Wilhelm Theodor Kraut (1800–1873): Ein Leben für die Lehre. (Abt. B: Abhandlungen zur Europäischen und Deutschen Rechtsgeschichte) [1 ed.] 9783428551699, 9783428151691

Die vorliegende Arbeit stellt Biographie und wissenschaftliches Werk des juristischen Germanisten Wilhelm Theodor Kraut

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Wilhelm Theodor Kraut (1800–1873): Ein Leben für die Lehre. (Abt. B: Abhandlungen zur Europäischen und Deutschen Rechtsgeschichte) [1 ed.]
 9783428551699, 9783428151691

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Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 79 Abt. B: Abhandlungen zur Europäischen und Deutschen Rechtsgeschichte

Wilhelm Theodor Kraut (1800–1873) Ein Leben für die Lehre Von

Mona Hasenritter

Duncker & Humblot · Berlin

MONA HASENRITTER

Wilhelm Theodor Kraut (1800–1873)

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Neue Folge · Band 79 Abt. B: Abhandlungen zur Europäischen und Deutschen Rechtsgeschichte

Wilhelm Theodor Kraut (1800–1873) Ein Leben für die Lehre

Von

Mona Hasenritter

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. hat diese Arbeit im Jahr 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buch.bücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 978-3-428-15169-1 (Print) ISBN 978-3-428-55169-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85169-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016/2017 von der Juristenfakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Besonderen Dank schulde ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Frank L. Schäfer, LL. M. (Cambridge). Er hat die Anregung zu einer Beschäftigung mit dem Thema dieser Untersuchung gegeben. Die schriftliche Ausarbeitung erfolgte im Wesentlichen während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem ehemaligen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäische und Deutsche Rechtsgeschichte sowie Historische Rechtsvergleichung an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel. Nach einer dem Rechtsreferendariat geschuldeten mehrjährigen Unterbrechung der Arbeit hat er durch seine Unterstützung, die fortwährend engagierte Betreuung und die zügige Durchführung des Promotionsverfahrens wesentlich zum Gelingen des Projektes beigetragen. Hierfür danke ich ihm sehr herzlich. Gedankt sei ebenso Prof. Dr. Wolfgang Kaiser für die Erstellung des Zweitgutachtens. Gewidmet sei diese Arbeit meinen lieben Eltern, denen mein größter Dank gilt. Ihre Unterstützung, Ermutigung und ihr Verständnis waren für mich über all die Jahre von unschätzbarem Wert. Lüneburg, im Dezember 2017

Mona Hasenritter

Inhaltsverzeichnis 1. Teil

Wilhelm Theodor Kraut

9

A. Kraut und die Deutsche Rechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I.

Jugend und Studium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

II.

Der Weg zur Professur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

III. Weiterer Werdegang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 IV. Nebenämter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 V.

Verfassungsstreit und berufliche Hürden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

VI. Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 VII. Literarisches Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 VIII. Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Vorlesungsnachschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I.

Kollegheft und Verfasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

II.

Vorlesungsnachschrift als Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

III. Der Grundriss zur Vorlesung zum Deutschen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 IV. Inhalt der Nachschrift: Zentrale Themen bei Kraut im Vergleich zu zeitgenössischen Germanisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Deutsches Privatrecht bei Kraut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Einführung: Der Begriff des Deutschen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Historische Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 bb) Germanistik im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Ausgewählte Germanisten und das Deutsche Privatrecht . . . . . . . . . . . 46 aa) Carl Joseph Anton Mittermaier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 bb) Carl Friedrich Wilhelm von Gerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 cc) Heinrich Gottfried Philipp Gengler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 dd) Johann Caspar Bluntschli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

8

Inhaltsverzeichnis c) Krauts Haltung zum Deutschen Privatrecht im Vergleich . . . . . . . . . . . 61 aa) Begriff des Deutschen Privatrechts bei Kraut . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Rechtsquellen des Deutschen Privatrechts bei Kraut . . . . . . . . . . . 62 cc) Umgang mit dem Deutschen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (1) Gibt es ein gemeines deutsches Privatrecht? . . . . . . . . . . . . . . 66 (2) Aufgabe der Wissenschaft eines Deutschen Privatrechts . . . . 69 2. Die Genossenschaft bei Kraut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Krauts Darstellungen zu den Genossenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Genossenschaften bei anderen Germanisten und Vergleich . . . . . . . . . . 73 3. Die Rechtsstellung der Juden bei Kraut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

D. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 E. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 I.

Publikationen von Wilhelm Theodor Kraut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

II.

Briefwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

III. Vorlesungsnachschriften von Wilhelm Theodor Kraut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 IV. Vorlesungsnachschriften zu Wilhelm Theodor Kraut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Vorlesung Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Vorlesung Deutsches Staatsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Vorlesung Deutsches Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 F. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 G. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

2. Teil 

Edition der Vorlesungsnachschrift

95

A. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 B. Transkription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

1. Teil

Wilhelm Theodor Kraut

A. Kraut und die Deutsche Rechtsgeschichte Wilhelm Theodor Kraut (1800–1873) ist ein Rechtsgelehrter, der auf den ersten Blick aufgrund der überschaubaren Anzahl seiner Publikationen keinen zwingenden Anlass zur näheren Betrachtung zu bieten scheint. Die rechtshistorische Literatur zum Deutschen Privatrecht beschränkt sich in der Regel auf die Nennung seiner beiden Werke, davon eines zum Deutschen Privatrecht und das andere zum Vormundschaftsrecht. Die von Kraut verfassten Aufsätze, Rezensionen und anderen Abhandlungen waren, soweit ersichtlich, weder Gegenstand damaliger noch heutiger wissenschaftlicher Forschungen. Die Anzahl der publizierten Texte ist überschaubar; ihre Inhalte eignen sich nicht als Erkenntnisquelle für eine Analyse der Stellung Krauts zur Wissenschaft vom Deutschen Privatrecht.1 Hinzu kommt, dass Autographen wie Briefwechsel, Reden und sonstige Manuskripte nur vereinzelt existieren und ein Nachlass nicht archiviert ist. Es steht daher nur eine überschaubare Anzahl an aussagekräftigen Dokumenten zur Verfügung, anhand derer eine Untersuchung über das Leben und Wirken Krauts vorgenommen werden kann. Allein auf dieses Material ließe sich eine umfassende Untersuchung schwerlich gründen. Auf den zweiten Blick gibt es jedoch eine Vielzahl markanter Gründe, die eine vertiefte Erforschung seines Wirkens als lohnenswert erscheinen lassen. Zunächst ist anzuführen, dass Kraut über eine besonders lange Zeit, nämlich über 50 Jahre hinweg (1822–1872), in einem außergewöhnlich intensiven Maße die Lehre an der Universität Göttingen prägte. In einem Brief aus dem Jahr 1869 aus der Personalakte Krauts, die sich im Göttinger Universitätsarchiv befindet, heißt es: „Hofrath Kraut gehört zu den Ältesten der hiesigen Universität; er ist ein äußerst exzellenter Gelehrter.“2

Die hohe Qualität seiner Lehrtätigkeit wird auch an anderer Stelle des Universitätsarchivs ersichtlich: „Mit Beifall hat er [Kraut] […] seine Vorlesungen gelesen […] Es wird damals der Beifall seiner Vorlesung gerühmt.“3

Berücksichtigt man die überragende Bedeutung der Universität Göttingen im norddeutschen Raum sowie die außergewöhnlichen Verdienste Krauts in der Göttinger Juristenausbildung, die Vielzahl der von ihm betreuten Studenten und den 1

Siehe Auflistung im Anhang unter E. Göttinger Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 112 r. 3 Göttinger Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 120 r. 2

12

1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

langen Zeitraum seines Wirkens, dürfte deutlich sein, dass Kraut die Juristenausbildung und damit die Jurisprudenz im 19.  Jahrhundert insgesamt stark geprägt haben muss. Allein dieser Umstand rechtfertigt eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Leben und juristischen Wirken Krauts. Nicht allein die publizierte rechtswissenschaftliche Abhandlung, sondern auch die mündlich in Vorlesungen vorgetragene und in Vorlesungsnachschriften dokumentierte Rechtsansicht kann die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung eines Gelehrten kennzeichnen. Dabei bleibt es jedoch nicht. Die Analyse einer Vorlesungsnachschrift, die im Zentrum dieser Studie steht, zeigt, dass Kraut – so viel sei schon an dieser Stelle gesagt – ein breites thematisches Spektrum des Deutschen Privatrechts abdeckte. Unter Berücksichtigung des zeitgenössischen Kontextes und der eben dargelegten Bedeutung seiner Person in der Lehre, ergibt sich ein zweiter Gesichtspunkt, unter dem Kraut als zu erforschende Person Bedeutung erlangt. Als Kraut nämlich im Jahr 1819 sein Studium begonnen hatte4, war die Saat des bedeutsamen Kodifikationsstreits5 bereits gelegt worden. Thibaut6 forderte in seiner berühmten Schrift „Ueber die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland“, Heidelberg 1814, eine gesamtdeutsche Kodifikation des bürgerlichen Rechts, welches das Privat-, das Kriminal- und das Prozessrecht umfasst. Die Abfassung eines einheitlichen Gesetzbuches im Rahmen einer Zusammenarbeit aller deutschen Regierungen sollte nicht nur die Idee der nationalen Einheit fördern, sondern dieselbe gerade in rechtlicher Hinsicht umsetzen und verwirklichen.7 Die prinzipielle Übernahme und Integration der existierenden und angewendeten römischen Rechtssätze lehnte er dabei ab.8 Im Gegensatz dazu stand die Forderung Savignys9, der zur Verwirklichung der nationalen Einheit in seiner be-

4

Eisenhart, Artikel „Kraut, Wilhelm Theodor“, in: ADB, Bd. 17 (1883), S. 92. Darstellungen zu der Kontroverse finden sich u. a. bei Kiefner, Thibaut und Savigny, in: Buschmann u. a. (Hrsg.) FS Gmür, S. 53 ff.; Lingelbach, Anton Friedrich Justus Thibaut und der Kodifikationenstreit in der Rechtswissenschaft, in: FS Leser, S. 62 ff.; Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, S. 160 ff.; Schöler, Deutsche Rechtseinheit, S. 86 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 390 ff.; Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre, S. 24 ff. 6 Anton Friedrich Justus Thibaut (1772–1840) Professor für Römisches Recht in Kiel, Jena und Heidelberg. Zur Person statt Vieler Kaufmann, Anton Friedrich Justus Thibaut (1772–1840), Ein Heidelberger Professor zwischen Wissenschaft und Politik, Stuttgart 2014; Rückert, Thibaut, Anton Friedrich Justus, in: Stolleis (Hrsg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon, S. 610 ff.; Schröder, Thibaut, in: Kleinheyer/Schröder (Hrsg.), Deutsche und Europäische Juristen, S. 420 ff. 7 Thibaut, Ueber die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts, S. 11 u. 12. 8 Thibaut, Ueber die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts, S. 16 ff. 9 Zum Leben und Werk vgl. nur Lahusen, Alles Recht geht vom Volksgeist aus, 2013; Rosen­ berg, Friedrich Carl von Savigny (1779–1861) im Urteil seiner Zeit, 2000; Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, 1984; Schröder, Savigny, in:­ Kleinheyer/Schröder (Hg.), Deutsche und Europäische Juristen, S. 366 ff.; v. Stintzing, ­Friedrich Carl von Savigny. Ein Beitrag zu seiner Würdigung, 1862; v. Bethmann-Hollweg, Erinnerung an Friedrich Carl von Savigny als Rechtslehrer, Staatsmann und Christ, 1867. 5

A. Kraut und die Deutsche Rechtsgeschichte

13

rühmten Konterschrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ einen in Gänze anderen Weg proklamierte. Auf wissenschaftliche Weise, also über eine geschichtliche Rechtswissenschaft, sollte die Rechtseinheit über das bestehende organisch gewachsene Recht mit den Wurzeln im Römischen Recht geschaffen werden.10 Dieser Grundlagenstreit prägt die rechtswissenschaftliche Debatte des 19. Jahrhunderts wie wohl keine andere Frage. Und in eben diese Zeit fallen das Wirken und die Lehrtätigkeit Wilhelm Theodor Krauts, die sich insbesondere dem Deutschen Privatrecht widmen. Zahlreiche publikationsfreudige Protagonisten dieser Zeit, wie etwa Carl Joseph Anton Mittermaier (1787–1867)11, Karl Friedrich Eichhorn (1781–1854)12, August Ludwig Reyscher (1802–1880)13 und Georg Beseler (1809–1880)14, sind bereits durch die neuere privatrechtsgeschichtliche Forschung beleuchtet. Bislang fehlt eine vertiefte Auseinandersetzung mit einem Rechtsgelehrten dieser wichtigen Phase der Rechtsentwicklung in Deutschland, der nicht vornehmlich durch seine verschriftlichten wissenschaftlichen Abhandlungen in den Fokus getreten ist, sondern durch seine intensive Lehrtätigkeit. Dabei bietet sich Kraut, der ein halbes Jahrhundert die Lehre in einer der wichtigsten Universitäten Deutschlands prägte und sich intensiv und breit aufgestellt mit dem Deutschen Privatrecht auseinandersetzte, in geradezu vortrefflicher Weise an. Der dritte Aspekt, weshalb die Rechtsgeschichte auf eine Auseinandersetzung mit Kraut nicht verzichten sollte, ist in den politischen Konflikten dieser Zeit begründet, in die Kraut unmittelbar involviert war. Nachdem im Jahr 1837 König Ernst August I. von Hannover die Verfassung außer Kraft gesetzt und sich damit gegen eine beginnende Entwicklung positivierter Freiheitsrechte positioniert hatte, kam es zum Protest der berühmten „Göttinger Sieben“. Kraut trat in dieser Angelegenheit ebenfalls mit einer Erklärung in politischer Hinsicht in Erscheinung, ohne später eine etwaig darin enthaltene Kritik zurückzunehmen. Diese Erklärung blieb für ihn nicht ohne Konsequenzen, mit denen er Zeit seines Lebens umgehen musste.15 Dabei fällt ins Auge, dass Kraut offensichtlich auf der Grenzlinie zwischen Angepasstheit und Protest changierte. Ein etwaiger Protest ging niemals so

10 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S.  8–15, 27 ff. 11 Zu ihm ausführlich Borrmann, Gemeines Deutsches Privatrecht bei Carl Joseph Mittermaier, 2009. 12 Karl Friedrich Eichhorn (1781–1854). Zu ihm siehe nur Jelusic, Die historische Methode Karl Friedrich Eichhorns, 1936; Michaelis, Carl Friedrich Eichhorn (1781–1854): ein Rechtshistoriker zwischen Revolution und Restauration, in: v. Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen: Göttinger Juristen aus 250 Jahren, S. 166–189; Schulte, Karl Friedrich Eichhorn, sein Leben und Wirken, 1884; Schröder, Eichhorn, in: Kleinheyer/Schröder (Hrsg.), Deutsche und Europäische Juristen, S. 124–127. 13 Rückert, August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie: 1802–1880, 1974. 14 Kern, Georg Beseler. Leben und Werk, 1982. 15 Siehe dazu Kapitel B. V.

14

1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

weit, dass er sein Amt verlor, er beugte sich jedoch auch nicht in einem Maße, dass er ein sorgenfreies Leben im universitären Apparat hätte führen können. Berücksichtigt man dabei seine durch die intensive Lehre hervorgerufene wahrnehmbare Außenwirkung in der juristischen Welt, nimmt Kraut eine interessante historische Rolle ein, die es näher zu beleuchten gilt. Aus dem Vorstehenden ergeben sich also drei wesentliche Gründe, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit Kraut rechtsgeschichtlich interessant machen: Erstens die besondere Rolle, weniger in der rechtswissenschaftlichen Forschung, wohl aber in der Lehre in besonders hohem Maße tätig gewesen zu sein. Zweitens seine in der Lehre breite thematische Auseinandersetzung mit dem Deutschen Privatrecht, in einer Zeit, in welcher der Umgang und die Zielsetzung mit demselbigen in der Jurisprudenz in höchstem Maße umstritten war. Drittens ist von Belang, dass Kraut eine verfassungsrechtlich bzw. politisch kritische Haltung gegenüber den absolutistischen Machthabern zugeschrieben werden kann. Er scheint dieser Haltung auch treu geblieben zu sein und hat dennoch seine Kritik derart kanalisiert, dass seine Professur, wenn auch mit Beeinträchtigungen, erhalten blieb. Die Relevanz eines Forschungsvorhabens sagt jedoch gerade in der Rechtsgeschichte noch nichts über dessen Realisierbarkeit aus. Gerade weil Kraut ganz primär durch die Lehre in Erscheinung getreten ist und nicht durch verschriftlichte wissenschaftliche Abhandlungen, kann die Quellenlage als äußerst dünn bezeichnet werden, was die Rekonstruktion erheblich erschwert. Gerade sein rechtsgeschichtlich interessanter Schwerpunkt in der Lehre gestaltet die Erforschung des Lebens und Wirkens Krauts besonders schwierig. Da es auch kaum zeitgenös­ sische Literatur gibt, die sich unmittelbar mit Kraut beschäftigt hat, kann primäre Grundlage der Erforschung Krauts nur seine Lehre selbst sein. Es ist einem aus privatrechtsgeschichtlicher Sicht glücklichen Umstand geschuldet, dass der Inhalt seiner Lehrtätigkeit in noch existierenden Vorlesungsnachschriften dokumentiert ist. Die Transkription einer dieser Nachschriften, die sich im Bestand des Juristischen Seminars Kiel befindet16, sowie deren inhaltliche Analyse sind daher die Herausforderung und der Fokus dieser Arbeit, die daneben freilich auch eine Einordnung in den historischen Kontext vorzunehmen versucht. Kraut selbst ist als Person nahezu unerforscht. Ziel dieser Arbeit ist es daher, einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke, basierend auf der Vorlesungsnachschrift, zu leisten.

16 Deutsches Privatrecht von Hofrath Kraut, G[eorgia] A[ugusta] Sommer 1860, Kollegheft von H. Brandt, 586 Seiten, Sig. Pr. III 20,1.

B. Biographie I. Jugend und Studium Wilhelm Theodor Kraut wurde am 15.  März 1800 in Lüneburg als Sohn des­ Notars und Bürgermeisters Georg Ludolph Kraut17 geboren.18 Die Schulbildung erfolgte auf dem Gymnasium seiner Heimatstadt und auf dem humanistischen Gymnasium zu Gotha.19 1819 begann Kraut das Studium der Rechte an der Georg-August-Universität Göttingen und setzte es 1820 an der Berliner Universität fort.20 In Göttingen hörte er Vorlesungen bei Hugo21 sowie bei Eichhorn, der seine Lehrtätigkeit in Berlin in den Jahren 1817–1829 für ein Wirken in Göttingen zeitweise unterbrochen hatte.22 Kraut bezeichnet ihn später als seinen „großen Lehrer“ und mahnt, die Verdienste Eichhorns für die Wissenschaft zum deutschen Recht in Ehren zu halten.23­ Eichhorn hat Kraut augenscheinlich in besonderem Maße beeindruckt. An der Universität Berlin widmete er sich Studien unter Savigny.24 Auf dessen Empfehlung war der junge Student Kraut bereits einer der Opponenten bei der Dis 17 Zu Georg Ludolph Kraut siehe die Kurzbiographie bei Scharnhop, Das Lüneburger Notariat im 19. Jahrhundert, S. 302. 18 Personalakte des Universitätskuratoriums der Georg-August-Universität Göttingen Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl.  2r. Quellen der biographischen Daten sind die Personalakte über­ Wilhelm Theodor Kraut aus dem Göttinger Universitätsarchiv (Signatur Kur 4502), der Beitrag von Albrecht Just in den Nachrichten von der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften und der Georg-August-Universität, Jahrgang 1875, S. 267 f. und der Artikel „Wilhelm Theodor Kraut“ von Eisenhart, in: ADB, Bd. 17, (1883), S. 92–93. 19 Univ. Arch., Kur 4502, Bl. 9v. (Antrag auf Beförderung zu einer außerordentlichen Pro­ fessur mit beigefügtem Lebenslauf). 20 Eisenhart, Art. „Kraut, Wilhelm Theodor“, in: ADB, Bd. 17 (1883), S. 92. 21 Gustav Hugo (1764–1844), zu ihm Buschmann, Ursprung und Grundlagen der geschichtlichen Rechtswissenschaft. Untersuchung und Interpretation zur Rechtslehre Gustav Hugos, 1963; ders., Artikel „Gustav Hugo“, in: HRG, Bd. 2, Sp. 1150–1153; Diesselhorst, Gustav Hugo (1764–1844) oder: Was bedeutet es, wenn ein Jurist Philosoph wird?, in: Loos (Hrsg.), Göttinger Juristen aus 250 Jahren, S. 146–165; Ebel, Gustav Hugo (Göttinger Universitätsrede), 1964; Luig, Artikel „Hugo, Gustav“, in: NDB, Bd. 10 (1974), S. 26 f.; Landsberg, in: Stintzing/Landsberg, Geschichte, Abt. III/2, Text, S. 1–48; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 378–381. 22 Eisenhart, Art. „Kraut, Wilhelm Theodor“, in: ADB, Bd. 17 (1883), S. 92; Michaelis, Carl Friedrich Eichhorn (1781–1854): ein Rechtshistoriker zwischen Revolution und Restauration, in: Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen: Göttinger Juristen aus 250 Jahren, S. 166. 23 Kraut, Grundriß, 4. Auflage, Vorrede zu der vierten Ausgabe, S. XII. 24 Just, Nachrichten von der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften und der GeorgAugust-Universität, Jahrgang 1875, S. 267. Dies lässt sich ebenfalls durch die von Kraut gefertigten Vorlesungsnachschriften belegen, E. Anhang unter III.

16

1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

putation zur Dissertation des Germanisten Carl Gustav Homeyers25.26 Mutmaßlich ergab sich zwischen Kraut und seinem Professor Savigny in oder neben dem regulären Vorlesungs- und Studienbetrieb ein beständiger Kontakt. Die wenigen noch vorhandenen Briefe von Kraut belegen, dass Kraut seinen damaligen Professor sehr verehrt hat und ihn nach Beendigung des Aufenthaltes in Berlin jedenfalls regelmäßig über seinen Werdegang an der Universität in Göttingen sowie über seine schriftstellerischen Aktivitäten unterrichtet hielt.27 Im Sommer 1822 wurde Kraut von der juristischen Fakultät der Georg-AugustUniversität zum Doktor promoviert. Er erlangte die Doktorwürde am 10. August 1822.28 Etwa ein halbes Jahr später absolvierte Dr. Kraut die Venia-Disputation in Göttingen zur Erlangung der Lehrberechtigung. Die Prüfung fand am 05.03.1823 – mutmaßlich unter Beisein seines Bruders als Respondent29 – statt.30 Eine Dissertation hatte Kraut bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegt. Die Ablieferung einer Dissertation war Anfang des 19. Jahrhunderts in Göttingen noch kein unabdingbarer Bestandteil einer Promotionsprüfung. Einer Auflistung des damaligen Dekans Hugo vom 19.12.1827 ist gar zu entnehmen, dass von 91 promovierten Studenten der vergangenen drei Jahre lediglich sechs Dissertationen vorlägen.31 In einem Brief aus dem Jahr 1827 schreibt Kraut an Savigny, dass er nun „die Vollendung seiner Dissertation als Gelegenheit“ aufgreife, sich „wenigstens einmal wieder schriftlich mit Ihnen zu unterhalten.“ Seine Schrift über das Wechselrecht habe er dem Schreiben beigefügt. „Da sie aber erst etwas spät meiner Promotion nachgefolgt ist, so habe ich nicht gewagt, sie als Inaugural-Dissertation zu vertheilen.“32 Die offizielle Einreichung der Schrift „De argentariis et nummulariis, Commentatio“, Göttingen 1826, als Dissertation ist nicht nachweisbar. Ohne Frage aber handelt es sich um dasjenige Werk, welches Kraut seiner Promotion zugrunde gelegt hat.

25 Kurzbiographien bei Frensdorff, Artikel „Homeyer, Carl Gustav“, in: ADB, Bd. 13 (1881), S. 44–53; Lück, Artikel „Carl Gustav Homeyer“, in: HRG, Bd. 2, Sp. 1119–1121. 26 Carl Gustav Homeyer (1795–1874) wurde mit seiner Dissertation „Historiae juris Pomeranici capita quaedam“ 1821 in Berlin promoviert. 27 Briefe vom 05.07.1826, vom 20.01.1830 und vom 03.11.1859, UB Marburg, Savigny Nachlass, Sig. Ms. 725/661, 925/1289 und 725/662. 28 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Blatt 9v; Eisenhart, Art. „Kraut, Wilhelm Theodor“, in: ADB, Bd. 17 (1883), S. 92. 29 So vermutet Tütken, Privatdozenten im Schatten der Georgia Augusta, Teil  I, S.  133, Fn. 373 aufgrund der entsprechenden Eintragung in den Fakultätsbüchern: „Pro venia legendi Dr. Kraut socio assumpto fratre Kraut thesis defendit, sportulasque solvit“ (Univ. Arch., Jur Prom. 1723–1823, 05.03.1823). 30 Univ. Arch., Jur Prom. 1734–1823, 05.03.1823. 31 Inhalt und Bedeutung des Berichtes (Univ. Archiv., Sig. Jur 0096) dargestellt bei Tütken, Privatdozenten im Schatten der Georgia Augusta, Teil I, S. 225–228. Ausführlich zu der Promotionspraxis im frühen 19. Jahrhundert an der Göttinger Universität ders., a. a. O., dort insbesondere S. 218 ff. zu „Promotionskonflikten der Juristischen Fakultät“. 32 UB Marburg, Savigny Nachlass, Sig. Ms. 725/661, S. 2.

B. Biographie

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Über das Privatleben Krauts abseits der Universität gibt es, soweit ersichtlich, abgesehen von spärlichen Hinweisen, die der Personalakte zu entnehmen sind, keine weiteren Informationen. Kraut war seit 1828 verheiratet mit Thekla Kraut (geb. Dieterich, 1801–1864). Das Paar hatte jedenfalls einen Sohn Georg Kraut, der als Offizier tätig war.33

II. Der Weg zur Professur Seit September 1822 las Kraut in Göttingen bereits als Privatdozent meistens zwei, zuweilen drei Vorlesungen im Semester. Er unterrichtete über das Kirchenrecht, das Deutsche Privatrecht, Lehnrecht und Handelsrecht und las über die Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte.34 Nach sechs Jahren Tätigkeit als Privatdozent erfolgte am 01. Juli 1828 die Ernennung zum außerordentlichen Professor an der Georg-August-Universität Göttingen.35 Aus dem Empfehlungsschreiben des Universitätskuratoriums an das Ministerium geht hervor, dass zu dieser Zeit lediglich Krauts Lehrer, der berühmte Kollege Eichhorn, Kollegien zum Deutschen Privatrecht, zum Lehnrecht, zum Kirchenrecht und zur Deutschen Staatsund Rechtsgeschichte anbot. Damit diese Kollegien nicht mehr nur abwechselnd, sondern in jedem Semester gelesen werden konnten, war es wünschenswert, Kraut zur Unterstützung Eichhorns im Lehrbetrieb als außerordentlichen Professor zu ­installieren. Die Ernennung zum außerordentlichen Professor sollte, wie damals üblich, vorerst nicht mit einer Gehaltszahlung einhergehen.36 Die Genehmigung des Ministeriums zu Hannover vom 13. Juni 1828 bestätigt entsprechend die Pflicht Krauts, seine Studien vornehmlich auf das Deutsche Privatrecht und die Deutsche Rechtsgeschichte sowie auf das Lehn- und das Kirchenrecht zu konzentrieren.37 Am 29.  Mai 1830 hielt Kraut seine Antrittsvorlesung an der Göttinger Universität, die das mittelalterliche Stadtrecht seiner Heimatstadt Lüneburg zum Gegenstand hatte.38 Krauts Veröffentlichung des ersten Bandes des im Rückblick bedeutsamsten Werkes „Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts“ (Göttingen 1835) gab dem Universitätskuratorium Ende 1835 Anlass, das Ministerium um seine Ernennung zum ordentlichen Professor zu ersuchen: „Ein in diesem Jahre von ihm herausgegebenes Werk über die deutsche Vormundschaft liefert den Beweis von seinen schriftstellerischen Fähigkeiten und enthält s­ chätzbare ­Beiträge 33

Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 134r. Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 9v, 10r. 35 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 15 r. 36 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 11r. 37 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 14r. 38 De codicibus Luneburgensibus, quibus libri iuris germanici medio aevo scripti continentur: commentatio, qua professoris juris publici extraordinarii in Academia Georgia Augusta ­munus rite auspicaturus ad orationem d. XXIX. m. Maii habendam, veröffentlicht Göttingen 1830. 34

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

zu der Lehre des deutschen Rechts“.39 Das Gesuch wurde abgelehnt bzw. mit der Begründung zurückgestellt, dass zunächst abgewartet werden solle, bis einer der älteren Ordinarien, namentlich Professor Gervinus40, aus dem Dienst entlassen werde.41 Bereits Anfang des Jahres 1836, am 21. Januar wurde Kraut dennoch zum ordentlichen Professor befördert.42 Diese Beförderung wurde verknüpft mit einer Aufbesserung des seit 1833 an ihn gezahlten Gehalts von 300 Talern auf 400 Taler monatlich. Ein weiteres Fortkommen innerhalb der Juristischen Fakultät bedeutete für Kraut die Aufnahme als Mitglied der Honoren-Fakultät der Universität im Februar 1844.43 Durch das Ableben der Professoren Bauer44 und ­Mühlenbruch45 waren zwei Stellen unbesetzt, so dass vom Ministerium in Hannover angeordnet wurde, den Professoren Francke46, aus Jena wechselnd, ­Ribbentrop47 und­ Zachariae48 sowie Kraut jeweils eine halbe Stelle zuzuteilen und sie somit in die Honoren-Fakultät eintreten zu lassen.49 Bei der Honoren-Fakultät handelte es sich um ein vierköpfiges Gremium der Juristischen Fakultät, das unabhängig von den anderen Professoren der Fakultät über die Zulassung der jeweiligen Anwärter zur Promotion sowie über die Zulassung zu den Venia-­Verfahren entschied. Darüber hinaus wurde aus diesem Gremium heraus auch der Dekan benannt.50 Die Aufnahme in die Honoren-Fakultät dürfte für Kraut, neben der damit einhergehenden besonderen Stellung innerhalb der Fakultät, auch mit einer finanziellen Ver 39

Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 44 r/v. Georg Gottfried Gervinus (1805–1871), Professor für Geschichte in Heidelberg und Göttingen, gehörte den „Göttinger Sieben“ an und musste daher 1837 die Göttinger Universität verlassen, zu ihm Thorbecke, Artikel „Gervinus, Georg Gottfried“ in: ADB, Bd. 9 (1879), S. 77–86. 41 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 47r. 42 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 48r. 43 Univ. Arch. Kur 4502, Bl. 72r. Die an Kraut gerichtete Mitteilung der Universität über seine Aufnahme datiert vom 07.02.1844 (Univ. Arch. Kur 4502, Bl. 73r). Tütken, Privatdozenten im Schatten der Georgia Augusta, Teil I, S. 219, berichtet hingegen bereits für das Jahr 1825, dass Kraut zusammen mit den Professoren Eichhorn, Hugo und Georg Meister (1755–1832) als Mitglied der Honoren-Fakultät mit Promotionsverfahren betraut gewesen sei. Angesichts der Dokumente aus der Personalakte und vor dem Hintergrund, dass Kraut zu diesem Zeitpunkt noch junger Privatdozent war, dürfte allerdings eine Beteiligung Krauts an den Verfahren mit dem Status eines veritablen Mitglieds der Honoren-Fakultät ausgeschlossen sein. Nachweise über Art und Umfang der behaupteten Beteiligung sind, soweit ersichtlich, nicht vorhanden. 44 Anton Bauer (1772–1843) Professor für Strafrecht in Marburg und Göttingen, Kurzbiographie bei Spehr, Art. „Bauer, Anton“, in: ADB, Bd. 2 (1875), S. 139–140. 45 Christian Friedrich Mühlenbruch (1785–1843), zu ihm Luig, Art. „Mühlenbruch, Christian Friedrich“, in: NDB Bd. 18 (1997), S. 283 f. 46 Wilhelm Franz Gottfried Francke (1803–1873), zu ihm Muther, Art. „Francke, Wilhelm Franz Gottfried“, in: ADB, Bd. 7 (1878), S. 242–243. 47 Georg Julius Ribbentrop (1798–1874), Kurzbiographie von Landsberg, Art. „Ribbentrop, Georg Julius“, in: ADB, Bd. 28 (1889), S. 405 f. 48 Heinrich Albert Zachariae (1806–1875), zu ihm Frenssdorf, Artikel „Zachariae, Heinrich Albert“, in: ADB, Bd. 44 (1898), S 617–632; Starck, Heinrich Albert Zachariae (1806–1875), Staatslehrer in reichloser Zeit, in: Loos (Hrsg.), Göttinger Juristen aus 250 Jahren, S. 209–228. 49 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 73r. 50 Tütken, Privatdozenten im Schatten der Georgia Augusta, Teil I, S. 83. 40

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besserung verbunden gewesen sein. Die Einnahmen aus Promotionsgeldern und Prüfungsgebühren aus den Verfahren wurden ausschließlich unter den Kollegen des Gremiums aufgeteilt.51

III. Weiterer Werdegang Im Dezember desselben Jahres konnte er schließlich, bedingt durch das Ausscheiden von Gustav Hugo aus der juristischen Fakultät, auf eine ganze Stelle in der Honoren-Fakultät aufstocken.52 Mit fortschreitendem Dienstalter wurden ihm zunächst am 01.07.1845 der Titel des Hofrats verliehen53, 1864 das Ritterkreuz des königlichen Guelphen Ordens54, schließlich 1870 der Titel des Geheimen Justizrates.55 Am 1. Januar 1873 verstarb Wilhelm Theodor Kraut an einem sich schnell entwickelnden Nierenleiden.56 Postum wurde Kraut von der königlichen Generalordenskommission zu Berlin der Rote Adler-Orden dritter Klasse verliehen.

IV. Nebenämter Wilhelm Theodor Kraut war Zeit seines Lebens nicht nur als ­Wissenschaftler aktiv. Was seine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben anbelangt, so findet sich der Nachweis über eine Mitgliedschaft in einem Göttinger Leseverein. Im Jahr 1831 wurde das „Literarische Museum“, zunächst unter der Leitung von ­Friedrich Christoph Dahlmann57, als Lesegesellschaft für die Behandlung wissenschaftlicher Literatur und als Ort für Zusammenkünfte der Mitglieder sowie zum gesellschaftlichen Austausch gegründet.58 Der Lesekreis verzeichnete großen Zulauf; auch Studenten konnten als außerordentliche Mitglieder beitreten. In dem auf die Gründung folgenden Jahr zählte man bereits 82 ordentliche sowie 54 außerordentliche Mitglieder.59 Während dieser Zeit gab es in Göttingen darüber hinaus 51

Tütken, Privatdozenten im Schatten der Georgia Augusta, Teil I, S. 83 u. 219. Univ. Arch., Sig. Kur 4502, 74r. 53 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 77r. 54 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 118r. 55 Eisenhart, Art. „Kraut, Wilhelm Theodor“, in: ADB, Bd. 17 (1887), S. 93; Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 122: Mitteilung vom 28. Februar 1870 auf Antrag des Justizministers und in Folge seines Berichtes vom 17. Dezember 1869, Bl. 120 der Personalakte. 56 Eisenhart, Art. „Kraut, Wilhelm Theodor“, in: ADB, Bd. 17 (1887), S. 93. 57 Christoph Dahlmann (1785–1860) war Historiker und in vielfältiger Weise politisch tätig, u. a. als einer der Wortführer der Göttinger Sieben. Zu ihm instruktiv Becker/Bleek/Mayer (Hrsg.), Friedrich Christoph Dahlmann, ein politischer Professor im 19. Jahrhundert, Göttingen 2012. 58 Blümel, in: Blümel/Natonek, „Das edle Bestreben, der breiten Masse zu nützen“: Beiträge zur Geschichte der Volkshochschule Göttingen, S. 19. 59 Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 161. 52

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

zwei Leihbuchhandlungen sowie zwei allgemeine Lesegesellschaften, die einen allgemeinen Zugang zu Literatur boten.60 Über das Literarische Museum, auch als „Academisches-Lese-Institut“61 bezeichnet, als Lesekreis mit gehobenem akademischen Anspruch wurde insoweit der Bedarf an wissenschaftlicher Lektüre und wissenschaftlichem Diskurs abgedeckt. Es sollen ausweislich der Bestandsliste aus dem Jahr 1846 dort rund 292 fächerübergreifend wissenschaftliche Zeitschriften aus dem In- und Ausland zur Lektüre zur Verfügung gestanden haben.62 Neben ­Dahlmann waren weitere Professoren und unter ihnen Kraut „als eine Art Vorstand“ mit der Leitung des Museums betraut.63 Wilhelm Ebel konstatiert in einer seiner Studien zur Sozialgeschichte der Universität Göttingen, das „Museum blieb für fast ein Jahrhundert einer der Mittelpunkte des Göttinger literarischen und geselligen Lebens“.64 Zu Beginn seiner Zeit an der Universität Göttingen zeigte Kraut sich bereits engagiert und um sich „nach allen Seiten hin zum Besten des Vaterlands auszubilden“65, arbeitete er einige Jahre wie vor ihm schon Ribbentrop als Accessist in der dortigen Bibliothek.66 Dazu kam später das Amt des Freitischinspektors, welches mit einer Vergütung von 100 Talern monatlich entlohnt wurde.67 Die Institution der Freitische diente als eine Art Stipendium der Unterstützung finanziell bedürftiger Studenten, welche sowohl besonderen Fleiß als auch Erfolg bei ihrem Studium unter Beweis stellen konnten.68 In der Regel wurden die Freitische durch kirchliche Stiftungen getragen und hatten damit einen konfessionellen Hintergrund. Die Göttinger Institution der Freitische bot den Studenten vergünstigte Verpflegung. Sie war insofern besonders, da sie gerade keine konfessionelle Bindung aufwies.69 Es konnte sich jeder Student bewerben, unabhängig von seiner Herkunft oder Religion. Andernorts wurden die Speisen meist zentral in einer Gaststätte der Stadt ausgegeben, weshalb die Verpflegung oftmals als schlecht genießbar galt, aber die jeweiligen Wirte gutes Geld verdienten.70 In Göttingen sollte eine andere Freitischkultur gepflegt werden. Die Studenten wurden in Kleingruppen von 10 Personen bei einzelnen bürgerlichen Familien verköstigt.71 So konnte 60

Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 160. Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 161. 62 Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 161. 63 Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 161. 64 Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 161. 65 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 10r. 66 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 10r. 67 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 95r: 7. August 1854, Ernennung zum zweiten Inspektor als Nachfolger des Professors Karl Hoeck (1794–1877). Weiterführend zu den Freitischen Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 122 ff.; Knoke, Geschichte der Freitische an der Georg-AugustUniversität zu Göttingen, 1893. 68 Exemplarisch zu den Regularien im Einzelnen vgl. die Ausgabe „Manuale Professorum Gottingensium“, Göttingen 1864, S. 161–165. 69 Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 122. 70 Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 122. 71 Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 122. 61

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auch ein gesellschaftlicher, kultivierter Austausch gepflegt werden. Die Verwaltung dieser Einrichtung oblag meist zwei sog. Freitisch-Inspektoren, die ihr Amt in der R ­ egel lebenslänglich ausübten.72 Dieses Nebenamt scheint für Kraut nicht nur positiv belegt gewesen zu sein. Unter allen Nebenämtern nannte er dieses das „lästigste“ und das am „wenigsten ehrvollste“ Amt.73 Die Inspektoren hatten weitreichende Pflichten; sie schlossen die Vereinbarungen mit den verpflegenden Bürgern, teilten die Studenten ein und hospitierten gelegentlich während einer Mahlzeit. Außerdem wurde halbjährlich der Studienverlauf der Stipendiaten einer Kontrolle auf Fleiß und Fortschritt unterzogen und etwaiges persönliches Fehl­ verhalten mit Sanktionen belegt.74 Insofern erscheint die Aussage Krauts über dieses Ehrenamt vor dem Hintergrund des permanenten Arbeitsaufwandes ohne besondere Wertschätzung nachvollziehbar. Weiter machte sich Kraut an der Göttinger Universität verdient, indem er im Jahr 1825 noch als Privatdozent zum außerordentlichen Beisitzer des Spruchkollegiums der juristischen Fakultät75 ernannt wurde.76 Zum einen stellte die Tätigkeit als außerordentliches Mitglied des Spruchkollegiums ein Einfallstor für junge und aufstrebende Privatdozenten zu einer Anstellung als Professor dar, und zum anderen war es eine willkommene Gelegenheit, um der juristischen Ausbildung einen praktischen Teil  beizufügen.77 Die eigentliche Spruchpraxis betreffend bestand kein nennenswerter Unterschied zwischen den ordentlichen und den außerordentlichen Beisitzern. Die Aufgabe der außerordentlichen Beisitzer war es, als Referenten zuerst die ihnen zugeteilten Akten zu bearbeiteten, über deren Inhalt dem Ordinarius vorzutragen und ein erstes Votum abzugeben. Damit waren die Beisitzer mit der Hauptarbeitslast betraut, indessen ohne angemessene Entlohnung.78 Dem Ordinarius wurde, wenn er nicht selbst als Referent einen Fall betraute, ein bereits fertiger Entscheidungsentwurf zur Prüfung vorgelegt. Problematisch war einstweilen die aus der Spruchtätigkeit der Fakultäten resultierende Mehrfach­ belastung für die Akademiker. So hatte auch Kraut Schwierigkeiten, allen Verpflichtungen gleichsam nachzukommen. Nicht selten waren der Lehrbetrieb, die wissenschaftliche Forschung sowie andere akademische Ämter und die Aktenbearbeitung kaum miteinander vereinbar. 72

Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 125. Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 109. 74 Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 130. 75 Ausführlich zum Göttinger Spruchkollegium, siehe Klugkist, Die Göttinger Juristenfakultät als Spruchkollegium, 1952 und Oesterley, in: Pütter/Saalfeldt/Oesterley (Hrsg.), Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-August-Universität zu Göttingen, S. 141–143. 76 Eisenhart, Art. „Kraut, Wilhelm Theodor“, in: ADB, Bd. 17 (1887), S. 92 f.; Krauts eigener Angabe zufolge bereits seit Mitte 1824, Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 9v. 77 Klugkist, Die Göttinger Juristenfakultät als Spruchkollegium, S. 53. 78 Klugkist, Die Göttinger Juristenfakultät als Spruchkollegium, S. 53: „Der Posten war wenig beliebt, brachte er doch viel Arbeit und keine Einnahmen“. Es war bis Mitte des 19. Jahrhunderts Praxis, die Entscheidungshonorare lediglich unter den ordentlichen Mitgliedern zu verteilen. 73

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

In der an Savigny gerichteten Mitteilung anlässlich der Übersendung eines Exem­plares seines Grundrisses aus dem Jahre 1830 führt Kraut die Kumulation der Aufgaben als Grund für das Ausstehen eines eigenen größeren Werkes an. „Wie selten ein solches [Werk] hier zu Stande kommt, habe ich schon von Ihnen selbst gehört, habe aber die Schuld dann immer mehr auf die Persönlichkeit Einzelner, als auf den genius loci geschoben, bis ich dann jetzt sehe, daß es leider nur zu natürlich ist, wenn ein Göttinger Docent, welcher auf das Collegien Lesen viele Zeit verwenden muß und für das Spruchcollegium fleißig arbeiten soll, in Beziehung auf seine literarische Thätigkeit meistens hinter seinen auswärtigen Universitätsfreunden zurück bleibt.“79 In Göttingen legte man dazu noch besonderen Wert darauf, dass die Lehrtätigkeit der Mitglieder nicht unter dem der Praxis eingeräumten Zeitaufwand leiden sollte,80 was insgesamt zu einer hohen Arbeitslast für die Professoren führte. Kraut war mehr als 30 Jahre mit der Gutachtenerstellung für das Spruchkollegium befasst. Er bearbeitete über 200 Prozessakten, pro Jahr wechselnd zwischen 5 und 15 Stück.81 Zu dieser Zeit kümmerten sich etwa 9 bis 13 Beisitzer an der Göttinger Spruchfakultät um die eingesandten Akten.82 Kraut betreute jährlich circa ein Zehntel der an der Fakultät eingegangenen Fälle. Je nach den Fähigkeiten des Beisitzers war die Revision für den jeweiligen Ordinarius mit viel oder wenig Arbeit verbunden. Ausweislich eines Berichtes von Bergmann83 über die Referenten verrichtete Kraut wie auch sein Kollege Zachariae „sehr gute“ Arbeit, während die Ausarbeitungen einiger anderer, wie beispielsweise Albrecht84, weniger posi 79

Brief an Friedrich Carl von Savigny vom 20.1.1830, UB Marburg, Sig. 925/1289, S. 1 f. Klugkist, Die Göttinger Juristenfakultät als Spruchkollegium, S. 49 f.; Ebel, Memorabilia Gottingensia, S. 46. Im Gegensatz dazu ist die Praxis an anderen Juristenfakultäten zu sehen, welche sich entweder in erster Linie als Spruchfakultät verstanden, wie z. B. in Leipzig, dazu Friedberg, Die Leipziger Juristenfakultät, S. 83, 101; oder bei solchen Fakultäten, an denen der Lehrbetrieb aufgrund der Spruchtätigkeit offenkundig vernachlässigt wurde, so z. B. u. a. in Kiel, dazu Wohlhaupter ZRG GA Bd. 58 (1938), 752 (764); in Wittenberg allgemein infolge der Kumulation diverser Ämter bei Professoren, Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 237 f.; Ingolstadt, zum 16. Jh. Prantl, Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität, Bd. 1, S. 73, 309 ff.; Berlin, dazu Seckel, Geschichte der Berliner juristischen Fakultät als Spruchkollegium, in: Lenz (Hrsg.) Geschichte der Universität Berlin, Bd. 3, S. 450. Zusammenfassend Stintzing, in: Stintzing/Landsberg, Geschichte, Abt. I, S. 65. 81 Die Angaben basieren auf einer Auswertung der Daten zur Beteiligung Krauts an einzelnen Fällen nach dem General-Register, Universitätsarchiv Göttingen, Cod. Ms. Jur. 147 m. 82 In den 1820er Jahren waren es durchschnittlich etwa 140 Akten/Jahr, in den 30er Jahren etwa 100, in den 40ern etwa 70 und in den 50er Jahren circa 30 Akten/Jahr, siehe dazu ­Klugkist, Die Göttinger Juristenfakultät als Spruchkollegium, S. 106. 83 Friedrich Christian Bergmann (1785–1845), 1844 Ordinarius des Spruchkollegiums, zu ihm Landsberg, in: Stintzing/Landsberg, Geschichte, Abt. III/2, Noten, S. 131. 84 Wilhelm Eduard Albrecht (1800–1876), 1829–1837 Professor in Göttingen für Staatsund Kirchenrecht, 1840–1868 Professor in Leipzig für Deutsches Recht und Mitglied der Göttinger Sieben, zu ihm ausführlich Borsdorff, Wilhelm Eduard Albrecht, Lehrer und Verfechter des Rechts, 1993; Schönebaum, Artikel „Albrecht, Wilhelm Eduard“, in: NDB, Bd. 1 (1953), S. 185 f.; Stintzing, in: Stintzing/Landsberg, Abt. III/2, S. 318–327. 80

B. Biographie

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tiv auffiel.85 Ab dem Jahr 1863 finden sich keine von Kraut bearbeiteten Akten mehr, was sicherlich mit der abnehmenden Spruchtätigkeit des Gremiums zusammenhängt. In den 60er Jahren gingen im Durchschnitt jährlich nur noch 18 Akten ein, und in den 70er Jahren waren es bloß noch 8 im Jahr,86 bis schließlich das GVG von 1877/1879, dort § 16, die akademische Gerichtsbarkeit in Deutschland beendete.87 Weiter ist zu bemerken, dass Kraut auch über die Dauer von zwei Jahren von 1855–1857 das Rektorat an der Göttinger Universität ausgeübt haben muss. Dies ergibt sich nicht aus der gesichteten Personalakte. Es existieren aber jeweils Rektoratsreden, die anlässlich der Rektoratsübergabe von August Heinrich Ritter88 an Kraut 185589 und wiederum von Kraut an Georg Waitz 1857 gehalten wurden.90 Kraut selbst führt diese Beschäftigung in der Vorrede zu seinem dritten Band über die Vormundschaft als einen Grund für die verzögerte Veröffentlichung seines Werkes im Jahr 1859 nach dem zweiten Band im Jahre 1847 an.91 Schließlich war Kraut Mitglied des deutschen Juristentages, trat aber, soweit ersichtlich, nicht durch eine besondere Beteiligung oder Vorträge in Erscheinung.92 Es ist anzunehmen, dass er an den Germanistenversammlungen 1846 in Frankfurt a. M. und 1847 in Lübeck93 teilgenommen hat. Lediglich auf der zweiten Germanistenversammlung trat er insoweit namentlich in Erscheinung, als Mittermaier ihn in seinem Antrag zur Ernennung einer Kommission, welche einen Gesetzentwurf über „die Stellung der Ehefrau in Bezug auf Vornahme von Rechtsgeschäften, und über das eheliche Güterrecht“ ausarbeiten sollte, als Mitglied vorschlug.94 Dem Antrag wurde zwar entsprochen, allerdings scheint die Kommission zu keinem nennenswerten Ergebnis gekommen zu sein.

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Univ. Arch., Sig. Kur 4 III d 6. Vgl. die Auflistungen im General-Register, Universitätsarchiv Göttingen, Cod. Ms. Jur. 147 m. 87 Dazu Oestmann, Artikel „Aktenversendung“, in: HRG, Bd. I, Sp. 128–132. 88 August Heinrich Ritter (1791–1869), Professor für Philosophie in Kiel und seit 1837 in Göttingen, zu ihm Scholtz, Art. „Ritter, Heinrich“, in: NDB, Bd. 21 (2003), S. 656–65. 89 Academiae Georgiae Augustae Prorector Aug. Heinr. Ritter. cum senatu successorem in summo magistratu Academico Guil. Theod. Kraut D. civibus suis honoris et officii causa commendat, Rektoratsschrift in der Berliner Staatsbibliothek, Signatur 4 Ah 11455. 90 Academiae Georgiae Augustae Prorector Guil. Theod. Kraut […] Georgium Waitz […], Rektoratsschrift in der Universitätsbibliothek Freiburg, Signatur DA 33/1534. 91 Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts, Bd. 3, Vorrede S. III. 92 Eisenhart, Art. „Kraut, Wilhelm Theodor“, in: ADB, Bd. 17 (1883), S. 93. 93 Verhandlungen der Germanisten zu Frankfurt a. M. am 24., 25. und 26. September 1846 und zu Lübeck am 27., 28.  und 30.  September 1847, siehe Reyscher, Einladung, ZDR 10 (1846), S. 181–184; Verhandlungen der Germanisten zu Frankfurt am Main, 1846; Boldemann, Verhandlungen der Germanisten zu Lübeck, 1847. Instruktiv dazu Netzer, Wissenschaft aus nationaler Sehnsucht, Verhandlungen der Germanisten 1846 und 1847. 94 Boldemann, Verhandlungen der Germanisten zu Lübeck, 1847, S. 204–223. 86

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

Nicht zuletzt saß Kraut als Vertreter der Universität in den Jahren 1850–53 in der allgemeinen hannoverschen Ständeversammlung.95 Die Bewältigung der mit dieser Stellung verbundenen Tätigkeiten und Termine hatte allerdings nicht zur Folge, dass Kraut sein Engagement für den universitären Lehrbetrieb vermissen ließ. Einem an das Universitätskuratorium gerichteten Urlaubsgesuch wegen des Eintritts in die Ständeversammlung sind seine Bemühungen zu entnehmen, die regelmäßig von ihm angebotenen Vorlesungen nicht ersatzlos ausfallen zu lassen. Er führte dazu an, dass in den betreffenden Fächern, in denen er Vorlesungen hielt, statt seiner C. W. Wolff96 das Deutsche Privatrecht und Thöl97 das Handelsrecht vortragen würden, so dass diese Veranstaltungen nicht ausfallen müssten.98 Allein diesem Hinweis widersprechen die Vorlesungsverzeichnisse aus den Jahren 1850–53. Danach war Kraut weiterhin für seine Kollegien in gewohntem Rhythmus angekündigt.

V. Verfassungsstreit und berufliche Hürden 1837 war ein folgenschweres Jahr für die Universitätskarriere Krauts. Kurz nach seiner Ernennung zum ordentlichen Professor brachte die Abfassung einer Erklärung anlässlich des hannoverschen Verfassungsstreites einige Unruhe in sein Leben. Mit der Regierungsübernahme Königs Ernst August I. von Hannover im Jahr 1837 endete die englisch-hannoversche Personalunion. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt setzte König Ernst August I. von Hannover die verhältnismäßig freiheitliche Verfassung Hannovers, das Staatsgrundgesetz von 1833, außer Kraft. Die Aufhebung der Verfassung entfachte vielerorts Empörung und eine Reihe von Protesten. Die sogenannten Göttinger Sieben erhoben den wohl berühmtesten Protest im Rahmen dieses Verfassungsstreits.99 In einem Protestschreiben vom 18. November 1837100 kritisierten die Professoren Dahlmann, Albrecht, ­Jacob und­ Wilhelm Grimm, Gervinus, Ewald und Weber der Göttinger Universität die Auf 95 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 89r; laut Eisenhart, Art. „Kraut, Wilhelm Theodor“, in: ADB, Bd. 17 (1883), S. 93 war Kraut Mitglied der ersten Kammer. 96 Carl Wilhelm Wolff (1813–1888). 97 Johann Heinrich Thöl (1807–1884) Professor für Deutsches Privatrecht, Lehn- und Handelsrecht in Göttingen und Rostock; zu ihm Gercke, Heinrich Thöl: ein Göttinger Rechtsgelehrter, 1931; Frensdorff, Art. „Thöl, Heinrich“, in: ADB, Bd. 38 (1894), S. 47–52. 98 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 90r. 99 Ausführliche Darstellung der Ereignisse bei Bleek, Friedrich Christoph Dahlmann, Eine Biographie, S. 159 ff., insbes. 169 ff.; Hunger, Die Georgia Augusta als hannoversche Landesuniversität. Von ihrer Gründung bis zum Ende des Königreichs, in: Böhme/Vierhaus (Hrsg.), Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 2, S. 197–204; weiterführend Dilcher, Der Protest der Göttinger Sieben, 1988; zur Rezeption Saage-Maaß, Die Göttinger Sieben – demokratische Vorkämpfer oder nationale Helden? Zum Verhältnis von Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur in der Rezeption des Hannoverschen Verfassungskonfliktes, 2007. 100 Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 295.

B. Biographie

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hebung der Verfassung als unrechtmäßig und beharrten hinsichtlich ihrer akademischen Tätigkeit auf ihrem auf die Verfassung von 1833 geschworenen Eid. Daraufhin entließ der König die Professoren durch Mitteilung vom 11.  Dezember 1837101 aus ihren Lehrämtern und verwies sie des Landes. In einem Bericht der „Hannoverschen ­Zeitung“ hieß es in der Folge, einige Repräsentanten der Universität hätten das Verhalten der sieben Professoren kritisiert, was jedoch tatsächlich nicht der Fall ­gewesen war. Um diesem aus dem Bericht hervorgehenden Eindruck entgegenzuwirken und als Reaktion auf das rigorose Vorgehen König Ernst August des I. nach dem Protest der Göttinger Sieben, verfasste Kraut gemeinsam mit seinem Kollegen Johann Heinrich Thöl und vier weiteren Professoren102 der Universität eine „Solidaritätserklärung“103. Sie hoben hervor, sich „niemals tadelnd über die in der bekannten Protestation ihrer sieben Collegen enthaltenen Gesinnungen ausgesprochen“104 zu haben, und distanzierten sich ausdrücklich von den Berichten aus der Zeitung. Die Erklärung der sog. Nachprotestierer105 hatte im Gegensatz zu dem Protest der Sieben keine politischen Konsequenzen. Kraut und seine Kollegen wurden anlässlich der Erklärung nicht aus dem Dienst entlassen oder sonst für die Öffentlichkeit bemerkbar in ihren Universitätskarrieren beeinträchtigt.106 Für Kraut aber hatte die Zugehörigkeit zu den „Göttinger Sechs“ letztlich doch eine gravierende Folge.107 Betrachtet man die Höhe und Entwicklung seines Gehaltes nach 1837, war es Kraut offenbar bis zuletzt nicht möglich, sich wieder vollständig zu rehabilitieren. Strenge Regularien für die Besoldung der ordentlichen Professoren existierten insofern nicht, als dass die Dienstbezüge vom Grunde her durchaus unterschiedlich ausfielen.108 Deren Höhe orientierte sich neben dem Dienstalter an ausfüllungsbedürftigen Kriterien wie dem wissenschaftlichen Rang und dem Ansehen eines Professors.109 Gundelach hält hierzu fest, dass „Besoldungsfragen ein Gegenstand ständigen Neides und zahlreicher Intrigen unter den Professoren“110 waren. In Krauts Fall war die Entwicklung der Dienstbezüge nicht 101

Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 298. Heinrich August Ritter (1791–1869) und die Philologen Ernst von Leutsch (1808–1887), Friedrich Wilhelm Schneidewin (1810–1856) und Carl Otfried Müller (1797–1840). 103 Hunger, Die Georgia Augusta als hannoversche Landesuniversität. Von ihrer Gründung bis zum Ende des Königreichs, in: Böhme/Vierhaus (Hrsg.), Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 2, S. 200. 104 von Selle, Die Georg-August-Universität zu Göttingen 1737–1937, S. 276. 105 So Hunger, a.a.O; Bleek, Friedrich Christoph Dahlmann, Eine Biographie, S. 191. 106 Vgl. dazu von See, Die Göttinger Sieben, S. 30. 107 Dieser Umstand mag dafür sprechen, dass die Erklärung der „Sechs“ von König und Regierung nicht in Gänze ignoriert wurde und tendenziell doch als Unterstützung der Erklärung der Sieben angesehen wurde. Bleek, Friedrich Christoph Dahlmann, Eine Biographie, S. 191 und Hunger, a. a. O., lassen keinen Zweifel daran, dass es sich um eine „Solidaritätserklärung“ gehandelt hat; anders von See, Die Göttinger Sieben, S. 28 ff. 108 Gundelach, Die Verfassung der Göttinger Universität, S. 42. 109 Gundelach, Die Verfassung der Göttinger Universität, S. 42. 110 Gundelach, Die Verfassung der Göttinger Universität, S. 42. 102

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

bloß aufgrund der auslegungsbedürftigen Kriterien ersichtlich erschwert. Während seiner Stellung als ordentlicher Professor verdiente er anfangs 400 Taler monatlich.111 1838, anlässlich einer Anfrage des Universitätskuratoriums beim Ministerium, ob Kraut eine Gehaltszulage zu gewähren sei, um ihn den Status betreffend nicht hinter dem neu berufenen Professor Pernice112 zurücktreten zu lassen, erhielt man eine eindeutige Antwort. Dem Universitätskuratorium ist von seiner Majestät durch den Minister Freiherr von Schele zu erkennen zu geben: „daß AllerhöchstSie zu der in Antrag gebrachten Zulage von 200 rh. nie Ihre Zustimmung geben würden, es vielmehr Allerhöchst-Sie sehr habe befremden müßen, wie man einen solchen Vorschlag habe machen können, da der Professor Kraut zu den sechs Göttingschen Professoren gehöre, welche im Herbste 1837 die bekannte Erklärung in Beziehung auf den Vorgang in Rotenkirchen abgegeben haben“113. In einer im Jahr 1841 bewilligten Gehaltserhöhung auf nunmehr 600 Taler monatlich sah das Universitätskuratorium dann einen Beweis der königlichen Gnade und ermahnte Professor Kraut zu besonderem Fleiß.114 Tatsächlich aber war der Vorgang von 1837 noch nicht vergessen, denn 1842 wurde eine weitere Gehaltsaufbesserung erneut verweigert, während im Gegensatz für den an Dienstalter jüngeren Professor ­Zachariae mit seiner Ernennung zum ordentlichen Professor ein monatlicher Verdienst von 800 Talern als angemessen angesehen wurde.115 Aus einer Mitteilung des Geheimen Kabinettsrats von Falcke an den Staats- und Kabinettsminister Freiherr von Schele wird dies ersichtlich: Die Gehaltsverbesserung wurde abgelehnt, obwohl er darauf aufmerksam gemacht habe, dass Kraut keineswegs eine Billigung des Verfahrens der famosen sieben Professoren ausgesprochen habe. „Seine Majestät tadelten indeß die öffentliche Bekanntmachung durch den Hamburger Correspondenten vom 19. Decbr. 1837 im Allgemeinen und geruhten zu erklären, daß eine Vermehrung des Gehalts des Professors Kraut nicht früher und nicht anders erfolgen könne, als bis derselbe schriftlich zu erkennen gegeben habe, daß er mit dem Benehmen der sieben in der Verfassungsangelegenheit nicht einverstanden sei“116. Wie es scheint, hat es eine derartige Entschuldigung von Seiten Krauts nicht gegeben. Stattdessen versuchte er mit Hilfe diverser Bittschreiben unter Verweis auf seine Qualifikation, sein Wirken für die Universität Göttingen und sein Dienstalter, eine höhere Entlohnung zu erreichen. „Wie ich an [Sie] schon vor einem Jahr schrieb, ist es ein höchst niederschlagendes Gefühl für mich, daß ich, obgleich jetzt einer der ältesten hiesigen Professoren und in der juristischen Fa 111

Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 48r. Ludwig Wilhelm Anton Pernice (1799–1861), vgl. Anonym, Art. „Pernice, Ludwig Wilhelm Anton“, in: ADB, Bd. 25 (1887), S. 387 f. war Professor für Rechtsgeschichte, Staats- und Verfassungsrecht in Halle. Pernice erhielt 1838 einen Ruf an die Göttinger Universität, lehnte jedoch ab. Er ist nicht zu verwechseln mit Victor Anton Herbert Pernice (1832–1875); dieser wirkte erst ab 1857 als Professor in Göttingen. 113 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 54, Nachricht vom 17. Juli 1838. 114 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 59r, Schreiben vom 15. Juni 1841. 115 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 64, Schreiben vom 14. April 1842. 116 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 66, Schreiben vom 12. April 1842. 112

B. Biographie

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cultät selbst der Zweite dem Alter nach, ich doch bis auf diesen Augenblick nicht nur allen meinen Collegen in dieser Facultät, sondern auch den meisten hiesigen ordentlichen Professoren in Ansehung des Gehalts bedeutend nachstehe“117. Diese Zurücksetzung kränkte ihn tief: Er hatte sich niemals um eine Berufung an eine andere Universität bemüht, allein aus der Vorliebe für die Göttinger Universität. Nun, im höheren Alter, war es zu spät für eine solche Veränderung. Wenn das finanzielle Auskommen Krauts gesichert gewesen wäre, hätte er längst um Entlassung gebeten, denn er fragte sich, ob man ihn „für ein so unbedeutendes Subject“118 hielt, welches eines höheren Gehalts unwürdig sei und ob er „nicht wirklich eines Professors unwürdig sein sollte“119. Nicht zuletzt setzte man sich auch im Ministerium für ihn ein. „Die Stimmung des Professors Kraut ist mir schon seit Jahren bekannt. Ich halte auch seine Wuth nicht für unberechtigt. Die Mitglieder der jurist. Facultät haben folgende Gehälter: Ribbentrop 1300, Kraut 1150, Francke 200, Zachariae 2000, Briegleb 1900, […] Hermann 1500, Thoel 1800, Mommsen 700, Hartmann […] 1600.“120 Die neun ordentlichen Professoren hätten ein Durchschnittsgehalt von ca. 1700 Talern, dazu stehe das Gehalt Krauts in einer Differenz von 400 Talern.121 Ausweislich des Schreibens an das Universitätskuratorium sei der Grund auch nicht in einer mangelnden Reputation Krauts unter den Fachkollegen oder in fehlenden Berufungen an andere Universitäten zu erblicken, da er ein renommierter Wissenschaftler sei. Auch Kraut selbst konnte darin nicht die Ursache finden. Aus seiner Sicht waren seine Werke gelobt, seine Vorlesungen gut besucht und die fehlenden Bewerbungen an andere Universitäten waren lediglich seiner besonderen Gebundenheit an die Göttinger Universität geschuldet.122 Tatsächlich schien dies auch für das Universitätskuratorium außer Frage zu stehen, da zumindest eine 1848 angeordnete Gehaltszulage aufgrund seiner „verdienstlichen Wirksamkeit an der Universität und für die Wissenschaft“ erfolgte.123 Wahrscheinlich trug auch der durch den Vorfall von 1837 geschädigte Ruf der Göttinger Universität aufgrund der Dienstentlassung der sieben Professoren zu einer schwierigen finanziellen Situation bei.124 Zum einen führten die Versetzungen und Entlassungen der Göttinger Sieben zu einer Schwächung der wissenschaftlichen Bedeutung der Universität Göttingen.125 Kroeschell konstatiert dazu, „[d]ie Ereignisse des Jahres 1837 haben diesen Germanistenkreis [bestehend aus Albrecht, Dahlmann, Jacob Grimm und

117

Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 48r/v, Brief vom 21. Oktober 1848. Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 109. 119 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 109. 120 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl.  112r/v. Schriftstück vom 28.  Oktober 1861 von Adolf­ Eduard Friedrich Johannes von Warnstedt (1813–1894), seines Zeichens vortragender Rat, vornehmlich beschäftigt mit Universitätsangelegenheiten, ab 1868 Kurator der Universität. 121 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 112r/v. 122 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 109. 123 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 86r. 124 So Blümel, in: Blümel/Natonek, „Das edle Bestreben, der breiten Masse zu nützen“: Beiträge zur Geschichte der Volkshochschule Göttingen, S. 18. 125 Kroeschell, Recht unde Unrecht der Sassen, Rechtsgeschichte Niedersachsens, S. 276. 118

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

Kraut]126 gesprengt“127. Zum anderen schrieben sich bedeutend weniger Studenten ein, was die Einnahmen der Professoren an Hörergeld und Gebühren für die Abnahme von Prüfungen erheblich schmälerte. Während die Göttinger Universität im Jahr 1837 noch eine Studierendenzahl von 909 vorweisen konnte, sank die Zahl der Studenten auf 685 und betrug im Jahr 1847 nur noch 582.128 Zudem konkurrierte Kraut ab 1848 mit einem zweiten ordentlichen Professor, da nunmehr auch Carl Wilhelm Wolff das Deutsche Privatrecht las, was die Einnahmen aus den Vorlesungen schlicht halbierte.129 Mit der letzten Gehaltsaufbesserung im Jahr 1861 und nach insgesamt 40 Dienstjahren kam Kraut auf immerhin 1300 Taler.130 Zeit seines Wirkens an der Göttinger Universität litt Kraut unter der Nichtachtung seiner Person als Wissenschaftler, die er in der geringen Bezahlung sah. Sein möglicherweise darüber entfachter Ärger mag aus folgender Begebenheit131 aus dem Jahr 1843 ersichtlich werden. Mutmaßlich waren die Professoren für die Abnahme der Examina personell unterbesetzt, so dass neben zwei Kollegen auch Kraut das außerordentliche Recht zugestanden werden sollte, Promotionsprüfungen abzunehmen, obwohl er noch nicht Mitglied der juristischen Fakultät geworden war. Dieses Angebot lehnte Kraut ab, weil ihm allgemein zu wenig Ehre entgegengebracht werde, vielmehr behandele man ihn und seine Kollegen wie „Knechte“.132 1861 offenbart er in einem Schreiben an das Universitätskuratorium, dass er seiner Amtsgeschäfte müde zu werden drohe, da er „in den dunklen Tagen und trüben Nächten“, die ihm diese Kränkung bereite, jegliche Vorliebe für Göttingen verloren habe und sich nur noch im Ausland wohl fühle.133 In der Tat aber bedachte das Universitätskuratorium ihn mit rühmenden Worten. Es heißt über ihn, er sei ein unverändert strebender Gelehrter, welcher als Germanist einen geachteten Namen genieße. Seine Vorlesungen halte er stets unter großem Beifall, welche außerordentlich gerühmt werden und bei den Studenten finde er noch fort 126

Kroeschell, a. a. O., bezieht auch Georg Beseler in diesen Germanistenkreis ein. B ­ eseler hatte 1833/34 während eines Studienaufenthaltes in Göttingen insbesondere eine intensive Bindung zu Dahlmann geknüpft, pflegte aber auch persönliche Beziehungen zu Jacob und ­Wilhelm Grimm sowie zu Albrecht. Indes hatte er Göttingen bereits 1835 in Richtung Heidelberg verlassen. Siehe dazu nur Hübner, Art. „Beseler, Georg“, in: ADB Bd. 46 (1902), ­S. 445–472, Kern, Georg Beseler. Leben und Werk, 1982, S. 35–41. 127 Kroeschell, Recht unde Unrecht der Sassen, Rechtsgeschichte Niedersachsens, S. 276. 128 Blümel, in: Blümel/Natonek, „Das edle Bestreben, der breiten Masse zu nützen“: Beiträge zur Geschichte der Volkshochschule Göttingen, S. 18. 129 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 84r/v. 130 Die Germanisten Falck, Roth und Wilda in Kiel verdienten vergleichsweise viel, nämlich 2100, 1750 und 1850 Taler, s. Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 113r. 131 Entnommen aus einem Briefwechsel zwischen Gustav Hugo und Wilhelm Grimm, in welchem sich Hugo über die unangenehme Angelegenheit äußert, über die er mit seinen Kollegen eine Meinungsverschiedenheit hatte. Vgl. Bialas (Hrsg.), Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 3, Nr. 258, 259, 260, 261. 132 Bialas (Hrsg.), Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 3, Nr. 259 vom 31.5.1843 Gustav Hugo an Wilhelm Grimm. 133 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 109r.

B. Biographie

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während Anwendung und großes Vertrauen.134 Über die Grenzen seiner Universitätsstadt Göttingen hinaus schien Kraut ebenfalls ein anerkannter Rechtswissenschaftler zu sein. Dies belegt beispielsweise die anlässlich seines fünfzigjährigen Doktorjubiläums in Teilen ihm gewidmete Schrift von Friedrich Bluhme135. Der Titel „Zur Textkritik des Westgothenrechts und Reccareds Leges Antiquae“ wurde ihm  – „[d]em ernsten und sicheren Führer auf den Gebieten des Deutschen Rechts […]“136 – von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Bonn am 10.08.1872 überreicht.137 Kraut wirkte volle 50 Jahre lang bis ins hohe Alter mit „seltener Rüstigkeit“138 als akademischer Lehrer an der Georg-August-Universität zu Göttingen.

VI. Lehre Kraut gab als außerordentlicher Professor stets zwei bis drei Kollegien je Semester. Dies waren regelmäßig abwechselnd zum Wintersemester Vorlesungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte und über das katholische, protestantische oder evangelische Kirchenrecht, während er im Sommersemester über das Deutsche Privatrecht einschließlich des Lehn- und Handelsrechts nach seinem Grundriss vortrug. Einmalig blieb eine Vorlesung zum Landwirtschaftsrecht im Wintersemester 1852/53. Seine Veranstaltungen waren gut besucht, jedenfalls für die Jahre 1850–61 ist dies einer Aufstellung139 der Hörerzahlen zu entnehmen. Vom Wintersemester 1851/52 bis zum Sommersemester 1861 betrug die Zuhörerzahl trotz bereits verminderter Stundenanzahl im Deutschen Privatrecht jeweils rund 260.140 Im Wintersemester trug regelmäßig Carl Wilhelm Wolff141 das Privatrecht vor. In der Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte waren es rund 120 Hörer. Die von Kraut ebenfalls zwischenzeitlich angebotene Vorlesung zum allgemeinen deutschen Staatsrecht stand in Konkurrenz zu den Vorlesungen der Professoren Zachariae und Pernice, daher beschränkte sich die Zuhörerzahl in d­ iesen Semes 134

Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 112 r, 120r. Friedrich Bluhme (1797–1875) studierte in Göttingen und Berlin und wurde in Jena promoviert. Er war Professor der Rechte in Göttingen und Halle und schließlich als Mitarbeiter im Spruchkollegium und als Stadtrat in Bonn tätig. Zu ihm v. Stintzing, Art. „Bluhme, Friedrich“, in: ADB, Bd. 2 (1875), S. 734–737. 136 Imklau (Hrsg.), Verzeichnis der Bonner Universitätsschriften, 1818–1885, Widmungsblatt, Nr. 2097. 137 Bluhme, Zur Textkritik des Westgothenrechts, S. 1. 138 Eisenhart, Art. „Kraut, Wilhelm Theodor“, in: ADB, Bd. 17 (1883), S. 92. 139 Univ. Arch. Kur 4502, Bl. 114r. 140 Univ. Arch. Kur 4502, Bl. 114r. 141 Carl Wilhelm Wolff (1813–1888) publizierte ebenfalls ein auf die Bedürfnisse der Studierenden ausgerichtetes Lehrbuch, welches „zur Vorbereitung auf die Lehrvorträge und zur Repetition benutzt werden“ konnte. Vgl. Wolff, Lehrbuch des gemeinen deutschen Privatrechts,­ Göttingen 1843; Vorrede S. III. 135

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

tern auf insgesamt 75.142 Auch im Kirchenrecht wurden zeitgleich Veranstaltungen von Ernst von Meier143 angeboten, also blieb es auch hier bei circa 80 Hörern.144 Dennoch ist die Gesamthörerzahl von 534 bzw. in jedem Semester rund 29 Studierenden ansehnlich.

VII. Literarisches Werk Wie bereits deutlich geworden ist, ist Kraut nicht als ein in herausragendem Maße produktiver Schriftsteller hervorgetreten. Im Gegensatz zu anderen Kollegen ist sein juristisches Schriftenverzeichnis relativ kurz. Auf die Gründe, die nur vermutet werden können, soll in der diesem Kapitel nachfolgenden Zusammen­ fassung der Biographie näher eingegangen werden. Im regulären Vorlesungsbetrieb bot Kraut Vorlesungen zu unterschiedlichen Rechtsgebieten wie der Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, dem Kirchenrecht, gelegentlich dem Staatsrecht und dem Deutschen Privatrecht an. Seine Veröffentlichungen behandeln dagegen schwerpunktmäßig das Privatrecht. Die erste Abhandlung, die in Krauts Zeit als Privatdozent entstand, war „De argentariis et nummulariis, Commentatio“, Göttingen 1826. Die 138 Seiten umfassende Schrift beschäftigt sich unter dem Eingangszitat von Cicero aus „de legibus“ „Quid enim est tantum, quantum ius civitatis“ mit den Rechtsverhältnissen der Betreiber von Bankgeschäften und Geldmaklern. Es werden die Geschichte, das geschriebene Recht und der Status des römischen Bankwesens behandelt.145 Weiter ist ein Beitrag Krauts zu nennen, der in einer von Falck146 herausgegebenen germanistischen Zeitschrift erschienen ist. In seinen „Eranien zum deutschen Recht mit Urkunden“147 beabsichtigte Falck, in kleinen Abhandlungen zur „Aufklärung dunkler oder streitiger Materien des deutschen Privatrechts“ beizutragen, 142

Univ. Arch. Kur 4502, Bl. 114r. Zu Ernst von Meier (1832–1911) Frensdorff, Zur Erinnerung an Ernst von Meier, in: Nachrichten von der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften, Göttingen 1912, S. 82–92 und Rückert, Artikel „Meier, Ernst von“, in: NDB Bd. 16 (1990), S. 647–649. 144 Univ. Arch. Kur 4502, Bl. 114r. 145 s. Zimmern, Rez. „De argentariis et nummulariis commentatio“, in: Schunck (Hrsg.), Jahrbücher der gesammten juristischen Literatur, Band 4, 1827, S.  153–168, der das Werk eine tüchtige Schrift nennt (S. 158). 146 Niels Nikolaus Falck (1784–1850); zu ihm Andreas Ludwig Jakob Michelsen, Artikel „Falck, Nikolaus“, in: ADB, Bd. 6 (1877), S. 539–543; Ratjen, Zur Erinnerung an Nicolaus Falck, Professor des Rechts in Kiel, 1851; Volk, Die Juristische Enzyklopädie des Nikolaus Falck, Rechtsdenken im frühen 19. Jahrhundert, 1970. 147 Jedenfalls die erste Lieferung 1825 brachte noch ein weiterer Herausgeber und Initiator, Karl Friedrich August Philipp von Dalwigk (1761–1825), hessischer Jurist und späterer Präsident des vereinigten Oberappellationsgerichtes der nassauischen Lande, mit auf den Weg. Zu ihm Steffenhagen, Artikel „Dalwigk, Karl Friedrich August Philipp“, in: ADB, Bd. 4 (1876), S. 714. 143

B. Biographie

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da es auf diesem Gebiet noch einiges an Materialien zu Tage zu fördern gebe.148 Es handelte sich insofern um eine der ersten germanistischen Zeitschriften. Unter dem Titel „Ueber die lex Angliorum et Werinorum“ widmete sich der Assessor Kraut in einer entstehungsgeschichtlichen Untersuchung der Frage, in welcher Region Deutschlands der Ursprung dieser Gesetze zu verorten sei.149 Gerlach und Wackernagel150 bezeichnen den Text als eine „gründliche und umsichtige“ Abhandlung.151 Hervorzuheben ist schließlich eine 80-seitige Edition über „Das alte Stadtrecht von Lüneburg“ (seines Geburtsortes), derer sich Kraut vermutlich auch aus persönlichen Gründen annahm. Sein Vater, Dr. Georg Ludolph Kraut, war zeitweise Bürgermeister der Stadt Lüneburg; ihm ist das Werk zur Feier des fünfzigjährigen Doktor-Jubiläums gewidmet. Die Abhandlung wurde 1846 in Göttingen ver­ öffentlicht. Bis dahin war lediglich eine Edition der Stadtrechte von Dreyer152 aus dem Jahr 1765 vorhanden153, deren Aussagekraft Kraut aufgrund der verwendeten Quellen und der Überlieferung bezweifelte.154 In diesem Zusammenhang ist auch die Veröffentlichung der 28-seitigen Niederschrift seiner Antrittsvorlesung vom 29.  Mai 1830 an der Göttinger Universität zu nennen. Schon hier befasste sich Kraut mit dem Stadtrecht Lüneburgs aus dem Mittelalter unter dem Titel „De codicibus Luneburgensibus, quibus libri juris Germanici medio aevo scripti continetur“155, indes noch in lateinischer Sprache. Kraut, der im Lehrbetrieb auch Vorlesungen zum Kirchenrecht anbot, hat in diesem Bereich selbst keine Abhandlung veröffentlicht. Allerdings war er nach dem Tode von Georg von Wiese Herausgeber dessen „Grundsätze des gemeinen in Teutschland üblichen Kirchenrechts“.156 Da sich das Werk von Wiese nach Kraut großer Beliebtheit erfreue und die vierte Auflage bereits kurze Zeit nach dem Versterben des Autors in den Buchhandlungen vergriffen sei, so Kraut, widme er sich

148

Falck, Eranien zum deutschen Recht, Band 1, 1. Lieferung 1825, Vorwort S. III f. Kraut, Ueber die lex Angliorum et Werinorum, in: Eranien zum deutschen Recht, 3. Lieferung 1828, S. 122–148. 150 Wilhelm Wackernagel (1806–1886), Franz Dorotheus Gerlach (1793–1876). 151 Gerlach/Wackernagel, Tacitus Germania, übersetzt und erläutert, 2. Abteilung, Heft 1, S. 235. 152 Johann Carl Heinrich Dreyer (1723–1802); zu ihm Ahasver von Brandt, Artikel „Dreyer, Johann Carl Heinrich“, in: NDB, Bd. 4 (1959), S. 122 f.; Ratjen, Johann Carl Dreyer und Ernst Joachim von Westphalen. Beitrag zur Geschichte der Kieler Universität und der juristischen Literatur, 1861. 153 Dreyer, Zur Erläuterung der teutschen Rechte, Rechtsalterthümer und Geschichten angewandte Nebenstunden, 1768. 154 Kraut, Das alte Stadtrecht von Lüneburg, 1846, Vorrede, S. 5. 155 Unter dem vollständigen Titel „De codicibus Lueneburgensibus, quibus libri iuris Germanici medio aevo scripti continetur: comentatio, qua … in Academia Georgia Augusta munus rite auspicaturus ad orationem d. XXIX m. Maii habendam“, 1830 in Göttingen veröffentlicht. 156 Vgl. Bickell, Rez. „Grundsätze des gemeinen, in Teutschland üblichen Kirchenrechts, in: Schunck (Hrsg.), Jahrbücher der gesammten juristischen Literatur, Band 4, 1827, S. 201–206. 149

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

mit großer Freude der Besorgung einer fünften Auflage.157 Diese erledigte er mit einigen Änderungen und Ergänzungen, soweit es ihm als Kenner der Materie notwendig erschien.158 Im Jahr 1830 erschien der „Grundriß zu den Vorlesungen zum deutschen Privatrecht mit Einschluß des Lehnrechts, nebst beigefügten Quellen“ in der ersten Auflage. In den folgenden 40 Jahren hat Kraut dieses Vorlesungs- und Quellenhandbuch in regelmäßigen Abständen überarbeitet und erweitert; es erschien insgesamt in sechs Auflagen.159 Die größte Beachtung aber fand sein dreibändiges Werk „Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts“, erschienen 1835 Bd.  1,160 1847 Bd. 2 und 1859 Bd. 3.161 An den seitenstarken Bänden arbeitete Kraut über viele Jahre. Der erste Band stand zunächst für sich allein, zwar als abgeschlossener Teil, aber mit noch offenen Verweisen auf die im zweiten Band folgenden Er­ läuterungen. Soweit 12 Jahre zwischen dem Erscheinen der ersten beiden Bände liegen, weist Kraut auf die Veröffentlichung zweier Auflagen seines Grundrisses und auf die „wissenschaftliche Regsamkeit der Germanistischen Literatur“ hin, die ihn zur Umarbeitung einiger Kapitel zwang.162 Allein der Druck der Schrift habe zwei Jahre gedauert.163 Nicht zuletzt spricht er von den „vielen Schläge[n] […], welche unsere Universität in den letzten 10 Jahren betroffen haben, und die auch auf die geistige Thätigkeit ihrer ihr ergebenen Mitglieder nachtheilig einwirken mussten“164. Auch hier zeigt sich noch einmal, dass die „Nachprotestation“ zu den Göttinger Sieben erhebliche Auswirkungen auf das berufliche Fortkommen von Kraut gehabt haben muss. Auch der dritte Band ließ einige Zeit auf sich warten, wofür Kraut seine zeitliche Beanspruchung durch seine Tätigkeit im Rektorat der Universität und seine Aussendung in den hannoverschen Landtag verantwortlich macht.165 157 Kraut, Grundsätze des gemeinen in Teutschland üblichen Kirchenrechts, 1826, Vorrede zur 5. Auflage, S. XI f. 158 Kraut, Grundsätze des gemeinen in Teutschland üblichen Kirchenrechts, 1826, Vorrede zur 5. Auflage, S. XI f. 159 Die Auflagen stammen aus den Jahren 1830, 1839, 1845, 1856, 1872 und 1886, die letzte indes bearbeitet von Frensdorff. Näher dazu unter C. III. 160 Siehe dazu R.-Z., Rez., Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts, Erster Band, in: JALZ 1840 Nr. 82, Sp. 169–183; Landau, Die Vormundschaft als Prinzip des deutschen Rechts, in: FS Kroeschell, S. 577–585. 161 Landau, Die Vormundschaft als Prinzip des deutschen Privatrechts, in: FS Kroeschell, S. 577 (583) bezeichnet das Werk als wohl eines der wichtigsten germanistischen Monographien der ersten Jahrhunderthälfte. 162 Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts, Bd. 2, Vorrede S. V. 163 Kraut, Göttingische gelehrte Anzeigen, 1847, 189. Stück, S. 1887–1894 (1889). 164 Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts, Bd. 2, Vorrede S. V. 165 Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts, Bd. 3, Vorrede S. III.

B. Biographie

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Kraut beabsichtigte, mit dieser Arbeit eine Lücke in der Literatur zum Deutschen Privatrecht zu schließen. Die Vormundschaft sei eines der wichtigsten Institute des älteren deutschen Rechts.166 Sie bilde die Grundlage des gesamten Familienrechts und anderer öffentlich-rechtlicher Verhältnisse und sei in keinem Werk umfänglich abgehandelt.167 Neben einer umfassenden Darstellung des Instituts der Vormundschaft war ein weiteres Ziel der Arbeit, herauszustellen, inwiefern die ursprünglichen deutschen Rechtsgrundsätze und -ansichten den zeitgenössischen Rechtszustand bestimmt haben und welchen Einfluss das römische Recht auf die Ausgestaltung des Instituts genommen hat.168 Kraut sah in der Vormundschaft ein ausschließlich dem Deutschen Privatrecht zuzuordnendes Institut. In seiner Ankündigung des Erscheinens des zweiten Bandes in den Göttingischen gelehrten Anzeigen hob Kraut auch die anvisierte Praxistauglichkeit des Werkes hervor. Er wollte keine rein historische Abhandlung veröffentlichen, sondern auch ein für den Rechtsanwender geeignetes Nachschlagewerk.169 Eisenhart nennt „Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Privatrechts“ ein „Meisterwerk ersten Ranges“. Es sei „das beste, welches über das Vormundschaftswesen geschrieben wurde“ und habe dem Verfasser „einen dauernden Platz in der civilistischen Litteratur errungen“.170 Außerdem gibt es noch Hinweise darauf, dass Kraut an weiteren Werken ar­ beitete, diese aber entweder nicht abschloss oder sie heute nicht mehr erhalten sind. Jedenfalls konnten sie im Rahmen dieser Arbeit trotz intensiver Suche nicht aufgefunden werden. In einem in der Personalakte sich befindlichen „Gesuch an das Königliche Kabinetts-Ministerium von Seiten des Assessors Dr. Kraut zu Göttingen über die Beförderung zu einer ausserordentlichen Professur, Göttingen, den 6. Januar 1828“ heißt es: „[a]ußerdem arbeite ich schon seit mehreren Jahren an einem Werke über die Altsächsische Verfassung, welches, sobald ich die vielen mit dieser Arbeit verbundenen Schwierigkeiten überwunden haben werde, ans Licht treten wird.“171

166 Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts, Bd. 3, Vorrede S. III. 167 Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts, Bd. 1, Vorrede S. III. 168 Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts, Bd. 1, Vorrede S. III f. Nach der Einschätzung Landaus, Die Vormundschaft als Prinzip des deutschen Privatrechts, in: FS Kroeschell, S. 583 habe Kraut dieses Ziel in vortrefflicher Weise erreicht. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Schäfer, Juristische Germanistik, S. 404 ff. 169 Kraut, Göttingische gelehrte Anzeigen, 1847, 189. Stück, S. 1887–1894 (1889). 170 Eisenhart, Artikel „Kraut, Wilhelm Theodor“, in: ADB, Bd. 17 (1883), S. 92. 171 Univ. Arch., Sig. Kur 4502, Bl. 10r, 10v.

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

VIII. Zusammenfassung und Fazit Wilhelm Theodor Kraut wurde 72 Jahre alt. Er führte ein Leben für die Lehre der Rechtswissenschaft. Die Beweggründe Krauts, sich der Jurisprudenz zu widmen, bleiben indes ungeklärt. Mit seinem wichtigsten Werk „Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts“ schaffte er es, eine ordentliche Professur zu erlangen. Warum Kraut seinen Fokus auf die Lehre und weniger auf die schriftstellerische Tätigkeit legte, kann nur vermutet werden. Ein erster Grund mag sein, dass er in der Lehre eine große Bestätigung gefunden hat. Die hier ausgewerteten Quellen des Universitätsarchivs Göttingen belegen, dass nicht nur Kollegen und Vorgesetzte seine Lehre in besonderem Maße als vortrefflich schätzten, sondern auch die Studenten. Diese unmittelbare Wertschätzung lässt sich durch schriftstellerische Tätigkeit möglicherweise nicht erzielen. Der schlichte Mangel an Zeit sowie die wirtschaftlichen Engpässe dürften aber die Hauptgründe gewesen sein. Festzuhalten ist, dass die wenigen Publikationen, die von Kraut überliefert sind, in der zeit­ genössischen Wahrnehmung, wie oben beispielsweise zum Werk der Vormundschaft dargelegt wurde, durchaus in hohem Maße gewürdigt werden. Dadurch, dass Kraut Zeit seines Lebens aber unterdurchschnittlich verdiente und gleichzeitig durch Lehrverpflichtungen und Nebenämter stark in die Pflicht genommen wurde, ist es nur naheliegend, dass er keine Zeit und Muße fand, sich der Ausarbeitung einer Vielzahl umfassender wissenschaftlicher Arbeiten anzunehmen. Dass auch Kraut selbst eine Überbelastung empfand, ergibt sich insbesondere aus dem oben zitierten Brief aus dem Jahr 1830 an Savigny. Primär ursächlich für die Überbelastung dürften Krauts 30-jährige, intensive Gutachtertätigkeit für das Spruchkollegium der Universität Göttingen gewesen sein. Die Verbindung mit der allgemeinen Auslastung durch die Übernahme von Ehrenämtern im universitären Bereich und dem Einsatz im Lehrbetrieb kann insoweit zu einer gewissen Überlastung geführt haben. Für die Vielzahl der gehaltenen Vorlesungen ist belegt, dass Kraut, wie allgemein üblich, über das Hörergeld einen finanziellen Zuverdienst erzielen konnte. Auch dies mag aufgrund der im Übrigen unerfreulichen wirtschaftlichen Lage in Bezug auf das Gehalt Krauts ein Anreiz gewesen sein, sich primär der Lehre zu widmen und die schriftstellerische Tätigkeit in den Hintergrund rücken zu lassen. Ein letzter denkbarer Grund für die Zurückhaltung Krauts, Publikationen zu veröffentlichen, mag seine Frustration über die Arbeitsbedingungen (Überlastung und Vergütung) sein, die durch zahl­ reiche Quellen belegt werden konnte. Bemerkenswert ist, dass die Quellen einen Hinweis darauf geben, dass es Kraut ungeachtet seiner Enttäuschung an Fleiß und Pflichtbewusstsein nie mangelte. Obgleich er seinem Empfinden nach unter widrigen Bedingungen arbeitete, widmete er sich unermüdlich sowie mit großem Einsatz der Lehre und seinen Nebenämtern. Dabei zeichnete ihn ein patriotischer Geist aus; sein Schaffen war beflügelt von dem Gedanken, dem Vaterland einen Dienst zu erweisen.

B. Biographie

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Dieser Aspekt bietet Gelegenheit, auf den zweiten wichtigen Eckpunkt in Krauts Leben neben seinen Verdiensten für die Lehre einzugehen. Gemeint ist seine politische Haltung, die, wie dargelegt, eng mit den frustrierenden Einschränkungen seines Berufslebens verbunden sein dürfte. Kraut hat außerordentliches Rückgrat bewiesen: Seine hier als solche verstandene Unterstützung der Göttinger Sieben könnte dahin zu deuten sein, dass Kraut ein Befürworter der zeitgenössischen Entwicklung zu mehr freiheitlich orientiertem Gedankengut sowie dem Nationalgedanken war. Es wäre sicherlich verfehlt, Kraut als lauten Protestler oder idealistischen Revolutionär kennzeichnen zu wollen. Kraut scheint vielmehr seine Umwelt schlicht rational und besonnen betrachtet zu haben, um dann auf Grundlage der Analyse der Begebenheiten sachgerechte Kritik zu üben. Dieses hat er dann aber unbeirrbar und konsequent getan und seine Meinung auch nach Verschlechterung seiner Arbeitsbedingungen und Blockaden bei der Karriere nicht revidiert. Kraut scheint einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn innegehabt zu haben: Er konnte es offenbar nicht hinnehmen, dass die obrigkeitshörige Presse berichtete, die Professoren der „Göttinger Sieben“ hätten sich in der Universität unrühmlich verhalten und deshalb ihre Ämter verloren, obwohl augenscheinlich war, dass die Amtsenthebung auf ihren Protest gegen die Aussetzung der Verfassung zurückzuführen war. Mit Krauts Stellungnahme, nach der den Kollegen kein Vorwurf gemacht werden könne und diese sich einwandfrei verhalten hätten, zeigte er große Loyalität, Gerechtigkeitssinn und Mut, gerade weil er sehenden Auges den ­eigenen Amtsverlust riskierte. Konsequenz bewies Kraut, als er sich auch anschließend nicht zu einer Rücknahme seiner Äußerungen hinreißen ließ. Er befand sich auf einem schmalen Grat: Auf der einen Seite Kritik zu üben, auch gegenüber Entscheidungen absolutistischer Machthaber, in Zeiten, in denen der Freiheitsgedanke immer weiter an­ Bedeutung erlangte, auf der anderen Seite die notwendige Zurückhaltung zu finden, um nicht die gesamte berufliche Existenz zu riskieren. Diese Beweglichkeit zeichnet Krauts Haltung aus. Er stellte keine illusorischen Forderungen an sich oder die Gesellschaft; sein Begehr war Wertschätzung und gerechter Lohn für seinen hohen Einsatz und seine unbestrittenen Fähigkeiten. Beides ist ihm bis zum Schluss nur in engen Grenzen gewährt worden. Gleichwohl führten die Versagungen seines Lebens nie dazu, dass er seine stringente Haltung und seinen Einsatz aufgab oder gar sich durch Angepasstheit hätte versucht anzubiedern.

C. Vorlesungsnachschrift Die Analyse einer Vorlesungsnachschrift zu Kraut als Grundlage für eine privatrechtsgeschichtliche Einordnung ist Gegenstand des nun folgenden Kapitels. Dabei werden zunächst die Informationen über das Kollegheft und den Verfasser dargeboten (I.). Anschließend erfolgt eine kurze Einordnung von Vorlesungsnachschriften als eigenständige Gattung (II.). Drittens ist kurz auf den sog. Grundriss, die Quellensammlung Krauts, die Begleitmaterial zur Vorlesung darstellt, ein­ zugehen (III.). Schließlich wird auf den Inhalt der Nachschrift eingegangen, wobei der Fokus auf ausgewählten Themenfeldern liegt (IV.). Dabei geht es darum, Krauts Position herauszuarbeiten und in den historischen Kontext  – auch durch Vergleich zu anderen Rechtsgelehrten dieser Zeit – zu setzen.

I. Kollegheft und Verfasser Das Kollegheft stammt nach Angabe des Verfassers aus dem Jahr 1860. Es ist eine Vorlesungsnachschrift zu der im Sommersemester 1860 an der Georg-AugustUniversität in Göttingen gehaltenen Vorlesung von Professor Wilhelm Theodor Kraut ausweislich des Vorlesungsverzeichnisses172, angekündigt über „Das Deutsche Privatrecht mit Einschluß des Lehn- und Handelsrechts […] nach der 4. Ausg. seines Grundrisses zu Vorlesungen über das deutsche Privatrecht … nebst beigefügten Quellen, Gött. 1855, 12 St. wöch. um 7 und 9 Uhr“. Grundlage der Veranstaltung war die vierte Auflage des Grundrisses. Dem Titel nach legt der Verfasser das Kollegheft auf den „Sommer 1860“. Der Kolophon datiert die Nachschrift dann allerdings auf „d. 7. Aug. 1861“. Dies könnte statt dessen auf das Sommersemester 1861 hindeuten. Vermutlich aber gibt die Angabe lediglich den Zeitpunkt der Fertigstellung des Kollegheftes wieder. Die Hintergründe hierzu sind unbekannt. Der Verfasser, namentlich Heinrich Brandt, stammte aus Ahrensbök im damaligen Herzogtum Holstein und war später Jurist in Kiel. Ausweislich des Göttinger Matrikelverzeichnisses wurde Heinrich Brandt am 18. November 1859 in Göttingen immatrikuliert.173 Soweit ersichtlich, sind weitere Informationen über den Verfasser nicht bekannt. Es war darüber hinaus nicht aufklärbar, aus welchen Gründen und auf welchem Wege die Nachschrift in den Bestand des Kieler Juristischen Seminars gelangt ist.

172

Verzeichnis der Vorlesungen, Georg-August-Universität Göttingen zum SS 1860, S. 5. Siehe Ebel (Hrsg.), Die Matrikel der Georg-August-Universität zu Göttingen 1837–1900, Bd. 2, S. 250. 173

C. Vorlesungsnachschrift

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II. Vorlesungsnachschrift als Gattung Eine Vorlesungsnachschrift dient dazu, den Inhalt der gehörten Vorlesung schriftlich festzuhalten. In der Regel wird nicht, wie bei einer Vorlesungsmitschrift, während der eigentlichen Vorlesung das gesprochene Wort direkt notiert. Schon in Anbetracht des Umfangs der Schrift und dem Eindruck einer geordneten Gedankenführung bei der Erstellung des Textes, muss es sich um ein mit Fleiß und Sorgfalt zusammengestelltes Substrat des gehörten Stoffes handeln. Der Student verschriftlicht aus seiner Erinnerung oder auf Basis von Mitschriften den Inhalt der Vorlesung.174 Es entsteht eine mit einem Lehrbuch vergleichbare Schrift, über die der Inhalt der Vorlesung festgehalten und über die Hörer verbreitet wird. Da Kraut selbst kein Lehrbuch im engeren Sinne, sondern nur einen Grundriss heraus­ gegeben hat, stellt eine Vorlesungsnachschrift eine in besonderem Maße dienliche Ergänzung zur Einordnung seiner Lehrtätigkeit dar. Dieses Verfahren hat indes Konsequenzen für den heutigen Nutzen solcher Nachschriften. Sie sind nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit zu lesen, denn aufgrund der Art und Weise ihrer Erstellung liegt es in der Natur der Sache, dass die tatsächlich gesprochenen Worte während der Veranstaltung keine vollumfängliche Wiedergabe finden können. Es ist kein Dokument über eine wortgetreue Mitschrift. Es können Fehler bei der Wiedergabe des Stoffes auftreten, ggf. können eigene Wertungen und eine abweichende Schwerpunktbildung durch den Nachschreiber in den Text einfließen. Es lässt sich demnach nicht mit Sicherheit sagen, dass jene Aufzeichnungen mit dem von Kraut Vorgetragenen immer wortgetreu übereinstimmen. Nichtsdestotrotz bietet die literarische Gattung der Vorlesungsnachschriften Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung für die wissenschaftliche Forschung.175 Gerade Kraut als Lehrprofessor kann in seinem primären Wirkungsort – dem Hörsaal – privatrechtsgeschichtlich vor allem sinnvoll durch Analyse der Vorlesungsnachschrift erfasst werden.

III. Der Grundriss zur Vorlesung zum Deutschen Privatrecht Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Kraut einen „Grundriss zu Vorlesungen über das Deutsche Privatrecht“ herausgegeben hat. Wie der Titel besagt, dient dieser als ein die Vorlesung begleitendes Werk. Es handelt sich dabei nicht um ein Lehrbuch im engeren Sinne, da es keine die Überschriften erläuternden inhaltlichen Ausführungen enthält. Insofern ersetzen die Vorlesungsnachschriften, die sich durchaus im Umlauf unter den Studenten befunden haben, das zu dem Grundriss gehörende, den Lehrstoff erläuternde Werk. Vor der inhaltlichen Analyse der 174

Pflug, Artikel „Vorlesungsnachschrift“, in: Lexikon des gesamten Buchwesens, S. 155 f. Krause, in: Auskunft, Zeitschrift für Bibliothek, Archiv und Information in Norddeutschland, 31/12 (2011), S. 313 (324, 326). 175

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

eigentlichen Vorlesungsnachschrift sollen dennoch kurz Inhalt und Aufbau des Grundrisses dargestellt werden. Gerade weil auch die Vorlesungsankündigungen Krauts seinen Grundriss regelmäßig in Bezug nehmen, sind Inhalt der Vorlesung und dieses Werk in einem Kontext zu sehen. Überdies nimmt er, wie aus der transkribierten Nachschrift ersichtlich ist, umfangreich Bezug auf die im Grundriss genannten Quellen durch Verweis auf die jeweiligen Fundstellen. Um eine Erkenntnis über die Lehrtätigkeit Krauts gewinnen zu können, ist insofern auch die Art und Weise des Umgangs mit dem Lehrstoff und das Gesamtkonzept der Vorlesung zu betrachten. 1. Aufbau Der 546 Seiten starke Grundriss ist, abgesehen von formellen Hinweisen, inhaltlich unterteilt in eine Einleitung (185 Seiten) und acht Bücher, die jeweils in Kapitel untergliedert sind. Nahezu jeder einzelne Gliederungspunkt ist mit fort­ laufenden Paragraphen nummeriert. Die Einleitung trägt den Titel „System des deutschen Privatrechts“. Das erste Buch gilt dem Personenrecht (56 Seiten), das zweite dem Sachenrecht (103 Seiten), das dritte den Forderungen (23 Seiten). Es folgen weitere Bücher zum Erb-, zum Familienrecht (31 und 74 Seiten) und eines zu Lehen, Stammgütern und Familienfideicomissen (62 Seiten). Im siebten Buch werden die adligen und die Bauerngüter (15 Seiten) und im achten Buch (44 Seiten) das Handelsrecht, einschließlich des Wechsel- und des Seerechts behandelt. 2. Inhalt Der Beitrag Krauts zur Privatrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert liegt, was seinen Grundriss anbelangt, nicht in einer erklärend lehrbuchartigen Darstellung des materiellen Rechts und seiner Dogmatik. Im Titel lautet es zwar „nebst beigefügten Quellen“, nämlich dem Grundriss beigefügt, passender scheint jedoch der Titel „Quellenhandbuch zu den Vorlesungen zum deutschen Privatrecht“. Hauptsächlich findet der Leser zu den einzelnen Sachgebieten eine Sammlung diverser Fundstellenangaben für ein fundiertes Quellenstudium. Soweit es Kraut in der Göttinger Bibliothek möglich war, nahm er die Textstellen überwiegend selbst auf oder aber er übernahm sie aus einem anderen Werk und kennzeichnete dies entsprechend, um der von sich selbst geforderten größten Genauigkeit bei der wissenschaftlichen Arbeit in akribischer Weise Genüge zu tun.176 Umfangreiche Hinweise erhält der Leser zu einzelnen Editionen über die Rechtsquellen, welche das Studium derselben erleichtern sollen. Seltener hingegen finden sich allgemeine Literaturangaben zu den Themen. Von diesen sind nur solche aufgeführt, von denen Kraut es für erforderlich hielt, dass sie den Studenten als Grundwissen zur 176

Kraut, Grundriß Deutsches Privatrecht, 4. Auflage, Vorrede zur ersten Auflage, S. IV.

C. Vorlesungsnachschrift

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Verfügung standen.177 Bemerkenswert ist schließlich, dass jedem einzelnen Paragraphen der Gliederung zur Hin- und Einführung die Angabe der entsprechenden Stelle aus einem von drei prominenten Werken vorangestellt ist. Am häufigsten ist Eichhorns „Einleitung in das deutsche Privatrecht mit Einschluß des Lehnrechts“178 genannt. Dieses Werk ist den Studenten als eigentliches Lehrbuch zu der Thematik für die Vorbereitung und Wiederholung des Stoffes anempfohlen.179 Außerdem verweist Kraut auf Mittermaiers „Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts mit Einschluß des Handels-, Wechsel-, und Seerechts“180 und auf Georg Friedrich von Martens181 Grundriss des Handelsrechts, insbesondere des Wechsel- und des Seerechts. Diese Vorgehensweise behält er auch in den folgenden Auflagen des Grundrisses bei. Zwar gibt Kraut in der vierten Ausgabe des Grundrisses 1856 zu bedenken: „[D]ie fortwährenden Verweisungen bei jedem §. auf Eichhorn’s Einleitung erscheinen zwar jetzt nicht mehr als so passend, wie früher […]“182. Da er aber keines der neueren Privatrechtslehrbücher als Ersatz für Eichhorns Einleitung als geeignet ansah, blieb er bei Eichhorn als Referenzverweis. „Sollte es auch nur sein, um meinen großen, nun leider verewigten Lehrer, dessen Verdienste nur zu oft gerade von denjenigen, welchen er am meisten vorgearbeitet hat, verkannt werden, auch hierdurch zu ehren.“183 Aber nicht bloß die Verweisungen spiegeln die Verehrung für sein akademisches Vorbild Eichhorn wider, es ist auch die streng historische Herangehensweise an das Deutsche Privatrecht, die Kraut beibehielt. In sämtlichen Auflagen beginnt Kraut mit einer historischen Einleitung, deren Umfang über die verschiedenen Ausgaben gleichbleibend stark bleibt. Erst für die fünfte Ausgabe aus dem Jahr 1872 konnte sich Kraut überwinden, das ihm nunmehr veraltet und unter Studenten außer Gebrauch geratene Werk als Referenzliteratur durch andere zu ersetzen.184 Insofern meint Kraut, „auf die gangbarsten Lehrbücher des Deutschen Privatrechts, ­welches wohl ohne Zweifel die ­Systeme

177

Kraut, Grundriß Deutsches Privatrecht, 4. Auflage, Vorrede zur ersten Auflage, S. IV. Erschienen in 5 Auflagen (1. Auflage Göttingen 1823, 5. Auflage Göttingen 1845). Zur Systembildung vgl. Lewinski, Deutschrechtliche Systembildung im 19. Jahrhundert, S. 32–57. 179 So Kraut, Grundriß, 4. Aufl. 1860, S. III, aus der Vorrede zur ersten Ausgabe seines Werkes. 180 Siehe zu Mittermaiers „Grundsätzen“ ausführlich Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S.  62 ff.; zum System ebenfalls Lewinski, Deutschrechtliche Systembildung im 19.  Jahrhundert, S. 57–83. 181 Georg Friedrich von Martens (1756–1821) war Professor für Naturrecht und Völkerrecht in Göttingen und gilt als Begründer der modernen Völkerrechtswissenschaft. Die wissenschaftliche Tätigkeit im Bereich des Handelsrechtes wird im Hinblick auf das Lehrbuch, 3. Auflage 1820, als erfolgreich beschrieben, stand aber etwas hinter seinem Engagement im Völkerrecht zurück, vgl. Friedrich, Artikel „Martens, Georg Friedrich von“, in: NDB, Bd. 16 (1990), S. 269–271. Zu ihm weiterführend Habenicht, Georg Friedrich von Martens, Professor des Natur- und Völkerrechts in Göttingen, eine biographische und völkerrechtliche Studie, Göttingen 1934; Scherner, Anfänge einer deutschen Handelsrechtswissenschaft im 18. Jahrhundert, ZHR, 1972, S. 465 (487 f.). 182 Kraut, Grundriß, 4. Auflage, Vorrede zu der vierten Ausgabe, S. XII. 183 Kraut, Grundriß, 4. Auflage, Vorrede zu der vierten Ausgabe, S. XII. 184 Kraut, Grundriß, 5. Auflage, Vorrede zur fünften Ausgabe, S. X. 178

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

von Gerber und Beseler sind, verwiesen“185 zu haben. Des Weiteren dienten Jacob Grimms186, Diecks187 und Albrechts188 Werke als Fundus für Forschungsstand und Quellensuche. Ausdrücklich lobte Kraut Mittermaiers „wahrhaft bewunderungswürdige Belesenheit“ und Ortloff189 mit seinem Lehrbuch wegen seiner „Genauigkeit in der Angabe der Literatur“190. Kraut selbst deutet als Schwäche seiner Ausarbeitung an, dass die jeweilige Überarbeitung seines Werkes zwar zu einer Verdichtung und Anpassung des Stoffes geführt habe, aber keine Änderung im System des Grundrißes erfolgt sei.191 Er liefert aber prompt den Grund für die Beibehaltung des Systems der ersten Auflage über die folgenden Auflagen. Mit dem Begriff des „Systems“ meint Kraut nicht das wissenschaftliche System des Privatrechts, sondern schlicht das System der Anordnung des Stoffes in seinem Werk.192 Das System innerhalb eines Buches, das zum Gebrauch für akademische Vorlesungen verfasst wurde, müsse den Anforderungen eines Anfängers entsprechen.193 Dasjenige, was zum Verständnis eines Themas als bekannt vorausgesetzt werden sollte, müsse demnach zuvor abgehandelt sein. Bei der Erarbeitung eines wissenschaftlichen Systems ist demgegenüber die Kenntnis des Stoffes notwendigerweise vorausgesetzt.194 Zudem beließ er es bei der ursprünglichen Anordnung mit Rücksicht auf die Dozierenden, die ihre Vorlesungen auf der ursprünglichen Grundlage bereits erarbeitet haben und mit diesem System vertraut sind.195 Es sind zwei vordringliche Gründe ersichtlich, die Kraut zu der in besonderem Maße mühseligen Erstellung des Grundrisses bewegt haben mögen. Zum einen war dies der Wunsch, den Studenten das Studium von Quellen ans Herz zu legen: 185

Kraut, Grundriß, 5. Auflage, Vorrede zur fünften Ausgabe, S. X. Jacob Ludwig Karl Grimm (1785–1863) mit dem Werk Deutsche Rechts-Alterthümer, Göttingen 1828. Zur Person Goedeke, Jacob Grimm, in: Berthes (Hrsg.), Göttinger Professoren, Ein Beitrag zur deutschen Cultur- und Literärgeschichte in acht Vorträgen, S. 169–203. 187 Karl Friedrich Dieck (1798–1847) mit dem Werk Geschichte, Alterthümer und Institutionen des deutschen Privatrechts im Grundrisse mit beigefügten Quellen, 1826. Zur Person Steffenhagen, Artikel „Dieck, Karl Friedrich“, in: ADB, Bd. 5 (1877), S. 117–118. 188 Albrecht, Die Gewere als Grundlage des ältern deutschen Sachenrechts, 1828. 189 Ortloff, Grundzüge eines Systems des Teutschen Privatrechts mit Einschluß des Lehnrechts, 1828. Friedrich Ortloff (1797–1868), legte zu Beginn seiner Professur für deutsches Privatrecht an der Universität Jena ein Lehrbuch vor, das überwiegend eine Darstellung von Quellen und Literaturangaben beinhaltet. Ortloff war darüber hinaus in der Praxis am Oberappellationsgericht in Jena tätig und wirkte entscheidend an dem Entwurf des sächsischen bürgerlichen Gesetzbuches mit. Zu ihm Landau, Artikel „Ortloff, Friedrich“, in: NDB, Bd.  19 (1999), S. 602–603; Ortloff, Hermann, Dr. Friedrich Ortloff, wirklicher Geheimrath und Präsident des Gesammt-Oberappellationsgerichts zu Jena, 1869. 190 Kraut, Grundriß, 4. Auflage, Vorrede zur ersten Ausgabe, S. V. 191 Kraut, Grundriß, 3. Auflage, Vorrede zur dritten Auflage, S. XI. 192 Kraut, Grundriß, 3. Auflage, Vorrede zur dritten Auflage, S. XI. 193 Kraut, Grundriß, 3. Auflage, Vorrede zur dritten Auflage, S. XI. 194 Kraut, Grundriß, 3. Auflage, Vorrede zur dritten Auflage, S. XI. 195 Kraut, Grundriß, 3. Auflage, Vorrede zur dritten Auflage, S. XI. 186

C. Vorlesungsnachschrift

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„Es war für mich ein höchst niederschlagendes Gefühl, zu sehen, wie, beim Mangel brauchbarer und zugänglicher Quellen, das Studium bei meinen Zuhörern sich fast allein auf die Repetition des Heftes, höchstens mit Vergleichung irgend eines Lehrbuchs über dieses Fach beschränkte“196. Eine Funktion des Grundrisses ist es, den Hörern der Vorlesungen zum Deutschen Privatrecht ein Begleit- und Nachschlagewerk zu sein.197 Auch weil die bereits vorhandenen Grundrisse, unter anderem von Dieck, seinem Bedürfnis nicht ganz entsprachen, so sah Kraut sich „genöthigt, [s]ich der mehr mühsamen und nützlichen, als Ehre bringenden Arbeit zu unterziehen, selbst einen [s]einem Zweck entsprechenden Grundriß zu schreiben“.198 Zum anderen hatte Kraut zum Ziel, eine Grundlage für akademische Vorlesungen auf dem Gebiet des Deutschen Privatrechts anzufertigen.199 Das Werk sollte auch für Dozenten einen Fahrplan bei Strukturierung und Aufbau ihrer Vorlesungen darstellen.200 Die von Auflage zu Auflage vorgenommenen Änderungen erfolgten stets zu dem Zweck, die Tauglichkeit des Werkes als Vorlesungsgrundlage zu verbessern. In der Vorrede zu der zweiten Ausgabe seines Grundrisses hält er fest, dass die Struktur des Werkes auch das Ergebnis seiner großen Erfahrung als Lehrer des Deutschen Privatrechts seit immerhin über 19 Semestern sei. Kraut hatte insoweit seinen Fokus ausschließlich auf den akademischen Unterricht und die Verbesserung der Lehre aus Dozenten- und Studentensicht gelegt. Er war daher kein Privatrechtswissenschaftler im engeren Sinne, der Wissenschaft als Selbstzweck betrieb, sondern die Juristenausbildung in den Vordergrund stellte. Soweit sich Kraut die Edition eines Basis- und Begleitwerkes für die Konzeption von Vorlesungen zum Deutschen Privatrecht zum Ziel gesetzt hatte, ist ihm dies gelungen. Betrachtet man die Angaben in Vorlesungsverzeichnissen zu den verwendeten Lehrwerken, so ist der Krautsche Grundriss häufig als Leitfaden angegeben, so beispielsweise bei den Vorlesungen zum Deutschen Privatrecht von Beseler in Rostock, Falck in Kiel, Jolly in Heidelberg oder Berner in Berlin.201 Neben den erklärten Zielen der Erstellung eines Quellenhandbuchs für Studenten und einer Grundlage für die Dozenten des Deutschen Privatrechts kam dem Grundriss noch ein weiterer Anwendungsbereich zu. Er diente als Quellensammlung in germanistischen Abhandlungen und dem nach streng historischem Verfahren betriebenen Studium des Deutschen Privatrechts.202 Kraut brachte es mit seinem Grundriss auf sechs Auflagen in den Jahren 1830, 1840, 1845 und 1856­ jeweils Göttingen sowie Berlin 1872, Berlin 1886 (fortgeführt von Ferdinand 196

Kraut, Grundriß, 4. Auflage, Vorrede zur ersten Ausgabe, S. III. Kraut, Grundriß, 3. Auflage, Vorrede zur zweiten Auflage, S. X. 198 Kraut, Grundriß, 4. Auflage, Vorrede zur ersten Ausgabe, S. III. 199 Kraut, Grundriß, 4. Auflage, Vorrede zur dritten Ausgabe, S. X. 200 Kraut, Grundriß, 3. Auflage, Vorrede zur dritten Auflage, S. XII. 201 Vgl. die ausführliche Übersicht bei Schäfer, Juristische Germanistik, S. 303 f., Fn. 2–5. 202 Frensdorff, Grundriß von Kraut, 6. Auflage, S. III, IV. 197

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

Frensdorff), in denen der Inhalt nach dem Titel jeweils „vermehrt und verbessert“ sein sollte. Vermehrung bedeutete das Hinzufügen von neuen Beweisstellen, eher selten die Aufnahme von zuvor nicht berücksichtigtem Stoff, und zeigte sich deutlich in einer höheren Seitenanzahl.203 Damit blieb der Grundriss fortlaufend auf einem der damaligen Forschung entsprechenden Stand. Insgesamt fand der Grundriss im wissenschaftlichen Schrifttum eher wenig Beachtung. Eine anonym verfasste Rezension lobte die Sorgfalt und Genauigkeit des Verfassers bei der Zusammenstellung und Benennung der Quellen, beschränkt sich aber sonst auf wenige Worte, die inhaltlich nicht über die von Kraut selbst verfasste Vorrede zu seinem Werk hinausgehen. Bemerkenswert jedoch scheint dem anonymen Verfasser das Auffinden einer bis dahin unentdeckten Rechtsquelle zu sein.204 Heraushebender klingt dagegen die Anmerkung Gerbers, das Werk Krauts stelle in hervorragender Weise die Rechtsquellen zusammen und sei „ein kleines deutsches Corpus juris“205. Auch Gengler meint insoweit, der Grundriss Krauts habe auch als Quellensammlung „Bedeutung“206 erlangt. Da Gengler das Quellenstudium an Hochschulen für unerlässlich hielt, spricht es für sich, wenn er die inhaltlichen Ausführungen in seinem Lehrwerk jeweils durch ein sog. Direktorium zu dem Grundriss von Kraut ergänzte. „Denn dieses verdienstliche Werk – ein wahres Corpus juris Germanici  – sollte in keines Studierenden (auch wenn noch so bescheidenem) Bücherschatze fehlen“207. Ebenso anerkennend wird dem Grundriss andernorts ein bedeutender Einfluss auf das Studium des Deutschen Privatrechts nachgesagt. Ungeachtet des Charakters des Grundrisses als vorlesungsbegleitendes Werk habe Krauts Kompendium darüber hinaus einen eigenen wissenschaftlichen Wert, da es ein stimmiges System präsentiere und über die Jahre regelmäßig Erkenntnisse neuerer Studien hinzugefügt würden.208 Deutlich geworden ist damit aber auch, weshalb der Grundriss nur bedingt zur Erforschung der Person Kraut taugt. Es handelt sich ganz primär um eine Quellensammlung, die weniger als ein selbst verfasstes Lehrbuch Rückschlüsse auf den Autor zulässt. Nichtsdestotrotz wird anhand der dargestellten zeitgenössischen Bemerkungen deutlich, dass Kraut Beachtung und Respekt bei seinen Kollegen erfuhr; insbesondere die Sorgfältigkeit der Zusammenstellung rückt in den Vordergrund.

203

1. Auflage 386 Seiten, 2. Auflage 484 Seiten, 3. Auflage 516 Seiten, 4. Auflage 546 Seiten, 5. Auflage 512 Seiten, 6. Auflage 608 Seiten. 204 Anonym, Rez., in: JALZ 1830, Nr. 155, Sp. 597 (599). 205 Gerber, System, 17. Aufl., 1895, S. 63, Fn. 8. 206 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 16, bezogen auf Krauts 4. Ausgabe 1856. 207 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. III. 208 Landsberg, in: Stintzing/Landsberg, Geschichte, III/2, S.  525: „Dadurch kommt dem Werkchen […] auch eine wissenschaftliche Bedeutung zu, jedenfalls in weit höherem Maße als den meisten Erzeugnissen dieser Vorlesungskrückenliteratur.“

C. Vorlesungsnachschrift

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IV. Inhalt der Nachschrift: Zentrale Themen bei Kraut im Vergleich zu zeitgenössischen Germanisten Damit kann nunmehr zum Kernstück dieser Arbeit, der inhaltlichen Analyse der Vorlesungsnachschrift, übergeleitet werden. Dabei geht es darum, Krauts Stellung zu bestimmten Themenkomplexen anhand der Vorlesungsnachschrift zu ermitteln und diese sodann in Bezug zur zeitgenössischen Diskussion zu setzen. Schwerpunkt soll dabei auf dem Themenkomplex des Deutschen Privatrechts liegen. Was verstand Kraut im Vergleich zu anderen Germanisten darunter und wie sieht ein wissenschaftlicher Umgang mit diesem Rechtsgebiet aus? (1.). Anschließend werden exemplarisch für ein rechtsdogmatisches Thema Krauts Ausführungen zur Genossenschaft näher beleuchtet (2.). Zum Schluss soll kurz beispielhaft für ein gesellschaftlich relevantes Thema auf die Ausführungen Krauts zur Rechtsstellung der Juden eingegangen werden (3.). 1. Deutsches Privatrecht bei Kraut Die Legitimation des Deutschen Privatrechts als Wissenschaft bzw. als Rechtsquelle ist sowohl bei Kraut als auch in der gesamten zeitgenössischen, rechtswissenschaftlichen Debatte von zentraler Bedeutung. Im Folgenden soll zunächst der Begriff des Deutschen Privatrechts skizziert werden und eine kurze Einführung zur historischen Ausgangslage erfolgen. Anschließend wird die Haltung ausgewählter zeitgenössischer Germanisten zur Frage nach Begriff und Umgang mit dem Deutschen Privatrecht analysiert. Darauf aufbauend ist anhand der Vorlesungsnachschrift zu ermitteln, was Kraut konkret unter dem Deutschen Privatrecht verstand und welchen Umgang er damit forderte. Dabei soll durch Vergleich zu den anderen Germanisten herausgearbeitet werden, welche Akzente Kraut setzte und­ welche Stellung er innerhalb der Diskussion um die Wissenschaft des Deutschen Privatrechts einnahm. a) Einführung: Der Begriff des Deutschen Privatrechts Der Begriff des Deutschen Privatrechts im 19. Jahrhundert ist sowohl aus der heutigen wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive als auch in der damaligen zeitgenössischen Debatte ein weites Feld. Die Germanisten des 19. Jahrhunderts beschäftigten sich umfassend mit der Frage, wie der Begriff des Deutschen Privatrechts zu definieren und wie mit diesem in wissenschaftlicher Hinsicht umzugehen sei.209 Will man heute rechtshistorisch diese Diskussion nachzeichnen, geht es­ 209 Eine umfassende wissenschaftsgeschichtliche Aufbereitung zum Deutschen Privatrecht im 19.  Jahrhundert findet sich bei Schäfer, Juristische Germanistik, S.  295 ff., zum Begriff des Deutschen Privatrechts bezugnehmend auf die zeitgenössischen Schriften von Türk, Privatrecht,

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

keineswegs darum, einen bloßen Begriffsstreit zu erfassen, sondern vielmehr da­ rum, aus den verwendeten Begriffen die Motivlage und das Selbstverständnis der Germanisten zu ermitteln.210 Um das Verständnis von Kraut als Germanisten zu erfassen, ist es weder möglich noch zielführend, die gesamte geschichtswissenschaftliche Diskussion um den Begriff des Deutschen Privatrechts nachzuzeichnen. Erhellend ist es jedoch, die Begriffslegung mit anderen zeitgenössischen bedeutenden Germanisten zu vergleichen sowie der kurze Hinweis auf einige Grundbedingungen. aa) Historische Ausgangslage Auf diese Grundbedingungen bzw. die historische Ausgangslage zur Frage des Umgangs mit dem Deutschen Privatrecht generell soll nachfolgend lediglich instruktiv hingewiesen sein. Ausgangspunkt ist der bereits erwähnte, auch bei den Juristen aufkeimende Kodifikationsgedanke am Anfang des 19.  Jahrhunderts.211 Bei vielen deutschen Juristen bestand der vom Nationalstolz getragene Wunsch einer einheitlichen Zivilrechtskodifikation.212 Thibaut brachte diese Forderung 1814 in seiner grundlegenden Schrift „Über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland“ zum Ausdruck. Gegenspieler und juristische Autorität des 19. Jahrhunderts schlechthin, Friedrich Carl von Savigny, der allgemeinhin als Begründer der Historischen Rechtsschule bezeichnet wird, veröffentlichte noch im selben Jahr die Gegenschrift „Vom Beruf unserer Zeit für­ Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“.213 Savigny geht davon aus, dass Recht organisch wachse und zunächst „auf Grund der rechtserzeugenden Kraft im Volk selbst als Gewohnheitsrecht entstehe“214. Erst mit fortschreitender Entwicklung gebe es auch eine Aufgabe der Juristen, die im Sinne einer geschichtlichen Rechts1832, 430 ff.; Huber, Rez. zu Gierke, Deutsches Privatrecht, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 20 (1896), S. 441 ff.; Gerber, Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts, 1846, S.  70 ff.; Mittermaier, Grundsätze, Bd.  1, 7. Auflage, 1847, § 36, S.  132 ff.; Stobbe, Handbuch, Bd.  1, 1871, § 10, S. 49 ff. sowie Hübner, Der Streit um die Geltung des Deutschen Privatrechts im 19. Jahrhundert, 1952; Klippel, Das Deutsche Privatrecht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Usus modernus pandectarum. Römisches Recht, deutsches Recht und Naturrecht in der frühen Neuzeit, Symposion für Klaus Luig, 2007, S. 63–74; ders., Grundfragen des Deutschen Privatrechts am Ende des 18. Jahrhunderts, in: FS Brauneder, 2008, S. 191–206; Luig, Artikel „Deutsches Privatrecht“, in: HRG, Bd. 1, Sp. 993–1003; Schlosser, Das „wissenschaftliche Princip“ der germanistischen Privatrechtssysteme, in: FS Conrad, S. 491–514. 210 Schäfer, Juristische Germanistik, S. 346 f. 211 Siehe unter A. I. 212 Zur Problematik der Schaffung einer Kodifikation vgl. Dörlemeyer, Einflüsse von ALR, Code civil und ABGB auf Kodifikationsdiskussionen und -projekte in Deutschland, in: Ius Commune, Bd. 7, S. 179 ff. 213 Friedrich Carl von Savigny verkörpere wie kein anderer den Zeitgeist, deutet Conrad, ZRG GA Bd. 65 (1947), S. 265 f. an; weitere Nachweise siehe bereits unter A. I. 214 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 11.

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wissenschaft den bestehenden Rechtstoff aufzubereiten hätten; erst wenn dies geschehen sei, könne eine Kodifikation sinnvoll sein, wobei er davon ausging, dass dieser Zeitpunkt 1814 im Bereich des Privatrechts noch nicht erreicht sei.215 In der weiteren Entwicklung war dann eine innere Spaltung der Historischen Rechtsschule in Romanisten und Germanisten zu verzeichnen216, wobei Erstere dem römischen Recht innerhalb der deutschen Rechtsordnung den Vorrang geben wollten. Demgegenüber standen die Germanisten, zu denen auch Kraut gehörte. Sie sahen das Deutsche Privatrecht primär in den nationalen Rechtsgewohnheiten des Volkes verkörpert.217 bb) Germanistik im 19. Jahrhundert Es sei zunächst darauf hingewiesen, dass der Begriff der Germanistik als Teil der Historischen Rechtsschule und auch der Personenkreis der dort anzusiedelnden Germanisten nicht unstreitig festgelegt ist.218 Sieht man für den Begriff des germanistischen Teils der Historischen Rechtsschule konstitutiv an, dass die Rechtsgeschichte mit der Rechtsdogmatik über eine Entwicklungsgeschichte verwoben ist, so beschränkt sich der Wirkkreis dieser Schule auf die Jahre 1815 bis 1848.219 Danach arbeiteten die Germanisten zwar auch mit geschichtlichen Methoden, jedoch waren diese nicht mehr derart bestimmend.220 Hinsichtlich der Lehrsituation an den Hochschulen lässt sich sagen, dass das Deutsche Privatrecht im Sinne der Germanistik jedenfalls formal gleichberechtigt neben dem römischen Recht stand.221 Gedruckte Repertorien und Übungen zeigen vor allem ab Mitte des 19. Jahrhunderts, dass das Deutsche Privatrecht ernsthafter Bestandteil der Abschlussprüfungen war.222 Trotz der erwähnten Schwierigkeit, einige Autoren klar den Germanisten der Historischen Rechtsschule zuzuordnen, können jedenfalls gesichert einige wich 215 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S.  45–53; vgl. Schröder, in: Kleinheyer/Schröder (Hrsg.), Deutsche und Europäische Juristen, S. 354 f. 216 Instruktiv dazu Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 351 ff. Allerdings weist Schäfer, Juristische Germanistik, S. 310 f. zu Recht darauf hin, dass der Begriff der historischen Rechtsschule für die Germanistik zu kurz greife und zu unbestimmt sei. Zum Begriff der historischen Rechtsschule siehe auch Böckenförde, Recht Staat Freiheit, S. 9–14; Jelusic, Die historische Methode Karl Friedrich Eichhorns, S. 118–128; J. Rückert, Art. „Historische Rechtsschule“, in: Pauly, Bd.  14, Sp.  464–469; ders., Artikel „Historische Rechtsschule“, in: HRG, Bd.  2, Sp. 1048–1055; Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, S. 17–69. 217 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 352 f. 218 Schäfer, Juristische Germanistik, S. 310 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 219 Schäfer, Juristische Germanistik, S. 311. 220 Vgl. Schäfer, Juristische Germanistik, S. 311. 221 Schäfer, Juristische Germanistik, S. 303 mit eingehender Untersuchung der zeitgenössischen Hochschullandschaft. 222 Schäfer, Juristische Germanistik, S. 305 unter Verweis auf die an den Universitäten angebotenen Übungen in diesem Bereich und die Fülle gedruckter Repetitorien.

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tige Protagonisten der Germanistik insgesamt genannt werden. Allen voran ist Karl Friedrich Eichhorn anzuführen. Wichtiger Eckpunkt der Germanistik ist das Erscheinen seines Werks „Einleitung in das deutsche Privatrecht mit Einschluß des Lehenrechts“ im Jahr 1823.223 Auch verfasste Eichhorn den Leitaufsatz „Über das geschichtliche Studium des deutschen Rechts“224, der die Grundpfeiler der Bearbeitung des Deutschen Privatrechts nach dem Dogma der Historischen Rechtsschule festlegte.225 b) Ausgewählte Germanisten und das Deutsche Privatrecht Unbestritten dürfte sein, dass Kraut stark durch den Germanisten Eichhorn, dessen Vorlesungen er auch besuchte und auf dessen Werk er in seinem Grundriss regelmäßig verweist226, geprägt war. Nicht zuletzt dürfte dies auch der Fall sein, weil Eichhorn, wie soeben dargelegt, als Zentralfigur der Germanistik eine gewichtige Vorreiterrolle übernahm. In der nun nachstehenden Auswahl der Germanisten soll daher der Fokus auf für Kraut zeitgenössische germanistische Rechtsgelehrte bzw. deren Lehrbücher liegen. Die Germanistik besonders prägend und daher vorliegend ausgewählt sind Carl Friedrich Gerber, Heinrich Gottfried Gengeler und Johann Caspar Bluntschli. Hinzu kommt Carl Joseph Anton Mittermaier. Nicht nur weil Kraut auf ihn umfangreich Bezug nimmt, sondern aufgrund seiner zentralen Rolle in der Germanistik soll sein Verständnis zum Deutschen Privatrecht vergleichend zu Kraut herangezogen werden. aa) Carl Joseph Anton Mittermaier Carl Joseph Anton Mittermaier (1787–1867) gehört zu den wichtigsten Germanisten des 19. Jahrhunderts.227 Die Entwicklung von Grundsätzen für die Zu­ sammenstellung eines gemeinen deutschen Privatrechts (1815–1847) war bei 223

C. H. D., Rez., in: JALZ 1826 Nr. 146, Sp. 201–203; Gaupp, Rez., Einleitung in das deutsche Privatrecht mit Einschluss des Lehnrechts, Dritte Ausgabe 1829, in: JALZ 1831, Nr. 7–13, Sp.  49–100; Türk, Historisch-dogmatische Vorlesungen über das deutsche Privatrecht, S. 441–444. 224 ZGR 1 (1815), 124–126. Die Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft wurde zunächst von Savigny, Eichhorn und Görschen herausgegeben. 225 Luig, Die Theorie der Gestaltung eines nationalen Privatrechtssystems aus römisch-deutschem Rechtsstoff, in: Coing/Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 1, S. 217 (224). 226 Vgl. Kraut, Grundriß, 4. Aufl. 1860, S. III, Vorrede zur ersten Ausgabe und S. XII, Vorrede zur vierten Ausgabe. 227 Ausführlich zur Person und Konstruktion eines gemeinen deutschen Privatrechts durch Mittermaier siehe Borrmann, Gemeines deutsches Privatrecht bei Carl Joseph Anton Mittermaier, 1995; instruktiv auch Lewinski, Deutschrechtliche Systembildung im 19. Jahrhundert, S. 57–85.

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Mittermaier nicht nur Selbstzweck, sondern erfolgte in erster Linie vor dem Hintergrund einer weitergehenden Zielsetzung. Die Erstellung eines Deutschen Privatrechts war insofern seine Methode, um der angestrebten Rechtsvereinheitlichung durch Schaffung eines Zivilgesetzbuches in Deutschland einen Schritt näher zu kommen.228 Abgesehen davon, dass Mittermaier überhaupt von der nicht unumstrittenen Existenz eines gemeinen deutschen Privatrechts ausging229, ist sein klares Bekenntnis zu einer nationalen Kodifikation bemerkenswert. Auch um später den Vergleich zu Kraut ziehen zu können, ist für diese Arbeit relevant, welchen Weg Mittermaier dabei einzuschlagen gedachte. Mittermaier hebt dabei einen Aspekt, nämlich die Geschichtlichkeit des Rechts, besonders hervor.230 Über die nationale Rechtsgeschichte lasse sich zunächst die Herausbildung der Rechtsverfassung erklären.231 Weiter könnten so das Aufkommen und die Einbeziehung des fremden Rechtes sowie dessen Einfluss auf das deutsche Recht nachvollzogen werden.232 Nicht zuletzt könne die Geschichte die ursprüngliche Natur deutscher Rechtsinstitute erklären.233 Nach Borrmann stellt sich Mittermaier insoweit auf die Seite derer, die die Rechtsgeschichte als eigenen Zweig der Rechtswissenschaft zu betrachten beginnen; dabei erachtet ­Mittermaier eine Verbindung von äußerer Geschichte, also dem allgemeinen historischen Geschehen, und innerer Geschichte, also der Entwicklung des Rechts selbst in der Vergangenheit, für zweckmäßig.234 Fraglich ist, von welchem Begriff des Deutschen Privatrechts bzw. des vor allem relevanten gemeinen deutschen Privatrechts Mittermaier ausging. In seinen Grundsätzen zu dieser Frage legte Mittermaier im Jahr 1842 ein in Deutschland geltendes gemeines Recht zu Grunde, das aus drei wesentlichen Komponenten bestehe:235 Erstens das fremde Recht, welches nach Verbreitung in Deutschland zu gemeinem Recht erhoben wurde.236 Zweitens das reine einheimische Recht, welches aus den einheimischen Verhältnissen stammt und auf Basis der deutschen

228 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 97; vgl. auch die Einschätzung bei Kroeschell, Zielsetzung und Arbeitsweise, in: Coing/Wilhelm, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 1, S. 249 (253). 229 Dazu später unten. 230 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S.  114, liest dies aus einem unveröffentlichten­ Manuskript Mittermaiers, welches sich im Savigny Nachlass in der Universitätsbibliothek Marburg unter der Signatur Ms. 925/45 befindet. Mittermaier, Manuskript, Bl. 369v – Bl. 370r. 231 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 114 unter Verweis auf Mittermaier, Manuskript, Bl. 369v – Bl. 370r. 232 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 114 unter Verweis auf Mittermaier, a. a. O. 233 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 114 unter Verweis auf Mittermaier, a. a. O. 234 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 116. 235 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S.  119, 134; Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 6. Aufl. 1842, S. 2 f. 236 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 119, 134; Mittermaier, a. a. O.

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Rechtsquellen beurteilt werden muss.237 Und drittens solches deutsches Recht, das durch eine Verbindung von fremden und einheimischen Rechtsquellen in modifizierter Form fortgilt oder welches neu entstanden ist.238 Hierbei müsse wiederum nach innerer und äußerer Rechtsgeschichte unterschieden werden, wobei die äußere Geschichte die Entwicklung der politischen Verhältnisse und die Geschichte der Gesetzgebung meine.239 Als bedeutsamer stuft Mittermaier indes die innere Rechtsgeschichte als Geschichte des Privatrechts über die historische Entwicklung der Privatrechtsverhältnisse in den verschiedenen Staaten ein.240 Aus alledem folgert Mittermaier, dass gemeines deutsches Privatrecht der Kern der gemeinrechtlich geltenden Grundsätze sei, „welche sich auf die in Deutschland vorkommenden, den fremden Rechten unbekannten Rechtsvorschriften und Rechtsverhältnisse und die Anwendung des fremden Rechts und die Verbindung mit den deutschen Rechtsbestimmungen beziehen“241. Borrmann zieht den Schluss, Mittermaier kehre von einer strikten Unterscheidung zwischen rein römischrechtlichen und deutschrechtlichen Instituten ab.242 In seinem Lehrbuch von 1821 gründete sich der Begriff des Deutschen Privatrechts allein auf das aus dem Staatenbund angehörigen Völkern entstandene Recht sowie das aus deutscher Rechtsbildung entstandene Recht.243 Außerdem grenzt er das gemeine deutsche Recht vom römischen und vom gemeinen Recht ab.244 Er bezieht rein deutsche Institute ein sowie römischrechtliche Institute, die deutschrechtlich modifiziert wurden bzw. deutschrechtliche Institute, die römischrechtlich modifiziert wurden.245 Er zeigt sich damit als Vertreter einer neueren Richtung der germanistischen Rechtswissenschaft, die von einer Einheit des gemeinen Rechts in Deutschland ausgeht.246 Nachdem nun Mittermaiers begriffliches Verständnis vom gemeinen deutschen Privatrecht dargestellt wurde, ist zu fragen, was Mittermaier als Grundlage oder Ursprung dieses Rechts ansah. Hier findet Mittermaier eindeutige Worte. Recht sei der Ausdruck des Rechtsbewusstseins eines Volkes, erzeugt durch dessen zu 237

Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 119, 134; Mittermaier, a. a. O. Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S.  119; Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 6. Aufl. 1842, S. 1. 239 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 119; Mittermaier, Einleitung in das Studium der Geschichte des germanischen Rechts, 1812, S. 40. 240 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 115; Mittermaier, Einleitung in das Studium der Geschichte des germanischen Rechts, S. 40, 48, 53, 137, IV. Abhandlung. 241 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S.  119; Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 6. Aufl. 1842, S. 2 f. 242 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 119. 243 Mittermaier, Lehrbuch des deutschen Privatrechts, 1821, S. 52, 53. 244 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 119. 245 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 119. 246 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 119. 238

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Gewohnheiten gewordenen Sitten und nicht durch Juristen erschaffen.247 Über die Entwicklungsgeschichte solle das geltende Recht des Volkes erforscht werden.248 Damit ist er nach Borrmann nahe an der Definition der Rechtshistorischen Schule, namentlich an der Volksgeistlehre Savignys.249 Mittermaier sieht das Recht als die aus dem „innersten Leben und den Bedürfnissen des deutschen Volkes hervorge­ gangenen Rechtsansichten“ an.250 Es entstehe aus dem Volk.251 Daher erscheint es in Mittermaiers System auch plausibel, dass er die Partikularrechte als alleinige Grundlage des gemeinen deutschen Privatrechts ansieht. Nur aus diesen könnten der wahre Charakter einheimischen Rechts ausgemacht und allgemeine Rechtsgrundsätze abgeleitet werden.252 Dabei geht Mittermaier davon aus, dass die Frage nach der Geltung des gemeinen deutschen Privatrechts anhand des vorrangigen Partikularrechts zu prüfen sei.253 Mittermaier beschreibt insoweit eine Art Wechsel­ wirkung zwischen kodifiziertem Partikularrecht und gemeinem Recht, ohne diese explizit als solche zu bezeichnen. Er sieht die Partikularrechte nämlich nicht nur als Grundlage des gemeinen Rechts an, sondern ist der Auffassung, es könnten territoriale Rechte auch nur anhand der gemeinrechtlichen Grundsätze interpretiert werden.254 Die Methode kann als „historisch-empirisch“ bezeichnet werden, wobei Mittermaier mit seiner Geschichtsauffassung auf der Linie Eichhorns liegt.255 Wie eingangs erläutert, fordert Mittermaier das praktische Ziel der Kodifikation eines gemeinen deutschen Privatrechts. Zu fragen ist schließlich noch, welche Aufgabe er den Juristen dabei zuschreibt. Hier fällt ins Auge, dass er diesen eine vor allem praktische Funktion zuweisen will. Sie sollen durch Aufsuchen von leitenden Rechtsideen die Gesetzgebung vorbereiten.256 Dabei fordert er eine praxisorientiertere Ausbildung der Juristen und die Befähigung dieser zur Auslegung des positiven Rechts.257 Das gemeine deutsche Recht sei nach Mittermaiers Ansicht 247 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S.  116; Mittermaier, Verhandlungen Frankfurt, 1846, S. 63. 248 Mittermaier, Heidelberger Jahrbücher der Literatur, Nr. 22 (1829), S. 136–158 (137). 249 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 117. So auch Schäfer, Juristische Germanistik, S. 311, 312, der neben einer materiellen auch eine formelle Zuordnung vornimmt und ausführt, dass Mittermaier prima facie bereits als Vertreter der Historischen Rechtsschule bezeichnet werden mag, da er in der entsprechenden Reihe „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft“ publizierte. Diese Zuordnung bestätige aber auch die Anwendung historischer Methoden in der Arbeitsweise Mittermaiers. 250 Mittermaier, Ueber den praktischen Werth der richtigen Behandlungsweise des deutschen Rechts, in: Scholz, Das Schäfereirecht nach gemeinem Rechte und mit besonderer Rücksicht auf die Gesetze mehrerer deutscher Statten, S. V (XXX). 251 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 118. 252 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 120; Mittermaier, Versuch einer wissenschaftlichen Behandlung des deutschen Privatrechts, 1815, S. 15. 253 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 120; Mittermaier, a. a. O. 254 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 125. 255 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 135. 256 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 140 f. 257 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 140, 148.

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gerade kein von den Juristen erschaffenes Recht.258 Vielmehr werde dieses anhand einer die historischen Grundlagen berücksichtigenden Methode erforscht.259 Es gebe nur eine bedingte Anwendung dieses Rechts in der Praxis, abhängig davon, ob die Geltung des ermittelten Grundsatzes in dem maßgeblichen Gebiet nachgewiesen sei.260 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Mittermaier deutlich die Kodifikation vor Augen hat. Als Rechtsquelle dienen die Partikularrechte deutschen Ursprungs, wobei er römischrechtliche Institute, die deutschrechtlich angepasst sind, auch als Grundlage anerkennt. Die Geschichtlichkeit steht bei ihm methodisch stark im Vordergrund. Dazu erscheint seine Forderung nach praktischen Aufgaben der Juristen indes nicht als Widerspruch. Die Juristen sollen leitende Rechtsideen herausarbeiten und positiviertes Recht auslegen. Er hält das Volk im Sinne einer nationalen Grundidee für den Ursprung und die Legitimation des Rechts. bb) Carl Friedrich Wilhelm von Gerber Carl Friedrich Wilhelm von Gerber (1823 bis 1891) verfasste das „System des deutschen Privatrechts“, welches wohl das meist verwendete Lehrbuch über das Deutsche Privatrecht zu dieser Zeit darstellte.261 Es wurde nach der Ersterscheinung 1848/1849 bis 1895 ganze 17 Mal neu aufgelegt. Referenzpunkt für die folgende Darstellung ist die 7. Auflage des Systems von Gerber aus dem Jahr 1860. In Bezug auf den Begriff des Deutschen Privatrechts differenziert er zwischen Rechten verschiedenen Ursprungs. Namentlich handelt es sich um die auf einheimischen Rechtsquellen beruhenden und um die auf fremden Rechtsquellen gegründeten Rechte.262 Die Prämissen einer wissenschaftlichen Bearbeitung und Systematisierung des Rechts erfordern nach Gerber insofern eine getrennte Darstellung.263 Die sich auf fremden Rechtsquellen gründenden Rechte sind in das System des römischen Rechts einzuordnen; die Bearbeitung des gesamten einheimischen Rechtsstoffes erfolgt unter dem Begriff des gemeinen deutschen Privatrechts.264 Obwohl der Gegenstand der beiden Systeme, nämlich die rechtliche Beziehung der jeweiligen Rechtssubjekte und Rechtsobjekte, derselbe ist, weisen sie nach Gerber einen unterschiedlichen „Charakter“ auf: Sie unterscheiden sich wesentlich in Bezug auf ihr Verhältnis zur Rechtsanwendung.265 258

Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 130. Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 130. 260 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 134 f., Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 6. Aufl. 1842, S. 112 f. 261 Kurzbiographie von Beschorner, in: ADB, Bd. 49, S. 291–297; zu ihm ausführlich SchmidtRadefeldt, Carl Friedrich von Gerber und die Wissenschaft des deutschen Privatrechts, 2003. 262 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 1. 263 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 1. 264 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 1. 265 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 1 f. 259

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Zunächst soll auf Gerbers Einordnung des römischen Rechts, wobei er sich insbesondere der Anwendung in der Gerichtspraxis widmet, eingegangen werden. Gerber beschreibt, dass die römischen Rechtssätze an die Anforderungen der einheimischen Rechtskultur angepasst worden seien, etwa durch Rechtsideen und durch Befreiung von denjenigen Rechtssätzen, die nach dem Untergang der römischen Nation endeten.266 Der Einfluss des römischen Rechts und die damit einhergehende Veränderung und Entwicklung des Systems vom einheimischen Recht ist für Gerber im Jahr 1860 noch nicht abgeschlossen, sondern ein fortschreitender Prozess.267 Er beschreibt den durch die deutsche Wissenschaft geschaffenen Zustand des römischen Rechts als ein dem deutschen Rechtsleben „zu eigen“ gemachtes Recht, das seine Fremdartigkeit verloren habe.268 Durch eine wissenschaftliche Bearbeitung des römischen Rechts seien darin enthaltene Prinzipien aus ihrem ursprünglichen historischen Entstehungskontext entnommen und auf deutsche Verhältnisse neu angewendet worden.269 Aufgrund dieser Haltung wird Gerber auch als „Konterrevolutionär“ der Germanisten bezeichnet.270 Er lehnte­ römisches Recht gerade nicht per se ab, sondern versuchte, die Germanisten wieder an die Pandektenwissenschaft heranzuführen und letztlich die Kluft zwischen Germanisten und Romanisten zu überwinden.271 Die starke Verbundenheit des Rechtes zu der Nationalität der Gesellschaft zeige sich nach Gerber vor allem in der Gerichtspraxis: Dort gelange das römische Recht zwar zuvörderst zur Anwendung, jedoch komme die Rechtsprechung nicht ohne Verwendung der einheimischen Rechtssätze aus, da die angemessene Behandlung gewisser einheimischer Rechtszustände und Rechtsinstitute ihrer eigenen im deutschen Volke erwachsenen Rechtssätze bedürfe.272 Das einheimische Recht bestand nach Gerber aus einer Reihe „origineller und consequent durchgeführter Rechtsideen“273. Die Probleme sieht Gerber darin, dass das einheimische Recht stets Ausfluss der jeweiligen ständischen und genossenschaftlichen Gemeinschaftsordnung war274 und die Vollendung des „eigentlich privatrechtlichen Princips“275 fehlte. Das einheimische Recht lasse die „Anerkennung der freien Möglichkeit individueller Willensbestimmung in Bezug auf die rechtliche Beherrschung der Dinge“276 als 266

Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 3. Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 3. 268 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 3. 269 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 3. 270 Schäfer, Juristische Germanistik, S. 329; zu „Konflikten“ zwischen Gerber und anderen Germanisten vgl. auch Schmidt-Radefeldt, Carl Friedrich von Gerber und die Wissenschaft des deutschen Privatrechts, S. 268 ff. 271 Schäfer, Juristische Germanistik, S. 329 f. 272 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 5. 273 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 4. 274 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 4. 275 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 4. 276 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 4. 267

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Grundlage eines freien Rechtsverkehrs vermissen. Den für die Historische Rechtsschule prägenden Begriff des organischen Wachstums277 verwendet Gerber gleichfalls. Seiner Auffassung nach weise das römische Recht ein organisch gewachsenes und in dogmatischer Hinsicht vollendetes System auf278, jedoch könne das Überstülpen dieses fremden Systems nicht das gewünschte Ziel eines gemeinsamen deutschen Privatrechts bringen.279 Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass Gerbers positive Grundhaltung zum römischen Recht innerhalb der Germanisten auffällt. Er ist es auch, der mit der Revolution 1848 eine Abkehr von zu starker­ Geschichtlichkeit im Recht einfordert und eine „Trennung von Geschichte und Gegenwartsrecht“ proklamiert.280 Gerber macht auch differenzierte Ausführungen zu der Behandlung der Rechtsquellen des Deutschen Privatrechts: Die Rechtsquellen des Privatrechts seien vor allem die geltenden Partikularrechte; einzelne Rechtsakte der Reichsgesetzgebung, die für das gesamte deutsche Gebiet gelten, hätten in den seltensten Fällen Regelungsgegenstände des Privatrechts zum Inhalt.281 Auch allgemein verbreitete Gewohnheitsrechte seien nur äußerst selten feststellbar.282 Aus den Partikularrechten aber sei das allgemeine deutsche Rechtsbewusstsein erkennbar, da sie von den Rechtsbüchern des Mittelalters stetig auf Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung fortgeschrieben worden seien.283 Hervorzuheben ist, dass Gerber den gemeinsamen Ursprung der Partikularrechte als notwendige Folge der Nationalität eines Volkes mit gleicher Sprache und Struktur betont und meint, es gebe gleiche grundlegende Prinzipien der verschiedenen Partikularrechte.284 Diese Rechtsquellen müsse nach Gerber die Wissenschaft vom Deutschen Privatrecht primär behandeln, wobei der wesentliche Gehalt dieser Rechte durch gemeinschaftliche Betrachtung zu ermitteln sei.285 Letztlich habe auch das deutsche Volk in seiner Gesamtheit einen Anspruch auf eine durchdringende wissenschaftliche Behandlung des in seiner Mitte geltenden Rechtsstoffes.286 Insofern wird deutlich, dass Gerber zu denjenigen Germanisten gehört, die eine Rechtsvereinheitlichung auf Grundlage des ursprünglich deutschen Rechts mit großer Vehemenz fordern. Sehr deutlich wird dies auch in einem eigenständigen Abschnitt, in dem sich Gerber noch konkreter der Frage der wissenschaftlichen Aufarbeitung widmet. 277 Ausführlich zu Hintergrund und Begriff des „Organischen“ mit zahlreichen weiteren Nachweisen siehe Schäfer, Juristische Germanistik, S. 389 ff. 278 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. X f., 4 f. 279 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 4. 280 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1848, S. 13; dazu Lewinski, Deutschrechtliche Systembildung im 19. Jahrhundert, S. 198 f.; Schäfer, Juristische Germanistik, S. 394. 281 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 6. 282 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 6, 11. Zur Bedeutung des Gewohnheitsrechts und zu der Position Gerbers siehe umfassend Schäfer, Juristische Germanistik, S. 361. 283 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 6, 11. 284 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 6, 11. 285 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 6. 286 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 6 f., 11 f.

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Hinsichtlich der Frage des „Ob“ einer wissenschaftlichen Aufarbeitung des einheimischen Rechtsstoffes positioniert sich Gerber mit deutlichen Worten. Seiner Ansicht nach liegt die Rechtfertigung einer wissenschaftlichen Behandlung allein in dem Charakter der Rechtssätze als einheimisches und aus einem gemeinsamen Volksgeiste entspringendes Recht.287 Es bestehe ein Recht des Volkes auf wissenschaftliche Behandlung der eigenen Rechtssätze. Die Wissenschaft vom Deutschen Privatrecht sei das „einzige und unentbehrliche Erklärungsmittel“ der Partikularrechte.288 Weiterer Gründe bedürfe es nicht. Andernorts hervorgehobene Aspekte, wie etwa eine Systematisierung zur besseren Anwendbarkeit, sei schlicht eine Folge der wissenschaftlichen Behandlung, aber nicht mehr.289 Offenbar will Gerber auf eine Art überpositives Recht des Volkes auf wissenschaftliche Behandlung der eigenen Rechtssätze zum Zwecke der Rechtsvereinheitlichung hinaus. Damit nimmt er auch innerhalb der Germanisten eine Position ein, die an Deutlichkeit der Forderung kaum zu übertreffen ist. Zu der Frage, ob es ein positives gemeines deutsches Privatrecht gibt, bezieht er ebenfalls eindeutig Stellung. Ein unmittelbar anwendbares gemeines Recht existiere nicht.290 Als zeitgenössische Vertreter der gegenteiligen Auffassung in verschiedener Ausprägung nennt er insbesondere Runde, Eichhorn, Maurenbrecher und Mittermaier. Jene seien allerdings einem Irrtum unterlegen, da ein unmittelbar anwendbares Recht aufgrund der Natur der gerade nicht einheitlichen Rechtsquellen sich nicht ergeben könne.291 Hinsichtlich des „Wie“ der wissenschaftlichen Aufarbeitung fokussiert Gerber eine systematische Bearbeitung, orientiert am Inhalt der einzelnen Rechte.292 Die Wissenschaft vom Deutschen Privatrecht könne sich seiner Auffassung nach nicht mehr lediglich mit einer auf historische Grundlagen gestützten Darstellung einzelner Rechtssätze und Rechtsinstitute begnügen.293 Er ließ sich von der Idee leiten, eine dogmatische Begründung eines Systems des Deutschen Privatrechts zu entwickeln, die durch die „Analyse und Construction des rein juristischen Elements der Rechtsinstitute“ unter „consequenter Trennung des Geschichtlichen vom Dogmatischen“ versucht werden solle.294 Geradezu polemisch geht Gerber mit seinen Kollegen ins Gericht, die seines Erachtens nach eine Systematisierung des Stoffes vernachlässigt hätten: „[D]aher ist es gekommen, daß sie so häufig das blos faktische Material des Rechts statt des Rechtes selbst vortrugen, daß sie der Erzählung von Rechtsalterthümern einen ungebührlichen Raum gönnten, daß sie für die 287

Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 11, 12. Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 13. 289 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 12. 290 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 10. 291 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 8 f. 292 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, Vorrede zur ersten Auflage, S. VI und S. 18 f. 293 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, Vorrede zur ersten Auflage, S. V, VII. 294 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. XV. 288

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

­ edeutung der Geschichte der Rechtsinstitute gegenüber der Dogmatik den MaßB stab entbehrten und über den Leser eine wüste Fülle historischer Notizen selbst dann ausstreuten, wenn ihnen die Beziehung zur Gegenwart mangelte […]“.295 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gerber eine sehr fordernde Position zu zentralen Fragen des Deutschen Privatrechts einnahm. Die zentrale Rechtsquelle sieht Gerber wie Mittermaier in den Partikularrechten, wobei unter dem Begriff des Deutschen Privatrechts nur diejenigen Rechtsquellen deutschen Ursprungs subsumiert werden sollen. Er fordert eine gemeinschaftliche, wissenschaftliche Betrachtung aller Partikularrechte durch die Juristen zu allen Rechtssätzen, wobei diese ein System bilden sollten. Der Systembegriff geht dabei über den Begriff der Grundsatzbildung bei Mittermaier hinaus.296 Alleiniger Grund für die Vorgehensweise sei nach Gerber ein von ihm nicht näher begründetes, offenbar überpositives Recht oder Naturrecht des Volkes auf eine wissenschaftliche Aufbereitung der bestehenden Prinzipien eines bereits existenten gemeinen deutschen Privatrechts. Während bei Mittermaier das Volk dem Recht seinen Ursprung gibt, geht Gerber also noch einen Schritt weiter, wenn er dem Volk auch das Recht auf Rechtsvereinheitlichung zuschreibt. Sein Fokus liegt damit primär bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung und bezieht sich nicht auf die Ausarbeitung eines vorhandenen positiven gemeinen deutschen Rechts. Allein aufgrund der hohen Auflagenzahl seines Systems des Deutschen Privatrechts dürfte sein Wirken die Germanistik im 19. Jahrhundert besonders geprägt haben.297 cc) Heinrich Gottfried Philipp Gengler Der Erlanger Professor Heinrich Gottfried Philipp Gengler (1817–1901)298 gab 1859 als 2. Auflage zu dem Vorgänger von 1854 das Lehrbuch „Deutsches Privatrecht in seinen Grundzügen für Studierende“ heraus.299 Er bezeichnet in seinem Lehrbuch als Deutsches Privatrecht das deutsche, „aus eigenthümlicher Wurzel erwachsene“300 Recht.301 Dies beinhalte all jene sich noch in Anwendung befindlichen Normen, die „als Ausflüsse nationaler Rechtsanschauung des deutschen Volkes“302 als solche zu qualifizieren seien.303 Das Deutsche Privatrecht bilde zusammen mit dem fremdländischen Recht die zwei Bestandteile des in Deutschland überhaupt gültigen Rechts. Diese Trennung ist von Gerber bekannt, ebenso wie der klare Rückbezug zum Volk. 295

Gerber, System des deutschen Privatrechts, Vorrede, S. VII. Vgl. Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 102. 297 Schäfer, Juristische Germanistik, S. 330. 298 Kurzbiographie bei Sehling, ZRG GA, Bd. 23 (1902), V–XIII. 299 Siehe dazu Schäfer, Juristische Germaistik, S. 336, m. w. N. 300 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 1. 301 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 1. 302 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 1. 303 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 1. 296

C. Vorlesungsnachschrift

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In Bezug auf das Deutsche Privatrecht hebt Gengler die Bedeutung der Wissenschaft mehr noch als seine Kollegen hervor: Allein der Wissenschaft sei es zu verdanken, dass dem deutschen Privatrecht, da es niemals kodifiziert worden sei, jedenfalls eine „ideale Existenz“304 zuzuschreiben sei.305 Die Wissenschaft konstruiere das Privatrecht, indem sie zunächst aus der Unzahl verschiedener Quellen die wesentlichen Grundprinzipien destilliere und sodann deren Fortgeltung bzw. Geltungsvorrang gegenüber den fremden Rechten begründe. Schließlich brächten die Wissenschaftler den gewonnenen Stoff in ein stimmiges System.306 Allein dadurch entstehe ein Rechtswerk, das insoweit auch eine „reale Existenz“ habe.307 Die Systembildung konnte auch als zentraler Gedanke bei Gerber festgestellt werden. Hinsichtlich der Methode kann nach Gengler nicht ausreichen, bloß Gemeinschaftliches aus den Partikularrechten zu abstrahieren und dem aus der Bundesund Landesgesetzgebung abgeleiteten Gemeinsamen sowie unter dem Namen allgemeiner Gewohnheiten gefundenes Gemeinsames hinzuzufügen. So finde man nicht das wahre gemeine deutsche Recht, sondern lediglich zufällige Gemeinsamkeiten.308 Vielmehr sei eine historische Behandlung erforderlich. Aus den germanischen Rechtsquellen müssten die leitenden Grundgedanken und – prinzipien der jeweiligen Rechtsinstitute herausgearbeitet und ihre historische Entwicklung in den unterschiedlichen Rechten betrachtet werden.309 Insofern seien nach Gengler die Partikularrechte auch nur Erscheinungsformen gemeinsamer Grundideen, denen gemeines Recht im Sinne nationaler Gedanken innewohne.310 Auch diese Position ist klassisch germanistisch und findet sich ähnlich bei Gerber und Mittermaier. Außerdem müssten mittels juristischer Auslegung und Interpretation Regeln gewonnen werden, anhand derer die in der Lebenswirklichkeit täglich aufkommenden Rechtsprobleme behandelt werden könnten.311 Eine jedenfalls präsumtive Überprüfung der Richtigkeit der gefundenen Norm geschehe durch Verweis auf bestehende Gesetzgebung sowie den Gerichtsgebrauch.312 Auch Gengler hebt den praktischen Wert des gemeinen deutschen Privatrechts hervor. Es habe in dreierlei Hinsicht praktische Bedeutung. Erstens diene es als­ Erklärungshilfe für die Partikularrechte, zweitens ergänze es diese um deutsche Elemente und drittens habe es die Funktion einer Hilfsquelle zur Regulierung des Anwendungsverhältnisses zwischen römischem und deutschem Recht in Ansehung einzelner Rechtsinstitute.313 304

Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 4. Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 4. 306 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 4. 307 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 4. 308 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 4. 309 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 5. 310 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 5. 311 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 5. 312 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 6. 313 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 6. 305

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

Die erste Funktion wurde in dieser Arbeit bereits bei Mittermeier als Wechselwirkung beschrieben. Gerber behauptet im Gegensatz zu Gengler, dem Privatrecht komme keine die Partikularrechte ergänzende Funktion zu, sondern es sei ausschließlich ein Erklärungsmittel der Gesetze, es gebe ihnen leitende Grundprinzipien.314 Dem kann sich Gengler aus folgenden Erwägungen nicht anschließen: Erstens sei das Privatrecht keine freie „Selbstschöpfung“315 der Juristen, sondern das fundierte Ergebnis einer wissenschaftlichen Behandlung von positiven Quellen als Produkt eines Nationalgeistes. Zweitens sei der Gerichtsgebrauch, der ebenfalls Bestandteil des gemeinen Rechts sei, in der allgemeinen Rechtsausübung anerkannt. Drittens hätten die Partikularrechte selbst germanische Rechtsprinzipien aus derselben Quelle wie das gemeine deutsche Privatrecht gezogen, nämlich wie Gerber selbst sage, aus „dem allgemeinen deutschen Rechtsboden“316.317 Insofern sei es widersinnig, bestehende Lücken mit fremder Materie zu ergänzen. Nicht zuletzt bestehe die dringende Notwendigkeit für ein rechtsverbindliches, gemeines Privatrecht, um einer Willkürrechtsprechung durch die Gerichte vorzubeugen.318 Es lässt sich erkennen, dass jedenfalls die Forderung per se nach der Beschäftigung mit dem gemeinen deutschen Recht Gengler und Gerber im Ergebnis eint. Im Gegensatz zu Letzterem ist allerdings auch Gengler in die Reihe der Germanisten einzuordnen, die von der Existenz eines geltenden Deutschen Privatrechts ausgehen.319 Gengler stimmt vielmehr Pfeiffer zu320, der diesbezüglich ausführt: „Es muß ein gemeines deutsches Privatrecht geben, weil [der praktische Jurist] ein solches anzuwenden sich genöthigt sieht, das nicht existierende aber nicht angewendet werden kann.“321 Hinsichtlich der Rechtsquellen unterteilt Gengler in primäre und sekundäre Quellen. Primäre Quellen sind die Partikularrechte und Gesetzgebungen. In die Kategorie der sekundären Quellen fasst er denjenigen nationalen Rechtsideenkreis, der über die Landesgrenzen hinausgehe und auch bei den mit den Deutschen „verschwisterten Völkern“322 und in deren historischen Erkenntnisquellen zu suchen sei.323

314

Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 13. Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 6. 316 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 12 f. 317 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 7. 318 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 7. 319 Vgl. hierzu noch Gengler, Lehrbuch des deutschen Privatrechts, 1854, Vorrede S. VI, wonach die Existenz eines anwendbaren Privatrechts nicht geleugnet werden könne. 320 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 7. 321 Pfeiffer, Practische Ausführungen aus allen Theilen der Rechtswissenschaft, Bd. 1, 1825, S. 121. 322 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 12. 323 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 12. 315

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dd) Johann Caspar Bluntschli Johann Caspar Bluntschli (1808–1881)324 setzte sich in dem hier in Bezug genommenen Werk „Deutsches Privatrecht“325 insbesondere für die Befriedigung praktischer Bedürfnisse durch das Recht ein. Die Behandlung des Privatrechts solle für den Bedarf der Studierenden und für die Praxis erfolgen.326 Dies solle unter der Maßgabe erfolgen, sämtliche Rechtsgedanken, gleich ob germanischen oder modernen Ursprungs, die das „heutige“ Privatrecht ausmachen, in ihrem Zusammenhang mit der Vergangenheit und der Rechtsordnung der Gegenwart zu­ betrachten und präzise zu beschreiben. Dadurch hoffte er, einen Beitrag zur Fortbildung des Privatrechtes zu leisten.327 Der Begriff des Deutschen Privatrechts umfasst nach Bluntschli den nationalen Teil des Privatrechts, sei es dasjenige der Deutschen oder das aus deutschen Ländern, im Gegensatz zu dem fremden Recht. Dazu würden auch moderne Bestandteile des Rechts gehören, die mit den älteren Grundsätzen verwoben werden müssten.328 Er sieht indes die Staatsgrenzen nicht als örtliche Beschränkung der zu betrachtenden Rechtssätze, sondern verortet die Wurzeln und die Geltung des Rechts auch in anderen Gebieten mit deutschstämmigen Bewohnern, namentlich in den Ostseeprovinzen und der deutschen Schweiz.329 Das gemeine Recht sieht Bluntschli in der Umwandlung von der Anwendung römisch-rechtlicher Regeln hin zur Geltung der Rechtsgrundsätze eines gemeinen deutschen Privatrechts, das in allen deutschen Nationen Bedeutung erlangt.330 Er beschreibt den Charakter der deutschen Rechtsbildung als eine Äußerung eines relativen Bewusstseins einer nationalen Gemeinschaft. Relativ sei das nationale Bewusstsein, weil es nicht zentral entstehe, sondern in particulären Formen der Rechtsbildung in Erscheinung trete.331 Destilliere man aus den verschiedenen Rechten den vorhandenen „gemeinsamen nationalen Charakter“ derselben, so werde die Gemeinschaft zu einer Einheit verbunden.332 Diese Einheit stelle im Ergebnis die Rechtsfortbildung dar. In neuerer Zeit, vor allem vor dem Hintergrund der Kodifikationsbestrebungen sowie der Beschränkung der Autonomie und Selbstständigkeit kleinster Glieder der Gesellschaft, werde die Mannigfaltigkeit geringer.333 324 Autobiographie Bluntschli, Denkwürdiges aus meinem Leben, 3 Bände, Nördlingen 1984; zu ihm vgl. nur Forster, Bluntschli, in: Kleinheyer/Schröder (Hrsg.), Deutsche und Europäische Juristen, S. 70 ff. und Fritzsche, Bluntschli, in: Schultheß (Hrsg.) Schweizer Juristen, S. 135 ff. 325 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 2. Auflage, München 1860, in der 3. Auflage 1864 bearbeitet von Dahn. 326 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, III. 327 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, III. 328 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 1. 329 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 1. 330 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, Vorwort, S. XIV. 331 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 2. 332 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 2. 333 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 2.

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Die Wissenschaft vom Deutschen Privatrecht sei die „Darstellung des nationalen deutschen Grundcharakters und Geistes der in particulärer Form erscheinenden Institute und Rechtssätze“ sowie „das System derjenigen wirklich gemeinsamen Institute und Rechtsregeln, welche nicht auf einer fremden Autorität beruhen und überall unter den Deutschen gelten, wo nicht ausnahmsweise besondere Rechtsquellen eine Abweichung veranlasst haben“.334 Die aus dieser Wissenschaft gewonnenen Ergebnisse hätten praktische Geltung.335 Bluntschli selbst geht bei seinem eigenen Werk zum Privatrecht auch auf Basis einer geschichtlichen Methode vor, merkt aber an, dass der Blick auf die Vergangenheit nicht die Vernachlässigung der Zukunft zur Konsequenz haben dürfe.336 Die Beschäftigung mit alterthümlichen und nicht mehr gebräuchlichen Rechtsinstituten in einem Lehrbuch diene dem Juristen insoweit nicht, als dass dieser vom Grunde her „den Bedürfnissen der Lebenden dienen“337 solle. Er sieht die Erkenntnis und die Fortbildung des modernen Rechts immer mehr zur Hauptaufgabe der Wissenschaft vom Deutschen Privatrecht werden. Dies habe unwillkürlich die von Vielen angestrebte Zurückdrängung der „ungebührliche(n) Herrschaft römischer Gesetze und Begriffe“338 zur Folge. Hier kommt zunächst eine für Germanisten typisch ablehnende Haltung gegenüber dem römischen Recht zum Ausdruck. Bemerkenswert ist jedoch, dass es Bluntschli in seiner Darstellung auch für möglich hält, in der Zukunft das Privatrecht ohne die bislang übliche Trennung von römischem und deutschem Recht zu bearbeiten. Zunächst müsse diese Trennung aber zur präzisen Unterscheidung und Destillation des Inhalts einzelner Rechte noch bestehen bleiben.339 Erst im Anschluss könne eine Verbindung möglich sein. Bluntschli sieht den Begriff des gemeinen Rechts insofern in einer Umwandlung begriffen. Die Bedeutung des römischen Rechts werde abnehmen und das gemeine deutsche Recht werde in demselben Verhältnis an Bedeutung wachsen.340 Dies auch, weil Bestandteile des römischen Rechts im Deutschen Privatrecht entliehen, eingegliedert und verarbeitet werden würden.341 Dieser Gedanke wurde bereits oben in Ansätzen bei Gerber342 und noch stärker bei Mittermaier343 herausgearbeitet. Grundsätzlich wünscht er sich für das Geratewohl der deutschen Jurisprudenz, dass Germanisten von Romanisten und umgekehrt bei der Betrachtung des Rechtes voneinander lernen würden. Seiner Auffassung nach seien die scharfe und logi 334

Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 2. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 2 f. 336 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. V. 337 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. V. 338 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. VII. 339 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 3. 340 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 3. 341 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 3. 342 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S.3. 343 Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 6. Aufl. 1842, S. 1. 335

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sche Begriffsbestimmung des römischen Rechts gepaart mit der Mannigfaltigkeit verschiedener Rechtsideen aus einem Rechtsbewusstsein eines freien germanistischen Geistes das Ziel.344 Dabei legt er darauf Wert, dass die deutsche Privatrechtswissenschaft nicht in den Schulbegriffen des römischen Rechts verhaftet bleiben solle, was er Gerber vorwirft.345 Als Rechtsquellen benennt er zunächst das Gewohnheitsrecht  – welches sich nicht auf dem Willen eines Gesetzgebers oder dem eines Volkes gründe, sondern sich allein unbewusst aus den tatsächlichen Verhältnissen bei den Menschen ergebe (Natur der Sache). Dies sei, weil nur die gute, sittliche Gewohnheit übernommen werden solle, nur Rechtsquelle, soweit sich aus ihr eine „höhere Autorität des Sollens kund tut“.346 Weiter führt er das Juristenrecht an. Die Juristen würden kein Recht schaffen; sie würden es aufsuchen und darstellen. Aufgrund der ihnen zukommenden Autorität werde mit der Wissenschaft das Rechtsbewusstsein „aufgeklärt und erweitert“.347 So wie eine Rechtsordnung von Juristen in theoretischer und praktischer Hinsicht ausgelegt und angewendet werde, so werde es „anerkannt und beachtet“.348 An das Juristenrecht schließe sich der Gerichtsgebrauch im Sinne einer obrigkeitlichen Rechtsbildung an. Dieser habe eine andere Qualität als das Gewohnheits- und Juristenrecht, da die Gerichtspraxis auf staatliche Autorität zurückzuführen sei.349 Zuletzt sei die Rechtsquelle der Gesetzgebung nach Bluntschli „vollkommenster Ausdruck des Nationalbewusstseins und Nationalwillens“.350 Hier kommen wie bei den zuvor behandelten Germanisten der Einheitsgedanke und das Nationalbewusstsein sehr deutlich zum Ausdruck. In der Rangordnung haben nach Bluntschli insofern das Gewohnheitsrecht auf Basis der Natur der Sache und die Gesetzgebung die höchste Autorität. Rechtswissenschaft und Rechtsprechung haben nur sekundäre Geltung, weil sie das Erstere voraussetzen.351 Unter denen der höheren Autorität ist das Verhältnis wechselnd, mal überwiege die „Macht der Realität“ und mal die rein formale Autorität. Die beiden sekundär heranzuziehenden Quellen seien schlicht unterschiedlich; einerseits stehe wissenschaftliches Ansehen und andererseits die praktische Geltung in Frage.352 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Bluntschlis Zentralthesen gerade noch in den Kanon der bisher dargestellten Germanisten einfügen, wobei er besondere Akzente setzt. Als Rechtsquellen des Deutschen Privatrechts sieht er vor allem 344

Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. XII. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, Vorwort, S. XII. 346 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 10. 347 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 13. 348 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 13. 349 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 13 f. 350 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 15. 351 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 16. 352 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 16. 345

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das Gewohnheitsrecht und die einzelnen nationalen Gesetzgebungen an. Auch für ihn ist der Volksgedanke bzw. der Gedanke eines „freien germanistischen Geistes“ wie bei Gerber und Mittermaier zentral. Ein gemeines deutsches Privatrecht sei aus den partikularen Rechtsquellen zu erschließen. Dabei legt Bluntschli ein Programm vor, nach dem zuerst aus einzelnen nationalen Rechten nationale gemeinschaftliche Rechtsgrundsätze zu destillieren seien. Diese sind nach Bluntschli also schon existent und müssen nur noch erkannt werden. Wenn diese herausgearbeitet würden, entstehe eine nationale Einheit. Während die Existenz einer nationalen Gemeinschaft bei Bluntschli also vorausgesetzt ist, wird diese erst über das gemeinsame Recht zur nationalen Einheit. Bluntschli betont weit weniger als andere den geschichtlichen Aspekt bei der Aufbereitung des Privatrechts. Zwar sei die Vorgehensweise geschichtlich, die Zukunft dürfe dabei aber nicht aus dem Fokus geraten.353 Seine Arbeitsweise kann damit einesteils noch dem Programm der historischen Rechtsschule zugeordnet und anderenteils als modern bezeichnet werden.354 Auch fällt auf, dass Bluntschli den Juristen auch aufgrund der sie auszeichnenden besonderen Autorität eine gewichtige Rolle beimisst.355 Vielfach gehe das Gewohnheitsrecht im Juristenrecht auf und erlange „durch diese Umformung ein vollkommeneres (geistig erleuchtetes und durch Sprache gesichertes) Dasein“.356 Dennoch misst er dem Juristenrecht nur eine Funktion als sekundäre Rechtsquelle bei, die vor allem praktischer Natur sein soll. Die Juristen sollen das Recht erkennen und praktisch anwenden – für ihre Tätigkeit sei aber die Existenz des Rechts bereits Voraussetzung. Schließlich ist der Kooperationsgedanke bei Bluntschli deutlicher als bei anderen Germanisten zu entdecken. Den Wert der Methodik des römischen Rechts erkennt er an und fasst langfristig die Aufgabe der Aufspaltung in deutsches und römisches Recht ins Auge.

353 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. V. Noch deutlicher wird der Standpunkt­ Bluntschlis zur Methode der Historischen Rechtsschule in dem biographischen Titel, Denkwürdiges aus meinem Leben, Bd. 1, S. 197: „Für das Privatrecht war aber die geschichtliche Betrachtung nun so allgemein in der Wissenschaft durchgedrungen, dass was vorher das charakteristische Merkmal einer Schule gewesen, nun zum Gemeingut der Wissenschaft überhaupt geworden ist. Deshalb gibt es auf diesem Gebiete keine historische Schule mehr […].“ 354 So Meili, Bluntschli und seine Bedeutung, S. 20: „Ihm schwebte zweifelos die besprochene Parität zwischen dem alten und modernen Rechte vor, dergestalt, dass aus diesem Studium [der Rechtswissenschaft] nach seiner Meinung später eine einheitliche Rechtsdogmatik entstehen solle“. Siehe dazu auch Schäfer, Juristische Germanistik, S. 334 f. 355 Mit dieser Einordnung geht Bluntschli nicht ganz so weit wie Maurenbrecher, demzufolge bezüglich des Gewohnheitsrechtes „der Staat nur dasjenige als Regel [will], was die Juristen dafür erkennen und wollen, indem Volk und Regierung die Juristen wollen“ und insofern dem Gewohnheitsrecht eine abgeschwächtere Position beimisst gegenüber der Rechtsquelle des­ Juristenrechts, in: Lehrbuch des gesammten heutigen deutschen Privatrechts, 1840, S. 35, 36 ff. Im Einzelnen dazu Schäfer, Juristische Germanistik, S. 349 ff., insbes. S. 352. 356 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 13.

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c) Krauts Haltung zum Deutschen Privatrecht im Vergleich Nachdem nunmehr die zentralen Thesen wichtiger zeitgenössischer Germanisten zum Begriff und Umgang mit dem Deutschen Privatrecht herausgearbeitet wurden, stellen sich zwei Aufgaben für diese Arbeit: Erstens ist anhand der Vorlesungsnachschrift zu klären, was Kraut unter Deutschem Privatrecht versteht und welchen Umgang er mit diesem in seiner Lehre vorschlägt. Zweitens ist eine Einordnung Krauts vergleichend zu den übrigen bereits abgehandelten Germanisten vorzunehmen. aa) Begriff des Deutschen Privatrechts bei Kraut Der Inhalt seiner Vorlesung ist dem Namen nach durch den Begriff des Deutschen Privatrechts umschrieben. Kraut trägt zunächst drei Begriffsbestimmungen zur Eingrenzung der Materie vor: Unter dem Begriff des Deutschen Privatrechts sei erstens das gesamte deutsche Recht, soweit es dem Privatrecht angehört, zu verstehen.357 Deutsches Recht in diesem Sinne ist seiner Auffassung nach das gesamte in Deutschland überhaupt geltende Recht, unabhängig davon, ob es deutschen oder anderweitigen Ursprungs ist.358 Zweitens könne das Deutsche Privatrecht auch alles durch das deutsche Volk erzeugte Recht umfassen, wenngleich dieses aufgrund einer Völkerwanderung nicht auf deutschem Boden hervorgebracht worden sei.359 Drittens könne diese Begriffsbestimmung über einen Ausschluss des in Deutschland geltenden fremden Rechts, wie des römischen oder kanonischen Rechts und auch des Code Napoléons, weiter konkretisiert werden.360 Darüber hinaus schließt er das in Deutschland entstandene, aber nicht mehr geltende Recht aus.361 Derart präzisiert sei demnach als Deutsches Privatrecht im engeren Sinne des Grundrisses das im deutschen Volk entstandene und in Deutschland geltende Recht zu verstehen. Damit wird deutlich, dass Kraut eine andere Akzentsetzung als Gengler vornimmt. Gengler zählt zum Deutschen Privatrecht nur das Recht deutschen Ursprungs362 und fordert vehement eine vollständig getrennte Darstellung zum römischen Recht. Dies legt Kraut seiner Lehre auch zugrunde, da er römisches als

357

Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S.1. Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S.1. 359 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S.1. 360 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S.1. 361 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S.1. 362 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 1; Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 1. 358

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

fremdes Recht ausklammert. Auffällig ist aber, dass es nach Kraut gerade nicht auf den Ursprung des Rechts ankommt. Ursprünglich fremdes Recht kann also deutsches Recht geworden sein. Kraut folgt hier insofern dem späten Mittermaier.363 Diese Position erscheint zunächst auch als markanter Unterschied zu Gerber. Allerdings wird dieser Unterschied abgemildert, wenn man einer anderen Textstelle bei Gerber Berücksichtigung schenkt. Dort heißt es, dass römische Rechtssätze durch Anpassungen an das deutsche Recht ihre Fremdartigkeit zum Teil verloren hätten.364 Geht man davon aus, dass Gerber solch transformiertes Recht unter den Begriff des Deutschen Privatrechts subsumiert, legen Kraut und Gerber letztlich, wenn auch mit anderer Akzentsetzung, einen ähnlichen Begriff zugrunde. Bluntschli hingegen geht über Krauts Position hinaus, wenn er sehr deutlich den oben herausgearbeiteten Kooperationsgedanken äußert, nach dem betont wird, dass die Germanisten auch von den Romanisten lernen sollten und langfristig eine Trennung aufzugeben sei.365 Dies entspricht auch dem Grundgedanken Gerbers, der, wie oben dargestellt, eine Annäherung an das römische Recht innerhalb der Germanisten fordert. bb) Rechtsquellen des Deutschen Privatrechts bei Kraut Kraut schließt das Lehnrecht und das Handelsrecht explizit in den Bereich des deutschen Rechtes ein.366 Es handele sich beim Lehnrecht um ein deutschrechtliches Institut, das andernorts übernommen worden sei und insoweit teils auf deutschen und teils auf fremden Rechtsquellen beruhe.367 Das Handelsrecht sei aus ­römischen und einheimischen Rechtssätzen entstanden und sei damit gleicher­ maßen nur in einer Gesamtschau der Rechtsquellen verständlich. Dennoch handle es sich um deutsches Recht im engeren Sinne.368 Diese Institute sind nach Auf­ fassung Krauts nicht nur einseitig aus den deutschen Quellen verständlich zu machen und daher, obgleich nicht ausschließlich auf deutschen Rechtsquellen ba­ sierend, aufzunehmen.369 In seiner Vorlesung gibt Kraut zunächst eine geschichtliche Übersicht zu den Rechtsquellen.370 Er setzt drei Zeiträume fest, und zwar erstens die älteste Zeit bis zum Ende der fränkischen Herrschaft Ende des 9. Jahrhunderts im Frühmittel-

363

Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 119; Mittermaier, Grundsätze, 6. Aufl. 1842, S. 2–3; siehe oben unter IV. 1. b) aa). 364 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 3, siehe oben unter VI. 1. b) bb). 365 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 3, siehe oben unter IV. 1. b) dd). 366 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 4. 367 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 4. 368 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 4. 369 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 4. 370 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 4 ff.

C. Vorlesungsnachschrift

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alter, zweitens die Zeit des Hoch- und Spätmittelalters bis Ende des 15. Jahrhunderts und drittens die Neuzeit seit dem Ende des 15. Jahrhunderts.371 In der ältesten Zeit bilde ausschließlich das Gewohnheitsrecht eines jeden Volkes das deutsche Recht.372 Dieses sei von öffentlicher Autorität niedergeschrieben, was aber nicht die Veränderung seines Charakters hin zu einem Gesetzesrecht bedeute.373 Über das 10.  und 11.  Jahrhundert hätten die Volksrechte im eigentlichen Deutschland zwar ihre formale Gültigkeit verloren, sie seien dennoch als geschriebenes Recht in Gebrauch geblieben.374 Das Privatrecht habe sich durch Autonomie als Gewohnheitsrecht fortgebildet, wobei unter Autonomie die Befugnis von Privatpersonen zu verstehen sei, sich selbst eine Rechtsordnung zu bestimmen, nach der ihre Verhältnisse beurteilt werden sollen, z. B. im Falle von Stadtrechten, Hof- und Dienstrechten.375 Die verschiedenen Rechtssätze seien von rechtskundigen Privatpersonen gesammelt und nach der jeweils enthaltenen Rechtsmaterie in Rechtsbüchern zusammengestellt worden. Im Mittelalter seien zu diesen Rechtsbüchern territoriale Landrechte hinzugekommen.376 In der neueren Zeit sei die selbstständige Ausbildung des deutschen Rechts durch die Rezeption des römischen Rechts blockiert gewesen.377 Kraut nimmt mithin einen für Germanisten typischen Standpunkt ein, der sich von Gerber unterscheidet, der wie dargestellt, eine Auflösung der Unterschiede zwischen Germanisten und Romanisten anvisierte.378 Gelehrte Juristen wendeten das fremde Recht – auch in Unkenntnis des deutschen Rechts – überall an. Als Gerichtsstellen nur mit gelehrten Juristen besetzt wurden, seien so die Schöffen verdrängt worden. Einige deutschrechtliche Institute seien jedoch nicht zu verdrängen gewesen, weil sie zu stark ausgeprägt oder im römischen Recht nicht vorhanden gewesen seien.379 Die mittelalterlichen Rechtsbücher seien mit der Zeit nicht mehr verwendet worden und durch partikulare Gesetzbücher, die primär auf dem römischen Recht gründeten, ersetzt worden.380 Kraut betont dabei, dass die Gesetzgebung der Territorialgewalt bei weitem produktiver gewesen sei als die Reichsgewalt.381 Später geht Kraut auf das Verhältnis des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches und des Code Napoléon 371

Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 4–6, 6–10, 10–12. Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 4 f. 373 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 5. 374 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 6. 375 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 6. 376 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 8. 377 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 10. 378 Siehe oben m. w. N. unter IV. 1. b) bb). 379 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 10. 380 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 11. 381 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 11. 372

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je im Verhältnis zu den Partikularrechten ein. Danach besteht ein Anwendungsvorrang dieser beiden Gesetzbücher, dass heißt, sie würden vorrangig gelten, wenn sie etwas zur jeweiligen Rechtsfrage enthalten, im Übrigen greife das Partikularrecht.382 Dieses Verhältnis wurde bereits von Mittermaier herausgearbeitet.383 Schließlich geht Kraut auf das Gewohnheitsrecht als Teil des allgemeinen deutschen Privatrechts ein. Er stellt heraus, dass die im Gewohnheitsrecht der unterschiedlichen Territorien verkörperten Rechtsideen eine gewisse Gleichartigkeit aufweisen, die aus der nationalen Verbundenheit des Volkes folgten.384 Das Privatrecht bilde sich zu einem nicht unerheblichen Teil aus Gewohnheitsrecht. Das gemeine deutsche Recht sei überwiegend auf Gewohnheitsrecht gegründet.385 Kraut erkennt demnach das Bestehen eines gemeinen Gewohnheitsrechts an und sieht darin zugleich den hauptsächlichen Anknüpfungspunkt des gemeinen deutschen Privatrechts. In dieser Hinsicht weist sich Kraut auch als Schüler Eichhorns aus, der dem Gewohnheitsrecht als Ergebnis einer Entwicklungsgeschichte unter Einbeziehung der historischen Rechtsquellen eine ebenso bedeutsame Stellung einräumte.386 Ähnlich findet sich dieser Gedanke bei Gengler, nach dem die Partikularien bloße Erscheinungsformen der gemeinsamen Rechtsideen seien.387 Gerber hingegen differenziert in dieser Frage, indem er von der Existenz eines u. a. durch die Wissenschaft gebildeten und konkretisierten Gewohnheitsrechts ausgeht, aber bei der Anwendung zu großer Vorsicht mahnt. Er verweist auf Hufeland, der bewiesen habe, dass es kein gemeines Gewohnheitsrecht gebe und konstatiert für die Juristen und den Gerichtsgebrauch, dass dort kein Recht, sondern „Sitten“ ausgesprochen würden.388 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kraut eine besonders umfassende und sorgfältige, geschichtlich basierte Darstellung in seiner Vorlesung vornimmt, die über die Darstellung bei Bluntschli weit hinausgeht, aber auch die historische Rückschau bei Gerber übertrifft. Diese Methodik Krauts entspricht dem Postulat der Geschichtlichkeit, das von Mittermaier bekannt ist.389 Vor allem die geschichtliche Darstellungsweise der Rechtsquellen, auch mehrere Jahrhunderte rückwärts blickend, zeigt, dass Kraut der Historischen Rechtsschule getreu Rechtswissen 382

Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 13. Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 120; Mittermaier, Versuch einer wissenschaftlichen Behandlung des deutschen Privatrechts, 1815, S. 15, siehe oben unter IV. 1. b) aa). 384 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 19. 385 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 18. 386 Eichhorn, Einleitung in das deutsche Privatrecht, insbes. S. 117, wobei in der Germanistik des 19. Jahrhunderts ausweislich der Zusammenschau bei Schäfer, Juristische Germanistik, S. 360 f. m. w. N., überwiegend die Existenz eines gemeinen Gewohnheitsrechts anerkannt war. 387 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 5, s. oben unter IV. 1. b) cc). 388 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S.  62–64, unter Bezugnahme auf­ Hufeland, Giebt es allgemeine Gewohnheiten im juristischen Sinne?, in: Beyträge zur Berichtigung und Erweiterung der positiven Rechtswissenschaften, Stück 1, S. 1–23. 389 Borrmann, Privatrecht bei Mittermaier, S. 114 nach Mittermaier, Manuskript, Bl. 369v– Bl. 370r. 383

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schaft als geschichtliche Wissenschaft begreift. Erkennbar ist auch, dass Kraut hinsichtlich der in seiner Zeit geltenden Rechtsquellen des gemeinen deutschen Rechts, genau wie Gerber und Mittermaier und etwas weniger ausführlich dazu auch Bluntschli, auf die Partikularrechte abstellt. Dies führt Kraut im Kapitel der Methode des deutschen Privatrechts noch weiter aus. Auf den bei Kraut bereits an dieser Stelle deutlich gewordenen Volks- und Einheitsgedanken, der bereits von den hier dargestellten anderen Germanisten bekannt ist, wird bei der Frage des Umgangs mit dem Deutschen Privatrecht, also im nächsten Kapitel, zurückzukommen sein. cc) Umgang mit dem Deutschen Privatrecht Unter § 43 widmet sich Kraut in seiner Vorlesung der bedeutsamen Frage nach der „Methode des deutschen Privatrechts“. Nach den Ausführungen zu den Quellen ergibt sich, dass es abgesehen von den für das Privatrecht unbedeutenden Reichsgesetzen keine positiven Bestimmungen gibt, die in ganz Deutschland gelten. Kraut konstatiert, dass das Deutsche Privatrecht das Ansehen eines Aggregats lauter partikularrechtlicher Gewohnheiten bzw. einzelner Partikularrechte habe.390 Allerdings bestehe trotz äußerlicher Vielfalt eine innere Übereinstimmung.391 Dies begründet Kraut umfänglich. Zunächst führt er das aus dem Mittelalter fort­ bestehende Gewohnheitsrecht an, welches in Deutschland im Wesentlichen gleich gewesen sei.392 Zweitens verweist Kraut auf die großen Übereinstimmungen der einzelnen Landesrechte. Diese seien so ähnlich, da sie sämtlich auf den Theorien der forschenden Juristen beruhten, die er insbesondere als Gestalter des Deutschen Privatrechts in den Mittelpunkt rückt.393 Da die deutschen Rechte nicht zu verdrängen gewesen seien und für die Juristen insofern bestehende Partikularrechte und ungeschriebene Gewohnheitsrechte nicht mehr zu leugnen gewesen seien, seien sie dazu übergegangen, für all diese Rechtssätze Theorien zu bilden. Die Theorien wiederum seien mit dem römischen Recht verbunden und zu einem usus „modernus pandectarum“ entwickelt worden.394 Drittens geht Kraut auf die Gerichts­ praxis an Reichs-und Landesgerichten sowie an den juristischen Fakultäten ein. Diese würden sich auf die Theorien der Juristen stützen, so dass die Entscheidungen und schließlich auch die Ländergesetzgebung gemeinsame Prinzipien aufweisen. Der Inbegriff jener Prinzipien, würde das gemeine (vereinheitlichende) deutsche Privatrecht darstellen.395 Mithin wird das gemeine deutsche Privatrecht nach Kraut über die Wissenschaft gebildet. 390

Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 28. Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 28. 392 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 28. 393 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 29. 394 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 29. 395 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 29. 391

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Bemerkenswert ist, dass Kraut wie Mittermaier396 eine Wechselwirkung zwischen diesem gemeinen Recht und dem eigentlichen Partikularrecht identifiziert, auch wenn er den Begriff der Wechselwirkung nicht benutzt. Kraut bezieht sich im Zusammenhang mit den Partikularrechten auf Hufeland397 und hebt hervor, dass das Partikularrecht nicht ohne diese gemeinsamen Prinzipen verstanden werden könne. Umgekehrt könnten die Prinzipien, wie eben dargelegt, erst aus den Partikularrechten erschlossen werden.398 Hufeland vertritt in seinem Werk im Hinblick auf die Wissenschaft zum Deutschen Privatrecht den Standpunkt, dass die Konstruktion eines Deutschen Privatrechts ihren unmittelbaren Wert in der Schaffung einer Erklärungsquelle für die partikularen Rechte habe.399 Es sei Aufgabe der Wissenschaft, die aus den Partikularrechten heraus zu destillierenden Regelungsgegenstände mit einer Theorie zu versehen und Regelungslücken zu schließen.400 Inwieweit sich Kraut tatsächlich der Konzeption Hufelands anschließt und ob der Verweis in der Vorlesung gegebenenfalls eine andere Bedeutung gehabt haben mochte, ist nach den folgenden Ausführungen zu beurteilen. (1) Gibt es ein gemeines deutsches Privatrecht? Anschließend widmet sich Kraut der unter den zeitgenössischen Germanisten streitigen Frage, ob es ein geltendes gemeines deutsches Privatrecht gibt. Diese Frage sei umstritten, weil grundsätzlich das Partikularrecht gelte und gemeines deutsches Privatrecht nur subsidiär im Verhältnis zum jeweiligen Partikularrecht zur Anwendung komme. Kraut stellt in seiner Vorlesung verschiedene Ansichten vor: Die erste Ansicht sei diejenige Wächters401, der davon ausgehe, es gebe nach der Auflösung des Reiches im Jahr 1806 kein gemeinsames Recht in Deutschland mehr, da ein solches nur auf Basis einer staatlichen Einheit möglich sei.402 Kraut schließt sich dieser Auffassung nicht an. Er meint, Wächters Auffassung sei nur zutreffend, wenn es kein anderes Recht als Gesetzesrecht gebe. Aufgrund des Gewohnheitsrechts, das unabhängig vom Staatswillen sei und dessen weitere Fortbil 396 Zur Wechselwirkung bei Mittermaier s. oben unter IV. 1.  b)  aa); Mittermaier, Versuch einer wissenschaftlichen Behandlung des deutschen Privatrechts, 1815, S. 15. 397 Gottlieb Hufeland (1760–1817); zu ihm Eisenhart, Artikel „Hufeland, Gottlieb Johann“, in: ADB, Bd. 13 (1881), S. 296–298; Rohls, Kantisches Naturrecht und historisches Zivilrecht, Wissenschaft und bürgerliche Freiheit bei Gottlieb Hufeland, 2004. 398 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 28. 399 Hufeland, Einleitung in die Wissenschaft des heutigen deutschen Privatrechts, 1976, S. 20 f. 400 Hufeland, Einleitung in die Wissenschaft des heutigen deutschen Privatrechts, 1976, S. 21 f. 401 Carl Georg von Wächter (1997–1880), zu ihm Eisenhart, Artikel „Wächter, Carl Georg von“ in: ADB, Bd. 40 (1896), S. 435–440; Sandmann, Grundlagen und Einfluß der internationalprivatrechtlichen Lehren Carl Georg von Wächters, 1978; Mauntel, Carl Georg von Wächter (1797–1880), Berlin 2004. 402 Siehe dazu Wächter, Geschichte, Quellen und Literatur des Württembergischen Privatrechts, Bd. 1, Nachdr. 1839, S. 14 f.

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dung losgelöst von staatlicher Einheit festzustellen sei, könne auch weiter von der Existenz eines gemeinen deutschen Privatrechts gesprochen werden.403 Die zweite Ansicht, die Kraut in seiner Vorlesung den Studenten dargeboten hat, werde beispielsweise von Falck404 und Gerber vertreten. Diese erkennen die Existenz des gemeinen deutschen Rechts an, heben aber hervor, dass dieses nicht mit der allgemeinen Geltung – wie sie beim römischen Recht vorliege – vergleichbar sei. Die Anwendbarkeit des gemeinen deutschen Rechts sei immer davon abhängig, ob das Institut, auf welches sich die entsprechenden Grundsätze beziehen, im Partikularrecht Gültigkeit besitze. Das gemeine deutsche Recht sei demnach etwas Hypothetisches.405 Bei der Bearbeitung des partikularen Privatrechts SchleswigHolsteins definierte Falck dies noch als „Inbegriff von Rechtsgrundsätzen  […], welche nicht aus den Quellen des gemeinen Rechts entnommen werden können“406. Das gemeine Recht sei für die Errichtung des „wissenschaftlichen Gebäudes“407 der schleswig-holsteinischen Rechte eine „subsidiarische Rechtsquelle“408. Kraut schließt sich dem in Teilen an, modifiziert aber die These. Er geht davon aus, dass die vorrangige Prüfung der Gültigkeit des jeweiligen Rechtsinstituts im Partikularrecht auch für die Anwendbarkeit des römischen Rechts vorzunehmen sei.409 Daher sei – so die Schlussfolgerung Krauts – auch das römische Recht für Deutschland etwas Hypothetisches.410 Aus alledem folgert Kraut eine eigenständige These zur Frage des gemeinen deutschen Privatrechts: Er ist der Auffassung, dass der Begriff des gemeinen Rechts innerhalb einer Wissenschaft zum Deutschen Privatrecht enger sei als ein herkömmlicher Begriff des gemeinen Rechts. Das römische Recht sei herkömmlich auch als gemeines Recht in Deutschland anerkannt gewesen.411 Im engeren Sinne sei gemeines Recht dasjenige Recht, welches Institute enthalte, die in dem eigenen Recht vorkommen, so dass letztlich der Inbegriff aller deutschrechtlichen Normen als gemeines deutsches Recht zu bezeichnen sei.412 Die Existenz eines gemeinen deutschen Privatrechts sei nunmehr auch allgemein anzuerkennen. Hieraus ergibt sich, dass Kraut von einer unmittelbaren Geltung des gemeinen deutschen Privatrechts ausgeht. Diese, sich auf eigene Institute beziehenden deutschrechtlichen Normen  –­ 403

Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 30. Niels Nicolaus Falck (1784–1850); zu ihm Michelsen, Artikel „Falck, Nikolaus“, in: ADB, Bd.  6 (1877), S.  539–543; Ratjen, Zur Erinnerung an Nicolaus Falck, Professor des Rechts in Kiel, 1851. 405 Falck, Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Privatrechts, Bd. 1, 1825, S. 7 f.; Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 6, 11. 406 Falck, Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Privatrechts, Bd. 1, 1825, S. 3. 407 Falck, Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Privatrechts, Bd. 1, 1825, Vorrede, S. IV. 408 Falck, Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Privatrechts, Bd. 1, 1825, S. 7. 409 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 30. 410 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 30. 411 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 30 f. 412 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 30 f. 404

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geschrieben und ungeschrieben, wohl aber als Prinzipien herausdestilliert – sollen ebenso wie das römische Recht Geltung haben und angewendet werden. An dieser Stelle bringt Kraut sehr deutlich seine befürwortende, aus dem Nationalbewusstsein gespeiste Haltung zur deutschen Rechtsvereinheitlichung zum Ausdruck. Er nennt die Aufnahme eines geltenden gemeinen Rechts darüber hinaus „ganz unentbehrlich“.413 Keines der einzelnen deutschen Länder habe je eine vollständige Trennung vom Rest Deutschlands vollzogen, also keine echte Unabhängigkeit erreicht, so dass die Partikularrechte auch kein vollständiges System bieten könnten.414 Es bedürfe mithin einer Ergänzung durch das gemeine Recht, dem im Umkehrschluss nicht unbegdingt lediglich eine subsidiäre Geltung zukommen solle. Kraut nimmt darüber hinaus Bezug auf Pfeiffer, der die Notwendigkeit des­ Bestehens eines anwendbaren gemeinen deutschen Rechts für die Praxis bestätigt habe.415 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Krauts Vorlesung hinsichtlich der Frage nach dem gemeinen deutschen Privatrecht in den Zeitgeist einfügt. Wie gesehen, entwickelt er dabei eigenständige Thesen, die über von Mittermaier und Gerber vertretene Positionen hinausgehen. Der Gedanke des Anwendungsvorrangs des Partikularrechts, mithin der daher erforderlichen Prüfung der Gültigkeit eines gemeinrechtlichen Grundsatzes anhand des Partikularrechts, findet sich bei Kraut ebenso wie bei Mittermaier und Gerber. Die beschriebene Wechselwirkung zwischen Partikularrecht, das einerseits die Grundlage des gemeinen Rechts bilden soll, andererseits erst über das gemeine Recht sinnvoll ausgelegt werden kann, findet sich bei Kraut ebenso wie bei Mitter­maier und Gengler. Die Forderung nach einer Kodifikation rückt der Letztgenannte indes wesentlich stärker als Kraut in den Fokus. Der Volks- und Einheitsgedanke findet sich unverkennbar auch bei Kraut. Das Volk hat rechtserzeugende Kraft, wobei Kraut innerhalb des gemeinen deutschen Privatrechts vor allem auf das Gewohnheitsrecht abstellt. Ein großer Teil  des Privatrechts bestehe aus Gewohnheitsrecht. Dies gelte auch für Deutschland, da ein Volk mit gleicher Nationalität trotz territorialer Trennung gleichartige Rechtsideen produziere.416 Der bereits bekannte nationale Einheitsgedanke und auch der Gedanke eines Volksgeistes werden bei Kraut sehr deutlich. Ähnlich wie Mittermaier, Gengler, Gerber und Bluntschli geht auch Kraut von der Gleichartigkeit der aus den Partikularrechten ableitbaren gemeinen deutschrechtlichen Grundsätze aus, wobei das Volk nach allen hier behandelten Germanisten offenbar eine Art einheitserzeugende Kraft hat. Kraut geht allerdings nicht so weit wie­ 413

Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 31. Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 31. 415 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 31. Wie gleichfalls Gengler argumentiert Kraut mit den Erfordernissen der Praxis nach Pfeiffer, Practische Ausführungen aus allen Theilen der Rechtswissenschaft, Bd. 1, 1825, S. 121. 416 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 18. 414

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Gerber, der ein Recht des Volkes auf Rechtsvereinheitlichung formuliert und dies als einzigen Grund für eine solche gelten lassen will.417 Offen ist noch, welche Aufgabe Kraut der Wissenschaft bei der Aufbereitung des gemeinen deutschen Privatrechts beimisst. Dies ist Gegenstand des nächsten Kapitels. (2) Aufgabe der Wissenschaft eines Deutschen Privatrechts Kraut gibt seinen Studenten einen dezidierten Plan an die Hand, was Aufgabe der Juristen und der Rechtswissenschaft bezogen auf das gemeine deutsche Privatrecht sei. Erstens solle jedes Rechtsinstitut einzeln erforscht werden.418 Dieser Gedanke ist bereits von allen in dieser Arbeit behandelten Germanisten bekannt. Zweitens solle das Institut auch historisch untersucht werden.419 Dies entspricht der Methode der Historischen Rechtsschule. Während Mittermaier genau dies vorgibt, ist diese Vorstellung bei Bluntschli zwar noch präsent, aber keineswegs im Vordergrund. Berücksichtigt man Krauts umfangreiche geschichtlichen Ausführungen zu den Rechtsquellen420 sowie die in der Vorlesung jedem Themengebiet vorangestellte „geschichtliche Einleitung“421 ist zu erkennen, dass er sehr deutlich als Vertreter der Historischen Rechtsschule und Anwender ihres Programms einzuordnen ist. Unter dem Gesichtspunkt des Juristenrechts erscheint beachtlich, dass Kraut die historische Erforschung der Rechtsinstitute auch deshalb proklamiert, um zu ermitteln, „welche Veränderung das betreffende Institut durch das römische Recht und die Theorien der Juristen erlitten hat“.422 Insoweit wird Krauts oben schon geschilderte kritische und typisch germanistische Haltung gegenüber dem römischen Recht deutlich. Offenbar will er die Ursprünglichkeit des nach seiner Vorstellung im Volk entstandenen Rechts bewahren.423 Dies erinnert vor allem an die Konzeption Gerbers und Genglers, die ebenfalls das Recht deutschen Ursprungs oder das hinreichend eingedeutschte Recht für relevant halten. Der dritte Schritt in Krauts wissenschaftlicher Konzeption zur Behandlung des gemeinen deutschen Privatrechts lautet in den Worten des Autors der Mitschrift wie folgt: „3. muß man durch unmittelbare Anschauung des Lebens und seiner 417

Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 12. Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 31. 419 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 31. 420 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 4–28. 421 Vgl. nur Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, Rechte an Sachen: „Geschichtliche Einleitung“, S.  157; Erbrecht: „Älteres Recht“, S.  221 und Familienrecht: „Das ältere deutsche Recht“, S. 236. 422 So die Formulierung Brandts in der Nachschrift Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 31. 423 Vgl. die ähnlichen Ausführungen oben IV. c) bb) und cc) (1). 418

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

Gewohnheiten die jedesmalige Natur des Instituts gewinnen […]“.424 Damit meint Kraut die Untersuchung der praktischen Anwendung eines Rechtsinstituts im wahren Leben, in welchem sich das Institut erst „vervollkommne“. Hier wird der für viele Germanisten der historischen Rechtsschule naturalistische Bezug deutlich. Ähnlich ist dies über die Germanisten hinaus auch bei Savigny der Fall, wenn dieser von organisch wachsendem Recht spricht.425 Für diese naturalistische Betrachtung hält Kraut die schon oben eingehend erörterten Partikularrechte für einen besonders wichtigen Untersuchungsgegenstand.426 Kraut macht dabei nochmals deutlich, dass in diesen das gemeine deutsche Privatrecht bereits verkörpert sei.427 Der vierte Schritt bei Kraut ist die Systembildung, die bereits im Ansatz von Mittermaier anvisiert worden ist und sich noch deutlicher bei Gerber und Gengler als Zielvorstellung einer deutschen Privatrechtswissenschaft findet. Auch insofern passt sich Kraut in die in der Mitte des 19. Jahrhunderts wirkenden Germanisten ein. Im fünften und letzten Schritt fordert Kraut, aus dem so entwickelten System Konsequenzen zu ziehen.428 Hier wird auch der Praxisbezug Krauts deutlich, denn über das System und die Kosequenzen sollen die konkreten Rechtsfragen beantwortet werden. Abweichungen zu den derart entwickelten Rechtssätzen stellen laut Kraut schlicht partikulare Rechte dar. Dies entspricht den Ausführungen Genglers, der so zur „realen Existenz“ des gemeinen deutschen Rechts kommt.429 Die derart ermittelten Rechtssätze bilden das gemeine Recht.430 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kraut wie die zuvor behandelten Germanisten seiner Zeit für eine wissenschaftliche Behandlung des gemeinen deutschen Privatrechts eintritt. Genauer gesagt ist bei Betrachtung seiner Fünf-StufenFolge die Wissenschaft sogar Voraussetzung für eine funktionierende Anwendung des Deutschen Privatrechts, da ohne sie die relevanten Rechtsgrundsätze gar nicht aus den Partikularrechten ermittelt werden könnten und eine Systembildung ausbleibe. Gerade deshalb ist die Wissenschaft bei Kraut nicht bloß Selbstzweck, sondern dient der konkreten Rechtsanwendung und Rechtsgestaltung. Der geschichtliche Aspekt ist dabei in der Tradition der Historischen Rechtsschule immanent und ausgeprägter als bei anderen Germanisten. Die Beschreibung der Vorgehensweise einer deutschen Privatrechtswissenschaft bei Kraut besticht nicht durch damals neue, unbekannte Elemente, wohl aber durch Vollständigkeit und Klarheit, was in den von ihm dargelegten fünf Schritten zum Ausdruck kommt. Seine Ausführungen heben sich von den Darstellungen anderer Germanisten eben dadurch ab. 424

Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 32. Vgl. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 8–15, 27 ff. 426 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 32. 427 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 29 und 32. 428 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 32. 429 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 4. 430 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 32 425

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2. Die Genossenschaft bei Kraut Nachdem nunmehr herausgearbeitet wurde, was Kraut unter Deutschem Privat­ recht verstand und welchen Umgang er damit forderte, ist ergänzend und exemplarisch ein ausgewähltes rechtsdogmatisches Thema zu untersuchen. Anhand des in der Vorlesung behandelten Themas der Genossenschaften soll exemplarisch Krauts Umgang mit vorwiegend rechtsdogmatischer Materie analysiert werden. Dazu bietet sich ebenfalls ein Vergleich der Position Krauts in Bezug auf die rechtliche Konstruktion des juristischen Gebildes der Genossenschaft a) mit derjenigen anderer Germanisten b)  an. Die Genossenschaft bietet sich zudem als Themenkomplex an, da sie von einem Grundstreit in der Germanistik begleitet wird. Die Kernfrage war, ob für die wirksame Entstehung einer Genossenschaft ein staatlicher Akt erforderlich ist,431 wobei dieser zunächst etwas formal anmutende Streit letztlich auch Rückschlüsse auf die Grundposition zulässt. a) Krauts Darstellungen zu den Genossenschaften Zunächst gibt Kraut eine allgemeine Einführung zum Begriff der juristischen Person. Er weist darauf hin, dass im Hinblick auf die Entstehung von juristischen Personen eine nach wie vor bestehende Kontroverse geführt werde.432 Soweit gelegentlich die Auffassung vertreten würde, die juristische Person benötige zu ihrer Entstehung die Genehmigung des Staates, vermöge er dieser nicht zu folgen.433 Namentlich Savigny könne in seinem dogmatischen Ansatz nicht gefolgt werden.434 Dieser hielt eine staatliche Kontrolle durch das Erfordernis einer Genehmigung für notwendig, wobei diese nicht zwingend eine ausdrückliche sein müsse. Anderenfalls habe eine Privatwillkür bei der Gründung und Entstehung derlei künstlicher Rechtssubjekte eine nicht akzeptable Rechtsunsicherheit zur Folge.435 Kraut indes sieht in der geschichtlichen Betrachtung von bereits im Mittelalter bestehenden Vereinigungen den Grund, der Ansicht Savignys nicht zu folgen. Es seien damals üblicherweise Vereine, Stiftungen, Gemeinden und Ritterschaften entstanden, ohne zuvor die Genehmigung des Staates erhalten zu haben.436 Obgleich der vermeintlich konstitutive Akt des Staates fehle, sei den Vereinigungen eine juristische Persönlichkeit gegeben und sie seien jeweils eine Einheit im juris-

431

Dazu instruktiv und mit lesenswerter Einordnung in den Gesamtkontext sowie weiteren Nachweisen Schäfer, Juristische Germanistik, S. 364. Einen Überblick über den zeitgenössischen Streitstand bietet Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, S. 15–141. 432 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 73. 433 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 73. 434 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 73. 435 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 2, S. 175 ff. 436 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 74.

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

tischen Sinne gewesen. Dies sei auch heute noch allgemein gewöhnliche Praxis.437 Kraut begründet damit seine Ansicht folgerichtig aus einer historischen Betrachtungsweise, was seinem bereits in Bezug auf das Deutsche Privatrecht herausgearbeiteten Postulat der Geschichtlichkeit entspricht und sich insoweit in das Konzept der Historischen Rechtsschule einfügt. Im Hinblick auf die Genossenschaften skizziert Kraut zunächst die Begrifflichkeit und unterteilt dann in Genossenschaften im weiteren und im engeren Sinne. Im weiteren Sinne umfasse der Begriff der Genossenschaften aus mehreren Personen bestehende Vereine, die dem römischrechtlichen Institut der universitas als körperschaftliche Vereinigungsform438 entsprächen. In Bezug auf die Genossenschaften im engeren Sinne stellt er ihren Charakter als gemeinrechtliches, urdeutsches Rechtsgebilde in den Vordergrund.439 Seiner Auffassung nach sei dieses Rechtsgebilde mithin nicht ohne weiteres in die Dogmatik der römischrechtlichen universitas oder auch der societas, als Form der Personenvereinigung zur Verfolgung eines bestimmten Zweckes440, einzuordnen. Die Genossenschaft sei vielmehr ein eigentümliches, von den römischrechtlichen Formen abweichendes, Rechtskonstrukt.441 Seine Einordnung begründet er im Folgenden mit den zu den genannten Instituten bestehenden Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Dieses Rechtsgebilde „Genossenschaft“ bedürfe als juristische Person insoweit auch keiner Genehmigung einer höheren Stelle zur Erlangung von eigener Rechtspersönlichkeit, sondern diese gehe mit der Entstehung der Vereinigung einher.442 Kraut weist in diesem Zusammenhang auch auf Gerber als den Vertreter einer abweichenden Auffassung hin, derer er sich nicht anzuschließen vermag.443 Seine Ansicht wird auch bei den Ausführungen zum Begriff der Autonomie deutlich. Autonomie im engeren Sinne, welche die Befugnis von Genossenschaften meint, in ihrem Rechtskreis und für ihre eigenen Verhältnisse entsprechende Regeln mittels Satzung festzulegen, sei entgegen der Auffassung Gerbers durchaus eine Erkenntnisquelle des Deutschen Privatrechts und damit eine Rechtsquelle.444 Die Wirksamkeit der Regelungen entspreche, bezogen auf den abgegrenzten eigenen Rechtskreis, derjenigen einer Gesetzgebung.445 Grundsätzlich bedürften diese Rechtssätze von Genossenschaften keiner staatlichen Bestätigung. Keinesfalls müsse sämtliches Recht ausschließlich mittelbar oder unmittelbar vom Staat ausgehen.446 Als Beispiel nennt 437

Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 74. Coing, Die juristischen Fakultäten und ihr Lehrprogramm, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 1, S. 39–128 (65). 439 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 79. 440 Zur societas als Grundform der römischen Personenvereinigung umfassend vgl. nur Fleckner, Antike Kapitalvereinigungen, S. 117 ff. 441 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 80. 442 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 17, 74. 443 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 82. 444 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 16. 445 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 16. 446 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 17. 438

C. Vorlesungsnachschrift

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Kraut die Gemeinden, deren Regeln und Statuten auch ohne staatliche Bestätigung Gültigkeit besitzen würden. Der Grund dafür liege in dem zeitlichen Moment insofern, als dass die Gemeinden bereits vor Entstehung des vermeintlichen Grundsatzes der notwendigen Bestätigung bestanden hätten. Seiner Ansicht nach genügt für die Wirksamkeit der Regeln der Nachweis ihrer „fortwährenden Ausübung“.447 b) Genossenschaften bei anderen Germanisten und Vergleich Soweit Kraut sich auf Gerber bezieht, so weist er auf den vielleicht prominentesten Vertreter der gegenteiligen Auffassung hin. Gerber spricht hier deutliche Worte: „Die ganze Mannigfaltigkeit dieser Möglichkeiten (Zwecke und Ausprägungen von Vereinigungen) in den unbestimmten Begriff „Genossenschaft“ einzwängen, kann nicht eine Lösung, sondern nur eine Umgehung der Schwierigkeiten genannt werden“.448 Insofern konsequent erörtert Gerber in seinem Lehrbuch zum Deutschen Privatrecht auch nur die Gemeinden und die Zünfte unter dem Kapitel der juristischen Personen, da deren Verfassung jedenfalls ursprünglich deutsche Grundlagen hätten.449 Gengler positioniert sich in diesen Fragen in die Reihe derer450, die eine staatliche Bestätigung des Status der juristischen Person fordern, wenngleich die staatliche Mitwirkung bloß eine deklarative Bedeutung habe.451 Dies vor dem Hintergrund, dass nur solchen Personenvereinigungen eine eigene Rechtspersönlichkeit zukommen könne, für welche im Corpus iuris civilis eine entsprechende Rechtsnorm vorhanden oder ein „allgemeines Herkommen“452 bekannt sei. Eine Ausdehnung der Anwendbarkeit der Struktur „juristische Person“ müsse insoweit der Kontrolle einer höheren Stelle obliegen.453 Kraut ist mithin in die Gruppe derjenigen Germanisten454 einzuordnen, die die Genossenschaft als Rechtsgebilde eigener gemeinrechtlicher und deutscher Art­ sehen. Damit lässt er sich als ein Vertreter der Genossenschafts-Theorie455 klassi­ 447

Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 17. Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 119. 449 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 119. 450 Thöl, Volksrecht, Juristenrecht, Genossenschaften usw., 1846, S. 17 f.; Schmid, AcP Bd. 36, 1853, S. 147; Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 116 und ders. in Zeitschrift für Civilrecht und Proceß, neue Folge, Bd. 12, S. 194. 451 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 55; Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, S. 19. 452 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 55. 453 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 54. 454 Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, 1843, S.  158 ff.; Beseler, Deutsches Privatrecht, § 66 f.; Wolff, Deutsches Privatrecht, 1843, S. 175; Weiske, Praktische Untersuchungen auf dem Gebiete des einheimischen Rechts, 3.  Heft, 1847, S.  53; Bluntschli, Deutsches Privatrecht, § 33–39 zu der Frage der Notwendigkeit eines Autoritätsaktes am prominentesten. 455 So genannt bei Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 55. 448

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

fizieren. Soweit sich diese nicht in römischrechtliche Formen einpassen lässt, bildet sie nach Kraut ein Institut eigener Art, welches zur Erlangung von Rechtspersönlichkeit keines Aktes seitens des Staates bedarf. In diesem Zusammenhang spricht Kraut nicht davon, dass die vorhandenen römischrechtlichen Institute so weit abgewandelt werden könnten, bis sich die Genossenschaft in die vorhandene Struktur einpassen lasse. Er plädiert auch nicht für eine in dogmatischer Hinsicht ausdifferenzierte Lehre in Bezug auf das Genossenschaftsrecht, sondern begründet das Rechtsgebilde und die Erlangung von Rechtsfähigkeit mit dem allgemeinen Herkommen. Es seien insoweit aus freier Vereinigung Gesellschaften zwischen Menschen hervorgegangen, welche im Verkehr als juristische Personen angesehen würden.456 Kraut sieht mithin in dem allgemeinen „Herkommen“ und in den Prinzipien zu dem deutschrechtlichen Institut der Genossenschaft gemeines deutsches positives Recht. Dieses Recht ist verbindlich, obgleich es nicht durch einen staatlich getragenen Akt der Rechtssetzung legitimiert wurde. Insgesamt wird deutlich, dass Kraut auch bei dem rechtsdogmatischen Thema der Genossenschaft seiner Art der genauen Darstellung treu bleibt, selbst aber keine Extremposition vertritt. Vielmehr zeigt er sich abermals als traditioneller Germanist. Kraut zeigt hier keine dogmatische Annäherung an die römischrechtlichen Grundsätze wie etwa Gerber, der im Rahmen des Genossenschaftsstreits abermals seiner Nähe zur Romanistik Ausdruck verleiht.457 Kraut ist der Auffassung, dass aus der geschichtlichen Behandlung Recht geschaffen werden kann, das auch unmittelbare Geltung beansprucht. Er führt seine Auffassung, es existiere ein anwendbares gemeines deutsches Privatrecht, damit konsequent auch in der Lehre von den Genossenschaften fort. 3. Die Rechtsstellung der Juden bei Kraut Exemplarisch für ein gesellschaftlich relevantes Thema soll anhand der Vorlesungsnachschrift Krauts Position zur Rechtsstellung der Juden (a) auch im Vergleich zu anderen Germanisten (b) näher beleuchtet werden. Zu klären ist zunächst der systematische Kontext, in dem Kraut die Rechtsstellung der Juden behandelt. Das erste Buch des Grundrisses bei Kraut erläutert das Personenrecht. Im ersten Kapitel geht es um die natürlichen Erfordernisse zur Erlangung der Rechtsfähigkeit sowie die sich aus der Standesverschiedenheit ergebenden Unterschiede. Im zweiten Kapitel setzt sich Kraut mit dem Unterschied zwischen Einheimischen und Fremden in Bezug auf die Voraussetzungen zur Erlangung der Rechtsfähigkeit auseinander. Das dritte Kapitel ist der Verschiedenheit der Personen nach ihrem Anspruch auf bürgerliche Ehre gewidmet. Die Lehre 456

Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 18, 74. Zur Einordnung Gerbers als Konterrevolutionär siehe Schäfer, Juristische Germanistik S. 329 f. und oben IV. 1. b) bb). 457

C. Vorlesungsnachschrift

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Krauts in Bezug auf die Rechtsstellung der Juden findet sich im Kapitel über die Verschiedenheit der Personen aufgrund ihrer Religion. Er beschreibt die Entwicklung und den status quo wie folgt: Während im Mittelalter die Juden denselben Rechtsstatus wie Fremde inne gehabt hätten, mithin vollkommene Rechtlosigkeit, hätten sie seit dem 16. Jahrhundert unter dem Schutz zunächst des Kaisers, später unter dem der Landeshoheiten bzw. Gemeinden, Städte oder Rittergüter gestanden.458 Damit sei die Ausgestaltung der Rechtsstellung von Juden allein abhängig von der Festsetzung durch den Schutz erteilenden Herren und den jeweiligen Regelungen in den verschiedenen Landesgesetzen bzw. Judenordnungen gewesen.459 Bemerkenswert sei, dass die Rechtsstellung der Juden in Deutschland trotz der bestehenden Rechtszersplitterung im Übrigen vornehmlich identisch war.460 Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts seien Juden unfrei bzw. hörig gewesen.461 Kraut führt dies auch genauer aus: Juden hätten nicht Mitglieder freier Genossenschaften oder in eine Zunft aufgenommen werden können, kein städtisches Bürgerrecht erhalten und nur unzünftiges Gewerbe betreiben können, insbesondere den Not- und den Schacherhandel.462 Meist hätte ihnen das Recht, Eigentum an Grundstücken zu erwerben, gar nicht oder nur beschränkt zugestanden.463 Juden seien insofern in rechtlichen Belangen über Jahrhunderte massiv schlechter gestellt gewesen als Christen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts und insbesondere seit 1848 sei eine Verbesserung der Rechte und eine Angleichung des Status vor allem in privatrechtlicher Hinsicht eingetreten.464 Mit der Verabschiedung der Deutschen Bundesakte am 08.06.1815 seien in deren Artikel 16 den Juden die bis dahin in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden Rechte zugesichert worden.465 Ziel sei auch eine weitere Verbesserung der Rechtsstellung, die möglichst einheitlich erfolgen solle; dies sei insoweit der ­Beratung der Bundesversammlung überlassen geblieben.466 Darüber hinaus sei festgelegt, dass die Verschiedenheit der christlichen Religionen allgemein keine unterschiedliche Behandlung bei der Wahrnehmung politischer und bürgerlicher Rechte begründen dürfe.467 Krauts Ausführungen erschöpfen sich in einer sachlich-neutralen Deskription des rechtlichen Zustands. Die Schilderung ist eine Beschreibung ohne jegliche Wertungen. Kraut selbst bezieht in der Frage der rechtlichen Stellung der Juden im Privatrecht keine Position. 458

Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 68. Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 69. 460 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 69. 461 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 69. 462 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 69. 463 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 69. 464 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 70. 465 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 70. 466 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 70. 467 Kraut, Vorlesung Deutsches Privatrecht, S. 70. 459

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

In diesem Stil nehmen sich auch Bluntschli468 und Gerber469 des Themas an. Im Gegensatz dazu schwingt bei Gengler in seinen Grundzügen des Deutschen Privatrechts für Studierende seine persönliche Haltung mit. Es heißt dort, die Deutsche Bundesakte habe bewirkt, dass sich in den Staaten ein Umdenken formiere, das jedenfalls „die größtentheils aus einem nicht zu rechtfertigenden Mißtrauen gegen die sittliche Würde der jüdischen Glaubensgenossen hervorgegangenen civilrechtlichen Zurücksetzungen beseitigte“.470 Eine ähnliche Positionierung lässt sich tendenziell bei der Schilderung Mittermaiers erahnen. Mittermaier nimmt ausführlich und detailreich Stellung zum Einfluss der Religionsverschiedenheit auf die Rechtsstellung der Juden. Seit der Zeit der Kreuzzüge sei die Lage der Juden „schlimmer“ geworden.471 Mittermaier benutzt Worte wie „Beraubung“, „Judenverfolgungen“ oder „harte Beschränkungen“.472 Er konstatiert, dass die Deutsche Bundesakte zwar die Absichtserklärung enthalte, die rechtliche Stellung der Juden zu verbessern, dies allerdings in der landesgesetzlichen Umsetzung nicht immer zu einer Aufhebung der „drückenden Zurücksetzungen“ geführt habe.473 Eine solche eher liberal erscheinende Stellungnahme lässt sich bei Kraut – jedenfalls ausweislich der Nachschrift seiner Vorlesung – nicht finden.

468

Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1860, S. 53–57. Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1860, S. 101–109. 470 Gengler, Deutsches Privatrecht, 1859, S. 50. 471 Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 7. Aufl. 1847, Bd. 1, S. 331. 472 Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 7. Aufl. 1847, Bd. 1, S. 331, 332. 473 Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 7. Aufl. 1847, Bd. 1, S. 342. 469

D. Resümee Die Germanisten des 19. Jahrhunderts waren sich allgemein über die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Behandlung des Deutschen Privatrechts einig. Dieser Zielsetzung lagen unterschiedliche Motive und Vorstellungen zugrunde, aber Konsens bestand hinsichtlich der besonderen Stellung des einheimischen Rechts. Wilhelm Theodor Kraut kann zusammenfassend als Rechtslehrer der Germanistik des 19. Jahrhunderts beschrieben werden, der sich auf besondere Art und Weise für die deutsche Privatrechtswissenschaft verdient gemacht hat. Zunächst sollen diejenigen Aspekte resümiert werden, bei denen Kraut Positionen vertritt, die als typisch germanistisch bezeichnet werden können und die in ähnlicher Ausprägung auch bei den hier behandelten anderen zeitgenössischen Germanisten zum Ausdruck kommen. Zuvorderst ist die geschichtliche Arbeitsmethode bei Kraut bestimmend. Sie entspricht der Methode der Historischen Rechtsschule und folgt der Programmatik des Germanisten Mittermaier. Stärker als es etwa bei Bluntschli der Fall ist, konnte für Kraut anhand der Inhalte der Vorlesung, aber auch aufgrund seines expliziten Bekenntnisses zu dieser Vorgehensweise gezeigt werden, dass er die Rechtswissenschaft als eine immer auch geschichtliche Wissenschaft begreift. Gleichfalls passt sich die von Kraut verwendete naturalistische Terminologie in die Historische Rechtsschule ein. Kraut fokussiert etwa die Untersuchung der­ Natur von Rechtsinstituten in ihrer natürlichen Anwendung im praktischen Leben. Ebenfalls findet sich bei Kraut der explizite Rückbezug zum Volk, wie er auch bei anderen Germanisten prägend ist. Zwar formuliert Kraut nicht in der Vehemenz und Deutlichkeit wie etwa Gerber; gleichwohl ist auch bei ihm das Volk über das Gewohnheitsrecht der zentrale Rechtserzeuger. Dies dürfte darüber hinaus belegen, dass auch Kraut wie Savigny von einem organischen, das heißt natürlichen Wachstum des Rechts ausgeht. Eng damit im Zusammenhang steht der Gedanke der nationalen Einheit. Während Gerber mit wesentlich größerer Emotionalität formuliert und auch Mittermaier eindeutige Worte findet, und insbesondere eine Kodifikation fordert, folgt Kraut diesen Forderungen zwar inhaltlich, stellt diese aber keineswegs mit derselben Inbrunst in seiner Vorlesung dar, wie es die Vorgenannten in ihren Lehrbüchern tun. Die Gründe dafür können nur vermutet werden. In der Biographie wurde bereits deutlich, dass Kraut zwar auch gewagte Positionen einnimmt, diese aber doch mit Bedacht zu äußern versucht. Womöglich hat Kraut aufgrund des von ihm verfassten

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

Schreibens im Kontext des Verfassungsstreits und der Göttinger Sieben sowie der daraus resultierenden, ihn sein ganzes Leben lang prägenden, negativen Folgen eine eher zurückhaltende Haltung eingenommen. Denn schließlich weist die Forderung nach einer nationalen Zivilrechtskodifikation nicht nur eine rechtswissenschaftliche, sondern auch eine politische Dimension auf. Hinsichtlich der Funktion des römischen Rechts steht Kraut in der Tradition der kritischen Haltung der Germanisten, wie sie auch bei seinen Zeitgenossen zu finden ist. Abgesehen von Gerber scheint nur Bluntschli mit seinem Kooperationsgedanken dem römischen Recht versöhnlicher gegenüberzustehen. Die Partikularrechte nehmen bei Kraut, wie an mehreren Stellen dieser Arbeit begründet werden konnte, eine zentrale Rolle ein. Ähnlich ausgeprägt wie bei Mitter­maier und Gerber sieht auch Kraut die Partikularrechte als Grundlage zur Destillation deutscher gemeinrechtlicher Grundsätze an. Dabei folgt er Mittermaier und nimmt, ohne dies explizit zu machen, eine Art Wechselwirkung an. Die Partikularien sind einerseits Basis für gemeinrechtliche Grundsätze und anderseits können sie nur durch hinreichendes Verständnis der gemeinrechtlichen Grundsätze erfasst werden. Über das Bestehen von gemeinrechtlichen Grundsätzen hinaus ist Kraut der Auffassung, dass es sich bei dem gemeinen deutschen Privatrecht, welches aus allen deutschrechtlichen Normen und Grundsätzen besteht, um positives Recht handelt und damit unmittelbare Geltung hat. Kraut nimmt in dieser Frage auch keine Einschränkungen im Hinblick auf eine subsidiäre Anwendung vor. Das gemeine deutsche Recht muss ebenso wie das römische Recht Geltung haben und angewendet werden. Die in dieser Frage von Gengler proklamierte Ergänzungsfunktion des gemeinen Rechts gegenüber den Partikularrechten dürfte ohne weiteres von der weitergehenden Auffassung Krauts umfasst sein.474 Hinsichtlich der Frage nach dem wissenschaftlichen Programm des Deutschen Privatrechts übertrifft Kraut seine Kollegen in der Klarheit der Darstellung. Dies mag auch seiner intensiven jahrzehntelangen Lehrtätigkeit geschuldet sein. Sein 5-Punkte-Programm, das im Ergebnis eine Systembildung fokussiert, wobei ein solches System keinen bloßen Selbstzweck erfüllen solle, sondern der praktischen Rechtsanwendung diene, fasst die Methode der deutschen Privatrechtswissenschaft in vollendeter Form prägnant zusammen. Kraut war ein Rechtsgelehrter, der von seinen Studenten sehr geschätzt wurde und die deutsche Privatrechtswissenschaft aufgrund seiner 50-jährigen intensiven Lehrtätigkeit in besonderem Maße prägte. Seine überschaubare Anzahl an Publikationen steht dem nicht entgegen. Insbesondere zeigt die Resonanz der Kollegen, dass es sich bei seinen Werken um durchaus beachtliche wissenschaftliche Leistungen handelt. Trotz widriger Umstände gab Kraut seine Loyalität gegenüber den Göttinger Sieben nicht auf und präsentierte seinen Studenten auch bei schlechter

474

Siehe oben unter C. 1. b) cc).

D. Resümee

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Bezahlung eine Vorlesung, die diesen ein umfassendes System deutscher Privatrechtswissenschaft näher brachte. Seiner Biographie, seinen Äußerungen zum Privatrecht insgesamt, aber auch seinen Ausführungen zu einzelnen gesellschaftlichen Fragen, wie der Rechtsstellung der Juden, ist zu entnehmen, dass Kraut kein Vertreter von Extrempositionen war. Er zog sich vielmehr auf eine sachlich-neutrale Deskription zurück. Gleichwohl kann ihm keineswegs nachgesagt werden, stets auf einen eigenen Standpunkt zu verzichten, wie insbesondere seine Behandlung des deutschen Privatrechts, aber auch sein Beitrag um die Auseinandersetzung der Göttinger Sieben zeigt. Exemplarisch konnte in dieser Arbeit anhand des gemein-rechtlichen Instituts der Genossenschaft gezeigt werden, dass Kraut in einer sehr ausführlichen Weise, auch in dogmatischen Fragen Position bezog und versuchte, diese seinen Studenten näher zu bringen. Kraut war ein Lehrprofessor, der seine Fähigkeiten in den Dienst der deutschen Privatrechtswissenschaft stellte und insbesondere den akademischen Unterricht in den Fokus nahm. Er strebte unermüdlich danach, eine umfassende Lehre zur deutschen Privatrechtswissenschaft anzubieten. Dieses Streben ist zugleich sein entscheidender Beitrag, dieselbe voranzubringen. Kraut betrieb Wissenschaft also nicht als Selbstzweck, sondern stellte die Lehre in den Mittelpunkt. Dies erinnert an den auch bei anderen Germanisten wie­ Mittermaier zu findenden Gedanken, nach dem eine praxisorientierte Ausbildung der Juristen erforderlich sei, um diese zur Auslegung des Rechts zu befähigen. Ebenfalls kann Kraut wie anderen Germanisten ein gewisser Praxisbezug nachgesagt werden.475 So war er Mitglied der Spruchfakultät und betreute dort zahlreiche Verfahren, wenngleich es zu weit ginge, ihn wie Beseler als schwankend zwischen wissenschaftlicher und praktischer Tätigkeit einzuordnen.476 Der Schwerpunkt lag bei Kraut doch in der universitären Lehre. Trefflich sind daher die Worte Frensdorffs im Vorwort der von ihm bearbeiteten 6. Auflage des Grundrisses: „Möge auch dies alte Buch in neuem Gewande an seinem Theile den germanistischen Studien und Arbeiten nützen und das Andenken an den Verfasser lebendig erhalten, der sein ganzes Leben hindurch in Treue seiner Wissenschaft und seinem Berufe gedient hat.“477

475 Vgl. Kern, ZRG GA Bd. 101 (1984), 1 (17 f.), der betont, es gehe mit der methodischen Germanistik ein gewisser Praxisbezug einher. 476 Kern, ZRG GA Bd. 101 (1984), 1 (18). 477 Kraut, Grundriß Deutsches Privatrecht, 6. Auflage, 1886, bearb. von Frensdorff, Vorwort, S. VIII.

E. Anhang I. Publikationen von Wilhelm Theodor Kraut – De argentariis et nummulariis, Commentatio, Göttingen 1826. – /v. Wiese, Georg, Grundsätze des gemeinen in Teutschland üblichen Kirchenrechts, 5. Auflage, Göttingen 1826, nach des Verfassers Tode hrsg. von Wilhelm Theodor Kraut. – Ueber die lex Angliorum et Werinorum, in: Eranien zum deutschen Recht, 3. Lieferung 1828, S. 122–148. – De codicibus Lueneburgensibus, quibus libri iuris Germanici medio aevo scripti con-tinetur, in: Universitätsschriften Göttingen, Schriften zum Antritt des Lehramts, Antrittsvorlesung vom 29. Mai 1830, Göttingen 1830. – Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts, Band 1, Göttingen 1835; Band 2, Göttingen 1847; Band 3, Göttingen 1859. – Grundriß zu Vorlesungen über das deutsche Privatrecht mit Einschluß des Lehn- und Handelsrechts nebst beigefügten Quellen, 1. Auflage, Göttingen 1830; 2. Auflage, Göttingen 1839; 3. Auflage, Göttingen 1845; 4. Auflage, Göttingen 1856; 5. Auflage, Berlin 1872; 6. Auflage, Berlin 1886 bearbeitet von Ferdinand Frensdorff. – Das alte Stadtrecht von Lüneburg, Göttingen 1846. – Weisthümer gesammelt von Jacob Grimm, Th. 1–2, Göttingen 1846, in: GGA, 1841, 102./103. Stück, S. 2010–2016. – Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts, Band 2, in: GGA, 1847, 189. Stück, S. 1887–1894. – Rez. „Ueber die Restauration des deutschen Rechts, insbesondere in Beziehung auf das Grund­eigen­thum“ von Friedrich Ludwig Bernhard, 1829, in: GGA, 1831, 125. Stück, S. 1249–1260. – Rez. „Einleitung in das gemeine teutsche Privatrecht“ von Christian Ernst Weiße, 1835, in: GGA, 1836, 74./75. Stück, S. 733–742. – Rez. „Das alte Recht der Salischen Franken“ von Georg Waitz, Kiel 1846, in: GGA, 1847, 173 Stück, S. 1723–1736.

II. Briefwechsel – Brief an Ludwig Karl Aegidi (1825–1901), Göttingen, 06.01.1865, Staatsbibliothek zu Berlin  – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Sig. Slg. Darmstaedter 2h 1838.

E. Anhang

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– Brief an Adalbert Falk (1827–1900), Göttingen, 17.08.1872, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Sig. Slg. Darmstaedter 2h 1837. – 6 Briefe an Jacob Grimm vom 30.12.1839, 12.11.1840, 02.01.1843, 10.05.1853, 14.01.1856 und vom 04.01.1862 im Nachlass der Brüder Grimm, vgl. Breslau, Ralf (Bearb.), Der Nachlass der Brüder Grimm, Katalog, Teil 1, Wiesbaden 1997, S. 302 mit Verweis auf Daffis, Hans, Das Inventar der Grimm-Schränke in der Preußischen Staatsbibliothek, Leipzig 1923, Mitteilungen aus der Preußischen Staatsbibliothek 5, S. 29 b. – 2 Briefe an Andreas Heusler-Sarasin (1834–1921) vom 21.08.1860 und vom 07.11.1872, Staatsarchiv Basel-Stadt, Sig. PA 329 I 33, PA 329 I 74,12 und PA 82a B 16 192. – Brief an Johann Benedikt Listing, 18.03.1849, Staatsbibliothek zu Berlin  – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Sig. Slg. Darmstaedter 2h 1837. – Brief an Carl Otfried Müller, 1839; SUB Göttingen, Abteilung Handschriften und Seltene Drucke, Sig. Cod. Ms. K. O. Müller 2:622. – Brief an August Ludwig Reyscher, 1838, Württembergische Landesbibliothek, Sig. Cod. hist. Fol. 767 Fass. I. – 2 Briefe an Unbekannt, Göttingen, 1824. – Vorlesungsankündigung Wintersemester 1824/25 und vom 14.10.1848  – Vorlesungsankündigung Wintersemester 1848/49, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sig. Briefsammlung Kittler 434 und 435. – Brief an Unbekannt Göttingen, 30.09.1855, Stadtbibliothek Hannover, Sammlung Frank Wedekind. – Brief an Unbekannt vom 21.12.1868, SUB Göttingen, Sig. Ms. philos. 182. – 6 Briefe an Unbekannt (1827–1857), SUB Göttingen, Sig. Philos. 133 II 336. – 2 Briefe an Heinrich von Mühler an Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten Preussen/ Ministerium der Geistlichen, Göttingen, vom 05.03.1870 und vom 17.08.1872, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Sig. Slg. Darm­ staed­ter 2h 1837. – Brief an Friedrich Carl von Savigny, Göttingen 05.07.1826 (7 Seiten) UB Marburg, Sig. Ms. 725/661. – Brief an Friedrich Carl von Savigny, Göttingen 20.01.1830 (3 Seiten) UB Marburg, Sig. 925/1289. – Brief an Friedrich Carl von Savigny, Göttingen 03.11.1859 (3 Seiten) UB Marburg, Sig. 725/662. – Brief an Karl Simrock, 1846, Goethe- und Schiller-Archiv/Klassik Stiftung Weimar, Sig. GSA 88/156,4 – Brief an Johann Friedrich von Schulte, Göttingen, 22.05.1864, Bayerische Staatsbibliothek, Sig. Schulteana 14,33. – Brief an Wilhelm Wackernagel 21.08.1841, Staatsarchiv Basel-Stadt, Sig. PA 82a B 16 192. – Brief von Jacob Grimm an Wilhelm Theodor Kraut vom 13.02.1848 und vom 07.01.1849, SUB Göttingen, Sig. Ms. philos. 182:2.

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1. Teil: Wilhelm Theodor Kraut

III. Vorlesungsnachschriften von Wilhelm Theodor Kraut Die genannten Autographen befinden sich, soweit nicht anders angegeben, in der SUB Göttingen, Abteilung Handschriften und Seltene Drucke. – Savigny, Friedrich Carl von: Vorlesung über Institutionen, Rechtsgeschichte und Antiquitäten. Berlin WS 1820/21. Nachschrift von W. T. Kraut (590 S.), Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 22 h. – Savigny, Friedrich Carl von: Vorlesung über Pandecten. Göttingen SS 1820. Nachschrift von W. T. Kraut (3 Bl., S. 651–972), Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 52 ea. – Meine Vorlesungen über das Deutsche Privatrecht […], Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Sig. Slg. Darmstaedter 2h 1837, 1 Blatt.

IV. Vorlesungsnachschriften zu Wilhelm Theodor Kraut 1. Vorlesung Kirchenrecht Kraut, Wilhelm Theodor, Vorlesung über Kirchenrecht. Göttingen SS 1837, Nachschrift von C. Fr. Wilh. Flügge, Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 148 ea. Kraut, Wilhelm Theodor, Vorlesung über Kirchenrecht, Göttingen WS 1838/39. Nachschrift von Rudolph Bütemeister (1 Bl., 221 S.), Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 148 eb. Kraut, Wilhelm Theodor, Vorlesung über Kirchenrecht, Göttingen WS 1845/46. Nachschrift von G. Dröge (185 S.), Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 148 e.

2. Vorlesung Deutsches Staatsrecht Kraut, Wilhelm Theodor, Vorlesung über Deutsches Staatsrecht, Göttingen SS 1838. Nachschrift von C. Fr. Wilh. Flügge, Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 216 d. Kraut, Wilhelm Theodor, Vorlesung über Deutsches Staatsrecht, Göttingen WS 1838/39. Nachschrift von Rudolph Bütemeister (1 Bl., 238 S.), Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 216 e.

3. Vorlesung Deutsches Privatrecht Kraut, Wilhelm Theodor, Vorlesung über Deutsches Privatrecht, Göttingen SS 1838. Nachschrift von C. Fr. Wilh. Flügge (2 Bände), Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 396 gb. Kraut, Wilhelm Theodor, Vorlesung über Deutsches Privatrecht mit Einschluß des Lehnrechts, Göttingen SS 1838. Nachschrift von Rudolph Bütemeister (1 Bl., 459 S.), Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 396 ga. Kraut, Wilhelm Theodor, Vorlesung über Deutsches Privatrecht mit Einschluß des Lehn- und Handelsrechts, Göttingen SS 1846. Nachschrift von G. Dröge (448 S.), Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 396 g.

E. Anhang

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Kraut, Wilhelm Theodor, Vorlesung über Deutsches Privatrecht mit Einschluß des Lehn- und Privatrechtes, Deutsches Staatsrecht, Göttingen 1848–1849. Nachschrift von H.  Lochte (364, 140 S.), Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 396 gc. Kraut, Wilhelm Theodor, Vorlesung über die Theorie des gemeinen deutschen Privatrechts, Göttingen SS 1857. Nachschrift von Ph. Bunsen (293 S.), Sig. 4 Cod. Ms. Jurid 396 ge.

F. Literaturverzeichnis Albrecht, Wilhelm Eduard: Die Gewere als Grundlage des ältern deutschen Sachenrechts, Königsberg 1828. Anonym: Rez. 1.  De Codicibus Luneburgensibus quibus Libri iuris Germanici medio aevi scripto continentur; 2. zu Grundriß zu Vorlesungen über das deutsche Privatrecht mit Einschluß des Lehnrechts, nebst beygefügten Quellen, von Wilhelm Theodor Kraut, Göttingen 1830, in: ALZ 1830, Nr. 155, Sp. 597–599. Becker, Thomas/Bleek, Wilhelm/Mayer, Tilmann (Hrsg.): Friedrich Christoph Dahlmann: ein politischer Professor im 19. Jahrhundert, Göttingen 2012. Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht, Leipzig 1843. – System des gemeinen deutschen Privatrechts, Berlin 1885. v. Bethmann-Hollweg, Moritz August: Erinnerung an Friedrich Carl von Savigny als Rechts­ lehrer, Staatsmann und Christ, Weimar 1867. Bialas, Stephan (Hrsg.): Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Gustav Hugo, Band 3, Stuttgart 2003. Bickell, Johann Wilhelm: Rez. „Grundsätze des gemeinen, in Teutschland üblichen Kirchenrechts“, in: Schunck, Friedrich Christoph Karl (Hg.), Jahrbücher der gesammten juristischen Literatur, Band 4, Erlangen 1827, S. 201–206. Bleek, Wilhelm: Friedrich Christoph Dahlmann, Eine Biographie, München 2010. Bluhme, Friedrich: Zur Texteskritik des Westgothenrechts, Festschrift zu Wilhelm Theodor Kraut’s fünfzigjährigem Doctorjubiläum, Bonn 1872. Blümel, Günter/Natonek, Wolfgang: „Das edle Bestreben, der breiten Masse zu nützen“, Beiträge zur Geschichte der Volkshochschule Göttingen, Göttingen 2013. Bluntschli, Johann Caspar: Deutsches Privatrecht, 2. Aufl., München 1860. – Denkwürdiges aus meinem Leben, Zürich, die schweizerische Periode 1808–1848, Band 1, Die deutsche Periode, Teil 2, Hälfte 1 und 2, veröffentlicht von Rudolf Seyerlen, Nördlingen 1884. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Recht, Staat, Freiheit, Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt am Main 2006. Boldemann, Carl (Hrsg.): Verhandlungen der Germanisten, Frankfurt am Main 1847. Borrmann, Kathrin: Gemeines deutsches Privatrecht bei Carl Joseph Anton Mittermaier ­(1787–1867), Baden-Baden 2009. Buschmann, Arno: Ursprung und Grundlagen der geschichtlichen Rechtswissenschaft, Untersuchungen und Interpretationen zur Rechtslehre Gustav Hugos, Münster 1963.

F. Literaturverzeichnis

85

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G. Personenregister Albrecht, Wilhelm Eduard (1800–1876)  22, 24, 27, 40, 144, 183, 189, 220, 221, 237, 272, 330 Andlau, Peter von (1420–1480)  123 Bauer, Anton (1772–1843)  18 Bergmann, Friedrich Christian (1785–1845)  22 Beseler, Georg Karl Christoph (1809–1880)  13, 40, 41, 79, 148, 198, 220, 221, 224, 227, 231, 232, 233, 260, 261 Bluhme, Friedrich (1797–1875)  29 Bluntschli, Johann Caspar (1808–1881)  57 Borchardt, Moses Maximilian Siegfried (1815–1880) 316 Brandt, Heinrich  36, 97 Briegleb, Hans Karl (1805–1879)  27 Carpzow, Benedikt (1595–1666)  312 Dahlmann, Christoph (1785–1860)  19, 24, 27 Dalwigk, Karl Friedrich August Philipp von (1761–1825) 30 Dieck, Karl Friedrich (1798–1847)  40, 41 Dietzel, Gustav (1827–1864)  307 Dreyer, Johann Carl Heinrich (1723–1802)  31 Duncker, Ludwig (1810–1875) 148, 186, 189, 272 Eichhorn, Karl Friedrich (1781–1854)  13, 15, 17, 18, 39, 46, 53, 108, 186, 187, 189, 194, 205, 220, 221, 223, 247, 289, 290, 299 Ernst August I., König von Hannover (1771–1851)  13, 24 Ewald, Heinrich Georg August (1803–1875)  24 Falck, Niels Nikolaus (1784–1850) 28, 30, 41, 67 Falcke, Georg Friedrich Freiherr von (1783–1850) 26

Falk, Adalbert (1827–1900)  81 Fichard, Johann von (1512–1581)  106 Ficker, Julius von (1826–1902)  104 Francke, Wilhelm Franz Gottfried (1803–1873)  18, 27 Frensdorff, Ferdinand (1833–1931)  42 Gengler, Heinrich Gottfried Philipp (1817–1901)  42, 54 Gerber, Carl Friedrich Wilhelm von (1823–1891)  40, 50, 114, 121, 137, 201, 221 Gervinus, Georg Gottfreid (1805–1871)  18, 24 Göttinger Sieben  13, 24, 27, 32, 78 Grimm, Jacob Ludwig Carl (1785–1863)  24, 27, 40, 81, 104 Grimm, Wilhelm Carl (1786–1859)  24, 27, 28 Hartmann, Otto Ernst (1822–1877)  27, 223, 232 Hasse, Johann Christian (1779–1830) 148, 220, 247, 248, 266 Hermann, Emil (1812–1885)  27 Heusler-Sarasin, Andreas (1834–1921)  81 Hoeck, Karl (1794–1877)  20 Homeyer, Carl Gustav (1795–1874)  16 Hufeland, Gottlieb (1760–1817)  64, 66, 113 Hugo, Gustav (1764–1844) 15, 16, 18, 19, 28 Jolly, Julius August Isaak (1823–1891)  41 Kierulff, Johann Friedrich Martin (1806–1894)  252 Konrad II. (circa 990–1039)  267 Kraut, Georg  17 Kraut, Georg Ludolph (1774–1861)  15, 31 Kraut, Thekla (1801–1864)  17 Kuntze, Johannes Emil (1824–1894)  200

G. Personenregister Leutsch, Ernst Ludwig von (1808–1887)  25 Listing, Johann Benedikt (1808–1882)  81 Martens, Georg Friedrich von (1756–1821)  39 Maurenbrecher, Romeo (1803–1843)  53 Meier, Ernst von (1832–1911)  30 Meister, Georg Jacob Friedrich (1755–1832)  18 Mittermaier, Carl Joseph Anton (1787–1867)  13, 23, 46, 53, 186, 189 Mommsen, Friedrich (1818–1892)  27 Mühlenbruch, Christian Friedrich (1785–1843)  18, 231 Mühler, Heinrich von (1813–1874)  81 Müller, Carl Otfried (1797–1840)  25, 81 Ortloff, Friedrich (1797–1868)  40, 134 Pernice, Ludwig Wilhelm Anton (1799–1861)  26, 29 Pernice, Victor Anton Herbert (1832–1875)  26 Pfeiffer, Burkhard Wilhelm (1777–1852)  56, 68, 114 Puchta, Georg Friedrich (1798–1846)  252 Pufendorf, Samuel Freiherr von (1632–1694)  289 Pütter, Johann Stephan (1725–1807)  21, 85, 120, 122 Rathmann, Friedrich (*1835)  240 Renaud, Achilles (1819–1884)  183, 317 Reyscher, August Ludwig (1802–1880) 13, 81 Ribbentrop, Georg Julius (1798–1874) 18, 20, 27

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Ritter, August Heinrich (1791–1869)  23, 25 Roth, Karl (1802–1880)  28 Runde, Justus Friedrich (1741–1807)  53, 247 Savigny, Friedrich Carl von (1779–1861)  12, 15, 16, 22, 34, 44, 49, 70, 71, 81, 82, 128, 133, 134, 189, 200, 201, 252 Schele, Georg Freiherr von (1771–1844)  26 Schneidewin, Friedrich Wilhelm (1810–1856)  25 Schulte, Johann Friedrich (Ritter) von (1827–1914) 81 Simrock, Karl (1802–1876)  81 Struve, Georg Adam (1619–1692)  311 Tengler, Ulrich (1447–1511)  105, 107 Thibaut, Anton Friedrich Justus (1772–1840)  12, 44 Thöl, Johann Heinrich (1807–1884)  24, 25, 27, 314 Wächter, Carl Georg von (1997–1880) 66, 114, 252 Wackernagel, Wilhelm Heinrich (1806–1869)  31, 81 Waitz, Georg (1813–1886)  23 Warnstedt, Adolf Eduard Friedrich Johannes von (1813–1894)  27 Wassersleben, Johann Christian Friedrich (1822–1900)  217, 219, 278, 279 Weber, Wilhelm Eduard (1804–1891)  24 Wilda, Wilhelm Eduard (1800–1856)  28 Wolff, Carl Wilhelm (1813–1888)  24, 28, 29 Zachariae, Heinrich Albert (1806–1875)  18, 22, 26, 27, 29 Zasius, Ulrich (1461–1535)  106

2. Teil 

Edition der Vorlesungsnachschrift

A. Erläuterungen Die Vorlesungsnachschrift befindet sich im Bestand des Kieler Juristischen Seminars.1 Sie ist durchgehend paginiert und umfasst inklusive Deckblatt 586 Seiten in einem festen Einband. Dem Textteil folgen noch sechs unbeschriebene Seiten nach, die unpaginiert sind. Bei der Transkription ist der Seitenwechsel über die Angabe der Zahl der jeweils folgenden Seite in eckigen Klammern kenntlich gemacht. Das Deckblatt nennt den Titel sowie den Verfasser des Manuskriptes „Deutsches Privatrecht von Hofrath Kraut, Sommer 1860. H. Brandt“. Das Datum der Fertigstellung findet sich unter dem Text auf der letzten Seite und ist dort ausgewiesen als „d. 7. August 1861“. Der Erhaltungszustand von Einband und Papier ist einwandfrei. Die Seiten sind überwiegend gut lesbar. Das Manuskript enthält eine Vielzahl von Schreibfehlern sowie eine unzuverlässige Zeichensetzung. Es finden sich unvollständige und sprachlich unrichtige Sätze. Diese Mängel und dabei insbesondere die uneinheitliche Groß- und Kleinschreibung, grammatikalische Fehler sowie fehlende und unrichtige Satzzeichen werden nicht berichtigt bzw. ergänzt, da der Text möglichst originalgetreu wiedergegeben werden soll. Etwas anderes gilt für die vielfach vorhandenen Abkürzungen des Originals (z. B. „D. Prrt.“ für „Deutsches Privatrecht“). Diese werden im Hinblick auf eine bessere Lesbarkeit des Textes aufgelöst, soweit der Inhalt eindeutig zu bestimmen war. Allgemein übliche Abkürzungen wie „usw.“ bleiben davon unberührt. Nicht zu entziffernde Textstellen sind mit dem Zeichen […] gekennzeichnet. Die Nachschrift enthält einige Anmerkungen des Autors am Seitenrand. Bei diesen handelt es sich um eigene Stichworte zur besseren Übersichtlichkeit und­ möglicherweise zur Repetition des Stoffes; sie geben meist kurz den wesentlichen Inhalt des Textes auf der betreffenden Seite wieder. In der Edition werden diese Anmerkungen in den Fußnoten berücksichtigt. Die vom Autor vorgenommenen Unterstreichungen sind übernommen. Die Vorlesungsnachschrift selbst enthält keine Gliederung. Sie ist nach der Einleitung in acht Bücher unterteilt, wobei der Gang der Vorlesung an Aufbau und Themenfolge des Grundrisses ausgerichtet ist. Die Bücher sind wiederum in Kapitel, Abschnitte oder Abteilungen getrennt, die weiter thematisch nach einzelnen Themen gegliedert sind. Die regelmäßig genannten Paragraphen sollen nach Angabe des Verfassers die jeweilige Fundstelle in Krauts Grundriss kennzeichnen. 1 Fachbibliothek am Juristischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Sig. Pr. III 20,1.

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2. Teil: Edition der Vorlesungsnachschrift

Der guten Ordnung halber wurde der Edition eine Inhaltsübersicht vorangestellt. Diese weist lediglich die größeren Themengebiete aus und hält sich nicht streng an den Wortlaut der vom Verfasser vergebenen Überschriften sowie an die Gliederungszeichen und Ebenen. Diese eigene Gliederung war notwendig, da die vom Verfasser gegebene Ordnung nicht ohne Störungen den Text strukturiert. Die einzelnen Abschnitte sind nicht einheitlich und durchlaufend gegliedert. Dies mag aus der Charakteristik einer Vorlesungsnachschrift erklärbar sein. Es wird im Nachgang zu der Veranstaltung deren Inhalt repetiert. Hierbei können einzelne in der Vorlesung behandelte Themen außer Acht gelassen sein, was eine durchlaufende Gliederung hindert. Die gestörte Strukturierung könnte darüber hinaus auch auf Übertragungsfehler des Verfassers zurückzuführen sein.

B. Transkription Übersicht zum Inhalt der Vorlesungsnachschrift A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Begriff des deutschen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 I. II. Die Quellen des deutschen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Geschichtliche Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Die Quellen des heutigen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Gesetzgebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Autonomische Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Das Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 d) Das Juristenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 III. Interpretation der deutschen Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 IV. Verhältniß der in Deutschland geltenden Rechtsquellen zueinander . . . . . . . . 111 V. Methode des deutschen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 VI. Gibt es ein gemeines deutsches Privatrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 VII. Begründung einer wissenschaftlichen Theorie des gemeinen deutschen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 B. Erstes Buch: Personenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Natürliche Erfordernisse der Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 I. II. Standesverschiedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 III. Hoher und niederer Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 IV. Bürgerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 V. Bauernstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 VI. Beamtenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 VII. Verschiedenheit der Personen nach ihrem Anspruch auf bürgerliche Ehre . . . 127 VIII. Verschiedenheit der Personen in Beziehung auf ihre Religion . . . . . . . . . . . . . 130 IX. Von den juristischen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Insbesondere von den Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Von den Genossenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4. Von den Zünften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5. Die Stiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 C. Zweites Buch: Das Sachenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Verschiedene Arten von Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 I. II. Rechte an Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Geschichtliche Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Heutiges Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Vom Eigenthum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Von dem getrennten Eingenthum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 5. Vom Gesamteigenthum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 6. Erwerb des Eigenthums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

100

D.

E.

F.

G.

H. I.

2. Teil: Edition der Vorlesungsnachschrift

7. Beschränkung des Eigenthums durch Rechte des Staats . . . . . . . . . . . . . . . 157 III. Rechte an fremden Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Drittes Buch: Obligationenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Forderungen aus Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Schuldscheine und Papiere auf den Inhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Beschränkungsmittel der Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3. Vom Tragen der Gefahr in Vertragsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 II. Einzelne Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Kauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Pacht und Miethe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3. Verlagsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 4. Zinsbares Darlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 5. Spiel und Wette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 6. Leibzuchts- und Leibrentenvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 7. Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 III. Forderungen aus unerlaubten Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Viertes Buch: Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 I. Gründe der Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 II. Hauptarten und Erbverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 III. Einzelne Unterarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Fünftes Buch: Familienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 I. Von der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 II. Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 III. Von der Vormundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 IV. Gesinderecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Sechstes Buch: Lehnrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 I. Vom Gegenstand des Lehns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Errichung von Lehn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 III. Rechtsverhältnisse der Lehnspersonen untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 IV. Rechte des Lehnsherrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 V. Von den Stammgütern und Fideicommissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Siebentes Buch: Von den adligen und den Bauerngütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Achtes Buch: Handelsrecht mit Einschluß des Wechselrechtes und Seerechts . . . . . 306 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 I. II. Handelsrecht überhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 III. Handelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 IV. Wechselrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 V. Seerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 VI. Von den Gewere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

B. Transkription

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[1]Deutsches Privatrecht von Hofrath Kraut Georgia Augusta Sommer 1860, Heinrich Brandt[2][3]Einleitung Erstes Kapitel § 1 Begriff des deutschen Privatrechts Deutsches Recht bezeichnet: 1. Alles in Deutschland überhaupt geltende Recht, einerlei, ob es deutschen, oder fremden Ursprungs ist. 2. Alles im deutschen Volke überhaupt entstandene Recht. In diesem Sinn ist deutsches Recht in allen Ländern entstanden, wo zur Zeit der Völkerwanderung germanische Völker einwanderten. 3. Das in Deutschland geltende Recht, soweit es beim deutschen Volke entstanden ist. In dieser Bedeutung soll hier das deutsche Recht genommen werden, jedoch nur soweit wie es dem Privatrecht angehört. Ausgeschlossen ist also: a. alles in Deutschland geltende fremde Recht, (römisches, kanonisches Recht und der code Napoléon.) b. Auch ausgeschlossen ist alles zwar im deutschen Volk entstandene, aber heutzutage in Deutschland nicht mehr geltende (veraltete, der Rechts­ geschichte angehörende)  Recht. Doch ist damit nicht gesagt, daß nicht auf eine Geschichte der einzelnen Rechtsinstitute aufmerksam gemacht werden solle, das ist zum Verständniß des jetzigen Rechts durchaus nothwendig.[4]2 3 c. Auch alles rein particularrechtliche ist hinausgeschlossen. Im Ganzen wie mit dem übrigen Recht verhält es sich auch mit dem Lehnrecht. Dieses beruht zum Theil auf einheimischen, theils auf fremden (langobardischen) Rechtsquellen. Doch ist es bei diesem Recht von jeher Gebrauch gewesen die Quellen nicht zu trennen, sondern fremdes und einheimisches Recht zu verbinden, (denn das Lehn ist ein eigenthümliches deutsches Institut und von da erst zu den Langobarden gekommen; daher ist das langobardische Lehnrecht nicht ohne die deutschen Quellen zu verstehen.) Dasselbe wie vom Lehnrecht gilt im Wesentlichen auch vom Handelsrecht, es beruht auf römischen und einheimischen Rechtssätzen; das Wechselrecht ausschließlich auf einheimischem Recht. Zweites Kapitel Die Quellen des deutschen Privatrechts I. Geschichtliche Übersicht § 2 A. Der ältesten Zeit bis zur Auflösung der fränkischen Monarchie (Ende 9ten Jahrhunderts) Das deutsche Recht war in der ältesten Zeit wie überall bloßes Gewohnheitsrecht. Über den Inhalt desselben erfahren wir Manches aus Tac. Germania. Geschriebene Rechtsquellen finden wir bei den Deutschen zuerst nach der Völkerwanderung. Die Niederschreibung des Rechts geschah zwar bei allen deutschen Völkern unter

2

Abweichung vom Grundriß. Das deutsche Recht bestand ursprünglich in Gewohnheitsrecht: Später entstanden in den einzelnen Völkerschaften leges (verschiedene Bedeutungen von lex) [meistens Aufzeichnungen des Gewohnheitsrechts] zwischen dem 2t und 9ten Jahrhundert. Unter der fränkischen Herrschaft vereinigt erhalten die verschiedenen Stämme geschriebenes Recht: Capitularien des fränkischen Königs. 3

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2. Teil: Edition der Vorlesungsnachschrift

öffentlicher Autorität, doch war das Meiste davon[5]4 nur das bisherige Gewohnheitsrecht weniger neues Gesetzesrecht. Das gesamte Recht einer deutschen Völkerschaft wird in den fränkischen Rechtsmonumenten durchgängig mit „lex“ bezeichnet (lex Allemannorum, Saxonum, Britonum) – also lex nicht ausschließlich Gesetzesrecht. Speciell wird lex der niedergeschriebene Theil jenes Rechts genannt. – Alle leges sind von Anfang an in dem mittelalterlichen Latein geschrieben, nur die angelsächsischen leges sind deutsch geschrieben. Die Zeit der Entstehung aller dieser leges fällt jenseits Ende 5ten und Anfang 9ten Jahrhunderts. Alle Völkerschaften, denen diese leges angehörten lebten ursprünglich selbstständig von einander, später wurden sie aber alle, mit Ausnahme von den Westgothen und Angelsachsen, von den Franken unterworfen. Bei den meisten fällt die Aufzeichnung ihrer lex schon in die Zeit ihrer Selbstständigkeit; sie behielten aber auch unterworfen ihre alte lex die weiter ausgebildet wurde. (Grdr. § 7 die einzelnen leges – [lex Salica, lex Ribuaria, das Xantener Recht, lex Burgundiorum, lex Allemannorum, lex Visigothorum, leges Bajuvariorum, Langobardiorum, ­Frisionum, Anglorum, Saxonum]) Die lex jedes Volkes enthielt zunächst nur dessen eigenthümliches Recht. Der Inhalt aller leges stimmte aber in den wesentlichen Inhalten miteinander überein. Letzteres erklärt sich daraus, daß alle germanischen Völkerschaften eine gemeinsame Nationaleigenthümlichkeit hatten, deren Ausdruck nach der Seite des Rechts bei allen natürlich Ähnlichkeit haben mußte. Seitdem die meisten deutschen Stämme unter der Frankenherrschaft vereinigt waren entstand ein geschriebenes Recht der fränkischen Könige: diese Gesetze hießen Capitularien (Grundriß § 8) (in Capitel eingeteilt).[6]5 Diese Capitularien enthalten aber nur wenig privatrechtliches, mehr aus dem öffentlichen Recht. Die Hauptquelle für das Privatrecht blieb daher auch im fränkischen Recht das größtentheils ungeschriebene Gewohnheitsrecht, das man am besten aus den aus jener Zeit stammenden Urkunden über Rechtsgeschäfte kennen lernt. Noch wichtiger hierfür sind die Formulare zur Abfassung solcher Urkunden, von welchen wir eine ganze Reihe von Sammlungen haben (Grundriß § 9). § 3 B. Der mittleren Zeit, von der Auflösung der fränkischen Monarchie bis Ende 15t. Jahrhunderts (s. Grdr. § 17–24) Die Volksgesetze verloren schon im Lauf des 10ten und 11ten Jahrhunderts im eigentlichen Deutschland ihre formelle Gültigkeit. Der größte Theil der darin enthaltenen Grundsätze blieb jedoch als geschriebenes Recht fortwährend in Gebrauch. Die in diesem Zeitraum erlassenen neuen Gesetze griffen fast gar nicht ins Privatrecht ein (sie sind Reichsgesetze, da das Landeshoheitsrecht noch nicht existierte). Das Privatrecht bildete sich fort als Gewohnheitsrecht, besonders durch Autonomie. Autonomie ist die Befugniß von Privatpersonen, sich selbst die 4 Bei den fränkischen Rechtsmonumenten heißt lex nicht blos Gesetzesrecht. leges speciales das geschriebene Recht. 5 Als die formelle Gültigkeit der alten Volksgesetze im 10ten und 11ten Jahrhundert aufhörte, bildete sich das Recht besonders das Gewohnheitsrecht fort, besonders durch Autonomie. Dahin gehören die Stadtrechte, Lehnrechte, Dienstrechte, (Lehnrecht § 7) Unterschieden hiervon das Landrecht (oder Kaiserrecht, Reichsrecht).

B. Transkription

103

Rechtsnormen zu bestimmen nach denen ihre Verhältnisse beurtheilt werden sollen, oder die Befugniß von Privatpersonen sich selbst das Recht zu küren, daher heißen die autonomischen Rechtsnormen auch „Küren oder Willküren, jus electum.[7]6 7 Die wichtigsten unter den autonomischen Normen sind die Stadtrechte (cf. Grdr. § 20). Ferner gehören dahin auch die Hofrechte und die Dienstrechte (cf. Grdr. § 21). Die Hofrechte bestehen aus den Bestimmungen, welche der Herr zur Regierung seiner von ihm abhängigen Hörigen, Vasallen, frei bestimmte. Die Dienstrechte dagegen sind die Bestimmungen, nach welchen der Herr die Verhältniße seiner unfreien Unterthanen (Ministerialen) beurtheilte. Diese Bestimmungen gingen einseitig vom Herrn aus, deshalb Autonomien. Nicht zu verwechseln mit dem Dienstrecht ist das Lehnsrecht, nach welchem das Verhältniß der freien Dienstleute oder Vasallen beurtheilt wurde. Die Grundlage des letzteren bildeten Verträge zwischen Herrn und Vasall. Auch besteht das letztere aus Bewilligungen des Herrn an seine Vasallen. Im Gegensatz zu diesen sich nur auf bestimmte Personenclassen beziehenden Rechtsquellen wird im Mittelalter das Recht welches für die freien Leute in ihren allgemeinen Beziehungen ohne besondere Verhältniße zu einem Andren gilt Landrecht genannt; gleichbedeutend damit waren die Ausdrücke „Kaiserrecht“, „Reichsrecht“. Da Deutschland im Mittelalter ein Reich bildete, so wurden in dieser Zeit viele Verschiedenheiten, welche früher im Recht unter den verschiedenen Völkerschaften Deutschlands bestanden hatten, abgeschliffen. Daneben behielt aber das Particularrecht immer noch eine große Bedeutung. Besonders wich das sächsische Recht von den übrigen Rechten Deutschlands ab. Auch in jenen speciellen Normen (Hofrecht, Lehnsrecht, Dienstrecht etc.) findet sich eine große Über-[8]8 einstimmung, weil darin das Rechtsgefühl des Volkes sich frei aussprechen konnte. Das Gewohnheitsrecht dieser Zeit lernt man vorzüglich kennen aus den Zusammenstellungen der darin enthaltenen Rechtssätze durch rechtskundige Privatpersonen. Man nennt diese Werke jetzt gewöhnlich Rechts­ bücher (gegensätzlich Gesetzbücher (Grdr. § 22). Nach den verschiedenen Bestandtheilen des Rechts zerfallen diese Rechtsbücher in Landrechtsbücher, Lehnrechtsbücher, Stadtrechtsbücher, Rechtsgangbücher (d. h. Prozeßgangbücher). Wir haben viele solche Rechtsbücher aus jener Zeit, diejenigen, welche nicht blos sich auf kleinere Kreise beziehen, kann man eintheilen: 1. in solche, welche sich zunächst auf das sächsische Recht beziehen (Niedersachsen) dies galt im ganzen nörd­lichen und mittleren Deutschland. Wegen der großen Einheit des damaligen Rechts­zustandes konnten sie aber in ganz Deutschland gebraucht werden und wurden es auch. 2. solche, welche sich auf das im übrigen Deutschland geltende Recht beziehen. Die wichtigsten sächsischen Rechtsbücher sind: 6

Begriff s. Unter- und Hofrecht, Dienst- Lehnrecht. Neben dem Landrecht behielt im Mittelalter das Particularrecht große Bedeutung – nament­ lich das sächsische. 8 Das Gewohnheitsrecht jener Zeit enthalten in Rechtsbüchern. Eintheilung derselben 1. bezüglich des sächsischen Rechts, 2. das Recht im übrigen Deutschland: Sächsisches Gewohnheitsrecht a) Sachsenspiegel vom 13t. Jahrhundert, b) Richtsteig Land und Lehnrechts, c) sächsisches Weichbild, d) vermehrter Sachsenspiegel. 7

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2. Teil: Edition der Vorlesungsnachschrift

a. sächsisches Land- und Lehnrechtsbuch oder Sachsenspiegel, er gehört dem 3ten Jahrzehnt des 13ten Jahrhunderts an. b. Richtsteig Landrechte und Lehnrecht, wie Handrecht für den damaligen Prozeß. c. das sächsische Weichbild aus dem 14t. Jahrhundert. d. der sog. vermehrte Sachsenspiegel oder das Rechtsbuch nach Distinctionen. Unter den Rechtsbüchern aus dem übrigen Deutschland sind die ­wichtigsten: a. das um 12 Jahrhundert von einem Unbekannten abgefaßte[9]9 Kaiserrecht, (dessen Grundlage der Sachsenspiegel bildet) von Neueren der Schwabenspiegel genannt. b. Übergang zwischen Sachsen- und Schwabenspiegel bildet ein vor einigen Jahren aufgefundenes Buch: Spiegel deutscher Leute herausgegeben 1859 von Ficker in Innsbruck (citirt d. Sp.) über das Wort „Spiegel“ cf. Grdr. S. 89 N. 2. c. das kleine Kaiserrecht, (unter den in Deutschland selbstgeschriebenen Rechtsbüchern ist noch ein in der Lombardei geschriebenes Buch über das Lehnsrecht entstanden libri feudorum (Grdr. § 23) das ist im 12ten Jahrhundert aus mehreren wissenschaftlichen Abhandlungen verschiedener Gelehrter und aus kaiser­lichen Gesetzen zusammen gestellt. Dies freilich nur für die Lombardei bestimmte Gesetzbuch ist mit dem römischen Recht in Deutschland recipirt und gilt in mancher Hinsicht noch. Der Grund der Reception dieser libri feudorum liegt darin, daß die Glossatoren zu Bologna Vorlesungen darüber hielten und es zu diesem Zweck den collationes der novellae Justiniani als decima collatio anreihten. Es ist das Gesetzbuch worin die Novellen mit einer Glosse versehen und von dieser Zeit an hat es ganz dieselben Schicksale wie das römische Recht gehabt. Nachdem es schon mit einem Glossar versehen war, wurden später noch Zusätze gemacht, die aber nicht glossiert sind. Den glossirten Theil nennt man capitula ordinaria, den andern capitula extraordinaria. Die ersten gehen bis lib. 2 tit. 58 (II F. 58) (s. Grdr. § 23). Außer diesen in ganz Deutschland geltenden Rechtsbüchern gab es im Mittelalter auch noch Landrechte für einzelne kleine Territorien (Grdr. § 19) entweder bloße Privatarbeiten, oder auch unter öffentlichen Autorität entstandene. Doch eine eigentliche Territoriallegislation tritt erst zu Ende dieses Zeitraums ein (cf. § 19 N. 3 Grdr).[10]10 Wichtige Quellen für die Erforschung des damaligen Rechts sind auch die Gerichtsurtheile oder Schöffensprüche aus jener Zeit (Grdr. § 24) am wichtigsten sind die Magdeburger Schöffensprüche. Von den Schöffensprüchen zu unterscheiden sind die Weisthümer, kurze Angaben des in einem Gerichte geltenden Rechts (im südlichen Deutschland und Schweiz „Öffnungen“ genannt) Jacob Grimms Sammlung derselben S. 57 Grdr. § 4 C. Die Quellen der neueren Zeit seit dem Ende des 15ten Jahrhunderts In dieser Zeit wurde die selbstständige Ausbildung des deutschen Rechts durch die Reception des römischen Rechts gehemmt. Das römische Recht drang, seitdem 9 Gesetzesrecht des übrigen Deutschlands a. Kaiserrecht und 1276 Schwabenspiegel b. s. Text c. kleine Kaiserrecht. In den Lombard. libri feudorum 12. Jahrhundert (oder decima collatio novellarum); Landrechte für einzelne kleinere Teritorien. 10 Warum erhielten sich manche deutsche Rechtsinstitute trotz Eindringens des Römischen Rechts?

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das Rechtsstudium in Italien durch die Rechtsschule zu Bolgna wieder aufgelebt war in Deutschland ein. Noch mehr erst, seit auch in Deutschland Universitäten entstanden waren (14t. Jahrhundert). Die gelehrten Juristen gingen theils aus Unkenntniß des deutschen Rechts, theils aus Vorliebe für das fremde Recht so weit, daß sie das fremde Recht ohne Rücksicht des deutschen überall anwenden wollten. Dies hatte zur Folge, daß viele deutsche Rechtsinstitute und Rechtssätze durch das römische Recht allmählich verdrängt wurden. Doch war dies keineswegs bei allen deutschen Instituten der Fall, das war außerdem nicht möglich, schon, weil manche deutsche Institute damals als Gesetze anerkannt waren und von jetzt an noch mehr fixirt wurden, ferner hatten die Deutschen manche Institute (Adel-Bauernstand ect. ect.) die den Römern gar nicht bekannt waren. Manches war auch so sehr mit den deutschen Sitten verwachsen, daß es nicht zu verdrängen war.[11] Völlig entschied sich die Aufnahme des römischen Rechts aber erst dadurch, daß alle Gerichtsstellen mit gelehrten Juristen besetzt wurden, die die alten Schöffen aus denselben verdrängten, dies besonders seit 1495, der Errichtung des Reichskammergerichts. Mit der Verdrängung des deutschen Rechts kamen auch die deutschen Rechtsbücher des Mittelalters natürlich mehr unter Gebrauch. An die Stelle der älteren Rechtsbücher traten neue, größtentheils auf das römische Recht basirte ­Bücher. Das wichtigste ist Ulrich Tenglers Laienspiegel (Grdr. § 26). Mit Einführung des römischen Rechts wurde die Gesetzgebung beim Privatrecht viel thätiger als früher. Die Gesetze über das Privatrecht gingen aber nur in geringer Anzahl von der Reichsgewalt aus, meistens von der Territorialgewalt. In einzelnen Territorien wurden besonders einzelne Materien des Rechts ausgebildet, so besonders durch die Constitutionen Kurfürst August von Sachsen 1572 (Grdr. S. 101) der besonders deutschrechtliche Normen mit den römischen in Einklang zu bringen suchte. In andren Ländern dagegen erließ man umfassende Gesetzgebungen über das Privatrecht gewöhnlich Landrechte genannt (Grdr. § 28). Das ausgedehnteste Werk über das Privatrecht ist das Baiersche Landrecht, Codex Maximilianeus Bavaricus von 1756. Von diesen (sog. älteren Landrechten zu unterscheiden sind die eigentlichen Gesetzbücher, die erst im letzten Theil vom Jahrhundert beginnen (Grdr. § 29). Die älteren Landrechte umfassen nämlich nie das ganze im Land geltende Privatrecht, sondern nur einen Theil oft einen sehr geringen. Zur Ergänzung derselben lassen sie das gemeine Recht bestehen. Die neueren Gesetzbücher dagegen wollten das gesamte Privatrecht in sich fassen und setzen daher immer alles gemeine Recht so weit es nicht in das Buch aufgenommen, außer Kraft.[12]11 Ein solches Gesetzbuch erhielt zunächst Preußen 1794 in dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (4 Bde.) Auch Österreich hat das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten deutschen Erbländer der Österreichischen 11 Mit Einführung des römischen Rechts wurde das Privatrecht mehr ausgebildet, theils durch die sog. älteren Landrechte (codex Bavar. 1756 etc. theils durch neue Gesetzbücher (die dann ausschließlich gelten sollten) Preußisches Landrecht 1794 – Östereichisches Gesetzbuch 1811 für einzelne Territorien auch code Napoléon. Ferner Reformationen der Stadtrechte (z. B. Frankfurter Reformation).

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Monarchie erschienen 1811. Schon 1804 war von Napoléon ein Gesetzbuch für Frankreich unter dem Namen Code Napoléon erschienen (cf. Grdr. § 45). Dies Gesetzbuch erhielt nicht blos Anwendung in den Theilen Deutschlands, welche unmittelbar unter französischer Herrschaft standen, sondern auch in einigen anderen deutschen Ländern, so z. B. Königreich Westphalen, Hessen, Großherzogthum Berg, Großherzogthum Franfurt, Herzogthum Anhalt Köthen. Im Großherzogthum Baden wurde der code 1809 in einer besonderen Bearbeitung als Landrecht eingeführt (Grdr. S. 103). Nach Einführung des römischen Rechts wurde auch das Stadtrecht in manchen Städten neu redigirt, aus dem römischen Recht ergänzt und nun mit demselben zusammen als ein neues Stadtrecht herausgegeben. Solche Stadtrechte führen gewöhnlich den Namen reformatio, die berühmteste ist die Frankfurter reformatio, von Fichard (Grdr. S. 105), ferner das Stadtrecht von Freiburg in Breisgau, verfaßt von Ulrich Zasius (das übrige s. Grdr. § 90). Diese neueren Stadtrechte sind immer von römisch gebildeten Rechtsgelehrten abgefaßt, ebenso wie die neuen Landrechte. Hierdurch wurden viele Materien des römischen Rechts in die Particularrechte eingeführt und dadurch viele deutsche Theorien in[…]und für immer verdrängt. Auf der andren Seite wurden aber auch durch jene Reformen manche Institute des deutschen Rechts vor dem Verdrängen gesichert.[13]II. Die Quellen des heutigen Rechts § 5 (Grdr. § 31) A. Gesetzgebungen Österreich und Preußen haben bis jetzt allein Gesetzbücher des deutschen Privatrechts (s. vor §). Der code Napoléon ist nur beibehalten am ganzen linken Rheinufer des ehemaligen Herzogthums Berg und dann in der besonderen Be­arbei­tung in Baden. In den übrigen Ländern, wo er während der fremden Herrschaft galt, ist nach der Befreiung von derselben der frühere Rechtszustand wieder eingetreten. Ebenso ist das Preußische Landrecht beibehalten worden in mehreren Ländern welche jetzt nicht mehr zu Preußen gehören (Ansbach, Beireuth, Ostfriesland und der hannoversche Theil der[…]felder – dies hat alles unter Preußen gehört). In den übrigen deutschen Ländern mit Ausnahme der eben genannten gelten noch die fremden recipirten Rechtssätze neben den alten einheimischen Particularrechten, soweit nicht ausdrücklich oder stillschweigend etwas davon aufgehoben ist. Dies ist auch der Fall in einigen Provinzen des preußischen Staats, (Neu-Vorpommern und dem Regierungsbezirk Coblenz diesseits des Rheins.) Diese Länder, wo nicht besondere Gesetzbücher sind, nennt man Länder des Gemeinen Rechts. In den Ländern aber wo besondere Gesetzbücher erschienen sind, ist der Einfluß ein verschiedener gewesen. Das österreichische Gesetzbuch und der code Napoléon sind nämlich nicht blos soweit in die Stelle des Gemeinen Rechts getreten, daß sie subsidarische Kraft haben, sondern sie setzen alle particulären Gesetze[14]12 und Gewohnheiten soweit außer Kraft, als das Gesetzbuch etwas enthält. Das Gesetzbuch schafft also absolutes Recht. Das preußische Landrecht dagegen will nur als sub 12 Wie weit gelten jetzt noch die alten deutschen Rechtsquellen? Was hat an einigen Orten noch Gültigkeit?

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sidiäres Recht an die Stelle des gemeinen Rechts treten, ohne particularrechtliche Grundsätze auszuschließen. Es sollten jedoch auch die particularen Rechtsquellen niedergeschrieben werden und so jede Provinz sein Particularrecht haben, doch bis jetzt haben erst die Provinzen Ost und Westpreußen solches Provinzialrecht Grdr. § 29 S. 102 unter 4. Von einer Anwendung der älteren Volksgesetze der 1. Periode und der alten Capitularien kann heutzutage nirgends mehr die Rede sein, weil diese schon im Mittelalter ihre Kraft verloren hatten. Auch die Rechtsbücher des Mittelalters können im Allgemeinen jetzt nicht mehr als Zeugniß des geltenden Rechts angesehen werden, da sie durch das römische Recht aus dem Gebrauch verdrängt sind. Aber auch die seit der Reception des fremden Rechts erschienen frühere Werke z. B. Tenglers Laienspiegel sind durch die neuen Werke verdrängt. Alle diese ehemaligen Rechtsquellen und Zeugnisse über das damals geltende Recht sind oft bloß Hülfsmittel mehr zum Verständniß des deutschen Rechts. In einigen Ländern und Orten ist aber der Sachsenspiegel anwendbar geblieben, meistens dadurch daß man ihn zu einer Quelle des geschriebenen Rechts erhoben hat (z. B. in den ehemaligen kursächsischen Ländern, in den sächsischen Herzogthümern, soweit sie nicht auf fränkischem Boden liegen, in Anhalt, Lauenburg, Holstein, Stadt Lüneburg Ülzen, Hildesheim cf. § 31 Grdr.) Doch ist in allen diesen[15]13 Ländern manches von seinem Inhalt geändert soweit dies aber nicht geschehen ist kommt der Sachsenspiegel als ein gemeinsames Landrecht zur Anwendung. Die Gesetze bezeichnen den Sachsenspiegel gewöhnlich mit „gemeinem Sachsenrecht“. In allen Ländern des gemeinen Rechts gelten die zur Zeit des Reichs erlassenen Gesetze (speciell Reichs- wie Landesgesetze) soweit sie nicht abgeändert aufgehoben sind. Bezweifelt ist dies nur auf die Reichsgesetze hinsichtlich der genannten deutschen Länder welche dem Rheinbund angehörten, aus dem Grund, weil die Rheinbundacte die Gültigkeit der Reichsgesetze aufgehoben hat. Art. 21 Rheinbundacte (cf. § 31 S. 107) Allein diese Bestimmung der Rheinbundacte bezog sich entschieden nicht auf das Privatrecht. Um in den Privatrechten der einzelnen Länder Gültigkeit zu haben, mußten die Reichsgesetze in den einzelnen Ländern als Ländergesetze publicirt werden; so geschah es auch (Sammlung s. Grdr. § 27 und 18). Gleiche Bedeutung für das Privatrecht haben die Bundesgesetze und die von dem Frankfurter Parlament erlassenen Reichsgesetze. Auch sie können in den einzelnen Ländern nur dann angewendet werden, wenn sie in den einzelnen Ländern publicirt sind (Grdr. § 31) § 32 B. Autonomische Rechtsnormen Über den Begriff der Autonomie sind die Meinungen getheilt. (Autonomie in 2facher Bedeutung). Die Mehrzahl versteht darunter blos die gewissen Genossenschaften im Staat zustehenden Befugnisse sich innerhalb des von ihnen beherrschten Kreises oder doch für ihre eigenen Verhältnisse selbst[16]ihr Rechts festzusetzen. Eine solche Satzung verbindet immer alle einzelnen Mitglieder der Genossenschaft, einerlei ob sie zugestimmt haben oder nicht, ob sie zu der Zeit, wo die Satzung erlassen wurde, oder erst später hinzukommen, wenn nur das Gesetz 13

Von jetzt sind die §§ nach dem Grundriß übergeschrieben.

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verfassungsmäßig erlassen wurde. Die Autonomie entspricht also in dem engen Kreise ihrer Wirksamkeit der Gesetzgebung des Staats. Es können daher durch die Autonomie ebenso wie durch die Staatsgesetzgebung, auch neue Gesetze entstehen. Daher die Autonomie auch Rechtsquelle sein kann, dies bestreitet nach heutigem Recht nur Gerber. Andere (besonders Eichhorn) nehmen den Ausdruck „Autonomie in einem weiteren Sinn sie verstehen darunter auch mit das Recht von Privaten in einem Vertrage die naturalia des Geschäfts willkürlich zu ändern und durch letzwillige Verfügungen eine von der gesetzlichen abweichende Erbfolge einzurichten. Allein die Autonomie in diesem Sinn kann gar nicht als Rechtsquelle gelten und so ist es nur ein Wortstreit, was unter Autonomie begriffen sei, denn durch Bestimmungen jeder Art werden keine Rechtsverhältnisse erzeugt sondern nur bestehende Rechtsverhältnisse anders als gewöhnlich angewandt. Die eigentliche Autono­mie kann ebensowenig, wie die Gesetzgebung stillschweigend geübt werden, sie muß immer bestimmen; daher muß von der Autonomie einer Genossenschaft die Rechtsbildung durch Gewohnheitsrecht unterschieden werden, die Observanz.[17]14 Die durch Autonomie entstandenen Rechtssätze einer Genossenschaft werden statuta genannt. Das Autonomierecht, als ein Recht von Unter­tha­ nen, ist immer der Staatsgesetzgebung subsummiert. Daher ist die Ausübung der Autonomie immer an gewisse ihr Recht beschränkende Gesetze gebunden. Hiernach ist der Umfang des Autonomierechts bei den verschiedenen Genossenschaften jedoch sehr verschieden. Zu den allgemeinen Beschränkungen des Autono­mie­ rechts rechnen Manche, daß jede Beschränkung durch Autono­mierecht von der Staatsgewalt bestätigt werden werden müße. Allerdings ist seit dem 16t. Jahrhundert die Autonomie sehr beschränkt allein dessen ungeachtet kann jene eben aufgeführte Ansicht in ihrer Allgemeinheit nicht für richtig angesehen werden, denn die Meinung beruht auf dem Irrthum, daß alles Recht un­mittel­bar oder mittelbar vom Staat ausgehen müsse. Es kann nur dann, wenn ein besonderer Grund vorliegt, die Bestätigung der Staaten erforderlich sein; dies ist immer der Fall, wenn der auto­ nomische Rechtskreis überschritten werden soll. Nur einige Genossenschaften müssen ganz allgemein ihre Statuten bestätigen lassen, so die Gemeinden und die Zünfte. Diese Beschränkung hat aber nur in politischen und polizeilichen Rücksichten ihren Grund. Da aber früher die Bestätigung ihrer Statuten zur Gültigkeit nicht erforderlich war, so hängt auch heutzutage der Gebrauch der älteren Statuten der Gemeinden und Zünfte nicht von ­ihrer Bestätigung ab. Sie bestanden ja schon vor Aufkommen jenes Grundsatzes. Es genügt daher[18]15 der Nachweiß fortwährender Ausübung. Obgleich die autonomischen Normen sich immer auf einen bestimmten Kreis beziehen, sind sie doch zu den Erkenntnißquellen des deutschen Rechts zu zählen, denn sie gehören meistens solchen Personen an, die in ganz Deutschland in denselben Verhältnißen lebten (z. B. Adel, oder Bürger oder Zünfte ect.) Es sprechen sich daher in diesen Statuten regelmäßig Grundsätze aus, die in 14 Das Autonomierecht ist unter der Staatsgesetzgesetzgebung subsummirt und jeweils Beschränkungen unterworfen. 15 Warum ist auch die Autonomie in Deutschland Rechtquelle?

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ganz Deutschland gemeinsam sind. Auch sind von den Autonomien für gewisse Classen von Personen gewisse Verhältnisse und Institute hervorgebracht, welche gemeinrechtlichen Charakter gewonnen haben (z. B. die Familienfideicomisse). § 33 C. Das Gewohnheitsrecht Auch heutzutage besteht ein großer Theil des Privatrechts aus Gewohnheitsrecht, das gemeine deutsche Privatrecht fast gänzlich. Das Gewohnheitsrecht bildet sich durch Rechtsideen, welche den einzelnen Gliedern des Volks zur Richtschnur dienen. Bei jedem durch gleiche Nationalität verbundenen Volke muß sich eine gewisse Gleichartigkeit in den Rechtsideen finden. Da nun die Verbindung durch gleiche Nationalität bei den Deutschen stets der Fall war, so hat es auch von jeher in Deutschland eine beträchtliche Anzahl von gemeinrechtlichen Gewohnheiten gegeben; daneben bis jetzt auch noch manche particuläre Gewohnheitsrechte. Außer diesen particulären Gewohnheiten gibt es einzelne sich auf specielle Classen von Leuten beziehende Gewohnheiten, z. B. specielle[19]Handelsgewohn­ heiten etc. diese erstrecken sich zuweilen durch ganz Deutschland: Wie ein solches allgemeines Gewohnheitsrecht von dem speciellen zu unterscheiden ist s. unten. Solange noch die ältere (Schöffen) Gerichtsverfassung bestand konnte von keinem Beweis des Gewohnheitsrechts die Rede sein, weil die Urtheilsfinder in den Gerichten entweder alle Gerichtseingesessene oder bestimmte Schöffen waren und beide zunächst nach dem ihnen aus der Erfahrung bekannten Recht urtheilten. Wie ihnen nicht schon aus bisheriger Übung ein Rechtssatz bekannt war, da sprachen sie das aus, was sie nach dem ihnen innewohnenden Rechtsgefühl für Recht hielten. Konnten die Schöffen zu keinem Urtheil gelangen (durch frühere Fälle oder durch ihr eigenes Rechtsgefühl), so hatten sie bei andren Gerichten Rath zu erholen. Seitdem aber mit Reception des römischen Rechts das im Bewusstsein des Volkes lebende Recht und die alte Gerichtsverfassung untergegangen war, verlangten die Juristen eine Zeit lang, daß jedes Gewohnheitsrecht von dem sich darauf Berufenden bewiesen werden müsse. Diese Ansicht ist später allgemein auf­ gegeben schon seit dem vorigen Jahrhundert. Man hat jene Beweispflicht nur noch beschränkt auf nicht notorische Gewohnheiten. Allein auch mit dieser Beschränkung ist jene Behauptung unrichtig, denn der Richter soll das Recht überhaupt kennen, nicht blos das Gesetzesrecht und wenn er es nicht kennt, soll er es selbst zu erkunden suchen, aber freilich hierzu kann der Richter sich kundigen und sachverständiger Zeugen bedienen auch obrigkeitlicher Atteste.[20]Auch versteht es sich, daß die Parteien dem Richter Überzeugung von der Geltung eines Gewohnheitsrechtssatzes beizubringen befugt und oft, wenn sie den Prozeß gewinnen wollen, gezwungen sind. Allein es ist das keine gewöhnliche processualische Beweispflicht. Um den Richter nämlich jene Überzeugung zu verschaffen ist nicht ein Beweis einer Reihe von Thatsachen erforderlich, es kommt vielmehr nur darauf an, ein Rechtsprincip zu finden, welches als leitendes Princip jener Sache gelten muss. Was die Parteien daher zu bringen haben ist mehr ein wissenschaftlicher als ein juristischer Beweis. Dies zeigt sich besonders darin, daß der Richter hier nicht durch die Beweistheorie des Civilprocesses gebunden werden soll. Eben deshalb

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kann der Richter auch unbedenklich die erlangte Rechtskenntniß eines andren Proceß anwenden. Ein sehr wichtiges Erkennungsmittel des Gewohnheitsrechts sind nun die richterlichen Erkenntniße. § 34 Anhang: Von den Rechtssprichwörtern und Rechtssymbolen Rechtssprichwort, Rechtsparömie ist eine kurze Sentenz welche eine Rechtsregel aus deutschen Ländern. Anwendung derselben zur Erkenntniß des Gewohnheitsrechts muß man übrigens sehr vorsichtig sein, denn 1. manche Sprichwörter drücken keine Rechtsregel, sondern einen Mißbrauch, oder Volksvorurtheil aus 2. andere Sprichwörter drücken längst veraltetes Recht aus ( z. B. frei Mann, frei Gut)[21]3. andre Sprichwörter entfalten nur eine particulare Rechtsnorm (z. B. Hand muß Land wahren) mag auch solche Rechtsnorm früher gemeinrechtlich gewesen sein. Außer für die Erkenntniß des Gewohnheitsrechts ist die Kenntniß der deutschen Rechtssprichwörter zur Erkenntniß manches deutschen Rechtssatzes und Rechtsgeschäftes höchst wichtig (z. B. „Der Todte erbt den Lebendigen“ oder „die dem Manne traut traut auch der Schuld“) Zu gleichem Zwecke wie die Rechtssprichwörter sind auch wichtig die Rechtssymbole, gewisse Wahrzeichen bei Vollbringen von Rechtsgeschäften; sie dienen nicht allein zum Beweis des vollbrachten Rechtsgeschäfts, sondern sie stellen zugleich das Geschäft bildlich dar. § 35 D. Das Juristenrecht Unter Juristenrecht versteht man den Inbegriff von Rechtssätzen die zunächst von den Juristen erzeugt sind. Das kann entweder auf wissenschaftlichem oder praktischem Wege geschehen. Wissenschaftl. kann sie geschehen 1.  durch den Theoretiker, daß derselbe wenn er das geltende Recht auf seine Principien zurückführt, auch gewisse Folgesätze entdeckt, welche sich mit Nothwendigkeit aus diesen Principien ergeben. Überzeugen sich dann die übrigen Theoretiker von der Richtigkeit der Folgen, so gehen die letzteren in das geltende Recht über, so hängt das geltende Recht von der herrschenden Doctrin hier ab; für den Praktiker entsteht dann die Vermuthung für die Richtigkeit jener Sätze und er kann sie ohne Gewissen für sein Amt und seine Würde anwenden.[22]so entsteht durch die Theoretiker mancher neuer Rechtssatz. 2. Dann hat aber auch der Praktiker um die ihm vorkommenden Fälle zu entscheiden, aus dem bestehenden Rechte Analogien zu ziehen. Auf diese Weise gelangt er nicht selten zu neuen und noch nicht anerkannten Rechtssätzen. Auch diese Operation der Praktiker ist eine wissenschaft­ liche; nur ein wissenschaftlich gebildeter Praktiker kann solche Analogien ziehen. Stimmen die Entscheidungen der Gerichtshöfe mit einander überein, so haben sie noch größere Autorität als obige communis doctorum opinio (der Theoretiker). Aber die Autorität des wissenschaftlichen Juristenrechts ist niemals unbedingt bindend; denn ungeachtet der Übereinstimmung, sei es der Theoretiker oder der Gerichtshöfe, ist immer Irrthum möglich. Der Richter hat die Freiheit von allgemeinen und lange geltenden Irrthümern abzugehen. Es gilt daher das wissenschaftliche Juristenrecht nur solange, wie die Überzeugung der Juristen von ihrer

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innern Wahrheit fortdauert. Deshalb ist das Juristenrecht keine eigentliche Rechtsquelle. Die Rechtsquellen gelten um ihrer selbst willen und hängen nicht von der innren Überzeugung der Richtigkeit ab. Eine Ausnahme tritt natürlich beim Juristenrecht ein, wenn vom Gesetz bekannt gemacht ist, daß die Präjudice der obersten Gerichte vorläufig als Gesetz gelten sollen – so ist es z. B. in Hannover Obergericht zu Celle 1836 auch an andren Orten. Weimar 1817 etc.[23]Außer jenem wissenschaftlichen Juristenrecht ist noch eine Anzahl von Rechtssätzen durch die Juristen entstanden, die nicht auf innere Gründe zurückzuführen sind, sondern nur auf Autorität stützen, dieses ist der Gerichtsgebrauch oder Juristenrecht im engeren Sinn. Dazu gehört vor allem der Satz, daß das römische Recht gemeines Recht in Deutschland sei. § 36 II. Interpretation der deutschen Rechtsquellen Im allgemeinen gelten die gewöhnlichen Interpretationsregeln. Einer näheren Erörterung bedarf besonders die Regel, daß die Particularrechte aus dem gemeinen Recht zu erklären sein. Unter gemeinem Recht verstanden die älteren Juristen immer das römische Recht und in dieser Beziehung ist der obige Satz nicht richtig; (doch hat diese falsche Meinung dem deutschen Recht vielen Schaden gethan). Vielmehr kann das gemeine Recht hier ebensogut das deutsche, wie das römische sein. Ob nun aber auf das römische Recht oder auf das gemeine deutsche zurückzugehen sei, hängt zunächst davon ab, zu welcher Zeit das Particularrecht ent­ standen ist. Ist es vor Reception des römischen Rechts entstanden, so ist nicht anzunehmen, daß das römische Recht auf das Particularrecht Einfluß gehabt habe (so z. B. bei Ver[…]bei Verschulden, was nicht die römische praescriptio oder culpa zu sein braucht. Ist dagegen das Particularrecht zu einer Zeit entstanden, wo das ­römische Recht schon in Deutschland war, so[24]muß man mehr auf die Natur der einzelnen Institute sehen, sind diese römischer Natur, so muß aus dem römischen Recht erklärt und erzeugt werden z. B. Testament, Servituten – sonst nach deutschen Regeln z. B. Erbverträge Retractsrecht ect. Auch ist bei der Erklärung der deutschen Rechtsregeln zu berücksichtigen, daß die deutschen Rechtsregeln nicht in der Art abstracte Rechtsregeln enthalten wie das römische Recht. Vielmehr stellen die deutschen Rechtsquellen das Recht so dar wie es im Bewusstsein des Volks lebt, nicht so wissenschaftlich und abstract wie das Römische Recht. Man muß bei der Interpretation des deutschen Rechts mehr nach dem Geiste als dem Buch­ staben sehen. Im Betreff des langobardischen Lehnsrecht ist zu bemerken, daß es sich unter dem Einfluß des römischen Rechts ausgebildet hat. Es muß daher das römische Recht zur Interpretation desselben sehr viel gebraucht werden. III. Verhältniß der in Deutschland geltenden Rechtsquellen zu einander A. Die deutschen Rechtsquellen zum fremden Recht § 37 1. Zum römischen Recht Gewöhnlich wird die Regel aufgestellt, daß das römische Recht nur subsidiär in Deutschland zur Anwendung kommen könne, wenn das deutsche Recht keine Grundsätze über den Gegenstand fasse. Diese Regel erleidet aber wegen der ei-

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genthümlichen Art der Reception des römischen Rechts einige Modificationen. [25]1. Das römische Recht ist in der Art Grundlage unseres heutigen Rechts geworden, daß es in allen allgemeinen Rechtslehren heutzutage Anwendung findet, dies gilt namentlich z. B. von der Besitzlehre des römischen Rechts. 2. hat auch zuweilen ein römisches Rechtsinstitut ein deutsches ganz verdrängt, so hat das Intestat­erbrecht in manchen Gegenden das alte deutsche Recht über diese Art das Erbrecht fast ganz verdrängt. 3. Häufig hat auch ein deutschrechtliches Institut die Natur eines verwandten ­römisch rechtlichen angenommen, so mit der deutschen Eigenthumsklage (rei vindicatio) ferner die deutsche Wandlungsklage (redhibitoria) 4. Mitunter ist auch aus dem römischen Recht ein unserem früheren Recht ganz unbekanntes Institut mit aufgenommen (z. B. das Institut der Testamente, der Servituten ect.) 5.  Manche deutsche Institute sind mit dem römischen zu einem neuen verschmolzen (so z. B. die jetzige väterliche Gewalt ist weder die römische patria potestate noch die altdeutsche väterliche Gewalt) ebenfalls die pacta dotalie. In solchen Fällen müßen nach den verschiedenen Bestandtheilen des Instituts entweder das deutsche oder römische Recht angewandt werden. § 38 b) zum kanonischen Recht Das Verhältnis der deutschen Rechtsquellen zum kanonischen Recht muß, soweit das kanonische Recht sich auf bürgerliche Verhältnisse bezieht im Allgemeinen ganz nach den oben in Beziehung auf das römische Recht aufgestellten Principien beurtheilt werden. Nur wo das kanonische Recht von dem römischen Recht abweicht, muß es demselben als jüngeres Recht vorgehen. [26]§ 39 2. zum langobardischen Lehnrecht Auch hier gilt im Ganzen dasselbe, wie in Beziehung der deutschen Rechtsquellen zum römischen Recht. Denn die langobardischen Rechtsquellen sind ja als decima collata mit den römischen Novellen recipirt. Doch 1. das langobardische Lehnrechtsbuch ist in Deutschland nur soweit recipirt als es über Lehnrecht handelt; unanwendbar ist daher alles, was sich auf die langobardische Staatsverfassung bezieht, ferner alles, was sich darin über den Proceß befindet. 2. es sind nur recipirt die capp. ordinaria nicht die extraordin. des langobardischen Lehnrechts da nur soweit die Glosse reicht. Verhältniss der deutschen Rechtsquellen zu einander § 40 (s. Staatsrecht) § 41 Anwendung der deutschen Particularrechte In Deutschland gilt häufig ein Particulargesetz auch in einem anderen Bezirk als in dem, für welchen es ursprünglich bestimmt ist, so namentlich bei Stadtrechten. Es war im Mittelalter nämlich gewöhnlich, daß wenn der Landesherr einem Orte Stadtrecht verlieh, er dies von einem anderen Stadtrechte hernahm, eben dasselbe thaten die Bürger einer Stadt häufig vermöge ihres Autonomierechts. (cf. Grdr. § 20) Aus dem einen oder dem andern Grunde sind besonders das Lübische und das Magde-

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burger Recht in andren Städten geltend geworden. Besonders das lübische Recht gilt in den[27]meisten Städten von Schleswig an der Ostseeküste längs bis – Ostpreußen hinein. Ebenso von der Elbe in Deutschland hinein erhielten viele Städte selbst bis Polen hinein Magdeburger Recht im südlichen Deutschland erhielten viele Städte das Kölner resp. Freiburger Recht. Ähnlich ging es mit manchen Landesverfassungen, sie wurden zuweilen auch in andren Ländern recipirt. Wenn in einer Stadt das Stadtrecht einer andren Stadt gilt, so findet es an und für sich in dieser Stadt nur in der Weise Anwendung, welche es bei der Reception hatte, keineswegs aber in der Gestalt, die es in der Mutterstadt erst durch spätere Reception erhalten hat. Sollen die späteren Revisionen, welche das Stadtrecht in der Mutterstadt erhalten, auch in der andren Stadt durchdringen, so muß auch hier die Reception dieser Rechtsnormen vorgehen. Ganz dieselben Regeln gelten auch von recipirten Landesrechten anderer Territorien. Auch kann man diese Regel auf den Fall anwenden, wenn in einer Provinz das Recht des Landes gilt, dem sie jetzt nicht mehr angehört. § 42 (Staatsrecht)[28]Viertes Capitel Methode des deutschen Privatrechts § 43 I. Gibt es ein gemeines deutsches Privatrecht? Aus dem über die Quellen des deutschen Privatrechts Vorgetragenen ergibt sich, daß etwa außer den für das Privatrecht sehr unbedeutenden Bestimmungen der Reichsgesetze oder Ländergesetze es keine positiven Bestimmungen gibt, die durch ganz Deutschland gelten. Vielmehr hat das deutsche Privatrecht seitdem es in jedem Lande eine Gesetzgebung gibt, äußerlich das Ansehen eines Aggregats von lauter particularrechtlichen Gewohnheiten, oder einzelnen Particularrechten (Hufeland.) Allein wenn dies auch äußerlich nicht leugnen läßt, so herrscht doch innerlich eine große Übereinstimmung unter den einzelnen Particularrechten. Dies erkläre sich so: 1. Daß auch seit dem Sinne für Landesgesetzgebung das Particularrecht meistens Gewohnheitsrecht und dies leidet gar keinen Zweifel. Das Gewohnheitsrecht schließt sich aber zum Theil noch an das im Mittelalter bestehende Gewohnheitsrecht an (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel) und hat sich auch immer in ganz Deutschland im Wesentlichen gleich gestaltet. 2. Hat aber auch unter den Landesgesetzgebungen eine große Übereinstimmung stattgefunden, einmal weil sie blos das ungeschriebene Recht in geschriebenes Gesetz verwandelten, und andernfalls weil die Ländergesetzgebungen ja immer von der forschenden Theorie der Juristen abhängen, es empfiehlt sich in der Hauptsache zu gleicher Zeit ebenso häufig wie jenes alte Recht, was in den Landesgesetzgebungen aufbewahrt wurde (Jagdgesetz, Hypothekenverordnung ect.) Ganz besonders haben aber die Juristen[29] zur Gestaltung eines gemeinen deutschen Privatrechts beigetragen und zwar so: Seitdem sie die Unmöglichkeit das deutsche Recht ganz zu verdrängen einsahen, und so nicht blos die particulären, sondern auch sehr viele Gewohnheitsrechte und zwar ungeschriebene anerkennen mußten, bequemten sie sich dazu, auch für die schon bestehenden Rechtsgrundsätze eine Theorie zu bilden. Diese Theorie setzten sie jetzt mit dem römischen Recht als eine modernus pandectarum in Verbindung (praxis juris Rom. in foro Germanico) Auf diese Juristentheorien stützten sich dann

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wieder die Reichsgerichte, Landesgerichte und Juristenfacultäten und so kommt es, daß alle diese Ländergesetze gewisse Principien gemeinsam haben, die nur in manchen Punkten eine Abweichung in Bezug auf ganz besondere Verhältnisse der einzelnen Territorien enthalten. Der Inbegriff dieser Principien nur bildet das gemeine deutsche Recht, ein solches wird auch jetzt allgemein anerkannt. Auch darüber ist kein Zweifel, daß eine Bekanntschaft mit dem gemeinen deutschen Recht durchaus zum Verständniß der Particularrechte nöthig ist. Dagegen ist es unter den jetzigen Juristen sehr bestritten, daß das gemeine deutsche Recht ein so allgemein subsidiär anwendbares sei, daß man es zur Ergänzung des Particularrechts brauchen könne. Manche leugnen dies, weil es seit der Auflösung des Reichs kein gemeinsames Recht in Deutschland mehr gebe, was vielmehr blos in einer staatlichen Einheit möglich sei, und diese habe in Deutschland seit 1806 aufgehört. Diese Ansicht vertritt vorzüglich Wächter, obgleich er wenig Anhänger gefunden in neuerer Zeit. Besonders vertheidigt er sich in Richtung eines gemeinen deutschen Strafrechts.[30]Allein dies wäre nur richtig, wenn es kein anderes Recht als Gesetzesrecht gäbe. Neben dem Gesetzesrecht besteht aber das Gewohnheitsrecht welches sowohl in seiner Entstehung, wie in seiner Geltung vom Staatswillen abhängig ist. Die Existenz eines gemeinen Rechts auch nach Auflösung des deutschen Reiches ergibt sich auch daraus, daß die Fortbildung des Rechts noch jetzt ebenso vor sich geht, wie früher. Andere dagegen, welche die Fortexistenz eines gemein anwendbaren Rechts zugeben, sagen, es können aber von einem gemeinen deutschen Recht in dem Sinne in Deutschland die Rede sein könne wie das römische Recht. Diese Ansicht hat mehr für sich, wie jene Wächtersche. Denn, sagen die Anhänger der 2ten Ansicht die Anwendbarkeit des gemeinen deutschen Rechts sei immer davon abhängig, daß das Institut, auf welche die Grundsätze sich bezögen, auch im Particullarrecht gültig sei. Diese Ansicht ist besonders zuerst von Falk vertreten, auch Gerber ist der Ansicht. (sie pflegen daher das deutsche gemeine Recht ein Hypothetisches zu nennen) Allein rechnet man zum Begriff eines gemeinen Rechts daß das Institut jedesmal gelte, wenigstens präsumiert werden müsse, so ist das römische Recht ebenfalls wie ein Hypothetisches für Deutschland. Der Richter soll überhaupt, was das Insitut betrifft, nicht präsumieren. Da nun aber das römische Recht immer als gemeines Recht in Deutschland anerkannt worden, so ergibt sich daraus, daß unsere Wissenschaft hier mit dem Ausdruck „gemeines Recht“ einen engeren Begriff verbindet. Erst ist gemeines Recht dasjenige Recht welches Institute enthält, die auch im eigenen Recht vorkommen. In diesem Sinn muß man[31] aber auch den Inbegriff der deutschen rechtlichen Normen gemeines Recht nennen. In der That haben aber auch nicht nur die Praktiker seit Jahrhunderten sondern auch die Gesetze ein gemeines Recht in dem Sinn wie das römische Recht genannt (Grdr § 43 N. 1 und 2) Endlich ist auch die Aufnahme eines gemeinen deutschen Rechts in dem obigen Sinn für Deutschland ganz unentbehrlich. Da nämlich kein deutsches Land jemals vom übrigen Deutschland völlig getrennt gewesen ist, so hat sich in keinem Lande ein vollständiges System des Particularrechts gebildet. Es läßt sich daher auch aus keinem Particularrecht eine für alle Institute passende Analogie zusammensetzen. Pfeiffer bestätigt dieses auch für die Praxis.

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§ 44 II. Begründung einer wissenschaftlichen Theorie des gemeinen deutschen Privatrechts Die Wissenschaft des gemeinen deutschen Rechts hat dem Ebengesagten nach die Aufgabe, für jedes einzelne jetzt vorkommende deutsche Rechtsinstitut die leitenden Principien zu entwickeln. Um diese Wissenschaft aufrecht zu erhalten ist es wichtig 1. die Natur eines jeden deutschen Rechtsinstituts zu erforschen 2. dasselbe in seiner allmählichen Fortbildung bis auf den heutigen Tag zu verfolgen. Hierbei ist zu berücksichtigen welche Veränderung das betreffende Institut durch das römische Recht und die Theorien der Juristen erlitten hat.[32]3. muß man durch unmittelbare Anschauung des Lebens und seiner Gewohnheiten die jedesmalige Natur des Instituts gewinnen, und eben dadurch wird das Studium des deutschen Privatrechts interessanter als das des römischen Rechts. Bei Instituten, welche sich täglich neu im Leben vervollkommnen und die keine Geschichte haben (z. B. Wechselrecht etc.) muß man sich lediglich an die Anschauung selbst halten. Um den gegenwärtigen Rechtszustand kennen zu lernen ist auch besonders wichtig die Kenntniß der Particular- und Statutenrechte, denn diese bezeugen eben das gemeine Recht, besonders wichtig unter den Particularrechten ist das preußische Landrecht. 4.  muß man jedes Institut mit dem übrigen jetzt geltenden Recht in ein System zu bringen suchen. 5. muß man aus dem so entwickelten System des deutschen Rechts zur Entscheidung der vorkommenden Rechtsfragen auch logisch am Wege die nöthigen Consequenzen ziehen. Die Rechtssätze welche auf diese Weise gewonnen werden bilden das gemeine Recht. Die Abweichungen von den Consequenzen sind als particulares Recht zu betrachten. Fünftes Capitel Hülfsmittel des deutschen Privatrechts Man theilt diese ein in Historische, Linguistische und Juristische Hülsmittel. Zu den historischen Hülfsmitteln gehört besonders die deutsche Geschichte (Sechstes Cap. § 46–48 s. Grdr.)[33]System des deutschen Privatrechts Erstes Buch Personenrecht Erstes Capitel Natürliche Erfordernisse der Rechtsfähigkeit § 49 In Bezug auf die Rechtsfähigkeit kommt auch jetzt noch der Unterschied zwischen physischen und juristischen Personen vor. Das deutsche Privatrecht unterscheidet sich aber vom römischen Recht wesentlich dadurch, daß nach deutschem Recht jeder Mensch rechtsfähig ist. Erforderlich ist jedoch, daß er als Mensch anerkannt wird, also schon geboren ist. Hierzu ist aber erforderlich: 1.  daß der Mensch lebendig geboren sei. (Dies kann aus jedem Lebenszeichen angenommen werden) 2. daß der Geborene keine Mißgeburt sei. Außer diesen beiden Erfordernissen verlangt zwar der Sachsenspiegel noch Lebensfähigkeit, allein die übrigen Juristen des Mittelalters kennen dieses Erforderniß ebensowenig, wie das römische Recht. Ferner kann die Rechtsfähigkeit nur solange angenommen werden, wie der

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Mensch lebt. Der Tod eines Menschen muß aber von demjenigen, welcher Ansprüche darauf begründet, regelmäßig bewiesen werden, eventuell auch der Zeitpunkt des Todes. Wie es bei den Römern gehalten wurde, wenn dieser Beweis unmöglich war, ist nicht zu ermitteln; das heutige Recht macht aber von jener Regel, daß der Tod bewiesen[34]werden müße, eine Ausnahme bei Verschollenen, d. h. bei Abwesenden über die solange keine Nachricht eingegangen ist, daß man nicht weiß, ob sie noch leben oder nicht. Die Verschollenen betrachtet das gemeine Recht von dem Augenblick an wo sie 70 Jahre alt sein würden, als todt ([…]). Die Particularrechte haben oft andere Bestimmungen darüber. Damit aber diese Präsumtion begründet sei, bedarf es erst noch einer gerichtlichen Todeserklärung. Diese spricht aber nur aus, daß diese Präsumtion faktisch eingetreten sei. Sie hat daher gemeinrechtlich nur die Bedeutung eines declaratorischen Decrets eines richterlichen Erkenntnißes, d. h. wenn diese Erklärung ergangen ist, wird der Verschollene als verstorben betrachtet. Nur wenige Particularrechte haben den Grundsatz, daß der Verschollene erst vom Augenblick der Todeserklärung an als todt zu betrachten sei. Ist jemand erst mit seinem Toten Jahr verschollen, so wird sein Tod erst präsumiert, wenn er 100 Jahr alt sein würde. Jetzt muß eine Edictalladung der Todeserklärung vorangehen, um dem Verschollenen die Möglichkeit zu lassen, seine Existenz zu beweisen. Die Wirkungen des präsumierten Todes sind dieselben wie die des wirklichen Todes. Die Präsumtion ist eine bloße praesumtio juris aber nicht de jure. Gegen eine bloße praesumtio juris ist ein Gegenbeweis möglich, nicht aber gegen die praesumtio de jure. Dieser Gegenbeweis kann geschehen entweder durch den Beweis daß der Todestag des Verschollenen nicht der präsumierte sei, oder dadurch, daß[35]sich ergibt, daß der für todt erklärte noch lebt. Im letzteren Fall kann der Verschollene, wenn auch noch so lange nach der Todeserklärung, die Herausgabe seines Vermögens verlangen. In welchem Umfange er diesen seinen Anspruch geltend machen kann, darüber entscheiden die allgemeinen Sätze über bonae und malae fidei possessio, Verjährung, Ersitzung ect. Soweit ist der Satz unbestritten. Bestritten ist jedoch die Frage, was bis zum Augenblick der Todeserklärung vom Leben des Verschollenen anzunehmen sei, ob er also im Zweifel als lebend oder todt betrachtet werden müßte. Manche behaupten, die Präsumtion habe nur die Bedeutung, daß nach dem für sie bestimmten Tage sein Tod gewiss sei, nicht aber, daß anzunehmen sei, er sei grade an dem Tage gestorben. Bis zur Todeserklärung müße der auf den Tod des Verschollenen Ansprüche Gründende den Tod oder das Leben beweisen (Kropp. Bd. II N. 5). Allein wir haben es hier mit dem positiven Recht zu thun. Die Geschichte der Präsumtion zeigt, daß dasselbe Bedürfniß, das zur Annahme des Todes präsumtier Veranlassung gegeben, auch zur Präsumtion des Lebens Veranlassung giebt. Es sind daher auch fast alle alten Juristen dieser Ansicht gewesen, ferner ist sie auch von der Praxis immer befolgt, und die Gesetzbücher die sich darüber aussprechen billigen dieselbe. 2. Eine Beschränkung der Rechts- und Handlungsfähigkeit tritt ein wegen ehr­loser Eigenschaften des Menschen, die beschränkte Rechtsfähigkeit kommt mehr im Privatrecht vor, die beschränkte Handlungsfähigkeit mehr im öffentlichen Recht. [36]Die Weiber hatten ein beschränktes Erbrecht und ihre Handlungsfähigkeit war

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dadurch beschränkt, daß sie beständig unter Geschlechtsvormundschaft standen. Diese hat sich fast überall in ihrer Allgemeinheit verloren am meisten hat sich die eheliche Vormundschaft erhalten. Das beschränkte Erbrecht zeigt sich namentlich bei Adelsrechten! Schon das ältere römische Recht hatte den Grundsatz, daß völlige Handlungsfähigkeit erst mit Erreichung einer bestimmten Altersstufe eintrete. Diese war ursprünglich eine sehr frühe. Vor Einführung des römischen Rechts war sie im sächsischen Recht das Alter von 21 Jahren, im übrigen Deutschland meistens das von 18 Jahren. Jetzt tritt die völlige Handlungsfähigkeit erst mit dem 25ten Jahr ein. Daneben hat sich aber in vielen Ländern das Alter von 21 Jahren erhalten oder ist neu eingeführt. Die Theorie von 18 Jahren kommt noch in Familien des hohen Adels vor, auch unter den Particularrechten im Land Hadeln. Die neueren Gesetzgebungen (Preußen und Österreich) haben den Termin von 24 Jahren genommen. Diejenigen, welche den Termin der vollständigen Handlungs­ fähigkeit erlangt haben nennt das deutsche Recht „Mündige“ im Gegensatz zu den „Unmündigen“ (auch Volljährigkeit). In Beziehung auf das Bedürfniß der Vormundschaft entscheiden gemeinrechtlich die angegebenen Altersstufen. Bei andern Verhältnissen als bei der Vormundschaft kommen auch die römischen und kanonischen Altersstufen jetzt in Betracht, z. B. Fähigkeit ein Testament zu machen (römisches Recht) eine Ehe einzugehen (römisches Recht). Die Particularrechte haben aber oft eine besondere Eidesmündikeit oder Eidesunmündigkeit vorgeschrieben, dies ist dann oft 12 – oft 16 Jahre u. s. w.[37]3. Die Gesundheit. Das ältere deutsche Recht legte großes Gewicht auf den Besitz der vollen Gesundheit und Körperkraft. Hiervon hat sich particularrechtlich nur noch die Verfügung erhalten, daß Verfügungen über das Vermögen auf dem Todesbette nur beschränkte Gültigkeit haben. In Beziehung auf Geisteskranke gelten heutzutage die Grundsätze des römischen Rechts. Außer diesen natürlichen Verschiedenheiten der physischen Personen giebt es noch andre körperliche Unterschiede. Zweites Capitel Standesverschiedenheit § 50 I. Von der Verschiedenheit der Stände überhaupt Im privatrechtlichen Sinn bezeichnet Stand eine Classe von Menschen, welche entweder durch ihre Geburt oder aus andern Gründen von den übrigen Staatsange­ hörigen rechtlich gesondert ist, entweder kann sie bevorzugt, oder benachthteiligt sein gegen andre Personen – anders ist da Bedeutung von Stand im öffentlichen Recht. Die zu einem Stande gehörigen Personen können einzeln oder zu einem Körper verbunden gewisse staatsrechtliche Befugnisse haben, doch das gehört nicht hierher. II. Vom Adel (Quellensammlung s. Grdr.) A. Haupteintheilung § 51 I. Hoher oder niederer Adel Den Adel bezeichnet einen Stand, der vermöge[38]der Geburt oder andrer Gründe Vorrechte vor andren Classen hat. Diese Vorrechte sind nach den verschiedenen Adelsklassen verschieden. Besonders wichtig ist der Unterschied zwischen

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hohem und niederem Adel. Zur Zeit des Reichs bezeichnete man mit hohem Adel diejenigen Familien, deren Häupter Reichsstandschaft hatten. Diese Familien besaßen meistens auch die Landeshoheit. Ein notwendiges Erforderniß zur Reichsstandschaft von hohem Adel war die Landeshoheit jedoch nicht. Dagegen waren alle Mitglieder dieser Familien in persönlicher Beziehung reichsunmittelbar. Bei der Auflösung des Reichs 1806 erlangte ein Theil des Reichs die Souveränität, die meisten andren wurden mediatisirt, der Souveränität der Andren unterworfen. Das heutige Verhältnis der meditiatisirten Reichsstände beruht auf dem Art.  14 der deutschen Bundesacte – s. Grdr. Nr. 5. Dieser Artikel enthielt aber nur die allgemeinen Grundsätze über die Rechte des Adels, er ist nur ein Regulativ. Diese Grundsätze sind in allen deutschen Ländern durch besondere Verordnungen oder durch mit den Mediatisirten abgeschlossene Verträge näher festgesetzt. In dem angeführten Art. 14 sind unter den Worten „diese fürstlichen und gräflichen Güter“ sämtliche mediatisirten Familien zu verstehen. Dies ergiebt sich daraus, daß in spätern Zeiten des Reichs alle Mitglieder des hohen Adels, welche nicht den Fürstentitel führten, den Grafentitel angenommen. Die Worte „zu dem hohen Adel in Deutschland gerechnet werde“ liegt offenbar, daß die mediatisirten Familien[39] nicht allein den hohen Adel bilden sollten. Wer sind diese andern dann? Die Worte „fortan nichts desto weniger“ bezeichnen, daß sie von nun an ebensogut wie früher zum hohen Adel gerechnet werden. Damals aber bildeten die jetzt mediatisirten Familien mit den jetzt souveränen Fürsten den hohen Adel und so soll es also auch jetzt sein. Also im Sinne der Bundesacte sind die jetzigen Souverainen mit den mediatisirten Familien in den hohen Adel begriffen. Noch gewisser wird dies durch die Worte „es verbleibt ihnen das Recht der Ebenbürtigkeit in dem bisher damit verbundenen Begriffe“. Bisher nämlich kann hier nur die Zeit des deutschen Reichs bedeuten, da die deutsche Bundesacte ihr Recht unmittelbar an das Recht des Reichs anschloß. Zur Zeit des Reichs bestand das Recht darin, daß eine Ehe zwischen ihnen eine standesmäßige war, so ist denn auch nach der Bundesacte die Ehe zwischen den mediatisirten und den souverainen eine ebenbürtige. (Bestätigt durch die französische Übersetzung s. Grdr.) So gehören also noch jetzt zum Adel alle Geschlechter, welche zur Zeit des Reichs dazu gehörten. Doch fragt sich nun, ist der hohe Adel ein geschlossener Stand? Der fürstliche und gräfliche Titel wurde schon zur Zeit des Reichs manchen Geschlechtern des niedern Adels ertheilt. Seit der Auflösung des Reichs hat jeder Souverain das Recht, Titel zu ertheilen und nun entstehet die Frage: erlangt eine Person niedern Adels durch Beilegung eines solchen Titels die Rechte des hohen Adels? Zur Zeit des Reichs bekam der Titulirte nur dann vollständig die Rechte des hohen Adels, wenn[40]vom Kaiser mit Einwilligung der Stände zugleich die Reichsstandschaft verliehen wurde. Bei der Frage, ob die Familien die erst nach Auflösung des Reichs von einem Landesherrn solche Titel bekommen, auch dann zum hohen Adel zu rechnen seien, muß man unterscheiden die verschiedenen Rechte die mit dem hohen Adel verbunden sind: a. Die Ebenbürtigkeit muß solchen Titulirten durchaus abgesprochen werden, die Bundesacte spricht nur von den früheren Reichsunmittelbaren – und ein einzelner Souverain kann überhaupt keinem die Ebenbürtigkeit verleihen. b. Ob die

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­Titulirten die übrigen Vorrechte haben, welche die Bundesacte den Mediatisirten zuführet hängt von der Verfassung jedes einzelnen Landes ab. Also seit Auflösung des deutschen Reichs ist der hohe Adel ein geschlossener Stand. Zum niedern Adel gehören alle Familien, welche nach Begriffen des Mittelalters ritterbürtig waren. Außer diesen gehören noch diejenigen Personen dazu, welche später durch Standeserhöhungen oder aus andern Gründen den Adel erworben haben. Für diesen Stand des niedern Adels ist aber erst seit dem 15ten Jahrhundert der Ausdruck Adel gebräuchlich und im öffentlichen Recht ist er noch nicht allgemein – früher hieß er allgemein: Ritterstand. Im Mittelalter war ein Theil die-[41]ser Familien unfreie Ritterschaft, Ministerialen. Doch hat dieser Unterschied zwischen freier und unfreier Ritterschaft schon seit mehreren Jahrhunderten aufgehört. Doch zeigen sich Überbleibsel davon noch im Lehnrecht. Ferner waren die ritterbürtigen Familien z. Zt. des Reichs zum Theil mittelbar, zum Theil unmittelbar entweder blos dem Kaiser unterworfen (Reichsritterschaft) oder einem Landesherrn zunächst unterthan. Auf diesen Unterschied ist aber in Bezug auf den Stand nie etwas angekommen. Die deutsche Bundesacte bezeichnet die Reichsritter mit dem Ausdruck Reichs­angehörige (Art. 14). Zuweilen haben einige Personen des niedern Adels noch besondere Titel: „Freiherrn“ (früher nur dem höhern Adel gebührend) Ritter, Edler. Allein alle diese Titel haben gemeinrechtlich keinen Unterschied von dem übrigen niedern Adel begründet (Grdr. § 8). § 52 2. Übrige Eintheilungen Die übrigen Eintheilngen des Adels sind: 1.  Die Eintheilung in Geschlechts­ (Geburts)adel und den gewöhnlichen Adel. In neueren Zeiten ist von manchen Stellen ein persönlicher Adel mit gewissen Militär und Civilstellen verbunden. 2. Die Eintheilung in alten und neuen Adel. Unter altem Adel im juristischen Sinn versteht man im Allgemeinen denjenigen bei welchem der darauf Anspruch machende eine Anzahl von Ahnen muß nachweisen können. Daher der Name „Ahnenadel“. Die[42]Anzahl der Ahnen ist verschieden nach Verschiedenheit der Vorrechte, worauf alter Adel Anspruch macht (bald 4 Ahnen, bald 16, bald 32). Daher sind alter und neuer Adel blos relative Begriffe. Der alte Adel wird bewiesen durch die Ahnenprobe, deren Grundlage die Ahnentafel bildet, durch die Geschlechtstafel der Ascendenten einer Familie. Bei der Ahnentafel werden nur immer die obenan stehenden Personen angegeben, also dieser Adel hat eine Ahnentafel von 8 Ahnen, er geht bis auf seine Urgroßeltern zurück, also wächst die Anzahl der ­Ahnen immer um 4. Alle in der Ahnentafel obenan stehenden Personen müßen adlich geboren, ehelich geboren und in einer Ehe gelebt haben. § 53 B. Rechte des Adels 1. Autonomierecht Dies ist das wichtigste Recht des Adels, doch müßen wir hier unterscheiden: nämlich die Familien des hohen Adels haben schon sehr früh ein selbstständiges Autonomierecht geübt. Dies dadurch weil die obersten Häupter der Familien Rechtsnormen aufgestellt haben, welche für alle gegenwärtigen und künftigen Fa-

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milienglieder bindend sein sollten. Diese Normen gelten wie Gesetze für die ganze Familie – man nennt sie Hausgesetze (d. h. für das ursprünglich hochadlige Haus). [43]In der Regel ist die Aufstellung solcher Rechtsnormen nur dann möglich, wenn alle Häupter der Familie darin übereinstimmen. Man nennt daher jene autonomischen Verfügungen „Familienverträge“. Auch sind sie seit Einführung des römischen Rechts auch meistens in Vertragsform abgefaßt. Sie unterscheiden sich aber von gewöhnlichen Verträgen einmal durch ihre bindende Kraft (s. oben) und rücksichtlich ihrer Entstehung, da nur die Häupter eingewilligt zu haben brauchen um alle Familienglieder zu binden. Ausnahmsweise können aber solche Verfügungen auch von einem einzelnen Haupt einer Familie ausgehen, dies wenn nur noch ein Haupt existirt und in diesen Fällen ist seit Reception des römischen Rechts meistens die Testamentsform in Anwendung gebracht. Allgemein üblich sind die Hausgesetze erst seit der Einführung des römischen Rechts geworden. Das erklärt sich daraus, daß bei Reception des römischen Rechts sich der hohe Adel in seinen alten Rechten zu behaupten suchte; dies ist dem hohen Adel auch in dem Umfang gelungen, daß man als Regel behaupten kann, der hohe Adel ist dem ­römischen Recht nie weiter unterworfen gewesen, als seine Hausgesetze oder Familien­ gewohnheiten es anerkannt haben (Pütter cit. im Grdr.). Außer einer Aufzeichnung des bisherigen Gewohnheitsrechts enthalten die Hausgesetze aber allerdings auch Abänderungen derselben. Diese Abänderungen stimmen aber in allen Hausgesetzen im Wesentlichen mit einander überein, denn sie sind überall durch dasselbe Bedürfniß hervorgebracht und haben denselben Zweck gehabt (einen großen Güterbesitz in den Familien zu[44]befästigen). Man ist daher im Stande, aus den Hausgesetzen Rechtsnormen zu entwickeln, welche in der Regel für den ganzen hohen Adel gelten. Diese Rechtsnormen sind also gewissermaßen ein gemeines Recht für den hohen Adel. Der Inbegriff dieser Rechtsregeln pflegt man schon seit längerer Zeit „Privatfürstenrecht“ gleichsam das gemeine Privatrecht der Fürsten incl. des übrigen hohen Adels. Wie weit geht denn das Autonomierecht des hohen Adels? Zur Zeit des deutschen Reichs war das Autonomierecht des hohen Adels nur beschränkt durch die Rücksichten, die er als Reichsstand zu beobachten hatte, sowie ferner durch die Pflichten, welche er vermöge seines vasallitischen Verhältnißes zum Kaiser und seinem Lehnsherrn hatte. Durch die Auflösung des Reichs mußte in Beziehung auf das Autonomierecht aber ein großer Unterschied eintreten zwischen den Souverainen und den Mediatisirten. Das Autonomierecht der Souverainen ist mehr mit den Landesgesetzen verbunden; doch das Autonomierecht der Mediatisirten ist ein Privatrecht. In dem früheren Umfang kann man dem mediatisirten Theil des hohen Adels das Autonomierecht nicht mehr zugestehen, da ihr ganzes staatsrechtliches Verhältniss sich geändert hat, sie sind jetzt wahre Unterthanen, während sie es früher lange nicht in dem beschränkten Maaße waren. Die deutsche Bundesacte hat jedoch möglichst für die Erhaltung[45]des Autonomierechts des mediatisirten hohen Adels gesorgt (s. Grdr. Nr. 1). Das Auto­ nomierecht der niedern Adelsleute betreffend haben die Mitglieder der Reichsritterschaft im Ganzen immer dem hohen Adel sich möglichst gleich zu stellen gesucht. Auch sie waren ja Reichsunmittelbare, wenn ihnen auch die Reichstand-

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schaft fehlte. Auch die deutsche Bundesacte welche die unmittelbare Reichsritter­ schaft mit dem Ausdrucke „Reichsadel“ bezeichnet, giebt ihnen im Ganzen ein gleiches Autonomierecht wie dem hohen Adel. (s. Fundstelle N. 1 vom Ende) Indessen zeigt sich in der Praxis nicht so wirksam, weil der Güterbesitz hier nicht so groß, die Familienverhältnisse nicht so streng sind. Der übrige niedere (landfürstige) Adel hat nach gemeinem Recht kein Autonomierecht von größerem Umfange, wie jeder Unterthan und ist wie jeder andere Unterthan ganz dem römischen Recht und den Landesgesetzen unterworfen. Indessen hat man doch in manchen Ländern die Rechte des Adels dadurch zu erhalten gesucht, daß man sie unter öffentliche Autorität gesammelt hat. Auch ist in manchen Particularrechten dem niedren Adel ein ausgedehnteres Autonomierecht, wie den übrigen Unterthanen gestattet, doch dies verschieden. Daß das Autonomierecht für früher eine wichtige Rechtsquelle war ist unbestritten; auch jetzt kann durch Autonomie noch neues Recht in den entsprechenden Kreisen gebildet werden (obwohl Gerber es leugnet) [46]§ 54 2. Das Wappenrecht Alle adligen Familien haben das Recht Wappenrecht, d. h. das Recht sich gewis­ ser Abzeichen zu bedienen und zu verlangen, daß Niemand der nicht Mitglied der bestimmten Familie ist, dieselben Abzeichen gebraucht. Der Gebrauch dieser Abzeichen zum Siegeln kommt erst seit dem 13ten Jahrhundert vor. Personen nicht adligen Standes haben nur dann das Wappenrecht, wenn ihnen ein besonderes Wappen verliehen oder bestätigt ist. Ist das nicht geschehen, so haben sie auf die Abzeichen, derer sie sich zum Siegeln bedienen kein wohlerworbenes Recht und können andern den Gebrauch derselben nicht wehren. Man unterscheidet daher auch diese Abzeichen unter dem Namen Siegel von den eigentlichen Wappen. § 55 3. Sonstige Vorrechte Hierzu gehören: 1. das Recht die Partikel „von“ dem Geschlechtsnamen vorzu­ set­zen. Früher gabs gar keine Familiennamen, sie wurden von den Besitzungen hergenommen – Herr von Hardenberg u.s.w. und so kam ursprünglich gar nichts auf die Partikel „von“ gar nichts an, auch bürgerliche Personen nannten sich zuweilen nach ihrem Geburtsort – von Leiden, denn nur die adligen hießen Herr von ect. 2. das Recht auf gewisse kanzleimäßige Curialien und Titulaturen doch diese sind nach den verschiedenen Zeiten und Ländern verschieden. Nur die mediatisirten Mitglieder des hohen Adels haben noch feste Titulaturen (s. Grdr. § 55, N. 4 und 5) Durchlaucht und Erlaucht.[47]3. Partcularrechtlich das ausschließliche Recht adlige Güter oder adlige Lehen zu erwerben, was sich jetzt aber immer mehr verliert. 4. die ausschließliche Fähigkeit in gewisse Stiften und Klassen aufgenommen zu werden. Bei manchen Stiftern hatte nur der Ahnenadel den Eintritt gestattet, doch bei der Säcularisation 1803 ist das weggefallen. Doch kommt der Ahnenadel bei Privatstiftungen noch sehr oft in Betracht. 5. hier und dort hat der Adel einen Einfluß auf die Errichtung von fideicommissen (N. 5b) 6. die Siegelmäßigkeit jetzt nur noch in Baiern; sie bestand ursprünglich nur in der Befugniß den ausgestellten Urkunden durch Druntersetzung ihres

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Wappens die Kraft öffentlicher Urkunden beizulegen. Allmählich wurde hiermit eine Reihe anderer Privatrechte verbunden, dann aber aufgehoben und nur in Baiern besteht die Siegelfähigkeit noch in beschränktem Maaße. C. Begründung des Adels I. des hohen durch Geburt aus einer gleichen Ehe a. § 56 Unterschied zwischen gleichen und ungleichen Ehen überhaupt Der hohe Adel kann nur durch eheliche Abstammung aus einem hohen adligen Geschlecht begründet werden. Diese Abstammung kann weder durch Legitimation noch Adaption begründet werden. Diese Verhältnisse waren dem älteren deutschen Recht völlig fremd und der hohe Adel hat sie nicht aufgenommen. Ferner muß die Abstammung aus einem hochadligen Geschlecht auch beruhen auf der Geburt aus einer gleichen Ehe. Eine ungleiche Ehe[48]kann dies aber sein, ent­weder vermöge der allgemeinen Gesetzregeln oder vermöge eines Vertrages. Im ersten Fall nennt man sie Mitheirath im 2ten Fall eine morganatische oder Ehe zur linken Hand. Die Wirkungen einer ungleichen Ehe sind folgende 1. Die Frau tritt nicht in den Stand des Mannes ein und nimmt an seinen Titeln und Würden keinen Theil. 2. Dasselbe gilt von den Kindern, sie folgen „der ärgeren Hand“ dem niederen parens; das Kind ist dem höher geborenen parens nicht ebenbürtig. 3. Frau und Kind haben daher auch keinen Anspruch auf eine dem Stand des Vaters resp. Mannes angemessene Versorgung, vielmehr brauchen die Kinder nur dem Stande der Mutter gemäß alimentirt sein. 4. Die Kinder werden rechtlich nicht als Mitglieder der Familie des höhren parens gerechnet; daher gebühren ihnen nicht die Rechte die aus der ehelichen Verwandtschaft entspringen (Wappenr. ect.[)] 5. Sie können mithin weder ihren Vater noch seine Verwandte beerben (cf. Grdr. N. 16 und § 57) Es ist demnach unrichtig, wenn manche das Letztere blos von der successio in Lehn- und Stammgüter beschränken wollen, obwohl dies allerdings das Wichtigste ist. Die Unebenbürtigkeit der Frau und Kinder kann nicht aufgehoben werden, selbst zur letzten Zeit des deutschen Reichs konnte es der Kaiser nicht mehr. Die übrigen Wirkungen, mangelnde Successionsfähigkeit etc. konnten immer nur aufgehoben werden mit Einwilligung der andern ebenbürtigen Verwandten.[49]Übrigens ist eine ungleiche Ehe stets als eine kirchlich vollkommene Ehe zu betrachten und zwar schon seit Einführung der christlichen Religion. Es treten daher bei derselben auch alle Wirkungen ein, welche aus den ehelichen Banden entspringen – besonders die Pflicht der ehelichen Treue, Nichtgestattung einer Ehe außerdem. Ebenso treten hier auch alle die Wirkungen ein, welche aus der väterlichen Gewalt fließen. Hieraus folgt daß der höher geborene parens seine unebenbürtigen Kinder beerbt und ebenso, daß wenn keine ebenbürtigen Erben vorhanden sind, sie ihren Vater beerben, der Nachlaß also nicht als bonum vacans an den fiscus fallen würde. b. Einzelne Arten der ungleichen Ehen § 57 α. Von der Mißheirath Der Hauptvertreter der strengeren Ansicht (d. h. daß nur eine Ehe zwischen 2 Personen hohen Adels eine gleiche, also keine Mißheirath sei) ist Pütter, der milderen

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Ansicht ist[…]etc. Es lässt sich nicht beweisen, daß nach dem gemeinen Recht des Mittelalters eine Ehe unter den verschiedenen Classen der vollkommen freien Leute als Mißheirath betrachtet wurde, (also eine Ehe zwischen dem hohen Adel und dem freien Ritterstand war keineswegs eine Mißheirath) Es war aber sehr natürlich daß, als später so viele ritterliche Geschlechter, welche bis dahin in Ministerialität gestanden, die Freiheit erlangten, daß der hohe Adel nicht mehr die Gleichheit der Ehen zwischen seinen Mitgliedern und dem Ritterstande anerkennen wollte. Die erste Spur hiervon finden wir im Schwabenspiegel (cf. Grdr. ad.h. § N. 30) (semper fri Personen des hohen Adels. mitter fri – des freien Ritterstande/ mittelfrei)[50]doch sieht Kraut diese Stelle nur als eine damals sich bildende Ansicht an. Jedenfalls steht in dieser Stelle nichts davon, daß die Kinder nicht dem höheren parens folgen sollen. Der Ansicht des Schwabenspiegels sind auch spätere Schriftsteller z. B. Petrus de Andlau (s. Beweisstelle N. 40) Besonders benutzte der hohe Adel sein Autonomierecht dazu, sich gegen die Gleichheit der Ehe seines Standes mit den Personen niederen Stands zu verwehren; so in Hausgesetzen schon Ende 14t Jahrhunderts s. Beweisstelle N. 46 und 47 und 48) Im Lauf der Zeit wurden solche Hausgesetze immer häufiger, da nun die Juristen mit Einführung des römischen Rechts bei ihrer hauptsächlichen praktischen Rücksicht insbesondere an die Hausgesetze hielten, konnte es nicht fehlen, daß allmählich der Grundsatz von der Gleichheit einer Ehe zwischen den verschiedenen Classen der vollkommen freien Adligen immer mehr erschüttert wurde und so stritt man über den Begriff einer Mißheirath und thut es bis heute. Dieser Streit gab schon im ­vori­gen Jahrhundert die Veranlassung, daß schon in die Wahlcapitel Reihe Karls VII. 1742 eine Bestimmung über die Mißheirathen aufgenommen wurde, (cf. Grdr. § 57 N. 51). Die Worte „unstrittig, notarische Mißheirath“ mußten aber nach der ganzen Veranlassung auf diese Stelle bezogen werden auf eine Ehe zwischen dem hohen Adel und einer Bürgerperson – so daß also noch unentschieden bleibt, ob eine Mißheirath zwischem hohen und niederem Adel eine Mißheirath sei. Es bleibt letzteres also wie der lediglich Sache der Theorie und Praxis und so blieb die Lehre von Mißtheirath bis auf den heutigen Tag. Für das heutige Recht gehört die Lehre der Mißheirath zu den Souveniers in das Staatsrecht.[51]Daß für die Mediatisirten in Bezug auf die Mißheirathen auch noch heutzutage die alten Grundsätze anzuwenden ergiebt sich daraus, daß die Bundesacte (cf. oben) dem hohen Adel die Ebenbürtigkeit zuerkennt. Aus Obigem ergibt sich für das heutige Recht: 1. Die Ehe zwischen dem hohen Adel und dem Bürgerstande ist schon nach den Reichsgesetzen eine Mißheirath. 2. Die Ehe zwischen dem hohen und dem niedern Adel kann dagegen weder nach den Reichsgesetzen, noch auch nach Gewohnheitsrecht als Mißheirath angesehen werden. Allerdings ist aber bei den meisten altfürstlichen Häuptern durch die Hausgesetze die Ungleichheit einer solchen Ehe ausgesprochen oder es läßt sich ein Familienherkommen nachweisen. Bei den meisten neufürstlichen Häuptern und bei den reichsgräflichen Familien ist meistens das Umgekehrte der Fall für diese mildere Ansicht (cf. Beweisstelle S. 139) 3. Für die Titulirten Personen (cf. denen vom Souverain der Grafen- oder Fürstentitel verliehen ist) folgt nicht das Recht der Ebenbürtigkeit und so kann bei ihnen keine Ehe

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für eine Mißheirath gehalten werden, die es nicht auch schon beim niedern Adel auch wäre. Beim niedern Adel kann aber gemeinrechtlich von einer Miß­heirath nicht die Rede sein, denn der niedere Adel ist im Allgemeinen dem römischen Recht unterworfen, nach welchem Frau und Kinder in die Rechte und Titel des Gatten resp. Vaters eintreten (Eine Abweichung giebt das preußische Landrecht) § 58 β. Von der Ehe zur linken Hand, matr. ad morganaticam Bei dieser beruhen die Wirkungen der Ungleichheit einer solchen Ehe zunächst auf dem vor der Ehe eingegangenen Vertrag der Ehegatten (s. N. 12).[52]Übrigens kommt es hierbei gar nicht auf den Geburtsstand des andren Theils an, es kann eine morganatische Ehe selbst zwischen 2 Personen des hohen Adels geschlossen werden und dies ist eben auch in der Beweisstelle N. 12 der Fall. Der Name, morganatische Ehe oder matr. ad legem Salicam stammt aus dem langobardischen Lehnsrecht, die Ableitung des Namens morganat. ist bestritten (cf. Beweisstelle N. 10) Das Recht eine morganatische Ehe einzugehen hat aber nur der hohe Adel, alle andren Personen sind nicht befugt die nachtheiligen Folgen der Ehe durch einen Vertrag aufzuheben. § 59 2. Begründung des niedern Adels 1. Durch die eheliche Geburt von einem Vater adligen Standes. Uneheliche Kinder erhalten aber selbst dann nicht den adligen Stand nicht, wenn die Mutter von Adel ist. Also uneheliche Kinder können unter keiner Bedingung den Adelsstand der Eltern erhalten. Nach römischem Recht müsste man an und für sich durch Legitimation Kinder den Adelsstand erhalten können. Wenig bestritten ist dieser Satz dann auch bei der legitimatio per subcequens matrimonium (s. Beweisstellen N. 5 und 7 und andere). Die legitimatio per rescript. principis kann dagegen den unehelichen Kindern nur den Adel verleihen, wenn das Rescript eine Standes­ erhöhung bezweckt (entweder ausdrücklich oder in einigen Ländern wird das präsumirt). Aber auch wenn der Regent in seinen Rescripten dem legitimirten Kinde den Adelsstand ertheilt haben sollte, so erlangt das Kind die Familienrechte des Vaters doch nur, wenn die Familienmitglieder einwilligen. Die Familienrechte sind zu den wohlerworbenen Rechten zu zählen.[53]2. Durch Standeserhöhung von Seiten des Souverains. Diese erfolgt schriftlich und wird gewöhnlich Adelsbrief genannt, diese sind erst gebräuchlich mit Carl IV (14t Jahrhundert) auf die bereits geborenen Kinder ist die Standeserhöhung nur dann zu beziehen, wenn dies ausdrücklich mit bemerkt ist. (Eigene Gesetze machen dann eine Ausnahme so das Preußische Landrecht). Durch Adoption und Cession kann der Adel nicht übertragen werden, weil er zu den Geburtsrechten gehört. § 60 Verlust und Erneuerung des Adels. Verloren gilt der Adel 1. zur Strafe, wenn der Richter den Betroffenen seines Adels entsetzt, so wie bei den Verbrechen und Strafen, welche eine eigentliche Ehrlosigkeit nach sich ziehen. Das Letztere ist von ­jeher gemeinrechtlich in Deutschland gewesen. 2. durch Entsagung, entweder ausdrückliche oder stillschweigende.

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3. wenn eine Frau von adligem Stande einen Mann von nichtadligem Stand heirathet. Doch geht hier der Adel der Frau [nicht] für immer dadurch verloren, sondern er wird nur suspendirt während der Ehe und des Wittwenstandes. 4.  wenn eine Person adligen Standes eine solche Lebensart anfängt, die mit dem Adel unverträglich ist. a. wenn sich eine Person von Adel sich knechtischen oder schmutzigem Gewerbe hingiebt, b. wenn eine solche Person in eine Zunft eintritt, oder eine Krämmerei betreibt. Doch hat sich das in den meisten Ländern verloren. Betreiben des Großhandels hat jedoch nie des Adels verlustig gemacht.[54]Der auf eine dieser Arten verlorene Adel kann nur durch Erneuerung, die in Form und Wirkung einer Standeserhöhung gleich zu achten ist, wieder erworben werden. Durch Nichtgebrauch kann der Adel allein nicht untergehen, da eben hier kein usus contrarius denkbar ist, ist aber der adlige Stand einer Familie dadurch zweifelhaft geworden, so ist auch hier eine Erneuerung angebracht. In der Erneuerung dieser Art liegt natürlich keine Standeserhöhung. § 61 III. Bürgerstand Der Ausdruck Bürgerstand hat jetzt eine enge und eine weite Bedeutung. 1. Engere Bedeutung Diejenigen Personen, welche vollberechtigte Mitglieder der Stadtgemeinde sind. In diesem Sinn können auch Leute von Adel dazu gehören. In Beziehung auf ihren Stand waren die Bürger in diesem Sinn bis ins 14t. Jahrhundert von der ritterbürtigen Personen durchaus nicht verschieden; (cf. Grdriß litt.  d bis p). Später wollten aber die Rittermäßigen auf dem platten Land die Bürger aber nicht als Standesgenossen anerkennen (da viele Unfreie in den Städten jetzt auch freie Bürger geworden waren. Doch haben die städtigen Geschlechter, welche bei der rittermäßigen Lebensweise blieben, keineswegs ihre Standesrechte verloren (Patricier – so in Frankfurt, Augsburg, Nürnberg, Lüneburg etc.) 2.  In weiterer Bedeutung bezeichnet man mit Bürgerstand den Gegensatz zum Adel und[55]zum Bauernstande. Diesen Ausdruck bezeichnet in diesem Sinn nur den Stand, der frei ist, ohne besondere Standesrechte zu haben. § 62 IV. Bauernstand Auch hier müssen wir wieder unterscheiden: 1. Der Ausdruck „Bauern“ im weiteren Sinn bezeichnet alle Bewohner des platten Landes soweit sie nicht zum Adel, zu den Beamten, den Invaliden, den Geistlichen, den Ärzten gehören oder kein bürgerliches Gewerbe betreiben. 2. In der engeren Bedeutung heißen Bauern nur die Besitzer von Bauerngütern, die sie selbst bewirtschaften mit Einschluß ihrer Familien. Der Begriff des Bauernstandes kam erst im Mittelalter auf. Die Bauern bestanden seit Entstehung des Begriffs theils aus freien, theils aus halbfreien theils aus unfreien Leuten. Daß alle diese Classen von Personen als ein eigener Stand betrachtet werden erklärt sich daraus, daß sie besonders seit Entstehung der Landeshoheit in mehrfacher Hinsicht rechtlich einander gleichgestellt wurden. Der Unterschied zwischen freien und leibeigenen Bauern hat sich aber in den meisten Ländern bis Ende vorigen, ja Anfang dieses Jahrhunderts gehalten. Zuletzt hat

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sie noch bestanden, in einem Theil von Hannover und einem Theil von Sachsen. Doch ist sie auch hier in den 70er Jahren aufgehoben. Das Wesen der Leibeigenschaft bestand in den letzten Jahrhunderten nur in der Verbindlichkeit zu gewissen Diensten und Abgaben, welche, ohne besonders übernommen zu sein, an der Person[56]des Leibeigenen hafteten und auf seine Nachkommen übergingen. Zuweilen war der Leibeigene zu diesen Diensten und Abgaben ohne Rücksicht auf ein Gut verpflichtet (z. B. Kopfsteuer, Gesindedienste). Gewöhnlich waren die Aufgaben und Dienste aber mit dem Besitz eines Gutes verknüpft. Soweit aber die Leibeigenen durch die Rechte ihrer Herren nicht beschränkt waren, hatten sie dieselbe Rechtsfähigkeit wie dieser. Namentlich konnten sie Vermögen erwerben und beliebig darüber verfügen. Im Einzelnen war die Leibeigenschaft in den meisten Ländern verschieden modificirt. Die Willkür des Herrn war in späteren Zeiten durch Gesetze beschränkt (s. Grdr.) Die Rechtsfähigkeit der freien Bauern ist schon seit Jahrhunderten dieselbe wie die der Bürger im weitern Sinn. Nur im Particularrecht haben sich einige Beschränkungen der Rechtsfähigkeit auch der freien Bauern erhalten, z. B. daß die Verträge gerichtlich bestätigt werden mussten etc. Neben dem Adel hat sich beim Bauernstand in Bezug auf das dingliche Recht am meisten deutsches Recht erhalten. § 63 V. Der Beamtenstand Das öffentliche Dienstverhältniß eines Mannes hat in so weit Einfluß auf seine privatrechtliche Stellung, daß es theils Vorrechte für ihn giebt, theils und besonders Beschränkungen giebt. Zu den Beschränkungen gehört, daß den Staatsdienern gewöhnlich untersagt ist, Gewerbe, Fabriken oder Handel persönlich zu betreiben, ebenso dürfen Staatsdiener fremde Privatgeschäfte meistens nur insoweit besorgen, als es mit ihrer Land[…]pflicht[57]verträglich ist. Oft ist auch einigen Staatsdienern der Erwerb liegender Gründe in gewissem Umfange verboten. (Beispiel dazu in Beweisstelle 2, 7 und 8). Ferner bedürfen nach manchen neuren Gesetzen entweder die Staatsdiener überhaupt oder gewisse Classen zur Eingehung der Ehe die Einwilligung seiner Oberen. Zu den Vorrechten, welche die öffentlichen Beamten im Privatrecht genießen gehört 1. daß von ihrem Diensteinkommen meistens nur ein Theil von ihren Gläubigern auf dem Wege der Execution in Anspruch genommen werden. 2.  daß aus den von ihnen übernommenen Wechselverbindlichkeiten nicht Personalarrest über sie verfügt werden kann. (Deutsche Wechselord. § 2) Zweites Capitel Unterschied zwischen Einheimischen und Fremden § 64 Nach dem ältesten deutschen Recht genoß ein Fremder durchaus keine Rechtsfähigkeit, wenn er nicht den Schutz einer freien Volksgemeinde oder eines Genossen derselben gewonnen hatte (elend. – heißt außer Landes) Nach Ausbildung der königlichen Gewalt hatte der König die Fremden unter seinem Schutz. Eine Folge hiervon war es, daß wenn der Fremde starb der König sein Vermögen an sich zog „Fremdlingsrecht“ oder jus albinagii oder droit d’aubaine. Später ging dies Recht auch auf die Landesherren und andere Obrigkeiten über. Kaiser Friedrich II hob es zwar schon allgemein auf in der Auth. omnes peregrini Codex 6, 59. Allein

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dies Gesetz hat in Deutschland erst Anwendung erhalten mit Reception des römischen Rechts. Indessen wurde dennoch in Deutschland das Fremdenrecht als Re­ tor­sions­maßregel beibehalten, (d. h. gegen diejenigen Fremden, in deren[58]Vaterland das Fremdenrecht gilt. (z. B. Frankreich) Es ist aber in diesem Jahrhundert durch Verträge der deutschen Staaten mit den auswärtigen Mächten meistens aufgehoben. Eine andere Beschränkung der Rechtsfähigkeit der Fremden bestand darin, daß auswärtigen Erben eines Inländers der Nachlaß desselben nur gegen Erlegung einer Qute derselben ausgeantwortet wird. Diese Quote heißt der Abschoß (oft 20 % und mehr) Auch dieser Abschoß wurde in späteren Zeiten nur noch jure retorsionis eingezogen. In dieser Hinsicht wurde der Abschoß einer Abgabe, die von dem Vermögen der Auswanderer genommen wurde, gleichgestellt; dies ist die sog. Nachsteuer ([…]werden beide Ausdrücke gebraucht) Das Recht diese Ausgaben zu erheben steht nicht dem Landesherrn, sondern auch Gemeinden und Gutsherrnschaften zu. Diese Abgaben wurden aber nicht blos erhoben, wenn das Vermögen in ein nicht deutsches Land ging, sondern auch beim Übergang in ein anderes Land oder schon beim Umzug aus einer Gemeinde in eine andere desselben Landes. Beide Ausgaben sind jedoch unter den Namen Nachsteuer für jeden aufgehoben, dessen Vermögen von einem deutschen Landesstaat in den anderen geht. Bundesacte Art. 18 [(]Beweisstelle N. 19 S. 156) 1817 wurde noch ein besonderer Artikel zur deutschen Bundesacte Art. 15 erlassen, s. Grdr. N. 20. Auch im Übrigen kommt der Unterschied zwischen einheimischem und fremdem Recht nur noch im Staatsrecht vor, in privatrechtlicher Beziehung zeigt sich dieser Unterschied nur noch in particularrechtlichen Beschränkungen. Hierzu gehört, daß Fremde in manchen Ländern[59]vom Erwerb des Grundeigenthums in den betreffenden Staat ausgeschlossen sind (s. Beweisstelle N. 18) Diese Beschränkung von Fremden in Beziehung auf den Erwerb von Grundeigenthum ist aber für Unter­ thanen anderer deutscher Länderstaaten durch die Bundesacte mit aufgehoben. Drittes Capitel Verschiedenheit der Personen nach ihrem Anspruch auf bürgerliche Ehre § 65 I. Älteres deutsches Recht Nach dem älteren deutschen Recht konnte der Mangel der vollkommenen Rechtsfähigkeit auch darin seinen Grund haben, daß Jemand sich in einem verächtlichen Zustand befand. Solcher Zustände gab es dreierlei: den Zustand der Rechtlosigkeit, der Echtlosigkeit und der Ehrlosigkeit. Die Rechtlosigkeit oder Anrüchigkeit bestand in der mangelnden Fähigkeit, gewisse Handlungen auszuüben oder durch einen Stellvertreter ausüben zu lassen. Die politische Rechtsfähigkeit zeigte sich dann insbesonders in der Fähigkeit der Theilnahme an den Gerichten diese fehlte also dem Rechtlosen ganz. Die Echtlosigkeit oder Unechtheit bestand in mangelnder Rechtlosigkeit in Beziehung auf das Familienrecht in das das Privatrecht damals fast ganz aufging. Der Echtlose konnte daher rechtlich nicht Mitglied einer Familie sein, auch selbst keine gründen. Eine Wirkung hiervon war namentlich, daß er weder fähig war zu erben noch beerbt zu werden, der König zog den Nachlaß ein.[60]Die Ehrlosigkeit hat die Wirkung, daß ein solcher die wichtigsten

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Vertheidigungsmittel jedes andren nicht hatte (Eid, gerichtlicher Zweikampf, etc.) und daß er wegen manchen Vergehen härter bestraft wurde, wie jeder Unbescholtene Mann. Außerdem hatten alle diese Zustände der Verächtlichkeit die natürliche Folge, daß ein in solchem Zustand befindlicher nicht in Genossenschaften aufgenommen wurde, resp. aus derselben ausgestoßen wurde. Die Rechtlosigkeit entstand aus der Verurtheilung gewisser Strafen, (wozu namentlich alle Strafen an Leib und Leben gehörten) ohne Ansehung der von dem zu Bestrafenden begangenen Vergehens. Ferner entstand die Rechtlosigkeit aus gewissen Verbrechen ea ipso ohne daß eine Bestrafung erfolgt zu sein braucht. (Hierzu gehörte besonders der Diebstahl). Außerdem war die Rechtlosigkeit auch Folge unehelicher Geburt und gewisser verächtlicher Lebensarten. Die Echtlosigkeit wurde nur durch diese beiden letzten Fälle (uneheliche Geburt und verächtliche Lebensarten) bewirkt. Daher jeder Echtlose war rechtlos, aber nicht jeder Rechtlose noch nicht echtlos. Die Ehrlosigkeit entstand nur aus der Verurtheilung zu den Strafen die auch rechtlos machten – und aus den Vergehen mit welchen eine Rechtlosigkeit verbunden war z. B. Verletzung der ehelichen Treue, oder unter Verlobten, oder zwischen Lehnsherrn und Lehnsmann, oder zwischen Vormund und Mündel.[61]Die Ehr­ losigkeit war oft mit der Echtlosigkeit verknüpft. § 66 II. Einfluß des römischen Rechts Nach Reception des römischen Rechts haben die Juristen lange Zeit behauptet, daß das römische Recht in dieser Lehre allgemeine Gültigkeit habe, doch diese Ansicht kann heutzutage ganz als aufgegeben betrachtet werden. Vielmehr ist man jetzt darüber klar, daß die römische Lehre das deutsche Recht darüber durchaus nicht ganz verdrängt hat. Die Verdrängung des deutschen Rechts konnte auch nicht gelingen, da die Grundsätze über Ehre mit den sittlichen Ansichten eines Volks eng zusammenhängen. Einige sind aber der Ansicht, daß das heutige Recht zwar seine Grundlage noch im deutschen Recht habe, daß aber diese Grundsätze durch das ­römische Recht mannigfaltig modificirt seien; allein die Juristen sind nicht im Stand, die Modificationen näher anzugeben. Es ist daher ohne Zweifel die Meinung die rechte, welche dem römischen Recht selbst keinen Einfluß darauf einräumt, so sagt zuerst Savigny (System Bd. II S. 224 ff.) wenn auch die römischen Kunstausdrücke häufig angewandt werden – doch das ist auch bei andren Instituten der Fall. Da die deutsche Rechtlosigkeit in den Fällen, wo sie aus Verbrechen und Strafen entspringt, manche Ähnlichkeit mit der römischen Infamia hatte, so hielten die Juristen lange für ein und dasselbe Institut, besonders da die Recht­ losigkeit in diesen Fällen mit der Ehrlosigkeit (die sie mit infamia übersetzten) verbunden war. So erklärt es sich, daß man in diesen Fällen nicht mehr von Rechtlosigkeit, sondern von Ehrlosigkeit oder infamia sprach und so hat sich der Audruck „ehrlos“ für die obigen Fälle bis heute behauptet. Die Theorien der Juristen gründeten sich also nur scheinbar auf das römische Recht während doch die Grundsätze des deutschen Rechts maßgebend waren.[62]Diese Spuren konnten die Juristen nicht auf die Fälle ausdehnen, wo Unehelichkeit und verächtlicher Wandel der Grund waren, dies konnten sie nicht als Infamia bezeichnen, sie nannten es da-

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her Anrüchigkeit, was sie im lateinischen mit „levis notae marula“ wiedergaben, da aber im deutschen Recht ein solches Institut gar nicht vorkommt, so waltete für die Ansprüche im Grunde nur eine einfache politische Rechtlosigkeit ob ebenso wie vorher. Für die deutsche Ehrlosigkeit fanden die Juristen gar keinen Anknüpfungspunkt im römischen Recht. Man kannte in Rom kein solches Familienleben, sie ignorirten sie daher als ein selbstständiges Institut gänzlich. Die Folge ist, daß selbst in neusten Zeiten Echtlosigkeit und Ehrlosigkeit verwechselt und zuweilen für identisch gehalten werden. Die Juristen hatten verschiedene Ansichten über die Echtlosigkeit man hielt dieselbe zuweilen für Ausfluß eines particularen Privatrechts oder auch des Lehnrechts, des Staatsrechts ohne jedoch das Institut dann mit dem resp. ganzen System zu verschmelzen. III. Heutiges Recht § 67 A. Einleitung Unter bürgerliche Ehre verstehen wir heutzutage die Rechtsfähigkeit, welche Folge der äußeren Achtung ist, auf welche Jeder so lange Anspruch hat, als nichts besonderes gegen ihn vorliegt. Vermindert kann die bürgerliche Ehre durch Ehr­ losigkeit und Anrüchigkeit werden.[63]B. Minderung der bürgerlichen Ehre 1. Durch Ehrlosigkeit oder infamia § 68 a. Entstehung derselben Die Ehrlosigkeit entsteht 1. als Wirkung gewisser Strafen. Nach den meisten Rechten zieht auch jetzt noch die bloße Verurtheilung zu solchen Strafen die Ehrlosigkeit nach. Nach einigen Rechten aber ist die Ehrlosigkeit eine Folge der wirklich erlittenen Strafe. 2. in Folge gewisser Verbrechen, gemeinrechtlich immer aus dem Diebstahl. Man fordert aber jetzt, daß bereits ein Straferkenntniß gesprochen sei und zwar aus dem Grunde, weil die Ehrlosigkeit jetzt als peinliche Strafe gilt und solch nur durch ein richterliches Urtheil auferlegt werden kann. 3. Im neuern Recht kommt die Ehr­ losigkeit auch als selbstständige Strafe vor. § 69 b. Heutige Wirkungen der Ehrlosigkeit 1. Verlust des Adels, 2. Verlust aller Würden, Staats- und Ehrenämter und Un­ fähigkeit, solche zu erlangen 3. Verlust der übrigen politischen Rechte, Verlust des Rechtes in landständischen Versammlungen zu erscheinen, gewählt zu werden etc. 4. Verlust des städtischen Bürgerrechts, oft aber nur Verlust des politischen Theiles desselben 5. Ausstoßung aus Zünften und Innungen, womit natürlich verbunden ist, daß ein solcher nicht eintreten kann in Zünfte etc.[64]6. macht die Ehr­ losigkeit zur Producatur, Advocatur und Notariat unfähig Reichsnotariatsordnung von 1512 s. Beweisstelle N. 2 7. macht die Ehrlosigkeit lehnsunfähig, die der Ehrlose ja aus aller Genossenschaft ausgestoßen wurde. 8. Die Fähigkeit zum Zeugniß kann nach heutigem gemeinen Recht dem Ehrlosen heutzutage nicht allgemein abgesprochen werden. Die Glaubwürdigkeit seines Zeugnisses hängt vielmehr vom richterlichen Ermessen ab. In den Particularrechten ist aber zuweilen noch der alte

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Grundsatz anerkannt, gänzliche Zurückweisung vom Zeugniß. Einen Zeugeneid kann ein Ehrloser aber auch voll überhaupt nicht ablegen, weil der Eid Unbescholtenheit und Vertrauen wesentlich voraussetzt (c 54 2 20 s. Beweisstelle 3 d). Die Wirkungen der Ehrlosigkeit können aus landesherrlicher Machtvollkommenheit aufgehoben werden abolitio oder restitutio famae. § 70 2. Die Anrüchigkeit levis notae macula Sie entsteht 1. durch uneheliche Geburt 2. den Gewerben welche früher rechtlos machten, stellte man später eine ganze Reihe andrer Gewerbe an die Seite. Spätere Reichsgesetze haben aber verordnet, daß kein Gewerbe, mit Ausnahme der Ab­ deckerei anrüchig machen solle (Beweisstelle N. 3). Dem Abdecker ist aber keines­ wegs gleichzustellen der Strafrichter die Strafe des Schwerts hat nie ehrlos gemacht. Ehemals erstreckte sich die Anrüchigkeit des Schinders auch auf dessen Nachkommen bis auf[65]die Enkel. Heutzutage sind aber die Kinder des Ab­deckers nur dann anrüchig, wenn sie das Gewerbe ihres Vaters selbst mit getrieben haben. S. Beweisstelle N. 4. Die Wirkungen der Anrüchigkeit sind folgende: 1. Die An­ rüchigen können nicht in Zünfte und Gilden aufgenommen werden. 2. Sie sind unfähig, städtisches Bürgerrecht zu gewinnen. 3.  das kanonische Recht erklärt die unehelichen Kinder für irregulär (d. h. ordnirt geworden) und schließt sie vom geistlichen Orden aus cqs 13 F qui filii sint legitimi 4. 17. Dagegen wird das Zeugniß der Anrüchigen nach heutigem Recht weder mehr verworfen, noch für suspect gehalten. Viel zweifelshafter ist dagegen, ob gegen die Anrüchigen die[…]angestellt werden können. Nach dem älteren deutschen Recht konnte die Anrüchigkeit der unehelichen Kinder nicht aufgehoben werden, weil das alte deutsche Recht noch keine Legitimation kannte. Als später durch das römische und kanonische Recht die Legitimation in Deutschland bekannt wurde, räumte man ihr anfangs keine andre Wirkung ein, als die Aufhebung der Anrüchigkeit, denn daß das uneheliche Kind nun auch sonst in jeder Beziehung den ehelichen gleich werden sollte, widersprach dem deutschen Rechtsgefühl. Als man aber später die Legitimation mit voller Wirksamkeit anerkannte blieb es doch fortwährend üblich durch ein Rescript zu legitimiren, blos um die Anrüchigkeit zu heben. Da nun diese Legitimation an Familienrechten[66]nichts ändert, so kann die Legitimation auch ohne Einwilligung des Vaters nachgesucht werden auch nach dessen Tode. Die Legitimation mit allen Wirkungen nannte man seit dem leg. plena die andren, um blos die Anrüchigkeit zu heben, bloß leg. minus solera, ein rein deutsches Institut. Die neueren Gesetz­ gebungen haben zum Theil die Anrüchigkeit unehelicher Kinder mit Grund ganz aufgehoben (Beweisstellen a bis c) Hingegen bei dem Abdecker finden wir auch noch in den neuren Gesetzgebungen meistens die alten Ansichten. Viertes Capitel Verschiedenheit der Personen in Beziehung auf ihre Religion § 71 1. in Hinsicht auf die christlichen Religionsparteien Bis zur Reformation beurtheilte man die Wirkungen der Religionsverschiedenheit lediglich nach dem kanonischen Recht. Das kanonische Recht betrachtet aber

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den heretis oder Kätzerei nicht nur als kirchliches sondern auch als bürgerliches Verbrechen. tac. tit. F de hereti cis 5 J; tac. tit. in 6to de hereticis 5.2. Als Verbrecher dieser Art wurden anfangs auch die Protestanten angesehen und behandelt. Dies war aber nicht mehr zulässig seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555. In diesem Frieden wurden die Protestanten als ein zu Recht bestehender Religionstitel anerkannt (cf. besonders 1). Diese Zusicherung war aber nur den Reichs-[67] ständen gemacht. Daher erhielten die Landesherren über ihre Unterthanen das Recht die Religion zu bestimmen. Diese Befugniß wurde später das jus reformandi genannt. Dieses Recht gab in manchen Ländern die Veranlassung dazu, daß manche Unterthanen die der Religion ihrer Landesherrn nicht zugeneigt waren zum Auswandern genöthigt wurden. Der Westphälische Friede von 1648 beschränkte zwar das Reformationsrecht auf den Besitzstand von 1624. Dies Jahr wurde dann später das Normaljahr genannt (Grdr. N. 4). Zugleich wurde in dem Westphälischen Frieden ausgesprochen, daß das Recht, welches dieser Friede selbst, der Religionsfriede und andere Reichsgesetze den Augsburger Glaubensverwandten beilegte, auch den Reformisten zugestanden werden sollte. Allein jedem Landesherrn war doch von diesem Frieden das Recht ausdrücklich zugestanden, die Unterthanen, die nicht ausdrücklich durch den Besitzstand von 1624 geschützt waren, zum Auswandern zu nöthigen (Grdr. N. 5). Daher fand dann auch ungeachtet dieser Bestimmung des Westphälischen Friedens keine vollkommene Rechtsgleichheit zwischen Katholiken und[68]16 Protestanten statt. Beweisstelle N. 6 Diese Bestimmung bezieht sich auf die Lutheraner Reformation und Katholiken. Das müssen wir daher annehmen, weil es in Deutschland keine andere allgemein anerkannte Confession gab. Auch stand in den verschiedenen der Entstehung der Bundesacte vorausgehenden Entwürfen immer „die 3 verschiedenen“ Religionsparteien. II. In Rücksicht auf die Juden § 72 A. Beschränkung der Rechtsfähigkeit der Juden Die Juden waren im Mittelalter wie alle Fremden vollkommen rechtlos. Seit der Ausbildung der königlichen Gewalt ertheilte ihnen der König seinen Schutz, behandelte sie aber nicht so gut wie die andren Fremden. Zugleich ordnete der Kaiser sie als Unfreie oder kaiserliche Kammerknechte der Kammer unter. Als solche mussten sie an die kaiserliche Kammer gewisse Abgaben entrichten, beliebig hoch oder niedrig nach des Kaisers Willen.[69]Es wurde dies als eine königliche Regel angesehen. Der Judenschutz wurde schon früh von den Kaisern wie andre Regalien an die Landesherrn verliehen seit dem 16t. Jahrhundert wurde der Judenschutz aber schon als in der Landeshoheit an sich liegend angesehen. Auch Gemeinden und Privatpersonen brachten oft dieses Recht an sich die Juden zu schützen, entweder vom Kaiser oder von den Landeshoheiten, so hatten oft Städte es oder Rittergüter. Das rechtliche Verhältnis der Juden hing überall zunächst von der Festsetzung des diesen Schutz ertheilenden Herrn ab, (meistens Landesgesetz oder Judenordnungen (cf. § 72 S. 168). Indessen war doch ihr Verhältnis in ganz 16

B. A. Art. 16.

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Deutschland im Wesentlichen dasselbe. Wegen ihrer Hörigkeit (Unfreiheit) konnten nämlich die Juden überall nicht Mitglieder freier Genossenschaften sein, kein städtisches Bürgerrecht gewinnen, sondern blos Schutzverwandte sein, sie konnten in keine Zunft aufgenommen werden, sie konnten nur unzünftige Gewerbe treiben, so besonders der Noth- oder Schacherhandel. Sie waren entweder ganz unfähig Eigen­thum an Grundstücken zu erwerben, oder durch nur beschränkt dazu fähig vermöge gewisser Privilegien (s. Grdr.). Außerdem waren die Juden in manchen andren rechtlichen Hinsichten Christen nachgesetzt. Dieser Zustand der Juden hat im Wesentlichen bis auf die neusten Zeiten unverändert fortgedauert. Erst seit dem letzten Viertel des 18t. Jahrunderts ist allmählich in[70]den meisten Ländern durch besondere Gesetze der Zustand des Juden dem des Christen mehr gleich gestellt, besoders seit 1848 – besonders im Privatrecht erscheinen sie jetzt meistens den Christen gleich. Die Deutsche Bundesacte sichert den Juden die Rechte ausdrücklich zu, welche ihnen von den Bundesstaaten bis dahin ausdrücklich eingeräumt waren, die Vermehrung hat sie einer Vereinbarung der einzelnen Bundesstaaten vorbehalten. (Grdr. N. 17) (cf. wegen „von“ und „in“ N. 18). § 73 B. Anwendbarkeit der Jüdischen Rechts Während des Mittelalters wurden die Juden in ihren Streitigkeiten untereinander von ihren Rabbinern nach ihrem jüdischen Recht gerichtet. Diese Vergünstigung ist ihnen bis heute in gewissem Umfange verblieben, es kommen deshalb in den meisten Ländern noch immer die Quellen des jüdischen Rechts in Betracht, besonders die 5 Bücher Mose und der Talmud. Aus dem letzteren sind schon früh Auszüge gemacht, die nur das Praktische enthalten, dieses ist der Schulchan Aruch aus dem 16ten Jahrhundert der von Moses Mendelssohn wieder in einen Auszug gebracht ist s. Grdr. Die heutige Anwendbarkeit des jüdischen Rechts hängt zwar zunächst von der Gesetzgebung der einzelnen Länder ab, doch im Allgemeinen kann man sagen: 1.  Wenn den Juden gemeinschaftliche Religionsübung gestattet ist, so müssen auch die Ceremoniellgesetze, die in jenen Quellen enthalten sind, an­ erkannt werden, da diese Ceremonien immer zu ihrer Religion gehören.[71]Die Anwendung der Ritualgesetze, sowie die Anstellung eines Rabbiners ist aber unter Aufsicht des Staats gestellt. 2. In Betreff der Anwendbarkeit des Judischen Rechts auf bürgerliche Verhältnisse: a. Das geltende bürgerliche Recht giebt oft den einzelnen Confessionen seine Wahl in Bezug auf einzelne civilrechtliche Handlungen, z. B. Eid, Eingehung der Ehe etc. In solchen Fällen muß der Richter das jüdische Gesetz zur Grundlage machen – dasselbe ist der Fall wenn und soweit das betreffende Recht den Privaten eine Autonomie im weiteren Sinn gestattet – dies ist sehr gewöhnlich bei den geltenden jüdischen Ehrpakten. b. liegt kein solcher Fall vor, so kommts darauf an, ob Juden mit Juden streiten oder mit Christen. Im letzteren Fall ist in der Regel das nationale jüdische Recht nie anzuwenden, l. 8 et. 15 cod de judaeis 1. 9. Eine Ausnahme tritt nur dann ein, wenn in Nichtbeachtung der jüdischer Rechtsregeln ein unerlaubter Religionszwang liegen würde; z. B. wenn man einen Juden zwingen wollte, am Sabbat vor Gericht zu treten, oder einen Eid nach christlicher Form zu

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leisten etc. Sind beide Parteien Juden, so muß man unterscheiden, ob bei solchen Streitigkeiten sich die eine oder andre Partei an ein ordentliches Gericht wenden, oder ob sie übereinkommen, die Sache einem Rabbiner zu übergeben. Das Letztere ist das Gewöhnlichste. Im ersteren Fall kann von einer Anwendung des jüdischen Rechts in der Regel nicht die Rede sein; Beweis l. 8 und l. 15 Code de Judaeis.[72]Wenn aber beide Parteien darüber einig sind, so können Streitigkeiten vor dem Rabbiner nach dem national jüdischen Recht entschieden werden. Regelmäßig ist das ihnen aber nicht weiter gestattet, als Privatperson überhaupt sich einem Schiedsrichter unterwerfen soll und kann, daher kann ein Rabbiner nicht auf Ehescheidung entscheiden, denn das auszuführen hängt nicht blos von den Parteien ab, ferner Vormundschaftsbestellung und Bestätigung ferner alle Acte der sog. jurisdictio voluntaria können von keinem Rabbiner bestellt werden. In den Particularrechten jedoch ist die schiedsrichterliche Gewalt der Rabbinen durch Privilegien oft weiter ausgedehnt. In wenigen Ländern ist jedoch in neueren Zeiten gesetzlich verordnet, daß die Juden mit einigen Ausnahmen nach dem gewöhn­ lichen Recht beurtheilt werden sollen. (Grdr. N. 13 und 14d) Sechstes Capitel Von den juristischen Personen § 74 I. Im Allgemeinen Begriff: bekannt Auch schon das ältere deutsche Recht legt nicht blos einzelnen Menschen, sondern auch Verbindungen mehrerer Menschen, als Einheit angesehen (Genossenschaft) Rechtsverhältnisse bei. Auch haben nach älterem deutschem Recht die Stiftungen Rechtsfähigkeit. Ausgebildet aber ist der Begriff der juristischen Person erst besonders durch das römische Recht. In der Errichtung der juristischen Per­sonen ist es heutzutage sehr mannigfaltig.[73]Die wichtigsten Arten sind heutzutage der Fiscus, die Gemeinden, die Corporationen, die Genossenschaften, diejenigen Anstalten und Stiftungen denen gemeinnützige Zwecke zu Grunde liegen. Manche betrachten auch ein Grundstück als eine juristische Person, wenn auf demselben gewisse Rechte oder Lasten haften. Da sagt man, nicht der jedesmalige Inhaber, sondern das Grundstück sei das Rechtssubject. Allein richtiger ist es, den jedesmaligen Eigenthümer oder Besitzer als das berechtigte Subject und die rchg. Pflichten und Lasten als Pertinenzen der Sache dazu sehen; denn der Begriff der juristischen Person paßt nur da, wo der Sache eine geistige oder moralische Unterlage innewohnt, nicht aber wo die Unterlage rein sachlicher Natur ist. Was die Entstehung der juristischen Personen betrifft (sehr controvers) so wird gewöhnlich behauptet, daß dazu die Genehmigung des Staats erforderlich sei, die ältern Juristen sprachen dies gewöhnlich als anerkannten Satz aus. Unter den Neueren hat besonders Savigny eine wissenschaftliche Begründung dieses Grundsatzes versucht (System des heutigen Römischen Rechts II S. 175 ff.). Er sagt: „die juristische Person ist ein künstliches Rechtssubject. Der einzelne Mensch hat seinen Anspruch auf Rechtsfähigkeit schon in seiner Existenz. Wollte man nun die Macht, solche künstlichen Rechtssubjecte zu schaffen, der Privatwillkür überlassen, so würde ge-

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wiß die größte Unsicherheit in Privatverhältnissen entstehen. Daher kann nur dem Staat die Macht zustehen zu bestimmen, was eine juristische Person sein soll.“ Savigny giebt aber zu, daß diese Erklärung des Staates nicht eine ausdrück­ liche[74]zu sein brauche, sondern auch durch wissenschaftliche Duldung etc. entstehen und bestehen könne.“ – Doch bei Betrachtung der Verhältnisse glaubt Kraut, die Savignysche Ansicht sei nicht richtig. Im Mittelalter nämlich sind unzählige Vereine entstanden und haben juristische Persönlichkeit gehabt, ohne vom Staate genehmigt zu sein. Gemeinden, Zünfte, Geistige, Ritterschaft und milde Stiftungen etc. Auch noch im heutigen Recht werden diese Vereine als Einheit im juristischen Sinne angesehen. Aber auch jetzt entstehen noch überall aus freier Einigung von Menschen Gesellschaften, welche gemeinsame Vermögenszwecke haben und im Verkehr als juristische Personen angesehen werden. § 76 II. Insbesondere von den Gemeinden Unter Gemeinde versteht man den Inbegriff von Familien, welche nur vom Staate anerkannt, juristische Personen mit einer eigenthümlichen Verfassung bilden und in einem geographisch begrenzten Bezirke zusammen wohnen. Von anderen Corporationen unterscheiden sich die Gemeinden wesentlich dadurch, daß sie nicht, wie Zünfte und dergleichen vereinzelte Zwecke verfolgen, sondern alle Beziehungen des öffentlichen Lebens in sich aufnehmen und der freien Selbstverwaltung des Volkes zuzuführen. Die Gemeinden haben daher auch immer eine öffentliche Beziehung. Eben deshalb gehört die Lehre von den Gemeinden zum größten Theil dem Staatsrecht an. In neueren Zeiten sind die Gemeinden der römischen universitas in ihrem Wesen näher gekommen, es haben sich aber doch noch Eigenthümlichkeiten der älteren deutschen Genossenschaften erhalten[75]17 die nicht nach römischen Recht beurtheilt werden können; dahin gehört das Recht der Auto­nomien, welches aber in neuerer Zeit sehr beschränkt ist. 2. Die Gemeindevertretung bildet noch ein wirthschaftliches Ganzes. Die Gemeinde ist daher berechtigt einzelne Classen von Grundbesitz vor Gericht zu vertreten. 3. In der Benutzung der Gemeindegüter (s. § 79) der Inbegriff der Rechte einer Gemeinde heißt Gemeinderecht. Dieses umfaßt: 1. Politische und Ehrenrechte (eine Stimme zu führen und nur ein Amt zu bekleiden gehört ins Staatsrecht) 2. die Theilnahme an der Gemeindenutzung. § 77 α. Von den Landgemeinden Die Landgemeinden sind entweder Dorfgemeinden oder Bauernschaften (wenn sie aus zerstreut liegenden Bauerngütern bestehen) Ursprünglich war ein Ackermaaß nöthig. Die Bauern die das Ackermaaß besaßen, wurden Vollbauern genannt. Wurde dieses Land in gleiche Theile zerlegt, so ging die Berechtigung zur Gemeinde auf den Erwerber zu dem Theile über. Diese hießen dann Halbbauern etc. Eine verhältnißmäßige Berechtigung bekam aber der nicht, der nur ein Stück und

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Juristische Abhandlung von Ortloff I, p. 231 ff.

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keine Quote erhielt. Solche hießen dann Käthner oder Häfner. Auch ein solcher, der sich auf neu urbargemachtem Lande angesiedelt hatte, hatte kein Gemeinderecht. Diese Benennungen und die sich daran knüpfenden Berechtigungen haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Jedoch ist die Größe des erforderlichen Besitzes jetzt sehr verschieden. Von diesen Landbewohnern welche immer Gemeinderecht haben, wenn auch in sehr verschiedenem Umfange, sind zu trennen: 1. Häuslinge oder Gärtner, die oft ein kleines Besitzthum haben.[76]2. Hausgenossen oder Einlieger, auch Heuersleute genannt; solche, die zur Miethe wohnen, also gar keinen Grundbesitz haben. § 78 β. Von den Stadtgemeinden Der Unterschied zwischen Stadtgemeinden und Landgemeinden besteht darin, daß erstere eine künstliche Verfassung mit verschiedenen Organen zur Ausübung der öffentlichen Gewalt, die der Stadt zusteht, besitzt. Zu den Vorrechten gehört regelmäßig das Recht auf Betreibung der Gewerbe, welche die sog. bürgerliche Nahrung bilden. Diese Gewerbe bestehen aber in der Handlung, den Handwerken und der Bierbrauerei. Diese Gewerbe dürfen daher auf dem platten Lande überhaupt nicht, oder doch nicht in einem gewissen Umkreis von der Stadt betrieben werden. Dieser Umfang ist gewöhnlich eine Meile von der Stadt entfernt (Bannmeile). In der Stadt selbst dürfen diese Gewerbe nur von denen betrieben werden, die das große Bürgerrecht besitzen, und wo noch die alten Zunftgenossen diese Gewerbe betreiben. Die Bierbrauerei erfordert außerdem oft den Besitz eines Hauses an das die Brauergerechtigkeit geknüpft ist. Die Handlung und die Handwerke eigneten sich von jeher nur für den städtischen Verkehr. Es konnten daher leicht diese Gewerbe für besondere Privilegien einer Stadt erklärt werden. Die Bierbrauerei dagegen wurde lange Zeit von jedem freien Grundbesitzer betrieben, soweit es seine Bedürfnisse erforderten. Als später die Brauerei zu einem eigenen Gewerbe wurde, ließen viele ihre Brauereien ein-[77]gehen, dadurch ward allmählich die Idee veranlasst, daß die Brauereien auch Privileg der Städte seien und in der Folge ward den Städten dies Privileg durch Landesverträge gesichert (cf. Beweisstelle N. 11). Hieraus ergibt sich, daß die Frage, ob die Bierbrauerei Privileg der Städte sei, nur nach dem Particularrecht beurtheilt werden kann. (der Bierzwang ist etwas ganz anderes.) Wo die Brauerei ein ausschließlich bürgerlicher Nahrungszweig ist, darf 1) niemand auf dem Lande Bier zum feilen Verkauf anbieten, 2. kein fremdes Bier darf zum feilen Verkauf in die Stadt eingeführt werden. Darin liegt aber keineswegs das Recht das Einbringen von Bier zum eigenen Genuß zu verwehren. Anders steht dies aber dann, wenn die Bierbraugerechtigkeit mit einem eigenthüm­ lichen Bierzwange verbunden ist. § 79 Einzelne Rechtsverhältnisse Vor allem kommen hier die Vermögensverhältnisse in Betracht. Als juristische Personen sind die Gemeinden fähig Vermögen und Grundeigenthum zu besitzen (Vermögen nennt man in der Regel Kammereigüter). Als Gemeindevermögen sind alle Sachen zu betrachten, welche zur Bestreitung von Gemeindebedürfnissen

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d­ ienen. Von den Gemeindevermögen zu unterscheiden sind die G ­ emeindegüter im eigentlichen Sinn, res universitatis ≠ Almende. So nennt man die Güter und Gerechtsame, deren Benutzung allen oder gewissen Gemeindemitgliedern zu ihren wirthschaftlichen Bedürfnissen zusteht, z. B. Weide und Holzungen. Häufig haben diese Gegenstände auch nicht die Mitglieder einer Gemeinde allein, sondern[78] die Mitglieder mehrerer Gemeinden zu benutzen. Wenn mehrere Grundeigen­ thümer unabhängig von Gemeindeverhältnissen sie zu benutzen haben, nennt man sie Mark. In Beziehung auf das Nutzungsrecht der Gemeindegüter finden wir eine große Verschiedenheit, früher hatten alle Gemeindeglieder dies Recht; Gemeinde­ glieder waren damals aber nur solche Personen, die einen gewissen Grund­besitz hatten. In den Städten waren es Besitzer von Bürgerhäusern. Besonders aber in neuren Zeiten haben [haben] die Gemeinden auch viele Mitglieder erhalten, ­welche gar keinen Grundbesitz in der Gemeinde haben, oder nur solchen, mit welchem das Nutzungsrecht früher gar nicht verbunden war. Dies hat zur Folge gehabt, daß die Nutzungsrechte in manchen Gemeinden fixirt sind. Es haben daher zuweilen nur die Quotengrundbesitzer das Nutzungsrecht, die Besitzer der ältren Höfe und Güter bilden gewöhnlich in der Gemeinde eine Genossenschaft. Auch darin findet ein Unterschied statt, daß in einigen Gemeinden diese Rechte auf ein Grundstück übertragen werden können, während dies bei andren Gemeinden nicht möglich ist. In wenigen Gemeinden sind aber die fixirten Gerechtigkeiten von den Sonder­ gütern abgelöst und zu selbstständigen Rechten geworden, die Gegenstand des gemeinschaftlichen Verkehrs sind. Nur hier und da haftet ein Nutzungsrecht noch an einem Grundbesitz. Wo nicht alle Gemeindeglieder das Recht der Nutzung[79] haben, nennt man diejenigen, welche es haben, Realgemeinde und unterscheidet davon die politische Gemeinde, wozu Jeder gehört. Solange nur noch Theilhaber an der Nutzung im engern Sinn (Almend) waren, wurden alle Bedürfnisse daraus bestritten. Seitdem aber auch andere Personen Gemeinderechte erwarben, wurde auch der Beitrag der Almende zu den Gemeindebedürfnissen ein für alle Mal genau fixirt, oder es hafteten die Gemeindebedürfnisse nicht vorzugsweise an den Almenden. 2. Von den Genossenschaften § 79 a. Von der Genossenschaft überhaupt Der Ausdruck Genossenschaft im weitern Sinn bezeichnet einen aus mehreren Personen bestehenden Verein, der juristische Persönlichkeit hat. In dieser Bedeutung umfaßt der Ausdruck auch die Vereine, die ganz die Beschaffenheit der römischen universitas haben, jetzt gewöhnlich copora genannt. Im engren Sinn versteht man unter Genossenschaft Vereine, welche zwischen einer societas und einer universitas stehen. Diese Genossenschaften sind etwas dem deutschen Recht Eigenthümliches und daher hier zu unterscheiden. Bei der universitas findet die Eigenthümlichkeit statt, daß neben den Personen welche die universitas bilden noch eine selbstständige juristische Person steht, abgesehen von den einzelnen Mitgliedern derselben. Daraus folgt, daß als solche, die universitas berechtigt und verpflichtet ist. Eine societas fällt nach römischen Begriff gar nicht unter eine Einheit, jeder

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socius hat besondere Rechte und Pflichten.[80]Genossenschaften im engern Sinn sind namentlich die Zünfte und Gilden die Markgenossenschaften, die Familiengenossenschaften des hohen Adels, die Deichgenossenschaften, die Actienvereine, Versicherungsvereine, Vereine zu religiösen Zwecken. Alle diese Genossenschaften haben mit der eigentlichen Corporation gemein und unterscheiden sich von der römische societas dadurch (und stehen deshalb zwischen beiden Instituten in der Mitte) 1. Sie bilden eine Einheit, welche nicht auf dem Einzelwillen der Mitglieder beruht, sondern eine ideelle ist, welche mit allen ihren Rechten und Verbindlichkeiten fortbesteht, auch wenn die jetzigen Glieder alle fortgefallen sind. 2. Sie sind als Einheit vermögensfähig und handlungsfähig und bedürfen daher einer Vertretung durch welche sie besitzen und Besitz ergreifen können. 3. Sie haben Organe, Vorsteher und Genossenschaftsversammlungen in welchen sich der Wille der Gesamtheit ausspricht und zwar nicht als Summe von Einzelheiten, sondern in Mehrheitsbeschlüssen der ganzen Genossenschaft. 4. Der Verein allein erscheint in seinen oblgatorischen Verhältnissen als Einheit berechtigt und verpflichtet. (Die Genossenschaft ist als solche Contrahent, der Einzelne haftet, nur bis zu seinem persönlichen Einschuß z. B. bei Actiengesellschaften etc. 5. Der Verein wird nach außen als Einheit repräsentirt, namentlich bei Eingehung von Obligationen. Der Verein muß daher als solcher auch bei Processen[81]18 als berechtigt erscheinen, sich durch einen factor (syndicus) vertreten zu lassen. Die Genossenschaft bevollmächtigt diesen, nicht die Einzelnen. 6. Die einzelnen Glieder können nicht auf reelle Auseinandersetzung oder Theilung rechtlich klagen (wie es bei der römischen societas und communio) Auf der andren Seite unterscheiden sich diese Gesellschaften aber wieder von den eigentlichen Corporationen in Folgendem: 1. Die einzelnen Mitglieder haben Anspruch (nicht Eigenthum) auf das Vermögen. Dieser Anspruch wird aber erst bei der Auflösung wirksam, indem dann das Vermögen unter den einzelnen Mitglieder zu theilen ist (anders bei der römischen universitas, wo das Vermögen bonum vacans wird). Solange die Genossenschaft besteht, können die einzelnen Mitglieder keine Ansprüche geltend machen. 2. Der Organismus der Genossenschaft ist gewöhnlich nach Theilen berechnet, so daß der Eigenthümer von 1.  Gerechtigkeit eine Stimme, der von 2 Gerechtigkeiten 2 Stimmen – wenn 2 oder mehrere eine Gerechtigkeit zusammen haben, so haben die zusammen eine Stimme. 3. auch das ist eigenthümlich, daß die Theilrechte in der Regel vererbt und veräußert werden können (so z. B. bei den Actien.) 4. Die Gesamtheit darf die bestehende Theilungsrechte durch einen Mehrheitsbeschluß nicht aufheben.[82]Einwilligung der einzelnen Mitglieder. Übrigens ist beiden verschiedenen Corporationen bald das Sociale, bald das Corporative mehr vorherrschend. Besonders Gerber versucht indessen die deutsche Genossenschaft der römischen societas gleichzustellen aber flach! cf. Das preußische Landrecht § 13 und 14 doch besser im Österreichischen Gesetzbuch

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Unterschied zwischen Genossenschaft und Corporation.

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2. Teil: Edition der Vorlesungsnachschrift

B. Insbesondere § 80 I. Von den Zünften Unter einer Handwerkszunft, oder Handwerksgilde versteht man eine Genossenschaft von Gewerbetreibenden, deren Mitglieder zur kunstmäßigen Betreibung eines bestimmten Gewerbes berechtigt sind. Nach älterer Einrichtung ist diese Berechtigung immer eine ausschließliche und heißt dann Zunftzwang. Dieser bestand seiner Natur nach aber nur in dem Rechte, Unzünftige von der zunftmäßigen Betreibung des betreffenden Gewerbes auszuschließen, er geht aber an und für sich nicht gegen denjenigen, der bei einem Unzünftigen arbeiten läßt. Ebenso wenig kann die Zunft einem Unzünftigen untersagen, sich zu eigenem Gebrauch die Sachen zu verfertigen, wozu die Zunftgerechtigkeit ist, selbst, wenn man dies durch einen Dienstboten machen lassen wollte. Als Genossenschaften haben die Zünfte das Autonomierecht, Ausflüsse davon sind die Zunftstatuten[83]andre eigen­thüm­ liche Zunftrechtsquellen, sind etwaige Privilegien einzelner Zünfte oder auch die Verträge, die zwischen Zünften geschlossen werden. Ferner gehören hierhin die Zunftgebräuche. Die Privilegien heißen meistens Artikelbriefe. Jede Zunft besteht aus Meistern, Gesellen und Lehrburschen. Meister ist derjenige, welcher auf eigene Rechnung das bestimmte Gewerbe zu betreiben berechtigt ist. Lehrlinge und Gesellen halten darf und an den Zunftgerechtsamen als Stimmführer des Mitglied Antheil nimmt. Die Wittwen der Meister haben überall das Recht, das Gewerbe des Mannes bis zu ihrer Wiederverheirathung fort zu setzen. Um Meister zu werden muß der Gesell eine bestimmte in den Statuten vorgeschriebene Zeit als Gesell gearbeitet haben, auch muß er seine erlangte Geschicklichkeit durch Abfertigung eines Meisterstücks beweisen, über deren Fähigkeit die Zunft entscheidet. Gegen den Ausspruch der Zunft kann der sich Bewerbende sich jedoch an die Polizeibehörde wenden und Revision verlangen (Grdr. S. 184 N. 12). Gewöhnlich muß der Gesell der Meister werden will, auch eine gewisse Zeit gewandert haben. Zum Controlleur hierüber dient das Wanderbuch das der wandernde Gesell bei sich tragen muß. Bei Antretung der Wanderschaft erhält er ein Attestat von der betreffenden Zunft, daß er gehörig ausgelernt und sich bisher gut betragen habe, das ist die sog. Kundschaft s. Beweisstelle N. 11.[84]Wie lange ein Lehrling arbeiten muß, um Gesell zu werden hängt von den einzelnen Zünften und deren Statuten ab. Das Verhältnis der Gesellen und Lehrlinge zum Meister ist in dabei nach den Grundsätzen der locatio conductio operarum, sonst aber, wenn sie Kost und Wohnung im Hause des Meisters haben, so ist dies Verhältnis dem des Gesindes analog. Durch die Verhältnisse und Ansichten hat der Geist der Genossenschaften manche sehr schreiende Mißbräuche erregt, die zum Theil aufgehoben werden. Diese Mißbräuche suchte schon die Reichsgesetzgebung schon seit dem 16ten Jahrhundert zu steuern, noch ist es nicht ganz gelungen deshalb, und besonders wegen der neuen Theorien von Gewerbefreiheit, sind in mehreren Ländern die Zünfte ganz aufgehoben, in manchen passender nur der Zunftzwang. Wo nur der Zunftzwang aufgehoben ist, bestehen die Zünfte als Gewerbevereine fort. (cf. Grdr. N. 40).

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§ 80a Von den Markgenossenschaften Die Nutzungsberechtigten der eigentlichen Marken bildeten ursprünglich immer eine (Mark)genossenschaft die einzelnen Mitglieder führen den Namen „Märker“ oder „Erbexen“. Außer den in der Mark angesessenen Grundbesitzer haben häufig auch andre nicht in der Mark angesessenen ein Nutzungsrecht in der Mark, ein jus in re aliena – diese Personen heißen denn „Ausmärker“. Jede Markgenossenschaft hat ihre Vorsteher, Obermärker, oder Markrichter.[85]Auch heißt er Holzgraf oberster Erbexer etc. Ferner hält jede Mark Versammlungen darin Beschlüsse über die Markangelegenheiten zu machen. Durch das Autonomierecht der Markgenossenschaft besteht in jeder Mark ein besonderes Markrecht durch welche einestheils die Verhältnisse der Mitglieder gerecht in der Mark regulirt werden und Frevel an der Mark mit Strafe bedacht, cf. Grdr. S. 238 N. 50. Heutzutage haben sich die Markgenossenschaften fast überall verloren. Bis auf einige Markgenossenschaften in Westphalen. Früher aber spielten sie eine sehr bedeutende Rolle. § 81 III. Die Stiftungen Zu den juristischen Personen gehören auch die Stiftungen, sobald sie in jener Eigenschaft anerkannt werden. Stiftungen mit juristischer Persönlichkeit kommen schon bei den Römern vor besonders seit Annahme der christlichen Religion. Vorzüglich häufig sind sie aber erst im Mittelalter geworden. Schenkungen und Vermächtnisse wurden schon damals nicht blos der Kirche und kirchlichen Anstalten gemacht, sondern es wurden auf diesem Wege auch selbstständige Stiftungen geschaffen. Zugleich erhielten schon im Mittelalter die Stiftungen in Bezug auf ihre innere Bedeutung eine Erweiterung gegen das römische Recht. Im preußischen Recht erschienen die Stiftungen nur noch als Mittel die Armuth zu mildern. Diese Stiftungen stehen daher auch immer in einem Verhältniss zur Kirche und unter Oberaufsicht der kirchlichen Behörden. Andere[86]Stiftungen fanden wir im Justinianischen Recht nicht. Dagegen sind im Mittelalter auch auf die Befriedigung gewisser Bedürfe und gemeinnütziger Zwecke aller Art gerichtete Stiftungen hervorgegangen und immer mehr ausgebildet. Hiermit wurde auch das Verhältniss der Stiftungen zur Kirche beschränkt. In den neuern Zeiten haben aber auch selbst die auf das Armenwesen gerichteten Stiftungen eine andere Stellung zur Kirche angenommen als im Mittelalter. Seitdem bilden die frommen Stiftungen oder pia ­corpora nur eine Unterart der Stiftungen überhaupt. Mit der Ausdehnung der Stiftungen hat sich auch der Begriff derselben weiter ausgebildet, wie schon gesagt, doch sind die Begriffe bis auf die neuere Zeit sehr schwankend gewesen. Die materielle Grundlage einer Stiftung ist ein Vermögen, welches hingegeben ist, damit dessen Ertrag zu dem bestimmten Zwecke diene, und damit zu diesem Behufe eine juristische Person geschaffen werde. Die juristische Person ist aber nicht an das Vermögen geknüpft, sondern an die Anstalt, welche durch das Vermögen zu dem Fundationszweck errichtet wird. Das Rechtssubject dabei ist ein Unsicht­bares, es ist dies die der Stiftung innewohnende Idee, welche durch deren Vorstand nach dem Gesetze der Stiftungen repräsentirt wird. Daß nun diese Idee jedem Dritten im

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Staat gegenüber juristische Persönlichkeit haben kann durch bloßen Parteiwillen nicht bewirkt werden. Es bedarf daher stets zur Entstehung der juristischen Person der Stiftung die Genehmigung der Staatsgewalt, oder daß eine Stiftung der fraglichen Art schon eine allgemeine Rechtsregel im Staat für sich habe.[87]Demnach gehört zur Errichtung einer Stiftung 3erlei 1. Die Bezeichnung des Zwecks, ferner die Anweisung des nöthigen Vermögens (entweder in letztwilliger Verfügung oder durch Verfügung unter Lebenden). 2. Die Erwerbung der Eigenschaft als juristischer Person, meistens nur (s. ob.) durch Staatsgenehmigung. 3. Die Einsetzung der Verwaltung, welche die jur. Person repäsentirt. Das Rechtsverhältnis der Stiftung ist übrigens genau nach der Absicht des Stifters zu beurtheilen, wie es in der Urkunde ausgesprochen ist, das Rechtsverhältniss der Stiftung richtet sich nach den lex fundationis. Pia corpora genießen nach gemeinem (hier römischem) Recht gewisse Vorrechte, die meistens durch Particularrecht noch ausgedehnt sind. Als pia corpora können aber nur wohl­thätige Zwecke und Religion betreffende Stiftungen gerechnet werden. Das Particularrecht geht oft weiter. [88]Zweites Buch Das Sachenrecht Erstes Capitel. Verschiedene Arten von Sachen § 82 Unterschied zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen Der ältere deutsche Ausdruck für Vermögen ist „Haben“. Je nachdem diese Habe in beweglichen oder unbeweglichen Sachen besteht wird sie eingetheilt in fahrende oder liegende Habe. S. Grundriß. Andere Ausdrücke für das Vermögen bezeichnen im engeren Sinn auch ein Grundstück, weil diese immer den Hauptbestandtheil des Vermögens bildeten. Solche Ausdrücke sind namentlich „Erbe“ und „Alod“. Der Ausdruck das Erbe bezeichnet zunächst die Erbschaft, dann auch ein einzelnes Grundstück, einerlei ob vererbt oder nicht. Beweisstelle N. 37, N. 20. Der Ausdruck „Alod“ bezeichnet ursprünglich gleichfalls den Nachlaß einer Person; im späteren Recht wird der Ausdruck aber nur noch für ein zu wahrem Eigenthum bestehendes Grundstück gebraucht. Die Steuern brauchen diesen Ausdruck aber häufig für alles Nichtlehn, also auch auf bewegliche Sachen ausgedehnt. Gemeinrechtliche Abweichung vom römischen Recht. Der Unterschied zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen hat im deutschen Recht eine größere Wichtigkeit, als im römischen Recht. (Gemeinrechtliche Abweichung vom römischen Recht) Es gelten einmal im deutschen Recht über die unbeweglichen Sachen zum Theil ganz andere Grundsätze als über die bewegliche Sachen, z. B. bei Veräußerung, der Erbfolge etc. etc. Man kann und muß daher im deutschen Recht ein[89] Immobilien- und Mobiliarsachenrecht unterscheiden. Auch hat das deutsche Recht (anders wie das römische Recht) diesen Unterschied von beweglichen und unbeweglichen Sachen auch auf unkörperliche Sachen ausgedehnt. Bei körperlichen Sachen ist der Unterschied wie im römischen Recht. s. Beweisstelle N. 46 und 47 Nach manchen Particularrechten werden aber noch wenn ihrer Natur nach bewegliche Sachen in einzelne Beziehungen zu den Immobilien gerechnet so namentlich

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in Beziehung auf Erbfolge, Gütergemeinschaft, Cautionsleistung etc. s. Grdr. N. 49 in fine, N. 60. Auch nur im Particularrecht findet sich zuweilen die Regel: „Was die Fackel verzehrt, ist fahrende Habe.“ also alles was durch Feuer vernichtet werden kann. Wo diese Regel gilt, sind auch die Feldfrüchte, sowie Holzungen zu den beweglichen Sachen zu rechnen. Von den unkörperlichen Sachen, oder Rechten werden diejenigen nach dem Immobiliarsachenrecht behandelt, welche die Neueren „Realgerechtigkeiten“ nennen. Hierunter versteht man aber gewisse Gerechtsame, die bald an ein Grundstück geknüpft sind, bald als selbstständige Rechte vorkommen. Solche Gerechtsame sind die Jagd- und Fischereigerechtigkeiten, dann das Centrecht, dann das Recht auf andere Reallasten ferner das Recht der Rentenerhebung, ferner die Realgewerbegerechtigkeit (Zwangs- und Baurechte) dann namentlich das Patronatsrecht, ferner Patrimonialgerichtsbarkeit etc. Wenn nun diese Reallasten mit dem Besitz eines Grundstücks verknüpft sind, so unterscheiden sie sich[90]von den Prädialservituten doch dadurch, daß sie entweder das Eigenthum einer Anderen entweder gar nicht beschränken oder, daß sie wo dies der Fall ist, nicht wesentlich und zunächst den Vortheil des herrschenden Guts, sondern den Vortheil und die Annehmlichkeit der besitzenden Person bezwecken. Daher können diese Rechte auch von dem berechtigten Gute getrennt und auf ein anderes übertragen werden. Wenn diese Gerechtsame als selbstständige Rechte vorkommen, so liegt der Grund weshalb sie nach dem Imobiliarsachenrecht zu beurtheilen sind darin, daß sie sich auf ein Grundstück oder auf eine Gemeinde oder auch auf einen ganzen Bezirk beziehen. Nach manchen Particularrechten gehören aber auch noch andere Rechte bei denen Obiges nicht stattfindet zu den unbeweglichen Sachen. Nach Frankfurter Reformation nämlich gehören zu den unbeweglichen Sachen auch verpfändete Schulden, gleichwie ob das Pfand eine res mobilis oder immobilis ist; selbst andern Geldschulden gewöhnliche Forderungen auf Geld so lange sie noch nicht fällig sind, gehören zu den unbeweglichen Sachen (Grdr. g–k) Die neuern Gesetzbücher zählen unbedingt nur die mit einem Grundstück verbundenen Rechte zu den unbewegliche Sachen, bei andern fordern sie ausdrücklichen Beweis dieser Qualität. (Beweisstelle l und m).[91]19 § 83 II. Hauptsachen und Zubehörungen Die Begriffe von Hauptsachen und Pertinenz sind im Allgemeinen in Deutschland dieselben wie im römischen Recht, also Pertinenz ist immer ein juristischer Theil einer andern Sache. Pertinenzen von Grundstücken können sein, 1. bewegliche Sachen. Gewöhnlich rechnet man in Deutschland alle Sachen zu den Pertinenzen, welche erd-, wand-, band-, mauer-, niet-, und nagelfest ist; was also mechanisch mit dem Grundstück verbunden ist. (Grdr. N. 1 und 2) im Gegensatz zu einer organischen Verbindung (z. B. die Bäume im Walde sind nicht Pertinenz sondern Bestandtheil des Waldes). Die Römer legen auf diesen Unterschied kein bedeutendes Gewicht. Doch kann in Deutschland noch außer diesen mit der Hauptsache 19 a. mechanische Verbindung mit der Hauptsache; b. Bestimmung für die Hauptsache; c. überhaupt alles Inventar allein d. nach heutigem gemeinen Recht.

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mechanisch zusammenhängenden Anderes die Pertinenzqualität haben (cf. N. c) Das ältere deutsche Recht betrachtet auch das Gutsinventar als Zubehör der Landgüter. Auch die neueren Gesetzgebungen fassen dies als Regel auf (cf. N. a). Allein nach dem heutigen gemeinen Recht ist die Vermuthung für die Pertinenzqualität des Gutsinventars durchaus nicht. Dagegen muß man nicht die Pertinenzqualität behaupten für die Urkunden, Schriften, Acten, welche zur näheren Kenntniß eines Grundstücks oder zur Begründung seiner Gerechtsame dienen manche sind hier jedoch anderer Meinung cf. N. b)[92]2. unbewegliche Sachen, also andere Grundstücke hierher gehört a. der Fall, wenn ein Grundstück im engeren Sinn Pertinenz eines Hauses ist, z. B. ein Hofplatz, ein Garten. b. Grundstücke als Zubehörungen von Landgütern. In dem Sinn wie eine bewegliche Sache Theil einer unbeweglichen sein kann, kann wie ein Grundstück Theil einer andren Grundstücks sein. Bei einem Landgute ist daher jeder Theil auch Pertinenz. Nur durch die Bestimmung des Eigenthümers wird das eine Grundstück Theil des andern Grundstücks. Woraus läßt sich die Absicht des Eigenthümers erkennen? Dies ist zunächst eine quaestio facti und zwar oft schwierig zu beantworten. Die römischen Juristen geben, um die Pertinenzqualität zu ermitteln, ein allgemeines Merkmal an. Sie fragen: Hat der fundus einen Namen, so kommt es darauf an, ob der einzelne Acker mit unter diesen Namen fällt. l. 20 § 7 D. 33. 7 Dies läßt sich auch namentlich auf unsere Land- und Bauerngüter anwenden. Im Übrigen hängt die Pertinenzqualität durchaus von den Umständen ab. Folgende Momente waren von Wichtigkeit: 1. Wenn das fragliche Grundstück neben dem Hauptgrundstück in ein Buch (z. B. dem Lagebuch) zusammen verzeichnet ist, so liegt darin eine Vermuthung[93] der Pertinenzqualität. 2. Wenn das fragliche Grundstück mit einem andren lange Zeit ein und denselben Besitzer gehabt hat. 3. Wenn die verschiedenen Grundstücke zugleich erworben sind 4. Wenn das fragliche Grundstück mit dem Hauptgut in dieselben Grenzen eingeschlossen ist. An und für sich beweist aber keins dieser Momente die Pertinenzqualität völlig, also keine praesumtio. Das deutsche Recht weicht aber darin allerdings vom römischen Recht ab, daß es Privatdisposition durch Testament oder Gesetz auch dann Pertinenzen begründen lässt, wenn der Dienst für die Hauptsache nicht als ausschließliche Bestimmung der Pertinenz sein sollenden Sache erscheint. B. Auch unkörperliche Sachen oder Rechte, nämlich die obig genannten Realrechte, wo sie wie sie es als Realrechte auch müßen als selbstständige Gerechtsame vorkommen, können Pertinenzen sein. § 84 Anhang: Reunion der Pertinenzen In den neueren Zeiten ist in manchen Ländern die Herstellung der Güter, beson­ ders der Bauerngüter gesetzlich verboten. Wo solche Gesetze bestehen, dürfen dann Pertinenzen ohne obrigkeitliche Einwilligung von dem Hauptgute nicht abgetrennt werden. Oft wollen diese Gesetze auch nur, daß die Bauernhöfe einen gewissen Umfang behalten. (Beweisstelle N. 5)[94]Soweit dieser bestimmte Umfang reicht, heißt das Gut ein geschlossenes Gut. Die Nebenstücke die von dem geschlossenen Gut getrennt werden dürfen, nennt man fliegendes Gut oder walzende

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Grundstücke. Hier und da dürfen auch in den Städten die zu einem Bürgerhause gehörenden Pertinenzen von demselben nicht getrennt werden (Beweisstelle 1.a.) ferner N. 9. Die Gründe solches Verbots sind: 1. Vortheil der Landwirthschaft und Erhaltung der Landfamilien. 2. es ist als nothwendig für die Steuerverfassung gehalten, die Veräußerung von Pertinenzen unter die unmittelbare Staatsaufsicht zu stellen. (Beweisstelle N. 8). Es sind als jene Verbote immer juris publici und dürfen daher durch Privathandlung nicht abgeändert worden. Hieraus folgt, daß wenn eine Veräußerung gegen dies Verbot geschieht, durchaus keine bindende, sondern nur auflösende Folgen haben kann. Also a. der Contract ist nicht bindend. Die Nichtigkeit dauert fort bis zur obrigkeitlichen Einwilligung b. Ist die traditio schon geschehen, so ist dadurch keineswegs Eigenthum übergegangen. Also alle Pertinenzen des Hauptguts bleiben dem Eigenthümer solange, als er das Hauptgut noch nicht veräußert hat, dann geht das Hauptgut[95]20 unbedingt mit allen Pertinenzen auf den successor über. Mithin hat jeder Eigenthümer des Hauptguts die Eigenthümerklage auch in Bezug auf die Pertinenzen auch der Verkäufer und dessen Erben. Diese Klage kann gegen jeden Besitzer der Pertinenz auch natürlich gegen den Käufer und Erben angestellt werden. In unserer gerichtlichen Observanz wird die Klage gewöhnlich genannt: Reunionsklage, Recuperationsklage, Revocationklage, doch ist es eine gewöhnliche rei vindicatio. Allerdings wird aber die rei vindicatio hier durch die eigenthümliche Natur des Rechtsverhältnisses hier modificirt. Doch das versteht sich auch nach römischem Recht von selbst. Die hauptsächlichste Modification besteht darin, daß ihr keine Einrede entgegensteht, welche die Rückgabe der Sache verhindern könnte. Denn die Zulassung einer solchen Einrede würde den Zweck des Gesetzes verhindern. Daher sind hier unzulässig: die exc. doli, die exc rei venditae et traditae, die Einrede des Vergleichs, der Entsagung und sof. Jedoch versteht es sich von selbst, daß wenn der Verkäufer und dessen Erben selbst vindiciren, sie dem Käufer das pretium und die Melioratioren ersetzen. Doch kann das nicht im Wege einer wirklichen Einrede geltend gemacht werden – sondern Widerklage. Analog ist im römischen Recht der Fall der Ver­ äußerung des fundus dotalis durch den Mann – quod. vide. arg. l. 31 § 2 D de don. inta vid et us 24. 1[96]Wie ist es mit der Verjährung? Die Usucapion kann hier der Consequenz nach nicht stattfinden, weil sie eine species alienationis ist, die Ver­ äußerung aber überall nicht stattfinden soll. l. 28 pr. D. de verb. sign. Auch eine Klagverjährung müssen wir hier für unzulässig halten, weil diese auch der Absicht des Gesetzes zuwider ist. Nach manchen Landesgesetzen tritt bei der Reunion der Pertinenzen ein richterliches Verfahren ex officio ein. § 85 III. Sachen in und außer Verkehr Auch in Deutschland kommt diese Eintheilung vor, nur mit anderer Bedeutung. Es können zwar auch hier Privatpersonen an Sachen außer Verkehr kein Privat­ eigenthum erlangen, der Erwerb anderer Rechte daran ist aber damit nicht aus 20 Si rei mori alem donancit et etor in ex intula aedificaraits la incrula sine dubio maliti est eam inpenram emlierene cervatem pelacet ei matur vindicit inculam retentionem impenrae muliaem facturom.

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geschlossen (z. B. Weiderecht an Deichen etc.) die Sachen, die als außer Verkehr angesehen werden, sind zum Theil Arten von Kirchensachen, theils öffentliche Sachen. Den Ausdruck öffentliche Sachen 2fache Bedeutung 1. solche Sachen, welche sich im Eigenthum des Staats befinden, deren Gebrauch aber die den Staatsbürgern gestattet ist. Dies gilt von den römischen res publicae und res communes. Dahin gehören die Land- und Heerstraßen, die öffentlichen Flüsse, die Häfen und die Meeresufer. 2. die Sachen, welche sich im Staatseigenthum an-[97]drer Art stehen, daß die einzelnen von dem Gebrauch ausgeschlossen sind und sie lediglich zum Nutzen des Staats dienen. Dies gilt von den römischen patrimonien p­ opuli und den Sachen des Fiscus. Dahin gehören die Staatsgebäude, die Domänen soweit sie nicht Eigenthum des Landesherrn sind, die Staatswaldungen, die säcularisirten Kirchengüter, der Kirchenschatz und sofort. Die erste Art von öffentlichen Gütern ward gewöhnlich genannt, öffentliche Sachen im engeren Sinn, die letztere Art sind die eigentlichen Staatsgüter. Zweites Capitel Rechte an Sachen I. Geschichtliche Einleitung A. Altdeutsches System § 86–§ 90 Auch das ältere deutsche Recht hat schon den Begriff des Eigenthums als der vollständigen rechtlichen Herrschaft einer Person über eine Sache. Das ältere deutsche Recht hat aber für diesen Begriff keinen Kunstausdruck, ebensowenig wie das ältere römische Recht zur Bezeichnung des bloßen faktischen Innehabens bedient sich das deutsche Recht des Ausdrucks „Gewere oder Ware“ Dieser Ausdruck wird auch auf die Sachen gesprochen welche den unbeweglichen gleich geachtet werden. Zuweilen wird der Ausdruck Gewere auch von einem Rechte gebraucht, welches Jemand an einer Sache hat, die er nicht besitzt. Dieser Umstand hat zu vielen Streitigkeiten über den Begriff der Gewere gegeben, bes. durch Albrecht[98] Indessen diese Streitigkeiten gehören in die Rechtsgeschichte, denn im heutigen Recht kommt das Gewere nicht mehr vor. Vielmehr sind an die Stelle dieses altdeutschen Instituts die Rechtsregeln des römischen und kanonischen Rechts über Besitz und Quasibesitz getreten. Die einzelnen im Eigenthum enthaltenen Rechte sind das unbeschränkte Nutzungsrecht, das Vindicationsrecht und das Veräußerungsrecht. Das Benutzungsrecht zeigt sich im deutschen Recht von weit größerer Bedeutung als im römischen Recht. Da überhaupt das Eigenthum an einem Grundstück anders als eines an beweglichen Sachen ist, so hat man in neuerer Zeit das Eigenthum an einem Grundstück echtes Eigenthum genannt. Das Nutzungsrecht des ­echten Eigen­thü­mers umfasst alle Nutzungen, welche nur irgend an Grund und Boden möglich sind. Daher gehören ihm vor allem alle Früchte des Landes, ferner aber auch alles Wild welches sich im Umkreise seines Landes aufhält, insofern als er solches vor allen andern occupiren kann (anders nach römischem Recht wo Jeder es occupiren konnte). Ein gleiches Recht hat der echte Eigenthümer in Bezug auf alle Gegenstände, welche sich unter der Oberfläche der Erde befinden, so alle Mineralien oder Fossilien; ebenso hat er auch im Recht in Beziehung auf alles, was in die Luftsäule seines Grundstücks kommt, insofern er ausschließlich occupiren

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kann. Das ausgedehnte Nutzungsrecht des echten Eigenthümers wurde aber schon im Mittelalter durch das Entstehen[99]der Regalen (königliche Rechte am Privatgrundstück) beschränkt. Diese erhielten seit Reception des römischen Rechts einen viel weiteren Umfang, das ging fort bis zum vorigen Jahrhundert (cf. § 91 N. 1). Nur bei den Besitzungen des hohen Adels und zum Theil auch bei denen des niedern Adels und der städtischen Grundstücke blieb der Charakter des echten Eigen­ thums in dieser Beziehung meistens so wie früher. Daraus erklärt sich namentlich daß während in Bezug auf die Besitzungen der Bauer­güter das Jagdrecht meistens Regal geworden, der niedere Adel oft noch das Jagdrecht auf seinem Grund und Boden hat. In Beziehung auf die Vindication unbeweglicher Sachen gehören die Grundsätze lediglich in die Rechtsgeschichte. Von den Eigenthümlichkeiten des alten Deutschen Rechts bei der vindicatio der beweglichen Sachen haben sich noch Überblaibsel erhalten cf. § 108. Die Veräußerung unbeweglicher Sachen des echten Eigenthümers mußte im Mittelalter immer vor Gericht geschehen oder sonst öffentlich vor dem gerichtlichen Hofrath. Man nennt sie im Allgemeinen gerichtliche Auflassung des Veräußerungsrechts war aber in der Ausübung beschränkt durch die Rechte der nächsten Erben des Eigenthümers. Hinsichtlich der beweglichen Sachen zeigte sich diese Beschränkung nur von Veräußerung von Todeswegen wichtig. Bei unbeweglichen Sachen dagegen trat diese Beschränkung[100]auch ein bei Veräußerung unter Lebenden. Veräußerte der Eigenthümer ohne Einwilligung seiner nächsten Erben, so war die Veräußerung nicht bloß nichtig, sondern es konnten die Erben das veräußerte Grundstück von Jedermann vindiciren, als ob der Veräußerer schon gestorben wäre (cf. § 89 N. 7) Eine Ausnahme von diesem strengen Recht trat nur dann ein wenn der Eigner in Noth war, wozu besonders die Insolvenz gehörte. War der Eigenthümer in Noth, so konnte er nämlich verlangen, daß seine nächsten Erben ihn entweder aus der Noth retten, oder er durfte sein Grundstück frei veräußern (cf. § 89 Beweisstelle). Die Strenge des Rechts der nächsten Erben nahm immer mehr ab. Schon vor Eindringen des römischen Rechts war es beschränkt auf Erbgüter oder Stammgüter d. h. solche unbeweglichen Güter welche der Besitzer durch Intestaterbfolge erworben. Alles andere Vermögen wurde im Gegensatz der Erbgüter bezeichnet mit dem Ausdruck „wohlgewonnenes Gut“ Dieses wohlgewonnene Gut konnte der Besitzer frei veräußern. Später erlitt das Recht der nächsten Erben noch mehrere Beschränkungen allmählich ist es in seiner Allgemeinheit ganz untergegangen, so daß heutzutage der römische Grundsatz gilt. Particularrechtlich finden sich doch noch Überreste davon bei den Stammgütern des hohen Adels (nicht zu verwechseln mit den Familienfideicommissen). [101]Ferner auch zuweilen bei den Stammgütern des niedern Adels, auch in wenigen Städten bei den dort vorkommenden Erbgütern. Übrigens war aber die Einwilligung der nächsten Erben nicht blos bei der totalen Veräußerung erforderlich, sondern auch bei der Einräumung eines dinglichen Rechts an der Sache. Der echte Eigenthümer konnte sein Eigenthum nicht blos durch Stellvertreter ausüben, sondern auch unbeschadet seines Eigenthums anderen davon ein selbstständiges Recht einräumen. Bei diesen jure in re aliena weicht das deutsche Recht vom römischen Recht darin ab, daß es die römische Rregel nicht kennt. Daß durch jure re aliena

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das Eigenthum nur in soweit beschränkt werden dürfe als das Interesse des Eigen­ thümers dadurch nicht ganz an der Sache aufgehoben werde. Das deutsche Recht kennt eigentlich nur Servituten. Besonders durch die Tradialservituten wird im römischen Recht dem Eigenthümer einmal die Nutzung ganz entzogen, wohl freilich beim usus fructus als persönliche Servitut – Im deutschen Recht ist es anders, da wurden durch jura in re aliena dem Eigenthümer oft das Interesse an der Sache vollständig entzogen. Da zugleich das im echten Eigenthum enthaltene Nutzungsrecht von dem größten Umfang ist, so konnte das Recht, welches der echte Eigenthümer einem Andern an seinem Eigenthm einräumte sehr groß sein. [102]§ 91 Änderungen Mit dem römischen Recht sind auch dessen Formen für die dinglichen Rechte in Deutschland recipirt, doch haben sich daneben noch manche deutschrechtliche Formen von dinglichen Rechten erhalten. Auch haben alle Gerechtsamen, welche im älteren Recht als Immobilien betrachtet wurden, noch heutzutage einen dinglichen Character behalten. Dahin gehören namentlich die Regalien, die Reallasten, die Bannrechte und Zwangsgerechtigkeiten. Diese Gerechtsame kommen noch heutzutage sämtlich als Pertinenzen von Grundstücken vor – und sind in der Regel noch gegen ein bestimmtes Grundstück gerichtet. Allein weder das Eine noch das Andere ist nothwendig. Die Dinglichkeit dieser Realrechte zeigt sich in folgendem: 1. Sie sind nach kanonischem Recht Gegenstände des Quasibesitzes. Ebendrum sind sie auch 2. Gegenstände der Acquisitionsverjährung. 3. Sie können mit dinglichen Klagen verfolgt werden (act. confessoria utilis und negator. u­ tilis – doch nicht Eigenthumsklagen im eigentlichen Sinn.) 4. Wo die gerichtliche Auflassung oder ein Surrogat derselben zu Übertragung des Eigenthums an einem Grundstück noch erforderlich ist, können auch diese Gerechtsame nur durch rein gerichtlichen Act geschehen. 5. Alle diese Rechte können zu Lehn gegeben[103]werden II. Heutiges Recht Erster Abschnitt: Vom Eigenthum § 92 A. Im Allgemeinen Unser heutige Ausdruck „Eigenthum“ hat von jeher, seitdem damit ein Recht bezeichnet wird, eine engere und eine weitere Bedeutung gehabt. In der engeren Bedeutung bezeichnet er die vollkommene rechtliche Herrschaft einer Person über eine Sache, das römische dominiren. In weiterer Bedeutung wird er gleich bedeutend gebraucht mit „Zuständigkeit“[gebraucht], daher nicht blos von Eigenthum an dinglichen Rechten aller Art gebraucht (Eigenthum an Servituten am Pfandrecht an Realrechten, an Patronatsrechten) sondern auch von Eigenthum an Forderungen. Im Ganzen gelten sonst die Grundsätze des römischen Rechts. § 97 B. Von dem getrennten Eigenthum Die Rechte welche Dritten neben dem Eigenthum an einem Grundstück haben können, sind in Deutschland so umfangreich, daß die römisch gebildeten Juristen sie nicht unter die Form der jura in re aliena zu bringen wussten, so namentlich beim Recht des Vasallen. Die Juristen betrachten daher ein solches Recht als ein

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analoges Eigenthum zur Bezeichnung desselben bedienen sie sich des Ausdrucks dominium utile: Untereigenthum. Im Gegensatz daran nann-[104]ten sie das Recht welches der echte Eigenthümer trotzdem noch an dem Grundstück hat, dominium directum oder Obereigenthum. Nach der Ansicht der Glossatoren hatten die Vasallen und die Bauern etc. die solches abgeleitetes Eigenthum hatten, eine utilis rei vindicatio deshalb der Namen dominium utile. Später verband man aber mit dem Ausdruck dominium utile den Begriff, daß mit der rei vindicatio utilis ein vollständiges Nutzungsrecht mit Ausschluß des Eigenthümers verbunden war. Dies ganze Verhältnis wo der Eine die Proprietät oder Untereigenthum – der Andre das Dominium oder Obereigenthum hat, nannte man getheiltes Eigenthum. Alle diese Kunstausdrücke beruhen freilich auf einem Irrthum, denn das Eigenthum ist ein jus infinitum, und deshalb ist keine solche Theilung möglich. Allein die Ausdrücke haben sich in unserer juristischen Kunst- und Gesetzsprache so fest eingewurzelt, daß sie schwer zu verdrängen sind, besonders weil bis jetzt noch kein passender Ausdruck für das sog. dominium utile vorhanden ist. Auch dieser Sprachgebrauch in der That unschädlich wenn man nur die Begriffe dominium utile und directus gehörig feststellt. Man muß nämlich den Begriff vom dominium utile darin setzen, daß ein jus alienam von besondren Eigenthümlichkeiten, bei welchen das Nutzungsrecht mit Proprietätsrechten verbunden ist. (s. Beweisstelle N. 13, 14, 15, 16 etc.) Der Begriff des dominium directus besteht[105]darin, daß es alle Eigenthumsrechte umfaßt, soweit sie nicht auf den dominus utilis übertragen sind. Das Einzelne bei den einzelnen Instituten. Dagegen ist für den dominus directus in Bezug auf alle Proprietätsrechte immer noch die Vermuthung. Das Obereigenthum zeigt sich immer darin wirksam, daß unter gewissen Voraussetzungen das dominium utile immer wieder an den Obereigenthümer zurückfällt. Solche Vereinigung nennt man Consolidation. Umgekehrt kann es aber auch vorkommen, daß die Vereinigung auch in der Person des Untereigenthümers geschieht – Appropriation, wo also der Untereigenthümer auch das Obereigenthum gewinnt. Meistens ist mit dem Obereigenthümer das Recht verbunden gewisse Prästationen vom dominus utilis zu erlangen, doch ist dies in consec. sehr verschieden. In den neueren Zeiten ist in vielen Ländern besonders Gesetze des Obereigenthum für ablösbar erklärt worden. Wo nun dies geschehen ist, darf durch Privathandlungen es nicht mehr neu wieder begründet werden (Beweisstelle b und c) § 94 C. Vom Gesamteigenthum Das römische Recht kennt ein Eigenthum mehrerer Personen an einer und derselben Sache nur in 2 Form[sic], nämlich 1. als Miteigenthum mit ideellen Theilen der Einzelnen.[106]2. als Eigenthum einer durch Vereinigung Mehrerer errichteten juristischen Person, Corporation. In Deutschland kommen aber Verhältnisse vor, wo mehrere Personen Eigenthümer einer Sache dergestalt sind, oder doch zu sein scheinen, daß die älteren Juristen glaubten, die mehreren Eigenthümer weder unter den Begriff einer juristischen Person bringen, noch sie als bloßen condomini betrachten zu können. Sie nahmen daher hier ein dominium plurium in salidem an, Gesamteigenthum (cf. Beweisstelle N. 71) Verhältnisse dieser Art sind

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1.  die eigentlichen Gemeindegüter oder Almenden, sobald den einzelnen Gemeindemitgliedern ein freies Benutzungsrecht zusteht. 2. die eigentlichen Marken 3. die sog. Ganerbschaften. Hierunter versteht man überhaupt eine dauernde Verbindung mehrerer Personen oder mehrerer Familien, zu dem Zweck ein Grundstück mit seinen Pertinenzen gemeinschaftlich zu benutzen und zu vertreten. Die Veranlassung sehr verschieden, gemeinschaftlicher Anfall einer Erbschaft, oder gemeinschaftliche Erbauung einer Burg, gemeinschaftliche Eroberung einer Burg, oder eine Erbverbrüderung. 4. Die deutsche Gesamtbelehnung und Belehnung zur Gesamten Hand.[107]5. gewisse Arten der ehelichen Gütergemeinschaft und der fortgesetzten ehelichen Gütergemeinschaft. Die Annahme eines condominium plurium in solidum in diesen Fällen rechtfertigten die älteren Juristen mit der Behauptung, daß die Vermehrung desselben im römischen Recht eine bloße Subtilität sei und solche Subtilitäten recipire man nicht im deutschen Recht. Allein die Unzulässigkeit eines condominium plurium in solidum folgt schon aus dem Begriff des Eigen­thums überhaupt. (cf. Hasse Revision etc. s. § 94 ob.) Dieser Begriff vom Eigenthum ist aber nicht blos in Deutschland recipirt sondern er stimmt auch mit den Ansichten des älteren deutschen Rechs überein. Daher kann man in Deutschland ebensowenig wie im römischen Recht ein condominium plurium in solidum nicht anerkennen. Beseler hat zwar ein solches zu vertheidigen gesucht. In vollem Gegensatz gegen diese ältere Ansicht steht die von Duncker „das Gesamteigenthum“ Duncker leugnet das Vorkommen eigenthümlicher Verhältnisse bei den genannten Fällen ganz ab, und sucht die obigen Fälle in eine wahres condominium im römischen Sinn des Wortes aufzulösen. Kraut beliebt diese Ansicht nicht: allein von einem römischen condominium unterscheidet sich das deutschrechtliche Gesamtheigenthum: 1.  bei den meisten dieser Verhältnisse oft einzelne Berechtigte keinen aliquoten Theil hat, über[108]er ausschließlich verfügen kann. Das wird besonders deutlich, wenn die Zahl der Berechtigten nicht genau abgeschlossen ist. 2. dadurch, daß keinem Einzelnen das Recht zusteht auf Theilung zu dringen und seinen Theil herauszunehmen. 3. darin, daß bei diesem Verhältnis nicht der Grundsatz gilt, daß jeder Miteigenthümer jede positive Einwirkung jedes der anderen condomini durch seine Einsprache hindern kann, vielmehr muß auch hier der Einzelne sich den Anordnungen fügen, welche die Gesamtheit auf verfassungsmäßigem Wege trifft. 4. daß die Rechte der Einzelnen nicht blos Quantität, sondern häufig auch qualitativ verscheiden sein können. 5. wenn beim römischen condominium ein Miteigenthümer wegfällt, so wächst sein Theil nicht dem anderen zu, bei den genannten Verhältnissen aber kann zwar auch von einem eigent­ lichen Anwachsen des eröffneten Theils für die anderen die Rede sein. Wenn aber ein Berechtigter wegfällt, so werden die übrigen nicht durch ihn mehr beschränkt. 6. Unterscheidung auch darin, daß bei den Gemeindegütern und Marken, die Berechtigung als Pertinenz auch meistens an die einzelnen Höfe und Grundstücke gebunden ist.[109]Der Streit, wie in den erwähnten Fällen das Eigenthum an den erwähnten Sachen zu zuschreiben sei, läßt sich nur entscheiden, wenn wir die einzelnen Fälle näher durchgehen. Über das Verhältnis der Ehegatten zum ehelichen Gütergemeinschaft siehe Eherecht. Wegen der Nutzung der Gemeindeglieder an

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denselben flgd. §. Auch bei den Marken ist die juristische Person der Markgenossenschaft das berechtigte Subject, und die einzelnen Rechte sind jure in re aliena. Ebenso ist es bei den Gewerkschaften. Zuweilen ist aber in späteren Zeiten durch die Einwirkung des römischen Rechts das Verhältnis der Gewerbe und Mark­ genos­sen in ein condominium übergegangen. Über das Verhältnis der Gesamt­ belehn­ten etc. s. § 237 § 95 Von dem Eigenthum an den Gemeindegütern und deren Theilung insbesondere Daß das eigentliche Gemeindevermögen patrimonium universitates Eigenthum der Gemeinde als juristischer Person sei, ist unbestritten. Dagegen ist viel Streit über die Frage, wer als Eigenthümer der res universitatis, der Almenden zu betrachten sei. Seit Einführung des römischen Rechts hat man diese Güter häufig als im Eigenthum der Gemeinde als juristische Person stehend betrachtet. Die Nutzungsrechte der Einzelnen waren dann nach römischem Recht entweder Servituten oder Forderungsrechte. Gegen diese Ansicht ist eingewandt, daß[110]diese Nutzungsrechte ursprünglich immer als Pertinenzen der einzelnen Höfe in Deutschland betrachtet seien und daß sich zwar nicht erkennen lasse, daß man im älteren Recht das Recht der Einzelnen an der Almende von dem Eigenthum an den verschiedenen Höfen verschiedenes Recht betrachtet habe. Man will daher mit ­Andren die Almenden als ungetheilte Nutzungsgüter der einzelnen Berechtigten betrachten. cf. Grdr. a. Allein auch dies ist nicht richtig. Vielmehr hat von jeher neben den Rechten des Einzelnen auch das Recht der Gesamtheit an der ­Almende sich geltend gemacht. Wie die Nutzungsberechtigten jetzt eine eigent­liche Genossenschaft in der Gemeinde bilden, ist es eine reine quaest. facti, ob blos diese Genossenschaft oder fortwährend die ganze Gemeinde als Eigenthümerin der ­Almende anzusehen sei. cf Grdr. c. Wenn die Gemeinde Eigenthümer ist, so hat die berechtigte Genossenschaft ein jus in re aliena. Aber auch wenn die Genossenschaft als Eigenthümerin zu betrachten ist, so bildet sie als Eigenthümerin eine juristische Person. Wenn aber alle Gemeindeglieder die Almende zu benutzen haben, so leidet es gar keinen Zweifel, daß die Gemeinde die Eigenthümerin ist. Also das Eigen­thum gehört der juristischen Person. Damit ist aber die Ansicht der Juristen von einer Servitut der Einzelnen nicht berechtigt. Die Berechtigung der Einzelnen an der Almende als Praedialservitut anzusehen ist schon deshalb unrichtig,[111] weil es hier oft genug an einem praed. dominans fehlen würde, oder doch an einem solchen, welcher Vortheil von der Nutzung hat. (so wenn allen Gemeindegliedern die Nutzung zusteht, haben Einzelne kein praed. dominans – ferner wenn städtischen Bürgern eine Waidegerechtigkeit ist, so kann man doch nicht sagen dem Grundstück des Bürgers seinem Hause gereiche es zum Vortheil.) Viele halten deshalb die Berechtigung, als Praedialservitut also meistens usus fructus. Hiermit würde aber nicht in Einklang bringen lassen, daß diese Berechtigung meistens mit einem Grundstück verknüpft ist und regelmäßig mit dem Tod des gegenwärtigen Inhabers nicht untergeht selbst wenn es gar nicht mit dem Grundstück verbunden ist. Sodann würde auf beide Arten von Servituten auch die oft zulässige freie Veräußerlichkeit im Widerspruch stehen. Noch unzuläßiger ist die Ansicht von einem

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bloßen Forderungsrecht. Vielmehr sind jene Berechtigungen auf die Almende jura in re aliena von eigenthümlich deutschrechtlicher Natur. Dabei läßt sich allerdings nicht erkennen, daß dieselben in einzelnen Pandecten den Servituten analog beurtheilt werden können (cf. unten) Immer hat sich aber bei diesen Berechtigungen ein Überrecht des alten Verhältnisses darin erhalten, daß die Nutzungsrechte[112] aller als eine Einheit in der Weise betrachtet werden, daß durch Wegfall des Nutzungsrechts der Einzelnen die der Andren vergrößert wird (nach der Natur der Sache) Die Erfahrung zeigt, daß durch gemeinschaftliche Benutzung der Almende viele verwickelte Streitigkeiten entstehen, ferner daß dadurch die Bodencultur sehr gehemmt wird. Daher strebt die neuere Zeit allgemein dahin, die Gemeinschaft aufzuheben und die Gemeindeglieder unter die einzelnen zu theilen. Hier fragt es sich, auf welche Weise kann die Verwandlung der Gemeindegüter in Sondereigenthum bewerkstelligt werden? (dies hat schon vielen Streit hervorgebracht) In einer solchen Verwandlung liegt in der That eine Veräußerung, in dem dadurch die Person des Eigenthümers verändert wird. Diese kann aber, wenn nicht alle Gemeindeglieder oder ein gleiches Nutzungsrecht haben, nur mit Einstimmung aller Berechtigten vor sich gehen (denn Jeder hat hier ein wohlerworbenes Recht einer gewissen Art) besonders wo qualitative Verschiedenheit der Nutzungen stattfindet. Da nun aber Stimmeneinheit schwer zu bewerkstelligen ist und die Vertheilung der Gemeindegüter an die Einzelnen aus öffentlichen Gründen rathsam, so haben[113] die Staaten durch Gemeinschaftstheilungsordnungen die Theilung zu befördern gesucht, das älteste ist die von Lüneburg 1802. Durch diese Gesetze ist häufig der Stimmenmehrheit das Recht beigelegt, Theilung zu beschließen, obwohl das sonst mit dem jure quaesita der Einzelnen streitet. Häufig aber legen die Gesetze schon der Stimmengleichheit Recht bei, ja einzelne Gesetze gestatten schon einzelnen Befugten aus der Gemeinheit auszutreten und seinen Theil zu fordern. (cf. Grdr. N. 3) Die Ausführung der beschlossenen Theilung ist an sich ein bloßes Privat­ geschäft und erfordert nur eine Genehmigung des Staats, weil eine Veräußerung in der Theilung liegt. (Hier geht man nach dem System des aktuellen Viehstandes und der Berechtigung). Die Gemeinheitstheilung kann sein: 1.  allgemeine Gemeinheitsaufhebung oder Generaltheilung. Hier werden die mehreren Gemeinden gemeinschaftlichen Marken vorerst unter die einzelnen Gemeinden getheilt und dann 2. die specielle Gemeindetheilung. Weil hier gewöhnlich abgeschiedene Theile in Koppeln oder Schläge gelegt werden, so nennt man sie auch „Verkoppelung“[114] Nicht selten wird die Specialtheilung verbunden mit einer Zusammenlegung der Grundstücke der einzelnen Gemeindeglieder. Dies auch aus Nützlichkeitsrücksicht. Dadurch werden z. B. eine Menge Realservituten (besonders Wegegerechtigkeiten) aufgehoben. Letzteres ist die Verkoppelung im eigentlichen Sinn. Hierbei ist es meistens nicht nöthig, daß Jeder gerade die Grundstücke, die früher sein waren wiederbekommt. In diesem Fall kann der Staat des öffentlichen Wohls wegen die Einzelnen zum Ländertausch zwingen. Doch darf für Land nicht Geld gegeben werden, nur kleine Ausgleichungen können mit Geld geschehen. Bei der Special­ theilung und Verkoppelung im engeren Sinn ist es meistens auch Absicht, daß alles den Einzelnen nun zugewiesene Land in ihr Eigenthum übergehen soll, dies

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auch besonders um eine höhere Bodenkultur zu bezwecken. Daher pflegen hierbei häufig auch die hypothekarischen Rechte die gutsherrlichen Lasten und Servituten Anderer abgelöst zu werden, so daß Jeder das freie Eigenthum bekommt. Erwerb des Eigenthums § 96 Im Allgemeinen Über den Erwerb des Eigenthums entscheidet heutzutage meistens das römische Recht doch haben sich neben demselben noch mehrere deutschrechtliche Eigen­thüm­lich­keiten[115]gemeinrechtlich oder particularrechtlich erhalten. Hierher gehört: 1. die gerichtliche Auflassung oder dessen Surrogat bei Verkauf von Grund­stücken (97 und 98) 2. die in manchen Particularrechten sich findende eigen­thüm­liche Verjährung (99 und 100) 3.  Gewisse Eigenheiten welche daraus ent­springen, daß das Eigenthum von Grund und Boden, auch das Eigenthum an der Luft­säule hat, und das ausschließliche Occupationsrecht an allen auf und unter dem Boden befindlichem herrenlosen Gut hat. Erhalten hat sich von diesem Grundsatz: a. daß der Nachbar noch die von des Nachbaren Grundstück herüber hängenden Zweige ganz abhauen darf und daß die herüberfallenden Früchte ihm gehören (cf. Beweisstelle 13) b. gemeinrechtliche Abweichungen vom römischen Recht in Bezug auf die Eigenthumsvererbung von Wild, Vögeln und Fischen hieran § 108–111. c. Eigenthümlichkeiten in Bezug auf den Erwerb von Bienen. Nach römischem Recht gehört ein wegfliegender Bienenschwarm nur so lange er in ­conspectu meo ist. Das deutsche Recht läßt meistens eine bedingte vindication zu und andere Rechte dagegen haben den Grundsatz, daß die Bienen von ihrem Eigen­ thümer auf fremden Grund und Boden gar nicht[116]vindiciren können, sondern daß der Eigenthümer des Grunds und Bodens wo der Bienenschwarm sich setzt denselben ausschließlich occupiren kann (Beweisstelle N. 21) Diese verschiedenen Grundsätze haben sich noch heutzutage in mehreren Particularrechten erhalten (Hannover Laatzen etc.) d. In älteren Zeiten galt der Grundsatz daß ein Ufereigenthümer sich der gestrandeten Güter und Personen als herrenlose Güter bemächtigen durfte. Das Recht hieß an den Seeküsten das Strandrecht, bei Flußufern Grunduferrecht es wurde aber schon im Mittelalter durch die Reichsgesetzgebung aufgehoben, doch dessen ungeachtet, noch oft ausgeübt (s. N. 25). Ein Überbleibsel des Strandrechts ist der noch in manchen Gegenden geltende Grundsatz, daß die Küstenbewohner einen Theil von dem durch ihre Thätigkeit Geborgenen einen Theil als Bergelohn erhalten. Übrigens bleiben aber die gestrandeten Sachen überall dem Eigenthümer. Wenn er sich aber binnen einer gewissen Zeit nicht meldet, so fällt dasselbe nach Abzug des Bergelohns an den Fiscus (s. N. 26). e. gemeinrechtliche Abweichungen vom römischen Recht beim Erwerb von Mineralien und Fossilien davon s. § 115 4. Eigenheiten in Beziehung auf den Fruchterwerb von Grundstücken. Hier hat das ältere[117]deutsche Recht die Grundsätze, daß dem Inhaber eines jus in re aliena die Früchte von dem Augenblick an gehören, wo er die meiste Arbeit für die Gewinnung der Früchte gethan hat, ist. Hierauf bezieht sich das Sprichwort: Wer säet der mähet, s. Beweisstelle N. 2 a und b, „des Mannes Saat“ N. 5. Dieser Grund-

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satz hat sich auch noch heutzutage bei deutschrechtlichen Instituten noch oft erhalten. s. bes. Heimbach, „Lehen von der Frucht“. 5. In Beziehung auf das Finden von Schätzen wird heutzutage das römische Recht als gemeines Recht angewandt. Nach dem Recht des Mittelalters schienen die Schätze aber dem König und später dem Landesherrn gehört haben. cf N. 94 und 35 6. In Rücksicht der übrigen gefundenen Sachen weichen die Grundsätze des deutschen Rechts von den römischen sehr ab. Nach älterem deutschen Recht darf kein Fund verheimlicht werden. Geschieht es doch so ist es diebisches Behalten wo dem Eigner sein Recht natürlich unbenommen bleibt. Meldet sich aber kein Eigenthümer in bestimmter Zeit nach der Anzeige, so erwirbt der Finder ganz oder zum Theil die Sachen. Erscheint der Eigenthümer, so gebührt dem Finder ein angemessener Finderlohn. Den gefundenen Sachen gleichgeachtet werden diejenigen Sachen, welche Dieben oder Räubern wieder abgelangt sind N. 29.[118]Diese Grundsätze des älteren deutsch Rechts haben sich noch heutzutage in manchen Gegenden erhalten cf. bis e gemeinrechtlich gilt jedoch das römische Recht. 7. Von dem Erwerb herrenloser Grundstücke durch Aneignung kann heutzutage nicht mehr die Rede sein, denn schon längst ist der brauchbare Boden in das Privateigenthum übergegangen (cf. lit. d spricht von ebendiesen Sachen). Dagegen entsteht häufig die Frage, wem das Eigenthum an den meisten liegenden Grundstücken oder Lehden gehört, dies wird besonders wichtig bei den neueren Verkoppelungen und Gemeinheitstheilungen. Hierbei kommt es zunächst darauf an, ob sie innerhalb der Gemeinde liegen oder nicht. Ist das Erstere der Fall so kommts wieder darauf an, ob die Gemeinde ursprünglich aus echten Grundbesitzern oder Hörigen irgendeines Gutsbesitzers bestand. In dem letzten Fall gehören jene Strecken dem Gutsherren. Im ersteren Fall hingegen bilden jene Lehden einen Theil des Gemeindevermögens. Doch ist hier immer für das Eigenthum der Gemeinde zu präsumiren, der Gutsherr muß hier beweisen. Wenn nun die Lehde nicht innerhalb der geschloßenen Gemarkung liegt und auch sonst kein Grund ist, sie für Eigenthum einer Privatperson zu halten, so kann nur das Staatsvermögen der Landespolizeigewalt über diese Lehden verfügen. 8. Über den Eigenthumserwerb an der insula in flanial nata alvecus derelictur und d. alluvia (s. § 111) [119]2. Insbesondere a. Durch gerichtliche Auflassung § 97 A. Ältere Gestalt derselben Die gerichtliche Auflassung, die das ältere deutsche Recht zur Veräußerung von Grundstücken erforderte bestand in der vor Gericht abgegebenen Erklärung, das Eigenthum eines Grundstücks auf einen bestimmten Anderen übertragen zu wollen, ursprünglich immer mit symbolischer Übergabe verbunden. Die Übergabe des körperlichen Besitzes der Sache war entweder vorhergegangen oder folgte nach. Die Ergreifung des körperlichen Besitzes war zum Eigenthumserwerb keineswegs nöthig, mit der Auflassung ging das Eigenthum über. Es kam hinzu, daß der Richter dem Erwerber, Friede wirkte, d. h. ihn in Frieden setzte gegen Ansprüche Dritter, dies jedoch immer nur nach öffentlicher Bekanntmachung. Schon früh pflegte man eine Urkunde über die gerichtliche Auflassung eines Grundstücks anzuferti-

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gen. Oft wurde die Auflassung in Städten im Mittelalter schon in öffentliche Bücher eingetragen „Stadtbücher“. Anfangs wurde beides bei der Auflassung sowohl Aufschreiben der Urkunde und Einschreiben in öffentliche Bücher blos als etwas unwesentliches angesehen, später aber wurde beides als nothwendig angesehen. [120]§ 98 b. heutiges Recht Jene Grundsätze des älteren deutschen Rechts sind nur bei Lehn gemeinrechtlich geblieben. Das langobardische Lehnrecht bezeichnet die Auflassung mit dem Namen „Investitur“. Bei der Erwerbung des Eigenthums an anderen Grundstücken dagegen wurden seit Reception des römischen Rechts die Grundsätze dieses als erforderlich angesehen (Tradition). Jedoch hat sich in den meisten Particularrechten die gerichtliche Auflassung oder doch ein Surrogat derselben erhalten. Hier und da ist auch noch heutzutage die gerichtliche Auflassung mit symbolischer Besitzübertragung verbunden (Rasen, Schißel mit Erde, Baumzweig, Glas, Wasser). Auch das Friedewirken hat sich noch theilweise gehalten (s. Beweisstelle N. 5). Das ­Surrogat der Auflassung besteht meistens in Eintragung in öffentliche Bücher, zuweilen auch nur in gerichtlicher Bestätigung des Kaufcontracts. Meistens wird über die geschehene Eintragung in öffentliche Bücher auch noch eine Urkunde abgefasst. Diese Urkunde heißt gewöhnlich Kaufbrief oder Wehrbrief. Auch da, wo gerichtliche Auflassung, oder ein Surrogat sich nicht erhalten hat, selbst da hat die neuere Gesetzgebung die Grundsätze des römischen Rechts für unwirksam erklärt und hat an die gerichtliche Auflassung sich anschließend die Nothwendigkeit der öffentlichen Übertragung des Grundeigenthumes anerkannt. Die Districte welche das römische Recht beibehalten haben sind sehr wenige. Die öffentliche Übertragung geschieht gewöhnlich durch Ein- oder Nachschreibung (Fertigung) in einem dazu eigens eingerichteten Grund- oder Hypothekenbuche. Diese Bücher und die beglaubigten auf sie gegründeten Urkunden haben öffentlichen Glauben. [121]Sie werden nicht mehr überall von den Gerichten, sondern auch von andren Behörden geführt. Diese Bücher werden immer für bestimmte Bezirke angelegt (von verschiedener Ausdehnung) und jedes in demselben gelegene Grundbuch hat sein bestimmtes folium in dem Hypothekenbuch. Die Übertragung kann nur in dem Grundbuch der belegenen Sache geschehen. Auch von Rechten, welche auf dem Grundstück haften sollen, müssen in das Grundbuch eingetragen sein, damit ein jeder Interessent augenblicklich das ganze rechtliche Verhältnis des Grundstücks erkennen könne. Hieraus erklärt es sich, daß die neueren Gesetzgebungen oft noch einen Schritt weiter gehen als das frühere Recht, indem sie das Princip enthalten, daß das Grundeigenthum überhaupt nicht auf einen Anderen übergehen könne, als nur durch Umschreibung in dem Grundbuche selbst nicht bei der Erbfolge und bei der adiudicatio. Wo dieses Princip gilt, bilden Erbfolge und Richterspruch nur einen Rechtstitel, das Eigenthum zu verlangen. Nur das Grundbuch entscheidet sowohl über das Eigenthum als auch über die Existenz von dinglichen Rechten an dem Grundstück. Es ist daher hiermit auch unverträglich eine Widereinsetzung in den früheren Stand gegen die Unterlassung der Eintragung eines Rechtes, sowie gegen die Erlöschung eines Rechts an dem Grundstück. Auf der

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anderen Seite ist aber auch jedes einmal in dem Buch eingetragene Recht als fort­ existirend zu betrachten, bis es wieder daraus gelöscht ist. Doch kann auch eine Verjährung gegen ein eingetragenes Recht, so lange es nicht gelöscht ist, weder angefangen noch vollendet werden. Wegen dieser Bedeutung der Grundbücher ist mit der Eintragung und Löschung mit der größten Vorsicht zu versehen. Dem damit beauftragten Beamten werden besondere Pflichten auferlegt: 1. zu prüfen, ob der Veräußerer Eigenthümer sei 2. ob er handlungsfähig und zur Veräußerung berechtigt sei. Für den Fall, daß Zweifel über die Zulässigkeit der Veräußerung wegen Mangels an Legitimation des Eigenthümers etc. entstehen, hat man dadurch geholfen, daß entweder eine Vormerkung, welche das fragliche Recht sichert, eingetragen werden kann, oder eine Protestation, welche vor Benachtheiligung der späteren Einträge sichert. Der Zweck ist theils, um Streitigkeiten über das Grund­ eigen­thum oder über dingliche Rechte am Grundeigenthum abzuschneiden, theils um die Änderung in der Steuerverfassung zu erhalten, theils um eine Grundlage für die Hypothekenerfassung zu haben. Nur zuweilen ist jener Zweck[122]ein rein finanzieller um bei der Übertragung vor Gericht gewisse Abgaben zu erheben, so in Frankfurt a. M. Aus diesem Zwecke erklärt es sich auch daß eine große Verschiedenheit zwischen den jetzt geltenden Rechten stattfindet. 1. nach einigen jetzt geltenden Rechten ist die gerichtliche Form zur Erwerbung des Eigenthums an Im­ mobilien in der Wiese nothwendig (N. 9) daß mehr abgeschlossene Contracte ohne ihr Hinzukommen, nichtig sind. 2. Andere Rechte betrachten den vorhergehenden Contract, als vollkommen bindend für die Parteien, das Eigenthum kann aber nur durch gerichtliche Form übergehen. Von diesen verschiedenen Systemen erscheint nur das 2te als der Natur der Sache vollkommen angemessen und gemeinrechtlich, denn: 1. aus dem Erforderniß der gerichtlichen Auflassung folgt keineswegs die Wichtigkeit des vorhergegangenen Geschäfts. 2. hat die Vernachlässigung der gesetzlich vorgeschriebenen Form regelmäßig die Nichtigkeit der vorgenommenen Geschäfte zur Folge 3. Im älteren Recht findet sich nur das 2te System, ebenso auch in den neueren Gesetzgebungen mit Ausnahme des preußischen Landrechts danach ist dasselbe als gemeinrechtlich anzusehen. Wo die gerichtliche Auflassung in der gemeinrechtlichen Bedeutung vorkommt ergeben sich schon aus der Consequenz folgende Sätze: 1. wenn man sich durch einen Contract verpflichtet hat, Eigenthum an einem Grundstück zu übertragen, so liegt darin die Pflicht, dasselbe aufzulassen. Es kann daher vom Käufer auf die gerichtliche Auflassung geklagt werden. 2. Geschah die Auflassung schon in außergerichtlicher Tradition, so ist doch der Tradent, noch immer als Eigenthümer zu betrachten. Der Verkäufer kann daher noch bis zur Auflassung als Eigenthümer über die Sache verfügen, und Pfandrechte, Servituten und andere dingliche Rechte und Lasten gültig auflegen. Doch kann der Käufer aus der Auflassung die Sache noch gar nicht mit dinglichen Rechten gültig belasten. Umgekehrt liegt aber auch in der Auflassung nicht auch der Übergang des Besitzes, da dieser etwas rein faktisches ist. Die neuen Gesetzbücher enthalten aber häufig diese Bestimmung. 3. auch nach der außergwericht­ lichen Tradition hat der Verkäufer nicht der Käufer die rei vindicatio. Verliert der Käufer den Besitz, so kann er es durch possessorisches Rechtsmittel ihn wieder er-

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langen. Kann er aber den Besitz hierdurch nicht wieder erlangen, so kann er sich vom Verkäufer die rei vindicatio ordiren lassen da der Käufer diese[123]Cession erzwingen kann, so hat er auch das Recht die rei vindicatio utiliten anzustellen – Der Käufer hat aber nicht die publiciana in rem actio. Dies hängt mit der Beantwortung folgender Frage zusammen: Befindet sich der Käufer in conditione usucapiendi? Nach den neueren Gesetzen giebt aber die Verjährung gewöhnlich einen Rechtstitel, die Eintragung der Eigenthumsübertragung zu verlangen. 4. Wird der Käufer mit der dinglichen Klage von einem Dritten belangt, so kann er sich nicht durch Nennung seines Amtes aus dem Proceß ziehen. Der Käufer besitzt die Sache nicht wahrhaft alieno nomine, sondern im eigenen Namen. Der Verkäufer muß aber freilich nach geschehener Denunciation vertreten und vertheidigen. Will der Verkäufer selbst die Sache vindiciren, so steht ihm die exc. rei venditae et traditae entgegen. 5. Wo der Käufer, ehe die Auflassung geschehen ist, im Concours geräth steht dem Verkäufer die exc. rei viend. et trad. nicht entgegen, denn sie ist eine Art der exc. doli und der dolus trifft in diesem Falle den Verkäufer nicht. Wollen die Gläubiger aber dem Verkäufer den Kaufpreis bezahlen, so kann er nicht vindiciren. 6. Wenn auch der Kaufpreis weder bezahlt, noch vindicirt ist, so geht doch durch die Auflassung das Eigenthum immer über, weil der Zweck der Auflassung dieses immer fordert. 7. Aus demselben Grunde geht auch, wenn der Verkäufer das pactum reservati dominii abgeschlossen hat, das Eigenthum mit der gerichtlichen Auflassung auf den Käufer über. Es kann nur[124]Es kann also nur mit einer persönlichen Klage geklagt werden, daß die Auflassung wieder rückwärts an ihn gehe wegen l. 3 Cod. de pacitis inter venditorem[…]4. St. Nur dann tritt eine Ausnahme hiervon ein, wenn die Beschränkung aus dem Grundbuch selbst erkannt werden kann. Einige Gesetze legen diesem pact. dann die Kraft einer Hypothek bei. 8. Wenn ein Miteigenthümer das Grundstück aufgelassen hat, so kann der andere unmöglich Eigenthümer werden. Aber wegen der mit der Auflassung verbundenen Publication tritt hier häufig eine Ausschließung dieser ein, die davon Kunde erhalten konnten. § 99 und 100 b. Die Verjährung In Beziehung auf Aquis. wie Ext. Verjährung gilt heutzutage das römische oder kanonische Recht als gemeines Recht. Hier und da hat sich aber aus dem älteren deutschen Recht eine eigenthümliche Verjährung von Jahr und Tag erhalten. Dies schließt sich im Particularrecht an die Lehre von der rechten Gewere an. Diese trat nämlich ein, so wie Jemand ein Grundstück in Folge richterlicher Auflassung Jahr und Tag besessen hatte. (Beweisstelle N. 11 zu § 99) Die rechte Gewere hatte die Wirkung, daß der Betreffende durch sie eine größere Sicherheit seines Besitzes bekam, als er früher hatte, vorausgesetzt daß die Dritten, die Ansprüche hatten, durch Abwesenheit, Nichtwissen oder Unmündikeit entschuldigt waren Beweisstelle N. 9–10–22; N. 5 zu § 98)[125]Die rechte Gewere hatten daher Ähnlichkeit mit der römischen Acquisitiv- und Excinctiv-Verjährung. Auch bei Mobilien kommt hier und da im Mittelalter schon eine allgemeine Excinictivverjährung von Jahr und Tag vor (Beweisstelle 52 und 54 § 99) Auch diese Excinctivverjährung bei Mobilien hat sich noch in manchen Particularrechten erhalten und zwar als Acquisitiv-

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verjährung. Der Ausdruck Jahr und Tag bedeutet nicht immer 366 Tage sondern meistens 1 Jahr 6 Wochen und 2 Tage (cf. N. 45). Wo die deutsche Verjährung sich im deutschen Recht erhalten, hat aber die römische Auffassung bedeutenden Einfluss darüber ausgeübt. Namentlich hat man die Requisite der römischen Verjährung auf das deutsche Institut übertragen und verlangt justus titulus und bona fides, ferner daß die Sache nicht von der ordentlichen Verjährung ausgenommen sei. Daher weicht die heutige Verjährung oft nur in Bezug auf die Zeit ab. Nur wenn die Particularrechte ausdrücklich entgegenstehende Grundsätze enthält wendet man das römische Recht nicht an so sind in Hamburg und Lübeck selbst gestohlene Sachen in Jahr und Tag verjährt. s. Beweisstelle. N. 12–14 in § 100. Als Excinctivfrist kommt sie gemeinrechtlich noch vor bei der Retractsklage. Noch häufiger kommt diese Frist als Präclusivfrist vor. Eigenthümlich dem neueren sächsischen Recht ist bei Immobilien und Grundgerechtigkeiten eine Acquisitivverjährung von 20 Jahren Jahr und Tag oder 31 Jahre 6219 Tage diese sächsische Verjährung stützt sich auf eine falsche Interpretation der Stelle 42 § 112 des Sachsenspiegels (cf. § 58 N. 5). Im übrigen läßt sich nichts allgemeingültiges sagen Particularrechte s. § 100 [126]3. Beschränkungen der Erwerbsfähigkeit § 101 Im Allgemeinen ist heutzutage Jeder, der rechtsfähig ist auch fähig Eigenthum an Mobilien und Immobilien zu erwerben. Doch 1. zuweilen sind durch besondere Bestimmungen Veräußerungen an die todte Hand d. h. an kirchliche oder ähnliche Anstalten entweder ganz verboten oder doch nur mit obrigkeitlicher Bewilligung gestattet. Dies schon im Mittelalter (cf. Beweisstelle N. 1) Diese Verbote wurden ursprünglich dadurch hervorgerufen daß durch die Veräußerung an Kirchen die Grundstücke steuerfrei wurden, später auch weil sie dadurch aus dem Verkehr kommen. Hieraus der Ausdruck Amortisationsgesetze (Verbot der Ver­äußerung an die todte Hand). Auch ist oft die Veräußerung an Gemeinden ohne obrigkeitliche Bewilligung nicht gestattet. s. Grdr. N. 3–4 2. Oft sind auch Fremde für unfähig erklärt im Lande Immobilien zu gewinnen (Beweisstelle N. 2) Dies kann aber schon nach der Bundesacte nicht mehr angewandt werden (Beweisstelle N. 5). Veräußerung des Eigenthums bei Mobilien insbesondere § 102 und 103. Seit Reception des römischen Rechts sind die Grundsätze über Vindication von Mobilien wie Immobilien gemeines Recht. Bei der Vindication von Mobillien sind aber noch particularrechtliche Eigenthümlichkeiten. Nach älterem deutschen Recht war bei Mobilien die Vindication ausgeschlossen, wenn der Eigethümer die Sache im Sinn des deutschen Sachenrechts verliehen oder versetzt hatte oder einem andren einen selbstständigen Gebrauch eingeräumt[127]hatte. Zum Verleihen gehört auch das Vermiethen und das Versetzen ist dem gleichgestellt. In diesem Fall konnte der Eigen­thü­mer nur gegen den auf Rückgabe klagen, den er sie mal verliehen oder versetzt hatte (cf. § 90 N. 1) Diesen Grundsatz bezeichnen die Sprichwörter: „Hand muß Hand mehren, und wo man seinen Glauben gelassen hat von dem muß man ihn wieder holen“. Dieser Grundsatz gibt noch in manchen Gegenden und dann zwar als Einrede gegen die Vindication. Außerdem hat jener Grundsatz im neuern Recht mehrere Modificationen erlitten, zuweilen wird zwischen einem

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bona fide possessor die Einrede gegeben (N. 1 oder § 103). Nach anderen Rechten befreit die Einrede den Beklagten nicht von der Herausgabe der Sache, sondern hat nur die Wirkung daß der Beklagte sein Interesse an der Sache ersetzt verlangen kann, einerlei ob er in bona oder mala fide ist (N. 4) Im Particularrecht befinden sich noch manche andere Beschränkungen der Vindication von Mobilien z. B. daß auf offenem Markt oder bei Kaufleuten die offenen Laeden haben etc. gekauft sind nicht vindicirt werden dürfen (cf. Beweisstelle 6–9) auch N. 5. § 104 Beschränkungen des Eigenthums durch Rechte des Staats Im Mittelalter nannte man alle Rechte welche der Käufer als solche hatte regalia jura weil die meisten dieser auf die Landesherrn später übergingen[128]nannte man Hoheitsrechte. Sie sind sehr verschiedener Natur. Einige derselben fließen schon aus dem Begriff der Staatsgewalt ab – andere sind nur zufällig mit der Staatsgewalt verbunden. Daher regalia essentilia und occidentalia oder Regal schlechthin die occ. regalia sind sehr mannigfach, theils bestehen sie in der Beschränkung der natürlichen Freiheit Einzelner (Postregal etc.) auch in Beschränkungen des Privateigenthums, über letztere hier. In dieser Beziehung bestehen die Regalien in gewissen ursprünglich im echten Eigenthum enthaltenen Nutzungen, die nachher mit den Hoheitsrechten verbunden sind. Die Regalien werden den unbeweglichen Sachen gleich geachtet und gehören zu den dinglichen Rechten. Manche haben die Regalien dieser Art daraus erklären wollen, daß der Landesherr ursprünglich Eigenthümer des Grund und Bodens des ganzen Landes gewesen sei. Allein diese Ansicht ist in ihrer Allgemeinheit völlig unhaltbar; vielmehr ist in den deutschen Ländern das echte Eigenthum freier Leute viel älter als die Landeshoheit. Auch steht jene Ansicht mit der Entstehung der Landeshoheit in Widerspruch, denn die Landeshoheit hat, von jeher nur aus Regierungsrechten bestanden. Jedes Regal hat vielmehr einen besonderen Entstehungsgrund und ein und dasselbe Regal hat sich auch in einem[129]Lande anders als in einem andren Lande gestaltet. Die Ansicht von der Regalität gewisser Nutzungen findet sich erst im 12ten Jahrhundert in ­Italien von da kam sie nach Deutschland und später war dieselbe mit der Landeshoheit immer im Wachsen begriffen. Die höchste Spitze erreichte die Regalität im 16ten Jahrhundert. Seitdem ist sie im Abnehmen begriffen durch den Einfluß der Juristen geschah Ersteres. Einestheils nämlich betrachten Jene alle res publica und res nullius des römischen Rechts als Regalien, so besonders das Jagdregal das Wild nach römischem Recht ist res nullius, es sei billig sagte man, daß alle solche Sachen dem Landesherrn oft Rechte die ihnen nur an einzelnen Districten kraft besondern Titels zugestanden, als Regalien für das ganze Land an (Torf, Salz) Wahrhaft gemeinrechtlich ist nur das Bergregal in einem gewissem Umfang geworden. Bei den andern Regalien streitet daher, wenn sie in einem Land nicht schon gesetzlich begründet sind, die Präsumtion gegen den fiscus und ebenso wenn ein Regal mehrere Abstufungen hat ist immer für die geringere Ausdehnung zu präsumiren. Nicht zu verwechseln mit dem Regal ist die Staatsgewalt unter gewissen Voraussetzungen die Abtretung des Eigenthums zu verlangen.[130]Entweder an den Staat selbst oder an gewisse Dritte. Letzteres z. B. wenn der Staat einer Eisenbahngesellschaft etc.

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das Expeditionsrecht zuerkennt. Dies ist die Expopriation. Die Frage unter welchen Voraussetzungen eine Expropriation zuzulassen sei, ist Sache des Staatsrechts. Regelmäßig wird die Expropriation aber nur gegen die Entschädigung des Einzelnen geltend gemacht, (besonders bei der Expr. v Grundeigenthum). Unter dieser Voraussetzung wollen manche die Expropriation als erzwungenen Verkauf betrachten. Allein dies ist bei genauer Betrachtung unrichtig, denn hieraus würde folgen, daß, wenn der Eigenthümer sich weigert, sein Eigenthum abtzutreten, derjenige, welcher die Expropriation verlangen kann erst auf Tradition resp. Auflassung klagen müßte um das Eigenthum zu erlangen. Dieses würde aber mit dem Zweck der Expropriation unverträglich sein. Es kann daher überall die Abtretung auf außergerichtlichem Gange erzwungen werden, nämlich so daß dem Eigenthümer das Taxat offerirt wird und dann die Hergabe durch die Verwaltungsbehörde erzwungen werden kann. Wo die römische Erwerbung des Grundeigenthums, Tradition gilt, geht dann auch gleich mit der Besitzergreifung das Eigenthum über. Wo die Umschreibung im Grundeigenthumsbuche erforderlich ist, geht das Eigenthum auch erst durch diese über. Die Umschreibung kann aber auf einseitigem Vertrag des Expropricirenden erfolgen. Dagegen ist kein Grund vorhanden, gemeinrechtlich schon mit der bloßen Erklärung des Expropricirenden[131]daß er expropiciren wolle, resp. das Grundstück expropriciren wolle den Uebergang des Eigenthums erfolgen zu lassen. Diese Expropriationsgesetze begründen jedoch immer ein jus singulare und sind deshalb strict zu interpretiren. § 105 Erwerb der Regalien durch Privatpersonen Die eigentlichen Regalien[…]können auch ihrer Substanz nach von Privatpersonen ausgeübt werden. Bei der Übertragung dieser Rechte an Privatpersonen behielt sich der Staat früher ein dominium directum vor und gab das Regal nur quasi zu Lehn z. B. Bergregal, Jagdregal etc. Solche Übertragungen sind aber jetzt etwas sehr Seltenes. Heutzutage sind andere Übertragungen üblich. Immer behält aber der Staat an dem übertragenen Regal mehrere Rechte, er giebt seine Befugniß durch die Übertragung an Privatpersonen nie ganz auf. Der Einzelne dem die Ausübung des Regals überlassen ist wird daher immer nur als Stellvertreter des Staats angesehen. Hieraus folgt: 1. das Rückfallsrecht des Staats d. h. das Recht das Regal wieder einzuziehen, wenn das durch die Übertragung verliehene Recht erloschen ist. 2. das Recht des Staats die Übertragung zu widerrufen, sobald das Regal vom Berechtigten mißbraucht wird.[132]Die älteren Juristen berufen sich hier gewöhnlich auf II F. 27 § 17 doch ist das nicht eben die maßgebende Stelle 3. der Staat ist die ausschließliche Entscheidungsquelle für den Umfang des Rechts, und Privatwillkür ist ausgeschlossen. Hierüber geben landesherrliche Verordnungen meistens die Norm „Jagdverordnung, Berg-, Mühlen-, Wasser- etc. ordnung“ Durch die Übertragung des Regals an Privatpersonen wird das Regal gewöhnlicher Gegenstand des Privatverkehrs und kann verkauft vertauscht vererbt etc. werden. In Betracht der Verjährung sind 2 Fälle zu unterscheiden: Wenn der Staat das Regal noch nicht auf einen privatus übertragen und sich einer durch usus das Regal als erworben behauptet, so ist das überhaupt nichtig, denn durch praescc. definita kann

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ein Regal vom Staate nicht an den privatus übergehen. (das Particularrecht macht oft eine Ausnahme z. B. das preußische Landrecht läßt einen Erwerb in 40 Jahren dem fiscus gegenüber zu) Die unordentliche Verjährung ist hier allerdings statthaft, doch ist das ja keine eigentliche Verjährung. Soll aber ein bereits von einem Privaten erworbenes Regal auf einen andren übergehen so reicht dazu schon die gewöhnliche Verjährungszeit von 20 Jahren hin.[133]G. von d. Eig. verhältnis § 106 und 197 In den ältesten Zeiten standen die Waldungen, die überhaupt einen Herrn hatten, meistens im Eigenthum einer Markgenossenschaft. Da die größeren Waldungen meistens an den Grenzen lagen, so wurden die Waldungen vorzugsweise Marken genannt. Zuweilen gehörten die Waldungen aber auch einem einzigen Grund­ eigen­thü­mer als Pertinenz des Grundstücks. Namentlich hatten die Könige wegen ihres großen Grundeigenthums auch große eigenthümliche Waldungen. Außerdem hatten die Könige als größte Grundbesitzer auch oft Antheil an vielen Marken. Die im Eigenthum des Königs stehenden Waldungen wurden schon früh von ihm zu Bannforsten gemacht d. h. besonders geschützt und jeder der sich Eingriffe erlaubte, mußte den Königsbann eine hohe Geldstrafe erlegen. Schon unter den ­Carolingern wurden aber auch manche Waldungen der Markgenossen unter den Bann gestellt. Doch durften dann die Markgenossen selbst den Wald dann nur noch soweit gebrauchen, als der König es ihnen gestattete. Gewöhnlich wurde den Markgenossen dadurch die Jagdgerechtigkeit entzogen, in dem in einem Bannforst nur der König oder dessen Bevollmächtigter jagen durfte. Daher wird auch schon so-[134]mit Bannforst der Ausdruck Wildbann gebraucht. Dieser Ausdruck Wildbann bekam aber später mehrere Nebenbedeutungen, man bezeichnete damit jede Jagdgerechtigkeit und die Jagd selbst. Die Zahl der Bannforste wurde durch die Zahl der späteren Könige ja bedeutend vermehrt. Auch übertrugen die Könige schon früh solche Forsten an weltliche und geistliche Größen, als Eigenthum oder zu Lehn (cf. N. 4g zu § 107). Es dauerte aber nicht lange, so fingen auch geist­liche und weltliche Größte eigenmächtig an, Bannforste in ihrem Bezirk zu errichten. Aus einem dieser Gründe befanden sich in späterer Zeit alle Landesherrn im Besitz von Bannforsten (cf. 36 zu § 107). Viele Waldungen blieben aber fortwährend im Privateigenthum Einzelner oder von Gemeinden und sind es bis auf den heutigen Tag (Beweisstelle N. 25 ad § 107 und lit. b). Die Benutzung der Nichtforsten wurde indessen seit dem 16ten Jahrhundert von den Landesherrn vermöge der Staats­poli­ zei­gewalt beschränkt. Der Grund hiervon lag in dem schon damals fühlbar werdende Holzmangel und den unzweifelhaften Rechten des Landesherrn zur Abhülfe solcher Übelstände. Zu diesen Anstalten gehörten namentlich die Erlassung von Forstordnungen und die Anstellung von Forstbeamten. Die Forstordnungen binden die Eigenthümer von Waldungen an gewisse Regeln der Forstoeconomie. Stets sind[135]deshalb nur auf solche Waldungen anwendbar welche so groß sind, daß sie einer Forstöconomie fähig sind. Hier darf dann stets nur durch Erlaubnis der landesherrlichen Häuser Holz gefällt werden. Den Inbegriff der aus der Landespolizeigewalt über die Forsten entspringenden Rechte heißt Forsthoheit. Hiervon ist zu unterscheiden das Forstregal im eigentlichen Sinne niederes Forstregal.

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Dies besteht aus den in dem Forstbann ursprünglich enthaltenen Rechten. Das niedere Forstregal begreift heutzutage in sich: 1. die Ausübung der Forstgerichtsbarkeit 2. die Bezichung der Forststrafen 3. die Jagdgerechtigkeit. Dem Obigen nach muß man jetzt 5 Arten von Waldungen unterscheiden 1. Waldungen, die im Eigenthum des Landesherrn oder des Staats stehen und in welcher die Forst­öco­no­mie von landesherrlichen Forstbeamten auf Rechnung des Staats nach den ihn kraft des Eigenthums gegebenen Verordnungen verwaltet werden. In dieser Beziehung sind die Forstbeamten Domonialbeamte 2.  die eigentlichen Bannforsten, welche im Eigenthum von Privatpersonen stehen, worin aber der Landesherr oder ein anderer dem dies Recht übertragen ist, das niedere Forstregal auszuüben hat. Viele von diesen Bannforsten sind aber Eigenthum der Landesherrn geworden, indem man eine zeitlang die Bannforstgerechtigkeit mit dem Eigenthum verwechselt hat und[136] den wirklichen Eigenthümern nur jura in re aliena einräumte 3. Waldungen, die im Eigenthum von Gemeinden stehen ohne der Bannforstgerechtigkeit unterworfen zu sein 4. Waldungen bei welchen sich noch die alten Holzgerichte der Mark­ genossen erhalten haben – doch verschwinden diese in neuerer Zeit ganz 5. Waldungen die im Eigenthum eines einzelnen Unterthanen stehen. b. die wilden Thiere (Jagd und Jagdgerechtigkeit) § 108 a Regalität der Jagd Früher galt das Jagdrecht immer als Pertinenz von Grund und Boden, der Grundbesitzer hatte es an seinem Grundstück, die Markgenossen in den Marken, letzteres beschränkt durch die den Königsfrieden (s. oben). Auch seit dem die größeren Waldungen zu Bannforsten gemacht waren wurde die Jagd auf den nicht eingeforsteten Grundstücken noch immer als aus dem echten Eigenthum herrührenden Recht des Eigenthümers, Beweisstelle N. 9. Wenn der Miteigenthümer sein Grundstück an Andre verlieh, als an Bauern so behielt er sich häufig das Jagdrecht vor (s. Grdr.). Aus einem dieser Gründe hatten die Landesherrn von jeher das Jagdrecht an von ihren Unterthanen besessenen Grundstücken. Das eigentliche Jagdregal besteht dagegen in dem Recht des Landesherrn in dem ganzen Lande mit Ausschluß der Unterthanen – entweder gänzlich oder in ge-[137]wissem Umfang auszuüben. Das eigentliche Jagdregal ist erst im 16t. Jahrhundert entstanden. Es hat sich keineswegs in Deutschland auf gleiche Weise ausgebildet, indessen findet sich doch in den meisten Ländern dabei ein ziemlich gleicher Entwicklungsgang der Grund davon lag theils in der Verbreitung des Jagdregals durch die alten Bannforsten, theils in der Gleichförmigkeit der im 16ten Jahrhundert hierüber herrschenden Ideen, wo zu besonders die des Eigenthums an dem ganzen Land gehört, ferner die des öffentlichen Wohls auf die Anwendung der damaligen Lehre von herrenlosen Sachen auf wilde Thiere (wie im römischen Recht) und endlich die Annahme des Jagdregals selbst als eines schon bewiesenen Satzes. Durch diese Theorien verlor der Bauernstand fast allgemein das Jagdrecht, da es ihm an Schutzmitteln fehlte. Dagegen wurde dem Adel, dem Prälatenstand und den Städten das Jagdrecht weniger nachtheilig, weil diese vermöge ihrer Landstandschaft

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sich gegen solche Prätentionen der Landesherrn zu schützen wußten. Nun suchten die Juristen sich dadurch zu helfen, daß sie sagten, diesen Ständen habe der Landesherr das Jagdrecht wieder verliehen (Beweisstelle N. 21 bis d). Um aber die Theorie von einem allgemeinen landesherrlichen Jagdregal zu retten, erfanden die Juristen den Unterschied zwischen hoher und niedriger Jagd. In einigen Ländern wurde außerdem noch eine mittlere Jagd angenommen. Man ließ sich nun nur die niedere und allenfalls die mittlere Jagd wo es diese gab, als Zubehör der Grundeigenthümer[138]namentlich der Rittergutsbesitzer gelten und nahmen dann die hohe Jagd (Jagd solchen Wild[…]das im Lande wenig geschossen wurde) als Regal des Landesherrn in Anspruch. Die Grenzen dieser verschiedenen Jagdarten sind aber nicht überall dieselben, sondern bald so, bald anders bestimmt. Die Jagd wurde daher nicht überall in ihrem ganzen Umfange Regal. Beweisstelle 25–30. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sich die Volksansicht allmählich immer lauter gegen das Jagdregal und überhaupt gegen jedes Jagdrecht an fremden Grund und Boden ausgesprochen. Als solches wurde damals auch das Jagdrecht des Gutsherrn betrachtet. Hieraus erklärt es sich, daß die Frankfurter Grundrechte die Jagd auf fremden Grund und Boden ganz aufhob. Aber auch abgesehen von den Grundrechten ist durch die Landesgesetzgebung seit 1848 das Jagdrecht auf fremdem Grund und Boden und überhaupt das Jagdregal meistens aufgehoben (s. Grdr. in fine). Diese neuen Landesgesetzgebungen nahten sich immer mehr dem älteren deutschen Recht, daß jeder Grundeigenthümer auf seinem Grund und Boden jagen dürfe, ohne es aber ganz herzustellen (weil die jetzigen Grundbesitzer so klein sind) denn theils die staatswirthschaftliche Sorge für die Erhaltung eines mäßigen Wildstandes sowie die polizeiwirthschaftliche Sorge für die Wohlfahrt des Einzelnen haben Beschränkungen wichtig gemacht.[139]Unter diesen Beschränkungen sind die gewöhnlichen a) daß der Grundeigethümer nur innerhalb seines umzäunten Grundstücks oder eines größeren zusammenhängenden Güterbesitzes das Jagdrecht selbst ausüben darf (z. B. Hannover 200 zusammenhängende Mengen) b) die Jagd in den übrigen Fäldern und Wäldern einer Gemeinde von dieser zu verpachten ist nur derjenige welcher ein Jagdkarte gelöst hat, zu Jagd zugelassen wird (letzteres bes. aus polizeilichen Rücksichten). Die neueren Gesetze untersagen meistens auch die Einräumung des Jagdrechtes als Servitut, damit nicht wieder ein gewisses Jagdrevier eines Einzelnen auf fremden Grund und Boden entstehen könne. Die Entstehung von hoher oder von niederer Jagd hat durch die neuen Gesetze ihre Bedeutung verloren. Von dem Jagdregal zu unterscheiden ist die Jagdhoheit, ein wesentliches Hoheitsrecht Jagdordnungen zu erlassen und Jagdbedienst anzustellen, welche über diese zu wachen haben. In den Jagdordnungen ist immer eine Jagdhege oder Schonzeit vorgeschrieben, wo das Wild nicht geschossen werden darf, dies aus Nützlichkeitsgrundsätzen für Jagd und Landwirthschaft. Ein Bestandtheil der Jagd ist der Vogelfang („Vogelfang gehört zum Wildbann“). § 109 Ausübung der Jagdgerechtigkeit Nach der 1848 bestehenden Ordnung hat neben dem eigentlichen Jagdrecht oft noch ein Anderer die Vor- oder Mitjagd. Von der Mitjagd unterscheiden[140]ist die

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Koppeljagd, wonach mehrere Berechtigten die Jagd auf ihren gegenseitigen Feldern zusteht. Sowohl bei der Mitjagd als auch bei der Koppeljagd darf natürlich keiner die Jagd so ausüben, daß dadurch das Recht seiner Mitberechtigten gekränkt wird, z. B. daß keiner ohne Erlaubnis des Andern eine Beute Jagd anstellen darf. Wenn das Jagdrecht auf fremden Grund und Boden ausgeübt wird steht der Gebrauch auch des fremden Grundeigenthums nicht weiter zu, als dieses zur Ausübung der betreffenden Jagd erforderlich wird. Ferner muß der Berechtigte das Jagdrecht an fremden Grund und Boden natürlich civiliter ausüben (ohne demselben den Feldbau zu schmälern) Hieraus folgt auch, daß der Jagdberechtigte dem Grundeigenthümer den Wildschaden ersetzen muß, d. h. den Schaden, welchen der Grundeigenthümer dadurch leidet, daß der Berechtigte entweder übermäßig viel Wild hält oder verderblich wilde Thiere hezt, die sonst nicht in diesem Revier waren (z. B. wilde Schweine). Wie weit aber der Ersatz des Wildschadens gehe darüber ist Theorie und Praxis zweifelhaft (cf. Beweisstelle 8–12) Durch Herstellung des Zusammenhangs von Jagd und Grundeigenthum sind diese Fälle sehr vereinfacht und viele Proceße abgeschnitten. Freilich könnte die Ersatzfrage auch immer in Betracht kommen, aber jene älteren Principien fallen weg, die man am angemessensten gehalten hat, die gesetzliche Bestimmung und besonders der Ersatz ganz fallen zu lassen und diese ganz dem Pachtcontract zu[141]überlassen, als Nothwehr aber dem Grundeigenthümer das Fangen und Tödten des schadenden und übermäßig vielen Wildes zu erlauben. Nur hat man ihn dabei auferlegt, das Wild dem Berechtigten gegen ein Schießgeld abzuliefern. Über den Eigenthumserwerb am Wilde entscheiden zunächst die Grundsätze über die Occupation. Eigen­thüm­lich dabei ist der uralte Rechtsgebrauch der Jagd- oder Wildfolge (s. Beweisstelle 1 und 2). Hierunter versteht man das Recht des Berechtigten, das in seinem Bezirk angeschossene Wild auf fremden Bezirk zu verfolgen und dort in Besitz zu nehmen. Dies hat sich gemeinrechtlich bis auf den heutigen Tag erhalten und finden sich in einzelnen Ländern besondere Bestimmungen darüber (s. z. B. lit. a). In den neuren Jagdgesetzen aber ist die Jagdfolge meistens aufgehoben, weil sie zu vielen Conflicten Veranlassung giebt. 3. Bei Gewässern und den damit in Verbindung stehenden Gegenständen § 110 a. Unterschied zwischen öffentlichen und Privatgewässern Auch in Deutschland wird die Eintheilung in öffentliche und Privatgewässer wichtig. Über die Frage aber welche Gewässer als öffentliche, welche nach Privat­ gewässer anzusehen, entscheidet nicht das römische Recht, denn diese Frage ist rein staatsrechtlich. Es kommt zunächst dabei nur das deutsche Recht in Betracht, trotz der Bemühungen frührer Juristen das römische Recht hier wieder anzubrin­ gen.[142]Im Mittelalter waren alle Gewässer, welche „stromweise“ fließen, dem gemeinen Gebrauch der Reichsangehörigen freigegeben cf Beweisstelle N. 4 § 4. Welche Gewässer hierunter zu verstehen, ergiebt sich daraus, daß ihnen nur Teiche und Seen als Gegenstände des Privateigenthums entgegengesetzt werden (Beweisstelle N. 4)[Wasser an wilden Wegen s. Glosse zu N. 4 und N. 5]die stromweise fließenden Gewässer sind hiernach alle fließenden Gewässer überhaupt das

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scheint zu bestätigen Beweisstelle N. 6 und 7. Nach den deutschen Eigenthumsverhältnissen ist die gemeine Benutzung doch nur bei solchen Gewässern möglich, wo die auf andere Weise als von den benachbarten Grundstücken aus geschehen kann d. h. nur bei schiffbaren Gewässern können wir annehmen daß sie öffentliche sind. Wo nur eine Benutzung von den anliegenden Grundstücken aus möglich ist hatten nach den Grundsätzen vom echten Eigenthum die anliegenden Grundbesitzer oder die Gemeinde nach ihren verschiedenen Antheilen die Benutzung. Dieser Rechtsgebrauch hat sich bis heute erhalten. Beweisstelle lit.  b und d). Alle nicht schiffbaren Gewässer dagegen können sowohl öffentliche oder Privatgewässer sein, ob sie das Eine oder das Andere sind, ist zunächst quaestia facti; doch streitet die Präsumtion für Privatgewässer, das Gegentheil ist zu beweisen. Seit Entstehung des römischen Rechts legten die Juristen dem Landesherrn an den öffentlichen Gewässern ein wahres Eigenthum bei. Aus diesem Grunde hat der Landesherr seit dieser Zeit die gemeine Benutzung solcher Gewässer oft beschränkt[N. 11] Die neueren Juristen erkennen aber jenes Privateigenthum der Landesherrn an den öffentlichen Gewässern[143]nicht mehr an, sondern betrachten sie als Eigenthum des Staates. Allein von einem eigentlichen Eigenthum an den fließenden Gewässern seien sie öffentlich oder private kann im Grunde überhaupt keine Rede sein, denn sie haben ihrer Natur nach einen Zug zur Gemeinschaft und lassen sich daher nicht so festhalten wie Grundstücke. Allein bei fließenden Gewässern vorkommende Rechtsverhältnisse drehen sich nur um die Benutzung des vorbeifließenden Wassers. Diese Benutzung ist bei öffentlichen Gewässern nach der Natur der Sache wie nach Herkommen eine öffentliche und allgemeine. Dies kann jedoch nur solchen Benutzungen gelten, welche von allen Unterthanen auf gleiche Weise ohne Benachtheiligung des Einzelnen ausgeübt werden können. Benutzungsarten bei denen dies nicht möglich ist, kann der Staat sich entweder selbst vorbehalten, oder gewissen Privatpersonen einen ausdrück­ lichen Anspruch daran geben. Ist dies dauernd geschehen, so bekommen die Privaten daran ein den Servituten ähnliches Recht. Von den Rechten des Staats an öffentlichen Gewässern sind wieder diejenigen zu unterscheiden welche der Staat vermöge der Bundespolizeigewalt an allen Gewässern hat, namentlich das Recht zur Schiffbarmachung eines Flußes in das Eigenthum Einzelner einzugreifen. Aus diesem Grunde kann der Staat auch den Anwesenden befehlen einen gewissen Raum am Ufer freizulassen, um die Schiffe strom auf zu ziehen, zu befestigen und Waaren auszuladen.[144]Dieser Raum heißt der „Bringfad“ § 111 b. Einzelne Benutzungsarten der Gewässer Man muß hier unterscheiden 1.  Das Wasserschöpfen und die Benutzung des Wassers zum Baden Tränken und Schwimmen des Viehs zum Waschen etc. Dies wird bei öffentlichen wie bei Privatgewässern Jedem vermöge der natürlichen Freiheit gestattet. 2.  Das Holen von Steinen, Sand, Grand Schilf und anderer Pflanzen aus dem Flußbette. Hierzu ist bei öffentlichen Flüssen meistens eine Erlaubnis des Staats erforderlich, wo für oft eine Gebühr zu zahlen ist. Bei Privatflüßen dürfen die Ufereigenthümer, wenn nicht dadurch Rechte besonderer ­Dritter

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dadurch ­gekränkt werden regelmäßig alle solche Dinge vornehmen – nur die Goldwäscherei in […] ist Regal. 3. Solche Benutzungen wozu dauernde Anlagen am Fluß nöthig sind. Dämme, Schleusen Gräben etc. Hierzu wird bei öffentlichen Flüssen die Erlaubnis des Staats erfordert, bei Privatflüssen darf jeder Ufereigenthümer solche Anlagen machen, insofern er nicht dadurch andere Ufereigenthümern einen Schaden verursacht, und der natürliche Lauf des Wassers dabei unversehrt bleibt. Dies gilt namentlich von Bewässerungs- und Entwässerungsanstalten. Wegen der großen Wichtigkeit solcher Anstalten für die Bodenkultur hat der Staat in neurer Zeit die betreffenden Leute zu einer genossenschaftlichen Verbindung vereinigt (so bei Deichen- Bewässerung und Entwässerung)[145]so in Hannover. Diesen Genossenschaften hat man das Autonomierecht in einem gewissen Umfang beigelegt. Unter Umständen hat man auch die Einzelnen zur Beihülfe verpflichtet, sobald die Entwässerung und Bewässerung nicht ohne Beihilfe geschehen kann und die Grundsätze von Exproprietion angewendet (lit. i bis q). Mit solchen Anlagen hängt auch die Anlage von Mühlen zusammen s. § 113) 4.  Die Schiffahrt auf öffentlichen Flüssen stehe im Allgemeinen Jedem zu, oft ist aber das Recht, Fracht auf dem Fluß zu fahren, ein Recht einer bestimmten Gilde etc. 5. Ganz nach den Regeln der Schiffahrt ist das sog. Flößen zu beurtheilen in sofern es durch Zimmerfloße, Trangfloße Langholzfloße (natae) geschieht (verbundene Balken). Hiervon muß aber unterschieden werden das eigentliche Flößungsrecht, Scheiten, oder Blockflößerei d. h. das Recht unverbundenes Holz Strom abwärts treiben zu lassen. Dies Recht hat eine ganz andere rechtliche Beschaffenheit, weil es einen großen Einfluß auf den Uferbann, die Mühlen und die Schiffahrt hat. Auf öffentlichen Flüßen kann dies Recht immer nur durch Verleihung des Staats erworben werden. Aber auch bei gemeinschaftlichen Flüßen kann es keine Theilnahme ohne Erlaubnis des andern vornehmen. Immer muß aber der Floßberechtigte den Uferbesitzer den etwa angerichteten Schaden ersetzen. Dagegen hat aber auch der Floßungsberechtigte ein ausschließliches Recht auf alles Holz im Fluße. Die Floßknechte dürfen immer das Ufer betreten, das angeschwommene Holz wieder in Wasser zu stoßen.[146]6. das Recht Brücken etc. anzulegen. Bei den übrigen öffentlichen Flüßen nur mit obrigkeitlicher Bewilligung. Anders bei Privatflüßen. 7. Nach denselben Regeln ist auch das Recht zu beurtheilen, eine Fähre an einem Wasser zu haben, vorausgesetzt, daß damit dauernde Anstalten an oder in dem Fuß verbunden sind. Von dem Rechte eine Fähre überhaupt zu halten ist die eigentliche Fährgerechtigkeit, das Recht als die Befugniß, Menschen gegen ein gewisses Fehrgeld über den Fluß zu bringen hierzu ist immer Conzession des Staats erforderlich. 8. In Ansehung der in öffentlichen Flüßen entstandenen Inseln erkennt schon das ältere, deutsche Recht das römische Recht an. Nach mehreren Particularrechten werden aber die Inseln immer Eigenthum des Fiscus N. 1 und 2 und lit. h. Auch in Ansehung der […] und des alvens derelictus gilt das römische Recht. 9. Der Fischfang § 112 Der Fischfang in den öffentlichen Gewässern war im älteren Recht Jedem gestattet. Aber schon früh nahmen die Könige und später die Landesherrn ein höheres Recht am Fischfang in Anspruch und verliehen einzelnen Gemeinden etc.

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die Ausübung (s. Grdr.). Später führte die Ausbildung der Regalität an den schiff­ baren ­Flüßen dahin, auch die Fischerei in den öffentlichen Flüßen als landesherrliches Regal zu betrachten. Aber auch an andren, als öffentlichen Flüßen entstanden durch Verleihung der Gemeinden etc. oft besondere Fischereigerechtigkeiten. So findet heutzutage alle Fischereigerechtigkeit nur noch auf offenem Meer statt. Über das Recht des Fischfangs in andern Gewässern entscheidet[147]zunächst das Her­ komen. Hiernach ist in der Regel der Fischfang mit Angeln in öffentlichen ­Flüßen Jedermann gestattet, mit Netzen und s. w. dürfen in öffentlichen F ­ lüßen regelmäßig nur diese fischen, welche das besondere Recht dazu haben. Bei Privat­gewässern kommen zuweilen auch oft besondere Fischereigerechtigkeiten vor. Auch hat sich in einigen Ländern ein allgemeines Fischereiregal an allen fließenden Gewässern gebildet. (daß also keiner darin fischen darf) soweit nur Teiche und Seen ausgenommen sind (s. in Braunschweig) In der Fischereigerechtigkeit ist nicht nur enthalten das positive Recht innerhalb gewisser Grenzen die Fischerei auszuüben, sondern auch das negative Recht, Andern zu untersagen, Vorkehrungen im Fluß zu haben, wodurch seine Fischerei gestört wird. (z. B. Flachs­rösten im Fluß zu haben oder darin zu färben etc.). Indessen geht hier immer die hauptsächliche und öffentliche Benutzungsart des Flußes vor. Meistens giebt es auch besondere Fischerei­ verordnungen. Unter den Fischfang ist auch der Krebsfang ­inbegriffen. § 113 Anlegung von Mühlen und andern Triebwerken insbesondere Nach älterem Recht stand es jedem Ufereigenthümer frei das vorbeifießende Wasser zur Betreibung von Mühlen zu benutzen, wenn es nur andren keinen Schaden verursachte. Seit aber das Eigenthum des Staats an öffentlichen Flüßen anerkannt ist, hängt[148]die Anlegung von Mühlen von der Staatserlaubnis ab. Diese Erlaubnis des Staats die meistens heutzutage auch auf Privatgewässer sich bezieht, ist theils im Interesse der öffentlichen Sicherheit, theils dazu den Schaden andrer zu verhüten und Processe zu vermeiden. Alles das folgt aus der Landespolizei­ gewalt. In einigen Staaten besteht aber ein allgemeines Mühlenregal und dann versteht die Nothwendigkeit der Staatserlaubniß sich von selbst. Wo ein Mühlenregal besteht, kann der Staat von den Mühlen an öffentlichen Gewässern einen Mühlzins verlangen, oder sie in Erbpacht thun. Ist dagegen blos aus polizeilichen Gründen die Erlaubnis erfordert, so ist er zu dem Mühlenrezins nicht berechtigt. Er kann nur für die Conzession eine Gebühr verlangen, doch das ist etwas ganz anderes. Bei der Anlegung von Mühlen kommt es besonders an auf die gehörige Legung des Fachbauens das ist die Schwelle vor der Rinne, welche das Wasser in der gehörigen Höhe erhält: diese Höhe des Fachbaums wird durch den Aichpfall oder Kägel auf dauernde Weise bestimmt. Bei Beurtheilung der Rechte des Müllers ist folgendes zu beachten: durch die gestattete Anlage der Mühle bekommt der Müller das Recht sich das Wasser und das Ufer soweit es zum Betrieb seiner Mühle erforderlich ist, zu benutzen. Er darf aber, soweit es mit dem Betrieb der Mühle verträglich ist, Andren keinen Schaden zu fügen.[149]hieraus folgt, 1. durch die Anstalten des Müllers dürfen weder die Grundstücke der benachbarten Ufergrundbesitzer Schaden haben durch Überschwemmung und ebensowenig darf es denselben das zur

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Wiesenbewäßerung nöthige Wasser künstlich entziehen, dagegen kann 2. der Müller allerdings verlangen, daß die Wiesenbewässerung so reguliert werde, daß er ohne Schaden immer mahlen könne 3. die bereits bestehenden Triebwerke dürfen durch Anlegung eines neuen Triebwerks in Bezug auf ihre Wasserkraft nicht beschränkt werden. 4. Auf der andern Seite ist aber auch der ältere Triebwerkbesitzer den später solches anlegenden verpflichtet, den Wasserlauf nicht weiter zu seinem als es die Betreibung seines Werkes bedarf. Er muß daher das für ihn nicht nöthige Wasser der Benutzung der neuen Müllers und belassen. Überhaupt (was hierin liegt) ist jeder Müller auch zu einem positiven Handeln verbunden zu Gunsten der Andern, dies ist hier etwas Eigenthümliches. Dies zeigt sich auch darin, daß der Müller bei drohender Überschwemmung die Schleusen aufziehen muß sollte er auch Schaden davon haben, er ist in der Regel zur Reinigung des Müllergrabens verpflichtet, nicht allein zu seinen eigenen sondern auch zu Gunsten Anderer. Der Müller darf daher aber auch soweit es zu dieser Reinigung erforderlich, das fremde Ufer betrachten und den Schlam darf ausschlagen, Recht des Schaufelschlages. [150]Obige Bestimmungen gelten auch von andren Arten von Mühlen. Windmühlen kann in der Regel Jeder ohne Erlaubnis des Staats auf seinem Grundstück anlegen. Wenn aber der Grundeigenthümer hiernach ein Gewerbe betreiben will, so ist dazu aus gewerbepolizeilichen Rücksichten eine Concession des Staats erforderlich. Wo aber ein Mühlenmangel stattfindet, bezieht sich dieses häufig auch auf Windmühlen (durch solche Theorien der Juristen: der Wind sei herrenlose Sache die dem Landesherrn gehöre, dann auch Regal nach Analogie des Wassermühlenregals). Doch ist hier immer praesumtio gegen dieses Regal. Wo aber dies Regal stattfindet, muß absolut die Einwilligung des Staats zu jeder Anlegung von Windmühlen eingeholt werden. (cf. N. 7) § 114 e. Deichrecht und Uferschutz insbesondere Wegen ihrer Wichtigkeit für das Gemeinwesen dürfen die Deiche nicht ohne Einwilligung des Staats angelegt werden, und noch weniger zerstört werden. Gewöhnlich werden diese auch jetzt als Staatseigenthum betrachtet, und aus demselben Grund werden sie auch zu den befriedeten (unter besonderen Staatsschutz stehenden) Sachen des Staats. Mit diesem besonderem Schutz hängt es auch zusammen, daß der Deichbau gewisse Privilegien genießt z. B. für die „Deichsachen“ giebt es meistens ein besonderes „Deichgericht“ oder daß den Deichgewährsschaften oder die dazu erforderlichen Pferde erst nach allen andren Sachen in Execution vom Gläubiger genommen werden können etc.[151]Die Verpflichtung zur Er­bauung und Erhaltung des Deiches, Deichpflicht oder Deichlast“ theilt man in ordentliche und außerordentliche (Nothhülfe) Deichlast. Die erste begreift diejenigen Arbeiten und Kosten, die der Deich regelmäßig erfordert. Die Nothhülfe da­ gegen umfaßt diejenigen Arbeiten die bei einem Deichbruch und außerordent­ licher Gefahr nöthig wird. Diese Nothhülfe hört mit der Gefahr auf. Ordentliche Deichlast Schon in den Rechtsquellen des Mittelalters finden wir den Satz geschrieben, daß der Gefahr des Überschwemmens durch Betheiligung der ganzen betreffenden Dorfgemeinde entgegen getreten werden müsse, ferner, daß insbesondere die

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Grundbesitzer innerhalb der bedachten Gegend welche sich der Mitwirkung entziehe, zur Strafe ihre Grundstücke verwirken sollen. N. 2 und 3. Später betrachtete man die Deichschaft als eine Art Staatslast, wozu also der ganze Staat contribuiren müsse. Dies kommt aber heutzutage höchst selten oder nirgends mehr vor. Ebenso selten ist es, daß ein einzelner Grundeigenthümer einen Deich als Privatdeich zu schützen hat. Vielmehr betrachtet man in den neuren Zeiten die Deichlast als gemeinsame Pflicht derjenigen Grundbesitzer, deren Land durch den Deich geschützt werden soll, dann aber einerlei, ob sie derselben oder verschiedenen Gemeinden angehören. Diese Grundbesitzer sind zu einer Genossenschaft verbunden, Deichband oder Deichacht.[152]Diese Genossenschaft hat die ordentliche Deichlast zu tragen. Rechtsgrundsätze des Deichrechts:1. kein Land ohne Deich d. h. alle Besitzer der durch den Deich geschützten Ländereien sind ipso jure Genossen des Deichbands. Ohne irgendeine Ausnahme, selbst wenn der fiscus etc. das Land hat. Diese Pflicht kann nicht verändert werden durch Verträge oder Verjährung, selbst durch unordentliche Verjährung nicht. Dies wegen der schweren Last dieser Pflicht. Diese Regel leidet jedoch Ausnahmen in folgenden Fällen a. nach den neuren Einrichtungen sind oft mehrere Districte in Verbindung gesetzt, bürgerlicher Deichband, (im Gegensatz zu den natürlichen) um so die Deichlast zu erleichtern b. bei Anlegung neuer Deiche sind die hinterliegenden Deichinteressenten verpflichtet ein für alle mal „auszugreifen“ d. h. am Bau des neuren Deichs theil zu nehmen, nicht wie beim bürgerlichen Deichband immer mit die Lasten zu tragen. 2. Kein Deich ohne Land d. h. die ordentliche Deichlast ist eine Reallast des Landes, welches durch den Deich geschützt werde. Auch ist diese Reallast eine unablösliche. Die zur ordentlichen Deichlast gehörigen Arbeiten entstehen entweder pfandweise, oder in communione. Pfandweise wenn jedem verpflichteten Grundstück ein oder mehrere Deichstücke „Pfänder oder Kabel“ zu erhalten aufzugeben ist. Doch dies eine nicht passende[153]Einrichtung trotz der jährlichen Deichschau deshalb hat man in neurer Zeit immer mehr die Deichung in communione einzuführen gesucht. Hier wird die Arbeit als ein gemeinsames Werk des ganzen Deichlands getrieben. Die Einzelnen steuern unmittelbar nur Geld bei. Zur Bestreitung dieser Kosten wird dann eine Deichkasse errichtet zu der alle Grund­besitzer Deichpflichtige nach Verhältnis ihres Landes beisteuern. Wenn ein Deichpflichtiger nicht die Mittel zur Erfüllung seiner Deichpflicht hat, so wird ihm sein Grundstück noch heutzutage genommen und er tritt eo ipso aus dem Deichband aus. „Wer nicht kann deichen, der muß weichen“ Die Grundbesitzer können aber nicht durch öffentlichen Verzicht auf ihre Grundstücke sich von der Deichpflicht befreien. Zum Zeichen der Insolvenz pflegte früher und auch heutzutage im ersten Fall der Deichrichter und im 2ten Fall der Verpflichtete selbst einen Spaten in den Deich stecken, – „Spatenrecht“ Beweisstelle N. 8 und 10. Die außerordentliche Deichlast ist eine persönliche Last für alle diejenigen welche hinter dem durch­brochenen oder gefahrdrohenden Deich Wohnenden verpflichtet. Sie erfordert auch stets gewöhnliche Dienste. Zur Abwährung des Schadens erforderliche Materialien können die helfenden nehmen wo sie sie finden. Diese Materialien gehören aber nicht zur Nothhülfe, es können daher diejenigen diese hergegeben haben von den eigent-

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lich Deichpflichtigen Ersatz verlangen, nur die erstere Noth muß gewehrt werden.[154]Mit den Deichen in Verbindung stehen die „Siele“. Unter Sielen versteht man die in den Deichen befindlichen Schleusen welche die Gräben schützen die bestimmt sind das Land zu bewässern oder entwässern. Diese Siele sind Pertinenzen der Deiche und als solche zu behandeln – „Sielacht“ Interessenten derselben sind alle Grundbesitzer deren Ländereien durch dies Siel be- oder entwässert wird. Die Sielacht fällt lange nicht immer mit der Deichacht zusammen. N. 13 Der Uferbau hat zwar auch den Zweck das Grundstück vor Überschwemmung zu schützen noch mehr aber soll er die Wegschwemmung und Beschädigung des Ufers verhindern. Den Uferbau theilt man ein in den Ausuferbau und in den Uferbau im engeren Sinn. Wasserbau, die zur Herstellung und Regulierung des Wasserlaufs erforderlichen Arbeiten am Wasser. Uferbau im eigentlichen Sinn ist klar ein Schutz der Ufer gegen Abschwemmung. Der Wasserbau ist bei öffentlichem Zweck zunächst Sache des Staats, bei andren frei fließenden Gewässern ist er Sache der betreffenden Gemeinden resp. Uferbewohner. Bei den eigentlichen Uferbauten treten die[…]aller Eigenthümer deren Grundstücke auch wenn sie nicht unmittelbar am Ufer liegen, bedroht werden, entschiedener hervor. Diese Grundeigenthümer sind immer berechtigt, die[155]zum Schutz ihrer Grundstücke erforderlichen Arbeiten selbst auf fremdem Boden vorzunehmen. Dies ist eine sog. gesetzliche Servitut. Eine andere Frage ist aber ob sie Obigen dazu verpflichtet sind. Diese Frage ist bisher höchst bestritten. Im Ganzen giebt es darüber 3 Meinungen. Kraut hält es für das Richtigste, daß allein die betheiligten Wasserwerksbesitzer die Kosten des Uferbaus tragen, also nur die eigentlichen Interessenten. (lit. g) 4. Bei Fossilien § 115 a. Begriff und Geschichte des Bergregals Schon seit dem 11ten Jahrhundert fingen die Kaiser an ein Bergregal auf Metalle zu behaupten. Indessen konnten die Kaiser lange Zeit hiermit noch nicht durchdringen. Zwar wurde jene Behauptung besonders seit dem 12ten Jahrhundert von den Kaisern immer entschiedener ausgesprochen und manche echte Eigen­ thümer fanden sich dadurch veranlasst zur Betreibung des Bergbaus auf ihrem Grund und Boden sich kaiserliche Erlaubnis zu holen. Allein der Sachsenspiegel und der Schwabenspiegel N. 5, 6, betrachten das Recht auf edles Metall als ein aus dem echten Eigenthum des Einzelnen fließendes Recht (cf. S. 211 N. 30). Im 14ten Jahrhundert scheint aber das Bergregal ein anerkannter Grundsatz geworden zu sein (s. N. 31 Glosse zu N. 20). Besonders ergiebt sich dies daraus daß Cal IV in der goldenen Bulle allen Kurfürsten allgemein das Bergregal auf edle Metalle Erz und Salz beilegt (N. 12). Später nahmen alle Landesherrn das Bergregal als Hoheitsrecht in diesem Umfang in Anspruch (N. 11).[156]und diesen Anspruch der Landesherrn schützte später die Reichsgewalt. Nur hier und da hat sich bei Eisengewinnung die Observanz erhalten, daß der echte Eigenthümer das Recht zu dessen Gewinnung habe. Heutzutage hängt es ganz von der Verfassung eines jeden Landes ab, in welchem Umfange das Bergregal gilt. Dem Ursprung des Bergregals nach streitet die Regalität immer nur für edle Metalle. In den meisten Län-

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dern werden jedoch alle Fossilien, welche in der Erde gegraben werden, als zum Bergregal gehörig betrachtet, und hier ist dann zu präsumiren, daß alle Erze in dem Lande unter dem Bergregal begriffen sein, keineswegs aber solche Sachen wozu kein bergmännischer Bau erforderlich ist. z. B. Steinkohlen, Braunkohle, Mamorbruch, Salz, noch weniger Torf, etc. Soweit ein Fossil nicht unter dem Bergregal begriffen ist, gilt auch heutzutage noch der Grundsatz daß der echte Eigenthümer ein ausschließliches Occupationsrecht daran hat. Ob dem Bergregal Gegenstände des Bergregals hat der fiscus ein ausschließliches Occupationsrecht. Das Bergregal ist früher für gewisse Districte nicht selten an Corporationen oder einzelne große Grundbesitzer verliehen worden. Der Beliehene erhält dann das Bergregal aber nicht immer nach Belehnungsgrundsätzen. Heutzutage ist aber eine solche Specialverleihung des Bergregals etwas sehr seltenes. Mit dem Bergregal nicht zu verwechseln ist die Berghoheit, ein wesentliches Hoheitsrecht, wie sich versteht.[157] Hierin ist das Recht enthalten Bergordnungen zu erlassen, die Berggerichtsbarkeit zu handhaben und die Oberaufsicht über den Bergbau zu führen. Dies besonders wegen der Grubenarbeiten und deren Gefahr. Vermöge dieser Oberaufsicht hat der Staat überall den Raubbau in Bergwerken verboten, d. h. die Bearbeitung ohne Wirtschaftlichkeit. Auch hat der Staat vermöge des Staatspolizeigewalt d. Recht jeden Grundeigenthümer auf dessen Grund und Boden sich nutzbare Fossilien befinden (einerlei ob sie Regal sind oder nicht, z. B. selbst Kalk, Sand, Lehm zu zwingen diese entweder selbst zu benutzen oder an den Staat, resp. Andern abzutreten, aber letzteres natürlich gegen Entschädigung. § 116 Vom frei erklärten Bergbau Neben der Regalität des Bergbaus macht sich in neueren Zeiten immer mehr das Privileg der Freierklärung des Bergbaus immer mehr geltend. Nach diesem Princip hat das Occupationsrecht der Bergwerksschätze weder der Grundeigenthümer wie nach älterem deutschen Recht, noch der Staat, sondern derjenige der bergmännischer Weise darnach schürft und die Fundgrube gehörig baut. Ist der Bergbau in einer Gegend für freierklärt, so kann sich Jeder bei den landesherrlichen Bergbehörden um 1 Concession zum Suchen von Fossilien melden. Diese Concession wird immer schriftlich ertheilt und heißt Schürfzettel.[158]Der Schürfzettel giebt dem Bewerber das Recht auf allen Districten des Grundstücks überhaupt zu schürfen, nur Kirchhöfe besäte Acker und Gebäude machen hiervon gewöhnlich eine Ausnahme (Es liegt also eine theilweise Exproprietion vor). Der Schürfzettel wird aber immer nur auf eine bestimmte Zeit ertheilt. Hat der Schürfer dann Fossilien gefunden, so kann er verlangen, daß ihm gestattet werde, nun auch bergmännisch diese Stelle bauen zu dürfen. Ehe er aber hiermit den Anfang macht, muß er noch „muthen“ d. h. um Erlaubnis zum Bergbau an diesem ganz speciel­ len Platze bitten, (was ihm durch den Schürfzettel generell für eine ganze Gegend erlaubt war). Diese Muthung giebt dem Muther das Vorrecht des Alters im „Felde“ Muthen mehrere zugleich auf ein und denselben Metallgang so gebührt dem ersten Finder der Vorrang. Auf die Muthung folgt die Belehnung diese wird in ein ­besonderes Buch „Gegenbuch“ eingetragen und darüber eine Urkunde auch

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Lehnbrief ­genannt, erlassen. Hiermit ist das Geschäft zwischen dem Staat und dem Belehnten beendet. Dies Geschäft ist aber keineswegs ein wahrer Lehncontracte, sondern ein eigenthümlicher bergrechtlicher Contract, das vom Lehnrecht nur die Namen entlehnt hat. Der Beliehene bekommt aber keineswegs ein wahres Eigenthum an der Grube, sondern nur ein Recht auf Occupation der Fossilien in diesem Gange und außerdem ein Recht auf die Benutzung des betreffenden Grubenstücks[159]nebst allen daselbst befindlichen Gegenständen, soweit es zum Bergbau erforderlich ist, z. B. Wasserzuflüße, Plätze zu Pachwerken, die nöthigen Wege etc. Dies Exproprietionsrecht bekommt er nicht blos gegen den Eigenthümer des Grundstücks auf welchem er geschürft und nun baut, sondern auch gegen die benachbarten Grundeigenthümer, soweit nöthig. „Mühlen und Teiche müssen dem Berge weichen“. Jenes Recht welches der Belehnte erlangt, wird aber immer nur unter der stillschweigenden Bedingung des ununterbrochenen Baus verliehen. Auch wo der Bergbau für frei erklärt ist, zeigt sich die Regalität desselben meistens noch darin, daß der Staat außer den eigentlichen Steuern auch noch gewisse fiscalische Abgaben von dem Berechtigten erheben kann. Dahin gehört gewöhnlich der Bergzehnt (d. h. der zehnte Theil der gewonnenen Mineralien) und das Quatemberergeld, ein Beitrag zu der Besoldung der vom Staat angestellten Bergbeamten etc. Seltener kommt vor ein Vorkaufsrecht des Staats an den gewonnenen Mineralien oder einzelne desselben. § 117 Von den Eigenlöhnern und Gewerkschaften Bei jedem bedeutendem Bergwerk tritt gewöhnlich eine größere Anzahl von Leuten zusammen um den Bergbau und schon das Schürfen durch andere Personen betreiben zu lassen (nicht Leute der Gesellschaft).[160]Ein solcher Verein heißt Gewerkschaft, die einzelnen Personen die das Geld dazu hergeben, und den Bergbauen lassen, „Gewerken“ das Verhältnis der Gewerken zu dem Bergwerk wird dadurch ausdrücklich daß man sich das ganze Bergwerkseigenthum, „­ Zeche“ in gewisse Ideelle Theile zerlegt denkt. Die ganze Zeche wird eingetheilt in 4 Schichten, jede Schicht zerfällt in 32 Kuxen (also 128 ideelle Theile). Zu diesen 128 Kuxen kommen meistens noch einige Freikuxen, deren Besitzer, Ausbeutung vom Bergwerk bekommt, ohne beizusteuern solche Freikuxen erhält gewöhnlich der Eigenthümer des Grundstücks eine bekommt zuweilen auch der Staat und vielleicht die Kirche auch eine. Die Kuxen werden alle Immobilien betrachtet. Die Gewerkschaft ist weder ein gewöhnliche societas noch eine römische univasitis, sondern sie ist eine deutschrechtliche Genossenschaft. Der Unterschied einer Gewerkschaft und einer societas zeigt sich darin, daß unter den Gewerken Stimmenmehrheit gilt, anders bei der römischen societas wo immer die negative Stimme gilt  – ferner darin, daß für die Schulden der einzelnen Gewerken die Andern nicht persönlich, sondern nur mit ihrem Bergvermögen haften. Von der societas sowohl wie von der römischen univercitas unterscheidet diese Genossenschaft sich auch dadurch, daß jedes Gewerke seine Kuxe nicht[161]vererbt, sondern auch, daß der Inhaber frei über seine Kuxe disponiren kann (rein bei Aktien). Alle Verträge über die Kuxe müssen aber in das Gegenbuch eingetragen werden (dies vertritt die gerichtliche

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Auflassung) Die Geldbeiträge, Zubußen“, welche die einzelnen Gewerke zum Bau zu leisten haben sind gewöhnlich quartaliter bestimmt. Bleibt Jemand so lange im Rückstand, daß die Zubuße in der 6 Woche des 2. Quartals noch nicht erlegt ist, so verliert er seine Kuxe und man sagt dann „die Kuxen sind im Retardat verstanden (cf. verloren). Seltener wird auch einzelnen Individuen ein kleines Bergrecht um es mit eigener Hand zu bebauen, solche Personen heißen dann „Eigenlöhner“. Wo sie vorkommen, bilden sie gewöhnlich keine Genossenschaft; zuweilen findet eine solche statt aber in anderer Art. Besteht diese Genossenschaft aus nicht mehr als 8 Theilnehmern „Gesellen“ so nennt man dies Gesellenbau oder eine Lehnschaft. § 118 d. Salzquellen Daher gelten über Salzquellen keine andren Grundsätze als über Quellen – folgende. Ihre Benutzung war daher Ausfluß des Eigenthums an Grund und Boden [162]Dies änderte sich im 14. Jahrhundert wo in der goldenen Bulle den Kurfürsten ein Recht darauf eingeräumt wurde. Dasselbe nahmen nachher alle Landesherrn als Recht in Anspruch. Wegen der in der goldenen Bulle mineralis calis hat man die Kurfürsten nur das Regal auf Steinsalz beilegen wollen. Ob die goldene Bulle dies allein meint, ist jedoch höchst zweifelhaft. Jedenfalls wurden später auch die Salzquellen mit unter das Regal gefaßt (N. 4 und 5). Durch jene Übertragung des Kaisers konnten aber schon bestehende Rechte von Privaten an Salzmarken nicht aufgehoben werden. Daher zeigte sich die Regalität der Salzquellen besonders nur richtig bei neu entdeckten Salzquellen und bei neu entdecktem Steinsalz. Es fehlt aber viel daran, daß die Kurfürsten damit durchdrangen, daß selbst das unentdeckte Salz Regal sei. Daher streitet heutzutage die Vermuthung ebensowenig für die Regalität des Salzes wie für andere Regale. Auf die Regalität des Salzes kann man aber dahin noch gar nicht schließen, daß dem Staat hier oder da die Salz­regalität zusteht (cf. N. 7). Manche Salzwerke wurden früher von einer Gesellschaft betrieben, namentlich von Patricierfamilien in Städten. Diese Berechtigten führten dann die Bennenung „Salzjunker“, Erbsälzer, Salzbeerbte“. Zuweilen gehören die Salzwerke auch besondern Genossenschaften, analog den Gewerben. Diese heißen Pfannerherrn – Pfönnerschaft oder Sängerschaft die Antheile heißen Köthen. [163]Zweiter Abschnitt Rechte an fremden Sachen A. Servituten § 119 I. Im Allgemeinen In den ältesten Quellen des deutschen Rechts kommt von Servituten nichts vor, mehr enthalten schon die Quellen des Mittelalters davon. Besonders häufig in ihnen sind hohe Beschränkungen des Eigenthums, die man gesetzliche Servituten zu nennen pflegt. Diese sind sehr zahlreich und haben sich bis heute erhalten. Diese lassen sich im Allgemeinen unter 3 Classen bringen. 1. einige sind zum allgemeinen Lasten d. h. zum Kosten des ganzen Staats oder noch weiter, angeordnet. Dahin gehört besonders der Beinpfad. 2. Andere sind zum Vortheil einer Gemeinde eingeführt dahin gehört a. der Noth- oder Kirchweg (Brautweg oder Bahrweg)

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d. h. der Weg auf welchem eine Gemeinde zu ihrer Kirche kommen b. Bestimmungen über das Bauen der Häuser zur Verhütung der Feuersgefahr oder auch zur Verschönerung des Ortes. 3. Noch andere sind blos zum Lasten einzelner Grundbesitzer angeordnet. Zu diesen gehört: a. der gewöhnliche oder römisch Nothweg, d. h. der Weg dessen man nothwendig braucht um auf sein Grundstück[164]kommen zu können. b. der Feldweg (bei der drei Felderwirthschaft) besteht um so auf dem nächsten Weg auf sein Grundstück kommen zu können, während der Fruchtjahre beschränkt, während der Brachjahre frei. c. das Tret- oder Abwenderecht, d. h. das Recht mit dem Pfluge auf dem Grundstück des Nachbarn umwandern zu dürfen d. das Heckenrecht, d. h. das Recht zu verlangen, daß der Nachbar Bäume Gebüsche und grüne Hecken nur in gemessener Entfernung von der beiderseitigen Grenze pflanze. Wenn aber mehrere nebeneinanderliegende Grundstücke mit Grünhecken eingeschlossen sind, so sind diese meistens gemeinsam und werden auf der Grenze selbst gepflanzt. e. das Hammerschlagsrecht d. h. für den Bau oder die Herstellung eines Gebäudes das Grundstück betreten zu dürfen. (wo nämlich das Gebäude an das Nachbarsgrundstück grenzt) f. das Leiterrecht, d. h. ein Gerüst zum Zweck des Baus auf dem nachbarlichen Boden zu bauen. g. das Recht zu verlangen, daß Abtritte, Schweinekarren etc. nur in einer gewissen Entfernung von der Grenze angelegt werden dürfen. h. das deutsche Licht- oder Fensterrecht. Dieses besteht in dem Recht in seiner eigenen Wand, da wo man ohne des Nachbarn Einwilligung keine Fenster und Öffnungen haben darf, dies haben zu dürfen. Anders im römischen Recht mit dem iure luminum und fenestra[165](Beim römischen Recht besteht das Fensterrecht darin in einer fremden Wand Fenster haben zu dürfen). Dies erklärt sich so: die nach römischem Recht dem Eigenthümer zustehende Freiheit in seiner Wand überall Fenster und Luken anlegen zu dürfen, ist oft soweit sie noch des Nachbars Grundstück gehen entweder ganz aufgehoben oder doch auf eine gewisse Höhe beschränkt, z. B. erst im ersten Stock ist es erlaubt, unter nicht etc. Dies ist polizeirechtlich um Streitigkeiten zu verhüten. Will an solchen Orten Jemand dem Verbot zuwider Luftlöcher oder Fenster anlegen, so muß er dazu eine Servitut gegen seinen Nachbarn erwirken diese ist das deutsche Licht- oder Fensterrecht. Alle diese Beschränkungen des Eigenthumes sind blos particularrechtlich obwohl sie in den meisten Ländern vorkommen ausgenommen hiervon ist der als gemeinrechtlich zu betrachtende Nothweg (der römische) nach Analogie und l. 12 pr. D. II. 7 de religiosis. Als wahre Servituten können übrigens nur die einzelnen unter N. 3 eingeführten Servituten angesehen werden, denn nur bei den Beschränkungen durch die Servitut dieser Classe hängt es von demjenigen zu dessen Gunsten sie bestehen ab, ob er sie gelten machen will oder nicht. Übrigens enthalten aber die deutschen Rechte keine eigentlichen besondern Bestimmungen über die obigen Eigenthumsbeschränkungen. Daher ist das römische Recht hier im allgemeinen überhaupt zur Anwendung gekommen.[166]21 Ob dies nun aber auch von dem Grundsatz des römischen Rechts servitus in faciendo consistere requit 21 Hier hört auch nicht wie z. B. der usus fr. einer jur. Person das Recht in[…]auf – es ist eine Grundservitut.

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gilt, kann erst unter in den Lehre von den Reallasten erörtert werden (§ 147) Nach römischem Recht muß bei Prädialservituten die Berechtigung auch immer einem Grundstück zustehen, sonst wird es eine Personalservitut. Nach dem in Deutschland geltenden Rechte kann man das aber nicht für unbedingt nothwendig halten, vielmehr ist das berechtigte Subject hier nicht selten eine Gemeinde. (die z. B. Wegegerechtigkeit hat) oder eine andre juristische Person, (ein Stift, Kirche, Kloster) 2. Einzelne Servituten § 120 a. Gut- oder Weidegerechtigkeit Das Gut und Weiderecht, d. h. das dingliche Recht sich auf das Grundstück eines Andern Weide zu bringen, wird zwar schon im römischen Recht unter dem Namen servitus pascendi erwähnt, doch mehr wird nicht davon erwähnt. Seine genauere Ausbildung hat dies Recht daher erst in Deutschland erhalten. Es ist daher dies Recht in seiner heutigen Gestalt ein deutschrechtliches Institut. Häufig heißt das Weiderecht auch Fristgerechtigkeit. Im eigentlichen Sinn ist diese aber vom Weiderecht verschieden und bezeichnet blos das Recht Vieh über das Grundstück des Andern zu treiben (servitus-actus). Das Weiderecht ist in Deutschland selten ein auf die[167]22 gewöhnliche Art (Vertrag und Verjährung) entstandene Servitut. Es ist uralt in Deutschland. Meistens ist es eine aus den Gemeinden und Markenverhältnissen hervorgegangene Berechtigung, oder hat auch seinen Grund in einem Vorbehalt des echten Eigenthumes bei Übertragung seines Grundstücks. Auch in diesem letzteren Falle hat die Anwendbarkeit der Analogie der Servituten kein Bedenken, sobald nur dem Letzteren Servitut mit Ausnahme der speciellen Servitut das Benutzungsrecht an dem fraglichen Grundstück vollständig übertragen worden ist. Dann darf der echte Eigenthümer des Guts oder Lehnsherr das Mitnutzungsrecht Jenes nicht weiter schmälern, als die vorbehaltene Servitut fordert. Aus diesem Ursprunge des Weiderechts erklärt sich auch die in Deutschland so häufig vorkommende Koppelhut. Dies ist jede Benutzung der nämlichen Weiden eines durch Mehrere. In engerer Bedeutung ist Koppelhut, wenn eine gegenseitige Hütung Mehrerer auf ihrem Grundstück stattfindet. Weil durch die Weidegerechtigkeit die Culturverbesserung in mancher Weise sehr beschränkt werden, so sind sie in manchen Ländern jetzt ablösbar und diesen dass als Servituten von neuem nicht bestellt worden (lit. f etc.). Aber auch schon früher war das Weiderecht aus demselben Zweck mannigfaltig beschränkt.[168]Die Ausübung des Weiderechts ist also im Allgemeinen nach den Regeln von Servituten zu erklären. Diesen gemäß darf der Hütungsberechtigte nur so viel Vieh auf das belastete Grundstück treiben, als mit dem auf dem praed. dominans gewonnenen Futter durch gewintert werden kann. Diese Regel läßt sich aber auf den Fall nicht anwenden, wenn eine ganze Gemeinde das Weiderecht hat, weil eben manche Gemeindeglieder gar kein Grundstück (praed-dom) haben, besonders in Städten. Hier läßt sich kein a­ nderer Maßstab anlegen als das Verhältnis des Haushaltsbedürfnisses (lit. d und 5). Ferner 22 Z. B. A (Gutsherr) auf B. 2 Grundstück, B hütet jedoch auch auf seinem eignen Grundstück z. B. A auf des B Grundstück B auf As und sofort.

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kriegen die Grundsätze von Prädialservituten für den Hütungsberechtigten folgende Beschränkungen: 1. der Hütungsberechtigte darf der Substanz des belästig­ ten Grundstücks bei seiner Benutzung keinerlei Eintracht thun, salvare uti ca ­(licet). Zur Benutzung einer Wiese darf er auf dieselben keine solche Thiere schicken welche den Boden ruiniren, Schweine, Gänse. Der Hütungsberechtigte darf ferner dem dominus der Grundstücks nicht an solchen Verrichtungen hindern, welche die Substanz erhalten sollen (so z. B. einen Wald durch Nachplanzen von Bäumen) 2. Das Hütungsrecht muß civiliter, pfleglich ausgeübt werden. Dies ist besonders wichtig bei der Frage zu welcher Zeit darf die Weidegerechtigkeit ausge-[169]übt werden, das ganze Jahr, oder zu gewissen Jahreszeiten? Bei den eingentlichen Gemeindeweiden entscheidet hierüber immer die (geschriebene oder gewohnheitsrechtliche) Gemeindeverfassung. Bei andern Weidegerechtigkeiten muß man unterscheiden: a. auf gewöhnlichen[…]plätzen,[…]oder[ …]darf, das ganze Jahr gehütet werden b. bei Äckern muß man unterscheiden zwischen Bauäckern welche in diesem Jahr zur Gewinnung von Getreide bestimmt sind, und den Brachäckern, die dies Jahr entweder überhaupt nicht, oder doch nicht zur Gewinnung von Getreide benutzt sind. Bei den Brachäckern erlangt der Grundsatz von der pfleglichen Ausübung daß sie nur benutzt werden, so lange sie noch nicht bebaut sind, noch in Stoppeln liegen. In Beziehung auf die Dauer der sog. Stoppelheit kommt es darauf an, ob sie durch Gesetz oder Verträge auf eine bestimmte Zeit festgesetzt ist. Ist dies nicht der Fall so hindert den Eigenthümer die Praedialservitut nicht den Acker nicht in jedem Augenblick umzubrechen (N. 4). Bei Brachäckern kann das Hütungsrecht an sich während der ganzen Brachzeit ausgeübt werden. Es fragt sich nur, ob der Eigenthümer des Ackers durch Bestimmung des Ganzen oder eines Theils der Brache das Hütungsrecht beschränken darf: (Besömmerung heißt Sommerfrüchte bauen (Citronen, Futterweiden, Kartoffeln etc. nicht das gewöhnliche Sommergetreide). Nach privatrechtlichen Grundsätzen muß man in Beziehung auf die Berechtigung des Ackereigenthümers zur Bestimmung unterscheiden:[170] 1. es besteht in einer Landschaft eine bestimmte Art des Ackerbaus z. B. die drei Felderschaft 2. eine solche Regel besteht nicht, sondern es hängt im Ganzen vom Belieben der Einzelnen ab, welche Wirthschaft sie treiben wollen. Im ersteren Fall wird der Eigenthümer an die Besömmerung der Brache soweit beschränkt, als der Berechtigte etwas von seinem Hüterecht verlieren würde im 2ten Fall dagegen besteht für den Eigenthümer ein solches Hinderniß nicht, wenn nicht etwa der Berechtigte ein besonderes Hinderungsrecht erworben hat. Aber bei weitem in den meisten Ländern findet die drei Felderwirthschaft statt. Weil aber die Besömmerung der Brache für den Landmann von größter Wichtigkeit ist z. B. Kartoffel- und Futterkräuter, wie Klee etc. zu bauen, so ist dem Eigenthümer oft zum Nachtheile des Hüteberechtigten von der Staatpolizeigewalt die Besömmerung in einem gewissen Grad (oft 1/3) erlaubt. 3. Bei Wiesen gilt der Grundsatz, daß sie nicht in der geschlossenen Zeit, sondern nur in der offenen Zeit gehütet werden. Bei einschürigen Wiesen hängt die offene Zeit nach der eigentlichen Heuernte, bei zweischürigen nach der Nachmatt oder Grummet entweder statt. Bei einschürigen Wiesen hängt es keineswegs vom Eigenthümer ab, der Berechtigte kann jetzt

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schon das Hütungsrecht[171]ausüben. Der Eigenthümer darf nach privatrecht­ lichen Grundsätzen solche einschürige Wiese nicht dadurch zum Nachtheil des Berechtigten zur zweischürigen machen. Doch ist letzteres dem Eigenthümer oft aus polizeilichen Rücksichten erlaubt. Dies wieder zur Verbesserung der Landwirthschaft. Wie lange die offene Zeit dauern soll, ist meistens durch Gesetz oder Vertrag oder Gewohnheitsrecht bestimmt (im Norden Deutschlands fängt die Schonungszeit meistens zum 1st. Mai an. Weil nur durch Berechnung der noch unter dem alten Kalender entstandenen Weiderechte die Benutzung des Eigenthümers sehr beschränkt wird hat man aus polizeilichen Rücksichten den neuen Kalender zur Norm gemacht, dies ist meistens in den Particulargesetzen bestimmt. § 121 Schäferei und Pferdrecht 2erlei: 1. das Recht Schafe zu halten und 2. die eigentliche Schäfereigerechtigkeit. Das Erste ist an sich ein Ausfluß des Eigenthums an Grund und Boden. In einigen Ländern wird jedoch zur Anlegung einer eigentlichen Schäferei (Schafherde mit einem eigentlichen Schäfer) der Besitz gewisser Hufen Landes erfordert, so (noch in Sachsen) (lit. a). In andern Ländern dagegen darf Niemand eine Schafherde mit einem Schäfer halten, die das Recht nicht vom Alters her gehabt haben. Die eigentliche Schäfereigerechtigkeit besteht in dem Recht, Schafe auf der ganzen[172]Feldmark, mithin auch auf fremdem Grundstück zu halten. Diese eigentliche Schäfereigerechtigkeit ist soweit auf fremden Boden ausgeübt eine Servitut. Es erfordert diese immer einen besondern Titel. In einigen Ländern wird die Schäfereigerechtigkeit jedoch als ein Recht jeder Gutsherrlichkeit angesehen. Der Gutsherr kann danach in der ganzen Mark seine Schafsherde hüten lassen. Über die Ausübung solcher Gerechtigkeiten gelten die Grundsätze des vorigen §. Nur ist die gutsherrliche Schäfereigerechtigkeit nicht beschränkt durch die mit dem Futter des Gutsherrn durch zu winternde Stückzahl, wo andre die Mithut haben, tritt auch hier der allgemeine Grundsatz ein, daß der eine die Hut des Andern nicht beschränken soll. Es kommt bei der Mithut vor, daß einer das Stabrecht hat, d. h. das Recht die Schafe des Andern unter seinen Hirten gegen ein Entgelt und gegen Benutzung des sämtlichen Düngers zu weiden. Dies ist jedoch keine eigentliche Servitut, sondern eine Art Bannrecht. Wegen der Wichtigkeit des Schafdüngers für den Anbau erklärt sich das Pferchrecht, das Recht des Hürdenschlags, das Recht zu verlangen, daß die Schafe auf gewissen Äckern in Herden oder in den Pferch gesetzt werden. Bei Gemeindeheerden wechselt dies meistens ab, jeder Einzelne hat das Recht gegen die Gemeinde als juristische Person. Keiner kann seine Schafe nachts der Heede entfernen.[173]Dieses Pferchrecht ist keine Servitut, der Eigenthümer des betreffenden Grundstücks ist ja kein Verpflichteter das Pferchrecht ist daher eine Reallast, gegen den Besitzer des betreffenden Grundstücks etwas zu leisten. § 122 c. Servituten an Waldungen 1. das Beholzungsrecht d. h. das Recht Holz in einem fremden Wald zu fällen, bald als usus, bald als usus fructus 2. das Mastungsrecht, d. h. das Recht in einem fremden Wald Schweine zur Eichel und Buchenmaß zu treiben. In Beziehung die-

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ses Recht theilt man nach dem Vorrath der sich im Wald befindlichen Früchte ein in: Vollmaß, wenn alle Bäume so voll wie in einen guten Jahre, sitzen, halbe Maß – Viertelmaß. Ist der Vorrath noch geringer, so nennt man die Maß Haselmaß. Soll auch noch hierbei die Maß ausgeübt werden, so gehört sehr genauer Nachweis des Rechts dazu und 3. das Recht der Eichellehn 4. das Hütungsrecht an Wäldern, dies ist seinem Wesen nach von dem gewöhnlichen Hüt- und Weiderecht nicht verschieden. Besonders kommt hier die Frage in Betracht, ob der Eigenthümer zeitweilig bestimmte Stücke in Schlage legen und zur Anpflanzung von jüngrem Holz ein hegen darf und der Berechtigte so daran von der Hut auszuschließen. Wenn es blos geschieht, um den Wald[174]zu unterhalten[geschieht], muß der Hütungs­ berechtigte sich dies gefallen lassen, senn seine Benutzung gebührt ihm nur salva rei substantia. Wenn der Wald einer forstwirthschaftlichen Behandlung fähig ist, so ist die Größe jener einzuhegenden Stücke nach den Regeln der Forstwirthschaft abzumessen. Bei andren Wäldern dagegen kommt es lediglich auf das Gutachten des Kunstverständigen an. Bei der Wahl unter mehreren zur Erreichung des Zwecks der Erhaltung des Waldes gegebenen Mitteln muß der Eigenthümer sich des Mittels bedienen, welches dem Servitutsberechtigten am wenigsten Beschränkung darbietet. Jedenfalls darf der Waldeigenthümer kein solche Waldveränderung vornehmen, welche den Wald in einen ganz andren Zustand versetzen, nicht blos erhalten sollen, sobald darf eine größere Beschränkung des Hütungsrechtes hervorgebracht wird, z. B. wenn (er Laubholz in Nadelholz verwandeln will) oft treten hier jedoch wieder die Polizeigesetze dazwischen. Wenn die von dem Eigenthümer vorgenommene forstwirthschaftliche Cultur eine Verbesserung des Waldes bezweckt, so hat gegen eine solche Cultur der Hütungsberechtigte, soweit sein Recht dadurch beschränkt wird, nach dem Privatrecht unbedingt ein Recht zu opponiren. Doch polizeirechtlich wird dem Eigenthümer oft mehr Freiheit gegeben.[175] Wenn es sich endlich um Anlegung eines neuen Waldes auf einem dem Hütungsberechtigten unterworfenem Grundstück handelt, so ist das eine Neuerung, die er sich nicht gefallen zu lassen braucht. Doch giebt es oft Veränderungen, die die ­Anpflanzung von Nutzholz auf […] trotz Weiderechts eines Andern erlaubt. Wenn jedoch das praed.[…] zur Zeit der Entstehung der Servitut mit Wald besetzt war, da sich allmählich verloren hat, wie es oft vorgekommen ist, hier ist das Grundstück Forstgrundstück geblieben und es gelten daran dieselben Grundsätze wie von solchen, die noch bewaldte sind. B. Pfandrecht § 123 I. Historische Einleitung Schon das ältere deutsche Recht kennt die Begründung eines dinglichen Rechts an den Sachen des Schuldners zur Sicherung für den Gläubiger, ein Pfandrecht. Dies kann mit oder ohne Willen des Schuldners geschehen und ist darnach entweder Versetzung oder Verpfändung.[176]23 Bei Immobilien kommt nur die erste Ent 23 Bei Immobilien ursprünglich nur mit Wechsel des Schuldners; Erfüllen der Voraussetzungen Besitzübertragung bei Immobilien Auflassung.

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stehungsart vor. Zum Versetzen war ursprünglich sowohl bei Mobilien wie Immobilien die Übertragung des Besitzes der Sache an den Gläubiger erforderlich. Bei Immobilien außerdem noch die gerichtliche Auflassung. Ob der Gläubiger die gezogenen Früchte lucriren oder an dem Kapital abrechnen sollte, hing lediglich von dem Belieben der Parteien ab. Bei Mobilien konnte der Gläubiger sich durch Verkauf der Sache bezahlt machen, doch musste dieser Verkauf immer gerichtlich geschehen. Bei Immobilien mußte dagegen der Gläubiger warten, bis der Schuldner die Sache wieder einlöste, was ihm jeden Augenblick freistand. An eine Veräußerung war nicht zu denken und so erklärt sich, daß diese Pfandschaften oft erst mit der Dauer der Zeit ins Eigenthum gekommen sind. Dieses ganze Institut nennt man im Mittelalter „Satzung“. Neben dieser Satzung des alten Rechts kommt in späterem Mittelalter bei Immobilien noch die sog. neue Satzung vor. Die ältere Satzung hat man oft als Kauf auf Widerkauf angesehen, doch der Gläubiger bekommt nur ein jus in re aliena, kein Eigenthum. Die neuere Satzung unterscheidet sich von der älteren wesentlichen dadurch, daß bei ihr die Übertragung des Besitzes an den Gläubiger nicht nöthig war, und daß der Gläubiger die verpfändete ­Sache zu seinem Nutzen verkaufen konnte, wenn er sich befriedigen wollte, doch der Kauf mußte auch hier gerichtlich geschehen. [177]Heutiges Recht § 124 I. an unbeweglichen Sachen A. das ältere System des Pfandrechts Durch die neuere Satzung hatte sich das deutsche Recht dem römischen Hypothekenrecht schon so genähert, daß dasselbe in Deutschland leicht Eingang fand und selbiges gemeines Recht wurde. Unterschied war nur die nach deutschem Recht erforderliche gerichtliche Auflassung zur Bestellung und gerichtlicher Verkauf bei der Befriedigung. Die ältere deutsche Satzung ist in dem römischen Institut der[…]aufgegangen. Indessen äußern die Grundsätze des älten deutschen Rechts noch bis heute einen wichtigen Einfluß auf das Hypothekenwesen. In vielen Ländern und Orten ist es nämlich fortwährend Gebrauch geblieben Hypotheken von Immobilien durch Einschreiben in öffentliche Bücher, Ingrossation oder doch Bestätigung der Pfandverschreibung durch den Richter bestellt. Die Eintragung darf immer erst nach erfolgter causae cognitio geschehen. Dieser Unter­suchung wegen ist hier nur die judex rei sitae competent. Die Ingrossationsbücher sind in manchen Ländern ganz besondere Hypothekenbücher oft aber auch die gewöhnlichen Kauf und Handelsbücher. Aus dem bloßen Dasein dieser Einrichtung der Ingrossation folgt freilich noch nicht, daß außerdem nicht auch noch öffentliche Hypotheken nach römischem Recht sollte errichtet werden können, auch nicht, daß diese Hypotheken im Sinn des römischen Rechts nicht bloßen Privathypotheken[178]vorgehen müßten. Allein gemeinrechtlich muß man behaupten, daß die ingrossirten Hypotheken jeder andern freiwillig ertheilten vorgehen müßen, auch wenn diese im Sinne des römischen Rechts sind. So gehen im Concurs die ingrossirten Hyptheken allen andern, selbst älteren Hypotheken vor, nach den ingrossir­ ten Hypth. kommen die hypo. publ. vel. quasi des römischen Rechts und endlich

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die durch Privaturkunden bestellten, denn mit der Einrichtung des Jure Justian ist es unerträglich daß eine hyp. publ.[…]des römischen Rechts da mit dem Alter sollte rangiren können, denn mit der Ingrossation sind Mühe und Umstände und Kosten erforderlich. (1. competente Richter, 2. causae cognitio, siehe oben) Die Particularrechte bestimmen oft, daß die Hypothek an einer unbeweglichen Sache gar nicht anders als durch Ingrossation soll bestellt werden können (so z. B. N. 4 lit. a N. 7). Bei dem System der Ingrossation bleiben die römischen Gene­ral­hypo­the­ken immer kräftig, soweit sie sich nicht auf unbewegiche Sachen er­strecken, auch die stillschweigend, Pfandrechte haben noch gleiche Wirkungen N. 11 und 12. Ebenso behalten die gesetzlich privilegirten Pfandrechte des römischen Rechts auch ohne Ingrossation ihren Vorzug. So ist dies zum großen Nachtheil der Ingrossation. Das älteren System gilt auch jetzt in manchen deutschen Ländern z. B. Hannover. [179]§ 125 Neueres System Eine größere Sicherheit des Realcredits, als das obige System bewirkt, hat man in manchen deutschen Ländern dadurch bewirkt, daß man die ältern Principien des Pfandrechts unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Gegenwart wieder eingeführt hat – so zuerst Preußen im Landrecht – auch in Österreich Gesetzbuch § 471 ff. In Mecklenburg gelten für die einzelnen Classen und Grundbesitzer verschiedene Hypothekenordnungen s. Grdr. Die preußische Hypothekenordnung die älteste des neuern Systems hat es noch nicht ganz consequent durchgeführt. Consequenter im Baierischen Gesetzbuch v. 1. Juli 1822. Ausgezeichnet ist das Würtembergische v. 1825. besonders aber das sächsische von 1843. – Nur in Hannover gilt das neue System noch immer nicht, trotz der beständigen Vorlagen der Kammern v. den 20er Jahren her. Auch darin stimmt das neue System mit den älteren Rechten überein, daß es Hypotheken nur an Grundstücke und solche körperlich und unbewegliche Sachen welche den Immobilien juristisch gleich geachtet werden. Die Principien des neuern Systems sind die der Publicität und Specialität der Hypotheken. Um die Öffentlichkeit des Pfandrechts zu bewirken ist an die Stelle der gerichtlicher Auflassung der Grundsatz getreten, daß zu Entstehung des Pfandrechts an Immobilien[180]erforderlich ist die Eintragung in öffentliche Bücher entweder in eigene Hypothekenbücher oder in die Grundbücher (Jedes Grundstück hat sein eigenes folium) und es gibt keine Hypothek anders als wenn sie eingetragen ist. Durch bloßen Vertag, durch Gesetz und richterliche Anordnung kann an Immobilien hiernach kein Pfandrecht mehr entstehen an Mobilien dagegen kann gar keine Hypothek stattfinden. Jedoch geben Vertag, gesetzliche Vorschriften, auch wohl richterliches Urtheil meistens einen Titel die Eintragung der Hypothek zu verlangen, aber erst durch die Eintragung entsteht das Pfande nicht wie bei den Römern schon durch obigen Rechtstitel Grdr. N. 9 etc. lit e f. Regelmäßig wird auch bei diesem System dem Gläubiger eine die Eintragung ins Hypothekenbuch öffentlich bescheinigende Urkunde, Pfandbrief, Befriedigungsbrief übergeben. Dies zur größeren Sicherheit. Das Buch muß immer nothwendig eine Übersicht von den sämtlichen Schuldverhältnissen des Grundstücks enthalten. Das Rechtsverhältnis der Hypotheken richtet sich daher auch lediglich nach dem was in dem Buche verzeichnet

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ist. Da wegen der Öffentlichkeit des Hypthekenbuchs jeder Erwerber des verhypothecirten Grundstücks aus dem Buch den Zustand des Grundstücks genau kennen lernen kann, so steht ihm, vom Pfändungsgläubiger in Anspruch genommen, [181]nicht das beneficium excussionis pers. zu Gebote damit wird aber allerdings die Person des Schuldners nicht verändert. Es hängt daher von dem Gläubiger ab, ob er zuerst den Schuldner oder erst den Besitzer des verhypothecirten Grdstücks in Anspruch nehmen will. Das Princip der Specialität erfordert, daß immer nur auf ein bestimmtes speciell bezeichnetes Grundstück eine Hypothek gelegt werden können. Alle Generalhypotheken sind hiernach ausgeschlossen. Endlich verlangt dies System auch die Ausschließung aller privilegirten Pfandrechte. Der Vorzug unter mehreren Hypotheken richtet sich unbedingt nach dem Datum der Eintragung lit. i. Nothwenidg ist es auch daß die Hypothek in einer gewissen Geldsumme eingetragen werde, um sowohl dem Besitzer des Grundstücks nicht mit einmal creditlos zu machen, anderntheils den 2ten oder 3ten Gläubiger nicht mit dem Betrag seiner noch auf das Grundstück zu fordernden Sicherstellung zu täuschen. Indessen ist doch eine eventuelle Verpfändung zulässig z. B. zwischen Pugillen und Vormund für Forderungen, die erst in die Zukunft fallen könnten, es muß jedoch daran der höchste Preis des verpfändeten Grundstücks eingetragen werden. Da die Hypothek auch für die Zinsen haftet, so wird auch hierdurch eine gewisse Unbestimmtheit bewirkt welche jedoch theilweise dadurch gehoben wird, daß die Gesetze eine Haftung der Hypothek für die Zinsen auf 2, höchstens 3 Jahre zulassen (p. 369) und zwar muß dann das Grundstück als ein Verzinsliches im Hypothekenbuch eingetragen sein. Die eingetragene Hypothek kann auch abge-[182]treten werden und zwar dadurch, daß man den Pfandbrief einem Andern cedirt, was mehrmals geschehen kann und zwar ist dann keine neue Eintragung nothwendig es geschieht jedoch der größeren Sicherheit wegen gewöhnlich. Der Schuldner erfährt von der Cession nichts, und erst wenn die Umschreibung erfolgt ist, wird es ihm gewöhnlich angezeigt. Dasselbe wie von der Cession gilt von der Verpfändung des Pfandbesitzes, da aber die Existenz der Hypothek lediglich das öffentliche Buch entscheidet, so wird die Hypothek in Beziehung auf Dritte solange als fortbestehend betrachtet, bis das Aufhören derselben im Hypothekenbuch gehörig eingetragen ist (gelöscht, delirt), selbst wenn die Schuld bezahlt oder ganz irrthümlich eingetragen ist. Hiermit hängt es zusammen, daß die neuen Gesetze es dem Schuldner erlauben nach Bezahlung der Schuld eine neue Hypothek auf dieselben Bedingungen mit derselben Priorität, worüber ja das Datum entscheidet eintragen lassen könne. (Die Hypothek bleibt offen) Üblich ist es allerdings daß er es dann auf seinen Namen übertragen läßt (lit. b pg 472) und dann da er nun selbst ein Pfandgläubiger und zwar erster ist, diesen Prioritätspfandbrief weiter cedirt, einerlei nach welcher Zeit. Umgekehrt behält eine in ungehöriger ja doloser Weise erfolgte Löschung ihre Gültigkeit in Ansehung derer, die sich in gutem Glauben auf die Richtigkeit des Hypothekenbuchs auf das Grundstück liehen, oder es für frei kauften. Die Realisirung der Hypothek muß regelmäßig gerichtlich geschehen; der Mehrerlös fällt dem Schuldner zu[183]wenn ein Mindererlös eintritt, so bleibt der nichtbezahlte Theil als Forderung der creditor an dem seitherigen debitor fortbestehen.

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§ 126 Über die Papiere auf den Inhaber mit Realsicherheit Ganz eigenthümlich wird in manchen Ländern das Hypothekenwesen durch den Creditverein gestaltet. Diese Creditvereine entstehen dadurch, daß die Grundeigenthümer des Landes oder einer Provinz (gewöhnlich Ritter) unter öffentlicher Autorität in einem Verein zusammentreten, um sich durch diese Verbindung einen größeren Credit zu verschaffen, als ihn der Einzelne haben würde. In manchen Ländern suchte man die Vereine dadurch zu haben, daß man ihnen Pfandbriefe auszugeben gestattete, die solidarisch auf alle Güter der Vereinsmitglieder gehen. Der Credit wird noch dadurch erhöht, daß die auszufertigenden Pfandbriefe nebst Zinsenanweisungen (Coupons) auf den Inhaber lauteten, (Pfandbriefe an porteur). Im Übrigen können diese Vereine verschieden modificirt sein was jedoch hier nicht in Gewicht fällt.[184]b. Pfandrecht an beweglichen Sachen § 127 A. Überhaupt (Leihhäuser) Conventionspfandrecht Dies ist gemeinrechtlich nach römischen Grundsätzen zu beurtheilen, denn nach neuren Hypothekenordnungen können Mobilien durchaus nicht zu Hypotheken zugelassen werden, sie sind Faustpfande. Wo das deutsche Princip rein erhalten ist, ist es nicht genügend, daß der Schuldner im Namen des Gläubigers das Eigenthum an der Sache[…]Gegenstände des Faustpfandes können Papiere auf den Inhaber sein, aber alles muß in die Hände des Pfandgläubigers kommen, sonst kann er kein Pfandrecht begründen, daß Papiere an porteur als Faustpfandgegenstände gelten wird auch auf andere Urkunden ausgedehnt werden, z. B. Wechsel, Ver­siche­ rungs­policen. Die Veräußerung des Pfandes muß regelmäßig gerichtlich geschehen. Außer auf diese gewöhnliche Weise geht das Pfandrecht auch dadurch unter, daß der Gläubiger den Besitz des Pfandes verliert und ihn nicht wieder herstellen kann. Das Ausleihen von Geld auf Hausgegenstände, soweit es gewerblich betrieben wird, ist heutzutage der polizeilichen Aufsicht unterworfen. Hiermit in Verbindung steht das Institut der Leihhäuser, öffentlich angelegte Institute) die Leihhäuser, Lombarden genießen immer besondere Privilegien besonders, daß sie dem Eigenthümer seine Sachen wenn sie nur von unverdächtigen Leuten verpfändet sind, nur gegen Erlangung des Pfandschillings und der Zinsen zurückgeben – (daß also die rei vind gegen sie ausgeschlossen ist, wenn sie in bona fide sind.[185]ferner daß die lex commissoria bei ihnen erlaubt ist. B. Das Pfändungsrecht (cf. Wilda) § 128 Historische Einleitung Nach dem ältesten deutschen Recht steht das Pfändungsrecht dem Gläubiger wegen jeder Forderung zu, ob Schadensforderung, Vertrag und so fort jeder Gläubiger kann zwischen Pfändung und gerichtlicher Geltendmachung wählen. Diese Privatpfändung wurde aber schon früh bei manchen deutschen Völkern beschränkt, allgemein geschah dies durch die Reichsgesetze insoweit, daß kein Gläubiger vor gerichtlich eingeholter Erlaubniß pfänden darf. Ausnahmesweise gestatten die Reichsgesetze noch ohne gerichtliche Erlaubniß die eigenmächtige Pfändung

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1. wegen Grundzinsen und Gulten bei Renten 2. wenn ein Schuldner sich der Pfändung freiwillig unterworfen hatte (Pfändungsklausel) 3. bei jeder kundlichen redlichen Schuld, d. h. einer Schuld für welche solche Beweise vorliegen, daß der Schuldner nicht durch einen Eid seiner Klage entgehen kann (liquider Schuldner) 4.  wegen Schadens, der an Grundstücken geschehen ist, sei es durch Vieh oder Menschen. Die Pfändung wegen Grundzinsen und Gulten blieb auch nach Reception des römischen Rechts zum Theil bis in dies Jahrhundert herein (so besonders wenn der Bauer dem Gutsherr nicht zahlte, ebenso beim Rentenkauf etc)[186] Im neuren Recht hat aber diese Pfändung immer dem gerichtlichen Rechtsschutz weichen müssen. Dagegen kam das Pfändungsrecht aus der Pfändungsklausel und wegen kundlicher Schuld schon seit dem 16t. Jahrhundert außer Gebrauch. Ersteres stritt gegen das römische Verbot der Selbsthülfe, auch weil man annahm, es sei das Pfändungsrecht in dem ewigen Landfrieden aufgehoben. Das Pfandrecht wegen Schadens an ländlichen Grundstücken war dagegen noch bei Einführung des römischen Rechts in füglichen Gerbrauch. Daß die Juristen nicht umhin konnten, dies als gemeines Recht anzuerkennen (trotz der l. Aquilia). Indessen hat nun durch die Juristen das Pfändungsrecht eine etwas andere Bedeutung eine Erweiterung. Nach älterem deutschen Recht bestand der Zweck dieses Pfändungsrechts nur in Vergütung eines zugefügten Schadens, die Forderung mußte also schon entstanden sein vor der Pfändung. Die Juristen dagegen nahmen an, daß die Pfändung auch besonders den Zweck habe, für die Zukunft zu verhüten, daß nicht ähnlich Beeinträchtigungen des Eigenthum durch den debitor stattfinden und deshalb nicht glaube er habe solches kraft eines ihm zustehenden Rechts gethan. Besonders schien den Juristen dies ein gutes Mittel für den Betreffenden seine dispotentia wegen Verjährung einer Servitut, die der andre an seinem, des Pfänders Grundstück ausübt. – Wenn die Pfändung so ein Mittel des Eigen-[187]thum und die darin enthaltenen Rechte zu schützen war, lag es nahe, die Pfändung auch als Schutzmittel des belasteten Besitzers zu betrachten. Die Pfändung wurde daher von den Juristen nicht nur den Grundbesitzern (d. h. Eigenthümern) sondern auch denjenigen, welche sich im Besitze eines Rechts befanden welche eine juris quasi possessio hatten und so kann z. B. selbst der Servitutberechtigte pfänden, um damit sein Recht gegen Steuer zu bewahren. § 129 Heutiges Recht Dem obigen nach ist die Privatpfändung nach heutigem gemeinen Recht noch in folgenden Fällen gültig: 1. wenn fremdes Vieh an Grundstücken Schaden angerichtet hat, oder auch nur da angetroffen wird, wo eine Schadenszufügung möglich ist. Diese Thierpfändung wird in Niedersachsen „Schüttung“ genannt. 2. wenn eine Person an ländlichen Grundstücken Schaden angerichtet hat, durch Gehen, Reiten Fahren etc. etc. In diesem Fall besteht die Pfändung darin, daß dieser Person ein Pfand abgenommen wird, oder sie so lange angehalten wird, bis der Schaden ersetzt wird. Unter Schaden ist hier nicht blos Schaden durch Verderben, sondern auch Schaden durch widerrechtliche Aneignung verstanden, sobald hierin kein wahres Vergehen liegt (cf. N. 14) 3. wegen Besitzstörung d. h. um die Nach­theile präjudicirlicher Handlungen abzuwenden, so bei corporis possessiv und jure quasi

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poss.[188]Ist aber weder Schaden zugefügt noch ein präjudicirlicher Zustand bedacht, so liegt im Betreten von fremden Grundstücken kein Grund zur Pfändung. Anders steht aber die Sache wenn nach Particularrecht ein Gold für das widerrechtliche Betreten eines Grundstücks bezahlt werden muß. (verbotene Grundstücke und Wege) Zu solchem Fall ist gewöhnlich eine Forderung, die Strafe vorhanden zu deren Eintreibung der Berechtigte pfänden darf, da die Pfändung nur ein außerordentliches Rechtsmittel ist, so ist sie auch nur dann zulässig wenn die Pfändung dem Pfänder einen Vortheil gewährt, den er sonst entbehren würde. Z. B. waren hier reichende Zeugen da, so braucht er nicht zu Pfänden etc. Zur Ausübung der Pfändung ist jeder berechtigt, der entweder vom Schaden betroffen ist, oder durch den Verlust bedroht ist (dasselbe brauchte nicht immer der Eigenthümer des Grundstücks sein, der pfändet es kann die Pfändung (s. oben) selbst gegen den Eigenthümer gerichtet sein. Übrigens kann die Pfändung nicht blos durch den Berechtigten selbst geschehen, sondern auch durch seine Leute auch durch die Flurschützen. Dagegen enthalten die deutschen Rechtsquellen nichts, wodurch sich rechtfertigen ließe, daß auch jeder beliebige Dritte als negotiorum gestor pfänden könne. Was die Erfordernisse zur Ausübung der Pfändung betrifft so muß, 1. die Pfändung auf frischer That geschehen, d. h. so lange das Vieh oder die Person noch nicht die Grenze des Grundstücks wieder verlassen hat.[189]Bestritten ist es aber, ob wenn die Person oder das Thier die Flucht ergreifen über das Gebiet des Pfänders verfolgt werden dürfen. Kraut glaubt, daß man nach Analogie der Jagd diese Frage bejahen müße (auch preußisches Landrecht). Dem Flurschützer gestatten auch die Vertreter der entgegengesetzten Ansicht die Verfolgung in der ganzen Feldmark. 2. Die Pfändung ist nicht nur ohne Exceß, d. h. ohne alle irgend vermeidliche Gewalt, Kränkung und Beschädigung sondern auch mit möglichster Schonung vorzunehmen. 3. Soweit es irgend mit dem rechtlichen Interesse des Pfänders sich verträgt, diesem nur solche Gegenstände genommen werden, die der andere auch wenn leidlich am besten entbehren kann 4. die Pfändung darf nicht übermäßig sein, also es darf nicht mehr genommen werden, als die Forderung des Andern berechtigt, oder was zur Sicherung des gedrohten Übels nöthig 5. Jeder Widerstand gegen die Pfändung ist unerlaubt und selbst strafbar. Dies gilt auch von der Gegenpfändung (ursprünglich Pfandkehrung, wo man dieselbe Sache wieder wegnimmt) Geschieht aber die Pfandkehrung gleich auf frischer That gegen eine ungerechte Pfändung, so ist dies nur ein Fall erlaubter Selbsthülfe. 6. Der Thierpfänder ist verpflichtet, dem Eigenthümer des Viehs ungesäumt die Pfändung anzuzeigen. 7. Nach vielen Particularrechten muß der Pfänder die gepfändete Sache ans Gericht abliefern, und bei der Pfändung von Vieh wollen Viele es als gemeinrechtliche Regel betrachten, wozu Kraut keinen Grund vorhanden glaubt.[190]Zuweilen ist auch nur Anzeige von der Pfändung vor Gericht nöthig. Als gemeinrechtlich kann man diese Anzeige vor Gericht nur betrachten: 1. wenn aus der Handlung des Betroffenen dann auch gerichtliche Forderungen entstehen (Beschreiten verbotene Wege etc.) 2. wenn bei Pfändung von Thieren der Eigenthümer derselben unbekannt ist, damit von Gerichtswegen dieser herausgebracht werde 3. wo zum Schutz des Besitzes gepfändet wird denn sonst bleibt die Pfän-

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dung eine außergerichtliche Willensmanifestation, die nicht herreicht den Besitz zu schützen Die Wirkungen der Pfändung sind folgende 1. der Gepfändete muß dem Pfänder allen Schaden und Kosten ersetzen 2. Wo es herkömmlich ist, muß das Gepfändete dem Pfänder auch noch ein Pfandgeld zahlen 3. Durch die Pfändung wird die rechtliche Vermuthung begründet, daß die Beschädigungen durch das gepfändete Vieh oder durch die betreffende Person wirklich zugefügt sein. Das Vorhandensein der Beschädigung und die Größe des Schadens muß aber anders bewiesen werden. 4. der Pfänder bekommt durch die Pfändung ein Pfandrecht an der gepfändeten Sache. Der Pfänder kann daher die gepfändete Sache so lange retinieren bis das Gepfändete alles restituirt hat. Aus demselben Grund kann er auch wenn der Pfänder mit der Auslösung des Pfands säumig ist[191]den Verkauf der Sache vornehmen. Andererseits hat der Pfandgläubiger auch wieder die Verpflichtung eines Pfandgläubigers besonders zur custodia. Ebendeshalb muß der Pfänder auch dem Vieh Futter geben und sonst für das Wohl desselben sorgen, er hat aber keineswegs das Recht die gepfändete Sache zu seinem Nutzen zu gebrauchen daher müßen aber auch dem Pfänder die Fütterungs und Bewachungskosten ersetzt werden. 5. Wenn die Pfändung rechtmäßig war so giebt sie jedesmal einen Beweis des Besitzstands dessen, der sie ausübt. Es liegt also in der Pfändung auch eine ­Unterbrechung der Verjährung. Dritter Abschnitt24 Reallasten § 13 a. Rentenkauf und Reallasten im engeren Sinn B. Der Rentenkauf in seiner ältren Gestaltung Der Renten- oder Gültenkauf besteht in seiner ursprünglichen Gestalt als ein Kauf des Rechts auf Beziehung von Renten, Gülten, Pensionen, d. h. jährliche Einkünfte, die von einem besondern Grundstück bezahlt werden sollen. Der Berechtigte ist der Gültenherr, er bekommt durch einen solchen Rentenkauf immer ein dingliches Recht auf das Grundstück, aus welchem er die Rente bezieht; daher war immer eine gerichtliche Auflassung erforderlich und deshalb müssen die nächsten Erben nothwendig ihre Einwilligung dazu geben. Es wird daher auch diese Berechtigung gemeinrechtlich den[192]Immobilien gleichgehalten und gelten bei ­ihrer Veräußerung (denn sie sind übertragbar) dieselben Grundsätze wie bei diesen. Den Besitz der Sache behielt aber fortwährend der Verkäufer der Rente und zugleich behielt er das Recht, welches er seither an dem Grundstück gehabt hat. Das dingliche Recht des Gültherrn an dem Grundstück ist also offenbar nur ein jus in re aliena. Vermöge des dinglichen Rechts des Gültsherrn an dem Grundstück geht die Verpflichtung ihn zu bezahlen an jeden nachfolgenden Besitzer über. Eine Kündigung von Seite des Gläubigers kann wegen der Natur des Geschäfts nicht erfolgen, denn der Kaufpreis ist bezahlt und den braucht niemand zurückzunehmen. Kann nun aber der Gültherr sich nicht die Rückzahlung des Kaufpreises

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Renaud Beitrag zur Theorie der Reallasten; Albrecht „Gewere“.

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vorbehalten? Nein! denn der Käufer darf sich ihn nicht einmal durch besondere ­Verabredung vorbehalten, dann würde das Geschäft unter den Begriff des noch kanonischen Rechts verbotenen Wuchers fallen (§ 160 N. 1 2 pag. 307)[…]Erst das Recht d. A. v. 1600 erlaubte, daß der Verkäufer dem Käufer versprechen könne im Fall des Verzugs die Rente und Kaufpreis zurückzuverlangen. N. 79 pag. 180. Dagegen nehmen Manche an, daß der Schuldner aus Kündigungsrecht gehabt habe, oder daß er die Rente nach Belieben habe ablösen können. Daß dies besonders verabredet werden konnte, leidet keinen Zweifel. Wo aber die Ablösung beim Rentenkauf die Regel gewesen sei, ist sehr bezweifelt, denn daß es Renten gab welche nicht ohne Weiteres abgelöst werden konnten, ist „un-[193]leugbar“. Dahin gehört das Ewiggeld, ewige Zinsen etc. (Auer, Münchener Stadtrecht) Welche Rechte hat der Gläubiger wenn die Renten nicht zur rechten Zeit bezahlt werden? Das mit der Rente belastete Grundstück ist aber nicht etwas blos zur Sicherung der Rente nach Art der Hypothek da, sondern das Grundstück ist das verpflichtete Subject derselben. Die Folge hiervon ist, der Gläubiger hat sich lediglich an das Grundstück zu halten und hat keine persönliche Klage gegen den Besitzer des Grundstücks auf Zahlung der rückständigen Renten. Ist der Besitzer säumig, so steht dem Gültherrn zu 1. Pfändungsrecht 2. das Recht des Zusperrens oder Verschließens, sofern das belastete Grundstück ein Gebäude ist 3. das Recht das belastete Grundstück zu ­seiner Befriedigung zum öffentlichen Verkauf zu bringen. Findet sich kein Kauflustiger, so wird das Grundstück dem Gültherrn selbst zu geschlagen Aus dieser Bedeutung des Rentenkaufs nun folgt: 1. daß der Gültherr mit dem Untergang des Grundstücks auch immer seine Rente verliert. 2. dem Besitzer steht es jeden Augenblick frei, das belastete Grundstück zu derelinquiren und sich dadurch von zukünftigen und noch schuldigen Renten zu befreien.[194]3. dagegen muß der jedesmalige Besitzer des rentenpflichtigen Grundstücks alle unter seinen Vorgängern fällig gewordenen und noch nicht bezahlten Renten abtragen, wenn er das Grundstück behalten will. Diese ursprüngliche Natur des Rentenkaufs erhielt aber schon im späteren Mittelalter mehrere Modificationen, mit welchen es bis heute gemeinerechtlich fortbesteht. Zu den Modificationen gehört auch daß später die Ablösbarkeit der Rente von Seiten des Schuldners zur Regel ward und so glaubten die Juristen eine Zeit lang, das habe sich immer von selbst verstanden. Ferner brauchte später die Rente nicht immer von einem bestimmten Grundstück, sondern sie konnte auch von dem ganzen Vermögen verkauft werden. In dieser Gestalt hat allerdings der Rentenverkauf schon größere Ähnlichkeit mit einem zinsbaren Darlehn mit Hypothek. Indessen bestehen selbst in dieser Gestalt noch immer folgende Unterschiede zwischen beiden Geschäften: 1. daß beim Rentenverkauf nur der Schuldner, nicht auch der Gläubiger kündigen darf 2. daß, wenn von einem bestimmten Grundstück die Rente verkauft ist, die Anordnung nur immer auf diesem Grundstück ruht und der Gläubiger auf andern Vermögen des rentenpflichtigen Schuldners keine Ansprüche hat 3. daß die Renten die Hauptsache bei dem Geschäft sind, die gewöhnlichen Zinsen beim Darlehn aber nur ein Acces­ sorium hieraus folgt nun:[195]a. daß von den Renten auch Verzugszinsen gefordert werden können

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b. daß die Renten sich auch über das alterum tantum belaufen können c. daß die Renten auch indirecte % sein können, während die usurae immer wirkliche Quoten des Capitals sein müßen und keine Leistung in andren Gegenständen zulassen. Bei dem Rentenkauf dagegen muß das pretium, das Capital immer in Geld bestehen, die Zinsen können in Fungibilien anderer Art bestehen. Die Höhe der Renten war ursprünglich nicht bestimmt, sondern hing von den Umständen ab. (Grdr. N. 71–77) Durch die Umstände war aber Ende des 15ten Jahrhunderts der Zins gegen früher sehr gesunken (meistens wegen der Entdeckung Amerikas) und damit hängt zusammen daß später durch die Reichsgesetze das Zinsmaximum beim Rentenkauf auf 5 % festgesetzt wurde (N. 78). B. Von den Reallasten I. Überhaupt § 131 Historische Einleitung Außer beim Rentenkauf kommt in Deutschland noch häufig der Gebrauch vor, daß gewisse Leistungen von dem jedesmaligen Besitzer eines Grundstücks oder einer Gemeinde als solcher abzuleisten sind. Dies sind Reallasten das Recht auf jene Leistungen ist häufig gleichfalls mit dem Besitz eines Grundstücks verbunden, es kann[196]dies Recht aber auch einer Person zustehen und geht dann auf die Erben über. Die ältesten Arten von Reallasten sind wohl die Hoflasten, welche der Hofherr seinen Hörigen auferlegte. Tac. Germ. cap. 25 Grd. N. 3 diesen hofrechtlichen Leistungen sind später andere nachgebildet, indem ein echter Eigenthümer bei Hingabe seines Guts an einen freien Bauern sich solche Leistungen von Seiten des Andern vorbehielt. Oft wurden solche Leistungen aber auch blos aufgelegt, um das Eigenthum an dem Gute in Andenken zu erhalten, blos zum Zeichen, daß nicht volles Eigenthum übertragen war (Recognitionsgeld) und daß nach Aussterben seiner Familie das directe Eigenthum wieder an den directen Eigenthümer zurückfalle. In allen diesen Fällen war das Recht auf die Leistung immer mit Proprietätsrechten des Berechtigten an dem Grundstück des Verpflichteten verbunden. Reallasten bei welchen der Berechtigte keine Proprietätsrechte hatte, selbständige Reallasten, kennt das ältere deutsche Recht nur als Folge eines subjectiven Verhältnisses. Solche selbstständigen Reallasten konnten nach früherem Recht nur entstehen aus der Unterwürfigkeit worin das Grundverhältnis zu dem Staate, der Kirche, der Gemeinde und seinem Vogt stand. Zu diesen Reallasten gehören die Lehden (ursprünglich Grundsteuern) ferner die Dienste zum öffentlichen Besten und die Zehnten, ferner diejenigen Leistungen worauf Gemein-[197]de und Vögte ein Recht hatten, Gemeindedienste Vogtzins etc. Diese selbstständigen Reallasten nennen wir gemeinschaftliche staatsrechtliche Reallasten. Im Gebiet des Privatrechts entstanden solche selbstständigen Reallasten erst in späterer Zeit, davon sind die ältesten die gekauften Renten. Das ganze Institut der Reallasten erhielt allmählich eine große Umwandlung, dadurch das die Stellung des Berechtigten wie des Verpflichteten sich im Laufe der Zeit sehr änderte. Die Leibeigenschaft hörte allmählich auf, so konnte es keine eigentlichen Hofrechte mehr geben und das Recht des Leibherrn wurde zu einer blosen Grund- oder Gutsherrschaft.

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Die Gutsherrschaft schrumpfte allmählich zu einem Rest beschränkter Rechte zusammen. Dagegen erstarkte der Besitz des Hintersassen (Bauern) erst dadurch zu einem dominium utile, dann zu wahrem Eigenthum. Die Vogtei ging unter mit dem Feudal- und Patrimonialsystem des Mittelalters. Die Ansichten wodurch die Kirche ihren Ansprüche auf den 10ten gerichtet, erschien den Juristen unnatürlich und ungerecht. So erschienen die Reallasten als Lasten und meistens als höchst ­drückende Lasten des Eigenthums, aber oft sie ursprünglich zum Nutze des Eigen­ thümers gewesen waren die Folge davon war, daß man durch die Gesetzgebung die Reallasten anfangs beschränkte (N. 4) und daß man zuletzt allmählich in den meisten Ländern[198]einige Reallasten schlechthin aufgehoben hat, andere aber für ablösbar erklärt hat b. Rechtliche Natur der Reallasten § 132 b. Im Allgemeinen Bei der Entwicklung der rechtlichen Natur der Reallasten muß man unterscheiden zwischen dem Recht im Ganzen (d. h. eine Berechtigung) von einem Grundstück solche Leistungen zu verlangen) und dem Recht auf die einzelne fällige Leistung. Als Besitzer wird hier nur betrachtet der eigentliche juristische Besitzer (nicht also der debitor) dasselbe gilt auch für den Fall und aus demselben Fall, wo die Berechtigung mit dem bestimmten Grundstück verbunden ist (so hat der Pächter eines solchen Grundstücks im Allgemeinen nicht die Grundberechtigungen zu erheben). Bei der Beurtheilung der rechtlichen Natur des Rechts im Ganzen giebts 2 Meinungen. Einige betrachten dies Recht als ein Forderungsrecht andere als ein dingliches Recht. Die älteren Juristen in der That fast alle bis zu diesem Jahrhundert betrachten die Reallasten als servitus in faciendo. Die Meinung, daß die Real­lasten obligatorische Rechtsverhältnisse seien, ist besonders durch Eichhorn geltend gemacht (hierbei sind die Juristen vom römischen Recht ausgegangen und so sind wahre Zwittergeburten entstanden z. B. Mittermaier nennt sie „dingliche Forderungslasten“. Nimmt man nun an, daß die Reallasten obligatorische Verhältnisse seien, so muß die Wirksamkeit derselben gegen 2te auf ein[199]außer diesen liegendes Recht sich stützen, denn obligatio tertium non contrahitur. l. 81 § 1 de contr ent. 18.1 Die obligatorische Natur der Reallasten Diese Aufgabe noch zu meistern hat namentlich Eichhorn scharfsinnig zu lösen versucht, doch ist es wegen des Obigen nicht gelungen. Am meisten Serie hat die Ansicht, daß die Reallasten obligatorisch seien bei gutsherrlicher Prästation denn ursprünglich mußte jeder Erwerber des Bauernguts eine neue Investitur (Belehnung, Bemaierung) nachsuchen. Hierin könnte man mit Eichhorn Duncker etc. einen neue stillschweigende Contrahirung der alten Reallasten abgeschloßen denken, und wo diese neue Belehnung seit neuerer Zeit nicht mehr üblich ist, könnte man ebenfalls annehmen, daß sie stillschweigend geschehe und somit auch stillschweigend der Contract mit abgeschlossen werde. Allein wäre eine solche neue Contrahirung für den Singularsuccessor erforderlich, so müßte dies auch bei den Erben erforderlich sein, denn nach dem älteren Recht, was hier zunächst in Betracht kommt haftet der Erbe nicht mit den Immobilien des Erblassers für die von

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demselben contrahirten Schulden, und auch nach heutigem Recht würde das benef. inventarii eine ähnliche Wirkung hervor bringen. Nun ist es aber aus gemacht, daß der Erbe schon vermöge seiner Erbqualität Anspruch auf das Grundstück machen kann, die[…]hat hierauf nur die Natur der Anerkennung eines schon bestehenden Rechts. Wollte[200]man die Erneuerung der Reallasten von einem neuen Contract abhängen, so beruhten dann diese Reallasten auf einem ganz anderen Grundsatz, als dies Recht auf das Gut selbst. Während beides doch nur Ausflüße und Seiten ein und desselben Rechts sind. Hierzu kommt daß seit dem man den Bauern als Eigenthümer des von ihm besessenen Guts betrachtete, diese Eichhornsche Ansicht nicht mehr passte. Vielmehr sind seitdem die Leistungen zu welchen der Bauer dem Gutsherrn verpflichtet ist, als selbstständige Reallasten anzusehen (siehe oben). Von den selbstständigen Reallasten kommen hier nur die privatrechtlichen in Betracht. Zu diesen privatrechtlichen Reallasten mußten aber in späterer Zeit manche Lasten und Zehnten gerechnet werden. Bei den selbstständigen Reallasten ist aber die Ansicht, daß das Recht ein obligatorisches sei noch weniger haltbar. Ihnen muß Eichhorn selbst zugeben, daß bei ihnen kein außer das obligatorische liegende Fundament, das den Übergang vermittelte da ist. Eichhorn sagt daher, diese sind Ausnahmen von der Regel und obwohl jetzt fast alle Real­ lasten selbstständig, so seien gemeinrechtlich doch nur 2 vorhanden (in einem Fall bei der Servitut und beim Altentheil). Um diese Ausnahmen zu rechtfertigen beruft er sich auf ein dem römischen Recht entgegenstehendes Gewohnheitsrecht. Allein gerade aus dem Vorhandensein dieses Gewohnheitsrechts ergiebt sich, daß das deutsche Recht eine ganz andere Auffassung hiervon hatte, als das römische Recht. Noch verhaltener ist Gerbers Versuch (radicirte Obligationen).[201]Hierzu kommt noch, daß die Vertheidiger dieser Ansicht nicht im Stande sind, durchgängig die Grundsätze der Obligationen hierauf anzuwenden. Namentlich müßen sie zugeben, daß an dem Rechte selbst eine Quasipossessio möglich ist und stattfindet was aber bei Obligationen ganz unmöglich ist. Die Praxis nimmt bei Reallasten die Quasipossessio an, ebenso das kanonische Recht und die Reichsgesetze c. 19 F de restit. epoliatorum 2.13 possessio decimarum; c. 2 F eod. in 6to 2.5. Besitz am Zehntrecht, cf. Grdr. § 133 c. 6 F de praescript 2. 26 c. ap 31 F in fine de decimis 3.30 Ebenso sind die Anhänger des obligatorischen Verhältnisses doch genöthigt, hier doch eine dingliche Klage zu geben, denn dem Kläger kommt es oft gar nicht auf die einzelne Leistung, sondern auf Anerkennung des Rechts an. Dies Alles ist in der That nichts als ein fortlebendes älteres Recht, in dem das Institut der Real­ lasten seine Wurzel hat, trotz der entgegenstehenden Theorien. Denn das ältere deutsche Recht legt jedem der aus einem Grundstück gewisse Leistungen zieht, ein dingliches Recht sowohl an dem Grundstück selbst, als auch an den fraglichen Leistungen bei. (pag. 195 vorletzte Stelle § 88 N. 6) daß die Berechtigung als Gegenstand eines dinglichen Rechts betrachtet wurde, zeigt sich darin, daß sie nur durch gerichtliche Auflassung weiter veräußert werden kann, ferner dadurch daß sie zu Lehn gegeben werden kann. (Serv.in faciendo ist Unsinn)

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[202]§ 133 B. Entwicklung desselben im Einzelnen Dem Obigen nach ist das Recht im Ganzen als ein dingliches Recht zu betrachten, die Klage als eine dingliche. Die Klage auf Anerkennung dieses Rechts heißt actio confessoria utilis (d. h. dingliche Klage, aber nicht Eigenthumsklage) die entgegengesetzte Klage ist die negatoria. Von den possessorischen Rechtsmitteln sind anwendbar das interdictum uti possidetis und die Spolienklage s. die obige Stelle im kanonischen Recht. Nicht zulässig ist das interdictum[…], weil hier keine bürgerliche[…]möglich ist. Erworben wird das Recht daß man es ausübt[…]und der Andern die Prästation freiwillig leistet. Verloren geht der Besitz durch Weigerung der Leistung einerseits, wobei der Andere sich beruhigt. Die rechtliche Natur der einzelnen Besitze ist freilich controvers auf den Anspruch des einzelnen rechtlichen Besitz wird von Einzelnen als dingliche Recht, von andern als obligatorisches betrachtet. Besonders wichtig wird diese Controverse bei der Frage, ob der nachfolgende Besitzer des pflichtigen Grundstücks für die Rückstände seiner Vorgänger zu haften hat. Hat das Recht auf die einzelne fällige Leistung einen dinglichen Character, so ist der Besitzer des pflichtigen Grundstücks gebunden die Rückstände seines Vorgängers nachzuzahlen. Hat hingegen jenes Recht den Charakter ein obligatorischen, dann ist Schuldner wegen derselben immer nur derjenige, welcher zur Zeit wo die Leistung fällig wird, das pflichtige Grundstück besitzt.[203] Giebt der Besitzer unter dessen Besitz die Reallast fällig wurde, den Besitz auf, oder verliert er ihn, so bleibt es doch immer debiter für die einzelnen fälligen Leistungen. Auch hier müssen wir wieder auf die frühere Zeit gehen. Beurtheilen wir die Controverse aus dem Standpunkt des alten Rechts, so gebührt der Ansicht, wonach der Anspruch auf die einzelne fällige Leistung ein dingliches Recht ist, der Vorzug, (so beim[…]) Aber auch bei gutsherrlichen Prästationen hatte der Gutsherr gegen den säumigen Schuldner schwerlich ein anderes Recht, als bei der Pfändung und Abweichung. Diesen beiden Classen sind die andern Classen aber nachgebildet. Der Gestaltung aber, welche die Reallasten in neuerer Zeit angenommen, ist jedoch die Ansicht, daß die Forderung auf die einzelne Leistung eine obligatorische sei mehr entsprechend. Denn seit Reception des römischen Rechts ist der obligatorische Charakter beim Recht immer mehr in den Vordergrund getreten, die dingliche Seite fällt meistens mehr zurück. Theils aber sind auch die Mittel des gemeinen Rechts (Pfändungsrecht Entsetzungsrecht) auch jetzt jedem Berechtigten meistens genommen, es bleibt ihm daher nur übrig daß der Verpflichtete obligatorisch zur Leistung der einzelnen fälligen Leistungen verpflichtet ist. (Beweis N. 12 zu § 132) (Preußen N. 10 ist noch der andern Ansicht) Die Klage auf die einzelne fällige Leistung ist also[204]eine actio personalis in rem scripta. § 134 d. Entstehung der Reallasten dies kann geschehen 1.  durch Gesetz und Gewohnheitsrecht, (dies bei allen staatsrechtlichen Lasten, Grundsteuern Zehnten, Deichlasten  – bei der Witwenversorgung im hohen Adel 2. durch Vertrag. Nach dem älteren Recht konnte durch Vertrag jede Leistung zu einer Reallast werden, sobald die gerichtliche Auflassung

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hinzukam. So kommen diese der verschiedensten Art vor. Ob und wie weit heutzutage durch Vertrag Reallasten entstehen können ist sehr bestritten. Einige halten das gemeinrechtlich für ganz hinweggefallen (besonders Duncker (doch cf. dens. Zeitschrift für deutsches Recht Bd. XI S. 450 u ff.). Andere dagegen nehmen gemeinrechtlich alle Freiheit für die vertragsmäßige Bestellung in Anspruch. Noch Andern geben uns zu daß gewisse Prästationen als Reallast auf ein Grundstück gelegt werden (Mittermaier, Albrecht, Eichhorn). Wenn man die Reallasten als obligatorische Verhältnisse betrachtet, so gebührt der ersten Meinung der Vorzug, denn gemeinrechtlich gilt der römische Grundsatz, daß eine Singularsuccession nicht durch Verträge der Vorgänger gebunden. Sieht man dagegen das Reallastenrecht als ein dingliches Recht an (Kraut) so steht der Bestellung durch Vertrag auch das römische Recht nicht entgegen. Da nun aber in dem alten deutschen Recht[205] wenn jene Berechtigung einen dinglichen Charakter haben sollte, noch nothwendig die gerichtliche Auflassung kommen mußte, so würde heutzutage nur da durch Vertrag eine Reallast begründet werden können, wo das Erforderniß des Vertrags in die öffentlichen Bücher eingetragen werden kann, oder wo doch der Vertrag unter gerichtlicher Mitwirkung abgeschlossen wird. Dies ist aber überall nur statthaft bei der Übernahme der Verpflichtung zur Leistung gewisser Art. Die Leistung muß nämlich entweder zu den herkömmlichen Arten der Leistung von Real­lasten gehören (dazu besonders die Einrichtung seitens des Verpflichteten bei Servituten gewisser Art, ferner die Leibzucht und das Wittwenthum beim Adel, denn auch in Bezug auf die Appanagen (für die nachgeborenen Söhne beim Adel besonders beim hohen) oder wenn sie neue Arten von Reallasten sind, sie sich durch die neueren Agrarbedürfnisse ergeben diese Grundsätze gelten aber nur von den Reallasten, welche das Eigenthum von Grund und Boden beschweren, nicht aber von denen welche ausnahmsweise noch heutzutage der Eigenthümer von dem der sein Grundstück zur Benutzung erhielt, sich vorbehält; denn in diesem Fall ist an und für sich jeder nicht vertretene Vorbehalt zulässig. 3.  durch letztwillige Disposition – entweder so, daß Jemand sein Grundstück Jemanden vermacht und demselben gewisse Leistungen als Reallast an Andere auferlegt – oder umgekehrt –[206] Hierdurch kann aber nur in dem Umfang eine Reallast bestellt werden, wie durch Vertrag 4. Constitutive Verjährung? Früher hat man hier ganz allgemein die Servitutenverjährung (10–20 Jahre) angenommen. Allein da die Reallasten nicht als servatatis (wie man früher sagte s. in faciendo) so angesehen werden können, so kann auch jene Servitutenverjährung nicht auf sie angewendet werden. Indessen lassen doch auch manche Juristen welche sie nicht eben als Servituten betrachten doch die 10 und 20 jährige Ersitzung bei denjenigen Reallasten zu welchen Modificirungen des Grundbesitzes sind zu. Die Begründung durch 30 jährige Acquisi­ tions­verjährung aber erkennt die Praxis allgemein an. Die unordentliche Verjährung ist natürlich ohne Zweifel (soviel gegen Savigny) auch hier statthaft. § 135 e. Erlöschen derselben Die Reallasten erlöschen: 1. durch Confusion des Berechtigten und Verpflichteten 2. durch einen liberatorischen Vertrag 3. durch ein legatum liberationis 4. indirect

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durch Verjährung der actis confessoria (nicht durch directe Erlöschung einzelner Leistungen und die Beruhigung des Berechtigten dabei ist jedoch für den Anfang der Verjährung noch nicht genügend sondern[207]die Verringerung der Leistung muß in dem Sinne geschehen, daß der Verpflichtete die Verpflichtungen im Ganzen hat negiren wollen. 5. dadurch, daß ein Surrogat an die Stelle der Reallast gesetzt wird, z. B. dieselbe in einen Geldzins verwandelt wird 6. auch durch Untergang des belästigten Grundstücks ursprünglich des Berechtigten, wenn ein solches dazu gehört. 7. durch Gesetz. Hierdurch sind sie besonders in neueren Zeiten oft aufgehoben, oder doch ihre Aufhebung vorbereitet, indem sie für obligatorisch erklärt sind. Letzteres heißt es ist dem Verpflichteten, selten auch dem Berechtigten gestattet einseitig ein Äquivalent die Aufhebung der Reallast zu verlangen (so z. B. Rentenkauf). Die Ablösung geschieht hier eigentlich also gegen Bezahlung eines dem wahren Werth jenes Rechts entsprechenden Capitals. Um Zweifeln über den Werth der Berichtigungen abzuhelfen, giebt es von Obrigkeitswegen Ablösungsforderungen, worin dann Berechnungen angestellt sind. Die jährliche Leistung wird zu 4 %kapitalisirt. Natürlich aber ist es für den Pflichtigen oft sehr schwer diese Summe aufzubringen deshalb hat man hier und da mit der Ablösung eine öffentliche Creditanstalt verbunden wofür meistens Zinsen und ohne Kündigung die Pflichtigen die Sum-[208]me erhalten können und sie nachher bei kleinem wieder abtragen dürfen. Weil die Ablösbarkeit nach Rücksichten des öffentlichen Wohls angeordnet ist, so kann nach den meisten Ordnungen denn auch keine unablösbare Reallast wieder aufgelegt werden. cf. lit. g, Benig, Rau in Hansens Buch der Politischen Oeconomie Bd. X, Heft II. § 136 f. Übertragung bereits constituirter Reallasten An und für sich liegt in der Natur der Reallast kein Grund, warum dieselbe nicht auf einen Andern übertragen werden könnte, nur müßen hierbei dieselben Formen beobachtet werden, wie bei der Errichtung. Indessen ist doch wegen der eigen­ thüm­lichen Beschaffenheit der meisten Reallasten die Regel meistens nicht anwendbar, also überall wo entweder die Berechtigung einem bestimmten Grundstück zusteht, oder sie nur auf die Lebenszeit einer bestimmten Person construirt ist. Auch läßt die Praxis die Berechtigung durch eine translative Verjährung auf einen Andern übergehen. In Rücksicht des Zehntrechts dies auch schon nach kanonischem Recht. cap 6 F de praescrip. 2.21 und cap 2 eod. in 6to 20.13[209]2. Einzelne Arten von Reallasten a. Von den Zinsen § 137 α. Überhaupt Unter Zinsen census, als Reallast versteht man überhaupt jede Abgabe, welche von dem Besitzer eines Grundstücks bezahlt werden müsse. Zur Unterscheidung von usurae etc. heißt es Grundzins etc. Seinem Gegenstand nach ist es entweder ein Naturalzins oder ein Geldzins. Der Naturalzins besteht meistens in durch die Landwirthschaft gewonnenen Erzeugnissen, aber auch zuweilen in andern Erzeugnissen (z. B. in Tuch, einer Tuchmachergilde als Naturalzins zu liefern etc.). Mit dem Geldzinsen nicht zu verwechseln ist das Zinsgeld, das Surrogat in Geld für

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einen eigentlich in natura zu liefernden Zinses. Ferner wird der Zins eingetheilt in einen vorbehaltenen und einen auferlegten Zins. Der Zins kann aus sehr verschiedenen Gründen von dem Eigenthümer übernommen werden z. B. für Schutz den der Grundbesitzer von einem Andern genießt, oder gewisse Vortheile von einem Andern Grundstück hat. Ferner gehören dahin die gekauften Renten. Die Zeit der Fälligkeit des Zinses ist meistens auf gewisse Tage festgesetzt, die meistens mit den frühern Fast- und Gerichtstagen zusammenfielen. Nach diesen Theorien, wie er bezahlt werden müsse,[210]werden dann die Zinsen genannt (Ostereier, Pfingstlerchen, Michaleshühner, Brauthufer, Martinsgänse etc)  meistens hatte der Berechtigte die Zeit der Lieferung so eingerichtet, daß er viele Gäste hatte oder der Zinspflichtige ist verbunden den Zins dem Zinsherrn ins Haus oder auf den Hof zu bringen. Nach Herkommen mußte der Berechtigte dem Verpflichteten bei Lieferung einer Reallast ein sog.[…](praebere). Entrichtet der Pflichtige den Zins nicht gehörig an dem bestimmten Tage, so kommt er auch ohne Mahnung in mora  – dies interpellat pro homine. Nicht selten kommt es vor, daß wenn der Zins nicht rechtzeitig gehörig abgeliefert wird, nach einem bestimmten Termin um 1/3–1/2 um das doppelte etc. wächst (je nachdem es bestimmt ist – der sog. Kutscherzins N.  19 und 20 f. In neueren Zeiten ist dieser meistens aufgehoben und verboten. Unfruchtbarkeit eines Jahres giebt gemeinrechtlich keinen Anspruch auf Zinserlaß oder theil­weisen Nachlaß anders nach manchen Particularrechten. Die Qualität des Zinses betreffend kommen die Grundsätze von Obligationen in Betracht. Hier hat in Beziehung auf die Qualität regelmäßig keiner der beiden Theile die Wahl, sondern es müßen Sachen von mittlerer Güte gegeben werden. [211]§ 138 β. Die Zehnten insbesondere Zehnten, decimae sind jede Reallast, welche in einer pars quota der auf dem Grundstück gewonnenen Früchte oder Thiere besteht. Gewöhnlich beträgt diese Quote den 10ten Theil zuweilen einen größeren oder kleinern Theil. Über den Ursprung des Zehnten ist in neurer Zeit viel gestritten. Der Ursprung der meisten Zehnten reicht bis auf eine sehr frühe Zeit hinauf. Schon bei den Römern war der Zehnte in sehr großer Ausdehnung bekannt. Solche römischen Zehnten gab es besonders in Gallien in großer Anzahl. Nach der fränkischen Eroberung gingen dort die Zehnten an den König und dessen Vasallen über. Häufig wurden sie auch an die Kirche überlassen (N. 6–11). Häufig übernahmen auch freie Grundeigenthümer und ganze Gemeinden freiwillig den Zehnten auf ihre Güter um damit den Geistl. und die Kirche zu erhalten. So kam die Kirche schon früh in Besitz von Zehnten. Die Kirche hatte aber auch schon früh den Grundsatz aufgestellt, daß jeder Gläubige überhaupt ihr den Zehnten entrichten müsse (N. 4 und 5). Mit diesem Anspruch auf Zehnten drang die Kirche jedoch nur da durch, wo sie durch die weltliche Gesetzgebung unterstützt wurde. Dies geschah namentlich in Altsachsen durch die Gesetzgebung Karls des Großen (N. 7). Es kam aber keineswegs in ganz Deutschland dahin, daß aller Grund und Boden überhaupt zehntpflichtig wurde, noch durch daß alle Zehntrechte der Kirche angehörten.[212]Aber auch da, wo der Zehnt ursprünglich als eine öffentlichen Zwecken dienende Steuer angesehen ist

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(so besonders und ausschließlich der Kirchenzehnte) hat die Zehntpflicht im Lauf der Jahrhunderte ganz die Natur einer privatrechtlichen Reallast angenommen. Verschiedene Arten der Zehnten Nach seinem Gegenstand theilt man den Zehnten ein in Fruchtzehnten und Blutzehnten (Schmalzehnten Fleischzehnten). Den Fruchtzehnten theilt man wieder ein in den großen Fruchtzehnten und den kleinen Fruchtzehnten oder den Krautzehnten. Welche Früchte zum großen Zehnten, welche zum kleinen gerechnet werden, gehört dem Particularrecht an. Gewöhnlich werden aber zum großen Zehnten gerechnet alles Getreide und außerdem Weintrauben. In den kleinen Zehnten gehören die sog. Wurzelfrüchte Kartoffeln, Kohl, Obst, Farbekräuter Cichorie u. sofort. Der große Zehnte wird wieder eingetheilt in den Naturalzehnten und den Sackzehnten. Der erste ist wieder ein Zuchtzehnte oder ein Streuzehnte. Zuchtzehnt heißt es, wenn der Zuchtpflichtige, nachdem er das Getreide in Haufen gebracht, dem Zehntherr dies anzeigen oder dann noch das Getreide eine gewisse Zeit im Felde stehen lassen muß damit der Zehntherr diejenigen Haufen die er als Zehnten annehmen will, auswählen kann. Dies ist der lästigste Zehnte. Streuzehnt heißt der Naturalzehnt denn, wenn die Pflichtigen[213]selbst den 10ten Pfl. abzählen und mit Zurücklassung desselben die übrigen Theile einfahren dürfen. Sackzehnten ist nicht immer der 10te Theil der sackfallenden Früchte, sondern häufig überhaupt jedes Surrogat des Natural-Zehnten. Je nachdem das Zehntrecht der Kirche einem Andern zusteht, werden Zehnte eingetheilt in geistliche Zehnte und weltliche oder Laienzehnten. Nach seinem Umfang wird der Zehnte eingetheilt in decimae universales, solcher Zehnte, welche aus einem generellen Titel von einem ganzen District zu entrichten ist (so der Kirchenzehnte) und decimae particulares, welcher blos einzelne Mitglieder eines Districts aus einem speciellen Titel unterworfen sind. Eine besondere Art des Zehnten ist ferner der Neubruchzehnte, Rodtzehnte, oder Novalzehnte, der jeweilige Zehnte, welcher von neu urbar gemachtem Land (ausgerodet, terra novalis) gefordert wird. Diesen Zehnten kann nur derjenige verlangen, der ihn sich besonders hat versprechen lassen oder der vermöge seines generellen Titels von dem ganzen District den Zehnten bekommt. c. 13 F de dec. 3.13. In einigen Ländern wird der Novalzehnte als ein landesherrliches Regal betrachtet, was jedoch nur particularrechtlich ist. Der Grund hiervon liegt darin daß man eine zeitlang annahm, daß im Allgemeinen jedes Grundstück[214]zehntpflichtig sei und daß seit der Reformation die Landesherrn sich im Allgemeinen ebensoviel als die Kirche den Zehnten beilegten. Wie andere Reallasten haftet auch der Zehnte auf dem Boden und auf den Früchten zugleich. cap. 21.24.26. und 28. F. de decimis 3.30. Hieraus folgt: 1. daß bei mehrmaligen Erndten der Zehnte dem Zehntherr von jeder Erndte gebührt. Wäre dies Princip immer streng durchgeführt, so müsste auch in der Brache gebaute Frucht dem Zehnten unterworfen sein; dem Herkommen nach ist die Brache jedoch meistens satfrei (polizeirechtlich um dadurch an Bau der Brache zu fördern (N. 38) 2. daß der Zehntpflichitige nicht das Recht hat, ohne Einwilligung des Zehntherrn den Bau der zehntpflichtigen Grundstücks zu ändern (so z. B. wenn blos der große Zehnte gefordert werden kann, so darf ohne Erlaubniß des Zehntherrn nicht Frucht ande-

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rer Art gebaut werden). Da ferner nach den Grundsätzen von Reallasten die einzelne fällige Leistung als eine obligatorische des Besitzers des pflichtigen Grundstücks zu behandeln ist, so darf bei Naturalzehnten der Zehntherr nicht von einem Grundstück auf ein Grundstück des andern Zehntpflichtigen fortzählen. Auch darf wegen der Verschiedenheit der Güte und des Preises in verschiedenen Jahren nicht von einem Jahr[215]aufs folgende Jahr übergezählt werden. Bei dem Blutzehnten ist es jedoch erlaubt von einem Jahr ins andere zu zählen, weil Güte und Preis sich da meistens gleich bleibt, auch ja nicht halbe Thiere geleistet werden dürfen. Der Zehnte ist eine sehr drückende Last – er beträgt nach dem Verhältnis des Kunstverständigen regelmäßig den 10ten Theil des reinen Ertrags, oft noch mehr. § 139 b. Die Diensten Die Diensten, welche Reallasten sind, führen oft den Namen: Frohnden, Scharwerk und auch Raboten (Arbeiten-slawisch) Diese Dienste sind sehr verschiedenartig. a. nach Verschiedenheit der Dienstherrn 1.  Die Landfrohnden oder Landfolgen, d. h. die Dienste, welche der Landesherr von den Unterthanen fordern kann – nur einzelne gehören ins Privatrecht. 2. die dem Gutsherrn oder Gerichtsherrn zu leistenden Dienste – Diese sind sehr verschieden 3. Die Gemeinde, oder Reihendienste b. nach der Beschaffenheit des Dienstes 1. in Spann- oder Zuchtdienste und Hand- oder Fußdienste.[216]2. gemessen und ungemessene ­Dienste. Gemessene Dienste sind solche, bei welchen die Zeit, der Ort, die Zahl und die Art der Dienste bestimmt sind. Ungemessene Dienste sind die, wo es an jenen Bestimmungen fehlt. Die meisten Landfrohnden sind ungemessene Dienste. Die ungemessenen Dienste haben darin ihre Grenze, daß sie nie über das natürliche Maaß hinaus gefordert werden dürfen, welche in der Beschaffenheit und Größe des dienstpflichtigen Grundstücks liegt. Wird an die Stelle der Naturaldienste ein Surrogat gesetzt, heißt das „Dienstgeld“. Im Allgemeinen kommen hier die Regeln der Reallasten in Anwendung. Nur daß hier die einzelnen Dienste ehe sie zu leisten sind, angesagt werden müssen vom Dienstberechtigten. Die Dienste können übrigens in allen Dienstleistungen bestehen, zu welchen keine besondere Kunstfertigkeit gehört. Die Dienste sind officales, non artificiales. Der Pflichtige ist daher auch nicht verbunden in Selbstperson zu leisten, sondern auch durch Stellvertreter, wenn diese es sogut können, wie der Verpflichtete. Der Pflichtige leistet den Dienst immer auf eigene Gefahr und Kosten. Zuweilen finden aber auch hier Praven statt. (Kost – Geldentschädigung). Dem Geist der neuen Zeit widersprechen jedoch die Dienste noch mehr wie die Zinsen, denn es enthalten die Dienste sogar eine gefährliche Beschränkung. Daher sind die in vielen Lädern nicht blos ablösbar sondern direct abgeschafft, vielleicht gegen ein Dienstgeld. [217]IV A. Abschnitt § 140 Bannrechte Unter Bannrecht oder Zwangsgerechtigkeit versteht man die Befugniß, gewisse Personen die Anschaffung oder[…]gewisser Bedürfnisse bei jedem Andern, als dem Bannberechtigten zu untersagen. Bannberechtigte können sowohl physische

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Personen, wie juristische Personen sein, auch kann die Banngerechtigkeit einem Grundstück verbunden sein, oft ist auch die Verpflichtung an ein bestimmtes Grundstück geknüpft. Das Häufigste ist jedoch, daß Jemand in einer bannpflichtigen Gemeinde oder Bezirke wohnt. Hauptarten der Bannrechte sind: 1. der Bierzwang, der darin besteht, gewisse Personen zu untersagen, ihr Bier vom Andern als dem bestimmten Brauberechtigten zu beziehen, also das Eindringen von fremdem Bier in den Bezirk zu verbieten. 2. der Mühlzwang, in der Verpflichtung bestehend, das Korn auf einer bestimmten Mühle und nicht anderswo mahlen zu lassen. Fertiges Brod indessen kann man dann kaufen, wo man will; auch bezieht der Mühlenzwang sich meistens nur auf die älteren Getreidearten. 3. der Backofenzwang. Die Pflichtigen sind schuldig in einem gewissen Backofen ihr Brod zu backen, dieser Zwang ist gewöhnlich aus polizeilichen Rücksichten entstanden und meistens in salzarmen Gegenden. 4. Der Kelterzwang in Weingegenden. Die Pflichtigen sind verbunden, in einem gewissen Kelter ihren Wein zu keltern, meist aus polizeilichen Rücksichten um Betrügereien schon am Maß zu verhüten[218] und wenn Weinzehnten erhoben werden, die Erhebung desselben zu erleichtern. Seltener kommen vor: Der Bienenzwang, der Weinbann, Zwangskrüge und Zwangsschenken, Zwangsbleichen (um die Leinwand in einer bestimmten Gegend in gutem Credit zu erhalten. Zwangskirche und Zwangsspielleute bei öffentlichen Lustbarkeiten. Ihren Entstehungsgrund haben die Bannrechte zum Theil in der ehemaligen Leibeigenschaft der Bannpflichtige (bei Zwangskriegen) zum Theil in einem bei Verleihungen gemachten Vorbehalt (beim Mühlenzwang), zu Theil in einem Privileg welches die Stände im Mittelalter gegen das platte Land verlangten; zum Theil in Gesetzen (bei allen aus polizeilichen Rücksichten entstandenen Banns) zum Theil in Verabredungen und Vorbehalten und Verträgen. In den neusten Zeiten sind aber die Bannrechte, soweit sie nicht auf polizeilichen Maaßregeln beruhen, gesetzlich aufgehoben oder für ablösbar erklärt. Wo sie einmal für aufgehoben oder ablösbar erklärt sind, können durch Privatacte keine neuen begründet werden. In dem Bannrechte liegt die Befugniß dem Pflichtigen zu nöthigen bei dem Berechtigten die Befriedigung eines Bedürfnisses vorzunehmen. (doch ist dies nur ein jus prohibendi, nicht cogens) das Recht, den Pflichtigen die Bewirtung ihrer eigenen Bedürfnisse zu untersagen liegt nicht darin und eine Ausnahme kommt blos bei denjenigen Bannrechten vor, die aus polizeilichen Gründen errichtet sind, so wie ausnahmsweise beim Bierzwang das Recht die Eigenkesselbrauerei, d. h. Bier zum eigenen Gebrauch zu brauen, zu untersagen. Der Bannherr muß die Bannanstalt in gehörigem[219]Stand erhalten der Pflichtige das Recht, sich an eine andere Anstalt zu wenden. Die älteren Juristen betrachten die Bannrechte als eine Art von servitutes in faciendi; Andere vorzüglich Eichhorn, als Reallasten. Leider ist unrichtig denn: 1. daß die Verpflichtung hier meistens gar nicht mit einem bestimmten Grundstück verbunden, 2. bestehen die Bannrechte keineswegs, wie die Reallasten in der Verpflichtung etwas zu leisten, sondern in der Verpflichtung etwas zu unterlassen. Indessen gelten doch zum Theil dieselben Grundsätze bei den Bannrechten wie bei den Reallasten, aber nicht aus dem Grunde, weil sie Reallasten sind, sondern weil es deutschrechtlich dingliche Befugnisse

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wozu sie jedenfalls aus demselben Grunde, wie die Reallasten zu zählen sind. Die aus dem Bannrecht entspringende Klage wird gewöhnlich actio confessoria utilis genannt, – sie geht gewöhnlich nur auf Anerkennung des Rechtes, nicht auf Privatstrafe. Die Klage auf Verweigerung ist die actio negatoria utilis. Über die Arten der Aufhebung gilt das selbe wie bei den Reallasten und der Bannberechtigte ist im Preis an das gewöhnliche Maaß gebunden. [220]Drittes Buch Obligationenrecht § 141 Historische Einleitung Das Obligationenrecht war im älteren deutschen Recht wenig ausgebildet, so daß man in jener Zeit (wie noch jetzt) keinen richtigen Ausdruck dafür hatte. Erst im späteren Mittelalter als der städtische Verkehr lebhafter geworden, forderte das Bedürfniß eine weitere Ausbildung des Obligationenrechts. Dieses Bedürfniß trat gerade mit der Aufnahme des römischen Rechts einhervor. Da das justinianische Recht das Volksthümliche in dieser Lehre schon meistens abgestreift hatte, so finden wir darin schon mehr ein jus gentium, als jus civile, und so erklärt es sich, daß in dieser Lehre das justinianische Recht einen bei weitem größeren Einfluß gewann, als in irgend einer andern Lehre. Das römische Recht fand aber keineswegs gewissermaßen einen leeren Raum vor, in welchen es blos einzutreten brauchte. Denn manche dem römischen Recht fremde Institute bestanden doch schon in voller Ausbildung, oder befanden sich doch in ihrer Entwicklung, Institute, die durchaus in ihrer Eigenthümlichkeit aufgefaßt und beurtheilt werden mußten,[221]und auf welche schon deswegen das justinianische Recht nicht vollständig anwendbar war, weil es doch noch manche Consequenzen des ältern jus civile festhält. Endlich hat aber auch das justinianische Recht doch viele Institute gar nicht, die eben erst lange nach seiner Reception entstanden. Allerdings ist aber die Fortbildung dieser neuen Institute unter dem Einfluß des römischen Rechts erfolgt. In Beziehung auf die Haftungspflicht des debitor ist das ältere deutsche Recht strenger als das römische Recht denn der insolvente Schuldner wurde dem Gläubiger immer zu Hand und Hals gegeben und er kam in eine Art Leibeigenschaft des Gläubigers aus der er sich jedoch frei arbeiten konnte. Später wurde er in den Schuldthurm gesetzt, während sich der Schuldner nach römischem Recht durch das beneficium cessionis bonorum von der persönlichen Haft befreien konnte. Auch noch nach der Reception des römischen Rechts haben einige Particularrechte den Grundsatz der persönlichen Haft für den insolventen Schuldner beibehalten und nur bei Frauen eine Ausnahme gemacht. Doch lassen die meisten Rechte ein ben. cessionis zu und solange die älteren strengen Grundsätze bei Schuldnern gelten, konnte man sich auch durch Vertrag im Falle der Nichtzahlung zum Gefängniß verbindlich machen, was dieselbe Wirkung wie die Pfändungsklausel hatte. Mit dem veränderten Concursverfahren mußte dies aber natürlich wegfallen, nur im Wechselrecht finden wir noch Überbleibsel davon. Eine Art, von vertragsmäßiger Verhaftung zum Gefängniß war das obpagium, das darin bestand, daß der Schuldner im Nichtzahlungsfalle sich an einen bestimmten Ort auf erfolgte Mahnung begeben mußte und denselben

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nicht vor erfolgter gänzlicher Tilgung der Schuld verlassen durfte bei Strafe[222] der Erfolglosigkeit. Dies konnte ursprünglich bei vornehmen Ständen mit Zeugen geschehen (Einleger). In der Folge wurde die Sache umgekehrt, keine vertragsmäßige Milderung sondern vertragsmäßige Schärfung des geltenden Rechts. Auch wurden viele Mißbrauche dadurch aufgebracht und deshalb wurde das Einlager durch die Reichsgesetze verboten (R. P. O. v. 1577  – ferner im Westphälischen Frieden und J. R. A.) Nur in Holstein und Ostfriesland kommt es rechtlich noch vor. § 142 Abweichungen des heutigen Rechts vom römischen Recht Aus dem eben Entwickelten erklärt sich, daß das heutige Recht in einigen Grundprincipien wo das römische Recht den deutschen Sitten widerstrebt, davon abweicht. Die Römer lagen bei der Obligation das vorzüglichste Gewicht auf das persönliche Band zwischen Gläubiger und Schuldner, wofür wir gar nicht einmal einen Namen haben. Das durch dies persönliche Band entstandene Rechtsverhältnis ist so fest, daß es durchaus nicht von ihnen ganz abgelöst und übertragen werden kann, woraus sich erklärt, daß die freie Stellvertretung ausgeschlossen ist, daß der Cessionar nur als procurator in rem suam betrachtet wird, daß der Schuldner durchaus sich nicht von dem Verhältnis frei machen kann. Diese römische Auffassungsweise des Obligationenverhältnis ist in Deutschland nicht zur Geltung gekommen, dies zeigt sich 1. darin, daß das Princip der freien Stellvertretung auch im Obligationenrecht Eingang gefunden hat, 2. daß nach deutscher Rechtsansicht die Beschränkung auf einen bestimmten Schuldner zum Besten eines bestimmten Gläubigers durchaus nicht wesentlich ist,[223]3. ganz vorzüglich darin, daß das deutsche Recht eine Singularcession in die Obligation zulässt. Dies jedoch bestritten – nachgewiesen besonders von Gelbke – wir müßen diese Singularcession hier annehmen denn das heutige Recht läßt oft dies als eine Cession zu und zwar so, daß der Cessionar im römischen Sinne ein ganz selbstständiges Recht auf die Forderung hat. Auf der anderen Seite kann auch in Schulden succedirt werden, d. h. es kann jemand in die Schuld des Andern eintreten, ohne daß Delegation nöthig wäre. Ein solcher Eintritt könnte freiwillig geschehen, oder auch nothwendig sein. Das erste kommt vor bei Übernahme von Grundstücken bei Veräußerung kaufmännischer Handlungen, bei gewerblichen Anstalten, bei Fabriken, bei Erbtheilen etc. Durch die Übernahme tritt der Übernehmer aber nicht dergestalt in die Stelle des bisherigen Schuldners ein, daß der alte Schuldner gar nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, sondern es stehen dem Gläubiger nach der Übernahme zwei zur Zahlung verpflichtete gegenüber und er kann sich halten an wen er will. Erst von dem Tode an hört die ursprüngliche Haftungspflicht auf ([…], Liberation) Diese Agnition der Gläubigers ist nichts besonderes, als ein Verzicht. Da man nach heutigem Recht die Obligation fortbestehen lassen und nur einen Wechsel des Schuldners vornehmen kann, so begründet diese Agnition keine neue Obligation, daher hat der Gläubiger eine directe Klage gegen den Übernehmer, nicht wegen eines neuen Contracts sondern auf die alte Obligation. Dies ist durch den Einfluß des römischen Rechts etwas schwankend geworden. Der nothwendige Eintritt in eine fremde Schuld kommt selbstverständlich als Folge vor bei einem einzelnen

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Rechtsgeschäft[224]z. B. bei offenem Eintritt eines neuen Mitglieds in eine offene Handelsgesellschaft, bei der Übernahme der auf manchem Grundstück versicherten Schulden (Lübeck und andere Particularrechte). Forderungen aus Verträgen und Forderungen aus unerlaubten Handlungen § 143 Historische Einleitung Auch nach deutschem Recht ist wie nach römischem Recht der Concurs der ­Parteien nöthig. Woraus erkennt man aber das? Auch in den ältren Volksgesetzen finden wir gewisse Formen von Verträgen, Zeugen, gerichtliche Abschließung, Urkunden etc. Es bleibt aber ungewiß, ob diese Formen zur Gültigkeit nothwendig waren, oder ob sie blos von den Parteien beliebig beobachtet wurden. Auch zur Zeit der Rechtsbücher des Mittelalters kommen noch sehr mannigfaltige Vertragsformen vor, und gerichtliche Abschließung zeichnet sich hier aus, aber das ist unzweifelhaft, daß damals jeder Vertrag, in welcher Form man ihn auch abgeschloßen klagbar war. War aber der Vertrag nicht gerichtlich abgeschlossen so konnte der Beklagte mit dem bloßen Eide der Klage „entgehen“ (N. 3 und 5). Bei der Reception des römischen Rechts hätte die Anwendung des römischen Rechts bei solchen Geschäften große Schwierigkeiten finden müssen, wo Stipulation erforderlich war, z. B. bei Bürgschaftsverträgen da aber das spätere römische Recht die feierliche[225]Form der Stipulation aufgehoben hatte, so kehrten die Juristen sich anfangs an die übrigen Abweichungen der stipulatio an den gewöhnlichen pactum nicht sondern jeder Vertrag wurde in seinen Wirkungen der stipulatio gleichgehalten. Auf diese Weise sind daher immer der Grundsätze des ältern deutschen Rechts, Formlosigkeit der Verträge bestehen geblieben. Da das alte Beweisverfahren durch das kanonische Recht verdrängt, so erleidet dadurch jener Grundsatz in der Anwendung eine gewisse Veränderung, denn der Kläger hat jetzt den Beweis des Grundes seiner Klage zu führen und die Eidesdelation ist nur im äußersten Fall zu gestatten und das ist ein großer Nachtheil sehr gemindert dadurch daß man die wichtigsten Verträge schriftlich zu machen pflegt. Auch haben die Gesetze oft bestimmt Vertragsformen vorgeschrieben, entweder für alle Arten von Verträgen oder doch für gewisse Verträge. Da bei uns nun in Deutschland nun aus jedem formlosen Versprechen in gewissen Gegenden gemeinrechtlich ein Vertrag entsteht so kann schon das Versprechen einen Vertrag abschließen zu wollen, pactum de contrahendo klagbar sein, allerdings aber nur bei Consensualcontracten. Dabei ist aber immer die Regel zu beachten, daß ein Vertrag um bindend zu sein, für die Contrahenten ein Rechtsinteresse haben muß, welches jedoch nicht immer ein bloses Geldinteresse zu sein braucht. Zur Erleichterung des Beweises kommen häufig bei Abschließung von Verträgen Notarien (tabelliones) und Zeugen hinzu.[226] Auch in Beziehung auf die rechtliche Wirkung des Consenses weicht das deutsche Recht wesentlich vom römischen Recht ab. Die Römer legen das Gewicht hauptsächlich auf das Recht des Gläubigers, die deutschen hingegen legen den Hauptnachdruck auf die vom Schuldner übernommene Verbindlichkeit und darauf beziehen sie das Wesen des Contracts zurück. („Zusage macht Schuldner“) Es kann also die Schuld selbst festgestellt sein, ohne daß noch die Person des Gläubigers

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bestimmt ist. Hiermit nun hängen folgende wichtige Abweichungen des deutschen Rechts vom römischen Recht zusammen: 1. die freie Stellvertretung ist bei aus bei Verträgen zugelassen 2. bei uns kann sich Jemand ein Versprechen geben lassen, auch wenn er von seinem Dritten keinen Auftrag erhalten und dieser dann daraus eine unmittelbare Forderung haben. Ein solcher Vertrag ist selbst zu Gunsten eines solchen Dritten zulässig welcher die Contrahenten gar nicht kennt, ja welcher noch gar nicht lebt, wenn er nur sonst genau bestimmt ist, auch ist es einerlei, ob der Vertrag den Contrahenten ein rechtliches Interesse gewährt. Wollte man die Gültigkeit eines solchen Vertrags angreifen, so würde eine ganze Reihe von deutschen Rechtsinstituten seine Basis verlieren. In der That ist auch die Gültigkeit von Verträgen zu Gunsten Dritter durch ein allgemeines Gewohnheitsrecht außer Zweifel gesetzt (trotz der Gegenansicht einiger Juristen[227]vollkommen gültig, überhaupt ist die Praxis erst in der neuren Zeit schwankend geworden. Dabei ist aber kein Grund vorhanden anzunehmen, daß das deutsche Recht von den in der Natur des Vertrages liegenden Grundsätzen von der Acceptation des Gläubigers abweiche und so kommt es, daß bei Verträgen zu Gunsten eines Dritten dieser erst dann ein Recht erhält, wenn es dem Vertrage beigetreten ist und daß, solange dies nicht geschehen ist, die ursprünglichen Contrahenten den Vertrag noch wieder lösen können. Ist derjenige, welcher den Vertrag zu Gunsten eines Dritten abgeschlossen hat, gestorben, so kann der Verpflichtete nicht einseitig zurücktreten (§ 144 Arg. N. 4). Die Erben des Stipulaten können den Contrahenten von seiner Verpflichtungen nicht einseitig entlassen, denn das Revisionsrecht ist kein solches, welches als Bestandtheil des Vermögens auf die Erben übergeht (Beseler System des deutschen Privatrechts Bd. II p. 290 ff.) § 145 2. Schriftliche Form In der Regel steht es im freien Willen des Contrahenten, ob sie die schriftliche Form benutzen wollen, oder nicht. Die Frage, ob die Schriftlichkeit zur Gültigkeit es Vertrags oder nur zur Beweis geschieht, muß aus ihrem muthmaßlichen Willen beantwortet werden. Oft haben aber auch die Gesetze eine bestimmte Präsumtion festgestellt (lit. a). Die schriftliche Form kann aber aus folgenden Gründen nothwendig sein: 1. weil das Geschäft seiner Natur nach die Schriftlichkeit erfordert, so beim Wechselcontract.[228]2. weil die Gewohnheit vom Geschäfte nicht in jeder Form sondern nur in der schriftlichen Gültigkeit beilegt – bei einzelnen Handelsverträgen 3.  weil ein Particulargesetz die Schriftlichkeit verlangt (so in Preußen) N. 3 Es fragt sich nun besonders in den beiden letzeren Fällen, was hat es für eine Wirkung, wenn bei der Vorschrift der schriftlichen Form der Vertrag mündlich abgeschlossen ist? Im Allgemeinen muß man hier sagen, daß, wenn ein solcher Vertrag nicht als pactum de contrahendo aufrechterhalten werden kann, er denn ungültig ist, nach l 5 cod. s. 14. Tritt aber die Ungültigkeit auch dann ein, wenn der eine Contrahent bereits erfüllt hat, der andere Contrahent sich nicht geweigert hat, die Erfüllung anzunehmen? Um diese Frage zu beantworten sind ­folgende Fälle zu unterscheiden: 1. das Gesetz hat den Vertrag in jeder anderen Form als in der schriftlichen für nichtig erklärt. Hier kann also der Vertrag gar

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nicht gelten. 2. die Gesetze haben von der schriftlichen Abfassung des Geschäfts das Klagerecht auf Erfüllung abhängig gemacht. Hier ist es wohl am richtigsten den von dem einen Theil bereits erfüllten Contract als einen römischen Innominatcontract zu betrachten (N. 3) und darnach den andern Contrahenten zur Gegenleistung zu zwingen. In Ermangelung besonderer Bestimmungen wird bei der schriftlichen Form weiter nichts erfordert, als daß aus dem Aufsatze der Abschluss des Contracts ersichtlich ist. l. 17 cod. 4. 21.[229]Das Datum und Siegel ist aber bei solchen Privaturkunden durchaus nicht erforderlich. Auch leidet es keine Zweifel, daß in Ermangelung bestimmter Vorschriften es schon genügt, wenn der Contract brieflich abgeschlossen ist. Wenn aber eine bestimmte schriftliche Form erfordert wird kann im Gegensatz eines solchen förmlichen Vertrags noch ein anderer schriftlicher Aufsatz vorkommen, welcher die wesentlichen Puncte enthält wonach der förmliche Contract abgefaßt werden soll, Punktation. Von dieser Punktation sind bloße Traktate wesentlich verschieden. Letztere bestehen in blosen Vorschlägen und Anerbietungen, welche für einen Vertrag aufgestellt sind, ohne daß die andere Partei sie angenommen hat. Sie sind durchaus nicht verbindlich zu betrachten, indem die förmliche Ausfertigung im Zweifel nur dem Beweis erleichtern soll. (lit. a) Es kann daher nur der Punktation auf die Ausfertigung geklagt werden. § 146 3. Gerichtliche- und notarielle Form Die Nothwendigkeit der gerichtlichen Form, (Bestätigung oder gerichtliche Abschließung) kann ihren Grund haben in der Verabredung der Parteien oder in einer gesetzlichen Vorschrift. Wenn blos die Bestätigung verlangt wird, so ist anzunehmen daß sie nur den Beweis erleichtern soll. Sehr häufig haben aber die Gesetze die schriftliche Form aus folgenden Gründen für nothwendig erklärt:[230]1. um durch die gerichtliche Mitwirkung die Contrahenten vor Überredung, oder Übervertheilung zu beschützen 2. es ist die gerichtliche Abschließung vorgeschrieben. In dem ersten dieser Fälle ist das Geschäft für die Parteien auch zwar schon vor der Bestätigung bindend und zwar dahin, daß keiner einseitig zurücktreten darf und daß jede Partei auf Bestätigung klagen kann (lit. a). Es steht aber dem Richter das Cassationsrecht zu, wenn er den Vertrag für nothwendig hielt. Im 2ten Fall soll aber der Richter selbst bei der Abschließung mitwirken und der Vertrag ist daher vorher nicht bindend. In beiden Fällen hat der Richter eine causae cognitio vorzunehmen. Sobald die Gesetze zur Gültigkeit des Geschäfts blos die gerichtliche Form des Beweises wegen verlangen, so kann dieselbe eine Notariatsurkunde ersetzen. Wenn aber zur gerichtlichen Form noch die causae cognitio erforderlich ist, so reicht eine Notarurkunde nicht. II. Schuldscheine auf den Inhaber und Papiergeld. § 147 1. Papiergeld Unter Papiergeld versteht man Zettel, auf welchen eine bestimmte Summe Metallgeld angegeben ist, zu welchem Betrage sie von bestimmten Kassen eingelöst werden. Dies kann vorkommen: 1. so daß eine Bank solche Zettel in Umlauf setzt, sog. Bankraten 2. so daß der Saat solche Zettel ausgiebt, Kassenanweisungen etc.

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[231]Zuweilen hat das Papiergeld einen Zwangscours dann muß es im Umfange des Staats zum Nennwerth angenommen werden. Allein zum Wesen des Papiergeldes gehört dies keineswegs, vielmehr ist der normale Fall der, daß es gar keinen Zwangscours hat. Im letzteren Fall ist das Papiergeld bei Coursveränderungen zu dem Betrage zu nehmen, welcher Werth es zur Zeit des Vertrages in barem Gelde hatte. 2. Papiere auf den Inhaber § 147a A. Einleitung [Cuntze Lehre von den Inhaberpapieren, Leipzig 1857. Ungew. (Prof. in Wien) die rechtliche Natur der Inhaberpapiere Leipzig 1857. Be[k]ker in dessen und Mut[h]ers Jahrbuch für gemeines[deutsches] Recht, Savigny Obligationenrecht § 62 sq.] Die Papiere auf den Inhaber unterscheiden sich von Schuldscheinen dadurch, daß sie nicht, wie diese auf einem bestimmten Gläubiger lauten, sondern daß sie entweder ausdrücklich auf den Inhaber ausgestellt sind, oder auch so, daß der Gläubiger in keiner Weise auf dem Papiere angegeben ist und in der letzteren Weise gelten die Papiere ebenso wie auf den Inhaber. Diese Papiere sind Producte des modernen Staatswesens. Es gehören besonders hierher die meisten Staatsobligationen. Der Staat giebt dem Gläubiger gewöhnlich bei Negotiirung einer Anleihe Partialrobligationen oder gestattet diese Tilgung dem Gläubiger selbst.[232]Ferner gehören häufig hierher die Schuldbriefe industrieller Corporationen (Actienvereine, Gewerkschaften etc.). Die Pfandbriefe der Creditvereine, die Eisenbahnkarten (Gepäckscheine für die Eisenbahn) die Dampfschiffskarten, die Paßscheine über aufgegebenes Geld, die Theater und Concertbillets, die Abonnementkarten auf Bäder die Lotterilose. Die Leistung kann demnach von sehr verschiedener Art sein und bald auf ein Geben, bald auf ein Thun gehen. Das Ausgeben von Papieren auf den Inhaber steht im Allgemeinen auch Privatpersonen zu. In den neueren Zeiten ist aber durch manche Gesetze das Ausgeben von Geldpapieren den Privaten verboten. Über alle Inhaberpapiere gelten folgende allgemeine Grundsätze: 1. der ordnungsgemäße Besitz des Papiers legitimirt zur Erhebung des darauf geschriebenen Forderung 2. der Verkehr mit solchen Forderungen ist an das Papier in der Art geknüpft, daß zum Übergang der Forderung der Übergang des Papiers nothwendig ist. Aus diesem Grunde gelten diese Papiere im Verkehr als Waren und der Verkäufer hat in analoger Weise für die Güte des Papiers einzustehen, wie der Verkäufer für seine Waren überhaupt. 3. der Schuldner kann dem Inhaber keine Einrede aus der Person seiner Vorgänger opponiren 4. die lex[…]kommt hierbei nicht zur Anwendung 5.  Die Zulassung der Schuld bewirkt nicht absolute[233] Zerstörung der Forderung, vielmehr ist dazu die Entkräftung des Papiers nothwendig. Die freie Circulationsfähigkeit kann ein Inhaberpapier dadurch verlieren, (außer Coursgesetzt werden) daß es fest gemacht, d. h. auf einen bestimmten Gläubiger fixirt wird. Daß diese Festmachung mit Einwilligung des Schuldners geschehen kann, ist ganz unzweifelhaft. Bestritten ist es aber, ob sie auch einseitig vom Gläubiger geschehen kann. Der richtigen Meinung nach muß dies aber durchaus geleugnet werden. Denn auch der Schuldner ist dabei betheiligt, indem sein Cre-

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dit dadurch gehoben wird, wenn er Papiere auf den Inhaber ausgeben kann. Dazu kommt aber noch die Unbequemlichkeit für den Schuldner bei der Einlösung solcher „Mannenpapiere“. Jedenfalls ist aber zur Festmachung ein deutlicher Vermerk auf dem Papier unerläßlich. § 147b B. Rechtliche Natur der Inhaberpapiere – Unter den Ansichten hierüber kommen besonders folgende in Betracht: 1. Einige betrachten die Inhaberpapiere als Papier­ geld. Allein sie unterscheiden sich von letzteren darin, daß Papiergeld eine Sache, Inhaberpapiere eine Forderung ist. 2. Andere, und zwar die Mehrzahl, stellen den Satz auf, daß die Inhaberpapiere Beweisurkunden seien. Mit diesem Princip ist aber gar nichts Positives gewonnen.[…][234]3. Noch Andere betrachten das In­ haber­papier als den verkörperten Willen des Schuldners, als die obligatio selbst. Aber abgesehen von andern Gründen, steht dem entgegen, daß mit dem Untergang des Papiers auch die Forderung erlischt. Dies steht aber mit der Art wie diese Papiere im Verkehr behandelt werden, in Widerspruch. Um zu einer deutlichen Ansicht über die rechtliche Natur dieser Papiere zu gelangen, muß man nothwendig unterscheiden zwischen dem rechtlichen Verhältnis des Ausstellens und des Inhabers: 1. in Beziehung auf den Aussteller liegt in der Ausstellung eines Inhaber­ papiers die Begründung eines abstracten Forderungsrechts. Die Obligation welche aus einem solchen Papier entspringt, ist daher eine formelle. Der Vertrag ist also ein Formalcontract und zwar ein Literalcontract, der Rechtsgrund der Constituirung dieser nomen kann schon mannigfalitg sein, als bei Contrahenten überhaupt. Wie zu einem jeden Vertrage ist auch hier die Einwilligung der beiden Paciscenten in den Contract wesentlich. Nach der Ansicht einiger ist das Papier ein mit dem Publicum abgeschlossenes Geschäft. Nach Savigny und Gerber ist es aber ein Versprechen an eine incerta persona. Die richtigste Auffassung ist aber wohl die: der hier vorliegende Vertrag wird zwischen dem Aussteller des Papiers (dem Geber) und dem Empfänger (dem Nehmer) abgeschlossen. Es ist hier also kein einseitiges Versprechen sondern ein Contract zwischen 2 bestimmten Personen vorhanden, von welchen die eine Person[235]ein abstractes Versprechen macht, die andere dieses annimmt. Dieser Contract kommt also zwischen Geber und Nehmer zu Stande. So lange die Schrift dem Promissor nicht eingehändigt ist, kann der Promittent noch immer zurücktreten. 2.  das rechtliche Verhältnis des Inhabers. Darüber ist kein Zweifel, daß dies Verhältnis aus keiner Cession erklärt werden kann. Ebenso unrichtig ist es aber auch, wenn man das Verhältnis aus der novatio mit Wechsel des Gläubigers aus der delegatio erklären will. Hiermit steht in Widerspruch die praktisch wichtige Fortdauer der Pfand- und anderer accessorischer Rechte zu Gunsten des neuen Gläubigers. Ganz besonders steht aber dieser Ansicht der Umstand entgegen, daß zwischen dem jetzigen Inhaber in gutem Glauben und dem ursprünglichen Erwerber keine ununterbrochene Kette stattzufinden braucht. Denn wenn man das Papier verloren gegangen oder gestohlen ist, so ist der jetzige in gutem Glauben doch als Gläubiger anzusehen. Aus demselben Grunde ist die Ansicht von einer Singularsuccession nicht zu billigen. Kraut glaubt das Verhältnis des Inhabers allein aus dem deutschrechtlichen Grundsatz erklären zu können, daß ein

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Versprechen so erfüllt werden muß, wie es gegeben ist. (Zusagen macht Schuld) Das Auslösen des Inhaberpapiers hat der Aussteller jedem Besitzer in gutem Glauben versprochen. Daher kann letzterer die versprochene Leistung immer fordern. Da nun die bona fides präsumirt wird, so erklärt sich daraus, daß die Legiti-[236] mation des Inhabers schon durch den bloßen Besitz nachgewiesen wird. Diese im Besitz liegende Legitimation kann der Gegner durch Gegenbeweis zerstören. Letzterer kann auf verschiedene Weise geführt werden: a. dahin, daß dem Inhaber das Papier nicht in der Absicht übertragen sei, um ihm eine Forderung zu gründen (z. B. bei einem blosen Depositor, Commadator, etc.) b. dahin, daß der Inhaber das Papier geraubt, gestohlen, gefunden habe, kurz malae fidei possessor sei, oder daß sein Vermögen zur Übertragung unfähig gewesen sei (wahnsinnig, impuber) Wenn aber der Schuldner ohne diesen Gegenbeweis zu versuchen, das Papier bezahlt, so wird er nach dem deutschem Gewohnheitsrecht von seiner Verpflichtung liberirt. Doch versteht es sich von selbst, daß er nicht dolo oder mala culpa zahlen darf. Hieraus ergibt sich nun daß, wenn das Papier ohne Wissen und Willen des Inhabers in fremde Hände kommt, der Gläubiger in Gefahr ist, seine Forderung zu verlieren indem der Schuldner an den folgenden, nunmehrigen Inhaber zahlt. Es liegt daher in einem solchen Fall im Interesse des Gläubigers die Zahlung so lange als möglich hinzuhalten. Hierzu bieten sich dem Gläubiger verschiedene Mittel: 1. Er kann den Schuldner von dem erlittenen Verlust in Kenntniß setzten. Die Folge ist, daß wenn dieser von 3ten Inhabern zur Zahlung angehalten wird, er es dem Gläubiger anzeigen muß. Unterläßt dies der Schuldner oder er zahlt ohne Weiteres an den Inhaber, so handelt er dolo oder wenigstens culpa lata.[237]2. Er kann nach manchen Particularrechten ein sog. Amortisationsverfahren einleiten und dadurch das Papier ungültig machen. § 147c C. Amortisation und Vindication des Inhaberpapiere Amortisation oder Modification nennt man bei Schuldurkunden ein gerichtliches Verfahren, wodurch die letzteren für kraftlos erklärt werden. Dies Verfahren ist nun bei Inhaberpapieren im Allgemeinen dasselbe, wie bei allen Schuldurkunden. Es ist aber hier nur mit großer Vorsicht zu gestatten. Durch die Ausschreibung der verlorenen N.- und[…]an deren Besitzer kann noch keineswegs genügen. Denn es kann den zahlreichen Besitzern solcher Papiere nicht zugemuthet werden, daß sie die N. N. ihrer Inhaberpapiere mit der ausgeschriebenen N. vergleichen sollen und noch weniger kann man jenen zumuthen, daß sie wenn sie ein Inhaberpapier kaufen, immer an die ausgeschriebenen N.s denken sollen. Ist daher das ­Papier noch unversehrt vorhanden, und Gegenstand des Verkehrs so ist jeder Besitzer berechtigt, seine Forderung daraus geltend zu machen. Dem Gläubiger kann daher die Amortisation oder die Erneuerung seiner Forderung durch Herstellung einer neuen Urkunde nur dann gestattet werden, wenn er die Vernichtung der alten beweisen kann und in allem anderen Falle ist die Amortisation nur gegen eine gehörige Caution statthaft.[238]Ebenso wie die Verpflichtung des Schuldners nur durch Beobachtung einer bestimmten Form geschieht ist auch die Erlöschung der Forderung an eine bestimmte Form geknüpft. Diese Verpflichtung hört nur durch

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Vernichtung des Papiers oder dadurch auf daß sich die Zahlung aus dem Papier selbst erkennen lässt. Dagegen hört sie nicht auf durch den unfreiwilligen Untergang des Papiers. Denn wenngleich das Papier die Bedingung für das Entstehen der obligatorischen Forderung so ist es doch nicht Bedingung für das Fortbestehen derselben. Es ist deshalb durchaus unrichtig, wenn Manche das Fortbestehen der Forderung aus einem untergegangenen Inhaberpapier als eine Billigkeitsrücksicht betrachten. Daß bei untergegangenen Papieren noch ein Amortisationsverfahren eingeleitet werden muß, erklärt sich daraus, daß erst ermittelt werden muß, ob das Papier wirklich untergegangen ist, ferner ob der Besitzer wirklich der letzte Besitzer gewesen sei. Bei Beantwortung der Frage, ob die Inhaberpapiere vindicir­ bar sind, muß man besonders berücksichtigen, daß an und für sich Eigenthum an Papier und Gläubigerschaft als 2. von einander ganz unabhängige Verhältnisse erscheinen. An und für sich könnte der Eigenthümer des Papiers dieses von jedem Dritten, wenn dieser Dritte auch Gläubiger wäre, vindiciren. Dies Verhältnis würde aber offenbar dem wahren Bedürfniß widersprechen. Das Stückchen Papier hat daher für den Eigenthümer keinen, oder nur[239]einen sehr geringen Werth, für den Gläubiger hat es eine sehr große Bedeutung. Diese Erwägung führt nun dahin, die Frage nach dem Eigenthumsrecht auf das Stückchen Papier ganz aus dem Spiele zu lassen und den Satz aufzustellen: Wer das Recht aus einem Papier hat, der hat auch das Recht auf das Papier. Das Recht aus dem Papier hat aber nur der bona fide poss. Daher hat auch er nur das Recht auf das Papier er kann es an und für sich mit einer dinglichen Klage gegen Dritte Besitzer geltend machen; er kann das Papier vindiciren nur nicht gegen Inhaber in bona fide. Denn da dieser Dritte als solcher das volle Recht an dem Papiere erworben hat, so ist damit das Recht des früheren Besitzers in bona fide beendigt. § 148 III. Beschränkungsmittel der Verträge Dahin gehören in Deutschland: 1.  Pfand und Bürgschaft 2.  Der Handschlag 3. Auch bei den deutschen Verträgen kommt eine arrha vor. Mit der römischen Natur. Sie hat verschiedene Namen: Handgeld, Daran- oder Daraufgeld, Gottespfennig (weil die arrha zuweilen an eine fromme Anstalt gegeben zu werden pflegt) Taggeld, Weinkauf (arg. 1 bis g) weil in manchen Gegenden die Contrahenten ein Glas Wein zusammen trinken, Beittrank,[…]in demselben Sinn wie Weinkauf [240]Im römischen Recht ist die arrha bekanntlich in der Regel confirmatorisch für einen bereits perfecten Vertrag, zuweilen aber auch poenitentialis (Reugeld). Die ist aber wie im römischen Recht constitutorisch, als Bedingung der Gültigkeit eines Vertrags. So steht nach gemeinem Recht auch die Sache in Deutschland aber nach einigen Particularrechten ist sie constitutorisch. 4. Im Mittelalter gab es sehr viele accessorische Clauseln zur Verstärkung der Verträge z. B. die Clausel „bei Strafe des Schandgemäldes, bei Strafe des Schellenschelms“. Allein schon die Rechtsänderungen haben diese Clauseln verboten und ihnen alle rechtliche Wirkung entzogen. Ebensowenig haben die nidlichen Versicherungen, Versicherungen beim Ehrenworte, redlichem gräflichem Worte, Cavalirsparole etc. rechtliche Wirkung.

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§ 149 IV. Vom Tragen der Gefahr in Vertragsverhältnissen In Beziehung auf die praestatio culpae et periculi in Vertragsverhältnissen weicht das deutsche Recht vom römischen insofern ab, daß es nicht wie dieses unterscheidet zwischen dolus, culpa lata und culpa levis sondern vielmehr zunächst die Frage aufstellt: Hat derjenige welcher etwas zu leisten hat, dessen Untergang verschuldet oder nicht? Kann er seine Unschuld nicht beschwören, so muß er den Schaden ersetzen. In manchen Fällen dehnte aber das deutsche Recht die Ersatzpflicht des Schuldners auch über die Grenzen des Zufalls hinaus. An die Stelle des ältern deutschen Rechts sind aber schon seit langer Zeit die Grundsätze des römischen Rechts gemeinrechtlich getreten (N. 11 und 12). Indessen haben sich in e­ inigen Particularrechten noch Reste des alten deutschen Rechts gehalten.[241]Einzelne Verträge I. Kauf § 150 A. Verkauf der Früchte auf dem Halm Schon das ältere deutsche Recht beschränkte die Freiheit des Verkaufs der Früchte auf dem Halm, d. h. der Früchte, die noch nicht zur Erndte reif sind (N. 1 und 2). Für das heutige Recht gehören besonders hierher die Bestimmungen der R. P. O. (N. 3). Nach letzteren soll der Käufer von Früchten auf dem Halm immer entweder den wahren Werth zur Zeit des Verkaufs entrichten oder den Werth welchen sie 14 Tage nach der Erndte haben. Übertritt der Käufer oder der Verkäufer diese Vorschrift, so soll der Verkäufer den Kaufpreis verlieren, und außerdem noch von der Obrigkeit ex off. bestraft werden. Der Grund dieser Verfügung liegt darin, daß hierdurch den wucherischen Contracten vorgebeugt werden soll und um den Armen vor der Noth zu schützen. Die Particularrechte haben diese reichsgesetzlichen Vorschriften oft noch weiter ausgedehnt, oft aber auch blos erläutert u modificirt. § 154 B. Wandlungsklage Nach dem ältren deutschen Recht war die Redhibition, „Wandelung“ nur dann zu gestatten, wenn der Verkäufer den Fehler gekannt und verheimlicht hatte und der Fehler ein sehr erheblicher war. (N. 1 und 2 ) Das ältere deutsche Recht kennt auch nur eine Redhibition der schadhaften Sache aber nicht eine Herabsetzung des Kaufpreises. Endlich konnte[242]der Käufer auch nur in sehr kurzer Zeit redhibiren. In den Rechtsbüchern und Statuten des Mittelalters finden sich diese Grundsätze nicht ausdrücklich vor, sondern es sind darin nur die am gewöhnlichsten vorkommenden Fälle aufgenommen. Die Redhibition kommt ganz besonders beim Pferdehandel vor. So erklärt es sich daß jene allgemeinen Grundsätze ganz in Vergessenheit gerathen sind und dafür die Theorien durch römisches Rechts in Anspruch genommen wurden. Nur beim Viehhandel besteht noch das ältere Recht. Namentlich in den Hamburger und Lübecker Statuten finden sich noch manche Bestimmungen welche mit der älteren Wandlungsklage zusammenhängen. Die meisten älteren Rechtsquellen nennen gewisse Mängel als solche, welche die Wandlungsklage herbeiführen sollen und zwar beim Pferdehandel Stütigkeit, Staarblindheit, Herzschlägigkeit und Rotz. Die neueren Juristen wollen auf diese

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Mängel die Wandlungsklage beschränken (so auch Eichhorn) Allein nach den über die Interpretation der deutschen Rechtsquellen herrschenden Grundsätze dürfen wir dies gemeinrechtlich nicht annehmen, vielmehr müssen wir auch jene die angeführten Mängel als Beispiele betrachten und annehmen, daß alle andern Mängel welche nach dem Urtheil von Sachverständigen von gleicher Bedeutung sind, wie die genannten, ebenfalls zur Wandlung berechtigen. Auch die Praxis hat es in dieser Weise immer so geübt. Auch die Gewährszeit beim Vieh ist nach den neueren Gesetzen etwas kürzer als nach römischem Recht für die Hauptmängel welche sich innerhalb dieser Zeit zeigen wird präsumirt daß dieselben schon bei Abschluß des[243]Verkaufs an der Sache gehaftet hätten (N. 17 und lit. b). Ist binnen der Gewährszeit die Wandlungsklage nicht angestellt, oder noch nicht eingeleitet, so fällt aller Anspruch darauf weg. Denn es muß hier die Eigenthümlichkeit des deutschen Rechts die römische actio redhibitoria ausschließen. Doch kann auch da, wo die Wandlungsklage auf bestimmte Mängel gerichtet ist, die act quanti minoris nicht angestellt werden. C. Das Näherrecht § 152 1) Begriff und Arten desselben Der Ausdruck „Näherrecht“ bezeichnet im Allgemeinen das Recht bei einem Contract den Vorzug vor dem Dritten zu verlangen. Die Person welcher das Recht zusteht, heißt Nähergelter, im Allgemeinen ist jus protimiseos dasselbe. In der ­engeren Bedeutung unterscheiden sich beide aber dadurch daß das Mäherrecht eine Klage gegen den Käufer giebt. Eine Klage gegen den Verkäufer ist mit dem Mäherrecht im engeren Sinn nicht verbunden. In dem engeren Sinn heißt das Mäherrecht: Retractsrecht (Abtrieb[…], Zuchtrecht, Einsprache etc) und der Berechtigte Retrahent. Objecte der Retractsrechts sind fast allein Grundstücke, bei beweglichen Sachen kommt es seltener vor, außer bei Schiffen. Die einzelnen Arten dieser Retractsrechte sind folgende: 1.  der Familien- od Stammretract oder Erblassung. Sie besteht darin, daß wenn ein Familienmitglied ein Grundstück veräußert, die übrigen Familienmitglieder dasselbe retrahiren können. Dies Recht gründet sich auf das[244]ältere Recht der nächsten Erben bei Veräußerung von Grundstücken. Nach dem neueren Recht braucht der Retrahent nicht der nächste Erbe zu sein. Sollten aber mehrere Familienmitglieder zusammen retrahiren, so gebührt doch dem nächsten Erben der Vorzug. Meistens ist das Retractsrecht auch jetzt auf Erb- oder Stammgüter beschränkt. Hier und da findet es aber bei Ver­äuße­ rung von Grundstücken überhaupt noch statt. 2. Das Retractsrecht aus dem Mit­ eigenthum. Bei Häusern, die unter einem Dache liegen, heißt dies Recht das Recht der Dachloosung. Zuweilen kommt dies Retractsrecht auch nur vor bei Ganerbverhältnissen und heißt dann Ganerbenrecht. 3.  das Gespilterecht, Theilloosung etc. Dies besteht bei dem realiter getheilten Grundstück wo ein Theilberechtigter ­seinen Theil an einen Dritten überträgt, welcher früher daran noch keinen Theil gehabt hat. 4. Das Nachbar oder Fürmasserecht. Es steht an einem Grundstück, welches veräußert ist, dem Nachbarn zu. Hat der Veräußerer mehrere Nachbarn so ist es am natürlichsten demjenigen von den Berechtigten den Vorzug zu geben, der

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mit der längsten Strecke an jenes Grundstück angränzt. Manche Particularrechte bestimmen aber anders (Lage zur Rechten, oder zur Linken nach Osten oder nach Westen) 5. das grundherrliche Retract. Diese kommt besonders bei Lehen vor und heißt hier Lehnretract, auch findet er bei Bauerngütern statt.[245]6. die Marktloosung, Bürgerretract ( in den Städten). Dies Recht hat jedes Gemeindeglied an den im Gemeindefluß liegenden Grundstücken. Alle diese Retractsrechte außer dem Lehnretract und der Erbloosung sind nie gemeinrechtlich gewesen. Aber die Erbloosung hat schon im 16ten Jahrhundert aufgehört gemeinrechtliches Retractrecht zu sein, außer beim Lehn. § 153 2. Erfordernisse zur Ausübung des Retracts Da beim Retractsrecht der Retrahent in den Contract eintritt, welcher der Veräußerer mit dem 3ten abgeschlossen hat, so wird zur Ausübung des Retractsrechts stets erfordert, daß er dem Veräußerer gleichgültig sei, an wen er veräußert. Dies heißt aber nicht, daß der Retract nur stattfinde, wenn der Veräußerer ein besonderes Motiv hat, weshalb soll er lieber an den Einen als an den andern veräußerte. Davon würde die Folge sein, daß es ganz vom Veräußerer abhinge ob der Retrahent sein Recht geltend machen könnte. Dies ist nicht der Fall, vielmehr kommt es dabei lediglich auf die allgemeine Natur des Geschäfts an, welches die Veräußerung bezweckt. Dies findet vorzugsweise nur beim Kaufcontract statt. Dagegen sind Schenkungen nicht dem Retractsrecht unterworfen. Das Geschäft in welches der Retrahent eintritt, muß dazu geeignet sein, daß er gerade dasselbe leisten kann, welches der Andere, gegen den er das Recht ausübt leistet. Doch kann der Retract niemals bei einem[246]Tausch ausgeübt werden, ebensowenig beim Vergleich. Übrigens ist es ganz einerlei, ob der Vertrag öffentlich oder privatim abgeschlossen ist. In den meisten Gesetzen, werden unter den Gesetzen, bei welchen der Retract ausgeübt werden soll, immer nur Eigenthumsveräußerungen verstanden. § 154 3. Natur und Wirkungen der Retractsklage Im Verhältnis zum Verkäufer tritt der Retrahent an die Stelle des ursprünglichen Käufers und hat gegen den Verkäufer act. emti. Weit schwieriger ist aber das Verhältnis des Retrahenten zum ursprünglichen Käufer zu bestimmen. Ob die Retractsklage eine actio in rem oder eine persönliche Klage sei, ist sehr bestritten. Wenn man aber die folgenden Momente berücksichtigt muß man dieselbe doch wohl als actio in rem ansehen. 1. Es widerspricht einem obligatorischen Verhältnis daß die Retractsklage gegen Jeden, der einmal das Grundstück kaufen würde gerichtet ist. Danach wäre es vielleicht passend, diese Klage als eine actio in rem scripta zu betrachten. Dies widerspricht auch nicht dem Umstand daß die Retractsklage nicht blos gegen den ersten Käufer angestellt werden kann, sondern auch gegen jeden folgenden Käufer, denn da der erste Käufer nur ein widerrufliches Recht von der Sache bekam, so konnte er die Sache auch nur widerruflich weiter ver­äußern.[247]Es spricht aber 2. für die Dinglichkeit der Retractsklage daß die ­Erbloosung aus dem Recht der nächsten Erben hervorgegangen ist und daß die übrigen Retractsrechte der Erbloosung, als dem ältesten meistens nachgebildet sind.

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3. Die Dinglichkeit der Retractsklage tritt aber besonders deutlich hervor, wenn dem Kläger von dem Beklagten das Retractsrecht bestritten wird, denn hier muß nothwendig eine Klage auf Anerkennung des Retractsrechts angestellt werden und eine solche Klage auf Anerkennung eines Rechts ist ihrer Natur nach eine dingliche Klage. Wenn der ursprüngliche Käufer weiter veräußert hat, so entsteht die Frage, ob der Retrahent den ersten oder den 2ten Kaufpreis zahlen muß. Da aber der Retrahent nur ein Recht hat in den ersten Contract einzutreten, so braucht er auch nur den ersten Kaufpreis zu leisten. Weil der Retrahent durch Ausübung des Retractsrechts in die Stelle des ursprünglichen Käufers tritt, so muß er auch dem Beklagten alle Unkosten ersetzen. Der Retrahent muß überhaupt alles leisten, was nöthig ist, um den Käufer ganz in den Zustand wieder zu versetzen, worin er sich vor Abschluß des Käufercontracts befand. § 155 4. Collision mehrerer Retractsrechte Über die Collision mehrerer Retractsrechte verschiedener Art pflegen die Particularrechte verschiedene Bestimmungen zu enthalten. Wo dies nicht ausreicht, giebt es über den Vorzug des[248]einen oder des andern Retractsrechts keine besonderen Regeln, sondern es gelten die gemeinrechtlichen über Collision. § 156 5. Entstehungsgründe des Retractrechts Der Grund eines Retractsrechts liegt in der Regel in einem Gesetze oder Gewohnheitsrechte. Es fragt sich aber, ob durch Vertrag oder Testament ein Retractsrecht begründet werden kann. Wenn man das Retractrecht als ein obligatorisches Verhältnis betrachtet, so muß man die Zulässigkeit der letzteren Begründung durchaus leugnen, weil man nicht einem unbestimmten Dritten eine Pflicht auferlegen kann. Wenn man aber das Retracstrecht als ein eigenthümliches deutsches dingliches Recht auffaßt, so steht der Entstehung durch Vertrag oder Testament auch das römische Recht nicht entgegen. Auch wird in mehreren Particularrechten ein vertragsmäßiger Retract ausdrücklich anerkannt. Wo aber zur Begründung eines dinglichen Rechts die Eintragung in öffentliche Bücher verlangt wird, ist auch diese nothwendig. N. 2 lit. a und N. 3 § 157 6. Erlöschung des Retractsrechts Ein Retractsrecht erlischt: 1. durch Entsagung 2. durch Verjährung der Retractsklage. Die gemeinrechtliche Verjährungszeit ist hier die von Jahr und Tag weil dieselbe zu dem Retractsrecht als deutschrechtliches Institut gehört. In neueren Zeiten ist das Retractsrecht, als Beschränkung[249]des freien Verkehrs mit Grundstücken durch Gesetze entweder ganz aufgehoben, wie in ([…], Schleswig, Baden Bremen etc.) oder doch sehr beschränkt worden (so in Preußen, Oldenburg, Würtemberg, Baiern, Sachsen, Weimar etc.) § 158 Pacht und Miethe (Eisernviehvertrag) Bei der loc. cond. rerum unterscheidet der deutsche Gebrauch zwischen Miethe oder Heuer und Pacht. Die Miethe verschafft nur den Gebrauch, die Pacht dagegen verschafft dem andern Contrahenten auch den Fruchtgenuß der Sache. Die Pacht

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von Grundstücken ist in Deutschland entweder eine Zeit- oder eine Erbpacht. Gemeinrechtlich ist heutzutage der Pacht- und Miethcontract nach römischem Recht zu beurtheilen. Deshalb gilt auch der Grundsatz Kauf bricht Miethe (In Hamburg bricht Kauf nicht Miethe N. 6) und diesen entgegengesetzten Grundsatz hatte auch das ältere Recht er findet sich wie wir oben sehen, in einzelnen Particularrechten. Nicht selten kommt in Deutschland auch ein Pachtcontract über Vieh vor, die Viehverstallung. Es wird hier das Vieh welches Nutzen abwirft oder zum Gebrauch dient, einem Andern (dem Einsteller) von dem Versteller zur Einstellung, Hütung, Fütterung übergeben. Am häufigsten sind folgende Fälle der Viehverstellung: 1. als einfache Pacht des Viehs. Im nördlichen Deutschland kommt dieser Vertrag unter dem Namen: Holländereivertrag vor. Bei ihm wird aber auch zuweilen die Milch an den Einsteller verkauft.[250]2. Der Eisernviehvertrag. Er besteht in der Verpachtung von Vieh unter der Bedingung, daß der Pächter es nur dem genus, nicht der species nach restituiren soll. Der Pächter bekommt daher hier außer der Benutzung des Viehs auch die Jungen. Er muß aber für den casus haften. Hierauf bezieht sich das Rechtssprichwort: „Eisern Vieh stirbt nie“ (d. h. dem Ver­ pächter). Außer dem Vieh wird aber gewöhnlich auch noch etwas Land und Wiese überlassen, während sich der Hauptcontract auf das Vieh bezieht. § 159 III. Verlagsvertrag Darunter versteht man den Vertrag, vermöge dessen der Verfertiger einer geistigen Production, Autor sich verbindlich macht, einen Andern, dem Verleger diese Production zu überlassen, und letzterer sich verpflichtet, dieselbe zu vervielfältigen und ins Publicum zu veräußern. Gegenstand dieses Vertrags können nun geistige Productionen aller Art sein: Schriften, musicalische Compositionen, artistische Arbeiten, Landkarten etc. Der Verlagsvertrag ist ein eigenthümlich deutscher zweiseitiger Consensualcontract. Nur in dem Fall, wo die Größe des Honorars vom Absatz abhängig gemacht wird kann man den Verlagscontract als einen Societätscontract zwischen Verleger und Autor betrachten.[251]Auf Seiten des Autors begründet der Verlagsvertrag folgende Verpflichtungen: 1. das vorgesehene Werk in einer zur Vervielfältigung durch Druck geeigneten Form dem Verleger zu liefern. 2. dem Verleger sein Verlagsrecht nicht zu stören Aus diesem Grund darf der Autor weder anderweitig selbst sein Werk drucken lassen noch einem Dritte in Verlag geben, auch nicht in einer späteren Gesamtausgabe seiner Werke, wenn das nicht gleich aus gemacht ist. Der Autor darf daher eine neue Auflage erst dann machen, wenn die frühere vergriffen ist, oder wenn er den Verleger (durch Ansichkaufen der übrigen Bände) schadlos hält. Durch diese Obligation ist aber der Autor in der Regel nicht so gebunden, daß er sein Werk nicht in eine andere Sprache übersetzen lassen dürfte. Ferner steht es dem Autor auch noch immer frei eine ganz neue Bearbeitung des Gegenstandes drucken zu lassen ohne Verletzung des früheren Ver­legers. Ebenso darf auch der Autor Verbesserungen und Zusätze einzeln drucken lassen, wenn er sie nicht bei einem andern Verleger mit dem Hauptwerke verbunden hat. 3. Es liegt in der Natur dieses Vertrages, daß der Autor seine übernommene Verpflichtung nicht durch einen Andern erfüllen lassen kann. Soll der Autor das zu verlegende Werk erst produciren,

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so hört seine Verpflichtung mit seinem Tode oder Eintreten der Unfähigkeit auf. Ist das Werk aber bei seinem Tode schon vollendet, so sind die Erben verpflichtet es dem Verleger zu überlassen.[252]Auf Seiten des Verlegers begründet der Verlagsvertrag folgende Verpflichtungen: 1. von dem Werk die gehörige Anzahl von Exemplaren in angemessener Ausstattung zu drucken und diese auf gewöhnlichem Wege auf der Leipziger Messe ins Publicum zu bringen. Aus demselben Grund nun darf der Verleger auch nicht über den verabredeten Preis hinausgehen. Ist die Zahl der zu druckenden Exemplare nicht verabredet, so hängt die Zahl der zu druckenden Exemplare vom Belieben des Ver­legers ab (nach einem sächsischen Gesetz 1000 Exemplare die gewöhnliche Auflage beträgt nur 750 Exemplare). Zuweilen wird dem Verleger vom Autor ein so absolutes Verlagsrecht eingeräumt, daß er für sich und seine Erben verspricht, niemals eine neue Auflage drucken zu lassen. Heutzutage giebt es aber ein solches Versprechen höchst selten. Gemeinrechtlich ist der Vertrag jetzt nur auf eine Auflage gerichtet, d. h. der Verleger soll die Arbeit setzten und die verabredete Zahl von diesem Satze abziehen. Will der Verleger eine neue Auflage drucken lassen, so muß er einen neuen Contract mit dem Autor abschließen. Der Autor ist aber ohne besondere Verabredung an den Verleger nicht gebunden, sondern kann seine neue Auflage auch bei einem andern Verleger drucken lassen. 2. Das Honorar hat der Verleger regelmäßig erst zu bezahlen wenn das Werk gedruckt und zum Versatz reif ist. Die Chemie des Gewinns und Verlusts hat der[253] Verleger allein zu tragen. Eine Anfechtung des Vertrages wegen laesio enormis ist ganz unmöglich. 3. der Verleger kann ohne Zustimmung des Autors keinen andern Verleger an seine Stelle setzten. Wenn der Verleger die gesamte Verlagshandlung veräußert, so muß sich dies der Autor gefallen lassen. Das aus dem Verlagscontract entspringende Recht geht in der Regel beiderseits auf die Erben über. Die Gefahr des Untergangs des Werks trifft vor der Ablieferung desselben den Autor nach der Ablieferung den Verleger. (Otto Waechter, Das Verlagsrecht, Leipzig 1857). § 160 IV. Zinsbares Darlehen Im Mittelalter fiel jedes directe Zinsversprechen unter den Begriff des durch das kanonische Recht verbotenen Zinswuchers. Nachdem aber durch die Reformation andere Ansichten über das kanonische Recht in bürgerlichen Angelegen­heiten entstanden waren, führte zuerst blos die Gewohnheit in einzelnen protestantischen Ländern zur Umgehung der Form der Gültverschreibung, zum directen Zins versprechen. Diese Gewohnheit hatte gleich nach dem 20jährigen Krieg schon soviel Geltung erhalten, daß die damaligen Reichsgesetze die Gültigkeit dieser Gewohnheit ausdrücklich aussprachen (lit. a N. 13). Über die Größe des Zinssatzes bei einem directen Zinsversprechen giebt es verschiedene Ansichten. Einige nehmen an, die Reichsgesetze und vorzüglich der J. R. A. hätten das maximum der Zinsen[254]auf 5 % festgesetzt. (N. 13). Andere behaupten dagegen mit Recht, dies sei irrig, da das J. R. A. nur ein Indult für die im 30 jährigem Krieg verarmten Schuldner wäre. Daß 5 % auch für die Zukunft festgesetzt sei, stand nirgends vorgeschrieben. Nur Gülten und Verzugszinsen sind auf 5 % festgesetzt (N. 10 und 11). Weil nun das kanonische Recht und die Reichsgesetzte nicht direct gelten können,

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so wollen Einige das Justinianische Recht in dieser Lehre als gültig annehmen (l 26 § 1 Cod 4. 32). Allein auch diese Ansicht kann nicht richtig sein. Da nämlich die heutige Gültigkeit des directen Zinsversprechens blos auf dem Gewohnheitsrecht beruht, so muß auch diese über das Zinsmaximum entscheiden. Nach dem gemeinen deutschen Gewohnheitsrecht kann man aber nur 5 % als Zinsmaximum annehmen (N. 18 und 17). Dies Gewohnheitsrecht hat unzweifelhaft seinen Grund darin, daß man ursprünglich den Unterschied zwischen dem Gültenkauf und dem directen Zinsversprechen gar nicht beachtete. Auch läßt sich nicht verkennen, daß die Gewohnheit durch die reichsgesetzlichen Bestimmungen über die usurae morae und durch den J. R. A. anerkannt worden ist. Nur in einigen Particulargesetzen sind ausdrücklich 6 % gestattet (Holstein Mecklenburg, Gotha). Im Allgemeinen hat aber die Praxis den Grundsatz angenommen, daß die gesetzliche Strafe noch nicht auf den 6ten Zins rechtlich angewandt werden soll. Die Forderung ist nur nicht klagbar auch kann der 6te Zins rechtlich wenn er bezahlt ist, nicht zurückgenommen werden. (N. 8) Beides ist wohl dem Einfluß des römischen Rechts zuzuschrei-[255]ben. Endlich ist auch bei gewagten Geschäften, bei Wechslern und Kaufleuten gestattet, sich einen höhren Zinsfluß versprechen zu lassen. Die Anwendung des römischen Rechts (8 %) auf die Kaufleute ist aber nicht zulässig. Die Bestimmung des Zinsflußes hängt dagegen gewöhnlich vom Gewohnheitsrecht ab. (meistens 6 %) Abgesehen von der Größe des Zinsflußes sind aber die Grundsätze des römischen Rechts über das zinsbare Darlehn hinterher recipirt und besonders das Verbot der Steigerung der Zinsen über das alterum tantum und der Anatorismus. Überhaupt ist das mutuum in seiner römischen Gestalt recipirt. Indessen wird doch ein wesentlicher Unterschied zwischen dem römischen und deutschen dadurch begründet, daß letzteres ein neg. bon. fid. jenes aber ein neg. str. jus ist. Dies zeigt sich besonders darin wirksam, daß in Deutschland Zinsen durch einen Nebenvertrag ausbedungen werden können. Das Darlehn selbst wird aber erst durch Hingabe des Gegenstandes vollendet. Dies schließt indessen die Gültigkeit des pactum de mutando nicht aus, vorausgesetzt, daß dabei ein schätzbares Interesse für den einen oder den andern Theil besteht. § 161 V. Spiel und Wette Die Wette besteht in der Aufstellung widerstreitender Behauptungen und dem gegenseitigen Versprechen, einen Vermögensnachtheil erleiden zu wollen, wenn sich seine Behauptung als unrichtig erweisen sollte. Die Spiele zum Gewinn, wenn sie nicht zur Unterhaltung oder zur Übung der Kräfte angestellt werden, können als[256]eine Reihe von Wetten angesehen werden. Der eigentliche Unterschied zwischen Wetten und Spielen besteht darin, daß denn Wettenden das Interesse der Bewährung seiner Behauptung leitet, dem Spielenden dagegen es nur um die Möglichkeit seines Gewinns zu thun ist. Dies zeigt sich auch darin, daß bei der Wette nicht nothwendig dasjenige was verwettet ist, dem Andern zufällt (wenn er z. B. verspricht eine bestimmte Summe an die Armen zu geben). Das ältere Recht betrachtet die Spielschulden als klagbar (N. 1 und 5). Aber schon im Mittelalter entstand die Ansicht, daß die Spielschulden nicht klagbar seien, jedoch dem Gewinner

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freistehe, sich an das zuhalten, was der Verlierer mit oder an sich führe. Es sollte demnach nur nicht auf Borg gespielt werden N. 2 bis 7). Im Laufe der Zeit bildete sich eine noch immer mehr ungünstige Ansicht, welche zu der strengen Gesetzgebung über die Spiele in den Städten führte. Diese Gesetzgebungen wichen freilich sehr von einander ab, es liegt ihnen aber überall dieselbe leitende Ansicht zu Grunde, daß nämlich ein Unterschied zu machen sei zwischen den verschiedenen Arten von Spielen, indem die einen für verboten, die andern für erlaubt erklärt sind. Die erlaubten sind die, welche zur Ergötzung und Kurzweil getrieben werden, verboten dagegen alle diejenigen, welche schon ihrer ganzen Anlage nach blos in gewinnsüchtiger Absicht getrieben werden und ebenso alle hohen Spiele.[257]Das verbotene Spiel ist nicht blos nicht klagbar, sondern es werden auch die Spieler selbst und die Beförderer des Spiels bestraft. Bei den erlaubten Spielen findet zwar keine Strafe statt, aber bei uns (anders als bei den Römern) ist die Schuld nicht klagbar. Nach der Einführung des römischen Rechts haben die Juristen diese Grundsätze mehr oder weniger auch in Deutschland anwenden wollen l. alt. cod. 3.43. dabei geben aber die älteren Juristen dem römischen Recht die Bedeutung daß dasselbe nicht blos die Spiele für erlaubt erklären, welche zur Leibesübung dienten, sondern auch diejenigen, welche eine Übung der Geisteskräfte bezweckten. Bei letzeren lassen sie aber keine Klage auf die Spielschuld zu und schließen das Rückforderungsrecht der gezahlten Schuld aus. Hierfür berufen sie sich auf N. 4. Die Juristen kommen in der That zu dem deutschen Criterium zwischen verbotenem und erlaubten Spiel zurück, ohne sich klar dessen bewusst zu werden. Auch hat die Praxis im Ganzen immer die Grundsätze des ältern deutschen Rechts befolgt. Diese ältern deutschen Grundsätze haben sich in den Reichsgesetzen erhalten und in den neuren Gesetzgebungen. Unter diesen Umständen kann man wohl nicht zweifeln, daß die deutschen Grundsätze noch die gemeinrechtlich sind. Die noch heute hierüber geltenden Grundsätze sind nun folgende: 1. Verboten ist alles Spielen in blos gewinnsüchtiger Absicht. Letzteres ist bei übermäßigen und hohen Spielen und bei den sog. Hazardspielen anzunehmen, wenn nicht aus dem niedrigen Satz und den[258]übrigen Umständen sich ergiebt, daß das Spiel klar zur Unterhaltung getrieben wird. Ist aber ein Jugendspiel obrigkeitlich gestattet, so wird es dadurch zu einem erlaubten Spiel in dem gleich anzuführenden Sinn. Die Strafe des verbotenen Spiels hängt gemeinrechtlich von dem Ermessen der Richter ab und die Obrigkeit ist berechtigt das gewonnene Geld von dem Gewinner beizutreiben, während der Verlierer gemeinrechtlich kein Rückforderungsrecht hat. 2. Erlaubt ist jedes Spiel welches in anständiger Weise der Unterhaltung und Er­holung wegen getrieben wird. Aber auch dieses kann nicht auf Borg gespielt werden. Ein Pfändungsrecht hat aber der Gewinner nicht mehr gegen den Verlierer. Er kann aber das, was dem Gewinner gleich bezahlt worden ist, nicht zurückgefordert werden. Die unbezahlte Forderung kann der Gewinner aber weder durch eine Klage noch durch eine exc. noch compensatio etc. verlangen. Ebensowenig kann ein Vergleich darüber abgeschlossen werden, oder eine Bürgschaft dafür bezahlt werden. 3. Wer wissentlich Geld zu irgendeinem Ziel geliehen hat, der kann diese Summe niemals rechtlich zurückfordern, und hat er zu einem verbotenen Spiel geliehen, so

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ist er dazu noch strafbar. – Die Wette war nach dem römischen Recht des Mittelalters ebensowenig klagbar, als das Spiel. Seit der Einführung[259]des römischen Rechts ist aber auf Grund derselben von den Juristen entschieden die Klagbarkeit der Wetten behauptet und daraufhin in Statuten anerkannt worden. Nach der gewöhnlichen Ansicht leidet dies aber dann eine Ausnahme, wenn die Wette über ein verbotenes Spiel abgeschlossen ist. Allein die Wette welche sich auf einen unsittlichen Gegenstand bezieht ist deshalb noch nicht selbst unsittlich, sondern erst dann, wenn die Wette selbst unsittliches bezweckt. Es darf aber nicht die Wette selbst in ein verbotenes Spiel ausarten. Ferner wird durch die Mäßigkeit der Wettsumme die Gültigkeit der Wette bedingt d. h. sie muß mit den Vermögensumständen der Wettenden in Verhältnis stehen. Ist die Wettsumme unmäßig, so hat der Richter das Moderationsrecht. Einige wollen zwar bei zu hohen Wetten gar keine Klage zulassen, dazu liegt aber gar kein Grund vor. Auch ist es unwichtig, daß der Gegenstand der Wette ungewiß sein müße, denn die Wette setzt gerade eine Überzeugung von der Richtigkeit der Behauptung voraus: Es kann daher auch eine objectiv wie subjectiv völlig gewisse Behauptung Gegenstand der Wette sein. Alles was man nun von den Wettenden verlangen kann reducirt sich darauf, daß man nicht dolose handeln darf. N. 27 bis 30. Unter den neueren deutschen Gesetzgebungen nimmt keine die Klagbarkeit der Wette so ausgedehnt an, wie das gemeine deutsche Recht. [260]§ 162 Vom Ausspielgeschäft, den Lotterien und Lottos insbesondere Das Ausspielen besteht aus 2 rechtlichen Geschäften, nämlich: 1. aus dem Geschäft wodurch der Eigenthümer dem Spielenden den eingesetzten Gegenstand überlässt, 2.  aus dem Spielvertrage selbst, wodurch entschieden wird, wer von den Spielenden den Gegenstand erhalten soll. Das erste Geschäft ist weder als ein aleatorisches noch als ein bedingtes zu betrachten, sondern lediglich als ein Kaufcontract. Der Ausspieler ist der Verkäufer und die Gesamtheit aller Spielenden der Käufer. In Beziehung auf jeden einzelnen Einsetzenden ist dies eine emtio spei und daher gemeinrechtlich an der Klagbarkeit dieses Geschäfts nicht zu zweifeln. Ist eine bestimmte Zahl der abzusetzenden Loose festgesetzt worden, so ist das Geschäft perfect, wenn diese Zahl untergebracht worden ist. Ist dagegen die Anzahl nicht bestimmt, so kann der Ausspieler, sollte er auch noch so wenige Loose abgesetzt haben, nur dann zurücktreten, wenn er sich dies vorbehalten hatte. Das 2te Geschäft ist dagegen ein rein aleatorisches und daher in neuern Zeiten die obrigkeitliche Aufsicht für nothwendig gehalten worden. Die Lotterie und Lottos unterscheiden sich vom Ausspielgeschäfte dadurch:[261]1. daß es sich hier nicht um einen, sondern um mehrere Gewinne handelt. 2. daß diese Gewinne statt in Sachen, in Geld bestehen. Diese Geschäfte haben aber mit dem Ausspielgeschäft im Ganzen dieselbe rechtliche Natur Was die von der Direction zur Unterbringung von Loosen angestellten Collecteure betrifft, so muß man unterscheiden zwischen ihrem Verhältnis zur Direction und zu den Spielern. Den letzteren gegenüber erscheinen sie als Mandatore. Der Direction gegenüber ist das Verhältnis der Collec­ teurs nach den Umständen und den verschiedenen Plänen, bald nach Grundsätzen des Mandats-, bald des Commissions-, bald des Trödelvertrags zu beurtheilen.

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VI. Leibzuchts- und Leibrentenvertrag § 163 1. Überhaupt Hierunter versteht man den Vertrag, wodurch einer gewissen Person lebenslänglicher Unterhalt, Leibzucht, Auszug an einem Grundstück bestellt wird, oder auch ihr aus einem solchen Grundstück gewisse Hebungen zugesichert werden. In beiden Fällen bekommt der Leibzüchter nach dem ältern Recht an dem Grundstück immer ein dingliches Recht. Die Leibzucht kommt besonders vor zum Zweck der Wittwenversorgung und dann wenn ein Bauer bei seinen Lebzeiten an seine Anerben sein Gut abtritt.[262]Aber auch beim gewöhnlichen Rentenkauf kommt es vor, daß derselbe mit dem Tode des Berechtigten schon erlischt. Von diesen älteren Geschäftsformen weicht der heutige Leibrentenvertrag dadurch ab, daß hier zunächst nur ein obligatorisches Verhältnis begründet wird. Dieser neuere Leibrentenvertrag besteht nämlich darin, daß Jemand sich gegen Empfang einer gewissen Geldsumme oder jährlicher Geldbeiträge verpflichtet, einer Person jährliche Renten zu leisten, deren Dauer von der Lebensdauer dieser Person abhängig ist. Einen Anspruch auf das Kapital hat der Käufer nicht weiter, da dieses sich wie ein Kaufpreis verhält. Auf der anderen Seite findet aber auch von Seiten des Verkäufers kein Ablösungsrecht statt, da dies dem Zweck des Geschäfts ganz zu wider sein würde. Vielmehr kann der Leibrentenvertrag nur aus denselben Gründen wie jeder andere Kauf aufgehoben werden. Mit dem Rentenkaufe ist daher immer ein gewisses Glücksspiel verbunden, an dem der Verkäufer gewinnt oder verliert, je nachdem die Person des Rentenkäufers lang oder kurz lebt. Aus diesem Grunde sind die Leibrenten nicht an ein gesetzliches Zinsmaximum gebunden. Wird der Leibrentenvertrag hinterher aufgehoben, so muß dasjenige, was an Renten bereits über das gesetzliche Quantum dieser Zinsen hinaus bezahlt[263]ist, dann zum Kapital geschlagen werden und dieses wird dann so verkürzt. Die Leibrenten können auch als Reallasten auf ein Grundstück gelegt werden oder es kann auch eine Hypothek zur Sicherheit des Rentennehmers errichtet werden. Daraus folgt, das im Concurse die Gläubiger die Rente ent­ icherheit steht der Rentennehmer nur in der richten müßen. Ohne diese dingliche S Classe der Giro[…]der Werth der Rentenforderung ist dann nach der Wahrscheinlichkeit anzuschlagen und hiervon bekommt der Gläubiger nur eine Rate. Ist aber die Gläubigermasse bereit für die volle Entrichtung der Rente weiter fort zu sorgen, so kann der Rentenhaber nicht mehr verlangen. Geräth umgekehrt der Rentenzieher in Concurs, so fällt die Rente in die Masse und wird von den Gläubigern bezogen. Der Leibrentenvertrag ist nur ein Vertrag zwischen Lebenden und kann daher nicht von den Notherben wegen Entziehung des Vermögens angefochten werden. § 164 2. Besondere Arten von Leibrenten Dies sind 1. die sog. Tontinen (von einem Italiener Tonti im 17ten Jahrhundert erfunden) oder Rentenversicherungsanstalten. Dabei vereinigt sich eine ganze Gesellschaft zu dem Zweck daß die ausbedungene volle Rente ihr solange ausbedungen werden soll, bis das letzte Mitglied gestorben sein wird. Nach den neueren Einrichtungen bilden aber in der Regel nicht alle diejenigen, welche sich in die

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Gesellschaft einkaufen, ein gleichförmiges Ganzes, sondern sie werden in Classen vertheilt, denn alle welche zu derselben Altersperiode gehören und in dem selben Jahre eingetreten, bilden eine Gesellschaft für sich in Beziehung auf die Rentenhebung. Oft sind diese Anstalten auch auf Gegenseitigkeit begründet, so daß die[264]Rentenzieher zugleich die Rentengeber sind und so eine Genossenschaft bilden. Die einzelnen Mitglieder haben hier Theilrechte, nämlich sowohl Dividende am Gewinn, als am Verlust und auch Antheil am Capitalvermögen welches bei Ablösung der Gesellschaft unter sie getheilt werden muß. 2. Die Wittwenverpflegungskassen, oder schlechtweg Wittwenkassen. Bei ihnen erkaufen die Männer auf den Fall ihres Todes eine Leibrente für ihre Wittwen. Sie haben aber auch die Eigenthümlichkeit, daß wenn die Auszahlung der Rente gar nicht stattgefunden hat, von der Rückgabe des Kapitals gar nicht die Rede sein kann. Es giebt 2 Arten von Wittwenkassen, nämlich freiwillige und gezwungene. Den Wittwenkassen ähnlich kommen können auch die Heirathskassen eingerichtet sein, die zur Auszahlung einer Rente als dos dienen. Ebenso finden wir jetzt Sterbekassen, oder Lebensversicherungsanstalten auf ähnliche Weise eingerichtet. Diese Anstalten sind heutzutage entweder staatlich oder stehen doch wenigstens unter der Aufsicht des Staats und sind entweder mit oder ohne Garantie des Staats. § 165 VII. Bürgschaft Der Ausdruck „Bürgschaft“ bezeichnet im deutschen jedes Versprechen, wodurch Jemand eine fremde Verbindlichkeit übernimmt. Im ältern Recht kommen 2 Arten von Bürgschaften vor, nämlich: 1. Die welche in der persönlichen Haftung des Bürgen bestand ([…]– Geißel) diese kommt nur noch im Völkerrecht vor. 2. Die gewöhnliche Bürgschaft. Hier haftet der Bürge blos als Selbstschuldner ohne das beneficium excussionis[265]bald wenn vom Hauptschuldner nichts zu verlangen war. Welche von beiden Haftungspflichten gelten sollte, wurde durch Verabredung bestimmt. Die Verpflichtung ging nach den meisten deutschen Rechten nicht auf die Erben über. Heutzutage werden die Bürgschaften gemeinrechtlich ganz nach den römischen Grundsätzen behandelt. Nur sind die Bestimmungen extr. juris welche aus der Stipulation folgen hier nicht anwendbar. Auch ist trotz der entgegenstehenden Ansicht vieler Juristen in fast allen Particularrechten der Grundsatz festgehalten, daß wenn der Bürge sich als Selbstschuldner verpflichtet, er dadurch auch das beneficium excussionis verzichtet. Dieser Grundsatz entspricht auch der Volksansicht, (lit. a) und ist fast in allen neuren Gesetzgebungen ausdrücklich sanctionirt. In den Particularrechten finden sich noch manche Eigenthümlichkeiten der ältren deutschen Bürgschaft (so in Mecklenburg, München) hier insbesondere daß die Bürgschaften nicht auf Erben übergehen. Die Intercession der Weiber wurde im ältern Recht ganz nach denselben Grundsätzen beurtheilt, wie alle andern Rechtsgeschäfte. Bei der Reception des römischen Rechts vermischt sich dasselbe auch in diesem Puncte mit dem deutschen Rechte auf mannigfache Weise. Das[…]und die Authentica si qua mulier wurden in manchen Gegenden gar nicht angenommen, in andern dagegen fand die Annahme unbedingt statt. Sie wurde dadurch gemildert, daß durch Gewohnheitsrecht der Grundsatz aufkam, daß die Bürgschaft der Frau

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außer Zweifel sei, wenn sie auf ihre Rechtswohlthat verzichtete. Nur sind darüber Zweifel geblieben, ob der Verzicht ausdrücklich eidlich geschehen müße, oder ob er auch ohne Eid bindend sei, und ferner ob er vor Gericht nach vorgängiger Belehrung der Frau über ihre Rechts-[266]wohlthat geschehen müsse, oder nicht. An noch andern Orten wurde das römische Recht nur mit der Modification angenommen, wenn sich die Frau ohne Hinzuziehung ihres Curators verbürgt hatte. In der Regel haben Kauffrauen kein Recht auf diese Rechtswohlthaten. Drittes Capitel Forderungen aus unerlaubten Handlungen § 166 I. Überhaupt Die ältern Grundsätze über Privatbußen sind jetzt nicht mehr anwendbar, da sie schon im 13ten und 14ten Jahrhundert meistens antiquirt waren. Daher ist auch das römische Recht in der Lehre von den Forderungen aus Delicten hier allgemein anwendbar. Dies gilt nur nicht von der Anwendung der römischen Pennalklage auf Privatdelicte, denn theils entsprach dieses Institut dem deutschen Rechtsgeiste nicht, theils werden jene Privatbußen durch öffentliche Strafen überflüssig gemacht. Zu den römischen Delicten ist im deutschen Recht noch der Nachdruck hinzugekommen. § 167 II. Vom Nachdruck insbesondere Unter Nachdruck versteht man die Vervielfältigung eines von einem andern zuerst verlegten Geistesproducts[267]auf mechanischem Wege in gewinnsüchtiger Absicht und ohne Erlaubniß desjenigen, welchem ein Verlagsrecht an dem Werke zusteht. Nach der Erfindung der Buchdruckerzunft wurden anfangs nur bestimmte Werke durch ein Privileg gegen den Nachdruck geschützt. Als später sich immer mehr die Ansicht von der Unerlaubtheit des Nachdrucks entwickelte, wurde durch manche Landesgesetze der Nachdruck verboten. Diese gewährten aber meistens einen sehr unvollkommenen Schutz. Gewöhnlich beziehen sich diese Gesetze auch nur auf die im Inlande gedruckten Bücher. Ein gemeinrechtliches Verbot gab es bis auf die neusten Zeiten nicht, deshalb war die Frage damals sehr wichtig, ob der Nachdruck ohne ein besonderes Gesetz als eine juristisch unerlaubte Handlung angesehen werden müsse. Darüber konnten sich die Juristen nie vereinigen. In der That fällt es auch schwer die Unerlaubtheit des Nachdrucks richtig zu deduciren. Diesem Übelstande sucht schon die Reichsgesetzgebung abzuhelfen. Doch blieb es nur bei der Verheißung in der jüngsten Wahlkapitulation. (N. 6) Auch der deutsche Bund hat schon in seinem Grundgesetz den Nachdruck zum Gegenstand seiner Gesetzgebung gemacht. (N. 7) Allein erst 1832 kam ein provisorischer Beschluß über den Nachdruck zu Stande. (endlich 1837 wurde von der Bundesversammlung ein allgemeines definitves Gesetz erlassen (N. 8), wodurch dem Autor und Verleger eine Entschädigungsklage gegeben ist (N. 9) und dem Nachdrucker mit der Sanction gedroht wird.[268]Dieser Beschluß wurde durch einen andern von 1845 ergänzt (lit. a). In den neuern Zeiten bildet sich in Deutschland immer mehr die schon in andern Ländern geltende Ansicht von einem ausgedehnten Autorenrechte aus.

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Hiernach wird nämlich ein Recht des Autors auf sein Geistesproduct, nicht als eine bürgerliche Sache angenommen, sondern gewissermaßen als eine Offenbarung und Ausdruck seines persönlichen Geistes. Es hängt hier also vermöge dieses Rechts nicht blos von dem Belieben des Autors ab, ob er sein Werk überhaupt veröffentlichen will, sondern er hat auch allein die Art der Veröffentlichung und die Zeit der Veröffentlichung zu bestimmen. Es ist daher eine Verletzung des Rechts des Autors, wenn ein Dritter, ohne dazu berechtigt zu sein, dessen Geistesproduct veröffentlicht. Es fehlt aber noch viel daran, daß ein Autorrecht in diesem Umfange in der Praxis anerkannt wäre, und noch zweifelhafter ist es, welche Rechtsmittel der Autor bei Verletzung seines Autorrechtes habe. Jedenfalls kann von einer Sanction des unerlaubt herausgegebenen Werks ohne gesetzliche Bestimmung nicht die Rede sein, ebensowenig kann der Autor den erlittenen Schaden liquidiren und ersetzt verlangen. Die Gesetzgebungen haben aber zum Theil schon das Autorrecht in einem gewissen Umfange anerkannt (lit. c und d). Auch der Bundesbeschluß von 1837 erkennt ein Autorrecht dieser Art, bei artistischen Erzeugnissen an, indem[269]er darin, Art. 1 verbietet, solche Erzeugnisse, wenn sie noch nicht veröffentlicht sind, ohne des Autors oder dessen Rechtsnachfolger Genehmigung zu publiciren. Auch ist durch einen Bundesbeschluß vom April 1841 (lit. b) verordnet, daß die öffentliche Aufführung eines dramatischen oder musikalischen Werkes nur mit Genehmigung des Autors oder seines Rechtsnachfolgers geschehen darf. Die in diesem Beschluß N. 1 bis 3 enthaltenen Bestimmungen sind durch einen andern Bundesbeschluß vom 12ten März 1857 folgendermaßen abgeändert worden: 1. das ausschließende Recht die Erlaubniß zur öffentlichen Aufführung eines dramatischen oder musikalischen Werks stehe dem Autor lebenslänglich und seinen Erben und sonstigen Rechtsnachfolgern noch 10 Jahre nach seinem Tode zu. 2. Auch wenn der Autor sein Werk durch den Druck veröffentlicht hat, kann er sich und seinen Rechtsnachfolgern das ausschließliche Recht die Erlaubniß zur öffentlichen Aufführung zu ertheilen vorbehalten. Jedoch muß dies durch eine mit seinem daruntergesetzten Namen versehene Erklärung auf dem Titelblatte eines jeden Exemplars des dramatischen oder musikalischen Werks geschehen. Als eine verbotene Verletzung des Autorrechts kann aber nicht betrachtet werden:[270]1. der Abdruck einzelner Stellen aus einem fremden Werke 2. Die Aufnahme einzelner Aufsätze, Gedichte etc. in Sammelwerke 3. Übersetzungen fremder Werke (nach preuß. Gesetz (Art. 24) ist aber verboten, ein Werk in eine todte Sprache zu übersetzen) 4. die Nachbildung einer Zeichnung durch Sculptur, oder umgekehrt. Viertes Buch Erbrecht Erster Abschnitt Gründe der Erbfolge I. Gesetz § 168–171 A. Älteres Recht Nach dem ältern deutschen Recht steht ein gesetzliches Erbe zu allen Blutsfreunden und dem Ehegatten cf. Eherecht. Das Erbrecht der Blutsfreunde war ver-

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schieden nach ihrem Geschlecht und nach den Bestandtheilen des Nachlasses. Das deutsche Recht betrachtet, nämlich den Nachlaß nicht als eine einzige universitas, sondern es zerlegt denselben in eine Anzahl einzelner Vermögensmassen und läßt in eine jede sol-[271]che Vermögensmasse auf eigenthümliche Weise succediren. Vor allem unterscheidet hier das deutsche Recht das Lehen vom Allodialnachlaß. Indem letzteren unterscheidet das sächsische Recht 2 positive Gegensätze, nämlich das Heergewäte und die Gerade. Alles übrige Allodialvermögen nennt das sächsische Recht im Gegensatz zum vorigen das Erbe. Das Heergewäte besteht in allen Gegenständen, welche ein wohlgerüsteter Mann mit in Feld zu nehmen pflegt. (§ 169 N. 32) Die Gerade besteht aus den Sachen, welche die Frauen als Aussteuer mit in die Ehe zu bringen pflegen. (§ 169 N. 47) Zum Erbe gehören einmal alle beweglichen Sachen welche nicht unter die 2 vorhererwähnten Classen fallen, besonders baares Geld, ferner alle nicht lehnbaren Grundstücke. Die Heergewäte erbten immer nur die Schwertmagen des Erblassers, diejenigen männlichen Blutsfreunde des Verstorbenen, welche mit ihm durch den Mannsstamm verwandt sind (Agnoten im anderen Sinn). Wenn keine Schwertmagen existirten, so fiel das Heergewäte als erbloses Gut an den Richter. Die Gerade dagegen wird umgekehrt vererbt, auf die Spillmagen d. h. dieselben weiblichen Verwandten, welche durch Weiber mit der Erblasserin zusammen hängen. Auch bei der Erbfolge in das Erbe geht das männliche Geschlecht dem weiblichen vor, und zwar nach sächsischem Recht nur[272]im ersten Grade der Verwandtschaft. Nach andern Rechten, bes. süd- und westdeutsche, wurden aber die weiblichen Verwandten durch die männlichen nur ausgeschlossen von der Erbfolge in die Grundstücke und die Heergewäte; den übrigen beweglichen Nachlaß theilten die weiblichen und männlichen Verwandten gleichmäßig unter sich. (Ihnen ist also die sächsische Gerade unbekannt). Der Vorzug des männlichen Geschlechts bei der Erbfolge in die Grundstücke hatte aber nach einigen dieser Rechte einen größeren Umfang (den größten nach der fränkischen lex Salica) als es nach sächsischem Recht der Fall war (im 1sten Grade). War kein männlicher Erbe vorhanden so fielen die Grundstücke nicht an den Richter wie bei den Heergewäte und der Gerade, sondern an die weiblichen Verwandten. Die Erbfolgeordnung des ältern deutschen Rechts haben seit Anfang dieses Jahrhunderts (Meyer in Tübingen) fast alle Germanisten als eine Parentelordnung betrachtet. Der Ausdruck Parentel oder Linie (im langobardischen Lehnrecht) bezeichnet den Inbegriff der von einem gemeinschaftlichen Stammvater abstammenden Descendenten. Es soll nämlich zufolge jener Ansicht bei den deutschen nach der Reihenfolge des Parentelen succedirt sein, und zwar zuerst die Parentel des Erblassers selbst, dann die des Vaters, darauf der Großvater etc. Diese Erbfolge­ ordnung glaubt man klar im Sachsenspiegel zu finden. Die Richtigkeit dieser Ansicht ist aber in unserer Zeit von Siegel ohne Erfolg angefochten worden und ebenso von Wassersleben, Professor in Giessen. „Das Princip der Successionsordnung nach deutschem Recht“ Giessen 1860.[273]Wassersleben hat gezeigt, daß nach dem Sachsenspiegel und den übrigen Quellen die Blutsfreunde so succediren: 1te Classe die Descendenten des Erblassers, 2te Classe die Ascendenten (und zwar alle Ascendenten, nicht blos Vater und Mutter[)], 3te Classe die Seitenverwandten

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In jeder dieser drei Klassen ging der Nähere immer dem Entfernteren unbedingt vor, ohne daß dem Entfernteren ein sog. Repräsentationsrecht zu statten gekommen wäre. Nur in Beziehung auf die Enkel des Erblassers macht der Sachsenspiegel hiervon eine Ausnahme. Die Nähe der Verwandtschaft wurde in den beiden ersten Classen nach der Zahl der Zeugungen berechnet (wie im römischen Recht). In der Seitenlinie wurde dagegen die Nähe der Verwandtschaft des Erben nach der Zahl der zwischen ihm und dem nächsten gemeinschaftlichen Stammvater geschehenen Zeugungen berechnet mochte diese größer oder geringer sein als die des Erblassers von dem Erblasser. Nur gilt dabei der eigenthümliche Grundsatz, daß die Zählung der Glieder erst von den Kindern der Geschwister des Erblassers anfangen, so daß diese Mutter und Nichten im ersten Grade stehen mit den Geschwistern der Eltern des Erblassers cf II. (die Geschwister selbst stehen über allen Geraden sie erben unbedingt vor der Graden). Die Halbgeburt steht aber gegen die volle Geburt durch alle Grade der Verwandtschaft hindurch um einen Grad zurück. Dies giebt für die Erbfolgenordnung der Seitenverwandten folgende Reihenfolg. es succediren 1. die vollbürtigen Geschwister, 2.  die halbbürtigen Geschwister, die Kinder vollbürtiger Ge-[274]schwister, die Geschwister der Eltern, der Großeltern und sofort cf. Schema S. 448 N. 4 3. Halbgeschwisterkinder, vollbürtige Geschwisterenkel, Geschwisterkinder der Eltern, der Großeltern und sof., 4. Halbgeschwister-Enkel, vollbürtigen Geschwister Urenkel, Geschwisterenkel der Eltern, der Großeltern etc. Von dieser Erbfolgeordnung des sächsischen Rechts wich die des weit verbreiteten Magdeburgschen Rechts in mehreren Puncten ab. Es brauchen diese Punkte nicht näher angegeben werden, da die Magdeburger Erbfolgeordnung doch durch die sächsische Ordnung verdrängt worden ist. Nur das ist hervorzuheben, daß nach ihr die Halbgeburt nur um einen halben Grad gegen die volle Geburt zurückstand. In einigen späteren Rechten finden wir den Grundsatz daß die Halbbürtigen vom Vater her die Erbgüter erben, welche dem Erblasser von väterlicher Seite zugekommen sind, und entsprechend bei den Halbbürtigen von der Mutter her, paterna paternis, materna maternis, was dem Princip des römischen Rechts widerspricht. Im deutschen nennt man diesen eigenthümlichen Grund „das Fallrecht“. Bei der Theilung einer gemeinschaftlichen Erbschaft hat gewöhnlich der Älteste zu theilen, der Jüngste zuerst zu wachsen, „das Kürrecht oder Kurrecht“. (Abänderung im System des Grdr) [275]§ 173 B. Heutiges Recht Schon im 15ten Jahrhundert wurden die Grundsätze des ältern deutschen Rechts über die Erbfolge durch das römische Recht so sehr verdrängt, daß dieses gemeines Recht geworden ist. Am frühsten zeigte sich diese Änderung in den Städten. Beim hohen und niedern Adel dagegen haben sich die altdeutschen Grundsätze länger und zum Theil bis heute erhalten. Auch beim Bauernstande kommen noch viele vom römischen Recht abweichende Normen vor, die mit dem deutschen Recht zusammenhängen. Ferner sind auch noch bei einzelnen Instituten die Grund-

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sätze über deutsches Erbrecht beibehalten, namentlich beim Lehnrechte. Endlich finden sich in den Particularrechten noch viele Überbleibsel des deutschen Erbrechts. Hierher gehört: 1. das gegenseitige Successionsrecht der Ehegatten (Davon im Familienrecht), 2. das Verfangenschaftsrecht. Der allgemeine Charakter desselben besteht darin, daß nach Beendigung der Ehe durch den Tod eines Ehegatten die Kinder eine unabänderlichen Erbanspruch an demjenigen Grundstücke bekommt, welchen der überlebende parens es entweder schon während dieser Ehe gehabt oder von dem verstorbenen parens[276]geerbt hat. Dieser Erbanspruch zeigt sich schon bei Lebzeiten des vorversterbenden darin, daß er diese Güter nicht ohne Einwilligung der Kinder veräußern darf und ferner darin, daß wenn der überlebende parens sich wieder verheirathet, die Kinder der 2ten Ehe von der Succession in die besagten Güter durch die Vorkinder ausgeschlossen werden. Im übrigen kommt die Unveräußerbarkeit solcher Erbgüter in den verschiedenen Particularrechten in sehr verschiedenen Umfange vor. 3. das Heergewäte und Gerade – cf Grdr a-d etc. 5. die Erbfolgeordnung des gemeinen sächsischen Recht hat sich in vielen Particularrechten erhalten, cf Wassersleben. Nur berechnete man später dabei die Nähe der Verwandtschaft auch in der Seitenlinie auch nach der römischen Computation (also erst die Descendeten dann in der 2ten Classe die Ascendenten dann in der Seitenlinie nach römischem nicht wegen der alten deutschen […]. (s. Oben). Auch wurde das Repräsentationsrecht in der geraden Linie allgemein anerkannt, in der Seitenlinie ist es aber bis auf den heutigen Tag nicht geltend geworden. (So also in der 3ten Classe die Geschwister, aber deren Kinder nicht solange Geschwister da sind). Eine Ausnahme macht unter den Gegenden wo der Sachsenspiegel gilt, namentlich Holstein und Schleswig. Der Unterschied zwischen voller und halber Geburt gilt[277]in manchen Gegenden auch noch heutzutage durch alle Grade der Verwandtschaft hin, (nicht blos in den ersten Classen, wie im römischen Recht) und blos so durch die halbe Geburt zurückgesetzt, bald so, daß sie nur um einen halben Grad zurücktritt, also den Vorzug vor dem nächstfolgenden Grad giebt, während sie den Betreffenden hinter seinen Geschwistern zurückstellt. Der Grundsatz daß die Ascendenten der Seitenverwandten auch den Geschwistern vorgehen ist zuweilen nur in Beziehung auf die Mutter beibehalten, nach dem Rechtssprichwort „Das Kind fällt in der Mutter Schoß“ (N. 10). Dies erklärt sich so, wenn der Vater der Überlebende ist, das Kind selten schon eigenes Vermögen haben wird, das es vererben könnte. Aber umgekehrt wenn die Mütter der überlebende Theil ist, so haben gewöhnlich die Kinder schon Vermögen vom verstorbenen Vater her, das es vererben kann. Die neuren Gesetze (Österreich, Preußisches Landrecht, Sachsen) haben eine von der römischen abweichende Erbfolgeordnung, welche sich mehr oder minder an die altdeutsche Ordnung schließt. 6. Noch sehr häufig hat sich das Kürrecht erhalten. (So hat in den Städten gewöhnlich der jüngste Sohn das Bürgerhaus)[278]7. das römische Notherbenrecht ist zwar als gemeines Recht recipirt. Die deutsche Praxis kennt aber nur das sog. Pflichttheilsrecht nicht das sog. formelle Notherbenrecht. Pflichttheilsberechtigte sind nach ihnen aber auch die Geschwister (wie z. B. im römischen Recht wo ihnen eine persona turpis vorgegangen ist) s. Grdr.

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II. Erbvertrag § 172 α. Historische Einleitung Das ältere deutsche Recht gestattete zu dem Zweck, die gesetzliche Erbfolge zu Gunsten eines Dritten aufzuheben nur solche Geschäfte, die unwiderruflich von Seiten des Disponirenden waren und welchen bei dessen Lebzeiten dem Bedachten ein dingliches Recht an dem Gegenstande gaben. Dieses nennt man diese Geschäfte „Vergabungen von Todes wegen“. Diese Lehre ist erst in neuerer Zeit aufgeklärt durch Beseler, Eichhorn und Albrecht cf. § 172. cf. Hasse citis in § 174 S. 337. Da nur ein dingliches Recht an Immobilien nur durch gerichtliche Auflassung bestellt werden konnte, so war auch die Vergabung von Immobilien von Todes wegen nur durch gerichtliche Auflassung gültig. Diese gerichtliche Auflassung unterschied sich von der gewöhnlichen Veräußerung aber dadurch, daß sie erst nach dem Tode des Vergabenden volle Wirksamkeit erlangte.[279]Bis dahin behielt der Erblasser noch den Besitz der Sache und deren Fruchtgenuß. Bei beweglichen Sachen war dagegen eine Vergabung von Todes wegen anfangs nicht anders möglich, als durch körperliche Tradition der Sache. Eine solche Übergabe unterschied sich aber von einer gewöhnlichen Schenkung unter Lebenden (obwohl wir keine eigentliche Nachricht haben) doch wahrscheinlich darin, daß der Disponirende sich den Widerruf für den Fall vorbehielt, daß der Bedachte vor seinem Tode sterben würde. Solange diese ältern Grundsätze bestanden, konnte diese Vergabung natürlich nur einzelne Sachen zum Gegenstand haben. Nach späterem Recht konnte die Zuwendung von beweglichen Sachen aber auch dadurch geschehen, daß der Vergabende dem Andern vor Gericht eine Forderung auf die Sache, die er ihm zuwenden wollte bestellte, die er aber erst nach seinem (der Vergabende) Tode geltend machen sollte. Doch kommen schon im Mittelalter Vergabungen des ganzen Vermögens, selbst des künftigen vor. Noch häufiger sind im Mittelalter Ehestiftungen, wodurch die Ehegatten sich ein gegenseitiges Erbrecht an ihrem Vermögen bestellten. Ebenso häufig auf ein Erbrecht verzichtet wurde (etwa gegen eine Abfindung Seitens des Andern)[280]β. Heutiges Recht § 174 A. Begriff und Arten der Erbverträge Der Erbvertrag des heutigen Rechts unterscheidet sich von den ältern deutschen Vergabungen dadurch, daß bei den heutigen Erbverträgen der Vertrag das einzig wesentliche ist. Man versteht nämlich im heutigen Recht einen Erbvertrag jeden seiner Natur nach unwiderruflichen Vertrag, wodurch die Beerbung (Universal- oder Singularsuccession) bestimmt wird. Im engeren Sinn versteht man aber unter Erbvertrag einen die Universalsuccession bestimmenden Vertrag. Die früheren Rechtspflichten theilen die Erbverträge in manche incorrecte und unpraktische Arten. Am angemessensten ist es vorläufig nur 2 Hauptarten der Erbverträge zu unterscheiden: 1.  Der Beerbungsertrag (Hasse), jeder Vertrag wodurch Jemand ein Erbanspruch (im weiteren Sinn) zugesichert wird, sei es, daß der Erbanspruch erst hierdurch erzeugt werden soll, oder auch daß ein schon bestehender Erbanspruch nur dadurch befestigt werden soll. Im ersten Fall nennen die ältern

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Juristen ihn einen acquisitiven, im 2ten Fall ein offirmativen Erbvertrag. 2.  Der Erbverzicht, bei den ältern Juristen genannt pactum successorium renunciativum, wodurch Jemand auf einen Erbanspruch verzichtet.[281]Beide Arten von Erbverträgen sind also auf die Beerbung gerichtet, und umfassen nur mittelbar die Erbschaftssache. Ein obligatorisches Verhältnis wird daher durch den Erbvertrag also nicht begründet. Den Römern waren beide Arten von Erbverträgen unbekannt und widersprachen ihren Rechtsprincipien. Die Beerbungsverträge waren bei den Römern ungültig. 1. weil es contra bonas mores war, daß man sich schon bei Lebzeiten die Hände in Beziehung auf die Disposition über sein Vermögen binden konnte. 2. weil der Disponirende dadurch die ihm durch das öffentliche Recht beigelegte testamenti factio activa durch Vertrag aufgeben würde, und jus publ. privatorum pactis mutari von potest. l. 5 cod. de pactis correntis tam 5. 14.; l. 61 D. de verb. obl. 45. 1.; l. 15 et 19 cod. de pactis 2. 3. Die Erbverzichte waren bei ihnen unzulässig, weil wenn einmal die gesetzliche Erbfolge eintrat, daneben nicht mehr ein Verzicht der Erben stattfinden konnte, nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest l. 16 D. de suis et legitimis heredibus 38. 16; l. 3 cod de collationibus 6. 20.[282]Der Beerbungsvertrag wird wieder eingetheilt in den universellen (nur auf diesen geht die beselersche Benennung vom „Erbeinsetzungsvertrag“) und den singulären oder Vermächtnisvertrag. Einen universellen Erbvertrag nennt man einen solchen, welcher die Universalsuccession bestimmt, sich also auf den ganzen Nachlaß oder ein pars quota desselben bezieht. Unter einem singulären Erwerber. Dagegen versteht man einen solchen, welcher eine einzelne Sache, ein singulares Recht zum Gegenstand hat, wozu auch der usus fructus omnium bonorum gehört. Dieser singuläre Erbvertrag ist ein höchst schwieriger und bestrittener Punct. Eichhorn nimmt an, ein singulärer Erbvertrag übertrage ein schon jetzt wirksames Recht an der Sache und unterscheidet so dies von der mortis causa donati. Er behandelt den singulären Erbvertrag also wie die ältern Verträge von Todes wegen mit einigen Modificationen. Allein dies hält Kraut und Albrecht für unrichtig, weil das Princip der ältern Vergabung später ganz aufgegeben ist. Was andere hier für einen singulären Vertrag ausgeben, ist entweder eine mortis causa donati des römischen Rechts oder es ist ein legatum heredi praesenti injunctam, oder es ist dies eine Schenkung unter Lebenden, deren Erfüllung bis nach dem Tode des Vergabenden aufgehoben ist.[283]Aus diesen Gründen leugnet Beseler die Existenz eines singulären Erbvertrages ganz ab, und er will ihn nur bei einigen eigenthümlichen Verhältnissen des deutschen Rechts anerkennen, namentlich bei den ehelichen Güterverhältnissen, ferner auch im Adels- und Bauernrecht. Gerber verwirft sogar den ganzen Begriff und singuläre Erwerber als bloße Theorie. Es kommen in der That in Deutschland viel häufiger Verträge vor, wo der Erblasser einem andern ein Vermächtniß sichert, als solche wo er ihnen eine ganze Erbschaft zusichert. Solche Disposition kann der Vater zu Gunsten seiner Kinder, ein Ehegatte zu Gunsten des andern. Der Herr zu Gunsten der Dienstboten etc. machen. Auch schließe sich der singuläre Erbvertrag im heutigen Recht in eben der Weise dem Vermächtniß an, wie der Universalerbvertrag der Erbschaft. Von allen Arten von Erbverträgen ist aber ganz abzufordern das pactum de hereditatae tertii,

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denn die Erbverträge gehen darin den letzten Willen ganz parallel, daß sie immer sich auf die eine Erbschaft beziehen. Die pactum de hereditatae tertii, „Erbschaftsverträge“ stehen vielmehr ganz unter den Grundsätzen des römischen Rechts sie sind gewöhnlich obligatorische Verhältnisse. Es ist also auch in Deutschland gemeinrechtlich der consensus des Dritten, über diese Erbschaft die pacificirt werden soll, erforderlich[284]denn das unsittliche, welches darin liegt über die Erbschaft eines Dritten, gewissermaßen in der Hoffnung seines Todes, einen Vertrag zu schließen, wird überall dasselbe sein. Dagegen die Gründe, warum die Römer keine Erbverträge zuließen, waren rein römisch positive Natur. B. Hauptarten der Erbverträge 1. Erbeinsetzungsverträge a. Begriff, Unterarten und Geschichte derselben Zum Begriff des Erbeinsetzungsvertrags gehört wesentlich, daß dadurch ein Erbrecht begründet wird (s. ob) daher ist das Versprechen Jemanden im Testament einzusetzen oder ihn als Vermächtnißnehmer darin zu bedenken, kein Erbeinsetzungsvertrag; denn durch ein solches Versprechen wird kein Erbrecht erzeugt. Aber abgesehen davon, daß in solchen Versprechen überhaupt kein Erbvertrag liegt, ist ein solches Versprechen überhaupt nicht klagbar, da ja ein solches Testament oder Codicill auf der Stelle wieder aufzuheben und eiderrufen werden kann. Das Erbrecht welches durch den Erbeinsetzungsvertrag begründet wird ist übrigens das gewöhnliche, natürlich nur aus einem andern Grund entspringend. Es ist daher der Erbeinsetzungsvertrag blos eine andere Art das Erbrecht zu begründen, als Testament und Gesetz (wie im römischen Recht).[285]Das Erbrecht des Vertragserben ist deshalb ebenso wie das Testamentserbe dadurch bedingt, daß der Erblasser vor dem Erben stirbt; noch existirt es nicht; deshalb ist der Erbvertrag auch kein negotium inter vivos, sondern ein negotium mortis causa. Übrigens braucht derjenige welcher Vertragserbe werden soll, nicht immer selbst den Vertrag abzuschließen, Stellvertretung ist zulässig, wie es auch häufig geschieht von Eltern für ihre Kinder, von einem andern zu Gunsten eines Dritten. Einen solchen Erbvertrag, der zu Gunsten eines Dritten abgeschlossen wird, nennen die Meinungen einen dispositiven Erbvertrag. Hierüber gelten die Grundsätze der Verträge zu Gunsten des Dritten überhaupt (s. z. B. § 144 in fine) s. Beweisstelle N. a und b). Ein Erbvertrag zu Gunsten eines Dritten kann auch so abgeschlossen werden, daß der Vertragserbe sich verpflichtet, die Erbschaft ganz oder zum Theil an einen Dritten herauszugeben. Dieser restitutive Erbvertrag geht parallel der römischen fideicommiß. Eine andere Unterart des Erbvertrages ist der wo sich 2 Personen gegenseitig ein Erbrecht bestellen, wo es denn auf den Längstlebenden ankommt, dieser das Ganze bekommt, so namentlich bei Ehegatten, im Fall der Kinderlosigkeit.[286]In der Regel findet hierbei auf Grund einer vorherigen Beerdigung eine gegenseitige Erbeisetzung in einem Vertrage statt; in einem Akte. In diesem Falle muß im Zweifel ein einziger 2seitiger Vertrag angenommen werden. Davon ist dann die Folge, daß die Ungültigkeit der einen Erbeinsetzung z. B. wegen persönlicher Unfähigkeit des einen Promittenten zu erben resp. zu erwerben, auch die Ungültigkeit des Vertrages auf der anderen Seite zur Folge hat. od § 535[287]Der

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heutige Erbeinsetzungsvertrag schließt sich organisch an die Vergabungen an, wie wir sie im späteren Mittelalter finden. Seine eigentliche Ausbildung hat er erst seit Einführung des römischen Rechts erhalten. Seit dem mußte auch die Regel von der Gültigkeit der Verträge die Zulässigkeit eines solchen Erbeinsetzungsvertrags ohne Rücksicht auf die Form herbeiführen. Der Erbvertrag ist also zunächst ein Product der Jurisprudenz. So wird der Erbvertrag als gemeinrechtliches deutsches Institut angesehen, da bei aus jeder Vertrag ohne Rücksicht auf die Form gültig ist. In der Regel kommt der Erbvertrag nur in engen Familienverhältnissen vor, z. B. zwischen Ehegatten: sonst wird in der Regel die testamentarische Form gewählt. In Österreich werden Erbeinsetzungsverträge nur unter Ehegatten anerkannt.[288] Eine eigenthümliche Ansicht hat Hartmann „zur Lehre von den Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten“ aufgestellt. Er betrachtet die Erbeinsetzung als ein aus 2 Geschäften zusammengesetztes Geschäft, nämlich aus Testament und Verzicht auf Testierfreiheit. Doch stimmt diese Ansicht wohl nicht mit dem Geschäfte des Erbeinsetzungsvertrages überein, auch nicht mit dem Bewusstsein der Paciscenten. § 176 Form der Erbeinsetzungsverträge und persönliche Fähigkeit zur Errichtung In Beziehung auf die Form: Heutzutage ist der Vertrag das Princip des ganzen Instituts, auf die Form kommt es gemeinrechtlich gar nicht an, es kann mündlich oder schriftlich geschehen. Eichhorn fordert zwar die schriftliche Form. Die Gründe für diese Meinung sind aber keineswegs haltbar und hat dieselbe auch keine Anhänger gefunden. Die Particularrechte verlangen sehr häufig eine andere Form. Die persönliche Fähigkeit betreffend: Auf beiden Seiten ist die allgemeine Fähigkeit nothwendig, einen Vertrag abzuschließen. Auf Seiten des künftigen Erblassers ist noch erforderlich die Fähigkeit von Todeswegen zu disponiren. Nicht gerade erforderlich ist aber die Fähigkeit zu testiren z. B. ein filsam kann nach römischem Recht kein Testament machen, eine mortis causa don. kann er aber vornehmen, was ja auch eine Verfügung von Todeswegen ist.[289]Wie steht es mit den Minderjährigen? Das römische Recht verlangt zur Fähigkeit ein Testament zu machen nur die Pubertät, einerlei ob der Minderjährige einen curator hat oder nicht. Von der testamenti factio kann man nun aber nicht auf einen Erbvertrag schließen. Es kommt alles darauf an, welche Grundsätze man über die heutige Handlungsfähigkeit annimmt. Man muß unterscheiden: 1. Man hält sich an den römischen Grundsatz, daß Minderjährige fähig sind, ohne Consens des Curator Verbindlichkeiten für ihr Vermögen zu übernehmen, mit Ausnahme der Veräußerung. In diesem Fall muß man die Fähigkeit der Minderjährigen zu Erbverträgen behaupten, weil die Erbverträge nicht unter den Begriff von Veräußerungen gestellt werden. 2. Man hält jene römischen Grundsätze in Deutschland nicht für anwendbar, sondern behandelt die Minderjährigen in Bezug auf Handlungsfähigkeit wie die impuberes. Und dieses ist wohl die richtige Ansicht. Wenn man dieses annimmt, so scheint es als könnten Minderjährige mit Hinzuziehung ihres Curator einen Erbvertrag abschließen. Allein hiergegen spricht, daß Erbverträge, ebenso wie Schenkungen über den Umfang der Vermögensverwaltung hinaus gehen. Dies giebt nun das Resultat, daß Minderjährige überhaupt unfähig sind Erbverträge abzuschlie-

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ßen. Eine[290]Ausnahme macht aber das bestehende Gewohnheitsrecht bei der Ehestiftung; denn mit der Ehe war in früherer Zeit Volljährigkeit verbunden. § 177 Inhalt Bei Erbverträgen gilt nach einer entschiedenen Praxis nicht der Grundsatz: nemo pro parte testatus etc. Der Erbvertrag braucht sich daher nicht nothwendig auf die ganze Erbschaft zu erstrecken, sondern er kann sich auf eine bloße Quote beziehen. Der Erblasser kann aber auch über das Übrige durch einen andern Erbvertrag oder ein Testament disponiren. Kann in einem Erbvertrag auch eine Enterbung vorgenommen werden? Nach römischem Recht kann eine Enterbung nur in einem Testament vorgenommen werden. Das ist bestritten. Für die bejahende Meinung wird angeführt, daß die Enterbung im römischen Recht nur in einem Testament geschehen könne, sei nicht so aufzufassen, daß dadurch die Testamentsform zu einem nothwendigen Requisit der gültigen Enterbung gemacht sei, vielmehr sei der Sinn nur der, daß die Enterbung mit der Erbeinsetzung in einem Akte habe geschehen müssen, und die Erbeinsetzung muß nach römischem Recht nothwendig in einem Testament geschehen. Da wir nun aber zur Erbeinsetzung die Form des Erb-[291] vertrags haben, so muß dieser auch zur Enterbung genügen. Allein hierbei wird nicht berücksichtigt, daß die Strenge der Enterbung sehr gemildert wird durch die Wiederauflösbarkeit des Testaments. Wollte man daher die Enterbung durch ein unauflösliches Geschäft mit einem Dritten zulassen, so würde sie dadurch in Deutschland eine weit strengere Bedeutung bekommen als bei den ­Römern. § 178 Wirkungen Die Wirkungen des Erbeinsetzungsvertrages sind: 1.  Der Erbvertrag enthält einen Delationsgrund des Erbrechts. Da heutzutage gemeinrechtlich der Grundsatz des römischen Rechts gilt, daß der Erwerb der Erbschaft nicht mit der Delation ipso jure erfolgt, so muß der Vertragserbe ebensogut antreten, wie jeder andere. Einige behaupten aber, die zur Antretung nöthige Erklärung liege schon in der Abschließung des Erbvertrages selbst. Allein die acceptatio von Seiten des künftigen Erben geht nur auf das Recht, Erbe zu werden. Der Vertragserbe kann daher wie jeder andere Erbe cum beneficio inventarii antreten. 2. Die künftige Delation der Erbschaft darf durch kein Testament, und keinen neuen Erbvertrag gestört werden. Jedoch steht nicht entgegen, daß der Erblasser sich vorbehalten kann, über die einzelnen Sache oder Quote der Erbschaft anderweitig zu verfügen.[292]Hat er aber von diesem Vorbehalt keinen Gebrauch gemacht, so fällt der ganze Nachlaß an den Vertragserben. Ein vorher gemachtes Testament wird durch einen später gemachten Erbvertrag verringert. 3. durch den Erbvertrag ist eine alientio inter vivos keineswegs ausgeschlossen. (N. 1–3) Der Betreffende kann vollkommen frei disponiren. Selbst verschenken kann der Erblasser sein Vermögen, nur nicht in frandem pacti. 4. Wie steht es mit Legaten und Fideicommissen? Diese können nur als Theil des Erbvertrages bestehen, nur mit Einwilligung des zukünftigen Erben. Hieraus folgt nur, daß der Vertragserbe die Quarta Falcidia, oder Trebellianica nicht abziehen kann. Von der mortis causa donatio soll nach Beseler dasselbe gelten, wie von

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einer donatio inter vivos, denn die mortis causa donationes gehe ganz unabhängig von der Beerbung aus dem Nachlasse heraus; der Erbvertrag gehe aber nicht auf den Nachlaß überhaupt, sondern nur auf die Beerbung. Deshalb sei dem Erblasser mortis c. d. immer erlaubt. Allein dies läßt sich nicht anwenden bei Instituten, die außerhalb des römischen Rechts liegen, wie es bei dem Erbvertrage der Fall ist. Denn das Recht des Vertragserben ist nach dem dem römischen Notherben zustehenden Recht zu beurtheilen und nicht nach dem Recht[293]des gewöhnlichen Insitutes; denn diesen kann jeden Augenblick sein Recht entzogen werden, einem Notherben aber darf sein Recht nicht durch mortis causa donatio geschmählert werden; jedes[…]auf den Pflichtheil ist pro non scripto zu betrachten (cf. N. 1 abgedruckt in § 178). Ebensowenig also darf einem Vertragserben seine Erbschaft geschmählert werden. 5.  Wie steht es mit dem jus accrescendi? Im römischen Recht gilt der Grundsatz, daß wenn ein Erbe wegfällt, dem andern der ganze Theil accrescirt, über den dann nicht testirt wäre und nemo pro parte etc. Vor einem jus accrescendi kann bei einem Vertragserben in der Regel nicht die Rede sein da der Grundsatz nemo pro parte auf Erbverträge keine Anwendung leidet. Nur dann kann ein jus accrescend. stattfinden, wenn es in der Absicht der Contrahenten lag. Liegt dies schon in den Worten des Vertrags, dann ist es gar kein eigentl. jus accrescendi. Im übrigen sind die Rechte und Pflichten eines Vertragserben ganz dieselben wie die jedes andern Erben. Um sein Erbrecht zu bewahren hat daher der Vertragserbe die Rechtsmittel jedes Erben: Die hereditatis petitio, häufig hier conventionalis genannt, das inter quorum bonorum, endlich auch das remedium ex lege ult. cod de edicto d. Hadriani tollend: (Wenn Mehrere über die Erbschaft streiten und einer ein fehlerhaftes Testament aufzeigt, er in den vorläufigen Besitz gesetzt werden[294]kann.) Denn obgleich dieser nur auf Testament bezieht, so ist die zu Grunde liegende ratio hier ganz dieselbe. § 179 Aufhebung der Erbverträge Diese kann geschehen 1. durch gegenseitige Einwilligung, 2. In der Regel zwar nicht durch einseitigen Widerruf, wenn der Widerruf nicht ausdrücklich vorbehalten ist. Eine Ausnahme tritt nur dann ein, wenn eine Indignität des Erben vorliegt. 3. durch in int. restitutio (nach den allgemeinen Regeln) 4. dadurch daß später ein Successionsunfähigkeit des Erben eintritt daß der Erblasser später die Fähigkeit verliert, einen Vertrag zu machen ist hier von keiner Bedeutung (anders beim test. de ultimo voluntas) 5. dadurch, daß der Erbe vor dem Erblasser oder vor der Antretung stirbt. Manche nehmen zwar an, daß in diesem 5ten Falle die Erben des Vertragserben in dessen Stelle eintreten, allein das hängt mit der unrichtigen Vorstellung zusammen, daß der Erbvertrag ein gegenwärtiges Recht auf das Vermögen des Erblassers gebe, doch ist dies Recht nur ein Haftungsrecht. Häufig wird aber allerdings die Substitution der Kinder des im Erbvertrag Bedachten stillschweigend präsumirt. der code Nap. nimmt es ausdrücklich an.[295]6. Kann auch das römische Notherbenrecht eine Aufhebung des Erbvertrags bewirken? Das römische Recht hat noch vor 115 den Grundsatz Ascendenten und Descendenten d­ ürfen nicht präsumirt werden, sondern Erblasser muß sie instituieren oder aus gesetzlichen Grün-

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den exherndiren. Eine Contravention macht das Testament nichtig. Sie m ­ üßen auch formell zum Erben eingesetzt sein – Pflichttheil genügt nicht, formeller Notherbe. Ferner bei Geschwistern materieller Notherbe darüber sind Alle einig, daß das römische Notherbrecht bei den Erbverträgen Anwendung finde, dagegen ist es eine höchst bestrittene Frage, auf welche Weise das Notherbrecht bei Erbverträgen Anwendung finde, ob blos das materielle oder auch das formelle. Einige behaupten, das Notherbrecht im strengeren formellen Sinn sei hier nicht nöthig, da dies blos die Testamente beträfe. Aber nach der richtigen Meinung hat Jenes die quaerela inoff. nur noch für den Fall, wo die Geschwister durch eine persona turpis ausgeschlossen sind, zugelassen. In Beziehung auf Ascendent und Descendent befolgt Just. noch nov. 115 das Nullitätssystem; sie sollen auch die Ehre haben, Erben zu werden. Die ratio dieser Verhängung findet aber ohne Zweifel auch auf den Erbvertrag Anwendung. Hat der Erblasser daher nicht auf irgendeine Weise die Ascendenten und Descendenten neben dem Vertragserben zur Erbschaft berufen[296]so ist dieser Erbvertrag ungültig. Hat der Erblasser dem Notherben nicht die volle legitima hinterlassen so tritt keine Nichtigkeit des Erbvertrags sondern nur Klage auf suppl. leg. ein. Es läßt sich nun aber nicht leugnen, daß das formelle Notherbrecht unserm Rechtsgefühl nicht entspricht. Hieraus erklärt sich, daß die Praxis hierfür sich nur das materielle Nothrecht berücksichtigt, nicht das formelle (so das O. AG. in Celle im letzten Jahrhundert etc.). Manche zählen zu den Aufhebungsursachen des Erbvertrags auch das Recht des Erblassers aus Gründen der Undankbarkeit und wegen nachgeborener Kinder, wie bei der Schenkung. Allein das Erstere läßt sich höchstens bei Erbverträgen, die aus reiner Liberalität abgeschlossen worden, vertheidigen. Das letztere hingegen läßt sich durchaus gar nicht vertheidigen, daß die pasterus als Notherben den Vertrag brechen können ist aber etwas anderes. Ebensowenig können Enterbungssachen den Vertrag brechen, weil diese eine freie testamenti factio activa des Testators voraussetzen, bei Erbverträgen demselben aber die Hände schon gebunden sind.[297]§ 180 2. Erbverzichte Der Erbverzicht ist eine vertragsmäßige Enterbung. Eine Enterbung durch Vereinbarung mit demjenigen der fast Erbe gewesen sein würde. Die ältern Juristen bezogen den Erbvertrag aber nicht auf die Beerbung sondern auf den Nachlaß, also der Renuntiant schlägt schon im Voraus die Erbschaft aus. Allein diese Ansicht entspricht nicht dem Charakter der Erbverträge in neuerer Zeit. Es ist vielmehr der Gegenstand des Erbverzichts (wie das Erbeinsetzungsvertrag) das Erbrecht selbst, welches unmittelbar dadurch errichtet wird. Der Erbverzicht daher im Augenblick des Todes des Erblassers von der Enterbung durch Testament nicht verschieden. Was der Verzichtende sich als Gegenleistung ausbedingt, bekommt er daher nicht als Erbtheil, sondern nur titulo speciali. Beispiele von Erbverzicht finden wir schon im Mittelalter (s. N. 1). Indessen kommen sie damals nur bei gewissen Verhältnissen vor, z. B. (aus der Familiengemeinschaft), denn auch bei der Verheira­ thung adliger Töchter (N. 2). Die eigentliche Ausbildung des Erbverzichts erfolgt aber erst seit Reception des römischen Rechts und seit der Mitte des 17ten Jahrhunderts wurde sie allgemein gültig. Was die Form betrifft, so behaupten die ältern

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Juristen, der Verzicht[298]müße redlich sein, um gültig zu sein. Doch ist dies nur ein Versuch den Erbverzicht auf den Boden des kanonischen Rechts zu verpflanzen. c. 2 de pactis in 6to 1. 18. Seit dem aber richtigere Ansichten über die Erbverträge überhaupt aufgekommen, kann der obige Grundsatz nicht mehr als gemeinrechtlich gültig angesehen werden. Wenn der Verzichtende noch minderjährig ist, so muß der Vormund auch einwilligen. Eines obrigkeitlichen decretum bedarf es nur wenn der Unmündige sein Notherbrecht aufgeben soll. Gewöhnlich wird der Verzicht nur bei Notherben gebraucht, doch kann auch mit andern Personen ein Erbverzicht geschlossen werden. Der Erbverzicht kann sowohl auf den ganzen Erbanspruch, wie auch auf einen Theil desselben gerichtet sein. Gewöhnlich ist es, daß bei einem Erbverzicht zu Gunsten eines Dritten Verzicht geleistet wird. Ob hierin zugleich ein dispositiver Erbvertrag zu Gunsten des Dritten vorliege ist quaestio facti und nach den allgemeinen Regeln des Vertrags zu beurtheilen. Insbesondere konnten schon seit dem 12ten Jahrhundert beim Adel schon Erbverzichte der Töchter zu Gunsten der Brüder und resp. des ganzen Mannsstammes vor. Die erste Veranlassung gab[…], daß die hochadligen (Töchter nicht durch[299] den Mannstamm überhaupt sondern nur von ihren Brüdern von dem Nachlaß ihres Vaters ausgeschlossen wurden. Jene Verzichte wurden daher wohl zu dem Zweck gebraucht, um auch bei Allodien dem Mannsstamm die Erbkasse vor den Cognaten zu verschaffen. (Bei Lehn galt es so schon) Besonders häufig wurden solche Verzichte, als nach Einführung des römischen Rechts die Juristen die Grundsätze daß Söhne und Töchter ein gleiches Erbrecht haben auch auf den hohen Adel anzuwenden suchten. Seitdem nun das römische Recht eingeführt war, wurden durch Hausgesetze des hohen Adels den Töchtern die Erbverzichte oft geradezu zur Pflicht gemacht, wenn sie sich verheiratheten (Zuweilen auch beim niedern Adel) und gerade dadurch hat der hohe Adel sich beim alten Recht erhalten. Da der Verzichtende in Beziehung auf die Beerbung des Erblassers als gar nicht vorhanden zu betrachten ist, so folgt hieraus: 1.  der Verzichtende darf bei Berechnung des Pflichtheils der übrigen Erben nicht mit berücksichtigt werden (lit. a)  2.  Wenn keine Verfügung von Todes wegen vorliegt, so wird der nächste gesetzliche Erbe nach ihm zur Succession berufen. Hierbei entsteht die Frage gilt dies auch für die Nachkommen des Verzichtenden? Diese Frage ist sehr bestritten.[300]Bei Beantwortung der Frage, ob die Nachkommen an den von ihrem Ascendenten gemachten Verzicht gebunden seien, unterscheiden Manche folgende Fälle. 1. Die Nachkommen sind oder werden nicht Erben des Renuntianten; auch leiten sie ihr Erbrecht sua persona her, nicht aus der Person des Renuntianten. In diesem Fall wird angenommen sei der Verzicht für die Erben keineswegs geltend. 2. Die Nachkommen sind Erben des Verzichtenden geworden. Hat er denn für sie mit verzichtet, so sind sie an den Verzicht als Erben gebunden. Andere dagegen behaupten es seien die Nachkommen, sobald sie ihren Erbanspruch nicht aus der Person des Verzichtenden herleiten, sondern ein selbstständiges Erbrecht hätten weder in dem einen noch in dem andern Fall an den Verzicht des Versterbenden gebunden ­(Beseler) denn der Verzicht erzeuge keine Obligation, sondern habe ein Recht auf dasselbe. Daß aber die Erben an alle facta ihres Erblassers überhaupt gebunden

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seien, lasse sich keineswegs behaupten. Eine Ausnahme hiervon lassen die Juristen jedoch dann gewöhnlich zu, wenn im Particularrecht die Absonderung der Kinder von dem Erbtheil des Vaters als definitives angeordnet ist. Denn dann sayen sie verloren nach dem deutschen Gewohnheitsrecht und die Descendenten, auch wenn sie ein selbstständiges[301]Erbrecht hätten, auch dieses allein obgleich diese 2te Ansicht aus dem Standpunkt des römischen Rechts die richtige ist, so stimmt sie doch keineswegs mit der Rechtsansicht des Volkes. Vielmehr wird hier noch der Verzicht, wenigstens wenn er gegen Empfang eines Vermögenstheils geleistet wird, auch mit für die Descendenten des Renuntianten, sobald sie mit andern Descendenten des Erblassers concurriren als bindend angesehen. Auch ist endlich bei den Verzichtleistungen hochadliger Töchter dies von jeher unbestritten. Dem Verzichte wird oft ein Vorbehalt von verschiedenem Umfang hinzugefügt. Besonders gewöhnlich bei den Verzichten hoch adliger Töchter ist der Vorbehalt auf den ledigen Anfall. Die gewöhnliche Bedeutung dieses Vorbehalts ist klar, Vorbehalt des Erbrechts des Verzichtenden im Fall des Aussterbens des ganzen Mannsstamms. Wie nun aber dieser Vorbehalt wirke ist sehr bestritten. Namentlich, ob dieser Vorbehalt auch den bedingten Anfall bewirken könnte, daß beim Aussterben des Mannsstamms die Verzichtende oder deren Descendent der Tochter oder den sonstigen Cognaten des letzten Gliedes des Mannsstamms vorgehen soll, oder nicht: oder hat die Regredienterbin den Vorzug, oder die Erbtochter? (so im vorigen Jahrhundert in Österreich wegen der[…]Stamms)[302]Die Juristen welche vom Standpunct des römischen Rechts ausgehen, lediglich den Successionsausschluß der Töchter von der Erbschaft blos in deren Verzicht gelangt, behaupten, die Verzichtende könne sich auch so ein Erbrecht vorbehalten, daß sie beim Aussterben des erbenden Mannsstamms den weiblichen Descendenten des Mannesstamms vorgehen wollen. Diese Ansicht ist auch in einige Hausgesetze übergegangen (cf. § 289 N. 9) Wo aber die Hausgesetze diese Ansicht nicht bestätigen, kann sie nur bedingterweise für richtig angesehen werden. Man muß unterscheiden: 1. die Tochter hat verzichtet auf ein Gut, in das sie ohnehin nicht succedirt wäre (so bei den deutschen Stammgütern) hier succedirt beim Ausgang der Mannsstamm sowohl nach dem im Mittelalter als auch nach dem heutigen Recht unter allen verbleibenden Verwandten zuerst die Tochter der letzten vom Mannsstamm, es kommt dann auf die Nähe der Verwandtschaft des Erben an. Könnte also der Vorbehalt auf den ledigen Anfall der Regredientserbin ein Recht vor der Erbtochter bekommen, so würde sie durch den Verzicht mehr Rechte bekommen als sie ohne den Verzicht haben würde, was aber Unsinn wäre. Bei solchen Gütern muß also augenfällig fällig die Erbtochter der Regredienterbin trotz des Vorbehalts des ­Letztern jedenfalls vorgehen (so hat es sich in Österreich auch gemacht)[303]Der Vorbehalt kann hier also nur den Sinn haben, daß die Verzichtende von keiner Erbschaft ausgeschloßen sein würde. Der Verzicht ist hier also eine blose Cautel, um das deutsche Recht gegen das römische zu wahren in dem bestimmten Fall. 2. Der Verzicht bezieht sich durch Vermögen, welches die Tochter ohne Verzicht mit dem Söhnen gemeinsam geerbt haben würde (so meistens das bewegliche Vermögen und auch einzelne später vom Vater gekaufte Immobilien etc.). Hier kann sie ihrem

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Verzicht, der ein blos freiwilliger ist, jede gültige Bedingung hinzufügen, also auch wann das Erbe ihr oder ihrer Abfindung wieder anfallen solle (ob vor der Erbtochter, oder nicht) dies ist auch die anerkannteste Ansicht über diese Controverse cf § 298 N. 12 und 11 C Einzelne Unterarten § 181 1. Erbverbrüderungen Hierunter versteht man Geschäfte, wodurch verschiedene Familien (oder verschiedene Linien desselben Hauses sich ein gegenseitiges Erbrecht an ihren Gütern für den Fall zusagen, daß die eine Familie vor der andern versterben sollte.[304] Diese Erbverbrüderungen finden sich besonders beim hohen Adel (so Hessen und Sachsen denen Preuß beigetreten). Die Form des Geschäfts war ursprünglich die der Vergabung von Todes wegen (cf. N. 1 bis 4). Später faßten die Juristen die Erbverbrüderungen aber als einen reinen Erbeinsetzungsvertrag und beurtheilten sie nach den darüber geltenden Grundsätzen (N. 5). Die Successionsordnung der Berufenen richtet sich zunächst nach dem Inhalt der Erbverträge. Bestimmt der Vertrag nichts darüber, so fällt bei dem Ausgang der einen Linie die Succession an das als Familienhaupt der succedirenden Familie die Regierung führende Glied (mit den Erbverbrüderungen sind nicht die Erbeinigungen zu verwechseln, das waren so zu sagen nur allianien. § 182 2. Erbverträge zwischen Ehegatten Die Erbverträge unter Ehegatten unterscheiden sich von einem Ehevertrag an und für sich dadurch daß der Ehevertrag zunächst nur das Verhältnis der Güter während der Ehe bestimmt. Allerdings können aber aus diesem Güterrecht während der Ehe auch erbliche Güterverhältnisse hervorgehen. Nicht selten werden aber wahre Eheverträge unter den Ehegatten mit den Eheverträgen verbunden. Dann heißen solche Dispositionen insbesondere „Ehestiftungen“ oder „Ehezerter“. Sie werden entweder unter derselben, oder während der Ehe[305]abgeschlossen (N. 5) Im ersten Fall haben sie aber nur soweit Gültigkeit, als die Ehe zustande kommt. Die Form der Ehestiftung ist zwar nach gemeinem Recht ganz willkürlich. Die Particularrechte verlangen aber gewöhnlich eine bestimmte Form, und meistens die gewöhnliche Abschließung oder Bestätigung. Einige Particularbestimmungen fordern auch die Hinzuziehung beiderseitiger Verwandten. Ihrem Inhalt nach enthält die Erbstiftung bald eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten, bald ein Vermächtnis zu Gunsten desselben – oft ein Vermächtniß des usus fructus bald am ganzen Vermögen bald an einem Theil. Bald enthalten sie auch eine Erbeinsetzung der Kinder und Regulirung derselben besonders häufig kommt das Rechtssprichwort: „Längst Leib längst Gut“ oder anderswo „Leib an Leib, Gut an Gut“ – oder „Gut bei Schleier, Schleier bei Gut“ (d. h. Mann bei Weib und umgekehrt). Diese Sprichwörter haben nicht überall gleiche Bedeutung. Im Allgemeinen bezeichnen Sie, daß der Überlebende vorerst den ganzen Nachlaß des verstorbenen Ehegatten in ungetheilter Vereinigung mit seinen eigenen Gütern behalten solle. Über die rechtliche Bedeutung bestimmen sie an und für sich noch nichts (den Titel des Be-

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sitzes lassen sie dahingestellt sein).[306]Das hängt daher vom Particularrecht ab. Hiernach bezeichnen jene Sprichwörter oft das Behalten zum Eigenthum, ein wahres Erbe des überlebenden Ehegatten (längst Leib, längst Gut). Im Zweifel kann man ihnen diesen Sinn aber nicht beilegen, sondern nur den, daß der Überlebende den lebenslänglichen Nießbrauch an dem betreffenden Vermögen haben soll usus fructus omnium bonorum. Denn in dieser Bedeutung weichen jene Sprichwörter am wenigsten vom alten Erbrecht ab. Auf das Verhältnis während der Ehe bezieht sich jene Regel zwar ihrem Wortsinn gar nicht. Indessen sind doch jene Sprichwörter oder die Regel nicht unbedeutend für das Verhältnis während der Ehe. Wo dem Ehemann als dem längstlebenden nur der Nießbrauch an dem Frauengut zugesprochen ist, ist sein Recht während der Ehe meistens auch darauf beschränkt. Wo aber dem Ehemann auf den Todesfall das Eigenthum zugesichert ist, da gestattet man dem Ehemann auch während der Ehe häufig auch ein Recht an der Substanz und nimmt an, daß die Frau mit ihrem Rückforderungsrecht allen Schuldnern des Mannes nachstehe. Das Notherbrecht wirkt auf die Ehestiftung im Allgemeinen ebenso ein, wie auf die Erbverträge und überhaupt. In Beziehung auf die Kinder befolgen aber manche Gesetze andere Grundsätze:[307]1. nach manchen Rechten wird es als sich von selbst verstehend vorausgesetzt, daß solche Erbverträge eine unbeerbte Ehe voraussetzen, d. h. solche Ehe welche bei ihrem Schluß keine Kinder hat. Dies drückt aus das Rechtssprichwort „Kinderzeugen bricht Ehestiftung“, d. h. wenn ein Kind in der Ehe geboren wird, so fallen die Pakte in der Ehestiftung eo ipso weg, welche sich auf die Erbfolge beziehen und wo die Kinder nicht bedacht sind. Sterben die Kinder dann sämtlich vor der Ehe, so daß die Ehe doch unbeerbt ist, so leben jene Pakte wieder auf. 2. andere Particularrechte haben dagegen bestimmt, daß die Kinder die Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten nicht anfechten können. Uns erklärt sich daraus, daß jene Gesetze annehmen, die Sorge für den überlebenden Ehegatten komme auch den Kindern zu Gute und ihr Erbrecht werde ihnen doch indirekt dadurch gesichert, daß sie ja den überlebenden parens später doch beerben daß die Wirkungen der Ehestiftungen durch eine Ehescheidung aufgehoben werden, ist bestritten. Am richtigsten ist es aber diese Frage zu bejahen, denn bei Abschluß des Geschäfts wird immer vorausgesetzt, daß die Ehe erst durch Tod eines Ehegatten aufgehoben wurde. (s. ob. beim Vertrag unter Verlobten)[308]Dies gilt nicht blos für den schuldigen Ehegatten, sondern auch der unschuldige Ehegatte kann den schuldigen nicht beerben, nach der Natur des Geschäfts. § 183 III. Testament Das deutsche Recht des Mittelalters kennt zwar auch schon letztwillige Verfügungen unter dem Namen „Seelgeräthe“ für seine Seele sorgen – „Geschäft“ „Gemächte“ welche Ausdrücke zuweilen mit dem Namen Testamentum belegt sind. Diese Geschäfte waren aber nur beschränkt gültig, entweder nur, wenn der Erblasser überhaupt keine Blutsverwandten hatten, oder nur mit Hülfe der Kirche, wenn man in seinem Testament eine Seelmasse stiftete. Sie bezognen sich auch nie auf die ganze Erbschaft, nur auf bewegliches Vermögen und später doch auch nie auf das Stammgut. Eigentliche Testamente haben vielmehr erst seit Reception des rö-

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mischen Rechts in Deutschland Eingang gefunden. Daher ist die testamentarische Erbfolge gemeinrechtlich nach römischem Recht zu beurtheilen. Es fehlt aber noch sehr viel daran, daß die Principien des Testaments in das deutsche Rechtsbewusstsein übergegangen. Noch immer hält sich im Volke das Grundprincip, daß die testamentarische Erbfolge sich zur gesetzlichen nur als[309]Ausnahme verhalten – umgekehrt war es im römischen Recht (manche Gegenden giebt es wo in 10 Jahr kein Testament gemacht wird, besonders auf dem Lande). In fremden Ländern z. B. Frankreich ist es ebenso) N. 1, 3. Hieraus erklärt es sich, daß in den Particularrechten viele Abweichungen vom römischen Recht sind, theils ohne, theils mit Absicht. Die wichtigsten Abweichungen: 1. in manchen Particularrechten gilt nicht der römische Grundsatz: „nemo pro parte etc. der Intestaterbe erhält daher immer den Theil des Nachlasses, über den nicht verfügt, oder der durch den Wegfall eines Testamentserben frei wird. (Im Gegensatz zum Accrescenrecht des römischen Rechts N. 6–8) 2.  nach einigen Particularrechten ist eine Erbeinsetzung im Testament nicht erforderlich (Hamburg, Lübeck, Nürnburg lit. a). Die Folge hiervon ist, wenn daher eine Erbeinsetzung im Testament nicht enthalten ist, oder sie fällig wird, so bleibt das Testament auch ohne Codicillarklausel bestehen. 3. Hiermit hängt zusammen daß das Preußische und Österreichische Gesetz zwar die Erbeinsetzung zwar als das entscheidende Merkmal zwischen Testament und Codicille anerkennen, Erbeinsetzung aber nur das nennen, wo einer oder mehreren Personen der ganze Nachlaß hinterlassen wird.[310]4. Die Form des Testaments ist oft anders bestimmt als im römischen Recht. Einige Particularrechte lassen kein Privattestament zu und ein öffentliches Testament nur unter Beobachtung bestimmter Formen. Auch wo das römische Recht in Beziehung auf die Form der Testamente gilt, da ist doch die gerichtliche Form die gewöhnliche. In einigen Gegenden ist diese gewöhnlich auch der vor Notar und Zeugen gleich gestellt. Allgemein ist zum römischen testamentum judiciale hinzugekommen eine Übergabe eines schriftlich versiegelten Testaments an das Gericht, oder den Notar, ohne das Letztere etwas vom Testament zu wissen brauchen. 5. Viele Particularrechte haben eine eigene Testamentsmündigkeit, welche später eintritt als die römische Pubertät. Abgesehen von diesen particularrechtlichen Abweichungen des römischen Rechts entsteht noch die Frage, ob das römische Testamentsrecht nicht in einigen Punkten überhaupt dadurch modificirt werde, daß man im deutschen Recht eine Beschränkung der Testierfähigkeit der test. factio activa gestattet. Hiermit hängt zusammen 1. die Streitfrage, ob ein pactum de non mutando testamento in Deutschland zulässig sei. Die ältern Juristen erkennen gewöhnlich die Gültigkeit eines solchen pact. an, weil der Grund wonach es im römischen Recht unzulässig, in Deutschland weggefallen und es nicht einzusehen, warum nicht dieser Vertrag wie jeder andere mit seinem Abschluß bindend sei.[311]Unter den Neueren behauptet die Ungültigkeit eines solchen pact. auch für Deutschland namentlich Beseler. Der Grund ist es gehöre die Widerruflichkeit so sehr zum Wesen des Testaments, daß eine andere Befolgung die größten Inconsequenzen herbei führen würde. Kraut allein durch Hinzufügung des pactum geht das Testament wirklich in einen Erbvertrag über der ja unwiderruflich ist. So auch Mühlenbruch im Glücks Pandectencommentar Theil 38 S. –,

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Hartmann Erbverträge S. 119 ff. Beseler sagt dagegen, gegen die letztere Ansicht ein, daß jenes pactum kein Erbvertrag sei, weil selbst das Testament daneben nicht nöthig sei. (Das Pactum ist auch kein Erbvertrag sondern das Testament wird durch das pactum zu einem Erbvertrag. Auf die Form kann dabei nichts ankommen. Kraut) und eine blose irrige Benennung des Geschäfts kann deren Gültigkeit nicht schmälern; auch wird ein Erbvertrag sehr häufig in Testamentsform abgeschlossen die Particularrechte befolgen allerdings oft die Beselersche Ansicht (cf. N. 9) 2. Gewöhnlich wird zu den Eigenthümlichkeiten des deutschen Rechts auch das correspective Testament gerechnet, ein wechselseitiges Testament worin die Testoren sich nicht blos wechselseitig einsetzen, sondern daß auch diese[312]Verfügungen von einander abhängen. Ein solches correspectives Testament wird in dem gewöhnlichen Fall angenommen, wenn 2 Eheleute in ein und demselben Testament sich gegenseitig zu Erben einsetzen und über das Schicksal des Nachlasses nach dem Tode des Längstlebenden verfügen. Die Eigenthümlichkeit eines solchen Testaments wird nach der herrschenden Doctrin darin gefunden, daß die Aufhebung oder Ungültigkeit der Verfügung des Einen die Verfügung des Andern ohne Weiteres auch aufhebt, ungültig macht. 2t darin, daß der Überlebende durch die Erbschaftsantretung an den ganzen Testamentsinhalt gebunden werde. Daß ein solches Testament nach den römischen Grundsätzen ungültig ist, kann nach den Bestimmungen von kaptatorischen Bedingungen wohl kein Zweifel leiden. Man stützt die Gültigkeit dieses Testaments aber auf ein deutsches Gewohnheitsrecht. Allein ein solches Gewohnheitsrecht ist schwerlich nachzuweisen, es ist das kaptatorische Testament vielmehr lediglich ein Product der Juristen, über deren Bedeutung sie sich nie einig geworden sind, und diese Art des Testaments vielen Streit hervorgebracht haben. Die Juristen aber haben das correspective Testament erfunden, eine wahre Zwittergeburt, ein monstrum womit sie selbst nichts anzufangen wissen. Am richtigsten ist es daher wohl, wenn die Dispos-[313]tion nicht als Erbvertrag aufrecht erhalten werden kann, als ein gewöhnliches gegenseitiges (auch den Römern bekanntes Testament zu betrachten und sie als eine direkte Erbeinsetzung des Überlebenden und als eine gewöhnliche fideicommissarische Disposition des erstversterbenden Ehegatten über einen Theil des Vermögens, worin auch eine vulgäre Substitution liegt. – In Deutschland kommt es schon häufig vor, daß die Vollziehung des Testaments nicht dem guten Willen des Erben überlassen wurde, sondern man zu diesem Zweck besondere Testamentsexecutoren ernannte. Dies geschah schon früher bei den Vergabungen von Todes wegen (lit.  d bis i). Dies Institut hat sich ungeachtet des entgegenstehenden römischen Rechts überall bis heutzutage gehalten. Die Juristen des 16ten und 17ten Jahrhunderts bedienten sich bei Entwicklung dieser Lehre der Analogie der Lehre von der Vormundschaft. Im Lauf des 18ten Jahrhunderts ließ man an der Stelle ein Mandatsverhältniß an, der Executor ist danach Mandator des Testators (so auch Preußisches Landrecht und Österreichisches Gesetzbuch N. 20). Allein ein Mandat welches nach dem Tode[314]des Mandanten ausgeführt werden soll, ist nach römischem Recht nicht zulässig. Wir müssen daher eine andere Theorie suchen. Der Auftrag welchen der Testator dem Testamentsexecutor giebt, ist vielmehr eine letztwillige Anordnung,

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wonach der Executor formeller Repräsentant des Erblassers wird. Der Umfang der Rechte und Pflichten des Executors hängt daher auch bedinglich von der voluntas testatoris ab (N. 22) Beseler in Der Testamentsvollzieher cf. Grdr.) § 184 (cf § 171) 2ter Abschnitt Das rechtliche Verhältnis der Erben Nach dem ältern Recht wurde jede Erbschaft von dem Erben, welchem sie anfiel, ipso jure erworben, sie ging im Augenblick des Todes ipso jure über, d. h. das Recht „der Todte erbt den Lebendigen“ soll diesen ipso jure Übergang bezeichnen (Le mort saisit le vife). Seit Reception des römischen Rechts sind auch dessen Grundsätze über die Antragsnothwendigkeit mit aufgenommen, so ist dadurch jetzt auch gemeinrechtlich zwischen Delation und Acquisition unterschieden. Jedoch hat der ältere deutsche Grundsatz sich in manchen Particularrechten erhalten (N. 1) und ist in manchen neuern Gesetzen ausgesprochen (N. 3) Auch kommt der ältere Grundsatz noch bei einigen Instituten vor, namentlich bei Lehn und Familien fideicommissen ganz allgemein vor.[315]Nach dem ältern deutschen Recht repräsentirte der Erbe den Erblasser nicht im Sinn des römischen Rechts der Erbe haftet nämlich für die Schulden des Erblassers nicht persönlich, sondern nur mit dem ererbten Vermögen. Aber auch mit dem ererbten Vermögen brauchte der Erbe des Erblassers Schulden auch nur bis zum Bereich der fahrenden Haben und diese nicht zum Heergewäthe und Gerade gehörte – bezahlen (Die Grundstücke durften ja nicht veräußert werden) Heutzutage ist in Beziehung auf die Pflicht des Erben für des Erblassers Schulden zu haften, das römische Recht gemeines Recht in Deutschland geworden. In den Particularrechten findet sich häufig auch der Grundsatz des ältern deutschen Rechts wo es aber nicht blos auf d. Mobilien (s. oben) sich beschränkt. Dies gilt besonders in den Gegenden des Sachsenspiegels, mit Ausnahme von Holstein, wo das römische Recht recipirt ist. § 185 3ter Abschnitt Recht auf erblose Güter Im Mittelalter fielen erbliche Güter an den Richter. Nach der Entstehung der Landeshoheit ward dies ein Recht des Landesherrn. Dies Recht wurde nach Reception des römischen Rechts mit dem jus fisci verschmolzen und dieser Gestalt ist es gemeinrechtlich. Unterobrigkeit süddeutsche Magistraten etc. haben nur wenn sie das Fiscusrecht haben, dies Recht auf bona vacantia[316]beigelegt. So haben es dann viele Städte auch aus besonderer Vergünstigung, namentlich wo sächsische Recht herrscht. Fünftes Buch Familienrecht § 186 Von der Vormundschaft (mundium, Munt) Das ältere deutsche Recht Im ältern deutschen Recht hatte Jeder, der nicht selbst die Waffen zu führen im Stande war nur dadurch Schutz in dem Felde und vor Gericht. Nur dadurch Schutz,

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daß er durch eine andere waffenfähigen Person vertreten wurde. Soweit dieser Schutz in der gerichtlichen Vertretung bestand, ertheilte ihn zunächt immer ein einzelner Mann aus der Familie, regelmäßig der Vater in Ermangelung desselben der nächste Schwertmage und bei Ehefrauen der Ehemann. Dieser schützende Mann heißt schon im alten deutschen Recht muntpero oder muntbero (Vormund) dann auch gerhab (advocatus)[…]daraus Vogt geworden. Derjenige, welcher unter dem Schutz des Vormunds steht heißt Mündel und wer keinen Vormund nöthig hat, heißt mündig. Es werden daher alle nicht waffenfähigen freien Leute, Unmündige[317] genannt. Hierzu gehörten daher alle Weiber so lange sie lebten; das männliche Geschlecht bis zu einem gewissen Alter (s. § 49). Je mehr später der Staatsschutz zurückgedrängt und dieser mußte in seiner ursprünglichen Bedeutung mit der Abschaffung des Fehderechts (Landfehderecht von 1495) völlig verschieden. Hierdurch wurde der Begriff der Unmündigkeit wesentlich verändert, denn als Unmüdigkeit konnte jetzt nur diejenigen betrachtet werden, die die gehörige Geistes­ fähigkeit nicht hatten, ihre eigenen Angelegenheiten zu führen. Da sich der Staat nun auch dieser Unfähigen annahm, so mußte die Vormundschaft dadurch eine ganz andere Bedeutung bekommen. Schon ehe diese Veränderung eintrat, hatte die Vormundschaft über die verschiedenen Classen wegen der verschiedenen Ausdehnung der Hülfsbedürftigkeit verschiedene Gründe gehabt. Diese Verschiedenheit trat seit dem immer mehr hervor. Daher muß heutzutage die Vormundschaft über Minderjährige nothwendig von der Geschlechtsvormundschaft unterschieden werden. Auch wurde die Vormundschaft des Vaters über die Kinder so mit seinen übrigen Rechten desselben vermischt, daß hier ganz gegen seine partr. pot. zurücktritt und darin aufgeht. Auch ist die Vormundschaft über Ehefrauen soweit andere Rechte des Ehemanns über sie und ihr Vermögen verknüpft, daß sie einer besonderen Betrachtung abgesondert von der Geschlechtsvormundschaft bedarf. [318]Erstes Capitel Von der Ehe § 187 I. Begriff und historische Einleitung Die Deutschen faßten von jeher, ebenso wie die Römer die Ehe als eine ideale Gemeinschaft des Lebens und aller Schicksale zwischen Mann und Frau auf – individua vitae corsuetudo  – consortium omnis vitae. Bei den deutschen war das Verhältnis noch inniger. N. 1 und 2 ferner N. 3. Wegen der Abhängigkeit der Weiber von der Familie hatten dieselben zur Eingehung der Ehe nicht blos die Einwilligung der Eltern nöthig, sondern wenn die Eltern nicht mehr lebten, auch die der nächsten Blutsverwandten der Frau. Die Vernachlässigung dieses Erfordernisses hatte namentlich die Folge, daß das Weibe dadurch ihr Erbrecht an dem Vermögen ihrer Eltern resp. Blutsfreunde verlor (N. 24). Dies gilt auch noch heutzutage nach einigen Particularrechten. Die Lehre von der Form und der Eingehung und Trennung der Ehe wurde im Mittelalter ganz nach kanonischem Recht beur­ theilt. Die bürgerliche Wirkung aber wurde nicht allein von ihrer Gültigkeit abhängig gemacht, so daß sich schon damals ein Unterschied zwischen bürgerlichem und kirchlichem Recht bildete. So entstand ein Unterschied zwischen einer an sich

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gültigen matr. et rerum und einer bürgerlich vollkommen wirksamen Ehe matr. legitimum.[319]Dieser Unterschied war besonders wichtig bei der Misheirath und der marganatischen Ehe (siehe oben). Nach der Reform wurde das kanonische Matrimonialrecht allgemein in einzelne Ehen abgeändert. Hierdurch wurde das Eherecht wieder zu einem Gegenstand der bürgerlichen Gesetzgebung dies ist aber seit dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts auch in katholischen Ländern geschehen. Diese bürgerlichen Gesetze schließen sich eng an das kanonische Matrimonialrecht an, mit einigen für die Protestanten nöthigen Abänderungen. Nach dem deutschen Recht gehört es zum Wesen jeder bürgerlichen gültigen Ehe, daß die Frau unter dem mundium ihres Mannes stand. Diese eheliche Vormundschaft (Ehevogtri) hat sich im heutigen Recht in den Particularrechten hin und wieder erhalten. Nach dem gemeinen Recht ist der Mann nicht mehr Vormund der Frau, sondern, er vertritt vor Gericht nur sein Recht an dem Vermögen der Frau und so mittelbar auch ihr Recht. Eine andere Wirkung jener Ehe war im ältern Recht, daß die Frau, wenn sie nur überhaupt frei war, Genossin, d. h. Standesgenossin ihres Mannes war. Diese Wirkung der Ehe begann aber nicht schon mit der Abschließung der Ehe, sondern mit der Beschreitung des Ehebetts. N. 28 und 29 – Hiermit bezieht sich das Sprichwort „Ist das Bett beschritten ist das Recht (Standesrecht des Mannes) erstritten“. Die Standes-[320]genossenschaft oder Ebenbürtigkeit war nur nach manchen Rechten z. B. sächsischen, die Bedingung der Erbfolge. Daher konnte die Frau darnach nur dann ihr Erbrecht am Vermögen des Mannes geltend machen, wenn er nicht vor Beschreitung des Ehebetts gestorben war. Auch nach dem kanonischen Recht ist die in individua vitae consuetudo erst vollständig vorhanden, wenn die Ehe durch Beischlaf vollzogen ist. Hieraus erklärt es sich, daß manche neuern Rechte die Ansprüche welche die Ehegatten nach deutschem Recht auch schon bei ihren Lebzeiten an dem gegenseitigen Vermögen haben, erst mit der Beschreitung des Ehebetts eintreten lassen N. 36, 37 lit. b. Hierauf bezieht sich das Sprichwort „Wenn die Eheleute die Decke über den Kopf gezogen, sind sie beide gleich reich“. II. Einfluß der Ehe auf das Vermögen der Ehegatten A. Historische Einleitung 1. Ursprüngliches System des deutschen Rechts § 188 a. Überhaupt Die Innigkeit des Verhältnisses unter den Ehegatten erstreckt sich nach deutschem Recht auf ihre Vermögensverhältnisse indem beide Ehegatten während der Ehe kein gezweites[321]Gut haben. N. 4 und 6. Von den frühern Juristen ist dies so verstanden, daß das Vermögen beider Ehegatten im Gesamteigenthum derselben wäre. Aber hiermit unter anderem im Widerspruch, daß öfter von eigenthümlichem Vermögen der Ehegatten während der Ehe die Rede ist. Deshalb wird in neuern Zeiten allgemein mit Recht die Ungezweitheit so aufgefaßt, daß während der Ehe das beiderseitige Vermögen unter derselben Verwaltung steht (äußerliche Ungewissheit). Die Verwaltung steht in der Regel dem Ehemann zu. Dies hat die Veranlassung gegeben, daß die Neuren den Grad der Ungezweitheit in der Vormund-

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schaft des Mannes haben finden wollen. Allein dieser Ansicht widerspricht: 1. es ist nicht einzusehen, warum die Ehevogtei eine andere Wirkung auf das Vermögen haben sollte, wie jede andere Geschlechtsvormundschaft. Daß aber die gewöhnliche Geschlechtsvormundschaft keine Ungewissheit des Vermögens des Vormunds und Mündels in sich schließe, ist keine Frage. 2. Wenn ein Theil des Vermögens der Frau der Gemeinschaft entgegen ist, so hat doch der Ehemann das ungeachtet die in der Geschlechtsvormundschaft liegende Befugnisse darüber auszuüben.[322] 3. Wenn der Ehemann längere Zeit abwesend, oder sonst längere Zeit in der Verwaltung des Gesamtguts verhindert ist, so geht die Verwaltung auf die Frau über, während doch die Frau keine Verwaltung des Vermögens des Mannes zustehen kann und keine Vormundschaft über dasselbe. Der Grund jener Ungewissheit ist nach Kraut daß nach dem deutschen Recht die Kosten und Lasten der Ehe ebensogut aus dem Vermögen des Mannes, wie aus dem der Frau bestritten werden sollen; deshalb in Bezug darauf das beiderseitige Vermögen als eine einzige Masse anzusehen ist (deshalb die gemeinsame Verwaltung). Hieran liegt der Grund darin, daß der Haushalt bei den Ehegatten nach deutschem Recht immer ein gemeinsamer ist. Vorsteherin des gemeinsamen Haushalts ist zwar nach deutschem Recht die Ehefrau, die eigentliche Herrschaft steht aber dem Mann zu und vermöge dieser hat er das Gesamtgut zu verwalten als Familienvater, nicht als Vormund. Eine Folge davon, daß die Kosten und Lasten der Ehe aus dem Vermögen beider Ehegatten getragen werden ist, daß die ehelichen Errungenschaften auch bei den Ehegatten gemeinsam sind[…]Unter ehelichen Errungenschaften collaboratio wird alles verstanden, was die Ehegatten entweder durch ihre Thätigkeit während der Ehe,[323] oder als Früchte aus ihrem Vermögen erwerben. Die Errungenschaft ist daher nicht zu verwechseln mit dem wohl getrennten Gut (cf § 82). Die Errungenschaft bildet in der Art eine Einheit universitas, daß dabei nicht das von dem Einzelnen Erwerber unterschieden wird. Es wird daher diese Errungenschaft als Eine Hand angesehen. Das Eigenthum daran steht entweder den beiden nach ideellen Theilen zu (N. 24) jedem zur Hälfte bei andern, so in Westphalen, steht dem Mann ein ideeller Theil von 1/3 (so bei den Franken). Das abgesonderte Eigenthum jedes Ehegatten an der Errungenschaft zeigte sich erst bei der Aufhebung der Ehe, denn solange die Ehe bestand war die Errungenschaft eine einzige Masse. Die Kosten und Lasten des Ehestandes wurden zunächst aus ihr bestritten. Gewöhnlich wird angenommen, daß der Mann alleiniger Eigenthümer der Errungenschaft wird. Allein dies galt nur soweit, wie die Errungenschaft nicht bestand aus zur Gerade der Frau gehörigen Gegenständen. Bei Ausmittelung der Gerade bei Beendigung der Ehe kam es nämlich nicht darauf an, was die Frau als Aussteuer wirklich mitgebracht hatte in die Ehe, sondern alle[324]in dem Gesamtvermögen befindlichen Sachen, welche nach der Sitte von den Frauen als Aussteuer in die Ehe gebracht zu werden pflegen, wurde dann als Gerade herausgegeben. z. B. Schafe, Gänse, Haushaltsgeräthe – einerlei ob dieselben, oder dieselbe Stückzahl, dieselbe Güte war – und sofort) So wird nach dem Sachsenspiegel die Errungenschaft nur anders getheilt als nach fränkischem und westphälischem Recht nämlich nach reellen Theilen. Im Gegensatz zur Errungenschaft wurde bei andern Stämmen alles was die Ehegatten

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während der Ehe anders als durch ihre Tätigkeit oder als Früchte erwerben dem Eingebrachten gleich geachtet und stand ursprünglich im Vermögen desjenigen welcher es speciel erworben war. Dahin gehören Erbschaften, Schenkungen während der Ehe. Dies ist das Eingebrachte im weiteren Sinn, Zugebrachtes. Bei Beendigung der Ehe durch den Tod eines der Ehegatten hat der Überlebende entweder ein wahres Erbrecht an einem Theil des Vermögens des Verstorbenen oder es zieht doch einzelne Nutzungen aus demselben dies ist jedoch sehr verschieden. Namentlich war dafür gesorgt der Frau die den Mann überlebte, eine ihm nach dem Eheverhältnisse zustehende Lebensversorgung zu gewähren, sie konnte so leben wie während der Ehe. Abgesehen von diesen allgemeinen Grundsätzen des ehelichen Güterrechts treten schon im Mittelalter 2 Systeme des Güterrechts hervor, das der Gütereinheit und das der[325]getrennten Hand. Das Erste findet sich vorzüglich im Sachsenspiegel ([…]Recht das letze besonders im westphälischen Recht. § 188a b. System der Gütereinheit Das Eigenthümliche der Gütereinheit (Güterverbindung äußeren Gütergemeinschaft) besteht im Allgemeinen in Folgendem 1. Auch während der Ehe hat jeder Ehegatte sein eigenes Vermögen, welches nur durch eine gemeinsame Verwaltung zusammen gehalten wird. 2. das ganze Vermögen jedes Ehegatten wird auf gleiche Weise behandelt, ohne zwischen den Immobilien und der fahrenden Habe zu unterscheiden, nur daß bei den ersteren das Recht der nächsten Erben in Betracht komme. 3.  Es wird nicht unterschieden zwischen beerbter und unbeerbter Ehe 4. der Ehemann hat über sein eigenes Vermögen und die Errungenschaft ganz seine Disposition; er kann daher beides ohne Einwilligung der Frau veräußern 5. dagegen darf der Ehemann von dem Vermögen der Frau nichts, weder beweglich noch unbewegliches ohne Einwilligung der Frau veräußern. Nur die echte Noth des Ehemanns macht hier eine Ausnahme. Sind Kinder vorhanden, so haben diese ein gleiches Recht, wie alle übrigen nächsten Erben[326]6. die Ehefrau, wenn nicht ausnahmsweise die Verwaltung des ungewissen Gute auf sie übergegangen (s. ob) hat gar kein Veräußerungsrecht, weder hinsichtlich ihres noch ihres Mannes Vermögen, es möchte dann sein, daß der Mann ihr nicht das Nothdürftigste zukommen ließe, sie kann daher auch keine Schulden machen. Die späteren Rechte gestatten ihr jedoch zuweilen die Veräußerung einiger unbedeutender Gegenstände (N. e. f. g.). Auch verstand es sich nach der Stellung der deutschen Hausfrau wohl von jeher von selbst, daß sie kleine Einkäufe zur Führung des Haushalts ohne Einwilligung des Mannes besorgen konnte. Der Sachsenspiegel legt dem Ehemann ausdrücklich eine Gewere an dem Vermögen der Frau bei (N. 5 lit. a). Aus N. 5 hat Albrecht eine eigenthümliche Gewere des Mannes „die Gewere zu rechter Vormundschaft“ gemacht die lange Zeit eine große Rolle bei den Germanisten spielte. Doch ist dies kein Kunstausdruck im Sachenspiegel. Noch unrichtiger ist es, wenn Albrecht diese Lehre als eine besondere Art der Gewere hinstellt, und alle eigenthümlichen Rechte des Mannes an dem Vermögen darauf zurückführen will. Diese Gewere besteht auch hier blos in dem Besitz und dessen Wirkungen. Die Ungezweitheit des Vermögens der Ehegatten dauert aber nur so lange, wie die Ehe. Bei Beendigung

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der Ehe fällt daher das Vermögen der Ehegatten ohne Weiteres aus einander,[327] und jeder Ehegatte bekommt das seinige wieder zurück. Indessen hat der überlebende Ehegatte gewisse Vortheile aus dem Vermögen des Verstorbenen zu ziehen. Ist der Ehemann der überlebende Theil so erbt er nach dem Sachsenspiegel das ganze Mobiliar der Frau mit Ausnahme der Gerade. Daher heißt er Mobiliarerbe der Frau. Ist die Frau die überlebende, ist ihr regelmäßig schon vor oder bei Eingehung der Ehe eine Leibzucht an einem oder mehreren Grund­stücken des Mannes bestellt. Außerdem erhielt die Frau aus dem beweglichen Vermögen des Mannes ihre Morgengabe ein aus beweglichen Sachen bestehendes Geschenk, welches er ihr am Morgen nach der Hochzeit gemacht hatte. Außerdem bekam die Frau noch ihren Mustheil d. h. die Hälfte von allen zum Verzehren bestimmten Sachen, welche sich beim Tode des Mannes in dessen Vermögen befand. Diese Rechte der Ehegatten nach dem Tod des einen Ehegatten waren dieselben, die Ehe mochte beerbt sein oder nicht. War die Ehe aber beerbt, so braucht der überlebende Ehegatte noch nicht immer gleich beim Tode der Kindern ihre Erbtheile auszuwerfen, sondern er konnte dieselben vorläufig in Besitz und Verwaltung behalten, wenn die Kinder entweder noch nicht mündig waren, oder doch noch im elterlichen Hause lebten. „Recht des Besitzes“[328]Dies Recht des Besitzes steht im Wesentlichen dem Recht welches der Ehemann während der Ehe am Gesamtvermögen hat, gleich. Obiges eheliches Güterrecht war ursprünglich ein absolutes Recht, es konnte nicht durch Privatdisposition abgeändert werden. § 188b c. System der gesamten Hand Dies System ist besonders in neuern Zeiten ausführlicher entwickelt von Prof. Rath im Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts von Becker und Muther Band III N. 13 – A. Schwarz Die Gütergemeinschaft der Ehegatten nach Fränkischem Recht – Erlangen 1858. Neben dem System der Gütereinheit kommt schon im Mittelalter das System der gesamten Hand vor. Dies System unterscheidet sich von dem System der Gütereinheit in folgendem: 1. Es wird rechtlich nicht unterschieden zwischen Vermögen des Mannes und Vermögen der Frau, sondern das Vermögen beider wird auf ganz gleiche Weise behandelt, dagegen wird unterschieden zwischen dem Immobiliarsvermögen und dem Mobiliarsvermögen der beiden Ehegatten. 2. Über das sämtliche Mobiliarsvermögen hat der Ehemann ein freies Verfügungsrecht. Dagegen kann er über die Immobilien, sie mögen seine eigenen sein oder seiner Frau gehören nur, mit gesamter[329]Hand, d. h. in Verbindung mit seiner Frau verfügen. An die Einwilligung der Kinder sind die Ehegatten aber auch bei der Veräußerung von Grundstücken nicht gebunden. 3.  Bei Aufhebung der Ehe fallen die vorhandenen Mobilien immer dem überlebenden Ehegatten zu. Er hat aber dafür die Schulden abzutragen. An den Immobilien hat der Überlebende schon dem Recht nach sowohl bei beerbter, wie unbeerbter Ehe eine lebenslängliche Leibzucht und zwar einerlei ob der Mann oder die Frau es ist. 4. Bei beerbter Ehe sind alle beiden Ehegatten zuständigen Immobilien den Kindern aus dieser Ehe verfangen (cf. § 173) dies besteht darin, daß der Überlebende von den in der Ehe vorhandenen Immobilien veräußern darf ohne Einwilligung der Kinder fer-

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ner, daß wenn der Überlebende eine 2te Ehe eingeht, die Kinder der ersten Ehe auf diese Immobilien ein ausschließliches Erbrecht haben (vor den Kindern der 2ten Ehe). Dies Verhältnis der reinen Verfangenschaft ist aber schon früh in mehreren Statuten dahin modificirt, daß der überlebende parens mit den Kindern abtheilen und dadurch von dem Verfangenschaftsrecht der Kinder frei kommt.[330]So kann man unterscheiden, das reine Verfangenschaftsrecht und das Theilrecht. Letzteres kommt in den verschiedenen Statuten in verschiedenen Arten vor, sowohl in Beziehung auf die Quoten, als auch in Beziehung auf die verschiedene Obejecte. Das Object der Theilung ist entweder blos das Vermögen des überlebenden Ehegatten, wobei das des Verstorbenen den Kindern verbleibt, oder es ist Object der Theilung des vereinigten Vermögen beider Ehegatten. Die Theilung tritt aber nicht sofort mit der Aufhebung der Ehe ein, sondern regelmäßig erst wenn der parens wieder heirathen will. 5. Bei unbeerbter Ehe kommen die eingebrachten Immobilien des verstorbenen den nächsten Erben des Verstorbenen nach beendigter Leibzucht des überlebenden Ehegatten zu die in der Ehe erworbenen Immobilien fallen gewöhnlich an den überlebenden Ehegatten, wo aber schon im Mittelalter das Recht der nächsten Erben verschwunden war, da bildete sich in einzelnen Statuten ein ausschließliches Eherecht des überlebenden Ehegatten am ganzen Vermögen aus, in dem das unbeweglichen Vermögen da dem beweglichen geleichgestellt wurde. [331]§ 189 und 190 2. Spätere Veränderungen im Güterrecht der Ehegatten In beiden obigen Systemen ging nach Einführung des römischen Rechts eine große Veränderung vor. Wo Juristen das System der Gütereinheit einheitlich vorfanden, beachteten sie nur, daß dem Ehemann die ganze Errungenschaft (ausge­ nommen die Gerade) zufiel. Sie faßten daher die Gütereinheit als ein Nießbrauchs­ recht auf, welches der Mann schon in Deutschland dem Recht nach an dem Vermögen der Frau habe. Dabei ließen die Juristen es ganz unbeachtet, daß der Mann nach dem bis dahin geltenden Recht im Fall der echten Noth auch ein Veräußerungsrecht am Vermögen der Frau habe. Einen Nießbrauch des Mannes nannten die Juristen: ususfructus maritalis. (So gilt es dann meistens in den Ländern des Sachsenspiegels). Weit größere Schwierigkeiten bereiteten den Juristen das System der gesamten Hand. Wo sie es vorfanden bezeichneten sie es mit dem Ausdruck: eheliche Gütergemeinschaft“ Da wo der überlebende Ehegatte das gesamte Vermögen erbte oder auch bei beerbter Ehe wenn es zur Theilung kam; das vereinigte Vermögen beider Ehegatten blos der Theilung war, nannte man es allgemeine eheliche Gütergemeinschaft“. Dasselbe nahmen sie auch an,[332]wo die Verfangenschaft galt, aber durch Theilung aufgehoben werden konnte. Wenn aber den Kindern schon beim Tode des einen parens das Vermögen desselben zufiel, oder auch das Vermögen des überlebenden Ehegatten getheilt wurde nannten sie es die particuläre Gütergemeinschaft diese nahmen sie auch überall da an, wo bei beerbter Ehe die von dem verstorbenen Ehegatten eingebrachten Immobilien den nächsten Erben zufiel, dem überlebenden nur die Leibzucht daran zukam. In der überwiegenden Mehrzahl der Statuten aber bewirkte die Reception des römischen Rechts eine Aufhebung der reinen Verfangenschaftsrechts. Dies geschah so 1. man

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beschränkte das Verfangenschaftsrecht auf das Vermögen des verstorbenen Ehegatten, während der überlebende Ehegatte an seinem eigenen Vermögen ganz freie Disposition erhielt (Frankfurt, Worms) 2. man hob die Verfangenschaft überhaupt auf und ließ die bisher als verfangen betrachteten Güter nach ihrem Ursprung zurückfallen (Nassau, Trier) dabei blieb aber dem überlebenden Ehegatten bei beerbter Ehe häufig das Recht des Besitzes und bei unbeerbter Ehe wenigstens ein Nießbrauch an dem Vermögen des verstorbenen Ehegatten.[333]Beim Eindringen des römischen Rechts erhielt sich in wenigen Gegenden von dem ehelichen Güterrecht vorzüglich des ehelichen Erbrecht, welches die Juristen von nun an „statutarische Erbtheil in Deutschland (portio statutaria) Deutschland“ genannt wurde. Die bisher angeführten Modificationen des ehelichen Erbrechts sind nur die wichtigsten, sie sind in den verschiedenen Particularrechten sehr verschieden. Dem obigen nach kann man im Wesentlichen folgende Hauptsysteme der in Deutschland vorkommenden ehelichen Güterrechte annehmen: 1. das System der Gütereinheit. Aus diesem System hat sich in manchen Gegenden abgezweigt, 2. das System des ehemännlichen Nießbrauchsususfructus maritalis (cf. § 196 lit. a) Dies ist sehr verbreitet 3. Das System der Gütergemeinschaft, entweder allgemein oder particuläre Gütergemeinschaft. Die allgemeine Gütergemeinschaft findet sich besonders in Städten zuweilen auf dem Lande. Da so viele Städte das Stadtrecht einer andern annahmen, so erklärt sich ihre sporadisch Erscheinung in Städten, in deren Umgebung möglicherweise ganz andere Systeme gelten.[334]4. das römische Dotalsystem. Dies ist aber viel weniger eingedrungen, als man oft annimmt, und keineswegs ist es gemeines Recht geworden. Selbst wo es für geltend gehalten wird, kommt es doch dem ususfructus mar. näher als dem römischen Dotalrecht. Es widerspricht im Ganzen dem deutschen Rechtsgefühl, daß der Mann nicht über alles Vermögen der Frau die Verwaltung und den Genuß davon haben sollte. cf. Rathmann einige Worte über eheliches Güterrecht Berlin (in den letzten Jahren) Der das Dotalrecht in Deutschland ganz leugnet, während früher sogar manche Juristen das römische Dotalrecht als das gemeine Recht angesehen wurde und vielleicht von einigen Romanisten­[Rath­mann geht aber gewiss zu weit]Überall wo nicht allgemeine Gütergemeinschaft gilt können noch einzelne besondere Institute vorkommen, die jetzt betrachtet ­werden. B. Heutiges Recht § 191 1. Heirathsgut und Aussteuer Der Ausdruck Heirathsgut „Aussteuer“ wird zuweilen als eine wahre cosi verstanden. Weit häufiger bezeichnen diese Ausdrücke jedoch das dem ehemännlichen Nießbrauch unterworfenen Vermögen der Frau.[335]Im allgemeinen werden diejenigen die nach römischem Recht zu dotiren verpflichtet sind, auch in Deutschland verpflichtet, der Frau ein Heirathsgut zu geben (also besonders die Ascendenten der Frau). Dies gilt aber nur dann, wenn auch die Voraussetzung des römischen Rechts bei den zu Dotirenden zutrifft, daß sie nämlich frei über ihr Vermögen disponiren können. Dies kommt besonders in Betracht, wenn der zu dotirende Verpflichtete ein Lehn- oder Stammgut besitzt, und wenn daher solche Personen do-

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tiren sollen besteht solche Verpflichtung nur soweit, als sie durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht begründet ist. Auch bei dem Bauernstande ist der römischen Grundsatz von der dos necessaria nicht schlechthin anwendbar, sondern hier hängt alles vom Landesgebrauch ab. Das Heirathsgut im weitesten Sinn zerfällt: 1. in die Aussteuer im engeren Sinn, die für den unmittelbaren Gebrauch der Frau und der Familie bestimmten beweglichen Sachen, Kleider, Hausgeräthe, Schmuck, Maukel etc. (Gerade) Die Aussteuer in diesem Sinn heißt häufig Brautfahrt (besonders auf dem Lande) auch Kistenpfand. Auswerfung[336]2. das Heirthsgut im engeren Sinn besteht in Liegenschaften, Forderungen, Kaufmannswaren, Geld: kurz in Capitalvermögen. Beide Theile, Aussteuer und Heirathsgut, können auch während der Ehe vermehrt werden, besonders durch der Frau anfallende Erbschaften. Ob nun die Aussteuer im engern Sinn nach den Grundsätzen der römischen dos zu beurtheilen sei, ist bis heute bestritten. Allein diese Frage läßt sich überhaupt nicht im Allgemeinen beantworten, sondern es kommt hierbei lediglich auf die Absicht der Contrahenten und den Brauch der Gegend an. Nach der Absicht der Contrahenten wird meistens etwas der römischen dos geradezu entgegengesetztes gewollt. Die Frau will meistens ihr Eigenthum an der Aussteuer und dem Heirathsgut bewahren. § 192 2. Widerlage Schon im Mittelalter war es in einigen Gegenden gebräuchlich daß der Mann der Frau eine Summe von der Größe ihres hingebrachten ausbezahlte, den ihr nach seinem Tode mit ihrem Eingebrachten ausbezahlt werden sollte, Widerlage, Gegenvermächtniß. Dies hat sich im Particularrecht bis heute erhalten. Ihren Grund hat diese wahrscheinlich darin, daß andere[337]Vortheile welche die Frau sonst beim Tode des Mannes erhalten sollte, ihr dadurch ersetzt werden sollen, so schon im Sachsenspiegel. Diese Widerlage ist demnach ein eigenthümliches Institut nicht zu verwechseln mit der römischen donatio privilegium hypothecae nicht auf die Widerlage angewandt werden. Alles übrige hängt von particularrechtlichen Bestimmungen ab. 3. Witthum § 193 a. Vidaalitium Unter Witthum im weiteren Sinn versteht man jede Versorgung, welche der Frau nach dem Tode des Mannes aus seinem Vermögen zufällt und von den Erben derselben zu prästiren ist. Dies Institut (im ältern Recht Leibzucht genannt) hat sich am meisten beim Adel erhalten. Man unterscheidet heutzutage 2 Arten 1. Das lotalitium (Surrogat für ihr Eingebrachtes folgender §) 2. das Witthum im engeren Sinn, vidaalitium (die eigentliche deutsche Leibzucht) d. h. jede Versorgung der Frau ohne Rücksicht auf die Größe ihres Eingebrachten. Der Gegenstand derselben [338]kann bestehen in dem Nießbrauch eines Grundstücks, oder in den Zinsen eines Capitals das dann Widerfallsgeld, oder in der Benutzung einer Wohnung, die dann Wittwensitz genannt wird, (besonders beim Adel) oder in einer auf die Güter gelegten Rente oder Naturalleistung oft auch mehreres oder alles obige zusammengenommen. (s. Grdr.) Sehr bestritten ist es ob das Witthum unbedingt auf Lebenszeit dauert, oder ob es bei der Wiederverheirathung der Wittwe wegfalle. Nach

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dem ältern Recht dauert die Leibzucht zeitlebens, nach heutigem Recht läßt sich etwas allgemeines nicht behaupten, vielmehr kommt alles auf den Sinn und Grund der Gesetze und Verträge an ob es also der Frau in eventum[…]oder sub conditione viduitatis ausgesetzt ist. s. Grdr N. 23 und 24. Oft liegt es allerdings schon in der Natur des Gegenstandes, daß bei einer Widerverheirathung das ­Witthum wegfällt (Wittwensitz). Die Frau verwirkt das Witthum durch Unzucht in der Ehe, also durch Ehebruch c. 4 F. 4. 20 Dies darf aber nicht auf eine nach der Ehe begangene Unzucht ausgedehnt werden. [339]§ 194 b. Dotalitium Schon früh kam es vor, daß die Frau beim Tode des Mannes ihr Eingebrachtes nicht in natura zurückerhielt, sondern die aestimatio in Geld. Gewöhnlich ließ das Weibe sich aber diese Summe nicht baar ausbezahlen, sondern sie von den Erben des Mannes vorzeihen (namentlich wenn sie Kinder hatte) Diese Zinsen betrugen im Mittelalter in der Regel 10 % weil der Zinsfuß damals so hoch gehen konnte. War der Frau eine Widerlage ausgesetzt, so wurde es damit ebenso gehalten; die Wittwe bekam also dann, wenn man die Zinsen blos nach dem Eingebrachten zu Grunde legte, im Ganzen 20 % von dem eingebrachten, also das 4fache der später üblich höchsten Zinsen. Die Juristen des 16ten Jahrhunderts wußten diese hohen Zinsen 20 % vom Eingebrachten, nicht anders zu vertheidigen, als daß sie annahmen, dieselben bildeten eine Leibrente, wodurch das Kapital absorbirt würde. Diese Leibrente welche die Frau bekam wurde von ihnen genannt dotalitium und dies Institut hat sich noch heutzutage hier und da z. B. oft beim Adel erhalten. In Ermangelung gesetzlicher Bestimmungen besteht das dotalitium noch in10 % resp. 20 %[340]Hierauf bezieht sich das Sprichwort „reiche Mütter, arme Kinder“ denn je mehr die Mütter eingebracht hat, desto weniger müßen die Kinder als gewöhnliche nächste Erben der Mutter leisten. Regelmäßig gelten beim dotalitium folgende Grundsätze 1. Wenn die Rente bezahlt wird so fällt dagegen die Forderung aus das Kapital des Eingebrachten weg (dotalitium absorbes dotem) (Leibzucht schwindet heutzutage oft) Nach einigen Particularrechten ist ihr die Wahl gelassen, ob sie diese Rente beziehen, oder ihr Eingebrachtes zurücknehmen will. 2. Es liegt in der Idee dieses Instituts, daß die Frau durch das dolalitium für ihr Eingebrachtes vollkommen entschädigt werden soll. Hieraus folgt, daß wenn das Eingebrachte Privilegien hat, das dotalitium diese gleichfalls zu haben muß (im Concurs etc) 3. Die Leibrente wird immer erst mit dem Tode der Frau beendigt, denn die Frau hat diese Rente im ihrem Eingebrachten verkauft und sie muß daher in Rücksicht des Surrogats dieselben Rechte haben wie an dem Einbrachten. § 195 4. Morgengabe Die ältere Morgengabe bestand ursprünglich immer blos in beweglichen Sachen. Zuweilen wird zwar auch eine Morgengabe an Immobilien erwähnt, dies[341]ist aber in der That nur eine Leibzucht. Die Morgengabe war von jeher nur eine Gabe von Todes wegen, auf den Wittwenstand der Frau berechnet, wie sich dies in der Art der Gegenstände zeigt (N. 4). Daher kam die Morgengabe auch nicht zur Aus-

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zählung, wenn die Frau vor dem Mann starb. Hieraus erklärt sich auch, daß der Ehemann bei der Morgengabe ohne Einwilligung seiner nächsten Erben ein gewisses maximum nicht überschreiten darf. Dies maximum richtet sich nach dem Stande des Mannes (S. 29N. 5). Seit dem eine Zuwendung von Todes wegen auch durch den bloßen Vertrag geschehen konnte fand auch dies bei der Morgengabe Anwendung und man nennt eine solche Morgengabe eine gelebte und in der ältern Form eine tradirte Morgengabe. Heutzutage hat die Morgengabe fast allgemein ihre frühere Bedeutung verloren, da sie unseren Sitten widerspricht. (Sie war früher zum Lehn für die Integrität der Jungfrau) Zuweilen hat der Gerichtsgebrauch die Morgengabe in eine Reihe nothwendiger Erbforderungen umgeschaffen. Eine Morgengabe in der ältern Gestalt kommt noch hier und da beim Adel und beim Bauernstande vor N. 17 lit. c § 196 5. Gütereinheit Die Gütereinheit ist im Wesentlichen noch die des ältern Rechts. Es gelten daher dafür folgende Grundsätze:[342]1. Jeder Ehegatte hat auch während der Ehe sein eigenes Vermögen. 2. Es steht aber das ganze Vermögen beider Ehegatten während der Ehe unter gemeinschaftlicher Verwaltung, regelmäßig des Ehemannes. Dies Verwaltungsrecht bezieht sich sowohl auf das während der Ehe Erworbene, als auch auf das Eingebrachte. Indessen können hier doch einzelne Sachen der Verwaltung entzogen sein, s. g. „Eingangsgüter“ und zwar entweder durch Verträge zwischen den Ehegatten, oder auch durch eine Bedingung, die ein Dritter bei der Zuwendung an die Frau macht. 3. in dieser Verwaltung ist auch enthalten ein freies Dispositionsrecht über die Errungenschaft zu den Zwecken der Ehe. Die Größe des hierzu erforderlichen Aufwandes hängt ganz vom Ermessen des Mannes ab. Überhaupt lassen sich für die Verwaltung des Ehemanns keine gewissen rechtlichen Grenzen ziehen, da diese der Innigkeit der Ehe widersprechen würden. Der Mann kann im Allgemeinen auch Erwerbungen für die Frau als ihr Vertreter machen. Dies gilt aber natürlich nicht von solchen Erwerbungen, wobei die Frau nothwendig selbst handeln muß, oder der Mann eines speciellen Auftrages der Frau bedarf. Ein solches Specialmandat ist für den Eid erforderlich. Dies gilt selbst dann, wenn durch das Nichthandeln der Frau dem Vermögen ein großer Zuwachs entgeht. Namentlich[343]giebt es auch kein Mittel, die Frau zur Antretung einer ihr deferirten Erbschaft zu zwingen. 4. Der Mann hat, aber kein Veräußerungsrecht in Beziehung auf die Substanz des Vermögens der Frau, außer im Fall der echten Noth. 5. Als ein Fall echter Noth wird es aber auch noch heutzutage betrachtet, wenn der Mann in Schulden erstickt ist. Daher kann er zur Zahlung der Schulden im Nothfall das Vermögen der Frau angreifen. Hierauf beruht es auch, daß im Concurs des Mannes die Gläubiger auch das Frauengut zu ihrer Befriedigung anzugreifen berechtigt sind, jedoch nur in subsidium. Aus demselben Grund kann die Frau auch nach beendigter Ehe wegen der von dem Mann contrahirten Schulden in Anspruch genommen werden. Hierauf beziehen sich die Sprichwörter: „Die dem Manne traut, traut auch der Schuld“ und „wem ich meinen Leib gönne, dem gönne ich auch mein Gut.“ Sie braucht jedoch den Gläubigern nur das Vermögen herauszugeben,

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was unter der Verwaltung des Mannes gestanden hat. Mit dem was die Frau erst nach dem Tode des Mannes erwirbt, haftet sie daher den Gläubigern, gar nicht. Nach manchen Rechten ist die Frau auch allerdings mit dem späteren Vermögen zu haften verpflichtet, wenn sie nicht gleich nach dem Tode ihres Mannes durch eine besondere Procedur ihre persönliche Haftung ablehnt. Diese Procedur besteht in einer Erklärung welche ursprünglich immer mit symbolischen Handlungen verbunden war, z. B. die Frau legte den Hausschlüssel auf die Todtenbahre) § 201 N. 18.24.23.[344]Die ursprüngliche Bedeutung dieser Procedur ist aber keineswegs daß sich die Wittwe von einer bereits vorhandenen persönlichen Haftungspflicht befreit, sondern vielmehr die, daß sie die Übernahme einer solchen Haftungspflicht von jetzt ablehnt. In späteren Zeiten, wo die Juristen die Frau als Erbin des Mannes betrachteten, hat man aber jener Procedur häufig die erstere Bedeutung beigelegt. Hieraus erklärt sich, daß die Juristen dies als eine besondere Rechtswohlthat für die Frau ansehen und es das beneficium abdicationis nannten. 6. Die Frau ist dagegen zu Verfügungen über ihr Vermögen nur in soweit berechtigt, wie die Rechte des Mannes dadurch nicht beeinträchtigt werden. Über das Vermögen des Mannes hat sie aber durchaus kein Verfügungsrecht. Hiervon machen nur solche Verfügungen eine Ausnahme, welche die Führung des gewöhnlichen Haushaltes erfordert. Dies Verfügungsrecht der Frau wird auf eine stillschweigende Einwilligung des Mannes gestützt. Allein hierbei verkennt man ganz und gar die Stellung welche der Hausfrau nach deutscher Sitte im Innern des Hauses von Rechtswegen beikommt; die Frau muß daher auch nöthigenfalls vom Richter darin geschützt werden. Die Grenze dieses Wirkungskreises der Frau lassen sich aber lediglich nach Stand und Gewerbe, nach den Sitten des Orts und nach der Persönlichkeit der Ehegatten bestimmen.[345]7. Schulden kann die Frau gemeinrechtlich zwar auch während der Ehe machen, aber auch nur in demselben Umfange, wie sie ein Verfügungsrecht hat. Ganz besonders wichtig zeigt sich dies aber beim Tode des Mannes. Nach demselben können allerdings die Gläubiger der Frau das Vermögen als Executionsgegenstand benutzen. Eine andere Frage ist es, wie es steht wenn die Frau während der Ehe nach Contrahirung der Schuld Vermögen erwirbt. Manche behaupten, daß dieses Vermögen ihren Gläubigern haftet. Allein diese Behauptung beruht auf einer irrigen Anwendung der Regel: bona non intelliguntur, nisi deducto aere alieno. Auch die späteren Statuten haben in Beziehung auf die Frage ob die Frau überhaupt während der Ehe Schulden contrahiren könne, oft die Grundsätze von der Altersvormundschaft eingewirkt. Wegen der Schulden, die auf einer die Rechte des Mannes nicht beeinträchtigenden Verfügung beruht, kann allerdings das Vermögen der Frau auch schon während der Ehe angegriffen werden. Daher gehören namentlich die Delictsschulden aus diesem Grund nicht zu denjenigen, wegen welcher das Vermögen der Frau während der Ehe nicht angegriffen werden kann. Aus demselben Grunde kann das Vermögen der Frau auch während der Ehe von ihrem vorehelichen Gläubiger als Execu­tions­gegenstand in Anspruch genommen werden. [346]Das Recht der Ehegatten von Todeswegen zu verfügen wird durch die Gütereinheit, an und für sich gar nicht berührt, denn letztere bezieht sich ja nur auf die Dauer der Ehe. Es kann daher jeder Ehegatte frei über sein Vermögen disponiren,

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vorausgesetzt, daß er nicht durch ein nothwendiges Erbrecht des andern Ehegatten beschränkt wird. Das Recht über das Vermögen der Frau von Todes wegen zu verfügen, liegt, nie im Verwaltungsrecht des Mannes. Bei Beendigung der Ehe tritt auch jetzt noch das Princip ein, daß das Vermögen beider Ehegatten wieder auseinanderfalle. Für das was von dem Ehegatten und während der Ehe Erworbene der Frau durch Überschreitung der Rechte des Mannes verloren gegangen ist, kann sie oder ihre Erben aus dem Vermögen des Mannes fordern. Dieser Ersatzforderung liegt sie Praxis gewöhnlich die Dotalprincipien bei, stellt sie jedoch meistens dem übrigen Gläubigern des Mannes nach. Nicht selten wird aber die Ersatzforderung durch die Vortheile, welche die Frau entweder vertragsmäßig oder schon gesetzlich aus dem Vermögen des Mannes zieht, absorbirt. Die Vortheile, welche dem überlebenden Ehegatten zukommen sind jetzt höchst verschieden und hängen lediglich von Particularrechten ab. Häufig hat der Überlebende[347]auch noch jetzt den Besitz an dem Vermögen des verstorbenen Ehegatten. § 196a Das ususfructus maritalis Unter ehemännlichem Nießbrauchsrecht ususfructus martialis versteht man das Recht des Ehemanns das Vermögen der Frau zu verwalten und zu genießen mit der Verpflichtung es nach Auflösung der Ehe zu restituiren. Es unterscheidet sich dies Nießbrauchrecht vom Recht der Gütereinheit im Wesentlichen nur dadurch, daß der Mann nur ein Nießbrauchsrecht, kein Veräußerungsrecht (bei echter Noth § 196) hat. Er darf also nur dem Verderben ausgesetzte Sachen veräußern, der Erlös daraus gehört aber wieder zum Vermögen der Frau. Mit Einwilligung der Frau kann aber der Mann (wie oben) frei veräußern, selbst Grundstücke. Der Umfang jenes Nießbrauchsrechts wird im Ganzen nach den Grundsätzen des römischem usus, ususfructus und quasi ususfructus beurtheilt. Nur findet hier keine Cautionsleistung des Mannes, als unerträglich mit dem Familienverhältnis, statt. (Ebenso ist es mit dem ususfructus den der Vater an den bara adolescent der Kinder hat). Die Ausübung des ususfructus darf dem Ehemann auch nicht wie ein gewöhnliches ususfructus an Andern überlassen und namentlich nicht verpfändet werden; denn das Nießbrauchsrecht steht dem Manne zu[348]um die Kosten und Lasten der Ehe derart decken zu helfen, nicht aber um sich dadurch die Früchte allein anzueignen. Eine sehr bestrittene Frage aber ist es, ob der Nießbrauch von den Gläubigern des Mannes während der Ehe als Executionsgegenstand ergriffen und beim Concurs des Mannes zur Concursmasse gegeben werden darf. Für die bejahende Meinung sprechen folgende Gründe 1. wenn der ususfructus auch seiner Natur nach an einen Dritten nicht cedirt werden dürfe, so können doch die Ausübung desselben zur Concursmasse gezogen werden. 2. die Ansprüche der Frau und deren Kindern könnten durch vorbehaltene standesgemäße Alimente gesichert werden. Kraut mit mehreren andern dagegen dann bei dieser Ansicht ist das Familienverhältnis Zweck des dem Mann gegebenen Nießbrauchsrechts zu wenig berücksichtig, denn der ususfructus ist nicht blos auf den nöthigen Unterhalt, sondern auf die Beförderung der ganzen zeitlichen Wohls der Familienglieder berechnet. Wenn gleich der Überschuß von dem Betrage des Hauptguts der dem Manne bleibt und er darauf Schul-

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den machen kann, so kann er letzteres doch nicht schon auf den künftigen Erwerb aus dem Gute der Frau im Voraus, wie es sonst der Fall sein würde.[349]Eine andere Frage ist es aber, ob wenn der Mann in Concurs geräth, nicht von Seiten der Frau ihm der Nießbrauch ihres Vermögens entzogen werden kann, damit er ihn nicht allmählig zur Befriedigung der Gläubiger verwendet. Bei der römischen dos ist es Grundsatz die dos in diesem Fall dem Manne zu entziehen. Manche haben dies auch auf den ususfructus maritalis anwenden wollen ex parte rationis – l 24 pr und § 1 D. 24. 3; l. 29 cod. 5. 12 de jure dotium Eine solche Gleichheit des Grundes findet hier aber keineswegs statt, da der ususfr. maritalis auf ganz andern Grundsätzen beruht, als die römische dos. Aber auch der politische Grund, welcher hierbei angenommen werden könnte, ist hier keineswegs immer vorhanden. (Er kann nur der sein, der Frau der möglichen Gefahr ihr Vermögen zu verlieren zu überheben.) Denn der Concurs ist an und für sich noch kein Grund der Prodigalität des Mannes. Concurs kann auch reines Unglück sein. Anders wenn der Concurs Folge schlechter Wirthschaft ist, dann ist auch für die Frau Gefahr. Dann kann der Frau durch einen Richter geholfen werden oder durch einen Curator und dann kommen die gewöhnlichen Prodigalitätsgrundsätze in Betracht. Auf Früchte aus dem Vermögen des Frau behält dann aber trotzdem der Mann ein Recht, wenn[350]ihm auch die Verwaltung entgegen ist, da diese zu den Kosten und Lasten des Ehestandes verwandt werden müssen. (Preußisches Landrecht weicht ab – lit. f. dort fällt das Vermögen auseinander). Da der ususfr. mar. kein Dotalrecht ist, so können die Privile­ ypothek aber die gien dolis hier nicht angewendet werden. Die stillschweigende H der Frau nach der Praxis wegen aller Paraphernalvermögen gegeben ist, wird auch auf den ususfr. mar. ausgedehnt. Allerdings haben aber Praxis und Gesetzgebung der Frau zur Restitution ihres Vermögens auch die privil. dotis beigelegt. Hieraus erklärt sich auch, daß man das dem ususfr. mar. unterworfene Vermögen auch häufig Dotalgut nennt. Mit dem System des ehemännlichen Nießbrauchsrecht zu verwechseln ist wo der Grundsatz gilt: Weibergut soll nicht schwinden noch wachsen.“ Wo das ehemännliche Nießbrauchsrecht gilt, braucht der Mann oder dessen Erben nur für das zu haften, was von dem Vermögen der Ehefrau durch sein wirthschaften zu Gunde gegangen ist, für eine zufälligen Verlust und für Werthverringerung durch gewöhnliche Umstände haftet der Mann nicht; Auch sofern der Nießbrauch in einen Quasiususfructus übergegangen ist – ebensowenig kommt dem Mann die ohne sein Zuthun eingetretene Werth­erlösung des Vermögens[351]der Frau zu Gute, da diese Wertherhöhung nicht zur Errungenschaft gehört. Wo aber der obige Grundsatz, Weibergut etc. gilt, muß der Frau immer soviel restituirt werden, als sie dem Manne wirklich eingebracht hat. Auf der anderen Seite fällt aber auch dem Manne das zu, was das Vermögen der Frau während der Ehe zugenommen hat. 6. Eheliche Gütergemeinschaft § 197 a. Begriff und Eintheilung Unter Gütergemeinschaft im engeren Sinn oder innerer Gütergemeinschaft versteht man das Verhältnis wobei schon während der Ehe alles Vermögen der Ehegatten, oder doch einzelne Bestandtheil derselben auch innerlich vereinigt sind durch

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eine wahre confusio. Je nachdem das Eine oder Andere der Fall ist, wird die Gütergemeinschaft eingehteilt in die allgemeine und die paticulare Gütergemeinschaft. Die Gütergemeinschaft ist aus der gesamten Hand des alten Rechts hervorgegangen. Im weiteren Sinn umfaßt der Ausdruck Gütergemeinschaft auch die Gütereinheit mit und daraus entstand große Verwirrung. Wie bei der eigentlichen Gütergemeinschaft die Grundsätze über das Eigenthum juristisch aufzulösen seien hat, viel Streit veranlaßt. Es kommen hier besonders folgende[352]Auffassungen vor: 1. beiden Ehegatten wird ein Miteigenthum mit ideelen Theilen an dem Gesamtgut gegeben (nicht nothwendig mit gleichem ideelen Theilen) 2. beiden Ehegatten wird ein condominium plurium in solidum beigelgt. 3. beiden Ehegatten werden als eine juristische Person im römischen Sinn aufgefaßt und dieser juristischen Person steht das Eigenthum an dem Gesamtgut zu 4. es wird der Ehemann als alleiniger Eigenthümer des Gesamtguts betrachtet. Die erste Auffassung findet sich auch in mehreren Particularrechten (cf. § 203 N. 1 aus d. Würtemberger Landrecht) Allein sie läßt sich meistens gar nicht mit den Bedürfnissen und der Idee der Ehe in Einklang bringen. Denn die Innigkeit des ehelichen Lebens will keine Theilung des ehelichen Vermögens. Daher treten selbst da wo dieses Verhältnis durch Particularrecht modificirt ist, während der Ehe keine Theile am Gesamtgut hervor weder bei Veräußerungen von Sachen noch beim Erwerb von Forderungen und Übernahme von Schäden. Erst bei Beendigung der Ehe tritt diese Theilung ein. Auch widersprechen dieser Ansicht z. B. (N. 4–7 oder § 198) (cf. § 201 N. 1 und N. 6) Die 2te Auffassung widerspricht dem Begriffe des Eigenthums. Um diesen Widerspruch zu entgehen, greift[353]Hasse zur Idee einer durch beide Ehegatten gebildeten juristischen Person. Ihm sind hier gefolgt Eichhorn u. a.[…]. Letzterer entwickelt die Hassesche Ansicht in die Consequenzen hinein. Dieser Hasseschen Ansicht steht entgegen, wie Runde dargethan, daß die juristische Person hier jedenfalls in einem wesentlichen Punkte von den römischen verschieden sein muß. Sie ist nämlich nothwendig durch das Bestehen der Ehe bedingt, während die römische juristische Person trotz des Wechsels oder Ausfalls der Mitglieder dieselbe bleibt. Diese Verschiedenheit führt aber zu größten Inconsequenzen. Dazu gehört namentlich daß bei der Unzulässigkeit der Gesamtschuld keiner persönlich zu haften bräuchte. Dazu kommt, daß jene Ansicht in den Rechtsquellen keinen Beleg findet[…]– Dieser hat daher die Idee eines alleinigen Eigenthums des Ehemannes aufgestellt und befestigt. Dieser Auffassung widerspricht 1.  der Grundsatz des deutschen Familienrechts, wonach nie die selbst untergeordnete Person nicht ganz untergeht. 2. auch die Geschichte des ehelichen Güterrechts denn im Mittelalter hatte die Frau durchaus nicht ihr Eigenthum während der Ehe verloren. 3. die volksthümliche Sprache, welche von Gütergemeinschaft aber nicht von des Mannes alleinigem Eigenthum spricht.[354]4. läßt sich diese Idee auch nicht in der Praxis vollkommen durchführen. Richtiger ist es wohl hier ein genossenschaftliches Recht unter den Ehegatten anzunehmen, bei welcher zwar wegen den Innigkeiten der Ehe keiner der Ehegatten seine vollständige juristische Persönlichkeit unbeschränkt hat, aber beide doch auch nicht in einer juristische Person auf­gehen, so daß man von gar keiner einzelnen Persönlichkeit sprechen könne. Es ist ein

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Glück, alle diese verschiedenen Ansichten praktisch von so weniger Bedeutung sind. Bei jeder Art der Gütergemeinschaft geht das Gesamtgut als ein einziges Vermögen in die Gewalt des Mannes über. (Unmündigkeit derselben Grdr in den §) d. Umfang der Gütergemeinschaft A. Allgemeine Gütergemeinschaft § 200 A. Bedeutung derselben Wenngleich die allgemeine Gütergemeinschaft sich auf das ganze Vermögen beider Ehegatten erstreckt, so gilt es doch nur als Regel, die Ausnahmen hat. Es widerspricht daher nicht derselben, wenn einzelne Sachen (Einhandsgüter) durch Beendigung oder Vertrag ausgenommen sind. Aber diese Ausnahme darf nicht ganze Classen von Gütern z. B. alle Grundstücke[355]sein, Lehn- und Stammgüter können noch[…]nicht der allgemeinen Gütergemeinschaft so unterworfen sein, da die Lehen bei der Familie, bei dem Staat bleiben solle. Soweit jedoch das Recht am Lehn übertragbar ist, bildet es allerdings einen Gegenstand der Gütergemeinschaft, die sich also über die Früchte der Lehn- u- Stammgüter erstreckt. Dieselbe gilt im Wesentlichen auch von Bauerngütern, wenn sie nicht frei übertragbar sind. Ganz besonders fragt es sich hier, werden auch die vorehelichen Schulden bei den Ehegatten gemeinsam? Zuförderst leidet es keinen Zweifel, daß die Gläubiger auf alles vom Ehegatten Eingebrachte und das noch zu Erwerbende Anspruch; denn das ihm zustehende Recht kann nicht durch das Eintreten der Gütergemeinschaft geschmälert werden. Ferner leidet es keinen Zweifel, daß der Mann auch hier das von der Frau eingebrachte Vermögen angreifen kann um seine vorehelichen Schulden zu bezahlen. Zweifelshaft ist es aber, ob umgekehrt die Gläubiger der Frau auf der vom Mann eingebrachten Vermögen in subsid. in Anspruch nehmen könne. Hasse will das nicht zulassen. Doch ist es richtiger, daß auch der Mann für die Schulden der Frau in subsid. eintritt, denn bei den allgemeinen Gütergemeinschaft wird das Vermögen so confundirt, daß eine Theilung anzunehmen, dem allgemeinen Begriff derselben widerstreitet.[356]Auch ist diese Ansicht meistens von der Praxis befolgt und auch sonst in vielen Particularrechten angenommen (§ 98 N. 4) Es fragt sich nun, auf welche Weise ist hier zu verfahren? Nämlich wenn die Frau der verschuldete Theil ist, so versteht es sich nicht von selbst, daß die Gläubiger sich direct an den Mann halten können. Allein die Praxis hat stets eine direkte Klage gegen den Mann als Verwalter des Gemeinvermögens angenommen. § 201 B. Rechtsverhältnisse während der Ehe Die Herrschaft des Mannes über das Gesamtgut giebt ihm hier nicht nur ein Verwaltungsrecht, sondern auch ein Verfügungsrecht in Beziehung auf alle Bestandtheile des Gesamtguts d. h. zum Zweck des ehelichen Lebens. Die Einwilligung der Frau ist auch bei Grundstücken jetzt nicht mehr erforderlich. Das Verfügungsrecht des Mannes erstreckt sich aber nicht auf Liberalität mit Ausnahme von Geschenken, die die Sitte oder der Anstand verlangen. Da gerade der Ehemann das Ver­fügungsrecht nur zu Zwecken des ehelichen Lebens hat, so folgt daraus, daß er das ganze Vermögen veräußern kann, z. B. in Leibrente nehmen. Mit dem Haften der Frau für die vom Mann während der Ehe contrahirten Schulden

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steht es ebenso wie beim System der Gütereinheit. Das Verfügungsrecht der Frau ist hier auf gleiche Weise beschränkt wie bei jenem System. Besondere Schwierigkeiten machen hier die Delicts-[357]schulden der Ehegatten. Hinsichtlich dieser wird häufig angenommen, daß das Gesamtvermögen nicht dafür zu haften brauche: Damit aber die Delictsschuld durch die Gütergemeinschaft nicht unrealisirbar werde, nimmt man an, daß aus dem Gesamtgut die Delictsschuld vorgeschossen wird. Dieser Vorschuß müße aber nach Beendigung der Ehe dem Betreffenden angerechnet werden; eine Ansicht die auch in mehreren Particularrechten sanctionirt ist. (N. 13 und 14) Allein richtiger ist es wohl zu behaupten, daß alle, auch die Delictsschulden sowohl des Mannes, als auch der Frau aus dem Gesamtvermögen bezahlt werden müssen. (cf. 12 pag. 378) Wie steht es mit Verfügungen von Todeswegen? Nach dem Begriffe der Gütergemeinschaft müßte man eigentlich behaupten, daß nur beide Ehegatten zusammen Verfügungen über das Gesamtgut treffen können; doch ist dann jedem Erben das Verfügungsrecht über den Theil gestattet, der nach seinem Tode seinen Erben zufallen würde. § 202 C. Rechtsverhältnisse nach getrennter Ehe Die Anhänger des condominium plurarium in solidum haben häufig behauptet, es folge schon aus dem Begriff der Gütergemeinschaft, daß der Überlebende allein das Recht über das Gesamtgut habe. Dies nennt man[…]Allein diese Folgerung fällt schon dem Begriff nach als unrichtig weg. Es lassen sich auch hier die Succes-[358]sionsverhältnisse nicht aus einem logischen Begriff ableiten, sondern alle beruhen auf dem Recht, Gesetzes- oder Gewohnheitsrecht. In dieser Beziehung finden wir aber verschiedene Bestimmungen in den Particulargesetzen und unterscheiden die meisten hier zwischen beerbter und unbeerbter Ehe. 1. Bei unbeerbter Ehe behält der Überlebende allein das Gesamtgut und wird wahrer Erbe des Verstorbenen. Nach andern Rechten wird wieder aus dem Gesamtgute des von dem überlebenden Ehegatten Eingebrachte ausgeschieden und dieses ihm im Voraus überlassen. 2. bei beerbter Ehe sind die Verschiedenheiten noch größer. Die gewöhnlichen Fälle sind: a. die Hälfte des Gesamtguts fällt den Kindern als Erben zu, die andere Hälfte bekommt der überlebende Ehegatte, zuweilen mit der Modification, daß der überlebende das Recht des Beisitzes auch an der Hälfte der Kinder hat.b. Zuweilen bekommt der überlebende Ehegatte eine Quote von der andern Hälfte c. Oft bleibt als Gesamtgut auch ohne ideelle Theile in der Verwaltung des überlebenden Ehegatten. d. Bald behält der überlebende Ehegatte das Gesamtgut zu Eigenthum und die Kinder haben daraus eine feste erbliche Anwartschaft.[359] e. Bald endlich werden umgekehrt die Kinder als Eigenthümer des Gesamtguts betrachtet und dem überlebenden parens der ususfructus omnium bonorum gegeben. B. Particuläre Gütergemeinschaft § 203 A. Verschiedene Arten Particuläre Gütergemeinschaft ist die Gemeinschaft, wo ganze Vermögenstheile von derselben ausgenommen sind. Es kommt ihr daher immer neben dem Gesamtgut auch Sondergut der beiden Ehegatten vor. Überall wo die particuläre Güter­

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gemeinschaft sich findet, erstreckt sie sich immer auf das als Errungenschaft angesehene was bei Beendigung der Ehe, nachdem das Sondergut ausgekehrt ist noch übrig bleibt. Dies nennt man eine Gemeinschaft des Zugewinnstes. Häufig werden auch außer der Errungenschaft noch sämtliche Mobilien gemeinsam. Das Sondergut besteht daher dann nur aus dem Eingebrachten und den während der Ehe zugefallenen Immobilien und deren Zusatz, denn die aus der Errungenschaft angeschafften Immobilien gehören ebenfalls zu dieser. § 204 B. Rechtsverhältnisse daraus während bestehender Ehe Bei Beurtheilung des Rechtsverhältnisses der Ehegatten während[360]muß man immer die 3 Gütermassen, die hier vorkommen, unterschieden. Alle 3 können mit einander in Abrechnungsverhältnissen stehen, so daß auf der einen Gütermasse zu Gunsten der andern eine Schuld ruhen kann. Die aus impensae herrühren, die aus der ersten auf die letzte gemacht sind. Der Ehemann hat regelmäßig alle 3 Güter­ massen zu verwalten aber mit verschiedenen Rechten 1. Über das Gesamtgut hat er dieselben Rechte, wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft 2.  Sein eigenes Sondergut verwaltet er als freies Eigenthum. Bei Veräußerung von Immobilien ist er über zuweilen an die Einwilligung der Frau gebunden. 3.  Das Sondergut der Frau verwaltet der Mann zwar schon dem Recht nach, nicht also vermöge einer Vollmacht der Frau, aber doch nur als Vertreter der Frau und ihrer Rechte. Er ist dasselbst für seine Verwaltung verantwortlich und in derselben beschränkt. Namentlich darf er nicht ohne Einwilligung der Frau veräußern. Ob der Mann ohne besondere Vollmacht der Frau bei Klagen über ihr Sondergut sie vertreten darf, hängt davon ab, ob eheliche Vormundschaft stattfindet. Oft hat der Mann an dem Sondergut der Frau den ususfructus maritalis. Er kann auch sein, daß ein Theil des Sonderguts ihm als dos bestellt ist.[361]Die Frau darf von ihrem Sondergut ohne Einwilligung der Frau[sic]nur ihre Mobilien veräußern. Ist ein Grundstück der Frau dem Mann in dotem gegeben, so gilt der römische Grundsatz, daß dieses selbst mit Einwilligung beider Ehegatten nicht veräußert werden darf. Wegen der vorehelichen Schulden galten die Grundsätze der allgemeinen Gütergemeinschaft. Besondere Schwierigkeiten machen die vom Mann während der Ehe contrahirten Schulden. Die Schulden, welche der Ehemann contrahirt hat, werden nur dann gemeinsam, wenn er sie als Verwalter des Gesamtgutes contrahirte. Im Allgemeinen kommt es hier darauf an, ob die Contrahirung der Schulden das eheliche Leben oder das Interesse des Gesamtguts betrifft oder nicht. Ist für die Schuld ein Gegenstand der einen oder anderen Masse verpfändet, so ist sie in dubio als Schuld aus dieser Gütermasse anzusehen. § 205 C. Rechtsverhältnisse daraus nach getrennter Ehe Bei Aufhebung der Ehe erhält jeder Ehegatte oder dessen Erbe sein Sondergut im Voraus. Indessen bekommt der Überlebende häufig eine possio statutaria, oder er hat den Besitz an dem, was den Erben des Verstorbenen gefällt. Das Schicksal des Gesamtguts ist hier ebenso[362]verschieden, wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft. Eigenthümlich ist aber bei der particulären Gütergemeinschaft, daß

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der Überlebende wenn er alle fahrende Habe bekommt, bis zum Bereiche derselben auch alle Schulden bezahlen muß (N. 83 p. 385 – N. 6 p. 386) Bekommt er sie nur zum Theil, so bezahlt der Überlebende die Schulden bald nur zu diesem Theil, bald ganz. Dies erklärt sich daraus – nach welcher die Schuld bald nur auf den Mobilien haftete, und oft nur auf einem Theile derselben. Die spätere Praxis hat dies überall modificirt. Gewöhnlich ist dies so geschehen, daß man § 205a Anhang: Von verheiratheten Kauf- oder Handelsfrauen Überall wo Gütergemeinschaft oder Gütereinheit gilt, sind Kauf- oder Handelsfrauen nicht so beschränkt durch das Recht des Mannes, wie andere Ehefrauen. Vielmehr können solche ebenso frei über das Gesamtgut disponiren und Schulden darauf machen, wie der Mann. Wann ist aber eine Ehefrau als Handelsfrau zu betrachten? Zuerst leidet das keinen Zweifel, wenn die Ehefrau schon vor ihrer Ehe eine Handelsfrau war, daß sie diese Eigenschaft durch Eingehung der Ehe an und für sich nicht verliert.[363]Allerdings hat aber der Mann das Recht ihr diese Eigenschaft zu entziehen. Ferner leidet es auch keinen Zweifel, daß die Frau keinen Handel ohne Einwilligung des Mannes während der Ehe anfangen darf. Dagegen ist es streitig, ob wenn der Mann Kaufmann ist und die Frau wirklich Theil nimmt am Handel, sie dadurch zu einer Kauffrau wird, oder die Stelle eines Commis einnimmt. Wichtig ist dies, weil im ersten Fall sie auch persönlich durch die Schuld obligirt wird. Man muß bei der allgemeinen Gütergemeinschaft das erste behaupten, denn da Alles, was durch den Handel erworben wird in das Gesamtgut fällt, so wird die Handlung auch auf Rechnung der Frau geführt und mehr ist zu dem Begriffe einer Kauffrau nicht erforderlich. Allerdings kann auch die Frau eines Kaufmannes die Handlung: Allein die dazu erforderliche Einwilligung des Mannes liegt darin, daß er sie an dem Handelsgeschäft theilehmen lässt (Kraut VormdR II Pag. 578) Außer in Handelsgeschäften hat aber eine Handelsfrau diese Vollständigkeit nicht (nachträglich § 198) Die Lehre von der Entstehung der Gütergemeinschaft Die Gütereinheit- und Gemeinschaft kann entstehen: 1. durch Gesetz (gewöhnlich) dies ist immer dann der Fall wenn ein Gesetz an irgend ein factum, welches kein Gesetz es, das eheliche Güterrecht knüpft.[364]Dieses factum ist nach einigen Rechten die Eingehung der Ehe, nach andern Rechten die Beschreitung des Ehebettes, andere Particularrechte lassen erst mit Geburt und Kindern und noch andere erst nach Jahr und Tag nach Eingehung der Ehe die Gütergemeinschaft eintreten. Die allgemeine Gütergemeinschaft erstreckt sich selten mit auf den Adel und auf die Staatsdiener (N. 1) 2.  durch Vertrag. Für solche Gütergemeinschaft oder Einheit giebt es einige Gesetzgebungen abgerechnet, keine andren entscheidenden Quellen als den Vertrag selbst. Seitdem man gestattet durch Vertrag das gesetzliche Güterrecht abzuwenden, erlaubt man auch durch Vertrag das gesetzliche Güterrecht ganz auszuschließen. Dies kann jetzt als gemeinschaftlicher Grundsatz betrachtet werden. Einige Particularrechte erkennen aber solche gesetzlichen Erlaubungen nicht an z. B. Hamburg und die meisten Rechte legen solchen Rechte,

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legen solchen Verträgen nur dann Gültigkeit bei, wenn sie publicirt sind (cf. N. 1). Auch muß man behaupten, daß wenn durch solche Verträge das Recht Dritter verändert werden soll, die Publication für ein rechtliches Erforderniß gehalten werden muß, da es stets nie das Particularrecht ist, worauf die Gütergemeinschaft beruht, so fragt es sich auf welches Gesetz man bei Beurtheilung dieses Güterrechts Rücksicht nehmen müsse. Hier ist zunächst[365]das Gesetz des Bezirks zu betrachten, wo der Ehemann domicilirt ist, und zwar auch der Zeitpunkt, wo das factum eintritt, mit welchem das Gesetz die Gütergemeinschaft begründet. Eine höchst bestrittene Frage ist es aber, ob die Ehegatten, wenn sie den Ort verändern, auch ihr Recht verändern. Im Wesentlichen lassen sich 3 Meinungen unterscheiden: 1. eine Ortsveränderung soll keine Rechtsveränderung zur Folge haben (Savigny) 2. der an dem neuen Orte geltende eheliche Güterrecht soll an die Stelle des vori­gen treten, wenn die Ehegatten nichts durch Vertrag das vorige Güterrecht haben beibehalten wollen. 3. Eine dritte Meinung schlägt einen Mittelweg ein, nach dieser soll auch das Gesetz des jedesmaligen Orts im Allgemeinen Fall entschieden, jedoch soll das an einem Ort einmal erworbene Vermögen als jus quaesitum geltend bleiben und darüber die Gesetze des Erwerbsortes gelten (Kierulff, Puchta) Die meisten Anhänger der ersten Meinung gründen sie darauf, daß auch das gesetzliche Güterrecht der Ehegatten auf einem stillschweigenden Vertrage beruhe, indem die Ehegatten, wenn sie die gesetzlichen Vorschriften nicht abändern, sie stillschweigend anerken­ nen.[366]Diesem ist von den Anhängern der 2ten Ansicht mit Recht entgegengesetzt, daß aus dem bloßen Unterlassen der Abänderung des Gesetzes noch nicht die verbindliche Einwilligung der Anerkennung desselben bedinge. Nun mußten aber alle Rechtsverhältnisse einer Person, welche nicht auf Vertrag beruhen, nach den Gesetzen seines jedesmaligen Wohnorts behandelt werden.“ Andern (namentlich Wächter, Collision der Gesetze) haben zwar die erste Meinung durch die Behauptung aufrecht zu halten gesucht, daß es sich hier gar nicht um einen stillschweigenden Vertrag handle, sondern in der Eingehung der Ehe liege ein ausdrücklicher Vertrag, dieses oder jenes Güterrecht annehmen zu wollen und ein solches ausdrücklicher Vertrag müße respectirt werden. Doch diese scharfsinnige Meinung ist auch nicht haltbar. Es muß dieser Versuch als gänzlich mißlungen betrachtet werden. Der 2ten Meinung steht entgegen, daß es allgemein anerkannter Grundsatz ist, daß die in einem Lande wohl erworbene Rechte in einem andern Land auch anerkannt werden. Dies kann natürlich aber nur von den Rechten gelten die an dem frühern Wohnort bereits erworben sind. Es muß daher nach Kraut die 3te Ansicht für richtig angesehen werden. Zu den erworbenen Rechten gehören aber nicht wie manche annehmen[367]Erbansprüche der Ehegatten, denn diese sind immer nach dem jedesmaligen Wohnort des[des]Erblassers zu beurtheilen und ebensowenig können zu den wohlerworbenen Rechten die Ansprüche der Gläubiger der Ehegatten gezählt werden, denn die Gläubiger können nur dasjenige Vermögen als objectum excussionis betrachten, über welches der Schuldner zur Zeit der Execution Disposition hatte und nicht über welches er zur Zeit der Entstehung der Obligation verfügen konnte. In der Praxis ist die erste Meinung die herrschende (O. A. G. zu

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Celle cf. § 198 in fine) O. A. G zu Cassel, zu Darmstadt, zu Nassau und sofort während andere O. A. G. z. B. Kiel die 2te Ansicht vertreten ebenfalls zu Jena. § 199 Beendigung der Gütergemeinschaft während bestehender Ehe und nach Auf­ lösung der Ehe Während bestehender Ehe kann die Gütergemeinschaft aufgehoben werden durch Vertrag. In der Regel ist dieser Vertrag so hoch zu schätzen, daß das ursprüngliche Privatvermögen beider soweit thunlich wieder gesondert werden soll. Von der Errungenschaft bekommt jeder den ihm nach seinem Recht gebührenden Teil. Ist die bestimmte Theilung der Errungenschaft nicht gesetzlich bestimmt, so muß man zur Hälfte theilen. Soll ein solcher Vertrag auch gegen Dritte wirken, so muß er publicirt werden.[368]Das gesamte Vermögen ist dann so zu behandeln, als ob von Anfang an keine Gütergemeinschaft unter den Ehegatten bestanden habe. 2. rechnet man gewöhnlich die Aufhebung durch restitutio in integrum namentlich wegen minor actus hierher. Wo die Gütergemeinschaft durch Vertrag entstanden, ist diese rest. in int. immer anwendbar; ist das eheliche Güterrecht dagegen durch Gesetz entstanden, so muß man behaupten, daß keine in integrum restitutio hier stattfinden könne; denn hier müßte ja das factum, an welches das Gesetz die Gütergemeinschaft geknüpft hat, wieder rückgängig gemacht werden, das ist aber nicht möglich durante matr. 3. Wenn der Mann übel wirthschaftet, so kann ihm die Administration des Gesamtgutes durch den Richter entzogen werden. Regelmäßig darf der Richter aber in solchen Fällen keine Vermögenssonderung vornehmen, sondern er kann nur eine andere Administration für das Gesamtgut anordnen. Denn nur dies ist nach gemeinem Recht eine Folge der Prodigalitätserklärung. Eine Absonderung kann nur da verfügt werden, wo Gesetz oder Gerichtsgebrauch es gestatten. Mit Aufhebung der Ehe höre das eheliche Güterrecht unter den Ehegatten natürlich auf (Aufhebung durch Tod eines Ehegatten s. oben)[369]Bei Beendigung der Ehe durch Ehescheidung muß das eingebrachte oder zugefallene Vermögen beider Ehegatten gesondert und die Errungenschaft getheilt werden. (s. ob.) Wenn das Particularrecht nichts über die Strafe des schuldigen Ehegatten verfügt (s. Beweisstelle N. 1) so muss man nach dem römischen Recht verfügt werden. l. 11 cod. rependis 5. 17. Hiernach verliert der schuldige Theil den 4ten Theil von der Errungenschaft und von seinem Sondervermögen. Dasselbe wie im Fall der Ehescheidung gilt auch bei der separatio perpetua der Katholiken. § 206 Erbfolge der Ehegatten (portio statutaria) Die portio statutaria kommt heutzutage sowohl da vor, wo überhaupt keine Gütergemeinschaft gilt, als auch bei der Gütereinheit und neben der particulären Gütergemeinschaft. Gewöhnlich wird das portio statutaria genannt, was der überlebende Ehegatte aus dem Sondergut des verstorbenen Ehegatten bekommt. Zuweilen wird mit diesem Ausdruck aber alles bezeichnet, was der Überlebende überhaupt beim Tode des andern erhält, also auch seine übrigen Antheile, etwa an der Errungenschaft etc. Nach den meisten Rechten darf die portio statutaria in die-

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sem weitern Sinn dem Überlebenden durch eine Verfügung des Verstorbenen von Todes wegen nicht entzogen werden. Hier oder da steht aber[370]jedem Ehegatten diese Befugniß zu, und dann sowohl in Beziehung dessen was der Überlebende aus dem Gesamtgut erhält, als in Bezug auf die eigentliche portio statutaria (also aus dem Sondergut des Mannes) Die p. st. giebt zu folgenden Fragen Anlaß: 1. Ob und inwieweit hat der Empfänger der portio statutaria die Schulden des verstorbenen Ehegatten zu tragen. Dies hängt im Allgemeinen von der Frage ab, ob der Empfänger der p. st. als Universalsuccessor oder als Singularsuccessor zu betrachten ist und dies hängt wieder davon ab, ob die portio statutaria in dem ganzen Nachlaß oder einer pars quota desselben, oder in einer bloßen pars quanta einem bes. Vermögensstück, oder Masse besteht. (Wenn der Empfänger des p.  st. den ususfructus omnium bonorem hat ist er nur Singularsuccessor) Particularrechte bestimmen oft anderes s. § 204 2. Geht die p. st. durch die Wiederverheirathung verloren? Nicht wenigstens der Proprietät nach? Auch diese Frage ist schlechthin zu verneinen. Manche haben hier freilich die römischen Grundsätze über lucrum miptiale anwenden wollen. Allein wenngleich die Neuheit des Objects der Anwendung des römischen Rechts im Allgemeinen nicht hinderlich ist, so liegt doch hier etwas der Ansicht des römischen Rechts widersprechendes vor. Die portio statutaria hängt nämlich mit dem Grundsatz zusammen,[371]daß während der Ehe die Ehegatten sich durch ihr gegenseitiges Vermögen unterstützen müßen und daß es bei den deutschen von jeher Regel gewesen, die Wittwen im Wittwenstande nicht darben zu lassen. 3. Diese statutaria setzt immer eine beim Tode des Ehegatten bestehende Ehe voraus, sie geht daher immer verloren, wenn die Ehe vorher gelöst wurde. Hier leidet der unschuldige so gut wie der Schuldige. 4. Die portio statutaria bezieht sich auf Concurrenz mit andern Erben aller Art – z. B. wenn Kinder concurriren entweder oder Testamentserben oft ist das edictum[…]liegt also ganz fern. Ist kein Cognat und Testamentserbe vorhanden, so muß wo das römische Recht gilt dieses edict noch gelten. Zweites Capitel Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern § 207 I. Einleitung Nach älterm Recht stand dem Vater über seine Kinder keine potestas im römischen Sinn zu, so daß er kein Recht über Leben und Tod des Kindes hatte, sondern nur die allgemeine hausherrliche und die Vormundschaft (mundium) cf lit  a bis c.[372]Das mundium konnte bei Lebzeiten des Vaters der Mutter nicht zustehen und in der Regel auch nicht nach seinem Tode. Nur einige Particularrechte machen eine Ausnahme (N. 1 und 2) Nach dem Einfluß des römischen Rechts dagegen geht die hausherrliche Gewalt über die Kinder nach dem Tod des Mannes auf die Frau über (s. Beweisstelle). Die Rechte des Vaters über die Kinder hindert diese nicht, eigenes Vermögen zu haben. Dies Vermögen der Kinder hatte aber der parens (auch die Mutter nämlich) welcher die Verwaltung des Gesamtguts zustand mit zu verwalten und zu benutzen. Kraft dieser hausherrlichen Gewalt hatten beide

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Eltern das Erziehungsrecht der Kinder. Von dem Recht welches in der patr. potestas des römischen Rechts enthalten war, wurde hier daher nur soviel recipirt, wie sich mit den deutschen Rechtssitten vereinigen ließ. Darnach ist die heutige väterliche Gewalt ein modernes auf deutschen und römischen Grundsätzen beruhendes Institut. § 208 Rechte der Eltern und Kinder im Allgemeinen Die Rechte welche heutzutage die väterliche Gewalt ausmachen stehen nur dem Vater, nicht aber der Mutter zu. Das Erziehungsrecht steht beiden zu bis auf den heutigen Tag, nur gebührt bei verschiedenen Ansichten dem Vater die Entscheidung. Vorzüglich tritt das Erziehungsrecht der Mutter nach dem Tode des Vaters ein. Es muß daher das Kind auch dann bei ihr erzogen werden, wenn sie nicht Vormünderin ist.[373]Auch behält die Mutter das Erziehungsrecht wenn sie zur 2ten Ehe schreitet. Dies gilt zunächst auch von der religiösen und confessionellen Erziehung der Kinder. Der Vater hat aber wieder hier die Entscheidung. Wenn der Vater einer andern Confession ist, als die Mutter, so wird die Sache bedenklich. Daher kann bei der religiösen Erziehung nicht einem der Ehegatten ein unbedingtes Entscheidungsrecht zugestanden werden. Der Staat kann aber in einem solchen Streit zwischen den beiden Kirchen nicht zulassen und so treten die in Gegensatz, zu dem Staat, da er für die individuelle Bekenntnißfreiheit seiner Unterthanen zu sorgen hat. Dieser Bekenntnißfreiheit widerstreitet ein bindendes Versprechen der Verlobten oder Ehegatten, daß für die Zukunft schon die Confession festgesetzt werde, denn der religiöse Glaube ist kein Object des bürgerlichen Vertrages. Daher ist der Staat berechtigt, einen solchen Vertrag für nichtig zu erklären. Auf der ­andern Seite ist es aber auch ein Eingriff in das Familienrecht wenn der Staat gesetzlich bestimmt, in welcher Religion die Kinder erzogen werden sollen. Es ist daher das angemessenste die jedesmalige Erziehung der Kinder von der Übereinstimmung der Eltern abhängig zu machen, und[374]wenn hier keine Übereinstimmung zu Stande kommt, dem Vater die Entscheidung zu überlassen. Eine einmal angewendete Erziehungsweise zu ändern ist der überlebende Ehegatte nicht berechtigt (N. 11 und 12). Wenn der Vater auch nicht einmal als Vormund seiner Kinder in der neuern Bedeutung des Worts betrachtet werden kann, so hat er doch das Recht der Vertretung seiner Kinder im Verkehr und vor Gericht. § 209 Begründung und Beendigung der väterlichen Gewalt nach heutigem Recht In Rücksicht dieser Entstehungsgründe ist das römische Recht jetzt gemeines Recht in Deustchland. Die väterliche Gewalt entsteht also auch noch jetzt, auch durch adoptio und legitimatio. Im alten deutschen Recht kamen auch schon[…] von Annahme an Kinder statt vor (N. 10 und 12) und dasselbe gilt auch von der Legitimation. Nur der legitimatio per subsequens matrimonium wurde hier volle Wirkung beigelegt durch Vermittlung des kanonischen Rechts. Aus Obigem erklärt sich, daß die adoptio und legitimatio nicht überall das Recht begründen, welches die eheliche Geburt ertheilt. Unrichtig ist es aber zu behaupten, daß die adoptio so gelte, wie sie im römischen Recht geordnet ist. Nur der Begriff der „Vater und

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Kindschaft“ durch Wahl ist durch viele Particularrechte sanctionirt. Auch erwirbt das Kind dem Wahlvater gegenüber Erbrecht, mit den übrigen Wahlverwandten steht es in keinem Erb- oder Familiennexus.[375]Das mundium des Vaters über die Kinder hörte im ältern deutschen Recht bei Söhnen auf, sobald sie die Mündigkeit erreicht haben, bei Töchtern hingegen nur mit der Verheirathung, so daß sie jetzt in die Vormundschaft des Ehemanns kamen. Die hausherrliche Gewalt des Vaters über die Kinder hörte auf, wenn die Söhne auf immer aus dem Hause des Vaters herausgingen. Dieser Grundsatz hat sich auch nach Einführung des römischen Rechts als gemeines deutsches Gewohnheitsrecht erhalten. Da bei dem Austritt der Söhne aus dem väterlichen Hause gewöhnlich die Anlegung eines eigenen Haushalts verbunden war, so nannte man diese Aufhebung der väterlichen Gewalt separata economia. Daher hört heutzutage gemeinrechtlich die väterliche Gewalt über die Söhne dadurch auf, daß sie einen besonderen Haushalt begründen, bei den Töchtern durch deren Verheirathung. In diesen Fällen kommt es gar nicht darauf an, ob die Kinder schon volljährig sind, oder nicht. Vor erreichter Volljährigkeit kann der Sohn aber nur mit Einwilligung des Vaters einen besonderen Haushalt gründen. Übrigens ist hierzu auch nach älterm Recht zur Aufhebung der väterlichen Gewalt die Begründung eines besonderen Haushalts nicht unbedingt nothwendig,[376]sondern es reicht hin, wenn der Sohn sich nur seinen Lebensunterhalt dauernd selbst erwirbt. In Rücksicht der Wirkung steht diesen Beendigungsarten der väterlichen Gewalt die römische emancipatio gleich. Deshlab haben einige Juristen die deutsche Aufhebung wohl emancipatio tacita (oder saxonica) genannt. Die römische Emancipation selbst ist aber in Deutschland nicht anwendbar, außer der selten vorkommenden emancipatio befindet sich häufig eine beschränkende Emancipation, daß nämlich das Kind zu einem besonderen Geschäft von der väterlichen Gewalt befreit wird und nachher wieder unter dieselbe kommt. Nach Particularrechten befreien zuweilen auch manche Dignitäten und Ämter von der väterlichen Gewalt. Gemeinrechtlich gilt ein Amt an und für sich nicht als Aufhebungsgrund aus der väterlichen Gewalt. IV. Vermögensverhältnisse zwischen Eltern und Kindern insbesondere § 210 A. Ohne Rücksicht auf den Tod eines der Eltern Das Kind in väterlicher Gewalt kann nach heutigem Recht ebensogut Vermögen haben wie der Vater. Das peculium profectium ist in neuern Zeiten selbst von Roma-[377]nisten für unpraktisch erklärt. Die Anwendung der übrigen römischen Güterverhältnisse zwischen Eltern und Kindern besonders die bona adventitia wird noch immer in Deutschland von manchen Juristen behauptet, ohne aber ins deutsche Rechtsleben übergegangen zu sein. Deshalb sollte man das ganze römische Peculienwesen aufgeben. Auch in Deutschland steht das Vermögen der Kinder, solange sie sich noch im elterlichen Haushalt befinden, in der Verwaltung des Vaters. Diese Verwaltung ist mit dem väterlichen Nießbrauchrecht an dem Vermögen der Kinder zusammenhängend und daher der Vater auch zur Veräußerung von Mobilar des Kindes befugt. Die Rechte der Mutter an dem Vermögen der Kinder hängen heutzutage von der verschiedenen ehelichen Gütersystemen ab (s. oben.) Die Kinder haben gegen die Eltern einen echten Anspruch auf Unterhalt und Er-

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ziehung. Solange der Vater den Kindern Unterhalt giebt, hat er auch Anspruch auf den von den Kindern verdienten Arbeitslohn. Die Töchter haben Anspruch auf eine Aussteuer bei ihrer Verheirathung. Wo die deutschen ehelichen Güterverhältnisse bestehen, können auch die Söhne wenn sie sich selbst etabliren, eine elterliche Beihülfe[378]zum Geschäftsbetrieb verlangen, vorausgesetzt, daß die Kosten der Vorbereitung auf diesen Beruf nicht schon die Mittel aufgezehrt haben. Zuweilen besteht diese Beihülfe auch nur in bestimmten vorläufigen Zuschüßen zur Bestreitung der Wirthschaft. Die Handlungsfähigkeit auch des mündigen Kindes in väterlicher Gewalt, ist wesentlich beschränkt durch den Vater. Das mündige Kind kann wohl Rechte vererben, aber keine Schulden ohne Einwilligung des Vaters contrahiren. Ertheilt derselbe diese Einwilligung so ist in dubio anzunehmen, er habe das Kind ermächtigt für ihn diese Schuld zu contrahiren. Das folgt daraus, daß der Vater verpflichtet ist auf seine Kosten das Kind zu alimentiren. Contrahirt ein ­minderjähriges Kind eine Schuld ohne Einwilligung des Vaters so wird letztere nicht obligirt, weil er sich nicht hat verpflichten wollen. Das Kind wird nicht Schuldnen, wenn es nicht handlungsfähig ist. Ist aber Vater oder Kind bereichert durch das Geschäft (z. B. er diente zu nothwendigen Ausgaben für das Kind) so wird jener oder dieses zum Betrag der Bereichung zur Zurückgabe gezwungen. Höchst bestritten ist die Frage, ob Rechtsgeschäfte heutzutage zwischen Vater und Kind zulässig sind.[379]Nach römischem Recht sind die bekanntlich nicht zulässigen Rechtsgeschäfte zwischen Vater und Hauskind[sind]aber in Deutschland nach richtiger Ansicht zulässig, da die Unzulässigkeit nach römischem Recht aus der sog. unitas personiae hervorging, welcher Grundsatz in Deutschland nicht ist. Kraut Vormundschaft Bd. II p. 633 ff. Diese welche dies leugnen, lassen das Geschäft wenigstens dann gelten, wenn der competente Ortsrichter dem Kind für das Geschäft einen Specialvormund bestellt hat, oder das Geschäft gerichtlich bestätigt ist. Dieser Vormund ist zwar nöthig bei minderjährigen Kindern. Bei volljährigen Kindern würden aber jene Formen das Geschäft nicht gültig machen können, wenn es nicht schon gültig wäre. § 211 B. Nach dem Tode eines der Eltern (Recht des Besitzes fortgesetzte Gütergemeinschaft Unter fortgesetzter ehelicher Gütergemeinschaft bonorum communio prorogata versteht man den Fall, wenn wo allgemeine Gütergemeinschaft gilt, bei beerbter Ehe die Kinder beim Tode eines der Eltern nicht gleich ein bestimmtes Vermögen bekommen, sondern der überlebende mit ihnen vorläufig noch in ungetheilter Güter­gemeinschaft bleibt.[380]In den verschiedenen Rechten hat sich eine verschiedene Bedeutung ausgebildet: 1. Oft erben der Überlebende und Kinder das Vermögen zu ideellen Theilen. 2. Oft ist der Überlebende alleiniger Eigenthümer des Vermögens und die Kinder haben nur ein Hoffnungsrecht. 3. Manche Juristen nehmen eine Gütergemeinschaft mit Sondereigenthum  – doch ist das unrichtig. Der überlebende Ehegatte hat bei der fortgesetzten Gütergemschaft das Gesamtgut immer allein zu verwalten und darüber zu verfügen. Die

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Kinder, selbst wenn sie volljährig sind, können auf keine Weise darüber verfügen, oder Schulden darauf machen. Ihr Anspruch auf Erziehung, Beihülfe und Unterhalt dabei ist das aber der gewöhnliche. Jenes Verwaltungs- und Verfügungsrecht des überlebenden parens steht dem des Mannes während dauernder Ehe gleich (daher auch Veräußerungsrecht auch von Immobilien). Bei der Mutter kommen aber oft einzelne Beschränkungen vor (z. B. oft das sie Immobilien nicht ohne Einwilligung der Kinder veräußern[)]. Wo der überlebende Ehegatte Eigenthümer ist (N. 2) da darf er meistens selbst von Todeswegen über das Gesamtgut verfügen und es kommen[381]nur die Regeln über das römische Notherbenrecht wegen der Kinder in Betracht. Falsch ist es, wenn einige die fortgesetzte Gütergemschaft sich so denken, als wäre der verstorbene Ehegatte dabei durch die Kinder gleichsam repräsentirt, denn wenn man von fortgesetzter ehelicher Gütergemschaft spricht, so will man damit nur sagen, daß dieselbe Gütergemschaft welche in der Ehe existirte fortgesetzt werde, nicht aber daß dieselbe Gütergemeinschaft noch existirt. Daher gehört noch fortwährend Alles was der überlebende Ehegatte erwirbt, in das Gesamtgut, nicht aber das, was die Kinder erwerben, das bleibt ihnen allein, nur daß das Verwaltungsrecht des Überlebenden eintritt. Nach einigen Rechten ist aber das Gesamtgut auf das während der Ehe erworbene Gut beschränkt und daran erwirbt der überlebende auch nachher für sich selbst und nicht für das Gesamtgut (z. B. Münstersches Recht) Große Aehnlichkeit mit der fortgesetzten ehelichen Gütergemschaft hat das Recht des Beisitzes bei beerbter Ehe. Dies unterscheidet sich bei beerbter Ehe von der fortgesetzten Gütergemeinschaft meistens nur dadurch daß die Kinder jetzt schon Eigenthum haben an dem Gute[382]Bei andern Erben als den Kindern ist das Recht des Beisitzes meistens nur ein ususfructus omni. bon. mit diesen Verhältnissen hängt zusammen: § 212 C. Absonderung und Abschichtung der Kinder Bei der fortgesetzter Gütergemeinschaft wie bei dem Beisitz ist der überlebende Ehegatte verpflichtet, mit den Kindern abzutheilen, wenn er sich wieder verheirathet. Oft können auch die Kinder, wenn sie volljährig, meistens die Söhne, und auch die Töchter wenn sie sich verheirathen (obwohl noch minderjährig) Abtheilung ihres Erbtheils verlangen. (verschieden von der Beihülfe resp. Aussteuer (s. ob. § 209 oder 10). Auch können nach manchen Rechten die Kinder abgesehen von andern Gründen die Abtheilung dann verlangen, wenn der überlebende Ehegatte das Vermögen verschwendet. (während gewöhnlich nur die Verwaltung an einen andern übergeht) s. Grdr. Es steht jedoch dem überlebenden parens stets frei auch schon früher abzutheilen. Bei der Abtheilung kommt es nicht selten vor, daß eines der Kinder schon vorher etwas aus dem Gesamtgut bekommen hat (z. B. Aussteuer oder der Sohn eine Beihülfe zum Etablissement). Dies muß von den Kindern immer wieder consevirt[383]werden. Wie steht es aber, wenn von der Abtheilung mit den übrigen Kindern eines schon vorher wirklich abgetheilt ist? Hier müssen wir unterscheiden zwischen Gütereinheit und der inneren Gütergemeinschaft. Bei der Gütereinheit wird hierdurch das Erbrecht des abgetheilten Kindes an dem Vermögen des parens nicht aufgehoben, sondern nur wenn das Kind zugleich einen Erbver-

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zicht geleistet hat. Ein solches Kind ist daher, wenn es mit den abgesonderten Kindern noch wieder zusammentheilen resp. erben will, verpflichtet das Empfangene noch einmal zu conseviren. Bei der Gütergemeinschaft hat sich dagegen in vielen Rechten die Regel gebildet: Was in der Ware (hier „elterliches Haus“) verstirbt, das erbt wieder „an die Ware“. Nach einigen Rechten wird die Absicht zwar titulo speciali erworben und hat nicht, die Natur eines Erbtheils, sie tritt aber an die Stelle des Pflichttheils, des Intestaterbrecht des Kindes bleibt darnach dabei bestehen. 2. Nach andern Rechten hat jene Regel die Bedeutung daß die abgesonderten Kinder in der Beerbung ihrer Eltern und ihrer nicht abgetheilten Geschwister[384] von diesen ausgeschlossen werden. Hierauf bezieht sich das Sprichwort: „Theilung bricht Folge“ (N. 2b) Hier hat jene Regel also die Bedeutung eines Erbverzichtes, d. h. nur eines relativen zu Gunsten der nicht agetheilten Geschwister, nicht auch entfernterer Intestaterben, denn mit diesen concurriren die Abgetheilten noch immer. Nach manchen Statuten braucht der überlebende parens, wenn ein Grund zur Theilung stattfindet nicht voll zu theilen sondern er hat das sog. Recht der gewissenhaften Auslage. Dies besteht darin daß wenn er nicht voll theilen will, er den Kindern für ihren Theil blos eine Forderung auf den Werth desselben zu geben braucht. (Es wird also taxirt) So besonders wenn es zur 2ten Ehe kommt und die Kinder sind noch minderjährig. Der überlebende Ehegatte behält hier alles Vermögen unter seiner Verwaltung und bezahlt den Kindern auch keine Zinsen, so lange sie noch bei ihm sind und er ihnen Alimente giebt. Erst wenn die Söhne volljährig sind, oder die Töchter sich verheirathen, zahlt er ihnen ihre Forderung in Geld aus. lit. c und N. 20 s. 405. Ein solcher Ausspruch[385]muß meistens gerichtlich besorgt werden, damit die Kinder nicht benachtheiligt werden. Die Wirkungen des Anspruchs sind ganz die der reellen Theilung. Dazu gehört namentlich daß der überlebende parens über das ihm nach der Theilung verbleibende unter Lebenden wie von Todeswegen frei verfügen kann (N. 11 bis 14). Ferner, wenn aus der 2ten Ehe Kinder geboren werden, so schließen diese die ersten Kinder in dem Nachlaß des gemeinsamen parens aus. Zuweilen schließt sogar der zugeheirathete Ehegatte die Kinder erster Ehe aus. (z. B. in der Stadt Lüneburg) Heutzutage wird der überlebende Ehegatte, wenn er zur 2ten Ehe schreitet, meistens officio angehalten mit den Kindern erster Ehe abzutheilen. Nur dann wird die Abtheilung nicht nöthig, wenn eine Einkindschaft erfolgt. Hiervon in § 213 D. Einkindschaft Die Einkindschaft besteht in einem Vertrag, wodurch die Kinder bei der Verheirathung ihres überlebenden parens der neuen Ehe einverleibt werden, d. h. sie sollen in Beziehung auf die Erbfolge als Kinder[386]dieser Ehe betrachtet werden. Die Kinder der frühern Ehe – Vorkinder – die der spätern: Nachkinder. Vor- und Nachkinder werden also einander gleichgestellt durch den Vertrag. Die Vorkinder beerben also auch den Stiefparens. Wenn die Vorkinder bei der Wiederverheira­ thung ihres parens Abtheilung verlangen, so fällt der Anspruch darauf durch den Einkindschaftsvertrag weg. Die Wirkungen der Gütergemeinschaft in der spätern Ehe sind für beide Classen von Kindern gleich, jede Vermehrung der gemeinsamen

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Masse durch die jetzigen Eltern geht zugleich für beide Arten von Kindern. Die Erwerbungen durch die Kinder aber kommt nur ihnen selbst zu Gute. Dies kann nun durch mehrere Ehen hindurchgeführt werden. Es können auch Kinder von beiden Seiten hinzugebracht und vereinkindschaftet werden, obwohl es nicht überall zugelassen ist (cf. lit. c) wie denn überhaupt die Einkindschaft nicht überall gilt. Die Einkindschaft ist für die Verbindung zuweilen vortheilhaft, zuweilen nachtheilhaft, dies ist quaestio facti. Welche Regel gilt aber der Natur der Sache nach?) Um den Nachtheil vorzubeugen, welcher aus der Einkindschaft oft für die Vorkinder[387] oder für die Nachkinder entstehen kann, wird bei Abschließung der 2ten Ehe oft ein gewisser Voraus für die Kinder der einen oder der andern Ehe voraus bedungen. Oft wird aber auch den einen oder dem anderen Ehegatten über einen gewissen Theil des Vermögens freie Disposition zu Gunsten der Kinder des einen oder andern Art „Referat“ gelassen. Die Einkindschaft ist jetzt nicht gerade an die Gegenden der Gütergemeinschaft gebunden; die rechtliche Natur der Einkindschaft betrachteten die Juristen wie früher als eine Art von Adoption. Allein wo diese Ansicht nicht in die Statuten übergegangen ist, kann sie heutzutage nicht gelten, denn durch die Einkindschaft entsteht nicht die väterliche noch die allgemeine elterliche Gewalt des Stiefparens über die Kinder erster Ehe, die oft schon längst erwachsen und selbstständig sind. Einige Particularrechte weichen davon ab N. 18. Viel mehr ist die Einkindschaft zunächst und regelmäßig nur auf die Regulierung der Erbschaft gerichtet, und auf die Vereinfachung dieser etwaigen Verwicklungen. Richtiger ist es daher die Einkindschaft (mit den meisten neuern) als einen Erbvertrag sowohl des leiblichen als auch des Stiefparens mit den Kindern erster Ehe zu betrachten. Nur ist dies kein einfacher Erbvertrag, sondern zunächst ein[388]Erbeinsetzungsvertrag für die Kinder erster Ehe, die nun neue Erbansprüche bekommen, zugleich ist es ein Erbverzicht der Vorkinder indem sie Erbansprüche aufgeben, nämlich die der Abtheilung. Gegen diese Ansicht von einem Erbvertrag hat Beseler eingewandt, daß bei dieser Annahme in der That nur der Stiefparens einen Vertrag mit den angeheiratheten Kindern schließen würde, dies würde aber ganz mit der Art, wie das Geschäft von jeher behandelt ist, in Widerspruch stehen. Denn es treten immer die Eltern als die einzigen Paciscenten auf Beseler sieht Kinder daher als bloße Intestaterben an. Kraut und Andere können dem nicht beitreten, der Unterschied ist aber praktisch höchst wichtig, wegen der Sicherheit aus dem Erbvertrage für die Kinder. Gegen Beseler kommt in Betracht, daß die Theil­nahme des leiblichen parens an dem Einkindschaftsvertrag sich als ein dispositiver Erbvertrag für die Kinder ansehen läßt. Hiergegen ist zwar von Beseler eingewandt, daß in den Quellen nicht das Geringste sich darüber finde. Der Umstand, daß beide Ehe­gatten auf gleiche Weise wirken, läßt sich sehr gut dadurch erklären, daß die Mitwirkung des leiblichen parens auch in eigenem Namen wegen mehrerer Gründe durchaus[389]wesentlich ist. Einmal hat er das Recht die Abtheilung vorzunehmen (wie es auf der andern Seite seine Pflicht ist) wenn er sich wieder verheirathet. Durch die Einkindschaft giebt er sein Abtheilungsrecht auf, also muß er einwilligen. Ferner bekommen die Vorkinder durch die Einkindschaft ein ganz anderes Erbrecht gegen sein Vermögen, als sie bisher hatten (wo ihnen blos das Abgetheilte zugefal-

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len wäre) Endlich wird aber durch die Einkindschaft das Erbrecht der Nachkinder auch immer verändert. Das kann natürlich auch nicht ohne Einwilligung des leiblichen parens geschehen. Also kann dies Alles nur unter Mitwirkung und gleicher Wirkung beider Eltern geschehen. Es kommt aber noch hinzu, daß die Behauptung Beselers, bloß der leibliche parens und Stiefparens schlössen den Vertrag, auch deshalb unrecht ist, weil regelmäßig auch die Kinder oder deren Vormünder und Verwandte wenn sie nicht minderjährig auch mitwirken müssen. Da der Einkindschaftsvertrag also ein Erbvertrag ist, so kann man nicht mit Beseler behaupten, daß das Erbe der Vorkinder nicht ein bloßes Notherbenrecht sei, wie das der Nachkinder. Es darf vielmehr also den Vorkindern ihr Erbantheil nicht verringert oder ganz genommen werden weder durch den Stiefparens noch durch den leiblichen parens. Wohl aber[390]können die Nachkinder enterbt, oder auf die legitima gesetzt werden, denn mit denen und über die ist der Vertrag ja nicht geschlossen, sie waren zur Zeit des Vertragsschlusses noch gar nicht in natura rerum. Eine andere Frage ist, ob durch die Einkindschaft der Stiefparens auch ein Erb­recht gegen seine Stiefkinder bekomme? Das kann man nicht behaupten, denn ein gegenseitiges Erbrecht erhalten die Paciscenten durch die Einkindschaft an und für sich nicht, sondern nur das Kind beerbt den Stiefparens. Ebenso entsteht durch die Einkindschaft kein gegenseitiges Erbrecht der Vor- und Nachkinder gegen einander. N. 2b zuweilen nach Particularrechten anders (cf lit. f). Gemeinrechtlich bleibt die Einkindschaft bestehen, wenn auch keine Kinder aus der 2ten Ehe geboren werden. [391]Drittes Capitel Von der Vormundschaft § 214 I. Im Allgemeinen Solange die Vormundschaft reine Familiensache war führte die übrige Familie über den Vormund die Aufsicht. Später trat auch in dieser Beziehung der Staat in die Stelle der Familien ein, und führte die obige Aufsicht über den Vormund. Durch die weitere Ausbildung der Obervormundschaft des Staats ist die Vormundschaft immer mehr zur Staatssache geworden (besonders in Preußen N. 5). Dies zeigt sich besonders darin, daß jeder Vormund vor Antritt seines Amtes der obrigkeitlichen Bestätigung bedarf (so schon nach den Reichsgesetzen N. 4). Diese obrigkeitliche Bestätigung wird auf Grund einer Voruntersuchung ertheilt,  – (ob der Vormund sich zu solcher und speciell zu dieser Vormundschaft eigne und sofort) und immer durch schriftliche Bestellung, tutorium oder curatorium. Auch haben die neueren Gesetzgebungen besondere Maßregeln angeordnet, um den Mündel gegen eine nachläßige oder betrügerische Amtsführung zu sichern. Deshalb ist namentlich vorgeschrieben, daß die Obervormundschaftsbehörde und im Nothfall die nächste Behörde bei Erbschaften die Versiegelung[392]vornehme; sodann die Beeidigung des Vormunds (resp. Handschlag) vor Übernahme des Amts und endlich das Erforderniß der Inventarisirung durch den Vormund. Dagegen ist die römischrechtliche Verpflichtung zur Cautionsbestellung durch den Vormund abgeschafft und dagegen die Einrichtung getroffen, daß werthvolle Papiere und sonstige Kostbarkeiten in Verwahrung der Obervormundschaft liegen (depositum judiciale). Auch während

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der Dauer der Vormundschaft steht der Vormund überall mehr oder minder unter Controlle der Obervormundschaftsbehörde. Namentlich ist der Vormund schon nach den R. P. O. der Obrigkeit jährlich Rechnung abzulegen verpflichtet, anders nach römischem Recht. Im übrigen ist seit Einführung des römischen Rechts dieses die allgemeine Grundlage des gemeinen Rechts geworden und in Beziehung der Curatel über Wahnsinnige, Gebrechliche und Verschwender kommt es fast ausschließlich zur Anwendung. Bei den übrigen Arten kommen jedoch noch manche Abweichungen vom römischen Recht vor, theils aus dem alten deutschen Recht, theils moderne. Die Entstehungsgründe der Vormundschaft sind nach römischem Recht zu beurtheilen (testamentaria, legitima und dotaria). Doch können zur tutela legitima auch Verwandte mütterlicher Seite genommen werden. In Beziehung auf die Entstehung giebt es aber auch noch[393]eine deutschrechtliche tutela pactilia (Familienvertrag Erbenvertrag oder gewöhnlicher Vertrag). Diese Lehre die sich schon im alten Recht findet, ist erst von den spätern Juristen ausgebildet, sie ist aber gemeinrechtlich (N. 21 bis 26). Diese Ent­stehungsgründe der Vormundschaft sind aber wegen der Ausdehnung der Obervormundschaft allein nicht geeignet Vormundschaftsrechte zu übertragen, sondern nur zu betrachten als Bestimmungsgründe für die Obervormundschaftsbehörde, einen berufenen Vormund zu bestätigen (wenn er nach der causae cognitio geeignet ist). Nach Particularrecht wird häufig dem Vormund eine Vergütung für seine Sachwaltung selbst gesetzlich zugestanden. Dieses Honorar ist entweder gesetzlich schon (meistens nach %) bestimmt, oder es liegt im Ermessen des Richters. Unter diesen Umständen ist dann aber auch die Prästation der diligentia des Vormunds zu erhöhen (nach römischem Recht haftete er nur für diligentia quam suis) Hier aber schlechthin für omnis culpa. II. Arten der Vormundschaft § 215 Altersvormundschaft Nach Einführung des römischen Rechts kamen dessen Grundsätze über Altersvormundschaft ziemlich vollständig zur Geltung besonders wegen der R. P. O. Nur verlangte diese R. P. O., daß auch[394]puberes, solange sie minderjährig, immer einen Vormund haben sollten. Daher ist gemeiner Termin für die Beendigung der Vormundschaft das Alter des zurückgelegten 25ten Jahres – particularrechtlich oft anders. Außer dem obigen Termin kommt auch die venia aetatis vor. Nach ­einigen Particularrechten hört die Vormundschaft auch durch Verheirathung des Mündels sowohl des männlichen wie des weiblichen, auf (lit. a bis d). (Doch ist dies zu weit gegangen). Der Unterschied welchen das römische Recht zwischen dem tutor eines Pugillen und dem curator eines minor macht, ist in Deutschland nicht recipirt, als dem deutschen Rechtsgefühl nicht entsprechend. Vielmehr wird in Deutschland der Pflegebefohlene während der ganzen Dauer der Vormundschaft wie ein Pugill des römischen Rechts behandelt (N. 30 und sofort (anders unterschieden ist noch in N. 33 – jedoch nur den Worten nach). Der Minderjährige bedarf daher zu allen Handlungen, die ihm möglicherweise einen Verlust zuziehen könnten der Einwilligung des Vormunds. Diese Einwilligung kann während der ganzen Dauer der Vormundschaft sowohl als concentus, wie auch als auctoritas des Vormunds sich zeigen, der blose Consens reicht aber immer hin, wobei also auch

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spätere Genehmigung genügt. Das Mündel braucht in[395]Deutschland nie selbst zu handeln, selbst in den Fällen wo nach Justinianischem Recht derselbe selbst handeln mußte. Vielmehr kann bei uns nach dem Recht der freien Repräsentation der Vormund ohne Hinzuziehung des Mündels Alles thun, selbst Erbschaft antreten. Aus obigem erklärt sich auch, daß die puberes in der Regel denselben Vormund beibehalten, den sie als impuberes hatten. § 216 B. Geschlechtsvormundschaft Die Geschlechtsvormundschaft über unverheirathete Weiber war schon vor Einführung des römischen Rechts in manchen Gegenden entweder ganz verschwunden oder doch sehr gemindert. Jedoch hat die Geschlechtsvormundschaft sich in vielen Ländern und Orten sich bis in das Jahrhundert hinein erhalten. In den neusten Zeiten ist sie aber in den meisten Ländern gesetzlich aufgehoben. Heutzutage ist die Geschlechtsvormundschaft immer eine cura dativa. Seit Einführung des römischen Rechts nahm die Geschlechtsvormundschaft zum Theil eine von dem ältern deutschen Recht abweichende Gestalt dadurch an, daß die Juristen den Grund derselben in der Unerfahrenheit der Weiber in bürgerlichen Geschäften fanden und hieraus ­ inorennen erklärt es sich wieder, daß die Juristen die Weiber in dieser Weise den M gleichstellten. Die Juristen nahmen daher auch an, daß die Weiber sich ohne Einwilligung des Vormunds auch nicht obligiren könnten.[396]Indessen haben sie es doch nie dahin bringen können, daß der Geschlechtsvormund auch die Verwaltung seiner Pflegebefohlenen erhalten. Auch hat man in manchen Linien den Grundsatz beibehalten, daß das Mädchen nur Streitigkeiten vor Gericht und Sachen der jurisdict. volant. nicht ohne ihren Vormund auftreten darf (daher nennt man den Vormund in dieser Hinsicht zuweilen Kriegsvormund wegen der Processe). Meistens steht es heutzutage den Weibern frei sich zu jedem Geschäft wozu sie eines Vormunds bedürfen, sich einen bestellen zu lassen. Noch können sie sich auch einen curator für alle Geschäfte überhaupt bestellen lassen. Selbst aber wenn sie einen solchen curator generali haben, pflegen sie doch an denselben nicht gebunden zu sein und können sich noch für jeden speciellen Fall einen andern Vormund wählen. Ebensowenig ist der curator gebunden, er kann jeden Augenblick abtreten. C. Vormundschaft für Abwesende § 217 1. Gemeinrechtliche Was das römische Recht hierüber enthält ist Folgendes wenige: Wenn ein Abwesender keinen gehörig bevollmächtigten bestellt hat, so kann es zur Verwaltung seines verlassenen Vermögens auf Verlangen, von Personen, denen daran liegt[397] von der Obrigkeit eine cura absentis angeordnet werden. Aus mehreren Stellen müssen wir noch schließen, daß die Amtsführung eines solchen curator keine administrative war, sondern eine blose custodia bonorum. In Deutschland wird aber der curator absentis in Beziehung auf seine Amtsführung gleich einem curator ­minoris behandelt, er hat, administratio bonorum und ist ganz als Stellvertreter des Abwesenden zu betrachten (lit. e f.). In dieser Eigenschaft kann er daher namens des Abwesenden contrahiren und andere Rechtsgeschäfte (Auflassungen etc.) für

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denselben vornehmen. Auch muß er für berechtigt gehalten werden, Processe im Namen des Bevormundeten zu führen. Überhaupt ist er berechtigt, Erwerbungen für denselben zu machen. Ob man dies aber auch auf Erbschaften ausdehnen darf, ist unter den Neuren sehr bestritten. Die Entscheidung hängt von der Vorfrage ab, ob einem Abwesenden, besonders Verschollenen überhaupt Erbschaften zufallen können. Diese Frage hängt wieder davon ab, ob der Verschollene noch als lebend angesehen werden kann, oder nicht. Hinsichtlich dieser letzteren Frage ist schon (s. § 49) ausgeführt, daß sie der richtigen Ansicht nach bejaht werden muß (was Kropp und Andere bestreiten) es fragt sich nun ferner, ob wo eine Erbschaft nur durch Antretung erworben werden kann (wo also der römische, nicht der altdeutsche Grundsatz gilt)[398]diese von dem curator absentis vorgenommen werden kann. Diese Frage ist gleichfalls zu bejahen: [Es könnten Zweifel daraus bei der ähnlichen Gütergemeinschaft entstehen – darum kann es sich aber hier nicht handeln] Da der curator absentis heuzutage dem Vormunde eines minor gleich behandelt wird und dieser für den minor Erbschaften antreten kann. Hiermit stimmt auch die Praxis und die Gesetzgebung, die sich aber diesen Gegenstand ausgesprochen überein (lit. g und h) [Die Praxis ist jetzt hier und da durch die Kroppsche Ansicht erschüttert]die Vormundschaft für Abwesende erlöscht 1. wenn der Abwesende zurückgekehrt oder einen gehörigen Bevollmächtigten ernannt 2. wenn der Tod derselben bewiesen wird 3. wenn derselbe gerichtlich für todt erklärt wird. § 218 2. Particularrechtliche cura absendtium Neben jener gemeinrechtlichen cura bonorum absentis kommt in manchen Ländern eine eigenthümliche deutschrechtliche vor. Die Abweichungen derselben von der gemeinrechtichen bestehen in folgendem: 1. sie tritt nur bei Verschollenen, nicht bei Abwesenden überhaupt ein. 2. Auch diese Vormundschaft haben immer die prä-[399]sumtio nächsten Erben der Verschollenen ohne Rücksicht auf ihr Alter und Geschlecht Anspruch, und ohne Rücksicht, ob diese Personen sonst eine Vormundschaft führen können oder nicht (Kinder und Frauen) Sind die nächsten Erben unfähig selbst diese cura zu führen, so hat ihr Vormund die Pflicht die cura bonorum absentis Namens der Kinder resp. der Frau zu führen. Dagegen ist es bestritten, ob diese cura absentis eine sog. successio antecipata sei (successio conditionata) oder nicht und ferner, ob wenn der curator noch während der cura stirbt, die cura auf seinen, oder auf des Verschollenen nächsten Erben übergeht, ferner bb) die Früchte aus dem Vermögen des Verschollenen der curator für sich zieht oder ob er sie nur für den Verschollenen zu ziehen habe. Jene Eigenthümlichkeiten wie die Streitfragen lassen sich nur entscheiden resp. klären durch ein Zurückgehen auf die Entstehung dieses Instituts. Nach dem ältern deutschen Recht wurde ein Verschollener solange als todt betrachtet, bis er wieder erschien (also gerade umgekehrt wie oben) Es konnten daher auch seine Erben verlangen in den Besitz seines Nachlasses gesetzt zu werden. Sie mussten aber Sicherheit stellen, das Vermögen wieder herausgeben zu[400]

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wollen, wenn der Verschollene wieder zurückkommen oder sich ein näherer Erbe findet. Solange dies Recht galt war daher die Besitzergreifung des Vermögens des Verschollenen eine successio anticipata. Der in Besitz gesetzte präsumtive Erbe zog die Früchte daraus und nach seinem Tode ging das Vermögen auf seine Erben über. (vorläufig bis zur gerichtlichen Todeserklärung des Verschollenen in demselben Verhältnis wie sein Erblasser, der erste curator) Seit Einführung des römischen Rechts wurde aber der Grundsatz, daß solange der Tod einer Person noch nicht feststeht, von einer Beerbung derselben nicht die Rede sein kann, zur Regel. Die nothwendige Folge hiervon war, daß der Besitz des Vermögens des Verschollenen von Seiten des Erben nur als conditionata successsio betrachtet wurde die freilich zur wahren Erbschaft führen konnte. Hieraus folgt wieder, daß derjenige welcher als nächster Erbe des Verschollenen zuerst den Besitz des Vermögen desselben erlangt hat, dies nicht nur an denselben herausgeben muß, wenn der Tod des Verschollenen erreicht und daraus ein näheres Erbrecht nachweist, sondern auch, daß derjenige welcher als nächster Erbe zuerst den Besitz erlangt hat das Vermögen an denjenigen herausgeben muß, welcher zur Zeit[401]des präsumirten Todes des Erblassers der nächste Erbe ist. Hieraus erklärt sich, daß die Juristen, denen aus dem römischen Recht die cura absentis bekannt war, den Erben welcher das Vermögen des Verschollenen in Besitz genommen hatte, als einen bloßen curator absentis ansahen. Diese Theorie mußte sich aber dem accommodiren was einmal in der Volkesmeinung feststand, daher mußten sie das Recht der nächsten Erben auf die cura absentis bestehen lassen. Auch waren sie anfangs nicht im Stande an dem wesentlichen Inhalt dieses Rechts etwas zu ändern. Dieses bestand aber darin, daß solange die nächsten Erben die bona in Besitz hatten, sie auch die Früchte daran zogen (während das ja bei einem sonstigen curator nicht der Fall ist). Indessen ist doch später die Ansicht der Juristen daß der curator die Früchte zum Capitalschlagen mußte meistens in die Praxis und in viele Gesetzgebungen eingedrungen. Im Zweifel und gemeinrechtlich kann nach Kraut aber der curator absentis die Früchte für sich ziehen (lit. i. k. l.). Die Amtsführung des curator absentis ist in solchen Gegenden wo er noch die Früchte bekommt, als eine Art Erbfolger zu betrachten. Der Vormund kann daher dann auch ohne Decret des[…]veräußern, selbst die Grundstücke.[402]Auch in Beziehung auf den Umfang der Zurückerstattung darf man den curator hier nicht einem gewöhnlichen Vormunde gleichstellen, da er nicht wie dieser das Vermögen blos für einen Abwesenden sondern vorzüglich für sich selbst verwaltet. Vielmehr muß man ihn dann nach Analogie des creditor in possessionem missus zu behandeln und seine Haftungspflicht auf die dolus und lata culpa beschränken. Wo dagegen dem curator aus dem Vermögen des Abwesenden heutzutage nicht mehr gehören, ist es consequenter seine Vormundschaft wie die für Minderjährige zu behandeln. (Haftung für omni culpa) § 219 Viertes Capitel Gesinderecht Zu dem Gesindeverhältnis gehört wesentlich, daß das Gesinde in Kost der Herrschaft steht und bei ihr wohnt. Ferner ist auch nöthig, das unbestimmt gemeine bür-

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gerliche Dienste versprochen ist. Dagegen gehört es nicht zum Wesen dieses Verhältnis daß das Gesinde einen Lohn bekommt. Das Gesinde-[403]verhältnis kann nicht den Grundsätzen des römischen Rechts von der locatio conductio operarum behandelt werden. Überhaupt ist das Gesindeverhältnis der Hauptsache nach kein Obligationenverhältnis, wie die ältern Juristen sagten sondern es ist im allgemeinen ein Familienverhältnis. Der Vertrag welcher hier vorkommt, soll also zunächst ein Familienverhältnis begründen (und nur beiläufig kann dieser Vertrag durch ein Obligationenverhältnis begründet werden, in (sofern nämlich daraus der Dienstlohn eingeklagt werden kann). Das Einzelne richtet sich nach Gewohnheitsrecht und Gesindeordnungen. Bei Anwendung des allen kommt immer viel auf das Gutachten des Richters an. Aus der Idee eines Familienverhältnis folgt: 1. Der Richter hat das Princip zu beobachten, daß die Obrigkeit sich sowenig wie möglich in das Familienverhältnis und Familienstreitigkeiten mischen soll. 2. Die Herrschaft hat eine Aufsicht über den religiösen und bürgerlichen Lebenswandel des Dienstboten sowohl in, als außer dem Hause zu führen. 3. Wenn Dritte das Gesinde zu schlechten Handlungen verführen, so muß die Herrschaft wenigstens soweit sie an Vermögen dadurch beschädigt ist, eine act de servo[404]corrupto (arg. leg. 1 § 14 D de serv. corr. 11 3 zugestanden werden. 4. Das Gesinde muß sich Zurechtweisungen von Seiten der Herrschaft gefallen lassen und der Richter darf nicht geneigt sein, in den dabei gebrauchten Ausdrücken eine Injuria zu finden l. 13 § 4 D. locati 19. 2 Das ältere deutsche Recht legt der Herrschaft auch die Befugniß bei das Gesinde wegen Nachlässigkeit und Widerspenstigkeit zu züchtigen (cf. N. 8). In der neuren Zeit ist das Züchtigungsrecht meistens abgeschafft und mit Strafe bedroht. 5. Die Dienstboten können nicht gezwungen werden die Einem versprochenen Dienste einem Andern zu leisten (wegen des persönlichen Verhältnisses zwischen Herrschaft und Dienstboten). Doch müßen die Dienste natürlich auch allen dienen die im Augenblick als zur Familie gehörig zu betrachten sind. 6. Auf der andern Seite können die Dienstboten aber auch für die Dienste keinen andern Dienstboten einschieben. 7. Der Tod hebt auf beiden Seiten das Verhältnis auf, wenn auch die Zeit noch nicht abgelaufen ist. Die Erben der Herrschaft sowie andererseits die Erben des Dienstboten haben nicht nöthig das Verhältnis fortbestehen zu lassen. 8. Wenn ein Dienstbote im Hause krank wird, darf er nicht sogleich fortgeschickt und ihm der Lohn gekürzt werden N. 10 und 11[405]Im Allgemeinen bezieht sich dieses nur auf leichtere Krankheiten und es kommt auf das Verhältnis der Herrschaft an, ob sie Lohn haben kann. Bei schwereren Krankheiten müssen aber die Herrschaften für die Unterkunft des Gesindes im Krankenhaus etc. sorgen. 9. Die Dienstboten müssen zwar für levis culpa haften, nur darf man es nicht so genau nehmen l 54 § 2 D. de aequ. ser. dom. 41. 1.; cf l. 13 pr. D. de lib. caussa 40. 12 und l. 1 § 2 D. si is qui lect. 47. 4. Hasse culp. S. 302 ff. In Beziehung auf die Haftung für die Handlungen des Gesindes Dritten gegenüber läßt sich nichts besonderes sagen. Die Frage zu welcher Zeit der Dienst gekündigt werden kann und der einen oder andern Seite etc. sind nach den einzelnen Gesindeordnungen und ortsgebundenem Particularrecht zu beurtheilen, ebenso wenn die Abgrenzungstermine sind. Zu den Gründen, aus welchen dem Dienstboten allgemein gestattet ist, auch vor der Zeit

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abzugehen, sind Mißhandlungen und unerträgliche Sittenlosigkeit der Herrschaft. Auch ist (N. 3) schon im Mittelalter Gelegenheit zur Heirath wenn sie dringend ist, sofern vorher abzusehen. Der Gesindelohn oder Bietlohn hat schon seit älterm deutschen Recht im Concurs die Stelle einer absolut privilegirten Forderung.[406] Dies gilt aber dann nicht, wenn der rückständige Lohn in ein wirkliches Capital verwandelt und die Herrschaft es als solches hat. Sechtes Buch Lehnrecht Erstes Capitel Erster Abschnitt § 220 und 221 Der Ausdruck Lehn hat eine engere und eine weitere Bedeutung. Im weiteren Sinn bezeichnet er jede Übertragung einer Sache an einen Andern zum eigenen Gebrauch der Letzteren unbeschadet des Eigenthumsrechts des Ersteren. In der engeren Bedeutung bezeichnet Lehn fundum, beneficium die Übertragung des dominium utile einer Sache gegen das Versprechen gegenseitiger Treue zwischen Verleiher und Vasallen. In beiden Bedeutungen wird „Lehn“ auch häufig im objectiven Sinne für die Sache, die verliehen ist, gebraucht. Im Mittelalter wurden die Lehen im eigentlichen Sinn in der Regel zu dem Zweck verliehen, damit der Vasall dem Verleiher Ritterdienste leistet.[407]Ein solches Lehn heißt insbesondere ein rechtes Lehn. Das Lehn im engeren Sinn besteht also aus 2 Elementen, einem dinglichen (dominium utile udictum) und lucrum gewöhnlichen (der Lehnstreuen). Beide Elemente sind hier aber untrennbar verknüpft. Daher geht auch auf jeden, der die Gegenstände des Lehns als Lehn erwirbt, zugleich die Verbindlichkeit zur Treue über. Das persönliche Verhältnis muß daher als annexum des dinglichen betrachtet werden. Daher entstehen beide Elemente durch einen Act durch die Belehnung oder investitur. Das hierdurch entstandene Verhältnis ist (siehe Conrad II) auf beiden Seiten erblich der Regel nach. (Die Erblichkeit ist ein naturale des Lehns nicht gerade essentiale). Dessen ungeachet muß aber bei dem Eintritt jedes neuen Besitzers eine neue Belehnung stattfinden, die aber immer nur eine Anerkennung des bestehenden Verhältnis ist. Erlöscht das Recht das von dem ersten Erwerber des Lehns durch die Belehnung erworben war, aus irgend einem Grunde, so ist das Lehn eröffnet, hier fällt das Lehn an den Lehnsherr durch Consolidation zurück. Zu den Erlöschungsgründen gehört namentlich grobe[408]Verletzung der Lehnstreue. Außerdem aber kann der Vasall zum dominium utile noch das dominium directam erhalten, Apropriation des Lehn. Eingetheilt werden die Lehen: 1. in unmittelbaren und Osterrlehn. Erstere die gewöhnliche. Das Osterlehn dann, wenn der Lehnsherr selbst wieder Vasall eines andern Lehnsherrn (Oberlehnsherr) ist, (Ostervasall oder Subvasall) dagegen vasallus primus 2. Privatlehn und öffentliches oder Staatslehn. Privatlehn heißt ein Lehn wenn der Lehnsherr eine Privatperson ist. Dieser Lehnsherr kann sowohl eine physische als eine juristische Person sein. (Kloster, Stift, Corporation) Staatslehn, bei welchen die Lehnsherrschaft am Staat, oder dem Regenten als solchem zusteht. Auch bei den Staatslehn ist aber die Lehnsherrlichkeit immer privatrechtlicher Natur, denn sie hat ihren Grund in

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einem rein privatrechtlichen Titel, der Investitur. Es darf daher die Lehnsherrlichkeit auch über Staatslehn, nicht verwechselt werden mit Lehnshoheit. Unter der letzteren versteht man die wesentlichen Hoheitsrechte des Staats, soweit sie sich auf Lehen erstreckt, und zwar ist diese auf alle[409]Lehen des Landes gerichtet, ohne Unterschied ob sie Privat- oder Staatslehen sind. Und so ist der Lehnsmann kein Unterthan seines Lehnsherrn. In den Zeiten des Reichs gab es Reichslehen und Landeslehen (bei letzteren war der Landesherr zugleich Lehnsherr bei ersteren der Kaiser) Dieser Unterschied hat aufgehört. 9. in Landsessige oder Binnenlehen (feudo in curte) und nicht landsessige oder Außenlehn (feudo extra curtem) feudum in curte sind solche welche in dem Gebiete desjenigen Staats liegen, wo der Lehnsherr Regent oder Unterthan ist. Die andern sind feudo extra curtem. Die meisten Außenlehen sind indessen die meisten Staatslehen aufgehoben (N. 4 bis 8) Zweiter Abschnitt Vom Gegenstand des Lehens § 222–226 Sowohl nach dem langobardischem als deutschem Recht können nur unbewegliche Sachen zu Lehen gegeben werden. Dies gilt aber auch von den Rechten welche juristisch wie unbewegliche Sachen betrachtet werden („die Gerechtsame“ so z. B. Paß- Jagd- Bergregal etc. etc.). Zehntrecht wie Bannrecht[410]cf. N.1 oder 222 (Bei den Lehen an unkurzen Sachen machen die Rechte welche dem Lehnsherrn in Bezug darauf zustehen, das dominium directum. Das dominium utile besteht in dem Recht des Vasallen das obige Recht auszuüben. Es können aber sowohl Kirchensachen wie weltliche Sachen zu Lehen gegeben werden. Die an Kirchensachen errichteten Lehn heißen Kirchenlehn, geistige Lehen. Bei Pfandlehn hat der Schuldner dem Gläubiger zur Sicherung eine Sache zu Lehn gegeben, das mit Tilgung der Schuld wieder aufhört. Oft ist dies anders aufgefaßt z. B. (N. 11 § 225) als ob das Pfandrecht zu Lehn gegeben wäre doch ist dies unrichtig aufgefaßt. Dritter Abschnitt Subjective Fähigkeit zur Errichtung von Lehen. § 226 und 228 Wir müssen hier unterscheiden Fähigkeit auf Seiten des Lehnsherrn und des Vasallen. Auf Seiten des Lehnsherrn gehört zur Fähigkeit ein Lehn zu errichten im Allgemeinen nur die Fähigkeit zu veräußern. Ob Weiber Lehen errichten können war bei den Langobarden bestritten weil bei ihnen die Weiber unter Geschlechtsvormundschaft ihr ganzes Leben standen. Später aber bejahten sie doch obige Frage. II fend. 3 § 4; cf. I fend 6 pr. und II. fend 91.[411]Wer ein echtes Lehn errichten will, muss noch die Fähigkeit besitzen sich entweder selbst oder doch wenigstens zum Besten eines Andern Ritterdienste versprechen zulassen. Das Recht stand im Mittelalter nicht nur dem hohen Adel, sondern auch Städter, Klöstern und dem niedern Adel zu, denn alle diese hatten das Waffenrecht. Lehen von welchen keine Ritterdienste geleistet werden sollten konnten aber selbst vom Bauernstand errichtet werden S. 430 N. 6. Die Lehnsfähigkeit seitens des Vasallen, passive Lehnsfähigkeit nennt man auch die eigentliche Lehnsfähigkeit. Diese ist nicht zu verwechseln mit der Lehnsfolgefähigkeit, der Fähigkeit in ein bereits eröffne-

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tes Lehn zu succediren. Die Lehnsunfähigkeit theilt man in die absolute und die respective oder relative. Die Absolute entspringt aus der persönlichen Unfähigkeit entweder überhaupt zu vererben (z. B. Mönche und Nonnen) od speciell ein Lehn zu vererben. die relative Unfähigkeit entspringt aus der Unfähigkeit Ritterdienste zu leisten II. fend 21. II fend 26 Relativ lehnsunfähig sind daher 1. alle welche eines geistigen (Wahnsinnige)  2.  eines bürgerlichen Übels unfähig sind Kriegsdienste zu thun 3. die Weiber[412]4. Mönche und Geistliche wenn sie auch welche zwar für ihr Kloster erwerben können 5. Juristische Personen sowohl kirchliche wie weltliche 6. Ehrlose 7. nach dem ältern deutschen und langobardischen Recht waren alle nicht ritterbürtigen Personen relativ unfähig. Nach dem neuen langobardischen Recht sind alle Freigeborenen ohne Unterschied fähig und so wurde es auch seit Reception des langobardischen Rechts gemeinrechtlich man unterschied nur adlige und nicht adlige Lehen. In den Particularrechten haben sich indessen manche Spuren des ältern Recht erhalten (§ 228 lit. l-q und sofort). Die absolute Lehnsunfähigkeit kann nicht durch Dispensation des Gesetzes gehoben werden, anders dagegen die relative Lehnsunfähigkeit, diese kann durch Dispensation des Lehnsherrn gehoben werden, wenn nämlich der Lehnsherr erlaubt, dass die Ritterdienste durch einen Stellvertreter oder gar nicht ausgeübt werden. II. fend 24 und II fend. 3 § 2. Durch die Dispensation von Weibern von der Unfähigkeit ist entstanden der Unterschied zwischen Weiberlehn und Mannlehn. (Schnierlehn, Spindellehn und Kaukallehn = Weiberlehn) So wird aber nicht blos ein Lehn genannt desen erster Erwerber ein Weib war, sondern auch solche, in welche überhaupt Weiber succe-[413]diren können. Vierter Abschnitt Errichtung des Lehns § 229 bis 233 I. durch Investitur A. Überhaupt Das Lehnverhältnis wird errichtet durch Verwandlung eines Alods in ein Lehn. Ein Alod kann aber durch 2fache so verwandelt werden 1. auf einfache Art durch Investitur 2. unregelmäßig durch Verjährung. Die Investitur ist in ihrer Form und Wirkung im Wesentlichen nichts anderes als die gerichtliche Auflassung angewandt auf Lehnsverhältnisse. Die Investitur erfordert, daher wie jede gerichtliche Auflassung eine causa, d. h. hier die Absicht ein Lehnsverhältnis dadurch zu gründen. Diese causa wird gewöhnlich erkannt durch eine der Investitur vorhergehende Handlung. Sie kann aber auch erst mit der Investitur sich zeigen. Die gewöhnliche causa ist der Lehnscontract d. h. der Vertrag zwischen Lehnsherr und Vasallen wodurch der Lehnsherr den Vasallen ein Lehn zu errichten verspricht. Außer dem Lehnscontract kann jedes erlaubte Rechtgeschäft (Tausch, Kauf, Schenkung und sofort) causa des Lehnsverhältnis sein. Besonders war früher eine gewöhnliche causa die Lehnsauftragung oder oblatio[414]feudi, wenn Jemand einen Andern sein Ablass übergab um es von ihm als Lehn zurück zu empfangen (dies um den Schutz eines Mächtigeren zu erlangen und a. so z. B. Grdr. § 220 N. 3. Die Er­thei­ lung der Investitur geschah früher im Lehnshofe unter Beobachtung vieler Feier­

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lichkeiten wodurch sich das Prioritätsverhältnis des Vasallen und des Schutzverhältnisses ausdrückte. Zu diesen Feierlichkeiten gehören regelmäßig das eidliche Versprechen der Lehnstreue des Vasallen gegen den Lehnsherrn. (der Eid wird zuweilen erlassen.[)]Nach dem langobardischen Lehnrecht müssen bei der Investitur immer andere Vasallen des Lehnsherrn gegenwärtig sein, die nur dann durch Fremde ersetzt werden konnten, wenn der Lehnsherr keine oder nicht die genügende Anzahl eigener Vasallen hatte. II. fend 32 33 § 1 I fend 2b. (cf. § 231 N. 1 im Grdr). Allein bei unserer Errichtung des Lehnsverhältnisses hat alles das wenig praktischen Werth. Es sind die Lehnshöfe heutzutage wie gewöhnliche Gerichts­ behörden eingerichtet. Allein die Lehnsperson in eigener Person bei der Belehnung erscheine oder sich vertreten lassen will hängt von ihrem Belieben ab II fend 58. 11.[415]Die Particularrechte verlangen meistens das persönliche Erscheinen des zu Belehnenden. Wo der Lehnsherr andererseits in eigener Person belehnen muß, heißt das Lehn ein Thronlehn N. 12 in § 231. Die symbolische Übergabe geschieht jetzt gewöhnlich durch Überreichung des Lehnbriefes an den Vasallen. Über den wesentlichen Inhalt der Belehnung wird in der Lehnskanzlei jetzt immer eine gerichtliche Urkunde ausgestellt, der Lehnsbrief. Die Ausstellung eines Lehnbriefes war ursprünglich nur eine Ausnahme. Im Lauf der Zeit sind aber die Lehnbriefe so gewöhnlich geworden, daß die Ausfertigung eines Lehnbriefes immer präsumirt wird (was im Streite bei der Edition der Urkunden wichtig wird). Außer dem Lehnbriefe kommen bei der Belehnung häufig noch eine Reihe von andern Urkunden vor. Hierzu gehört 1. das Lehnsprotokoll, das in der Lehnskanzlei über die bei der Belehnung vorkommenden Handlungen aufgenommene Protokoll 2. das Lehensdinumerament d. h. ein Verzeichniß der einzelnen zum Lehn gehörenden Pertinenzen 3. Die Lehnsreversalien (Gegenbekenntniß) ein Act, wodurch der Vasall anerkennt, daß ihm das Lehn verliehen und er zur Lehnstreue verpflichtet ist.[416]Alle angeführten Acte sind instrumenta communia d. h. sie werden im Interesse beider ausgefertigt, sie müssen sich ediren. Die Beweiskraft des Lehnsbriefes. Nicht allein ein Vasall kann sich desselben gegen den Lehnsherrn bedienen, sondern auch umgekehrt. Diesem letzteren scheint entgegenzustehen, daß der Lehnsbrief nur einseitig im Namen des Lehnsherrn ausgefertigt worden. Dies erklärt sich aber daraus, daß die Einwilligung des Vasallen immer zum Lehnbrief hinzukommt. Der Vasall kann immer verlangen, daß ihm eine Copie von der Ausfertigung zur Angabe der Bemerkungen gemacht gegeben werde. Nimmt er den Lehnbrief an, ohne Bemerkungen gemacht zu haben, oder hat er sich gar keine Copie geben lassen, so wird seine stillschweigende Einwilligung angenommen. Wie nun durch den Lehnbrief ein Beweis gegen Dritte geführt werden könne, ist nach den allgemeinen Regeln über die Beweiskraft von Urkunden zu beurtheilen. B. Einzelne Arten der Belehnung § 234 1. Reinfeudation Wenn ein dem Lehnsherrn eröffnetes Lehn aufs neue von ihm zu Lehen gegeben wird, so nennt man das Reinfundation. Der Gegenstand der Reinfeudation selbst als infeud solita. Hierunter versteht man eine Sache die schon einmal Lehn gewesen

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ist. Die Reinfeudation ist übrigens nur die Errichtung eines neuen Lehns und es gelten[417]die allgemeinen Grundsätze über die Investitur überhaupt. Nur bei gerichtlichen Lehen wird die Reinfeudation gemeinrechtlich blos als eine Fortsetzung der ersten Belehnung betrachtet. Wenn die Reinfeudation geschieht, ehe die ser. in feud sol. mit den übrigen Kirchengütern wieder incorporirt ist, so brauchen bei ihr nicht die Förmlichkeiten beobachtet zu werden, die sonst bei Veräußerung von Kirchengütern stattfinden müssen. c. 2 F. de feudis 3. 20. cf. II. F. 35; in den Particularrechten gelten dieselben Grundsätze häufig auch für die Wiederbelehnung eröffneter Staatslehen. In der Regel hängt die Reinfeudation von der Willkür des Lehnsherrn ab. Oft ist der Lehnsherr aber durch besondere Gesetze dazu verpflichtet (N. 3 und 4) und zuweilen ist der Lehnsherr auch in der Reinfeudation beschränkt. § 235 2. Eventualbelehnung Die Belehnung kann bedingt oder unbedingt geschehen. Die am gewöhnlichsten vorkommenden Arten der bedingten Belehnung sind: 1. Die[…]sionalbelehnung, d. h. Belehnung für den Fall, daß der Belehnte gegen einen Dritten, der auch Anspruch aufs Lehn macht, sein Recht erstreiten wird. 2.  Die Eventualbelehnung. Diese besteht darin, daß ein Lehn jemandem unter der Bedingung verliehen wird, daß es dem Lehnsherrn eröffnet werden wird. Ist der Agenturfall eingetreten, so befindet sich der Eventualbelehnte in demselben Fall, wie ein[…]Investirter. Hierüber ist gar kein Zweifel. Wenn[418]der Agenturfall erst nach dem Tode des Ertheilers eintritt, so fragt es sich: ist der Nachfolger gezwungen die Belehnung zu respectiren? Dies ist bestritten. Nach dem neueren langobardischen Lehnrecht ist der nachfolgende geistliche Lehnsherr hierzu nicht verpflichtet, der weltliche Lehnsherr dagegen soll immer an die Belehnung seines Vermögens gebunden sein. I F. 3; 25 § 1; II F. 26 § 2; II F. 35. Der Grund hiervon ist, daß man es für unangemessen hielt, daß der Vorgänger zum Nachtheile seines Nachfolgers etwas erwerbe, was dieser erst zu vergeben hätte. Diesen Grundsatz kann man aber nicht anwenden auf die Eventualbelehnung, die der weltliche Regent ertheilt. Hier kommt alles nur darauf an, ob die Belehnung als gültige Regentenhandlung anzuführen ist, oder nicht. (cf. N. 17) zur Ertheilung ist die Einwilligung des das Lehn besitzenden Vasallen nicht nöthig. Die hinzukommende Einwilligung giebt jedoch der Belehnung größere Kraft. 2. Die Einwilligung bewirkt schon, daß er keine Handlung vornehmen kann, die dem Eventualbelehnten nachtheilig ist 3. Wenn der Lehn­ besitzer den Eventualbelehnten auch schon in den Besitz des Lehns mit aufnimmt, so ist nun auch jeder nachfolgende Lehnsherr an die von seinem Vorgänger er­ theilte Eventualbelehnung gebunden. [419]§ 236 Anhang: Von der Lehnsanwartschaft Lehnsanwartschaft expectatio feudalis heißt das von dem Lehnsherrn Jemandem ertheilte persönliche Recht in dem Agerturfalle die Belehnung zu fordern. Dies persönliche Recht kann entweder durch einen letzten Willen oder durch einen Vertrag ertheilt werden und dieser Vertrag ist dann ein bedingter Lehnsvertrag. Üb-

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rigens kommt weder im langobardischen Recht noch im ältern deutschen Recht etwas von einer Lehnsanwartschaft vor. Sie ist lediglich ein Werk der Theorie der Juristen. Das durch die Anwartschaft begründete Recht aktiv und passiv vererbt, wie andere Forderungsrechte. Nur gilt von der Verpflichtung des geistlichen Lehnsherrn und des deutschen Regenten dasselbe, wie von der Eventualbelehnung. Zuweilen beschränken jedoch die Particularrechte die Anwartschaft auf die Descendenten des höchsten Grades. Bei der Beerbung muß aber stets eine Civilbeerbung eintreten. Allein der Erbe, welcher die Anwartschaft geltend machen will, muß lehnsfähig sein. Die expectatio kann entweder auf ein bestimmtes Lehn gerichtet sein, oder auf das, was dem Lehnsherrn demnächst eröffnet werden wird. Im ersteren Fall nennt man sie eine specielle im 2ten Fall eine generelle Anwartschaft. Bei der generellen Anwartschaft hängt es nicht von der Willkür des expectors ab, ob er den ersten Fall vorübergehen lassen will, sondern er muß das erste eröffnete Lehn annehmen. Auf ein später eröffnetes Lehn hat er nur dann Anspruch, wenn es seiner Willkür überlassen ist einen Agerturfall vorüber[420]gehen zu lassen. In diesem Falle nennen die neuren das Lehn ein Irrlehn. Nach dem Gewohnheitsrecht geht der specielle Expectant immer dem generellen vor, er müßte dann bei einem bevorstehenden Agerturfalle die specielle expectatio doloser Weise erlangt sein. § 237 3. Die Coinvestitur Wenn das Lehn mehreren Personen zugleich ertheilt wird, so nennt man das Co­ investitur. Von der Mitbelehnung giebt es 2 ganz besondere Arten: 1. die langobardische Coinvestitur. Bei dieser wird das Lehn Mehreren nach der Natur des Miteigenthums verliehen, so daß jeder einen idellen Theil bekommt. Die Wirkung dieser Mitbelehnung ist, daß Jeder an einem Antheil das dominium utile auch für seinen lehnsfähigen Descendenten erwirbt. Ein gegenseitiges Sucessionsrecht findet nicht statt. I F. 8 § 3, 14 § 2; I F. 20 2. die deutsche Mitbelehnung oder Gesamtbelehnung. Bei dieser erhalten Mehrere die vasallitischen Rechte am Lehn dergestalt, daß jeder ein Recht am ganzen Lehn hat, so daß wenn Einer wegfällt, dies dem Andern zu Gute kommt. Über die eigentliche Natur dieser Lehnsart sind die Juristen nicht einig. Die ältern Juristen nahmen ein conddominium plu-[421]rium in solidum an. Albrecht – faßt es als eine juristische Person auf. Duncker behauptet, das Recht des Coinvestirten sei hier ein Miteigenthum an ideellen Theilen. Allein keine dieser Ansichten findet in den deutschen Rechtsbüchern eine Unterstützung. Wir finden vielmehr eine Rechtsgemeinschaft Mehrerer, diese steht in der Mitte zwischen der römische universitas und communio und richtet sich mehr nach der letzteren. Die deutschen Rechtsbücher kennen nur diese Art der Belehnung, im langobardischen Lehnsrecht aber wird sie nirgend erwähnt, doch ist eine Bekanntschaft damit zu erathen nach I F. 3 pr. Die heutige Beschaffenheit ist sehr verschieden besonders sind 2 Arten zu unterscheiden: 1. die Gesamtbelehnung im eigentlichen Sinn. Bei dieser erhalten die sämtliche Belehnten Besitz und Genuß des Lehns. 2. Die Belehnung zur gesamten Hand, simultanea. So nennt man die Belehnung, bei welcher nur einer der Belehnten in Besitz und Genuß des Lehns ist, die Übrigen nur der successio fähig sind. Jener, der das Lehn zunächst in Besitz bekommt, heißt Principalvasall, Lehnsbesitzer.

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§ 238 II. Begründung des Lehns durch Verjährung (Coinvestitutive Lehnsverjährung) Diese hat dann statt, wenn Jemand an einem Allod entweder die Lehnsherrlich­ keit oder das vasallitische Recht erwerben will. Was das ältere deutsche Recht[422] enthält ist nicht mehr anwendbar. Unter den Stellen des langobardischen Rechts kommt, nur in Betracht N. 2 diese ist allerdings zweifelhaft, da hier von einer Extintivverjährung die Rede ist, unsere Praxis versteht diese Verjährung aber entschieden als acquisitive und sie befolgt bei der Constitutive Verjährung die Grundsätze des römischen Rechts: 1. daß der verjährende das getheilte Eigenthum unter der Lehnsverbindung besitzt 2. bona fides 3. Ablauf der gesetzlichen Zeit Diese Zeit beträgt immer 30 Jahre. Nicht so ausgemacht ist es bei den Gegenständen, bei denen das römische und kanonische Recht eine längere Frist fordert, die Frage ist jedoch zu bejahen, auch bei der Lehnsverjährung gilt dasselbe. Die neuen Gesetzgebungen erkennen zuweilen gar keine constitutive Lehnsverjährung an. Fünfter Abschnitt Rechtsverhältnisse in Ansehung errichteter Lehen. Erste Abtheilung Rechtsverhältnisse der Lehnspersonen unter einander I. Vererbung des Lehns § 239 Einleitung Die Lehnsfolge successio feudalis, hat statt wenn das Lehn nach dem Tode des Besitzers oder einem dem gleichgeachteten Ereigniß auf eine Person, welche mit jener in ein und derselben Investitur begriffen ist, überhaupt die Lehnsfolge ist gemeinrechtlich nach dem langobardischen Recht zu beurtheilen. Jedoch sind die Grundsätze des ältern deutschen Rechts nicht ohne Bedeutung. Man unterschied zwischen[423]ordentlicher Lehnsfolge, welche vermöge gesetzlicher Bestimmung eintritt und außerordentlicher wenn Jemand durch Testament oder Erbvertrag ein Lehn erlangt. Allein die Letzteren gehörten gar nicht in die Rubrik der Lehnsfolge, sondern in die Lehre von der Lehnsveräußerung (§ 277) die ordentliche Lehnsfolge ist entweder successio nach Geblutsrecht, oder aus einem speciellen Rechstgrunde. Um das Verhältnis der Lehnsfolge deutlich zu machen, unterschied man zwischen Successionsrecht und Successionsordnung. Dieser Unterschied erklärt sich so: das Recht in ein Lehn zu succediren ist für die Lehnsfolge theils schon vor dem wirklichen Anfall vorhanden, vermöge der Investitur, die ein Anderer erhalten hat und zwar in der Regel unabänderlich. Die Successionsordnung bestimmt, welcher unter den Successionsberechtigten im Fall der Erledigung das Lehn wirklich erwirbt. § 240 A. Allgemeine Natur der Lehnsfolge I. nach dem langobardischen Recht Diese steht dem Blutsfreunden des ersten Erwerbers zu, welche in der ihnen er­ theilten Investitur mit einbegriffen sind. Dies sind nach dem neuen langobardischen Recht alle lehnsfähigen Descendenten des Erwerbers bis ins Unendliche. II F 23. 2;

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II F 37 cf. I F 1 § 3. So lange sich ein Lehn noch in der Hand des ersten Erwerbers befindet, nennt man es ein feudum novum, ist es aber durch die Lehnsfolge schon auf andere übergegangen, so heißt es feudum antiguum oder paternam. Insofern das Verhältnis der Lehnsfolger zum ersten Erwerber in Betracht kommt, kann man dem Obigen noch sagen „jeder Lehnsfolger der wegen Geblütsrecht succediren will, muß ein Descendent des ersten Erwerbers sein. Kein gesetzliches Successionsrecht haben 1. die Ascendenten II F. 50 (cf. pag. 448 N. 4) 2. Ehegatten II F. 8 § 2 II F 13.[424]3. alle Seitenverwandten II F 11 § 1. Die Seitenverwandten des letzten Besitzers succediren allerdings unter der Voraussetzung, daß sie ihre Abstammung vom ersten Erwerber beweisen können, und das langobardische Lehnrecht hat hier mehrere Erleichterungen. Es reicht zum Beweis schon hin, wenn der Prätendent, nur darthut, daß er von einer Person abstammt, von welcher das Lehn auf den Besitzer gekommmen ist (N. 1 II F 11 § 1) dieser Beweis kann dadurch geführt werden, daß der Erwerber zum Supletorischen Eid gelassen wird. Jetzt ist dies so zu machen, daß der Lehnsherr in einem solchen Fall nur zum Gegenbeweis gelassen werden soll. Die Seitenverwandten des ersten Erwerbers können dadurch ein Successionsrecht erhalten, daß dem Erwerber des Lehns so verliehen wird, als ob es schon ein Vorfahr von ihm gehabt hätte (feudum novum jure antiqui[…]) Es fragt sich nun aber, wer wird denn als erster Erwerber fingirt? Im Zweifel kann nur der Vater des wirklichen ersten Erwerbers angenommen werden. Weit mehr als ein gewöhnliches feudum novum jure antiqui successum ist es, wenn der Lehnsprätendent beweist, daß er derselben Familie angehöre, wie der Verstorbene (N. 5). Im Gegensatz zu den Descendenten des letzten Besitzers nennt das langobardische Lehenrecht seinen Seitenverwandten Agnaten. Zwar scheinen in einer Stelle II F. 11 Pr. auch die Descendenten unter dem Namen Agnaten mitbegriffen zu sein (cf. § 247 N. 2 pag. 448) Allein in den übrigen Stellen muß man, da sie von allen übrigen Stellen abweichen würde, annehmen, daß der Schrift­steller hier den Ausdruck „activis“ nicht ganz genau gebraucht hat.[425]Nach dem langobardischen Lehnrecht succediren alle gleich nahen Lehnsberechtigten in das Lehn zugleich und es hängt lediglich von ihrem Belieben ab, ob sie das Lehn unter sich theilen oder gemeinschaftlich behalten wollen. II F. 26 § 7; II F § 50. Wenn ein Lehn getheilt wird, so können die Theile natural oder Civiltheile sein. Bei der Civiltheilung wird das Lehn Einem überlassen und die Übrigen lassen sich ihren Antheil in Geld auszahlen, oder sonst abfinden. Jeder Lehnsfolger erwirbt, den ihm zufallenden Antheil zunächst auf seine Descendenten (cf. 247 N. 4) durch die Theilung wird aber das gegenseitige Successionsrecht keineswegs aufgehoben. Wenn daher die eine Linie ausstirbt, so succediren die übrigen Linien in den vor ­jener besessenen Antheil. II F 50 § 241 2. Nach dem deutschen Rechte Das ältere deutsche Recht hat den Grundsatz: Niemand vererbt ein Lehn, denn auf seinen Sohn. Unter Sohn ist hier jeder Descendent zu verstehen (lit. a sächsisches Lehnrecht N. 6 Schwäbisches Lehnrecht) die Seitenverwandten des letzten Besitzers hatten auch wenn sie vom ersten Erwerber abstammten von dieser Abstammung gar kein Successionsrecht. Sie konnten dies nur erlangen vermöge einer Ge-

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samtbelehnung vom letzten Besitzer. Wenn der verstorbene Vasall mehrere Söhne hinterließ, so wurden diese zwar zugleich zur Succession berufen, der Lehnsherr brauchte aber nur Einen zu belehnen. Wer dies von ihnen sein sollte, darüber hatten sie sich zunächst selbst zu vereinigen. Vereinigten sich[426]die Söhne aber nicht binnen Jahresfrist, so hatte der Lehnsherr die Wahl. Eine Gesamtbelehnung aller Söhne war daher lediglich Gnade des Lehnsherrn (N. 7–10) Die Seitenverwandten hatten das durch die Gesamtbelehnung erlangte Successionsrecht nur solange, als das Lehn in Gesamteigenthum blieb, theilten sie, so ging dadurch ihr gegenseitiges Successionsrecht verloren (N. 14) Durch die Theilung ist aber nur Nutzung und Besitz nicht das Lehn selbst getheilt. Man nennt dies eine Mutschierung oder Örterung. Daß hier das Recht am Lehn selbst nicht getheilt ist, ergiebt sich aus mehreren Kennzeichen (N. 18–20) Im Gegensatz dieser beschränkten Theilung wird eine wirkliche Theilung am Lehn Thattheilung genannt. Um den Verlust des Successionsrechts der Seitenverwandten bei der Thattheilung zu verhindern, wurde die Belehnung zur gesamten Hand eingeführt, wo es z. B. möglich war, daß man einem Bruder das Lehn überließ und doch in Gemeinschaft mit ihm blieb. Auf Beibehaltung der gesamten Hand beruht auch jetzt noch oft das Successionsrecht der Seitenverwandten des Besitzers (N. 15–17) Jedoch hat das langobardische Lehnrecht soweit Einfluß hierauf gehabt, daß die Abstammung vom ersten Erwerber das Recht begründet, die Belehnung zur gesamten Hand zu verlangen, so daß dieser jetzt nicht mehr als Gnade des Lehnsherrn angesehen wird. Bei den Hoflehen fand nach mehreren Hofrechten schon früh eine weit freiere Vererbung statt (N. 21–24) [427]§ 242 Insbesondere: ist die Lehnsfolge eine Singularsuccession oder nicht? Kann der Sohn die Veräußerung des Lehns von Seiten seines Vaters anfechten, oder nicht? Dies ist die Frage, wobei es hier besonders ankommt. Nach älterem deutschen Recht ist das Verhältnis des Lehnsfolgers zu Dritten ganz dasselbe wie jedes Erben bei Allodialgrundstücken. Dem langobardischen Lehnrechte ist schon der Unterschied des römischen Rechts zwischen Universal- und Singularsuccession bekannt. Ob und wie weit nach dem langobardischem Lehnrechte die Lehnfolge einen Universal- oder Singularsuccession sei, ist sehr bestritten. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis in dieses hinein war die herrschende Ansicht, die Lehnfolge sei immer nur successio ex pacto providentia majorum d. h. die Lehnsfolger succediren eigentlich dem ersten Erwerber, nicht dem letzten Besitzer (cf. Böhme codem juris feud. de filio vasalli) Nach dieser Ansicht ist die Lehnsfolge eine reine Singularsuccession. Allein hiermit lassen sich folgende Grundsätze des langobardischen Lehnrechts nicht vereinigen. 1. Man muß der richtigen Meinung nach behaupten, daß, wenn der Lehnsbesitzer das Lehn veräußert hat, seine Söhne dies nicht revociren dürfen, sondern nur die Agnaten dazu berechtigt sind.[428]2. Wird der Vater des Lehns verlustig, so verlieren es auch seine Söhne, nicht aber seine Agnaten. 3. Der Sohn kann, wenn ihm nach dem Tode seines Vaters das Lehn zufällt, dies nicht allein annehmen und die ihm zugleich descendirte Allodialerbschaft ausschlagen, sondern er muß beides zugleich entweder aus­ schlagen oder annehmen. Eine Folge hiervon ist es, daß der Sohn, wenn er in das

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Lehn seines Vaters succediren will, auch immer dessen Schulden bezahlen muß. Ein Agnat dagegen, wenn ihn der Allodialnachlaß des verstorbenen Vasallen zugleich mit dem Lehn descendirt wird, kann den Allodialnachlaß ausschlagen und das Lehn annehmen. Und wenn er die Allodialerbschaft ausschlägt, so kann er das Lehn bekommen, ohne die Schulden des verstorbenen Vasallen zu bezahlen (N. 4, 6, 9) II F. 45; II. F. 50. Ohne die Allodialerbschaft seines Ascendenten anzunehmen, kann der Descendent Lehn doch erlangen wenn er ein von der Erbfolge unabhängiges Recht darauf hat. Dahingehört der Fall, wenn er nachdem er beides ausgeschlagen hat, von dem Lehnsherrn wieder belehnt wird. Zu einer solchen neuen Belehnung wird stets die Einwilligung des Agnaten erfordert. Durch eine solche Belehnung wird das feudum antiguum immer in ein feudum[429]novum verwandelt. Die Agnaten verlieren daher immer ihr Agnationsrecht. Daher wird es dem Sohn selten gelingen, sich von den Schulden seines Vaters zu befreien (N. 6). Alle jene mit der Singularsuccession in das Lehnrecht des letzten Besitzers unverträglichen Grundsätze betrachten die Anhänger der successio ex pacto et providentia majorum als bloße Singularitäten. Allein zu solcher Annahme sind wir nicht berechtigt, solange scheinbar sich widersprechende Sätze sich auf ein gemeinsames Princip zurückführen lassen. Dies Princip ist das: Der Sohn bekommt das Lehn nur als einen Theil der Allodialerbschaft und daher als Erbe seines Vaters; ein Agnat erhält es aus einem speciellen Titel, also ist die reine Singularsuccessio vorhanden, während bei den Descendent eine Universalsuccession. § 243 Anhang: Wirkungen der Verbindung des Lehns- und Allodialsuccession Wenn bei einem Agnaten eine Vereinigung der Lehnsfolge mit der Allodialsuccession stattfindet, so wird hierdurch doch keineswegs eine willige Vermischung beider in eine Erbschaft herbeigeführt. Es bleiben vielmehr diese beiden verschiedenen Vermögensmaßen immer noch getrennt. Wichtig wird dies dann, wenn der Erbe vom benef.[…]die Erbschaft antritt. In diesem Fall braucht er die Handlungen seines Erblassers in Betreff des Lehns nur soweit zu prästiren, als er Entschädigung aus der Allodialerbschaft bekommt. Zu der Allodialerbschaft können aber weder das Lehn selbst, noch die Früchte des Lehns gerechnet werden.[430] Der Descendent hingegen, wenn er cum benef.[…]antritt, muß alle Handlungen des Erblassers in Betreff des Lehns anerkennen. Zur Bezahlung der Schulden des Erblassers darf er zwar die Substanz des Lehns nicht angreifen, aber nur deshalb, weil hierzu die Agnaten und der Lehnsherr einwilligen müssten. Dagegen muß der Sohn alle Früchte welche er vom Lehn zieht, zur Bezahlung der Schulden anwenden, da auch diese zum Allodialnachlaß gehören. B. Successionsrecht (Lehnsfolgefähigkeit) § 244 1. Rechtmäßige Abstammung Das Successionsrecht steht nur solchen Personen zu, welche lehnsfolgefähig sind, II. F. 36 Der Mangel der Lehnsfolgefähigkeit bewirkt immer, daß der nächste Fähige an die Stelle jenes tritt, dies ist ein jus quaesitum des nächsten Lehnsfolgers. Daher

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kann der Lehnsherr ohne dessen Einwilligung von der Lehnsfolgeunfähigkeit nicht dispensiren. Die Lehnsfolgeunfähigkeit schadet aber auch nur dann, wenn bei dem Anfall des Lehns kein Zweifel mehr ist, daß sie beständig fortdauern werde. Sonst wird der Anfall nur solange suspendirt. Daher geht auch das einmal erworbene Lehn nicht wieder verloren. Zur Lehnsfolgefähigkeit wird erfordert: 1. Rechtmäßige Abstammung vom ersten Erwerber[431]Hierzu gehört Geburt aus einer gültigen Ehe. Uneheliche Kinder können nicht succediren (N. 2) der Grund hiervon liegt aber nicht nur darin, daß die unehelichen Söhne nicht als Descendenten ihres Vaters angesehen werden können, sondern darin, daß nach älterm deutschen Recht die Unehelichen als echt- und rechtlos weder erb- noch lehnsfähig waren. (cf. N. 4) Können uneheliche Kinder durch Legitimation successionfähig werden? Diese Frage ist sowohl nach älterem deutschen, als auch nach lombardischen Recht entschieden zu verneinen. Später aber änderte sich hierin Theorie und Praxis sowohl in Italien wie in Deutschland eine zeitlang die Successionsfähigkeit sowohl der per rescriptum als auch der per subsequens matrimonium legitimirten Kinder anerkannt, der letztere besonders auf Grund von cap. 6 F qui filii cent. leg. 4, 17. Gegen die per rescriptum legitimirten warf sich aber die Theorie und Praxis, weil man diese Art der Legitimation als Menschenwerk, die andere als Gotteswerk betrachtete. So steht der richtigen Meinung nach die Sache so: Die Successionsfähigkeit der per subseq. matr. Legitimirten muß gemeinrechtlich anerkannt werden. (Unter 43 Particularrrechten sind nur 15 für die Successionsfähigkeit derselben) Die Successionsfähigkeit der per rescriptum Legitimirten ist dagegen nicht gemeinrechtlich.[432]Wegen mangelnder Abstammung können auch Adoptivkinder nicht in Lehn succediren. Außer der Geburt in einer wahren Ehe gehört auch noch dazu die Abstammung aus einer bürgerlich wirksamen Ehe. Daher sind ausgeschlossen die aus einer Mißheirath und marganatischen Ehe Erzeugten § 245 (cf. § 2 28) 2. Passive Lehnsfähigkeit 1. Schließen einzelne bürgerliche Mängel von der Lehnsfolge aus? Dies ist zu verneinen II F. 36, aber sehr bestritten. Im neueren Lehnrecht wurden geistige und bürgerliche Gebrechen häufig nicht als zur Lehnsfolge unfähig machend betrachtet. 2. Da die Weiber nicht lehnsfähig sind, sind sie auch nicht successionsfähig, und ein Unfähiger auch das Successionsrecht nicht auf seinen Descendenten übertragen kann, so sind die Söhne dieser auch nicht successionsfähig. I F. 8 pr.; II F 11 pr. § 8; Ist aber die erste Erwerberin des Lehns ein Weib gewesen, so versteht sich die Lehnsfolge der Weiber von selbst. Sonst kann die Succession der Weiber sich nur auf einem besonderen Investiturvertrag oder auf das Lehnhofsrecht gründen. Da immer die geringste Abweichung von den natürlichen Eigenschaften beim Lehn anzunehmen ist, so können auch beim Weiberlehn die Weiber[433]succediren, wenn der Mannsstamm des ersten Erwerbers ausgegangen ist. (N. 8 und 9) I F 8 § 2; II F 13. Dies ist ein successives Weiberlehn (N. 13) Nur eine ausdrückliche Bestimmung des Investiturvertrags kann daher dem Weiberstamm mit dem Mannsstamm ein gleiches Successionsrecht geben. Ein solches Lehn ist ein gemischtes, oder durchgehendes Weiberlehn. N. 19, 21. Eine besondere Art von Weiberlehn sind

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die, wo die Weiber von der Lehnsfolge ausgeschlossen sind, wo sie aber das Lehn auf die weiblichen Descendenten übertragen können. Ein solches Weiberlehn wird ein weibliches Erbmannlehn genannt. I F. 1 § 3. Ist ein successives Weiberlehn auf ein Weib gefallen, so succedirt doch wieder ihr männlicher Descendent ausschließlich N. 8 und 10. Eine andere Frage ist es, ob schon beim Eintritt in das Lehn der männliche Cognat vorgeht. Manche sagen: die Weiber nicht vor den Männern succediren, daher schließe der Sohn die Mutter, der Neffe die Tante aus. Hierfür berufe man sich auf N. 8 in fine. Allein diese Worte dürfen nur mit Hinsicht auf den in jenem Text enthaltenen Fall ausgelegt werden. In diesem Fall wird nämlich nur der Enkel der Enkelin vorgezogen. Diese Stelle kann also nicht den unbedingten Vorzug der männlichen vor den weiblichen[434]Cognaten beweisen. In II. F. 50 wird diese Ansicht ferner auch verworfen und es kommt außerdem in Betracht N. 10 (ii. F. 51 § 3) cf. N. 4 pag 448. Hieraus ergiebt sich nun, daß der weibliche Cognat durch den männlichen immer dann ausgeschlossen, wenn er … C. Successionsordnung § 246 1. Übersicht Zuerst succediren unter mehreren Berechtigten die Descendenten des verstorbe­ nen Vasallen (cf. N. 1) II. F. pr. Die Descendenten succediren ganz so wie nach Justinianischem Recht (natürlich nur der Mannesstamm. I F. 1 § 1. I. F 8 § 1. Über die Successionsordnung der Seitenverwandten giebt es 3 verschiedene Ansichten 1. die Gradualfolge 2. die Linealfolge 3. die Lineal-Gradual und gemischte Lehnfolge[435]ad 1. Nach dem Gradualsystem succediren die Seitenverwandten nach der Ordnung der nov. 118 mit der Ausnahme, daß, weil Alles auf die Abstammung vom ersten Erwerber ankommt, kein Unterschied zwischen voller und halber Geburt vom Vater her ist. ad 2 und 3. Hiernach succedirt immer die Linie des nächsten gmeinsamen Stammesvaters ausschließlich. Dagegen unterscheiden sich beide Systeme: Nach dem reinen Linealsystem succediren alle Descendenten des gemeinsamen Stammesvaters zugleich ohne Rücksicht auf Gradesnähe, nur daß der Ascendent dem Descendenten ausschließt. Es läßt sich diese Successionsart am deutlichsten so machen: die Seitenverwandten succediren hier so, wie sie als Descendenten des nächsten gemeinsamen Stammvaters succediren würden. Nach dem gemischten System dagegen wird in der näheren Linie immer nach dem Grundsatz der nov. 118 succedirt. Es schließen daher die dem Grade nach nähere Agnaten die Entfernteren aus. Nach dem Linealsystem würde succediren: f und e zugleich – dann g, h, i zugleich und zuletzt c. Nach dem gemischt. Syst. zuerst e (nicht mit ihm zugl. f) dann g dann h und dann c! [436]§ 247 2. Prüfung der verschiedenen Systeme über die Successionsordnung der Seitenverwandten Das eine Gradualsystem hat für sich N. 1, 2 und 3. Bis ins 16te Jahrhundert war dies System auch das fast allein herrschende. Seitdem ist es aber allmählich ganz aufgegeben Wassersleben hat versucht dieses System wieder zur Geltung zu brin-

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gen, er nimmt an, daß ein von ihm für die ältere Successionsordnung aufgestelltes Princip auch im langobardischem Lehnrecht befolgt sei. Nun berechne man sagt er die Grade der Verwandschaft nach römischer computation. Auch habe das römische Recht in sofern einen Einfluß auf das langobardische Lehnrecht gehabt, daß dieses mit den Brüdern des verstorbenen Vasallen auch die Söhne vorverstorbener Brüder zur Succession bringen. Das von ihm begründete System stimmt ganz mit den Grundsätzen des Gradualsystems überein. Aber auch Wassersleben hat den Widerspruch, der in N. 4 liegt, nur aus dem Wege zu räumen gewußt durch eine mit den Worten von N. 4 nicht in Einklang zu bringende Interpretation, weshalb sein Versuch als mißlungen zu betrachten ist. Die Anhänger legen allen Nachdruck auf das Wort omnes und aequaliter. Es müssen hiernach alle in der gleich nahen Linie stehenden Agnaten auf einmal succediren ohne Rücksicht auf die Nähe des Grades. Allein auch mit diesem System stehen in Widerspr. N. 1 und 2. Alle Widersprüche beseitigt allein das System der Lineal- Gradial – Lehnfolge. Dies nimmt an, in II F. 50 sei das nächste Princip entwickelt, auf welchem die Successionsordnung der Agnaten beruhe, nämlich das Princip des Vorzugs der näheren Linie diese Stelle muß aber ergänzt werden aus -[437]II. F. 37 pr. und II. F. 11 pr. und § 1 und dann müße auf die römische Successionsordnung Rücksicht genommen werden. In den Particularrechten findet sich immer gerade das System welches, zu der Zeit der Abfassung der Gesetze das herrschende war. § 248 D. Begründung einer besonderen Successionsordnung Die nach langobardischem Lehnrecht zulässige Theilbarkeit der Lehn ist dem Familien[…]sehr schädlich. Daher ist sonst bei allen größeren Lehen nur das ältere deutsche Recht der Untheilbarkeit beibehalten da aber das langobardische Recht heuzutage das gemeine Recht bildet, so muß die Untheilbarkeit immer auf specieller Disposition beruhen (die unordentliche Verjährung ersetzt den Beweis/­Permis) Meistens wird die Untheilbarkeit dadurch bewirkt, daß eine von der gemeinschaftliche Successionsordnung abweichende festgesetzt wird, wonach immer nur ein Einzelner succedirt. Die zu diesem Zwecke üblichen Successionsordnungen sind die Primogeniturordnung, Majorat, Minorat, Seniorat. Diese kommen auch bei andren Gütern, z. B. Familienfideicommissen, vor. § 249 (cf. § 302) Anhang: vom Erblehn Die Lehnsfolge kann durch den Investiturvertrag oder durch das Lehnshofsrecht in eine wahre Allodialerbfolge umgeschaffen werden. Ein Lehn bei welchem dies geschehen ist, nennt man Erblehn, feudum hereditarium. Diese Audrücke kommen im deutschen und langobardischen Lehnrechte vor.[438]Beide beziehen sich auf ein vererbliches Lehn überhaupt. Die obigen Ausdrücke sind häufig in Lehnsbriefen gebraucht. Übrigens sind die Erblehen nicht von einerlei Natur, sondern es giebt mannigfaltige Abstufungen, jenachdem man sich mehr oder weniger der Allodialsuccession angeschlossen hat. cf. (N. 5–8). In dieser Hinsicht unterscheiden die Neueren: 1.  das völlige Erblehn, wo in allem Punkten die Allodialsuccession stattfindet. 2. das gemischte Erblehn, wo nur in einigen Punkten Obiges statthat. Wegen der ver-

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schiedenen Abstufungen muß man bei der Beurtheilung immmer von dem Princip ausgehen, daß jedesmal die geringste Abweichung vom Lehn zu vermuthen ist. Zweiter Abschnitt Verschiedene Arten der Ausübung der aus dem Lehnsverbande entspringenden Rechte § 250 A. Im Allgemeinen Die Lehnspersonen üben ihr Recht entweder selbst aus, oder durch Stellvertreter. Diese sind entweder gewöhnliche (Mandatore), oder dem Lehnsrecht eigenthümliche Mandatoren, welche prodomini oder provasalli genannt werden (Lehensträger) Das Eigenthümliche findet man meistens darin, daß sie ein selbstständiges Recht auf die Stellvertretung haben, das nicht von dem Willen des Principals abhängt. Allein dies ist keineswegs immer der Fall. Das Charakteristische der Stellung besteht vielmehr darin, daß sie nur im Verhältnis zu dem Principal als[439] Stellvertreter, allen Dritten gegenüber nicht als Ausüben fremder Rechte, sondern als Ausüben eigener Rechte betrachtet werden z. B. der Provasallus ist dem Lehnsherrn gegenüber der wirkliche Vasall. Im Übrigen hängt das Verhältnis desselben von speciellen Geschäften und Verträgen ab. Als Ausüber fremder Rechte dürfen sie aber nicht veräußern. Dies Institut ist dem langobardischen Recht unbekannt, es ist ein rein deutsches und daher nach deutschem Rechte zu beurtheilen. B. Insbesondere § 251 1. Vom prodominium Entweder ist der Staat prodominius, oder ein Andrer an den zu Lehn gegebenen Staatsgütern hat der Landesherr ein prodominium. In Rücksicht der zu Lehn gegebenen Kammergüter ist der Regent bald Lehnsherr, bald prodominus, jenachdem man das Eigenthum ihm allein, oder der ganzen landesherrlichen Familie zuschreibt. Ein prodominium simplex hat, der Senior einer Gemeinde, das Familienoberhaupt, der Kirchenprälat. § 252 2. Vom provasallagium Da der Lehnsträger in Beziehung auf Dritte, auch dem Lehnsherrn gegenüber, als eigentlicher Vasall zu betrachten ist, so muß er wie dieser auch völlig investirt werden. Regelmäßig ist es aber nicht der Willkür des Vasallen überlassen, ob er einen[440]Lehnsträger, oder einen bloßen Substituten stellen will, viel mehr machen die juristischen Eigenschaften gewisser Vasallen einen Lehnsträger nothwendig. Die wichtigste Gattung von Vasallen, welche einen Lehnsträgers bedürfen, sind die resp. lehnsunfähigen Personen. Dies hängt damit zusammen, daß nach älterem Rechte dispensirte unfähige Personen nur dem dispensirenden Lehnsherrn gegenüber für dispensirt galten. Sie bedurften daher immer eines Lehnsträgers, sonst konnten sie das Lehn nicht behalten, denn allen Dritten, selbst dem nächsten Lehnsherrn gegenüber galten sie dienstunfähig. Ferner mußten die Gesamt­ belehn­ten einen Lehnträger haben, sie durften sich nicht durch einen Substituten vertreten lassen. (N. 12, 15 und 16) Der Grund hiervon liegt darin, daß seit dem die

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mehreren Söhne des Vasallen eine Gesamtbelehnung verlangen konnten, man sich doch dem älteren Recht insofern anschloß, daß der Lehnsherr fordern konnte, daß sie sich durch einen Lehnträger vertreten ließen. Diese Grundsätze sind heutzutage selten anwendbar, nur in einigen Particularrechten (N. 17–19) C. Von der Lehnsvormundschaft § 253 1. Altes Recht zusammengefaßt[441]§ 253 und 254 2. Heutiges Recht § 254 Die Lehnsvormundschaft hatte im alten Recht viele Eigenthümlichkeiten. Von diesen haben sich nur hier und da in Particularrechten Spuren erhalten. Zu diesen Spuren gehört die Eigenheit, daß neben dem Allodialvormunde immer ein besonderer Lehnsvormund als solcher bestellt wird. Dieser hat aber mit der Verwaltung des Lehns nichts zu thun, vielmehr ist dieselbe Sache des Allodialvormunds, weil die Früchte des Lehns zum Allod des Vasallen gehören. Er ist vielmehr ein Lehnträger der die Rechte und Pflichten des Vasallen dem Lehnsherrn gegenüber zu vertreten hat. III. Rechte des Lehnsherrn § 255 A. Natur der Lehnsherrlichkeit Die Lehnsherrlichkeit ist entweder feudal, oder allodial, je nachdem der Lehnsherr entweder wirklicher Lehnsherr oder Unterlehnsherr ist. Im ersteren Fall kommt die Lehnserbfolge, im 2ten die Allodialerbfolge zur Anwendung. Hiernach ist die Frage zu beantworten, inwiefern der Nachfolger an die Handlung seines Vorgängers gebunden ist. B. Rechte gegen die Person des Vasallen § 256 1. Recht auf Lehnstreue Die Rechte, die der Lehnsherr von dem Vasallen[442]verlangen kann, sind alle Ausfluß der Lehnstreue. Zur Lehnstreue ist nicht nur der Vasall verpflichtet, der das Lehn gegenwärtig besitzt, sondern Alle, welche Kraft der Investitur ein Recht auf das Lehn haben. II F. 5 § 1; II F 55 § 3 und 4 Der Charakter der Lehnstreue ist eine besondere Anhänglichkeit und Ergebenheit. Die eizelnen Verpflichtungen sind theils aus den Lehngesetzen, theils aus dem Investiturvertrag zu beurtheilen, sie sind jedoch zurückzuführen: 1. auf die Lehntreue im eigentlichen Sinn 2. auf Lehngehorsam Die Lehnstreue im engeren Sinn besteht darin, daß der Vasall den Lehnsherrn in Rücksicht seines Lehns, seiner Ehre und Güter nicht verletzen, daß er zur Abwehr solcher Verletzungen dem Lehnsherrn mit Recht und That beistehen will und endlich, daß er ihm den Lehndienst leiste. Alles das ist Gegenstand des Lehnsdienstes II F 5. 7. (Eidesformel) (cf N. 8) Die Lehnsreverenz besteht in der äußeren Ehrfurcht auch sie besteht in Thun und Lassen. Was das Thun betrifft, ist durch das gemeine Recht nicht näher bezeichnet, sondern richtet sich nach der Gewohnheit der Zeit und des Orts (N. 1) II F 23 pr. Was das Unterlassen betrifft, so legt das langobardische Lehnrecht der Reverenz alle die Rechte bei, welche nach römischem Recht dem Patronen gegen den Clien-

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ten zustanden II F 24 § 8; II F 33 § 4 und 5[443]Namentlich darf der Vasall nicht gegen den Lehnsherrn zeugen. Im Criminalrecht gilt dies langobardische Recht unbedingt. Im Civilrecht kommt es auf die Auslegung von N. 7 oder 4 § an. Dieser Text ist so zu erklären, daß das Zeugniß des Vasallen nur in geringfügigen Sachen zuläßig sei. In eigentlichen Lehnssachen, d. h. bei Streitigkeiten zwischen Lehnsherr und Vasallen können Letztere nicht zugelassen werden. II F 26; II F 2.52.33 pr. § 1–3 Auch verletzt der Vasall die Lehnsreverenz, wenn er ein stuprum mit einem dem Lehnsherrn verwandten oder verschwägerten Frauenzimmer begeht. I F 5 pr. II F 24 § 4 2. Recht auf den Lehnsdienst § 257 a. von den Lehndiensten im Allgemeinen Die Verpflichtung zu Diensten ist zwar ein Ausfluß der Lehnstreue, sie liegt aber nur dem Besitzenden Vasallen ob. Außer in den allgemeinen Rechtsregeln können die Lehndienste auch ihren Entstehungsgrund in einem Vertrage haben. II F 2 f 2 Sowohl die gesetzmäßigen, als auch die vertragsmäßigen Dienste lassen sich ein­ theilen in Kriegsdienste und nicht militärische Dienste. b. Insbesondere § 258 α. Kriegsdienste Die Kriegsdienste, welchen die Vasallen den Lehnsherrn zu leisten hatten, waren entweder Ritterdienste (Dienste im freien Felde) oder Burgdienste (Vertheidigung der Burg[)]. Zu jenen ist der Vasall schon[444]nach gemeinem Rechte verpflichtet, zu letzteren aber nur durch besonderen Vertrag. Nach Veränderung der Kriegsdienste seit dem Ende des Mittelalters kamen die Kriegsdienste de Vasallen in Abnahme. Indessen wurde doch in den meisten Ländern der Lehndienst bis zum 30 jährigem Kriege meistens in einigen Fällen geleistet (N. 10–12) Mit dieser Zeit wurde aber überall Geld statt Dienste gegeben. Dies nennt man Adäration. Diese kann zweierlei Art sein: 1. Meistens ist sie eine wahre Besteuerung. 2. Zuweilen wird aber ohne Rücksicht auf Steuer eine gewisse Summe zur Vergeltung der Lehndienste gegeben (N. 14 und 15) § 259 B. Nichtmilitärische Leistungen Das langobardische Recht kennt nur eine Art derselben: die Gerichtsdienste. Sie bestehen darin, daß die Vasallen zur Entscheidung von Lehnssachen sich bei den Lehnshöfen gebrauchen lassen. Alle anderen Dienste können nur vertragsmäßige Dienste sein. II F. 2. Nach dem älteren deutschen Recht war es aber eine allgemeine Rechtsregel, daß die Vasallen bei feierlichen Gelegenheiten auch Ehrendienste am Lehn des Lehnsherrn verrichten mußten. Seit Einführung der besoldeten Hofbeamten sind sie meistens außer Gebrauch gekommen. Daher können sie[445]heutzutage nur noch gefordert werden, wo sie besonders hergebracht sind. (N. 6) Zu den Lehn, an denen nicht die Verpflichtung, Kriegsdienste zu leisten haftet, gehört das Amtslehn (Amtsrechtslehn). Hier vertritt die Verwaltung eines Amtes die Stelle der Dienste. Eine Hauptart war das Hoflehn, von welchem bestimmte Hofdienste geleistet werden mußten. Diese Dienste wurden aber in späterer Zeit

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durch die Einführung der Hofstaaten verdrängt. Eine andere Art, ist das Schuldenlehn, bei welchem der Vasall das Schuldheisen-Amt zu verwalten hat. Oft sind Lehen auch unter andern Bedingungen verliehen, als Dienste zu leisten. Das Zinslehn und Leiblehn, bei welchen der Vasall statt der Dienste einen jährlichen Zins zu leisten hat an Geld oder Naturalien. Diese Lehen sind gewöhnlich Bannlehn. Hieraus ergiebt es sich, daß in manchen Ländern Zeit- und[…]lehn gleichbedeutend mit Bannlehn gebraucht werden. § 260–262 Die Lehnsgerichtsbarkeit hat jetzt aufgehört (Rechtsgeschichte) 4. Recht auf Erneuerung der Belehnung § 263 a. Begriff und Bedeutung der Lehnserneuerung Vor Begründung der Erblichkeit der Lehen mußte Jeder, welcher dem erst sterbenden Vasallen im Lehn folgen wollte, selbst der[446]Sohn, erst wieder neubelehnt werden. Als das Lehn erblich geworden war, wurde dies beibehalten um sich der Treue des Vasallen dazu mehr zu versichern, theils auch um das Andenken des Lehnsverbandes aufrechtzuerhalten. Seit der Erblichkeit der Lehn wird aber durch diese Lehnserneuerung das durch die Investitur erworbene Recht nur bestätigt. Das Gesuch des Vasallen um Ertheilung wird die Lehnsmuthung genannt. § 264 b. Verpflichtung zur Muthung Die Verpflichtung zur Muthung tritt im Allgemeinen ein bei jedem Wechsel in der Person des Lehnsherrn (Herren- oder Thronvasall) und in der Person des Vasallen (Lehnfall) I F 22 pr.; II F 24 pr.; II F 52 pr. Die Verbindlichkeit liegt aber dem ob, welcher schon jetzt das dominium utile am Lehn hat. II F 26 § 7. Es sind daher namentlich zur Muthung verpflichtet sämtliche Gesamthänder. Gewöhnlich muthete der Principalvasall oder der Senior der Familie im Namen aller (N. 3 und 5). Dagegen liegt die Verpflichtung zum Muthen weder dem[447]Agnaten, noch dem Eventualbelehnten eher ob, als sie belehnt sind. In Rücksicht der Zeit, binnen welcher das Lehn vom Vasallen gemuthet werden muß, brauchen die Gesetze den Ausdruck „Jahr und Tag“ (N. 2). II F 53 § 3; II F 52 pr. Nur N. 7 zu § 265 spricht von 1 Jahr und 1 Monat. Diese Stelle giebt aber keinen Grund von der gewöhnlichen Regel: Jahr und Tag abzuweichen. Stirbt der Vasall binnen dieser Frist, so hat der Nachfolger für seine Person noch die ganze Frist, dasselbe findet statt, wenn während der Frist der Lehnsherr gestorben ist und nun bei seinem Nachfolger gemuthet werden muß II F 22 pr. Ist der Vasall behindert zu muthen, (z. B. wenn der Agnat den Tod des Vorgängers nicht zu rechter Zeit beweisen kann) so muß er den Lehnsherrn um ein Indult ersuchen (um eine Erklärung daß der Lehnsherr die Erneuerung solange aussetzen wolle, bis Hindernisse aus dem Wege geräumt ist[)]. § 265 c. Folgen der unterlassenen Muthung Versäumt der Vasall die Muthung, oder um ein Indult nach zu suchen, so verliert er[448]das Lehn; es wird das als Respectroidigkeit, Felonie angesehen (N. 7). II F 24 pr. Von dieser Strafe wird der Vasall nur dann frei, wenn er sich durch ein

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gesetzlich anerkanntes Hinderniß entschuldigen kann. Ein solcher gesetzlich anerkannter Entschuldigungsgrund ist die infantia, worunter aber hier nicht die infantia im engeren Sinne allein zu verstehen ist, sondern die Impubertät. Will der Vormund für seine Pugillen muthen, so steht ihm das frei. Hat der Vormund den Lehnseid geleistet, so ist gemeinrechtlich, wenn der Pugill fähig wird einen Eid zu leisten keine Erneuerung mehr nöthig. Dieser Grundsatz wird aber in Deutschland nicht überall anerkannt. Nach manchen Particularrechten ist der Vormund verpflichtet, für den Pugillen zu muthen und den Lehndienst zu leisten. Wenn der Vormund auch den Lehnseid geleistet hat, so muß nach diesem Recht der Pugill nach erreichter Pubertät selbst muthen und den Lehnseid leisten. Dies erklärt sich daraus, daß nach deutschem Recht der Vormund als Lehnsträger des Pugillen behandelt wird. Der Minderjährige muß[449]nach langobardischem Recht selbst nun die Erneuerung nachsuchen. Indessen werden doch die Minderjährigen gegen die Unterlassung restituirt. Ob der Vasall darlehnsweise die Muthungsfrist versäumt hat, ist einerlei (N. 5 und 6). Manche Juristen haben in diesen Stellen einen Widerspruch gefunden. Sie behaupten, daß N. 5 nur wegen doloser Versäumung N. 6 schon wegen undoloser Unterlassung den Vasallen des Lehns für verlustig erkläre. Der Vorzug gebühre daher N. 5, weil dieses die mildere Bestimmung sei. Allein hierbei berücksichtigen jene nicht, daß N. 6 von Friedr. I, N. 5 von Lothar herrührt und daß daher jene als die jüngere vorgegangen werden müßte. Allein bei genauerer Untersuchung ist gar kein Widerspruch vorhanden. Auch nach Lothar ist nicht nur dolus, sondern schon jede Art von culpa hinreichend zur Entziehung des Lehns. Dies ergiebt sich schon aus einer Erklärung und dolus am Schluß von N. 5 am deutlichsten aber aus N. 7 die ebenfalls von Lothar ist. In der Praxis wird dagegen die mildere Ansicht befolgt.[450]§ 266 D. Verpflichtung zur Erneuerung der Belehnung Wenn der Vasall alles gethan hat, was er bei Nachsuchung der Lehnserneuerung zu beachten hat, so hat der Lehnsherr ihm die Erneuerung ohne Anstand zu er­theilen. Bei der Lehnserneuerung sind dieselben Formen, wie bei der ersten Belehnung zu beobachten. Ebenso wie bei der ersten Belehnung findet daher hier immer die Erneuerung eines Lehnsbriefs etc. statt. Diese neuen Urkunden müssen jedoch was die materielle Seite betrifft genau mit dem früheren übereinstimmen – es soll ja nur der Form nach ein neuer Lehnbrief etc. ertheilt werden. Indessen können doch allerdings, wenn Lehnsherr und Vasall einig sind, Aenderungen im neuen Lehnsbrief gemacht werden. Diese Aenderungen binden aber natürlich nur die Consentirenden und deren Erben; auch muß Jeder der sich auf eine solche Aenderung beruft, sie beweisen. Dabei fragt es sich aber, in wie weit kann der jüngere Lehnbrief dabei benutzt werden? Dies ist sehr controvers. Manche nehmen an, daß wenn der jüngere Lehnbrief mit dem älteren nicht übereinstimme, nach der Natur der Belehnung ohne ein Irrthum als eine Änderung stattfinde. Kraut mit Andern jedoch meint, es sei richtiger in der Regel dem jüngeren Lehnbrief den Vorzug zu geben, wenn[451]die Änderung in demselben nicht von der Art ist, daß der neuere Lehnbrief dadurch verdächtig wird (viele Rasuren, Schreibfehler) dies wie bei allen Urkunden: 1. Jede unverdächtige Urkunde beweist solange, bis das Gegentheil

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bewiesen ist. 2.  es können ja bei jeder Lehnserneuerung Aenderungen gemacht werden, wobei nicht einzusehen, warum das nicht in der alten Urkunde geändert werden kann 3. kann umso weniger ein Irrthum stattfinden, weil der jüngere Lehnbrief erst nach Einsicht in den älteren abgefaßt wird. N. 6 und 7. § 267 e Anhang: Von den Lehnsgebühren Bei Ertheilung der Lehnserneuerung müßen häufig 2erlei Abgaben entrichtet werden 1. Laudemium (Lehnsw[a]are) Handgeld 2. die Lehnstaxe Das Laudemium erhält der Lehnsherr für die Belehnung, die Lehntaxe erhält die Lehnskanzlei, eine gewöhnlich Spartel für die die Belehnung im Namen des Lehnsherrn vollziehenden Behörde. Das laudemium besteht gewöhnlich in einer pars quota, deren Geiste sich nach der Observanz der verschiedenen Lehnshöfe richtet. Übrigens kennt weder das langobardische noch das ältere deutsche Lehnrecht das laudemium. In den Dienstrechten[452]kommt es aber allerdings schon früher vor. Durch die Bekanntschaft mit der quinquagesima bei der Emphyteuse wurde man noch mehr auf das laudemium bei der Belehnung geführt. Wie ist das laudemium denn gemeinrechtlich geworden. Daher kann dasselbe heutzutage nur immer auf einem speciellen Titel beruhen; immer ist gegen die Verpflichtung zur Entrichtung einer laudemium zu präsumiren; in den Particularrechten kommt aber das laudemium bei den meisten Lehen vor. Wo es vorkommt, kann der Lehnsherr es meistens nicht bei jeder Lehnserneuerung fordern, sondern nur in gewissen Fällen. Meistens braucht es nur bezahlt zu werden, wenn der Lehnsherr Jemanden belehnt, der aus einer früheren Investitur noch kein Recht darauf hatte. Aus dem letzteren Grund müssen die Seitenverwandten, wenn sie zur Succession kommen, häufig ein laudemium bezahlen, wo die Descendenten es nicht nöthig hatten. Auf dem angeführten Grund beruht es auch, daß bei einem Herrenfalle gewöhnlich kein laudemium bezahlt werden braucht. Da das laudemium wegen der neuen Investitur entrichtet wird, so folgt – 1. daß der neue Vasall es immer entrichtet nicht der bisherige Vasall.[453] 2. die Verbindlichkeit der Entrichtung des laudemium ist ein annexum der Muthung. Daraus folgt, daß, wenn auch ein Herrenfall oder Vasallenwechsel binnen Jahr und Tag stattfindet, doch nur einmal ein laudemium entrichtet werden muß. (Das laudemium ist meistens weit über 2 %) Die Lehnstaxe heißt oft Schreibgebühr, Canzleigebühr, sie hat ihren Grund in der Billigkeit und muß deshalb bei jeder ­Belehnung überhaupt bezahlt werden, auch da wo kein laudemium stattfindet. § 268 C. Rechte des Lehnsherrn am Lehn selbst Diese Rechte sind folgende. 1.  das dominium directum im strengeren Sinne, oder die Proprietät am Lehn. Hierdurch wird das für den Vasall übertragene Recht beschränkt und er verhindert, ohne Einwilligung des Lehnsherrn das Lehn zu veräußern resp. zu verschenken. II F. 8 § 1 Kraft des dominium directum hat der Lehnsherr die Vindication gegen Jeden, der keinen Anspruch aus der Investitur auf das Lehn hat. 2. die Befugniß nach geendigter Belehnung das Lehn selbst mit seinen Accessionen mit seinen dominium directum zu consolidiren[454]I F. 4 § 6; II F 24 § 11 und 12; II F. 38 3. Das Recht über das dominium utile unter gewissen

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Bedingungen zu disponiren, besonders die Befugniß einer Eventualbelehnung, einer Gesamtbelehnung (s. oben) 4. Das Recht über das dominium directum selbst zu disponiren. Dies Recht steht dem Lehnsherr jedoch nur soweit zu wie durch eine solche Disposition die Lehnstreue nicht verletzt werden, zu welcher er dem Vasallen verpflichtet ist. Daher ist dem Lehnsherrn ohne Einwilligung des Vasallen keine Veräußerung gestattet, wodurch der Vasall gezwungen würde, sich einem andern Lehnsherr zu unterwerfen. (N. 6) I F. 22 § 1; II F. 55 § 2 in fine Eine Ausnahme hiervon tritt jedoch dann ein, wenn das Lehn als Pertinenz eines Territorium veräußert wird. Hier braucht der Vasall nicht gefragt zu werden. Dies ist immer in Deutschland und auch schon im langobardischen Lehnsrecht angenommen. Doch wich hier das Recht einiger langobardischer Lehnshöfe ab, und diese Abweichung[455]stimmte mit den älteren deutschen Rechten, wonach die Veräußerung des Lehns immer auch ohne Einwilligung des Vasallen geschehen konnte, wenn der neue Lehnsherr nur nicht von geringerem Range war, als der alte. s. Grdr. Dies ist auch in neueren Particularrechten anerkannt (N. 4 und 5) IV Rechte des Vasallen § 269 A. Im Allgemeinen Ein Lehn kann auch bloß auf eine gewisse Zeit verliehen sein, Zeit- oder Taglehen im Gegensatz von dem feudum perpetuum, das auf alle Descendenten des ersten Erwerbers geht, Letzteres ist die Regel und daher das Taglehen die Ausnahme. § 270 K. Rechte gegen die Person des Lehensherrn Diese entspringen aus der Befugniß von ihm Lehnstreue zu verlangen. Doch kommen manche Verpflichtungen des Vasallen gegen den Lehnsherrn nicht auch umgekehrt vor. Die wichtigste Wirkung der Lehnstreue des Lehnsherrn besteht in der Pflicht des letzteren den Vasallen zu schützen, Lehnsprotection. C. Recht am Lehn selbst § 271 I. Von diesen Rechten überhaupt Am Lehn selbst steht dem Vasallen das dominium utile zu.[456]Der hierin enthaltene Fruchtgenuß wird zwar in Beweisstelle (N. 4) mit dem Ausdruck ususfructus bezeichnet, allein dieser Fruchtgenuß ist weit umfangreicher, als ein ususfructus. Man hatte keinen besseren lateinischen Ausdruck. Vermöge seines Rechts hat der Vasall nämlich das ausschließliche Recht das Lehn allein zu benutzen und alle Früchte civili und natur zu ziehen. Der Vasall hat daher auch auf die Dienste der Hinterlassenen Anspruch. Auch hat er den Genuß aller Rechte und Privilegien welche dem Lehn ankleben (N. 1). Der Besitz des Vasallen am Lehn ist auch keineswegs eine bloße juris quasi possessio wie beim ususfructus, sondern corporis[…]possessio (N. 2). Aus diesem Grunde erwirbt er das Eigenthum an den Früchten des Lehns schon durch die bloße separatio. Auch fallen sie ihm gleich als allodiales Eigenthum zu II F. 28 § 3. Hieraus folgt, daß der Vasall das Recht hat über den Gebrauch und die Früchte des Lehns auf alle Weise zu disponiren. Er kann daher das Lehn auf längere Zeit verpachten. II F 9. 1. Deshalb können auch

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die Gläubiger des Vasallen eine Immission in die Früchte des Lehns verlangen. Vermöge der im dominium utile enthaltenen Proprietätsrechte steht dem Vasallen auch das Recht zu in gewissem Umfang auch über die Substanz des Lehns zu verfügen, er kann alle Handlungen vornehmen welche den Zweck haben, die Benutzung des Lehns zu erhöhen. II F 8 pr. § 1. Namentlich kann er für das Lehn eine Servitut er-[457]werben. Alles das kann der Ususfructuar nicht. Ferner kann der Vasall auch Gebäude auf dem Lehn anlegen. II F 28 § 2. Dagegen darf der Vasall die Substanz des Lehns nicht deteriorieren II F 27 § 17. Für eine Deterioration ist er sowohl dem Lehnsherrn, wie auch den Lehnsfolgern verantwortlich und das ist selbst ein Privationsgrund, wenn sie von Bedeutung ist, der Vasall zuvor gewarnt ist und die Strafe der Privation durch richterliche Erkenntniß ausgesprochen ist. II F 27 § 17. Dem Administrations- und Benutzungsrecht des Vasallen entspricht seine Pflicht sämtliche[…]zu tragen, Steuern, Einquartirungen etc. alle Reparaturen hat er auf eigene Kosten zu stehen. 2. Insbesondere § 272 a. Von der Befugniß der Rechtsverfolgung Zum Schutz und zur Verfolgung seines dominium utile hat der Vasall 1.  das Recht das Lehn von jedem Besitzer mit der rei vindicatio utilis zu vindiciren, selbst vom Lehnsherrn (auch natürlich Rubliciana) (N. 2) 2. die Befugniß die actio confessoria wegen Servituten, Bannrechten etc. und ebenso die actio negatoria anzustellen (N. 1 und 2) 3. kann er sich auch der possessorischen Rechtsmittel bedienen II F 22 § 1 4. der Vasall ist der rechte Beklagte bei allen possessorischen und petitorischen Rechtsmitteln, die gegen den Besitzer des Lehns angestellte werden und hat nicht die Befugniß der laudatio auctoris.[458]Auch zur litis denuntiatio ist der Vasall nur verpflichtet, wenn er Evictionsleistungen vom auctor haben will. II F 25. Ganz abnorm ist es aber, daß das langobardische Lehnrecht auch wenn der Vasall den Lehnsherrn nicht litem denuncirt hat, ja auch wenn der Lehnsherr nicht einmal etwas vom Streit erfahren das gegen den Vasallen gesprochene Urtheil auch gegen den Lehnsherrn als verbindlich erklärt (N. 1 und 3) da ein solches Erkenntniß gegen den Lehnsherrn gilt, muß es umsomehr gegen die Lehnsfolger gelten. 5. hat der Vasall die noch auffallende Befugniß über das Lehn und seine Rechte daran einen Vergleich zu schließen, welcher für den Lehnsherrn und seine Agnaten bindend ist. Um diese Wirkung zu haben, darf aber der Vergleich wie das langobardische Lehnrecht sagt nicht fraudu[…]oder dolose geschehen, mit der Überzeugung, daß das Resultat für die Partei vortheilhaft ist (N. 1 und 3) 6. kann der Vasall auch einen Compromiß auf einen Schiedsrichter eingehen. II F. 15 II F 34 pr. § 1 und II F 46. C. Von der Veräußerung des Lehns § 273 a. Historische Einleitung Wie es nach dem älteren deutschen Recht stand wird uns in Rechtsbüchern nirgends gesagt. Ohne Zweifel konnte aber der Lehnsherr das Lehn in solchem Fall vindiciren. Wenn aber der Lehnsherr um die Veräußerung wusste und doch Jahr

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und Tag schwieg, so konnte er die Veräußerung nicht mehr hindern. Die Erben konnten aber erst dann es vindiciren wenn der Vasall mit abnehmender Lebenskraft das Lehn veräußert hatte, das Lehn steht also hier mit der fahrenden Habe in einer Linie.[459]In Italien durfte bis zum 12ten Jahrhundert der Vasall unter gewissen Voraussetzungen auch ohne Genehmigung des Lehnsherrn wenigstens bis zur Hälfte veräußern. Lothar III gab im 12ten Jahrhundert ein Lehnsveräußerungs­ verbot und bedachte den Übertragungsfall mit Verlust des Lehns und des Kaufschillings (N. 11 und 12) diese Veraenderung wurde später durch Friedrich I wiederholt und noch mehr geschärft (N. 13) Auf diesen beiden Veraenderungen beruht nun das heutige gemeine Recht in Bezug auf die Lehnsveräußerung. B. Heutiges Recht § 274 Unterschied zwischen verbotener und erlaubter Lehnsveräußerung Zu einer verbotenen Veräußerung gehört lediglich, daß sie ohne Einwilligung des Lehnsherrn geschieht. In ihr liegt eine Mißachtung des Lehnsherrn und sie wird als Felonia bestraft. Der Lehnsherr kann folgendermaßen bestrafen: 1.  die Veräußerung ist absolut nichtig und ohne Verjährung 2. der Lehnsherr ist berechtigt, das Lehn zum Nachtheil des Vasallen und seiner ganzen Descendenz einzuziehen II F 24 § 2. Die letzte Strafe tritt aber nicht ein, wenn der Vasall unter Vorbehalt der lehnsherrlichen Einwilligung veräußert hat, auch nicht, wenn der Vasall die Lehnseigenschaft der Sache nicht kannte.[460]II F. 26 § 18; II F 42. Das nämliche gilt dagegen nicht von demjenigen, der an der Lehnseigenschaft des Guts blos zweifelte. II F 26 § 19. Damit, aber die Strafe der verbotenen Veräußerung eintrete, muß dieselbe auch schon consummirt, d. h. die Sache schon übergeben sein (der bloße abgeschlossene Vertrag genügt noch nicht). Ist die Veräußerung aber einmal consummirt und die Parteien treten nachher auch wieder zurück so ist das Lehn für den Vasallen doch verwirkt. II F 24 § 2. Im Gegensatz der verbotenen Veräußerung nennt man jede andere, wo die Strafen, namentlich Lehnsprivation nicht eintreten, eine erlaubte Veräußerung. Diese ist aber noch nicht identisch mit einer gültigen Lehnsveräußerung, vielmehr kann eine solche trotz ihrer Erlaubtheit immer nichtig sein, sobald Rechte des Lehnsherrn und der Lehnsfolge gegenüber dadurch gekränkt sind. Die erlaubten Veräußerungen sind daher immer solange wirksam wie der veräußernde Vasall selbst, oder solche Lehnsfolger welcher seine Fakta prästiren müssen, auf das Lehn Anspruch haben. Fällt also das Lehn bei der erlaubten Veräußerung an den Lehnsherrn zurück oder an die Agnaten, so hört die Wirksamkeit[461]der bis dahin wirksamen Veräußerung weg. Welche Veräußerungen sind erlaubt, welche verboten? Gewöhnlich unterscheidet man hier zwischen Veräußerungen im engeren und im weiteren Sinn und sagt die Veräußerung im engeren Sinn sei verboten, die im weiteren Sinn erlaubt. Zu einer Veräußerung im engeren Sinn versteht man die Übertragung des ganzen vasallitischen Rechtes, unter Veräußerung im weiteren Sinn blos die Einräumung eines jus in re aliena am Lehn. Allein dies ist eine unpassende Eintheilung. Passender ist es die einzelnen Fälle der verbotenen Veräußerungen aufzuführen. Eine verbotene Veräußerung ist aber die Übertragung des gesamten dominii utilis an eine Person die kein Successionsrecht

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hat. (N. 2) 2.  Die Einräumung eines erblichen[…]am Lehn (nach Analogie und N. 4) I F 13 pr.; II F 9 pr. Nach den Particularrechten ist aber eine solche Veräußerung durch Einräumung von Erbpacht den Vasallen oft an einem Theil des Lehns erlaubt. (cf. § 6)[462]3. die datio in dotem, wenn sie von einem andern geschieht als der Frau selbst, ist eine verbotene Veräußerung des Lehns. Der Frau selbst gestattet das langobardische Lehnrecht ihrem Mann ein ihr zustehendes Lehn als dos zu inferiren. II F 13 und II F 17. Dies erklärt sich wohl nur daraus, daß die langobardischen Rechte die Eigenthumsrechte der Frau an der dos nur für suspendirt hielten (dominium dormiens) (eine unrichtige Ansicht) Es können daher dem Manne an einem solchen Lehn nicht mehr Rechte eingeräumt werden, als mit dem Obigen verträglich ist. Die Frau kann daher nach ihrem Tode dem Mann nicht das Lehn verschreiben weil ihre Lehnsfolger dadurch in ihre Rechten gekränkt würden. 4. In wiefern die Verpfändung und Afterbelehnung hierher gehören s. § 278 unten. Zu den erlaubten Veräußerungen gehört immer namentlich eine Servitutsbestellung. L. Einzelne Wirkungen der Veräußerung § 275 a. Revocationsrecht der Lehnsfolger Wenn in Folge einer nichtigen Veräußerung das Lehn sich in den Händen eines nicht berechtigten[463]Besitzers befindet, so kann der Berechtigte von Jenem das Lehn vindiciren, die Klage nennt man actio feudi revocatoria. Das Revocationsrecht (vindicatio) steht zu: 1. dem veräußernden Vasallen selbst, wenn er sich über die Lehnseigenschaft des Lehns geirrt hatte. Er muß aber immer dem Besitzer das Interesse erstatten. II F 26 § 18. Nur dann ist er hierzu nicht verpflichtet, wenn der Käufer die Lehnseigenschaft der Sache kannte. II F 55 (N. 3) 2. dem Lehnsherrn aus dem obigen Grund, weil er es jedem abnehmen kann der sein Recht nicht von seiner Belehnung ableitet. 3.  den Lehnsfolgern (N. 1 und 2). Das Revocationsrecht dieser beruht darauf, daß ihnen das Successionsrecht nicht ohne ihre Einwilligung genommen werden kann. Sie können also die Veräußerung noch revociren, wenn sie auch mit lehnsherrlicher Einwilligung geschehen ist und selbst vom Lehnsherrn selbst, wenn etwas wegen verbotener Veräußerung eingegangen haben sollte. Der nähere Lehnsfolger kann es nur aus demselben Grunde immer von dem entfernteren vindiciren. Da das[464]Revocationsrecht des Lehnsfolgers aber immer auf dem Successionsrecht beruht, so muß jeder, um revociren zu können sein Successionsrecht abwarten muß. Die Revocationsklage der Lehnsfolger verjährt in 20 Jahren, aber erst von dem Augenblick an, wo sie zur Lehnsfolge berufen sind(nach Obigem). Das Revocationsrecht des Lehnsherrn dagegen ist unverjährbar. (N. 3) Die unordentliche Verjährung ist hier allerdings statthaft, denn diese geht ja nach ganz anderen Grundsätzen. Eine höchst bestrittene Frage ist es aber, ob auch den Descendenten des Veräußerers oder ob nur den Agnaten das Revocationsrecht zusteht. Unter den vielen darüber aufgestellten Meinungen sind besonders 3 hervorzuheben: 1. Einige sprechen den Descendenten das Revocationsrecht unbedingt ab,[…], Pufendorf, Eichhorn und seit ihm die meisten Juristen. 2. Andere gestatten den Descendenten im Allgemeinen das Revocationsrecht versagen sie ihm nur in dem Fall, wenn sie Allodialerben ihrer veräußernden Ascen-

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denten geworden sind. 3. Noch andere gestatten den Descendenten des veräußern­ den Ascendenten selbst in dem sub 2 zuletzt angegebenem Fall, in dem die letztere Eigen-[465]schaft sie nur zwingen könne dem Käufer den Kaufpreis zurückzugeben. Böhmer (de filio vacalli) Weber und sofort und sofort seit dem vorigen Jahrhundert bis in dieses hinein die herrschende Ansicht. Von diesen Ansichten kann nach Kraut nur die 2te als die richtige angesehen werden. Zum Beweise: Die Anhänger der 3ten Meinung stützen ihre Meinung lediglich darauf, daß auch in Rücksicht der Descendenten des Veräußerers das Lehnrecht eine successio ex pacto et prorvidentia majorum sei. Jeder leite sein Recht vom ersten Erwerber ab, so müße es ihm erhalten bleiben. Alleine diese Ansicht ist schon oben § 242 widerlegt. Auch sprechen alle Stellen des langobardischen Lehnrechts immer nur von dem Revocationsrechte des Agnaten (cf. § 275 Grdr. N. 1, 2, 7). Die Anhänger der ersten Meinung stützen sich auf dies letzte Argument. Kraut: es ist dies aber nicht zu rechtfertigen, denn 1. läßt sich diese Meinung mit den allgemeinen Principien des langobardischen Lehnrechts nicht in Einklang bringen. Dies sagt, der Sohn müße das Lehn nur als Theil der Allodialerbschaft bekommen um es nicht ausschlagen zu können.[466]2. wird auch nirgends gesagt, daß nur dem Agnaten und nie dem Descendenten das Revocationsrecht zustehe. Dies läßt sich sehr gut mit der 2ten Meinung vereinigen, das in den meisten Fällen der Descendent auch Allodialerbe des Ascendenten sein wird (nur zuweilen nicht beim mannbaren Weiber­he etc) Der Hauptverteidiger dieser 2ten Ansicht ist Henning, sonst hat sie keine bedeutenden Anhänger. Praxis und Theorie sind sonst noch schwankend. Preußen N. 10 und 11 ist der 2tenMeinung. Gotha N. 12 ist der ersten Ansicht; Baiern N. 13 hat die 3te Ansicht; Hannover N. 14. § 276 b. Retractsrecht des Lehnsherrn und der Lehnsfolger Auch wenn das Lehn erlaubter Weise veräußert wird, so steht doch immer dem Lehnsherrn, wie dem Lehnsfolger sowohl das Verkaufsrecht wie das Retractsrecht zu. N. 1, 2. II F 3 § 1. Das Retractsrecht des Lehnsherrn heißt Lehnretract. Das Retractsrecht der Lehnfolger ist nur eine Anwendung der Erbloosung (s. ob.). Der Retract wird durch die generelle Einwilligung des Lehnsherrn in die Veräußerung noch nicht aufgehoben, hat er speciell eingewilligt, an die bestimmte Person[467] zu veräußern, so liegt darin ein Verzicht seines Retractsrechts. Bei den Agnaten anders, wenn die überhaupt eingewilligt haben, so haben sie ihr Retractsrecht ver­ loren. Es kommt hier nicht darauf an, ob die Successionsfolge schon angefallen ist, um das Retractsrecht geltend zu machen. (N. 1) Den Descendenten des Veräußerers gestehen das Retractrecht selbst diejenigen zu, welche ihnen das Revocationsrecht absprechen (z. B. Eichhorn[)]. Allein Kraut meint, es sei ihnen ebensogut wie das Revocationsrecht abzusprechen, weil das langobardische Lehnrecht den alten Satz daß der Erbe facta defuncti prästiren müße, dem entgegensteht. § 277 C. Verpfändung Afterbelehnung und Verfügungen von Todes wegen Die Hingabe des Lehns zum Faustpfand betrachtet das langobardische Lehnrecht als eine verbotene Veräußerung. Dasselbe gilt aber nicht von der Verhypothe-

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cirung des Lehns. II F 55 pr. (pag. 467 unten) (ferner N. 5–7 oder h. §) Das ältere deutsche Recht hat aber über die Verpfändung des Lehns weniger strenge Grundsätze. Hiernach konnte der Lehnsherr den Vasallen der sein Lehn versetzt hatte, zwar[468]Strafe der Privation des Lehns auffordern das Lehn wieder in seinen Besitz zu bringen und es ihm nach 3maliger vergeblicher Aufforderung dasselbe zu nehmen. Wenn der Lehnsherr aber dies nicht binnen Jahr und Tag thut, so war die Versetzung gültig (während nach langobardischem Recht überhaupt keine Verjährung für den Lehnsherrn hierbei eintrat (s. oben) lit a bis N. 4. Diese Grundsätze des älteren deutschen Rechts sind zwar nicht mehr gemeinrechtliche, sondern die strengen des langobardischen Rechts allein bei manchen Lehnshöfen folgt die Praxis noch immer dem deutschen Recht. Auch behaupten manche Juristen, daß bei der Hingabe des Lehns zum Faustpfand vermuthet werden müße, der Vasall habe nicht die Substanz, sondern nur die Früchte verpfänden wollen. Sowenig dies nun auch mit der allgemeinen Theorie über Pfand übereinstimmt, so hat das doch die Praxis für sich und ist das eine unbewusster Anschluß an das alte deutsche Recht. Wenn die Hypothecirung des Lehns gleich keine verbotene Veräußerung des Lehns ist, so ist sie doch nicht anders vollwirksam, als wenn der Lehnsherr und die Lehnsfolger einwilligen. Eine ohne ihre Einwilligung gemachte Verhypothecirung kann kein[469]dingliches Recht des Hypothekengläubigers an dem Lehn bewirken. In Rücksicht der Lehnsfrüchte ist die Verhypothecirung aber auch ohne Einwilligung von Lehnssherr und Lehnsfolgern zum Nachtheil des Vasallen und dessen Lehnsfolger die an seine facta gebunden sind gültig. Ist aber die Hypothek mit Einwilligung von Lehnsherr und Lehnsfolger errichtet, so ist sie gleich jeder anderen Hypothek und es kann zur Subhastation des Lehns kommen – jedoch sub nexu feudali – unter Vorbehalt der lehnsherrlichen Rechte. Auch haben Lehnsherr und Lehnsfolger immer das beneficium excussionis, sie können erst immer die Belangung des Vasallen selbst fordern, denn sie selbst sind nicht die eigentlichen Schuldner. Die Errichtung eines Afterlehns per oblationem feudi ist eine verbotene Veräuße­rung, weil der Vasall einen andern in die Mitte schiebt, doch die ­Beafterlehnung per dationem feudi ist eine erlaubte Veräußerung und der Lehnsherr muß den Aftervasallen selbst nach Abgang des primus feudi das Lehn lassen. II F 3 § 1 und II F 9 pr. Dies ist etwas besonderes.[470]Dies erklärt sich so, daß im Mittelalter die Lehnsherrn eine gewisse Anzahl von Vasallen dafür nöthig hatten und so war es ihnen sehr angenehm, wenn die Vasallen selbst dafür sorgten, daß wenn sie abgingen gleich andere waffenfähige Vasallen zur Hand waren. Von den Agnaten gilt es nicht, hier wird die Beafterlehnung wie jede andere behandelt, sie konnten die Beafterlehnung als verbotene Veräußerung betrachten. Mittelst letztwilliger Verfügung darf der Vasall das Lehn ohne Einwilligung von Lehnsherr und Lehnsfolger nicht an solche bringen, die nicht schon sonst ein Successionsrecht auf das Lehn haben (tit. e) und (N. 13 zu § 273). Solche letztwillige Verfügung über das Lehn ist absolut nichtig. (lit. f) Es liegt darin aber kein Privationsgrund, weil hier das Lehn noch nicht tradirt ist. Eine letztwillige Disposition über das Lehn zu Gunsten von Successions­ berechtigten ist nur relativ ungültig, das heißt, die näher Berechtigten können das anfechten. Ob die Descendenten die letztwillige Disposition ihres Ascendenten über

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das Lehn anerkennen müßen, ist sehr bestritten. Kraut behauptet, nach lit. e und f, daß[471]die Descendenten an eine solche Disposition nicht gebunden waren. Nach den obigen Grundsätzen sind auch die Erbverträge über Lehnsfolge zu beurtheilen. § 278 D. Veräußerliche Lehen Die Veräußerlichkeit der Lehn ist nur Regal, daher kann sowohl bei Errichtung des Lehns als auch kraft besonderen Kaufrechts eine Ausnahme gemacht sein und so entsteht das veräußerliche Lehn, wo die Veräußerung nicht an den Consens des Lehnsherrn gebunden ist. Grundsätze: 1.  Die Veräußerung muß in dubio immer mit Aufrechterhaltung des usus feudalis geschehen. 2. Sie darf unter keinen günstigern Bedingungen geschehen als der Vasall selbst hat. 3. Darf sie nur an lehnsfähige Personen geschehen. 4. In der Regel ist hier nur an Veräußerung unter Lebenden zu denken. Dem scheint zu widersprechen N. 1 und 2.[472]Zweite Abtheilung Rechtsverhältnisse der Lehnspersonen mit Fremden I. Rechtsverhältnisse der Lehnspersonen mit den Allodialerben (Sonderung des Lehns vom Allodinum) § 279 A. Veranlassung der Sonderung Eine Absonderung des Lehns vom Allodrecht wird nöthig: 1. bei einem Erbvertrag, wo der Lehnsfolger entweder gar nicht, oder doch nicht alleiniger Allodialerbe des Erblassers ist. 2. bei einem Lehnseröffnungsfall. 3. wenn der Vasall Concurs macht. 4. wenn der Vasall das Lehn gültig veräußert hat. Bei einer solchen Sonderung kommen in Betracht das Lehn, die Meliorationen, Pertinenzen etc. § 280 1. Lehngut und Pertinenzen Der Hauptgegenstand ist natürlich Lehngut und Pertinenzen. Aber nicht alle Pertinenzen des Lehns sind auch lehnbar, oft können sie auch allodial sein,[473] der Vasall kauft oft Land oder Gebäude um mehr Früchte aus dem Lehn zu gewinnen etc., hinzu, die damit nicht zugleich lehnbar werden. Unterschied zwischen Lehnspertinenz und lehnbaren Pertienzen. Im Zweifel streitet die Vermuthung für die allodiale Dualität der Pertinenzen. Die allodiale Lehnspertinenzen gebühren bei der Absonderung immer den Allodialherren, ist aber eine Allodialpertinenz so genau mit dem Lehn verbunden, daß sie als eine Lehnsverbesserung anzusehen ist, so hat der Lehnsfolger die Wahl ob er diese Sache zum taxirten Werth behalten oder den Allodialfolgern das jus tollendi einräumen will. Doch muß die Wegnahme ohne Verschlechterung der betreffenden Sache geschehen können, sonst muß der Lehnsfolger jedenfalls den Preis zahlen und durch richterliches Ermessen den Allodialerben eine billige Entschädigung zu erkannt werden. § 281 2. Lehnsfrüchte (natürlich nur die noch nicht separirten kommen in Betracht) Nur in Bezug auf die Früchte des letzten Wirthschaftsjahres (Sterbejahres) kann es zweifelhaft sein, ob sie zum Lehn oder Allod gehören. Nach langobardischem Lehnrecht wird es beachtet in wel-[474]chem Halbjahr der Vasall stirbt. (das Halbjahr geht vom 1. März bis 1. September. Stirbt der Vasall im Winter, so fallen die

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Früchte an den Lehnsfolger, gegen Erstattung der schon gehabten Saat- und Installungskosten. Stirbt der Vasall aber zwischen dem 1. März und dem 1. September so fallen die Früchte an die Allodialerben. (N. 1) Dem liegt offenbar der deutsche Satz zugrunde: „Wer sät der mäht.“ Da indessen das langobardische Wirthschaftsjahr dem Wirthschaftsjahr bei uns nicht entspricht, so hat man das Wirthschaftsjahr dem Clima in den einzelnen Ländern anzupassen gesucht. Das Particualarrecht befolgt aber noch oft den Satz: Wer sät, der mäht. Die Bestimmungen des langobardischen Rechts beziehen sich nur auf die natürlichen Früchte. Wie ist es mit den fructus civiles (Zinsen, Pacht, Gefälle)? Das ältere deutsche Recht hatte hierüber sehr genaue Bestimmungen die aber nicht mehr gemeinrechtlich sind, obwohl das langobardische Recht nichts darüber sagt. Wir müßen daher die Analogie nach dem im langobardischen über Naturalfrüchte Gesagten ziehen. 1. die Pachtgelder von Grundstücken gebühren also den Allodialerben oder Lehnsfolgern nach den Grundsätzen 2. Wenn, wie bei den gewöhnlichen Zinsen, sich[475]die civilen Früchte nach jedem Augenblick berechnet werden, so wird nach Verhältniß der Zeit gerechnet. 3. Bei allen andern Civilfrüchten (Frohnden, Grundzinsen, Zehnten etc) hat der Allodialerbe nur dann Anspruch, wenn sie zur Todeszeit des Erblassers schon fällig (resp. die Frohnden schon angesagt) waren. § 282 3. Meliorationes und Deteriorationes Die Meliorationen ist der Lehnsfolger den Allodialerben zu ersetzen oder ihnen die Wegnahme zu gestatten schuldig. Denn der Vasall braucht das Lehn nur zu conserviren, nicht zu melioriren. Aus demselben Grunde müßen die Verschlechterungen des Lehns von den Allodialerben dem Lehnsfolger ersetzt werden. Indessen kann der Lehnsfolger doch nur solche Deteriorationen ersetzt verlangen, welche durch dolus oder lata culpae entstanden sind, denn der Vasall steht in keinem Obligationenverhältniß zu seinem Lehnsfolger und ferner kann das Lehn ihm gegenüber nicht als fremde Sache angesehen werden (also blos culpa ausgeschlossen). Die obigen Grundsätze gelten auch in Bezug auf die Gebäude, die auf dem Lehn[476]aufgebaut sind. Nach dem deutschen Lehnrecht bleiben dagegen die Gebäude immer ohne Entschädigung dem Lehnsfolger. Ebensowenig kann nach deutschem Recht der Lehnsfolger aber auch Ersatz für die Verschlechterung der Gebäude verlangen. § 280 lit. a-c. Diese Rechte haben sich in Sachsen, Pommern und sofort erhalten. II. Rechtsverhältniß mit den Gläubigern (Lehnsschulden) § 283 A. Begriff und Arten der Lehnsschulden (Das alte deutsche und das langobardische Recht sagt gar nichts über die Lehnsschulden – der persönliche Credit war schwach in dieser Zeit) Lehnsschulden sind diese Schulden des Vasallen, welche der nachfolgende Lehnsfolger als solche abtragen muß. Alle anderen Schulden des Vasallen heißen Allodialschulden. Im Allgemeinen darf der Vasall das Lehn ebensowenig mit Schulden beschweren, als veräußern. Mithin ist in dubio jede Schuld des Vasallen eine Allodialschuld. Soll sie eine Lehnsschuld sein, so muß eine specialis causa dazu vorhanden sein. Diese

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kann liegen in einer allgemeinen Rechtsregel, oder in der Einwilligung der Lehnsfolger. Im ersten Fall ist sie eine gesetzliche[477]im 2ten Fall eine consentirte Lehnsschuld. Fernere Eintheilung in nothwendige Lehnsschulden (die schlechterdings aus dem Lehn bezahlt werden müßen) und subsidiarische Lehnsschulden (welche erst in Ermangelung des Allodialvermögens aus dem Lehn zu tilgen sind. Endlich Eintheilung in absolute Lehnsschulden, die von jedem Lehnsfolger, und respective Lehnsschulden, die nur von gewissen Lehnsfolgern zu tilgen sind. B. Begründung derselben 1. Durch allgemeine Rechtsregel § 284 a. Einzelne Fälle 1. Die Alimente, welche dem zur Lehnsfolge wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen untaugliche Lehnsfolger zu leisten sind, diese Alimente sind absolute, aber nur subsidiare Lehnsschuld. Diese Verbindlichkeit ist begründet in (N. 1) 2. die Alimente und die dos der Töchter des Vasallen. Hierüber weder im langobardischen Lehnrecht noch im älteren deutschen Recht. Darnach kann man sagen,[478]dieser Grundsatz ist gewohnheitsrechtlich. Die älteren Juristen beriefen sich als Analogie von N. 1 – doch ist diese nicht passend, da die Töchter von vornherein kein Successionsrecht hatten, wie die gebrechlichen filii. Die dos dagegen sehen die älteren Juristen als einen antiquirten Unterhalt an und die Lehnsfolger brauchten ja dann die Töchter der Vorgänger nicht mehr alimentiren. Gemeinrechtlich ist aber die Verpflichtung, die Töchter zu alimentiren und dotiren nur eine subsidiäre Lehnsschuld, obwohl absolut. 3. nach dem Herkommen die Leichenkosten des verstorbenen Vasallen, ebenfalls absolut aber subsidiär. 4. nach Particularrechten auch das dotalitium und Vidualitium (§ 205 und 206) 5. bei einem veräußer­ lichen Lehn ist jede Schuld wegen welcher das Lehn verpfändet ist, insofern eine Lehnsschuld, als der Gläubiger die actio hypothecaria hat. 6. Im Particularrecht gilt zuweilen, daß im Mangel an Allodialvermögen das Vermögen jeder Lehnsfolger die Schulden des Vorgängers sämtlich bezahlen muß. So in Mecklenburg. 7.  Die Schulden aus einer nützlichen Verwendung[479]b. Insbesondere Lehnsschulde wegen einer nützlichen Verwendung § 285 A. Überhaupt Die Verwendung durch welche eine Lehnsschuld begründet wird, kann entweder zum Nutzen des Lehns oder des Lehnsfolgers stattfinden. I. zum Nutzen des Lehns Hier muß die Substanz des Lehns verbessert sein durch Contrahirung der Schuld. (z. B. Urbarmachung von Land etc.) Es gehören hierher also nicht Verwendungen, welche auf die höhere Fruchtbeziehung gerichtet sind ([…]) noch auch solche wodurch die Substanz des Lehns blos erhalten worden ist. Nur in dem Fall ist auch eine blos zur Conservirung contrahirte Schuld eine Lehnsschuld, wenn hierdurch Schaden abgewandt worden ist und der Vasall nicht dafür zu haften brauchte. (N. 3) Die zur Verbesserung der Lehnssubstanz contrahirten Lehnsschulden sind nothwendige und absolute Lehnsschulden (N. 1)

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II. zum Nutzen einzelner Lehnsfolger Solche Schulden sind zwar auch nothwendige Lehnsschulden, aber nur sind sie respective Lehnsschulden, das heißt nur dessen Nutzen dadurch befördert wird, muß auch die Schuld auf sich nehmen. [480]§ 286 B. Vom Lehnsstamm insonderheit Unter Lehnsstamm versteht man ein Capital, welches dergestalt auf das Lehn constituirt ist, daß in die Zinserhebung nach den Grundsätzen der Lehnsfolge succedirt wird. Im übrigen ist der Lehnsstamm keineswegs feudal, weil keiner da ist, der hier als Lehnsherr des Gläubigers anzusehen ist. Die Entstehung des Lehnsstammes kann verschieden sein. Am gewöhnlichsten entsteht er aber dadurch, daß einer von mehreren Miterben das Lehn annimmt und die Abfindung als Lehnsstamm auf dem Lehn stehen lässt. Da die Abfindung aber ihrer Natur nach allodial ist, so setzt die Errichtung eines Lehnsstammes immer eine besondere Disposition voraus. Das Capital selbst muß hier stets auf dem Lehn stehen bleiben und kann daher nicht gekündigt werden. Gläubiger und seine lehnsfähige Descendenten haben blos den Genuß. Der Lehnsstamm erlöscht immer wenn die lehnsfähige Descendenz des Schuldners oder des Gläubigers ausstirbt.[Schema: A soll das Lehn allein bekommen, den B abfinden; sie machen ab, die Abfindungssumme soll als Lehnsstamm auf dem Lehn stehen bleiben (sonst würden[481]D und E gleichmäßig erben) in dem genannten Fall kann nur immer die lehensfähige Descendenz des B die Zinsen erheben. Angenommen mit D stirbt der Stamm des B aus, so geht, da die E nicht lehnsfähig ist, so fällt das Recht der Zinserhebung an die Seiten­ linie, oder vielmehr Gläubiger und Schuldner werden confendirt, die Schuld hört auf. Geht umgekehrt die lehnsfähige Descendenz des Schuldners aus z. B. mit F der Stamm des A, das Lehn vererbt hier auf die Linie B und es tritt wieder Confusion zwischen Lehn und Lehnsstamm ein. Aus der Disposition woraus der Lehnsstamm errichtet ist entspringt aber nur immer eine persönliche Klage gegen den jedesmaligen Lehnsbesitzer. Daher steht dem Gläubiger im Concurs kein jus separationis zu, er steht unter den[…]Gläubigern. § 287 2. Durch Bewilligung der Lehnsperson Durch den Consens der Lehnsfolger und des Lehnsherrn kann jede Allodialschuld in eine Lehnsschuld verwandelt werden. Zur Bewilligung der consentirten Lehnsschulden sind aber stets nur diejenigen Lehnsfolger verbunden, die consentirt haben, oder Allodialerben des ursprünglichen Schuldners sind. Die consentirten Lehnsschulden sind dafür immer[482]respective Lehnsschulden. Sie sind aber auch subsidiäre Lehnsschulden, denn die Einwilligung der Lehnsfolger resp. Lehnsherrn hat nur die Natur einer Intercession. C. Wirkungen der Lehnsschulden § 288 I. Im Allgemeinen Bei allen Lehnsschulden ist die Verpflichtung zur Bezahlung zwar mit dem Besitz des Lehns verknüpft. Die daraufgerichtete Klage hat aber keineswegs die

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Natur einer dinglichen Klage, sondern eine actio personalis in rem scripta (gegen jeden oder gegen gewisse Lehnbesitzer) Die Lehnsfolger haften stets nur als Lehns­besit­zer. Deswegen braucht keiner dasselbe, auch bei consentirten Sculden, vor dem wirklichen Anfall des Lehns zu zahlen. Auch kann er nie auf mehr als der Werth des Lehns beträgt in Anspruch genommen werden. Wegen einer absoluten Schuld kann das Lehn selbst angegriffen und verkauft werden. Dagegen kann bei respectiven Schulden nach der Natur des Lehns der Gläubiger nie auf die Substanz sondern nur auf die Früchte Anspruch machen, aber solange der Schuldner oder ein Nachfolger der dessen facta prästiren muß lebt.[483]Wegen respectiver Lehnsschulden kann daher das Lehn nur solange sequestriert werden, als die Schuld nicht getilgt ist und nicht ein Lehnsfolger der an die facta auctoris nicht gebunden ist zur Succession kommt. 1. Während solcher Sequestration gehört aber doch dem Lehnsherrn die praestanda. 2.  der Vasall hat ein Recht auf Alimente. Dies nennt man die Lehnscompetenz. Diese gründet sich auf eine allgemeine ­Praxis, (weil die Juristen das beneficium competentiae der[…]auch auf die Vasallen anwandten). § 289 2. Insbesondere im Concurs des Vasallen Bei entstandenem Concurs des Vasallen kann in der Regel der Lehnsherr zur Ver­äußerung des Lehns nicht gezwungen werden. Ausnahmen: 1. wenn das Lehn ein veräußerliches Lehn ist. 2. wenn das Lehn für die Schulden des Vasallen gültig verpfändet worden ist. 3. wenn absolute Lehnsschulden vorhanden sind, die also auch der Lehnsherr anerkennen muß. In diesen Fällen können daher die Lehnsgläubiger, wenn sie mit Allodialgläubigern concuriren, Separa-[484]tion geltend machen. Manche Juristen nehmen an, wenn die Gläubiger nicht zum Verkauf des Lehns schreiten wollten, sich doch des Separationsrechts zu dem Zweck bedienen könnten, um aus den Früchten eine abgesonderte Befriedigung zu verlangen. Doch ist das nicht gemeinrechtlich, weil die Früchte des Lehns ja immer Allodialgut sind und von den andern Gläubigern gleichmäßig gefordert werden können. Sechster Abschnitt Beendigung des Lehnsverhältnisses 1. für alle Lehnspersonen geht das Lehnsrecht verloren, wenn durch casus das Lehn untergeht, ein dritter es durch Veräußerung an sich bringt etc. 2. die Consolidation betreffend sind Begriff und Wirkungen die bekannten. Die Arten der Consolidation – ohne Felonie (Aussterben der Vasallenfamilie und sofort) – denn wegen felonia eigentlicher Felonie – schon oben gesagt. § 294 Wegen quasi felonia Man versteht darunter eine Handlung welche zwar keine Verletzung der Lehns­ treue enthält, aber doch ebenso wie die Felonie die Entziehung des Lehns nach sich zieht.[485]Als Quasifelonia betrachtet das langobardische Lehnrecht folgende Fälle: 1. das parricidium im römischen Sinn, wenn ein Ascendent, Descendent Seitenverwandte bis zum 4ten Grad ermordet (N. 1 und 3) 2. Verrätherei gegen den Mitvasallen (N. 2) Nach dem Geist des Lehnswesens muß man aber alle Verbrechen hierher rechnen, welche eine Ehrlosigkeit nach sich zieh[en]. Wegen

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der Quasifelonia fällt das Lehn nicht auf den Lehnsherrn sondern auf die Agnaten des Vasallen. (Die Descendenten erhalten es nicht, sie müssen facta auctoris prä­ sti­ren. (N. 1 und 2) § 295 III. Aufhebung der Rechte des Lehnsherrn (Appropriation, Allodification, Die Appropriation des Lehns (Erwerb des dominium directum zum dominium utile) kann erfolgen: 1. dadurch, daß der Vasall durch Verjährung (Ersitzung) das dominium directum zum dominium utile hinzu erwirbt, hier gelten die gewöhnlichen Grundsätze der Ersitzung. 2. Dadurch daß der Lehnsherr seine Rechte am Lehn zu Gunsten des Vasallen aufgiebt an und für sich hängt es vom Willen des Lehnsherrn ab. Doch sind jetzt in allen deutschen Ländern außer Mecklenburg sogenannte Allodificationsgesetze erlassen, wo es dem Willen der Vasallen überlassen ist, den Lehnsverbund abzulösen (besonders seit 1848), Beweisstelle im Grundriß. [486]Zweites Capitel Von den Stammgütern und Familienfideicommissen § 296 I. Verschiedene Arten von Stammgütern Stammgüter sind Güter, welche Jemandem an intestato zugefallen sind und über welche der Besitzer nicht zum Nachtheil seiner Erben frei disponiren darf. 3 Classen: 1. Stammgüter des hohen und niedern Adels 2. Stammgüter des Bürgerstandes (Erbgüter) 3. Familienfideicommisse. ad. 1 In diese Stammgüter des Adels succediren noch heutzutage die Söhne vor den Pächtern. Dieser Grundsatz wird bei dem hohen Adel meistens aus den Erbverzichten (s. oben) der Töchter abgeleitet. Beim niedern Adel stützt sich dieser Vorzug der Söhne meistens auf den Landesgebrauch. (z. B. N. 8) Der Vater hat bei diesen Gütern aber an und für sich das Recht, bei den Söhnen eine ungleiche Theilung unter den Söhnen vorzunehmen, obwohl er es nicht nöthig hat. Auch kann er diesen Söhnen inter vivos frei veräußern, nur[487]von Todes wegen gebührt den Söhnen das Erbrecht in die Stammgüter. Sind aber keine Söhne vorhanden, so kann der Vater überhaupt frei über das Stammgut verfügen, auch mortis causa. ad. 2 Diese kommen jetzt nur noch in einigen Städten vor. Solche Güter sind in der Regel theilbar, auch sind Weiber von der Succession nicht ausgeschlossen. Der Umfang der Rechte des gesetzlichen Erben an diesen Gütern ist nach verschiedenen Statuten sehr verschieden. Zuweilen haben sie nur ein Familiencontracte. Ein Revocationsrecht bei Lebzeiten des Besitzers haben sie wohl nirgends mehr. Nach einigen Particularrechten freilich noch, wenn der Besitzer von Todeswegen veräußert hat, revociren (so in Hamburg und Lübeck). Dies wird wichtig, wenn der Todte ein Testament gemacht hat. Hat der Erblasser aber das Gut unter Lebenden veräußert, so können die Erben nur auf den Geldwerth des Erbguts Anspruch machen. Bei einem Concurs können sowohl Stamm- als andere Güter des Betreffenden veräußert werden. (Denn das ist echte Noth)

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[488]II. Deutschrechtliche Familienfideicommissen insbesondere § 297 A. Begriff und Entstehung derselben Unter Familienfideicommissen versteht man eine Sache, rücksichtlich deren angeordnet ist, daß sie stets bei der Familie bleiben soll. Gegenstand desselben können sowohl bewegliche als auch unbewegliche Sachen sein. Wo keine Particularrechte in Widerspruch stehen, können auch am Lehn Familienfideicommisse bestehen. Die fam. fid. sind aus der Autonomie des Adels mit Hülfe der Juristen hervorgegangen. Die Juristen wollten nämlich auf den Adel die Grundsätze des römischen Intestatserbrechts anwenden – dagegen schützte sich der hohe Adel durch die Erbverzichte der Pächter besonders und ferner eben durch die Familienfideicommisse. Nachdem heutigem gemeinen Recht können aber auch nicht adlige Familien fam. fid. stiften. Indessen geben nach neueren Particularrechten nur dem Adel dies Recht z. B. Baiern (N. 4). Begründet werden kann ein fam. fid. sowohl durch eine Anordnung des Stammvaters im Testament oder so oder durch einen Familienvertrag. Eine solche Disposition hat 2 wesentliche Bestandtheile: 1.  das Verbot der Ver­ äuße­rung 2. die Ausschließung des Weiberstammes bis zum Abgang des Mannesstammes; ob dann der[489]Weiberstamm folge hängt vom concreten Fall ab. Zur Errichtung der Familienfideicommissen fordern die Landesgesetze obrigkeitliche Genehmigung. Einige fordern öffentliche Bekanntmachung. Doch ohne ein Gesetz kann man das nicht verlangen, es erscheint höchstens als Billigkeitsgrund. B. Succession in Familienfideicommisse § 298 1. Successionsrecht und dessen Wirkungen Hieraus ergiebt sich, daß der Fideicommissar als solcher immer Singularsuccessor ist. Dies gilt auch von dem Descendenten des letzten Besitzers. Gewöhnlich behauptet man aber, daß, wenn der Gegenstand des Fideicommisses ein Lehn sei, dies wegen II F 55, nicht statthaft sei. Allein wenn man zugiebt, daß die Succession der Descendenten bei Lehn eine gewöhnliche Allodialerbfolge ist, so muß die Fideicommisstiftung denselben Einfluß haben, wie bei Allodien überhaupt. Als Singularsuccessor braucht er für die Schulden des Vorgängers nicht zu haften, außer wo eine acessio in rem stattgefunden hat. Auch sind die Nachfolger wegen des Veräußerungsverbots zur Revocation gegen alle Veräußerungen berechtigt. Der Fideicommissar ist aber als Eigenthümer des fideicommissarischen Guts zu betrachten, nicht als do-[490]minus utilis oder Ususfructuar, während dann der ganzen übrigen Familie das Obereigenthum angehören sollte. Daher steht jedem fideicommissfolger die Revocation erst zu, wenn er den Besitz des fideicomissarischen Guts verlangt hat. Sowie bei Lehn sind auch hier die unehelichen Adoptionskinder, Kinder aus einer Mißheirath oder einer marganatischen Ehe successionsunfähig. Die per subsequens matrimonium legitimirten Kinder sind gemeinrechtlich successionsfähig, aber nicht beim hohen Adel. 2. Successionsordnung § 299 a. Gemeinrechtliche

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Die Successionsordnung richtet sich zunächst nach dem Willen des Stifters, ferner nach Observanz und Hausgesetzen. Ergiebt sich nichts sicheres, so bleibt im Zweifel der seither übliche Successionsmodus bestehen. Das Fdeicommiss[ist] auch an und für sich nicht untheilbar, sondern dies wird es nur immer auf besondere Anordnung. § 300 b. Besondere Gewöhnlich wird aber allerdings bei Fdeicommissen eine Successionsordnung eingeführt, nach welcher blos ein Einzelner zu Succession kommt. Diese Successionsordnungen lassen sich auf 4 Classen zurückführen:[491]1. Die Primogeniturordnung. Hier succedirt immer der Erstgeborene in der ersten Linie. 2. die Majorattfolge. Hier succedirt immer der, welcher dem Grade nach dem Erblasser am nächsten steht. Bei gleicher Gradesnähe entscheidet das höhere gesetzliche Alter. 3. die Minoratfolge. Ebenso wie die vorhergehende, nur daß auf das jüngere gesetzliche Alter Rücksicht genommen wird. 4. die Senioratfolge. Hier succedirt immer der gesetzlich älteste, ohne Rücksicht auf Linien und Grade. Obigem System nach succediren: 1. nach der Primogenitur succedirt a allein und wenn er nicht vorhanden wäre, b, darauf c dann e und zuletzt f. 2. Nach dem Majorat succcedirt zunächst e, dann f, dann b und c von denen der Eine dem Andern vorgeht nach dem höheren Lebensalter, und zuletzt a. 3. nach dem Minorat succedirt zunächst f, dann e etc. 4. Nach dem Seniorat zunächst e, dann f etc.[492]Diese Successionsarten kommen häufig gemischt vor, N. 5. Auch braucht man oft den Ausdruck „Majorat“ in einem weiteren Sinne, worunter denn auch Primogenitur und Senorat begriffen wird. Unter Majorat versteht man auch das Fideicommiß selbst. Bei der Einführung einer besonderen Successionsordnung wird den Nachgeborenen aus den Einkünften eines Fideicommissgutes ein standesgemäßer Unterhalt gegeben. cf. N.7 zu § 297 Beim hohen Adel kommt dies ohne Ausnahme unter dem Namen Apanage vor. Besteht dieselbe vorzugsweise in liegenden Gütern, so heißt sie paragium. Unrichtig ist es aber, die Lehre vom römischen Pflichttheil hierauf anwenden zu wollen. Die Apanage haftet vielmehr stets als Reallast auf dem Fideicommissgute. § 301 C. Aufhebung der Fideicommisses Das Familienfideicommiss dauert so lange als noch Jemand von denen lebt für die es gestiftet ist. Der letzte von diesen genießt daher wieder alle Rechte, welche der Stammvater hatte. Dies braucht nicht gerade Eigenthum zu sein – es kann ja Lehn, Stammgut etc. sein. Sehr bestritten ist aber, ob die lebenden Familienmitglieder das Famielienfideicommiss zum Nachtheil der Nachgeborenen aufheben können? Gewöhnlich verneint man diese Frage. Eichhorn etc.[493]Denn hier trete eine successio ex pacto et porovidentia majorum ein. Allein Kraut mit einigen Andern dagegen, denn das dem deutschen Adel zustehende Autonomierecht bringt es mit sich, daß die lebenden Familienmitglieder für die späteren Generationen Gesetze machen können. Das fam. fid. ist durch einen Act der Autonomie gestiftet, deshalb liegt darin auch ohne Zweifel das Recht zu bestimmen, wie weit die fid. com. dies bleiben sollten. Den Fideicommissen des Adels sind aber die übrigen

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bei andern Ständen vorkommenden nur nachgebildet. Der Sache nach hat dies die Praxis auch immer anerkannt. Dies ergiebt sich besonders dadurch, daß sie den lebenden Familien die Aufhebung gestattet hat, wenn sie nur gewisse Förmlichkeiten beobachten, namentlich daß ein curator nasciturorum bestellt werde und der Regent, die Aufebung bestätigt. Diese Förmlichkeiten würden in der That die Auf­ hebung nicht gültig machen, wenn sie es nicht schon außerdem wäre. Die Ansichten und Gesetze der Particularrechte siehe Grundriß N. 1 und 3 etc. [494]Siebentes Buch Von den adligen und Bauergütern Erstes Capitel Von den adligen Gütern § 302 I. Arten derselben Die adligen Güter zerfallen in die standesherrlichen Güter und die Rittergüter. Die ersteren bestehen durch die ehemaligen Bauern- und Kammergütern des mediatisirten hohen Adels. Diese dürfen aber nicht verwechselt werden mit der Standesherrschaft, welche in dem ganzen Lande besteht, worüber der jetzt mediatisirte – des hohen Adels früher die Herrschaft hatte als Landesherr. Mit jenen standesherrlichen Gütern sind immer bedeutende Privilegien und Freiheiten verknüpft. (das schreibt sich noch z. B. aus der Zeit her, wo die Besitzer die Landesherrschaft hatten über die Standesherrschaft, in der das betreffende standesherrliche Gut lag) Theils erklären sie sich auch aus den Vorrechten, die der hohe Adel von jeher hatte, wenn er auch einer andern Landeshoheit unterworfen war. Auch die Rittergüter sind bevorrechtete Güter. Diese Vorrechte sind sämtllich aus der geistigen Lage hervorgegangen, worin sich die Ritterschaft vom Mittelalter immer befunden hat. Diese Vorrechte sind aber schon längst in der Regel nicht mehr von dem Stande des Besitzers abhängig, sondern sie werden dem Gut anklebend betrachtet. [495]§ 303 II. Vorrechte derselben Die mit den standesherrlichen Gütern verbundenen Vorrechte sind zum Theil durch die Rheinbundacte und die deutsche Bundesacte bestimmt, zum Theil hängt sie von Verträgen des Besitzers mit dem Fürsten ab N. 15 und 16. Alle diese Rechte haben aber mehr eine staatsrechtliche Bedeutung. Die Vorrechte der Rittergüter sind den obigen ähnlich, sie haben aber meistens einen weit geringeren Umfang. Im Einzelnen hängen diese Rechte jetzt von der Verfassung eines jeden Landes ab und sind sehr verschieden. Wo sie sich noch bis 1848 erhalten hatten, sind sie seitdem meistens untergegangen und so sind in den meisten Ländern Rittergüter eine reine Antiquität. Zweites Capitel Von den Bauergütern § 304 I. Begriff der Bauergüter (Grund- und Gerichtsherrschaft) Unter Bauergütern im weiteren Sinne versteht man alle diejenigen Grundstücke, welche weder die Gerechtsame des Ritter- oder standesherrliche Güter[496]haben

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und nicht zu einer städtischen Feldmark gehören. Im engeren Sinn sind sie solche Güter, auf welchen einthümlich Reallasten, bäuerliche Lasten haften. Das Recht, diese Reallasten zu fordern, entspringt bald aus einer dem Berechtigten über den Bauer zustehenden Vogtei, bald aus einer Proprietät des Berechtigten an dem Gute, woran der Bauer nur ein dingliches Recht hat. Wo das Recht aus einer Vogtei hervorgeht, nennt man es Gerichtsherrschaft und nur im 2ten Fall (indem der Proprietät) sollte der Ausdruck „Guts- oder Grundherrschaft gebraucht werden. Die Gerichts- oder Gutsherrschaft kann dem Landesherrn zustehen (Kammerbauer) oder einer Privatperson und hier entweder einer physischen oder einer juristischen Person (Kloster, Stifter, Städte) § 305 II. Besondere Quellen des Bauernrechts Hier sind besonders die Gesetze hervorzuheben im nördlichen Deutschland die Meyerordnungen etc. Die vorzüglichste Quelle des Bauernrechts sind Verträge und das Herkommen. Der Beweis des Herkommens wird vorzüglich geführt durch die ordentliche Führung[497]der Grund-, Canal-, und Lagebücher und Erbregistern. Urkunden in welchen die Höfe und Grundstücke eines und desselben Gutsherren und deren damaligen Besitzer mit Angabe der damals auf dem Grund und Boden haftenden Lasten und Abgaben. Diese Bücher haben, sobald sie die erforderlichen Eigenschaften haben, Beweiskraft. Sie müssen 1. öffentlliche Bücher sein, die ferner eine öffentlichen Person (meistens Justiziar) verfaßt. 2.  müssen sie sich auf Zugeständniß beider Parteien (der Gutsherren und der Bauern) gründen. Wenn das Buch aber von hohem Alter ist, nimmt man es hiermit nicht so genau. Bei manchen Bauergütern ist die Hauptentscheidungsquelle eine dem Lehnsbrief analoge Urkunde, der Meyerbrief, der erneuert werden muß bei einer Veränderung des Bauern. Alle diese Instrumente sind instr. communia (also Editionspflicht). III. Historische Einleitung § 306 und 307 Vor dem 16ten Jahrhundert (Reception des Römischen Rechts) war das Recht, welches den Bauern die kein Eigenthum an ihrem Gut hatten, zustand, sehr verschieden nach dem[498]mit dem Gutsherrn geschlossenen Vertrage cf. Grdr. § 306. Die meisten Bauern hatten aber damals schon ein dingliches, erbliches Recht an ihren Besitzungen. Nach Einführung des römischen Rechts wußten die Juristen zur Beurtheilung des Verhältnisses der Bauergüter, woran den Besitzer kein Eigenthum hatte, keine Analogie im römischen Recht aufzufinden, als die der Zeitpacht und der Emphyteuse. Wo sie die Merkmale der Emphyteuse nicht antrafen, hatte daher nach ihrer Ansicht der Gutsherr stets das Recht den Bauern zu kündigen, mochte das Verhältnis noch so lange bestanden haben. Das wäre dem Bauernstande, wenn die Juristen damit durchgedrungen wären, sehr nachtheilig geworden. Dessen ungeachtet blieb in der Praxis das Verhältniß doch erblich. Die Veranlassung dazu gab das Zusammenfallen der neuen Grundsteuerverfassung mit dem Aufkommen der obigen Theorien. Hiernach konnte der Gutsherr sich nicht steuerfrei erhalten, wenn sie nicht die corporio possessio der Bauern annahmen. Da wurde die Erblichkeit der Bauergüter anerkannt und festgestellt. Indessen sind

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durch diese Theorien meistens die älteren Verhältniße der Bauergüter so verwirrt, daß es heutzutage selten gelingt das neue Recht an das alte zu knüpfen, man kennt das alte – kennt das neue Recht aber den Zusammenhang hat man verloren. [499]B. Heutiges Recht § 308 1. Bauergüter zu vollem Eigenthum Die Bauern welche ein wahres Eigenthum an ihrem Gut haben, kann man in 2 Fälle theilen a. Einige tragen blos solche Lasten, welche auch andern nicht privilegirten Grundbesitzern zustehen, dieses sind die Freigüter. Diese Güter sind bis auf die neueren Zeiten sehr selten gewesen. b. Andere Güter dieser Art sind zwar einer Zins- und Dienstpficht unterworfen, auch bei diesen Gütern hat aber der Besitzer freie Disposition über das Gut (oft aber nicht ohne Einwilligung des Zinsherrn) 2. Güter an welchen ein Dritter die Proprietät hat § 309 a. Verleihungen nach gemeinem Recht Die Bauerngüter dieser Art, wo ein Dritter die Proprietät hat, sind bis auf die neuere Zeit die Mehrzahl gewesen. In Folge der Ablösungsordnungen nehmen die aber immer mehr ab und kommen dann in die[…]von § 308 zu stehen. Unter diesen Bauergütern von N. 2 sind zuförderst die hervorzuheben welche nach Grundsätzen des gemeinen Rechts[500]als Lehn oder Emphyteuse verliehen sind. Die Emphyteusen werden in Deutschland gewöhnlich Erbenzinsgüter genannt. So heißen aber überhaupt auch alle Bauergüter von denen ein Zins zu entrichten ist. Ebensowenig ist aber auf den Namen Emphyteuse zu geben. Man hat daher bei diesen Bauergütern immer auf das Wesen des Verhältnisses zu sehen. Dasselbe gilt auch von dem Namen Lehn. b. Deutschrechtliche Verleihungen § 310 A. Über die Erbleihe Alle übrigen Bauerngüter (im Gegensatz zu den obigen) lassen sich in 2 Classen zurückführen: 1. Güter an welchen der Besitzer ein erbliches Recht hat. Dieses Recht pflegt man heutzutage zu bezeichnen mit dem Ausdruck Calonatrecht (Calonus, Calonatguts) Dieser Ausdruck ist aber mehr ein Ausdruck der Wissenschaft. In den meisten Gütern kommt dafür der Ausdruck Meyerrecht vor (Meyer heißt ursprünglich Verwalter oder Erbpacht  – Erbrecht, Erbenzinsrecht und sofort sofort 2. Güter, bei welchen der Bauer kein erbliches Besitzrecht hat (davon in § 311) [501]Das erbliche Calonatrecht ist ein wahres dominium utile, in dem mit dem­ selben außer dem vollen Nutzungsrechte auch Proprietätsrechte verbunden sind (besonders rei vind. utilis). Erfunden ist der Ausdruck „Calonatrecht“ nur, um es von dem dominium utile des emphytenta und des Vasallen zu unterscheiden. Von dem Recht des Vasallen unterscheidet sich das Recht des Bauern regelmäßig nur dadurch, daß er das Gut nicht verpachten darf. Wegen des dem Gutsherrn zustehenden Obereigenthums muß der Bauer, wenn von Todes wegen verfügen oder unter Lebenden veräußern will den Gutsherrn fragen. Doch kann nach den neueren Gesetzen meistens der Gutsherr die Einwilligung nicht versagen, wenn er nichts

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gegen die Tüchtigkeit des neuen Wirths einwenden kann. Aus demselben Grund muß der Bauer stets um die Einwilligung des Gutsherrn ersuchen, wenn er dingliche Lasten irgendwelcher Art auf das Gut legen will. Der Bauer kann aber allerdings das zu dem Gut gehörige Allodium in Schulden bringen und verhypotheciren, selbst wenn er Pertinenz des Bauernguts sein sollte. Allodiale Pertinenzen sind folgende Gegenstände[502]1. die Beistücke (fliegendes Eigenthum) die zu vollem Eigenthum dem Bauern gehören 2. die Gebäude 3. das Inventar 4. die Meliorationen N. 2 und 4 sind hier untrennbare Pertinenzen. Dies hat die Folge, daß bei einer Trennung des Guts vom Allod der Bauer oder dessen Allodialerben immer Ersatz dieser beiden Pertinenzen verlangen kann, der nachfolgende Besitzer aber verlangen kann, daß sie ihm gelassen werden. Oft ist auch das Inventar untrennbare Pertinenz. § 311 β. Über die nicht erbliche Leihe: Die Bauern welche kein erbliches Besitzrecht an ihren Gütern haben, sind zuweilen bloße Zeitpächter. Bis auf die neueren Zeiten kamen hier und da solche Bauern vor, welche blos auf Herren Gunst saßen, d. h. welchen auch ohne Kündigung das Gut vom Herrn wieder genommen werden konnte das ging am meisten in Mecklenburg (N. 9) am häufigsten haben die in diese Classe gehörigen Bauern aber ein dingliches Nutzungsrecht, das in der Mitte steht zwischen der Zeitpacht und dem erblichen Calonat. Oft unterscheidet sich das dingliche nicht erbliche Nutzungsrecht von dem[503]erblichen Calonat blos dadurch, daß es auf die Lebenszeit beschränkt ist. Bei solchen Gütern kann dem Besitzer nicht gekündigt werden, noch[…]anders als aus gesetzlichen Gründen oder besonderem Vorbehalt schon bei Lebzeiten den Besitz verlieren sind solche Gründe nicht vorhanden, so muß auch der Singularsuccessor des Gutsherrn ihm das Gut lassen, es gilt hier nicht: Kauf bricht Miethe. Häufig führen diese Güter dieselbe Benennung wie die Calonatgüter. Afterverpachtungen pflegen auch hier stets an den Consens des Gutsherrn gebunden zu sein. Besonders wichtig ist die Erbfolge. IV. Erbfolge bei Bauergütern § 312 A. Natur der Erbfolge Hier kommt nur in Betracht, die Succession in das Bauergut selbst, denn das ­Allod der Bauern wird nach gewöhnlichen Regeln vererbt. Bei denjenigen Gütern, woran der Bauer ein wahres Eigenthum hat, oder Emphyteuse galten im allgemeinen die Grundsätze des römischen Rechts. Ebenso gilt bei denjenigen Bauer­ gütern, welche wahre Lehen sind die Lehnsfolge, obwohl hier zuweilen einige Ausnahmen vorkommen. Bei den übrigen[504]Bauergütern ist das Erbrecht der Regel nach ein wirkliches Allodialerbrecht. Jedoch ist das Allodialerbrecht hier meistens mannigfaltig modificirt. Dahin gehört häufig, daß das Erbrecht auf die Descendenten des Bauern beschränkt ist. Ferner stehen die Töchter ordentlicher Weise den Söhnen nach. Endlich succedirt auch in der Regel nur ein Erbe zur Zeit. Wer dieser Erbe sein soll, ist particularrechtlich verschieden, Majorat, Minorat, etc. Zuweilen hat der Vater das Wahlrecht unter seinen Söhnen und wenn er

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es vor seinem Tode nicht ausgeübt hat, der Gutsherr. Häufig haben auch die Erben selbst ein Kürrecht (besonders: der älteste macht die Theile der jüngsten wählt zuerst – diese Regel wird hieroft befolgt) Ohne Ausnahme ist aber eine Bedingung des Anerbenrechts, daß der Anerbe ein tüchtiger Wirth sei: Zuweilen ist das Successionsrecht des Anerben ein unabänderliches, dann aber doch nur das der Kinder, nicht der Seitenverwandten. Denn wenn das Anerbrecht ein unabänderliches ist, darf der Besitzer durch eine Verfügung von Todes wegen dem Anerben das Gut nicht entziehen. In Alienationes inter vivos ist er aber nicht durch seinen Anerben gebunden nur durch den Gutsherrn. Die Schulden des Bauern[505]gehen an und für sich nur so weit, als sie auf dem Hofe haften, Stallschulden, auf den Anerben über. Gewöhnlich übernimmt der Anerbe aber den Hof mit Schuld und Unschuld“ – d. h. mit allen Schulden). Bei dieser regelmäßigen ungetheilten Succession bekommen die übrigen Kinder des Bauern aus dem Gut entweder gar nichts oder doch nur eine Abfindung oder Auslobung, welche bei Töchtern besonders auch Brautschatz oder Mitgift genannt wird. Aber auch da, wo der erste Grundsatz gilt, haben die übrigen Kinder doch immer von dem Anerben aus dem untrenn­ baren Allodium eine Abfindung zu verlangen. In beiden Fällen ist zur Festsetzung der Abfindung immer die gutsherrliche Einwilligung erforderlich. Die Abfindung aus dem Gut und dem Allodium conjunctum besteht aber regelmäßig nicht in einem gleichen Erbtheil, noch in einem Pflichttheil, vielmehr wird die Abfindung häufig wie eine nach dem Herkommen sich rechnende Aussteuer betrachtet. Sie darf dann immer aus so viel betragen, daß der neue Wirth bei dem Gute bestehen könne. So kann die Abfindung ganz wegfallen. Die Abfindlinge[506]repräsentiren den Erblasser regelmäßig aber nicht in Beziehung auf Schulden. Auszubezahlen ist die Abfindung in der Regel nicht gleich bei ihrer Festsetzung, selbst wenn der Anerbe das Gut übernommen, sondern erst wenn die Kinder den Hof gänzlich und auf immer verlassen und dann meistens auch nur terminlich zu bezahlen. Vor der Fälligkeit dieser Termine sind in der Regel auch keine Zinsen von der angelobten Abfindung zu zahlen. Wenn nur ein Kind im Hofe stirbt, d. h. bevor es den Hof verläßt – vererbt sich diese Abfindung dann auf die übrigen Kinder, oder bleibt sie im Hofe? Diese Frage ist sehr bestritten, aber nicht im Allgemeinen zu entscheiden. Sie läßt sich nur beantworten mit Bezug auf die verschiedenen Arten der Abfindung. 1. die Abfindung ist blos von dem trennbaren Allodium angelobt. Für diesen Fall ist die erstere Meinung die richtige, denn hier ist die Abfindung wie in einer Forderung bestehender Erbtheil 2. Die Abfindung ist aus dem Gut selbst oder aus dem untrennbaren Allod ausgelobt. Hier ist die letztere Meinung vorzuziehen,[507]denn in diesem Fall ist die Abfindung ein debitum conditionatum, welches erst zur Existenz kommt, wenn die Kinder den Hof verlassen. Hierfür spricht auch, daß der Zeitpunkt wo die Abfindung festgesetzt ist, nur etwas zufälliges ist. Hiermit stimmt die Praxis überein. § 313 β. Die Leibzucht Sehr häufig kommt es bei Bauerngütern vor, daß der Besitzer selbiges schon bei Lebzeiten gegen eine lebenslängliche Versorgung an den Anerben abtritt. Die Ver-

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sorgung führt verschiedene Namen – Altentheil, Abschied, Auszug etc. Der Leibzuchtvertrag ist bei den Gütern welche Eigenthum sind nach den Grundsätzen der Leibzucht cf § 163 zu beurtheilen. Bei den übrigen Gütern des Bauern dagegen ist zur Abschließung des Leibzuchtvertrags immer die Einwiligung des Gutsherrn erforderlich. Ist diese aber erfolgt, so haftet die Leibzucht immer wie eine Reallast an der Stelle. Die Abtretung geschieht entweder so, daß der Altvater sich die Herrschaft über das Gut vorbehielt „Leibzuchtvertrag mit Vorbehalt[508]der „Regierung“, oder und dies ist das gewöhnlichste, daß auf den Empfänger gleich das volle Recht übertragen wird. Im ersten Fall ist die Wirkung der Übertragung die eines beschränkten Eigenthums, welche erst durch den Tod des Tradenten ganz unbeschränkt wird. Stirbt der Anerbe früher, so fällt das Gut an den Tradenten zurück. Im 2ten Fall betrachten einige Juristen die Erbfolge als eine Successio anticipale (Universalsuccession). Allein es liegt in der ursprünglichen Gestalt des Instituts noch in den Particularrechten kein Grund dafür. Auch steht diese Annahme mit dem Grundsatz hereditas viventis non datur. Endlich wird dabei aber auch allgemein angenommen, daß die successio anticipale sich nur auf das Bauerngut beziehe, nicht auf sein übriges Vermögen. Also die Ansicht ist zu vertreten. Hieraus folgt nun auch, daß der Übernehmer nur Singularsuccessor ist und daß er nur die auf dem Gute lastenden Schulden zu übernehmen braucht. [509]§ 314 C. Interimswirthschaft Diese besteht darin, daß während der Minderjährigkeit des Anerben einem ­Andern, gewöhnlich dem Stiefvater die Hofstelle zur interimschen Bewirthschaftung übertragen wird. Zuweilen wird die Interimswirthschaft noch über die Zeit der Volljährigkeit hinaus ausgedehnt. Die Zeit derselben heißt Regierungsjahre, Maljahre, Wohnjahre. Das Charakteristische dieser Einrichtung besteht darin, daß der Interimsverwalter nicht als Administrator sondern als eigentlicher Calonus während der Zeit gilt, Lasten trägt und Früchte zieht, zu seinem eigenen Schaden und Nutzen. Die Interimswirthschaft hat ihren Grund darin, daß der Gutsherr in Bezug auf die Substanz des Landes sehr interessiert ist, daß die Verwaltung gut sei und so kann er den Minderjährigen vorläufig ganz ignoriren. So kann die Interimswirthschaft kaum bei andern Gütern vorkommen, als die in gutsherrlicher Sexus stehen. Sie wird daher wohl immer außer Gebrauch kommen. Sie wird stets angeordnet durch einen Vertrag[510]zwischen den Vormündern der Anerben und dem Interimswirth unter Zuziehung des Gutsherrn. Gewöhnlich wird die Einrichtung getroffen, daß der Interimswirth sich mit einer bestimmten Summe in das Gut einkaufen muß. Tritt er später aus, so bleibt die Summe darin, doch bekommt er dafür eine Leibzucht. Auch erhalten seine auf dem Gut geborenen Kinder unter Umständen eine Abfndung. Zuweilen erhält er selbst für sich und seine Kinder ein eventuelles Erbrecht. Der Interimswirth muß für die Unterhaltung der Anerben und dessen Geschwister sorgen. Vormund der Anerben darf er aber nicht sein, denn die Vormünder des Anerben haben die Aufsicht zu führen, daß der Interimswirth dem Anerben und Geschwistern Alimente giebt und das Gut nicht ruinirt.

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§ 315 V. die übrigen Rechte des Gutsherrn Außer der Proprietät und der Leibzucht zu Zinsen hat der Gutsherr gewöhnlich noch 1. das Recht, beim Übergang des Guts ein laudemium zu fordern, das die verschiedenensten[511]Namen anerkennt. (Weinkauf, etc.) Dies war bei Bauer­ gütern sehr gewöhnlich. Es ist aber nicht gemeinrechtlich außer bei den Emphyteusen. 2. das Abmeyerungsrecht (Expulsionsrecht, Entsetzungsrecht etc.) d. h. das Recht den Bauern aus gewissen Gründen zu verstoßen vom Gut. Gemeinrechtliche Gründe giebt es nur beim Lehn und bei der Emphyteuse. Bei allen andern Bauergütern hingen diese Gründe lediglich von Verträgen und bei von particularrecht­ lichen Bestimmungen ab. Achtes Buch Handelsrecht mit Einschluß des Wechselrechts und Seerechts Einleitung § 316 I. Begriff des Handels und Handelsrechts Im engeren Sinn heißt Handel der Umsatz von Waren in unveränderter Gestalt, das als Gewerbe, d. h. in gewinntüchtiger Absicht, betrieben wird. Im weiteren Sinn umfaßt Handel auch die Hülfsgewerbe des Handels im engeren Sinn, diese alle siehe unten.[512]Auch das Fabrikgeschäft gehört in gewisser Weise dahin. Unter Handelsrecht versteht man den Inbegriff aller Rechtsregeln, nach welchen die beim Handel im weiteren Sinn vorkommenden Fälle beurtheilt werden. § 317 II. Geschäfte des Handelsrechts fällt weg. § 318 III. Quellen des Handelsrechts Gemeinrechtliche Quellen des Handelsrechts haben wir bisher in Deutschland nur in dem römischen Recht und besonders in dem Gewohnheitsrecht für einzelne Länder giebt es freilich schon ausführliche Handelsordnungen, nämlich Preußen und Baden. Eine Handelsgewohnheit heißt in der Kunstsprache „usance“ die aber rechtlich nur dann gelten kann, wenn sie die Merkmale eines gewöhnlichen Gewohnheitsrechts haben. Zum Beweis dienen die pareres Gutachten angesehener Kaufleute über Handelsgewohnheiten. Diese wurden immer schriftlich abgefaßt und nicht beschworen. Sie sind also nicht vollkommen beweisend und haben nur die Gültigkeit eines gewöhnlichen Gutachtens, die der Richter beachten, aber nicht sklavisch daran gebunden sein soll. N. 4 [513]§ 319 IV. Literatur des Handelsrechts s. Grundriß § 320 V. Hülfsmittel des Handelsrechts s. Grundriß Erstes Capitel Handelsrecht überhaupt § 321 I. Verschieden Arten des Handels gehört der Handelswissenschaft an, cf. Thöl § 14

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§ 322 II. das Recht Handel zu betreiben Im Allgemeinen ist Jeder, welcher über sein Vermögen disponiren kann, befugt Handel zu treiben. Einigen Classen von Leuten ist der Handel verboten, d. h. der Handel im engeren Sinn. 1. dem Adel (jetzt unpraktisch) 2. der Geistlichkeit 3. dem Militär 4. den höheren Civilbbeamten 5. den Mäklern (s. unten) Wo noch überhaupt Zünfte bestehen, pflegt der Handel (in der Regel nur der Kleinhandel) ein zünftiges Gewerbe zu sein [514]III. Von den beim Handel vorkommenden Personen § 323 A. Kaufleute und Kauffrauen Kaufmann ist, wer den Handel auf eigene Rechnung betreibt. Wenn dies von einem Weibe geschieht, heißt sie Kauf- oder Handelsfrau eine solche kann nach allgemeinen Rechtsansichten in Handelssachen auf ihren beneficia keinen Anspruch machen. Im weiteren Sinn wird auch Jeder, welcher ein Hülfsgewerbe des Handels im engeren Sinn auf eigene Rechnung betreibt, Kaufmann genannt (Spediteure, Mäkler, Wechsler etc.) Vom Particularrecht hängt die Frage ab, was ein Kaufmann zu erfüllen hat, um dies zu werden, ferner die Frage, ob ein minor Kaufmann werden kann. Wenn ein minor die Handelsgerechtigkeit erhält, so wird er in Beziehung auf Handelssachen vollständig wie ein Majoraner betrachtet, indem die verschiedenen Beneficien für ihn wegfallen. Die Handelsleute (Kaufleute im weiteren Sinn) pflegen ihre Geschäfte unter einem besonderen Handels-[515]namen, Firma oder Raggion betreiben. Wer durch den unbefugten Gebrauch einer Firma in seinen Rechten beeinträchtigt ist, kann den Unbefugten auf Niederlegung dieser Firma und auf Schadensersatz verklagen. Dies ist auch anerkannt, im Entwurf des deutschen Handelsgesetzbuches cf. Dietzel, die Handelszeichen und die Firma“ Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts von Becker, Muter IV S. 227 ff. Die einfachste Einrichtung eines Handelsbetriebes von einem bestimmten Ort aus nennt man das Etablissement des Kaufmanns. Dieser Ort ist entweder ein offener Laden oder ein Handelsbüreaund Das Etablissement ist der Wohnort der Firma, nicht die Privatwohnung des Kaufmanns. Es begründet das Etablissement deshalb das forum des Kaufmanns in Handelssachen. Daher sind namentlich auf die Firma gerichtete oder von der Firma ausgestellte Wechsel immer in dem Etablissement zu präsentiren. B. Geschäften bei Betreibung des Handels § 324 I. Factor (Institor) Factor (Disponent, Geschäftsführer, Handelsvorsteher etc.) heißt der Stellvertreter des Principals[516]welchem die Direction des Handels ganz oder zum Theil übertragen ist. Sein Verhältniss zum Principal und zu Dritten ist gemeinrechtlich nach römischem Recht zu beurtheilen. Nur wird nach den in Deutschland über freie Stellvertreter geltenden Grundsätzen der Kaufmann durch die Geschäfte welche der Factor für ihn abgeschlossen unmittelbar berechtigt und verpflichtet. Gegen den institor erzeugt das Geschäft zwischen institor und dem Dritten weder Rechte

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noch Verbindlichkeiten. Die Vollmacht durch welche der Factor bestellt wird, heißt procura. Wenn diese, wie gewöhnlich an der Börse öffentlich bekannt gemacht wird, so fordert auch das Erlöschen derselben eine öffentliche Bekanntmachung (wegen des darin liegenden mandatum de credendo) sonst kann der Principal nur dann das Erlöschen der procura Dritten gegenübersetzen, wenn er beweist, daß das Erlöschen der procura den Dritten bei Abschluß des Geschäfts bekannt war. (Im Entwurf des Handelsgesetzbuches anerkannt) § 325 2. Handlanger, Diener, Lehrlinge und Buchhalter Die Handlungsdiener und Lehrlinge unterscheiden sich von dem Factor wesentlich dadurch daß sie nicht, wie dieser ein generelles Mandat, sondern[517]nur immer specielle Mandati haben. Die an einem offenen Laden, Magazin, Waarenlager angestellten Handlungsdiener sind beauftragt die in dem Laden etc. vorkommenden Verkäufer und Empfänger zu besorgen. Die außerhalb des Ladens vorkommenden Einzahlungen an die Ladendiener sind für die Principale nicht bindend, wenn sie eine unquittirte Rechnung Assignation etc. bringen. Die reisenden Handlungsdiener, Voyageure sind eine Art temporäre Factoren. Eine Art derselben sind die[…]welche eine Schiffsladung für die Zwecke derselben begleiten. Der Buchhalter hat das specielle Mandat, die Handelsbücher zu führen. Als solcher kann er keine Handelsgeschäfte führen, wenn er nicht etwa auch Commiss ist. III. Nebenpersonen beim Handel § 326 1. (Handels)-Mäkler Die Handelsmäkler sind öffentlich autorisirte Personen (entweder von der Obrigkeit oder von der Kaufmannschaft und beeidigt) welche gegen eine Entgeltung Handelsgeschäfte[518]aller Art auch im weiteren Sinn für Dritte vermitteln. Die Mäkler haben folgende Rechtspflichten: 1. sie dürfen für eigene Rechnung keine Handelsgeschäfte treiben, weder mittelbar noch unmittelbar (also auch nicht als Commissionair, Institor oder Handlungsdiener, denn der Mälker soll unparteiisch sein 2. Sie sind zur Verschwiegenheit über die Aufträge, Verhandlungen und Abschlüsse verpflichtet, es müßte ihnen dann das Gegentheil von den Parteien bewilligt sein oder in der Natur der Sache liegen. 3. Sie müssen ihre Geschäfte persönlich betreiben. Dürfen sich keines Geschäftes zur Abschließung bedienen, denn es gilt immer ihre eigene Autorisation und tüchtige Eigenschaften in Anspruch zu nehmen. 4. Sie müßen ein Tagebuch, Journal führen, worin sie täglich alle unter ihrer Vermittlung abgeschlossenen Geschäfte mit Angabe aller näheren Umstände einzutragen haben. 5. Der Mäkler muß nach Abschluß des Vertrags jeder Partei eine, von ihm unterzeichnete Schlußacte (oder Abschlußzettel)[519]überreichen, welche alle wesentlichen Punkte des Vertrages anzeigt. Das ordnungsmäßig geführte Tagebuch sowie die Schlußacte liefern gewöhnlich den Beweis des vollständig abgeschlossenen Vertrags oder dessen Inhalts. Die Mäkler theilen sich in größeren Städten nach den einzelnen Branchen des Handelsrechts. Besonders haben die den Cours des Geldes und die Marktpreise festzustellen und bekannt zu machen. Die Entgeltung, welche der Mäkler für seine Dienste zu fordern hat, Mäklerlohn,

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Cortage ist immer durch Gesetze oder den Gebrauch eines jeden Orts bestimmt, so daß dieselbe nicht erhöht noch herabgesetzt werden darf, um den Mäkler unparteiisch zu machen. Auch die Frage, welche Partei den Mäklerlohn zu bezahlen hat, richtet sich nach dem Gesetze und nach dem concreten Fall, nicht immer der Auftraggeber. In Ermangelung positiver Entscheidungen hat jede Partei die Hälfte des Mäkler­lohns zu bezahlen. Der Mäklerlohn ist aber nicht eher verdient, als bis das Geschäft unter den Parteien zu Stande gekommen ist. Treten also die Parteien zurück vor Abschluß des[520]Handels, so bekommt der Mäkler nichts, denn sein Lohn gebührt ihm nicht als Bezahlung der Mühe, sondern als Lohn für ein von ihm vermitteltes Geschäft. § 327 2. Frachtführer Das ist derjenige, welcher gewerbsmäßig den Transport von Waren zu Lande oder auf Flüssen und Binnengewässern bewerkstelligt. Den Contract, welchen der Frachtführer mit dem Absender abschließt, ist im Allgemeinen nach der römischen locatio conductio operarum zu beurtheilen. Er wird aber im Vertrag und dessen Bedingungen immer eine schriftliche Urkunde Frachtbrief ausgestellt, dessen Ausstellung der Frachtführer verlangen kann. Gewöhnlich wird der Frachtbrief nur vom Absender unterzeichnet. Dem ungeachtet beweist der Frachtbrief nach allge­ meinem Handelsgebrauch nicht blos gegen den Absender sondern auch gegen den Frachtführer. (ähnlich bei Lehnbriefe)  Nach römischem Recht müßte, wenn der Antritt oder die Fortsetzung der Reise durch Naturereig-[521]nisse oder sonstige Verhältnisse ohne Verschulden des Frachtführers zeitweilig verhindert wird, der Absender warten bis die Reise fortgesetzt werden kann. Nach allgemeinem Handelsgebrauch ist der Absender aber nicht daran gebunden. Vielmehr kann er in einem solchen Fall von dem Vertrage zurücktreten, weil das sonst für den Absender zu großen Nachtheil haben könnte. Der Absender muß aber den Frachtführmann allerdings wegen Kosten zur Vorbereitung zur Reise wegen Ausladens und wegen etwaiger Kosten aus schon erfolgter Antretung der Reise etc. schadlos halten. Daß der Frachtführer für omnis culpa stehen muß ergiebt sich schon nach Römischem Recht. Aber eine andere bestrittene Frage ist, ob der Frachtführmann in dem Umfange wie Schiffer und Wirth für die damna der Sache haften muß. Aus allgemeinen Grundsätzen läßt sich manches dagegen einwenden, der Entwurf des Handelsgesetzbuchs bejaht aber die Frage. Diese strenge Verantwortlichkeit des Frachtführers ist denn auch mit Eisenbahnen und Posten anzuwenden. Der im Frachtbrief bezeichnete Empfänger Adressat ist befugt gegen den Frachtführer die aus dem Frachtbrief entstandenen Rechte[522]geltend machen. Zu dem Ende steht ihm auch ein Klagerecht gegen denselben zu, mag er es im eigenen oder im Interesse eines Dritten Berechtigten geltend machen. Ein gleiches Klagerecht hat natürlich auch der Absender. Durch die Annahme der Waare und des Fracht­briefes wird der Empfänger verpflichtet, dem Frachtführer nach Maßgabe des Frachtbriefs Zahlung zu geben. Zur Sicherheit seiner Forderung für Mühe und Auslagen hat der Frachtführer schon nach römischem Recht ein Retentionsrecht auf den Waaren, die Particularrechte und der neue Entwurf legen ihm ein wahres Pfand-

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recht daran bei, das er aber nach dem neuen Entwurf binnen 3 Tagen geltend machen muß. Geht das Gut durch die Hände mehrer Frachtführer auf den andern über macht der Frachtführer von seinem Retentionsrecht resp. Pfandrecht keinen Gebrauch, so wird er resp. die früheren Frachtführer und die Spediteure des Rückgriffs gegen die Vormänner verlustig, denn die Vormänner haben dem Frachtführer die[523]Weisung gegeben, sich vom Empfänger das Geld geben zu lassen, und zu seiner Sicherheit haben sie ihm die Güter vertraut und ihm Pfandrecht daran geht natürlich zu seinem eigenen Schaden verloren, wenn er es nicht rechtzeitig benutzt. Nur der Anspruch gegen den Empfänger bleibt in Kraft (dies ist auch im Gesetzentwurf wieder sanctioniert). Es fragt sich nur, wenn der Empfänger die Waare ununtersucht annimmt und dem Frachtführer seinen Lohn zahlt, ob er denn die Waaren behalten müße oder nachher noch klagen könne? Da im Frachtbrief der Lohn nur unter der Bedingung zugesagt wird, daß die Waaren richtig und gut abgeliefert, leidet es an und für sich keinen Zweifel, daß auch nach Empfang der Empfänger den Frachtführmann verklagen könne. Manche nehmen aber das Gegentheil an. Diese Ansicht, die auch im code de commerce steht, ist von dem neuen Entwurf anerkannt. Jedoch läßt der Entwurf hieran eine Ausnahme zu wegen Verlustes und Schadens der bei der Ablieferung nicht äußerlich erkennbar war. Die Klage und Einreden gegen den Frachtführer verjähren nach Particularrechten binnen sehr kurzer Frist, nach dem Entwurf binnen 1 Jahr[524]Dies gilt aber nicht bei Fällen von Betrug und Veruntreuung des Frachtführers. IV. Von den bei einzelnen Handelsgeschäften eintretenden Rechten § 328 A. Kauf und Verkauf Im Allgemeinen gilt auch hier unter Kaufleuten das römische Recht. Dem Handelsrecht eigenthümlich sind besonders folgende Grundsätze: 1. Wenn der Verkäufer mit der Übergabe der Waaren im Verzug ist, so würde nach römischem Recht der Käufer nur die Waare selbst und Schadensersatz einklagen können, nicht aber ohne Weiteres vom Handel zurücktreten dürfen. Allein dieser Grundsatz des römischen Rechts wird in Handelssachen nicht angewandt, weil der Kaufmann nicht kauft, um zu haben, sondern aus Speculation, um durch den Wiederverkauf zu gewinnen. Daher wird es im Handel unter Kaufleuten als sich von selbst verstehend angesehen, daß sobald der Verkäufer mit der Lieferung in mora ist, Käufer nicht mehr an die Annahme gebunden ist, wohl aber die[525]Preisdifferenz als Schadensersatz klagen kann. 2. wenn umgekehrt der Käufer mit der Empfangnahme der Waare im Verzuge, so kann der Verkäufer sie nicht blos auf Gefahr und Kosten des Käufers bei einem Dritten deponiren, sondern er ist auch befugt, nach geschehener Aenderung sie öffentlich verkaufen zu lassen. Ist die Waare dem Verderben ausgesetzt, so bedarf es bei der mora dieser Aenderung gar nicht. 3. Soll die Waare dem Käufer von einem andern Orte übersandt werden und hat er über die Art der Versendung nichts bestimmt, so gilt der Käufer als beauftragt die Art zu bestimmen. 4.  die Verzinsung des rückständigen Kaufpreises versteht sich auch unter Kaufleuten ohne vorhergegangene Mahnung von selbst, sobald die Waare tradirt und der Preis fällig ist. Eine andere Frage ist es aber, ob wenn ein Kaufmann an

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Jemanden der nicht Kaufmann ist, eine Waare verkauft, derselbe, wenn der Kaufpreis nicht gleich bezahlt ist, dafür Zinsen verlangen kann und von welchem Termin diese anfangen zu laufen. Dies ist höchst be-[526]stritten. Alle sind darüber einig, daß beim Verkauf an Nichtkaufleute der obige römische Grundsatz nicht angewandt werden kann. Soll nun aber der Kaufmann nie Zinsen fordern können? Einige nehmen an, von dem Augenblick an, wo die Rechnung übersandt und der Käufer gemehrt ist, Struve Bedenken. Andere sagen nach Ablauf eines Jahres vom Augenblick der Tradition an (Pufendorf, etc.). Noch andere sagen, der Kaufmann könne nie Zinsen verlangen Maevius Struve ect. cf. N. 2–5. Im Allgemeinen können wir sagen, da das römische Recht hiernach einem allgemeinen Gewohnheitsrecht nicht angewandt wird und die Praktikker sehr controvers sind und sich kein Gewohnheitsrecht gebildet, so können wir die Frage überhaupt nicht gemeinrechtlich beantworten, sondern nur aus den Particularrechten. In völligem Zweifel können nur vom Augenblick der Klage an Zinsen gefordert werden. 5. Wegen laesio ultera dimdium kann der Kauf und Verkauf unter Kaufleuten nicht aufgehoben werden, denn der Grund, augenblickliche Verlogenheit des Verkehrs, fällt hier weg da eben auf Speculation gekauft und creditirt wird. [527]§ 329 B. Geschäfte bei dem Handel mit Staatspapieren Hier wird das Inhaberpapier als Waare angesehen. Übrigens sind diese Geschäfte im Ganzen dieselben, welche auch bei andern Waaren vorkommen. Da aber der Cours der Papiere sehr schwankend ist, so sind solche Geschäfte – da oft blos auf die Differrenz des Courses speculirt wird, oft ohne Absicht einer vollen Lieferung. Zu diesen Geschäften gehört besonders der Vertrag der Lieferung auf Zeit, wo häufig von Anfang an keine volle Lieferung beabsichtigt, sondern nur auf die Coursdifferenz speculiert wird. (der eine oder andere Contrahent klagt blos auf seinen Gewinn) In solchem Fall heißt der Vertrag insbesondere Differenzgeschäft. Dies hat die Natur einer Wette und deshalb haben die deutschen Juristen eine zeitlang behauptet, dieser sei ein verbotenes Geschäft. Doch mit Unrecht. Er ist gemeinrechtlich klagbar (da auch Wetten dieses sind). In manchen Ländern ist aber dies Geschäft gesetzlich verboten z. B. Preußen. [528]§ 330 C. Kaufmännische Zahlungen und Zinsen Die Bezahlung geschieht unter Kaufleuten entweder per Cassa oder  a conto oder durch Wechsel oder durch die Bank. Per cassa bezahlen heißt baar bezahlen. a conto wird bezahlt, wenn 2 Kaufleute ihre gegenseitigen Schulden und Forderungen mit einander abrechnen. Dies geschieht gewöhnlich jährlich, innerhalb des halben heißt die Rechnung conto corrent. Die Differenz, welche sich Ende Jahres ergiebt, heißt der Saldo, nur dieser Überschuß kann verlangt werden. Von den kaufmännischen Zinsen siehe oben und (ob § 160) Nach dem Handelsrecht sind Kaufleute untereinander berechtigt, in beiderseitigen Handelsgeschäften auch ohne vorherige Mahnung von jedem Kaufpreise vom Tag seiner Fälligkeit an Zinsen fordern kann, in der Regel 6 %. Ein Kaufmann, welcher als Ausübung des Handelswirths Geschäfte für einen andern besorgt oder ihm Dienste leistet, kann auch

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vom Tage der Leistung an[529]für Auslegungsdienste etc. sich Zinsen berechnen. Dies gilt auch hier besonders vom Commissionär und Spediteur. Diese Zinsen betragen in der Regel wieder 6 %. Auch von dem ganzen Betrage des Saldo, auch wenn darin Zinsen begriffen sind, ist ein Kaufmann von dem andern vom Tage der Fälligkeit an wieder Zinsen zu nehmen berechtigt. Auch laufen unter Kaufleuten die Zinsen fort, wenn die andern Zinsen schon das Kapital überschreiten, also das alterum tantum. Besonders häufig kommt unter Kaufleuten ein interusurium vor (nach Karpzow). Eine besondere Art des interusuriums besteht darin, daß wenn Jemand einen noch nicht zahlbaren Wechsel hat, sich der Betrag desselben vorstreichen lässt und diesen dann die Einkassirung des Wechselgeldes übernimmt. Der Übernehmer zieht dafür das Interusurium ab. Das Interusurium heißt in diesem Fall „disconto“ da der discontirende hierbei eine besondere Gefahr übernimmt, so ist der Disconto ans gewöhnliche Zinsmaximum nicht gebunden.[530]§ 331 D. Mandat und Emphehlungen Hierüber galten, wie man jetzt allgemein annimmt, die Grundsätze des römischen Rechts. § 332 E. Anweisung (Assignation) (cf. Arndts ad h. l.) Die Assignation unter Kaufleuten bekommt dadurch etwas Eigenthümliches, daß nach dem Handelsgebrauch die Acceptation der Anweisung eine selbstständige Verpflichtung des Assignaten gegen den Assignator erzeugt (während nach römischem Recht der Assignat sich durch Acceptation blos dem Assignanten gegenüber verpflichtet) Eine solche Assignation wird im übrigen nach Analogie des Wechsels beurtheilt, das schleunige Wechselverfahren abgerechnet. § 333 F. Commissarsgeschäft Commissionär ist derjenige, welcher gewerbsmäßig in eigenem Namen für Rechnung des Auftraggebers, Commissenten schließt. Die Vergütung, welche der Commissionär zu fordern hat, wird Provision genannt.[531]Durch Geschäfte, welche der Commissionär mit Dritten abschließt, wird er selbstständig berechtigt und verpflichtet. Ist von dem Auftragsgeber ausdrücklich bestimmt, daß das Geschäft auf seinen Namen geschlossen werden soll, so ist das keine kaufmännische Commission. Bei der Einkaufs- und Verkaufscommissionen (z. B. von Waaren, Wechseln, Werthpapieren etc.) ist der Commissionär nach Handelsgebrauch befugt, auch selbst als Verkäufer diese Waare etc. zu liefern oder auch das Gut welches er zu kaufen beauftragt ist, als Käufer selbst behalten, immer zum bestimmten Marktoder Börsenpreis. Hiermit hängt zusammen, daß wenn der Commissionär mit der Anzeige des Auftrags nicht eine andere Person als Käufer oder Verkäufer meldet, er selbst von dem Committenten als Käufer oder Verkäufer in Anspruch genommen werden kann. Außer der Provision kann der Commissionär vom Commissenten auch die Erstattung aller Auslagen und Kosten verlangen. Er kann auch Ersatz solcher Kosten verlangen, die er nicht baar ausgelegt hat, sondern dem Commissenten durch seine eigene Handlung erspart hat.[532]Provision hat der Commissionär nur dann zu fordern, wenn das Geschäft zustande gekommen ist, denn sie wird

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nicht nach der gehabten Mühe, sondern nach dem Werth des Gegenstandes des Geschäftes berechnet. In einigen Orten ist es aber hergebracht, daß wenn daß Geschäft nicht geschlossen wird, der Commissionär Anspruch hat auf eine sogenannte Auslieferungsprovision. Macht der Commissionär ohne Einwilligung des Commissenten Vorschüsse oder giebt ihm Credit, so thut er dies auf eigene Gefahr. Wenn aber der Handelsgebrauch am Orte des Geschäfts das Creditiren mit sich bringt, so ist der Commissionär ohne Weiteres zum Creditiren berechtigt. In diesem Falle steht er nur dann für die Zahlung seines Contrahenten ein, (haftet nur dann del credere), wenn er dies ausdrücklich übernommen hat, oder am Orte seines Handels es Handelsgebrauch ist, daß die Commissionäre immer del credere haften. Haftet der Commissionär del credere, so kann er daher eine besondere Provision verlangen. Das Retentionsrecht, welches der Commissionär schon nach römischem Recht haben würde, ist nach manchen Particularrechten zu einem Pfandrecht geworden. [533]§ 334 G. Speditionsgeschäft Spediteur ist, wer gewerbsmäßig in eigenem Namen Güterversendungen für fremde Rechnung durch Frachtführer und Schiffer zu besorgen übernimmt. Die Belohnung heißt Provision oder gewöhnlich Spesen. Dieser letztere Ausdruck umfaßt häufig auch alle Auslagen und Kosten, die der Spediteur ersetzt verlangen kann. Das Retentionsrecht des Spediteurs ist auch meistens zu einem wahren Pfandrecht ausgedehnt. Die Klage gegen den Spediteur wegen Verspätung der Übersendung, Beschädigung oder Verlust der Waare (wenn der Spediteur daran Schuld ist) verjähren gewöhnlich in derselben Zeit, wie die gegen den Frachtführer. Im übrigen gelten hier auch dieselben Grundsätze, wie beim Commissionsgeschäft. Namentlich ist auch der Spediteur befugt, die Waare durch sein eigenes Fuhrwerk resp. Schiff zu besorgen. H. Handelsgesellschaften § 535 1. Überhaupt Die Handelsgesellschaften sind in neueren Zeiten sehr verschieden. Man kann un­ terscheiden[534]1. die offene 2. die stille Gesellschaft 3. die unbenannte 4. die Actiengesellschaft 2 Arten derselben § 336 a. die offene Offene Handelsgesellschaft société en nom collectiv ist eine solche bei welcher die Socii unter gemeinschaftlicher Firma Handel treiben und binnen derselben die Gemeinschaft auf die Einlagesumme beschränkt ist. Zur Begründung einer solchen société gehört gemeinrechtlich nicht nothwendig die Abfassung eines schriftlichen Contracts, obwohl es gewöhnlich ist, aber immer ist dazu erforderlich die Bekanntmachung (nach der[…]immer durch Eintragung in das Handelsmatrikel) Eine solche Gesellschaft weicht in folgenden Punkten von einer römischen societas ab:

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1. die Gesellschaft kann unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkei­ ten eingehen. Namentlich wird auch alles Geld, welches der socius in die Societät bringt, Eigenthum der Societät 2. Auch darin steht die Societät der juristischen Person[535]gleich, daß sie vor Gericht klagen und verklagt werden kann. 3. die Gesellschaft wird durch die Rechtsgeschäfte, welche ein socius in ihrem Namen schließt, berechtigt und verpflichtet. Jeder socius kann firmiren (unter Berechti­ gung und Verpflichtung der Firma contrahiren) 4.  Jeder einzelne socius haftet für alle einzelnen Verbindlichkeiten der Gesellschaft solidarisch und mit seinem ganzen Vermögen. Eine entgegengesetzte Verabredung hat Dritten gegenüber gar keine Wirkung. Dies bringt die Natur der offenen Gesellschaft mit sich, man kann es nicht mit Thöl und Anderen auf römische Weise erklären. 5. Wer in eine bestehende Gesellschaft eintritt haftet, gleich den übrigen sociis für alle von den übrigen Mitgliedern vor seinem Eintritt eingegangenen Verbindlichkeiten. Auch hier ist ein entgegengesetzter Vertrag gegen Dritte ohne Wirkung 6. Die Gesellschaft wird vor Gericht von jedem socius gültig vertreten, welcher von Befugniß der gerichtlichen Vertretung nicht ausgeschlossen ist. Damit hängt zusammen, daß wenn Vorladungen, gerichtliche Zustellungen immer nur an einen gegeben werden, dies genügt.[536]Hier weicht also die offene Gesellschaft wesentlich von der römischen societas ab. Im übrigen gelten die Grundsätze des römischen Rechts also jeder socius hat, wie bei der römischen societas ein freies veto 2. die Gesellschaft erlischt durch den Tod eines socius. Nur ist es zulässig schon bei Eingehung der Gesellschaft zu bestimmen, daß sie mit den Erben fortgesetzt werden solle. 3. Jeder socius kann austreten und hierdurch erlischt die societas nicht blos für ihn, sondern überhaupt. Ebenso wie die Errichtung erfordert auch jede Veränderung in der societas eine Bekanntmachung, sofern Dritte dabei interessiert sind. Also wenn ein socius stirbt, so betrachten Dritte die Gesellschaft noch bis zur Bekanntmachung bestehend. § 337 b. Stille Gesellschaft, Commandit Stille Handelsgesellschaft ist eine solche Handelsgesellschaft, bei welcher eines oder mehrere Mitglieder sich nur mit Vermögensanlagen betheiligen und an den Geschäften selbst nicht unmittelbar theilnehmen. Derjenige, welcher blos Vermögensanlagen macht heißt Commanditist, stiller Gesellschafter, der unter dessen Namen die Handlungen betrieben wird[537]heißt Complementarius. Die Geschäftsführung wird allein durch Letzteren besorgt, der Commanditist ist dazu weder verpflichtet noch berechtigt. Er kann daher auch gegen die Vornahme des Complementarius keine Einsprache machen für die Schulden der Gesellschaft haftet der Commanditist nur bis zum Betrag des von ihm eingeschlossenen Capitals. Hierauf haben aber nicht die Gläubiger des Complementarius keine directe Klage gegen den Commanditisten, sondern nur der Complementär kann es vom Commanditisten verlangen. Den bereits gezogenen Gewinn braucht der Commanditist aber nicht wieder herauszugeben; denn dieser hört nach der Vertheilung auf, Vermögen der Gesellschaft zu sein. Der Name des Commanditisten darf daher nun auch nicht in der Firma enthalten sein. Aus der Stellung des Commanditisten er-

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klärt es sich, daß er auch ohne Genehmigung des Comlementarius in demselben Geschäfts- und Handelszweige für sich oder Dritte Geschäfte besorgen darf und wenn einer von mehreren Commanditisten stirbt, oder sein Vermögen nicht mehr verwalten kann, so wird die Gesellschaft dadurch nicht aufgehoben.[538]Dagegen erlischt die Gesellschaft durch Aufkündigung eines Mitglieds. Der Entwurf zum Handelsgesetzbuch unterscheidet (2te Lesung) zwischen einer stillen Gesellschaft und einer Commanditgesellschaft. § 338 c. Unbenannte Gesellschaft Dies ist eine römische societas zum Handelszweck § 339 d. Actiengesellschaft In der Absicht größere Unternehmungen zu machen, tritt oft eine große Anzahl von Personen zusammen, wobei die sämtlichen Mitglieder sich nur mit Einlagen betheiligen, ohne persönlich weiter als bis zum Bereich dieser Einlage (Actie) zu haften. Bei Errichtung solcher Gesellschaft wird ein gewisser Fond festgesetzt, der durch Beiträge der einzelnen Mitglieder zusammengebracht werden. Für jeden einzelnen Beitrag ist immer eine gewisse Summe bestimmt. Wer diese Summe einlegt, bekommt dafür eine Actie, d. h. ein Document, wofür ihm seine Forderung gesichert wird, die er an die Gesellschaft hat. Die Actie lautet immer auf eine bestimmte Summe.[539]Ferner heißt Actie aber auch das Einlagegeld selbst und endlich auch das Theilrecht jedes Einzelnen am Gesellschaftsvermögen. Der Actionär wird ipso jure Mitglied der Gesellschaft und nur so kann man Mitglied der Gesellschaft werden, aus dem Inbegriff aller Actionäre besteht die Gesellschaft. Im Allgemeinen ist zwar auch eine Actiengesellschaft nach den römischen Grundsätzen der societas zu beurtheilen, doch kommen hier viele Abweichungen vor: 1. Es hat zwar jeder Actionär einen verhältnismäßigen Antheil am Vermögen der Gesellschaft, er darf aber diesen Antheil erst fordern bei der Auflösung der Gesellschaft. Solange diese besteht hat er nur einen Anspruch auf den reinen Gewinn, soweit dieser nach den statuten zur Vertheilung unter den Actionären bestimmt ist (denn die Actiengesellschaft behält meistens von dem Gewinn einen sogennanten Reservefond zurück) Der Gewinn heißt Dividende (div- oder[…]) 2. die Actie wird auf die gewöhnliche Weise vererbt. 3. der Inhaber der Actie hat das Recht sie zu verkaufen[540]und kann also einen Dritten zum socius machen. Um diesen Verkauf zu erleichtern, werden die Actien gewöhnlich auf den Inhaber ausgestellt. 4.  In Angelegenheiten der Gesellschaft werden die Beschlüsse durch Stimmenmehrheit gefaßt. Diese wird aber nicht nach Köpfen, sondern nach der Zahl der Actien die Jemand hat, gewonnen. 5. Die Geschäfte einer solchen Gesellschaft werden nicht von den Mitgliedern selbst verwaltet, sondern jede Gesellschaft hat einen Vorstand, der regelmäßig aus mehreren Personen besteht. Durch den Vorstand wird die Gesellschaft auch gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die Mitglieder stehen in der Weise bloßen Mandatoren gleich, die jeden Augenblick widerrufen werden können. Auch werden die Directoren ebenso wie die heutigen Mitglieder durch die Geschäfte nicht persönlich Dritten gegenüber verpflichtet, sondern im-

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mer nur für die Gesellschaft. Der Vertrag über die Errichtung einer Actiengesellschaft wird immer schriftlich abgefaßt. Vollendet wird die Errichtung erst durch Statuten, die[541]die Bedingungen enthalten, unter welchen die Actionäre zusammen treten. Nach den meisten Particularrechten ist zur Errichtung einer dauernde Zwecke verfolgenden Actiengesellschaft die Genehmigung des Staats erforderlich. Dadurch wird die Gesellschaft immer zu einer wahren juristischen Person. V. Von einigen öffentlichen Anstalten in Beziehung auf den Handel § 340–344 Die meisten hiervon gehört der Handels- und Finanzwissenschaft an. Die Handelsgerichte gehören in den Prozeß. § 345 VI. Prozeß in Handelssachen Auch das gehört in den Prozeß. [542]Zweites Capitel Wechselrecht I. Einleitung § 347 A. Begriff und Arten des Wechsels Hier können wir uns an die allgemeine deutsche Wechselrechtsordnung von 1848 halten. Viele Länder und besonders einige Städte hatten bis dahin ganz verschiedenes Wechselrecht, zum großen Nachtheil für den deutschen Handel. ­Borchardt, die allgemeine deutsche Wechselrechtsordnung Berlin 1860, 3te Auflage. Unter Wechsel versteht man bald eine unter einer bestimmten Form abgefaßten Urkunde (Wechselbrief) bald ein in dieser Urkunde liegendes Versprechen. In ersterer Beziehung ist der Wechsel seiner äußeren Form nach ein Schuldschein oder eine Anweisung, die sich Wechsel nennt. Einen in der Form des Schuldscheins abgefaßten Wechsel nennt man „trockenen oder eigenen Wechsel“ weil er keine Zinsen trug; einen Wechsel in Form einer Anweisung nennt man „trassirten Wechsel“ oder auch wohl „tratae“ Tratte. Bei trassirten Wechseln sind immer 4 Personen, nämlich:[543]1. der Wechselaussteller Trassant genannt 2. der, welcher vom Aussteller den Wechsel an sich bringt, Remittent 3. der Dritte, auf den der Remittent angewiesen wird, d. h. auf den der Wechsel bezogen wird Trossat oder Bezogener genannt oder (wenn der Wechsel angenommen und auf den Wechsel erklärt ist) Acceptant. Der Präsentant, d. h. der, der den bezogenen Wechsel vorzeigt, um zu sehen ob er den Wechsel zu rechter Zeit bezogen hat. Das Gewöhnlichste ist, daß man nicht mit dem Wechsel selbst reist, sondern der Wechsel wird durch einen Dritten vor­gezeigt und durch diesen in Erfahrung gebracht, ob der Betreffende am Verfallstage zahlen will oder nicht. Ausnahmsweise können auch wenige Personen beim Wechsel vorkommen, wenn nämlich Remittent und Trassant dieselbe Person ist (siehe unten, Grdr. 347a). Zuweilen ist auch Aussteller und Bezogener dieselbe Person „disponirt eigenen Wechsel“. Zuweilen ist Aussteller und Remittent dieselbe Person, Wechsel an eigene Ordre. Der Unterschied zwischen dem eigenen und trassirt eigenem Wechsel ist, daß bei ersterem einerlei ist, wo die Zahlung stattfindet; ein trassirter Wechsel ist immer auf einen anderern Ort trassirt, d. h. an einem anderen Ort soll die Zahlung vor sich gehen.

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Bedeutung des Wechsels In der Ausstellung liegt immer die Verpflichtung für die Zahlung dieser Summe haften zu wollen. Beim trassirten Wechsel läßt sich das freilich aus den Worten nicht ableiten. Es beruht dies auf allen Gewohnheitsrechten, daß die Haftung auch wo sie nicht wörtlich ausgesprochen, präsumirt wird. Es liegt im Wechsel die strengste[544]Haftung. Die Execution die bei Nichtzahlung der Wechselsumme erfolgt, besteht in Personalarrest, Wechselhaft genannt. In der Tratte liegt den Worten nach nur ein Zahlungsmandat, aber nach deutschem Recht ist auch ein Mandat enthalten an denselben zu promittiren, denn das liegt im Sinne des Wechsels. In Beziehung auf die Zeit, wann bezahlt werden soll, Bezahlstag, Verfallszeit, unterscheidet man: Sichtwechsel, d. h. wenn dem Bezogenen der Wechsel sofort gezeigt ist. Datorwechsel, wenn der Verfall nach dem Tage der Ausstellung bestimmt ist. Wechsel die an einem bestimmten Kalendertage bezahlt werden sollen. Meßwechsel, oder Marktwechsel, d. h. Wechsel die an einer bestimmten Messe resp. Markt bezahlt werden sollen. Usuwechsel, d. h. wo die Zahlungszeit nach den Gesetzen des Orts bestimmt ist. Diese sind jetzt weggefallen. § 348 cf. unten; § 349 und 350 cf. Grdr.; § 351 s. oben; § 352 (Renaud, Deutsches Privatrecht) § 353 Wechselfähigkeit Nach der gemeinen deutschen Wechselordnung ist jeder der sich gültig durch Vertrag verpflichten kann, wechselfähig und auch die Personen, die es nur durch Einwilligung Dritter können mit deren Einwilligung. Von der Fähigkeit zur Wechselverbindlichkeit ist der Wechselarrest wohl zu unterscheiden. Letzterer ist nicht zulässig: 1.  aus Wechselerklärungen für Corporationen oder sonstige juristische Personen oder zur Verwaltung unfähiger Menschen. 2. Gegen Frauen, wenn sie nicht Handel oder Gewerbe treiben. Nach Particularrechten ist der Arrest oft noch mehr beschränkt, dadurch daß eine nicht wechselfähige Person einen Wechsel ausstellt oder unterschreibt wird die Verbundlichkeit der anderen Person in Bezug auf den Wechsel nicht verändert. [545]§ 354 Rechtsverhältnisse bei trassirten Wechseln Wechselvertrag ist ein Vertrag wodurch jemand die im Wechsel bezeichnete Summe ganz oder theilweise bei Vermeidung der Strafe zu bezahlen verspricht. Dies Versprechen wird dadurch gemacht, daß man auf den Brief seinen Namen setzt in der Absicht, sich dadurch zu verpflichten und zwar wechselmäßig. Diese Absicht ist immer aus dem Wechselbrief erkennbar, wenn man nicht seinen Namen zu einem andern Zweck darauf setzt. Zum Wechselbrief gehört die Form eines Briefs und die Indossation un Acceptation mit Namensunterschrift. Der, dessen Namen unterschrieben ist, ist auf den ganzen Inhalt des Wechsels verpflichtet. Bindend wird der Wechsel erst durch die Einhändigung des Wechselbriefs und wird durch den Wechsel ein absolutes Forderungsrecht constituirt. Da also ein in bestimmter Form abgefaßter Vertrag nöthig ist, so ist der Wechselcontract ein formal und zwar ein Literalcontract. Der Remittent, wenn ihm der Wechsel nicht

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g­ eschenkt wird, ist verpflichtet, ihm den Werth des Wechsels (valuta) zu ersetzen. Auf welche Weise das geschehen soll, hängt von vorheriger Verabredung ab. Geht die Verabredung dahin, daß Jemand sich verpflichtet, den Wechsel auszustellen, so nennt man dies pactum de contr. Wechselschluß. Gewöhnlich geht die Verpflichtung zu bezahlen aus diesem Wechselschluß hervor. Ist nichts ausgemacht, so muß die valuta bei der Übergabe des Wechsels gemacht werden. Wird der Betreffende creditirt, so muß er einen Revers oder Bescheinigung ausstellen, den Kaufpreis noch nicht bezahlt zu haben. Ist der Revers in Form eines Wechsels ausgestellt, so heißt er Interimswechsel und findet darauf natürlich eine Wechselklage statt. Ist der Revers blos ein Recognitionsschreiben, oder ist nichts schriftlich aufgestellt, so ist keine Wechselklage auf die valuta gestattet. Ebenso steht es mit der Klage auf Ausstellung eines Wechsels. Der Wechselcontract ist ein einseitiger Vertrag. Der Remittent kann, wenn er sich nicht mehrfache Ausfertigung der Exemplare ausbedungen hat, diese doch verlangen.[546]Ist nur ein Exemplar da, so nennt man es Sola Wechsel und wird dies aber auf das eine Exemplar geschrieben. Oft nennt man auch einen Eigenwechsel Solawechsel. Sind mehrere Exemplare da, so nennt man sie prima, secunda, tertia etc Wechsel. Jeder der den Wechsel erwirbt, kann sich selbst eine Copie vom Wechsel machen, doch es muß immer bezeichnet sein, daß es blos eine Abschrift vom Original ist. Enthält die Copie auch Zusätze muß das genau bezeichnet sein. § 355 Erfordernisse eines Wechsels Diese theilt man in absolute und relative (natürliche) Erfordernisse. Fehlt es an einem wesentlichen Erforderniß so ist keine Wechselverbindlichkeit und Indos­ sament und Acceptation haben keine Wirksamkeit. Der Mangel eines natürlichen Erfordernisses bewirkt aber nicht unbedingte Ungültigkeit. Wesentliche Erfordernisse: 1. Eine schriftliche Urkunde, die sich im Contracte selbst Wechsel nennt 2. Der Name oder die Firma des Wechselausstellers 3. Die Angabe des Wechselgläubigers. Diese muß aus dem Namen oder der Firma des Remittenten bestehen. Wechsel auf den Inhaber sind durch die neue Wechselordnung abgeschafft 4. Name oder Firma des Bezogenen 5. Die Summe die gezahlt werden soll. Diese Summe muß nothwendig eine Geldsumme sein. Denn der Wechsel erfordert immer völlige Liquidität. Ob bei einem Wechsel auch Zinsen erhoben werden können, ist sehr bestritten. Die meisten entscheiden sich dagegen. Wenn neben der Capitalsumme im Wechsel auch Zinsen versprochen sind, so ist es sehr bestritten, ob der Wechsel dadurch ungültig wird oder nicht. Am richtigsten ist nach Kraut die Ansicht gegen die Zinsen, denn eine Urkunde über einen Wechsel mit Zinsen ist nicht gut möglich[547]6. Der Auftrag an den Bezogenen, den Wechsel zu bezahlen. 7. Die Angabe der Zeit, zu welcher der Wechsel bezahlt werden soll. 8. Angabe des Orts wo die Zahlung geschehen soll. Wenn kein besonderer Zahlungsort angegeben ist, so git der bei dem Namen oder der Firma des Bezogenen angebene Ort, als Zahlungsort und zugleich als Wohnort des Bezogenen (cf. Formular N. 1 in § 347). Ist im Wechsel ein anderer Zahlungsort als der Wohnort des Bezogenen angegeben, so

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heißt der Wechsel ein domicilirter oder Domicilwechsel. 9. Angabe des Orts, des Jahres und Monatstages der Ausstellung. Die natürlichen Bestandtheile des Wechsels sind: 1. doppelte Angabe der gezahlten Summe, einmal mit Buchstaben, einmal mit Zahlen. Wenn beide Angaben von einander abweichen, so gilt die mit Buchstaben geschriebene. 2. Angabe der geleisteten Valuta (Werth baar erhalten, Werth in Rechnung, Werth in mir selbst, Werth in Waare etc.)[548]3. Die Bemerkung der Zahl der Exemplare dieses Wechsels, d. h. die mehren Exemplare müssen im Contract als Prima, Secunda etc. bezeichnet sein. Ist diese Bezeichnung unterlassen, so wird jedes Exemplar als ein für sich bestehender Wechsel betrachtet. 4. Die Beziehung auf einen Avisbrief, d. h. aus Scheiben wodurch der Bezogene benachrichtigt wird, daß ein Wechsel von einem bestimmten Belauf zu einer bestimmten Zeit von ihm zahlbar sei. (laut Berechnung, Formular) § 356 C. Übertragung des Wechsels auf Andere vorzügl. Indossament Der Remittent kann sein Recht aus dem Wechsel auf 2fache Weise auf Andere übertragen. 1. durch eine eigentliche Cession des Wechselforderung, entweder in einer besonderen Urkunde oder auf den Wechsel selbst geschrieben. 2. durch Indossament oder Giro (ital. ein Kreis) d. h. eine auf den Wechsel selbst gewöhnlich auf den Rücken desselben geschriebene wechselmäßige Übertragung der Forderung. Das Indossament braucht aber nicht nothwendig auf den Originalwechsel geschehen, sondern auch auf[549]eine Copie des Wechsels oder auf eine mit dem Wechsel oder mit der Copie verbundenes Blatt das Anlage heißt und gewöhnlich an den Wechsel geklebt ist. Der Übertragende heißt Indossant und der erste Indossant ist der Remittent. Derjenige, auf welchen der Wechsel übrtragen wird heißt Indossatar oder Indossat. Das Indossament kann auf 2erlei Weise geschehen, entweder wie ein eigentliches Indossament „Indossament zur Begebung oder ein uneigentliches Indossament, jemandem zur Vollmacht. 1. das eigentliche Indossament ist nach Wechselrecht eine gänzliche Übertragung der Forderung auf den Indossanten, was bei der römischen cessio nominis der Fall ist. Das Indossament kann daher nicht nach den Grundsätzen der cessio nominis behandelt werden. Der Indossant tritt dem Indossaten gegenüber ganz in die Stelle des Trassanten. Wegen der gänzlichen Übertragung der Forderung können die Einwände, welche dem Indossanten entgegenstehen, keineswegs auch dem Indossaten opponirt werden.[550] Auch findet die lex[…]bei diesem Indossament keine Anwendung, das Indossament hat nur dann keine wechselrechtliche Wirkung, wenn der Trossant im Wechsel ausdrücklich mit den Worten „nicht an Orden“ oder ähnliche Ausdrücke den Wechsel ausgestellt hat. Denn das wird als Verbot der Indossirung betrachtet. Die bloße Auslassung der gewöhnlich gebrauchten Worte „an Ordre“ hat noch nicht den obigen beschränkenden Sinn. Da beim eigentlichen Indossament der Indossat in die Stelle des Remittenten tritt, so kann er sein Recht auch wieder durch Indossament weiter übertragen. Auch hierzu ist aber nicht erforderlich, daß das Indossament auf Andre lautet. Übrigens kann ein Wechsel auch auf den Aussteller, den Bezogenen, den Acceptanten oder einen früheren Indossanten gültig indossirt

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werden, ohne daß das als Confusion betrachtet werden kann. 2. Beim Indossament zur Vollmacht wird der Indossat blos zur Eincassirung des Geldes auf Rechnung des Indossanten und nöthi-[551]genfalls auch zur Anstellung der Wechselklage bevollmächtigt. Dies Indossament ist ein bloßes Mandat. Das eigentliche Indossament besteht regelmäßig aus dem Namen des Indossanten, dem des Indossaten und dem Zahlungsbefehl an den Bezogenen. Die angegebene Valuta ist etwas Gewöhnliches bei dem Indossament zur Begebung. Gewöhnlich wird auch das Datum und der Ort, wo das Indossament geschehen ist hinzugefügt. Beisp. für mich zahlen Sie an – Werth in Rechnung – Göttingen, 11ter August 1869 M. (als Indossant) Jedes Indossament kann auch als[…]auf den Trossat angesehen werden häufig bei Indossament bei mehreren Trossaten. Das Indossament zur Vollmacht unterscheidet sich der Form nach meistens gar nicht vom eigentlichen Indossament nur daß hier vom Empfang einer valuta nicht die Rede sein kann. Oft geschieht das Indossament zur Vollmacht in einer besonderen Form, z. B. zur Eincassirung wird hinzugesetzt oder „in procura für mich“. Eine besondere Art zu indossiren ist es, wenn der Indossant auf den Rücken des Wechsels oder der Anlage oder der Copie blos seinen[552]Namen setzt, indossamentum in blanco. Dies muß immer auf den ­Rücken des Wechsels gesetzt werden (das andere Indossament kann auch auf der Vorderseite stehen, thuts aber fast nie) Jeder Inhaber des Wechsels ist befugt ein solches Indossament auszufüllen. Der Inhaber kann ihn aber auch ohne Ausfüllung des Indossaments weiter indossiren. § 357 D. Präsentation des Wechsels zur Acceptation und Acceptation selbst Die Acceptation besteht in der mit dem Wechsel selbst gesetzten Erklärung des Bezogenen, daß er den Wechsel zur festgesetzten Zeit bezahlen wolle. Durch die Acceptation wird der Bezogene selbst Schuldner des Wechselgläubigers. Die Acceptation besteht der Form nach gewöhnlich in dem Wort „acceptirt“ (oder acc.) mit dem Namen. Bei Wechseln, die auf eine bestimmte Zeit (nach Sicht lauten, muß aber auch der Tag der Acceptation beigefügt werden. (Formular N. 1). Es wird aber auch schon für eine Acceptation gehalten, wenn Jemand auch nur seinen Namen oder Firma[553]auf die Vorderseite des Wechsels setzt. Um die Acceptation zu erwirken, muß dem Bezogenen der Wechsel, in der Regel der Originalwechsel gehörig gezeigt werden. Um die Legitimation des Präsentanten hat der Bezogene sich nicht zu kümmern, denn der Bezogene verspricht durch die Acceptation nicht dem jetzigen Präsentanten, sondern demjenigen den Wechsel zu bezahlen, welcher sich am Verfalltage als wahrer Gläubiger legitimirt. Ist nur ein Exemplar des Wechsels ausgefertigt, so muß der Remittent selbst für die gehörige Präsentation sorgen. Sind mehrere Exemplare ausgefertigt, so ist es Pflicht des Ausstellers eines dann zur Präsentation zu versenden (gewöhnlich nimmt man dazu die Prima) denn der Aussteller haftet dafür, daß der Wechsel bezahlt werde. Es mag nun aber der Eine oder Andere, Remittent oder Aussteller ein Exemplar zur Acceptation vorfinden, so muß er immer auf dem anderen Wechsel bemerken, bei wem man das acceptirte Exemplar auf welches Zahlung verlangt werden kann (die[…]) zu finden ist. Das Unterlassen dieser Bemerkung entzieht jedoch

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dem Wechsel nicht die Wechselkraft. Berechtigt den Wechsel zur Acceptation zu präsentiren und bei verweigerter Acceptation Protest zu erheben[554]ist der Inhaber zu jeder Zeit (Nur bei Marktwechseln findet die Ausnahme statt, daß solche Wechsel in der an den[…]bestimmten Präsentationszeit zur Annahme präsentirt resp. protestirt werden kann) Das ist ein Recht des Inhabers verpflichtet zur Präsentation ist der Inahber aber nur dann, wenn der Inhaber ein bloßer Mandator des Austellers ist. Dann muß er sofort den Wechsel präsentiren. Der Wechselgläubiger selbst dagegen ist gemeinrechtlich nicht gebunden, den Wechsel vor dem Verfallstage zu präsentiren. Hängt daher der Verfalltag von der Präsentation ab, so kann Gläubiger ihn präsentiren wann er will (bei den Sichtwechseln) Nach der allgemeinen Wechselordnung müßen jedoch Sichtwechsel bei Verlust des wechsel­mäßigen Anspruchs gegen die Indossanten und die Aussteller binnen 2 Jahren nach der Ausstellung präsentirt werden. Verweigert der Bezogene die Acceptation, so kann dieselbe nie von ihm erzwungen werden, selbst nicht im Falle eines vorhergehenden Versprechens. In diesem Fall nämlich ist der Bezogene allerdings demjenigen, welchem er das Versprechen gab, zum Schadensersatz verpflichtet, aber nicht dem jetzigen Inhaber. Die Klage auf Schadensersatz kann aber keine Wechselklage sein, da der Bezogene sich ja gerade geweigert hat, den Wechsel anzu­ erkennen.[555]Als eine Verweigerung der Acceptation soll es aber nach der allgemeinen Würdigung nicht angesehen worden, wenn der Bezogene die Acceptation auf einen Theil der im Wechsel angegebenen Summe beschränkt. Werden dagegen dem Acceptanten andere Beschränkungen beigefügt (z. B. kürzere Frist) so wird der Wechsel einem solchen Wechsel gleichgestellt, dessen Acceptation ganz verweigert ist. Der Acceptant haftet aber auch in einem solchen Fall nach seinem Accept wechselmäßig. § 358 E. Bezahlung des Wechsels und deren Folgen In der Regel muß der Wechsel am Verfalltage bezahlt werden. Bis zur deutschen Wechselordnung gestatteten die Wechselordnungen noch sogenannte Respecttage, Discretionstage, Respittage d. h. diese Tage nach dem Verfallstage, welche der Inhaber noch häufig warten konnte mit dem Proteste oder während welcher er warten mußte jenachdem die Respittage zu Gunsten des Präsentanten oder des Acceptanten gestellt waren. Die deutsche Wechselordnung hat aber die Respecttage abgeschafft. Jedoch gestattet sie, daß der Protest erst am 2ten Werktage nach dem Verfallstage erhoben werde (also ist nur der Respecttag zu Gunsten des Acceptanten abgeschafft).[556]Der Acceptant braucht den Wechsel nur zu bezahlen gegen Herausgabe des acceptirten Exemplars. Hat der zur Eincassirung Berechtigte dann das acceptirte Exemplar noch nicht in Händen, so muß er daher es dem Präsentanten abfordern. Dieser muß es ihm dann herausgeben, wenn er durch Vorzeigung desjenigen Wechselexemplars welches indossirt ist, oder der Copie sich legitimiren kann. Weigert der Präsentant sich das accaptirte Exemplar herauszugeben, so findet nie Wechselklage gegen ihn statt, sondern nur eine Klage in ordentlichem Proceß (und zwar von dem Mandanten gegen den Präsentanten als Mandator nicht von dem letzten Inhaber des[…]Test. etc. W.) Wenn der Acceptant nicht die ganze

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Summe für welche er acceptirt hat, sondern nur einen Theil bezahlen will, so ist der Inhaber verpflichtet diesen Theil anzunehmen. Bei domicilirten Wechseln muß die Präsentation zur Zahlung an den Domiciliaten geschehen, d. h. an denjenigen, der an dem Zahlungsort für den Bezogenen Zahlung leisten soll; die Präsentation zur Acceptation hingegen muß immer an den Bezogenen selbst in dessen Wohnort geschehen. Ist der Domiciliat nicht im Wechsel genannt, so hat der Bezogene ihn bei der Acceptation auf dem Wechsel zu bemerken. Unterläßt er[557]das, so wird angenommen, daß er selbst die Zahlung am Zahlorte leisten will (Art.  24). Der Acceptant wird durch Bezahlung des Wechsels berechtigt, wieder Erstattung der Wechselsumme vom Aussteller zu verlangen. Wie dies geschehen soll, hängt vom Verhältniß zwischen Acceptanten und Aussteller ab. Wie kann aber der Bezogene seine Wiederforderung nach Wechselrecht verlangen, er müßte dann den Wechsel auf sich selber indossiren lassen (Art. 23 in § 357 h). § 359 F. Wechselprotest und dessen Folgen Jedesmal, wenn der Inhaber aus irgendeiner Unterlassung eines Andern als des Ausstellers wechselmäßig Ansprüche ableiten will, muß der Präsentant sich darüber einen liquiden Beweis zu verschaffen suchen und zugleich darthun, daß er an der Unterlassung keine Schuld trage dieser Beweis muß durch eine öffentliche Urkunde geltend gemacht werden, welche Wechselprotest heißt. Die vorzüglichsten Fälle, wo Levierung eines Protests nöthig wird sind: 1. wenn die Acceptation ganz verweigert wird oder doch nicht so verfolgt wie der Präsentant es verlangt Protest Mangels oder Nonacceptation 2. wenn an Verfallstage die Zahlung entweder gar nicht oder nicht so erfolgt Protest Mangels Zahlung oder non solution.[558]Wenn der zu Acceptirende oder Bezahlende in seiner Wohnung oder in seinem Geschäftslocal nicht zu finden ist, so gilt es als ob er nicht acceptiren – und ebenfalls wenn an einem fremden, zur Zahlung bestimmten Ort, derjenige, der acceptiren soll, bei der Polizeibehörde nicht aufzufinden ist. Ein solcher Protest heißt: Nachforschungs- oder Inquisitionsprotest Art. 91 in § 357 a. Eine dritte Art des Protestes tritt ein, wenn der Acceptant, der Aussteller oder ein Indossant unsicher wird. Dieser Protest heißt Securitätsprotest. Da der Protest eine öffentliche Urkunde sein muß, so kann er nur durch Notar oder Gerichtsbeamten auffgenommen werden. Die Zuziehung von Zinsen oder eines Protocollführers bedarf es hier nicht, nach der deutschen Wechselordnung (Über das Einzelne des Protestes cf. Art. 88 lit. k ad. h f.). Bei dem Protokoll wegen Nichtzahlung ist der Inhaber verbunden, nach erhobenem Proteste seinen unmittel­baren Vormann hiervon zu benachrichtigen und zwar schriftlich. Den Protest und den Wechsel ihm sogleich zu zusenden ist er nicht verpflichtet nach Art. 48. ­„System der einfachen Notification“ Der Vormann muß dann hiervon seinem nächsten Vormann Nachricht[559]geben und so weiter bis zum Aussteller, und zwar aufs Schleunigste Art. 48. Durch die Unterlassung der Benachrichtigung geht nach der Wechselordnung nicht der Protest verloren, sondern das Object des Regresses vermindert sich nur auf die bloße Wechselsumme. Der Inhaber kann dann außer dieser nicht auch Zinsen und Kosten verlangen.

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§ 360 Insbesondere Regreßklage und Klage gegen den Acceptanten Ist der Protest gehörig erhoben, so kann der Inhaber seinen Regreß gegen seine Vormänner nehmen, denn alle Vormänner haben ihre Haftung versprochen. Daher stehen sie gegen den letzten Inhaber offenbar in einer Correalverbindlichkeit. Deshalb hat der Inhaber die Wahl, gegen welchen seiner Vormänner er seinen Regreß nehmen will. Aus demselben Grund hängt es auch von ihm ab, ob er die Wechselklage gegen alle Verpflichtete zugleich oder gegen den Einen oder Andern ausstellen will ohne daß er abgewichen vom Einen sein Recht gegen den Andern verlöre. Art. 26 und 49. Nur dann kann gegen einen Indossanten überhaupt kein Regreß ­genommen werden, wenn er gleich beim Indossament erklärt hat, nicht für die gewöhnliche Leistung haften zu wollen.[560]Diese Erklärung muß aber dem Indossament selbst beigefügt werden (gewöhnlich durch die Worte „ohne neue Oblige“ oder „frei von Gier“ „ohne meine Garantie“. Alle übrigen Vormänner sie mögen Vor- oder Nachmänner des nicht passenden Indossenten sein, kann der Inhaber mit der Regreßklage belangen. Bei dem Protest wegen Nichtannahme ist der Inhaber berechtigt, von dem (ad. den.) in Anspruch genommenen Vormann C ­ aution zu verlangen, daß er, der Inhaber aber am Verfallstage gehörige Zahlung erhalte. Der Vormann braucht die Caution aber immer nur gegen Herausgabe des Protestes zu leisten. Die Herausgabe des Wechsels selbst kann er aber nicht verlangen. Durch den Besitz des Protestes wird der Vormann ermächtigt, von dem Aussteller und den übrigen Vormännern wegen des Protestes Sicherheit zu verlangen. Wird die Regreßklage durch die Nichtzahlung veranlaßt, so kann der Inhaber von dem Vormann den er in Anspruch nimmt, sogleich die Restitution der ganzen Wechselsumme oder des nicht bezahlten Theils nebst Zinsen, Vergütung aller Kosten und einer Provision für gehabte Mühe verlangen. Die Größe der Zinsen ist nach der[561]Wechselordnung 6 %. Die Provision 13 % (Art. 50 und 51). Seinen Regreß nimmt der Inhaber gewöhnlich dadurch daß er auf den in Anspruch zu nehmenden Vormann einen Wechsel zieht, der auf die ganze Summe (d. h. mit Zinsen etc.) geht. Ein solcher Wechsel heißt Rückwechsel. Einem jeden Rückwechsel muß eine detaillirte Rechnung über alles was er enthält beigefügt werden. Diese Rechnung heißt Retourrechnung. Verweigert der Vormann die Acceptation des Rückwechsels, so wird die Regreßklage (eine wahre Wechselklage) gegen ihn angewandt und sie kann angestellt werden, ohne daß der Acceptant zuvor ausgeklagt wurde. Jeder Indossant, welcher einen seiner Nachmänner befriedigt hat, kann nicht blos sein eigenes, sondern auch das Indossament aller Nachmänner ausstreichen. Verpflichtet hierzu ist er aber nicht. Der Acceptant wird aber durch die Regreßnahme keineswegs seiner übernommenen Verbindlichkeit frei. Der­jenige Vormann welcher den retournirenden Wechsel einlöst, hat daher gegen den Acceptanten oder gegen seine Vormänner zu klagen nach seiner Wahl. Zuletzt muß der Aussteller für alles haften. Doch kann auch der Aussteller selbst, wenn er den[562]retournirenden Wechsel einlöst, in einer Wechselklage seinen Regreß gegen den Acceptanten nehmen? Dies war bisher fast allgemein bestritten, indem die meisten Wechselordnungen die Frage verneinten, die entgegengesetzte Ansicht ist aber mit großen Scharfsinn vertheidigt von Heyse (in

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Heyses und Kropps juristischen Abhandlungen s. Grdr. ad h §) und von der Wechselordnung sanctionirt (Art. 23). Wenn die Präsentation und Erhebung des Protestes nicht zur gehörigen Zeit geschehen ist so verliert der Inhaber dadurch gegen die Indossanten nicht nur die Wechselklage, sondern auch die Klage im ordent­ lichen Prozeß (Wechselordnung Art. 83 in § 365 l) auch liegt es in der Natur der Sache, denn den Indossanten ist in einem solchen Fall der weiterer Regreß gegen ihre Indossanten meistens gar nicht gestattet, wenigstens aber sehr erschwert, was sie nicht zu leiden brauchen. Auch selbst der Aussteller und der Acceptant sind in einem solchen Fall nur soweit dem Inhaber verpflichtet, wie sie mit dessen Schaden sich bereichern würden und zwar ist diese Klage auch nur im ordentlichen Prozeß vor­zubringen. Die Wechselklage ist also nie für allemal verloren. [563]§ 361 Nothadresse und Intervention Wenn der Trassant oder ein Indossant befürchtet, daß der Bezogene den Wechsel nicht honoriren möge, so pflegt er den Inhaber eventuell noch an eine andere Person zu weisen, an die er sich im Nothfall zu wenden habe. Geschieht diese Weisung auf dem Wechsel selbst, so nennt man die Nothadresse oder Adresse. Der Nothadressat ist ein subsidiärer Trassat und hat im resp. Fall des eigentlichen Trassaten Recht. Nicht selten kommt es auch vor, daß jemand, ohne auf dem Wechsel dazu beauftragt zu sein, sich erbietet, den Wechsel zu acceptiren oder auch gleich zu bezahlen. Im ersten Fall, wo ein Dritter acceptirt nennt man solches Intervention. Acceptation aus Freundschaft im zweiten Fall Zahlung aus Freundschaft, Ehrenzahlung. Die Zahlung oder Acceptation kann für jeden genommen werden, der aus dem Wechsel verpflichtet ist. Für den Aussteller, Indossanten selbst Acceptanten. Derjenige welcher die Intervention vornimmt heißt Honorant, der für welchen sie geschieht Honorat. Der Inhaber des Wechsels ist immer befugt, eine Ehren­ acceptation anzunehmen, ohne seinen Regreß gegen die Vormänner[564]zu verlieren. Dazu verpflichtet ist der Inhaber aber nicht, denn es braucht sich Niemand einen andern Schuldner aufdrängen zu lassen. Eine ihm angebotene Ehrenzahlung ist der Inhaber aber immer verpflichtet anzunehmen, denn Zahlung kann jeder Dritte gültig leisten. Weist der Inhaber die Ehrenzahlung zurück, so verliert der Inhaber seinen Regreß gegen alle Nachmänner des Honoraten (DWO Art. 62). Der Intervention liegt entweder ein Mandat oder eine neg.[…]zu Grunde. Es müßte daher das Verhältniß des Honoranten zum Honoraten an und für sich nach diesen Grundsätzen beurtheilt werden. Allein nach der WO tritt der Ehrenzahler ganz in die Rechte des Inhabers ein, sowohl dem Honoraten, als auch dessen Vormännern oder dem Acceptanten gegenüber (so auch schon meistens nach den meisten früheren Wechselordnungen) (Art. 61 und 63) § 362 H. Vervielfältigung des Wechsels siehe Grundriß § 363 IV. Rechtsverhältniß bei eigenen Wechseln Die Form und der Inhalt des eigenen Wechsels ist der Form und dem Inhalt des trassirten Wechsels ganz gleich, nur daß der Aussteller zugleich die Stelle des Be-

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zogenen vertritt. Auch können eigene Wechsel indossirt[565]werden. In diesem Fall muß am Verfallstage der Inhaber protestiren und klagen wie bei den trassirten Wechseln. Dagegen ist bei eigenen Wechseln, selbst wenn sie weiter indossirt sind in der Regel keine Acceptation nöthig, da diese ja schon im Wechsel selbst gegeben ist. Eine Ausnahme hiervon tritt bei Sichtwechseln ein, wo es der Natur der ­Sache nach wie bei trassirten Sichtwechseln ist. IV. Gemeinschaftliche Punkte der trassirten und eigenen Wechsel § 364 A. Sicherheitsmittel für den Wechselgläubiger Diesem wird zur größeren Sicherheit vom Schuldner oft noch eine Hyphotek bestellt oder ein Faustpfand gegeben. Beides wird gewöhnlich im Wechsel bemerkt. Nach mehreren Gesetzen (z. B. Hannover) sind die Hypotheken im Wechsel verboten. Verschieden ist es, ob dann die Hypothek gilt oder der Wechsel – nach Hannoverischem Recht gilt die Hypothek, der Wechsel nicht. Weit häufiger wird dem Wechselgläubiger eine Bürgschaft gestellt, die dann per avallo heißt. Sie geschieht gewöhnlich so, daß der Bürge unter dem Namen desjenigen für welchen er sich verbürgen will, die Worte setzt: obige Schuld[566]bezahle ich, wenn Schuldner manquirt, oder er schreibt seinen Namen blos neben den des Schuldners. Dies avallo zieht stets die Wechselstrenge nach sich. Solcher Bürge hat auch nie das beneficium excussionis und divisionis nach der Wechselordnung selbst dann nicht, wenn er sich auf den Wechsel ausdrücklich als Bürge unterschrieben hat (DWO Art. 61) § 365 B. Erlöschen der Wechselverbindlichkeit Die Erlöschensgründe der Wechselverbindlichkeit sind im Allgemeinen dieselben wie bei andern Obligationen. Besonders hervorzuheben ist hier nur das Erlöschen des Wechsels durch Verjährung. Die Verjährungszeit ist nach allen Wechsel­ordnungen bei Wechseln kürzer als die des römischen Rechts. Die DWO unterscheidet zwischen der Klage gegen den Acceptanten und die übrigen Vormänner, und bei letzterer wieder, ob der Inhaber oder ein Indossant sie erstellt. Die Klage gegen den Acceptanten läßt sie immer in 3 Jahren nach dem Verfallstage verjähren. Die Regreßklage dagegen schon in 3, 6 und 18 Monaten. Die kürzere oder längere Frist richtet sich bei der Regreßklage des Inhabers darnach, wo[567] der Wechsel zahlbar ist, ob in Europa oder anderswo und bei der Regreßklage des Indossanten richtet es sich darnach wo der Regreßnehmer wohnt (Beweisstelle lit. b und c). Unterbrochen wird die Verjährung nur durch Behändigung der Klage und nur in Beziehung auf denjenigen gegen welchen die gerichtet ist. Jedoch vertritt die litis denunciatio die Stelle der Klagstellung? Ist die Wechselklage gegen den Aussteller oder den Acceptanten durch Verjährung verloren, so hat der Inhaber auch im ordentlichen Prozeß nur soweit eine Klage wie jene sich sonst zu seinem Schaden bereichern würden. Gegen die Indossanten findet aber wenn die Wechselklage gegen sie verjährt ist, gar kein Rechtsanspruch mehr statt (DWO Art. 83). Durch den Tod des Wechselschuldners erlöscht die Wechselverbindlichkeit nicht, auch würden seine Erben an und für sich ebensogut dem Wechsel erst unterwor-

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fen sein, als er selbst denn die Erben succediren nicht bloß in die bona defancti, sondern in alle seine Verbindlichkeiten überhaupt. Allein die DWO bestimmt ausdrücklich, daß der Wechsel erst gegen die Erben nicht zulässig sein solle. (gegen wen sollte der Arrest erkannt werden, da die Erben pro rata haften?) [568]§ 366 C. Abhandenkommen und falsche Wechsel Durch das Verlorengehen eines Wechsels erlischt die Verbindlichkeit des Schudners keineswegs. Natürlich kann aber der Wechselprozeß dann nicht stattfinden. Um aber Zahlung auf den verlorenen Wechsel verlangen zu können, muß der Verlierer den verlorenen Wechsel von der Ortsobrigkeit amortisiren lassen. Ein Besitzer des verlorenen Wechsels der sich durch eine Reihe anscheinend wichtiger Indossamente zu legitimiren fähig ist, kann aber nur dann zur Herausgabe des Wechsels angehalten werden, wenn er den Wechsel mala fide erworben hat, oder ihm bei Erwerb des Wechsels lata culpa vorgeworfen werden kann (lit. b ad. h) Die Fälschung oder Verfälschung der Unterschriften des Ausstellers, des Acceptanten oder Indossanten („falscher Wechsel“) hat auf die wechselmäßige Wirkung der auf die Urkunde gesetzten echten Erklärungen gar keinen Einfluß. Dasselbe gilt auch von der Verfälschung der übrigen Theile des Wechsels („verfälschter Wechsel“) z. B. Summe, Ort, Zeit etc)[569]§ 367 D. Rechte der Wechsel im Concourse Die von dem Wechselgläubiger gegen das Vermögen des Schuldners angebahnte Execution wird durch den Anspruch des Concourses fistirt und der Wechsel Gläubiger muß sich auch auf den Concours einlassen. Kann der Schuldner aber durch cessio bonarum sich vom Personalarrest aus Wechselschulden befreien? Dies ist verschieden nach den einzelnen Particularrechten, die DWO sagt darüber nichts. In der Regel haben die Wechselforderungen im Concours keinen Vorzug vor den anderen Gläubigern. Aber wenn der Wechsel auf eine absolut privilegirte Forderung ausgestellt ist, steht auch hier dem Wechselgläubiger das Privileg nicht zu, denn in der Wechselausstellung liegt eine novatio und hebt hier das Privileg auf. E. Wechselarrest § 368 und 369 (siehe Civilproceß) [570]Drittes Capitel Seerecht § 370 I. Begriff, Quellen und Literatue des Seerechts (siehe Grundriß) A. Begriff und Eintheilung § 371 B. Quellen § 372 C. Literatur des Seerechts § 373 II. Von den Schiffen überhaupt und ihrem Erwerb § 374 III. Rhederei und Mitrhederei

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Bei der Mitrhederei heißt der Antheil jedes Mitrheders Schiffsparte. Die Mitrhederei nähert sich einer Actiengesellschaft. Bei Beschlüssen entscheidet meistens Stimmmehrheit. Die Stimmen werden nach der Größe der Parten berechnet. Zur Ausführung der Beschlüsse wird ein Schiffscorrespondent, Schiffsdirector angestellt, die Stellung des correspondirenden Rheders ist gemeinrechtlich die eines institor.[571]Die Mitrheder unterscheiden sich dagegen von den Actionären dadurch, daß sie Dritten gegenüber für alle aus der Verbindung entstandenen Verbindlichkeiten persönlich, nach Maß ihrer Parten haften. § 375 IV. Rechtsverhältnisse zwischen Rhedern und Schiffern Auch hier Verhältnis eines institors. Zu den Pflichten des Schiffers gehört besonders daß er während der ganzen Reise ein vollständiges Tagebuch oder Schiffsjournal entweder selbst oder durch den Steuermann (nächst der Capitain der erste Officir) führen lassen. Erleidet das Schiff Schiffbruch oder wird Schiff und Ladung auf andere Weise beschädigt, so muß der Schiffer in dem ersten Ort wo es geschehen kann, der Gerichtsbehörde oder seinem Handelsconsul oder einem Notar eine genaue Anzeige des Unfalls („Verklarung“) zu Protocoll geben. Die darüber aufgenommene Urkunde, Verklarung, Seeprotest, muß vom Schiffer und Schiffsleuten beschworen werden und kommt besonders bei Assecuranzen in Betracht. [572]§ 376 V. Rechtsverhältniß zwischen Schiffer und Schiffsvolk § 377 VI. Rechtsverhältniß zwischen Befrachtern und Schiffer Die Befrachtung eines Schiffs kann 2fach geschehen 1. entweder für ein ganzes Schiff oder für einen Theil desselben. Hierüber muß immer ein schriftlicher Miethcontract abgefaßt werden, welcher Charte partie heißt (Charta partie) 2. oder für den Transport von einzelnen Gütern. Sind diese Güter nur nach Umfang, Zahl und Maaß und Gewicht angegeben, so heißt dies „Befrachtung auf Stück“. Sind dies aber einzeln in sich bestimmte Güter, so nennt man es „Stückgüter­ladung“. Nach Beendigung jeder einzelnen Abladung (ins Schiff)  hat der Schiffer eine förmliche Urkunde in Form eines Empfangsbekenntnisses auszustellen. In der That enthält aber diese Urkunde alle wesentlichen Punkte des mit ihm abgeschlossenen Contracts (Größe des Frachtgeldes, Ort der Bestimmung, Name und Firma der Adressaten). Diese wird blos von dem Schiffer unterschrieben. Diese Urkunde heißt „Connossement“. Gewöhnlich werden mehrere Exemplare von derselben verfertigt für den Ablader, die Adressaten, den Schiffer[573]den Rheder und oft noch einen. Das Connossement begründet ein von dem Frachtvertrag unabhängiges obligatorisches Verhältnis zwischen dem Schiffer und dem Empfänger der Waare. Wer der Empfänger sein soll, hängt zunächst von dem Willen des Abladers ab, nach dem Handelsgebrauch ist ist aber das Connossement ein negotiales Papier wie der Wechsel, so daß der Schiffer noch gar nicht weiß, ob er die Waare an den Adressaten, oder an einen andern, der das Conossement erhandelt abliefern soll. Es wird das Conossement übertragen durch Indossament und dieses giebt jedem Inhaber ein selbstständiges Recht auf Empfang der darin be-

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zeichneten Waaren. Der Schiffer übernimmt daher durch Unterzeichnung des Connossements die Verbindlichkeit, die im Conossement ausgesprochen ist, gegen jeden der seiner Zeit sich legitimiren wird zum Empfang der Waaren. Strenggenommen besteht diese Wirkung des Conossements nur in der Übertragung eines Forderungsrechts. Dem praktischen Erfolg nach steht das Indossament aber der wirklichen Übergabe des im Connossement bestimmten Guts gleich. Daher wird im kaufmännischem Verkehr die Übergabe des Connossements als Übergabe der Waare selbst betrachtet.[574]Ob nun dieser Handelsgebrauch überhaupt und wie er sich thematisch rechtfertigen lasse, darüber sind die Meinungen verschieden. § 378 VII. Haftung des Rheders für die Handlungen des Schiffers § 379 VIII. Bodmerei und Großavanturvertrag (Letzteres kommt nur im Mittelmeer vor) Die Bodmerei ist ein Darlehn, welches auf das Schiff die Fracht, oder die Ladung, kurz auf einen der Segelfahrt ausgesetzten Gegenstand unter der Bedingung contrahirt wird, daß die Zurückbezahlung mit den Zinsen erst am Bestimmungsort erfolgen soll und nur der verbodmerte Gegenstand für Darlehn und Zinsen verhaftet sein soll. Der Gläubiger heißt hier Bodmereigeber, Bodmerist, der Schuldner heißt Bodmereinehmer und die betreffende Urkunde Bodmereibrief, die ausbedungenenen Zinsen und Bodmereiprämie. Da der Bodmerist die Se­ gelfahrt trägt, so ist die Bodmereiprämie nicht an das gesetzliche Zinsmaximum gebunden, auch nicht an die Inst. centerimae usurae[…]foenus nauticum [575]§ 380 IX. Havarie und Seeschäden Alle Schäden und Kosten, welche Schiffe und Ladung von der Abladung an bis zur vollendeten Ausladung (Löschung) haben bezeichnet man mit Havarie. Sie können aber sehr verschiedene Gründe und Folgen haben. Darnach unterscheidet man: 1. die particuläre Havarie, d. h. solche Schäden welche Schiff und Gut, d. h. Rheder und Eigenthümer allein zu bezahlen haben, casus sentit dominus. Hierher gehören alle Schäden, welche das Schiff oder einen Theil der Ladung zufällig betreffen. (Zerreißen von Thau und Seegel, brechen eines Mastes, Fortschwimmen von Waaren vom Deck) und Unkosten welche zum Besten des Schiffs absichtlich gegeben werden, Reparatur, Umstechen des Mannövers etc.) 2. Von den Rhedern und den Ladungsinteressenten gemeinschaftliche Havarie. Diese kann sein a. kleine oder ordentliche Havarie. Zu dieser gehören die persönlichen Unkosten welche auch bei einer durchaus glücklichen Reise vorkommen (Hafengeld, Abgaben für die Leuchtthürme, für die Fannen an Untiefen, Lootsen etc.) [576]Diese kleine Havarie wird in Ermangelung ausdrücklicher Verabredung von den Rhedern zu einem Drittel, von den Ladungsinteressenten zu zwei Dritteln getragen. b. die große und extraordinäre Havarie Hierzu gehören alle Schäden, welche durch den Führer des Schiffs oder auf dessen Geheiß dem Schiffe oder der Ladung absichtlich zugefügt werden und zu dem Zweck, das Schiff und die Ladung

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aus einer gemeinschaftlich drohenden Gefahr zu retten – dies ist also eine Ausdehnung der lex. Rheder de jacte. Auch die Kosten welche zu gleichem Zweck, oder zur Wiederherstellung des angerichteten Schadens gemacht werden, gehören hierher. Die große Havarie wird über Schiff, Fracht und Ladung vertheilt. Die Wirkung der großen Havarie treten aber nur ein, wenn Schiff oder Ladung ganz oder theilweise aus der drohenden Gefahr gerettet sind. Spätere Unfälle heben aber die Wirkungen der großen Havarie nicht auf, es sei denn, daß Schiff oder Ladung durch einen späteren Unfall ganz untergegangen sind. Die Berechnungen in der havarie gros sind die verwickelsten im Handelsrecht. Die[577]Berechnung der Schäden auf den einzelnen Betheiligten heißt Dispache und es giebt in größeren Seestücken beeidigte Dispacheurs. X. Von den Assecuranzen § 381 A. Begriff unf Erfordernisse des Assecuranzvertrages Die Assecuranz oder Versicherung ist ein Vertrag durch welchen der Versicherer (Assecurateur) gegen Gewähr einer Vergütung (Prämie) den Schaden zu tragen verspricht, welcher den Versicherten aus einer gewissen Gefahr treffen könnte. Seeassecuranzen sind ältesten, Viehversicherungen, Feuer, Hagel, Lebensvers.) Nach allgemeinem Gebrauch wird über den Versicherungsvertrag eine Urkunde, Police, errichtet, die aber blos zum Beweise dient. Die Natur des Geschäfts bringt es mit sich, daß der Versicherte sich durch den Unfall niemals bereichern darf. Sobald die Versicherung diese Grenze überschreitet, geht sie in eine gefährliche Wette über, die hier mit strenger Strafe bestraft ist. Aus diesem Grund ist es auch nicht gestattet, dieselbe Sache für ihren realen Werth gegen dieselbe Gefahr mehr als einmal[578]zu versichern, (weil sonst der Eigenthümer die Sache leicht doloser Weise den ihm Vortheil bringenden Schaden selbst veranlassen könnte und so andern Leuten Schaden bringen.) Ist jenes dennoch geschehen, so ist nur die erste Assecuranz gültig und der zweite Assecurant muß, wenn der Versicherer bona fide gehandelt hat, die Prämie „restauriren“. Jedoch darf er meistens daran einige Procente pro ristorno zurückbehalten. Auf der andern Seite steht es aber dem Versicherten frei, die Versicherung so einzurichten, daß diese ihm bei Untergang der Sache völligen Ersatz gewähre. Er hat also das Recht nicht blos den positiven Schaden sondern auch das lucrum cessans zu bewahren und sich versichern zu lassen. Aus Obigem folgt, daß nur derjenige einen Gegenstand versichern lassen kann, welcher den aus dem Verluste dieses Gegenstandes entstehenden Schaden tragen müßte, falls die Sache unversichert bliebe. Hierzu reicht auch schon ein resp. mittelbarer Schaden hin, z. B. Spediteure können ihr Interesse an der glücklichen Überfahrt einer Waare versichern lassen. Ferner gehören die Rückversicherungen hierher.[579]So wie andere Contracte kann auch der Versicherungscontract auf fremde Rechnung abgeschlossen werden (lit. b). Eigenthümlich ist aber, daß der eigentliche Versicherte bei Abschluß des Vertrags dem Versicherer nicht genannt zu werden braucht, sondern einfach „auf Rechnung, wen es angeht“ (so beim Indossament das Connossement). Wenn dann aber Schadensersatz verlangt wird, muß immer die eigentliche Versicherte genannt werden.

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§ 382 B. Gegenstand des Vertrags (Versicherung des Schiffs heißt Versicherung auf casco) § 383 C. Umfang der von dem Versicherer übernommenen Gefahr Dies steht gewöhnlich in den Policen. § 384 D. Rechte und Pflichten des Versicherten Diese ergeben sich im Allgemeinen aus der Natur des Geschäfts. § 385 Prozeß in Seesachen (s. Civilprozeß)[580]Anhang § 13 und 14 des Friedliebschen Heftes Von den Gewere Für das alte Klagesystem ist der Begriff der Gewere sehr wichtig (cf. Albrecht, die Gewere) Were bedeutet vertheidigen, sei es mit Waffen, oder vor Gericht. Gewere ist die Möglichkeit sich mit Beziehung auf die Innehabung einer Sache, auf die Ausübung von Gerechtsamen, sowie mit Beziehung auf die bisher stets empfangenen Leistungen terminweise an und für sich unerschöpflicher Prästationen rechtlich schützen zu können, so daß jeder Eingriff als ein rechtswidriger erscheint. In diesem weitesten Sinn giebt die Gewere nicht die Möglichkeit, wenn man die Innehabung verloren, aber aus dem Besitz gesetzt worden ist, diesen mit seiner Klage wieder zu erlangen, vielmehr nur die Möglichkeit sich in der Inne­ habung und Ausübung schützen zu können und wenn man belangt wird, auf einen Gewährsmann berufen zu können. Dieser weiteste Begriff ist keineswegs mit jeder Innehabung identisch. Der Dieb oder Räuber der auf handhafter That ergriffen wird hat an der gestohlenen Habe kein Gewere. Hiermit ist nicht zu verwechseln die raubliche Gewere. Ist nämlich Raub oder Diebstahl nicht hand-[581]haft, so hat auch der Dieb oder Räuber die Gewere im weiteren Sinn an dieser Sache. Eine Klage aus der Gewere auf Wiedererlangung der verlorenen Innehabung oder ­gestörten Ausübung hat nur der, welcher die rechte Gewere hat. Der Ausdruck „Gewere“ wird auch in 2 mehr abgeleiteten Bedeutungen gebraucht; einmal versteht man darunter den Gewährsmann und dann Haus und Hof. Was nun die rechte Gewere anbetrifft, so bezieht diese sich nur auf Immobilien und Gerechtsame im weitesten Sinn des Worts, nicht auf Mobilien. Die echte Gewere wird erlangt durch den ungestörten Besitz von Jahr und Tag das ist 1 Jahr 6 Wochen und 3 Tage. Die Wirkungen der rechten Gewere traten nun in dieser Zeit nur gegen diejenigen ein, die nicht abwesend oder durch sonstige echthafte (entschuldigende) Gründe z. B. Kriegsgefangenschaft, entschuldigt sind. Die Wirkung besteht darin, daß alle Ansprüche, sei es nun aus dem Grunde eines Eigenthums, oder eines Näherrechts z. B. Erben, dadurch präcludirt werden und daß nach Eintritt der rechten Gewere sich unmittelbar selbst ohne weitere Berufung auf seine Gewere dann nicht wie als Beklagter, sondern auch als Kläger auf seine rechte Gewere[582]berufen kann, so daß er, wenn er auch aus dem Besitze gesetzt ist, sich danach wieder zur Sache ziehen kann. Hat eine gerichtliche Auflassung stattgefunden, d. h. eine mit symbolischen Handlungen verknüpfte gerichtliche Übertragung, so tritt in Betreff der­

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jenigen welche in demselben Gerichtsbezirke wohnen und nicht durch Ehrhaften entschädigt sind, sofort die Wirkung der rechten Gewere ein. Der Begriff der Gewere bezieht sich nun ja nicht allein auf Grundeigenthum, sondern auch auf Lehnsbesitz sowie auch auf die Ausübung von Gerechtsamen z. B. auch das Recht fortdauernde Grundzinsen zu erheben, Zinsgewere. Am Frauengute steht dem Manne ohne weiteres die Gewere ganz unmittelbar ebenso zu, wie der Frau bisher oder deren Angehörigen, Gewere zur rechten Vormundschaft. Die Gewere des Erblassers geht ebenfalls eo ipso ganz wie sie diesem Zustand auf die Erben über. Dann kommt auch noch eine Pfandgewere vor an dem Pfandschaftsbesitz. Diese kann aber nur vermöge Auflassung eintreten. Die geschilderten Zustände finden nur eine sehr modificirte Anwendung auf bewegliche Sachen,[583]fahrende Sachen. Dies ist darauf gegründet, daß bei der Innehabung von Mobilien nur ein sehr beschränktes Repräsentationsrecht angenommen wurde. Wer eine bewegliche ­Sache absichtlich aus den Händen giebt, der hat Dritten gegenüber eigentlich kein Recht an dieser Sache, sondern kann sich nur an den halten, dem er die Sache übergeben hat. Bei beweglichen Sachen treten also die Wirkungen der Gewere sofort, mit der Innehabung in vollem Umfange ein, der volle Umfang der Gewere ist aber eben deshalb wieder ein ein viel beschränkterer als der der rechten Gewere bei Grundbesitz und Gerechtsamen, da ja nämlich Mobilien nur in so beschränkter Weise aus der Dritten Hand zurückgefordert werden können. Da die Innehabung von beweglichen Sachen an und für sich so augenfällig ist, so kann jeder wegen Mobilien, fahrender Habe belangt, den Besitz durch seinen Eid ableugnen. Steht nun aber der Besitz fest, so kann die Sache nur dann mit Erfolg angesprochen werden, wenn sie eben diesem Besitzer von dem Kläger aus einem nicht Eigenthum übertragenden Geschäft übergeben ist. Spricht er in einem solchen Fall die Sache bei einem Dritten an, so macht er sich einer „Anfertigung“ schuldig, und der[584] Dritte treibt ihn zurück auf Grund der Parömia: Wo die deinen Glauben gelassen, da such ihn wieder. Nur geraubte, gestohlene, verlorene Sachen können auch bei jedem Dritten angesprochen werden. Hat hier der Kläger durch Eideshelfer be­ wiesen, daß ihm die Sache gehöre, so kann der Beklagte sich nur dadurch schützen, daß er allenfalls beweist, daß die Sache dennoch bei ihm entstanden sei, kann er dies nicht, so kommt es nunmehr darauf an den Folgen des Diebstahls oder der Veruntreuung also der Bußezahlung und Gewette zu entgehen. Dies geschieht also: Es tritt als dann die Procedur des Anfangs ([…]) mit Folge ein, d. h. daß der Kläger die Sache als seine angefaßt habe, und die Folge daß der Beklagte seinen Autor nennen kann, zu welchem ihn nun der Kläger führen muß. Wer keinen Autor nennt, der haftet für Buße und Gewette und kann wenn sich ein wirklicher Diebstahl herausstellt, auch peinlich belangt werden. Der Kläger, um die Buße zu bekommen, muß von einem Autor zum andern folgen, doch hat das Recht hier häufig gewisse Grenzen gesteckt, z. B. daß der Kläger nur bis an den schiffbaren Fluß, bis an den 3ten Mann folgen muß. Während dieser Procedur wurde nach älterm Recht die Sache meistens[585]einem Dritten vertraut, interjicirt. Nach dem Recht des Sachsenspiegels scheint aber der Beklagte bis weiter den Besitz behalten zu haben. 1, 14 Aus dem Bisherigen ergiebt sich, daß die Gewere kein Institut mit

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2. Teil: Edition der Vorlesungsnachschrift

einem bleibenden Inhalt ist, sondern, daß sie vielmehr auf die verschiendensten Verhältnisse in gleicher Weise bezogen wird. Diese gleichmäßige Bedeutung der Gewere für die in materieller Bezeichnung verschiedenartigsten Verhältnisse ist aber die der rechtlichen Möglichkeit, sich durch selbstständigen Beweis in eigener Person schützen zu können. Der Charakter der Gewere ist damit ein – Mit der rechten Gewere ist eine Verschweigung, d. h. eine Präclusion des Berechtigten dem nunmehrigen Inhaber und dessen Rechtsnachfolger gegenüber verbunden. Zu diesem Moment der Präclusion kommt freilich bei der rechten Gewere auch dies hinzu, daß bei eingetretenem Verluste ebenfalls auf Grund desselben eine Klage zulässig ist, andererseits die Verschweigung auch keine absolute gegen Jeden. Verliere ich eine Immobilie an der mir die rechte Gewere zusteht, an einen Dritten, der sein Recht nicht von mir ableitet, so kann derjenige, der sich mir gegenüber früher verschwiegen hat, der also mir und meinem Rechtsnachfolger gegenüber die rechte Ge-[586]were nicht mehr geltend machen konnte, diese nunmehr sehr wohl dem Dritten gegenüber solange dieser nicht ebenfalls durch Jahr und Tag die Gewere bekommen hat, geltend machen. Die Gewere ist auch nicht mit dem Inter­ dictenbesitz wesentlich ähnlich. Die Gewere kann durchaus jedem gegenüber, nicht blos dem Stoerer oder Verletzer geltend gemacht werden. Dann genügt nicht blos der animus domini rel sibi habendi, vielmehr die obigen Voraussetzungen. Dann tritt in Folge der geltend gemachten Gewere ein Definitivum ein, keine Trennung des possessorischen und petitorium. Der Besitz als solches ist im alt germanischen Recht nicht, wie im römischen geschützt. Unsere jetzige Besitzlehre beruht durchaus auf römisch kanonischem Recht, wobei nicht geleugnet werden soll, daß der weite Begriff, das Spolium aus Rücksicht auf die Gewere mit entstanden sein mag. Weitere praktische Wirkungen aus der Gewere sind aber für die Gegenwart nicht abzuleiten. Der Ausdruck „habende Gewere“ soll nur possessio oder detentio bedeuten. Im Allgemeinen gilt durchaus das auf Grund des römischen und kanonischen Rechts entwickelte Klagen- und Einredensystem sowohl in petitorio als in possessorio. d. 7. August 1861