art. 11 Abs. 1 TSRL 2008/122 und Art. 15 Abs. 1 VRRL 2011/83 stellen zusätzlich klar, dass akzessorische Verträge „automatisch“ beendet werden. Der Verbraucher muss den Widerruf daher nicht zweimal erklären. Diese Rechtsfolge bedarf indessen der teleologischen Reduktion. Hat der Verbraucher weiterhin ein Interesse an dem akzessorischen Vertrag, muss es ihm möglich sein, die Wirkungen des Widerrufs auf den Hauptvertrag zu beschränken.913 Unterschiedlich wird die Frage geregelt, wann ein akzessorischer Vertrag vorliegt. Während Art. 6 Abs. 7 UAbs. 2 FDL-FARL 2002/65 ganz allgemein von „hinzugefügten Verträgen“ spricht, verlangt Art. 3 lit. n VerbrKrRL 2008/48, dass der betreffende Kreditvertrag ausschließlich der Finanzierung des widerrufenen Vertrags dient und beide Verträge objektiv betrachtet eine wirtschaftliche Einheit bilden. Nach Art. 2 Abs. 1 lit. g TSRL 2008/122 und Art. 2 Nr. 15 VRRL liegt demgegenüber ein akzessorischer Vertrag vor, wenn er im Zusammenhang mit dem widerrufenen Vertrag steht und eine Leistung betrifft, die von dem Unternehmer des widerrufenen Vertrags oder einem Dritten auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Dritten und dem Unternehmer des widerrufenen Vertrags erbracht wird. Erforderlich ist damit ein tatsächliches und wirtschaftliches Näheverhältnis des akzessorischen Vertrags zum widerrufenen Vertrag.914 Ein solches liegt insbesondere dann vor, wenn der akzessorische Vertrag eine inhaltliche Verknüpfung zum widerrufenen Vertrag aufweist und beide Verträge in einem Verhältnis von Haupt- und Nebenvertrag zueinander stehen. Auf welche Weise der akzessorische Vertrag beendet wird, bleibt im Unionsrecht vielfach offen. Die meisten Richtlinien beschränken sich auf den Hinweis, dass der akzessorische Vertrag „ohne Vertragsstrafe“915 bzw. „ohne Kosten für den Verbraucher“916 beendet wird. Allein Art. 15 Abs. 1 VRRL 2011/83 stellt zusätzlich klar, dass akzessorische Verträge entsprechend den Regeln für den Hauptvertrag rückabzuwickeln sind. Selbst Art. 15 Abs. 2 VRRL 2011/83 verweist indessen bzgl. der weiteren Einzelheiten der Vertragsbeendigung auf das mitgliedstaatliche Recht.917 Schließlich ist zu erwähnen, dass auch die Belehrung über den Widerrufsdurchgriff von Richtlinie zu Richtlinie unterschiedlich ausgestaltet ist. Während die vollharmonisierende VRRL 2011/83 keine diesbezüglichen Belehrungspflichten vorsieht und damit ausschließt, gestattet Art. 4 Abs. 2 Fernabsatz-RL 2002/65 den Mitgliedstaaten, derartige Belehrungspflichten vorzusehen. Im Unterschied hierzu verlangen sowohl die VerbrKrRL 2008/48 als auch die TSRL 2008/122, dass der Verbraucher zwingend über den Widerrufsdurchgriff zu belehren ist.918

913   Pfeiffer, ZGS 2008, 409 f.; Wendt/Lorscheid-Kratz, BB 2013, 2434, 2437; a. A. MüKo/Habersack, BGB, 6. Aufl., 2012, § 358 Rn. 22; Staudinger/Kessal-Wulf, BGB, 2012, § 358 BGB Rn. 22. 914   So die Regierungsbegründung zu § 485 Abs. 3 BGB a. F. (Umsetzung von Art. 11 Abs. 1 TSRL 2008/122), BT‑Drucks. 17/2764, S. 19. 915   Art. 6 Abs. 7 UAbs. 2 FDL-FARL 2002/65. 916   Art. 11 Abs. 1 TSRL 2008/122. 917   Aus diesem Grunde kritisch Hall/Howells/Watson, ERCL 2012, 139, 162. 918   Art. 10 Abs. 2 lit. p VerbrKrRL 2008/48 (Informationen über die bei akzessorischen Verträgen bestehenden Rechte und die Bedingungen für die Ausübung dieser Rechte); Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Anhang I, II bzw. IV TSRL 2008/122 (ggf. Informationen über die Modalitäten der Beendigung akzessorischer Verträge und die Rechtsfolgen der Beendigung).

876

§ 10  Verbraucherrecht

Insgesamt bestätigt sich damit auch bei den akzessorischen Verträgen, dass es dem europäischen Gesetzgeber bislang nicht gelungen ist, homogene Regelungen zum Widerrufsrecht und zu den Widerrufsfolgen zu schaffen.

V. Ergebnis Die VRRL 2011/83 hat weder zu einer Harmonisierung noch zu einer effektiveren Ausgestaltung der verbraucherschützenden Widerrufsrechte geführt. Zwar wurden diejenigen Situationen, in denen ein Widerrufsrecht besteht, insbesondere bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen beträchtlich ausgeweitet. Auf der anderen Seite beeinträchtigen aber zahlreiche Regelungen der Richtlinie die Wirksamkeit des Widerrufsrechts. Im Unterschied zu den meisten anderen Richtlinien wird die Widerrufsfrist in der VRRL 2011/83 nur an die Erfüllung der Widerrufsbelehrungspflichten, nicht aber an den Erhalt der sonstigen Informationen geknüpft, und zudem in zeitlicher Hinsicht auf 12 Monate und 14 Tage befristet.919 Damit besteht zum einen die Gefahr, dass der Verbraucher während der Widerrufsfrist nicht die Informationen erhält, die erforderlich sind, um eine überlegte Entscheidung zwischen Widerruf und Festhalten am Vertrag zu treffen. Zum anderen besteht aufgrund der einjährigen Ausschlussfrist die reale Möglichkeit, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht verliert, obwohl er zu keinem Zeitpunkt über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. Zwar wäre denkbar, dass ein Verstoß gegen Widerrufsbelehrungspflichten durch sonstige, bei einem Informationspflichtenverstoß im nationalen Recht zur Verfügung stehende individualvertragliche Rechtsfolgen sanktioniert wird, beispielsweise durch ein Vertragsaufhebungsrecht nach den Regeln der culpa in contrahendo. Insoweit ist jedoch die Sperrwirkung der Widerrufsregeln zu beachten. Angesichts des vollharmonisierenden Charakters der VRRL 2011/83 ist davon auszugehen, dass die Verletzung von Widerrufsbelehrungspflichten in der Richtlinie abschließend durch den Nichtbeginn der (zeitlich begrenzten) Widerrufsfrist sanktioniert werden soll.920 Wettbewerbsrechtliche Sanktionen, die bei einem Verstoß gegen Widerrufsbelehrungspflichten stets in Betracht kommen,921 können das Schutzdefizit ebenfalls nicht kompensieren, da sie keine Auswirkungen auf den individuell abgeschlossenen Vertrag haben.922 Die VRRL 2011/83 bewirkt damit – in Abkehr vom Geist der Heininger-Rechtsprechung und in Widerspruch zu sonstigen Richtlinien – eine erhebliche Reduzierung des Verbraucherschutzniveaus.923 Die in der VRRL 2011/83 vorgenommene Konkretisierung der Widerrufsfolgen ist demgegenüber sachgerecht. Die Richtlinie trifft einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse des Verbrauchers, von der Ausübung des Widerrufsrechts nicht durch hohe Rückabwicklungskosten belastet zu werden, und dem Interesse des 919

 Hierzu supra, §  10 E.II.1.c. – d.  Ausführlich supra, § 10 D.IV.5.b.   Nach Art. 7 Abs. 5 UGP-RL 2005/29 gelten sämtliche im sonstigen Unionsrecht vorgesehenen Informationspflichten stets als „wesentlich“. Eine nach der VRRL 2011/83 nicht ordnungsgemäß erteilte Widerrufsbelehrung stellt daher eine irreführende Unterlassung i. S. v. Art. 7 Abs. 1 UGPRL 2005/29 dar. 922   Die UGP-RL 2005/29 lässt individuelle Klagen von Personen, die durch eine unlautere Geschäftspraktik geschädigt wurden, grundsätzlich unberührt; hierzu supra, § 10 D.III.2.c. Auch das deutsche UWG sieht keine Individualansprüche zugunsten des einzelnen Verbrauchers vor. 923   Positiv dagegen Grundmann, JZ 2013, 53, 59 (Abbau überzogener Pönalisierungselemente). 920 921

E. Widerrufsrechte

877

Unternehmers, eine adäquate Vergütung für erbrachte Leistungen und ggf. Ersatz für Verschlechterung oder Untergang der Ware zu erhalten. Als problematisch erweist sich demgegenüber der in Art. 16 lit. a VRRL 2011/83 angeordnete Ausschluss des Widerrufsrechts bei Dienstleistungen, wenn diese während der Widerrufsfrist nach ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers vollständig erbracht worden sind. Diese Regelung liefert opportunistisch handelnden Unternehmen geradezu einen Anreiz, auf eine schnelle Vertragsabwicklung zu drängen und den Verbraucher zu einer Zustimmung zu bewegen, damit dieser sein Widerrufsrecht zu einem Zeitpunkt vollständig verliert, zu dem er weder die Dienstleistung prüfen konnte noch detaillierte Informationen über diese erhalten hat.924 De lege ferenda sollte daher über Möglichkeiten nachgedacht werden, wie das Widerrufsrecht bei Dienstleistungen effektiver ausgestaltet werden könnte. Denkbar wäre – nach dem Vorbild der TSRL 2008/122925 und in Anlehnung an das französische Recht926 – die Einführung eines Anzahlungsverbots, verbunden mit dem Ausschluss eines Wertersatzanspruchs für etwaig erbrachte Dienste während der Bedenkzeit. Eine zwingend vorgegebene Bedenkzeit vor Vertragsschluss kommt indessen nur bei Verträgen in Betracht, bei denen der Verbraucher typischerweise kein Interesse an einer schnellen Vertragsdurchführung hat, so insbesondere bei langfristigen Verträgen. Daher ist zusätzlich zu erwägen, das Widerrufsrecht nach Leistungserbringung nicht vollständig auszuschließen, sondern den erforderlichen Interessenausgleich im Rahmen der Wert­ ersatzvorschriften vorzunehmen. Möglich wäre eine Regelung, derzufolge der Verbraucher bei bloßer Zustimmung927 nur für notwendige Dienstleistungen, nicht aber für nützliche Dienstleistungen oder Luxusdienstleistungen Wertersatz schuldet.928 Mittelfristig betrachtet sollten schließlich sämtliche Widerrufsrechte – entsprechend den ursprünglichen Plänen der Kommission929 – einer homogeneren Regelung zugeführt werden. Die derzeitige Zersplitterung führt nicht nur zu offensichtlichen Wertungswidersprüchen, sondern stellt zugleich den einzelstaatlichen Gesetzgeber vor die kaum lösbare Aufgabe, die europäischen Vorgaben in systematischer Weise in das nationale Recht zu integrieren. Da die meisten verbraucherschützenden Widerrufsrechte nach dem Prinzip der Vollharmonisierung geregelt worden sind, kann der nationale Gesetzgeber nicht (mehr) im Wege der überschießenden Umsetzung ein kohärentes Konzept für alle Verbraucherverträge entwickeln. Allein eine unionsweite Harmonisierung der verbraucherschützenden Widerrufsrechte könnte diesen Missstand beheben und gleichzeitig dafür sorgen, dass neben psychologische Barrieren930 nicht noch zusätzlich rechtliche Hindernisse treten, die eine Bedenkzeit nach Vertragsschluss praktisch unmöglich machen und damit die Ratio des verbraucherschützenden Widerrufsrechts letztlich konterkarieren. 924

 Ausführlich supra, § 10 E.III.1.   Vgl. Art. 8 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 1 TSRL 2008/122.  Hierzu Neumann, Bedenkzeit vor und nach Vertragsabschluss, 2005, S. 301 ff. 927   Geht die Initiative auf den Verbraucher zurück, besteht kein Anlass, den Verbraucher zu schützen, wenn er ordnungsgemäß über den Verlust des Widerrufsrechts informiert worden ist. 928   Ähnlich der Vorschlag von Zimmermann, JBl. 2010, 205, 212, der für in Anspruch genommene nützliche Dienstleistungen jedoch eine Erstattung nach den Regeln des Bereicherungsrechts fordert. 929   Vgl. die Mitteilung der Kommission „Ein kohärenteres europäisches Vertragsrecht – Ein Aktionsplan“, KOM (2003) 68 endg., S. 8, Nr. 16. 930  Vgl. supra, § 10 E.I.2. 925 926

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§ 10  Verbraucherrecht

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln Während vorvertragliche Informationspflichten und Widerrufsrechte dem Verbraucher eine informierte Entscheidung für oder gegen die Geltung eines Vertrages ermöglichen sollen, zielt die Klausel-RL 93/13 auf eine richterliche Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter, also vorformulierter Klauseln. Im Zentrum steht damit nicht die Herstellung tatsächlicher Entscheidungsfreiheit vor oder kurz nach Abschluss des Vertrags, sondern eine nachträgliche Inhaltskorrektur, die – in den Worten des EuGH – im Interesse des Verbrauchers, der sich gegenüber dem Unternehmer in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, darauf abzielt, „die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen.“931 Obwohl die Klausel-RL 93/13 einen sehr weiten Anwendungsbereich hat, konnten bislang nur ansatzweise die Maßstäbe harmonisiert werden, anhand derer die Missbräuchlichkeit vorformulierter Klauseln von den einzelstaatlichen Gerichten festzustellen ist (I.). Im Unterschied hierzu hat der EuGH in einer Reihe von Urteilen die Rechtsfolgen konkretisiert, die sich bei einem Verstoß gegen das Missbrauchsverbot (II.) und das Transparenzgebot (III.) für einzelne Klauseln und den gesamten Vertrag ergeben. Daneben hat der Gerichtshof Leitlinien aufgestellt, die bei der ab­strakten Klauselkontrolle zu beachten sind (IV.). Der erreichte Harmonisierungsgrad ist daher bei den Rechtsfolgen und Sanktionen verhältnismäßig hoch (V.).

I. Zum gegenwärtigen Harmonisierungsstand 1. Status quo Das Recht der Klauselkontrolle ist trotz intensiver Bemühungen auf europäischer Ebene bislang nur in Ansätzen harmonisiert worden. Zwar regelt die KlauselRL 93/13 aus dem Jahre 1993 im Unterschied zu vielen anderen Richtlinien nicht nur sektorspezifisch bestimmte Formen des Vertragsschlusses oder spezifische Vertragsarten, sondern erfasst querschnittsübergreifend sämtliche Verträge. Die Richtlinie hat jedoch das Recht der Klauselkontrolle nur in sehr begrenztem Maße angeglichen. Ursächlich hierfür sind vor allem drei Faktoren: Erstens stellt die Klausel-RL 93/13 mit ihrer Generalklausel (Art. 3) nur allgemeine Maßstäbe auf, anhand derer vorformulierte Klauseln kontrolliert werden können. Eine Harmonisierung des zwingenden und dispositiven Obligationenrechts ist in Europa demgegenüber noch nicht erfolgt. Genau eine solche Harmonisierung wäre indessen erforderlich, damit in sämtlichen Mitgliedstaaten ein einheitlicher Maßstab für die Kontrolle von Vertragswerken bestünde. Denn die Klauselkontrolle ist eingebettet in das allgemeine Obligationenrecht, insbesondere in die zwingenden und dispositiven Normen der Mitgliedstaaten: Soweit eine Vertragsklausel bereits gegen 931   EuGH, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 47. Zu den unterschiedlichen Modellen, die der Klauselkontrolle in den Mitgliedstaaten zugrunde liegen (insb. Transaktionskostenanalyse einerseits und Verbraucher- und Schwächerenschutz andererseits) sowie zum Modell der Klausel-RL 93/13 vgl. Ebers, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 197, 203 ff.; Jansen, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 53, 75 ff.

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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zwingendes Recht verstößt, ist sie schon insoweit unwirksam, ohne dass es eines Rückgriffs auf die spezifischen Regelungen zur Kontrolle nicht individuell ausgehandelter Klauseln bedarf. Die Richtlinie lässt dementsprechend das zwingende Recht der Mitgliedstaaten unberührt.932 Auch das dispositive Vertragsrecht, das in den Mitgliedstaaten erheblich voneinander abweicht, wird durch die Klausel-RL 93/13 nicht angetastet. Damit fehlt es aber letztlich an einem unionsweiten Maßstab für die Überprüfung der Missbräuchlichkeit vorformulierter Klauseln: Das dispositive Recht der Mitgliedstaaten bildet zum einen die Grenze der Inhaltskontrolle. Soweit Klauseln mit dem anwendbaren dispositiven Recht übereinstimmen, sind sie der Kontrolle nicht unterworfen.933 Zum anderen ist das dispositive Recht aber auch Maßstab der Inhaltskontrolle. Die Feststellung eines „Missverhältniss[es] der vertraglichen Rechte und Pflichten“ (vgl. Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL 93/13) setzt notwendigerweise Vorstellungen darüber voraus, was das rechte Verhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten sein sollte. Dieser Vergleichsmaßstab lässt sich in der Regel nur aus dem jeweils anwendbaren dispositiven Vertragsrecht der Mitgliedstaaten gewinnen.934 Zweitens beruht die Klausel-RL 93/13 auf dem Konzept der Mindestharmonisierung. Dieser Harmonisierungsansatz hat im europäischen Binnenmarkt zu einer Rechtszersplitterung geführt. Da die Mitgliedstaaten von den Vorgaben des Unionsrechts zum Schutze der Verbraucher abweichen dürfen, sind zentrale verbraucherschützende Vorschriften ganz unterschiedlich ausgestaltet worden.935 Der Anhang der Klausel-RL 93/13 enthält zudem nur „eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können“ (Art. 3 Abs. 3 Klausel-RL 93/13).936 Schließlich hat drittens der EuGH in seiner Rechtsprechung bislang davon abgesehen, die Maßstäbe für die Inhaltskontrolle vorformulierter Klauseln zu präzisieren. Während der Gerichtshof die in der Klausel-RL 93/13 aufgeführten Kriterien im Fall Océano937 noch für den Einzelfall konkretisiert hatte, hebt er seit der Entscheidung Freiburger Kommunalbauten938 hervor, dass er sich zur Anwendung der allgemeinen Kriterien auf eine bestimmte Klausel nicht äußern könne, da diese anhand der Umstände des konkreten Falls zu prüfen und mit Blick auf die Folgen zu würdigen sei, die die Klausel im Rahmen des auf den Vertrag anwendbaren Rechts haben kann. Zwar hat der EuGH die allgemeinen Kriterien der Missbrauchskontrolle gerade in neueren Entscheidungen konkretisiert.939 Gleichzeitig betont er aber, dass es bei Feststellung eines Missverhält932   ErwGr (13), Art. 1 Abs. 2 Klausel-RL 93/13. Hierzu EuGH, Rs. C‑92/11 (RWE Vertrieb) Rn. 28; Rs. C‑280/13 (Barclays Bank) Rn. 41: Ausschluss der Klauselkontrolle beruht auf dem Gedanken, dass der nationale Gesetzgeber mit zwingendem nationalen Recht „eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge getroffen hat“. 933   Vgl. Art. 1 Abs. 2 Klausel-RL 93/13. Zwar spricht die Vorschrift nur von Vertragsklauseln, die auf „bindenden“ Rechtsvorschriften beruhen. ErwGr (13) der Richtlinie stellt jedoch klar, dass der Begriff „bindende Rechtsvorschriften“ auch (dispositive) Regeln umfasst, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde. 934   Vgl. mit vielen rechtsvergleichenden Beispielen nur Kieninger, RabelsZ (73) 2009, 793, 801 ff. 935  Ausführlich Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium, 2008. 936   Herv. hinzugefügt. 937   EuGH, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores). 938   EuGH, Rs. C‑237/02 (Freiburger Kommunalbauten) Rn. 22. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 42. 939  Hierzu infra, § 10 F.II.2.b.

880

§ 10  Verbraucherrecht

nisses „insbesondere“ auf einen Vergleich der streitgegenständlichen Klausel mit dem jeweils anwendbaren dispositiven nationalen Recht ankommen müsse.940 Dies alles führt dazu, dass für Unternehmen, die ihre Waren oder Dienstleistungen grenzüberschreitend Verbrauchern anbieten wollen, erhebliche Handelshemmnisse bestehen. Wer Allgemeine Geschäftsbedingungen formuliert, muss letztlich auf das Recht aller 28 Mitgliedstaaten Rücksicht nehmen. 2. Keine Harmonisierung durch die Verbraucherrechte-RL 2011/83 Die VRRL 2011/83 hat an dieser Situation nichts geändert. Ursprünglich hatte die Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag aus dem Jahre 2008941 noch den Plan verfolgt, das Recht der Kontrolle nicht individuell ausgehandelter Klauseln im Wege der Vollharmonisierung zu regeln. Der in der Klausel-RL 93/13 aufgeführte Anhang sollte zudem nicht mehr nur „Hinweis- und Beispielcharakter“ haben. Vielmehr wurden in Anhang II des Vorschlags fünf Klauseln aufgeführt, die in jedem Fall als missbräuchlich eingestuft wurden (schwarze Liste) und in Anhang III zwölf Klauseln aufgelistet, deren Missbräuchlichkeit angenommen werden sollte, sofern der Unternehmer nicht das Gegenteil beweisen konnte (graue Liste). Nachdem der Richtlinienvorschlag auf große Kritik gestoßen ist, wurden die Regelungen zur Kontrolle missbräuchlicher Klauseln gänzlich aus der im Oktober 2011 verabschiedeten Richtlinie herausgenommen. Die VRRL 2011/83 sieht in Art. 32 nur noch eine Berichtspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission vor. Sie führt in die bestehende Klausel-RL 93/13 einen neuen Artikel ein, demzufolge die Mitgliedstaaten die Kommission davon in Kenntnis setzen müssen, wenn sie das in der Klausel-RL 93/13 vorgesehene Verbraucherschutzniveau überschreiten. Diese Berichtspflicht greift insbesondere, wenn die Missbräuchlichkeitsprüfung auf individuell ausgehandelte Vertragsklauseln oder auf die Angemessenheit des Preises oder des Entgelts ausgedehnt wird oder Verbotskataloge mit Vertragsklauseln normiert werden, die als missbräuchlich gelten. Die Kommission soll ihrerseits sicherstellen, dass die genannten Informationen den Verbrauchern und Unternehmern leicht zugänglich sind, u. a. auf einer speziellen Webseite. 3. ACQP und DCFR Die Acquis Principles und der DCFR enthalten ebenfalls Regelungen zur Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln.942 Unterschiede zwischen den Regelwerken bestehen vor allem in systematischer Hinsicht. Während die ACQP das AGB-Recht en bloc regeln,943 werden im DCFR die betreffenden Normen zu widersprechenden Klauseln,944 zum Vorrang der Individualabrede,945 zur Ausle940

 Ausführlich infra, § 10 F.II.3.   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher, KOM (2008) 614 endg. Hierzu Ebers, InDret 2/2010. 942   Beide Regelwerke enthalten darüber hinaus Bestimmungen zu „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ (vgl. Art. 6:101 (3) ACQP) bzw. „Standardvertragsbestimmungen“ (vgl. Art. II.-1:109 DCFR). 943   Art.  6:101 – 6:306 ACQP. 944   Art. II.-4:209 DCFR. 945   Art. II.-8:104 DCFR. 941

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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gung,946 Einbeziehung947 sowie zur Inhaltskontrolle948 systematisch in die einzelnen Abschnitte integriert.949 Ansonsten sind beide Regelwerke weitgehend deckungsgleich.950 Sie erweitern die Klausel-RL 93/13 in dreifacher Hinsicht. Erstens finden sich spezielle Vorschriften zur Einbeziehung vorformulierter Klauseln.951 Zweitens wird die Inhaltskon­ trolle von B2C-Verträgen durch eine schwarze und eine graue Liste konkretisiert.952 Schließlich wird die Inhaltskontrolle auf B2B-Verträge erstreckt. Dabei gilt allerdings ein abgesenkter Kontrollmaßstab. Eine unfaire Vertragsbestimmung liegt im Unternehmensverkehr nicht bereits bei einem erheblichen Ungleichgewicht zu Lasten der anderen Partei vor, sondern – dem Vorbild der VerzugsRL 2011/7 entsprechend953 – erst dann, wenn die Klausel „erheblich von der guten Handelspraxis“ abweicht (Art. 6:301 (2) ACQP) bzw. unter „Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs“ ein „erhebliches Ungleichgewicht zu Lasten der anderen Vertragspartei“ begründet (Art. II.-9:404 DCFR).954 Die in beiden Regelwerken verankerten Rechtsfolgen weichen demgegenüber von der Klausel-RL 93/13 nur geringfügig ab. Über die bereits erwähnte Einbeziehungskontrolle hinaus stellt der DCFR klar, dass ein Verstoß gegen das Transparenzgebot für sich genommen zur Missbräuchlichkeit und damit zur Unverbindlichkeit von Vertragsklauseln führen kann.955 Alle anderen individuellen Rechtsfolgen sind demgegenüber in den ACQP und im DCFR in Übereinstimmung mit der KlauselRL 93/13 normiert worden, während die abstrakte Klauselkontrolle durch Verbraucherverbände und sonstige Einrichtungen sogar vollständig ausgeblendet wird.

II. Allgemeine Missbrauchskontrolle gem. Art. 3 Klausel-RL 93/13 1. Konzept der Klausel-RL 93/13 Als praktisch wichtigste Vorschrift der gesamten Richtlinie definiert Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 den Maßstab der Missbrauchskontrolle: „Eine Vertragsklausel, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.“

946

  Art. II.-8:103 DCFR.   Art. II.-9:103 DCFR.   Art.  II.-9:401 – II.-9:410 DCFR. 949   Kritisch zu diesem Regelungsansatz Pfeiffer, in: Schulze (Hrsg.), Common Frame of Reference and Existing EC Private Law, 2. Aufl., 2009, S. 181, 182. 950  Ausführlich Ebers, in: FS Schwintowski, 2012, S. 43 ff.; zu den ACQP und zum DCFR Pfeiffer, ERPL 2011, 835 ff. 951   Art. 6:201 ACQP; Art. II.-9:103 DCFR. 952   Art. 6:304, 6:305 ACQP; Art. II.-9:409, II.-9:410 DCFR. 953   Vgl. Art. 7 Abs. 1 – 3 VerzugsRL 2011/7 (zuvor: Art. 3 Abs. 3 VerzugsRL 2000/35). Hierzu Pfeiffer/Ebers, in: ACQP, 2009, Art. 6:101 Rn. 2 ff. 954   Kritisch zu diesem Kontrollmaßstab N. Jansen, ZEuP 2012, 741, 769 ff. 955   Art. II.-9:402 (2) DCFR. Auch die ACQP gehen hiervon aus; vgl. Pfeiffer/Ebers, in: ACQP, 2009, Art. 6:302 Rn. 3. 947 948

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§ 10  Verbraucherrecht

a) Erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten Die Vorschrift setzt ihrem Wortlaut nach zunächst ein „erhebliches (. . .) Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten“ voraus.956 Dementsprechend sind bei der angegriffenen Klausel sowohl die Nachteile für den Verbraucher herauszuarbeiten als auch die Vorteile, welche der Verwender aus der zu prüfenden Klausel für gewöhnlich ableitet.957 Abzustellen ist dabei nicht auf die Hauptleistungspflichten, denn diese sind nach Art. 4 Abs. 2 Klausel-RL 93/13 kontrollfrei, sofern die betreffende Klausel klar und verständlich abgefasst ist.958 Vielmehr kann es aus unionsrechtlicher Perspektive nur auf die sonstigen Rechte und Pflichten ankommen, die sich aus dem Vertrag ergeben.959 Wann ein Missverhältnis vorliegt, kann dabei nicht losgelöst vom sonstigen Gesetzesumfeld beurteilt werden. Vielmehr ist, wie eingangs erwähnt, die sich aus dem Vertrag und dem Klauselwerk ergebende Rechtsposition des Verbrauchers mit derjenigen zu vergleichen, die bestünde, wenn die beanstandete Klausel nicht in den Vertrag aufgenommen worden wäre. Ob eine Klausel ein Missverhältnis verursacht, ist also mit anderen Worten, wie der EuGH im Fall Aziz960 klargestellt hat, „unter Berücksichtigung derjenigen Vorschriften zu klären, die im nationalen Recht anwendbar wären, wenn die Parteien keine Vereinbarung getroffen hätten.“ Anhand einer solchen vergleichenden Betrachtung könne, so der Gerichtshof weiter, das nationale Gericht bewerten, ob – und gegebenenfalls inwieweit – der Vertrag für den Verbraucher eine weniger günstige Rechtslage schaffe, als sie das geltende nationale Recht vorsehe. Ein Missverhältnis besteht dementsprechend nur dann „zum Nachteil des Verbrauchers“, wenn das dispositive Gesetzesrecht für den Verbraucher günstiger ist als die fragliche Klausel. Nach dem Grundsatz minima non curat praetor muss das Missverhältnis ferner erheblich sein. Dabei kommt es nicht allein auf die wirtschaftliche Belastung des Verbrauchers an, also beispielsweise auf einen Vergleich zwischen dem Gesamtbetrag des vertragsgegenständlichen Rechtsgeschäfts mit den Kosten, die dem Verbraucher durch die betreffende Klausel auferlegt werden. Nach den Ausführungen des Gerichtshofs in Constructora Principado961 genügt vielmehr eine hinreichend schwerwiegende Beeinträchtigung der rechtlichen Stellung, die das nationale Recht dem Verbraucher einräumt, etwa durch inhaltliche Beschränkung seiner vertraglichen Rechte 956   In der deutschen Fassung der Klausel-RL 93/13 wird von einem „erheblichen und ungerechtfertigten Missverhältnis“ gesprochen; Herv. hinzugefügt. Diesem Zusatz, der sich weder im englischen noch im französischen Text findet, kommt jedoch keine eigenständige Bedeutung zu; vertiefend G/H/Pfeiffer, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A5, Art. 3 Rn. 62 f.; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Wolf, AGB-Recht, 5. Aufl., 2009, Art. 3 RL Rn. 8. 957   Vgl. EuGH, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 54 f. 958   Nach EuGH, Rs. 484/08 (Caja de Ahorros), sind die Mitgliedstaaten aufgrund des Prinzips der Mindestharmonisierung freilich nicht daran gehindert, strengere Regeln vorzusehen und eine Kon­ trolle auch der Hauptleistungspflichten zuzulassen; hierzu Bredol, GPR 2010, 138 ff. Da Art. 4 Abs. 2 Klausel-RL 93/13 in einer Reihe von Mitgliedstaaten nicht umgesetzt wurde (so in Dänemark, Griechenland, Lettland, Luxemburg, Österreich, Rumänien, Schweden, Slowenien und Spanien), erscheint eine Kontrolle der Hauptleistungspflichten und des Preis-Leistungsverhältnisses in diesen Ländern grundsätzlich möglich. 959  Der EuGH hat in einigen Entscheidungen konkretisiert, wann Vertragsbedingungen als Hauptleistungsklauseln einzuordnen sind; vgl. EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel) Rn. 23; Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn.  36 – 59. 960   EuGH, Rs. C‑415/11 (Aziz) Rn. 68. 961   EuGH, Rs. C‑226/12 (Constructora Principado) Rn. 23.

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

883

oder deren Ausübung oder durch Auferlegung einer zusätzlichen, nach den nationalen Vorschriften nicht vorgesehenen Verpflichtung. b) Verstoß gegen Treu und Glauben Neben diesen Kriterien verlangt die Richtlinie, dass die angegriffene Klausel ein Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten „entgegen dem Gebot von Treu und Glauben“ verursacht. Wie sich das Prinzip von Treu und Glauben zum Kriterium „Missverhältnis“ verhält, ist nach wie vor ungeklärt. Der Wortlaut der Richtlinie legt in vielen Sprachfassungen nahe, dass eine Klausel nur dann missbräuchlich ist, wenn sie ein Missverhältnis verursacht und außerdem gegen das Prinzip von Treu und Glauben verstößt. Nach dieser Lesart könnte eine Klausel ein Missverhältnis verursachen, ohne dass dieses zugleich treuwidrig wäre.962 Andere gehen demgegenüber davon aus, dass eine Klausel, die ein erhebliches Missverhältnis hervorruft, automatisch gegen das Prinzip von Treu und Glauben verstößt963 bzw. das Prinzip von Treu und Glauben als alleiniges Kriterium für die Inhaltskontrolle fungiert.964 Denkbar wäre schließlich, die Kriterien „Missverhältnis“ und „Treu und Glauben“ alternativ zu verstehen in dem Sinne, dass beide Kriterien voneinander unabhängig sind, so dass eine Klausel missbräuchlich ist, wenn sie zu einem erheblichen Missverhältnis führt oder gegen Treu und Glauben verstößt.965 Die Entstehungsgeschichte der Klausel-RL 93/13 könnte insoweit darauf hindeuten, dass den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht zwischen beiden Kriterien eingeräumt werden sollte.966 Angesichts dieser unklaren Vorgaben ist die Inhaltskontrolle in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich ausgestaltet worden.967 Das Erfordernis von „Treu und Glauben“ wird nur in insgesamt 12 Mitgliedstaaten explizit erwähnt.968 Das Kriterium „erhebliches Missverhältnis“ wird demgegenüber in insgesamt 18 Staaten verwendet.969 Davon verweisen allerdings 7 Länder nicht zusätzlich explizit auf das Gebot von „Treu und Glauben.970 Das Gebot von Treu und Glauben wird zudem ganz unterschiedlich verstanden. Während in kontinental-europäischen Rechtsordnungen die Ansicht vorherrscht, dass über dieses Kriterium vor allem materielle Gerechtigkeitsvorstellungen in die AGB-Inhaltskontrolle einfließen sollen, tendiert man in England zu einem rein prozessualen Verständnis.971 Danach soll es für die Auslegung des Kriteriums „Treu und Glauben“ nicht so sehr auf die inhaltliche Angemessenheit der Klausel, sondern viel962

 G/H/Pfeiffer, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A5, Art. 3 Rn. 52.   Tenreiro, ERPL 1995, 273, 279. In diese Richtung auch Whittaker, ZEuP 2004, 75, 88. 964   Busnelli, in: Bianca/Busnelli (Hrsg.), Commentario al Capo XIV-bis del codice civile: dei contratti del consumatore, 1999, S. 14. 965   In diese Richtung Roppo, in: AA.VV., Diritto privato, II, Condizioni generali e clausole vessatorie, 1997, S. 112. 966   Micklitz/Reich, CMLR 2014, 771, 785 mit Fn. 52. 967  Eingehend Ebers, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 197, 228 ff. 968   Deutschland, Irland, Italien, Lettland, Malta, Polen, Portugal, Spanien, Tschechien, Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern. 969   Belgien, Dänemark, Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Litauen, Luxemburg, Malta, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Zypern. 970   Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Litauen, Luxemburg und Slowakei. 971  Vgl. Collins, The European Civil Code, 2008, S. 83 ff.; Micklitz, ZEuP 2003, 865 ff.; Nebbia, Unfair Contract Terms in European Law, 2007, S. 149 f.; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl., 2009, S. 448. 963

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§ 10  Verbraucherrecht

mehr auf das Vertragsschlussverfahren ankommen, das zur Einbeziehung der betreffenden Klausel in den Vertrag geführt hat.972 Dieses Verständnis wird allerdings selbst in England nicht durchgängig geteilt.973 Sowohl das House of Lords als auch der UK Supreme Court, der seit dem 1.10.2009 Nachfolger des House of Lords ist, haben sich dennoch in der Vergangenheit mit Verweis auf die acte clair-Doktrin geweigert, Vorlageverfahren zur Auslegung der Klausel-RL 93/13 anzustrengen.974 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung bislang nicht zur Klärung des Konzepts von Treu und Glauben beigetragen, sondern im Fall Aziz975 lediglich festgestellt, dass das nationale Gericht mit Blick auf die Frage, wann eine Klausel gegen das Gebot von „Treu und Glauben“ verstößt, prüfen müsse, „ob der Gewerbetreibende bei loyalem und billigem Verhalten gegenüber dem Verbraucher vernünftigerweise erwarten durfte, dass der Verbraucher sich nach individuellen Verhandlungen auf eine solche Klausel einlässt“. Der Gerichtshof will damit wohl zum Ausdruck bringen, dass der hypothetische Wille des Verbrauchers aus der Sicht eines objektiven Empfängers entscheidend für die Inhaltskontrolle ist.976 Im Schrifttum wird demgegenüber zu Recht betont, dass der Klausel-RL 93/13 ein objektives Konzept von Treu und Glauben zugrunde liegt.977 ErwGr (15) der Klausel-RL 93/13 stellt klar, dass die Kriterien für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit generell festgeschrieben werden müssen; ErwGr (16) bestätigt, dass die Kriterien von Treu und Glauben eine generelle Beurteilung der Interessenlage erfordern. Für die Inhaltskontrolle ist es daher unerheblich, ob der Klauselverwender arglistig handelte oder ob er wusste oder hätte wissen müssen, dass die Klauseln erheblich vom dispositiven Recht abweichen. Ebenso wenig kann es darauf ankommen, ob der Unternehmer den hypothetischen Willen des Verbrauchers „vernünftigerweise“ im Sinne der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen konnte. Entscheidend ist vielmehr der nach objektiven Kriterien zu ermittelnde Inhalt der Vertragsklausel sowie eine abstrakt-generelle Abwägung der Interessen des Verwenders gegenüber den typischerweise beteiligten Kunden unter Berücksichtigung der den Vertragsschluss begleitenden Umstände: Subjektive Kriterien widersprechen dem Sinn und Zweck der Klauselkontrolle. Die Inhaltskontrolle soll nicht (wie im deutschen Recht beispielsweise § 138 BGB) sittenwidrige Rechtsgeschäfte sanktionieren, sondern den Gefahren entgegenwirken, die sich aus der Verwendung standardisierter Vertragsbedingungen ergeben. Dementsprechend ist ein generalisierbares und damit objektives Konzept von Treu und Glauben zugrunde zu legen. Die nationalen Gerichte sollten daher nicht unbesehen auf ein subjektives Konzept von „Treu und Glauben“ umschwenken, sondern dem Gerichtshof die Gelegenheit geben, die in Aziz getroffenen Aussagen näher zu erläutern.978 972   Director General of Fair Trading v. First National Bank plc, [2001] UKHL 52, Rn. 17, per Lord Bingham. Anders dagegen Lord Steyn, a. a. O., Rn. 36. 973   Vgl. nur Law Commission and Scottish Law Commission, Unfair Terms in Contracts. A Joint Consultation Paper, Law Commission Consultation Paper no 166/Scottish Law Commission Discussion Paper no 119, 2002, 3.63 – 3.69, S. 45 ff. 974   Kritisch zur mangelnden Vorlagebereitschaft der englischen Gerichte Davies, CLJ 69 (2010), 21, 23; Kötz, ZEuP 2012, 332, 344 ff.; Whittaker, ZEuP 2004, 75, 90. Zu den Gründen Rösler, Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts, 2012, S. 196 ff. 975   EuGH, Rs. C‑415/11 (Aziz) Rn. 69; bestätigt durch EuGH, verb. Rs. C‑537/12 & C‑116/13 (Banco Popular Español und Banco de Valencia) Rn. 66; Rs. C‑342/13 (Sebestyén) Rn. 28. 976   So auch Marín López, Revista CESCO de Derecho de Consumo 2013, 35 ff. 977   Vgl. nur G/H/Pfeiffer, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A5, Art. 3 Rn. 42 m. w. N. 978   Im Ergebnis auch Marín López, Revista CESCO de Derecho de Consumo 2013, 35 ff.

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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c) Weitere Kriterien Über die Kriterien „erhebliches Missverhältnis“ und „Treu und Glauben“ hinaus bemisst sich die Missbräuchlichkeit einer nicht im Einzelnen ausgehandelten Klausel nach einer Reihe weiterer Kriterien. Erstens kommt insbesondere dem Anhang der Klausel-RL 93/13 eine wichtige Funktion im Rahmen der Inhaltskontrolle zu.979 Zweitens ist die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel gem. Art. 4 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 im Individualverfahren unter Berücksichtigung (i) der Art und Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, (ii)  aller den Vertragsschluss begleitenden Umstände sowie (iii) aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beurteilen. Drittens ist die angegriffene Klausel im Lichte der sonstigen unionsrechtlichen Vorgaben zu würdigen: Wie der EuGH in den Fällen Pohotvost980 und Pereničová981 klargestellt hat, stellt ein Verstoß gegen die in anderen Richtlinien festgelegten Verhaltensgebote (insbesondere die Missachtung vorvertraglicher Informationspflichten, die mit der streitigen Vertragsklausel in Zusammenhang stehen) einen wichtigen Anhaltspunkt dar, aus dem sich die Missbräuchlichkeit einer Klausel ergeben kann.982 Für das Verhältnis der verschiedenen speziellen verbraucherschützenden zur KlauselRL 93/13 gilt daher nicht das formale Prinzip der lex specialis, sondern der Grundsatz einer „kohärenten Auslegung“.983 Viertens hat der Gerichtshof im RWE-Urteil984 die Notwendigkeit betont, bei bestimmten Klauseln eine Abwägung zwischen den Interessen des Unternehmers mit denen des Verbrauchers vorzunehmen. So muss etwa bei formularmäßig vereinbarten Preisanpassungsklauseln das berechtigte Interesse des Gewerbetreibenden, sich gegen eine Änderung der Umstände zu wappnen, mit dem genauso berechtigten Interesse des Verbrauchers abgewogen werden, die Folgen der Preisänderung absehen zu können und über die notwendigen Angaben zu verfügen, damit er in geeigneter Weise auf seine neue Situation reagieren kann. Schließlich ist fünftens nach den in Aziz985 entwickelten Vorgaben das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Das nationale Gericht muss nicht nur die nationalen Vorschriften ermitteln, die zwischen den Parteien ohne die betreffende Klausel zur Anwendung kämen, sondern zugleich prüfen, ob die vom dispositiven Recht abweichende Klausel (hier: Verzugszinsklausel) zur Erreichung der Zwecke, die im betreffenden Mitgliedstaat mit dem dispositiven Recht (hier: gesetzlicher Verzugszins) verfolgt werden, geeignet ist und nicht über das hierzu Erforderliche hinausgeht.

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  Hierzu sogleich, infra, § 10 F.II.2.   EuGH, Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 71, 77. 981   EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 43 ff. 982  Ausführlich supra, § 10 D.III.7. 983   Micklitz/Reich, EuZW 2013, 457, 459. Zur richtlinienübergreifenden Auslegung des Transparenzgebots vgl. auch EuGH, verb. Rs. C‑359 & 400/11 (Schulz und Egbringhoff) Rn. 45 ff. 984   EuGH, Rs. C‑92/11 (RWE Vertrieb) Rn. 53. Vgl. auch die SchlA von GA Trstenjak, a. a. O., Rn. 85. 985   EuGH, Rs. C‑415/11 (Aziz) Rn. 74. 980

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2. Bedeutung des Richtlinienanhangs a) Frühere EuGH-Rechtsprechung Nach Art. 3 Abs. 3 Klausel-RL 93/13 enthält der Anhang „eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können.“986 Eine gegen den Anhang verstoßende Klausel ist daher nicht zwangsläufig als „missbräuchlich“ einzustufen. Der Anhang enthält mit anderen Worten – anders als noch die Vorentwürfe zur Klausel-RL987 – keine sogenannte „schwarze Liste“ per se unverbindlicher Klauseln. Er enthält, jedenfalls nach früherer EuGH-Rechtsprechung, auch keine „graue Liste“ mit Klauseln, bei denen in der Regel von der Missbräuchlichkeit auszugehen ist. Der Annex hat vielmehr, wie der Gerichtshof im Fall Kommission/Schweden988 festgestellt hat, nur einen „Hinweis- und Beispielcharakter“.989 Anders ist demgegenüber die Rechtslage in vielen Mitgliedstaaten.990 Da die Klausel-RL 93/13 auf dem Prinzip der Mindestharmonisierung beruht, sehen viele Länder ein gegenüber der Richtlinie höheres Verbraucherschutzniveau vor. In einigen Mitgliedstaaten wurde der Richtlinienanhang in Form einer schwarzen Liste umgesetzt.991 Andere Länder haben teils schwarze, teils graue Listen erlassen.992 In wiederum anderen Staaten gibt es dagegen nur graue Listen.993 Selbst in diesen Ländern haben Rechtsprechung und Gesetzgebung allerdings zum Teil dazu geführt, dass zumindest bestimmte Klauseln stets als missbräuchlich betrachtet werden. Demgegenüber wurde der Anhang der Klausel-RL 93/13 in Dänemark, Finnland und Schweden überhaupt nicht umgesetzt, sondern nur in den Gesetzgebungsmaterialen zur Umsetzung der Richtlinie wiedergegeben. Der EuGH hat diese Gesetzgebungstechnik in seinem Urteil Kommission/Schweden994 dennoch gebilligt, da diese Materialien in den nordischen Staaten nach herkömmlicher Rechtstradition eine wichtige Auslegungshilfe bilden.995

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  Herv. hinzugefügt.   Siehe den ersten Entwurf zur Klausel-Richtlinie, KOM (90), 322 endg., ABl. C 243/2; sowie den zweiten Entwurf, KOM (92), 66 endg., ABl. 1992 C 73/7. 988   EuGH, Rs. C‑478/99 (Kommission/Schweden) Rn. 22. 989   Vgl. auch GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑478/99 (Kommission/Schweden) Rn. 29. 990   Zum Folgenden Ebers, Contratto e impresa/Europa 2007, 696, 712 ff., m. w. N. in den Fn. 49 –  70. 991  Hierzu zählen Belgien, Estland, Griechenland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Österreich und die Tschechische Republik. 992   Hierzu zählen Deutschland, Italien, die Niederlande, Portugal und Ungarn. Darüber hinaus kennt auch das französische Recht seit 2009 sowohl graue als auch schwarze Listen; Décret no. 2009-302 du 18 mars 2009 portant application de l’article L. 132‑1 du code de la consommation. Gleiches gilt seit Oktober 2015 für das Vereinigte Königreich; vgl. die „indicative list“ in sec. 63 (1) in Verbindung mit Schedule 2 Consumer Rights Act 2015 sowie (zu schwarzen Klauseln) Whittaker, in: Chitty on Contracts, II, 32. Aufl., 2015, Rn. 38 – 376 ff. 993   Hierzu zählen Irland, Polen, Slowakei, Slowenien sowie Zypern. 994   EuGH, Rs. C‑478/99 (Kommission/Schweden) Rn. 21 ff. 995   Problematisch bleibt die Nichtumsetzung des Richtlinienanhangs hingegen in Ländern, in denen einzelne Teile des Anhangs nicht ausdrücklich umgesetzt worden sind. Hier besteht die Gefahr, dass der Verbraucher über die Funktion und den Inhalt des Richtlinienanhangs irregeführt wird; für Deutschland Pfeiffer, EuZW 2002, 467, 468. 987

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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b) Neuere EuGH-Rechtsprechung Jüngere Urteile deuten darauf hin, dass der EuGH gewillt ist, dem Richtlinienanhang eine stärkere Bedeutung als bislang zuzumessen. Während der Gerichtshof in früheren Judikaten nur die „Indiz- und Hinweisfunktion“ des Anhangs hervorgehoben hatte, betont er seit der Entscheidung Invitel,996 dass der Anhang eine „wesentliche Grundlage“ für die Inhaltskontrolle bildet. Gleichzeitig konkretisierte der Gerichtshof in einer Reihe von Rechtssachen einzelne Klauselverbote des Anhangs. Der Gerichtshof hatte bereits in der Rechtssache Océano,997 dem ersten Fall zur Klausel-RL 93/13, entschieden, dass eine an die gewerbliche Niederlassung des Unternehmers anknüpfende Gerichtsstandsklausel (vgl. Anhang Nr. 1 lit. q KlauselRL 93/13) alle Kriterien erfüllt, um als missbräuchlich im Sinne der Richtlinie qualifiziert werden zu können. Zwar wurde diese Aussage in Folgeentscheidungen relativiert. Sowohl in der Rechtssache Pannon998 als auch im Fall Pénzügyi Lízing999 stellte der Gerichtshof klar, dass er sich auch bei Gerichtsstandsklauseln nicht (mehr) zur Anwendung allgemeiner Kriterien im konkreten Fall äußern kann. In beiden Entscheidungen bestätigte der EuGH aber letztlich sämtliche Kriterien, die im konkreten Fall dafür sprachen, die verwendeten Gerichtsstandsklauseln als missbräuchlich einzustufen. Den vorlegenden ungarischen Gerichten blieb damit nichts anderes übrig, als die betreffenden Klauseln für missbräuchlich zu erklären.1000 Eine ähnliche Vorgehensweise liegt den Urteilen Invitel1001 und RWE1002 zu Grunde. In beiden Rechtssachen stellte der Gerichtshof klar, dass eine Vertragsklausel, die eine Änderung der Gesamtkosten des Vertrags vorsieht, den Anforderungen von Anhang Nr. 1 lit. j und l sowie Anhang Nr. 2 lit. b und d Klausel-RL 93/13 im Regelfall nur dann entspricht, wenn nicht nur ein Recht des Verbrauchers zur Beendigung des Vertrags besteht, sondern auch der Grund oder Modus zur Änderung dieser Kosten angegeben wird.1003 Auch für Klauseln über die vorzeitige Fälligstellung eines Hypothekendarlehens entwickelte der EuGH in Aziz1004 und Banco Popular Español1005 überaus konkrete Vorgaben. 3. Konkretisierung des Missbrauchstatbestands in der Rechtsprechung des EuGH Insgesamt betrachtet hat die Inhaltskontrolle bestimmter Klauseln durch den EuGH in letzter Zeit einen hohen Konkretisierungsgrad erreicht. Zwar wiederholt der Gerichtshof auch in neueren Urteilen schematisch die Aussage, dass der Anhang lediglich eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste von Klauseln ent 996   EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 26; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑488/11 (Asbeek Brusse und de Man Garabito) Rn. 55; Rs. C‑342/13 (Sebestyén) Rn. 32. In EuGH, Rs. C‑143/13 (Matei) Rn. 60 wird der Anhang sogar als „graue Liste“ bezeichnet.  997   EuGH, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn.  21 – 24.  998   EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 42 ff.  999   EuGH, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 42 f. 1000   Vgl. die Entscheidung der ungarischen Kúria, 3/2013 PJE, die für sämtliche Instanzgerichte bindend ist. 1001   EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 24, 26 und 28. 1002   EuGH, Rs. C‑92/11 (RWE Vertrieb) Rn. 49 ff. 1003   Im Einzelnen Ebers, LMK 2012, 333520. 1004   EuGH, Rs. C‑415/11 (Aziz) Rn. 73. 1005   EuGH, verb. Rs. C‑537/12  & C‑116/13 (Banco Popular Español und Banco de Valencia) Rn. 70.

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hält, die für missbräuchlich erklärt werden können. Gleichzeitig hat sich die Rechtsprechung zum Richtlinienanhang aber derart verdichtet, dass einigen im Anhang aufgeführten Klauseln keine bloße Hinweisfunktion, sondern eine rechtliche Vermutung entnommen werden kann, die für die Missbräuchlichkeit spricht.1006 Der EuGH nimmt damit, wie von Generalanwältin Trstenjak gefordert, nunmehr verstärkt die Aufgabe wahr, „schrittweise die abstrakten Kriterien der Missbräuchlichkeitskontrolle zu präzisieren und mit wachsender Erfahrung die Konturen einer gemeinschaftlichen Missbrauchskontrolle zu erarbeiten.“1007 Diese Entwicklung wird freilich durch den steten Hinweis des Gerichtshofs auf das anwendbare nationale Recht erheblich gebremst. Zwar führt der EuGH das dispositive nationale Vertragsrecht in einigen Entscheidungen nur noch als ein Kriterium unter mehreren auf, das im Rahmen der Inhaltskontrolle zu berücksichtigen ist.1008 In anderen Judikaten betont der Gerichtshof demgegenüber, dass für die Feststellung eines Missverhältnisses „insbesondere“ auf das ohne die Klausel anwendbare Recht abzustellen ist.1009 Paradigmatisch für diesen Ansatz ist das Urteil Aziz.1010 Anstatt allgemeine Kriterien für die Beurteilung von Verzugszinsklauseln nach Anhang 1 lit. e Klausel-RL 93/13 zu entwickeln, betrachtet der Gerichtshof das nationale Recht als maßgebliche Referenzordnung.1011 Damit bleibt es bei der einleitend getroffenen Feststellung, dass es derzeit noch in vielen Bereichen an eigenständigen europäischen Leitbildern fehlt, an denen vorformulierte Klauseln gemessen werden könnten. Der Vorschlag, im Rahmen der Inhaltskontrolle auf die PECL oder den DCFR als Referenzordnung abzustellen,1012 führt insofern nicht weiter. Denn beide Regelwerke können aufgrund ihrer rein wissenschaftlichen Provenienz keine normative Verbindlichkeit für sich beanspruchen.1013 4. Rechtsfolgen a) Unverbindlichkeit missbräuchlicher Klauseln Die Klausel-RL 93/13 legt die Rechtsfolgen, die bei Missbräuchlichkeit einer Klausel eintreten, nur in groben Zügen fest. Nach Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 müssen die Mitgliedstaaten vorsehen, dass missbräuchliche Klauseln „unverbindlich“ sind. Im Übrigen verweist die Vorschrift hinsichtlich der weiteren „Bedingungen“ auf das 1006   Ebers, LMK 2012, 333520 (EuGH entnimmt dem Anhang keine bloße „Indiz- und Hinweisfunktion“ mehr, sondern eine Vermutung, die für die Missbräuchlichkeit der Klausel spricht); Micklitz/Reich, CMLR 2014, 771, 789 (judge-made „grey list“); Stempel, Treu und Glauben, 2016, S. 108 ff., 165 f., 191. Vgl. ferner EuGH, Rs. C‑143/13 (Matei) Rn. 60: Anhang dient als „graue Liste“ von Klauseln, die als missbräuchlich angesehen werden „können“. 1007   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 99. 1008   So insb. in EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel) Rn. 30; Rs. C‑92/11 (RWE Vertrieb) Rn. 49 ff.; verb. Rs. C‑537/12 & C‑116/13 (Banco Popular Español) Rn. 70. 1009   EuGH, Rs. C‑415/11 (Aziz) Rn. 68; Rs. C‑226/12 (Constructora Principado) Rn. 21; Rs. C‑ 342/13 (Sebestyén) Rn. 27. 1010   EuGH, Rs. C‑415/11 (Aziz) Rn. 74. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑226/12 (Constructora Principado) Rn. 23. 1011   So auch GA Kokott, SchlA, Rs. C‑415/11 (Aziz) Rn. 86. Kritisch Micklitz/Reich, CMLR 2014, 771, 799. 1012  MüKo/Basedow, BGB, 4. Aufl., 2003, § 307 Rn. 26; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 793, 807 ff.; Remien, RabelsZ 66 (2002), 503, 525.

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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nationale Recht. Der offene Wortlaut überlässt den Mitgliedstaaten damit die Wahl, die zur Unverbindlichkeit führenden Rechtsfolgen zu bestimmen.1014 Möglich ist, dass die Mitgliedstaaten eine als missbräuchlich betrachtete Klausel automatisch als unwirksam oder nichtig betrachten.1015 Zulässig sind auch Regelungen, nach denen missbräuchliche Klauseln als nicht existent (non écrites) eingestuft werden.1016 Grundsätzlich richtlinienkonform ist auch das italienische Konzept der Schutznichtigkeit (nullità di protezione), demzufolge die Nichtigkeit einer Klausel nur zum Vorteil des Verbrauchers geltend gemacht werden kann und die Gerichte das Recht haben, die Nichtigkeit von Amts wegen zu erklären.1017 Unionsrechtswidrig sind demgegenüber nationale Regelungen, die den Eintritt der Unverbindlichkeit von einer rechtsgestaltenden Erklärung des Verbrauchers oder von der Einleitung einer besonderen Feststellungs- oder Gestaltungsklage vor Gericht abhängig machen.1018 Wie der Gerichtshof in Pannon1019 klargestellt hat, muss die Unverbindlichkeit nämlich grundsätzlich ipso iure eintreten. b) Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Im Fall Banco Español de Crédito1020 wurde dem EuGH erstmals die zuvor umstrittene Frage1021 vorgelegt, ob eine missbräuchliche Klausel im Wege der richterlichen Anpassung auf ihren gerade noch zulässigen Inhalt zurückgeführt werden kann (sog. geltungserhaltende Reduktion). In dem betreffenden Ausgangsverfahren wollte das zuständige spanische Gericht den formularmäßig festgelegten, als missbräuchlich betrachteten Verzugszinssatz (29 % p. a.) auf das gesetzlich zulässige Maß (19 % p. a.) herabsetzen. Eine derartige Vorgehensweise hielt der EuGH für unzulässig. Zur Begründung verwies der Gerichtshof vor allem auf den Art. 7 Abs. 1 KlauselRL 93/13 zugrunde liegenden Präventionsgedanken, wonach die Mitgliedstaaten der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende setzen sollen. Die Befugnis, miss1013   Wie hier Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl., 2006, Rn. 659 m. w. N.; Jansen, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 53, 95, der lediglich einen „nicht autoritativen“ Rückgriff auf die PECL befürwortet. 1014   Ebers, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 240 f.; zustimmend GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 90 (in Fn. 54). 1015   So beispielsweise in Deutschland (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB), Portugal (Art. 12 Decreto-Lei n.º 446/85) und Spanien (Art. 83.1 Real Decreto Legislativo 1/2007). Andere Länder haben dagegen den Wortlaut der Klausel-RL 93/13 („unverbindlich“, „not binding“) übernommen; so z. B. Irland (Reg. 6 (1) European Communities (Unfair Terms in Consumer Contracts) Regulations, 1995 and 2000) und das Vereinigte Königreich (Reg. 8 (1) Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations 1999). 1016   So in Frankreich (Art. L 132‑1 Abs. 6 CCons), Luxemburg (Art. 211‑2 Abs. 1 CCons) und in Malta (Art. 44 (1) Consumer Affairs Act). 1017   Art. 36 Abs. 3 Codice del Consumo: „La nullità opera soltanto a vantaggio del consumatore e può essere rilevata d’ufficio dal giudice“. 1018   Dieses Konzept der relativen Nichtigkeit findet sich vor allem in Lettland (Section 6 Abs. 8 Consumer Rights Protection Law), in den Niederlanden (Art. 6:233 Burgerlijk Wetboek) sowie im alten Zivilgesetzbuch der Tschechischen Republik (§ 55 Zivilgesetzbuch a. F.; anders jetzt aber § 1815 des am 1.1.2014 in Kraft getretenen neuen Zivilgesetzbuchs). 1019   EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 24. 1020   EuGH, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito). 1021   Im Schrifttum wurde bereits vor der EuGH-Entscheidung aus Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 ein Verbot der geltungserhaltenden Reduktion abgeleitet; G/H/Pfeiffer, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A5, Art. 6 Rn. 9. Nach a. A. sollte die geltungserhaltende Reduktion in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt sein; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Wolf, AGB-Recht, 5. Aufl., 2009, Art. 6 RL Rn. 5.

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bräuchliche Klauseln abzuändern, trüge dazu bei, den „Abschreckungseffekt“ der Klauselkontrolle zu beseitigen. Denn bei Anpassung der missbräuchlichen Klauseln blieben Gewerbetreibende versucht, „die betreffenden Klauseln zu verwenden, wenn sie wüssten, dass, selbst wenn die Klauseln für unwirksam erklärt werden sollten, der Vertrag gleichwohl im erforderlichen Umfang vom nationalen Gericht angepasst werden könnte, so dass das Interesse der Gewerbetreibenden auf diese Art und Weise gewahrt würde“.1022 Der EuGH bestätigt damit, dass der Gedanke der Generalprävention nicht nur im Verbandsprozess,1023 sondern auch im Individualprozess1024 Geltung beansprucht und eine geltungserhaltende Reduktion, bei der missbräuchliche Klauseln auf das Zulässige reduziert werden, grundsätzlich verbietet. Dies entspricht der Rechtslage in Deutschland1025 und anderen Mitgliedstaaten.1026 In Österreich war der OGH demgegenüber gezwungen, seine bisherige Rechtsprechung aufzugeben. Vor der EuGH-Entscheidung hatte der OGH nämlich eine geltungserhaltende Reduktion als Ergebnis der ergänzenden Vertragsauslegung im Individualprozess für zulässig erachtet.1027 Erst im Jahre 2013 änderte er seine Judikatur in Einklang mit den EuGHVorgaben.1028 Ob die Klausel-RL 93/13 eine Aufspaltung von „teilbaren Klauseln“ in einen unwirksamen und einen wirksamen Teil zulässt, ist demgegenüber ungeklärt. In vielen Ländern legen die Gerichte einen „blue-pencil-test“ zugrunde, indem sie danach fragen, ob nach Streichung des unwirksamen Teils der übrige Teil noch aus sich heraus verständlich ist und materiell-rechtlich einen eigenständigen Regelungsbereich aufweist.1029 Die Klausel-RL 93/13 dürfte dieser Praxis nicht per se entgegenstehen. Da bei Teilbarkeit eigenständige Klauseln vorliegen, die einer gesonderten Inhaltskontrolle unterliegen, müssen auch die Rechtsfolgen isoliert für jeden Klauselteil bestimmt werden. Im Ergebnis darf die geltungserhaltende Klauselabgrenzung allerdings nicht zu einer geltungserhaltenden Reduktion führen.1030 Die Frage, unter wel1022   EuGH, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 69; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑488/11 (Asbeek Brusse und de Man Garabito) Rn. 58. 1023   Hierzu EuGH, Rs. C‑372/99 (Kommission/Italien) Rn. 15; Rs. C‑472/10 (Invitel) Rn. 37. 1024   Hierzu EuGH, Rs. C‑372/00 (Cofidis) Rn. 32; Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 27. 1025   Vgl. nur BGHZ 84, 109, 115 f. = NJW 1982, 2309, 2310; BGHZ 86, 284, 297 = NJW 1983, 1322, 1325; 1986, 1610, 1612; 1991, 2141, 2142 f. 1026   So beispielsweise in England; vgl. z. B. Stewart Gill Ltd v Horatio Myer & Co Ltd, [1992] Q.B. 600, 609, per Stuart-Smith LJ: „Nor does it appear to me to be consistent with the policy and purpose of the Act [UCTA 1977] to permit a contract or to impose a contractual term, which taken as a whole is completely unreasonable to put a blue pencil through the most offensive parts and say that what is left is reasonable and sufficient to exclude or restrict his liability in a manner relied upon.“ 1027   OGH, 29.6.2009, 9 Ob 68/08b; vgl. auch OGH, 27.2.2012, 7 Ob 215/11k; 28.6.2012, 7 Ob 22/12d. 1028   OGH, 24.1.2013, 2 Ob 22/12t; 29.8.2013, 2 Ob 131/12x. 1029  Für Deutschland vgl. BGH, NJW 2014, 141, 142, Rn. 14; BAG, NJW 2006, 3083, 3086, Rn. 32; BAG, NZA 2009, 783, 784, Rn. 11; BAG, NZA 2011, 1274, 1277, Rn. 47; kritisch Thüsing, BB 2006, 661 ff.; für Österreich OGH, 31.8.2006, 6 Ob 140/06s; 27.2.2012, 2 Ob 215/10x; für England RW Green Ltd v Cade Bros Farms, [1978] 1 Lloyd’s Rep. 602, 607 f. (Q.B. Div.); Law Commission and Scottish Law Commission, Unfair Terms in Contracts, LAW COM No. 292/SCOT LAW COM No. 199, 2005, 3.135 ff., S. 49 f. 1030   Vgl. nur Jauernig/Stadler, BGB, 15. Aufl., 2014, § 306 Rn. 3 m. w. N.: „Diese geltungserhaltende Klauselabgrenzung (Teilbarkeit) ist oft der Sache nach eine geltungserhaltende Reduktion.“

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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chen Voraussetzungen eine Klausel teilbar ist, kann daher nur vom EuGH entschieden werden.1031 c) Restgültigkeit des Vertrags ohne missbräuchliche Klausel Fällt die missbräuchliche Klausel vollständig weg, ist damit noch nicht zwangsläufig der gesamte Vertrag unwirksam. Er bleibt vielmehr gem. Art. 6 Abs. 1 KlauselRL 93/13 „auf derselben Grundlage bindend (. . .), wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann“.1032 Die Unwirksamkeit beschränkt sich daher im Regelfall auf die missbräuchliche Klausel. Die Restgültigkeit des Vertrags setzt freilich voraus, dass der Vertrag auch ohne die missbräuchliche Klausel weiter bestehen kann. Im Fall Pereničová1033 stellte sich die Frage, ob es für die Aufrechterhaltung des Vertrags maßgeblich auf das tatsächliche bzw. mutmaßliche Interesse des Verbrauchers ankäme. Der EuGH verneinte dies. Die Klausel-RL 93/13 diene dazu, eine „Ausgewogenheit zwischen den Parteien herzustellen und dabei grundsätzlich die Wirksamkeit eines Vertrags in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten, nicht aber darin, sämtliche Verträge, die missbräuchliche Klauseln enthalten, für nichtig zu erklären“.1034 Die für den Fortbestand des Vertrags entscheidenden Kriterien seien anhand „eines objektiven Ansatzes“ zu bestimmen.1035 Die Lage einer der Vertragsparteien ex post könne nicht als das maßgebliche Kriterium angesehen werden, das über das weitere Schicksal des Vertrags entscheide. Demzufolge käme es nach Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 nicht darauf an, ob die Gesamtunwirksamkeit des Vertrags für den Verbraucher vorteilhaft sei. Da die Klausel-RL 93/13 auf dem Prinzip der Mindestharmonisierung basiert, könnten die Mitgliedstaaten allerdings ein höheres Schutzniveau gewährleisten und allein den Interessen des Verbrauchers Rechnung tragen.1036 Welche Kriterien im Rahmen des „objektiven Ansatzes“ zu berücksichtigen sind, präzisierte der EuGH nicht. Stattdessen verwies er auf die Schlussanträge von Generalanwältin Trstenjak. Diese hatte ausgeführt, dass Faktoren „wie etwa die objektiv zu beurteilende tatsächliche Möglichkeit der weiteren Durchführung des Vertrags“ entscheidend seien.1037 Eine Gesamtunwirksamkeit ist nach Ansicht der Generalanwältin beispielsweise anzunehmen, wenn infolge der Unwirksamkeit einer oder mehrerer Klauseln „die Grundlage für den Abschluss des Vertrags aus der Sicht beider Vertragsparteien entfallen ist“. Letzteres käme dann in Betracht, „wenn angenommen werden könnte, dass das Geschäft ohne den unwirksamen Teil nach dem übereinstimmenden tatsächlichen oder hypothetischen Willen beider Parteien nicht vorgenommen worden wäre, weil der Zweck oder die Rechtsnatur des Vertrags nicht mehr dieselben sind.“ 1031   Im Ergebnis auch G/H/Pfeiffer, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A5, Art. 6 Rn. 9: Klausel-RL 93/13 geht von einem europäisch-autonomen Begriff der Klausel aus, der allein vom EuGH konkretisiert werden kann. 1032   Vgl. auch ErwGr (21) Klausel-RL 93/13. 1033   EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič); bestätigt durch EuGH, Rs. C‑397/11 (Jőrös) Rn. 46 f. 1034   EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 31. 1035   EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 32. 1036   EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 34. 1037   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 68.

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§ 10  Verbraucherrecht

d) Lückenfüllung durch Rückgriff auf dispositives Recht und ergänzende Vertragsauslegung? Nach der Entscheidung Banco Español de Crédito bleibt offen, inwieweit die durch unwirksame Klauseln hinterlassenen Lücken durch Anwendung dispositiven Rechts oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden dürfen. Problematisch ist vor allem die Aussage des EuGH, dass Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach das nationale Gericht, wenn es die Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel feststellt, „durch Abänderung des Inhalts dieser Klausel den Vertrag anpassen kann“.1038 Diese Urteilspassage könnte darauf hindeuten, dass der Gerichtshof nicht nur eine geltungserhaltende Reduktion, sondern auch eine ergänzende Vertragsauslegung1039 und möglicherweise sogar einen Rückgriff auf dispositives Recht1040 für unzulässig hält. Mittlerweile hat der EuGH im Fall Kásler1041 klargestellt, dass eine Lückenschließung jedenfalls dann zulässig ist, wenn der Vertrag nach Wegfall der missbräuchlichen Klausel nicht mehr durchführbar wäre und die Nichtigkeit des Vertrags für den Verbraucher „besonders nachteilige Folgen“ hätte. Im betreffenden Ausgangsverfahren hatte ein ungarisches Ehepaar einen Fremdwährungsdarlehnsvertrag abgeschlossen. Das Darlehen wurde in inländischer Währung (HUF) ausgezahlt, aber in CHF berechnet. Die vorformulierten Klauseln sahen dabei vor, dass sich die Höhe des Darlehns nach dem Devisenankaufspreis des Auszahlungstags berechnet. Für die Rückzahlung des Darlehens wurde dagegen der jeweils aktuelle Devisenverkaufspreis zugrunde gelegt. Das ungarische Berufungsgericht hielt diese Klausel für unwirksam, meinte jedoch, dass die Klausel nicht ersatzlos wegfallen dürfe, da der gesamte Vertrag ansonsten nichtig wäre und der Verbraucher das Darlehen nicht mehr in Raten, sondern sofort zurückführen müsse. Das Berufungsgericht entschied daher, den in Rede stehenden Darlehnsvertrag nach Art. 237 Ptk. (ungarisches Bürgerliches Gesetzbuch)1042 dahin zu ändern, dass die Monatsraten der Darlehnsrückzahlung auf der Grundlage des von der Bank angewandten Ankaufskurses zu berechnen seien.1043 Der EuGH hielt diese Vorgehensweise für zulässig.1044 Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 hindere das nationale Gericht in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens nicht daran, die missbräuchliche Klausel wegfallen zu lassen und sie in Anwendung ver1038

  EuGH, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 73.   Vgl. die Diskussion bei Geroldinger, ÖBA 2013, 27, 31 ff.; Hau, JZ 2012, 964, 966; Micklitz/ Reich, CMLR 2014, 771, 793; Schlosser, IPRax 2012, 507 ff.; Stürner, ZEuP 2013, 666, 679 f.; Thüsing/ Fütterer, VersR 2013, 552, 555; Uffmann, NJW 2012, 2225, 2230; Wendenburg, EuZW 2012, 758, 760. 1040  So Uffmann, NJW 2012, 2225, 2230. 1041   EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 83. Vgl. ferner EuGH, verb. Rs. C‑482, 484, 485 & 487/13 (Unicaja Banco und Caixabank) Rn. 33 f.; Rs. C‑602/13 (Banco Bilbao Vizcaya Argentaria) Rn. 33. 1042   Art. 237 Ptk lautet: „(1) Ist ein Vertrag unwirksam, ist der vor Vertragsschluss bestehende Zustand wiederherzustellen. (2) Ist die Wiederherstellung des vor Vertragsschluss bestehenden Zustands nicht möglich, erklärt das Gericht den Vertrag für den Zeitraum bis zu seiner Entscheidung für wirksam. Der unwirksame Vertrag kann für wirksam erklärt werden, wenn der Grund für die Unwirksamkeit, insbesondere in Wucherverträgen bei einem auffälligen Missverhältnis zwischen den Leistungen der Parteien, durch die Beseitigung des unverhältnismäßigen Vorteils ausgeräumt werden kann. In diesen Fällen ist die Rückerstattung der möglicherweise ohne Gegenleistung bleibenden Leistung anzuordnen.“; vgl. EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 16. 1043   Vgl. GA Wahl, SchlA, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 92. 1044   EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn.  80 – 85. 1039

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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tragsrechtlicher Grundsätze durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts zu ersetzen. Wäre eine solche Vorgehensweise nicht zulässig und wäre der Richter deshalb gezwungen, den Vertrag insgesamt für nichtig zu erklären, könnte dies nach Ansicht des Gerichtshofs für den Verbraucher aufgrund der vorzeitigen Fälligkeit des Darlehens besonders nachteilige Folgen haben. Diese Ausführungen lassen sich dahingehend generalisieren, dass eine Lückenfüllung durch dispositives Recht oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung immer dann zulässig sein muss, wenn der ersatzlose Fortfall der missbräuchlichen Klausel für den Verbraucher nachteilig wäre. Zwar beziehen sich die Ausführungen des EuGH nur auf die Lückenfüllung durch dispositives Recht, nicht jedoch auf die ergänzende Vertragsauslegung. Bereits der Vorlagebeschluss der ungarischen Kúria deutet jedoch darauf hin, dass das Berufungsgericht die entstandene Vertragslücke nicht durch dispositives Recht, sondern im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen hat.1045 Unabhängig hiervon ist zu bedenken, dass AGB oftmals Fragen regeln, auf die das dispositive Recht keine Antworten gibt. In vielen Fällen wird daher eine ergänzende Vertragsauslegung unabdingbar sein, um die Interessen des Verbrauchers ausreichend zu schützen und zugleich dem Gedanken der Prävention ausreichend Rechnung zu tragen. Dies betrifft nicht nur die dem Fall Kásler zugrunde liegende Konstellation, bei der im Interesse des Verbraucherschutzes eine Gesamtunwirksamkeit des Vertrags vermieden werden muss. Eine Schließung von Vertragslücken qua dispositiven Rechts oder ergänzender Vertragsauslegung dürfte vielmehr auch dann zulässig sein, wenn eine Klausel für den Verbraucher eigentlich vorteilhaft ist (wie z. B. eine Garantie des Unternehmers), aber unwirksame Einschränkungen enthält, die sich nicht vom günstigen Teil trennen lassen.1046 Denkbar ist ferner, dass die beanstandete Klausel dem Verbraucher bestimmte Rechte einräumt, die Ausgestaltung dieser Rechte aber in intransparenter Weise erfolgt.1047 In beiden Fällen würde der ersatzlose Wegfall der Klausel nicht den Verbraucher, sondern nur den Unternehmer begünstigen. Dies widerspräche dem Präventionsgedanken der Klausel-RL 93/13. Die mitgliedstaatlichen Gerichte müssen deshalb auch in diesen Fällen die Möglichkeit haben, Verträge im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung anzupassen. Inwieweit bei der ergänzenden Vertragsauslegung auch Interessen des Unternehmers berücksichtigt werden dürfen, harrt demgegenüber der Entscheidung. Die apodiktischen Äußerungen des Gerichtshofs im Fall Banco Español de Crédito dürfen auch insoweit nicht generalisiert werden. Der EuGH wendet sich in diesem Urteil nur gegen die im Ausgangsverfahren von den spanischen Gerichten favorisierte geltungserhaltende Reduktion. Die ergänzende Vertragsauslegung führt jedoch gerade nicht zur Rückführung einer Klausel auf den gerade noch zulässigen Inhalt. Vielmehr setzt sie die Unwirksamkeit der benachteiligenden Klausel voraus und vervollstän1045   Art. 237 Abs. 2 S. 2 Ptk (wiedergegeben in Fn. 1042) gibt dem nationalen Gericht nur die Möglichkeit, einen unverhältnismäßigen Vorteil auszuräumen. Die Vorschrift stellt jedoch keine dispositive Vorschrift dar. Die Vorlagefrage der ungarischen Kúria bezog sich dementsprechend nicht nur auf die Lückenfüllung qua dispositiven Rechts, sondern allgemein auf die Änderung oder Ergänzung der betreffenden Vertragsklausel zugunsten des Verbrauchers; vgl. EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 35 (Vorlagefrage 3). 1046   So das Beispiel von Geroldinger, ÖBA 2013, 27, 33 f. 1047  Hierzu Ebers, Die Überschußbeteiligung in der Lebensversicherung, 2001, S. 339.

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digt den Inhalt des Vertrags unter Heranziehung des objektivierten hypothetischen Parteiwillens und des objektiven Maßstabs von Treu und Glauben.1048 Auch die präventive Abschreckungswirkung des Verbots missbräuchlicher Klauseln wird nicht beeinträchtigt, wenn der Unternehmer fürchten muss, bei der ergänzenden Vertragsauslegung schlechter gestellt zu werden, als bei der Ausnützung seines Gestaltungsspielraums.1049 Für ein Verbot der ergänzenden Vertragsauslegung in diesen Fällen streitet allein der repressive Charakter einer solchen Sanktion: Wird der Vertrag nach ersatzlosem Wegfall der missbräuchlichen Klausel zu unveränderten Konditionen aufrechterhalten, verschiebt sich in vielen Fällen das Vertragsgefüge einseitig zugunsten des Verbrauchers. Die Klausel-RL 93/13 zielt jedoch nur auf Prävention, nicht aber auf eine einseitige Begünstigung des Verbrauchers bzw. Bestrafung des Klauselverwenders.1050 Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 bezweckt, wie der EuGH selbst hervorhebt, „die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen“.1051 Art. 7 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 verlangt von den Mitgliedstaaten zudem nicht nur wirksame, sondern auch angemessene Mittel. Der Grundsatz der Prävention gilt daher nicht uneingeschränkt. Vielmehr ist nach dem in Art. 7 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz1052 auch den Interessen des Unternehmers Rechnung tragen.1053 Die besseren Gründe sprechen daher – wie auch der BGH in zwei Urteilen vom 23. Januar 20131054 hervorgehoben hat – dafür, dass die ergänzende Vertragsauslegung grundsätzlich zulässig ist, solange sie nicht den intendierten Abschreckungseffekt der Klausel-RL 93/13 konterkariert.1055 Bei dieser Frage handelt es sich freilich nicht um einen acte clair.1056 Sowohl der Rückgriff auf dispositives nationales Recht als auch eine ergänzende Vertragsauslegung kommen in vielen Fällen einer geltungserhaltenden Reduktion sehr nahe.1057 Der BGH hätte daher die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine ergänzende Vertragsauslegung zulässig ist, in jedem Fall dem EuGH vorlegen müssen. e) Erstattungsansprüche Fällt eine missbräuchliche Klausel weg, stellt sich die Frage, ob der Verbraucher die auf Grund der unwirksamen Klausel an den Unternehmer rechtsgrundlos geleisteten Zahlungen herausverlangen kann. In allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist 1048

  BGH, NJW 2012, 1865, 1866, Rn. 24 m. w. N.  Zutreffend Geroldinger, ÖBA 2013, 27, 33; Pfeiffer, LMK 2012, 339740; ders., NJW 2014, 3069, 3072. 1050   Zum Gebot der „abschreckenden“ Sanktionierung vgl. supra, § 4 C.III.3. 1051   EuGH, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 40 m. w. N. 1052   Vgl. GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 54. 1053   Zur Funktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Zivilrecht supra, § 4 C.III.4. 1054   BGH, NJW 2013, 991, 992 f., Rn. 25 ff., sowie BGH, VIII ZR 52/12, BeckRS 2013, 02809, Rn. 30 ff. 1055   Wie hier Geroldinger, ÖBA 2013, 29, 34 f.; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., 2016, § 306 Rn. 13; Pfeiffer, LMK 2012, 339740; Schlosser, IPRax 2012, 507, 514 f; Stürner, ZEuP 2013, 666, 679 f. A. A. Micklitz/Reich, in: FS Magnus, 2014, S. 631, 636 f. 1056   In diese Richtung jedoch BGH, NJW 2013, 991, der in seinem Urteil eine Vorlagepflicht überhaupt nicht anspricht. 1057   Vgl. nur Stürner, ZEuP 2013, 666, 680 m. w. N. 1049

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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vom Grundsatz her anerkannt, dass das in Erfüllung eines (teil‑)nichtigen Vertrags Geleistete zurückgefordert werden kann. Im Einzelnen unterscheiden sich die Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines solchen Anspruchs, der zumeist als Bereicherungsanspruch verstanden wird, jedoch erheblich.1058 Ob nach der Klausel-RL 93/13 im Individualprozess1059 eine Pflicht zur Rückerstattung der aufgrund unwirksamer Klauseln geleisteten Beträge besteht, ist bislang ungeklärt.1060 Relevant ist diese Frage deswegen, weil bei einem unionsrechtlich determinierten Erstattungsanspruch dessen Ausgestaltung im nationalen Recht vom EuGH überprüft werden könnte. Teilweise wird aus dem Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 47 Abs. 1 GRC) und der Pflicht zur Einräumung effektiver Rechtsbehelfe (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV) abgeleitet, dass ein solcher Anspruch besteht.1061 Für diese Sichtweise spricht, dass der EuGH bereits in anderen Zusammenhängen aus dem Unionsrecht folgende Erstattungsansprüche im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung anerkannt hat.1062 Zwar bezieht sich diese Rechtsprechung auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Ob das Unionsrecht auch einen privatrechtlichen Erstattungsanspruch gebietet, ist demgegenüber offen.1063 Für einen solchen Anspruch lässt sich aber anführen, dass ohne eine Rückerstattung der rechtswidrige Zustand perpetuiert würde. Dies widerspräche der Forderung des EuGH, dass die nationalen Gerichte, die die Missbräuchlichkeit einer AGB-Klausel feststellen, „alle Konsequenzen“ ziehen müssen, die sich daraus nach nationalem Recht ergeben, damit diese Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind.1064 Daneben ist dem Gebot der wirksamen und abschreckenden Sanktionierung Rechnung zu tragen: Könnte der Unternehmer die aufgrund einer missbräuchlichen Klausel ohne Rechtsgrund geleisteten Beträge behalten, wäre die Verwendung missbräuchlicher Klauseln weitgehend risikolos. Geht man von einem unionsrechtlich determinierten Erstattungsanspruch aus, so unterliegen die im nationalen Recht aufgestellten Voraussetzungen und Rechtsfolgen dieses Anspruchs einer Kontrolle nach dem Effektivitäts- und Äquivalenzgebot.1065 Kontrollfähig wäre damit auch die Frage, inwieweit Erstattungsansprüche zeitlich begrenzt werden dürfen. In Deutschland betont der BGH, dass es für den Beginn der kenntnisabhängigen dreijährigen Verjährungsfrist (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) grundsätzlich genügt, wenn der Gläubiger (Verbraucher) die Tatsachen kennt, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt.1066 Auf weitere subjektive Elemente, wie die Kenntnis des Verbrauchers vom Bestehen des Anspruchs, soll es dagegen nicht 1058

 Grundlegend Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa, Bd. I, 2000.   Zu einem möglichen Folgenbeseitigungsanspruch im Verbandsverfahren infra, § 10 F.IV.3.c. 1060   Gegen einen unionsrechtlich vorgegebenen Rückerstattungsanspruch GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 74 f. Der EuGH nahm in seinem Urteil zu dieser Frage keine Stellung. 1061   Micklitz/Reich, EWS 2012, 257, 262; vgl. auch Whittaker, in: Chitty on Contracts, II, 32.  Aufl., 2015, Rn.  38 – 314. 1062  Vgl. supra, § 2 D.IV.1. 1063   Zur Diskussion Hartkamp, in: FS Hondius, 2007, S. 291, 299 f.; ders., in: Hartkamp u. a. (Hrsg.), Towards a European Civil Code, 4. Aufl., 2011, S. 127, 139 ff. 1064   EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 58; Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 62; Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 30; Rs. C‑397/11 (Jőrös) Rn. 42. 1065   Für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch vgl. nur die eingehende Rechtsprechungsanalyse bei Dougan, CYELS 1998, 233 ff.; Lange, Erstattung, 2008. 1066   BGHZ 175, 161 = NJW 2008, 1729, Rn. 26; NJW-RR 2010, 1574, 1575, Rn. 12. 1059

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ankommen.1067 Nur ganz ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Verbrauchers den Verjährungsbeginn hinausschieben, nämlich wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag.1068 Der BGH stellt daher für den Verjährungsbeginn von Rückvergütungsansprüchen häufig auf den Zeitpunkt der Vertragsabrechnung ab, und nicht auf den (späteren) Zeitpunkt, zu dem die Unwirksamkeit einer Klausel gerichtlich durch den EuGH oder den BGH endgültig festgestellt wird.1069 Ob diese Rechtsprechung mit dem Effektivitätsgebot vereinbar ist, bedarf der Klärung.1070 Einerseits hat der EuGH für öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche eine nationale Ausschlussfrist von drei Jahren, die mit dem Zeitpunkt der fraglichen Zahlung beginnt, akzeptiert,1071 und hervorgehoben, dass die spätere Feststellung eines Unionsrechtsverstoßes durch ein Vorabentscheidungsurteil für den Fristbeginn grundsätzlich unerheblich ist.1072 Andererseits bezieht sich diese Judikatur aber nicht auf das Konsumentenrecht, für das der Gerichtshof das Leitbild des rechtsunkundigen Verbrauchers1073 entwickelt hat. Unter Zugrundelegung dieses Leitbilds könnte die Rechtsunkenntnis der Verbraucher unter weitaus geringeren Voraussetzungen zu einem Aufschub der Verjährung führen, als bisher vom BGH angenommen. 5. Unionsrechtliche Vorgaben für das nationale Gerichtsverfahren Der EuGH hat nicht nur die materiellen Rechtsfolgen, sondern auch die verfahrensrechtlichen Bedingungen präzisiert, unter denen ein nationales Gericht die Missbräuchlichkeit von Klauseln prüfen und für unverbindlich erklären muss. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist die Annahme, dass das mit der Klausel-RL 93/13 geschaffene Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, „dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können.“1074 In Anbetracht dieser schwächeren Position 1067

  BGH, NJW-RR 2010, 1574, 1575, Rn. 12; NJW 2014, 3713, 3715, Rn. 35.   BGHZ 160, 216, 231 f. = NJW 2005, 429, 433; NJW-RR 2008, 1237 f., Rn. 7; NJW 2014, 3713, 3715, Rn. 35. 1069   So zu missbräuchlichen Klauseln in Versicherungsverträgen BGH, NJW 2011, 73, 75, Rn. 19 f. (zu § 12 Abs. 1 S. 1 VVG a. F.). Zu missbräuchlichen Klauseln in Energielieferungsverträgen vgl. BGH, NJW 2012, 1865, 1866, Rn. 25; NJW 2013, 3647, 3654, Rn. 64; nach dieser Rechtsprechung kann sich ein Kunde auf die Unwirksamkeit einer Preiserhöhung nur dann berufen, wenn er diese innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat. Anders BGH, NJW 2014, 3713, 3717, Rn. 55 ff., zu Rückforderungsansprüchen wegen unwirksam vereinbarten Bearbeitungsentgelten in Verbraucherdarlehnsverträgen: Da die ältere BGH-Rechtsprechung Bearbeitungsentgelte in banküblicher Höhe gebilligt hatte, beginnt die Verjährungsfrist erst zu dem Zeitpunkt, zu dem sich eine gefestigte oberlandesgerichtliche Rechtsprechung herausgebildet hatte, die Bearbeitungsentgelte „auf breiter Front“ missbilligte. 1070   Micklitz/Reich, CMLR 2014, 771, 797 f.; dies., in: FS Magnus, 2014, S. 631, 637 ff. 1071   EuGH, Rs. C‑228/96 (Aprile II) Rn. 19; Rs. C‑255/00 (Grundig Italiana) Rn. 34. 1072  EuGH, Rs. C‑231/96 (Edis) Rn. 20; Rs. C‑30/02 (Recheio  – Cash  & Carry) Rn. 23; Rs. C‑452/09 (Iaia u. a.) Rn. 22 f.; verb. Rs. C‑89 & 96/10 (Q‑Beef und Bosschaert) Rn. 47 ff. 1073  Hierzu supra, § 4 C.III.2.f. 1074  EuGH, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 25. St. Rspr.; vgl. EuGH, Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 25; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 29; Rs. C‑169/14 (Sánchez Morcillo und Abril García) Rn. 22. 1068

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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sieht der Gerichtshof in Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 „eine zwingende Vorschrift, die (. . .) darauf zielt, die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien (. . .) durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen.“1075 Nach Ansicht des Gerichtshofs kann daher „die Ungleichheit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibenden nur durch ein positives Eingreifen von dritter Seite, die von den Vertragsparteien unabhängig ist, ausgeglichen werden“.1076 Basierend auf diesen Grundprämissen hat der EuGH weitreichende Vorgaben für das nationale Gerichtsverfahren formuliert, die nicht auf dem klassischen Modell der Waffengleichheit beruhen,1077 sondern auf dem Leitbild des rechtsunkundigen Verbrauchers,1078 der nicht nur über die Rechtslage aufzuklären ist, sondern im nationalen Gerichtsprozess zugleich davor zu schützen ist, dass er infolge Unkenntnis oder aufgrund geringer Streitwerte seine durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht geltend macht. Der Gerichtshof misst vor diesem Hintergrund grundlegende Prinzipien des Zivilprozesses wie die Verhandlungsmaxime und den Dispositionsgrundsatz an den verbraucherschützenden Zielen der Klausel-RL 93/13, indem er von den nationalen Gerichten fordert, die bestehende Ungleichheit zwischen den Parteien durch prozessuale Mittel auszugleichen. Im Urteil Pannon1079 stellte der EuGH zunächst klar, dass sich die Aufgabe des nationalen Gerichts nicht auf die bloße Befugnis beschränkt, von Amts wegen über die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel zu entscheiden,1080 sondern auch eine dahin gehende Verpflichtung besteht. Gleichzeitig machte der Gerichtshof jedoch zwei klärungsbedürftige Einschränkungen. Zum einen hob er hervor, dass das nationale Gericht verpflichtet sei, die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel zu prüfen, „sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen“ verfüge.1081 Dieser Zusatz ließ offen, ob der nationale Richter im Rahmen der Inhaltskontrolle nicht nur die erforderlichen rechtlichen Grundlagen von Amts wegen ermitteln muss (iura novit curia), sondern auch die tatsächlichen Umstände (Amtsermittlungsgrundsatz). Zum anderen wies der Gerichtshof darauf hin, dass das nationale Gericht die streitgegenständliche Klausel anwenden könne, wenn es dem Verbraucher einen entsprechenden Hinweis erteile und der Verbraucher die Unwirksamkeit nicht geltend machen möchte.1082 Unbeantwortet blieb, in welchem Umfang überhaupt richterliche Hinweis‑, Frage- und Aufklärungspflichten im Prozess bestehen. Erst in nachfolgenden Entscheidungen konkretisierte der EuGH beide Fragen. 1075   EuGH, Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 36. St. Rspr.; vgl. EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 30; Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 47; Rs. C‑169/14 (Sánchez Morcillo und Abril García) Rn. 23. 1076  EuGH, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 27. St. Rspr.; vgl. EuGH, Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro) Rn. 26; Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 31; Rs. C‑470/12 (Pohotovost’) Rn. 40. 1077  Hierzu supra, § 3 B.I.1.d. 1078  Hierzu supra, § 4 C.III.2.f. 1079   EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 32. 1080  So noch EuGH, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 29. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑473/00 (Cofidis): Kompetenz eines nationalen Gerichts, von Amts wegen oder auf eine vom Verbraucher erhobene Einrede hin die Nichtigkeit einer Klausel festzustellen, darf nicht von der Einhaltung einer Ausschlussfrist abhängig gemacht werden. 1081   EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 32; Herv. hinzugefügt. 1082   EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 33.

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In Penzügy Lizing1083 fragte das vorlegende Gericht, ob der nationale Richter die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel nur dann von Amts wegen prüfen müsse, wenn er über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfüge, oder ob der nationale Richter verpflichtet sei, die erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen von Amts wegen zu ermitteln. Während Generalanwältin Trstenjak sich in ihren Schlussanträgen ausdrücklich gegen eine solche Pflicht ausgesprochen hatte,1084 antwortete der EuGH, dass das nationale Gericht verpflichtet sei, von Amts wegen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um festzustellen, ob eine Klausel in den Anwendungsbereich der Richtlinie falle, und falls dies zu bejahen sei, von Amts wegen zu beurteilen habe, ob eine solche Klausel möglicherweise missbräuchlich ist.1085 – Damit steht vom Grundsatz her fest, dass der Beibringungsgrundsatz des deutschen Prozessrechts im Anwendungsbereich der Klausel-RL 93/13 zu Gunsten eines Amtsermittlungsgrundsatzes tendenziell aufgegeben wird.1086 In welchem Umfang die richterliche Passivität zu durchbrechen ist, und inwieweit die mitgliedstaatlichen Gerichte im Rahmen der im jeweiligen Prozessrecht bestehenden Befugnisse Anhaltspunkten für die Missbräuchlichkeit von Klauseln, die sich aus dem Parteivortrag und der Aktenlage ergeben, selbst nachgehen müssen, ist jedoch weiterhin ungeklärt. Auf diese Fragen kam es bisher nicht entscheidungserheblich an, da die Missbräuchlichkeit der Klauseln in den jeweiligen Verfahren nach Aktenlage entschieden werden konnte.1087 In der Rechtssache Banif Plus1088 nahm der EuGH sodann zu der Frage Stellung, auf welche Weise der tatsächliche Wille des Verbrauchers vom nationalen Gericht zu berücksichtigen ist. Der Gerichtshof betonte zunächst, dass der aus Art. 47 GRC folgende Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens von den nationalen Gerichten vor allem dann zu wahren ist, wenn es einen Rechtsstreit auf der Grundlage eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Gesichtspunkts entscheidet. Stelle das nationale Gericht aufgrund der tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, die ihm vorlägen oder von denen es infolge zu diesem Zweck von Amts wegen durchgeführter Untersuchungsmaßnahmen Kenntnis erlangt habe, fest, dass eine Klausel in den Anwendungsbereich falle und dass diese Klausel missbräuchlich sei, so sei es im Allgemeinen verpflichtet, die Parteien darüber zu informieren und sie aufzufordern, dies in der von den nationalen Verfahrensvorschriften dafür vorgesehenen Form kontradiktorisch zu erörtern. Auf diese Weise könne das Gericht seiner Verpflichtung gerecht werden, einen vom Verbraucher geäußerten Willen zu berücksichtigen, wenn dieser im Wissen um die Unverbindlichkeit einer missbräuchlichen Klausel gleichwohl seine freie Einwilligung in die fragliche Klausel erteile. – Der EuGH statuiert damit weitreichende richterliche Hinweis‑, Frage- und Aufklärungspflichten. Das nationale Gericht muss insbesondere darauf hinwirken, dass sich die Parteien über alle erheblichen Tatsachen erklären, über die Rechtslage aufgeklärt werden und auf dieser Grundlage sachdienliche Anträge stellen. Kommen die nationalen Gerichte ihrer Pflicht zur materiellen 1083

  EuGH, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing).   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn.  107 – 116. 1085  EuGH, Rs. C‑137/08 (Penzügyi Lízing) Rn. 56 (zu Gerichtsstandsklauseln). In EuGH, Rs. C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn. 23 – 24, wird diese Aussage auf sämtliche Klauseln erweitert. 1086   Pfeiffer, LMK 2010, 311868; v. Westphalen, NJW 2013, 961, 965. 1087   So auch Rutgers, ERCL 2005, 87, 92 (zu den Fällen Océano und Cofidis). 1088   EuGH, Rs. C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn.  29 – 36. 1084

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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Prozessleitung nach, so mildert sich zugleich der Druck, den Grundsatz der Parteiherrschaft und richterlichen Passivität (in deutscher Terminologie: Dispositions- und Beibringungsgrundsatz) aufzugeben und durch einen Offizial- und Untersuchungsgrundsatz zu ersetzen. Denn in dem Umfang, in dem die Parteien die betreffenden Tatsachen und Rechtsfragen kontradiktorisch erörtern und auf der Grundlage der vom Gericht erfolgten Hinweise Anträge stellen, besteht für das Gericht kein Anlass mehr, in das Verfahren weitergehend einzugreifen. Eine Reihe von Entscheidungen setzt sich schließlich mit der Frage auseinander, in welchen Verfahrensabschnitten und bei welchen Verfahrensformen die vom Gerichtshof aufgestellten Grundsätze greifen. Unstreitig ist, dass eine Pflicht zur amtswegigen Prüfung jedenfalls im Erkenntnisverfahren besteht.1089 Die Kontrollpflicht erstreckt sich dabei – über die beanstandete Klausel hinaus – auf den gesamten Vertrag und u. U. sogar auf einen anderen Vertrag, von dem die Klausel abhängt.1090 Bei sonstigen Verfahrensabschnitten und Verfahrensformen stützt sich der EuGH dagegen nicht allein auf eine am effet utile orientierte Auslegung des Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13, sondern zusätzlich auf das Prinzip der Verfahrensautonomie sowie auf den Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz, um die ex-officio-Pflicht der nationalen Gerichte zu relativieren. So besteht im Rechtsmittelverfahren eine Pflicht zur amtswegigen Prüfung nur dann, soweit das Gericht nach innerstaatlichem Prozessrecht befugt ist, jene Unwirksamkeitsgründe zu prüfen, die im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden, die sich aber klar aus den Umständen des erstinstanzlichen Verfahrens ergeben.1091 Verfügt das Gericht über eine solche Prüfungsmöglichkeit, so besteht nicht nur die Befugnis, sondern zugleich die Pflicht, die betreffenden Unwirksamkeitsgründe von Amts wegen zu prüfen.1092 Auch bei Mahnverfahren betont der Gerichtshof den Grundsatz der Verfahrensautonomie. Zwar liegt nach der Entscheidung Banco Español de Crédito1093 ein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz vor, wenn eine Verzugszinsklausel im Mahnverfahren nicht von Amts wegen, sondern erst nach Einlegung eines Rechtsbehelfs im Streitverfahren gerichtlich überprüft werden darf.1094 Einschränkend fügte der Gerichtshof allerdings hinzu, dass eine Pflicht zur Kontrolle missbräuchlicher Klauseln nur insoweit besteht, als das zuständige Gericht über die „hierzu erforderlichen rechtlichen und sachlichen Grundlagen“ verfügt.1095 Im Unterschied zu den Rechtsachen Pénzügyi Lízing und Banif Plus, die beide ein normales (streitiges) Erkenntnisverfahren betrafen, fordert er für das Mahnverfahren in der Phase vor Einspruchsbzw. Widerspruchserhebung auch keine tatsächlichen Untersuchungsmaßnahmen des Mahngerichts oder die Durchführung eines kontradiktorischen Verfahrens. Beides 1089   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 32; sowie EuGH, Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 56. Beide Rechtssachen beziehen sich auf das streitige Verfahren nach Einspruch/Widerspruch gegen einen Mahnbescheid. 1090   Vgl. EuGH, Rs. C‑472/11 (Banif Plus Bank) Rn. 41. 1091   EuGH, Rs. C‑397/11 (Jőrös) Rn. 29 ff.; Rs. C‑488/11 (Asbeek Brusse und de Man Garabito) Rn. 42 ff. 1092   EuGH, Rs. C‑488/11 (Asbeek Brusse und de Man Garabito) Rn. 46. 1093   EuGH, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 57; vgl. auch EuGH, Rs. C‑49/14 (Finanmadrid EFC). 1094   EuGH, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 54. 1095   EuGH, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 43, 53, 57.

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widerspräche letztlich dem Sinn und Zweck des Mahnverfahrens, das in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gerade dazu gedacht ist, als nichtstreitiges Verfahren eine einfache, schnelle und effiziente Durchsetzung von unbestrittenen Geldforderungen zu gewährleisten.1096 Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass eine Prüfungspflicht des nationalen Gerichts nur dann besteht, wenn sich Anhaltspunkte für die Missbräuchlichkeit einer Klausel bereits aus dem Mahnantrag bzw. den zusätzlich eingereichten Unterlagen ergeben.1097 Keine Pflicht zur amtswegigen Prüfung besteht im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens im Anschluss an eine rechtskräftige Entscheidung.1098 Denn der Effektivitätsgrundsatz verlangt grundsätzlich keine Durchbrechung der Rechtskraft.1099 Etwas anderes kann sich aus dem Äquivalenzgrundsatz ergeben: Soweit das nationale Recht für rein innerstaatliche Verfahren die Möglichkeit einer Rechtskraftdurchbrechung vorsieht, muss diese auch bei vergleichbaren Verfahren bestehen, in denen die Vorgaben der Klausel-RL 93/13 zu berücksichtigen sind.1100 Weitere Besonderheiten bestehen, wenn das Vollstreckungsverfahren ohne ein vorangegangenes Erkenntnisverfahren durchgeführt wird. In diesem Fall muss es, wie der EuGH für das spanische Hypothekenvollstreckungsverfahren mehrfach entschieden hat, entweder dem Vollstreckungsgericht oder dem Erkenntnisgericht möglich sein, von Amts wegen oder auf Antrag des Verbrauchers die dem Vollstreckungstitel zugrunde liegenden Vertragsklauseln zu prüfen und die Zwangsvollstreckung auszusetzen.1101 Gerichtsverfahren, die im Anschluss an ein Schiedsverfahren durchgeführt werden, werden ebenfalls am Effektivitäts- und Äquivalenzgebot gemessen. Nach der Entscheidung Mostaza Claro1102 muss ein nationales Gericht, das über eine Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruchs zu entscheiden hat, die Wirksamkeit der Schiedsklausel prüfen und den Schiedsspruch bei Missbräuchlichkeit der Klausel selbst dann aufheben, wenn sich der Verbraucher auf diese nicht im Schiedsverfahren, sondern erst im gerichtlichen Aufhebungsverfahren berufen hat. Ein nationales Gericht, bei dem ein Antrag auf Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Schiedsspruch anhängig ist, muss demgegenüber nur dann eine Inhaltskontrolle von Amts wegen vornehmen, wenn es eine solche Prüfung auch im Rahmen vergleichbarer Anträge nationaler Art vornehmen kann.1103 1096   Vgl. nur GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 50 ff. Auch die (auf bestimmte grenzüberschreitende Fälle anwendbare) Mahnverfahrens-VO 1896/2006 lässt ein automatisiertes Verfahren zur Prüfung des Antrags und zur Ausstellung des Europäischen Zahlungsbefehls zu (Art. 8 S. 2), das nicht von einem Richter durchgeführt werden muss (ErwGr (16) S. 3). Inwieweit das Mahngericht auch die Begründetheit des Mahnantrags prüfen muss, ist freilich umstritten; hierzu Rauscher/Gruber, EuZPR/EuIPR, Band 2, 4. Aufl., 2015, Art. 11 EG‑MahnVO Rn. 6 ff.; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., 2011, Art. 8 EuMVVO Rn. 6 ff. 1097  Ebenso Hau, JZ 2012, 964, 966; Schlosser, IPRax 2012, 507, 509; Stürner, ZEuP 2013, 666, 676; Wendenburg, EuZW 2012, 758, 759; tendenziell auch Beka, GPR 2012, 326, 327; überhaupt nicht angesprochen von Rott, ERCL 2012, 470 ff. 1098   EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 46 (zur Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Schiedsspruch). 1099  Hierzu supra, § 5 B.II.3.b. 1100   EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 59; hierzu supra, § 5 B.II.3.c. 1101   EuGH, Rs. C‑415/11 (Aziz) Rn. 59 ff.; verb. Rs. 537/12 & C‑116/13 (Banco Popular Español und Banco de Valencia) Rn. 60; Rs. C‑169/14 (Sánchez Morcillo und Abril García) Rn. 51. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑34/13 (Kušionová) Rn. 66 f. 1102   EuGH, Rs. C‑168/05 (Mostaza Claro). 1103   EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) Rn. 59; Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 54.

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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III. Das Transparenzgebot gem. Art. 5 Klausel-RL 93/13 1. Maßstab für die Klauseltransparenz a) Klarheit und Verständlichkeit von Klauseln Das in Art. 5 Klausel-RL 93/13 verankerte Transparenzgebot ist neben der Missbrauchskontrolle die zweite tragende Säule der Richtlinie. Nach Art. 5 S. 1 KlauselRL 93/13 müssen schriftlich niedergelegte Klauseln stets „klar und verständlich“ abgefasst sein. ErwGr (20) stellt ergänzend klar, dass der Verbraucher tatsächlich die Möglichkeit haben muss, von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen. Art. 4 Abs. 2 Hs. 2 der Richtlinie hebt schließlich hervor, dass Preis- und Hauptleistungsklauseln einer Inhaltskontrolle zugänglich sind, wenn sie nicht dem Transparenzgebot genügen.1104 Die Vorschrift eröffnet damit eine Missbrauchskontrolle im Bereich der privilegierten Klauseln, die eigentlich gem. Art. 4 Abs. 2 Hs. 1 Klausel-RL 93/13 einer solchen Kontrolle entzogen sind. Der Inhalt des Transparenzgebots wird in Art. 5 S. 1 Klausel-RL 93/13 mit den Begriffen der „Klarheit“ und „Verständlichkeit“ umschrieben. Beide Konzepte, die sich sowohl auf einzelne Klauseln als auch auf das Vertragswerk als Ganzes beziehen,1105 ergänzen einander und lassen sich nur schwer voneinander abgrenzen. Klauseln sind klar formuliert, wenn keine Mehrdeutigkeiten, Missverständnisse und Zweifel entstehen. Klauseln sind verständlich, wenn der durchschnittliche Verbraucher den Sinngehalt der betreffenden Klausel verstehen kann. Die Kriterien der „Klarheit und Verständlichkeit“ umfassen damit, wie mittlerweile auch der EuGH klargestellt hat, sowohl eine formale als auch eine inhaltliche Komponente: Das durch die KlauselRL 93/13 aufgestellte Erfordernis der Transparenz „kann nicht auf deren bloße Verständlichkeit in formeller und grammatikalischer Hinsicht beschränkt werden. Vielmehr muss das Transparenzerfordernis (. . .) umfassend verstanden werden.“1106 In formaler Hinsicht muss der Unternehmer durch die äußere Gestaltung sicherstellen, dass der Verbraucher die vertragswesentlichen Rechte und Pflichten erfassen kann. Zweifel an der Klarheit und Verständlichkeit bestehen, wenn einzelne Klauseln oder das Vertragswerk als Ganzes unübersichtlich aufgebaut sind, keine Gliederung erkennen lassen, ein schwer lesbares Schriftbild oder einen gegenüber der Bedeutung des Rechtsgeschäfts unangemessenen Umfang aufweisen. Zum anderen müssen Klauseln auch in inhaltlicher Hinsicht klar und verständlich formuliert werden. Insoweit sind Fachbegriffe, verschachtelte, lange Satzstrukturen oder unpräzise, lückenhafte Aussagen soweit wie möglich zu vermeiden. Daneben trifft den Unternehmer die Obliegenheit, durch eine möglichst konkrete und differenzierte tatbestandliche Ausformung seiner AGB-Bestimmungen sicherzustellen, dass der Verbraucher die rechtliche und wirtschaftliche Tragweite einer Klausel zutreffend einschätzen kann.1107 Aus dem Transparenzgebot folgt damit nicht nur 1104   Für das Transparenzgebot des Art. 4 Abs. 2 Klausel-RL 93/13 gilt dabei derselbe Maßstab wie bei Art. 5 S. 1 Klausel-RL 93/13; vgl. EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 69. 1105   Vgl. EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 30: Es ist Sache des nationalen Gerichts, „im Licht sämtlicher Klauseln in den AGB“ die Frage der einzuhaltenden Transparenz zu klären. 1106   EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 71 f.; Rs. C‑96/14 (Van Hove) Rn. 40 f. 1107   EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 73, 75. Vgl. auch EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 24, 26, 28; Rs. C‑92/11 (RWE Vertrieb) Rn. 49.

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ein Verständlichkeitsgebot, sondern – dem deutschen Recht vergleichbar1108 – zugleich ein Bestimmtheitsgebot: Der Unternehmer hat die Obliegenheit, den Klauselinhalt möglichst weitgehend zu konkretisieren, damit der Verbraucher seine Rechte und Pflichten bereits vor Vertragsschluss mit größtmöglicher Bestimmtheit erkennen und nach Vertragsschluss überprüfen kann, ob zugunsten des Unternehmers begründete Leistungsvorbehalte oder Leistungsänderungsrechte von diesem vertragsgemäß ausgeübt wurden. b) Das Transparenzgebot als Informationsobliegenheit Der EuGH hat das Transparenzgebot darüber hinaus in zweierlei Hinsicht weiter konturiert. Zum einen hat er in den Fällen RWE1109 und Kásler1110 hervorgehoben, dass es für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung ist, vor Abschluss eines Vertrags über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses informiert zu werden. Die Klarheit und Verständlichkeit von Klauseln beurteilt sich daher auch danach, ob der Durchschnittsverbraucher „in Anbetracht aller einschlägigen Tatsachen, einschließlich der (. . .) bereitgestellten Werbung und Informationen“ die für ihn möglicherweise erheblichen wirtschaftlichen Folgen der Klausel zutreffend einschätzen konnte.1111 Das Transparenzgebot begründet dementsprechend nicht nur ein Irreführungsverbot, sondern unter Umständen auch Informationsobliegenheiten.1112 Zum anderen hat der Gerichtshof in den Fällen Pohotovost1113 und Pereničová1114 anerkannt, dass ein Verstoß gegen die im sonstigen Sekundärrecht vorgesehenen vorvertraglichen Informationspflichten ein Indiz für die Intransparenz und Missbräuchlichkeit von Klauseln sein kann, wenn die unterlassene, unvollständige oder falsche Information in Zusammenhang mit der als missbräuchlich angegriffenen Klausel steht.1115 Dies überzeugt. Die Frage, ob eine AGB-Klausel hinreichend klar und verständlich ist, verlangt ein Austarieren der wechselseitigen Informationslasten. Anhaltspunkte hierfür lassen sich aus den vorvertraglichen Informationspflichten gewinnen. Zwar folgt die Haftung für nicht erteilte, unvollständige oder fehlerhafte Informationen ihren jeweils eigenen Gesetzen.1116 Da vorvertragliche Informationspflichten und das Transparenzgebot dem Schutzzweck nach weitgehend identisch sind, stehen beide Institute aber nicht unverbunden nebeneinander, sondern in einer Wechselbeziehung. c) Leitbilder Die Frage, ob eine Klausel klar und verständlich ist, beurteilt sich auch danach, welcher Verständnishorizont zugrunde zu legen ist. Die Klausel-RL 93/13 enthält diesbe1108

  Vgl. MüKo/Wurmnest, BGB, 7. Aufl., 2016, § 307 Rn. 59 m. w. N.   EuGH, Rs. C‑92/11 (RWE Vertrieb) Rn. 44, 50 ff. 1110   EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 70. 1111   EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 74. 1112  Hierzu supra, § 10 D.III.7. 1113   EuGH, Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 71, 77. 1114   EuGH, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 43. 1115   Hierzu wiederum supra, § 10 D.III.7. 1116   Zum Unterschied zwischen AGB-rechtlichen Informationsobliegenheiten und vorvertraglichen Informationspflichten Niedenführ, Informationsgebote des AGB-Gesetzes, 1986, S. 185 ff.; v. Campenhausen, Das Transparenzgebot als Pflicht zur Aufklärung vor Vertragsschluß, 1994. 1109

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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züglich keine Vorgaben. Deswegen war lange Zeit unklar, inwieweit das vom EuGH in seiner Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten und zur Auslegung lauterkeitsrechtlicher Richtlinien aufgestellte Leitbild des durchschnittlichen informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers1117 auch im AGB-Recht zugrunde zu legen ist.1118 Mittlerweile hat der EuGH klargestellt, dass es auch bei der Transparenzkontrolle darauf ankommt, ob ein „normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher“ die Klausel und ihre praktische und wirtschaftliche Bedeutung einschätzen konnte.1119 Welche Fähigkeiten vom Verbraucher regelmäßig zu erwarten sind, bedarf im Kontext der AGB-Kontrolle jedoch der weiteren Konkretisierung.1120 Rechtsvergleichend betrachtet zeigen sich deutliche Unterschiede bei der Frage, inwieweit juristische Fachbegriffe in Klauselwerken zulässig sind.1121 Im Vereinigten Königreich zeichnet sich die Tendenz ab, dass Klauseln stets in einer für den Laien verständlichen Alltagssprache formuliert werden müssen. So legt der vom Office of Fair Trading erstellte, von der Competition & Markets Authority (CMA) im Jahre 2014 übernommene „Unfair Contract Terms Guidance“ fest, dass Ausdrücke wie beispielsweise „indemnity“ zu vermeiden sind; stattdessen werden transparentere Formulierungen wie „pay damages“ bevorzugt.1122 Untersagt ist auch der pauschale Verweis auf die Gesetzeslage (statutory references); dem Verbraucher sollen seine Rechte und Pflichten vielmehr im Klauselwerk konkret erläutert werden.1123 In Deutschland ist die Rechtsprechung vom Grundsatz her großzügiger. Zwar betont auch der BGH, dass Rechtskenntnisse oder besondere Fachkenntnisse vom Durchschnittsverbraucher nicht erwartet werden können. Die Verwendung von Rechtsbegriffen ist daher intransparent, wenn diese technisch nicht erforderlich und in der Alltagssprache unbekannt sind. Dies trifft z. B. auf die Begriffe „Wandelung und Minderung“ zu.1124 Gleichermaßen hält der BGH eine Haftungsausschlussklausel, die das Wort „Kardinalpflicht“ verwendet, selbst im Unternehmensverkehr für intransparent, da einem KfZ-Händler die Kenntnis dieses Begriffs nicht zugemutet werden kann.1125 In anderen Fällen legt die Rechtsprechung aber einen sehr viel milderen Maßstab zugrunde. So soll ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer in der Lage sein, den Ausschluss „krankhafter Störungen infolge psychischer Reaktionen“ in der Unfallversicherung zutreffend erfassen zu können, obwohl die 1117   Zu den Grundfreiheiten vgl. EuGH, Rs. C‑220/98 (Éstee Lauder Cosmetics) Rn. 27 f.; für das lauterkeitsrechtliche Sekundärrecht EuGH, Rs. C‑210/96 (Gut Springenheide und Tusky) Rn. 31; Rs. C‑44/01 (Pippig Augenoptik) Rn. 55; vgl. auch ErwGr (18) UGP-RL 2005/29. 1118   Überwiegend wurde angenommen, dass das im Lauterkeitsrecht entwickelte Leitbild auch im Rahmen der Klausel-RL 93/13 Anwendung finden kann; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2197; Fleischer, ZEuP 2000, 772, 791 f.; zur Diskussion auch Klauer, ERPL 2000, 187, 201 f. 1119   EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 74; Rs. C‑96/14 (Van Hove) Rn. 47. 1120  Vertiefend Pfeiffer, NJW 2011, 1 ff. 1121   Vgl. zum Folgenden auch Niglia, The Transformation of Contract in Europe, 2003, S. 192 ff. 1122   Office of Fair Trading, Unfair contract terms guidance, Guidance for the Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations 1999, September 2008, OFT311, Nr. 19.5., S. 86 und Annexe A, Group 19 (b), S. 133. 1123   Office of Fair Trading, Unfair contract terms guidance, Guidance for the Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations 1999, September 2008, OFT311, Nr. 19.5., S. 86 und Annexe A, Group 19 (b), S. 138 f. 1124   BGH, NJW 1982, 331, 333; NJW 1982, 2380. 1125   BGHZ 164, 11, 35 f. = NJW-RR 2005, 1496, 1505.

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Gerichte diesen Begriff unterschiedlich auslegen.1126 Auch der pauschale Verweis in Lebensversicherungsverträgen, dass die Überschussermittlung „nach den Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes und des Handelsgesetzbuchs und den dazu erlassenen Rechtsverordnungen“ erfolgt, wurde vom BGH für transparent gehalten, da die betreffenden gesetzlichen Regelungen „so komplex und kompliziert“ seien, dass sie einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht weiter erklärt werden könnten.1127 Auch außerhalb des Versicherungsrechts betont der BGH, dass das Transparenzgebot den AGB-Verwender nicht überfordern dürfe. Die Verpflichtung, den Klauselinhalt klar und verständlich zu formulieren, bestehe nur im Rahmen des Möglichen.1128 Wie das Beispiel zur Überschussbeteiligung zeigt, wird dabei z. T. gar nicht ausgelotet, ob die betreffenden Klauseln transparenter formuliert werden könnten.1129 Der EuGH hatte bislang keine Gelegenheit, das bei der Transparenzkontrolle zugrunde zu legende Leitbild weiter zu konkretisieren. Obwohl der Gerichtshof allgemeine Kriterien entwickeln könnte, verzichten die mitgliedstaatlichen Gerichte regelmäßig darauf, Vorabentscheidungsverfahren zur Auslegung des Transparenzgebots einzuleiten. d) Vertragsschlussbegleitende Umstände Unsicherheiten bereitet die Frage, in welchem Umfang vertragsschlussbegleitende Umstände (vgl. Art. 4 Abs. 1 Klausel-RL 93/13) bei der Transparenzkontrolle zu berücksichtigen sind. Dies betrifft vor allem das Problem, ob intransparente Klauseln durch vorvertragliche Informationen des Unternehmers „geheilt“ werden können. In Deutschland geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Vorwurf der Intransparenz im Individualverfahren ausgeräumt werden kann, wenn der Klauselverwender den Kunden entsprechend informiert.1130 Auch der EuGH hält die Herstellung von Transparenz außerhalb einer Klausel offenbar für zulässig, denn nach dem Kásler-Urteil1131 muss die Transparenzkontrolle „einschließlich der vom Darlehnsgeber im Rahmen der Aushandlung eines Darlehnsvertrags bereitgestellten Werbung und Informationen“ erfolgen. Die vertragsabschlussbegleitenden Umstände können das Ergebnis der Transparenzkontrolle damit sowohl zu Lasten als auch zu Gunsten des Unternehmers beeinflussen.1132 Einerseits kann der Unternehmer dazu verpflichtet sein, über den Inhalt und die Tragweite von Klauseln zu informieren, wenn nur auf diese Weise sichergestellt wird, dass der Verbraucher die wirtschaftlichen Folgen der Klauseln abschätzen kann. Andererseits kann sich die Berücksichtigung vertragsabschlussbegleitender Umstände auch zugunsten des Unternehmers auswirken. Da gem. Art. 4 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 alle tatsächlichen Verhältnisse außerhalb des Texts der AGB zu berück1126

  BGHZ 159, 360 = NJW 2004, 2589; BGH, NJW-RR 2005, 32.   BGH, NJW 2001, 2014, 2019. 1128   BGH, NJW 1998, 3114, 3116; NJW-RR 2005, 1496, 1505. 1129   Für konkrete Vorschläge vgl. Ebers, Die Überschußbeteiligung in der Lebensversicherung, 2001, S. 343 f. 1130   BGHZ 106, 42, 51 = NJW 1989, 222, 224; BGH NJW 1991, 1889; NJW 1992, 1097, 1098. 1131   EuGH, Rs. C‑26/13 (Kásler und Káslerné Rábai) Rn. 74. 1132   Vgl. auch Börner, JZ 1997, 595 ff.; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, AGB-Recht, 12. Aufl., 2016, § 307 BGB Rn. 346; Wolf/Horn/Lindacher/Horn, AGB-Gesetz, 4. Aufl., 1999, § 24a Rn. 52 f. 1127

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sichtigen sind, kann eine für sich genommen unverständliche Vertragsbedingung dennoch als wirksam betrachtet werden, wenn der Verbraucher vor Vertragsschluss über die Bedeutung und Tragweite der Klausel informiert wird. Ob Gleiches für die überindividuelle Rechtsdurchsetzung gilt, ist offen. Der BGH lässt eine Berufung auf außerhalb der Klausel liegende Umstände im Rahmen der Verbandsklage nicht zu, da das Verbandsklageverfahren auf einer vom Einzelfall losgelösten abstrakten Wirksamkeitsprüfung beruht.1133 In der Konsequenz führt diese Auffassung zu dem Ergebnis, dass eine im Verbandsklageverfahren für unwirksam erklärte Klausel im Individualverfahren wirksam sein kann. Dieser Wertungswiderspruch lässt sich indessen vermeiden, wenn man annimmt, dass zumindest solche Informationen im Verbandsklageverfahren berücksichtigt werden können, die in einer Vielzahl von Fällen Verwendung finden und planmäßig den Erwartungshorizont aller potentiellen Kunden präformieren.1134 In derartigen Fällen verstößt die Berücksichtigung vertragsabschlussbegleitender Informationen gerade nicht gegen den Zweck des Verbandsklageverfahrens, denn generelle Vertragsumstände sind einer generellen Bewertung zugänglich. 2. Rechtsfolgen a) Auslegung intransparenter Klauseln Die Klausel-RL 93/13 regelt die Rechtsfolgen, die bei einem Verstoß gegen das Transparenzgebot eintreten, nur teilweise. Als einzige ausdrücklich vorgesehene Rechtsfolge normiert Art. 5 S. 2 Klausel-RL 93/13 eine Auslegungsregel. Danach gilt bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel stets die für den Verbraucher günstigste Auslegung. Die Richtlinie geht damit über die in vielen Mitgliedstaaten bereits vor Erlass der Klausel-RL 93/13 anerkannte Unklarheitenregel „ambiguitas contra stipulatorem“ bzw. „contra proferentem“ hinaus.1135 Gefordert wird nicht bloß eine Auslegung zu Lasten des Verwenders bzw. eine für den Verbraucher günstige Auslegung, sondern die für den Verbraucher „günstigste“ Auslegung. Dies gilt allerdings nur für den Individualprozess, nicht jedoch für die in Art. 7 Abs. 2 Klausel-RL 93/13 angesprochenen Verbandsklagen und sonstigen abstrakten Kontrollverfahren (Art. 5 S. 3 Klausel-RL 93/13). Eine verbraucherfreundliche Auslegung im abstrakten Kontrollverfahren würde das Ziel vereiteln, der Verwendung missbräuchlicher Klauseln im Geschäftsverkehr ein Ende zu setzen. Die betreffenden Klauseln könnten unter Umständen nur deshalb einer Inhaltskontrolle standhalten, weil die Gerichte die für den Verbraucher günstigste Auslegungsalternative zugrunde legen. Dies widerspräche dem Transparenzgebot, denn von einem rechtsunkundigen Verbraucher kann nicht erwartet werden, dass er sich mit Hilfe der Unklarheitenregel über den Regelungsgehalt einer mehrdeutig formulierten Klausel selbst Klarheit verschafft oder hierzu die Gerichte anruft. Im abstrakten 1133   BGHZ 116, 1, 4 f. = NJW 1992, 179, 180; BGH, NJW 1997, 1068, 1069: Eine Zusatzinformation, die die Intransparenz einer Klausel vermeidet, ist im Verbandsverfahren nur dann zu beachten, „wenn sie sich aus anderen Bestimmungen der mit der beanstandeten Klausel in einem Formular zusammengefassten AGB ergibt“. Dazu Lindacher, NJW 1997, 2741 f. 1134   Wie hier Köndgen, JZ 1992, 643, 644; Wolf/Horn/Lindacher/Horn, AGB-Gesetz, 4. Aufl., 1999, § 24a Rn. 47. 1135   Henkel, Inhaltskontrolle von Finanzprodukten, 2004, S. 331 m. w. N.

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Kontrollverfahren ist daher nur eine objektive Auslegung1136 oder eine kundenfeindliche Auslegung1137 zulässig. Selbst im Individualprozess kann eine kundenfreundliche Interpretation für den Verbraucher nachteilig sein. Eine solche Auslegung führt nämlich in bestimmten Fällen zur Aufrechterhaltung von Klauseln, die bei extensiver, kundenfeindlicher Betrachtung einer Inhaltskontrolle nicht standgehalten hätten. In Deutschland wird daher im Individualprozess seit geraumer Zeit ein zweistufiges Verfahren befürwortet.1138 In einem ersten Schritt soll die mehrdeutige Klausel anhand der kundenfeindlichsten Auslegung einer Inhaltskontrolle unterzogen werden. Nur wenn sich die Klausel als wirksam erweist, wird in einem zweiten Schritt die kundenfreundlichste Auslegung zugrunde gelegt. Ob diese Vorgehensweise mit Art. 5 S. 2 Klausel-RL 93/13 vereinbar ist, wird bezweifelt.1139 Für die Zulässigkeit der kundenfeindlichsten Auslegung auf erster Stufe spricht jedoch das Prinzip abschreckender Sanktionierung, das nicht nur im Verbandsverfahren, sondern auch im Individualverfahren Geltung beansprucht.1140 Müsste der Unternehmer im Individualverfahren nur mit einer kundenfreundlichen Auslegung, nicht aber mit dem ersatzlosen Wegfall der Klausel rechnen, bestünde ein zu geringer Anreiz, auf mehrdeutige Klauseln zu verzichten. Auch für den Verbraucher erweist es sich als vorteilhafter, wenn ihn belastende Klauseln ersatzlos wegfallen. Die von der deutschen Rechtsprechung favorisierte kundenfeindlichste Auslegung auf erster Stufe ist daher für den Verbraucher letztlich die „günstigste Auslegung“, die von Art. 5 S. 2 Klausel-RL 93/13 gerade gefordert wird. b) Unverbindlichkeit von Klauseln bei reiner Intransparenz? Art. 5 S. 2 Klausel-RL 93/13 greift nur bei Klauseln, die mindestens zwei unterschiedlichen Auslegungen zugänglich sind. Nicht geregelt sind die Rechtsfolgen, wenn eine Klausel zwar nicht mehrdeutig, aber dennoch unverständlich formuliert ist. Zu denken ist etwa an den Fall, dass eine Klausel aufgrund ihrer Fachterminologie oder der verwendeten Vertragssprache für den Verbraucher nicht verständlich ist. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob allein die Intransparenz zur Unverbindlichkeit der Klausel führen kann. Teils wird davon ausgegangen, dass die Mitgliedstaaten frei darüber entscheiden können, welche Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen das Transparenzgebot greifen.1141 Diese Ansicht lässt sich weder mit dem Wortlaut des Art. 5 S. 1 Klausel-RL 93/13, wonach Klauseln „stets“ klar und verständlich formuliert werden müssen, noch mit dem effet utile vereinbaren.1142 Andere sehen im Transparenzgebot unter Berufung auf 1136

  So EuGH, Rs. C‑70/03 (Kommission/Spanien) Rn. 16.   So GA Geelhoed, SchlA, Rs. C‑70/03 (Kommission/Spanien) Rn. 13. 1138   Vgl. BGH, NJW 1992, 1097, 1099, NJW 1994, 1798, 1799; NJW 2008, 2172, 2173, Rn. 18 f. 1139   Ulmer, EuZW 1993, 337, 341; G/H/Pfeiffer, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A5, Art. 5 Rn. 51 f. („Prinzip der kundenfeindlichen Auslegung ist der RL fremd“); offenlassend Basedow, VersR 1999, 1045, 1048 (Prinzip der kundenfeindlichen Auslegung führt zu einer strengeren AGB-Kontrolle, die nach Art. 8 Klausel-RL 93/13 zulässig ist). Für Richtlinienkonformität Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Wolf, AGB-Recht, 5. Aufl., 2009, Art. 5 RL Rn. 9. 1140  Vgl. EuGH, Rs. C‑618/10 (Banco Español de Crédito) Rn. 69; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑488/11 (Asbeek Brusse und de Man Garabito) Rn. 58 1141   Schmidt-Salzer, BB 1995, 1493. 1142   Wie hier G/H/Pfeiffer, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A5, Art. 5 Rn. 23. 1137

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ErwGr (20) Klausel-RL 93/13 eine Einbeziehungsvoraussetzung.1143 Dagegen sprechen jedoch vier Argumente: Erstens verzichtet die Richtlinie darauf, die Einbeziehung von Klauseln in den Vertrag zu regeln.1144 Wäre das Transparenzgebot nur als Einbeziehungsvoraussetzung zu verstehen, so unterlägen intransparente Hauptleistungsklauseln zweitens nicht, wie von Art. 4 Abs. 2 Klausel-RL 93/13 gefordert, einer Inhaltskontrolle. Drittens kann eine bloße Einbeziehungskontrolle nicht gewährleisten, dass das Transparenzgebot wirksam im Individualverfahren durchgesetzt wird.1145 Schließlich könnten viertens intransparente Klauseln auch nicht Gegenstand eines abstrakten Kontrollverfahrens sein, denn Art. 7 Abs. 2 Klausel-RL 93/13 sieht ein solches Verfahren nur für „missbräuchliche Klauseln“ vor. Intransparente Klauseln dürfen demzufolge nicht allein durch eine Einbeziehungskontrolle sanktioniert werden. Sie müssen vielmehr einer Inhaltskontrolle unterzogen werden, soweit sie nicht bereits an einer etwaigen Einbeziehungskontrolle nach nationalem Recht scheitern. Folgt man dieser Interpretation, so stellt sich weitergehend die Frage, ob die Intransparenz per se zur Unverbindlichkeit der Klausel nach Art. 3 Abs. 1 i. V. m. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 führt1146 oder ob zusätzlich erforderlich ist, dass die Klausel inhaltlich i. S. d. Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 nachteilig ist, also entgegen Treu und Glauben ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten verursacht.1147 Der EuGH scheint der zuerst genannten Ansicht zu folgen.1148 Bereits im Urteil Kommission/Niederlande1149 verwies er ausdrücklich auf Generalanwalt Tizzano, der in seinen Schlussanträgen ausgeführt hatte, dass ein Verstoß gegen das Transparenzgebot für sich genommen ausreicht, um eine Klausel als missbräuchlich und damit als unverbindlich einzustufen. Auch das Urteil Pohotovost1150 weist in diese Richtung. Der Gerichtshof urteilte, dass eine Kreditvertragsklausel allein deswegen gem. Art. 3 Abs. 1 und 4 Abs. 2 Klausel-RL 93/13 missbräuchlich sein kann, weil in ihr der effektive Jahreszins nicht angegeben wird. Umgekehrt betonte der EuGH im Fall Sebestyén,1151 dass sich die Missbräuchlichkeit einer Klausel nicht nur aus einem Verstoß 1143

  Heinrichs, in: FS Trinkner, 1995, S. 157, 172; vgl. auch v. Westphalen, EWS 1993, 161, 165.   Der geänderte Vorschlag für eine Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, KOM (92) 66 endg., ABl. 1992 C 73/7, regelte demgegenüber in Art. 5 Abs. 2 ausdrücklich die Einbeziehungskontrolle: „Vertragsklauseln, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurden, sind, unabhängig von ihrer Lauterkeit oder Unlauterkeit, nur als vom Verbraucher angenommen anzusehen, wenn dieser vor Vertragsabschluß tatsächlich die Möglichkeit hatte, davon Kenntnis zu nehmen.“ 1145   Auch eine im Rahmen der Einbeziehungskontrolle verdeckt vorgenommene Inhaltskontrolle bleibt hinter den Transparenzanforderungen des Art. 5 Klausel-RL 93/13 zurück, da sie i. d. R. nur auf die formelle Transparenz abstellt; vgl. Henkel, Inhaltskontrolle bei Finanzprodukten, 2004, S. 320 f. 1146  G/H/Pfeiffer, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A5, Art. 5 Rn. 26 und Art. 3 Rn. 54; Reich, NJW 1995, 1857, 1860; Römer, NVersZ 1999, 97, 102; Schwintowski, VersWissStud. 15, 87, 96. 1147   Basedow, VersR 1999, 1045, 1049; Langheid, NVersZ 2000, 63, 65; Präve, VersR 2000, 138, 142 f.; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Wolf, AGB-Recht, 5. Aufl., 2009, Art. 5 RL Rn. 8; wohl auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 567. 1148   Hierzu bereits Pfeiffer/Ebers, in: ACQP, 2009, Art. 6:302 Rn. 3. 1149   EuGH, Rs. C‑144/99 (Kommission/Niederlande) Rn. 20 i. V m. GA Tizzano, SchlA, a. a. O., Rn. 27. 1150   EuGH, Rs. C‑76/10 (Pohotovost’) Rn. 71 ff. 1151   EuGH, Rs. C‑342/13 (Sebestyén) Rn. 34: „[S]elbst wenn man unterstellt, dass die allgemeinen Informationen, die der Verbraucher vor Vertragsabschluss erhalten hat, den Anforderungen betreffend Klarheit und Transparenz gem. Art. 5 dieser Richtlinie genügen, kann die Missbräuchlichkeit einer Klausel wie im Ausgangsverfahren nicht allein aufgrund dieses Umstands ausgeschlossen werden.“ 1144

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gegen das Transparenzgebot, sondern auch aus einer inhaltlichen Benachteiligung ergeben kann. Bei dem in Art. 5 S. 1 Klausel-RL 93/13 vorgesehenen Transparenzgebot handelt es sich demzufolge, wie Generalanwältin Trstenjak zutreffend hervorhebt, „um ein gesondert normiertes Kriterium der Missbräuchlichkeit gemäß Art. 3 der Richtlinie“, „dem so großes Gewicht beigemessen wurde, dass es neben der Generalklausel der Missbräuchlichkeit gesondert erwähnt wurde“.1152 c) Ausgestaltung der Rechtsfolgen im mitgliedstaatlichen Recht In vielen Mitgliedstaaten kann die Transparenz einer Klausel nur nach einem „Grobraster“ im Rahmen einer Einbeziehungskontrolle überprüft werden,1153 indem danach gefragt wird, ob der Verbraucher von den Vertragsklauseln im Großen und Ganzen Kenntnis nehmen bzw. mit dem Klauselinhalt rechnen konnte. Dementsprechend werden in der Regel nur besonders eindeutige Fälle der Intransparenz sanktioniert, also wenn ein Mindestmaß an Verständlichkeit, Bestimmtheit oder Lesbarkeit nicht gegeben ist. Eine eigenständige Transparenzkontrolle im Rahmen der Inhaltskontrolle wird demgegenüber nur in wenigen Mitgliedstaaten vorgenommen. So sieht das deutsche Recht seit der Schuldrechtsmodernisierung in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB vor, dass sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben kann, dass die Bestimmung nicht „klar und verständlich“ ist. Intransparente Klauseln sind daher im Rahmen der Inhaltskontrolle per se, ohne Hinzutreten einer inhaltlich unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners, als unwirksam zu betrachten.1154 Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot kann damit nicht nur durch die Einbeziehungskontrolle (§§ 305 Abs. 2 Nr. 2, 305c Abs. 1 BGB) und die Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB), sondern auch im Rahmen der Inhaltskontrolle mit der Rechtsfolge der Unwirksamkeit sanktioniert werden. Eine wegen Intransparenz für unwirksam erklärte Klausel darf dabei grundsätzlich nicht durch eine inhaltsgleiche Klausel ersetzt werden.1155 Soweit der ersatzlose Wegfall der unwirksamen Klausel nicht zu sachgerechten Lösungen führt, befürwortet der BGH jedoch eine ergänzende Vertragsauslegung.1156 Erleidet der Kunde durch sein Vertrauen auf seine Gebundenheit an die unwirksame Klausel einen finanziellen Nachteil, besteht nach der deutschen Rechtsprechung zudem die Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs unter dem Gesichtspunkt der Verletzung vorvertraglicher Rücksichtnahmepflichten aus culpa in contrahendo.1157 In Österreich gilt seit jeher für entgeltliche Verträge die Regel, dass unklare Vertragsbestimmungen zum Nachteil desjenigen auszulegen sind, der sie formuliert hat (§ 915, 2. Fall ABGB). Um den Vorgaben der Klausel-RL 93/13 vollständig Rechnung zu tragen, änderte der Gesetzgeber im Jahre 1997 das Konsumentenschutzgesetz (KSchG). § 6 Abs. 3 KSchG stellt nunmehr klar, dass AGB unwirksam sind, wenn 1152

  GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑92/11 (RWE Vertrieb) Rn. 62 f.   Vgl. den rechtsvergleichenden Überblick bei Henkel, Inhaltskontrolle von Finanzprodukten, 2004, S. 316 – 321 m. w. N. 1154   Vgl. die Regierungsbegründung zu § 307 BGB, BT‑Drucks. 14/6040, S. 153 f. 1155   BGHZ 164, 297, 315 = NJW 2005, 3559, 3564 f., Rn. 43 f. 1156   BGHZ 164, 297, 318 = NJW 2005, 3559, 3565 f., Rn. 49 ff. 1157   BGH, NJW 1984, 2816, 2817; BGHZ 99, 101, 107 = NJW 1987, 639, 640; BGHZ 181, 188, 192 = NJW 2009, 2590, Rn. 10; BGH, NJW 2010, 2873, 2875, Rn. 24. Siehe auch Brandner, in: FS Oppenhoff, 1985, S. 11 ff. 1153

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sie „unklar oder unverständlich“ abgefasst sind. Umstritten ist, ob diese Rechtsfolge abschließend zu verstehen ist1158 oder ob es dem Verbraucher unbenommen bleibt, sich im Prozess auf eine für ihn günstige Auslegung nach § 915, 2. Fall ABGB zu berufen.1159 Ungeklärt ist ferner, ob eine ergänzende Vertragsauslegung zulässig ist, wenn eine intransparente, nicht auslegungsfähige Klausel dem Verbraucher mehr Rechte einräumt als das dispositive Recht.1160 Unabhängig hiervon befürwortet die jüngere Rechtsprechung jedenfalls eine Schadensersatzpflicht des Unternehmers, wenn dem Verbraucher im Vertrauen auf die Gültigkeit der Klausel ein Schaden entstanden ist.1161 Die meisten anderen Mitgliedstaaten haben demgegenüber darauf verzichtet, für das Individualverfahren spezielle, über die Unklarheitenregel des Art. 5 S. 2 KlauselRL 93/13 und eine etwaige Einbeziehungskontrolle hinausgehende Sanktionen zu normieren. Dementsprechend ist vielfach umstritten, unter welchen Voraussetzungen intransparente Klauseln im Rahmen der Inhaltskontrolle für unverbindlich erklärt werden können.1162 3. Auswertung Die Vorgaben der Klausel-RL 93/13 sind bezüglich des Transparenzgebots in fast allen Mitgliedstaaten umgesetzt worden. Dennoch ist zweifelhaft, ob Verstöße gegen das Transparenzgebot in der Praxis hinreichend effektiv sanktioniert werden. Da die Klausel-RL 93/13 nur den Grundsatz der verbrauchergünstigsten Auslegung statuiert, hat die überwiegende Mehrzahl der Mitgliedstaaten davon abgesehen, die Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen das Transparenzgebot näher zu konkretisieren. Damit steht in vielen Ländern nur die Unklarheitenregel zur Verfügung, die zum Teil durch Vorschriften zur Einbeziehung von AGB ergänzt wird. Beide Rechtsfolgen sind jedoch nicht geeignet, sämtliche Verstöße gegen das Transparenzgebot im Individualverfahren wirksam zu sanktionieren, da die Unklarheitenregel nur bei mehrdeutigen Klauseln greift und eine Einbeziehungskontrolle in der Regel nur formale Transparenzverstöße nach einem „Grobraster“ erfasst. Die Rechtsprechung des EuGH deutet demgegenüber darauf hin, dass die Intransparenz einer Klausel für sich genommen ausreicht, um eine Klausel im Individualverfahren gem. Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 als missbräuchlich und unverbindlich einzustufen. Auch hier bedürfte es aber einer klarstellenden Entscheidung, damit alle Mitgliedstaaten ihrer Aufgabe nachkommen, Verstöße gegen das Transparenzgebot effektiv zu sanktionieren. 1158

 So P. Bydlinski, Bürgerliches Recht, Bd. 1, 4. Aufl., 2007, Rn. 6/49, S. 141 f.   Kathrein, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), ABGB, 3. Aufl., 2010, § 6 KSchG Rn. 31. Auch der Gesetzgeber ging bei Novellierung des KSchG davon aus, dass § 915 ABGB unberührt bleiben sollte; Erl. BlgNR XX GP 24. 1160  Hierzu P. Bydlinski, Bürgerliches Recht, Bd. 1, 4. Aufl., 2007, Rn. 6/49, S. 141; Geroldinger, ÖBA 2013, 27, 34. 1161   OGH, JBl. 2005, 443; ÖBA 2006, 70; ÖBA 2006, 445. Zustimmend Leitner, ÖJZ 2005, 321 ff.; kritisch Rummel, in: FS Canaris, Bd. 1, 2007, S. 1149 ff. 1162  Für Italien vgl. Cian, ZEuP 1998, 586, 589; Amato, Per un diritto europeo dei contratti con i consumatori, 2003, S. 166 ff. Für Spanien Pertíñez Vílchez, Las cláusulas abusivas por un defecto de transparencia, 2004, S. 75 – 77. Für das Vereinigte Königreich Whittaker, in: Chitty on Contracts, II, 32. Aufl., 2015, Rn. 38 – 260. 1159

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IV. Kollektive Verfahren der Rechtsdurchsetzung gem. Art. 7 Klausel-RL 93/13 1. Überblick Die Klausel-RL 93/13 verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht nur zur Kontrolle vorformulierter Klauseln im Individualverfahren, sondern verlangt zudem die Einrichtung abstrakter Kontrollverfahren, mit denen die Verwendung missbräuchlicher Klauseln über den Einzelfall hinaus untersagt werden kann. Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber „angemessene und wirksame Mittel“ vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende gesetzt wird. Welche Mittel eingesetzt werden müssen, wird nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie in den Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen.1163 Das Unionsrecht möchte den gewachsenen Systemen, die sich in den Mitgliedstaaten bereits vor Inkrafttreten der Richtlinie herausgebildet hatten, ausreichend Rechnung tragen. Art. 7 Abs. 2 Klausel-RL 93/13 bestimmt daher nur ganz allgemein, dass die Mittel auch Rechtsvorschriften einschließen müssen, wonach „Personen oder Organisationen, die nach dem innerstaatlichen Recht ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, (. . .) die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können (. . .).“1164 Die Klausel-RL 93/13 überlässt den Mitgliedstaaten damit – ebenso wie die UKlaRL 2009/221165 – die Wahl zwischen einem gerichtlichen und einem administrativen Kontrollsystem. Art. 7 Abs. 3 Klausel-RL 93/13 spricht zudem die Möglichkeit an, ein einheitliches Verfahren gegen mehrere Verwender oder Empfehler gleichartiger Klauseln einzuleiten. Sämtliche Mitgliedstaaten sehen überindividuelle Kontrollverfahren vor, mit denen die Verwendung und Empfehlung missbräuchlicher Klauseln im Rechtsverkehr unterbunden werden kann. In einer Reihe von Mitgliedstaaten liegt der Schwerpunkt auf einem administrativen Verfahren (infra, 2.). In nahezu allen Mitgliedstaaten besteht darüber hinaus die Möglichkeit, gerichtlich mit einer Verbraucherverbandsklage gegen missbräuchliche Klauseln vorzugehen (infra, 3.). Einige Mitgliedstaaten, wie beispielsweise Frankreich und die Slowakei, sehen darüber hinaus strafrechtliche Verfahren zur Unterbindung missbräuchlicher Klauseln vor. Derartige Verfahren spielen jedoch, soweit ersichtlich, in der Praxis eine untergeordnete Rolle, so dass sie keiner näheren Untersuchung bedürfen. Neben den genannten Kontrollmechanismen besteht in vielen Mitgliedstaaten zudem bei bestimmten Vertragsarten, insbesondere bei Finanzdienstleistungsverträgen, die Möglichkeit einer spezifischen Kontrolle durch Aufsichtsbehörden. Die Verwendung oder Empfehlung missbräuchlicher Klauseln kann in besonderen Fällen auch durch kartellrechtliche Maßnahmen reguliert werden. Da derartige Kontrollmechanismen spezielle Fragestellungen betreffen, werden die diesbezüglichen Besonderheiten im Folgenden ebenfalls nicht näher behandelt. Das bereits an anderer Stelle angesprochene Zusammenspiel zwischen der Klausel-RL 93/13 und der UGP-RL 2005/291166 bedarf demgegenüber einer eingehen1163

  EuGH, Rs. C‑413/12 (Anuntis Segundamano España) Rn. 30.   Herv. hinzugefügt. 1165  Hierzu supra, § 10 C.I.2. 1166  Hierzu supra, § 10 D.III.7. 1164

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deren Untersuchung. Liegt in der Verwendung missbräuchlicher Klauseln zugleich eine unlautere Geschäftspraktik, greifen nämlich nicht nur die Sanktionsregeln der Klausel-RL 93/13, sondern zudem die Rechtsdurchsetzungsvorschriften der UGPRL 2005/29 (infra, 4.). 2. Administrative Kontrolle missbräuchlicher Klauseln Viele Mitgliedstaaten basieren auf einem administrativen System der Klauselkontrolle. Charakteristisch für diese Systeme ist die dominierende Stellung öffentlicher Stellen, die für den Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher zuständig sind. Die verwaltungsrechtlichen Kontrollbefugnisse sind in den Mitgliedstaaten unterschiedlich stark ausgeprägt. Einige Mitgliedstaaten räumen den zuständigen Verwaltungsbehörden nur das Recht ein, eine Unterlassungsklage vor Gericht zu erheben. Hierzu zählen beispielsweise Belgien, Portugal und Spanien.1167 In anderen Ländern wird staatlichen Behörden dagegen generell die Aufgabe zugewiesen, Verbraucherbeschwerden nachzugehen bzw. auf eigene Initiative zu untersuchen, ob verwendete oder empfohlene Klauseln missbräuchlich sind. Hiermit korrespondiert in vielen Mitgliedstaaten das Recht der Verwaltungsbehörden, von Unternehmern relevante Dokumente und Informationen einzufordern. Auf dieser Grundlage nehmen viele Verwaltungsbehörden die Aufgabe wahr, im Verhandlungswege auf angemessene Vertragsbedingungen hinzuwirken. Charakteristisch ist dieses Verfahren vor allem in den nordischen Staaten1168 sowie im Vereinigten Königreich.1169 In einigen Mitgliedstaaten gehen die Kompetenzen der Verwaltungsbehörden besonders weit. Sie umfassen nicht nur die Befugnis, vor Gericht eine Klage zu erheben, sondern auch das Recht, selbst eine Verbotsverfügung zu erlassen, die später gerichtlich kontrolliert werden kann. Zu diesen Ländern zählen insbesondere Dänemark, Finnland und Schweden sowie Estland, Lettland, Malta, Polen, die Slowakei sowie Ungarn.1170 3. Gerichtliche Kontrolle missbräuchlicher Klauseln a) Ausgestaltung der Unterlassungsklage Auch das gerichtliche Verfahren zur Unterbindung missbräuchlicher Klauseln ist in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgestaltet worden. Als Mindeststandard sehen nahezu sämtliche Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer Unterlassungsklage vor. Obwohl Art. 7 Abs. 3 Klausel-RL 93/13 hinsichtlich der Empfehlung von AGB als Kann-Vorschrift formuliert ist, entschied der EuGH im Verfahren Kommission/Ita1167

 Vgl. supra, § 10 C.II.2.a.  Dazu Dahl, in: Dahl/Melchior/Tamm, Danish Law in a European Perspective, 2. Aufl., 2002, S. 413, 421 ff. 1169   Vgl. nur sec. 214 (1) Enterprise Act 2002: „An enforcer must not make an application for an enforcement order unless he has engaged in appropriate consultation with (a) the person against whom the enforcement order would be made (. . .).“ Siehe auch Nordhausen-Scholes, in: Casper et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 193, 205. Zu den Änderungen, die sich durch den Consumer Rights Act 2015 ergeben, vgl. Whittaker, in: Chitty on Contracts, II, 32.  Aufl., 2015, Rn.  38 – 388. 1170  Ausführlich supra, § 10 C.II.2. 1168

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lien,1171 dass die Möglichkeit einer Unterlassungsklage nicht nur bei Verwendung von AGB, sondern auch dann zur Verfügung stehe muss, wenn missbräuchliche Klauseln von Gewerbetreibenden oder ihren Verbänden empfohlen werden. Zur Begründung rekurrierte der Gerichtshof auf den präventiven Charakter und den Abschreckungszweck von Unterlassungsklagen.1172 Der Kreis derjenigen Personen, die eine Unterlassungsklage erheben können, ist in den Mitgliedstaaten unterschiedlich weit gezogen worden. Diejenigen Mitgliedstaaten, die auf eine administrative Kontrolle setzen, sehen in der Regel zugleich eine Klagebefugnis zugunsten der Verwaltungsbehörden vor. Daneben räumen nahezu sämtliche Mitgliedstaaten den Verbraucherverbänden das Recht ein, eine Unterlassungsklage zu erheben.1173 Darüber hinaus haben in vielen Ländern auch noch Berufskammern, Berufsverbände bzw. Gewerbeverbände das Recht, auf Unterlassung von missbräuchlichen Klauseln gerichtlich zu klagen.1174 Derartige Klagemöglichkeiten bestehen vor allem in Belgien, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien und Ungarn. In Deutschland sind nach § 3 UKlaG sowohl Verbraucherverbände als auch Berufsverbände sowie Industrie‑, Handels- und Handwerkskammern anspruchsberechtigt, nicht jedoch Mitbewerber des in Anspruch genommenen Unternehmens.1175 Schließlich haben in einigen Mitgliedstaaten sogar einzelne Verbraucher das Recht, eine Unterlassungsklage zu erheben, so beispielsweise in Polen. b) Auswirkungen eines Unterlassungsurteils auf Individualverträge In der Rechtssache Invitel1176 musste sich der EuGH erstmals mit der Wirkung von Unterlassungsurteilen auseinandersetzen. Das vorlegende ungarische Gericht fragte den Gerichtshof, ob es mit der Klausel-RL 93/13 vereinbar sei, dass nach ungarischem Recht ein Unterlassungsurteil Wirkung gegenüber allen Verbrauchern entfaltet, auch wenn diese nicht Partei des Unterlassungsverfahrens waren. Der Gerichtshof bejahte dies. Zwar sei die Richtlinie nicht auf eine Harmonisierung der Sanktionen gerichtet. Jedoch verlange eine wirksame Umsetzung der Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und 2 Klausel-RL 93/13, dass AGB, die im Rahmen einer Unterlassungsklage für missbräuchlich erklärt werden, „weder für die am Unterlassungsverfahren beteiligten Verbraucher noch für diejenigen Verbraucher verbindlich sind, die mit diesem Gewerbetreibenden einen Vertrag geschlossen haben, auf den die gleichen AGB anwendbar sind“.1177 Die ungarische Regelung entspreche diesen Vorgaben. Die nationalen Gerichte müssten, so der EuGH weiter, auch in der Zukunft von Amts wegen alle im nationalen Recht vorgesehenen Konsequenzen ziehen, damit diese Klausel für die Verbraucher unverbindlich ist, die einen Vertrag geschlossen haben, auf die die gleichen AGB anwendbar sind.1178 1171

  EuGH, Rs. C‑372/99 (Kommission/Italien) Rn. 16.   EuGH, Rs. C‑372/99 (Kommission/Italien) Rn. 15.   Ebers, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 197, 256 f. 1174   Siehe hierzu die Übersicht zu den 15 „alten“ Mitgliedstaaten bei MüKo/Micklitz, BGB, 4. Aufl., 2001, Vor § 13 AGBG Rn. 71. 1175   Mitbewerber können lediglich nach dem UWG klagebefugt sein, wenn in der Verwendung missbräuchlicher Vertragsklauseln zugleich ein Wettbewerbsverstoß liegt; hierzu infra, § 10 F.IV.4. 1176   EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési). 1177   EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 38. 1178   EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 43. 1172 1173

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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Damit steht fest, dass eine Klausel, die im abstrakten Kontrollverfahren für missbräuchlich erklärt wurde, im nachfolgenden Individualprozess – vorbehaltlich der Besonderheiten des Individualverfahrens1179 – von Amts wegen als missbräuchlich und unverbindlich betrachtet werden muss, sofern es sich um dieselbe Klausel handelt, die von demselben Unternehmer verwendet wird. Das deutsche Recht trägt diesen Vorgaben grundsätzlich Rechnung. § 11 S. 1 UKlaG erstreckt die Wirkungen eines Unterlassungsurteils zugunsten der am Unterlassungsprozess nicht beteiligten Verbraucher auf nachfolgende Individualprozesse; das Gericht muss ohne eigene Sachprüfung von der Missbräuchlichkeit und in der Folge von der Unwirksamkeit der Klausel ausgehen, wenn sich der Verbraucher auf das Unterlassungsurteil beruft. Eine solche Einredelösung verstößt nicht gegen die Klausel-RL 93/13.1180 Zwar meint der EuGH, dass die Gerichte „von Amts wegen“ alle Konsequenzen ziehen müssen, damit Klauseln „auch in der Zukunft“ (mithin auch in nachfolgenden Individualprozessen) unverbindlich sind.1181 Andererseits hat der Gerichtshof jedoch hervorgehoben, dass eine missbräuchliche Klausel im Individualverfahren dann nicht für unverbindlich erklärt werden muss, wenn der Verbraucher nach einem Hinweis des Gerichts die Missbräuchlichkeit und Unverbindlichkeit nicht geltend machen möchte.1182 § 11 S. 1 UKlaG steht mit beiden Forderungen in Einklang. Der Verbraucher kann frei wählen, ob er sich auf das Unterlassungsklageurteil berufen möchte oder nicht. Verzichtet er hierauf, so muss das Gericht die Missbräuchlichkeit der Klausel dennoch von Amts wegen prüfen und ggf. für unwirksam erklären. Der Gerichtshof hat im Fall Invitel nur Mindestvorgaben für die Rechtskrafterstreckung von Unterlassungsurteilen entwickelt. Ein im abstrakten Kontrollverfahren ergangenes Unterlassungsurteil muss im nachfolgenden Individualprozess nur dann eine Bindungswirkung entfalten, wenn derselbe Unternehmer die gleiche Klausel verwendet, die Gegenstand des abstrakten Kontrollverfahrens war.1183 Im Vergleich hierzu sehen einige Mitgliedstaaten ein weitaus höheres Verbraucherschutzniveau vor. So kann sich etwa im Vereinigten Königreich eine Unterlassungsklage ihrem Klagegegenstand nach nicht nur auf eine bestimmte Klausel, sondern auch auf gleichartige Klauseln oder Klauseln mit ähnlicher Wirkung beziehen.1184 Gleiches gilt für Zypern. In beiden Ländern kann dementsprechend verhindert werden, dass ein Unternehmer die Verbotswirkungen eines gegen ihn erlassenen Unterlassungsurteils umgeht, indem er die angegriffene Klausel durch andere Bedingungen ersetzt, die ähnlich missbräuchlich wirken, aber nicht durch das Urteil erfasst werden. In anderen Mitgliedstaaten bindet ein im abstrakten Kontrollverfahren ergangenes Unterlassungsurteil sogar sämtliche Unternehmer, die identische Klauseln verwenden. So wird beispielsweise in Polen eine rechtskräftige Entscheidung, welche die Verwendung einer Klausel verbietet, im Wirtschafts- und Gerichtsanzeiger veröffentlicht und in ein Register eingetragen. Mit der Eintragung erlangt das Urteil nach Art. 47943 1179  Hierzu Basedow, AcP 182 (1982), 335 ff. Vgl. auch EuGH, verb. Rs. C‑381 & 385/14 (Sales Sinués): Konnexität zwischen Individual- und Verbandsklage darf nur zugunsten, nicht aber zu Lasten des Verbrauchers wirken. 1180   Ebers, LMK 2012, 333520; Lindacher, EWiR 2012, 677, 678; Ulmer/Brandner/Hensen/Witt, AGB-Recht, 12. Aufl., 2016, § 11 UKlaG Rn. 2a. A. A. Kas/Micklitz, EWS 2013, 314, 320. 1181   EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 43. 1182   EuGH, Rs. C‑243/08 (Pannon GSM) Rn. 33. 1183   EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 38. 1184   Reg. 12 (4) Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations 1999.

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Zivilprozessordnung erga omnes-Wirkung. Ob diese Form der Rechtskrafterstreckung zulässig ist, bleibt nach dem Urteil Invitel offen. Nach Ansicht von Generalanwältin Trstenjak steht eine erga omnes-Wirkung zulasten am Verfahren Unbeteiligter im Widerspruch zum unionsrechtlich anerkannten Grundsatz des fairen Verfahrens, da ihnen auf diese Weise die Möglichkeit verwehrt wird, vor Verkündung eines sie betreffenden Urteils zum Vorwurf der Verwendung missbräuchlicher Klauseln im Geschäftsverkehr Stellung zu nehmen.1185 Der EuGH äußerte sich zur Zulässigkeit der erga omnes-Wirkung dagegen im Urteil Invitel überhaupt nicht, allerdings steht demnächst eine Entscheidung zu dieser Frage an.1186 c) Einführung eines Folgenbeseitigungsanspruchs? Nach wie vor offen ist die Frage, ob einem klagenden Verbraucherverband im Rahmen der abstrakten Klauselkontrolle nicht nur ein Unterlassungsanspruch, sondern zudem ein Folgenbeseitigungsanspruch eingeräumt werden muss. In Deutschland ist ein solcher Anspruch nur in § 8 Abs. 1 S. 1 UWG, nicht jedoch im UKlaG vorgesehen. Der BGH hat daher einen allgemeinen AGB-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch explizit abgelehnt.1187 Nach Ansicht des Gerichts kann vom Verwender einer unwirksamen Klausel nach dem UKlaG nicht verlangt werden, dass er bereits abgewickelte Verträge rückabwickelt oder den Vertragspartner von sich aus auf die Unangemessenheit der Klausel aufmerksam macht. Seine Unterlassungspflicht gehe vielmehr, so der BGH, dahin, sich bei der Durchsetzung seiner Rechte nicht auf die unwirksame Klausel zu berufen, sie also nicht mehr zu verwenden. Ein Folgenbeseitigungsanspruch besteht in Deutschland daher nur ausnahmsweise, nämlich dann, wenn in der Verwendung missbräuchlicher Klauseln zugleich eine unlautere geschäftliche Handlung i. S. d. UWG liegt.1188 Micklitz sieht darin einen Verstoß gegen den effet utile der Klausel-RL 93/13.1189 Geht man, wie hier vertreten, von einem unionsrechtlich determinierten Erstattungsanspruch im Individualverfahren aus,1190 so liegt es in der Tat nahe, Verbraucherverbänden im abstrakten Kontrollverfahren einen Folgenbeseitigungsanspruch einzuräumen. Eine reine Unterlassungsklage kann nicht gewährleisten, dass der Verwendung missbräuchlicher Klauseln im Geschäftsverkehr, wie Art. 7 Abs. 1 Klausel-RL 93/13 fordert, „ein Ende gesetzt wird“. Ohne die Möglichkeit einer Folgenbeseitigung wird der durch die missbräuchliche Klausel geschaffene rechtswidrige Zustand letztlich aufrechterhalten. Dementsprechend sollte ein Folgenbeseitigungsanspruch nicht nur im Individualverfahren, sondern auch im abstrakten Kontrollverfahren zur Verfügung stehen, damit die nationalen Gerichte, wie vom EuGH im Fall Invitel1191 gefordert, „alle Konsequenzen“ aus der Unverbindlichkeit missbräuchlicher Klauseln ziehen. Alternativ wären allerdings auch andere Maßnahmen denkbar, mit denen die 1185   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 60. Zustimmend Cafaggi/Law, in: Terryn/Straetmans/Colaert (Hrsg.), Landmark Cases of EU Consumer Law, 2013, S. 653, 667, 676; GA Saugmandsgaard Øe, SchlA, Rs. C‑119/15 (Biuro podróży Partner) 1186   Die betreffende Rechtssache wird unter dem Az. C‑119/15 geführt. 1187   BGH, NJW 1981, 1511, 1512; NJW-RR 2008, 624, 626. 1188   Hierzu sogleich, infra, § 10 F.IV.4. 1189  MüKo/Micklitz, ZPO, 4. Aufl., 2013, Vor § 1 UKlaG Rn. 43 und § 1 UKlaG Rn. 5 f. 1190  Hierzu supra, § 10 F.II.4.e. 1191   EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 43.

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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Wirkungen der missbräuchlichen Klausel beseitigt werden, so z. B. Gewinnabschöpfungsansprüche.1192 d) Weitere unionsrechtliche Vorgaben für das nationale Gerichtsverfahren Während der EuGH für das Individualverfahren weitreichende prozessuale Vorgaben zum Schutze einzelner Verbraucher entwickelt hat, wird Verbraucherverbänden im Rahmen eines abstrakten Kontrollverfahrens bislang kein vergleichbarer Schutz gewährt. Nach dem Urteil ACICL1193 ist es mit der Klausel-RL 93/13 und dem Effektivitätsgrundsatz zu vereinbaren, wenn Verbraucherverbandsklagen nach nationalem Verfahrensrecht am Ort der Niederlassung oder des Wohnsitzes des beklagten Unternehmers erhoben werden müssen. Verbraucherverbände befänden sich im Unterschied zu einzelnen Verbrauchern, so der Gerichtshof, nicht in einer schwächeren Position gegenüber dem Gewerbetreibenden. Der für Individualklagen geltende Verbrauchergerichtsstand1194 muss daher nicht auf Verbraucherverbandsklagen erstreckt werden. Verbraucherverbände haben auch kein Recht, als Streithelfer in einem Individualverfahren zugelassen zu werden. Wie der EuGH im Urteil Pohotovost’1195 klargestellt hat, kann ein solcher Rechtsbehelf weder der Klausel-RL 93/13 noch Art. 38 oder Art. 47 GRC entnommen werden. 4. Erweiterung der Klagemöglichkeiten durch die UGP-RL 2005/29? Das abstrakte Verfahren zur AGB-Kontrolle könnte wesentlich verstärkt werden, wenn in der Verwendung unwirksamer Klauseln zugleich eine unlautere Geschäftspraktik im Sinne der UGP-RL 2005/29 läge. Dann nämlich stünde zur Durchsetzung der Klauselverbote nicht nur das AGB-rechtliche, sondern zugleich das lauterkeitsrechtliche Sanktionsinstrumentarium zur Verfügung. Für das deutsche Recht ergäben sich weitreichende Konsequenzen, da in diesem Fall nicht nur das UKlaG, sondern auch das UWG einschlägig wäre.1196 Nicht nur die nach § 3 UKlaG anspruchsberechtigten Verbraucherverbände, sonstigen Verbände und Kammern, sondern auch die nach § 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1 UWG anspruchsberechtigten Mitbewerber könnten gegen die Verwendung unzulässiger Klauseln vorgehen. Darüber hinaus ergäbe sich eine Erweiterung der Klageformen: Verbraucherverbände könnten nicht nur auf Unterlassung, sondern auch auf Folgenbeseitigung (§ 8 Abs. 1 S. 1 UWG) sowie unter den (strengen) Voraussetzungen des § 10 UWG auf Gewinnabschöpfung (gerichtet auf Herausgabe des Gewinns an den Bundeshaushalt) klagen. Mitbewerber könnten nicht 1192

  Im Ergebnis auch Reich, VuR 2014, 247, 249.  EuGH, Rs. C‑413/12 (Asociación de Consumidores Independientes de Castilla y León) Rn. 49 f. 1194   Zu vorformulierten Gerichtsstandsklauseln, die an die gewerbliche Niederlassung des Unternehmers anknüpfen, vgl. EuGH, verb. Rs. C‑240 – 244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores) Rn. 21 – 24; Rs. C‑243/08 (Pannon) Rn. 42 ff.; Rs. C‑137/08 (Pénzügyi Lízing) Rn. 42 f. Zum Verbrauchergerichtsstand bei grenzüberschreitenden Klagen vgl. Art. 17, 18 Brüssel I-VO 1215/2012. 1195   EuGH, Rs. C‑470/12 (Pohotovost’) Rn. 52 ff. 1196   Das UKlaG entfaltet nach ständiger Rechtsprechung keine Sperrwirkung gegenüber dem UWG. Beide Gesetze kommen vielmehr parallel zur Anwendung, da das UKlaG kein geschlossenes Rechtsschutzsystem darstellt; BGH, NJW 2011, 76, 78 = GRUR 2010, 1117, 1119 (Gewährleistungsausschluss im Internet) Rn. 31; GRUR 2010, 1120, 1121 f. (Vollmachtsnachweis) Rn. 24; KG, GRURRR 2008, 308, 309 (Teillieferungs- und Teilabrechnungsklauseln); a. A. OLG Hamburg, NJW 2007, 2264, 2265 (Horse-Equipe). 1193

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nur Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, sondern bei einem fahrlässigen oder vorsätzlichen Handeln zudem Schadensersatz nach § 9 UWG geltend machen. Sowohl der BGH1197 als auch der österreichische OGH1198 haben in der Verwendung unwirksamer Geschäftsbedingungen gegenüber Verbrauchern eine unlautere Geschäftspraktik gesehen. Generalanwältin Trstenjak ist in ihren Schlussanträgen zur Rechtssache Pereničová ebenfalls davon ausgegangen, dass die Verwendung missbräuchlicher und unklarer Klauseln eine unlautere Geschäftspraktik darstellt.1199 Micklitz/Reich proklamieren vor diesem Hintergrund einen Gleichlauf von Lauterkeits- und AGB-Recht.1200 Nach anderer Ansicht stellt eine unwirksame Geschäftsbedingung regelmäßig keine unlautere Geschäftspraktik dar.1201 Zur Begründung wird vorgetragen, dass das der UGP-RL 2005/29 zugrunde liegende Prinzip der Vollharmonisierung einer solchen Kategorisierung widerspräche, da die mindestharmonisierende KlauselRL 93/13 bislang nicht die Maßstäbe zur Kontrolle vorformulierter Klauseln vereinheitlichen konnte. Angesichts der starken Prägung der AGB-Kontrolle durch das nationale, unvereinheitlichte Sachrecht bestehe ansonsten die Gefahr, dass die Verwendung bestimmter Klauseln in einem Mitgliedstaat als lauterkeitsrechtlicher Verstoß gewertet werde, während die Verwendung derselben Klausel in einem anderen Mitgliedstaat keinen lauterkeitsrechtlichen Bedenken begegne. Die UGP-RL 2005/29 nimmt derartige Unterschiede allerdings bewusst in Kauf. So greift das in Art. 6, 7 UGP-RL 2005/29 verankerte Irreführungsverbot nicht nur, wenn der Verbraucher über tatsächliche Umstände getäuscht wird, sondern auch dann, wenn sich die Irreführung auf Rechtspositionen bezieht, die nur nach dem jeweils anwendbaren (nicht harmonisierten) nationalen Recht bestehen.1202 Dass die UGP-RL 2005/29 auf dem Prinzip der Vollharmonisierung basiert, steht der Einordnung unwirksamer Klauseln als wettbewerbswidrig daher nicht entgegen. Im Einzelnen ist gleichwohl zu differenzieren. Zwar fällt die Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen in Verbraucherverträgen zweifellos in den (weiten) Anwendungsbereich der Richtlinie, da in diesem Fall eine Geschäftspraktik im Sinne des Art. 2 lit. d UGP-RL 2005/29 vorliegt.1203 Die Verwendung unwirksamer AGB ist in der Regel auch geeignet, das wirtschaftliche Verhalten eines Durchschnittsverbrauchers1204 im Sinne des Art. 2 lit. e UGP-RL 2005/29 wesentlich zu beeinflussen; 1197   BGH, NJW 2012, 3577, 3580 f. (Missbräuchliche Vertragsstrafe) Rn. 45 ff.; a. A. OLG Köln, NJW 2007, 3647 (Schriftformklauseln). 1198   OGH, Beschluss v. 23.2.2010, 4 Ob 99/09a. 1199   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 91. 1200   Micklitz/Reich, EWS 2012, 257, 259. 1201   Janal, ZEuP 2014, 740, 748 ff. 1202   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑59/12 (BKK Mobil Oil) Rn. 37: Eine irreführende Handlung i. S. v. Art. 6 UGP-RL 2005/29 liegt vor, wenn eine gesetzliche Krankenkasse verschleiert, dass den Versicherungsnehmern bei Erhebung eines Zusatzbeitrags ein gesetzliches (im deutschen Recht vorgesehenes!) Sonderkündigungsrecht zusteht. Vgl. auch Anhang I Nr. 10 UGP-RL 2005/29: Geschäftspraktik ist per se unlauter, wenn den Verbrauchern gesetzlich zugestandene Rechte als Besonderheit des Angebots des Gewerbetreibenden präsentiert werden. 1203   Köhler, NJW 2008, 177, 178 f. 1204   Sowohl die Generalklausel (Art. 5 Abs. 2 lit. b UGP-RL 2005/29) als auch die Irreführungstatbestände (Art. 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 UGP-RL 2005/29) setzen voraus, dass die Geschäftspraktik geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten bzw. eine geschäftliche Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers wesentlich zu beeinflussen.

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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unwirksame AGB können nämlich dazu führen, dass der Verbraucher den Vertragsinhalt falsch bewertet und von der Durchsetzung berechtigter Ansprüche absieht.1205 Dies begründet aber nicht in jedem Fall den Vorwurf der Unlauterkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 UGP-RL 2005/29. Im Gegensatz zum deutschen Recht enthält die auf dem Prinzip der Vollharmonisierung basierende Richtlinie keinen § 3a UWG 2015 (zuvor: § 4 Nr. 11 UWG a. F.) vergleichbaren Rechtsbruchtatbestand. Daher muss stets im Einzelnen festgestellt werden, ob das betreffende Verhalten als unlautere Geschäftspraktik im Sinne der Richtlinie zu qualifizieren ist. In der Verwendung unwirksamer Klauseln könnte zunächst eine irreführende Handlung gem. Art. 6 Abs. 1 UGP-RL 2005/29 liegen. Die Täuschungshandlung könnte darin bestehen, dass der Verbraucher über seine Rechte und Pflichten irregeführt wird.1206 In der Verwendung von AGB liegt jedoch regelmäßig keine Tatsachenbehauptung des Verwenders über die Wirksamkeit seiner Klauseln.1207 Da die Wirksamkeit von AGB vielfach erst nach eingehender rechtlicher Prüfung festgestellt werden kann, liegt eine derartige Tatsachenbehauptung auch dann nicht vor, wenn sich der Unternehmer auf unwirksame AGB beruft. Selbst in diesem Fall wird regelmäßig keine Aussage zur tatsächlichen Rechtslage getroffen, sondern lediglich – für den Durchschnittsverbraucher erkennbar – eine Rechtsauffassung geäußert.1208 Denkbar ist demgegenüber ein Verstoß gegen das Verbot des irreführenden Unterlassens gem. Art. 7 UGP-RL 2005/29. Nach Art. 7 Abs. 5 UGP-RL begründet ein Verstoß gegen die im sonstigen Unionsrecht vorgesehenen Informationspflichten eine irreführende Unterlassung, ohne dass es auf einen Verstoß gegen berufliche Sorgfaltspflichten ankäme.1209 Viele der im Unionsrecht vorgeschriebenen Informationspflichten beziehen sich dabei auf Umstände, die zugleich Gegenstand einer Regelung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind. Soweit vorformulierte Klauseln unwirksam sind, liegt daher die Annahme nahe, dass auch die entsprechenden vorvertraglichen Informationen unzureichend waren.1210 Die Verwendung unwirksamer Klauseln führt dementsprechend häufig zu einem Informationspflichtenverstoß, der nach Art. 7 Abs. 5 UGP-RL 2005/29 eine irreführende Unterlassung begründet.1211 Ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot kann sich ferner bei einer „Aufforderung zum Kauf“ (vgl. Art. 2 lit. i UGP-RL 2005/29) aus Art. 7 Abs. 4 UGP-RL 2005/29 ergeben, wenn man davon ausgeht, dass zur Übermittlung der betreffenden Basisinformationen auch eine zutreffende und transparente Aufklärung über den Inhalt der AGB gehört.1212 1205   BGH, NJW 2012, 3577, 3580 f. (Missbräuchliche Vertragsstrafe) Rn. 46; Köhler, NJW 2008, 177, 181; Orlando, ERCL 2011, 25, 30. 1206   So GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑453/10 (Pereničová und Perenič) Rn. 91; Orlando, ERCL 2011, 25, 33 f.; Keirsbilck, CMLR 2013, 247, 261. 1207   Köhler, NJW 2008, 177, 179; Tüngler/Ruess, WRP 2009, 1336, 1341; Janal, ZEuP 2014, 740, 746. 1208   Wie hier Janal, ZEuP 2014, 740, 746. 1209   Vgl. EuGH, Rs. C‑435/11 (CHS Tour Services): Verkaufsbroschüre, die eine falsche Information enthält, muss nach der UGP-RL 2005/29 auch dann als „irreführende Geschäftspraxis“ i. S. d. Art. 6 eingestuft werden, wenn dem Unternehmer kein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht zur Last gelegt werden kann. Gleiches muss dann aber auch für das irreführende Unterlassen gelten, soweit Art. 7 UGP-RL 2005/29 das Merkmal der beruflichen Sorgfalt nicht erwähnt. 1210   KG, GRUR-RR 2008, 308, 309. 1211   Im Ergebnis auch MüKo/Basedow, BGB, 7. Aufl., 2016, § 306 BGB Rn. 38. 1212   In welchem Umfang der Unternehmer über den Inhalt seiner Klauseln aufklären muss, ist umstritten. Zum Streitstand siehe Janal, ZEuP 2014, 740, 746 m. w. N. in Fn. 30.

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Schließlich könnte ein Verstoß gegen das Erfordernis der beruflichen Sorgfalt (Art. 5 Abs. 2 lit. a UGP-RL 2005/29) vorliegen. Im Schrifttum wird überwiegend davon ausgegangen, dass die Verwendung unwirksamer AGB den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt regelmäßig widerspricht.1213 Der BGH hat sich dieser Ansicht angeschlossen.1214 Diese Aussage erscheint zu pauschal. Zwar lassen sich die in der Klausel-RL 93/13 aufgestellten Anforderungen als spezielle Ausformung der beruflichen Sorgfalt verstehen. Andererseits widerspricht es jedoch nicht per se den anständigen Marktgepflogenheiten bzw. dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. Art. 2 lit. h UGP-RL 2005/29), wenn ein Unternehmer die Grenzen seiner vertraglichen Gestaltungsfreiheit auslotet.1215 Es ist grundsätzlich legitim, bestehende Regelungsspielräume auszunutzen. Ein Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt kann daher erst dann angenommen werden, wenn die betreffende Klausel offenkundig missbräuchlich ist,1216 was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Klausel gegen ein besonders normiertes Klauselverbot verstößt oder gerichtliche Entscheidungen vorliegen, in denen die Klausel für missbräuchlich erklärt wurde.1217 Damit ist festzuhalten, dass die Verwendung unwirksamer Klauseln grundsätzlich einen Wettbewerbsverstoß nach der UGP-RL 2005/29 begründen kann. Ein Verstoß gegen die Klausel-RL 93/13 führt jedoch nicht automatisch dazu, dass eine unlautere Geschäftspraktik i. S. v. Art. 5 Abs. 1 UGP-RL 2005/29 vorliegt. Vielmehr ist stets zu prüfen, ob der Unternehmer gegen das Verbot irreführenden Unterlassens oder die berufliche Sorgfalt verstoßen hat. 5. Auswertung Die Umsetzung der Klausel-RL 93/13 hat nicht zu einer Vereinheitlichung der abstrakten Kontrollsysteme in den Mitgliedstaaten geführt. Nach wie vor bestehen in der Europäischen Union ganz unterschiedliche Formen der kollektiven Rechtsdurchsetzung, die ihren Schwerpunkt teils in einer administrativen Kontrolle, teils in einem gerichtlichen Verbandsklagesystem haben. Der EuGH hat die Effektivität verbraucherschützender Verbandsklagen vor allem durch die Forderung gestärkt, dass eine Klausel, die im abstrakten Kontrollverfahren für missbräuchlich erklärt wurde, in nachfolgenden Individualprozessen von Amts wegen für missbräuchlich und unverbindlich betrachtet werden muss. Mit Blick auf die Ausgestaltung des Verbandsklageverfahrens zeigt sich der EuGH demgegenüber zurückhaltend. Während der Gerichtshof für das Individualverfahren weitreichende prozessuale Vorgaben für das Gerichtsverfahren aufgestellt hat, wird Verbraucherverbänden bislang kein vergleichbarer Schutz gewährt, da sie sich im Unterschied zu einzelnen Verbrauchern nicht in einer schwächeren Position gegenüber dem Gewerbetreibenden befinden sollen. 1213   Alexander, WRP 2012, 515, 520 f.; MüKo/Basedow, BGB, 7. Aufl., 2016, § 306 BGB Rn. 39 f.; Köhler, NJW 2008, 177, 180. 1214   BGH, NJW 2012, 3577, 3580 f. (Missbräuchliche Vertragsstrafe) Rn. 46. 1215   Im Ergebnis auch Janal, ZEuP 2014, 740, 747 f.; M. Schröder, MMR 2012, 675, 676. 1216  Zutreffend Janal, ZEuP 2014, 740, 748. 1217   In diese Richtung auch OGH, Beschluss v. 23.2.2010, 4 Ob 99/09a: Verwendung unwirksamer AGB-Klauseln ist als Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt zu werten, wenn das Verhalten „im Gegensatz zu einem klaren Gesetzeswortlaut, zur offenkundigen Absicht des Gesetzgebers oder zu einer feststehenden höchstrichterlichen Judikatur steht“.

F. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Klauseln

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Das abstrakte Verfahren zur AGB-Kontrolle könnte wesentlich verstärkt werden, wenn in der Verwendung unwirksamer Klauseln zugleich eine unlautere Geschäftspraktik im Sinne der UGP-RL 2005/29 läge. Dies ist nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich möglich. Die Verwendung unwirksamer Klauseln begründet jedoch nicht automatisch einen Wettbewerbsverstoß, sondern erst dann, wenn im konkreten Fall gegen das Verbot irreführenden Unterlassens (Art. 7 UGP-RL 2005/29) oder gegen die berufliche Sorgfaltspflicht (Art. 5 Abs. 2 UGP-RL 2005/29) verstoßen wurde.

V. Ergebnis Während die Maßstäbe der Inhaltskontrolle bislang nur ansatzweise harmonisiert worden sind, hat der EuGH für die Rechtsdurchsetzung weitreichende Vorgaben aufgestellt. Im Bereich der Rechtsfolgen unterliegt nahezu jeder Aspekt einer autonomen Auslegung durch den Gerichtshof, angefangen vom Konzept der „Unverbindlichkeit“ missbräuchlicher und intransparenter Klauseln, über das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion und die Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung, bis zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag ohne die missbräuchliche Klausel fortbestehen kann. Besonders weitreichende Anforderungen bestehen für den nationalen Zivilprozess. Die Forderung nach einer amtswegigen Prüfung der Zivilgerichte wurde vom EuGH in einer Reihe von Entscheidungen durch eine am effet utile orientierte Auslegung der Klausel-RL 93/13 entwickelt und in Verbindung mit dem Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz je nach Verfahrensart und Verfahrensabschnitt präzisiert. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten wird daher im Bereich der Klausel-RL 93/13 sehr weitgehend eingeschränkt.1218 Basedow hat diese Rechtsprechungsentwicklung nicht ganz zu Unrecht kritisiert und darauf hingewiesen, dass es keinen Sinn mache, den mitgliedstaatlichen Gerichten die Beurteilung der Missbräuchlichkeit von Klauseln zu überlassen, gleichzeitig aber einheitliche Standards zur Durchsetzung nicht harmonisierter Rechtspositionen zu fordern.1219 Dieser Einwand verliert durch die neuere Rechtsprechung jedoch an Schärfe. In dem Maße, in dem der EuGH dem Anhang der Klausel-RL 93/13 nicht mehr nur eine Indizfunktion zuschreibt,1220 sondern diesen als „wesentliche Grundlage“1221 der Inhaltskontrolle begreift und einzelne im Anhang aufgeführte Klauselverbote konkretisiert,1222 wird die Leitbildfunktion des nationalen dispositiven Rechts zurückgedrängt und durch unionsrechtliche Vorgaben überlagert. In letzter Zeit ist denn auch zu beobachten, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte Vorabentscheidungs1218   Micklitz/Reich, CMLR 2014, 771, 781 („strong paternalistic element“); Pfeiffer, LMK 2010, 311868 (Eingriff in die nationalen Prozessrechte mit „erheblicher Sprengkraft“); Trstenjak/Beysen, CMLR 2011, 95, 119 („less stringent application of the concept of procedural autonomy“) sowie 121 („By emphasizing the weak position of the consumer, the ECJ implicitly raised the effectiveness threshold which national procedural rules for the enforcement of rights under the consumer protection directives must meet“). 1219  MüKo/Basedow, BGB, 7. Aufl., 2016, Vor § 305 Rn. 47. 1220   So die frühere Rechtsprechung; EuGH, Rs. C‑478/99 (Kommission/Schweden) Rn. 22: „Hinweis- und Beispielcharakter“. 1221   So EuGH, Rs. C‑472/10 (Invitel Távközlési) Rn. 26; Rs. C‑488/11 (Asbeek Brusse und de Man Garabito) Rn. 55; Rs. C‑342/13 (Sebestyén) Rn. 32. 1222  Hierzu supra, § 10 F.II.2.b.

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§ 10  Verbraucherrecht

verfahren nicht mehr nur zu verfahrensrechtlichen Fragen, sondern verstärkt zur Auslegung des Richtlinienanhangs einleiten. Die vom EuGH aufgestellten Vorgaben zur verfahrensrechtlichen Durchsetzung der Klausel-RL 93/13 stehen im Kontext einer größeren Entwicklung, die auf einen verstärkten Einfluss des Unionsrechts auf das Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten hinausläuft. Der EuGH begreift das Prozessrecht nicht als bloßen Annex zum individuellen Recht,1223 sondern als selbständige Materie, die im Verbraucherrecht mit materiellen Wertungen (Leitbild des rechtsunkundigen Verbrauchers) aufgeladen wird. Seine Rechtfertigung findet die verstärkte Kontrolle der nationalen Prozessrechte darin, dass seit dem Lissabon-Vertrag in Art. 47 GRC justizielle Grundrechte verbürgt werden, mit denen positiv ein bestimmter Rechtsschutzstand im Anwendungsbereich des Unionsrechts etabliert wird. Der EuGH kann daher verfahrensrechtliche Vorgaben konkretisieren, ohne dass zuvor sämtliche Kriterien der Inhaltskontrolle vereinheitlicht werden. Denn die zahlreichen Schwierigkeiten, die Verbraucher bei der Durchsetzung ihrer Rechte haben, beruhen in vielen Fällen nicht auf einer unzureichenden Handhabung der Missbrauchskontrolle, sondern auf prozessualen Hindernissen: Das in vielen Prozessrechten nach wie vor verbreitete Prinzip der prozessualen Waffengleichheit entspricht im Verbraucherrecht nicht der Realität. Denn in der Praxis werden verbraucherrechtliche Individualansprüche aufgrund mangelnder Rechtskenntnis, geringer Streitwerte und/oder hoher Kosten vielfach nicht durchgesetzt. Dem abstrakten Verfahren zur Klauselkontrolle kommt aus diesem Grund ein besonderer Stellenwert zu. Indem Verbraucherverbände und sonstige qualifizierte Einrichtungen gegen vorformulierte Klauseln vorgehen, kann über den Einzelvertrag hinaus dafür gesorgt werden, dass der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende gesetzt wird. Der EuGH hat die Effektivität abstrakter Kontrollverfahren vor allem durch die Vorgabe gestärkt, dass Unterlassungsurteile eine Bindungswirkung für nachfolgende Individualprozesse entfalten, die von den nationalen Gerichten von Amts wegen zu beachten ist. Das abstrakte Kontrollverfahren selbst konnte demgegenüber noch nicht unionsweit harmonisiert werden. In den Mitgliedstaaten bestehen daher nach wie vor ganz unterschiedliche Formen der kollektiven Rechtsdurchsetzung, die ihren Schwerpunkt teils in einer administrativen Kontrolle, teils in einem gerichtlichen Verbandsklagesystem haben. De lege ferenda stellt sich damit sowohl für das Individual- als auch für das Verbandsklageverfahren die Frage, wie die in der Klausel-RL 93/13 bislang nur rudimentär vorgegebenen Rechtsbehelfe und Sanktionen wirksamer ausgestaltet werden könnten. Die ACQP und der DCFR hierzu nur einen geringfügigen Beitrag. Die für das Individualverfahren vorgesehenen Rechtsbehelfe entsprechen weitgehend den Vorgaben der Klausel-RL 93/13, ohne dass die neuere EuGH-Rechtsprechung zur Unverbindlichkeit missbräuchlicher und intransparenter Klauseln sowie zur verfahrensrechtlichen Durchsetzung in den betreffenden Regelwerken reflektiert würde. Nachbesserungs- und Klarstellungsbedarf besteht schließlich mit Blick auf den kollektiven Rechtsschutz, der in den akademischen Regelwerken vollständig ausgeblendet wird. 1223   So das traditionelle Verständnis in vielen Mitgliedstaaten; vgl. nur BGHZ 10, 350, 359 = NJW 1953, 1826, 1828: „Der Zivilprozeß hat die Verwirklichung des materiellen Rechts zum Ziele (. . .).“ Auch Basedows Kritik beruht auf dieser Prämisse; vgl. MüKo/Basedow, BGB, 7. Aufl., 2016, Vor § 305 Rn. 47 (Erfordernis der ex-officio-Anwendung ist „bloßer Annex“).

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter Zu den zentralen Instrumenten, die das geltende Sekundärrecht zum Schutz der Verbraucher vorsieht, gehören schließlich die in der KaufRL 99/44 normierten Rechtsbehelfe des Verbrauchers (Käufers) bei Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter. Im Mittelpunkt steht wiederum die Frage, welche geschriebenen und ungeschriebenen Mindestvorgaben das Unionsrecht für die Ausgestaltung der Rechtsfolgen trifft. Die Analyse konzentriert sich dementsprechend auf das in Art. 3 KaufRL 99/44 niedergelegte Rechtsbehelfsregime, die Ausgestaltung dieser Rechtsbehelfe in ausgewählten Mitgliedstaaten und die hierzu ergangene EuGH-Rechtsprechung. Nach einleitenden Überlegungen zur Harmonisierungswirkung der KaufRL 99/44 (I.) werden die in der Richtlinie normierten Rechtsbehelfe der Abhilfe (II.) sowie der Minderung und Vertragsauflösung (III.) behandelt. Im Anschluss wird der Frage nachgegangen, welche Vorgaben das Unionsrecht für die Ausgestaltung des nationalen Gerichtsverfahrens trifft (IV.). In einem Ausblick werden sodann die Perspektiven für eine weitergehende Harmonisierung der kaufrechtlichen Rechtsbehelfe ausgelotet und die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst (V.).

I. Begrenzte Harmonisierungswirkung der Verbrauchsgüterkauf-RL 99/44 Die vom Wiener UN‑Kaufrechtsübereinkommen (CISG) inspirierte KaufRL 99/441224 fordert im Unterschied zu vielen anderen Richtlinien nicht nur „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ Sanktionen, sondern in ihrem Art. 3 ausdifferenzierte Rechtsbehelfe für die Verletzung von Vertragspflichten: Der Verbraucher kann bei Lieferung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts nach seiner Wahl zunächst die Wiederherstellung des vertragsgemäßen Zustands durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung verlangen. Ist eine solche Abhilfe (in deutscher Terminologie: Nacherfüllung) ausgeschlossen, kann er in einem zweiten Schritt Minderung des Kaufpreises oder, soweit die Vertragswidrigkeit nicht geringfügig ist, die Auflösung des Vertrags fordern. Die Gewährleistungshaftung tritt dabei stets ein, wenn das gekaufte Verbrauchsgut bei Lieferung nicht dem entspricht, was der Vertrag verlangt. Die Haftung des Verkäufers für die vertragswidrige Sachbeschaffenheit setzt insbesondere kein Verschulden voraus; den Verkäufer trifft also grundsätzlich eine objektive Einstandspflicht.1225 Sämtliche Rechtsbehelfe sind nach Art. 7 der Richtlinie zudem zwingend ausgestaltet. Die Vertragsparteien können sie nicht durch Vereinbarung, auch nicht durch die Wahl eines anderen Rechts, ausschließen oder einschränken.1226 Die KaufRL 99/44 regelt die Rechtsfolgen damit sehr viel ausführlicher als andere Sekundärrechtsakte. Sie zielt darauf ab, im gesamten Binnenmarkt ein einheitliches Mindestmaß an Rechten zu gewährleisten, und zwar durch „Schaffung eines gemein1224   Zu Übereinstimmungen und Unterschieden zwischen CISG und der KaufRL 99/44 vgl. Grundmann, AcP 202 (2002), 40 ff.; Kruisinga, ERPL 2001, 177 ff.; Magnus, in: Grundmann/Medicus/ Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, 2001, S. 79 ff.; Schroeter, UN‑Kaufrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 180 ff. 1225   Vgl. nur Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU‑Kaufrechts-Richtlinie, 2002, Art. 2 Rn. 2. 1226   Äußerst kritisch zur zwingenden Ausgestaltung G. Wagner, in: Eidenmüller et al. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1, 36 ff.

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§ 10  Verbraucherrecht

samen Mindestsockels von Verbraucherrechten, die unabhängig vom Ort des Kaufs der Waren in der Gemeinschaft gelten“.1227 Der Richtlinie kommt aus diesem Grund im Kontext des Europäischen Privatrechts eine zentrale Bedeutung zu. Der Kaufvertrag ist im Rechtsleben nicht nur der praktisch wichtigste Vertragstyp, sondern zugleich Herzstück des Zivilrechts, da er in vielen Mitgliedstaaten letztlich das Modell ist, an welchem das Vertrags- und das allgemeine Leistungsstörungsrecht gedanklich entwickelt wurde.1228 Mit der KaufRL 99/44 verband sich daher die Vorstellung, sie könne ein Grundstein „für ein eventuell später zu verabschiedendes Europäisches Vertragsrecht“ sein.1229 Diese Hoffnung konnte mit der Richtlinie nicht realisiert werden. Zwar führte die Umsetzung der KaufRL 99/44 in vielen Mitgliedstaaten dazu, dass das zuvor geltende kaufrechtliche Rechtsbehelfssystem1230 und z. T. auch das allgemeine Leistungsstörungsrecht1231 grundlegend geändert wurde. Insgesamt betrachtet sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen aber nach wie vor so groß, dass nicht von einem einheitlichen Kaufrecht in Europa gesprochen werden kann. Ursächlich dafür sind mehrere Gründe. Erstens erlaubt die Richtlinie den Mitgliedstaaten, strengere Verbraucherschutzvorschriften einzuführen oder beizubehalten (Art. 8 Abs. 2). Viele Mitgliedstaaten sind dementsprechend über die von der Richtlinie vorgeschriebene Mindestharmonisierung hinausgegangen.1232 Auch die in der KaufRL 99/44 vorgesehenen Optionen1233 haben zur Uneinheitlichkeit der nationalen Regelungen im Binnenmarkt beigetragen.1234 Der ursprünglich im Rahmen der Acquis-Revision verfolgte Ansatz, die KaufRL 99/44 in eine neue horizontale Verbraucherrechterichtlinie zu überführen und nach dem Konzept der Vollharmonisierung zu regeln, ist demgegenüber im Gesetzgebungsverfahren aufgegeben worden.1235 Die Rechte des Verbrauchers bei Schlechtleistung bestimmen sich weiterhin allein nach der KaufRL 99/44, die im Konfliktfall die VRRL 2011/83 verdrängt.1236 Zweitens regelt die KaufRL 99/44 nur einige, wenngleich zentrale Aspekte des Verbraucherkaufs. In ihren Anwendungsbereich fällt allein der Kauf von beweglichen Sachen (Art. 1 Abs. 2 lit. b) durch Verbraucher an einen Unternehmer (Art. 1 Abs. 2 lit. a, c). Werk- und Werklieferungsverträge werden nur unter den Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 4 wie ein Kauf behandelt.1237 1227

  ErwGr (5) KaufRL 99/44.   Mansel, AcP 204 (2004), 396, 399. 1229   So aus Sicht der Europäischen Kommission Staudenmayer, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, 2001, S. 27, 28. 1230   Zu den Änderungen im deutschen und englischen Recht Zerres, Die Bedeutung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie für die Europäisierung des Vertragsrechts, 2007, S. 275 ff.; ders., RIW 2003, 756 ff. Zum neuen Rechtsbehelfsregime in Frankreich Cannarsa, in: Ajani/Ebers (Hrsg.), Uniform Terminology for European Contract Law, 2005, S. 327, 335 ff.; Witz/Schneider, RIW 2005, 921 ff. Vgl. ferner Mansel, AcP 204 (2004), 396 ff. 1231   Zur überobligatorischen Umsetzung der KaufRL 99/44 in den Mitgliedstaaten supra, § 10 B.V.3.c. – d. 1232   Im Einzelnen Twigg-Flesner, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 407 ff. 1233   Vgl. Art. 1 Abs. 3, Art. 5 Abs. 2, Art. 6 Abs. 4, Art. 7 Abs. 1 S. 2 und 3 KaufRL 99/44. 1234  Eingehend Twigg-Flesner, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 407, 409. 1235  Hierzu supra, § 10 B.IV.1.c. 1236   Vgl. Art. 3 Abs. 2 VRRL 2011/83. Zu möglichen Überschneidungen und Wertungswidersprüchen zwischen der KaufRL 99/44 und der VRRL 2011/83 bei verspäteter Nacherfüllung siehe Windorfer, VuR 2014, 216, 221 f. 1237  Vertiefend Rodorff, Die Grenzbestimmung zwischen Kauf- und Werkvertrag, 2011. 1228

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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Die dem Verbraucher nach Art. 3 zustehenden Rechtsbehelfe greifen zudem nur dann, wenn eine Abweichung der Sacheigenschaft vom vertraglichen Leistungsprogramm vorliegt. Andere Leistungsstörungen werden demgegenüber nicht von der Richtlinie erfasst. Ungeregelt bleiben insbesondere die Rechtsfolgen der Erfüllung und der vollständigen Nichterfüllung in Form der Leistungsverweigerung, der Unmöglichkeit und des Verzugs, sowie sämtliche Arten der „unzulänglichen“ Erfüllung, die nicht auf der Vertragswidrigkeit der Sache selbst beruhen.1238 Immerhin wird die KaufRL 99/44 nunmehr in sachlicher Hinsicht durch die VRRL 2011/83 durch Regelungen zum Gefahrübergang (Art. 20), zur Fälligkeit (Art. 18 Abs. 1) und durch ein Rücktrittsrecht des Verbrauchers bei verzögerter Leistung und Erfüllungsverweigerung (Art. 18 Abs. 2) ergänzt.1239 Viertens werden selbst die Rechtsbehelfe des Verbrauchers bei vertragswidriger Sachleistung in der KaufRL 99/44 nicht vollständig geregelt. Die Richtlinie enthält eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe und weist auch ansonsten Regelungslücken auf. So lässt die Richtlinie etwa offen, in welchem Umfang der Verkäufer zur Ersatzlieferung verpflichtet ist und für die aus der Mangelhaftigkeit resultierenden Folgekosten aufkommen muss.1240 Ungeregelt ist desweiteren, ob der Verbraucher im Rahmen der Ersatzlieferung dem Verkäufer Nutzungsersatz schuldet,1241 ob der Verbraucher ein Selbstvornahmerecht hat,1242 und ob der Verkäufer die Nacherfüllung verweigern kann, wenn diese im Vergleich zur Minderung oder Vertragsauflösung bzw. zum Wert der Kaufsache mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist.1243 Auch die Rechtsbehelfe der Minderung und Vertragsauflösung werden nur in groben Zügen geregelt.1244 Schließlich blendet die Richtlinie Schadensersatzansprüche vollständig aus. Die in Art. 3 der Richtlinie normierten Rechtsbehelfe (Nachbesserung, Ersatzlieferung, Minderung und Vertragsauflösung) beziehen sich (jedenfalls auf den ersten Blick) allein auf das Äquivalenzinteresse des Verbrauchers, also auf sein Interesse am Erhalt eines angemessenen Gegenwerts für seine Leistung.1245 Für vertragliche und deliktische Schadensersatzansprüche des Verbrauchers gegen den Verkäufer verweisen Art. 8 Abs. 1 KaufRL 99/44 und ErwGr (6) demgegenüber auf das jeweils anwendbare nationale Recht.1246 1238

 NK‑BGB/Pfeiffer, Band 2/2, 2012, Art. 2 Kauf-RL Rn. 2.   Hierzu (mit Blick auf die deutschen Umsetzungsnormen) Kohler, NJW 2014, 2817 ff.; Riehm, NJW 2014, 2065 ff.; Schmitt, VuR 2014, 90, 98; Windorfer, VuR 2014, 216 ff. 1240   Die Ersatzlieferung wird von der KaufRL 99/44 nicht definiert. Art. 3 Abs. 2 spricht nur von der „unentgeltlichen Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes“. 1241   ErwGr (15) KaufRL 99/44 gestattet den Mitgliedstaaten für den Fall der Vertragsauflösung „der Benutzung der Ware Rechnung zu tragen, die durch den Verbraucher seit ihrer Lieferung erfolgt ist“. Ob Entsprechendes für die Nacherfüllung gilt, bleibt nach dem Wortlaut der Richtlinie offen. 1242   Die Frage der Selbstvornahme wird in der KaufRL 99/44 überhaupt nicht behandelt. 1243   Art. 3 Abs. 3 S. 2 und ErwGr (11) KaufRL 99/44 definieren „unverhältnismäßig“ nur in Relation der Alternativen „Nachbesserung“ und „Nachlieferung“ zueinander. 1244   Schwartze, ZEuP 2000, 544, 566 ff. 1245  Grundmann/Bianca/Grundmann, EU‑Kaufrechts-Richtlinie, 2002, Einl. Rn. 29; G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Vorbem. Rn. 2. Vgl. aber die in der Gebr. Weber & Putz-Entscheidung erfolgte Erweiterung des Abhilfeanspruchs durch den EuGH; hierzu infra, § 10 G.II.5. 1246  Deliktische Ansprüche gegen den Hersteller werden zwar durch die ProdukthaftungsRL 85/374 vollständig harmonisiert. Sachschäden sind allerdings nach Art. 9 lit. b nur dann ersatzfähig, wenn sie an „einer anderen Sache als des fehlerhaften Produkts“ entstanden sind. Der Hersteller haftet daher nicht für reine Vermögensschäden. 1239

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§ 10  Verbraucherrecht

Trotz dieser im Ergebnis begrenzten Rechtsfolgenharmonisierung hat der EuGH in den Entscheidungen Quelle1247 und Gebr. Weber & Putz1248 deutlich die Bereitschaft erkennen lassen, die in der KaufRL 99/44 nur rudimentär oder überhaupt nicht geregelten Rechtsbehelfe im Wege der Rechtsfortbildung unter Rückgriff auf den effet utile auszuformen, um zumindest innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie einheitliche Mindestrechte der Verbraucher zu gewährleisten. Beide Entscheidungen bedürfen daher einer näheren Analyse, die sich sowohl mit den vom Gerichtshof aufgestellten Vorgaben als auch mit den sich hieraus ergebenden Folgefragen beschäftigt.

II. Recht des Verbrauchers auf Abhilfe 1. Hierarchie der Rechtsbehelfe Die KaufRL 99/44 geht bekanntlich von einer Hierarchie der Rechtsbehelfe aus: Der Verbraucher kann nach Art. 3 Abs. 3 „zunächst“ Abhilfe in Form der Nachbesserung oder Ersatzlieferung verlangen. Erst wenn die Wiederherstellung des vertragsgemäßen Zustands unmöglich oder unverhältnismäßig ist, verspätet erfolgt oder mit erheblichen Unannehmlichkeiten für den Verbraucher verbunden ist, kann er Minderung des Kaufpreises fordern oder (soweit die Vertragswidrigkeit nicht geringfügig ist) sein Vertragslösungsrecht geltend machen. Nach der Richtlinie besteht dementsprechend ein grundsätzlicher Vorrang der Nacherfüllung vor Minderung und Vertragsauflösung und ein hiermit korrespondierendes Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung. Da die KaufRL 99/44 auf dem Prinzip der Mindestharmonisierung basiert, wird diese Hierarchie allerdings bislang nicht zwingend vorgeschrieben.1249 Die Mitgliedstaaten haben daher zum Teil ein gegenüber der Richtlinie abweichendes Rechtsbehelfssystem errichtet. Während viele Staaten das Zweistufenmodell der Richtlinie übernommen haben, können Verbraucher in anderen Mitgliedstaaten zwischen sämtlichen Rechtsbehelfen frei wählen, so insbesondere in Griechenland, Portugal und Litauen.1250 Auch das englische Kaufrecht durchbricht die in der Richtlinie vorgesehene Rangfolge. Der Verbraucher kann nicht nur die in sec. 23 Consumer Rights Act 2015 (zuvor: sec. 48B Sale of Goods Act 1979 a. F.) vorgesehenen Rechtsbehelfe der Nachbesserung (repair) und Ersatzlieferung (replacement) geltend machen, sondern nach sec. 20 ff. Consumer Rights Act 2015 wahlweise eine vertragswidrige Ware zurückweisen (short-term right to reject) und damit ein Vertragsauflösungsrecht ausüben.1251 1247

  EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle).   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz). 1249   Im Unterschied hierzu wollte der Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher aus dem Jahre 2008, KOM (2008) 614 endg., den Vorrang der Nacherfüllung zwingend im Wege der Vollharmonisierung vorschreiben; kritisch hierzu Beale, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law, 2009, S. 289, 293; Ebers, InDret 2/2010, S. 25 f.; Micklitz/ Reich, CMLR 2009, 471, 503. 1250   Twigg-Flesner, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 407, 444. 1251  Ausführlich Whittaker, in: Chitty on Contracts, II, 32. Aufl., 2015, Rn. 38 – 478 ff. Zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Consumer Rights Act 2015 vgl. The Law Commission, Consultation Paper No. 188, and The Scottish Law Commission, Discussion Paper No. 139, Consumer Remedies for Faulty Goods, A Joint Consultation Paper, 2008, S. 14 f., 30 ff. 1248

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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Dem Verbraucher wird insoweit eine im Vergleich zur Richtlinie günstigere Rechtsposition eingeräumt, was nach dem Prinzip der Mindestharmonisierung zulässig ist. Problematisch ist demgegenüber, dass das englische Recht nicht in jedem Fall gewährleistet, dass der Verbraucher sein Nacherfüllungsrecht gerichtlich durchsetzen kann. Zwar unterliegt der Nacherfüllungsanspruch nicht den strengen Voraussetzungen der specific performance nach allgemeinem Vertrags- und Kaufrecht. Gleichzeitig wird dem angerufenen Gericht aber in sec. 58 (3) und (4) Consumer Rights Act 2015 (zuvor: sec. 48E (3) und (4) Sale of Goods Act 1979 a. F.) die Befugnis eingeräumt, von dem Klageantrag abzuweichen, wenn es dies für angemessen hält.1252 Klagt der Verbraucher beispielsweise auf Ersatzlieferung, hält das Gericht aber eine Minderung oder einen Rücktritt für angemessen, so kann das Gericht, zumindest nach dem Wortlaut der Vorschrift, eine Minderung anordnen oder annehmen, der Verbraucher sei zurückgetreten.1253 Eine solche Auslegung widerspräche jedoch der KaufRL 99/44.1254 Denn nach Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 der Richtlinie ist das Recht des Verbrauchers auf Abhilfe nur dann ausgeschlossen, wenn die gewählte Abhilfeform unmöglich oder unverhältnismäßig ist. Weitere Ausschlussgründe sind in der Richtlinie nicht vorgesehen und dürfen daher auch nicht im nationalen Recht etabliert werden, da ansonsten das Mindestschutzniveau der Richtlinie unterschritten wäre. 2. Wahlrecht des Verbrauchers zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung Der Verbraucher hat nach Art. 3 Abs. 2 KaufRL 99/44 ein Wahlrecht zwischen Nachbesserung und Nacherfüllung. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut der Norm („oder“) als auch aus ErwGr (10) der Richtlinie. Die vom Verbraucher gewählte Abhilfeform darf dabei nach Art. 3 Abs. 2 weder unmöglich noch unverhältnismäßig sein. Entscheidet sich der Verbraucher dennoch für eine unmögliche oder unverhältnismäßige Nacherfüllungsform, so ist eine solche Wahl ohne Wirkung.1255 Der Verbraucher kann mithin noch den „richtigen“ Rechtsbehelf geltend machen. Nicht ausdrücklich geregelt ist die Frage, ob der Verbraucher von einer Nacherfüllungsart zur anderen übergehen kann, wenn die gewählte Nacherfüllungsform fehlschlägt oder der Verkäufer die Nacherfüllung ablehnt. Die KaufRL 99/44 spricht in Art. 3 Abs. 5 2. Spiegelstrich nur die Möglichkeit an, dass der Verbraucher nach Fehlschlagen von Nachbesserung oder Ersatzlieferung auf die Rechtsbehelfe der zweiten Stufe (Minderung, Vertragsauflösung) zurückgreifen kann. Teilweise wird angenommen, dass ein Übergang von einer Nacherfüllungsart zur anderen grundsätzlich ausgeschlossen ist.1256 Diese Ansicht ist jedoch mit Sinn und Zweck der Abhilfe unvereinbar. Die KaufRL 99/44 will mit dem Vorrang der Nacherfüllung das primäre 1252   Sec. 58 Consumer Rights Act 2015: „(3) Subsection (4) applies if – (a) the consumer claims to exercise a right under the relevant remedies provisions, but (b) the court decides that those provisions have the effect that exercise of another right is appropriate. (4) The court may proceed as if the consumer had exercised that other right.“ 1253   Arnold/Unberath, ZEuP 2004, 366, 382 (zum Sale of Goods Act 1979 a. F.). 1254   Wie hier (zum Sale of Goods Act 1979 a. F.) V. Mak, Performance-Oriented Remedies in European Sale of Goods Law, 2009, S. 124 ff.; Mansel, AcP 204 (2004), 396, 448 f. 1255  G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Art. 3 Rn. 25; NK‑BGB/Pfeiffer, Band 2/2, 2012, Art. 3 Kauf-RL Rn. 6. 1256   Baldus, Binnenkonkurrenz, 1999, S. 33. Zum gleichen Ergebnis führt die Ansicht, dass eine Wahlschuld i. S. d. § 262 BGB vorliegt, so dass die Wahl des Käufers gem. § 263 Abs. 2 BGB bindend ist; so Büdenbender, AcP 205 (2005), 386 ff.

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§ 10  Verbraucherrecht

Leistungsinteresse beider Vertragsparteien schützen. Könnte der Verbraucher nach Ablauf einer angemessenen Frist seines Nacherfüllungsverlangens nicht zur anderen Nacherfüllungsform übergehen, so wäre sein Interesse daran, die vereinbarte Leistung in Natur zu erhalten, nicht mehr ausreichend geschützt. Ein Wechsel von der Nachbesserung zur Nachlieferung und umgekehrt muss daher möglich sein, wenn die verlangte Nacherfüllung fehlschlägt oder vom Verkäufer abgelehnt wird.1257 3. Umfang der geschuldeten Abhilfe a) Ausgangssituation nach der Verbrauchsgüterkauf-RL 99/44 Art. 3 Abs. 2 KaufRL 99/44 gewährt dem Verbraucher bei Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter ein Recht auf „Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts“ in Form der Ersatzlieferung oder Nachbesserung. Beide Rechte werden in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 der Richtlinie unter dem Oberbegriff der „Abhilfe“ (im Englischen: remedy; im Französischen: dédommagement) zusammengefasst. Der im deutschen Recht verwendete Begriff der Nacherfüllung erscheint demgegenüber zu eng. Er impliziert, dass Ersatzlieferung und Nachbesserung als ein (wenngleich modifizierter) Erfüllungsanspruch zu verstehen sind. Dieses Verständnis lässt sich jedoch nach der jüngeren EuGH-Rechtsprechung nicht mehr halten.1258 Unter einer Nachbesserung versteht die KaufRL 99/44 die „Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts“ (Art. 1 Abs. 2 lit. f). Die Ersatzlieferung, die ebenfalls auf die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts gerichtet ist (vgl. Art. 3 Abs. 2), wird demgegenüber nicht in der Richtlinie definiert. Beide Formen der Abhilfe lassen sich aber in ihrem Verhältnis zueinander voneinander abgrenzen. Die Nachbesserung ist im Unterschied zur Ersatzlieferung auf die Behebung der Vertragswidrigkeit gerichtet, ohne dass die Gesamtsache ausgetauscht wird.1259 Sie umfasst daher im Regelfall diejenige Maßnahme, die die Kaufsache durch Reparatur oder Korrektur in einen Zustand versetzt, wie er ohne Vorliegen des Mangels bestünde. Die Ersatzlieferung ist demgegenüber auf den Austausch der Gesamtsache oder – bei Vertragswidrigkeit eines abgrenzbaren Teils – den Austausch dieses Teils gerichtet.1260 Wie die Ersatzlieferung durchgeführt werden muss, ergibt sich nicht eindeutig aus der Richtlinie. Allerdings liegt es bereits im Begriff der „Ersatzlieferung“, dass der Verkäufer das vertragswidrige Verbrauchsgut grundsätzlich nur gegen dessen Rückgabe „ersetzen“ muss.1261 Aus der Vorgabe, dass die Abhilfe auf „Herstellung des vertragsgemäßen Zustands“ gerichtet ist, ergibt sich ferner, dass die Ersatzlieferung 1257   Im Ergebnis auch Grundmann/Bianca/Bianca, EU‑Kaufrechts-Richtlinie, 2002, Art. 3 Rn. 72; G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Art. 3 Rn. 26; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2003, Rn. 748; sowie für das deutsche Recht (elektive Konkurrenz zwischen beiden Arten der Nacherfüllung) Ball, NZV 2004, 217, 219; Schroeter, NJW 2006, 1761 f.; Skamel, ZGS 2006, 457 ff.; Spickhoff, BB 2003, 589, 591 ff. 1258   Hierzu sogleich, infra, § 10 G.II.5. 1259  Grundmann/Bianca/Luna Serrano, EU‑Kaufrechts-Richtlinie, 2002, Art. 1 Rn. 50; G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Art. 1 Rn. 55; NK‑BGB/Pfeiffer, Band 2/2, 2012, Art. 1 Kauf-RL Rn. 40. 1260  Grundmann/Bianca/Bianca, EU‑Kaufrechts-Richtlinie, 2002, Art. 3 Rn. 27 f.; G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Art. 3 Rn. 17; NK‑BGB/Pfeiffer, Band 2/2, 2012, Art. 1 Kauf-RL Rn. 40. 1261   Unberath, ZEuP 2005, 5, 33.

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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bei einem Kaufvertrag über eine neue Sache regelmäßig nur durch die Lieferung einer neuen Sache erfüllt werden kann. Eine second hand-Ersatzlieferung1262 dürfte demgegenüber in aller Regel ausscheiden, da der Verbraucher bei dieser nie in den Genuss einer voll gebrauchstüchtigen Sache kommt, wie im Vertrag vereinbart.1263 Nachbesserung und Ersatzlieferung müssen nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie grundsätzlich „unentgeltlich“ erfolgen. Damit soll verhindert werden, dass der Verbraucher von der Geltendmachung seiner Rechte abgehalten wird.1264 Der Verkäufer ist daher nicht berechtigt, für die Durchführung der Reparatur und Ersatzlieferung irgendwelche Kosten in Rechnung zu stellen. Vielmehr muss er sämtliche Kosten tragen, die notwendig sind, um den vertragsgemäßen Zustand herzustellen. Dazu gehören, wie Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie beispielhaft anführt, insbesondere Versand‑, Arbeits- und Materialkosten. Die Abhilfe muss darüber hinaus, wie Art. 3 Abs. 3 UAbs. 3 hervorhebt, innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen und darf zudem nicht mit erheblichen Unannehmlichkeiten für den Verbraucher verbunden sein. Der Umfang der vom Verkäufer geschuldeten Abhilfe wird schließlich durch Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 KaufRL 99/44 begrenzt. Nach dieser Vorschrift können Nachbesserung und Ersatzlieferung nur verlangt werden, wenn diese weder unmöglich1265 noch unverhältnismäßig1266 sind. b) In der Richtlinie ungeregelte Fragen Zu den umstrittensten und durch die EuGH-Rechtsprechung noch nicht restlos geklärten Fragen zählt, in welchem Umfang der Verbraucher vom Verkäufer Abhilfe verlangen kann. Kann er im Rahmen der Nacherfüllung nur Herstellung desjenigen Zustands fordern, in dem sich die Kaufsache bei Vertragsschluss oder bei Gefahr­ übergang hätte befinden sollen? Oder ist die Nacherfüllung auf die Herstellung desjenigen Zustands gerichtet, in dem sie sich zum Zeitpunkt der Nacherfüllung befände, wenn sie mangelfrei gewesen wäre? Wem stehen etwaige Vermögensvorteile zu, die infolge der Nacherfüllung entstehen? Inwieweit muss der Verkäufer darüber hinaus für weitere Kosten aufkommen, die dem Verbraucher infolge der Mangelhaftigkeit der Kaufsache entstehen? Kann der Verkäufer die Abhilfe wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit verweigern? In der Rechtsprechung des EuGH sind diese Fragen vor allem mit Blick auf die Ersatzlieferung relevant geworden. Wird dem Verbraucher im Rahmen der Ersatzlieferung ein neues Verbrauchsgut mit entsprechend längerer Lebens- und Gebrauchsdauer geliefert, stellt sich das in der Rechtssache Quelle1267 behandelte Problem, wem die Vermögensvorteile zustehen, die durch die Nacherfüllung „neu für alt“ anfallen. Soll der Verbraucher durch die Ersatzlieferung nur so gestellt werden, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung von Anfang an gestanden hätte, so müsste er eigentlich in 1262

  So erwogen von Gsell, NJW 2003, 1969, 1974; Ball, NZV 2004, 217, 218.  Zutreffend Unberath, ZEuP 2005, 5, 41. 1264   EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn. 34. 1265   Zur strittigen Frage, ob bei Stückschulden eine Ersatzlieferung wegen Unmöglichkeit ausscheidet, vgl. BGHZ 168, 64 = NJW 2006, 2839, Rn. 18 ff.; ablehnend Faust, JZ 2007, 101, 103 f. Vgl. ferner Ackermann, JZ 2002, 378, 381 f.; Canaris, JZ 2003, 831, 834; Faust, ZGS 2004, 252, 255; Musielak, NJW 2008, 2801, 2803 f. 1266  Ausführlich infra, § 10 G.II.5.b. 1267   EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle). 1263

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§ 10  Verbraucherrecht

die Rechtsposition gesetzt werden, in der er stünde, wenn die erstgelieferte Sache mangelfrei gewesen wäre. Dies ist bei Lieferung eines neuen Verbrauchsguts jedoch, zumindest auf den ersten Blick,1268 nicht der Fall. Wäre dem Verbraucher von Anfang an eine einwandfreie Sache geliefert worden, so wäre die Abnutzung durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu seinen Lasten gegangen. Bei der Ersatzlieferung erhält er jedoch regelmäßig eine neue Sache mit längerer Lebensdauer. Das deutsche Recht sah daher in § 439 Abs. 4 i. V. m. §§ 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 100 BGB einen Ausgleichsanspruch des Verkäufers gegen den Verbraucher vor – allerdings nicht für den Vermögensvorteil, den der Verbraucher infolge der Ersatzlieferung in der Zukunft erfährt, sondern für die in der Vergangenheit aus der erstgelieferten Sache gezogenen Nutzungen. Schon früh wurde gegen diese Regelung eingewandt, dass damit gegen das in der KaufRL 99/44 verankerte Gebot der Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung verstoßen wird1269  – eine Ansicht, die der EuGH in seiner Quelle-Entscheidung bestätigt hat (hierzu infra, 4.). Ein weiteres Problem, das im Fall Gebr. Weber & Putz1270 akut wurde, betrifft die sog. Einbaufälle, bei denen der Verbraucher eine vertragswidrige Sache vor Entdeckung des Mangels selbst einbaut oder durch einen von ihm beauftragten Dritten einbauen lässt. Hier stellt sich die Frage, ob der Verkäufer im Rahmen eines verschuldensunabhängigen Nacherfüllungsanspruchs zum Ausbau der mangelhaften Sache und zum Einbau verpflichtet ist, und ob er die Nacherfüllung verweigern darf, wenn diese – gemessen an dem Wert der Sache – unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht. Ginge man davon aus, dass der Verkäufer nur den Zustand herstellen muss, in dem sich die Kaufsache bei Vertragsschluss hätte befinden sollen, wäre diese Frage zu verneinen, da der Verkäufer nach dem Kaufvertrag gerade nicht zum Einbau der Sache verpflichtet war. Müsste der Verkäufer den Verbraucher hinsichtlich der Kaufsache so stellen, wie er im Zeitpunkt der Nacherfüllung bei ordnungsgemäßer Erfüllung stünde, so wäre dagegen sowohl der Aus- als auch Einbau geschuldet. Der EuGH folgte im Ergebnis der zuletzt genannten Ansicht und entwickelte damit der Sache nach einen verschuldensunabhängigen Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz bestimmter Folgekosten (hierzu infra, 5.). 4. Vorgaben des EuGH im Fall Quelle a) Kein Anspruch des Verkäufers für gezogene Nutzungen und künftige Vermögensvorteile bei Neulieferung Nach dem Quelle-Urteil1271 steht die KaufRL 99/44 einer nationalen Regelung entgegen, die dem Verkäufer im Rahmen der Ersatzlieferung einen Anspruch gegen den Verbraucher auf Nutzungsersatz für den Gebrauch des ausgetauschten Verbrauchsguts einräumt. Zur Begründung stützte sich der Gerichtshof vor allem auf den Grundsatz der Unentgeltlichkeit, der in Art. 3 Abs. 2, Abs. 3 UAbs. 1 KaufRL 99/44 1268

 Näher infra, § 10 G.II.4.   W.‑H. Roth, JZ 2001, 475, 489; J. Hoffmann, ZRP 2001, 347, 349; Gsell, NJW 2003, 1969, 1973 f.; Schulze/Ebers, JuS 2004, 366, 369 f. A. A. P. Huber, in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, 2002, § 13 Rn. 55 f.; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2002, S. 90; Westermann, JZ 2001, 530, 537. 1270   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz). 1271   EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle). 1269

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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festgelegt ist, und in Art. 3 Abs. 4 dahingehend konkretisiert wird, dass der Verkäufer die zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands notwendigen Kosten, insbesondere Versand‑, Arbeits- und Materialkosten tragen muss. Diese Aufzählung sei, so der Gerichtshof, nicht abschließend zu verstehen. Sinn und Zweck der Regelung sei es, den Verbraucher vor den drohenden finanziellen Belastungen zu schützen, die ihn davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen.1272 Der von der deutschen Regierung vorgebrachte Verweis auf ErwGr (15), wonach die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass eine dem Verbraucher zu leistende Erstattung gemindert werden kann, um der Benutzung der Ware Rechnung zu tragen, hielt der EuGH ebenfalls nicht für einschlägig, da sich dieser nur auf den Fall der Vertragsauflösung bezieht und nicht als allgemeiner Grundsatz verstanden werden kann, der im Rahmen der Ersatzlieferung Anwendung findet.1273 Dies überzeugt. Ersatzlieferung und Vertragsauflösung sind nicht miteinander vergleichbar. Während bei der Vertragsauflösung das gesamte Vertragsverhältnis rückabgewickelt wird, ist der Verbraucher bei der Neulieferung weiterhin an seinen bisherigen Verkäufer, den Kaufgegenstand und den Kaufpreis gebunden. Dementsprechend wird auch das Recht des Verbrauchers zur Nutzung der Kaufsache aufrechterhalten und lediglich an der Ersatzsache fortgesetzt. Daneben begründet der Gerichtshof die Unvereinbarkeit einer Nutzungsersatzpflicht mit der verbraucherschützenden Zielrichtung der Richtlinie und dem in ErwGr (1) erwähnten angestrebten „hohen Verbraucherschutzniveau“. Ein solcher Rekurs auf den Telos der Richtlinie im Allgemeinen erscheint zu pauschal.1274 Für eine am effet utile orientierte Auslegung muss es primär auf den Sinn und Zweck der konkret auszulegenden Norm und nicht so sehr auf die Ziele der Richtlinie im Allgemeinen ankommen.1275 Im Ergebnis erscheint das Urteil dennoch sehr wohl begründet. Werden dem Verbraucher die Kosten für eine Nutzungsentschädigung auferlegt, so ist die Nacherfüllung nicht mehr unentgeltlich im Sinne der Richtlinie. Denn der Verbraucher hat nach dem Kaufvertrag und der Richtlinie das Recht, eine von Anfang an mangelfreie Kaufsache zu nutzen; hierfür zahlt er den Kaufpreis. Ist der Verbraucher aber zum Ersatz der gezogenen Nutzungen verpflichtet, so werden ihm diese Gebrauchsvorteile letztlich wieder im Nachhinein entzogen und die Nacherfüllung ist insofern nicht mehr unentgeltlich. Der Ersatz der Gebrauchsvorteile lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass der Verbraucher durch die Neulieferung bereichert werde; denn die Nachlieferung eröffnet keine Nutzungsmöglichkeit für die Vergangenheit, sondern allenfalls für die Zukunft. Ein Anspruch des Verkäufers käme daher, wenn überhaupt, wegen der Bereicherung des Verbrauchers durch den „neuen“, als Ersatz gelieferten Gegenstand in Betracht. Auch ein solcher Bereicherungsausgleich, der im deutschen Schrifttum durchaus erwogen worden ist,1276 wird vom EuGH allerdings abgelehnt. Die vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewollte Garantie der Unentgeltlichkeit bedeute, so der 1272

  EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn.  31 – 34.   EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn.  38 – 39. 1274   Herresthal, ZEuP 2009, 598, 603 ff. 1275   Herresthal, ZEuP 2009, 598, 603 f.; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., 2015, § 10 Rn. 45. 1276  Vgl. Gsell, NJW 2003, 1969, 1971; Herrler/Tomasic, ZGS 2007, 209, 212 ff.; Rohlfing, GPR 2007, 80, 84. 1273

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§ 10  Verbraucherrecht

Gerichtshof, „dass jede finanzielle Forderung des Verkäufers im Rahmen der Erfüllung seiner Verpflichtung zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts, auf das sich der Vertrag bezieht, ausgeschlossen ist.“1277 Der Käufer, der ein neues Verbrauchsgut als Ersatz für das fehlerhafte erlange, werde nicht auf Kosten des Verkäufers ungerechtfertigt bereichert.1278 Diese Ausführungen sind im Schrifttum z. T. scharf kritisiert worden. Da die Richtlinie das Bereicherungsrecht nicht harmonisiere, sei diese Problematik Gegenstand mitgliedstaatlicher Regelungen und Dogmatik.1279 Dieser Einwand ist für sich genommen richtig. Allerdings folgt aus dem Effektivitätsgrundsatz, dass die Mitgliedstaaten das aus der KaufRL 99/44 folgende Recht des Verbrauchers auf unentgeltliche Ersatzlieferung nicht konterkarieren dürfen. Auch das mitgliedstaatliche Bereicherungsrecht muss sich daher an den Wertungen der Richtlinie messen lassen.1280 Gegen einen Vorteilsausgleich spricht zunächst, dass der Käufer durch die Neulieferung häufig gar nicht bereichert wird. Gerade bei Verbrauchsgütern, die wie Computer oder Handys schnell veralten, ist nämlich davon auszugehen, dass der Verbraucher aus der Nachlieferung keine nennenswerten Vorteile mehr ziehen kann.1281 Unabhängig davon liefe ein Vorteilsausgleich aber auch bei sonstigen Verbrauchsgütern auf eine aufgedrängte Bereicherung hinaus. Der Verbraucher müsste die längere Lebensdauer des Verbrauchsguts ausgleichen, obwohl nicht er, sondern der Verkäufer dafür verantwortlich ist, dass es überhaupt zu einer Ersatzlieferung gekommen ist.1282 Die Ersatzlieferung soll dem Verkäufer die Chance bieten, sich den Kaufpreis zu verdienen. Sie zielt jedoch nicht darauf ab, sich im Wege der Nacherfüllung noch etwas dazu zu verdienen.1283 Das Quelle-Urteil ist damit vom Ergebnis her und (mit gewissen Einschränkungen) auch hinsichtlich der methodischen Vorgehensweise zu begrüßen. b) Wertersatzanspruch des Verkäufers bei Verschlechterung oder Untergang der zurückzugebenden Sache? Die Quelle-Entscheidung wirft die Frage auf, ob die KaufRL 99/44 auch einem Wert­ ersatzanspruch des Verkäufers bei Verschlechterung oder Untergang der zurückzugebenden Sache entgegensteht. Eine solche Wertersatzpflicht ist in einigen Mitgliedstaaten vorgesehen. So ist beispielsweise in Deutschland der Verbraucher (Käufer) nach § 439 Abs. 4 i. V. m. § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB grundsätzlich zum Wertersatz verpflichtet, wenn sich die mangelhafte Sache verschlechtert hat oder untergegangen ist. Ausgeschlossen ist die Wertersatzpflicht nach § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB nur dann, wenn der Käufer die eigenübliche Sorgfalt (§ 277 BGB) beachtet hat. Während das UN‑Kaufrecht in Art. 82 Abs. 1 CISG eine Ersatzlieferung bei Untergang oder Verschlechterung der zurückzugebenden Sache generell ausschließt, enthält die KaufRL 99/44 keine entsprechende Regelung. Daraus wird z. T. abgelei1277

  EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn. 34.   EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn. 41. 1279   Herresthal, ZEuP 2009, 598, 605, 610. Ähnlich G. Schulze, GPR 2008, 128, 129. 1280   Im Ergebnis auch Herresthal, ZEuP 2009, 598, 605, der für eine solche Kontrolle jedoch „hohe, wenngleich nicht unüberwindbare Hürde[n]“ sieht. 1281   In diese Richtung auch GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn. 49. 1282   So auch EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn. 41. 1283   Wie hier Unberath, ZEuP 2005, 5, 37 f. 1278

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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tet, dass die Frage des Wertersatzes den Mitgliedstaaten überlassen bleiben soll.1284 Andererseits könnte der in Quelle kategorisch aufgestellte Grundsatz, die vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewollte Unentgeltlichkeit schließe „jede finanzielle Forderung“ des Verkäufers aus, für die Richtlinienwidrigkeit eines solchen Wertersatzes sprechen.1285 Denkbar wäre allerdings auch, dass der Gerichtshof auf die im Fall Messner1286 zum Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen entwickelten Prinzipien zurückgreift. Danach ist eine Wertersatzpflicht mit der FARL 97/7 vereinbar, wenn der Verbraucher die Ware in einem mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben unvereinbare Art und Weise benutzt hat.1287 Eine Wertersatzpflicht bei Verstößen gegen die eigenübliche Sorgfalt wäre dann wohl zulässig. Ob die in Messner aufgestellten Grundsätze tatsächlich auf die KaufRL 99/44 übertragbar sind, erscheint indessen zweifelhaft. Immerhin bestehen zwischen der Rückabwicklung eines Vertrages nach Widerruf und der Ersatzlieferung erhebliche Unterschiede.1288 Das verbraucherschützende Widerrufsrecht ist ein einseitiges, bedingungsloses Beseitigungsrecht. Das Recht auf Ersatzlieferung beruht demgegenüber auf einer Vertragsverletzung des Verkäufers. Schon deswegen erscheint es denkbar, dass das Unionsrecht den Verbraucher bei Nacherfüllung besser stellt als bei Ausübung seines Widerrufsrechts.1289 Auch sind die Rechtsfolgen grundsätzlich verschieden. Der Widerruf führt zur Auflösung des Vertrags. Wertersatzpflichten sind insofern Bestandteil eines umfassenden Systems wechselseitiger Verpflichtungen der Parteien zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen und zum Ausgleich erlangter Vermögensvorteile. Gleiches kann für die Ersatzlieferung nicht behauptet werden, denn bei dieser wird der Vertrag im Ganzen aufrechterhalten. Eine Wertersatzpflicht im Rahmen der Ersatzlieferung belastet einseitig den Verbraucher und kann aufgrund der fehlenden Gegenseitigkeit viel eher als „Entgelt“ angesehen werden, das den Verbraucher von der Geltendmachung seiner Rechte abhält, als Wertersatzpflichten im Widerrufsfall. 5. Vorgaben des EuGH im Fall Gebr. Weber & Putz a) Verschuldensunabhängiger Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz von Folgekosten in den Einbaufällen Hatte der EuGH im Fall Quelle einen Nutzungsersatzanspruch des Verkäufers bei Neulieferung für richtlinienwidrig erklärt, so ging er in seiner Folgeentscheidung zu den sog. Einbaufällen sehr viel weiter. Nach dem Urteil Gebr. Weber & Putz1290 muss der Verkäufer im Rahmen der Ersatzlieferung gem. Art. 3 Abs. 2 – 3 KaufRL 99/44 eine vom Verbraucher bestimmungsgemäß und gutgläubig eingebaute Sache entweder selbst ausbauen und die ersatzweise gelieferte mangelfreie Sache einbauen oder wenigstens die Aus- und Einbaukosten tragen, selbst wenn er keine Montagepflicht 1284

 G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Art. 3 Rn. 18.   BeckOK BGB/Faust, Ed. 38, Stand 1.8.2014, § 439 Rn. 35. 1286   EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn. 26. 1287  Näher supra, § 10 E.IV.3.b. 1288   Vgl. auch GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn.  61 – 65. 1289   Wie hier BeckOK BGB/Faust, Ed. 38, Stand 1.8.2014, § 439 Rn. 35. 1290   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz). 1285

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§ 10  Verbraucherrecht

übernommen hat: Könnte der Verbraucher nicht verlangen, dass der Verkäufer den Aus- und Einbau oder die entsprechenden Kosten übernehme, würde die Ersatzlieferung, so der Gerichtshof, für den Verbraucher zu zusätzlichen finanziellen Lasten führen, die er nicht hätte tragen müssen, wenn der Verkäufer den Kaufvertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte.1291 Selbst wenn die Vertragswidrigkeit des Verbrauchsguts nicht auf einem Verschulden des Verkäufers beruhe, habe dieser doch aufgrund der Lieferung einer vertragswidrigen Kaufsache die Folgen der Schlechterfüllung zu tragen.1292 In einem Fall, in dem keine der beiden Vertragsparteien schuldhaft gehandelt habe, sei es demnach gerechtfertigt, „dem Verkäufer die Kosten für den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts aufzuerlegen, da diese Zusatzkosten zum einen vermieden worden wären, wenn der Verkäufer von vornherein seine vertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllt hätte, und zum anderen nunmehr notwendig sind, um den vertragsgemäßen Zustand des Verbrauchsguts herzustellen.“1293 Der EuGH begründet damit der Sache nach einen verschuldensunabhängigen Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz bestimmter Folgekosten.1294 Ob dieser auf der Primärebene angesiedelt ist und den Umfang der geschuldeten Nacherfüllungshandlungen bestimmt oder als Schadensersatzanspruch zu begreifen ist, wird im Urteil demgegenüber offengelassen. Der Gerichtshof überantwortet es dem nationalen Recht, ob der Verkäufer die Ein- und Ausbauarbeiten selbst vornehmen muss oder nur zur Übernahme der hiermit verbundenen Kosten verpflichtet ist.1295 Die vom EuGH entwickelten Vorgaben greifen tief in das nationale Gewährleistungsrecht ein. Nach früher geltender deutscher Rechtslage konnten Ein- und Ausbaukosten nur im Rahmen eines Schadens- oder Aufwendungsersatzanspruchs und damit nur bei Verschulden des Verkäufers verlangt werden.1296 In der Regel gelang dem Verkäufer dabei nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB der Nachweis fehlenden Vertretenmüssens, da Zwischenhändler nach ständiger Rechtsprechung keine Kontroll- bzw. Untersuchungspflichten haben1297 und auch nicht nach § 278 BGB für das Verschulden des Herstellers oder Vorlieferanten haften.1298 Dieses Verständnis musste im Anschluss an die EuGH-Entscheidung aufgegeben werden. Zwar hält der BGH nach wie vor am Verschuldensprinzip im Schadensersatzrecht fest. Um den Vorgaben des EuGH Rechnung zu tragen, musste jedoch der (verschuldensunabhängige) Nacherfüllungsanspruch erheblich ausgeweitet werden. Der Anspruch auf Nacherfüllung 1291

  EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 47.   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 56. 1293   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 57. 1294   St. Lorenz, NJW 2011, 2241, 2243; Maultzsch, GPR 2011, 253, 256; Pfeiffer, LMK 2011, 321439; vgl. auch Greiner/Benedix, ZGS 2011, 489, 490 (Nacherfüllung wird faktisch zum Schadensersatz aufgewertet); Jaensch, NJW 2012, 1025, 1026 (EuGH beschreibt inhaltlich den Umfang eines Schadensersatzanspruchs). 1295   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) LS 1; Greiner/Benedix, ZGS 2011, 489, 493; Jaensch, NJW 2012, 1025, 1027; Kaiser, JZ 2011, 978, 979; St. Lorenz, NJW 2011, 2241, 2243; Maultzsch, GPR 2011, 253, 256. Für eine primäre Pflicht des Verkäufers zum Aus- und Einbau dagegen Purnhagen, EuZW 2011, 626, 629; Stöber, ZGS 2011, 346, 350. 1296   BGHZ 177, 224, 230 f., 235 = NJW 2008, 2837, 2838, 2840 (Parkettstäbe) Rn. 18 f., 29. 1297   Grundlegend BGH, NJW 1968, 2238, 2239. Ebenso die Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz; BT‑Drucks. 14/6040, S. 210. 1298   BGHZ 48, 118, 120 f. = NJW 1967, 1903; bestätigt in BGHZ 177, 224, 235 = NJW 2008, 2837, 2840 (Parkettstäbe), Rn. 29. 1292

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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gem. § 439 Abs. 1 BGB umfasst nunmehr, wie der BGH in zwei Entscheidungen klarstellte, in richtlinienkonformer Auslegung beim Verbrauchsgüterkauf (nicht jedoch bei sonstigen Kaufverträgen!) sowohl den Ausbau der mangelhaften Sache1299 als auch den Einbau der Ersatzsache.1300 Die dogmatische Konzeption des Nacherfüllungsanspruchs, der durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz gerade erst in das BGB eingeführt wurde, wird damit grundlegend verändert. Er kann beim Verbrauchsgüterkauf – vorbehaltlich einer Neufassung des BGB1301 – nicht mehr als (modifizierter) Erfüllungsanspruch1302 begriffen werden, sondern nur noch als Rechtsbehelf eigener Art, der Elemente der Erfüllung und des Schadensersatzes in sich vereinigt.1303 Ob derart weitreichende Konsequenzen in der KaufRL 99/44 angelegt sind, ist mehr als zweifelhaft. Nach dem Wortlaut der Richtlinie wird der Abhilfeanspruch als „Herstellung des vertragsgemäßen Zustands“ definiert, ohne dass sich Hinweise dafür finden lassen, dass etwaige Folgeschäden, die aus der Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstands herrühren, vom Abhilfeanspruch umfasst sind. Das Urteil Gebr. Weber & Putz ist nicht zuletzt aus diesem Grunde im Schrifttum auf große Kritik gestoßen,1304 die in methodischer Hinsicht durchaus berechtigt ist. Der EuGH setzt sich mit keinem Wort mit den sorgfältig begründeten Schlussanträgen von GA Mazák auseinander. Dieser hatte eine aus der KaufRL 99/44 folgende Ausbau- und Einbaupflicht mit dem Argument abgelehnt, dass der Abhilfeanspruch nicht weiter reichen könne als die ursprünglich geschuldete Leistung, die gerade keine Montageverpflichtung des Verkäufers umfasst habe; weitergehende Ansprüche unterfielen daher dem Schadensersatzrecht, das von der Richtlinie gerade nicht geregelt werde.1305 Dieser berechtigte Hinweis auf das von der Richtlinie vorgegebene Rechtsbehelfsregime und die daraus folgende Zuständigkeitsverteilung zwischen Unionsrecht und nationalem Recht wird vom EuGH vollständig ignoriert. Der Gerichtshof stützt sich stattdessen auf den Grundsatz, dass die Abhilfe „unentgeltlich“1306 und „ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher“1307 erfolgen soll, sowie im Übrigen auf das von der Richtlinie angestrebte hohe Verbraucherschutzniveau.1308 Alle drei Argumente reichen jedoch nicht aus, um einen derart weitreichenden Eingriff in das mitgliedstaatliche Recht zu rechtfertigen. Der Verweis auf das Unentgeltlichkeitspostulat ist zirkulär.1309 Sieht man den Aus- und Einbau als von der Ersatzlieferung umfasst an, so ist der damit verbundene Aufwand auch vom Ver1299

  BGHZ 192, 148, 158 f. = BGH, NJW 2012, 1073, 1075 (Bodenfliesen) Rn. 25.   BGH, NJW 2013, 220, 221 (Kunstrasengranulat) Rn. 16. 1301   Vgl. § 439 Abs. 3 BGB‑E des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, BR‑Drucks. 123/16, S. 39 ff. 1302   So die Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT‑Drucks. 14/6040, S. 221. 1303   Zu den ungelösten Folgefragen, die sich aus der Erweiterung des Nacherfüllungsanspruchs für das deutsche Recht ergeben, Keiser, NJW 2014, 1473 ff. 1304   Vgl. nur Kaiser, JZ 2011, 978 (EuGH hat „im Ergebnis erschreckend geantwortet“); St. Lorenz, NJW 2011, 2241, 2243 (Entscheidung ist von „verbraucherschutzrechtlicher Sozialromantik geprägt“); ferner P. Bydlinski, ÖJZ 2011, 893 ff.; Pfeiffer, LMK 2011, 321439. Positiv dagegen Purnhagen, EuZW 2011, 626, 628. 1305  GA Mazák, SchlA, Rs. C‑65/09 (Gebr. Weber) Rn. 55 – 59, und zur Rs. C‑87/09 (Putz) Rn.  48 – 60. 1306   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 49 f. 1307   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 53. 1308   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 55. 1309   So auch P. Bydlinski, ÖJZ 2011, 893, 895; Förster, ZIP 2011, 1493, 1496. 1300

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§ 10  Verbraucherrecht

käufer geschuldet. Ist die Ersatzlieferung dagegen nur auf die Wiederherstellung des ursprünglich geschuldeten Zustands gerichtet, dann stellen Aus- und Einbau auch keine Kosten dar, die der Verkäufer übernehmen muss. Die Einbaufälle unterscheiden sich im Übrigen grundlegend von der Konstellation, die dem Fall Quelle zugrunde lag. Dort war der vom EuGH beanstandete Nutzungsersatz mangels einer auszugleichenden Bereicherung in der Tat ein von der Richtlinie verbotenes Entgelt für die Ersatzlieferung selbst. Die Aus- und Einbaukosten entstehen demgegenüber nicht infolge der Durchführung der Ersatzlieferung, sondern als Folgeschaden durch den Einbau der gelieferten mangelhaften Sache.1310 Auch der Verweis auf die Vermeidung erheblicher Unannehmlichkeiten verfängt nicht. Dieser Grundsatz bezieht sich allein auf die Art und Weise der geschuldeten Abhilfe; er ist jedoch nicht geeignet, den Umfang der geschuldeten Abhilfe zu konkretisieren.1311 Anderenfalls könnten sämtliche Schäden des Verbrauchers als finanzielle Unannehmlichkeit und damit für ersatzfähig erklärt werden. Dass der Unionsgesetzgeber bei Erlass der Richtlinie ein hohes Verbraucherschutzniveau herstellen wollte, ändert daran nichts. Mit diesem Univer­ sal­argument ließe sich nahezu jede Ausweitung des Verbraucherschutzes rechtfertigen. Ein effektiver Verbraucherschutz muss jedoch im Rahmen der Richtlinienvorgaben und nicht jenseits hiervon erfolgen. Schließlich kann auch das Argument, der Verbraucher befinde sich in einer nachteiligeren Position als bei einer ordnungsgemäßen Leistung, nicht verfangen. Denn dies trifft letztlich auf alle Schäden zu, die der Verbraucher infolge der mangelhaften Leistung erleidet.1312 Im Ergebnis liefert der EuGH damit keine stichhaltigen Argumente, warum nach der KaufRL 99/44 die aufgrund der Vertragswidrigkeit entstandenen Folgeschäden verschuldensunabhängig ersatzfähig sein sollen, obwohl die Richtlinie den Schadensersatz nicht regelt und in ihrem Art. 8 Abs. 1 ausdrücklich den Mitgliedstaaten überantwortet. Rechtspolitisch gesehen könnte es dennoch sinnvoll sein, den Verkäufer verschuldensunabhängig für reine Vermögensschäden haften zu lassen, wenn gleichzeitig sichergestellt ist, dass die Folgekosten letztlich demjenigen auferlegt werden, in dessen Sphäre der Mangel entstanden ist. Dieser Gedanke klingt auch in den Urteilsgründen an. Der EuGH rechtfertigt die weite Einstandshaftung u. a. mit dem Argument, dass der in Anspruch genommene Letztverkäufer gem. Art. 4 KaufRL 99/44 Rückgriff gegen die Haftenden innerhalb derselben Vertragskette nehmen könne.1313 Auf diese Weise könnte in der Tat eine effektive Risikoallokation sichergestellt werden.1314 Werden die Folgekosten über den Regressweg auf den Hersteller zurückverlagert, erhält dieser Anreize für eine möglichst fehlerfreie Produktion von Verbrauchsgütern. Dadurch steigen zwar die Preise, da zu erwarten ist, dass Hersteller die gestiegenen Haftungsrisiken bzw. die höheren Schadensvermeidungskosten weitergeben.1315 Viele Verbraucher dürften dies aber in Kauf nehmen, da sie gleichzeitig vor erheblichen 1310   Vgl. bereits Mörsdorf, GPR 2009, 134, 138, der aus dem Unentgeltlichkeitspostulat jedoch im Ergebnis eine Übernahmepflicht des Verkäufers für Aus- und Einbaukosten ableitet. 1311   GA Mazák, SchlA, Rs. C‑65/09 (Gebr. Weber) Rn. 65, und Rs. C‑87/09 (Putz) Rn. 66. 1312   Pfeiffer, LMK 2011, 321439. 1313   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 58. 1314   Bien, ZEuP 2012, 645 ff.; Glöckner, EWS 2011, 359, 364; Grundmann, in: Terryn/Straetmans/ Volaert (Hrsg.), Landmark Cases of EU Consumer Law, 2013, 725 ff. 1315   Gegen eine Rückverlagerung der Aus- und Einbaukosten auf den Hersteller daher St. Lorenz, NJW 2011, 2241, 2243; Maultzsch, GPR 2011, 253, 256 f.

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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finanziellen Risiken bewahrt werden, zumal am Markt häufig nicht die Möglichkeit besteht, diese Risiken anderweitig abzusichern.1316 Das vom EuGH vorgetragene Argument steht und fällt indessen mit dem Funktionieren des Lieferantenregresses. Nach gegenwärtigem Harmonisierungsstand ist jedoch nicht sichergestellt, dass der Letztverkäufer seine Haftungsrisiken in der Lieferkette weitergeben kann. Da Art. 4 KaufRL 99/44 nur rudimentäre Vorgaben enthält, gerät der Letztverkäufer in vielen Mitgliedstaaten in eine Regressfalle. Erstens wird der Rückgriff unterbrochen, wenn der Vorverkäufer insolvent wird. Kann der Letztverkäufer gegen seinen Verkäufer nur nach kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüchen Regress verlangen, so stellt sich zweitens das Problem, dass seine Rechtsposition als gewerblicher Käufer in den meisten Mitgliedstaaten sehr viel schwächer ausgestaltet ist als diejenige des Käufers (Verbrauchers) beim B2C-Kauf. Beweisprobleme, Rügepflichten, Verjährungsvorschriften sowie die nicht zwingende Ausgestaltung des Gewährleistungsrechts in B2B-Verhältnissen können den Regress für den Letztverkäufer vereiteln.1317 Schließlich können drittens das Kollisionsrecht und das CISG bei grenzüberschreitenden Absatzketten dazu führen, dass die in den Mitgliedstaaten zum Schutz des Letztverkäufers vorgesehenen Normen nicht zur Anwendung gelangen und das für die Vertragswidrigkeit verantwortliche Kettenglied nicht haftet.1318 Eine ökonomisch effiziente Risikoallokation der Mangel- und Mangelfolgeschäden durch Rückverlagerung der Haftungsrisiken auf den Hersteller bzw. das verantwortliche Kettenglied könnte daher nur erreicht werden, wenn entweder der Lieferantenregress in Europa vollständig harmonisiert wird, oder – wie an anderer Stelle vorgeschlagen1319 – eine Direkthaftung des Herstellers für vertragswidrige Verbrauchsgüter europaweit eingeführt wird. b) Kein Verweigerungsrecht des Verkäufers bei absoluter Unverhältnismäßigkeit, aber Herabsetzung des Kostenerstattungsanspruchs Obwohl der EuGH dem Grunde nach einen Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz der Aus- und Einbaukosten bejaht, ist er gleichwohl darum bemüht, zwischen den Belangen des Verbrauchers und Unternehmers ein angemessenes Gleichgewicht herzustellen. Zwar darf der Verkäufer die Abhilfe, von den Fällen der Unmöglichkeit abgesehen, nach Ansicht des Gerichtshofs nur bei relativer Unverhältnismäßigkeit verweigern, also allein dann, wenn die vom Verbraucher verlangte Abhilfeart im Verhältnis zur anderen Nacherfüllungsvariante unverhältnismäßig teuer ist. Erweist sich nur eine der beiden Abhilfearten als möglich, so kann der Verkäufer die einzige Abhilfe, durch die sich der vertragsgemäße Zustand des Verbrauchsguts herstellen lässt, folglich nicht verweigern. Der EuGH weist insoweit darauf hin, dass Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 1316

  Bien, ZEuP 2012, 645, 657 f.  Näher Ebers/Janssen/Meyer, in: dies. (Hrsg.), European Perspectives on Producers’ Liability, 2009, S. 3, 38 f., 47 ff. In den Einbaufällen wird ein Regress zudem dann vereitelt, wenn ein Unternehmer mit der gekauften Sache eine andere Sache herstellt oder sie umgestaltet; vgl. BGH, NJW 2014, 2183, 2186 f., Rn. 38, mit Anm. Witt, NJW 2014, 2156 ff. 1318  Ausführlich Ebers/Janssen/Meyer, in: dies. (Hrsg.), European Perspectives on Producers’ Liability, 2009, S. 53 ff.; sowie (im selben Band) Sendmeyer, S. 151 ff. 1319   Ebers/Janssen/Meyer, in: dies. (Hrsg.), European Perspectives on Producers’ Liability, 2009, S. 1, 58 ff. 1317

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§ 10  Verbraucherrecht

der Richtlinie die Unverhältnismäßigkeit einer Art der Abhilfe ausschließlich im Verhältnis zur anderen Art der Abhilfe definiert.1320 Zum Schutz der finanziellen Interessen des Verkäufers akzeptiert der Gerichtshof dennoch, dass der Kostenerstattungsanspruch für den Aus- und Einbau von den nationalen Gerichten auf einen Betrag beschränkt wird, „der dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß gewesen wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit angemessen ist“.1321 Eine solche Herabsetzung dürfe freilich nicht zur Folge haben, dass das Recht des Verbrauchers auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten in der Praxis ausgehöhlt werde. Diese Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht inkonsequent. Einerseits wird dem Verbraucher im Interesse eines hohen Verbraucherschutzniveaus ein Anspruch auf Ersatz der Folgekosten für den Aus- und Einbau eingeräumt und dem Verkäufer ein Leistungsverweigerungsrecht wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit versagt. Andererseits kann ihm aber „zum Schutz der berechtigten finanziellen Interessen des Verkäufers“1322 derselbe Kostenerstattungsanspruch wieder weitgehend genommen werden, indem den nationalen Gerichten das Recht zur „angemessenen“ Kürzung zugesprochen wird. Der Hinweis des Gerichtshofs, dem Verbraucher müsse bei dieser Herabsetzung die Möglichkeit einer angemessenen Minderung oder ein Vertragsauflösungsrecht gewährt werden,1323 kann hieran nichts ändern,1324 da über beide Rechtsbehelfe jedenfalls die Transportkosten sowie die Kosten für den Neueinbau der Ersatzsache nicht ersatzfähig sind.1325 Auch die dogmatische Herleitung der Herabsetzung des Kostenerstattungsanspruchs bleibt völlig im Dunkeln.1326 Die KaufRL 99/44 kennt eine solche Herabsetzung jedenfalls nicht, so dass dieses Konstrukt wohl allein auf Billigkeitserwägungen beruht. Die Möglichkeit der Kürzung bezieht sich zudem nur auf den Kostenerstattungsanspruch, nicht jedoch auf den Fall, dass der Verkäufer den Aus- und Einbau selbst vornimmt.1327 Der Verkäufer, der freiwillig den Aus- und Wiedereinbau organisiert, wird damit schlechter gestellt als der Verkäufer, der die Nacherfüllung verweigert und nur einen Teil der Kosten trägt.1328 Unklar bleibt schließlich, was unter einer „angemessenen“ Kürzung zu verstehen ist. Die vom EuGH genannten Kriterien „Wert der mangelfreien Sache“ und „Bedeutung der Vertragswidrigkeit“ passen nur für den in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 der Richtlinie erwähnten Vergleich der verschiedenen Abhilfeformen untereinander. Für den Umfang der zu ersetzenden Aus- und Einbaukosten machen beide Kriterien jedoch 1320

  EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 63 ff., 68.   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 74. 1322   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 73. 1323   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 77. 1324   Auch der Gerichtshof betont an anderer Stelle, dass Minderung und Vertragsauflösung kein Äquivalent für eine vollständige Kostenfreistellung darstellen; EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 73. 1325  Näher Kaiser, JZ 2011, 978, 987. Unklar ist, ob der Verkäufer bei Rücktritt zum Ausbau verpflichtet ist. Bejaht man dies, könnte der Käufer seine Kostenbeteiligung durch Ausübung des Rücktrittrechts umgehen; näher Höpfner, JZ 2012, 473, 476; Keiser, NJW 2014, 1473, 1476 f. 1326  Ebenso Glöckner, EWS 2011, 359, 363 (aus dem „richterrechtlichen Hut“ gezaubert); Johnston/Unberath, CMLR 2012, 793, 804 (completely new defence); Kaiser, JZ 2011, 978, 986 (Gerichtshof überschreitet erneut seine Kompetenzen); Schulte-Nölke, ZGS 2011, 289 (EuGH „erfindet“ eine Kostenteilung). 1327   Maultzsch, GPR 2011, 253, 258; Stöber, ZGS 2011, 346, 349. 1328   Vgl. auch Höpfner, JZ 2012, 473, 476 (untragbarer Wertungswiderspruch). 1321

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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keinen Sinn, wenn man mit dem EuGH davon ausgeht, dass der Verbraucher grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz dieser Kosten hat. Entscheidend kann dann nur ein Vergleich der vom Verkäufer aufzuwendenden Nacherfüllungskosten mit dem Nacherfüllungsnutzen des Käufers sein.1329 Im Ergebnis erweist sich der vom EuGH begründete Anspruch auf Ersatz der Aus- und Einbaukosten als Danaergeschenk, wie die Nachfolgeentscheidung des BGH1330 deutlich zeigt. Der BGH leitete im Anschluss an die EuGH-Entscheidung aus dem teleologisch reduzierten § 439 Abs. 3 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht des Verkäufers ab und verteilte die Aus- und Einbaukosten (ca. 6.000 Euro) nicht etwa gleichmäßig auf Verkäufer und Käufer. Stattdessen stellte er angesichts der geringfügigen Vertragswidrigkeit in erster Linie auf den Wert der mangelfreien Sache (ca. 1.200 Euro) ab und sprach dem Käufer einen Kostenerstattungsanspruch in Höhe von rund 600 Euro zu. Der Verkäufer musste damit nur 1/10 der reinen Austauschkosten tragen, während der Käufer mit den restlichen 9/10 belastet wurde – eine Konsequenz, die in deutlichem Widerspruch zum Postulat des EuGH steht, dass die Kürzung nicht zu einer Aushöhlung des Verbraucherschutzes führen darf.1331 6. Ungeklärte Folgefragen Die Gebr. Weber & Putz-Entscheidung wirft eine Reihe weiterer Fragen auf, die einer Klärung im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens bedürfen. Zu diesen zählt insbesondere der Erfüllungsort der vom Verkäufer geschuldeten Abhilfehandlungen (a.), die Frage nach einem etwaigen Selbstvornahmerecht des Verbrauchers (b.) sowie das grundsätzliche Problem, welche weiteren mangelbedingten Folgeschäden nach der KaufRL 99/44 im Rahmen des verschuldensunabhängigen Abhilfeanspruchs evtl. noch ersatzfähig sein müssen (c.). a) Ort der Abhilfehandlungen Ist der Verbraucher verpflichtet, die mangelhafte Sache an den Erfüllungsort des ursprünglichen Leistungsanspruchs zurück zu transportieren oder kann er verlangen, dass der Verkäufer die Kaufsache vom gegenwärtigen Belegenheitsort der Sache abholt, selbst wenn dieser für den Verkäufer weit entfernt liegt? Der BGH ist auf diese Fragen erstmals im Fall Camping-Faltanhänger1332 ausführlich eingegangen, ohne allerdings ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV einzuleiten. Nach Ansicht des BGH schuldet der Verkäufer die Nacherfüllung gem. § 269 Abs. 1 – 2 BGB an seinem Wohnsitz oder seiner Niederlassung, sofern sich aus der Parteivereinbarung oder den Umständen nichts anderes ergibt.1333 Der Käufer (Verbraucher) müsse daher die Kaufsache grundsätzlich zum Ort des Verkäufers bringen, könne aber im Gegenzug die ihm entstehenden Kosten nach § 439 Abs. 2 BGB ersetzt verlangen, ggf. auch im Wege eines Vorschussanspruchs.1334 Etwas anderes gelte nur in Fällen, in denen der Käufer die Kaufsache an ihrem Bestimmungsort 1329

  So bereits St. Lorenz, NJW 2009, 1633, 1636 f.; Maultzsch, GPR 2011, 253, 258.   BGHZ 192, 148, 171 = NJW 2012, 1073, 1079 (Bodenfliesen) Rn. 54.  Ebenso Kaiser, JZ 2013, 346, 348 f. 1332   BGH, NJW 2011, 2278 (Camping-Faltanhänger). 1333   BGH, NJW 2011, 2278 (Camping-Faltanhänger) Rn. 29 f. 1334   BGH, NJW 2011, 2278 (Camping-Faltanhänger) Rn. 37. 1330 1331

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§ 10  Verbraucherrecht

auf- oder eingebaut habe oder in denen ein Rücktransport aus anderen Gründen nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen zu bewerkstelligen wäre.1335 Im zugrunde liegenden Fall sah der BGH diese Voraussetzungen als nicht erfüllt an.1336 Der Käufer hätte daher den in Deutschland erworbenen Faltanhänger von seinem Wohnsitz in Frankreich wieder zurück nach Deutschland an den Firmensitz des Verkäufers verbringen müssen. Ob der EuGH dieser Auslegung folgen würde, ist zweifelhaft. Viel spricht dafür, dass der Gerichtshof den Umfang des Abhilfeanspruchs – wie im Fall Gebr. Weber & Putz – weiter als der BGH interpretieren würde. Zwar wird das Gebot der „unentgeltlichen“ Abhilfe i. S. d. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 KaufRL 99/44 auch dann gewahrt, wenn man mit dem BGH die Bestimmung des Erfüllungsorts von der Frage nach dem Ersatz eventueller Transportkosten klar trennt und dem Verbraucher nur einen Anspruch auf Erstattung der Transportkosten gewährt.1337 Wenig aufschlussreich ist zudem der Hinweis des EuGH, dass „die Nachbesserung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts im Allgemeinen an diesem Verbrauchsgut in der Situation erfolgt, in der es sich zum Zeitpunkt des Auftretens des Mangels befand“.1338 Aus dieser deskriptiven Passage lässt sich nicht ableiten, dass der Gerichtshof den Nacherfüllungsort stets am aktuellen Belegenheitsort der Sache verorten will.1339 Denn im Urteil Gebr. Weber & Putz wird den Mitgliedstaaten ausdrücklich freigestellt, ob der Verkäufer den Aus- und Einbau selbst vornehmen muss oder „lediglich“ mit den Aus- und Einbaukosten belastet wird.1340 Nach Art. 3 Abs. 3 UAbs. 3 KaufRL 99/44 muss die Abhilfe allerdings „ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher“ erfolgen. Dieses Merkmal umfasst, wie Generalanwältin Trstenjak in ihren Schlussanträgen zur Quelle-Entscheidung ausführt, „nicht nur praktische Hindernisse bei der Durchführung der Abhilfe, sondern auch Unannehmlichkeiten im Allgemeinen“.1341 Unter Rückgriff auf diesen Grundsatz hat der EuGH den Abhilfeanspruch in der Gebr. Weber & PutzEntscheidung sogar als Folgenbeseitigungsanspruch interpretiert.1342 Beides deutet darauf hin, dass der Organisationsaufwand des Verbrauchers im Rahmen der Abhilfe jedenfalls nicht die Erheblichkeitsschwelle überschreiten darf.1343 Das CampingFaltanhänger-Urteil lässt sich mit dieser Vorgabe nicht vereinbaren. Die vom BGH statuierte Obliegenheit des Käufers, den Anhänger über hunderte Kilometer hinweg transportieren zu lassen, stellt angesichts des damit verbundenen organisatorischen Aufwands sehr wohl eine erhebliche Unannehmlichkeit dar.1344 1335

  BGH, NJW 2011, 2278 (Camping-Faltanhänger) Rn. 34.   BGH, NJW 2011, 2278 (Camping-Faltanhänger) Rn. 54 f. 1337   Gsell, JZ 2011, 988, 995 f.; Kaiser, JZ 2011, 978, 983; Ludwig, ZGS 2011, 544, 548; Picker/ Nemeczek, ZGS 2011, 447, 450 f. 1338   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 51; Herv. hinzugefügt. 1339   So jedoch Purnhagen, EuZW 2011, 626, 630; Stöber, ZGS 2011, 346, 351 (für Einbaufälle). 1340  Vgl. supra, § 10 G.II.5.a. 1341   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn. 47. 1342  Vgl. supra, § 10 G.II.5. 1343   Dies erkennt auch der BGH in richtlinienkonformer Auslegung des § 269 BGB an; BGH, NJW 2011, 2278, 2281 f. (Camping-Faltanhänger) Rn. 38 ff. Im gleichen Atemzug wird jedoch betont, dass zugunsten des nationalen Rechts „gewisse Wertungsspielräume“ bestehen (BGH, a. a. O., Rn. 38) und ein „gewisses Maß an Unannehmlichkeiten“ dem Verbraucher zumutbar sei (BGH, a. a. O., Rn. 43). 1344  Ebenso Gsell, JZ 2011, 988, 997. 1336

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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Die vom BGH favorisierte Einzelfallbeurteilung führt darüber hinaus zu erheblicher Rechtsunsicherheit, da der Verbraucher auf den Kosten sitzen bleibt, wenn er den Leistungsort falsch einschätzt:1345 Weigert sich der Verbraucher unberechtigterweise, die Sache zum Sitz des Verkäufers zu transportieren, kann er weder vom Vertrag zurücktreten noch Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Transportiert der Verbraucher die Sache dagegen selbst zum Verkäufer, obwohl der Verkäufer den Transport hätte durchführen müssen, werden die Transportkosten nicht erstattet, da eine unberechtigte Selbstvornahme1346 vorliegt. Darin liegt nicht nur eine „erhebliche Unannehmlichkeit“,1347 sondern zugleich ein Verstoß gegen den Grundsatz, dass die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte inhaltlich hinreichend klar und transparent im nationalen Recht ausgestaltet sein müssen, damit der Einzelne seine Rechte in vollem Umfang erkennen und sich vor den nationalen Gerichten auf sie berufen kann.1348 Der BGH hätte daher den EuGH in jedem Fall anrufen müssen. Dann hätte zugleich geklärt werden können, ob dem Verkäufer nach nationalem Recht – den Vorgaben des Urteils Gebr. Weber & Putz1349 entsprechend – die Möglichkeit eingeräumt werden darf, die Abhilfe zu verweigern, soweit diese mit unverhältnismäßig hohen (Transport‑)Kosten verbunden ist. b) Selbstvornahmerecht des Verbrauchers? Die KaufRL 99/44 regelt nicht ausdrücklich die Folgen einer eigenmächtigen Selbstvornahme der Abhilfe durch den Verbraucher. Beseitigt der (rechtsunkundige) Verbraucher den Mangel der Kaufsache zu einem Zeitpunkt, in welchem die Rechtsbehelfe der zweiten Stufe (Minderung, Vertragsauflösung sowie – nach nationalem Recht – Schadensersatzansprüche statt der Leistung) noch nicht entstanden sind, und wird der Verkäufer infolgedessen ganz oder teilweise von seiner Pflicht zur Abhilfe befreit,1350 stellt sich vor allem die Frage, ob sich der Verkäufer die ersparten Kosten der Nacherfüllung auf den Kaufpreis anrechnen lassen muss. Während im deutschen Schrifttum ganz überwiegend für die Zulassung eines solchen Bereicherungsausgleichs plädiert wird,1351 lehnt der BGH sämtliche Gewähr1345   Faust, JuS 2011, 748, 750 f.; Jaensch, NJW 2012, 1025, 1030; Cziupka, NJW 2013, 1043 ff.; vgl. auch Artz, ZJS 2011, 274, 275. 1346   Hierzu sogleich, infra, § 10 G.II.6.b. 1347  So Jaensch, NJW 2012, 1025, 1030. 1348   Zwar bindet der Grundsatz der transparenten Richtlinienumsetzung in erster Linie den nationalen Gesetzgeber. Ergänzend hierzu gilt jedoch der Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, demzufolge auch die mitgliedstaatlichen Gerichte sicherstellen müssen, dass die dem Einzelnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte vor den nationalen Gerichten „tatsächlich“ geltend gemacht werden können; hierzu supra, § 4 C.III.2.d. 1349  Dazu supra, § 10 G.II.5.b. 1350   Nicht jede Selbstvornahme führt zur Befreiung des Verkäufers von seiner Nacherfüllungspflicht; vgl. nur BVerfG, ZGS 2006, 470, 472 f.: Kein Fall der Unmöglichkeit der Nacherfüllung bei Beschaffung eines fehlerfreien Ersatzteils durch den Käufer. Ausführlich zu den möglichen Konstellationen, in denen sich die Frage nach der unberechtigten Selbstvornahme stellt, Katzenstein, ZGS 2005, 184 ff. 1351   Für eine (analoge) Anwendung von § 326 Abs. 2 S. 2 BGB St. Lorenz, NJW 2003, 1417, 1418 f.; ihm folgend Braun, ZGS 2004, 423, 427 ff.; BeckOK BGB/Faust, Ed. 38, Stand: 1.8.2014, § 437 Rn. 37; Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1460. Für eine Lösung über die unberechtigte GoA Oechsler, NJW 2004, 1825 ff. Für eine schadensersatzrechtliche Lösung, wenn der Verkäufer nicht über den Verlust der Gewährleistungsrechte aufklärt, Brömmelmeyer, JZ 2006, 493, 498. Jegliche Ansprüche des Verbrauchers dagegen ablehnend Dauner-Lieb/Arnold, ZGS 2005, 10 ff.

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§ 10  Verbraucherrecht

leistungsrechte und jeglichen Kostenersatz bei eigenmächtiger Selbstvornahme ab.1352 Auch diese Frage bedürfte jedoch der Vorlage an den EuGH.1353 Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Gebr. Weber & Putz dem Verbraucher (Käufer) kein Recht zur Selbstvornahme zugesprochen.1354 Die Mitgliedstaaten können vielmehr nach eigenem Ermessen entscheiden, ob entweder der Verkäufer zum Aus- und Einbau verpflichtet ist oder der Aus- und Einbau dem Käufer auferlegt wird und dieser einen Kostenerstattungsanspruch hat.1355 Andererseits musste sich der EuGH aber auch gar nicht mit der Frage beschäftigen, welche Rechte dem Verbraucher zustehen, wenn er den Mangel eigenmächtig behebt. Es ist daher keineswegs ausgeschlossen, dass der Verkäufer nach der KaufRL 99/44 bei voreiliger Selbstvornahme dem Verbraucher zumindest die ersparten Aufwendungen ersetzen muss. Dafür spräche zum einen, dass die Nacherfüllung anderenfalls nicht mehr unentgeltlich wäre, und zum anderen der Gedanke, dass der Verkäufer grundsätzlich die „Folgen der Schlechterfüllung“ zu tragen hat.1356 Unabhängig davon stellt der vom BGH favorisierte Ausschluss jeglicher Gewährleistungsansprüche des Verbrauchers jedenfalls eine unverhältnismäßig harte Sanktion dar,1357 die in der KaufRL 99/44 nicht vorgesehen ist1358 und allein deshalb einer Überprüfung durch den EuGH bedarf. Dass dem Verkäufer sein in der Richtlinie (und auch im deutschen Recht) verankertes Recht zur zweiten Andienung abgeschnitten wird, wenn ein Bereicherungsausgleich zugunsten des Verbrauchers vorgenommen wird,1359 steht nicht zu befürchten. Ein solcher Ausgleich vereitelt nämlich – im Unterschied zu Rücktritt und Minderung1360 – gerade nicht das Recht des Verkäufers, sich im Wege der Nacherfüllung den Kaufpreis zu verdienen, weil er lediglich die Kosten trägt, die er auch bei eigener Nacherfüllung zu tragen gehabt hätte.1361 Auch der Einwand, dem Verkäufer werde bei unberechtigter Selbstvornahme die Möglichkeit genommen, zu beweisen, dass die Vertragswidrigkeit bei Lieferung nicht bestand,1362 verfängt nicht, wenn dem Ver1352   BGHZ 162, 219, 224 ff. = NJW 2005, 1348, 1349 ff. (keine analoge Anwendung des § 326 Abs. 2 S. 2 BGB); BGH, NJW 2005, 3211, 3212 (auch keine GoA). Dies soll selbst dann gelten, wenn der Verbraucher den Mangel erst während der von ihm in Auftrag gegebenen Reparaturarbeiten erkennt; BGH, NJW 2006, 1195, 1197, Rn. 20 f. 1353   Für Richtlinienwidrigkeit der Selbstvornahme-Rechtsprechung G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Art. 3 Rn. 49; tendenziell auch BeckOK BGB/Faust, Ed. 38, Stand 1.8.2014, § 437 Rn. 40; erwägend Höpfner, JZ 2012, 473, 474. Für Richtlinienkonformität dagegen Katzenstein, ZGS 2004, 349, 356; NK‑BGB/Pfeiffer, Band 2/2, 2012, Art. 3 Kauf-RL Rn. 4. 1354   Kaiser, JZ 2011, 978, 979, 985. 1355  Hierzu supra, § 10 G.II.5.a. 1356   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 56. 1357   So auch Katzenstein, ZGS 2004, 349, 353 f. („strafähnliche Sanktion“); P. Bydlinski, ZGS 2005, 129, 130 (Strafgedanke ist dem Zivilrecht fremd); St. Lorenz, NJW 2005, 1321, 1323 („Strafsanktion“). 1358   Während das deutsche Recht nach § 323 Abs. 6 BGB den Rücktritt und damit auch gem. § 441 Abs. 1 S. 1 BGB die Minderung ausschließt, wenn die Unmöglichkeit der Leistung weit überwiegend vom Gläubiger (hier: Käufer) zu verantworten ist, kennt die KaufRL 99/44 keinen entsprechenden Ausschlussgrund. Hierzu auch noch infra, § 10 G.III.3.b. 1359   So BGHZ 162, 219, 226 f. = NJW 2005, 1348, 1350. 1360  Vgl. Katzenstein, ZGS 2004, 349, 356. 1361   St. Lorenz, NJW 2005, 1321, 1322 f. 1362   So BGHZ 162, 219, 228 = NJW 2005, 1348, 1350.

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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braucher bei Selbstvornahme die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels aufgebürdet wird.1363 c) Ersatz weiterer mangelbedingter Folgeschäden? Zu den bislang kaum erörterten Fragen zählt schließlich, inwieweit dem Verbraucher nach der KaufRL 99/44 – über die in der Gebr. Weber & Putz-Entscheidung für ersatzfähig erachteten Aus- und Einbaukosten hinaus – ein (verschuldensunabhängiger) Anspruch auf Ersatz weiterer mangelbedingter Folgeschäden zustehen muss. Derartige Schäden können dem Verbraucher beispielsweise in Form eines Nutzungsausfallschadens entstehen, der durch die Anmietung einer Ersatzsache anfällt. Möglich ist ferner, dass der Verbraucher infolge der Mangelhaftigkeit der Kaufsache mit bestimmten Aufwendungen doppelt belastet wird, so beispielsweise, wenn er für die Zulassung und Überführung eines gekauften Kraftfahrzeugs Kosten aufgewendet hat, die bei Lieferung eines Ersatzfahrzeugs erneut zu tragen sind. Denkbar ist auch ein Schaden in Form entgangenen Gewinns oder wegen der Inanspruchnahme durch Dritte, wenn der Verbraucher die mangelhafte Sache weiterverkauft hat. Nach deutschem Recht sind derartige Schäden nur im Rahmen eines verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruchs ersatzfähig,1364 wobei es regelmäßig an einem Verschulden fehlt, wenn der Verkäufer nur Zwischenhändler ist.1365 Andere europäische Rechtsordnungen sind weitaus großzügiger.1366 So basiert das englische Kaufrecht bekanntlich auf einer Garantiehaftung, die bereits bei objektiver Nichterfüllung greift und sich sowohl auf Mangel- als auch Mangelfolgeschäden bezieht.1367 Eine Einschränkung erfolgt nur dadurch, dass bestimmte Leistungshindernisse als außerhalb der Garantie liegend angenommen werden und der Schaden „vorhersehbar“ gewesen sein muss (sog. remoteness test).1368 Auch im skandinavischen Rechtskreis haftet der Verkäufer grundsätzlich verschuldensunabhängig für Schäden, die aus der Mangelhaftigkeit der Kaufsache resultieren. Dabei werden jedoch einige Einschränkungen vorgenommen. So haftet nach dänischem Kaufrecht der Verkäufer grundsätzlich nur bei Gattungskäufen verschuldensunabhängig.1369 In Finnland erfasst die verschuldensunabhängige Haftung nur direkte, nicht aber indirekte Schä-

1363  Zutreffend Gsell, ZIP 2005, 922, 928, mit dem Hinweis, dass Beweisprobleme beweis(last)rechtlich gelöst werden sollten. 1364   Vgl. nur BGHZ 177, 224 = NJW 2008, 2837 (Parkettstäbe) Rn. 22 mit Hinweis auf BGHZ 163, 381 = NJW 2005, 2848; sowie BGHZ 174, 290 = NJW 2008, 911. 1365   Hierzu bereits supra, § 10 G.II.5.a. Verletzt der Verkäufer dagegen seine Nacherfüllungspflicht, so liegt darin jedoch eine erneute Pflichtverletzung, die i. d. R. auch zu vertreten ist; St. Lorenz, NJW 2002, 2497, 2502 ff.; Schubel/Koch, DB 2004, 119, 122; Brömmelmeyer, JZ 2006, 493, 497. Ersatzfähig ist dann allerdings nur der Schaden, der kausal auf die Verletzung der Nacherfüllungspflicht zurückzuführen ist. 1366  Rechtsvergleichend Schwartze, Europäische Sachmängelgewährleistung beim Warenkauf, 2000, S. 249 ff., zusammenfassend S. 331 ff.; DCFR, Full Edition, 2009, S. 774 ff. 1367   Vgl. nur Raineri v. Miles, [1981] A.C. 1050, 1086: „It is axiomatic that, in relation to claims for damages for breach of contract, it is, in general, immaterial why the defendant failed to fulfil his obligation, and certainly no defence to plead that he had done his best.“ Vertiefend Treitel, Remedies for Breach of Contract, 1989. 1368   Hadley v Baxendale, [1854] 156 ER 145, Ex. Dazu Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl., 2009, S. 740 ff. 1369   Sivesand, The Buyer’s Remedies for Non-Conforming Goods, 2005, S. 89 f.

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§ 10  Verbraucherrecht

den.1370 Demgegenüber haftet in Schweden der Verkäufer bei einem Verbrauchsgüterkauf grundsätzlich für sämtliche Schäden, ohne dass (wie im allgemeinen Kaufrecht) zwischen direkten und indirekten Schäden unterschieden wird. Ausgeschlossen ist die Haftung aber dann, wenn der Verkäufer nachweist, dass die Vertragswidrigkeit auf einem Hindernis außerhalb seiner Kontrolle beruht, mit dem er bei Vertragsschluss vernünftigerweise nicht hätte rechnen müssen.1371 Besonders streng ist das französische Recht. Zwar hängt der Anspruch auf Schadensersatz gem. Art. 1645 CC davon ab, ob der Verkäufer Kenntnis von der Mangelhaftigkeit der Sache hatte. Nach gefestigter Rechtsprechung der Cour de Cassation wird jedoch beim gewerbsmäßigen Verkäufer die Kenntnis vom Mangel stets unwiderleglich vermutet.1372 Fordert auch die KaufRL 99/44 eine verschuldensunabhängige Haftung des Verkäufers für mangelbedingte Folgeschäden? Der im Gebr. Weber & Putz-Urteil anerkannte Kostenerstattungsanspruch bezieht sich auf den ersten Blick auf einen schmalen Bereich. Erstens beschränkt sich das Urteil auf Aus- und Einbaukosten und damit auf sehr konkrete Folgen der Vertragswidrigkeit. Zweitens sind derartige Folgeschäden nur dann ersatzfähig, wenn das erworbene Verbrauchsgut „gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck“ eingebaut wurde.1373 Und schließlich kommt ein solcher Anspruch nach den Ausführungen des EuGH nur in Betracht, wenn der Verbraucher das mangelhafte Verbrauchsgut „im Vertrauen auf die Vertragsmäßigkeit (. . .) vor Auftreten des Mangels gutgläubig“ eingebaut hat.1374 Die dem Urteil zugrunde liegenden Erwägungen sind demgegenüber sehr viel weiter gefasst. Der EuGH begründet den Anspruch auf Ersatz von Folgekosten mit dem Hinweis, dass die Ersatzlieferung anderenfalls für den Verbraucher zu zusätzlichen finanziellen Lasten führen würde, die er nicht hätte tragen müssen, wenn der Verkäufer den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte1375 bzw. damit, dass der Verkäufer „die Folgen der Schlechterfüllung tragen“ müsse.1376 Diese schadensersatzrechtliche Differenzhypothese ließe sich auf alle vom Verkäufer nicht verschuldeten Mangelfolgeschäden erstrecken.1377

1370

  Sivesand, The Buyer’s Remedies for Non-Conforming Goods, 2005, S. 89.  Näher Sandstedt, IHR 2007, 150 ff.; Sivesand, The Buyer’s Remedies for Non-Conforming Goods, 2005, S. 85 ff. 1372   Cass. civ. 1ère, 19.1.1965, D. 1965, 389; Cass. Com., 3.5.1983, Bull. civ. IV, No. 131; Cass. com., 11.2.1997, Bull. civ. IV, No. 50; Cass. civ. 2ème, 30.3.2000, Bull. civ. II, No. 57. Ausführlich Huet, Les principaux contrats spéciaux, 2. Aufl., 2001, S. 324 ff. 1373   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 47 und 56. Dazu Kaiser, JZ 2011, 978, 982 (r. Sp.). 1374   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 56. Offen bleibt, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn der Käufer vor dem Einbau bei entsprechender Sorgfalt die Vertragswidrigkeit hätte erkennen können; dazu Ayad/Schnell, BB 2011, 1938, 1939; P. Bydlinski, ÖJZ 2011, 893, 901 f.; Stöber, ZGS 2011, 346, 351; sowie mit Blick auf das deutsche Recht Höpfner, JZ 2012, 473, 475. 1375   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 47 und 57. 1376   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 56. 1377   In diese Richtung Glöckner, EWS 2011, 359, 362: Argumentation des EuGH erschüttert das (deutsche) Verschuldensprinzip im Recht der vertraglichen Haftung insgesamt. Vgl. auch Förster, ZIP 2011, 1493, 1495: EuGH öffnet die „Büchse der Pandora“, da keine praktikablen Kriterien ersichtlich sind, „nach denen ersatzfähige von nicht ersatzfähigen Verwendungsentscheidungen des Käufers zufriedenstellend abgegrenzt werden könnten, um die Haftung des Verkäufers nicht völlig ausufern zu lassen“. 1371

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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Im Ergebnis würde eine solche Rechtsfortbildung allerdings die Kompetenzverteilung zwischen EuGH und dem Unionsgesetzgeber einerseits sowie zwischen dem Unionsrecht und nationalem Recht grundlegend in Frage stellen. Spätestens bei Schäden, die sich beim besten Willen nicht mehr unter das (ansonsten weit verstandene) Konzept der Abhilfe subsumieren lassen, muss der Gerichtshof die in Art. 8 Abs. 1 KaufRL 99/44 getroffene Entscheidung respektieren, dass vertragliche Ansprüche, die der Verbraucher aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften über die vertragliche Haftung geltend machen kann, von der Richtlinie unberührt bleiben sollen. Diese Rechtsfortbildungsgrenze wird nach hier vertretener Ansicht dann erreicht, wenn der Verkäufer den eingetretenen Schaden nicht mehr in natura beseitigen kann. In diesem Fall lässt sich der Kostenerstattungsanspruch des Verbrauchers nicht mehr – wie in der Rechtssache Gebr. Weber & Putz – als Modalität des Abhilfeanspruchs verstehen. Es ginge nicht um „Abhilfe“, also um die „Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts“ (Art. 3 Abs. 2 KaufRL 99/44), sondern allein um Schadenskompensation. Folgt man dieser Abgrenzung, so wären nach der KaufRL 99/44 zwar durchaus weitere Folgeschäden im Wege des verschuldensunabhängigen Abhilfeanspruchs ersatzfähig, wie beispielsweise Schäden, die nach Gefahrübergang infolge der Mangelhaftigkeit an der Kaufsache selbst entstanden sind: Hat sich der Mangel seit Gefahrübergang verschlimmert oder auf andere Teile der Kaufsache ausgedehnt, so wäre dem Verbraucher wenig geholfen, wenn der Verkäufer im Rahmen der Abhilfe nur den ursprünglichen Mangel beseitigen müsste, während der Weiterfresserschaden (nach deutschem Recht) nur im Falle des Vertretenmüssens im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs ersatzfähig wäre.1378 Derartige Schäden unterfallen schon deswegen dem Abhilfeanspruch, weil der Verkäufer nach Art. 3 Abs. 2 KaufRL 99/44 nicht nur den Mangel beseitigen, sondern den vertragsgemäßen Zustand herstellen muss.1379 Die einleitend angeführten sonstigen Folgeschäden, also insbesondere Nutzungsausfallschäden, entgangener Gewinn sowie weitere Vermögensschäden lassen sich dagegen selbst bei weiter Interpretation des Abhilfeanspruchs nicht mehr als „Herstellung des vertragsgemäßen Zustands“ der Kaufsache verstehen. Sie sind daher nur unter den Voraussetzungen des anwendbaren nationalen Rechts ersatzfähig.

III. Recht des Verbrauchers auf Minderung und Vertragsauflösung Während der EuGH in den Fällen Quelle und Gebr. Weber & Putz Gelegenheit hatte, den Abhilfeanspruch zu konkretisieren, sind die in der KaufRL 99/44 verankerten Rechtsbehelfe der Minderung und Vertragsauflösung bislang nicht Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens geworden.1380 Die nachstehenden Überlegungen 1378   Daher wird selbst im deutschen Schrifttum überwiegend davon ausgegangen, dass derartige Schäden im Rahmen der Nacherfüllung zu beseitigen sind; BeckOK BGB/Faust, Ed. 38, Stand 1.8.2014, § 439 Rn. 15; MüKo/Westermann, BGB, 7. Aufl., 2016, § 439 Rn. 10. Nach a. A. umfasst der Nacherfüllungsanspruch dagegen nur „stoffgleiche“ Verschlechterungen; so Schollmeyer, NJOZ 2009, 2729 ff. 1379   Treffend Beck-OK BGB/Faust, Ed. 34, Stand 1.8.2014, § 437 Rn. 15. 1380   Die im Fall Duarte Hueros entscheidungserhebliche Frage, wann eine Vertragsauflösung wegen Geringfügigkeit des Mangels ausgeschlossen ist, wurde vom spanischen Ausgangsgericht leider nicht dem EuGH vorgelegt; kritisch GA Kokott, SchlA, Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros) Rn. 57.

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§ 10  Verbraucherrecht

beschäftigen sich daher, insbesondere mit Blick auf das deutsche Recht, mit relevanten Fragen, die einer Klärung durch den EuGH bedürfen. 1. Gemeinsame Voraussetzungen Nach Art. 3 Abs. 5 KaufRL 99/44 kann der Verbraucher Minderung und Vertragsauflösung nur verlangen, (i) wenn der Verbraucher weder einen Anspruch auf Nachbesserung noch auf Ersatzlieferung hat,1381 (ii) wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist der Vertragswidrigkeit abgeholfen hat, oder (iii) wenn der Verkäufer nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher Abhilfe geschaffen hat. Insbesondere die beiden letzten Kriterien bedürfen einer weiteren Präzisierung. a) Ablauf einer angemessenen Abhilfefrist Die in Art. 3 Abs. 5 Spiegelstrich 2 genannte Voraussetzung des Ablaufs einer angemessenen Abhilfefrist begründet den Vorrang des Primäranspruchs auf (Nach‑)Erfüllung vor den sekundären Rechtsbehelfen der Minderung und Vertragsauflösung. Indem der Verkäufer die Möglichkeit erhält, innerhalb einer angemessenen Frist den vertragswidrigen Zustand zu beseitigen, bekommt er – um den Preis der von ihm zu tragenden Abhilfekosten – eine zweite Chance, sich den vollen Kaufpreis zu verdienen. Demgegenüber wird der Verbraucher, dem Grundsatz pacta sunt servanda entsprechend, zunächst an seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidung festgehalten. Er kann die Vertragswidrigkeit nicht zum Anlass nehmen, um sich aus rein opportunistischen Gründen vom Vertrag zu lösen oder den Kaufpreis zu mindern. Voraussetzung für Minderung und Vertragsauflösung ist nach Art. 3 Abs. 5 Spiegelstrich 2 KaufRL 99/44, dass der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe schafft. Die Richtlinie verlangt dagegen nicht, dass der Verbraucher dem Verkäufer eine Frist zur Nacherfüllung setzt.1382 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die ein solches Fristsetzungserfordernis nicht kennt; auch Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 spricht nur davon, dass der Verbraucher „zunächst“ Nachbesserung oder Ersatzlieferung verlangen kann. Minderung und Vertragsauflösung setzen daher nach der Richtlinie nur den Zugang eines Nacherfüllungsbegehrens sowie den Ablauf einer angemessenen Frist, nicht aber das Setzen einer Frist voraus. Das deutsche Umsetzungsrecht verlangt demgegenüber in § 323 Abs. 1 BGB für den Rücktritt und damit, da § 441 BGB auf diese Vorschrift Bezug nimmt, auch für die Minderung, dass der Käufer eine Frist zur Nacherfüllung setzt.1383 Obwohl im Schrifttum schon frühzeitig darauf hingewiesen wurde, dass die KaufRL 99/44 vom Verbraucher keine Fristsetzung verlangt,1384 hielt der deutsche Gesetzgeber die 1381   Dies ist der Fall, wenn beide Abhilfeformen unmöglich oder unverhältnismäßig sind; hierzu supra, § 10 G.II.3.a. 1382   Ganz hM; vgl. nur Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, VII, XXV f.; Ernst/ Gsell, ZIP 2000, 1410, 1418; MüKo/St. Lorenz, BGB, 7. Aufl., 2016, Vor § 474 Rn. 21; G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Art. 3 Rn. 41; Unberath, ZEuP 2005, 5, 28 ff. Das LG Hannover, Beschl. v. 22.4.2016, Az. 17 O 43/15 (Az. beim EuGH: Rs. C‑247/16), hat diese Frage nunmehr dem EuGH vorgelegt. 1383   Daran hat der Gesetzgeber auch bei Umsetzung der VRRL 2011/83 festgehalten; hierzu Riehm, NJW 2014, 2065, 2066. 1384   Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1418; Ernst, ZRP 2001, 1, 9.

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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Abweichung von den Richtlinienvorgaben für unschädlich. Eine Schlechterstellung des Verbrauchers sei, so die Regierungsbegründung, damit nicht verbunden. § 323 Abs. 1 BGB gebe dem Verbraucher vielmehr die Möglichkeit, die Nacherfüllungsfrist selbst zu bestimmen.1385 Dem ist nicht zu folgen. Die Vorschrift gibt dem Verbraucher kein „Mehr“ an Rechten, sondern unterschreitet das von der Richtlinie vorgegebene Mindestschutzniveau. Setzt der Verbraucher keine Frist, so kann er im Regelfall weder zurücktreten noch mindern. Nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie müsste er in diesem Fall dagegen beide Rechte in Anspruch nehmen können. In der Praxis wird das Problem freilich deutlich entschärft. Denn nach Ansicht des BGH setzt eine Fristsetzung nicht zwingend die Angabe eines bestimmten Zeitraums oder eines bestimmten Endtermins voraus. Vielmehr genügt die Aufforderung, innerhalb „angemessener Frist“, „unverzüglich“ oder „umgehend“ zu leisten, da hierdurch eine zeitliche Grenze gesetzt werde, die auf Grund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls bestimmbar sei.1386 Damit sind allerdings nicht sämtliche Probleme beseitigt.1387 Da die KaufRL 99/44 überhaupt kein Fristsetzungserfordernis kennt, kann vom Verbraucher auch nicht verlangt werden, dass er eine zeitlich bestimmbare Grenze setzt. Bereits die bloße Aufforderung zur Mängelbeseitigung muss genügen. Das deutsche Recht muss daher bei unterbliebener Fristsetzung richtlinienkonform ausgelegt werden, indem die Fristsetzung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB wegen „besonderer Umstände“ für entbehrlich angesehen wird, wenn die Nacherfüllung trotz Nacherfüllungsverlangens des Verbrauchers nicht innerhalb angemessener Zeit erfolgt.1388 b) Abhilfe mit erheblichen Unannehmlichkeiten: Minderung und Vertragsauflösung trotz erfolgreicher Abhilfe? Nach Art. 3 Abs. 5 Spiegelstrich 3 KaufRL 99/44 kann der Verbraucher von seinem Vertragslösungs- oder Minderungsrecht auch dann Gebrauch machen, „wenn der Verkäufer nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher Abhilfe geschaffen hat“. Wann Unannehmlichkeiten „erheblich“ sind, wird in der Richtlinie nicht definiert. Nach Ansicht von Generalanwältin Trstenjak ist der Begriff weit auszulegen und umfasst neben praktischen Hindernissen bei der Durchführung der Abhilfe jegliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher im Allgemeinen.1389 Nach zutreffender Ansicht ist das Kriterium jedoch aufgrund des Vorrangs der Nacherfüllung enger zu interpretieren. Damit dem Verbraucher die Rechtsbehelfe der zweiten Stufe zur Verfügung stehen, müssen seine Interessen so stark beeinträchtigt werden, dass ein Festhalten am Vertrag für ihn unzumutbar ist.1390 Bloße Belastungen infolge 1385

  BT‑Drucks. 14/6040, S. 222.   BGH, NJW 2009, 3153, 3154, Rn. 10 f. (zu § 281 Abs. 1 BGB). Ablehnend Faust, JZ 2010,

1386

202 ff.

1387

  In diese Richtung jedoch Klein, NJW 2009, 3153, 3155.   Im Ergebnis auch BeckOK BGB/Faust, Ed. 38, Stand 1.8.2014, § 437 Rn. 18; MüKo/St. Lorenz, BGB, 7. Aufl., 2016, Vor § 474 Rn. 21a; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 552; Unberath, ZEuP 2005, 30 ff. Für eine richtlinienkonforme Auslegung von § 440 BGB dagegen die Regierungsbegründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT‑Drucks. 14/6040, S. 222; Leible, in: Gebauer/ Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 10 Rn. 97. 1389   GA Trstenjak, SchlA, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn. 47. Die dortigen Ausführungen beziehen sich freilich auf Art. 3 Abs. 3 UAbs. 3 KaufRL 99/44 und damit auf den Abhilfeanspruch, nicht jedoch auf die sekundären Rechtsbehelfe Minderung und Vertragsauflösung. 1390   Jud, JbJZ 2001, 205, 217. 1388

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der Nacherfüllung reichen daher nicht aus. Eine „erhebliche“ Unannehmlichkeit liegt insbesondere vor, wenn infolge der Nacherfüllungshandlungen das Integritätsinteresse des Verbrauchers verletzt wird, also an weiteren Rechtsgütern des Verbrauchers Schäden entstehen.1391 Daneben dürften aber auch immaterielle Schäden erfasst sein, wie beispielsweise Reparaturlärm oder vertane Freizeit, soweit diese nicht mehr als eine noch hinnehmbare Unbequemlichkeit erscheinen.1392 Nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 5 Spiegelstrich 3 KaufRL 99/44 kann der Verbraucher sein Recht auf Minderung oder Aufhebung auch dann in Anspruch nehmen, wenn die Abhilfe erfolgreich war, aber mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden war.1393 Darin liegt kein Redaktionsversehen,1394 sondern, wie Thomas Pfeiffer nachgewiesen hat, eine bewusste Entscheidung des Richtliniengebers.1395 Auch die Regelungssystematik spricht für diese Sichtweise. Während Spiegelstrich 2 den Fall der noch nicht durchgeführten Abhilfe erfasst, normiert Spiegelstrich 3 die bereits erfolgte Abhilfe.1396 Trotz dieser Vorgaben lehnt ein Teil der Lehre beide sekundären Rechtsbehelfe1397 oder zumindest ein Vertragslösungsrecht1398 des Verbrauchers nach erfolgreich durchgeführter Abhilfe ab. Zur Begründung wird vorgetragen, dass Vertragsauflösung und Minderung nach erfolgter Verbesserung zu einer „doppelten Liquidation“ des Mangels führten, die von der Richtlinie nicht beabsichtigt sei.1399 Eine ungerechtfertigte Bereicherung des Verbrauchers ist indessen nicht zu befürchten, da die Vertragsauflösung letztlich nach allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zur Restitution der wechselseitigen Leistungen führt1400 und im Rahmen der Minderung zwar nicht das Äquivalenzinteresse, wohl aber die Unannehmlichkeiten ausgeglichen werden können, die trotz vollständiger Nacherfüllung entstanden sind.1401 Auch das Argument, ein Vertragslösungsrecht nach ordnungsgemäßer Nacherfüllung diene keinem schützenswerten Interesse des Käufers,1402 vermag nicht zu überzeugen. Indem die KaufRL 99/44 gerade diesen Fall regelt, soll dem Verbraucher ein verschuldensunabhängiges Aufhebungs- und Minderungsrecht für Pflichtverletzungen eingeräumt werden, die jenseits der Äquivalenzstörung liegen.1403 1391

 NK‑BGB/Pfeiffer, Band 2/2, 2012, Art. 3 Kauf-RL Rn. 15.   Schlechtriem, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001, S. 205, 219; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 490 (zur Minderung wegen „erheblicher Unannehmlichkeiten“). 1393   Auch der Wortlaut anderer Sprachfassungen spricht für dieses Verständnis. Vgl. nur die englische, französische und spanische Version, die ebenfalls die Vergangenheitsform verwenden: „if the seller has not completed the remedy“, „si le vendeur n’a pas mis en oeuvre le mode de dédommagement“ bzw. „si el vendedor no hubiera llevado a cabo el saneamiento“. 1394   So die Regierungsbegründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT‑Drucks. 14/6040, S. 223; zweifelnd Tröger, ZEuP 2003, 525, 531 f. 1395   Pfeiffer, ZGS 2002, 390 ff. 1396   So auch Unberath, ZEuP 2005, 5, 26. 1397   Jud, JbJZ 2001, 205, 219 f.; Leible, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 10 Rn. 106. 1398   BeckOK BGB/Faust, Ed. 38, Stand 1.8.2014, § 437 Rn. 24 und § 441 Rn. 30. 1399   Jud, JbJZ 2001, 205, 219 f. 1400   Vgl. nur Schwartze, Europäische Sachmängelgewährleistung beim Warenkauf, 2000, S. 189 ff. 1401  Hierzu infra, § 10 G.III.2. 1402   BeckOK BGB/Faust, Ed. 38, Stand 1.8.2014, § 437 Rn. 24. 1403   Wie hier Schlechtriem, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001, S. 205, 219; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 490 (zur Minderung). 1392

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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Das deutsche Recht trägt diesen Vorgaben nicht Rechnung. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, ein Rücktritts- und Minderungsrecht bei erfolgreicher Nacherfüllung vorzusehen.1404 Angesichts dieser klaren Entscheidung ist fraglich, ob das Umsetzungsdefizit im Wege der richtlinienkonformen Auslegung korrigiert werden kann. Zwar ließe sich ein Rücktrittsrecht aus § 324 BGB herleiten, wenn man in den „erheblichen Unannehmlichkeiten“ eine Verletzung von Nebenpflichten sieht, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils gem. § 241 Abs. 2 BGB Rücksicht zu nehmen.1405 Eine Minderungsmöglichkeit besteht nach geltender Rechtslage dagegen nicht. Die Minderung ist nach § 441 BGB ausschließlich am Wert der Sache ausgerichtet, so dass erhebliche Unannehmlichkeiten nicht berücksichtigt werden können.1406 Ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 trägt den Richtlinienvorgaben ebenfalls nicht ausreichend Rechnung, da dieser im Unterschied zum Minderungsrecht nach der KaufRL 99/44 ein Vertretenmüssen (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB) voraussetzt und zudem keinen Ausgleich für immaterielle Schäden gewährt (§ 253 Abs. 2 BGB).1407 Dementsprechend kann eine richtlinienkonforme Rechtslage nur durch eine Gesetzesänderung geschaffen werden. 2. Minderung Die KaufRL 99/44 lässt offen, wie die Minderung zu berechnen ist. Aus der unbestimmten Formulierung „angemessene Minderung des Kaufpreises“ (Art. 3 Abs. 5 KaufRL 99/44) lässt sich insbesondere nicht erschließen, ob eine „relative“ Berechnung nach dem Verhältnis von Leistung und Gegenleistung oder eine von der WertKaufpreis-Relation unabhängige „absolute“ Berechnung erforderlich ist. Beide Berechnungsarten sind in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen anzutreffen.1408 Ein Teil der Lehre möchte den unbestimmten Rechtsbegriff der „angemessenen“ Minderung unter Rückgriff auf Art. 50 CISG konkretisieren.1409 Dann wäre bei Minderung stets eine verhältnismäßige Kaufpreisreduktion vorzunehmen.1410 Für diesen Ansatz sprechen der Modellcharakter des CISG bei Ausarbeitung der Richtlinie sowie die größere Harmonisierungswirkung, die mit einer CISG-konformen Auslegung der Richtlinie einherginge. Der KaufRL 99/44 lässt sich indessen nicht entnehmen, dass ein Gleichlauf zwischen UN‑Kaufrecht tatsächlich angestrebt wird.1411 Der Umstand, dass der Richtliniengeber im Unterschied zum CISG keine konkrete Berechnungsweise vorgibt, spricht gerade dafür, dass die unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Regelungen nicht vereinheitlicht werden sollten. Näher liegt daher die 1404

  Regierungsbegründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT‑Drucks. 14/6040, S. 223.   Für eine richtlinienkonforme Auslegung des § 324 BGB daher Pfeiffer, ZGS 2002, 390, 392; Unberath, ZEuP 2005, 5, 26 f. Dagegen BeckOK BGB/Faust, Ed. 38, Stand 1.8.2014, § 437 Rn. 24 (Rücktrittsrecht nur „in Extremfällen“); MüKo/St. Lorenz, BGB, 7. Aufl., 2016, Vor § 474 Rn. 22 (Rücktrittsmöglichkeit „im Einzelfall“). 1406  NK‑BGB/Pfeiffer, Band 2/2, 2012, Art. 3 Kauf-RL Rn. 20; Unberath, ZEuP 2005, 5, 27. A. A. Deckenbrock/Dötsch, VuR 2004, 362, 365 (§ 441 BGB analog). 1407   Unberath, ZEuP 2005, 5, 27 f. 1408   Schwartze, Europäische Sachmängelgewährleistung beim Warenkauf, 2000, S. 228 ff. 1409  G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Art. 3 Rn. 71; Schroeter, UN‑Kaufrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 195. Auch Grundmann/Bianca/Bianca, EU‑KaufrechtsRichtlinie, 2002, Art. 3 Rn. 39, befürwortet allein eine proportionale Berechnung. 1410  MüKo/Benicke, HGB, 3. Aufl., 2013, Art. 50 CISG Rn. 8. 1411   Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 478. 1405

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§ 10  Verbraucherrecht

Annahme, dass den Mitgliedstaaten in den Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes ein Ermessenspielraum eingeräumt werden soll.1412 Letztlich müsste aber der EuGH über diese Frage entscheiden. Ist die mangelhafte Sache völlig wertlos, so führt die Minderung (der Vertragsauflösung vergleichbar) zu einer vollständigen Rückzahlung des Kaufpreises. Für das deutsche Recht wird daher vertreten, dass der Käufer (Verbraucher) in diesen Fällen zur Rückgabe der mangelhaften Sache verpflichtet ist.1413 Für die Richtlinienkonformität dieser Rechtsfolge ließe sich anführen, dass der Verbraucher gegen das unionsrechtlich anerkannte Rechtsmissbrauchsverbot1414 verstößt, wenn er den gesamten Kaufpreis zurückfordert, gleichzeitig aber die Sache behalten will.1415 Da die Richt­ linie eine Rückgabe der Kaufsache im Falle der Minderung nicht vorsieht und die allgemeinen Kriterien des Rechtsmissbrauchsverbots einer Kontrolle durch den EuGH unterliegen,1416 bedürfte jedoch auch diese Frage einer Klärung im Wege des Vorab­ ent­scheidungsverfahrens. Besonderheiten gelten, wenn der Verbraucher nach Art. 3 Abs. 5 Spiegelstrich 3 KaufRL 99/44 Minderung trotz erfolgreicher Herstellung des vertragsgemäßen Zustands verlangt. In diesen Konstellationen scheidet eine Kaufpreisminderung nach üblichen Grundsätzen aus, da der Verbraucher im Besitz einer einwandfreien Sache ist. Möglich ist aber, den Kaufpreis in Höhe der erlittenen materiellen und immateriellen Einbußen herabzusetzen. In jedem Fall ist die Minderung jedoch – im Unterschied zu einem Schadensersatzanspruch – auf die Höhe des Kaufpreises beschränkt.1417 3. Vertragsauflösung a) Ausschluss bei geringfügiger Vertragswidrigkeit Nach Art. 3 Abs. 6 KaufRL 99/44 hat der Verbraucher kein Vertragsauflösungsrecht, wenn die Vertragswidrigkeit „geringfügig“ ist. Der Verbraucher ist in diesen Fällen auf den Rechtsbehelf der Minderung beschränkt, wenn Nachbesserung und Ersatzlieferung als vorrangige Rechtsbehelfe wegen Unmöglichkeit oder Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen sind oder die Abhilfe fehlschlägt. Einige Mitgliedstaaten haben sich dessenungeachtet – dem Prinzip der Mindestharmonsierung folgend – gegen eine Umsetzung von Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie entschieden.1418 In diesen Ländern besteht die Möglichkeit der Vertragsauflösung demzufolge in einer größeren Anzahl von Fällen. 1412   Im Ergebnis auch NK‑BGB/Pfeiffer, Band 2/2, 2012, Art. 3 Kauf-RL Rn. 19; Welser/Jud, Zur Reform des Gewährleistungsrechts, 2000, S. 91; Schlechtriem, JZ 1997, 441, 445 (zum Richtlinienentwurf). 1413   Vgl. nur Erman/Grunewald, BGB, 14. Aufl., 2014, § 441 Rn. 6; Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., 2016, § 441 Rn. 16. Auch in Österreich steht der OGH einer Minderung auf Null reserviert gegenüber; vgl. P. Bydlinski, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), ABGB, 3. Aufl., 2010, § 932 ABGB Rn. 20 m. w. N. 1414  Hierzu supra, §  4 E.II. – IV. 1415   Jud, JbJZ 2001, 205, 224 f. 1416  Hierzu supra, § 4 E.II.3. 1417  NK‑BGB/Pfeiffer, Band 2/2, 2012, Art. 3 Kauf-RL Rn. 20. 1418   So in Estland, Portugal, in der Tschechischen Republik sowie im Vereinigten Königreich, vgl. Twigg-Flesner, in: EC Consumer Law Compendium, 2008, S. 407, 434.

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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Wann eine Vertragswidrigkeit „geringfügig“ ist, lässt sich der KaufRL 99/44 nicht entnehmen. Der EuGH konnte sich zu dieser Frage in der Rechtssache Duerte Hueros nicht äußern, da es das spanische Ausgangsgericht versäumt hatte, dem Gerichtshof diese Frage vorzulegen.1419 Aufschlussreich ist zunächst ein Vergleich mit dem UN‑Kaufrecht. Während Art. 49 Abs. 1 lit. a CISG für die Vertragsaufhebung eine „wesentliche“ Vertragsverletzung verlangt, schließt die Richtlinie diese erst aus, wenn die Vertragswidrigkeit „geringfügig“ ist. Bereits die sprachliche Abweichung verdeutlicht, dass an eine Vertragsauflösung nach der KaufRL 99/44 weitaus geringere Anforderungen gestellt werden als nach UN‑Kaufrecht.1420 Eine „wesentliche“ Vertragsverletzung liegt vor, wenn diese für die andere Partei solchen Nachteil zur Folge hat, dass ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten können (Art. 25 CISG). Bei Sachmängeln ist dies in der Regel erst dann der Fall, wenn die Ware praktisch unbrauchbar ist.1421 Dem Begriff der „geringfügigen“ Vertragswidrigkeit lässt sich demgegenüber entnehmen, dass eine Vertragsauflösung nur bei Sachmängeln ausgeschlossen sein soll, die kein sonderliches Gewicht haben und die Verwendung der Sache nur geringfügig einschränken.1422 Art. 49 Abs. 1 lit. a CISG und Art. 3 Abs. 6 KaufRL 99/44 verfolgen darüber hinaus unterschiedliche Regelungszwecke. Das CISG will eine Auflösung des Vertrags nur als ultima ratio zulassen,1423 da eine Rückabwicklung des Vertrags gerade beim internationalen Warenhandel mit hohen Kosten und Risiken für die Ware verbunden ist. Art. 3 Abs. 6 KaufRL ist demgegenüber als Ausnahme formuliert. Die Richtlinie räumt dem Verbraucher grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen Minderung und Vertragswidrigkeit ein. Wird der Verbraucher auf sein Minderungsrecht beschränkt, wird er zur Abnahme einer vertragswidrigen Kaufsache gezwungen. Dies ist beim Verbrauchsgüterkauf nicht gerechtfertigt, denn der Verbraucher hat im Unterschied zum gewerblichen Käufer regelmäßig keine Möglichkeit, eine mangelhafte Kaufsache am Markt zu verwerten. Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie schließt das Vertragsauflösungsrecht daher erst dann aus, wenn das Leistungsinteresse des Verbrauchers trotz Sachmangel nur geringfügig beeinträchtigt wird. Kärungsbedürftig ist, inwieweit bei Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „geringfügigen“ Vertragswidrigkeit die Interessen des Verkäufers berücksichtigt werden können. Ein Teil der Lehre will allein auf die Interessen des Verbrauchers abstellen.1424 Nach dieser Ansicht liegt die Funktion des Art. 3 Abs. 6 KaufRL 99/44 in der „Gewährleistung eines Reurechtsausschlusses als Ausfluss des Verbots des Rechtsmissbrauchs“.1425 Eine „geringfügige“ Vertragswidrigkeit soll erst dann vorliegen, wenn auf der Grundlage objektiver Auslegungsregeln zwar eine Vertragswidrigkeit anzunehmen wäre, das subjektive Verwendungs- und Leistungsinteresse des Käufers im konkreten Fall aber unter keinem Gesichtspunkt gestört sei. Überwie1419

  Aus diesem Grunde kritisch GA Kokott, SchlA, Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros) Rn. 57.   Wie hier BGH, NJW 2014, 3229, 3233, Rn. 48 – 51; Faber, ZEuP 2006, 676, 693 f.; G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Art. 3 Rn. 76. Für eine identische Bedeutung dagegen Grundmann/ Bianca/Bianca, EU‑Kaufrechts-Richtlinie, 2002, Art. 3 Rn. 45; Jud, JbJZ 2001, 205, 223. 1421   Vgl. nur Schlechtriem/Schwenzer/Schlechtriem, Kommentar zum einheitlichen UN‑Kaufrecht, 4. Aufl., 2004, Art. 25 Rn. 20 ff. m. w. N. zur Rechtsprechung. 1422  G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Art. 3 Rn. 76. 1423   So auch BGH, NJW 2014, 3229, 3233, Rn. 50. 1424   Korth, GPR 2014, 87 ff. 1425   Korth, GPR 2014, 87, 91. 1420

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§ 10  Verbraucherrecht

gend wird das Tatbestandsmerkmal freilich anders verstanden und eine umfassende Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls für erforderlich gehalten.1426 Für diese Sichtweise spricht – wie auch der österreichische OGH (ohne dem EuGH vorzulegen!) hervorgehoben hat1427 – die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Den Erläuterungen zum Gemeinsamen Standpunkt lässt sich entnehmen, dass der Ausschluss des Vertragsauflösungsrechts vor dem Hintergrund des Prinzips der Verhältnismäßigkeit zu sehen ist, das nach Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 KaufRL 99/44 darüber entscheidet, ob der Verkäufer die vom Verbraucher gewählte Form der Abhilfe verweigern kann.1428 Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sind auch die finanziellen Nachteile zu berücksichtigen, die eine Vertragsauflösung für den Verkäufer im Vergleich zur Preisminderung mit sich bringt.1429 Weitergehend stellt sich die Frage, ob die Geringfügigkeit nach quantitativen und/ oder qualitativen Kriterien zu ermitteln ist. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung erlaubt keine eindeutigen Rückschlüsse, da die unterschiedlichen Sprachfassungen der Richtlinie sowohl in die eine als auch andere Richtung deuten.1430 Jedoch ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung, dass ein bloß quantitativer Vergleich zwischen erbrachter und geschuldeter Leistung nicht ausreichen kann. Da die KaufRL 99/44 mit ihrem Tatbestand der Vertragswidrigkeit an die autonome Vereinbarung der Parteien über die Beschaffenheit der Kaufsache anknüpft, muss es auch bei der Frage der Gewichtung dieses Mangels im Hinblick auf die Rechtsbehelfe darauf ankommen, wie wichtig die Mangelfreiheit für den Verbraucher ist: Ergibt sich aus dem Vertrag ein besonderes Interesse des Verbrauchers daran, dass die Sache gerade in der betreffenden Hinsicht vertragsgemäß ist, sind selbst unerhebliche Abweichungen nicht mehr „geringfügig“.1431 In diesem Sinne geht der BGH zu Recht davon aus, dass bei einer Abweichung von einer Beschaffenheitsvereinbarung i. S. v. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB die Erheblichkeit des Mangels normalerweise indiziert ist.1432 Der österreichische OGH will darüber hinaus einen vom Verbraucher (einseitig) deklarierten Erwerbszweck berücksichtigen. Soweit der mit dem Erwerb vom Käufer angestrebte Zweck bei Vertragsabschluss erkennbar war, sei dieser bei der vorzunehmenden Interessenabwägung neben dem objektiven Gewicht des Mangels mit zu berücksichti1426   BGH, NJW-RR 2010, 1289, 1291, Rn. 23; NJW 2014, 3229 f., Rn. 16; OGH, Beschluss v. 24.5.2005, 1 Ob 14/05y; vertiefend Faber, ZEuP 2006, 676, 683 ff. 1427   OGH, Beschluss v. 24.5.2005, 1 Ob 14/05y, mit Verweis auf Faber, Handbuch zum neuen Gewährleistungsrecht, 2001, S. 132. Vgl. auch Baldus, Binnenkonkurrenz, 1999, S. 30 mit Fn. 60. 1428  Erläuterungen zu Art. 3 des Gemeinsamen Standpunkts des Rates Nr. 51/98, ABl. 1998 C 333/46, 53: „Im Sinne dieser Verhältnismäßigkeit hat er [der Rat] die Auflösung von Verträgen in Fällen geringfügiger Vertragswidrigkeit ausgeschlossen“. 1429  Näher Faber, ZEuP 2006, 676, 683 ff. 1430  Vgl. Baldus, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, 2006, S. 1, 15, mit dem Hinweis, dass in der deutschen, englischen, französischen und italienischen Fassung („geringfügig“, „minor“, „mineur“, „minore“) eher der Komparativ dominiere, während die spanische und portugiesische Version („de escasa importancia“, „insignificante“) eher qualitativ klinge. 1431   Wie hier Faber, ZEuP 2006, 676, 691 f., mit Hinweis darauf, dass schon der Wortlaut des Art. 3 Abs. 6 KaufRL 99/44 von der Geringfügigkeit der „Vertragswidrigkeit“ spricht; Korth, GPR 2014, 87, 89. 1432   BGH, NJW-RR 2010, 1289, 1291, Rn. 23; NJW 2013, 1365, 1366, Rn. 16; NJW 2014, 3229, Rn. 14.

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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gen.1433 Dies überzeugt, denn auch nach der Richtlinie ist für die Bestimmung der Vertragsgemäßheit nicht nur eine Übereinstimmung des Verbrauchsguts mit der getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung, sondern nach Art. 2 Abs. 2 lit. b zudem entscheidend, ob sich das Verbrauchsgut für einen bestimmten vom Verbraucher angestrebten Zweck eignet, den der Verbraucher dem Verkäufer bei Vertragsschluss zur Kenntnis gebracht hat und dem der Verkäufer zugestimmt hat. Für die Auslegung des Tatbestandes der „geringfügigen“ Vertragswidrigkeit muss es ferner, wie im Schrifttum zu Recht hervorgehoben wird, darauf ankommen, ob der Mangel behebbar ist. Unbehebbare Mängel sind zumeist nicht geringfügig, da dem Verbraucher nicht zugemutet werden kann, sich mit einer mangelhaften Sache zufrieden zu geben.1434 In Deutschland stellen die Gerichte darüber hinaus auf quantitative Kriterien ab. Nach Ansicht des BGH ist bei einem behebbaren Mangel von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB in der Regel nicht mehr auszugehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von 5 % des Kaufpreises übersteigt.1435 Ob der EuGH dem folgen würde, ist ungewiss. Soweit ersichtlich, haben Gerichte anderer Mitgliedstaaten eine solche Faustformel bislang nicht entwickelt. Zwar bestand für den BGH keine Vorlagepflicht, da der Beseitigungsaufwand im konkreten Fall nicht unter der 5 %-Grenze lag.1436 Sollten die deutschen Gerichte einen Rücktritt des Verbrauchers unter Verweis auf diese Hürde ausschließen, müsste der EuGH jedoch in jedem Fall angerufen werden. b) Folgen der Vertragsauflösung Die KaufRL 99/44 regelt nicht die Rechtsfolgen der Vertragsauflösung, sondern stellt diese in das Ermessen der Mitgliedstaaten. Nach ErwGr (13) der Richtlinie können die „Regelungen über die Modalitäten der Vertragsauflösung“ im innerstaatlichen Recht festgelegt werden. Die Mitgliedstaaten können insbesondere vorsehen, „dass eine dem Verbraucher zu leistende Erstattung gemindert werden kann, um der Benutzung der Ware Rechnung zu tragen, die durch den Verbraucher seit ihrer Lieferung erfolgt ist“. Im Unterschied zur Ersatzlieferung1437 ist es daher bei der Vertragsauflösung unionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn im einzelstaatlichen Recht dem Verkäufer ein Anspruch auf Nutzungsersatz einräumt wird.1438 1433   OGH, 21.7.2005, 8 Ob 63/05 f; bestätigt durch OGH, 29.8.2013, 1 Ob 106/13i. Anders noch OGH, 24.5.2005, 1 Ob 14/05y: „Im Rahmen des konkreten Vertragsverhältnisses haben auf diese Weise bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Vertragsauflösung objektive Gesichtspunkte nicht nur subsidiär, sondern primär Berücksichtigung zu finden.“; Herv. hinzugefügt. 1434   BeckOK BGB/Faust, Ed. 38, Stand 1.8.2014, § 437 Rn. 26; vgl. auch BGH, NJW 2008, 53, 55, Rn. 23. Wirkt sich der unbehebbare Mangel allein in finanzieller Hinsicht aus (z. B. in Form eines merkantilen Minderwerts), kann dieser allerdings nach BGH, NJW 2008, 1517, Rn. 22, dennoch „unerheblich“ bzw. „geringfügig“ sein. 1435   BGH, NJW 2014, 3229. 1436   Faust, JZ 2015, 149, 152; Riehm, GPR 2014, 309, 310 f. Entscheidungserheblich und damit vorlagepflichtig war demgegenüber die in BGH, NJW 2005, 3490, 3493, angenommene Unerheblichkeit i. S. d. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB, weil die Kosten der Mangelbeseitigung bei knapp 1 % des Kaufpreises lagen. Vgl. auch BGH, NJW 2011, 2872, 2874, Rn. 19 ff. 1437  Dazu supra, § 10 G.II.4.b. 1438   Vgl. EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn. 39.

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§ 10  Verbraucherrecht

Wie Störungen im Rückabwicklungsverhältnis bewältigt werden, fällt ebenfalls in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Nach dem Effektivitätsgrundsatz dürfen die einzelstaatlichen Rückabwicklungsvorschriften allerdings nicht dazu führen, dass das Recht zur Vertragsauflösung praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert wird.1439 Problematisch ist daher der vollständige Ausschluss des Vertragsauflösungsrechts in Fällen, in denen der Verbraucher aufgrund eigenen Verhaltens dafür gesorgt hat, dass die Kaufsache nicht mehr herausgegeben werden kann. Derartige Ausschlusstatbestände sind in einigen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu finden.1440 So bestimmt beispielsweise § 323 Abs. 6 BGB, dass ein Rücktritt ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger (Käufer, Verbraucher) für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. Der Verbraucher kann demzufolge nicht zurücktreten, wenn die gekaufte Ware während der Nacherfüllungszeit durch sein Verhalten untergeht. Die KaufRL 99/44 kennt keinen derartigen Ausschlussgrund. Die Richtlinie schließt Gewährleistungsrechte nach Art. 2 Abs. 3 lediglich in den seltenen Fällen aus, in denen die Vertragswidrigkeit auf einen vom Verbraucher gelieferten Stoff zurückzuführen ist. Teile des Schrifttums halten § 323 Abs. 6 BGB daher für richtlinienwidrig.1441 Andere sehen in der Vorschrift eine Ausprägung des allgemeinen Verbots widersprüchlichen Verhaltens und betonen, dass dieser Grundsatz auch im Unionsrecht in Form des Rechtsmissbrauchsverbots anerkannt ist.1442 Dies allein berechtigt die nationalen Gerichte aber noch nicht, von der Richtlinienkonformität der Vorschrift auszugehen. Da allein der EuGH über die allgemeinen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchsverbots entscheiden kann, bedarf die Frage vielmehr einer Klärung durch den Gerichtshof.

IV. Unionsrechtliche Vorgaben für das nationale Gerichtsverfahren 1. Allgemeine Grundsätze Die KaufRL 99/44 enthält keine geschriebenen Vorgaben für das nationale Gerichtsverfahren. Grenzen der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie ergeben sich jedoch aus dem Effektivitätsgrundsatz sowie aus dem Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz. Die Mitgliedstaaten müssen auch bei Ausgestaltung des Verfahrensrechts dafür sorgen, dass die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte ausreichend geschützt werden. Vorschriften des nationalen Prozessrechts, die auf die

1439  NK‑BGB/Pfeiffer, Band 2/2, 2012, Art. 3 Kauf-RL Rn. 17; G/H/Magnus, 40. Aufl., 2009, Bd. III, A 15, Art. 3 Rn. 76. 1440   Vgl. den vor Umsetzung der KaufRL 99/44 erstellten rechtsvergleichenden Überblick bei Schwartze, Europäische Sachmängelgewährleistung beim Warenkauf, 2000, S. 195 ff. 1441   Gsell, JZ 2001, 65, 70 f.; Hoffmann, ZRP 2001, 347, 350. 1442   Fest, ZGS 2006, 173, 177. Nach a. A. folgt die Richtlinienkonformität aus einem Erst-rechtSchluss: Da Rechte des Verbrauchers ausgeschlossen sind, wenn der Mangel auf einen von ihm gelieferten Stoff zurückgeht, müssten sie erst recht ausgeschlossen sein, wenn er unmittelbar für den Mangel verantwortlich sei; so MüKo/St. Lorenz, BGB, 7. Aufl., 2016, Vor § 474 Rn. 14; ähnlich (allerdings nicht für den Fall der voreiligen Selbstvornahme) BeckOK BGB/Faust, Ed. 38, Stand: 1.8.2014, § 437 Rn. 40. Für Richtlinienkonformität auch Leible, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 10 Rn. 103.

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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Durchsetzung richtlinienbegründeter Rechtspositionen in negativer Weise Einfluss nehmen, unterliegen daher einer Kontrolle durch den EuGH.1443 2. Berücksichtigung der Richtlinienvorgaben von Amts wegen? Der EuGH hat in einer Reihe von Entscheidungen den Grundsatz entwickelt, dass die Parteiherrschaft und richterliche Passivität (nach deutscher Terminologie also der Dispositions- und Beibringungsgrundsatz) im Verbraucherrecht durch Eingreifen der nationalen Gerichte von Amts wegen in bestimmten Fällen durchbrochen werden müssen, um dem effet utile des Unionsrechts bzw. dem Effektivitäts- und Äquivalenzgebot Rechnung zu tragen.1444 Die meisten Rechtssachen betrafen dabei in der Vergangenheit die Klausel-RL 93/13. In der Rechtssache Duarte Hueros1445 stellte sich erstmals das Problem, ob diese Grundsätze auf die KaufRL 99/44 übertragen werden können. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Verbraucher ein mangelhaftes Verbrauchsgut erworben. Nachdem der Mangel trotz mehrfacher Reparaturversuche nicht beseitigt werden konnte, klagte er auf Vertragsauflösung und Rückzahlung des Kaufpreises. Während des Verfahrens kam das angerufene spanische Gericht zu dem Schluss, dass eine Vertragssauflösung wegen Geringfügigkeit der Vertragswidrigkeit gem. Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie nicht in Betracht kam.1446 Nach den Rechtsausführungen des spanischen Gerichts kann der Richter keine Minderung zusprechen, da diese vom Kläger vorab nicht (hilfsweise) beantragt worden war. Nach spanischem Zivilprozessrecht sei der Kläger auch nicht berechtigt, seinen ursprünglichen Antrag zu ändern, noch, eine neue Klage zu diesem Zweck zu erheben. Der EuGH sah darin einen Verstoß gegen das Effektivitätsgebot. Zwar enthalte die KaufRL 99/44 keine Bestimmung, derzufolge das nationale Gericht verpflichtet wäre, dem Verbraucher eine angemessene Minderung des Kaufpreises von Amts wegen zuzusprechen.1447 Das spanische Zivilprozessrecht erschwere dem Verbraucher jedoch übermäßig die Durchsetzung seiner durch die Richtlinie garantierten Rechte. Es bestehe die Gefahr, dass der betroffene Verbraucher – sei es wegen des besonders strengen Erfordernisses der Übereinstimmung mit dem Hauptantrag oder weil er den Umfang seiner Rechte nicht kenne oder nicht richtig erfasse – keinen Hilfsantrag stelle.1448 Eine Verfahrensregelung, die dem nationalen Gericht nicht erlaube, von Amts wegen den Anspruch des Verbrauchers auf angemessene Minderung des

1443   Dies betrifft beispielsweise die bereits diskutierte Regelung des englischen Kaufrechts, die dem Gericht die Befugnis einräumt, vom Antrag des Klägers abzuweichen, wenn es dies für angemessen hält; hierzu supra, § 10 G.II.2. 1444   Der EuGH stützt sich in seinen Urteilen zur Klausel-RL 93/13 teils auf eine am effet utile orientierte Auslegung von Art. 6 Klausel-RL 93/13, teils verweist er aber auch auf den Grundsatz der Verfahrensautonomie (nebst Einschränkungen durch das Äquivalenz- und Effektivitätsgebot), um die ex-officio-Pflicht der nationalen Gerichte für bestimmte Verfahrensarten wiederum zu relativieren; vgl. supra, § 10 F.II.5. 1445   EuGH, Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros). 1446   Diese Auffassung sowie die insoweit unterbliebene Vorlage an den EuGH wurden zu Recht kritisiert; vgl. nur GA Kokott, SchlA, Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros) Rn. 57; Korth, GPR 2014, 87 ff. 1447   EuGH, Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros) Rn. 29. 1448   EuGH, Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros) Rn. 38 mit Verweis auf EuGH, Rs. C‑415/11 (Aziz) Rn. 58 (zur Klausel-RL 93/13).

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§ 10  Verbraucherrecht

Kaufpreises zuzuerkennen, obwohl dieser weder berechtigt sei, seinen ursprünglichen Antrag zu präzisieren, noch, eine neue Klage zu diesem Zweck zu erheben, sei geeignet, die Effektivität des vom Unionsgesetzgeber angestrebten Verbraucherschutzes zu beeinträchtigen. Vom Verbraucher dürfe nicht verlangt werden, dass er bereits vorab die Schwere der Vertragswidrigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zutreffend einschätze.1449 Der Gerichtshof hat damit den ersten Schritt vollzogen, um die zur KlauselRL 93/13 entwickelten Grundsätze auf die KaufRL 99/44 zu übertragen.1450 Unbeantwortet bleibt, ob der nationale Richter – wie nach der Rechtsprechung zur Klausel-RL 93/13 – verpflichtet ist, die Vorschriften der KaufRL 99/44 von Amts wegen zu prüfen und anzuwenden, sobald er über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt.1451 Für eine Pflicht zur Prüfung von Amts wegen spricht das vom Gerichtshof aufgestellte Leitbild des rechtsunkundigen Verbrauchers,1452 der sich aufgrund seines geringeren Informationsstands gegenüber dem Unternehmer in einer schwächeren Position befindet und daher vor allem über die Rechtslage aufzuklären ist. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob die nationalen Gerichte die Pflicht haben, dem Verbraucher von Amts wegen einen bestimmten Rechtsbehelf zuzusprechen. Eine solche Pflicht ist mit Generalanwältin Kokott eindeutig abzulehnen.1453 Zum einen gesteht die KaufRL 99/44 dem Verbraucher ausdrücklich die Möglichkeit zu, zwischen den verschiedenen Rechtsbehelfen zu wählen. Diese Wahlmöglichkeit wäre eingeschränkt, wenn das Gericht von Amts wegen (unabhängig vom konkreten Klageantrag) einen aus seiner Sicht „angemessenen“ Rechtsbehelf zuspräche. Zum anderen würde eine solche Pflicht den Dispositionsgrundsatz in unverhältnismäßiger Weise einschränken. Aus dem Gebot effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes kann gerade nicht abgeleitet werden, dass der völlig untätig gebliebene Verbraucher zu schützen ist.1454 Zur wirksamen Durchsetzung der Rechtsbehelfe der KaufRL 99/44 muss es daher ausreichen, wenn das nationale Prozessrecht dem Verbraucher – wie im deutschen Recht (vgl. § 263 ZPO) – die Möglichkeit der Klageänderung zur Verfügung stellt. Besteht diese, so muss das nationale Gericht durch entsprechende Hinweis‑, Frage- und Aufklärungspflichten bei der Stellung geeigneter Anträge behilflich sein.1455 Einschränkend verlangt der aus Art. 47 GRC folgende Grundsatz des kon­ tradiktorischen Verfahrens, dass in einem solchen Fall beide Parteien die Möglichkeit haben, über die streitigen Punkte zu verhandeln und die erforderlichen Anträge zu 1449

  Vgl. EuGH, Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros) Rn. 40.   Vgl. auch das kürzlich ergangene Urteil EuGH, Rs. C‑497/13 (Faber).   Tendenziell gegen eine Übertragung der Rechtsprechung GA Kokott, SchlA, Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros) Rn. 43, 44, 48, mit dem Argument, dass die Klausel-RL 93/13 die schlechtere Position ausgleichen wolle, in der sich der Verbraucher bei Vertragsabschluss befinde, während die KaufRL 99/44 nur die Durchführung eines bereits geschlossenen Vertrags betreffe. Dagegen aber zu Recht GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑497/13 (Faber) Rn. 66, mit dem Hinweis, dass in beiden Fällen eine Ungleichheit bzgl. des Informationsstands bestehen könne. 1452  Hierzu supra, § 4 C.III.2.f. 1453   GA Kokott, SchlA, Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros) Rn. 40 ff. Für eine Pflicht zur Minderung von Amts wegen dagegen S. Jansen, CMLR 2014, 975, 985 ff., 990. 1454   So zur Klausel-RL 93/13 EuGH, Rs. C‑40/08 (Asturcom) Rn. 33 f. Vgl. auch GA Wahl, SchlA, Rs. C‑482/12 (Macinský und Macinská) Rn. 79. 1455   Vgl. zur Klausel-RL 93/13 EuGH, Rs. C‑472/11 (Banif Plus) Rn.  29 – 36. 1450

1451

G. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter

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stellen.1456 Erweist sich der vom Verbraucher geltend gemachte Rechtsbehelf als unbegründet, so muss also einerseits für ihn die Möglichkeit bestehen, nach entsprechender gerichtlicher Aufklärung den „richtigen“ Rechtsbehelf geltend zu machen.1457 Andererseits muss der Gegenseite aber die Gelegenheit eingeräumt werden, sich zu der jeweiligen Frage nochmals zu äußern und ggf. selbst nochmals einen Antrag zu stellen. Diese Überlegungen machen deutlich, dass die Rechtsprechung zur KlauselRL 93/13 nicht automatisch auf die KaufRL 99/44 übertragen werden kann. Vielmehr muss der Gerichtshof, wie Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen zur Rechtssache Faber1458 zu Recht hervorhebt, bei jeder Vorschrift der Richtlinie jeweils im Einzelfall entscheiden, ob und in welchem Umfang das Erfordernis der ex officioPrüfung und Anwendung verbraucherschützender Vorschriften gilt.

V. Ergebnis Der EuGH hat die in der KaufRL 99/44 normierten Rechtsbehelfe in den Entscheidungen Quelle und Gebr. Weber & Putz unter Verweis auf den effet utile sehr verbraucherfreundlich interpretiert. Der Verbraucher darf im Rahmen der Nacherfüllung weder mit Transportkosten noch mit Nutzungsersatz- oder Bereicherungsansprüchen des Verkäufers belastet werden. Ganz allgemein formuliert der Gerichtshof im Fall Quelle,1459 dass „jede finanzielle Forderung“ des Verkäufers im Rahmen der Erfüllung seiner Verpflichtung zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands ausgeschlossen ist. Hat der Verbraucher das erworbene Verbrauchsgut gutgläubig und bestimmungsgemäß eingebaut, muss der Verkäufer nach dem Urteil Gebr. Weber & Putz1460 darüber hinaus im Rahmen der Ersatzlieferung die eingebaute Sache entweder selbst ausbauen und die ersatzweise gelieferte mangelfreie Sache einbauen oder wenigstens die Aus- und Einbaukosten tragen, auch wenn er keine Kenntnis vom Mangel haben konnte. Der Gerichtshof gesteht dem Verkäufer auch nicht das Recht zu, die Abhilfe allein deswegen zu verweigern, weil diese gemessen am Wert der Sache unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht. In methodischer Hinsicht ist das Gebr. Weber & Putz-Urteil zu Recht auf scharfe Kritik gestoßen. Obwohl die KaufRL 99/44 vertragliche Schadensersatzansprüche nicht regelt und diese in ihrem Art. 8 ausdrücklich dem mitgliedstaatlichen Recht unterstellt, leitete der EuGH aus dem Rechtsbehelf der Abhilfe einen verschuldens­ unabhängigen Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz von Folgekosten in den Einbaufällen ab.1461 Der Fall unterscheidet sich damit grundlegend von vielen anderen 1456   Vgl. zur Klausel-RL 93/13 EuGH, Rs. C‑472/11 (Banif Plus) Rn. 29 f.; sowie zur KaufRL 99/44 GA Kokott, SchlA, Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros) Rn. 53. 1457   Dies betrifft nicht nur das Verhältnis von (unberechtigt geltend gemachter) Vertragsauflösung zur Minderung, sondern nach richtiger Ansicht jeden Rechtsbehelf, den der Verbraucher klageweise geltend macht, ohne wissen zu können, dass dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Die Möglichkeit zur Klageänderung und die Pflicht zur richterlichen Aufklärung müssen daher auch dann bestehen, wenn der Verbraucher einen Rechtsbehelf der ersten Stufe (z. B. Ersatzlieferung) einklagt, aber erst während des Prozesses festgestellt werden kann, dass dieser nach Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 – 2 KaufRL 99/44 wegen Unmöglichkeit oder Unverhältnismäßigkeit ausscheidet. 1458   GA Sharpston, SchlA, Rs. C‑497/13 (Faber) Rn. 71. 1459   EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle) Rn. 34. 1460   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz). 1461  Hierzu supra, § 10 G.II.5.a.

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Urteilen, in denen der EuGH darauf bedacht war, dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Rechnung zu tragen.1462 Das Urteil lässt sich dennoch nicht als Beleg für die verbreitete These anführen, dass der Gerichtshof den effet utile im Privatrecht eindimensional anwendet. Der EuGH betont vielmehr, dass zwischen den Belangen des Verbrauchers und Unternehmers ein Gleichgewicht hergestellt werden muss:1463 „In diesem Rahmen ist zu unterstreichen, dass Art. 3 [KaufRL 99/44] einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Verbrauchers und denen des Verkäufers herstellen soll, indem er dem Verbraucher als schwächerer Vertragspartei einen umfassenden und wirksamen Schutz dagegen gewährt, dass der Verkäufer seine wesentlichen Verpflichtungen schlecht erfüllt, und zugleich erlaubt, vom Verkäufer angeführte wirtschaftliche Überlegungen zu berücksichtigen.“

Auf der Grundlage dieser Prämissen gestattet der EuGH den einzelstaatlichen Gerichten, den Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz der Aus- und Einbaukosten auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen. Diese Vorgehensweise ist zwar in methodischer Hinsicht sehr fragwürdig.1464 Sie belegt nichtsdestotrotz, dass der Gerichtshof bei Anwendung des effet utile im Privatrecht zumindest darum bemüht ist, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Vertragsparteien herzustellen.1465 Obwohl der EuGH die Rechtsbehelfe des Verbrauchers bei Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter in einigen Rechtssachen bereits in weitem Umfang konkretisiert hat, sind in der Praxis immer noch viele Fragen zur Abhilfe, Minderung und Vertragsauflösung ungeklärt. Die Untersuchung hat insoweit gezeigt, dass das deutsche Umsetzungsrecht an vielen Stellen eindeutig gegen die Richtlinie verstößt1466 oder jedenfalls Zweifel an der Richtlinienkonformität der betreffenden Vorschriften bzw. ihrer Auslegung durch den BGH bestehen.1467 Angesichts der weitreichenden Vorgaben, die der Gerichtshof in den Rechtssachen Quelle und Gebr. Weber & Putz für das materielle Recht und im Fall Duarte Hueros für die prozessuale Durchsetzung der verbraucherschützenden Rechtspositionen entwickelt hat, müssen die einzelstaatlichen Gerichte dem EuGH die Gelegenheit geben, seine effet utile-Rechtsprechung weiter zu präzisieren. Die methodische und inhaltliche Kritik am Gebr. Weber & Putz-Urteil ändert daran nichts. Da der EuGH in dieser Entscheidung – gemessen an den vom BVerfG im Honeywell-Beschluss entwickelten Kriterien1468 – nicht die (verfassungsrechtlichen) Grenzen der Rechtsfortbildung überschritten hat,1469 sind auch die deutschen Gerichte an die Vorgaben des Gerichtshofs gebunden. 1462

  So auch Johnston/Unberath, CMLR 2012, 793, 806.   EuGH, verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz) Rn. 75; Herv. hinzugefügt. 1464  Vgl. supra, § 10 G.II.5.b. 1465   Vgl. auch Reich, General Principles of EU Civil Law, 2014, S. 108, 132 ff. („principle of balancing“ als allgemeiner Grundsatz des EU Privatrechts). 1466   Dies betrifft insb. das in § 323 Abs. 1 BGB vorgesehene Fristsetzungserfordernis (hierzu supra, § 10 G.III.1.a.) sowie die nicht vorgesehene Möglichkeit von Minderung/Vertragsauflösung trotz erfolgreicher Abhilfe (hierzu supra, § 10 G.III.1.b.). 1467   Dies gilt für: Wertersatzansprüche des Verkäufers im Rahmen der Ersatzlieferung (supra, § 10 G.II.4.b.); Ort der Abhilfehandlungen (supra, § 10 G.II.6.a.); Ausschluss sämtlicher Gewährleistungsrechte bei voreiliger Selbstvornahme (supra, § 10 G.II.6.b.); Auslegung des Merkmals der „geringfügigen“ Vertragswidrigkeit (supra, § 10 G.III.3.a.). Daneben ist ungeklärt, welche weiteren mangelbedingten Folgeschäden als Modalität des Abhilfeanspruchs nach der Richtlinie noch ersatzfähig sein müssen (supra, § 10 G.II.6.c.). 1468   BVerfGE 126, 286 = NJW 2010, 3422 (Honeywell). Hierzu supra, § 5 A.IV.4.b.dd. 1469   Wie hier Kaiser, JZ 2011, 978, 984. 1463

H. Zusammenfassung und Thesen

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Überraschend ist, dass die einzelstaatlichen Gerichte bislang nur in sehr wenigen Fällen ein Vorabentscheidungsverfahren zur Auslegung der Richtlinie eingeleitet haben. Obwohl die Richtlinie seit dem 1. Januar 2002 zu beachten ist und das Kaufrecht ohne Zweifel in jedem Mitgliedstaat eine große praktische Bedeutung aufweist, konnte sich der EuGH bis Mitte 2016 nur in vier Urteilen zur Auslegung der Richtlinie äußern.1470 Die mangelnde Vorlagebereitschaft in diesem Bereich ist ein weiterer Beleg dafür, dass Verstöße gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV einer effektiveren Sanktionierung bedürften und das Vorlageverfahren selbst dringend revidiert werden müsste.1471

H. Zusammenfassung und Thesen Entwicklung des Verbraucherrechts 1.  Das europäische Verbraucherrecht hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu einem eigenständigen Rechtsgebiet verdichtet. Neben das klassische Verbraucherrecht treten seit Anfang des neuen Milleniums verstärkt Rechtsakte, die nicht nur natürliche, zu privaten Zwecken handelnde Personen schützen, sondern sämtliche Kunden (Fahrgäste, Anleger, Versicherungsnehmer, Nutzer), die bestimmte Dienstleistungen in Anspruch nehmen, ohne dass es auf eine Privatnützigkeit ankäme.1472 Daran zeigt sich, dass das Europäische Vertragsrecht zunehmend asymmetrische Verträge regelt, um den Kunden als „schwächere Partei“ zu schützen. Bislang bleibt diese Entwicklung aber auf spezielle Dienstleistungen im europäischen Reiserecht, im Finanzdienstleistungsrecht sowie im Telekommunikations- und Energierecht beschränkt. Die das Vertragsrecht der Mitgliedstaaten besonders dominierenden Rechtsakte, wie die Klausel-RL 93/13, die KaufRL 99/44 sowie die VRRL 2011/83, legen nach wie vor einen traditionellen Verbraucherbegriff zugrunde. Inwieweit verbraucherschützende Richtlinien – über ihren engen Anwendungsbereich hinaus – eine Wirkung auf das allgemeine Obligationenrecht entfalten, hängt dementsprechend davon ab, in welchem Umfang die Mitgliedstaaten die betreffenden Vorgaben in ihre nationale Zivilrechtsordnung integriert und überschießend umgesetzt haben.1473 2. Kennzeichnend für die seit dem Jahre 2001 von der Europäischen Kommission verfolgten neuen Strategie1474 ist zum einen ein Wechsel von der Mindest- zur Vollharmonisierung. Zum anderen versucht die Kommission, die im Verbraucherrecht bislang überwiegend erlassenen sektorspezifischen Richtlinien zugunsten eines horizontalen Ansatzes zu überwinden. Beide Ansätze konnten bis heute nicht in vollem Umfang verwirklicht werden. Die neue VRRL 2011/83 ist keine Horizontalrichtlinie, sondern im Vergleich zur ursprünglich angestrebten Revision des Verbraucherrechts ein Torso. Auch das Prinzip der Vollharmonisierung konnte sich nicht durchsetzen, was sich insbesondere an den Regelungen zur Rechtsdurchsetzung zeigt. Vollharmonisierende Richtlinien basieren im Verbraucherrecht überwiegend auf dem Modell 1470   EuGH, Rs. C‑404/06 (Quelle); verb. Rs. C‑65 & 87/09 (Gebr. Weber & Putz); Rs. C‑32/12 (Duarte Hueros); Rs. C‑497/13 (Faber). 1471  Hierzu supra, § 5 B.I. und § 5 B.II.5. 1472  Vgl. supra, §  10 B.V.2.a. – d. 1473  Vgl. supra, § 10 B.V.3. 1474  Vgl. supra, § 10 B.III.1.

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der „targeted (full) harmonisation“:1475 Während viele Verhaltenspflichten vollständig harmonisiert worden sind, werden die Rechtsbehelfe und Sanktionen nur zum Teil und gerade nicht abschließend geregelt. Das Modell der Vollharmonisierung wird damit grundsätzlich in Frage gestellt. Da die betreffenden Richtlinien nur die Verhaltensgebote, nicht aber die Rechtsfolgen (voll) harmonisieren, können sie letztlich nicht dazu beitragen, die durch unterschiedliche Rechtsvorschriften verursachten Wettbewerbsverzerrungen und Hemmnisse für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts vollständig abzubauen. Durchsetzung des Verbraucherrechts im Allgemeinen 3. Rechtsvergleichend betrachtet greifen die Mitgliedstaaten bei Umsetzung verbraucherschützender Richtlinien auf unterschiedliche Formen der Rechtsdurchsetzung zurück, um zu gewährleisten, dass Verstöße gegen verbraucherschützende Normen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ verfolgt werden. Dies zeigt sich im Bereich der privaten Rechtsdurchsetzung nicht nur an unterschiedlich ausgestalteten individuellen Rechtsbehelfen, sondern auch an kollektiven Schadensersatzklagen (Gruppenklagen, Verbandsklagen, Musterverfahren), die im letzten Jahrzehnt in vielen Mitgliedstaaten neu eingeführt wurden, dabei aber von Land zu Land erheblich variieren.1476 Da auf europäischer Ebene bislang keine Harmonisierung auf diesem Gebiet stattgefunden hat, gibt es im Grunde genommen, wie die Europäische Kommission selbst einräumt, „so viele Formen der Schadensersatzklage wie es Mitgliedstaaten gibt: Es gibt keine zwei nationale[n] Systeme, die gleich wären“.1477 4.  Erhebliche Divergenzen zeigen sich auch bei der Frage, ob das Verbraucherrecht durch öffentlich-rechtliche Sanktionen durchgesetzt wird. Während einige wenige Mitgliedstaaten (Deutschland, Österreich) vornehmlich auf ein private enforcement durch Einzelne und Verbände setzen, kann in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten ein Verstoß gegen das Verbraucherrecht zusätzlich durch administrative, teils sogar durch strafrechtliche Sanktionen geahndet werden.1478 Die CPC-VO 2006/2004 könnte insoweit zu einem Paradigmenwechsel führen, als die dort vorgesehene behördliche Sanktionierung innergemeinschaftlicher Verstöße mittelfristig den politischen Druck erhöht, auch rein innerstaatliche Verstöße mit den Mitteln des Verwaltungsrechts in denjenigen Ländern zu sanktionieren, die bislang am Modell der rein privaten Rechtsdurchsetzung festhalten.1479 5. Für das deutsche Verbraucherrecht stellt sich das Problem, ob die bestehenden Rechtsdurchsetzungsmechanismen ausreichen, um der Forderung nach „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionen Rechnung zu tragen. Problematisch ist, dass im deutschen Recht auch nach der UWG-Novelle 2004 keine effektiven Instrumente für die Bewältigung von Streu- bzw. Bagatellschäden zur Verfügung stehen.1480 Zur Schließung dieser Sanktionslücke bietet sich einerseits an, den in § 10 UWG vorgesehenen Gewinnabschöpfungsanspruch effektiver zu gestalten. Daneben 1475

  Zu diesem Konzept supra, § 4 C.II.4.  Vgl. supra, § 10 C.I.3. 1477  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Öffentliche Konsultation, Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, SEK (2011) 173 endg., S. 4. 1478  Vgl. supra, § 10 C.II.2. und § 10 C.III. 1479  Vgl. supra, § 10 C.II.1. 1480  Vgl. supra, § 10 C.IV.2. 1476

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sollte generell darüber nachgedacht werden, die Durchsetzung verbraucherschützender Normen nicht nur in die Hände von Privaten, sondern auch von Behörden zu legen.1481 Eine Verschärfung oder Einführung strafrechtlicher Sanktionen unterhalb des Betrugstatbestands bei Verletzung wirtschaftlicher Verbraucherinteressen ist demgegenüber abzulehnen.1482 Nicht nur ist das Strafrecht ultimum remedium. Auch aus Effektivitätsgründen stößt eine Sanktionierung mit den Mitteln des Strafrechts aufgrund rechtsstaatlicher Garantien (Bestimmtheitsgrundsatz, Unschuldsvermutung, etc.) schnell an ihre Grenzen. 6. Über die klassische Rechtsdurchsetzung hinaus werden mit der ADRRL 2013/11 und der ODR-VO 524/2013 in Zukunft außergerichtliche Formen der Streitbeilegung im Verbraucherrecht an Bedeutung gewinnen. Diese Entwicklung stößt auf Bedenken. Die betreffenden Rechtsakte treffen keine ausreichenden Vorkehrungen dagegen, dass die dem Verbraucher durch das Unionsrecht zugewiesenen Rechte in außergerichtlichen Verfahren der Streitbeilegung entzogen werden.1483 Dies steht im Widerspruch zum Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 47 GRC) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH. Die ADRRL 2013/11 bedarf daher einer primärrechtskonformen Auslegung dahingehend, dass dem Verbraucher die erforderlichen Rechtsbehelfe eingeräumt werden müssen, um Entscheidungen einer ADR-Stelle gerichtlich nachprüfen zu lassen. Vorvertragliche Informationspflichten 7. Vorvertragliche Informationspflichten gehören zum Kernbestandteil des Europäischen Verbraucherrechts. Obwohl das von der Europäischen Union favorisierte Informationsmodell bereits seit geraumer Zeit in der Kritik steht, berücksichtigen selbst neuere Richtlinien nicht hinreichend, dass sich wachsende Informationsfülle für den Verbraucher in der Regel kontraproduktiv auf den Entscheidungsprozess auswirkt.1484 Hier besteht Änderungsbedarf. Informationspflichten sollten auf Unionsebene nicht nur kohärenter geregelt werden,1485 sondern, soweit möglich, in ihrem Umfang zurückgeschnitten werden, damit dem Verbraucher eine informierte Auswahlentscheidung anhand präziser und griffiger Informationen ermöglicht wird. 8. Die sich bei einem Informationspflichtenverstoß ergebenden Rechtsfolgen werden derzeit in allen einschlägigen Richtlinien nur rudimentär und zudem in inkohärenter Weise geregelt.1486 Der EuGH hat bislang nicht dazu beigetragen, die Rechtsbehelfe zu konkretisieren. Daher stellt sich die Frage, inwieweit Rechtsfolgen, die in einer spezifischen Richtlinie angeordnet sind, auf andere Richtlinien übertragen werden können. Gleichzeitig ist auszuloten, ob aus dem effet utile Zivilrechtsfolgen abgeleitet werden können, die über die bestehenden Regelungen hinausgehen.1487 Nach hier vertretener Ansicht sind die untersuchten Informationspflichten (auch) dem Vertragsrecht zuzuordnen. Da die meisten Richtlinien einen unmittelbaren Bezug der Informationspflichten zum Vertragsverhältnis zwischen Unternehmer und Verbrau1481

 Vgl. supra, § 10 C.IV.3.  Vgl. supra, § 10 C.IV.4. 1483  Vgl. supra, § 10 C.I.4.b. 1484  Vgl. supra, § 10 D.I.2. 1485   Zur Systematisierung der verbraucherrechtlichen Informationspflichten supra, § 10 D.II. 1486  Vgl. supra, § 10 D.III. 1487  Vgl. supra, § 10 D.IV.1. 1482

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cher herstellen, muss ein Verstoß (auch) zivilrechtliche Rechtsbehelfe zugunsten des Verbrauchers auslösen. 9. Bei einem Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten kommen ganz unterschiedliche Rechtsfolgen bzw. Rechtsbehelfe in Betracht. Die Verletzung vorvertraglicher Pflichten kann sich je nach Gegenstand der Information auf das Zustandekommen des Vertrags, dessen Wirksamkeit oder dessen Inhalt auswirken. Ein Verstoß führt in der Regel nicht dazu, dass das Zustandekommen des Vertrags vereitelt wird, da die Grundzüge des Vertragsprogramms zumeist im Wege der Auslegung bestimmt werden können.1488 Eine absolute Nichtigkeit des Vertrags bei unterlassener Information ist weder im Unionsrecht vorgesehen, noch darf eine solche Rechtsfolge im mitgliedstaatlichen Recht angeordnet werden, da der Verbraucher selbst entscheiden können muss, ob er an dem Vertrag festhält oder nicht.1489 Ein Verstoß gegen Informationspflichten kann sich insbesondere auf den Inhalt eines abgeschlossenen Vertrags auswirken.1490 Einerseits wird der Verbraucher in der Regel nicht an ungünstige Vertragsbedingungen gebunden, wenn der Unternehmer eine hierauf bezogene Pflichtinformation unterlassen hat. Andererseits ist dem Unionsrecht der allgemeine Rechtsgrundsatz zu entnehmen, dass unzutreffende, für den Verbraucher günstige vorvertragliche Informationen Vertragsbestandteil werden. Daneben sind Vertragslösungsrechte erforderlich, wenn die unterlassene oder unzutreffende Information eine schwerwiegende Willensstörung verursacht, die die konkrete Vertragsentscheidung des Verbrauchers beeinflusst hat oder typischerweise wesentlich beeinflusst.1491 Schließlich kann dem Unionsrecht der allgemeine Grundsatz entnommen werden, dass bei einem Verstoß Schadensersatzansprüche dem Grunde nach gewährt werden müssen.1492 Welcher dieser Rechtsfolgen eingreift und welcher Rechtsbehelf im konkreten Fall zur Verfügung steht, lässt sich nicht generalisierend für alle Informationspflichtverstöße bestimmen. 10.  Zur Durchsetzung der Informationspflichten ist es in besonderem Maße erforderlich, individuelle Rechtsbehelfe durch überindividuelle Sanktionen, insbesondere durch kollektive Rechtsbehelfe und eine behördliche Aufsicht zu verstärken.1493 Widerrufsrechte 11. Der Erlass der VRRL 2011/83 hat nicht zu einer Vereinheitlichung der verbraucherschützenden Widerrufsrechte geführt. Sowohl die Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen des Widerrufs weichen von Richtlinie zu Richtlinie voneinander ab.1494 Die derzeitige Zersplitterung führt nicht nur zu offensichtlichen Wertungswidersprüchen und Abgrenzungsproblemen, sondern stellt den nationalen Gesetzgeber angesichts der Vollharmonisierung zudem vor die kaum lösbare Aufgabe, die europäischen Vorgaben in systematischer Weise in das nationale Recht zu integrieren. Allein eine unionsweite Harmonisierung könnte diesen Missstand beheben. 1488

 Vgl. supra, § 10 D.IV.2.  Vgl. supra, § 10 D.IV.2.c. 1490  Vgl. supra, § 10 D.IV.3. 1491  Vgl. supra, § 10 D.IV.5. 1492  Vgl. supra, § 10 D.IV.6. 1493  Vgl. supra, § 10 D.V.2. 1494  Vgl. supra, § 10 E.I.1. und § 10 E.II. – IV. 1489

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12. Ob Widerrufsrechte tatsächlich geeignet sind, nach Vertragsschluss eine präferenzkonforme Entscheidung für oder gegen die Geltung eines Vertrags zu ermöglichen, ist nicht nur in rechtstatsächlicher Hinsicht zweifelhaft.1495 Auch die rechtliche Ausgestaltung des Widerrufsrechts dürfte dafür verantwortlich sein, dass das Widerrufsrecht in der Praxis nur selten ausgeübt wird.1496 Die (vollharmonisierende) VRRL 2011/83 hat das Verbraucherschutzniveau gegenüber früheren Richtlinien erheblich zurückgeschnitten: Zum einen wird die Widerrufsfrist – im Unterschied zu vielen anderen Richtlinien – nur an die Erfüllung der Widerrufsbelehrungspflichten, nicht aber an den Erhalt der sonstigen Informationen geknüpft, und zudem – in Abkehr von der Heininger-Rechtsprechung – durch eine Maximalfrist zeitlich begrenzt.1497 Damit entfällt ein wichtiges Mittel zur Sanktionierung von Informationspflichtverstößen. Zum anderen droht der in der VRRL 2011/83 angeordnete Ausschluss des Widerrufs bei ausgeführten Dienstleistungen die Effektivität des Widerrufsrechts zu untergraben.1498 Dieser Rechtszustand ist nicht haltbar. Wenn dem Verbraucher in besonderen Vertragsabschlusssituationen und bei bestimmten Verträgen ein Vertragslösungsrecht eingeräumt werden soll, dann muss dieses in rechtlicher Hinsicht auch wirksam ausgestaltet werden. Grundsätzlich positiv zu bewerten ist demgegenüber, dass die neue VRRL 2011/83 die Rechtsfolgen eines Widerrufs sehr viel ausführlicher als frühere Richtlinien regelt, und damit zahlreiche Fragen, die in der Praxis ungeklärt waren, beseitigt. Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Vertragsklauseln 13. Kaum ein anderes Teilrechtsgebiet wird im Verbraucherrecht derzeit so intensiv durch die effet utile-Rechtsprechung des EuGH geprägt, wie die Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Vertragsklauseln nach der Klausel-RL 93/13. Zwar hat der EuGH bislang davon abgesehen, die Maßstäbe für die Inhaltskontrolle vorformulierter Klauseln zu präzisieren, auch wenn jüngere Urteile auf eine Trendwende hindeuten.1499 Für die Rechtsdurchsetzung hat der Gerichtshof dagegen weitreichende Vorgaben aufgestellt. Im Bereich der Rechtsfolgen wird nahezu jeder Aspekt durch unionsrechtliche Kriterien determiniert, angefangen vom Konzept der „Unverbindlichkeit“ missbräuchlicher und intransparenter Klauseln, über das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion und die Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung, bis zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag ohne die missbräuchliche Klausel fortbestehen kann.1500 14. Besonders weitgehende Anforderungen hat der EuGH mit seiner Forderung entwickelt, dass das einzelstaatliche Gericht im Individualverfahren dazu verpflichtet ist, die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen zu prüfen, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt.1501 Daneben hat der Gerichtshof die Effektivität abstrakter Kontrollverfahren durch die Vorgabe gestärkt, dass Unterlassungsurteile eine Bindungswirkung für nachfolgende 1495

  Zur sog. Nachentscheidungsdissonanz supra, § 10 E.I.2.   Zu den geringen Ausübungsquoten supra, § 10 E.I.2. 1497  Vgl. supra, §  10 E.II.1.c. – d. 1498  Vgl. supra, § 10 E.III.3. 1499  Vgl. supra, §  10 F.II.2. – 3. 1500  Vgl. supra, § 10 F.II.4. und § 10 F.III.2. 1501  Vgl. supra, § 10 F.II.5. 1496

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Individualprozesse entfalten.1502 Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten wird daher im Bereich der Klausel-RL 93/13 weitgehend eingeschränkt. 15. Die vom EuGH aufgestellten Vorgaben zur verfahrensrechtlichen Durchsetzung der Klausel-RL 93/13 stehen im Kontext einer größeren Entwicklung. Der Gerichtshof begreift das Prozessrecht nicht als bloßen Annex zum individuellen Recht, sondern als selbständige Materie, die im Verbraucherrecht mit materiellen Wertungen (Leitbild des rechtsunkundigen Verbrauchers) aufgeladen wird. Seine Rechtfertigung findet die verstärkte Kontrolle der nationalen Prozessrechte darin, dass seit dem Lissabon-Vertrag in Art. 47 GRC justizielle Grundrechte verbürgt werden, mit denen positiv ein vom Gerichtshof zu bestimmender Rechtsschutzstandard im Anwendungsbereich des Unionsrechts etabliert werden kann. Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter 16. Die KaufRL 99/44 fordert im Unterschied zu vielen anderen Richtlinien nicht nur „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ Sanktionen, sondern in ihrem Art. 3 ausdifferenzierte Rechtsbehelfe des Verbrauchers bei Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen sind trotz Umsetzung der Richtlinie aufgrund der Mindestharmonisierung dennoch so groß, dass nicht von einem einheitlichen Kaufrecht in Europa gesprochen werden kann.1503 17. Dessenungeachtet hat der EuGH in mehreren Urteilen deutlich die Bereitschaft erkennen lassen, die in der Richtlinie verankerten Rechtsbehelfe weiter auszuformen. Im Fall Gebr. Weber & Putz wurde im Wege der Rechtsfortbildung sogar ein gänzlich neuer verschuldensunabhängiger Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz bestimmter mangelbedingter Folgekosten entwickelt, obwohl die Richtlinie Schadensersatzansprüche ausdrücklich dem nationalen Recht unterstellt.1504 Die an diesem Urteil geäußerte Kritik ist zwar in methodischer Hinsicht berechtigt. Die Entscheidung lässt sich dennoch nicht als Beleg für die verbreitete Ansicht anführen, dass der EuGH den effet utile im Privatrecht eindimensional anwendet: Ausgehend von der These, dass Art. 3 der Richtlinie einen „gerechten Ausgleich“ zwischen den Belangen des Verbrauchers und Unternehmers herstellen will, gestattet der Gerichtshof den nationalen Gerichten, den Kostenerstattungsanspruch auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen.1505 18.  Angesichts der weitreichenden Vorgaben, die der EuGH aufgestellt hat, stellen sich viele Folgefragen, die nicht nur den Abhilfeanspruch des Verbrauchers,1506 sondern auch das Recht zur Minderung und Vertragsauflösung1507 sowie das grundsätzliche Problem betreffen, inwieweit dem Verbraucher – über die in der Gebr. Weber & Putz-Entscheidung für ersatzfähig erachteten Kosten hinaus – ein verschuldensunabhängiger Anspruch auf Ersatz weiterer mangelbedingter Folgeschäden zustehen muss.1508 1502

 Vgl. supra, § 10 F.IV.3.b.  Vgl. supra, § 10 G.I. 1504  Vgl. supra, § 10 G.II.5.a. 1505  Vgl. supra, § 10 G.II.5.b. und § 10 G.VI. 1506  Vgl. supra, § 10 G.II.4.b. und § 10 G.II.6. 1507  Vgl. supra, § 10 G.III. 1508  Vgl. supra, § 10 G.II.6.c. 1503

H. Zusammenfassung und Thesen

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19. Auch die prozessuale Durchsetzung der KaufRL 99/44 wird durch unionsrechtliche Vorgaben determiniert. Neuere Urteile des EuGH deuten darauf hin, dass die nationalen Gerichte verpflichtet sind, die betreffenden Umsetzungsvorschriften von Amts wegen zu prüfen. Die Rechtsprechung des EuGH zur Klausel-RL 93/13 kann dennoch nicht automatisch auf die KaufRL 99/44 übertragen werden. Vielmehr ist bei jeder Vorschrift im Einzelfall zu entscheiden, ob und in welchem Umfang das Erfordernis der ex officio-Prüfung und Anwendung verbraucherschützender Vorschriften gilt.1509 20. Überraschend ist, dass die nationalen Gerichte bislang nur wenige Vorabent­ scheidungsverfahren zur KaufRL 99/44 eingeleitet haben. Obwohl die Richtlinie seit dem 1. Januar 2002 in jedem Mitgliedstaat zu beachten ist, konnte sich der EuGH bis Mitte 2016 nur in vier Urteilen zur Auslegung der Richtlinie äußern.1510 Zwischenfazit 21. Lässt man den acquis communautaire und die hierzu ergangene EuGH-Rechtsprechung Revue passieren, so bietet sich ein sehr heterogenes Bild. Die individuellen Rechte des Verbrauchers werden trotz angestrebter Revision des Verbraucherrechts immer noch weitgehend inkohärent und unvollständig geregelt. Zwar hat der EuGH versucht, die sich bei einem Verstoß gegen verbraucherschützende Vorschriften ergebenden Rechtsfolgen durch eine am effet utile orientierte Auslegung und eine Anwendung des Äquivalenz- und Effektivitätsgebots zu konkretisieren. Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch nur auf diejenigen Teilfragen, die Gegenstand des jeweiligen Vorabentscheidungsersuchens waren. Daran wird sich nichts ändern, zumal bestimmte Lücken im Sekundärrecht angesichts bewusster Nichtregelung auch in Zukunft nicht im Wege der Rechtsfortbildung durch den EuGH geschlossen werden können.

1509

 Vgl. supra, § 10 G.IV.2.  Vgl. supra, § 10 G.V.

1510

4. Teil

Schlussbetrachtung und Zusammenfassung

§ 11  Perspektiven der Harmonisierung Fragt man nach den Perspektiven einer weiteren Harmonisierung, so ist zunächst auszuloten, ob tatsächlich Bedarf besteht, die zur Durchsetzung des Unionsrechts erforderlichen Rechtsbehelfe und Sanktionen auf europäischer Ebene konkreter als bislang auszugestalten (A.). Vor diesem Hintergrund kann der Frage nachgegangen werden, in welchem Umfang der Unionsgesetzgeber die Kompetenz hat, materiellrechtliche Regelungen durch Vorschriften zur Rechtsdurchsetzung zu flankieren (B.).

A. Harmonisierungsbedarf I. Status quo In einigen Bereichen ist die Harmonisierung bereits weit vorangeschritten. Dies gilt vor allem für das EU‑Wettbewerbsrecht. Nachdem der EuGH einen kartelldeliktischen Schadensersatzanspruch nicht nur dem Grunde nach gefordert, sondern auch die Anforderungen an die Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen in einer Reihe von Entscheidungen konkretisiert hatte, werden diese Vorgaben nunmehr durch die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 kodifiziert und in materiell- sowie prozessrechtlicher Hinsicht präzisiert.1 Der Anwendungsbereich der Richtlinie beschränkt sich allerdings auf individuelle Schadensersatzklagen. Sonstige Zivilrechtsfolgen, die sich bei einem Verstoß gegen das EU‑Wettbewerbsrecht ergeben können (Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen und hieran anknüpfende Rückabwicklungsansprüche, Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche, einstweilige Verfügung, kollektive Schadensersatzklagen sowie sonstige Kollektivklagen) liegen außerhalb ihres Anwendungsbereichs.2 Die Richtlinie erfasst damit nur einen Ausschnitt möglicher privater Ansprüche.3 Für sonstige Verstöße gegen das Primärrecht sind die Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen demgegenüber weitestgehend ungeklärt. So hat der EuGH bislang davon abgesehen, die bei einem Verstoß Privater gegen Grundfreiheiten eintreten1

  Supra, § 7 C.   Zum Harmonisierungsbedarf in diesen Bereichen supra, § 7 B.V. sowie § 7 C.X. und § 7 D.IV. 3   Auch die administrativen Befugnisse der nationalen Wettbewerbsbehörden sind bislang nicht harmonisiert worden. Nach EuGH, Rs. C‑681/11 (Schenker & Co. u. a.) Rn. 36, dürfen Sanktionen, die nationale Kartellbehörden in dezentraler Anwendung der Art. 101, 102 AEUV verhängen, allerdings nicht weniger scharf ausfallen als Sanktionen, die in diesen Fällen von der Europäischen Kommission auf der Grundlage der VO 1/2003 verhängt würden. Darüber hinaus erwägt die Europäische Kommission derzeit eine Harmonisierung des nationalen Kartellverfahrens; vgl. Mitteilung der Kommission „Zehn Jahre Kartellrechtsdurchsetzung“, COM (2014) 453 final, S. 9 und S. 14 (Nr. 25 und Nr. 46). Ferner: Commission Staff Working Document, Enhancing competition enforcement by the Member States’ competition authorities: institutional and procedural issues, SWD (2014) 231/2. 2

968

§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

den privatrechtlichen Rechtsfolgen näher zu bestimmen.4 Gleiches gilt für Verstöße gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot (Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV)5 und das Verbot der Entgeltdiskriminierung (Art. 157 AEUV).6 Im sekundärrechtlichen Antidiskriminierungsrecht statuieren die meisten Richtlinien nur dem Grunde nach Schadensersatzansprüche sowie die Nichtigkeit von Bestimmungen in Arbeits- und Tarifverträgen, die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbaren sind.7 Der EuGH hat diese Rechtsbehelfe zum Teil konkretisiert, dennoch bleiben viele Fragen offen.8 Im Europäischen Umweltrecht hat der Gerichtshof wesentlich dazu beigetragen, dass die subjektiv-öffentlichen Rechte des Einzelnen9 und die seit Umsetzung der Aarhus-Konvention in sekundärrechtlichen Richtlinien vorgesehenen Verbandsklagerechte10 gestärkt werden. Eine Harmonisierung der zivilrechtlichen Umwelthaftung ist demgegenüber noch nicht erfolgt. Die Umwelthaftungs-RL 2004/35 distanziert sich ausdrücklich vom Modell einer zivilrechtlichen Umwelthaftung, indem sie die Rechtsgüter Leib, Leben, körperliche Unversehrtheit sowie reine Vermögensschäden von ihrem Anwendungsbereich ausschließt,11 und in Art. 3 Abs. 3 hervorhebt, dass Privatpersonen nach der Richtlinie keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen eines Umweltschadens haben. Bestimmte Nebengebiete sind demgegenüber bereits recht weitgehend angeglichen worden. Für das Vergaberecht werden die subjektiven Rechte der Bieter in der Allgemeinen Rechtsmittel-RL 89/66512 und in der Sektoren-Rechtsmittel-RL 92/1313 geregelt. Beide Richtlinien, die im Jahre 2007 novelliert wurden, sollen eine wirksame und zügige Nachprüfung von Vergabeverfahren gewährleisten. Sie fordern die Einrichtung unabhängiger Nachprüfungsinstanzen, die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes, insbesondere die wirksame Nachprüfung des Vergabeverfahrens im Zeitraum zwischen Zuschlagsentscheidung und Abschluss des betreffenden Vertrags, ergänzt um Stillhaltefristen, und verpflichten die Mitgliedstaaten dazu, bereits abgeschlossene Verträge unter bestimmten Voraussetzungen für unwirksam zu erklären und den durch einen Rechtsverstoß geschädigten Bietern Schadensersatzansprüche einzuräumen. Auch im Immaterialgüterrecht bestehen seit der Durchsetzungs-RL 2004/48 einheitliche europäische Mindestvorgaben für einen effektiven Schutz des geistigen  4

  Supra, § 6 E.V.   Zu den Perspektiven einer Harmonisierung supra, § 8 E.  6   Supra, § 9 B.I.  7   Supra, § 9 C.III. und § 9 C.IV.2.  8   Supra, § 9 C.II.2.  9   Supra, § 2 D.IV.4. und § 3 E.V.2.a. 10   Vgl. Art. 10a UVP-RL 85/337 i. d. F. der RL 2003/35 (jetzt Art. 11 Abs. 1 UVP-RL 2011/92). Hierzu EuGH, Rs. C‑263/08 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening); Rs. C‑115/09 (Trianel Kohlekraftwerk); verb. Rs.  C‑128 – 131 & 134 – 135/09 (Boxus) Rn. 53 ff.; Rs. C‑240/09 (Lesooch­ ranárske zoskupenie – „Slowakischer Braunbär“). 11   Der Anwendungsbereich der RL beschränkt sich auf Umweltschäden i. S. d. Art. 2 Nr. 1, also auf die Schädigung geschützter Arten und natürlicher Lebensräume, von Gewässern und des Bodens. Vgl. ferner ErwGr (14) sowie Anhang II Nr. 1.1.3. i. V. m. Nr. 1 (d) der Umwelthaftungs-RL 2004/35. 12   Allgemeine Rechtsmittel-RL 89/665, geändert durch Richtlinie 92/50, ABl. 1992 L 209/1, und Richtlinie 2007/66, ABl. 2007 L 335/31. 13   Sektoren-Rechtsmittel-RL 92/13, geändert durch Richtlinie 2006/97, ABl. 2006 L 363/107, und Richtlinie 2007/66, ABl. 2007 L 335/31.  5

A. Harmonisierungsbedarf

969

Eigentums. Die Richtlinie enthält nicht nur Regeln zum Schadensersatz (Art. 13), sondern zudem verfahrensrechtliche Vorschriften und Sanktionen, die die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums erleichtern sollen, so insb. Beweisvorlagepflichten des Verletzers (Art. 6), Beweissicherungsverfahren (Art. 7), Auskunftsrechte (Art. 8), bestimmte einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen (Art. 9), Abhilfemaßnahmen (Art. 10), Unterlassungsanordnungen (Art. 11) und Ersatzmaßnahmen (Art. 12), Anforderungen zu den Prozesskosten (Art. 14) sowie zur Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen (Art. 15). Im Europäischen Finanzmarktrecht wurden unter dem Eindruck der Finanzmarktkrise seit dem Jahr 2011 viele Richtlinien überarbeitet, um einen gemeinsamen EU‑Mindeststandard für die Ausgestaltung und Anwendung verwaltungsrechtlicher Sanktionen zu schaffen. Die seitdem erlassenen Sekundärrechtsakte14 enthalten detaillierte Vorschriften in Bezug auf die Sanktionsadressaten, die Art der Verwaltungssanktionen und ‑maßnahmen, die bei ihrer Verhängung zu berücksichtigenden Kriterien, Untergrenzen für Bußgelder sowie die Verpflichtung zur öffentlichen Bekanntmachung von Sanktionen. Schwere Formen des Marktmissbrauchs müssen zudem durch strafrechtliche Sanktionen geahndet werden.15 Die zivilrechtliche Haftung für unterlassene oder unrichtige Kapitalmarktinformationen ist demgegenüber noch nicht harmonisiert worden.16 Der EuGH betont daher, dass ein Verstoß im mitgliedstaatlichen Recht nicht durch zivilrechtliche Rechtsfolgen sanktioniert werden muss,17 und die Mitgliedstaaten im Übrigen bei der Ausgestaltung zivilrechtlicher Ansprüche über einen „weiten Ermessensspielraum“ verfügen.18 Eine Ausnahme bildet die RatingVO 1060/2009, die durch die am 20. Juni 2013 in Kraft getretene VO 462/2013 geändert wurde, und nunmehr in ihrem Art. 35a einen detailliert ausgestalteten Schadensersatzanspruch gegen Ratingagenturen wegen fehlerhafter Ratings vorsieht. Auch diese Norm verweist jedoch hinsichtlich zahlreicher Fragen auf das anwendbare nationale Recht, so z. B. hinsichtlich des Verschuldensmaßstabs sowie zur Frage, welcher Schaden von der Ratingagentur zu ersetzen ist.19 Ähnlich verhält es sich mit der PRIIPVO 1286/2014, die zwar in Art. 11 Abs. 2 eine zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Basisinformationsblätter dem Grunde nach anordnet, andererseits jedoch wesentliche Aspekte der Haftung den Mitgliedstaaten überlässt.20 Zu Recht wird daher konstatiert, dass das europäische Kapitalmarkthaftungsrecht derzeit nur ein Torso ist.21 14   Vgl. Art. 64 – 72 Eigenkapital-RL IV 2013/36; Art. 28 – 29 Transparenz-RL 2004/109 i. d. F. der RL 2013/50; Art. 99 – 99e OGAW-RL 2009/65 i. d. F. der RL 2014/91; Art. 30 – 34 MAR 596/2014; Art.  70 – 73 MiFID  II 2014/65; Art.  58 – 62 Geldwäsche-RL  2015/849; Art.  17 – 22 GeldtransferVO 2015/847. 15   CRIM-MAD 2014/57. 16   Für eine Harmonisierung der Kapitalmarktinformationshaftung Hopt/Voigt, in: dies. (Hrsg.), Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005, S. 1 ff.; Weber, NZG 2004, 360, 366; Hellgardt, AG 2012, 154, 167. Für einen Wettbewerb der Rechtsordnungen dagegen Veil/Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches Kapitalmarktrecht, 2011, § 7 Rn. 24. 17  EuGH, Rs. C‑604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos) Rn. 57 (zur MiFID I 2004/39). 18   EuGH, Rs. C‑174/12 (Hirmann) Rn. 41 (zur MAD 2003/6, Prospekt-RL 2003/71 sowie zur Transparenz-RL 2004/109). 19  Vertiefend Gietzelt/Ungerer, GPR 2013, 333 ff.; Wojcik, NJW 2013, 2385 ff. 20   Vgl. nur Art. 11 Abs. 3 PRIIP-VO 1286/2014. 21   Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 1. Aufl., 2016, § 7 A Rn. 147.

970

§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

Im Europäischen Verbraucherrecht hat selbst der Wechsel von der Mindest- zur Vollharmonisierung nicht zu einer höheren Dichte der Rechtsfolgen sowie der Sanktions- und Verfahrensvorschriften geführt. Vollharmonisierende Richtlinien im Verbraucherrecht basieren überwiegend auf dem Modell der „targeted (full) harmonisation“:22 Während viele Verhaltenspflichten vollständig harmonisiert worden sind, werden die Rechtsbehelfe und Sanktionen nur zum Teil und häufig nicht abschließend geregelt.23 Zwar hat der EuGH versucht, die sich bei einem Verstoß gegen verbraucherschützende Vorschriften ergebenden Rechtsfolgen näher auszuformen. Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch nur auf diejenigen Teilfragen, die Gegenstand des jeweiligen Vorabentscheidungsersuchens waren. Unterlassungsklagen sind bislang nur ansatzweise, kollektive Schadensersatzklagen überhaupt noch nicht harmonisiert worden.24 Die administrative Rechtsdurchsetzung ist nur für innergemeinschaftliche, nicht jedoch für rein innerstaatliche Verstöße harmonisiert worden.25 Die Mitgliedstaaten verfolgen daher ganz unterschiedliche Verbraucherschutzstrategien, um zu gewährleisten, dass Verstöße gegen verbraucherschützende Normen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend verfolgt werden.26 Schließlich ist auch das (Zivil‑)Prozessrecht bislang nicht Gegenstand intensiver Harmonisierungsbemühungen geworden. Die meisten Rechtsakte betreffen das internationale Zivilprozessrecht,27 nicht jedoch das nationale Zivilverfahrensrecht der Mitgliedstaaten. Nur vereinzelt finden sich in neueren Richtlinien und Verordnungen Annexregelungen mit prozessualem Gehalt, die aber (mit Ausnahme der bereits erwähnten Sekundärrechtsakte) zumeist nur punktuell bestimmte Einzelfragen regeln.

II. Stärkung der Effektivität des Unionsrechts Werden im Unionsrecht nur Verhaltensnormen, aber keine konkreten Rechtsfolgen festgelegt, besteht die Gefahr, dass das Unionsrecht nicht effektiv in allen Mitgliedstaaten durchgesetzt und der Harmonisierungserfolg der betreffenden Maßnahmen vereitelt wird. Tatbestand und Rechtsfolge, Verhaltens- und Sanktionsnorm, subjektives Recht und Rechtsschutzgewährleistung sind eng aufeinander bezogen. Die Verbindlichkeit von Ge- oder Verbotsnormen ergibt sich erst aus der Anordnung einer (negativen) Sanktion. Ein subjektives Recht gewinnt erst durch die Rechtsbehelfe an Konturen. Gerade im Privatrecht ist nicht so sehr entscheidend, ob ein bestimmtes Verhalten verboten oder erlaubt ist. Maßgeblich ist vielmehr, welches Verhalten die privaten Rechtssubjekte voneinander verlangen können und worauf ihre Ansprüche gerichtet sind, wenn eine Pflichtverletzung vorliegt.28 Subjektive Rechte entfal22

  Zu diesem Konzept supra, § 4 C.II.4.   Supra, § 10 A.II. und § 10 D.‑G. Eine Ausnahme bilden verbraucherschützende Widerrufsrechte, deren Rechtsfolgen in der VRRL 2011/83 ausführlich und abschließend geregelt werden; vgl. § 10 E.IV. Sonstige Richtlinien, die ebenfalls Widerrufsrechte vorsehen, regeln die Rechtsfolgen dagegen nur rudimentär. 24   Supra, §  10 C.I.2. – 3. 25   Supra, § 10 C.II.1. 26   Supra, § 10 C. 27   So z. B. Brüssel I-VO 1215/2012; Brüssel IIa-VO 2201/2003; Insolvenzverfahrens-VO 1346/ 2000; Beweisaufnahme-VO 1206/2001; Zustellungs-VO 1393/2007; Prozesskostenhilfe-RL 2002/8; VO 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen; Mahnverfahrens-VO 1896/2006; Small Claims VO 861/2007; Mediations-RL 2008/52. 28   So im Kontext der Antidiskriminierungsrichtlinien Basedow, ZEuP 2008, 230, 240. 23

A. Harmonisierungsbedarf

971

ten zudem erst dann ihre volle Wirksamkeit, wenn die Möglichkeit zur klageweisen Durchsetzung nicht bloß auf dem Papier besteht. Der Bedarf nach einheitlichen Mechanismen der Rechtsdurchsetzung ist damit von der erreichten Harmonisierung des materiellen Rechts abhängig: Je intensiver die Harmonisierung auf materiellem Gebiet voranschreitet, desto mehr wächst das Bedürfnis, zur Sicherung der Effektivität dieser Maßnahmen einheitliche Rechtsbehelfe und Sanktionen vorzusehen.29 Sekundärrechtsnormen, die auf eine Vereinheitlichung der Rechtsdurchsetzung zielen, wurden bereits in der Vergangenheit mit dem erreichten materiell-rechtlichen Besitzstand einerseits und Sanktionsdefiziten bei der mitgliedstaatlichen Rechtsdurchsetzung andererseits begründet. Ein Beispiel hierfür bietet das Immaterialgüterrecht. Während die Rechtsangleichung in materiell-rechtlicher Hinsicht bereits weit vorangeschritten war, bestanden in vielen Mitgliedstaaten nur unzureichende Möglichkeiten für einen wirksamen Schutz von Rechten des geistigen und gewerblichen Eigentums.30 Auch die im Europäischen Finanzmarktrecht in den letzten Jahren erfolgte Harmonisierung der administrativen Sanktionen wurde maßgeblich auf Effektivitätserwägungen gestützt. Eine sektorübergreifende Bestandsaufnahme der administrativen Sanktionsbefugnisse ergab, dass die Mitgliedstaaten selbst bei gleichartigen Verstößen sehr unterschiedliche Sanktionen vorsahen.31 Bestimmte Sanktionsbefugnisse, die zur Abschreckung im Finanzsektor besonders geeignet sind (wie z. B. Entzug der Zulassung, Entlassung der Geschäftsleitung oder öffentliche Warnungen), standen in vielen Mitgliedstaaten überhaupt nicht zur Verfügung. Die Höhe der von den Aufsichtsbehörden verhängten Geldstrafen war nicht nur von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat sehr unterschiedlich, sondern in einigen Ländern so niedrig, dass keine ausreichende Abschreckung erzielt werden konnte. Unterschiede ergaben sich auch beim Niveau der Durchsetzung. So wurden in einigen Mitgliedstaaten jahrelang überhaupt keine Sanktionen verhängt. Angesichts dieser Sanktionsdefizite sehen nunmehr alle neuen Sekundärrechtsakte eine Mindestangleichung der nationalen (administrativen) Sanktionen vor.32 Entsprechendes gilt für die private Durchsetzung des EU‑Wettbewerbsrechts. Obwohl der EuGH in seiner Judikatur weitreichende Vorgaben für die Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen aufgestellt hatte, wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für Schadensersatzklagen nur in einigen Mitgliedstaaten aus eigener Initiative verbessert.33 Bereits der Kommissionsvorschlag für eine Kartellschadensersatz-RL hebt daher hervor, dass lediglich weitere Initiativen auf europäischer Ebene einen Rechtsrahmen schaffen können, „der einen wirksamen Rechtsbehelf und das in Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht 29

  Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 81.   Vgl. ErwGr (3), (8) und (9) Durchsetzungs-RL 2004/48; Pressemitteilung der Kommission v. 30.1.2003, IP/03/144, S. 3. 31   Vgl. Mitteilung der Kommission: „Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor“, KOM (2010) 716 endg.; Commission Staff Working Paper, Impact Assessment, Reinforcing sanctioning regimes in the financial services sector, SEC (2010) 1496 final. 32   Vgl. Fn. 14. 33   Zur praktischen Bedeutung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung in der Vergangenheit supra, § 7 A.II.1. 30

972

§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

auf wirksamen Rechtsschutz gewährleistet“.34 Die Erwägungsgründe der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 betonen zudem die Notwendigkeit einer Koordination zwischen behördlicher und privater Rechtsdurchsetzung.35 Könnte jeder Mitgliedstaat frei darüber entscheiden, wie Wertungswidersprüche zwischen beiden Formen der Rechtsdurchsetzung aufzulösen sind,36 bestünde die Gefahr, dass eine wirksame behördliche Durchsetzung seitens der Kommission und der einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden gefährdet wäre. Diese Erwägungen lassen sich mutatis mutandis auf die private Rechtsdurchsetzung im Allgemeinen übertragen. Zum einen ist die private Rechtsdurchsetzung (einschließlich kollektiver Schadensersatzklagen) in vielen Bereichen als komplementäres Steuerungsinstrument unumgänglich, um eine wirksame und abschreckende Sanktionierung von Unionsrechtsverstößen sicherzustellen.37 Die vom EuGH geforderte Stärkung der Rechtsdurchsetzung mit privatrechtlichen Mitteln kann nur gelingen, wenn die Ansprüche auch praktisch durchgesetzt werden können. Zum anderen gebietet das Gebot effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 47 GRC i. V. m. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV), dass die von der Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte in allen Mitgliedstaaten wirksam geschützt werden. Schließlich verlangt der Effektivitätsgrundsatz, dass die Wirksamkeit von Sanktionen einer bestimmten Teilrechtsordnung nicht durch Sanktionen anderer Teilrechtsordnungen konterkariert wird. Erforderlich ist vielmehr ein Konzept, bei dem die einzelnen Rechtsbehelfe und Sanktionen nicht isoliert betrachtet, sondern unter Beachtung des Effektivitätsgebots sowie des Doppelbestrafungsverbots aufeinander abgestimmt werden. Der EuGH hat ebenfalls anerkannt, dass auf dem Gebiet der Rechtsdurchsetzung ein Bedarf zur Rechtsangleichung besteht, wenn nur auf diese Weise eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionierung sichergestellt werden kann.38 Werden Rechtsangleichungsmaßnahmen auf das Effektivitätsgebot gestützt, verlangt der Subsidiaritätsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 EUV) allerdings eine genaue Darlegung der bestehenden Sanktions- und Rechtsschutzdefizite. Es kann nicht pauschal unterstellt werden, dass die Europäische Union automatisch ein effektiveres Sanktions- und Rechtsschutzsystem als die Mitgliedstaaten zur Verfügung stellt. Der Unionsgesetzgeber muss daher konkret begründen, warum eine effektive Rechtsdurchsetzung durch die Mitgliedstaaten nicht ausreichend gewährleistet wird und folglich eine EU‑Maßnahme notwendig und mit einem Mehrwert verbunden ist.39

34   Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, COM (2013) 404 final, S. 13. ErwGr (7) Kartellschadensersatz-RL 2014/104 betont zudem die mit einer uneinheitlichen Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen einhergehende Rechtsunsicherheit. 35   ErwGr (6) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 36  Zum Spannungsverhältnis zwischen behördlicher und privater Kartellrechtsdurchsetzung supra, § 7 C.I.3.b. 37   Supra, § 4 C.V. 38   EuGH, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat  – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 48; Rs. C‑440/05 (Kommission/Rat) Rn. 66. Dazu infra, § 11 B.I. 39   Hierzu auch infra, § 11 B.III.

A. Harmonisierungsbedarf

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III. Abbau von Wettbewerbsverzerrungen Eine Harmonisierung der Rechtsbehelfe, Sanktionen und Verfahren könnte – über Effektivitätserwägungen hinaus – auch auf das rechtsstaatliche Gleichheitsgebot bzw. das Prinzip der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts gestützt werden. Die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgestalteten Rechtsdurchsetzungssysteme widersprechen dem Grundsatz, dass allen Unionsbürgern in der Europäischen Union gleicher Rechtsschutz zu gewähren ist.40 Die bloße Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen rechtfertigt für sich genommen allerdings noch keine Harmonisierung. Rechtseinheit ist nach den Unionsverträgen kein Wert an sich.41 Maßnahmen zur Rechtsangleichung müssen nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV) vielmehr zur Erreichung der in den Verträgen vorgegebenen Ziele notwendig sein. Auch der Schutz der unionsrechtlich begründeten Rechte verlangt daher, wie der Gerichtshof hervorhebt, „nicht unbedingt eine einheitliche, allen Mitgliedstaaten gemeinsame Regelung der formellen und materiellen Voraussetzungen“.42 Einen Bedarf zur Harmonisierung der Rechtsbehelfe, Sanktionen und Verfahren sieht der EuGH erst dann, wenn „die Verschiedenartigkeiten der nationalen Rechtsvorschriften geeignet sind, die Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer der verschiedenen Mitgliedstaaten zu gefährden, Verzerrungen hervorzurufen oder das Funktionieren des gemeinsamen Marktes zu beeinträchtigen“; in diesem Fall sei es „Aufgabe der zuständigen Gemeinschaftsorgane, die erforderlichen Bestimmungen zu erlassen, um diese Unterschiede auszuräumen.“43 Selbst nach diesen Maßgaben ist ein Harmonisierungsbedarf vielfach gegeben. Unterschiedliche Sanktionen und Rechtsbehelfe können zu Wettbewerbsverzerrungen führen und nachteilige Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben.44 Werden gleichartige Wettbewerbshandlungen in einem Mitgliedstaat mit Kriminalstrafe bedroht, in einem anderen mit bloßen Verwaltungssanktionen geahndet und im drit40   So bereits J. Bridge, ELRev 1984, 28, 31 f.; Curtin, CMLR 1990, 709 ff. Aus der Unionsbürgerschaft werden teils ähnliche Forderungen abgeleitet, vgl. nur GA Léger, SchlA, Rs. C‑214/94 (Boukhalfa) Rn. 63: „Wenn man sämtliche Konsequenzen zieht, die mit dem Begriff [der Unionsbürgerschaft; Anm. ME] verbunden sind, müssen alle Unionsbürger unabhängig von ihrer Nationalität genau gleiche Rechte und Pflichten haben. In letzter Konsequenz soll dieser Begriff eine völlige Gleichstellung der Unionsbürger unabhängig von ihrer Nationalität ermöglichen“. Zur Diskussion allgemein Dougan, National Remedies, 2004, S. 86 ff. 41   Streinz, in: Everling/Roth (Hrsg.), Mindestharmonisierung im Europäischen Binnenmarkt, 1997, S. 9, 21. Ferner Grigoleit, AcP 210 (2010), 354, 365; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 24; W.‑H. Roth, EWS 2008, 401, 408. 42  EuGH, Rs. 61/79 (Denkvit Italiana) Rn. 22; ähnlich EuGH, Rs. 811/79 (Ariete) Rn. 16; Rs. 130/79 (Express Dairy Foods) Rn. 12. 43   EuGH, verb. Rs. 205 – 215/82 (Deutsche Milchkontor) Rn. 24. Vgl. auch EuGH, Gutachten 1/94, Rn. 104: Europäische Gemeinschaft hat für die im TRIPS-Übereinkommen vorgesehenen Rechtsbehelfe und Verfahrensvorschriften „mit Sicherheit eine Zuständigkeit für die Harmonisierung der nationalen Vorschriften in diesen Bereichen, soweit sich diese (. . .) unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken“. 44  Allgemein Dougan, National Remedies, 2004, S. 70 ff. Für das Kriminalstrafrecht Böse, Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 71; Dannecker/Bülte, in: Wabnitz/ Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 4. Aufl., 2014, 2. Kap. Rn. 197; Sieber, JZ 1997, 369, 374. Für das Verwaltungsrecht Kahl, NVwZ 1996, 865, 867; Winter, NVwZ 1999, 467, 472. Für das Zivilprozessrecht Schwartze, ERPL 2000, 135 ff.; Vernadaki, Journal of Contemporary European Research 2013, 297, 300.

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§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

ten als nicht sanktionierbares Verhalten gewertet, so entsteht hierdurch ein Sanktionsgefälle, das territorial unterschiedliche Zugangs- und Tätigkeitsbedingungen für die Marktteilnehmer schafft.45 Entsprechendes gilt für die gerichtliche Durchsetzung der im Unionsrecht vorgesehenen Rechte. Ein unterschiedlich ausgestalteter Zugang Dritter zu den Gerichten kann bei Unternehmen einen Antragstourismus dorthin auslösen, wo der Rechtsschutz Dritter am geringsten ist. Wenn etwa die Genehmigung eines Arzneimittels in Deutschland nicht, wohl aber in Frankreich angefochten werden kann, werden Unternehmen zunächst die deutsche, nicht aber die französische Genehmigung beantragen. Können Unternehmen nicht auf eine andere Rechtsordnung ausweichen, werden sie zudem je nach Standort aufgrund divergierender Prozessrisiken mit unterschiedlich hohen Kosten belastet, was sich letztlich auf die Preise und damit auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirkt. Auch eine unterschiedliche Ausgestaltung von Schadensersatzklagen kann zu Wettbewerbsverzerrungen führen.46 Geschädigte wählen zur Durchsetzung ihrer Ansprüche als Gerichtsstand häufig den Mitgliedstaat, in dem sie ansässig sind. Weichen die Bedingungen und Erfolgschancen für die Geltendmachung von Schadensersatzklagen in den Mitgliedstaaten stark voneinander ab, kann der Wettbewerb auf den Märkten, auf denen die Geschädigten und die zuwiderhandelnden Unternehmen tätig sind, spürbar beeinträchtigt werden. Ein unterschiedliches Rechtsschutzniveau kann zu einem Wettbewerbsvorteil für Unternehmen führen, die gegen das Unionsrecht verstoßen, aber ihren Gesellschaftssitz in einem Mitgliedstaat haben, in dem eine Durchsetzung nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist. Umgekehrt werden Unternehmen benachteiligt, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben, in dem besonders effektive Klagemöglichkeiten bestehen. Im Extremfall könnte eine unterschiedliche Ausgestaltung von Schadensersatzklagen Unternehmen sogar davon abhalten, von der Ausübung ihres Niederlassungsrechts oder des Rechts auf freien Waren- und Dienstleistungsverkehr in Mitgliedstaaten Gebrauch zu machen, in denen das Recht auf Schadensersatz besonders wirksam durchgesetzt werden kann.47

IV. Spezifische Probleme bei grenzüberschreitenden Verstößen Nicht vereinheitlichte Rechtsbehelfe und Sanktionen führen im grenzüberschreitenden Verkehr auch zu Koordinationsproblemen.48 Einerseits besteht die Gefahr, dass in grenzüberschreitenden Fällen die jeweiligen nationalen Sanktionsinstrumente kumulativ angewendet werden und eine unverhältnismäßige Vervielfachung der Sanktionen stattfindet. So kann es beispielsweise sein, dass das IPR auf die Vorschriften einer Rechtsordnung verweist, die vornehmlich einem privatrechtlichen Ansatz folgt, gleichzeitig aber auf denselben Sachverhalt infolge der Vorschriften des internationalen öffentlichen Rechts und insbesondere des internationalen Straf- und Verwaltungsrechts zugleich ausländisches Straf- oder Verwaltungsrecht anwendbar ist. Verfolgen sämtliche Sanktionsinstrumente gleichermaßen präventive Zwecke, kommt es zu 45

  Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl., 2015, § 8 Rn. 39.   Vgl. zum Folgenden nur ErwGr (7) – (8) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 47   So ErwGr (8) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 48   Zum Folgenden (zur Durchsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien) Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, 2010, S. 303 ff. 46

A. Harmonisierungsbedarf

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einer Übersanktionierung, die unter dem Gesichtspunkt des Doppelbestrafungsverbots (ne bis in idem) bzw. Verhältnismäßigkeitsprinzips problematisch ist. Die derzeitigen Zuständigkeitsregeln verhindern eine derartige Kumulation von Sanktionen bislang nur unzureichend. Art. 7 Nr. 3 Brüssel I-VO 1215/2012 begründet nur eine zusätzliche internationale Zuständigkeit eines Strafgerichts für solche auf Schadensersatz oder Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands gestützten Zivilklagen, die nach autonomem nationalen Recht zusammen mit einem Strafverfahren vor dem Strafgericht eines Mitgliedstaats verfolgt werden können. Andererseits ist eine Untersanktionierung denkbar, wenn das Zusammenspiel der unterschiedlichen Kollisions- und Sachrechtssysteme dazu führt, dass letztlich keines der nationalen Sanktionssysteme zur Anwendung berufen wird.49 Zu einer Untersanktionierung kommt es schließlich auch dann, wenn Geschädigte oder Verbände aufgrund rechtlicher oder praktischer Schwierigkeiten von einer Durchsetzung ihrer Ansprüche in anderen Mitgliedstaaten Abstand nehmen. Paradigmatisch hierfür ist die grenzüberschreitende Durchsetzung von Schadensersatz- und Unterlassungsklagen, die bislang nur in wenigen Fällen erfolgt. Selbst die UKlaRL 98/27 (jetzt UKlaRL 2009/22), die eine Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen im Ausland verbessern sollte, hat in der Praxis bislang zu sehr wenigen grenzüberschreitenden Prozessen geführt.50

V. Wettbewerb der Rechtsordnungen? Solange die Rechtsschutzsysteme in jedem Land unterschiedlich ausgestaltet sind, verleiten divergierende Prozessrechte zum forum shopping, also dazu, unter mehreren Gerichtsständen denjenigen auszuwählen, der die günstigsten Regeln bereithält. Forum shopping ist nicht per se verwerflich.51 Die Möglichkeit zur Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen und Verfahrensordnungen schafft vielmehr die Voraussetzungen für einen Wettbewerb der Rechtsordnungen,52 der aus rechtsökonomischer Sicht durchaus sinnvoll sein kann. Stehen die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber in einem „regulatorischen Wettbewerb“, in dem jeder Staat darum bemüht ist, den Teilnehmern des Rechtsverkehrs die attraktivsten Regeln anzubieten, kann gerade die Vielfalt der Rechtsschutzsysteme als Chance begriffen werden, um den Wettbewerb als Verfahren zur Entdeckung der besten Lösung zu nutzen. Rechtsvielfalt ist unter dieser Perspektive wünschenswert, weil sich nur so jene Erfahrungen und Problem49   Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, 2010, S. 320 ff., hält einen solchen Fall zumindest im Antidiskriminierungsrecht für wenig wahrscheinlich. 50   Vgl. nur Micklitz/Rott/Docekal/Kolba (Hrsg.), Verbraucherschutz durch Unterlassungsklagen, 2007. Ferner: Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 98/27/EG, KOM (2008) 756 endg.; Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 2009/22/EG, COM (2012) 635 final. Beide Dokumente nennen als Hauptgründe dafür, dass nur selten Unterlassungsklagen in einem anderen Mitgliedstaat erhoben werden, die Kosten der Klageerhebung, die Komplexität und Langwierigkeit des Verfahrens sowie die eingeschränkten Möglichkeiten, die das Unterlassungsverfahren bietet. 51   Siehr, ZfRV 1984, 124. 52   Zu diesem Konzept im Kontext des Europäischen (Privat‑)rechts van den Bergh, Maastricht J. 1994, 337 ff.; ders., Maastricht J. 1998, 129 ff.; Kerber, Fordham International Law Journal 23 (2000), 215 ff.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002; Leible, Wege, 2001, S. 479 ff.; Reich, CMLR 1992, 861 ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 187 ff.

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§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

lösungen herausbilden können, auf die letztlich auch der Unionsgesetzgeber bei der Ausarbeitung von Harmonisierungsmaßnahmen angewiesen ist.53 Derartige Experimente finden derzeit vor allem im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes statt. Gerade in den letzten Jahren sind in einigen Mitgliedstaaten im Wettbewerbsrecht, im Verbraucherrecht sowie im Kapitalmarktrecht neue Formen des kollektiven Rechtsschutzes entstanden, die sich erheblich voneinander unterscheiden.54 Da die Brüssel I-VO 1215/2012 keine speziellen Zuständigkeitsvorschriften für Massenverfahren enthält, besteht gerade für professionelle Kläger ein starker Anreiz in den Ländern zu klagen, in denen attraktive Formen des kollektiven Rechtsschutzes zur Verfügung stehen.55 Ob dadurch tatsächlich ein Wettbewerb der Rechtsordnungen eröffnet wird, der eine weitere Rechtsangleichung entbehrlich macht, muss indessen bezweifelt werden. Angesichts des starken Widerstands, der sich gegen eine Amerikanisierung des Prozessrechts formiert hat,56 besteht in den meisten Mitgliedstaaten kaum die Bereitschaft, zu Lasten der heimischen Wirtschaft „ein europaweites El Dorado für Gruppenklagen“ zu schaffen.57 Auch ansonsten sind Zweifel angebracht, ob ein „Wettbewerb der Verfahrensrechte“ überhaupt funktioniert. Erstens besteht aufgrund zwingender Regelungen58 und beschränkter Mobilität59 vielfach überhaupt keine Möglichkeit, auf eine andere Rechtsordnung auszuweichen. Zweitens besteht bei vielen Akteuren ein Informationsproblem. Einzelne Kläger sowie kleine und mittlere Unternehmen verfügen regelmäßig über keine Ressourcen, um die verschiedenen Instrumente der Rechtsdurchsetzung miteinander vergleichen zu können. Selbst für große Unternehmen und professionelle Kläger dürfte der Aufwand, alle 28 zur Verfügung stehenden Rechtsordnungen in ihren Vor- und Nachteilen bewerten zu lassen, unverhältnismäßig hoch sein. Darüber hinaus ist drittens zu bezweifeln, ob nationale Gesetzgeber überhaupt dazu bereit sind, ihre Rechtsordnung aufgrund rechtsvergleichend gewonnener Erkenntnisse zu verändern. Gerade im Bereich der Rechtsdurchsetzung besteht ein starkes Beharrungsvermögen. Verfahrensrechtliche Traditionen prägen eine Rechtskultur weit stärker, als dies bei einzelnen materiell-rechtlichen Regelungen der Fall ist. Die deutsche ZPO liefert hierfür ein Beispiel. Lange Zeit spielte die Prozessrechtsvergleichung für die innerdeutsche Entwicklung nur eine marginale Rolle; erst mit der zunehmenden Europäisierung ist auch für das deutsche Prozessrecht eine gewisse Öffnung für alternative Regelungsmodelle zu verzeichnen.60

53

  So bereits Kötz, RabelsZ 50 (1986), 1, 12.   Supra, § 7 C.X. und § 10 C.I.3. 55   Für das Kartellrecht vgl. supra, § 7 C.X. 56   Vgl. nur die vom Deutschen Bundestag in seiner 111. Sitzung am 26.5.2011 angenommene Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum kollektiven Rechtsschutz, BT‑Drucks. 17/5956. 57  Treffend Stadler, JZ 2009, 121, 123. 58   Die Möglichkeiten des „forum shopping“ werden durch das vereinheitlichte Recht der internationalen Zuständigkeit (Brüssel I-VO 1215/2012) sowie des Kollisionsrechts (Rom I-VO 593/2008 und Rom II-VO 864/2007) in vielen Bereichen begrenzt. 59   Insbesondere Verbraucher und Arbeitnehmer machen von ihrer Mobilität i. d. R. nur eingeschränkt Gebrauch. Auch die Mobilität von Unternehmen unterliegt vielfältigen Faktoren. Entscheidend für die Wahl eines bestimmten Standorts sind nicht nur rechtliche Regeln, sondern auch Marktzugangsmöglichkeiten, die industrielle Basis, politische Sicherheit sowie zahlreiche weitere nicht regulative Aspekte. 60   Hess, Ritsumeikan Law Review 2010, 191 ff. 54

A. Harmonisierungsbedarf

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Für die Rechtsdurchsetzung durch administrative oder strafrechtliche Maßnahmen sind schließlich die negativen Auswirkungen zu bedenken, die ein „Wettbewerb der Sanktionen“, wenn er denn überhaupt stattfindet, auf das allgemeine Schutzniveau hätte. Eine rigorose Durchsetzung unionsrechtlicher Normen mit den Mitteln des Verwaltungs- oder Strafrechts führt letztlich zu einem Wettbewerbsnachteil der betroffenen Unternehmen, wenn andere Staaten weniger scharf regulieren. Dementsprechend stark ist der Anreiz, einer Abwanderung von Unternehmen vorzubeugen, indem Sanktionsregeln entschärft werden (race to the bottom). Systemwettbewerb kann aus all diesen Gründen nicht als Alternative zur politischen Harmonisierung angesehen werden.

VI. Berücksichtigung nationaler Rechtskulturen Instrumente zur Rechtsdurchsetzung werden in besonderem Maße durch die jeweilige nationale Rechtskultur geprägt.61 Gerade deswegen ist es so schwierig, bei der Aushandlung von Richtlinien oder Verordnungen auf europäischer Ebene eine Einigung über die Rechtsfolgen zu erzielen. Prototypisch für diese Schwierigkeiten ist das Verbraucherrecht. Nicht nur greifen die Mitgliedstaaten zur Durchsetzung verbraucherschützender Vorschriften auf ganz unterschiedliche Sanktionsmittel zurück, die von der privaten Durchsetzung durch Einzelne und Verbände über administrative Maßnahmen und strafrechtliche Sanktionen bis zur Selbstregulierung reichen.62 Auch die einzelnen Verbraucherschutzinstrumente (wie z. B. Vertragslösungsrechte oder Schadensersatzansprüche) divergieren von Land zu Land, da sie zumeist in die allgemeine Rechtsordnung eingebettet bleiben.63 Besonders große Unterschiede zeigen sich im Prozessrecht: beim Gerichtsaufbau, bei der Klagebefugnis, bei der Stellung von Richtern im Prozess, der Prozessführung sowie der Kontrollmaßstäbe und ‑dichte.64 Gerade deswegen ist es häufig einfacher, nur die Verhaltensnormen zu harmonisieren und die Durchsetzung dieser Vorgaben unter den allgemeinen Vorbehalt der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionierung zu stellen. Eine Harmonisierung der Rechtsbehelfe, Sanktionen und Verfahren würde den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten stärker einengen, als dies bislang der Fall ist. Da die Europäische Union Fragen der Rechtsdurchsetzung nicht querschnittsübergreifend, sondern nur für bestimmte Sachbereiche regeln kann, trüge eine solche Harmonisierung zudem zur Rechtszersplitterung sowie zur Herausbildung von Sonderprivat- und Sonderprozessrechten bei. Beide Einwände sind ernst zu nehmen. Aus der Warte der Mitgliedstaaten wird der Regelungsverzicht des Unionsgesetzgebers häufig positiv wahrgenommen, da es ihnen auf diese Weise unbenommen bleibt, den Besonderheiten ihrer nationalen Rechtskultur Rechnung zu tragen. 61   Zur Rechtsschutzkultur als Teil der Rechtskultur Mankowski, JZ 2009, 321, 323; Rott, in: Wilhelmsson/Pannio/Pohjolainen (Hrsg.), Private Law and the Many Cultures of Europe, 2007, S. 305 ff. 62  Hierzu supra, § 10 C. 63   Zu Vertragslösungsrechten und Schadensersatzansprüchen bei Informationspflichtverstößen supra, §  10 D.IV.5. – 6. 64   Vgl. nur Cappelletti/Garth, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XVI, 1987, S. 3, 5 – 13, 23 – 42. Nicht zu verkennen ist andererseits, dass sich die Unterschiede zwischen dem common law und civil law deutlich verringert haben, seit das englische Verfahrensrecht im Jahre 1999 durch die Woolf-Reformen revidiert wurde; dazu G. Wagner, ZEuP 2001, 441, 452 ff. m. w. N.

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§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

Nicht zu verkennen ist auf der anderen Seite, dass dieser Verzicht schwerwiegende Probleme nach sich zieht. Erstens führt das chronische Rechtsfolgendefizit im Unionsrecht dazu, dass bei der Rechtssetzung die Auswirkungen von Rechtsnormen im Binnenmarkt nicht voll abgeschätzt und berücksichtigt werden können.65 Inwieweit eine Norm ihr angestrebtes Ziel (Abbau von Wettbewerbsverzerrungen, Schutz bestimmter Personengruppen, etc.) verwirklichen kann, erschließt sich erst aus den Rechtsfolgen, die an einen Rechtsverstoß geknüpft werden. Eng hiermit verbunden ist zweitens, dass der Harmonisierungserfolg der betreffenden Maßnahme nachhaltig in Frage gestellt wird. Werden an einen identischen Sachverhalt divergierende Rechtsfolgen geknüpft, so führt dies letztlich dazu, dass sich im jeweiligen Rechtsgebiet ein den Schutzstandard unter- oder überschreitendes Schutzniveau etablieren kann. Dies ist insbesondere bei vollharmonisierenden Rechtsakten problematisch.66 Rechtsakte, die auf dem Prinzip der Vollharmonisierung beruhen, wollen eine vollständige Angleichung der Wettbewerbsbedingungen erreichen. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn auch die Rechtsfolgen harmonisiert werden. Anderenfalls könnten die Mitgliedstaaten unter dem Deckmantel der Sanktion missliebige Einzelregelungen eines Rechtsakts korrigieren.67 Drittens können sich die Mitgliedstaaten selbst bei fragmentarischer Harmonisierung der Rechtsfolgen nicht ihrer Verpflichtung entziehen, die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte effektiv zu schützen und Verstöße wirksam, verhältnismäßig und abschreckend zu sanktionieren. Werden die Rechtsfolgen nicht durch den Unionsgesetzgeber selbst festgelegt, muss letztlich der EuGH darüber entscheiden, ob in den Mitgliedstaaten eine effektive Durchsetzung erfolgt. Dies führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit, da ex ante nicht verlässlich abgeschätzt werden kann, welche im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsfolgen und Sanktionen mit dem effet utile bzw. mit dem Effektivitätsgebot vereinbar sind.68 Die gegenwärtige Harmonisierungsstrategie kann auch nicht verhindern, dass es zur Herausbildung sektorspezifischer Regelungen kommt. Nicht nur enthalten einige Sekundärrechtsakte bereits jetzt weitreichende Vorgaben zur Rechtsdurchsetzung, die das nationale Rechtsbehelfssystem zumindest in Randbereichen tiefgreifend verändern.69 Vielmehr ist der Trend zur Herausbildung von Sonderprivatrechten bereits in der Harmonisierung materiell-rechtlicher Regelungen selbst angelegt, da diese abweichend vom pandektistischen Ideal nicht der formalen Gleichheit der Rechtssubjekte verpflichtet sind, sondern bestimmte Personengruppen typisierend schützen. Mit der Materialisierung weiter Teile des Schuldrechts geht aber letztlich auch eine Materialisierung des Prozessrechts einher.70 Regelungen, die dem Schutz einer bestimmten Personengruppe dienen, bedürfen zu ihrer Durchsetzung besonderer Normen, die dem Schutzanliegen auch in prozessualer Hinsicht ausreichend Rechnung tragen. 65

  Grigoleit, AcP 210 (2010), 354, 380.   Hierzu im Kontext der Finanzmarktrichtlinien bereits supra, § 4 C.IV.5, sowie mit Blick auf das Lauterkeitsrecht supra, § 10 D.III.2. Ferner Eckel, EuZW 2015, 418 ff. 67   Riehm, in: Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 83, 105. 68   Vgl. auch noch infra, § 11 A.VII. 69   Dies gilt vor allem für die Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum sowie für die Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 70  Dazu supra, § 3 B.I.1.d. sowie § 10 F.II.5. 66

A. Harmonisierungsbedarf

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Dass die Europäische Union sich darauf beschränkt, nur bestimmte Teilbereiche der Rechtsdurchsetzung zu harmonisieren, kann im Übrigen als Chance begriffen werden.71 Der nationale Gesetzgeber hat auf diese Weise die Möglichkeit, sich bei der Umsetzung der europäischen Vorgaben zunächst auf den schmalen Anwendungsbereich der betreffenden Richtlinie zu beschränken. Die geschaffenen Sondernormen (bspw. zur Offenlegung von Beweismitteln im Immaterialgüter- oder im Kartellrecht)72 können so in Spezialbereichen ausgetestet und verfeinert werden, bevor sie im Wege der überschießenden Umsetzung auf andere Sachbereiche erstreckt oder als allgemeine Regeln in die ZPO aufgenommen werden. Den überkommenen Rechtsdurchsetzungsformen des nationalen Rechts kommt nach alledem kein Eigenwert zu, der vor europäischen Einflüssen zu schützen ist. Insbesondere lässt sich die „nationale Identität“ der Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 2 EUV) nicht ins Feld führen, um eine weitergehende Harmonisierung der Rechtsbehelfe, Sanktionen und Verfahren zu verhindern.73 Ausdruck nationaler Identität können nur die „grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen“ des Rechtsstaats sein, nicht aber dessen einfachrechtliche Ausformungen.74 Mit der zunehmenden Europäisierung weiter Teile des materiellen Rechts wächst letztlich das Bedürfnis, auch einen Konsens darüber zu erzielen, wie diese Rechte effektiv geschützt werden sollen. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 GRC) ist damit „Kristallisationspunkt“75 eines gemeineuropäischen Rechtsstaatsverständnisses und zugleich einer entstehenden europäischen Rechtskultur.

VII. Judikative oder legislative Rechtsangleichung? Der EuGH hat in vielen Bereichen dazu beigetragen, neue Rechtsbehelfe zu entwickeln und die im Primär- und Sekundärrecht nur unbestimmt festgelegten Rechtsfolgen zu konkretisieren. Trotz dieser weitreichenden Vorgaben respektiert der Gerichtshof den Grundsatz der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie bereits bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe sowie im Rahmen der Rechtsfortbildung. Soweit der EuGH ungeschriebene Rechtsbehelfe, Sanktionen oder Verfahrensanforderungen direkt aus dem effet utile ableitet, werden die im Wege der Rechtsfortbildung begründeten Rechtspositionen nicht detailliert entwickelt, sondern nur dem Grunde nach statuiert, während die nähere Ausgestaltung in den Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots den Mitgliedstaaten überantwortet wird.76 Eine Kontrolle mitgliedstaatlicher Vorschriften nach den Maßstäben des Effektivitätsgebots trägt jedoch letztlich nicht zu einer judikativen Harmonisierung der 71   G. Wagner, in: Kramer/van Rhee (Hrsg.), Civil Litigation in a Globalising World, 2012, S. 93, 112 („vertical integration is a valuable tool for experimenting with harmonization“). 72   In Deutschland hat sich der Gesetzgeber bei Umsetzung der Durchsetzungs-RL 2004/48 genau für diesen Weg entschieden. Anstatt die Vorschriften der ZPO zu ändern, wurden mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums“ v. 7.7.2008, BGBl. I 2008, S. 1191, prozessuale Sonderregelungen in die jeweiligen Einzelgesetze zum Schutz des Immaterialgüterrechts eingefügt; vgl. auch BT‑Drucks. 16/5048, S. 25 ff. 73   Ebenso (für das Verwaltungsrecht) Stelkens, EuR 2012, 511, 535 f. 74   Für ein restriktives Verständnis des Art. 4 Abs. 2 EUV auch v. Bogdandy/Schill, CMLR 2011, 1417, 1430 ff.; Pernice, AöR 136 (2011), 185, 211. 75   Sommermann, in: FS Merten, 2007, S. 443. 76   Vgl. nur den Überblick zur EuGH-Rechtsprechung, supra, § 2 D.IV. und § 2 E.II.

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§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

Rechtsbehelfe, Verfahren und Sanktionen bei.77 Dies liegt zum einen daran, dass das Effektivitätsgebot nur auf eine Mindesteffektivität abzielt. Anders als bei direkten Kollisionen setzt sich das Unionsrecht bei indirekten Kollisionen nicht hierarchisch gegen das nationale Recht durch.78 Nicht jede Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit verstößt gegen das Effektivitätsgebot. Diese Grenze wird erst überschritten, wenn nationales Recht die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte übermäßig erschwert bzw. Normverstöße nicht hinreichend wirksam und abschreckend sanktioniert.79 Der Harmonisierungseffekt wird zum anderen dadurch abgeschwächt, dass viele Entscheidungen das Ergebnis von Einzelbeurteilungen sind. Da der Grundsatz der Effektivität erst in Verbindung mit der durchzusetzenden Norm an Konturen gewinnt, lassen sich die vom Gerichtshof aufgestellten Vorgaben nicht ohne weiteres auf sämtliche Unionsrechte übertragen.80 Der EuGH betont zudem, dass die Effektivität nationaler Normen „unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist“.81 Auch aus diesem Grunde sind viele Aussagen, die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Effektivitätsgebot aufstellt, nicht generalisierbar. Zu einer judikativen Anerkennung von „allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts“ im Wege wertender Rechtsvergleichung oder induktiv aus dem acquis communautaire gewonnener Prinzipien, die den Geltungsanspruch des Unionsrechts verstärken, ist es demgegenüber noch nicht gekommen. Der Gerichtshof zieht allgemeine Rechtsgrundsätze regelmäßig nur heran, um eine nationale Vorschrift, die auf den ersten Blick dem Effektivitätsgebot widerspricht, zu legitimieren.82 Soweit der Gerichtshof aus dem effet utile konkrete Rechtsbehelfe abgeleitet hat, bleiben die betreffenden Rechtspositionen nicht nur „Rohlinge“, die erst durch das nationale Recht und die Effektivitätsrechtsprechung an Kontur gewinnen. Offen ist vielmehr auch, inwieweit diese Rechtsbehelfe – über den konkret entschiedenen Fall hinaus – als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes zu verstehen sind. So steht zwar fest, dass der effet utile privatrechtliche Schadensersatzansprüche erfordert, wenn gegen Art. 101, 102 AEUV verstoßen wird. Ungeklärt ist demgegenüber, ob die in Courage begründete Haftung Privater, wie hier vertreten, für sämtliche Situationen Geltung beansprucht, in denen individualschützende Vorschriften des Unionsrechts durch Private verletzt werden.83 Folgt aus dem Urteil ein allgemeiner

77   Der Äquivalenzgrundsatz perpetuiert sogar die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede. Besteht in einem Mitgliedstaat ein im Vergleich zum Unionsrecht höheres Rechtsschutzniveau für rein innerstaatliche Klagen, so muss dieses Niveau nach dem Äquivalenzgebot gleichermaßen für unionsrechtlich determinierte Klagen gelten; hierzu supra, § 4 D.IV. 78   Zur Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Kollisionen supra, § 4 A.V.2.b und § 4 A.VI.1. 79   Supra, § 4 C.III.3.b. 80   Supra, § 4 C.III.1.b. 81   EuGH, Rs. C‑312/93 (Peterbroeck) Rn. 14; verb. Rs. C‑430 – 431/93 (van Schijndel) Rn. 19. 82   Supra, §  4 E.I.2. – 3. 83  Dafür Betlem, CLJ 2005, 126 ff.; Drake, ELRev. 2006, 841, 859; van Gerven, CMLR 2004, 505, 522 ff.; Reich, CMLR 2007, 705 ff.; ders., ZfRV 2009, 148 ff.; Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 2 Rn. 76 f.; a. A. Havu, ELJ 2012, 407 ff. Da Richtlinien keine horizontale Direktwirkung entfalten, wird teils angenommen, dass die Courage-Rechtsprechung nicht auf Richtlinien übertragen werden könne; so Drake, ELRev. 2006,

A. Harmonisierungsbedarf

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Grundsatz der Horizontalhaftung? Wenn ja: Welche allgemeinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen gelten für Schadensersatzansprüche, die auf einen Verstoß Privater gegen das Unionsrecht gestützt werden? Ähnliche Fragen stellen sich beim Unterlassungsanspruch. Dem Urteil Muñoz84 kann entnommen werden, dass Unternehmer in bestimmten Fällen die Möglichkeit haben müssen, die Beachtung unionsrechtlicher Qualitätsvorschriften einer EU‑Verordnung im Wege der zivilrechtlichen Unterlassungsklage gegen einen Konkurrenten durchzusetzen. Folgt daraus aber, dass Unterlassungsansprüche stets zur Verfügung gestellt werden müssen, wenn Private gegen EU‑Verhaltensnormen verstoßen? Andere Rechtsinstitute, wie beispielsweise der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch,85 wurden vom EuGH im Privatrecht überhaupt noch nicht als „Schwert“ aktiviert. Der Gerichtshof hat bislang nur anerkannt, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen können, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteter Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung führt.86 Demgemäß bleibt offen, ob das Unionsrecht die Einräumung privatrechtlicher Erstattungsansprüche verlangt.87 Die Forderung, der EuGH solle bei der Anerkennung „allgemeiner Grundsätze des Zivilrechts“ eine aktivere Rolle einnehmen, steht bereits seit geraumer Zeit im Raum.88 Sie ist vom Grundsatz her berechtigt. Allgemeine Rechtsgrundsätze sorgen bei der Rechtsfortbildung für die Kohärenz von Entscheidungen mit dem geschriebenen Recht.89 Sie sichern zugleich die Anschlussfähigkeit der gefundenen Lösungen und leisten einen wichtigen Beitrag zur schrittweisen Herausbildung eines Systems im Unionsprivatrecht. Dieser Erkenntnis folgend, wurde das Innovationspotenzial, das der effet utile-Rechtsprechung innewohnt, denn auch im dritten Teil dieser Arbeit für verschiedene Rechtsgebiete ausgelotet. Eine judikative Herausbildung allgemeiner Rechtsgrundsätze kann andererseits nur bedingt zur Harmonisierung der Rechtsfolgen beitragen. Allgemeine Rechts-

841, 859; Bradgate/Twigg-Flesner/Nordhausen, Review of the Eight EU Consumer Acquis Minimum Harmonization Directives, 2006, S. 195 f. (Nr. 81). Eine solche Sichtweise unterscheidet indessen nicht hinreichend zwischen der unmittelbaren Wirkung und individuellen Rechten; hierzu supra, § 3 C. Selbst wenn Richtlinien im Horizontalverhältnis nicht unmittelbar Rechte begründen, kann der Verstoß gegen Richtlinienbestimmung zur Folge haben, dass im Wege richtlinienkonformer Auslegung deliktischer Generalklauseln Schadensersatzansprüche gewährt werden müssen. Für eine Übertragung der Courage-Rechtsprechung auf Richtlinien auch Betlem, (2005) 64 CLJ 126, 139 ff.; Epiney, NVwZ 2004, 555, 559; Wilhelmsson/Twigg-Flesner, ERCL 2006, 441, 467. 84   EuGH, Rs. C‑253/00 (Muñoz). Dazu supra, § 2 E.II.2. 85  Dazu supra, § 2 D.IV.1. 86   So zum kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch EuGH, Rs. C‑453/99 (Courage) Rn. 30; verb. Rs.  C‑295 – 298/04 (Manfredi u. a.) Rn. 94. Zur Rückabwicklung erbrachter Leistungen nach Ausübung verbraucherschützender Widerrufsrechte im Fernabsatz EuGH, Rs. C‑489/07 (Messner) Rn. 26. 87  Dazu Hartkamp, in: FS Hondius, 2007, S. 291, 299 f.; ders., in: Hartkamp et al. (Hrsg.), Towards a European Civil Code, 4. Aufl, 2011, S. 127, 139 ff. Vgl. auch § 7 B.III.1. – 2. und § 10 F.II.4.e. 88   Darauf beruhen die Acquis Principles; vgl. Art. 1:101 (2) ACQP: „Diese Prinzipien und Regeln dienen als Quelle für die Ausarbeitung, die Umsetzung und die Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts“. Ferner Metzger, Extra legem, intra ius, 2009, S. 395 ff., 409 ff.; Micklitz, in: Micklitz/de Witte (Hrsg.), The European Court of Justice and the Autonomy of the Member States, 2012, S. 349 ff. („Plea for a Judge-Made European Law on Remedies“). Sehr restriktiv dagegen Grigoleit, AcP 210 (2010), 354, 394 („abstrakte Bindung der privatrechtlichen Rechtsfortbildung an europarechtlich basierte Wertungen, Prinzipien bzw. Grundgedanken kommt grundsätzlich nicht in Betracht“). 89   Metzger, Extra legem, intra ius, 2009, S. 403.

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§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

grundsätze stehen auf einer hohen Abstraktionsstufe. Für das Privat- und Verfahrensrecht ist demgegenüber ein weitaus geringerer Grad an Allgemeinheit erforderlich, um operable Maßstäbe für die Überprüfung nationalen Rechts aufzustellen.90 Zwar könnte diese Konkretisierung auch durch den EuGH gemeistert werden. Die entsprechenden Urteile stünden dann aber wiederum im Kontext der konkreten Vorlagefrage, ganz abgesehen davon, dass die gegenwärtige Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens91 die Möglichkeiten einer einheitlichen Rechtsfortbildung durch den EuGH stark begrenzt. Schließlich sind dem Gerichtshof auch in kompetenzrechtlicher Hinsicht Grenzen gesetzt. Der EuGH muss das institutionelle Gleichgewicht zwischen den Unionsorganen wahren.92 Sofern es im geltenden Unionsrecht an konkreten Rechtsfolgenvorgaben fehlt, kann damit ausdrücklich oder implizit eine Delegation der Rechtsfolgenbestimmung an die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen verbunden sein.93 Auch der Gerichtshof respektiert die ihm zugewiesenen Organkompetenzen. Nicht zuletzt deswegen sieht der EuGH von einer Konkretisierung der Rechtsbehelfe, Sanktionen und Verfahren häufig ab. Auch wenn sich aus den Entscheidungen des Gerichtshofs wichtige Anhaltspunkte für die Entwicklung allgemeiner Rechtsprinzipien gewinnen lassen, und nicht zu verkennen ist, dass selbst einzelne Urteile im nationalen Recht eine erhebliche Ausstrahlungswirkung entfalten, kann die Rechtsprechung daher eine legislative Rechtsharmonisierung nicht ersetzen.94

B. Rechtssetzungskompetenz I. Bereichsspezifische Annexkompetenzen Die Europäische Union verfügt über keine Kompetenz für eine umfassende Harmonisierung des Durchführungsrechts. Regelungen zur Rechtsdurchsetzung können aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 S. 1 EUV) nur auf konkrete Kompetenzgrundlagen gestützt werden, die ihrerseits die Union nicht zum Erlass umfassender Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen ermächtigen.95 Sowohl der EuGH96 als auch das BVerfG97 gehen indessen davon aus, dass das Unionsrecht ungeschriebene Kompetenzzuweisungen (implied powers) enthält. Nach 90

  So auch Basedow, AcP 210 (2010), 157, 183.  Hierzu supra, § 5 B. 92   Supra, § 4 A.VI.3. 93   Supra, § 4 A.VI.5. 94   Im Ergebnis wie hier Wilman, Private Enforcement, 2015, S. 426 ff. 95  Näher supra, § 4 A.IV.1. 96   Erstmals EuGH, Rs. 8/55 (Fédération Charbonnière de Belgique/Hohe Behörde); Rs. 20/59 (Italien/Hohe Behörde); Rs. 22/70 (AETR) Rn. 19. Grundlegend Nicolaysen, EuR 1966, 129 ff. Überblick über die „implied powers“ Rechtsprechung des EuGH vor 1985 bei Böhm, Kompetenzauslegung, 1985, S. 224 – 286. Vgl. ferner G/H/N/Nettesheim, 58. EL, 2016, Art. 1 AEUV Rn. 13 ff. 97   BVerfG, NJW 2009, 2267, 2272 (Lissabon) Rn. 237: „Wer auf Integration baut, muss mit der eigenständigen Willensbildung der Unionsorgane rechnen. Hinzunehmen ist daher eine Tendenz zur Besitzstandswahrung (acquis communautaire) und zur wirksamen Kompetenzauslegung im Sinne der US‑amerikanischen implied-powers-Doktrin (. . .) oder der effet utile-Regel des Völkervertragsrechts (. . .). Dies ist Teil des vom Grundgesetz gewollten Integrationsauftrags.“ Zur Abgrenzung zwischen dem „effet utile“ und der „implied powers“-Lehre supra, § 2 A.II. 91

B. Rechtssetzungskompetenz

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dieser insbesondere aus der US‑amerikanischen Bundesstaatslehre sowie dem Völkerrecht herrührenden Doktrin liegt eine Zuständigkeit immer dann vor, wenn eine Materie, für die eine ausdrücklich zugewiesene Kompetenz besteht, nicht in effektiver Weise geregelt werden kann, ohne dass gleichzeitig eine andere, nicht ausdrücklich zugewiesene Materie mitgeregelt wird. Implied powers können als Annexkompetenzen insbesondere eine Zuständigkeit der Union für die Harmonisierung von Durchsetzungsmaßnahmen begründen.98 Besonders weitreichend sind die vom EuGH in der Rechtssache Umweltrahmenbeschluss99 getroffenen Vorgaben. Obwohl in den europäischen Verträgen vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags keine Zuständigkeit der Gemeinschaft zur Harmonisierung des Strafrechts vorgesehen war,100 entschied der Gerichtshof, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht daran gehindert sei, Maßnahmen in Bezug auf das Strafrecht zu ergreifen, sofern die Anwendung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen zur Verwirklichung einer Gemeinschaftspolitik (im konkreten Fall: Umweltpolitik) unerlässlich sei. Diese Aussagen lassen sich dahingehend generalisieren, dass eine Annexkompetenz nicht nur für strafrechtliche Sanktionen bestehen kann, sondern auch für weniger einschneidende Rechtsdurchsetzungsmittel, wie Verwaltungssanktionen, zivilrechtliche Rechtsfolgen sowie die zu ihrer Durchsetzung erforderlichen Verfahrensvorschriften. Voraussetzung für die Begründung derartiger Annexkompetenzen ist zunächst das Vorliegen eines Politikfeldes, das aufgrund einer entsprechenden Einzelermächtigung bereits harmonisiert worden ist. Die betreffenden Instrumente der Rechtsdurchsetzung müssen darüber hinaus für die wirksame Durchführung einer Unionspolitik „zweckmäßig“101 bzw. notwendig102 sein. Für strafrechtliche Sanktionen gilt demgegenüber ein verschärfter Maßstab. Nach der Rechtsprechung des EuGH103 sowie Art. 83 Abs. 2 AEUV104 kommen im Wege der Annexkompetenz angeordnete strafrechtliche Sanktionen erst in Betracht, wenn eine Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften „unerlässlich“ für die wirksame Durchführung einer Unionspolitik ist. Damit dies der Fall ist, muss nach Ansicht des BVerfG „nachweisbar feststehen, dass ein gravierendes Vollzugsdefizit tatsächlich besteht und nur durch Strafandrohung beseitigt werden kann“.105 Die Ausübung einer Annexkompetenz unterliegt schließlich drittens den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 3 u. 4 EUV).

 98

 Näher supra, § 4 A.IV.2.   EuGH, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 48. 100   Art. 83 Abs. 2 AEUV begründet nunmehr, in weitgehender Übereinstimmung mit den Vorgaben, die der EuGH im Fall „Umweltrahmenbeschluss“ aufgestellt hat, eine Annexkompetenz der Europäischen Union zum Erlass strafrechtlicher Mindestvorschriften. 101   Vgl. EuGH, Rs. 8/55 (Fédération Charbonnière de Belgique/Hohe Behörde) LS 1. 102  G/H/N/Nettesheim, 58. EL, 2016, Art. 1 AEUV Rn. 16. A. A. Harnos, ZEuP 2015, 546, 557 (Annexkompetenzen müssen stets „unerlässlich“ sein, um eine explizite Kompetenz zu verwirklichen). 103   EuGH, Rs. C‑176/03 (Kommission/Rat – „Umweltrahmenbeschluss“) Rn. 48. 104   Der genaue Gehalt des Kriteriums „unerlässlich“ ist ungeklärt. Einigkeit besteht aber darüber, dass damit mehr als nur „Erforderlichkeit“ gemeint ist; G/H/N/Vogel/Eisele, 58. EL, 2016, Art. 83 AEUV Rn. 93 ff. m. w. N. 105   BVerfG, NJW 2009, 2267, 2288 (Lissabon) Rn. 362.  99

984

§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

II. Binnenmarktkompetenz Die überwiegende Mehrzahl der in dieser Arbeit behandelten Sekundärrechtsakte, die Aspekte der Rechtsdurchsetzung zumindest ansatzweise regeln, wurde auf die Binnenmarktkompetenz (Art. 114 AEUV, ex Art. 95 EG) gestützt. Dies trifft insbesondere auf das Verbraucherrecht zu.106 Auch diejenigen Richtlinien, die sich explizit mit Fragen der Rechtsdurchsetzung beschäftigen, so insbesondere die UKlaRL 2009/29, die CPC-VO 2006/2004 sowie die ADR-RL 2013/11 und die ODR-VO 524/2013, basieren auf dieser Kompetenzgrundlage. Gleiches gilt für viele Finanzmarktrichtlinien, die nunmehr mit konkreten administrativen Sanktionen ausgestattet sind,107 für die vergaberechtlichen Rechtsdurchsetzungsrichtlinien108 sowie für die Durchsetzungs-RL 2004/48 Geistiges Eigentum. Selbst die KartellschadensersatzRL 2014/104 wurde nicht nur auf Art. 103 AEUV, sondern zusätzlich auf Art. 114 AEUV gestützt.109 Inwieweit Annexkompetenzen zur Normierung von Rechtsdurchsetzungsfragen auch im Rahmen der Binnenmarktklausel bestehen, ist bislang ungeklärt. Ginge man davon aus, dass die Europäische Union aufgrund einer solchen Annexkompetenz grundsätzlich befugt ist, die zur Durchsetzung binnenmarktbezogener Maßnahmen erforderlichen Sanktionen zu harmonisieren, wären nachweisbare Defizite bei der Durchsetzung bereits angeglichenen Rechts schon für sich genommen kompetenzbegründend, sofern zusätzlich die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Deutlich strenger wären demgegenüber die Anforderungen, wenn derartige Maßnahmen am Maßstab des Art. 114 AEUV selbst zu messen wären. In diesem Fall bestünde eine Kompetenz zur Harmonisierung erst dann, wenn die geplanten Rechtsfolgen selbst geeignet sind, „Hemmnisse für die Ausübung von Grundfreiheiten“ oder „spürbare Wettbewerbsverzerrungen“ zu beseitigen oder zu vermeiden.110 Beide Voraussetzungen errichten weitaus höhere Hürden – zumindest, wenn man mit einer im Schrifttum vertretenen Ansicht111 von einem Gleichlauf des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten und des Art. 114 AEUV ausgeht. Danach soll ein Handeln der Union auf der Grundlage der Binnenmarktkompetenz nämlich ausscheiden, wenn eine nationale Maßnahme nicht den Grundfreiheiten unterfällt. Gerade dies ist bei mitgliedstaatlichen Regelungen zur Rechtsdurchsetzung jedoch regelmäßig der Fall. Insbesondere zivilrechtliche und zivilverfahrensrechtliche Regeln der Mit106

  Vgl. bereits supra, § 10 B.III.2.   MAR 596/2014; MiFiR 600/2014; Eigenkapital-RL IV 2013/36; Geldtransfer-VO 2015/847. Die MiFID II 2014/65 wurde demgegenüber auf Art. 53 Abs. 1 AEUV gestützt, während die CRIMMAD 2014/57 von der strafrechtlichen Annexkompetenz des Art. 83 Abs. 2 AEUV Gebrauch macht. 108   Allgemeine Rechtsmittel-RL 89/665; Sektoren-Rechtsmittel-RL 92/13; beide RL geändert durch RL 2007/66. 109   ErwGr (8) Kartellschadensersatz-RL 2014/104 rechtfertigt die doppelte Rechtsgrundlage mit dem Hinweis, dass unterschiedliche mitgliedstaatliche Haftungsregeln sowohl den Wettbewerb als auch das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen können. 110   EuGH, Rs. C‑376/98 (Deutschland/Parlament und Rat – „Tabakwerbung I“) Rn. 84, 95, 108 ff.; Rs. C‑491/01 (British American Tobacco (Investments) und Imperial Tobacco) Rn. 60; Rs. C‑380/ 03 (Deutschland/Parlament und Rat – „Tabakwerbung II“) Rn. 37. 111   Ludwigs, EuR 2006, 370, 383 f.; G/H/N/Tietje, 58. EL, 2016, Art. 114 AEUV Rn. 97 f.; Herr, EuZW 2005, 171, 172. Die These vom „Gleichlauf“ wird zumeist herangezogen, um die „Keck“Rechtsprechung auf die Auslegung von Art. 114 AEUV zu übertragen. 107

B. Rechtssetzungskompetenz

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gliedstaaten werden vom EuGH nicht am Maßstab der Grundfreiheiten gemessen, da ihre beschränkende Wirkung „zu ungewiss und mittelbar“ sein soll, als dass sie den Binnenmarkt beeinträchtigen könnten.112 Im Ergebnis kann die These eines Gleichlaufs der Kompetenzbestimmungen mit den Grundfreiheiten freilich nicht überzeugen.113 Die Zurückhaltung des EuGH bei der Überprüfung nationalen (Privat‑) Rechts am Maßstab der Grundfreiheiten beruht letztlich auf einem judicial restraint. Der EuGH hält sich bei der Grundfreiheitenkontrolle vor allem deswegen zurück, weil er eine Harmonisierung des Zivil- und Zivilprozessrechts dem Unionsgesetzgeber überlassen möchte. Wird dieser selbst tätig, sind diese Aspekte nicht einschlägig. Art. 114 Abs. 1 S. 2 AEUV ermächtigt zum Erlass von Rechtsakten, „welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben“. Nach Art. 26 Abs. 1 AEUV erlässt die Union Maßnahmen, um den Binnenmarkt zu verwirklichen bzw. dessen Funktionieren zu „gewährleisten“. Beides spricht dafür, dass sich der Handlungsauftrag der Legislative nicht nur auf den Abbau von Beschränkungen bezieht. Der Unionsgesetzgeber kann vielmehr auch gestaltend tätig werden, um die Ausübung der Grundfreiheiten zu erleichtern oder zu fördern.114 Auf diesen Gesichtspunkt stützt sich auch die Kartellschadensersatz-RL 2014/104, soweit in den Erwägungsgründen hervorgehoben wird, dass die unterschiedliche Ausgestaltung von Schadensersatzregeln Unternehmen davon abhalten könnte, von der Ausübung ihrer Grundfreiheiten in Mitgliedstaaten Gebrauch zu machen, in denen das Recht auf Schadensersatz besonders wirksam durchgesetzt werden kann.115 Eine Harmonisierung der Rechtsdurchsetzungsnormen kann daneben zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen beitragen. Ein unterschiedliches Sanktions- und Rechtsdurchsetzungsniveau führt, wie bereits dargelegt, nicht nur zur Ungleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer, sondern auch zu unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen.116 Diese Unterschiede müssen allerdings spürbar sein.117 Nur geringfügige Wettbewerbsverzerrungen rechtfertigen keine auf Art. 114 AEUV gestützte Harmonisierungsmaßnahme, da ansonsten der Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers praktisch keine Grenzen gezogen wären.118 Wie das Spürbarkeitskriterium auszulegen ist, bleibt in der Rechtsprechung reichlich unbestimmt. Der EuGH verneint das Vorliegen spürbarer Wettbewerbsverzerrungen, soweit sich die nationalen Rechtsvorschriften nur „entfernt und mittelbar“ auf den Wettbewerb auswirken.119 Größtenteils wird daher angenommen, dass es sich um einen qualitativen, nicht aber um einen quantitativen Maßstab handelt.120 Dieser ist vom EuGH allerdings erst ansatzweise konkretisiert worden. So hat der Gerichtshof etwa erkennen 112

  Supra, § 4 B.III.3.   Wie hier Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 137 f.; W.‑H. Roth, EWS 2008, 401, 410 ff.; Grigoleit, AcP 210 (2010), 354, 367 f. 114  Ebenso Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 137, W.‑H. Roth, EWS 2008, 401, 412; Grigoleit, AcP 210 (2010), 354, 367. 115   ErwGr (8) Kartellschadensersatz-RL 2014/104. 116   Supra, § 11 A.III. 117   EuGH, Rs. C‑300/89 (Titandioxid) Rn. 23; Rs. C‑376/98 (Deutschland/Parlament und Rat – „Tabakwerbung I“) Rn. 108 ff. 118   EuGH, Rs. C‑376/98 (Deutschland/Parlament und Rat – „Tabakwerbung I“) Rn. 107. 119   EuGH, Rs. C‑376/98 (Deutschland/Parlament und Rat – „Tabakwerbung I“) Rn. 109. 120  Streinz/Leible/Schröder, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 114 AEUV Rn. 46; W.‑H. Roth, EWS 2008, 401, 408; G/H/N/Tietje, 58. EL, 2016, Art. 114 AEUV Rn. 104. 113

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§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

lassen, dass unterschiedliche Bestimmungen in den Mitgliedstaaten nur dann spürbare Wettbewerbsverzerrungen auslösen, wenn sie zu unterschiedlichen Herstellungskosten führen, nicht aber schon dann, wenn sie sich in sonstiger Weise auf die Gewinnerzielung auswirken.121 Konkretere Maßstäbe lassen sich daraus noch nicht ableiten. Entscheidungserheblich bleibt damit, ob eine Befugnis zur Harmonisierung der Rechtsbehelfe, Sanktionen und Verfahren auf einem materiell-rechtlich bereits angeglichenen Gebiet aus einer Annexkompetenz abgeleitet werden kann. Für dieses Verständnis spricht, dass Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen in der Regel akzessorisch zur jeweiligen Sachgesetzgebung angeordnet werden. Soweit eine materiell-rechtliche Harmonisierungsmaßnahme die Voraussetzungen des Art. 114 AEUV bereits passiert hat, ist nicht einzusehen, warum die zur Sicherung ihrer Rechtsgeltung angeordneten Maßnahmen die gleiche Prüfung durchlaufen müssen.122 Auch der EuGH hat anerkannt, dass ein auf der Grundlage von Art. 114 AEUV erlassener Rechtsakt Bestimmungen umfassen kann, die zwar für sich genommen „zur Beseitigung von Hemmnissen der Grundfreiheiten nichts beitragen“, die aber „erforderlich sind, um die Umgehung bestimmter diesem Ziel dienender Verbote zu verhindern“.123 Nach Ansicht des Gerichtshofs kommt Art. 114 AEUV als mögliche Rechtsgrundlage sogar für die Anordnung eines direkten Vollzugs bzw. für Aufsichts- und Mitwirkungsbefugnisse der Kommission in Betracht.124 Wenn aber schon die Anordnung eines direkten Vollzugs als Annex auf Art. 114 AEUV gestützt werden kann, dann muss dies erst recht für Maßnahmen zur Harmonisierung des indirekten Vollzugs sowie für die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Durchführungsmaßnahmen im Allgemeinen gelten.

III. Subsidiaritätsgrundsatz Nach dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV) ist jedes Handeln der Union außerhalb des Bereichs ausschließlicher Zuständigkeit nur dann und soweit zulässig, als die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Die Europäische Union darf daher nicht handeln, wenn die Ziele einer anvisierten Maßnahme von den Mitgliedstaaten ausreichend oder mindestens genauso gut erreicht werden können. Bezieht man den Subsidiaritätsgrundsatz auf Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen, so ist danach zu differenzieren, ob diese zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen 121  EuGH, Rs.  C‑376/98 (Deutschland/Parlament und Rat) Rn.  109; Dauses/v. Danwitz, EU‑WirtschaftsR, 26. EL, 2010, B.II. Rn. 121. Besonders weit (zur Auslegung der PRRL 90/314) EuGH, Rs. C‑168/00 (Leitner) Rn. 21: Spürbare Wettbewerbsverzerrung, wenn bei Pauschalreisen nur in einigen Mitgliedstaaten eine Schadensersatzpflicht für immaterielle Schäden besteht, während andere Mitgliedstaaten diese Schäden nicht für ersatzfähig erachten. 122   Spiegelbildlich betrachtet prüft der EuGH auch im Rahmen der Grundfreiheiten nicht die beschränkende Wirkung nationaler Sanktionsregelungen, wenn bereits die Ge- oder Verbotsnormen grundfreiheitsbeschränkend wirken; supra, § 4 B.I.1. 123   EuGH, Rs. C‑376/98 (Deutschland/Parlament und Rat – „Tabakwerbung I“) Rn. 100. 124   EuGH, Rs. C‑359/92 (Deutschland/Rat) Rn. 37 (zur Produktsicherheits-RL 92/59); Rs. C‑66/ 04 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat) Rn. 41 ff.; Rs. C‑217/04 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat – „ENISA“) Rn. 44.

B. Rechtssetzungskompetenz

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oder zur Stärkung der Effektivität eingeführt werden sollen.125 Behindert die Unterschiedlichkeit der Rechtsdurchsetzungs- und Sanktionssysteme in spürbarer Weise den Binnenmarkt, so ergibt sich der Mehrwert der Unionsmaßnahme bereits aus der Beseitigung der Unterschiede selbst. Wird dagegen eine effektivere Rechtsdurchsetzung angestrebt, so kann nicht pauschal unterstellt werden, dass die Europäische Union automatisch ein effektiveres Rechtsschutz- und Sanktionssystem als die Mitgliedstaaten zur Verfügung stellt. Eindeutig wäre dies nur dann der Fall, wenn die Rechtsdurchsetzung in allen 28 Rechtsordnungen in dem betreffenden Gebiet unterentwickelt ist. Besteht in einigen Mitgliedstaaten ein hohes, in anderen Mitgliedstaaten ein sehr geringes Rechtsdurchsetzungsniveau, so ist dagegen näher zu begründen, inwieweit die Einführung unionseinheitlicher Sanktionen geeigneter ist als mitgliedstaatliche Maßnahmen. Entscheidend sind in diesem Fall sowohl das Schutzniveau als auch der Harmonisierungsgrad der anvisierten Maßnahme. Führt die projektierte Harmonisierungsmaßnahme in nahezu sämtlichen Mitgliedstaaten zu einer Anhebung des Schutzniveaus, also auch in denjenigen Ländern, die bereits über effiziente Rechtsdurchsetzungsinstrumente verfügen, ist ein Mehrwert deutlich zu erkennen. Bleibt die projektierte Maßnahme hinter dem Rechtsdurchsetzungsniveau einiger Mitgliedstaaten erheblich zurück, so kann ein Wirkungsgewinn dagegen nur durch eine Mindestharmonisierung erzielt werden, da allein auf diese Weise gewährleistet ist, dass in jedem Mitgliedstaat tatsächlich nur unzulängliche Normen ersetzt werden, vorteilhaftere aber bestehen bleiben.126 Problematisch bleibt, dass eine Mindestharmonisierung wiederum zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann.127 Der Unionsgesetzgeber muss dementsprechend abwägen, wie stark die durch eine Mindestharmonisierung hervorgerufenen Störungen vermutlich sein werden. Überschreiten diese nicht die Spürbarkeitsschwelle, so spricht viel dafür, eine Mindestharmonisierung zuzulassen. Besteht dagegen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine Mindestharmonisierung zu ernsthaften Behinderungen des grenzüberschreitenden Handelns bzw. spürbaren Wettbewerbsverzerrungen führt, muss dagegen eine Vollharmonisierung erwogen werden. Der EuGH gesteht den Unionsorganen grundsätzlich einen weiten Ermessensspielraum zu und hat bislang keinen einzigen Rechtsakt am Subsidiaritätsgrundsatz scheitern lassen.128 Das Subsidiaritätsprinzip weist vor allem eine verfahrensrechtliche Funktion auf. Seine Bedeutung liegt in erster Linie darin, dass der Unionsgesetzgeber zu einer genauen Darlegung und Begründung der geplanten Harmonisierungsmaßahme verpflichtet wird.129 Mit der Subsidiaritätsrüge wird zudem eine Präventivkontrolle durch die Unionsorgane unter Einbeziehung der nationalen Parlamente 125

  So auch Jaeger, JBl. 2007, 349, 366.   Jaeger, JBl. 2007, 349, 366 f. Umstritten ist, ob Mindestharmonisierungsmaßnahmen überhaupt auf Art. 114 AEUV gestützt werden dürfen; dazu Dougan, CMLR 2000, 853, 868 ff.; Grundmann, JZ 1996, 274, 279; Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 146 ff.; W.‑H. Roth, EWS 2008, 401, 414. 127   Hierzu (im Kontext des Verbraucherrechts) supra, § 10 B.III.3. 128   Vgl. nur EuGH, Rs. C‑377/98 (Niederlande/Parlament und Rat) Rn. 32; Rs. C‑491/01 (British American Tobacco (Investments) und Imperial Tobacco) Rn. 180 ff.; Rs. C‑103/01 (Kommission/ Deutschland) Rn. 47; verb. Rs. C‑154 – 155/04 (Alliance for Natural Health u. a.) Rn. 99 ff.; Rs. C‑58/08 (Vodafone u. a.) Rn. 72 ff. 129  Dauses/v. Danwitz, EU‑WirtschaftsR, 38. EL, 2015, B.II. Rn. 148. Kritisch Weatherill, German Law Journal 2011, 827 („Case law dealing with the limits of EU competence has been converted into no more than a ‚drafting guide‘“). 126

988

§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

ermöglicht.130 Eine verstärkte inhaltliche Prüfung wäre im Übrigen auch gar nicht wünschenswert. Dies würde letztlich nur dazu führen, dass sich der EuGH an die Stelle des Unionsgesetzgebers setzt und dessen politische Wertentscheidungen und Prognosen korrigiert.

IV. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Während das Subsidiaritätsprinzip in einem ersten Schritt darüber entscheidet, ob die Union in einem bestimmten Bereich überhaupt handeln darf, grenzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 4 EUV) in einem zweiten Schritt die Art und Weise der Kompetenzausübung ein. Die Mitgliedstaaten werden im Kontext dieser Norm wie belastete Einzelne betrachtet,131 denen gegenüber eine Maßnahme nur dann gerechtfertigt ist, wenn die von der Europäischen Union eingesetzten Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sind.132 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist auch bei Maßnahmen zu beachten, die auf Art. 114 AEUV gestützt werden.133 Nach dem Kriterium der Erforderlichkeit ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen,134 sofern diese hinreichend abschreckend ist und ausreicht, um für die Einhaltung des Unionsrechts zu sorgen.135 Die betreffenden Sanktionen müssen ferner in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen. Dabei ist nach Ansicht des EuGH insbesondere zu prüfen, „ob die Sanktion, die mit der streitigen Vorschrift zur Erreichung des verfolgten Zweckes eingesetzt wird, der Bedeutung dieses Zweckes entspricht und ob die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen“.136 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat der Gerichtshof außerdem – so GA Maduro – „zu beurteilen, ob der Umstand, dass die Gemeinschaft die Ziele der betreffenden Maßnahme besser zu erreichen vermag, den Verlust der mitgliedstaatlichen Autonomie, der mit der vom Gesetzgeber gewählten Lösung verbunden ist, rechtfertigen kann“.137 Je nach Sachbereich, angestrebtem Ziel und betroffenen Rechtsgütern können Maßnahmen unterschiedlicher Intensität gerechtfertigt sein: – Auf einer ersten Stufe steht die allgemeine Verpflichtung, wirksame Maßnahmen zur Durchsetzung des Unionsrechts zu schaffen, ohne dass den Mitgliedstaaten weitergehende Vorgaben gemacht werden. – Auf einer zweiten Stufe kann das Unionsrecht das Rechtsformenermessen der Mitgliedstaaten einschränken, indem bestimmte Sanktionen oder Rechtsschutz130   Art. 6 Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Hierzu Streinz/Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012, Art. 5 EUV Rn. 33 ff. 131   Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl., 2015, § 8 Rn. 52. 132   Vgl. EuGH, Rs. 137/85 (Maizena) Rn. 15; Rs. C‑339/92 (ADM Ölmühlen) Rn. 15; Rs. C‑210/00 (Käserei Champignon Hofmeister) Rn. 59; Rs. 58/08 (Vodafone) Rn. 51 m. w. N. 133   Vgl. EuGH, Rs. C‑491/01 (British American Tobacco (Investments) und Imperial Tobacco) Rn. 122; Rs. C‑58/08 (Vodafone u. a.) Rn. 51. 134   EuGH, Rs. 265/87 (Schräder) Rn. 21; Rs. C‑343/09 (Afton Chemical) Rn. 45; Rs. C‑15/10 (Etimine) Rn. 124; Rs. C‑150/10 (Beneo-Orafti), Rn. 75. 135   EuGH, Rs. C‑210/00 (Käserei Champignon Hofmeister) Rn. 66. 136   EuGH, Rs. C‑356/97 (Molkereigenossenschaft Wiedergeltingen) Rn. 36 m. w. N. 137   GA Maduro, SchlA, Rs. C‑58/08 (Vodafone u. a.) Rn. 44.

C. Ergebnis und Ausblick

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instrumente dem Grunde nach gefordert werden, die nähere Ausgestaltung aber den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Eine Kompetenz zur Strafrechtsanweisung besteht dabei nur dann, wenn das Unionsrecht durch verwaltungsrechtliche Sanktionen oder zivilrechtliche Rechtsbehelfe nicht wirksam durchgesetzt werden kann.138 – Auf einer dritten Stufe stehen Maßnahmen, mit denen das Unionsrecht Art und Umfang der Rechtsfolgen im Wege der Mindestharmonisierung konkretisiert. – Am stärksten wird auf einer vierten Stufe in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten eingegriffen, wenn Sanktionen, zivilrechtliche Rechtsfolgen und/oder Verfahren in einer Verordnung oder in einer Richtlinie im Wege der Vollharmonisierung geregelt werden. Neben der Regelungsdichte ist auch der Regelungsumfang zu berücksichtigen. So kann sich etwa aus dem Kriterium der Erforderlichkeit ergeben, dass nur eine Teilharmonisierung gerechtfertigt ist. Gerade bei Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen, die sich nicht nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränken, ist danach zu fragen, ob eine Angleichung im rein innerstaatlichen Bereich tatsächlich notwendig ist.139 Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Verhältnismäßigkeit ist – dem Subsidiaritätsprinzip vergleichbar – beschränkt. Der EuGH gesteht dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen insbesondere in Bereichen zu, in denen politische, wirtschaftliche oder soziale Entscheidungen getroffen und komplexe Prüfungen vorgenommen werden müssen. In diesem Fall ist eine Maßnahme nur dann unverhältnismäßig, wenn sie zur Erreichung des Ziels, das das zuständige Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist.140 Hiervon unberührt bleibt die Verpflichtung des Unionsgesetzgebers, seine Entscheidung auf objektive Kriterien zu stützen.141 Während die Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes bislang in keinem einzigen Fall zur Aufhebung einer Unionsmaßnahme geführt hat, lassen sich in der Rechtsprechung des EuGH vereinzelt Fälle finden, in denen Sekundärrechtsakte aufgrund ihrer übermäßig scharfen Sanktionen für unverhältnismäßig und ungültig erklärt wurden.142 Die durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gezogenen Grenzen sind daher durchaus ernst zu nehmen.

C. Ergebnis und Ausblick Eine weitere Angleichung der Rechtsdurchsetzungssysteme ist in vielen Bereichen unabdingbar, um eine effektive Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten sicherzustellen. In welchem Umfang dies geschehen muss, kann nur sektorspe138   Vgl. die Mitteilung der Kommission „Auf dem Weg zu einer europäischen Strafrechtspolitik: Gewährleistung der wirksamen Durchführung der EU‑Politik durch das Strafrecht“, KOM (2011) 573 endg., S. 8. 139   Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, § 2 Rn. 90. 140   EuGH, Rs. C‑58/08 (Vodafone u. a.) Rn. 52 m. w. N. 141   EuGH, Rs. C‑58/08 (Vodafone u. a.) Rn. 53 m. w. N. 142   Vgl. z. B. EuGH, Rs. C‑356/97 (Molkereigenossenschaft Wiedergeltingen) Rn. 43 f. (zu Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor, ABl. 1993 L 57/12).

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§ 11  Perspektiven der Harmonisierung

zifisch ermittelt werden. Die Intensität der erforderlichen Maßnahmen ist einerseits davon abhängig, inwieweit das materielle Recht bereits harmonisiert worden ist. Je stärker die Harmonisierung auf materiellem Gebiet voranschreitet, desto größer wird das Bedürfnis, zur Sicherung der Effektivität dieser Maßnahmen einheitliche Rechtsbehelfe und Sanktionen vorzusehen. Andererseits ist entscheidend, inwieweit auf mitgliedstaatlicher Ebene bereits effektive Rechtsdurchsetzungsinstrumente vorhanden sind. Zwar verfügt die Europäische Union über keine Kompetenz für eine umfassende Harmonisierung des Durchführungsrechts. Regelungen zur Rechtsdurchsetzung können jedoch sachbezogen im Wege einer Annexkompetenz getroffen werden, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine effektive Durchsetzung bereits angeglichenen Rechts in den Mitgliedstaaten nicht gewährleistet wird und eine EU‑Maßnahme folglich erforderlich und mit einem Mehrwert verbunden ist.

§ 12  Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse A. Ausgangsbefund Die Entwicklung der Unionsrechte wird maßgeblich durch die Rechtsprechung des EuGH geprägt.1 Nach der Grundsatzentscheidung van Gend & Loos kann das Unionsrecht dem Einzelnen nicht nur expressis verbis Rechte verleihen. Denkbar ist auch, dass eine Unionsnorm indirekt Rechte zugunsten des Einzelnen begründet. Unter Zugrundelegung dieses Ansatzes hat der Gerichtshof zahlreiche Vorschriften des Primär- und Sekundärrechts als Rechte interpretiert, die dem Einzelnen gegenüber den Mitgliedstaaten oder gegenüber Privatpersonen zustehen. Gleichzeitig wurden viele Rechte mit Blick auf die erforderlichen Rechtsbehelfe konkretisiert. Auch die zur Durchführung des Unionsrechts entwickelten Regeln, wie das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot sowie das Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, sind weitgehend das Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung. Die Anforderungen an die mitgliedstaatliche Durchführung wurden dabei vom EuGH kontinuierlich verschärft. Während der Effektivitätsgrundsatz und das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz in den 1970er Jahren keine nennenswerte Rolle spielten,2 ist der Gerichtshof seit Mitte der 1980er Jahre dazu übergegangen, die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen an den mitgliedstaatlichen Rechtsschutz nach strengeren Kriterien zu beurteilen, indem er zunehmend selbst Regeln für die Durchsetzung des Unionsrechts aufstellte.3 Die Entwicklung nach 2000 zeigt, dass die Rechtsprechung insbesondere im Privatrecht an Intensität zugenommen hat.4 Dies betrifft zum einen die Herleitung neuer Rechtsbehelfe sowie die Konkretisierung sekundärrechtlich nur rudimentär geregelter Rechtsfolgen. Zum anderen wird aber auch das nationale Zivilprozessrecht vom EuGH mittlerweile verstärkt am Maßstab effektiver Rechtsdurchsetzung gemessen.

B. Grundlegung Konzeption, Funktion und Ermittlung der Unionsrechte Angesichts dieses Ausgangsbefunds stellte sich zunächst die Frage nach der Konzeption subjektiver Unionsrechte und ihrem Verhältnis zum nationalen Rechtsverständnis. Eine rechtsvergleichend-historische Analyse förderte ein disparates Bild zu Tage.5 Während kontinentaleuropäische Rechtsordnungen überwiegend einem 1

  Supra, § 2.   Supra, § 2 C. 3   Supra, § 4 D. 4   Supra, § 4 E. 5   Supra, § 3 B.I. 2

992

§ 12  Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

subjektiv-rechtlichen Ansatz folgen und das Prozessrecht als eine Teilrechtsordnung verstehen, die im Dienste der Verwirklichung des materiellen Rechts steht, wird das englische Rechtsdenken nach wie vor von einem aktionenrechtlichen Ansatz geprägt. Beide Rechtskreise bewegen sich aber konvergent aufeinander zu. Einerseits führt die durch das Unionsrecht hervorgerufene Materialisierung dazu, dass das Prozessrecht seine gegenüber dem materiellen Recht unabhängige Funktion verliert; die Einführung kollektiver Rechtsschutzformen begründet darüber hinaus Klagebefugnisse, die sich nicht mehr in sinnvoller Weise auf ein subjektives Recht oder einen materiellrechtlichen Anspruch zurückführen lassen. Andererseits ist in England zu beobachten, dass die zunehmende Bezugnahme auf Grund- und Menschenrechte sowie unionsrechtlich verbürgte Rechtspositionen zur Relativierung des aktionenrechtlichen Denkens führt. Der EuGH vermeidet es bewusst, sich in seiner Rechtsprechung zu den Unionsrechten einem bestimmten mitgliedstaatlichen Verständnis anzuschließen. Zwar liegt der Unionsrechtsordnung ein zweistufiges Rechtsschutzsystem zugrunde: Die Verleihung subjektiver Rechte erfolgt durch das Unionsrecht, während der Rechtsschutz durch die Mitgliedstaaten realisiert wird, soweit nicht ausnahmsweise der direkte Rechtsweg zu den Unionsgerichten eröffnet ist.6 Die Möglichkeit der klageweisen Durchsetzung vor den nationalen Gerichten ist damit – gemäß der Maxime „ubi ius ibi remedium“ – erst die Konsequenz subjektiver Unionsrechte. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass das Denken in Aktionen im Unionsrecht überwunden ist. Die Mitgliedstaaten haben vielmehr die Wahl, ob sie die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte als materielle Rechtspositionen oder als reine Klagerechte ausgestalten.7 Auch der Begriff des Rechtsbehelfs wird im Unionsrecht ambivalent verwendet. Er umfasst zum einen die materiell-rechtlichen Grundlagen, die einer Klage zugrunde liegen, zum anderen aber auch die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Rechtsschutzes, und dabei nicht nur den Zugang zu Gericht und die Klagemöglichkeit, sondern sämtliche Verfahrensmodalitäten.8 Der in Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, Art. 47 GRC verankerte Rechtsschutzauftrag erstreckt sich daher – im Unterschied zu Art. 6 EMRK – nicht nur auf die verfahrensrechtlichen Rechtsbehelfe, sondern auch auf den vorgelagerten Bereich materieller Anspruchsgrundlagen.9 Ob eine Unionsnorm ein subjektives Recht beinhaltet, sollte nicht mit der Frage vermengt werden, ob die vorgesehene Berechtigung im innerstaatlichen Recht unmittelbar wirkt. Die unmittelbare Wirkung gestattet es dem Unionsbürger, sich in einem laufenden Verfahren auch auf solche Normen des Unionsrechts berufen zu können, die für sich genommen keine Rechte zugunsten des Einzelnen begründen oder eine Rechtsverleihung bezwecken (Evokationsrecht).10 Aus der unmittelbaren Wirkung einer Norm folgt demgegenüber nicht automatisch das Recht, die betreffende Vorschrift zugleich offensiv durchzusetzen, um Abwehr‑, Beseitigungs‑, Unterlassungsoder Schadensersatzansprüche geltend zu machen.11 Der Verstoß gegen eine unmittelbar wirkende Unionsnorm reicht nicht aus, um faktisch Betroffenen subjektive  6

  Supra, § 3 B.II.1.   Supra, § 3 B.II.4.   Supra, §  3 B.II.3.a. – b.  9   Supra, § 3 B.II.3.c. 10   Supra, § 3 C.III.1. 11   Supra, § 3 C.III.2.  7  8

B. Grundlegung

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Rechte zu vermitteln. Die betreffenden Rechte bzw. Ansprüche müssen vielmehr in der jeweiligen Bestimmung selbst angelegt sein. Im Unionsrecht lassen sich direkt und indirekt begründete Rechte voneinander unterscheiden.12 Von einem direkt begründeten Recht lässt sich sprechen, wenn eine Unionsnorm ausdrücklich bestimmte Personen oder Personengruppen begünstigt und ihnen das Recht einräumt, diese Begünstigung gegenüber der Union, einem Mitgliedstaat oder Privaten einzufordern und gegebenenfalls vor den Gerichten oder anderen Instanzen durchzusetzen. Daneben geht der EuGH davon aus, dass Unionsrechte auch indirekt begründet werden können, nämlich durch eindeutige Verpflichtungen, die das Unionsrecht dem Einzelnen, den Mitgliedstaaten oder den Unionsorganen auferlegt. Die vom Gerichtshof anerkannten indirekt begründeten Unionsrechte dienen nicht nur dem Schutz des Einzelnen, sondern zugleich der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten. Da die Kommission im Wege der zentralen Rechtsdurchsetzung nicht ausreichend gewährleisten kann, dass das Unionsrecht in den Mitgliedstaaten befolgt wird, versteht der Gerichtshof den Einzelnen als Mittel zur individual-initiierten dezentralen Kontrolle der Anwendung des Unionsrechts. Dieser Gedanke spielte in den Anfangsjahren vor allem im öffentlichen Recht eine überragende Rolle.13 Seit den Entscheidungen des EuGH zum Antidiskriminierungsrecht ab den 1980er Jahren sowie zum EU‑Wettbewerbsrecht ab 2001 werden nicht nur die subjektiv-öffentlichen Rechte, sondern auch die subjektiv-privaten Rechte in zunehmendem Maße instrumentalisiert.14 Insoweit ist es durchaus zutreffend, wenn im Schrifttum von einer Mobilisierung der Bürger bzw. einer Funktionalisierung der subjektiven Rechte gesprochen wird. Zu weit geht dagegen die verbreitete These, dass Individualberechtigungen im Unionsrecht ausschließlich oder in erster Linie dem Kollektivinteresse an der dezentralen Kontrolle und Durchsetzung des Unionsrechts dienen. Die vorangegangene Analyse zeigt, dass der Schutz der Rechtsstellung des Einzelnen durch Zuerkennung individueller Berechtigungen in der Unionsrechtsordnung kontinuierlich an Bedeutung gewonnen hat.15 Die vom EuGH aufgestellten Grundsätze führen auch im Privatrecht nicht zu einer bedingungslosen Funktionalisierung individueller Rechte. Dem Durchsetzungsinteresse wird gerade nicht absoluter Vorrang gegenüber dem Rechtsschutzgebot eingeräumt. Eine Reihe von Entscheidungen zeigt vielmehr, dass der Gerichtshof – trotz aller Defizite, die mit Blick auf die effet utile-Rechtsprechung konstatiert werden müssen – durchaus bemüht ist, zwischen den individuellen Rechten des Einzelnen, dem Interesse an einer wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts sowie entgegenstehenden Rechten Dritter eine praktische Konkordanz herzustellen. Der Funktionalisierung individueller Rechte kommt dessen ungeachtet weiterhin erhebliche Bedeutung für die Ermittlung der Unionsrechte zu. Da der Unionsbürger durch die Geltendmachung seiner durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte zugleich eine effektive Kontrolle der Einhaltung des Unionsrechts ermöglichen soll, erkennt der EuGH individuelle Rechte in weitaus größerem Umfang und unter geringeren Voraussetzungen an als die in Deutschland zu §§ 42 Abs. 2 VwGO, 12

  Supra, § 3 E.I.1.   Supra, § 3 D.I.2. 14   Supra, § 3 D.I.3. 15   Supra, §  3 D.II. – III. 13

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§ 12  Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

823 Abs. 2 BGB entwickelte Schutznormtheorie.16 Das Prinzip der funktionalen Subjektivierung bewirkt, dass die der Schutznormtheorie zugrunde liegende Unterscheidung zwischen Allgemein- und Individualinteressen ihre klagerechtsbegrenzende Funktion verliert.17 Vom Grundsatz ist es irrelevant, ob mit der fraglichen Bestimmung Allgemeinwohl- oder Individualinteressen verfolgt werden. Da die Einzelnen über die Geltendmachung ihrer Rechte zur Beachtung des Unionsrechts insgesamt beitragen sollen, kann ein Interesse der Allgemeinheit immer auch ein Interesse einiger oder vieler Einzelpersonen sein. Erst recht ist eine gezielte Individualbegünstigung nicht erforderlich. Im Unterschied zur traditionellen Schutznormtheorie muss auch der Kreis der Betroffenen weder in räumlicher Hinsicht abgrenzbar sein, noch müssen die begünstigten Personen der Anzahl nach eingrenzbar sein oder sich sonst von der Allgemeinheit unterscheiden. Der generelle Individualschutzcharakter einer Norm spielt somit im Unionsrecht kaum eine Rolle. Die entscheidende Selektionsaufgabe liegt jenseits der Klassifizierung von Schutzgesetzen und Nicht-Schutzgesetzen. Entscheidend ist, wer als „Betroffener“ in den persönlichen Schutzbereich der Norm fällt: Nach Ansicht des EuGH ist grundsätzlich nur derjenige anspruchsberechtigt bzw. klagebefugt, der in den von der jeweiligen Norm geschützten Interessen beeinträchtigt ist bzw. sein könnte. Ein rein tatsächliches, idealistisch-altruistisches Interesse an der Einhaltung unionsrechtlicher Vorschriften reicht demgegenüber nicht aus, um ein ungeschriebenes, gerichtlich durchsetzbares Recht zu begründen. Die Schutznormtheorie ist mit dieser Konzeption grundsätzlich kompatibel.18 Die in Deutschland und anderen Ländern verbreitete Lehre vom Schutzzweck der Norm ist hinreichend flexibel, um im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung an die europäischen Vorgaben angepasst zu werden. Die nationalen Gerichte sollten dem EuGH die Gelegenheit geben, das Konzept der subjektiven Rechte weiter auszuformen. Ein besonderer Klärungsbedarf besteht mit Blick auf die Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden. Der Gerichtshof grenzt die Haftung für reine Vermögensschäden bislang nur über das Kriterium des Kausalzusammenhangs ein, ohne explizit auf Schutzzwecküberlegungen abzustellen. Diese Vorgehensweise überzeugt nicht. Die Kausalitätsprüfung ist für sich genommen zu abstrakt und unscharf; sie führt leicht zu willkürlichen Entscheidungen, da sie die hinter der Haftungszurechnung stehenden Schutzzwecküberlegungen verdeckt. Der EuGH sollte sich daher offen zur Schutzzwecklehre bekennen und Kriterien entwickeln, in welchen Fällen für reine Vermögensschäden gehaftet werden muss.

Allgemeine Vorgaben des Unionsrechts für die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsfolgen in den Mitgliedstaaten Zwar nimmt der EuGH für sich in Anspruch, das Unionsrecht dynamisch nach Maßgabe des effet utile weiterzuentwickeln und aus dem Primär- oder Sekundärrecht ungeschriebene Rechtsbehelfe, Sanktionen oder Verfahrensanforderungen abzuleiten. Die im Wege der Rechtsfortbildung begründeten Rechtspositionen werden jedoch nicht detailliert entwickelt, sondern nur dem Grunde nach statuiert, während die 16

  Supra, §  3 E.V.1. – 2.   Supra, § 3 E.V.3. 18   Supra, § 3 E.VI. 17

B. Grundlegung

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nähere Ausgestaltung den Mitgliedstaaten überantwortet wird. Subjektives Recht, Anspruchsvoraussetzungen, Rechtsfolgen und gerichtliche Durchsetzung liegen daher nicht auf derselben Normebene, sondern wurzeln – je nach Konkretisierungsgrad der fraglichen Norm und in Abhängigkeit zu den hierzu aufgestellten Vorgaben des EuGH – teils im Unionsrecht und teils im nationalen Recht.19 Der Gerichtshof respektiert auf diese Weise die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bereits bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und im Rahmen der Rechtsfortbildung. Nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich befugt, die zur Durchführung des Unionsrechts erforderlichen Regeln zu setzen und anzuwenden. Zwar ist der Grundsatz der Verfahrensautonomie primärrechtlich durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sowie das Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip abgesichert. Alle drei Prinzipien weisen den Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts aber keinen absolut geschützten Kernbereich zu, der gegenüber europäischen Einflüssen immun wäre.20 Mitgliedstaatliches Recht unterliegt insbesondere einer Kontrolle nach dem Effektivitätsgebot, das in der Rechtsprechung mit der Forderung nach einem effektiven Schutz der subjektiven Rechte einerseits eine subjektiv-rechtliche Ausprägung erfahren hat, andererseits mit dem Gebot der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionen aber auch eine objektiv-rechtliche Ausprägung aufweist.21 Inhaltlich zielen beide Formen des Effektivitätsgebots nicht auf eine vollständige Harmonisierung der Rechtsbehelfe und Sanktionen. Nicht jede Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit verstößt gegen das Effektivitätsgebot.22 Diese Grenze wird erst überschritten, wenn nationales Recht die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte übermäßig erschwert bzw. Normverstöße nicht hinreichend wirksam und abschreckend sanktioniert. Die subjektiv-rechtliche Ausprägung des Effektivitätsgebots (Rewe-Effektivitätsgebot) wird seit der Johnston-Entscheidung durch das Gemeinschafts- bzw. Unionsgrundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verstärkt und seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags zugleich primärrechtlich in Art. 47 GRC kodifiziert.23 Anders als gemeinhin angenommen, ist das Rewe-Effektivitätsgebot immer noch nicht mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz zu einem einheitlichen Rechtsinstitut verschmolzen. Auch in dogmatischer Hinsicht sprechen gute Gründe für eine klare Unterscheidung. Während das Rewe-Effektivitätsgebot der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten negativ in Form eines Vereitelungsverbots äußere Schranken setzt, sollen die Unionsgrundrechte positiv einen bestimmten Rechtsschutzstandard im Anwendungsbereich des Unionsrechts etablieren. Vor diesem Hintergrund wäre es weitaus transparenter, wenn der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung stärker zwischen dem Rewe-Effektivitätsgebot und dem Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz differenzierte.24 Auf diese Weise könnte zugleich der Dialog zwischen dem EuGH und dem EGMR verstärkt werden. Dieser Verständigung wäre es sehr viel förderlicher, wenn Fragen des gerichtlichen Rechtsschutzes nicht unter dem 19

  Supra, § 4 A.VI.   Supra, § 4 A.IV.‑V.   Supra, § 4 C.I.2. 22   Supra, § 4 C.III.2.b. 23   Supra, § 4 C.I.3. 24   Supra, § 4 C.I.3.c. 20 21

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§ 12  Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Deckmantel des Effektivitätsgebots, sondern im Kontext der justiziellen Unionsgrundrechte diskutiert werden. Überprüft der EuGH mitgliedstaatliche Rechtsfolgen nach Maßgabe des Effektivitätsgebots, so gesteht er den Mitgliedstaaten ein Rechtsformenermessen ein.25 Die Mitgliedstaaten können grundsätzlich frei entscheiden, ob Normverstöße durch strafoder verwaltungsrechtliche Sanktionen oder zivilrechtlich durchgesetzt werden. Dieses Rechtsformenermessen kann jedoch eingeschränkt sein, wenn zur wirksamen und abschreckenden Durchsetzung des Unionsrechts nur eine bestimmte Sanktion oder nur eine Kombination verschiedener Sanktionsarten geeignet ist.26 Da die Sanktionsmittel der jeweiligen Teilrechtsordnungen unterschiedlichen Funktionsbedingungen und Steuerungsgrenzen unterliegen, sind Sanktionsmittel nicht beliebig austauschbar. Bewertungsmaßstäbe für die Effektivität liefert das Modell der wechselseitigen Auffangordnungen, das an die Erkenntnisse der ökonomischen Analyse des Rechts und dabei insbesondere an die Theorie der optimalen Rechtsdurchsetzung anknüpfen kann.27 Nationale Rechtsfolgen unterliegen nicht nur dem Effektivitätsgebot, sondern zudem einer Kontrolle nach Maßgabe des Äquivalenzgebots.28 Während das Effektivitätsgebot für einen unionsweit einheitlichen Mindeststandard sorgt, perpetuiert das Äquivalenzgebot tendenziell die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede. Gewährt das nationale Recht einen im Vergleich zum Unionsrecht weitergehenden Rechtsschutz, so darf dieser nicht nur für rein innerstaatliche Klagen gelten. Vielmehr muss das (u. U. nur in einem Mitgliedstaat geltende) höhere Rechtsschutzniveau gleichermaßen für rein nationale wie unionsrechtlich determinierte Klagen gelten. Trotz dieser weitreichenden Vorgaben führt das Äquivalenzgebot nach wie vor ein Schattendasein. Nur wenige einzelstaatliche Gerichte sind bislang dazu bereit, einen Verstoß gegen das Äquivalenzgebot zu prüfen und eine Vergleichbarkeit von Klagen, von denen die eine der Durchsetzung des Unionsrechts und die andere der Durchsetzung „rein“ nationalen Rechts dient, in Betracht zu ziehen. Praktische Bedeutung hat das Äquivalenzgebot insbesondere in den Fällen erlangt, in denen der EuGH die heranzuziehende Vergleichsgrundlage unter Rückgriff auf Effektivitätserwägungen kurzerhand selbst bestimmt hat.29 Die sonstigen allgemeinen Rechtsgrundsätze, die vom EuGH zur Bewältigung indirekter Kollisionen herangezogen werden, weisen demgegenüber eine das Effektivitätsgebot begrenzende Funktion auf.30 Die angewandten Grundsätze (wie z. B. Rechtssicherheit, Verhältnismäßigkeit, Parteiherrschaft, Schutz der Verteidigungsrechte, Rechtskraft, Rechtsmissbrauchsverbot) ermöglichen es dem Gerichtshof, einer einseitig am Effektivitätsgebot orientierten Kontrolle mitgliedstaatlichen Rechts entgegenzuwirken. Der Gerichtshof sollte diesen Ansatz weiter ausbauen. In dem Maße, in dem der EuGH auf „allgemeine Grundsätze des Zivilrechts“ bzw. „Grundsätze des bürgerlichen Rechts“ rekurriert, kann ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen erzielt werden, selbst wenn die Interessen der anderen Partei im konkreten 25

  Supra, §  4 C.IV.1. – 3.   Supra, §  4 C.IV.4. – 5.   Supra, § 4 C.V. 28   Supra, § 4 D. 29   Supra, § 4 D.V.3.b. 30   Supra, § 4 E.I. 26 27

B. Grundlegung

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Fall nicht positiv im geschriebenen Unionsrecht berücksichtigt werden. Viele der vom EuGH anerkannten Rechtsgrundsätze sind im Privatrecht immer noch konturlos. Dies führt zu praktischen Problemen, wie das Beispiel des Rechtsmissbrauchsverbots demonstriert.31 Da der Gerichtshof für die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots im Privatrecht bislang kaum konkrete Vorgaben aufgestellt hat, entscheiden die einzelstaatlichen Gerichte häufig selbst auf der Grundlage des anwendbaren nationalen Rechts über die Frage, ob unionsrechtlich determinierte Rechte missbräuchlich ausgeübt werden. Eine Vorlage an den EuGH unterbleibt dabei zumeist. Diese Praxis verstößt gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV.

Wirkung und Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im nationalen Recht Ein Rechtsstreit kann von den nationalen Gerichten erst dann auf der Grundlage einer bestimmten Norm des Unionsrechts entschieden werden, wenn die betreffende Norm unmittelbar wirkt oder im Wege der richtlinienkonformen Auslegung berücksichtigt werden kann. Für Richtlinien, die im Unionsprivatrecht dominieren, hält der Gerichtshof weiterhin am Ausschluss der horizontalen Direktwirkung fest.32 Der effet utile und das unionsrechtliche Rechtsschutzgebot erfahren damit eine gravierende Einschränkung. In der neueren Judikatur sind allerdings zwei Entwicklungen zu beobachten, die den Ausschluss der horizontalen Direktwirkung deutlich abmildern. Zum einen folgt aus der neueren EuGH-Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen die Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Fortbildung des nationalen Rechts.33 Zum anderen soll nach der Mangold-Doktrin eine kombinierte Anwendung von Primärrecht und Richtlinien zur Folge haben, dass Richtlinienbestimmungen auch im Verhältnis unter Privatpersonen eine negative unmittelbare Wirkung entfalten.34 Daraus kann nicht gefolgert werden, dass sämtliche Richtlinienbestimmungen unmittelbar wirken, soweit sie nur irgendeinen primärrechtlichen Rechtssatz konkretisieren.35 Eine solche Wirkung kommt nur dann in Betracht, wenn die primärrechtlichen Vorgaben selbst inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind. Auch für die Frage, inwieweit die vom EuGH aus dem Effektivitäts- und Äquivalenzgebot entwickelten Vorgaben eine unmittelbare Wirkung in Privatrechtsverhältnissen entfalten, ist dementsprechend danach zu differenzieren, ob sich die Anforderungen allein aus dem Primärrecht oder erst unter Rückgriff auf eine Richtlinie ergeben.36 Zu den immer noch ungelösten Problemen des Unionsrechts zählt die Frage, in welcher Weise der Einzelne gegen unionsrechtswidrig erlassenes nationales (Privat‑) Recht vorgehen kann und eine Klärung im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH erwirken kann. Das Unionsrecht eröffnet dem Einzelnen – auch unter Berücksichtigung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 GRC) – keine direkten Zugangsrechte zum EuGH.37 Verletzt ein letztinstanzliches Gericht seine Vorlagepflicht, stehen im Unionsrecht auch keine effektiven Möglichkeiten zur Ver31

  Supra, § 4 E.II. – V., insb. § 4 E.V.   Supra, §  5 A.IV.1. – 2. 33   Supra, § 5 A.IV.3. 34   Supra, § 5 A.IV.4.b. 35   Supra, §  5 A.IV.4.c. – d. 36   Supra, § 5 A.V. 37   Supra, § 5 B.I. 32

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§ 12  Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

fügung, mit denen zumindest nachträglich ein Verstoß sanktioniert werden könnte.38 Angesichts dieser Rechtsschutzdefizite besteht dringend die Notwendigkeit, in den Unionsverträgen eine Nichtvorlagebeschwerde oder eine Revision zum Gerichtshof vorzusehen.39 Im deutschen Recht sind die Rechtsschutzmöglichkeiten demgegenüber durch das BVerfG in letzter Zeit erheblich gestärkt worden.40 Da das BVerfG in seiner neueren Rechtsprechung nunmehr prüft, ob das Fachgericht Art. 267 Abs. 3 AEUV und die Cilfit-Kriterien beachtet hat, besteht die Hoffnung, dass die von Vielen beklagte „Krise des Vorabentscheidungsverfahrens im Zivilrecht“ zumindest in Deutschland ihr Ende findet.

C. Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Primär- und Sekundärrecht Im Anschluss an diese grundlegenden Fragen beschäftigte sich der dritte Teil dieser Schrift mit den Rechten, Rechtsbehelfen und Sanktionen in speziellen Rechtsgebieten. Dabei ergab sich ein äußerst divergentes Bild. Während die legislative und judikative Harmonisierung in einigen Bereichen bereits weit vorangeschritten ist, ist in anderen immer noch ungeklärt, inwieweit Normen des Primär- oder Sekundärrechts subjektive Rechte vermitteln und welche Vorgaben das Unionsrecht für die Bereitstellung und Ausgestaltung der Rechtsbehelfe und Sanktionen trifft.

Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten lassen sich unter Zugrundelegung einer subjektiv-rechtlichen Perspektive als transnationale Wirtschaftsrechte verstehen, die als Marktzutritts- und Marktaustrittsrechte einen Zugang zu den mitgliedstaatlichen Märkten gewährleisten sollen. Auch der EuGH stellt nunmehr bei sämtlichen Grundfreiheiten auf den Marktzugang ab, ohne dieses Kriterium aber in tatbestandlicher Hinsicht näher einzugrenzen.41 Nach hier vertretener Ansicht sollte für unterschiedslos anwendbare Maßnahmen, die unterhalb der Schwelle einer absoluten Marktzugangsschranke liegen, ein Spürbarkeitstest zugrunde gelegt werden:42 Für die produktbezogenen Grundfreiheiten empfiehlt sich ein quantitativer Spürbarkeitstest, mit dessen Hilfe das tatsächliche Ausmaß der Marktzugangsbeschränkung anhand empirischer Daten oder Erfahrungswerte gemessen wird. Bei den personenbezogenen Grundfreiheiten ist demgegenüber nicht nur nach der Intensität der Zugangsbeschränkung, sondern zugleich danach zu fragen, ob die betreffende Maßnahme in einen von den Personenverkehrsfreiheiten geschützten Kernbereich eingreift. Entsprechendes gilt für Beschränkungen der Ausfuhr und des Wegzugs, also für Marktaustrittsrechte.43 Die Grundfreiheiten begründen nicht nur subjektiv-öffentliche Rechte, die der Einzelne gegenüber einem Mitgliedstaat geltend machen kann, sondern darüber hinaus subjektiv-private Rechte. Die im Schrifttum vorgetragenen Einwände gegen das 38

  Supra, § 5 B.II.   Supra, § 5 B.II.5.   Supra, § 5 B.III.2. 41   Supra, § 6 C.II. 42   Supra, § 6 C.IV.3.d. 43   Supra, § 6 C.V. 39 40

C. Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Primär- und Sekundärrecht

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Konzept der horizontalen Direktwirkung sowie die Argumente für eine nur mittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten vermögen nicht zu überzeugen. Die horizontale Direktwirkung steht in Einklang mit den Wertungen des Wettbewerbsrechts, wenn man – wie hier vertreten – auch bei Handeln Privater einen Spürbarkeitstest zugrunde legt.44 Sie führt auch nicht zu unverhältnismäßigen Eingriffen in die Privatautonomie, da individuelle Auswahlpräferenzen und rechtsgeschäftliche Vereinbarungen in der Regel mangels spürbaren Eingriffs in den Binnenmarkt nicht der Grundfreiheitenkontrolle unterliegen.45 Vorzugswürdig ist die horizontale Direktwirkung vor allem deswegen, weil dieses Konzept im Unterschied zur bloß mittelbaren Drittwirkung sicherstellen kann, dass den Grundfreiheiten im Privatrechtsverkehr in allen Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit Rechnung getragen wird.46 Welche konkreten Rechtsfolgen sich bei einem Verstoß Privater gegen die Grundfreiheiten ergeben, ist in der Rechtsprechung des EuGH immer noch ungeklärt. Für das deutsche Recht ist davon auszugehen, dass rechtsgeschäftliche Klauseln, die gegen die Grundfreiheiten verstoßen, gem. § 134 BGB nichtig sind.47 Ein Verstoß Privater gegen die Grundfreiheiten begründet zudem Schadensersatzansprüche gem. § 823 Abs. 2 BGB sowie Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gem. § 1004 BGB und ggf. § 8 UWG.48 Ein Kontrahierungszwang ist demgegenüber abzulehnen.49

Kartellrecht Im Kartellrecht sind die Rechtsfolgen sehr viel umfangreicher als in anderen Rechtsgebieten festgelegt worden. Nachdem der EuGH einen kartelldeliktischen Schadensersatzanspruch nicht nur dem Grunde nach gefordert, sondern auch die Anforderungen an dessen Ausgestaltung in einer Reihe von Entscheidungen konkretisiert hatte, werden diese Vorgaben nunmehr durch die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 kodifiziert und in materiell- sowie prozessrechtlicher Hinsicht präzisiert.50 Im Ergebnis ist zu erwarten, dass die Richtlinie in vielen Mitgliedstaaten zu einer effektiveren Durchsetzung des EU‑Wettbewerbsrechts durch Schadensersatzklagen führt. Das von der Richtlinie aufgestellte Leitprinzip einer vollständigen Kompensation der Kartellgeschädigten wird demgegenüber nur bedingt verwirklicht. Problematisch ist insbesondere die einseitige Privilegierung von Kronzeugen bei der Außenhaftung51 und bei der Offenlegung von Beweismitteln.52 Beide Regelungen führen letztlich dazu, dass dem Bedürfnis nach einer wirksamen (öffentlichen) Durchsetzung des Wettbewerbsrechts – im Widerspruch zur EuGH-Rechtsprechung – einseitig der Vorrang vor den subjektiven Rechten der Geschädigten eingeräumt wird. Der Anwendungsbereich der Kartellschadensersatz-RL 2014/104 beschränkt sich auf individuelle Schadensersatzklagen. Sonstige Zivilrechtsfolgen, die sich bei einem 44

  Supra, §  6 E.III.2. – 3.   Supra, § 6 E.IV.3. 46   Supra, §  6 E.IV.4. – 5. 47   Supra, § 6 E.V.2. 48   Supra, §  6 E.V.3. – 4. 49   Supra, § 6 E.V.5. 50   Supra, § 7 C. 51   Supra, § 7 C.IV.3. 52   Supra, § 7 C.IX.2. 45

1000

§ 12  Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Verstoß gegen das EU‑Wettbewerbsrecht ergeben können (Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen und hieran anknüpfende Rückabwicklungsansprüche, Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche, einstweilige Verfügung, kollektive Schadensersatzklagen sowie sonstige Kollektivklagen) liegen außerhalb ihres Anwendungsbereichs. Der EuGH hat die bei einem Wettbewerbsverstoß eintretenden Nichtigkeitsfolgen bislang nur ansatzweise ausgeformt. Für viele Fragen verweist der Gerichtshof dagegen auf das nationale Recht. Dies betrifft etwa die Frage, unter welchen Voraussetzungen Teil- oder Gesamtnichtigkeit eintritt, wann eine geltungserhaltende Reduktion zulässig ist, ob Verträge angepasst werden müssen oder ob Folgeverträge, die zwischen einem wettbewerbswidrig handelnden Unternehmen und unbeteiligten Dritten geschlossen werden, von der Nichtigkeitsfolge erfasst werden.53 Auch die Rückabwicklung (teil‑)nichtiger Verträge nach Bereicherungsrecht soll sich nach Auffassung des Gerichtshofs nach mitgliedstaatlichem Recht richten.54 Der Verweis auf nationales Recht führt zu divergierenden Lösungen und zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Auch diese Rechtsfolgen sollten daher durch das Sekundärrecht harmonisiert werden.55 Gleiches gilt für den negatorischen Rechtsschutz in Form von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen56 sowie vor allem für kollektive Schadensersatzklagen: Die Kartellschadensersatz-RL 2014/104 konzentriert Schadensersatzansprüche nicht auf die Direktabnehmer, sondern weist auch Folgeabnehmern eine Aktivlegitimation zu.57 Korrespondierend hierzu kann der Schädiger den Einwand der Schadensabwälzung geltend machen.58 Ist dieser Einwand auf sämtlichen Zwischenabsatzstufen erfolgreich, sind nur noch die Endabnehmer anspruchsberechtigt. Bei diesen entstehen aber in der Regel relativ geringe Streuschäden, an deren Geltendmachung die Geschädigten regelmäßig kein Interesse haben. Da bislang nur in wenigen Mitgliedstaaten kollektive Rechtsschutzinstrumente eingeführt worden sind, mit denen das Problem der Streuschäden angemessen bewältigt werden kann, besteht die Gefahr einer Untersanktionierung. Eine europaweite Harmonisierung kollektiver Schadensersatzklagen nach dem Opt-out-Modell erscheint daher rechtspolitisch geboten.59

Das beihilferechtliche Durchführungsverbot Die private Durchsetzung des Beihilferechts ist im Vergleich zum Kartellrecht immer noch unterentwickelt. Theoretisch stehen Wettbewerbern, die durch einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot geschädigt werden, umfassende primär- und sekundärrechtliche Ansprüche zu.60 Dass der EuGH gewillt ist, für eine effektive Durchsetzung des Beihilferechts zu sorgen, kommt in jüngeren Entscheidungen (insb. zur Bindungswirkung von Eröffnungsbeschlüssen der Kommission)61 deutlich zum Ausdruck. Auch die Europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, die private Durchsetzung des Beihilferechts zu stärken. Praktisch gesehen besteht seitens der 53

  Supra, §  7 B.I. – II.   Supra, § 7 B.III. 55   Supra, § 7 B.V. 56   Supra, § 7 D. 57   Supra, § 7 C.III.4. 58   Supra, § 7 C.V.3.d. 59   Supra, § 7 X. 60   Supra, §  8 D.I. – II. 61   Supra, § 8 B.III. 54

C. Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Primär- und Sekundärrecht

1001

mitgliedstaatlichen Gerichte dennoch wenig Bereitschaft, die vom EuGH aufgestellten Rechtsschutzpostulate auszuschöpfen. In der Vergangenheit hatten Konkurrentenklagen vor den deutschen Zivilgerichten keinen Erfolg. Erst zwei bahnbrechende Entscheidungen des BGH aus dem Jahre 2011 brachten den Durchbruch.62 Seitdem steht fest, dass geschädigte Konkurrenten gegen den Beihilfegeber sowohl deliktische als auch lauterkeitsrechtliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche geltend machen können, mit denen die Auszahlung einer Beihilfe verhindert oder deren Rückzahlung nebst Zinsen an den Beihilfegeber bewirkt werden kann. Ganz anders sieht es dagegen bei Schadensersatzklagen konkurrierender Unternehmen gegen den Beihilfegeber oder gegen den Beihilfenehmer aus. Derartige Klagen hatten – soweit ersichtlich – bislang in keinem einzigen Mitgliedstaat Erfolg.63 Konsequenterweise müsste das Effektivitätsgebot nunmehr aktiviert werden, um Schadensersatzansprüchen betroffener Konkurrenten den Weg zu ebnen.64 Dafür spricht nicht nur das Rechtsschutzgebot, sondern auch der Sanktionsgedanke. Da geschädigte Konkurrenten in der Praxis nur Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche, nicht aber Schadensersatzansprüche durchsetzen können, müssen Beihilfegeber, die gegen das Durchführungsverbot verstoßen, bislang mit keinerlei Sanktionen rechnen. Im Gegenteil: Ist der vom Konkurrenten geltend gemachte Rückforderungsanspruch erfolgreich, so erhält die öffentliche Hand die gewährte Beihilfe sogar nebst Zinsen zurück.

Antidiskriminierungsrecht Das europäische Primärrecht kennt eine Reihe von speziellen Diskriminierungsverboten, die einen sozialpolitischen Zweck erfüllen. Darüber hinaus hat der Gerichtshof im Fall Mangold die Existenz eines unabhängig vom Sekundärrecht bestehenden Verbots der Altersdiskriminierung behauptet, das in Privatrechtsstreitigkeiten eine negative unmittelbare Wirkung haben soll. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass auch der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz eine horizontale Direktwirkung entfaltet.65 Eine solche Wirkung widerspräche nicht nur dem Kompetenzgefüge, sondern zugleich der Grundentscheidung, dass die Europäische Union auch nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags an der Entscheidung für eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb festhält. Das geltende Sekundärrecht enthält eine Reihe von Diskriminierungsverboten, die nicht nur im Arbeitsrecht, sondern auch im allgemeinen Zivilrechtsverkehr zu beachten sind. Obwohl frühere Richtlinien äußerst unbestimmt waren, konkretisierte der Gerichtshof die dem Einzelnen zustehenden Rechte und Rechtsbehelfe nach unionsrechtlichen Kriterien unter Rekurs auf das Gebot „wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender“ Sanktionen und das Rechtsschutzpostulat.66 Der Unionsgesetzgeber hat auf diese Entwicklung reagiert und versucht, die vom EuGH entwickelten Grundsätze zumindest teilweise zu kodifizieren.67 62

  Supra, §  8 D.III.1. – 3.   Supra, § 8 D.III.3. – 4. und § 8 D.IV.2.   Supra, § 8 E. 65   Supra, § 9 B.II. 66   Supra, § 9 C.II. 67   Supra, §  9 C.III. – IV. 63 64

1002

§ 12  Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Das deutsche Recht zur Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien ist, gemessen an diesen Vorgaben, in mehrfacher Hinsicht defizitär. Im Arbeitsrecht68 verstößt die verschuldensabhängige Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen in den §§ 15 Abs. 1 S. 2, 15 Abs. 3 AGG gegen den vom EuGH aufgestellten Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung. Die in § 2 Abs. 4 AGG angeordnete Ausnahme diskriminierender Kündigungen vom Anwendungsbereich des AGG ist mit dem Unionsrecht ebenso wenig zu vereinbaren, sofern dieser Ausschluss auch auf die im AGG geregelten Sekundärrechtsansprüche bezogen wird. Im allgemeinen Zivilrecht69 lässt sich die in § 21 Abs. 2 S. 2 AGG angeordnete Haftung für vermutetes Verschulden nicht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang bringen, denn nach dieser dürfen Verstöße gegen Diskriminierungsverbote auch im allgemeinen Zivilrechtsverkehr nicht von einem Verschulden abhängen. Auch der von den Richtlinien geforderte Schutz vor Viktimisierungen wird im AGG nicht ausreichend gewährleistet. Weitere Defizite sind mit Blick auf die fehlenden öffentlich-rechtlichen Sanktionen zu konstatieren. Während viele Mitgliedstaaten die zivilrechtlichen Rechtsbehelfe durch straf- und/oder verwaltungsrechtliche Sanktionen ergänzen, den nationalen Gleichstellungsbehörden weitgehende Eingriffsbefugnisse zugestehen und teils auch Verbandsklagebefugnisse vorsehen,70 hat sich der deutsche Gesetzgeber bewusst für eine rein zivilrechtliche Lösung entschieden, bei der nur die von einer Diskriminierung konkret-individuell Betroffenen Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten haben. Dieser Ansatz greift vor allem bei abstrakten Diskriminierungen zu kurz.71 Der deutsche Gesetzgeber sollte die zivilrechtlichen Sanktionen daher durch öffentlich-rechtliche Sanktionen ergänzen, indem ein Bußgeldtatbestand eingeführt wird.

Verbraucherrecht Im Europäischen Verbraucherrecht hat selbst der Wechsel von der Mindest- zur Vollharmonisierung nicht zu einer höheren Dichte der Rechtsfolgen sowie der Sanktionsund Verfahrensvorschriften geführt. Die Mitgliedstaaten greifen daher bei Umsetzung verbraucherschützender Richtlinien nach wie vor auf ganz unterschiedliche Instrumente zurück. Dies zeigt sich im Bereich der privaten Rechtsdurchsetzung nicht nur an den individuellen Rechtsbehelfen, sondern auch an kollektiven Schadensersatzklagen (Gruppenklagen, Verbandsklagen, Musterverfahren),72 die im letzten Jahrzehnt in vielen Mitgliedstaaten neu eingeführt wurden, dabei aber von Land zu Land erheblich variieren. Erhebliche Divergenzen zeigen sich auch bei der Frage, ob das Verbraucherrecht durch öffentlich-rechtliche Sanktionen durchgesetzt wird.73 Während einige wenige Mitgliedstaaten (Deutschland, Österreich) vornehmlich auf ein private enforcement durch Einzelne und Verbände setzen, kann in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten ein Verstoß zusätzlich durch administrative, teils sogar durch strafrechtliche Sanktionen geahndet werden. 68

  Supra, § 9 II.   Supra, § 9 D.III.   Supra, §  9 C.V. – VI. 71   Supra, § 9 D.IV. 72   Supra, § 10 C.I.3. 73   Supra, §  10 C.II. – III. 69 70

C. Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Primär- und Sekundärrecht

1003

Für das deutsche Verbraucherrecht stellt sich das Problem, ob die bestehenden Rechtsdurchsetzungsmechanismen ausreichen, um der Forderung nach „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Sanktionen Rechnung zu tragen. Problematisch ist, dass im deutschen Recht auch nach der UWG-Novelle 2004 keine effektiven Instrumente für die Bewältigung von Streu- bzw. Bagatellschäden zur Verfügung stehen.74 Zur Schließung dieser Sanktionslücke bietet sich an, den in § 10 UWG vorgesehenen Gewinnabschöpfungsanspruch effektiver zu gestalten. Daneben sollte generell darüber nachgedacht werden, die Durchsetzung verbraucherschützender Normen nicht nur in die Hände von Privaten, sondern auch von Behörden zu legen.75 Eine Verschärfung oder Einführung strafrechtlicher Sanktionen unterhalb des Betrugstatbestands bei Verletzung wirtschaftlicher Verbraucherinteressen ist demgegenüber abzulehnen.76 Über die klassische Rechtsdurchsetzung hinaus werden mit der ADR-RL 2013/11 und der ODR-VO 524/2013 in Zukunft außergerichtliche Formen der Streitbeilegung im Verbraucherrecht an Bedeutung gewinnen. Diese Entwicklung stößt auf Bedenken. Die betreffenden Rechtsakte treffen keine ausreichenden Vorkehrungen dagegen, dass die dem Verbraucher durch das Unionsrecht zugewiesenen Rechte in außergerichtlichen Verfahren der Streitbeilegung entzogen werden.77 Dies steht im Widerspruch zum Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 47 GRC) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH. Die ADR-RL 2013/11 bedarf daher einer primärrechtskonformen Auslegung dahingehend, dass dem Verbraucher die erforderlichen Rechtsbehelfe eingeräumt werden müssen, um Entscheidungen einer ADR-Stelle gerichtlich nachprüfen zu lassen. Die sich bei einem Informationspflichtenverstoß ergebenden Rechtsfolgen werden derzeit in allen einschlägigen Richtlinien nur rudimentär und zudem in inkohärenter Weise geregelt.78 Der EuGH hat bislang nicht dazu beigetragen, die Rechtsbehelfe zu konkretisieren. Bei einem Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten kommen ganz unterschiedliche Rechtsfolgen in Betracht: Ein Verstoß führt in der Regel nicht dazu, dass das Zustandekommen des Vertrags vereitelt wird, da die Grundzüge des Vertragsprogramms zumeist im Wege der Auslegung bestimmt werden können.79 Eine absolute Nichtigkeit des Vertrags bei unterlassener Information ist weder im Unionsrecht vorgesehen, noch darf eine solche Rechtsfolge im mitgliedstaatlichen Recht angeordnet werden, da der Verbraucher selbst entscheiden können muss, ob er an dem Vertrag festhält oder nicht.80 Ein Verstoß gegen Informationspflichten kann sich insbesondere auf den Inhalt eines abgeschlossenen Vertrags auswirken.81 Einerseits wird der Verbraucher in der Regel nicht an ungünstige Vertragsbedingungen gebunden, wenn der Unternehmer eine hierauf bezogene Pflichtinformation unterlassen hat. Andererseits ist dem Unionsrecht der allgemeine Rechtsgrundsatz zu entnehmen, dass unzutreffende, für den Verbraucher günstige vorvertragliche Informationen 74

  Supra, § 10 C.IV.2.   Supra, § 10 C.IV.3. 76   Supra, § 10 C.IV.4. 77   Supra, § 10 C.I.4.b. 78   Supra, § 10 D.III. 79   Supra, § 10 D.IV.2. 80   Supra, § 10 D.IV.2.c. 81   Supra, § 10 D.IV.3. 75

1004

§ 12  Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Vertragsbestandteil werden. Daneben sind Vertragslösungsrechte erforderlich, wenn die unterlassene oder unzutreffende Information eine schwerwiegende Willensstörung verursacht, die die konkrete Vertragsentscheidung des Verbrauchers beeinflusst hat oder typischerweise wesentlich beeinflusst.82 Schließlich kann dem Unionsrecht der allgemeine Grundsatz entnommen werden, dass bei einem Verstoß Schadensersatzansprüche dem Grunde nach gewährt werden müssen.83 Zur Durchsetzung der Informationspflichten ist es darüber hinaus in besonderem Maße erforderlich, individuelle Rechtsbehelfe durch überindividuelle Sanktionen, insbesondere durch kollektive Rechtsbehelfe und eine behördliche Aufsicht zu verstärken.84 Der Erlass der VRRL 2011/83 hat nicht zu einer Vereinheitlichung der verbraucherschützenden Widerrufsrechte geführt. Sowohl die Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen des Widerrufs weichen von Richtlinie zu Richtlinie voneinander ab.85 Die derzeitige Zersplitterung sollte durch eine unionsweite Harmonisierung beseitigt werden. Die (vollharmonisierende) VRRL 2011/83 hat das Verbraucherschutzniveau erheblich zurückgeschnitten.86 Insbesondere der angeordnete Ausschluss des Widerrufs bei ausgeführten Dienstleistungen droht, die Effektivität des Widerrufsrechts zu untergraben.87 Grundsätzlich positiv zu bewerten ist demgegenüber, dass die VRRL 2011/83 die Rechtsfolgen eines Widerrufs sehr viel ausführlicher als frühere Richtlinien regelt, und damit zahlreiche Fragen, die in der Praxis ungeklärt waren, beseitigt. Kaum ein anderes Teilrechtsgebiet wird im Verbraucherrecht derzeit so intensiv durch die effet utile-Rechtsprechung des EuGH geprägt, wie die Kontrolle nicht im Einzelnen ausgehandelter Vertragsklauseln nach der Klausel-RL 93/13. Im Bereich der Rechtsfolgen wird nahezu jeder Aspekt durch unionsrechtliche Kriterien determiniert, angefangen vom Konzept der „Unverbindlichkeit“ missbräuchlicher und intransparenter Klauseln, über das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion und die Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung, bis zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag ohne die missbräuchliche Klausel fortbestehen kann.88 Besonders weitgehende Anforderungen hat der EuGH mit seiner Forderung entwickelt, dass das einzelstaatliche Gericht im Individualverfahren dazu verpflichtet ist, die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen zu prüfen, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt.89 Daneben hat der Gerichtshof die Effektivität abstrakter Kontrollverfahren durch die Vorgabe gestärkt, dass Unterlassungsurteile eine Bindungswirkung für nachfolgende Individualprozesse entfalten.90 Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten wird daher im Bereich der Klausel-RL 93/13 weitgehend eingeschränkt. Seine Rechtfertigung findet die verstärkte Kontrolle der nationalen Prozessrechte darin, dass seit dem LissabonVertrag in Art. 47 GRC justizielle Grundrechte verbürgt werden, mit denen positiv ein vom Gerichtshof zu bestimmender Rechtsschutzstandard im Anwendungsbereich des Unionsrechts etabliert werden kann. 82

  Supra, § 10 D.IV.5.   Supra, § 10 D.IV.6. 84   Supra, § 10 D.V.2. 85   Supra, § 10 E.I.1. und § 10 E.II. – IV. 86   Supra, §  10 E.II.1.c. – d. 87   Supra, § 10 E.III.3. 88   Supra, § 10 F.II.4. und § 10 F.III.2. 89   Supra, § 10 F.II.5. 90   Supra, § 10 F.IV.3.b. 83

D. Perspektiven der Harmonisierung

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Die KaufRL 99/44 fordert im Unterschied zu vielen anderen Richtlinien nicht nur „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ Sanktionen, sondern zugleich ausdifferenzierte Rechtsbehelfe des Verbrauchers bei Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen sind dennoch aufgrund der Mindestharmonisierung so groß, dass nicht von einem einheitlichen Kaufrecht in Europa gesprochen werden kann.91 Dessen ungeachtet hat der EuGH in mehreren Urteilen deutlich die Bereitschaft erkennen lassen, die in der Richtlinie verankerten Rechtsbehelfe weiter auszuformen. Im Fall Gebr. Weber & Putz wurde im Wege der Rechtsfortbildung sogar ein gänzlich neuer, verschuldensunabhängiger Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz bestimmter mangelbedingter Folgeschäden entwickelt, obwohl die Richtlinie Schadensersatzansprüche ausdrücklich dem nationalen Recht unterstellt.92 Die an diesem Urteil geäußerte Kritik ist zwar in methodischer Hinsicht berechtigt. Die Entscheidung ist dennoch kein Beleg für die verbreitete Ansicht, dass der EuGH den effet utile im Privatrecht eindimensional anwendet.93 Überraschend ist, dass die nationalen Gerichte bislang nur wenige Vorabentscheidungsverfahren zur KaufRL 99/44 eingeleitet haben. Obwohl die Richtlinie seit dem 1. Januar 2002 in jedem Mitgliedstaat zu beachten ist, konnte sich der EuGH bis Mitte 2016 nur in vier Urteilen zur Auslegung der Richtlinie äußern. Lässt man den acquis communautaire im Verbraucherrecht und die hierzu ergangene EuGH-Rechtsprechung Revue passieren, so bietet sich ein sehr heterogenes Bild. Die individuellen Rechte des Verbrauchers werden trotz angestrebter Revision des Verbraucherrechts immer noch weitgehend inkohärent und unvollständig geregelt. Zwar hat der EuGH versucht, die sich bei einem Verstoß gegen verbraucherschützende Vorschriften ergebenden Rechtsfolgen durch eine am effet utile orientierte Auslegung und eine Anwendung des Äquivalenz- und Effektivitätsgebots zu konkretisieren. Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch nur auf diejenigen Teilfragen, die Gegenstand des jeweiligen Vorabentscheidungsersuchens waren. Daran wird sich nichts ändern, zumal bestimmte Lücken im Sekundärrecht angesichts bewusster Nichtregelung auch in Zukunft nicht im Wege der Rechtsfortbildung durch den EuGH geschlossen werden können.

D. Perspektiven der Harmonisierung Eine weitere Angleichung der Rechtsdurchsetzungssysteme ist in vielen Bereichen unabdingbar, um eine effektive Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten sicherzustellen.94 In welchem Umfang dies geschehen muss, kann nur sektorspezifisch ermittelt werden. Die Intensität der erforderlichen Maßnahmen ist einerseits davon abhängig, inwieweit das materielle Recht bereits harmonisiert worden ist. Je stärker die Harmonisierung auf materiellem Gebiet voranschreitet, desto größer wird das Bedürfnis, zur Sicherung der Effektivität dieser Maßnahmen einheitliche Rechts91

  Supra, § 10 G.I.   Supra, § 10 G.II.5.a. 93   Supra, § 10 G.II.5.b. und § 10 G.VI. 94   Supra, § 11 A. 92

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§ 12  Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

behelfe und Sanktionen vorzusehen. Andererseits ist entscheidend, inwieweit auf mitgliedstaatlicher Ebene bereits effektive Rechtsdurchsetzungsin­strumente vorhanden sind. Eine Zuständigkeit der Europäischen Union zur Angleichung der Rechtsdurchsetzungsvorschriften folgt nach hier vertretener Ansicht aus einer Annexkompetenz, die stets dann greift, wenn ein bestimmtes Gebiet aufgrund einer entsprechenden Einzelermächtigung bereits harmonisiert worden ist und eine einheitliche und wirksame Anwendung dieser Regeln eine Mit-Regelung der Rechtsfolgen zwingend erfordert.95 Da die Mitgliedstaaten in einigen Bereichen über sehr unterschiedliche Rechtsschutz- und Sanktionssysteme verfügen, ist nicht damit zu rechnen, dass sich mittelfristig betrachtet der politische Wille für eine stärkere Angleichung der Rechtsfolgen auf sämtlichen Gebieten gleichermaßen durchsetzen wird. Der Widerstand, der sich in einigen Mitgliedstaaten gegen den Verordnungsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht formiert und Ende 2014 zur Rücknahme des Vorschlags geführt hat, ist ein warnendes Beispiel, dass sich allzu ambitionierte Projekte gegenwärtig wohl nicht realisieren lassen. Der EuGH wird daher auch in Zukunft mit seiner effet utile-Rechtsprechung die entscheidenden Impulse setzen müssen, damit sich – über den zu vertiefenden transnationalen akademischen Diskurs hinaus  – auch in den Mitgliedstaaten endlich die Einsicht durchsetzt, dass eine effektive und transparente Rechtsangleichung gleichermaßen Tatbestand und Rechtsfolge, Verhaltens- und Sanktionsnorm, subjektives Recht und Rechtsbehelfe umfassen muss.

95

  Supra, § 11 B.

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Stichwortverzeichnis Abhilfe (bei Lieferung vertragswidriger ­Verbrauchsgüter)   924  ff. Abnehmer – mittelbarer, s. Folgeabnehmer – unmittelbarer, s. Direktabnehmer Abschöpfung, s. Gewinnabschöpfung Abschreckung, s. Sanktion Abwälzungseinwand, s. passing on defence Abwehrrecht   90 ff., 97, s. auch Beseitigungsanspruch, Unterlassungs­ anspruch ACQP (Acquis Principles)   747 f. – AGB-Kontrolle   880 f. – Antidiskriminierungsrecht   732 ff. – vorvertragliche Informationspflichten   830 ff., 849 f. – Widerrufsrecht   857 ff. Acquis Group   747 f. acte clair-Doktrin   116, 371, 436, 448, 450 f., 884, 894 actio popularis   174 f. AGB-Kontrolle   878 ff. AGG-Hopper   369 f. Åkerberg Fransson (EuGH-Urteil)   199 f., 258 Aktionenrechtliches Denken   62 ff. Alassini (EuGH-Urteil)   43, 779 Alcan II (EuGH-Urteil)   666 f. Allgemeine Rechtsgrundsätze   344 ff., s. auch Rechtsmissbrauchsverbot, ­Verwirkung Alpine Investments (EuGH-Urteil)   480, 488 Alsthom Atlantique (EuGH-Urteil)   240 Altersdiskriminierung, s. Diskriminierungsverbote Anfechtungsrecht (bei Verstoß gegen EU‑Recht)   516, 556, 838 ff. Angonese (EuGH-Urteil)   500 f., 508 f. Anhörung, s. rechtliches Gehör Anlegerschutz   757 ff. Annexkompetenz der EU, s. Kompetenzen der EU Anspruch (Begriff, Konzeption)   56 ff.

Anwendungsbereich des Unionsrechts   197 ff. Äquivalenzgebot   327 ff. Arbeitsrecht   340, 414 ff., 703 ff., 726 ff. Association de médiation sociale (EuGHUrteil)   423 f., 702 Atlanta Fruchthandelsgesellschaft (EuGHUrteil)   28, 117 ff. Audiolux (EuGH-Urteil)   352, 422 Auffangordnungen, Konzept der wechsel­ seitigen   310 ff., 724 f., 793 ff. Aufklärungspflichten, s. Informations­ pflichten Ausführungsvertrag (im Kartellrecht)   551 Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH   217 ff., s. auch richtlinien­ konforme Auslegung, Vertragsauslegung Außergerichtliche Streitbeilegung   777 ff. Außervertragliche Haftung der EU   136 ff., 163 f., 188 f., 593 f., 643 Automec II (EuGH-Urteil)   530 Aziz (EuGH-Urteil)   882, 884 Bagatellschaden, s. Streuschaden Banco Español de Crédito (EuGH-Urteil)   893 f. Banif Plus (EuGH-Urteil)   898 f. Bankaufsichtsrecht   164 ff. Begrenzte Einzelermächtigung   203 ff., 982, s. auch Kompetenzen der EU Beibringungsgrundsatz, s. Prozessrecht Beihilferecht   645 ff. Belieferungsanspruch, s. Kontrahierungszwang Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung bei Verstoß gegen – AGB-Recht   894 ff. – Beihilferecht   665 ff. – Grundfreiheiten   496 f., 515 ff. – Kartellrecht   559 ff., s. auch Erstattungsanspruch, öffentlich-rechtlicher Bereicherungsverbot   111 f., 603 ff. Beschränkungsverbot (Grundfreiheiten)   468 ff.

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Stichwortverzeichnis

Beseitigungsanspruch bzw. ‑klage bei ­Verstoß gegen – AGB-Recht   914 f. – Antidiskriminierungsrecht   719 f. – Beihilferecht   674 ff., 682 f., 687 f. – Grundfreiheiten   520 – Kartellverbot   628 ff. Bestandskraft (von Verwaltungsentscheidungen)   437 ff. Bestimmtheitsgebot – hinreichende Bestimmtheit von Normen   143 ff. Beteiligungsrechte (im Verwaltungsverfahren)   168 Betroffenheit (tatsächliche, faktische)   175 ff. Betrug   363 f. Beweislastverteilung im – Beihilferecht   675 f. – Kartellrecht   575 ff., 600 f., 617 ff. – Verbraucherrecht   851 f. Bilanzrecht   179 f. Bindungswirkung – kartellbehördlicher Entscheidungen   578 ff. – von Eröffnungsbeschlüssen der Kommission im Beihilferecht   653 ff. – von Verbandsklageverfahren   912 ff. Binnenmarkt   108 f. – digitaler   750 f. Bosman (EuGH-Urteil)   247 f., 470 f., 488, 500 Brasserie du Pêcheur (EuGH-Urteil)   29, 339 breach of statutory duty   65 f., 148, 156, 341, 640, s. auch Schutzgesetz Bulicke (EuGH-Urteil)   339 ff., 717 f. Burtscher (EuGH-Urteil)   246 f. Camping-Faltanhänger (BGH-Urteil)   937 ff. Carpenter (EuGH-Urteil)   178 Cassis de Dijon (EuGH-Urteil)   469, 738 f., 800 CDC (EuGH-Urteil)   609 CELF I (EuGH-Urteil)   659 f. CELF II (EuGH-Urteil)   660, 666, 675 Centros (EuGH-Urteil)   356 CIA Security International (EuGH-Urteil)   395, 399 f. CISG   921, 930 f., 935, 947, 949 class action (USA)   533 f., 626 CMC Motorradcenter (EuGH-Urteil)   241 f. Comitato (EuGH-Urteil)   144 f. Commission on European Contract Law   747 Common Frame of Reference, s. DCFR contra legem-Grenze   267, 411 f.

Costa / ENEL (EuGH-Urteil)   16 f. Courage (EuGH-Urteil)   35, 129, 164, 179, 218 ff., 358, 528 Crailsheimer Volksbank (EuGH-Urteil)   37 f., 843 ff., 873 culpa in contrahendo   836 ff., 840 ff. Dahms (EuGH-Urteil)   36, 145 Dansk Supermarked (EuGH-Urteil)   501 f. Dassonville (EuGH-Urteil)   469, 487 DCFR (Draft Common Frame of Reference)  746 ff. – AGB-Kontrolle   880 f. – Antidiskriminierungsrecht   732 f. – vorvertragliche Informationspflichten   830 ff., 842 f., 849 f. – Widerrufsrecht   858, 860 ff. deadweight loss   320 f. Defrenne II (EuGH-Urteil)   18 f., 415 f., 699 Dekker (EuGH-Urteil)   706, 713 Demokratie   101 f. Deutsche Lufthansa (EuGH-Urteil)   653 ff. Deutsche Milchkontor (EuGH-Urteil)   196 f., 210 ff., 344 Diamantis (EuGH-Urteil)   357 f., 365 Dienstleistungen von allgemeinem Interesse   760 ff. Differenzhypothese   599 f., 942 Direktabnehmer (als Anspruchsberechtigte im Kartellrecht)   582 f. Direktwirkung, s. unmittelbare Wirkung discovery   318, 533, 621 Diskriminierungsverbote   698 ff., 702 f. – Altersdiskriminierung   36 f., 418 – Grundfreiheiten als D.   468 ff. – im Arbeitsrecht   703 f. – im allgemeinen Zivilrecht   704 ff. Dispositionsgrundsatz, s. Prozessrecht Donau Chemie (EuGH-Urteil)   122, 619 ff. Doppelbestrafung, Verbot der, s. ne bis in idem Draehmpaehl (EuGH-Urteil)   338 f., 707, 715 f. Durchführung (des Unionsrechts)   197 ff. Échirolles Distribution (EuGH-Urteil)   144 Eco Swiss (EuGH-Urteil)   336 Effektivitätsgebot   19 f., 215 ff., 249 ff., 271 ff. – Abgrenzung zum – Äquivalenzgebot   330 f. – effet utile   250 f. – Effizienzprinzip   314 f. – Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz   256 ff.

Stichwortverzeichnis

effet utile   11 ff. – Abgrenzung zum Effektivitätsgebot   250 f. – Eindimensionalität   106 ff. – Konflikt mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz   114 ff. Effizienz, s. ökonomische Analyse des Rechts Einbaufälle   931 ff. Einstweiliger Rechtsschutz   27 f., 117 ff., 630, 668 f., 679 f., 685 f. EMRK (Europäische Menschenrechts­ konvention)   80 f., 253 f., 259 f., 434 f., 444 f., 796 f. Emmott (EuGH-Urteil)   24 f. EnBW (EuGH-Urteil)   619 f. Endress (BGH-Urteil)   408 Endress (EuGH-Urteil)   862 f., 821 Energierecht   760 ff. Erklärungsbewusstsein   826 f., 839 Ersatzlieferung, s. Abhilfe Erstattungsanspruch, öffentlich-rechtlicher   26 f., 137, 184, 603 f., 895 f., s. auch bereicherungsrechtliche Rückabwicklung ERT (EuGH-Urteil)   198 ff. essential facility   630 f. essentialia negotii   664 f., 825 f. Evokationsrecht   90 ff. ex officio-Pflicht der nationalen Gerichte, s. Prozessrecht Factortame I (EuGH-Urteil)   27 f. Feryn (EuGH-Urteil)   708, 730 Finanzmarkt, s. Kapitalmarktrecht Fluggastrechte-Verordnung   38, 757 Flughafen Lübeck (EuGH-Urteil)   653 ff. Folgeabnehmer (als Anspruchsberechtigte im Kartellrecht)   583 ff. Folgevertrag (im Kartellrecht)   552 ff. forum shopping   975 ff., 626, 628 Fra.bo (EuGH-Urteil)   503 ff. Francovich (EuGH-Urteil)   28 ff., 90, 99, 641 ff. Französische Bauernproteste (EuGH-Urteil)  301 f., 494 ff., 502 f. Freiburger Kommunalbauten (EuGH-Urteil)  879 f. Fristen (Ausschluss‑, Klage‑, Präklusions‑, Verjährungs‑, Widerrufsfristen)   24 f., 273, 279 f., 339 ff., 347, 438, 701 f., 717 f., 860 ff., s. auch Verjährung Friz (EuGH-Urteil)   39, 352 Funktionalisierung – der subjektiv-öffentlichen Rechte   99 ff. – der subjektiv-privaten Rechte   104 ff.

1111

Gebr. Weber & Putz (EuGH-Urteil)   39, 931 ff. Gehör, s. rechtliches Gehör Geldbußen – im Antidiskriminierungsrecht   721 ff. – im Kartellrecht   526 – im Verbraucherrecht   782 f. Geltungserhaltende Reduktion – bei AGB   889 ff. – im Antidiskriminierungsrecht   719 – im Kartellrecht   550 f. Gemeinsamer Referenzrahmen, s. DCFR Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, ­Verordnungsvorschlag   749  f. Gemeinschaftsgrundrechte, s. Unionsgrundrechte Generalklauseln im Unionsrecht   222 ff. Generalprävention, s. Präventionsgedanke Genil 48 (EuGH-Urteil)   296, 306 ff., 822, 824 Gerichtsstand (im Kartellrecht)   608 ff. Gerichtsstandsklausel   887 Gesamtgläubigerschaft (im Kartellrecht)   608 Gesamtschuldnerische Haftung (im Kartellrecht)   595 f. Gesetzliches Verbot, s. Nichtigkeit Gewinnabschöpfung – im deutschen Kartellrecht   541 f. – im deutschen Lauterkeitsrecht   775 f., 792 Gleichbehandlungsgrundsatz, s. Diskriminierungsverbote golden shares   471, 504 González Sánchez (EuGH-Urteil)   270 Graf (EuGH-Urteil)   242, 471, 480 f. Griechischer Maisskandal (EuGH-Urteil)   25 f., 301, 327, 329 Groenveld (EuGH-Urteil)   489 f. Großkrotzenburg (EuGH-Urteil)   91 Gruber (EuGH-Urteil)   358, 371 f. Grundfreiheiten   457 ff. – und nationale Rechtsfolgen   234 ff. Grundrechte, s. Unionsgrundrechte Gruppenklage – im Kartellrecht   623 ff. – im Verbraucherrecht   773 ff., s. auch Musterklage, kollektive Rechtsdurchsetzung, Verbandsklage GWB-Novellen (Deutschland)   539 ff. Gysbrechts (EuGH-Urteil)   490 f. Haftungshöchstgrenzen   716 f., 727 Hamilton (EuGH-Urteil)   39, 228, 351 f., 373, 867 Heemskerk (EuGH-Urteil)   120 f.

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Stichwortverzeichnis

Heininger (EuGH-Urteil)   37, 373, 861, 863 Herausgabeanspruch, s. bereicherungsrechtliche Rückabwicklung Hirmann (EuGH-Urteil)   296, 300, 822 homo oeconomicus   313 Honeywell (BVerfG-Beschluss)   419 f. Immaterialgüterrecht   61, 110 ff., 230 ff., 289 f. Immaterielle Nachteile bzw. Schäden   38, 709 ff., 714 f., 726 ff., 733, 946 f. implied powers, s. Kompetenzen der EU Individualrechtsschutz – im Verwaltungsrecht   150 ff. – im Zivilrecht   153 ff., 569 ff., 802 ff., s. auch Institutionenschutz Individuelle Rechte, s. subjektives Recht Informationsasymmetrien   317 Informationsparadigma   739, 799 ff. Informationspflichten, vorvertragliche   798 ff. Inländerdiskriminierung   331, 462 f., 467 Institutionenschutz   569 ff., 802 ff., s. auch Individualrechtsschutz Internationale Handelsgesellschaft (EuGHUrteil)   16 f. Invitel (EuGH-Urteil)   887, 912 f. iura novit curia   41, 897 Janecek (EuGH-Urteil)   159 Johnston (EuGH-Urteil)   21 ff., 256 f. Kadi (EuGH-Urteil)   265 f. Kapferer (EuGH-Urteil)   438 Kapitalmarktrecht   129 f., 295 f., 305 ff., 758 f., 822 Kartellbehördliche Aufsicht   526 ff. Kartellbeteiligte als Anspruchsberechtigte   581 Kartellrecht   525 ff. Kásler (EuGH-Urteil)   819, 892 f. Kaufrecht   921 ff. Kausalität (haftungsbegründende und ‑ausfüllende) – im Beihilferecht   677 f., 691 – im Kartellrecht   589 ff. – im Verbraucherrecht   846 f. Keck (EuGH-Urteil)   240 f., 471 f. Kefalas (EuGH-Urteil)   357, 365 Klausel, s. AGB Köbler (EuGH-Urteil)   29, 436 Köck (EuGH-Urteil)   271 Kollektiver Rechtsschutz   61 ff. – im Antidiskriminierungsrecht   720 f. – im Kartellrecht   622 ff.

– im Verbraucherrecht   772 ff., 854 ff., s. auch Gruppenklage, Musterklage, ­Verbandsklage Kollision (zwischen Unionsrecht und ­nationalem Recht) – direkte und indirekte   212 f. Kompetenzen der EU   203 ff., 982 ff. – Abrundungskompetenz (Art. 352 AEUV)  204 – Annexkompetenz (implied powers)   204 ff., 982 f. – Binnenmarktkompetenz (Art. 114 AEUV)  203, 984 ff. Kompetenzen des EuGH   217 ff. Kone (EuGH-Urteil)   589 ff. Konkurrentenklage, s. Wettbewerber als Anspruchsberechtigte Kontrahierungszwang bei Verstoß gegen – Antidiskriminierungsrecht   718 – Grundfreiheiten   521 – Missbrauchsverbot   630 ff. Kontrolldichte verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen   84 f., 152 Krantz (EuGH-Urteil)   242 Kronzeugenregelung   122, 572 ff., 596 f., 619 ff. Kücükdeveci (EuGH-Urteil)   36 f., 416 ff. Ladbrokes Betting & Gaming (EuGH-Urteil)  245 f. Lando-Kommission, s. Commission on European Contract Law Lauterkeitsrecht   35 f., 812 ff. – Verhältnis zum – Kartellrecht   633 f. – Vertragsrecht   812 ff., 915 ff. Laval (EuGH-Urteil)   512 f., 518 f. Leitbild – des mündigen Verbrauchers   280 f., 753 f. – des rechtsunkundigen Verbrauchers   281 f., 897 f. – des verständigen Wirtschaftsteilnehmers   282 – im Rahmen der AGB-Kontrolle   902 ff. Leth (EuGH-Urteil)   159 f., 189 f. Lucchini (EuGH-Urteil)   438 Maastricht (BVerfG-Entscheidung)   419 Manfredi (EuGH-Urteil)   35, 339, 584 Mangelfolgeschaden   931 ff., 941 ff. Mangold (EuGH-Urteil)   36 f., 415 ff. Markenrecht   43, 290, 303, 359 f. Marktabgrenzung   477 f. Marktaustrittsrecht (Grundfreiheiten)   488 ff.

Stichwortverzeichnis

Marktwirtschaft   108 f. Marktzugangsrecht (Grundfreiheiten)   468 ff. Marleasing (EuGH-Urteil)   270, 402, 547 Marshall II (EuGH-Urteil)   707 ff. Martín Martín (EuGH-Urteil)   827 f. Masterfoods (EuGH-Urteil)   578 Materialisierung – des Privatrechts   60 – des Prozessrechts   60 ff., 978 Maximalharmonisierung, s. Vollharmonisierung Messner (EuGH-Urteil)   871 f. Minderung   943 ff., 947 f. Mindestharmonisierung   268, 538, 638, 741 ff. Mitverschulden   30, 614 f. Mobilisierung des Einzelnen   97 ff. more economic approach   575 f. Mostaza Claro (EuGH-Urteil)   336, 900 Muñoz (EuGH-Urteil)   35 f., 149, 390, 850 f. Musterklage   776 f., s. auch Gruppenklage, kollektive Rechtsdurchsetzung, ­Verbandsklage Nachbesserung, Nachlieferung, s. Abhilfe Naturalrestitution   631, 718, 840, 842, 849 ne bis in idem   297 f., 529 Negatorischer Rechtsschutz, s. Unterlassungsanspruch Nichtigkeit bei Verstoß gegen – Antidiskriminierungsrecht   701, 719 – Beihilferecht   657 ff. – Grundfreiheiten   515 ff. – Informationspflichten   827 f. – Kartellverbot   543 ff. – lauterkeitsrechtliche Pflichten   813 f. Nichtigkeitsklage (Art. 263 Abs. 4 AEUV)   115 ff., 133 ff., 182 f., 529 f., 670 ff. nulla poena sine culpa   797 f. nulla poena sine lege   725, 796 Nutzungsersatz (bei Ersatzlieferung)   928 ff. Öffentliche Auftragsvergabe, s. Vergaberecht Ökonomische Analyse des Rechts   311 ff. Olympique Lyonnais (EuGH-Urteil)   247 f. Ombudsmann   781 ff. ordre public   112 f. ordre public communautaire   41, 336 f., 439, 546, 779 ORWI (BGH-Urteil)   121 f., 585 ff., 605 f. Osman (EGMR-Urteil)   80 f. pacta sunt servanda   345, 835, 858, 944 Pannon (EuGH-Urteil)   897

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pari delicto-Regel   561 f., 581 Parmigiano Reggiano (EuGH-Urteil)   303 f., 791 passing on defence bzw. Abwälzungseinwand  23, 571, 601 ff. PECL   747 f., 833, 888 Pénzügy Lízing (EuGH-Urteil)   898 Pereničová (EuGH-Urteil)   820, 891 Persönlichkeitsrecht   340 f., 518, 609, 715 Peter Paul (EuGH-Urteil)   164 ff. Peterbroeck (EuGH-Urteil)   32 f. Pfeiffer (EuGH-Urteil)   404 ff. Pfleiderer (EuGH-Urteil)   122, 619 ff. Plaumann (EuGH-Urteil)   115 ff., 671 f. Pohotovost (EuGH-Urteil)   820 Popularklage, s. actio popularis Praktische Wirksamkeit, s. effet utile Präventionsgedanke (im EU‑Recht)   104 ff., 113 f., 282 ff., 314, 323 f., s. auch Sanktion (Abschreckung) Preisschirmeffekt bzw. umbrella pricing   588 ff. Privatautonomie   107 ff. – Antidiskriminierungsrecht   696 f. – Grundfreiheiten   510 ff. – Verbraucherrecht   768, 800 private enforcement, s. Rechtsdurchsetzung, private Privatrechtsgesellschaft   106 ff., 696 f. Produkthaftung   40, 147, 270 f. Prozessrecht (der Mitgliedstaaten)   40 ff. – Beibringungsgrundsatz   41 f., 898 f., 953 – Dispositionsgrundsatz   41 f., 61, 774, 897 ff., 953 – ex officio Anwendung des Unionsrechts   896 ff., 953 ff. – Verfahrenskosten   42 f. – Wiederaufnahme des Verfahrens   437 ff., s. auch Beweislastverteilung, Fristen, Rechtskraft public enforcement, s. Rechtsdurchsetzung, öffentlich-rechtliche punitive damages, s. treble damages, Strafschadensersatz Quelle (EuGH-Urteil)   39, 928 ff. Quelle II (BGH-Urteil)   407 f. Raccanelli (EuGH-Urteil)   501, 509, 518 Rating(agenturen)   758 f., 822 Recht, subjektiv-öffentliches bzw. subjektivprivates, s. subjektives Recht Rechtliches Gehör   22, 168 – bei Gruppenklagen   626, 774

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Stichwortverzeichnis

Rechtsbehelf (remedy) – im common law   62 ff. – im Unionsrecht   77 ff. Rechtsdurchsetzung, öffentlich-rechtliche   301 ff., 315 ff. – im Antidiskriminierungsrecht   721 ff. – im Beihilferecht   648 f. – im Kartellrecht   526 f. – im Verbraucherrecht   780 ff., 793 ff., 911 Rechtsdurchsetzung, private   99 ff., 304 f., 315 ff. – im Beihilferecht   645 ff. – im Kartellrecht   531 ff., 534 ff. – im Verbraucherrecht   783 f. Rechtsfortbildung – durch den BGH   407 ff. – durch den EuGH   11 ff., 219 ff. Rechtsirrtum   611 ff., 846 Rechtskraft   42 – Durchbrechung der   438 ff. Rechtskultur, nationale   977 ff. Rechtsmissbrauchsverbot (im Unionsrecht)   353 ff. Rechtsschutz, s. Unionsgrundrecht auf effektiven Rechtsschutz Rechtswidrigkeitszusammenhang   592 f. reformatio in peius   120 f., 252 Reiserecht   38 ff., 756 f., 821 remedy, s. Rechtsbehelf Reparatur, s. Abhilfe res judicata, s. Rechtskraft Restitution, s. bereicherungsrechtliche Rückabwicklung Rewe (EuGH-Urteil)   19 f., 256 ff. Richtlinienkonforme Auslegung bzw. Rechtsfindung (durch den BGH)   401 ff. Rücktrittsrecht – bei Lieferung vertragswidriger Verbrauchsgüter   943 ff., 948 ff. – bei Verstoß gegen vorvertragliche Informationspflichten   834 ff. San Giorgio (EuGH-Urteil)   26 f. Sanktion bzw. Sanktionsverpflichtung (EU‑Recht)   25 f., 260 ff., 291 ff. – Abschreckung   282 ff. – praktische Wirksamkeit   274 ff. – strafrechtliche   293, 301 f. – Verhältnismäßigkeit   286 ff. – verwaltungs(straf‑)rechtliche   293 f., 302 ff. Sapod Audic (EuGH-Urteil)   396, 400, 502 Schadensersatzanspruch bei Verstoß gegen – Antidiskriminierungsrecht   709 ff., 726 ff.

– – – –

Beihilferecht   676, 684 f., 688 ff. Grundfreiheiten   518 ff. Kartellrecht   566 ff. Verbraucherrecht   843 ff., s. auch Staatshaftung der EU‑Mitgliedstaaten Schenker (EuGH-Urteil)   527 Schieds- bzw. Schlichtungsverfahren, s. außergerichtliche Streitbeilegung Schmidberger (EuGH-Urteil)   109, 494 ff., 502 f., 511 f. Schrottimmobilien-Fälle   37 f., 841, 843 ff. Schuldrechtsmodernisierung   767 ff. Schulte (EuGH-Urteil)   37 f., 843 ff., 873 Schutzgesetz(‑erfordernis, ‑haftung, ‑verletzung)   50, 140 f., 154 ff., 993 f. – bei Verstoß gegen – Beihilferecht   681 ff. – Grundfreiheiten   510, 518 ff. – Kartellrecht   50, 539 f., 582, 640 ff., s. auch breach of statutory duty Schutznormtheorie bzw. Schutzzwecklehre – im nationalen Verwaltungsrecht   150 ff. – im nationalen Zivilrecht   153 ff. – im Unionsrecht   157 ff., 170 ff. – Kritik an der Schutznormtheorie   190 ff. Schutzpflichten (Grundfreiheiten)   494 ff. Selbstvornahme der Mängelbeseitigung   939 ff. SFEI (EuGH-Urteil)   338, 675 f. Simmenthal (EuGH-Urteil)   17 Solange II (BVerfG-Entscheidung)   452 Sonderprivatrecht, Sonderprozessrecht   977 f. specific perfomance   64 f., 86, 925 Spürbarkeitstest (Grundfreiheiten)   481 ff., 507 ff. Staatshaftung der EU‑Mitgliedstaaten   28 ff., 163 – bei Verstoß gegen – Beihilferecht   676 ff., 683 f., 688 ff. – Grundfreiheiten   496 – Vorlagepflicht   436 f. Standardisierung, s. Typisierung statutory duty, s. breach of statutory duty Steffensen (EuGH-Urteil)   257 f. Strafrechtliche Sanktionen bei Verstoß gegen – Antidiskriminierungsrecht   721 ff. – Kartellverbot   527 – Verbraucherrecht   785 ff., 795 ff., s. auch Sanktionen Strafschadensersatz (exemplary, punitive damages)   110 ff., 598 f., 711 ff. – in England   341 ff., 598 – in Schweden   520, s. auch treble damages

Stichwortverzeichnis

Streitgenossenschaft   542, 623, 791 Streitverkündung   607 Streuschaden   319 – im Kartellrecht   121 f., 622 ff. – im Verbraucherrecht   791 ff. Study Group on a European Civil Code   747 f. Sturgeon (EuGH-Urteil)   38, 390 Subjektives Recht (mitgliedstaatliches ­Verständnis)   54  ff. Subjektives Recht (unionsrechtliches ­Verständnis)   68  ff. Subsidiaritätsprinzip   208 f., 986 ff. Tessili (EuGH-Urteil)   231 T‑Mobile Netherlands (EuGH-Urteil)   217 f., 577 Traghetti del Mediterraneo (EuGH-Urteil)   676 f. Transparenz – AGB   901 ff. – Informationspflichten   808 f. treble damages   321, 533, s. auch Strafschadensersatz Treu und Glauben   345, 352, 354 f., 369 ff., 546, 864, 883 f. Typisierung (im Verbraucherrecht)   753 f. Überobligatorische Umsetzung (von Richt­ linien)   639, 767 f. ubi jus, ibi remedium   34 umbrella pricing, s. Preisschirmeffekt Umweltrahmenbeschluss (EuGH-Urteil)   205 f., 302, 983 Umweltrecht   31, 157 ff. UN‑Kaufrecht, s. CISG Unibet (EuGH-Urteil)   28, 118 Unilever Italia (EuGH-Urteil)   91 f., 395 f., 400 Unionsbürgerfreizügigkeit   465 ff. Unionsbürgerschaft   459 Unionsgrundrecht auf effektiven Rechtsschutz   253 ff., s. auch Effektivitätsgebot, effet utile Unionsgrundrechte   19, 197 ff. Unionsrechte, s. subjektives Recht (unionsrechtliches Verständnis), Unionsgrundrechte Unmittelbare Wirkung (des Unionsrechts)   379 ff. Unschuldsvermutung   264, 294, 725, 797 f. Unterlassungsanspruch bzw. ‑klage bei ­Verstoß gegen – AGB-Recht   911 ff.

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– Antidiskriminierungsrecht   719 f. – Beihilferecht   674 ff., 682 f., 687 f. – Grundfreiheiten   520 – Kartellverbot   628 ff. – lauterkeitsrechtliche Pflichten   35 f., 813 – Informationspflichten   812, 850 f. – Verbraucherrecht   771 f. Unwirksamkeit, s. Nichtigkeit Urteilsverfassungsbeschwerde   445 ff. Van Gend & Loos (EuGH-Urteil)   15 f. Van Schijndel (EuGH-Urteil)   32 f. venire contra factum proprium   358, 365, 370 f., 546 Verbandsklage   61 f., 180 ff. – Antidiskriminierungsrecht   720 f. – Beihilferecht   673 – Kartellrecht   541 ff., 624 f., 636 f. – Verbraucherrecht   771 f., 775 f., 812, 911 ff., s. auch Gruppenklage, kollektive Rechtsdurchsetzung, Musterklage, Unterlassungsanspruch Verbrauchergesetzbuch   764 f. Verbraucherleitbild, s. Leitbild Verbraucherrecht   735 ff. Verfahrensautonomie (der Mitgliedstaaten)   196 ff. Verfahrenskosten, s. Prozessrecht Verfahrensvorschriften (als durchsetzbare Rechte)   166 ff. Vergaberecht   31 f., 161 f. Verhaltenssteuerung   104 ff., 284 f., 313 ff. Verhältnismäßigkeit von Sanktionen   286 ff. Verhältnismäßigkeitsprinzip (Kompetenzen)  208 f., 988 f. Verholen (EuGH-Urteil)   30 f., 178 Verjährung   24 f. – im Antidiskriminierungsrecht   717 f. – im Kartellrecht   615 ff. Vermögensschaden, reiner   93 f., 185 ff. Verschuldenserfordernis bei Schadensersatzansprüchen   613 – bei Verstoß gegen – Antidiskriminierungsrecht   713, 726 f., 728 f. – Grundfreiheiten   519 f. – Kartellrecht   610 ff. – vorvertragliche Informationspflichten   845 f. Versicherungsrecht   373 f., 759 f., 821, 857, 860, 863, 904 Vertragslösungsrecht, s. Rücktrittsrecht, Widerrufsrecht

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Stichwortverzeichnis

Vertragsauslegung   829 ff., Auslegung intransparenter Klauseln   905 f., ergänzende Vertragsauslegung   664 f., 892 ff. Vertragsbindung bzgl. vorvertraglicher Informationen   830 ff. Vertragsfreiheit, s. Privatautonomie Vertragsverletzungsverfahren   97 ff., 132 f., 435 f. Vertrauensschutz   119 ff., 345, 347, 408 ff., 414 f., 666 f. Verwaltungsrechtsschutz – im mitgliedstaatlichen Recht   49 f., 150 ff. – im Unionsrecht   157 ff., 170 ff. Verwirkung   357 f., 372 ff., 864 Viking (EuGH-Urteil)   500, 512 f. Viktimisierung, Schutz vor   729 f. Vollharmonisierung   225, 269 ff., 545, 634, 742 f., 745, 813, 837 f. von Colson und Kamann (EuGH-Urteil)   26, 706 Vorabentscheidungsverfahren   430 ff. – und subjektive Rechte   131 f. Vorläufiger Rechtsschutz, s. einstweiliger Rechtsschutz Vorlagepflichtverletzung, Sanktionsmöglichkeiten   435 ff. (Unionsrecht), 443 ff. (deutsches Recht)

Vorrang (des EU-Rechts)   16 f., 212 f., 381, 398 Vorteilsausgleich   605 f. Vorvertragliche Haftung, s. culpa in contrahendo Vorvertragliche Informationspflichten, s. Informationspflichten Walrave (EuGH-Urteil)   499, 515 f. Wells (EuGH-Urteil)   393 f. Werbung, s. Lauterkeitsrecht Wertersatzanspruch   871 ff., 930 f. Wettbewerb der Rechtsordnungen   975 ff. Wettbewerber als Anspruchsberechtigte   176 f. – im Beihilferecht   669 ff. – im Kartellrecht   582 – im Lauterkeitsrecht   35 f. – im Verbraucherrecht   910 Widerrufsrecht (des Verbrauchers)   856 ff. Wirksamkeit, praktische, s. effet utile Wirksamkeit, schwebende   657 ff., 865 f. WTO-Recht   142 f. Zivilprozessrecht, s. Prozessrecht Zuckerfabrik Süderdithmarschen (EuGHUrteil)   28, 117 ff., 214 f.