Theodor Mommsen und die Bedeutung des Römischen Rechts: (Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte) [1 ed.] 9783428540501, 9783428140503

Der Band widmet sich aus interdisziplinärer Perspektive dem altertums- und rechtswissenschaftlichen Vermächtnis von Theo

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Theodor Mommsen und die Bedeutung des Römischen Rechts: (Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte) [1 ed.]
 9783428540501, 9783428140503

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Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 69 Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte

Theodor Mommsen und die Bedeutung des Römischen Rechts Herausgegeben von Iole Fargnoli Stefan Rebenich

Duncker & Humblot · Berlin

IOLE FARGNOLI / STEFAN REBENICH (Hrsg.)

Theodor Mommsen und die Bedeutung des Römischen Rechts

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Neue Folge · Band 69 Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte

Theodor Mommsen und die Bedeutung des Römischen Rechts

Herausgegeben von Iole Fargnoli Stefan Rebenich

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 978-3-428-14050-3 (Print) ISBN 978-3-428-54050-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-84050-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis Iole Fargnoli / Stefan Rebenich Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolfgang Ernst non quia ius, sed quia Romanum − Mommsen und die Rechtswissenschaft seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Joseph Georg Wolf Aus der Überlieferungsgeschichte der Digesten Justinians: Kantorowicz’ Kritik an der Edition Mommsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Werner Eck Mommsens epigraphische Arbeit und sein Staatsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Karl-Joachim Hölkeskamp Ein Programm als Problem. Die „Verschmelzung von Geschichte und Jurisprudenz“ in Theodor Mommsens Staatsrecht – Rückblicke, Seitenblicke und Ausblicke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Carla Masi Doria Il gigante e i pigmei: Mommsen e il diritto penale romano. Appunti per una rilettura del „Römisches Strafrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Boudewijn Sirks Theodor Mommsen und der Theodosianus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Philippe Blaudeau Faire de l’histoire romaine avec l’édition mommsénienne du Code Théodosien: entre modèle de compréhension du maître et inflexions de la recherche récente 141 Gisela Hillner Theodor Mommsen. Inauguraldissertation (1843). Übersetzt und mit einem Nachwort versehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Theodor Mommsen Inauguraldissertation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Einleitung Von Iole Fargnoli und Stefan Rebenich I. „Dem Studium des Römischen Rechts, dem ich meine Jugend gewidmet habe, verdanke ich alles, was ich in der Wissenschaft geleistet habe“, so bekannte Theodor Mommsen in seiner grossen Digestenausgabe. 1 An seiner Heimatuniversität Kiel war er zum Juristen ausgebildet worden, hatte 1843 über ein römisch-rechtliches Thema promoviert und in der Folge romanistische Lehrstühle in Leipzig, Zürich und Breslau inne. Jahrelang lehrte er an juristischen Fakultäten ‚Pandektenrecht‘, bis er 1857 eine Forschungsprofessur an der Preußischen Akademie der Wissenschaft erhielt, um sich seinem grossen Inschriftenwerk widmen zu können. 2 Vier Jahre später wurde er auf ein neu eingerichtetes Ordinariat an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität berufen, um Römische Geschichte zu lehren. Seine romanistischen Forschungen setzte er indes fort. Mommsens wissenschaftliches opus magnum ist das Römische Staatsrecht. Es umfasst drei Bände in fünf Teilen mit über dreitausend Seiten. Der erste Band erschien 1871. Rasch folgten eine zweite und eine dritte Auflage der ersten beiden Bände. 1888 lag das Gesamtwerk vollständig vor. 3 1

Vgl. Th. Mommsens Praefatio zur Ausgabe der editio maior der Digesten Justinians (Berlin 1868), S. LXXX: „Juris romani studiis, quibus adulescentiam dedi, acceptum refero quidquid in litteris profeci“. 2 Zu Leben und Werk Theodor Mommsens vgl. L. Wickert, Theodor Mommsen. Eine Biographie, Frankfurt am Main Bd. I 1959, II 1964, III 1969, IV 1980; A. Wucher, Theodor Mommsen. Geschichtsschreibung und Politik, Göttingen 1968 2; A. Heuss, Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert, Kiel 1959; ND Stuttgart 1996; S. Rebenich, Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Berlin / New York 1997; A. Demandt / A. Goltz / H. Schlange-Schöningen (Hg.), Theodor Mommsen. Wissenschaft und Politik im 19. Jahrhundert, Berlin / New York 2005; W. Nippel / B. Seitensticker (Hg.), Theodor Mommsens langer Schatten. Das römische Strafrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung, Hildesheim 2005; J. Wiesehöfer (Hg.), Theodor Mommsen: Gelehrter, Politiker und Literat, Stuttgart 2005; F. Sturm, Theodor Mommsen. Gedanken zu Leben und Werk des großen deutschen Rechtshistorikers, Karlsruhe 2006; S. Rebenich, Theodor Mommsen. Eine Biographie, München 2007 2. 3 Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3 Bde in 5 Teilen, Leipzig 1887/88 3.

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Mommsen bearbeitete auch als Rechtshistoriker eine breite Überlieferung literarischer wie nichtliterarischer, juristischer wie nichtjuristischer Provenienz, die er nach den Regeln des hermeneutischen Verstehens der Klassischen Philologie interpretierte und deren ‚rechtliche‘ Aussagen er mit Hilfe streng juristischer Begriffe systematisierte. In seinem Werk 4 demonstrierte er beispielhaft den fächerübergreifenden Dialog zwischen Altertumswissenschaft und Rechtswissenschaft, zwischen Alter Geschichte und Romanistik. In der Zusammenführung der unterschiedlichen Disziplinen, die sich mit der römischen Vergangenheit beschäftigten, erblickte Mommsen seine eigentliche Leistung, wie er 1893 bei den Ehrungen zu seinem fünfzigjährigen Doktorjubiläum betonte: „Es ist mir beschieden gewesen, an dem großen Umschwung, den die Beseitigung zufälliger und zum guten Theil widersinniger, hauptsächlich aus den Facultätsordnungen der Universitäten hervorgegangener Schranken in der Wissenschaft herbeigeführt hat, in langer und ernsthafter Arbeit mitzuwirken. Die Epoche, wo der Geschichtsforscher von der Rechtswissenschaft nichts wissen wollte und der Rechtsgelehrte die geschichtliche Forschung nur innerhalb seines Zaunes betrieb, die Epoche, wo es dem Philologen wie ein Allotrium erschien, die Digesten aufzuschlagen, und der Romanist von der alten Literatur nichts kannte als das Corpus Juris, wo zwischen den beiden Hälften des römischen Rechts, dem öffentlichen und dem privaten, die Facultätslinie durchging, wo der wunderliche Zufall die Numismatik und sogar die Epigraphik zu einer Art von Sonderwissenschaft gemacht hatte und ein Münz- oder Inschriftenzitat außerhalb dieser Kreise eine Merkwürdigkeit war – diese Epoche gehört der Vergangenheit an, und es ist vielleicht mit mein Verdienst, aber vor allen Dingen mein Glück gewesen, daß ich bei dieser Befreiung habe mitthun können“. 5 Mit Blick auf Mommsens Interdisziplinarität avant la lettre entstand die Idee zu jener Tagung, die am 10. und 11. Mai 2012 an der Universität Bern stattfand und die das Ziel verfolgte, die interdisziplinäre Diskussion von Mommsens juristischem Werk voranzutreiben. Dies sollte in einem internationalen Kontext geschehen. Deshalb wurden Althistoriker- und RechtshistorikerInnen aus ganz Europa eingeladen. Die Referenten und Referentinnen kamen aus Deutschland, England, Frankreich, Italien, den Niederlanden und der Schweiz. Der vorliegende Sammelband enthält, teils in überarbeiteter Form, die Beiträge der Tagung.

4 Vgl. Theodor Mommsen als Schriftsteller. Ein Verzeichnis seiner Schriften von K. Zangemeister. Im Auftrage der Königlichen Bibliothek bearbeitet und fortgesetzt von E. Jacobs. Neu bearbeitet von S. Rebenich, Hildesheim 2000. 5 Th. Mommsen, Dankschreiben nach dem fünfzigjährigen Doktorjubiläum, Rom 1893, zitiert nach F. Jonas, Zum achtzigsten Geburtstage Theodor Mommsens, in: Deutsche Rundschau, 24, 1897, S. 399 – 416, hier: S. 415.

Einleitung

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II. Der Titel der Konferenz und ihres Begleitbandes Theodor Mommsen und die Bedeutung des Römischen Rechts verweist zum einen auf die Antrittsvorlesung, die der 34-jährige Gelehrte am 8. Mai 1852 an der Universität Zürich hielt, nachdem er auf den Lehrstuhl für Römisches Recht in Zürich berufen worden war. Er behandelte zu Beginn seiner Tätigkeit in der Schweiz „Die Bedeutung des römischen Rechts“. 6 Dieses Thema wird im Eröffnungsbeitrag von Wolfgang Ernst gewürdigt, der Mommsen vor dem Hintergrund der Rechtswissenschaft seiner Zeit betrachtet. Ernst legt dar, dass Mommsen den von seinen juristischen Zeitgenossen behandelten Fragen, ob und wie das Ius Romanum in seiner weiterentwickelten Gestalt zur Ordnung der Privatrechtsgesellschaft in der Gegenwart zu gebrauchen war, kein wissenschaftliches Interesse entgegenbrachte. Anders als seine Zeitgenossenen – die Pandektisten der historischen Rechtsschule – setzte sich Mommsen nie systematisch mit der Frage auseinander, wie das Römische Recht in der Gegenwart zu gebrauchen sei. Am kreativen juristischen Weiterdenken, wie es in der Pandektistik – mit bisweilen skurillen Ergebnissen – gepflegt wurde, beteiligte er sich folglich nicht. Ihm ging es allein um die historisch-kritische Exegese des antiken Quellenbestandes. Aufgrund seiner politischen Überzeugungen begrüsste Mommsen „im Grundsatz“ eine nationalrechtliche Kodifikation, transzendierte aber den nationalstaatlichen Kontext, wenn er unter Rückgriff auf das römische Recht ein internationales Vermögensrecht in den Blick nahm. 7 III. „Theodor Mommsen und die Bedeutung des Römischen Rechts“ verweist auch auf die Frage nach dem Einfluss von Mommsens wissenschaftlichem Oeuvre auf die Alte Geschichte und die Rechtswissenschaft und somit auf sein altertumsund rechtswissenschaftliches Vermächtnis. Die Mehrzahl der Beiträge widmet sich deshalb aus romanistischer und althistorischer Perspektive wesentlichen Aspekten seiner vielfältigen Forschungen und ihrer Bedeutung für die aktuelle Wissenschaft vom Römischen Recht und für die Althistorie. Für das römische Privatrecht bilden bekanntlich die Digesten die wichtigste Quelle, denn sie bergen den grössten Schatz zivilrechtlicher Erkenntnisse. Die 6 Vgl. Theodor Mommsen, Gesammelte Schriften, Bd. 3, S. 580 –600 sowie G. Liberati, Mommsen e il diritto romano, in: Dottrine storiche del diritto privato. Materiali per una storia della cultura giuridica 6, 1976, S. 215 – 290. Hier findet sich auch eine Übersetzung der Vorlesung ins Italienische. 7 Ernst, non quia ius, sed quia Romanum, S. 32.

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richtungweisenden Editionen wurden von Theodor Mommsen vorgelegt. Mommsen hat von 1866 bis 1868 die Digesten in ihrer grossen 8 und zwei Jahre später in ihrer kleinen Ausgabe ediert. 9 Letztere wurde später von seinem Schüler Paul Krüger überarbeitet. Mit der Kritik von Hermann Kantorowicz 10 an Mommsens grosser Ausgabe der Digesten beschäftigt sich Joseph Georg Wolf. Insbesondere „tadelt (er) die unzureichende Beachtung der Vulgathandschriften und mahnt eine Revision des Textes der Edition Mommsens an“. 11 Dieser Kontroverse, die inzwischen hundert Jahre zurückliegt, kommt, wie Wolf hervorhebt, auch für die gegenwärtige Beschäftigung mit den Digesten eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. 12 Während Mommsen dem Codex Florentinus folgte, 13 wollte Kantorowicz für die Textkonstituierung die Littera Bononiensis und damit den Vulgattext, der als ursprünglicher Text gelten dürfte, stärker berücksichtigt sehen. Mommsen entwarf bereits als junger Forscher den Plan, ein umfassendes Corpus aller lateinischen Inschriften zu schaffen. Gegen zahlreiche Widerstände setzte er diese Idee um. Im Jahre 1863 erschien der erste Band des Corpus Inscriptionum Latinarum, der die Inschriften der römischen Republik enthielt. 14 Mommsen arbeitete fast sein ganzes Forscherleben an dieser systematischen Sammlung aller zu seiner Zeit erreichbaren lateinischen Inschriften. Als er starb, waren 130.000 Inschriften ediert. Dieses Grossprojekt ist Gegenstand der Ausführungen Werner Ecks. Er untersucht, wie dieser „umfassend gesammelte Schatz“ 15 für Mommsens opus magnum, das Staatsrecht, dienstbar gemacht

8 Th. Mommsen, Digesta Iustiniani Augusti. Recognovit assumpto in operis societatem Paulo Kruegero Th. Mommsen. Vol. I (Berlin 1868). 9 Th. Mommsen, Digesta Iustiniani Augusti. Recognovit assumpto in operis societatem Paulo Kruegero Th. Mommsen. Vol. II (Berlin 1870). 10 H. Kantorowicz, Über die Entstehung der Digestenvulgata. Ergänzungen zu Mommsen, in: ZSS 30, 1909, S. 183 – 271. 11 J.G. Wolf, Aus der Überlieferungsgeschichte der Digesten Justinians: Kantorowicz’ Kritik an der Edition Mommsens, S. 35. 12 Zur bisherigen Diskussion vgl. vor allem B.H. Stolte, Some Thoughts on the Early History of Digest Text (Appendix: Ms. Naples IV.A 8 foll. 36 –39 rescr.), in: Subseciva Groningana 6, 1999, S. 103 – 119; idem, The Partes of the Digest on the Codex Florentinus, in: Subseciva Groningana 1, 1984, S. 69 – 91 und zuletzt D. Mantovani, La critica del testo del Digesto tra passato e futuro, in: M. Miglietta / G. Santucci, Problemi e prospettive della critica testuale. Atti del ‚Seminario internazionale di diritto romano‘ e della ‚Presentazione‘ del terzo volume di ‚Iustiniani Digesta seu Pandectae‘ Digesti o Pandette dell’imperatore Giustiniano, testo e traduzione a cura di S. Schipani (Trento, 14 e 15 dicembre 2007), Trento 2011, S. 151 – 171. 13 Th. Mommsen, Praefatio minor zur Editio maior der Digesten, Berlin 1868, S. VII. 14 Inscriptiones Latinae antiquissimae ad C. Caesaris mortem. Consilio et auctoritate Academiae litterarum regiae Borussicae edidit Theodorus Mommsen, Vol. 1, Berlin 1863. 15 W. Eck, Mommsens epigraphische Arbeit und sein Staatsrecht, S. 51.

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wurde und kommt zu dem Ergebnis, dass „die reiche inschriftliche Ernte“ 16 vornehmlich für die Zeit des Prinzipats von Bedeutung gewesen ist. Viele Details des juristischen Systems konnten nur mit Hilfe der epigraphischen Überlieferung klarer beschrieben werden. Jedoch kamen die Inschriften Mommsen bisweilen „auch in die Quere“, wie Eck betont, denn „politisch-soziale Realität und Recht“ 17 blieben für Mommsen zwei Welten, die er in seinem systematisierenden Zugriff nicht immer harmonisch miteinander verbinden konnte. Verwerfungen, Brüchen und Paradoxien des Staatsrechts widmet sich eingehend auch der Beitrag von Karl-Joachim Hölkeskamp. Er verweist auf die Diskrepanz zwischen Geschichte und Verfassungstheorie, genauer: zwischen der historischen Entwicklung der römischen Verfassung und ihrer systematischen Darstellung. Mommsen versuchte diesen manifesten Widerspruch durch die Differenzierung zwischen „rechtlicher Form“ und „faktischem Inhalt“ zu überbrücken. Hölkeskamp plädiert dafür, die genetisch-entwicklungsgeschichtliche Dimension des Staatsrechts vom „staatsrechtlichen System“ zu lösen, das „aus den drei tragenden Säulen Magistratur, Volksversammlung und Senat“ besteht. 18 Das Ziel der althistorischen Forschung dürfe nicht darin bestehen, auf dem Gebiet des „Staatsrechts“ mit Mommsen in Konkurrenz zu treten, sondern vielmehr von Mommsen ausgehend zu neuen Rekonstruktionen der politischen Kultur der römischen Republik voranzuschreiten, die gesellschaftliche Bedingungen und kulturelle Konditionierungen berücksichtigen und sich von überholten Vorstellungen einer römischen Verfassungsgeschichte absetzen müssen. Auch für das Strafrecht und das Strafprozessrecht hat Mommsen eine systematische Synthese geschaffen. 19 Carla Masi Doria widmet ihren Beitrag dem Römischen Strafrecht, das der 82-jährige Gelehrte 1899 veröffentlichte. Masi Doria betont, dass Mommsen in seiner Jugendzeit dem Zivilrecht und Zivilprozessrecht gegenüber dem Strafrecht der Römer den Vorzug gegeben hatte. Erst zu einem späteren Zeitpunkt erwachte sein Interesse an dem noch wenig erforschten Gebiet des Strafrechts, das er wie schon das römische Staatsrecht eher aus juristischer als aus historischer Sicht betrachtete. Seine systematische Rekonstruktion erfasste sowohl das Strafrecht als auch das Strafprozessrecht. Das Ergebnis war so überzeugend, dass die Beschäftigung des ‚Riesen‘ (Mommsen) mit den ‚Pygmäen‘ (das römische Strafrecht), 20 „potrebbe addirittura celebrare

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Ebd., S. 62. Ebd., S. 63. 18 K.-J. Hölkeskamp, Ein Programm als Problem, S. 66 –67. 19 Th. Mommsen, Römisches Strafrecht, Leipzig 1899. 20 S.E. Ferri, La riabilitazione del diritto penale romano, in: Per il XXXV anniversario di F. Serafini, Firenze 1892, S. 45 – 49. 17

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‚le esequie degli studi del diritto romano‘ [...], ovvero segnare la strada (una strada) per la sua ‚risurrezione‘“ 21. Die Edition des spätantiken Codex Theodosianus hatte Mommsen so weit gefördert, dass sie postum im Jahre 1904 erscheinen konnte. 22 Mit dieser Ausgabe befasst sich Boudewijn Sirks. Mommsens Sorge, dass er aufgrund seines Alters seine Arbeit nicht zu Ende bringen könne, hat ihn zur Eile genötigt und in der Rekonstruktion des Textes zu Ungenauigkeiten geführt. Diese wurden von seinem Schüler, Paul Krüger, insbesondere in Bezug auf die Handschrift Parisinus 9643 aufgezeigt. 23 Krüger hat selbst eine Ausgabe in Angriff genommen, die aber unvollendet blieb. 24 Eine neue Edition, die alle Handschriften vollständig berücksichtigte, könnte sicherlich die bisher bekannte Überlieferung besser abbilden. Doch Sirks kommt zu dem Ergebnis: „Einigermassen verbesserungsfähig ist sie – aber welche Edition ist das nicht, da hundert Jahre später die paläographischen Methoden fortgeschritten sind? – Aber so lange nicht eine neue Handschrift auftaucht, wird sie uns gute Dienste leisten“. 25 Philippe Blaudeau unterstreicht die Bedeutung der Mommsenschen Edition des Codex Theodosianus für die Erforschung der Spätantike und verweist zugleich auf sein letztes, interdisziplinär angelegtes Grossprojekt, die Prosopographie der Spätantike, die ein grundlegendes personenkundliches Arbeitsinstrument für Profan- und Kirchenhistoriker sowie Theologen und Philologen erstellen wollte. Noch der alte Mommsen gab der Erforschung des spätrömischen Reiches entscheidende Impulse: „Il revient à Mommsen, mieux que quiconque, d’avoir su en faire ressurgir l’intérêt au moment même où il énonçait le regret de n’avoir su lui-même se dédier totalement à l’étude d’une Antiquité tardive dont il n’avait jamais méconnu l’importance des sources“. 26 IV. Für den Band hat Gisela Hillner dankenswerter Weise ihre deutsche Übersetzung von Mommsens in lateinischer Sprache verfasster Inauguraldissertation 21

C. Masi Doria, Il gigante e i pigmei, S. 119. Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis et leges Novellae ad Theodosianum pertinentes. Consilio et auctoritate Academiae litterarum regiae Borussiae ediderunt Th. Mommsen et Paulus M. Meyer, Berlin 1905. 23 P. Krüger, Codicis Theodosiani fragmenta Taurinensia (Berlin 1879) Bd. 2. 24 P. Krüger, Codex Theodosianus, Fasc. 1, Liber 1 – 6 (Berlin 1923), Fasc. 2, Liber 7 –8, Berlin 1926. 25 B. Sirks, Mommsen und der Theodosianus, S. 135. 26 P. Blaudeau, Faire de l’histoire romaine avec l’édition mommsénienne du Code Théodosien, S. 154. 22

Einleitung

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zur Verfügung gestellt. 27 Mommsens Studie besteht aus zwei miteinander verbundenen, inhaltlich jedoch unabhängigen Untersuchungen. Der erste Teil widmet sich dem Gesetz über die Amtsschreiber, Amtsboten und Herolde, der zweite ist eine Abhandlung über den Begriff der auctoritas, den Mommsen auf seinen Ursprung und vor allem auf seine Bedeutung im Zwölftafelgesetz hin gründlich untersuchte. Die romanistische Arbeit zeigt den Juristen, der sich zur Lösung genuin rechtshistorischer Probleme epigraphischen und literarischen Quellen zuwendet, die nur durch die philologische Methode zu erschliessen sind und deren überzeugende Auswertung historische Fragestellungen einschliesst. Pointiert formulierte der junge Mommsen in der 14. These, dass der Jurist vom Philologen lernen könne. Er hat diese grundlegende Erkenntnis in allen seinen späteren Arbeiten immer berücksichtigt. V. Die Herausgeberin und der Herausgeber sind dankbar, dass der vorliegende Band in die Reihe ‚Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen‘ aufgenommen werden konnte. Sie bedanken sich auch bei Jasmin Welte für die sorgfältige Unterstützung bei der Drucklegung des Bandes sowie bei Eva Aeschbacher, Cynthia Bruschi, Christine Kocher und Tanja Zbinden für ihre Hilfe bei der Organisation der Tagung. Ein besonders herzlicher Dank soll an dieser Stelle an Prof. Dr. Bruno Huwiler gehen. Die finanziellen Mittel, die er dem Romanistischen Institut nach seiner Pensionierung vermacht hat, haben die Veranstaltung ermöglicht.

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Vgl. Theodor Mommsen, Gesammelte Schriften, Bd. 3, Berlin 1907, S. 455 –466.

non quia ius, sed quia Romanum − Mommsen und die Rechtswissenschaft seiner Zeit Von Wolfgang Ernst I. Einleitung 1. Das „enzyklopädische Genie“ als Problem der Wissenschaftsgeschichte Wie in einer Inschrift hat Rudolf Borchardt Theodor Mommsen gewürdigt: 1 „Geboren 1812 [sic] zu Garding, gestorben zu Berlin 1903, das größte seit Leibniz aus Deutschland hervorgegangene enzyklopädische Genie, als Jurist und Historiker, Philologe und Organisator geistiger Arbeit, als Forscher und Künstler gleichmäßig eine Epoche darstellend, der Schöpfer der modernen Akademie der Wissenschaften als eines Organismus zur Bewältigung des einzeln nicht zu Bewältigenden, in der Geschichte Roms [...] die deutsche Poesie auf einen neuen Schauplatz der Gestaltung führend, aber [...] auch die Forschung aus dem Fundamente erneuernd, hat er durch sechs Jahrzehnte seines Lebens nichts angerührt, was er nicht durchleuchtet hinter sich gelassen hätte und der Wissenschaft die Antike als einen von Geistesgaben neuer Stufe aufgeschlossenen und dominierten Kulturraum, der Phantasie der ganzen Menschheit Gestaltenwelten hinterlassen, die vor ihm nicht bestanden.“

Schaut eine spätere Zeit auf das Wirken eines enzyklopädischen Genies zurück, um dieses Wort aufzugreifen, stellt es das Grundproblem dar, dass seine Wirksamkeit in die Zuständigkeit von verschiedenen Fachdisziplinen fällt. Von keiner der einzelnen Fachdisziplinen aus kann das enzyklopädische Genie in seiner Gesamtheit in den Blick genommen werden. Es besteht sogar die Gefahr, dass die verschiedenen Seiten des enzyklopädischen Genies gegeneinander ausgespielt werden. Auch bei Mommsen darf es nicht darum gehen, den Historiker gegen den Juristen auszuspielen, den Numismatiker gegen den homo politicus, den Journalisten gegen den Epigraphiker, den Wissenschaftsorganisator gegen den Meister der deutschen Sprache.

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Deutsche Denkreden, besorgt von R. Borchardt, 1925, S. 465.

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Wolfgang Ernst

Theodor Mommsen war der Verfechter einer integralen Altertumswissenschaft, die – zusammengehalten durch deren vollständige Quellenbasis und die zu deren Erschließung sachtauglichen Methoden – die Fachgrenzen überwinden soll. Jenseits all der von ihm durchgeführten oder organisierten Projekte dürfte dies der bedeutendste Anstoß sein, den er gegeben hat. Mit den folgenden Betrachtungen geht es darum, die Bedeutung Mommsens auf den verschiedenen Feldern der Rechtswissenschaft – nämlich im Bereich der antiken Rechtsgeschichte, ebenso aber auch im Bereich des modernen Rechts – vor Augen zu führen. 2. Ausbildung zum Juristen und Tätigkeit als Rechtslehrer Isolieren wir in Mommsens Biographie 2 die Elemente, die sich im Bereich der Rechtswissenschaft abgespielt haben. Mommsen studierte Rechtswissenschaft von 1838 an in Kiel. Dort wurde er 1843 auch zum Doktor beider Rechte promoviert. Die Dissertation hat römisches Recht zum Gegenstand. 3 Sie besteht aus zwei Teilen. Der größere Teil behandelt die auctoritas-Haftung, für deren Rekonstruktion – sie ist bekanntlich in der justinianischen Kodifikation getilgt worden 4 – Mommsen stark auf literarische Quellen zurückgreift. Es geht, wenn man so will, um ein Kerninstitut des römischen Privatrechts, freilich um ein solches, das in der Wirkungsgeschichte des römischen Rechts gerade keine Rolle gespielt hat. Dem Thema fehlt also, wie man heute sagen würde, jede applikative Rechtsbedeutung. Der kleinere Teil der Dissertation widmet sich einem weiteren antiquarischen Thema, dieses Mal aus dem römischen Staatsrecht, nämlich dem Gesetz über die Amtsschreiber, Amtsboten und Herolde. 5 Die Professuren, die Mommsen innehatte (ab 1848 in Leipzig; ab 1852 in Zürich, ab 1854 in Breslau), 2 Es darf insgesamt verwiesen werden auf S. Rebenich, Theodor Mommsen. Eine Biographie, München 2002; seither kurz, aber instruktiv, F. Sturm, Theodor Mommsen. Gedanken zu Leben und Werk des großen deutschen Rechtshistorikers, Karlsruhe / Baden 2006. 3 Ad legem de scribis et viatoribus et de auctoritate commentationes duae quas pro summis in utroque iure honoribus rite obtinendis auctoritate illustris Ictorum ordinis in Academia Christiana – Albertina die VIII. mensis Novembris a. MDCCCXLIII hora XI in auditorio maiori publice defensurus est Theodorus Mommsen Oldesloensis. Kiliae, ex Officina C. F. Mohr. 1843. Eine Übersetzung der Dissertation durch G. Hillner ist diesem Band im Anhang beigegeben. 4 s. R. Brägger, Actio auctoritatis, Berlin 2012, S. 19 ff. 5 Dieser (erste) Teil wurde (mit leichten Änderungen) wieder abgedruckt in den Neuen kritischen Jahrbüchern für deutsche Rechtswissenschaft III/5 = Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft VIII, Bd. 15, 1844, S. 475 f. Die gesamte Dissertation wurde in die Gesammelten Schriften III (= Juristischen Schriften, Bd. 3), 1907, S. 455 ff., aufgenommen.

Mommsen und die Rechtswissenschaft seiner Zeit

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waren Professuren an juristischen Fakultäten. Im Jahre 1858, Mommsen war erst 41 Jahre alt, verließ er aufgrund der ihm angetragenen Forschungsprofessur an der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin den institutionalisierten Ausbildungsbereich der Rechtswissenschaft. II. Mommsen und die historische Rechtsschule 1. Die historische Rechtsschule Kurz sei hier umrissen, was mit dem Stichwort historische Rechtsschule gemeint ist. 6 Im Kern steckt die schon im 18. Jahrhundert vordringende, neuhumanistische Überzeugung, dass es sich beim Recht um ein historisch gewordenes, sich „organisch“ entwickelndes Sozialphänomen handelt, dessen wissenschaftliche Erschließung dem entsprechend durch Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte zu erfolgen habe – und nicht etwa durch deduktive Ableitungen aus allgemeinen, natur- oder vernunftrechtlichen Prinzipien. Zum Durchbruch kommt diese Sichtweise durch das Wirken Friedrich Carl von Savignys, von dem noch besonders die Rede sein muss. Die Ansicht, Recht könne nur vor dem Hintergrund seiner Entwicklungsgeschichte verstanden werden, brachte eine enorme Belebung des historischen Interesses am römischen (und dann auch am germanischen) Recht sowie an der Entwicklung des gelehrten Rechts seit dem Hochmittelalter. Die Erforschung gerade auch der mittelalterlichen Überlieferung des römischen Rechts hatte eine Schlüsselstellung, weil nur durch sie eine geschlossene evolutionäre Geschichte vom römischen Recht bis in das 19. Jahrhundert hinein erzählt werden konnte. Es gibt ein Cliché, wonach die althistorische Forschung, die unter dem Namen der historischen Rechtsschule betrieben wurde, durch deren Grundanliegen gleichsam kompromittiert gewesen sei: Man denkt, weil eine Kontinuitäts- oder Evolutionsvorstellung im Hintergrund gestanden habe, hätte man keine unvoreingenommene kritische Forschung am antiken Forschungsgegenstand vornehmen können. In Wirklichkeit hat die Historizität, die unvoreingenommene Hinwendung zu den Quellen, Qualität und Erfolg gezeigt wie niemals zuvor; die neuhumanistische Antikenforschung schloss an die Vorgänger des Humanismus an und überflügelte sie. Der Mann, der als Gründer und „Haupt“ der historischen Rechtsschule gilt, Friedrich Carl von Savigny, 7 erhob aber einen noch weiter gehenden Anspruch. Es ging um die Frage, welches Recht für die Ordnung der Privatgesellschaft des 6 s. statt aller H.P. Haferkamp, Stichwort „Historische Rechtsschule“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 5, 2007, Sp. 498 ff. m. Nachw. 7 Die Lit. zu Savigny ist unüberschaubar geworden. Hingewiesen sei an dieser Stelle auf D. Nörr, „Savigny, Friedrich Carl von“, in: Neue Deutsche Biographie 22, 2005, S. 470−473 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de / pnd118605909.html; J. Rückert, Savigny-Studien, Frankfurt a. M. 2011, sowie auf die an-

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19. Jahrhunderts am besten geeignet sei. Savigny vertrat den Standpunkt, ein systematisch durcharbeitetes, historisch verstandenes römisches Recht eigne sich auch für die Gegenwart am besten. Er eröffnete damit verschiedene Konflikte. Am heftigsten war der Streit mit den Befürwortern einer einheitlichen deutschen Kodifikation des Privatrechts nach dem Vorbild des französischen Code civil, der die Geltung des römischen Rechts in Frankreich – dort bekanntlich auf die südliche Landeshälfte beschränkt – beendet hatte. Aber auch Österreich und Preußen, zwei weitere Großmächte, waren bereits vom römischen Recht zu nationalstaatlichen Kodifikationen des Privatrechts übergegangen. Der sogenannte Kodifikationsstreit war mit der Frage der staatlichen Einigung Deutschlands verflochten, denn die Kodifikation, die etwa von Thibaut gefordert worden war, 8 sollte als gesamtdeutsche Kodifikation einen entscheidenden Schritt hin zum deutschen Nationalstaat markieren. Es ging also auch um die Idee der deutschen Einheit, für die das einheitliche, deutsche Zivilgesetzbuch als wesentlicher Ausdruck gelten konnte. Der savignysche Widerstand gegen die Kodifikation ließ sich also auch als Verteidigung der Kleinstaaterei und damit des ancien régime deuten. Indem Savigny dem Gesetzgeber – also den Gesetzgebern in den deutschen Territorien – die Berufung dafür absprach, das Zivilrecht zu kodifizieren, bekam das Anliegen der historischen Rechtsschule einen gewissen apolitischen Affekt. Wohl sollte der Gesetzgeber für das sogenannte politische Element im Recht zuständig sein – als Beispiel sei genannt die Frage der Voraussetzungen für die Ehescheidung –, er sollte sich aber auf dieses politische Element auch beschränken und das technische Element der Rechtswissenschaft überlassen. 9 Dies war kein bloß theoretisches Postulat, sondern hatte ein konkretes Vorbild in den Verhältnissen seit dem Hochmittelalter, indem die universitäre Rechtswissenschaft, die das systematische Ganze des Rechts ins Auge fasste, mit nur punktuell aktiven Gesetzgebern zusammenspielte. Auf die Möglichkeit, dass die allgemeine romantische Hinwendung zum Mittelalter das Gedankengut der historischen Rechtsschule begünstigt oder beeinflusst haben mag, sei hier nur am Rande hingewiesen. Schließlich war die Fokussierung auf das römische, damit auf das gelehrte Recht bei Savigny noch zentral mit dem wissenssoziologischen Gedanken der arbeitsteiligen Professionalisierung verbunden: Die Handhabung des Rechts wurde gekündigte Savigny-Biographie desselben Autors; andere Akzente setzt jetzt B. Lahusen, Alles Recht geht vom Volksgeist aus. Friedrich Carl von Savigny und die moderne Rechtswissenschaft, Berlin 2012. 8 H.F.J. Thibaut, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, Heidelberg 1814. 9 Dazu insb. H.H. Jakobs, Wissenschaft und Gesetzgebung im bürgerlichen Recht nach der Rechtsquellenlehre des 19. Jahrhunderts, Paderborn 1983.

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als Sache eines gelehrten Juristenstandes angesehen. „Juristenrecht“ löse zwangsläufig das urwüchsige „Volksrecht“ ab. Damit entstand ein Gegensatz zu denjenigen, die dem Volkstümlichen im Recht eine hohe Bedeutung zumaßen. In Deutschland sahen viele den germanischen Anteil am Rechtswesen gefährdet. Erst später hat sich dann auch die Germanistik in weiten Teilen für die Methoden und Ziele der historischen Rechtsschule gewinnen lassen. Um die Grundausrichtungen: nationalstaatliche deutsche Kodifikation einerseits, organische wissenschaftliche Fortentwicklung und Systematisierung des römisch geprägten Rechtsbestandes andererseits, wurde mit großer Heftigkeit gestritten. Die historische Rechtsschule gewann in der akademischen Welt die Überhand. Es ist in erster Linie ihr Verdienst, dass sich im 19. Jahrhundert eine Blütezeit der Rechtswissenschaft anschloss. 2. Mommsen und Savigny Als Mommsen Mitte der vierziger Jahre in den Bereich der fachöffentlichen Wahrnehmung trat, war Savigny, der die 60 überschritten hatte, preußischer „Minister für Revision der Gesetzgebung“; die eigentliche akademische Karriere lag hinter ihm. Er arbeitete an dem „System des heutigen römischen Rechts“, einer auf das Gegenwartsrecht abzielenden Darstellung. Savigny hat die außerordentliche Befähigung des jungen Mommsen sogleich erkannt, als dieser für die Fachöffentlichkeit wahrnehmbar wurde, und er hat Mommsen in wesentlichen Momenten seiner Laufbahn entscheidend gefördert. 10 Savigny sorgte 1844 für eine Aufbesserung / Verlängerung des Reisestipendiums, das Mommsen die Aufnahme seiner epigraphischen Forschungen in Italien ermöglichte, wobei Savigny Mommsen auch das Jahresgehalt abtrat, das ihm als Mitglied der Preußischen Akademie zustand. Savigny hat sich sodann zusammen mit Gerhard, Jacob Grimm, Lachmann und Bekker in der Akademie dafür eingesetzt, dass Mommsen (und nicht August Wilhelm Zumpt) die endgültige Redaktion des Corpus Inscriptionum Latinarum übertragen wurde, und damit schließlich den Widerstand von Boeckh, Dirksen und Meinecke überwunden. Während Savigny tatkräftig zugunsten Mommsens wirkte, war das Verhältnis von Mommsens Seite deutlich kühler. Man kann sich leicht vorstellen, dass der in die preußische Obrigkeit integrierte Staatsmann Savigny, als Repräsentant des höfischen „Establishments“, Mommsen, dem der freie Bürger als das erstrebenswerte Vorbild galt, eher abstieß als anzog.

10 Die folgenden Ausführungen beruhen auf I. Stahlmann, Friedrich Carl von Savigny und Theodor Mommsen, in: P. Kneissel / V. Losemann (Hrsg.), Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Christ zum 65. Geburtstag, Darmstadt 1988, S. 464 ff.

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Ein fachlicher Austausch zwischen Mommsen und Savigny ergab sich hinsichtlich der römischen Geldgeschichte, als Mommsen 1850 seine Arbeit zum Römischen Münzwesen veröffentlichte, 11 während Savigny seine Arbeit am ersten Band des Obligationenrechts beendete, der zu einem erheblichen Teil der Geldschuld gewidmet ist (erschienen 1851). 12 Savigny schickte Mommsen schon im Oktober 1850 ausführliche Bemerkungen zu dessen Werk, woraufhin Mommsen in einem langen Brief vom April 1851 seine Darstellung verteidigte. 13 Grob gesagt ging es darum, dass Savigny in der Entstehung des Geldes die Standardisierung von Gewichten betonte, während Mommsen das Wesentliche in der Bestimmung einer „unit of account“ sah; diese Sichtweise gilt als „moderner“, weil damit eine Funktion des Geldes isoliert wird, die auch nach vollständigem Übergang zum Zeichengeld von diesem bedient wird, was übrigens bei Mommsen schon vorhergesehen war. Noch in dem Jahr, in dem Savignys Obligationenrecht (Bd. 1) erschien, veröffentlichte Mommsen eine deutlich kritische Rezension, in der er Savignys Kurswertlehre schroff zurückwies. 14 Mommsen war damit einer der Ersten, die Savignys Geldschuldlehre entgegentraten, die sich dann ja auch nicht durchgesetzt hat. Von einer Rücksichtnahme auf das „Haupt“ der historischen Rechtsschule keine Spur. Die harsche Kritik Mommsens an seiner Geldschuldlehre hielt Savigny nicht davon ab, drei Jahre später die Rückkehr Mommsens in den preußischen Staatsdienst zu unterstützen. Ines Stahlmann hat für das Verhältnis der beiden Gelehrten von Mommsen das Wort eines „collegialischen, auf gegenseitiger Achtung beruhenden Friedens“ aufgegriffen: „Die skeptisch-distanzierte Haltung des jungen Mommsen gegenüber dem preußischen Staatsminister scheint im Laufe der Jahre zum einen durch Savignys inhaltlich anteilnehmendes Interesse an seinen Arbeiten [...] relativiert worden zu sein“. 15 Auch abgesehen von den unüberbrückbaren weltanschaulichen Differenzen zwischen beiden Gelehrten eignete sich Mommsen schon an und für sich nicht zum Gefolgsmann irgendeines anderen. Sein Verhältnis zu Savigny war ganz sicher nicht dasjenige eines „Schülers“ zum „Lehrer“; man muss aber auch bezweifeln, ob von Mommsens Seite je etwas von Freundschaft oder auch nur Sympathie mitschwang. 11

s. H. Schubert, Theodor Mommsens „Geschichte des römischen Münzwesens“, Numismatische Nachrichten Blatt 52, 2003, S. 455 ff.; s. auch Mommsens Vortrag vom 7. 2. 1863 über „Das Geld“, in: Reden und Aufsätze, 3. Abdruck, Berlin 1912, S. 245 ff. 12 Zum Geldrecht bei Savigny s. K.-P. Ott, Geld- und Geldwerttheorien im Privatrecht der Industrialisierung (1815−1914). Ökonomische Wechsellagen in der sogenannten Begriffsjurisprudenz, Berlin 1998, S. 113 ff., G. Gruber, Geldwertschwankungen und handelsrechtliche Verträge in Deutschland und Frankreich, Berlin 2002, S. 61 ff. 13 Abgedruckt bei Stahlmann, o. Fn. 10, S. 488 ff. Der Austausch hatte noch andere Sachthemen zum Gegenstand, auf die hier nicht eingegangen wird. 14 Literarisches Centralblatt 1851, Sp. 592 f. = Ges. Schriften III (o. Fn. 5), S. 570 f. 15 Ges. Schriften III (o. Fn. 5), S. 485 f. s. auch A. Heuß, Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert, Kiel 1956, S. 33 ff.

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3. Äußerungen Mommsens zur historischen Schule a) Mommsens Antwort auf Beselers „Volksrecht und Juristenrecht“ (1845) Als früheste Quelle auszuwerten ist die Erwiderung auf Georg Beselers Kampfschrift „Volksrecht und Juristenrecht“, 16 die 1845 erschien. 17 Mommsen greift zwei Thesen Beselers heraus, mit denen er sich auseinandersetzen will: (1.) Das jetzige Recht sei verwerflich. Es sei kein wahres Recht, mit dem das Volk einverstanden wäre, das alte nationale Recht, begraben unter der Last des römischen, müsse wieder auftauchen und lebendig ins Leben eintreten. (2.) Die Ausschließung des Volkes von der Rechtsanwendung sei ein Übel. Mommsen konzediert, die Rezeption des römischen Rechts sei „ein Glied in der großen Kette von Schmach und Elend, eine Verletzung des nationalen Ehrgefühls. Aber ein Unglück des 15. Jahrhunderts ist nicht notwendig eines des 19., das Recht, welches jener Zeit nicht angemessen war, ist vielleicht für die unsrige passend“. 18 Das römische Recht sei in Deutschland auf ein noch formstarkes, bildhaftes und lebendiges heimisches Recht gestoßen – ein echter Gegensatz im Stil der Rechte. Das römische Recht habe die Zeit solch unmittelbarer bildhaft / formstarker Ausprägungen im Zuge seiner Universalisierung längst hinter sich gelassen. Im 19. Jahrhundert nun sei aber auch in Deutschland ein bildhaft / formstarkes Recht gar nicht mehr zeitgemäß. Das römische Recht sei für die gegenwärtige Zeit ein „niedergeschriebenes Vernunftrecht“, eine verständige und praktische Feststellung von Rechtssätzen, die eigentlich auch schon aus der Natur der Verhältnisse entwickelt werden könnten. 19 Im Gegensatz zu der Sichtweise Beselers sei das römische Recht nicht eine Gefährdung, sondern im Gegenteil ein Garant deutscher Rechtseinheit. Im zweiten Kritikpunkt Beselers, in der Frage der Volksbeteiligung in der Rechtsprechung, wird Mommsen noch schärfer. Die beselersche Vorstellung, durch Volksbeteiligung würde sich das nur verschüttete, nicht erstickte „Volksrecht“ wieder zu Geltung bringen, sei eine Chimäre. Dieses angebliche Volksrecht existiere nicht mehr. An dieser Stelle nimmt Mommsen den Topos vom Volksrecht / Juristenrecht auf: Wohl habe es eine Zeit gegeben, wo jeder tüchtige Mann im Volke das Volksrecht gekannt habe. Der Umstand, dass nunmehr die Rechtskenntnisse ein Sondergut der Juristen seien, sei Folge des nur auf die Rechtskunde angewandten Prinzips der Arbeitsteilung: „[w]ie Karl Ritter, der Erdkundige, mit größerer Sicherheit geographische Verhältnisse erkennt als 16

Zu ihr s. F.L. Schäfer, Juristische Germanistik, Frankfurt a. M. 2008, S. 350 ff. Als „Anzeige“ in: Volksbuch für das Jahr 1845 mit besonderer Rücksicht auf die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, S. 117 ff. = Ges. Schriften III (o. Fn. 5), S. 494 ff. 18 Ebd., S. 495. 19 Ebd., S. 496. 17

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der einheimische Bauer, dessen Blick der Horizont begränzt, so wird auch der Rechtskundige besser als der Bauer das innerlich wahre Recht der bäuerlichen Verhältnisse enthüllen“. 20 Nebenbei bricht Mommsen noch eine Lanze für die Juristen. Es sei Unverstand, von der Tyrannei einer Juristenkaste zu sprechen oder die Juristen „unpraktische Stubensitzer“ zu nennen. Nicht zuletzt hätten sich die Juristen um die Verteidigung der Volksrechte, Erkämpfung der Freiheit und in der deutsch-dänischen Auseinandersetzung bewährt. Schließlich wird die Idee der unabhängigen Justiz mobilisiert: Sie sei „ein großartiger Gedanke des neueren Staatsrechts“. 21 In düsteren Farben wird noch auf das Geschworenengericht des Revolutionstribunals der Französischen Revolution verwiesen und ebenso auf die Korruption des Richterkollegiums im römischen Kriminalprozess. b) Mommsens Leipziger Antrittsvorlesung (1848) Die von Mommsen im Oktober 1848 in Leipzig aus Anlass der Übernahme der Professur für Römisches Recht gehaltene Antrittsrede 22 hat die Umsturzbewegung dieses Jahres zum Hintergrund. 23 Gleich zu Beginn wird auf diejenigen Bezug genommen, die dem römischen Recht feindlich gesinnt sind, weil sie in ihm einen Teil der Ordnung sahen, die sie zu überwinden antraten. Mommsen wendet sich gegen die „den Deutschen eigene Ideologie und Sentimentalität“, die dazu führe, dass man das „ursprünglich Deutsche“ überall wiederherstellen wolle, „wenn es auch unserer Gegenwart so fremd geworden ist wie die Sprache der Nibelungen“. Wir sehen Mommsen also auf erste Sicht bei den Vertretern einer Gelehrtenwissenschaft und wir sehen ihn auch in der für die historische Rechtsschule charakteristischen Frontstellung gegen einen Versuch der Wiederbelebung der germanischen Antiquitäten. Mommsen setzt sich sodann mit mehreren Vorwürfen gegen das römische Recht auseinander. Er beginnt mit denen, die im römischen Recht ein Werkzeug der Despotie erkennen wollten. Es ging um die Vorstellung, das römische Zivilrecht sei in einem Polizeistaat entstanden und von dessen Geist beseelt. Nach Mommsen handelt es sich um eine „reine Phrase für das sogenannte Volk und eigentlich eine so einfältige Lüge, dass es unschicklich wäre vor einem mit der

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Ebd., S. 498. Ebd., S. 499. 22 Ges. Schriften III (o. Fn. 5), 580 ff.; s. L. Wickert, Theodor Mommsen, Bd. 3 – Wanderjahre: Leipzig – Zürich – Breslau – Berlin, Frankfurt a. M. 1969, S. 100 ff. 23 Zu Mommsens Haltung im Jahre 1848 s. M. Jessen-Klingenberg, „Die Fürsten sind im Preis gesunken“. Politische Urteile und Forderungen Theodor Mommsens im Revolutionsjahr 1848, in: J. Wiesehöfer (Hrsg.), Theodor Mommsen: Gelehrter, Politiker und Literat, Stuttgart 2005, S. 151 ff. 21

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Geschichte bekannten Publikum zu verweilen“. 24 Das Zivilrecht sei das Werk der freien Römer. Mommsen verweist auf die Freiheit und Formlosigkeit der Grundstücksverpfändung und den XII-Tafel-Satz uti lingua nuncupassit, ita ius esto. Die Freiheit, die das römische Zivilrecht dem Bürger gestatte, bedürfe eher einer Beschränkung unter dem Gesichtspunkt der Solidarität. Sehr viel schwerer tut sich Mommsen mit der Forderung danach, dass das „Zivilrecht ein einheitliches und nationales, d. h. die heutigen Rechtsbegriffe der deutschen Nation als ein systematisch Ganzes darstellendes, sein solle“. Er konstatiert, dass die geschichtliche Forschung im Namen der historischen Rechtsschule zu einer stärkeren Differenzierung der einzelnen Rechtsinstitute geführt habe. Er sieht darin einen Gegensatz zu der der historischen Rechtsschule vorangegangenen Epoche: Im usus modernus habe man historisch unzusammenhängende Institute in ein scheinbares System gebracht. Dieses nur äußerliche Zusammenwerfen unterschiedlicher Materien habe eine nur scheinbare Rechtseinheit gebracht, die von der historischen Schule mit Recht gesprengt worden sei. Das Wirrwarr dieser Literatur habe auch der Praxis geschadet: „Niemals waren die Rechtssätze so unsicher, die Gerichte so geistlos, die Prozesse so unabsehbar und die Advokaten so rabulistisch wie im 18. Jahrhundert.“ Auf diesen Rechtszustand beziehe sich der Satz, wonach „Vernunft zum Unsinn, die Wohltat zur Plage“ geworden sei. Das vernichtende Urteil über die Rechtswissenschaft des 18. Jahrhunderts – ein zentraler Topos der historischen Rechtsschule – führt Mommsen nun unmittelbar zu den Kodifikationen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts: Die Kodifikationen unter Friedrich dem Grossen, Joseph II. und unter Napoleon sieht Mommsen als Reaktion auf den zerrütteten Zustand der Rechtswissenschaft im 18. Jahrhundert. Trotz des Verständnisses, das Mommsen dem Kodifikationsanliegen entgegenbringt, kommt er aber auch insoweit zu einem negativen Urteil: Die Kodifikationen gingen hervor „aus dem Grundirrtum, als könne man das Recht machen; während man das Recht in seinen wesentlichen Teilen doch nur finden kann oder weisen, wie unsere Alten sagten“. Das Recht zu finden, dies könne nicht mehr – wie in der naiven Urzeit der Völker – einfach durch Befragung des erfahrenen Mannes geschehen, sondern „in unseren reflektierenden Zeiten“ nur durch „abgeleitete Rechtweisung“, nämlich durch Erforschung wiedererweckter Rechtsbestände aus der Überlieferung. Hier das Richtige zu leisten, seien die Kodifikationen des 18. und des 19. Jahrhunderts nicht in der Lage gewesen, eben deswegen, weil die Rechtswissenschaft des 18. Jahrhunderts in einen so zerrütteten Zustand geraten war. Dies gelte auch für den französischen Code civil, dem doch immerhin die um mehrere Jahrzehnte fortgeschrittene Entwicklung der Rechtswissenschaft, aber auch der moderne, zentralistische Charakter 24

O. Fn. 22, S. 582.

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des französischen Staates „und der Adlerblick Napoleons“ zugute gekommen seien. Weil die Kodifikationen sich für die Rechtsfindung auf den Wirrwarr des 18. Jahrhunderts hätten verlassen müssen, hätten sie das Recht auch nur sehr mangelhaft gefunden. Mit gutem Grund habe sich die Wissenschaft nicht den neuen Gesetzbüchern untergeordnet, sondern umgekehrt sich dieser Gesetzbücher bemächtigt. Diese Unterordnung der Gesetzgebung unter die Rechtswissenschaft ist ein charakteristisches Gedankengut der historischen Rechtsschule, was hier aber wohlgemerkt (nur) auf die Kodifikationen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts bezogen ist, indem die konkrete Ursache in dem unbefriedigenden Zustand der Rechtswissenschaft der Entstehungszeit gesehen wird. Mommsen spricht sodann vom Neubeginn der Rechtswissenschaft, die sich bemüht, auf die „ursprünglichen Rechtweisungen“ zurückzugehen, seien sie nun ursprünglich römisch, deutsch oder langobardisch, oder kirchenrechtlichen oder kaufmännischen Ursprungs. „Denn der rechtschaffende Geist gehört überall einer früheren produktiven Epoche an; uns bleibt nur das Erkennen und das Reproduzieren.“ 25 Dieser Neuanfang sei im Grunde eine Konkurserklärung über die Masse der Rechtsliteratur des 18. Jahrhunderts gewesen. Der Gedankengang, warum Mommsen den Rückgang auf das, was er die „ursprüngliche Rechtweisung“ bezeichnet, empfiehlt, ist bemerkenswert: Auf diesem Wege sei es möglich, „den juristischen Geist zu beleben und aus der starren Praxis den tötenden Buchstaben zu verbannen“. 26 Es gehe darum, die Rechtsinstitute zu begreifen, wie sie geworden waren, und daher anzuwenden, wie sie waren. Die historische Methode sei also alles andere als unpraktisch, sie sei es vielmehr gewesen, „welche jenen Sinn für die Individualität einer jeden Rechtsinstitution und für ihre entsprechende Anwendung wieder geweckt hat, welche den guten Praktiker macht“. Es gehe um die Erzeugung von „Rechtsinstinkt“, der nun an die Stelle einer Menge von decisiones treten könne: „Das danken wir der historischen Schule.“ In einer Seitenbemerkung würdigt Mommsen die Neubelebung der Forschungen über römische Geschichte, namentlich durch Niebuhr, und er schildert eine wechselseitige Befruchtung zwischen historischer Rechtsschule und erneuerter Antikenforschung. Das also habe die historische Schule für die Rechtswissenschaft erreicht, „dass jede Institution in ihrer Eigentümlichkeit, d. h. in ihrem Werden und ihrem Sein, in ihrer Geschichte und in ihrer praktischen Bedeutung aufgefasst wird“. Nun wendet sich Mommsen wieder der aktuellen Situation des Jahres 1848 zu. Er konstatiert die Forderung der deutschen Nation nach einem einheitlichen und nationalen Zivilrecht und er anerkennt, dass diese Forderung, gerichtet an die Rechtsgelehrten, „größeres Recht als je“ habe. Er formuliert die Aufgabe ge25 26

O. Fn. 22, S. 585. O. Fn. 22, S. 586.

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nauer wie folgt: Aus dem ungeheuren Material müsse das Geschichtliche ganz ausgeschieden werden und es sei das praktische Zivilrecht in ein systematisches Rechtsgebäude zusammenzufassen, „sodass jede einzelne Institution sowohl in ihrer durch historische Studien erforschten Individualität als im Einklange mit dem ganzen Rechtssystem erscheint und dieses Rechtssystem zugleich die Quintessenz der historischen Rechtsforschung und der methodische Ausdruck der gegenwärtigen Rechtsbegriffe sein wird“. Wegen der Größe der Aufgabe verweist Mommsen auf die Notwendigkeit, es müssten viele Gleichgesinnte zusammenarbeiten; hier klingt schon der Wissenschaftsorganisator an, zu dem Mommsen später werden sollte. Zugleich ist bereits das Programm vorweggenommen, das man sich Jahrzehnte später mit der Schaffung eines deutschen BGB vorgenommen hat; hierauf ist noch zurückzukommen. 27 Mommsen sah hier eine Auseinanderentwicklung voraus, indem das römische Recht einerseits geschichtlich, andererseits praktisch behandelt werden müsse: Die Entwicklung des Systems des praktischen Zivilrechts werde zwar im Wesentlichen noch auf dem heutigen römischen Recht beruhen, es werde aber ebenso alle deutschrechtlichen und anderswoher rezipierten Rechtsinstitute einschließen, weil es doch ein das Ganze umfassendes System bilden müsse. Eine wesentliche Voraussetzung sei indes noch zu schaffen: Es brauche eine gemeinsame deutsche Rechtsetzung und eine gemeinsame deutsche Praxis. Bis es dahin komme, bleibe es bei den Partikularrechten. Für diese Zeit − Mommsen sah richtig, dass es um eine Restzeit ging – in dieser Restzeit also bilde das römische Recht für die verschiedenen deutschen Staaten „nur sozusagen ein ius gentium“, „das zwar den Geist und Kern aller Partikularrechte ausmacht, aber in vielen Fällen für seine Anwendung im Detail seine äußerliche Vollführung, seine polizeiliche und formale Limitation in den Gesetzen der Einzelstaaten findet“. 28 Angesichts der fehlenden äußerlichen Rechtseinheit für Deutschland sei das römische Recht sogar besonders bedeutsam, weil eine „innerliche Rechtseinheit“ befördert werden könne „durch die möglichst tiefe, ihre Wahrhaftigkeit an der Geschichte erprobenden Forschung der Grundbegriffe des Rechts, vor allem des römischen“. Der Vortrag aus dem Jahre 1848 schließt mit fachmännischen Erläuterungen zum nexum, die hier nicht wiedergegeben werden müssen. c) Der Züricher Vortrag (1852) Der vier Jahre später in Zürich gehaltene Vortrag 29 betrachtet die Frage nach der Bedeutung des römischen Rechts auch von der Seite des Rechtsunterrichts 27 28 29

Unten III. 3. O. Fn. 22, S. 588. Ges. Schriften III (o. Fn. 5), S. 592 ff.

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her. Mommsen konstatiert zunächst, dass das, was noch Gegenstand der akademischen Studien vom römischen Recht ist, nur einen kleinen Teil der römischen Rechtssätze ausmache. Staats- und Sakralrecht, Strafrecht und Familienrecht seien ausgeschieden; das Prozessrecht würde „mit Recht nur so weit in den akademischen Vorträgen berücksichtigt, als die Kenntnis der Rechtspflege Licht wirft auf die der Rechtssätze“. Was bleibe, als Teil des akademischen Studiums, sei das römische Vermögensrecht. Das Vermögensrecht sei weniger zeit- und nationalitätenabhängig als die anderen Rechtsgebiete. Eigentum und Obligation, Universalsukzession und Testament, Pfandrecht, Servitut und Vormundschaft beruhten weitgehend auf allgemeinen und überall sich geltend machenden Bedürfnissen des Verkehrs. Durch die jahrhundertelange Beeinflussung europäischer Rechtsordnungen durch das römische Recht hätten auch die Rechtsinstitute, die an sich in verschiedener Weise aufgefasst werden könnten, ein römisches Gepräge angenommen. Auch ganz neue Rechtsfiguren ließen sich in das römische Vermögensrecht integrieren. Als Beispiel wird genannt der Wechsel, den man an die strengrechtliche römische Obligation anbinden könne. Wenngleich auch Nebensachen, insbesondere Formvorschriften wechselten, so bestünde „zwischen dem gemeinen Vermögensrecht, welches die Zivilisation des Altertums entwickelt hat, und dem, welches die gegenwärtige Kulturepoche gestaltet, ein praktischer und theoretischer Gegensatz nicht“. 30 Daher könne sich das jüngere Recht sehr wohl an dem älteren und durch das ältere bilden. Die praktische Sicht dürfe nicht zu oberflächlich werden, indem man z. B. frage, ob und wann der Kaufbrief auf Stempelpapier ausgestellt werden muss; dergleichen erfahre man aus den Pandekten nicht: „Wer dagegen der Meinung ist, dass das Wesentliche des Kaufvertrages das Kaufen sei, wird nicht fürchten den praktischen Sinn einzubüssen, wenn er hierüber bei Gaius und Ulpian in die Schule geht.“ Mommsen spricht von einer mittelbaren praktischen Stellung des römischen Rechts. Sodann beantwortet Mommsen die Frage, ob nicht anstelle des römischen Rechts ein anderes, ein partikulares Recht die Substanz abgeben könne, mit der die geschichtliche Entwicklung des abstrakten Vermögensrechts zu erfassen sei. Er verwirft die mögliche Antwort, das römische Recht sei „von allen auf der Welt das beste und vollkommenste“. Zur Verdeutlichung beleuchtet er einige dunkle Kapitel der römischen Rechtsordnung, etwa das Pfand- und Hypothekenwesen. Eine Sonderstellung sei für das römische Recht vielleicht dadurch zu vindizieren, dass es in den zurückliegenden Jahrhunderten alle Lokalrechte beeinflusst habe. Aber die Hauptsache sei eine andere: Im römischen Recht vereinigten sich die beiden höchsten Vorzüge der Rechtsentwicklung, nämlich der nationale Ursprung und die universelle Entwicklung. Auf den nationalen Ursprung als ein gewöhnliches Staatsrecht mit volkstümlichen Grundlagen führt Mommsen zurück die große Einfachheit, die Klarheit und Sicherheit der Grundinstitutionen. Auf dieser Grundlage sei es dem römischen Volk vergönnt gewesen, ihr Recht zu 30

Ebd., S. 594.

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einem Recht aller Nationen fortzubilden. Mit der Ausweitung von der Stadt über Italien auf den römischen Erdkreis sei das quiritische Recht zugunsten des ius gentium zurückgetreten, steigende Kultur habe sinnliche Formalitäten abgestreift „und also entstand dies wunderbare, zugleich nationale und universelle, zugleich konkrete und abstrakte Recht des Altertums, das in Schlichtheit, Feinheit und Fülle schwerlich übertroffen werden kann“. 31 Nun wendet sich Mommsen dem Vermögensrecht seiner Zeit zu: Er sieht, wie bereits in dem Vortrag von 1848, die Aufgabe darin, das Historische, Veraltete auszuscheiden und das Lebendige und Lebensfähige zu ergänzen und zu systematisieren. Mit großer Deutlichkeit spricht er dabei aus, dass es sich um eine nationale Aufgabe handelt, der die Kleinstaaterei in Deutschland (wie in der Schweiz) entgegensteht. Geradezu prophetisch nimmt es sich aus, dass Mommsen über die Nationalstaatlichkeit hinausdenkt und ein internationales Vermögensrecht in den Blick nimmt, „dessen wesentlichste Keime einerseits das internationale Handelsrecht, andererseits das alte römische Recht der Völker sein werde[n]“. 32 In Schlussbemerkungen kehrt Mommsen zum Rechtsstudium zurück. „Alle Wissenschaft ist Luxus wie alle Kunst.“ Unter diesem Motto bekennt sich Mommsen dazu, dass der Student nicht bloß praktisch für äußere Bedürfnisse abgerichtet werden soll, vielmehr wolle man dem Studenten zeigen, wie es zum heutigen Rechtszustand gekommen ist, und an der Mannigfaltigkeit der Rechtsentwicklung soll seine juristische Phantasie, an der Unveränderlichkeit des Kerns der Rechtsinstitution sein Sinn für rechtliche Konsequenz und an der Entwicklung des Details seine Gewandtheit in der Handhabe des juristischen Netzes „geweckt werden“. Nach einem Beispiel – es geht um das geänderte Konsensverständnis bei den Verträgen, durch die Dauerschuldverhältnisse begründet werden – findet Mommsen: „So kommt [...] die Einsicht in das innere Räderwerk des Rechts und in die antiquierten Institutionen den Bedürfnissen der Praxis entgegen und es ist vielleicht mehr als eine paradoxe Behauptung, dass der Entwicklung eines wirklichen und lebendigen gemeinen Zivilrechts durch nichts mehr Vorschub geschieht, als durch die historische Erforschung eines jeden einzelnen Rechtssatzes.“ 33 Am Schluss der Praefatio zur großen Digestenausgabe hat Mommsen 1870 die Eignung des römischen Rechts zu einer gehobenen akademischen Rechtsbildung nochmals hervorgehoben: Durch das Studium des römischen Rechts verhindere man, dass der Geist eines jungen Menschen aus der freien Regung sogleich in die Fesseln der Niedrigkeit hinuntergerissen wird, aber es sei das römische Recht dem Leben doch nicht so fremd, dass der Übergang für den so Geschulten in 31 32 33

Ebd., S. 597. Ebd., S. 598. Ebd., S. 600.

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den wirklichen Dienst am Recht zu schwierig würde. 34 Das römische Recht hat, so kann man Mommsen paraphrasieren, für den akademischen Unterricht sozusagen den richtigen Abstraktionsgrad, es hält die gute Mitte zwischen den ganz zufälligen Details örtlicher Rechtsgepflogenheiten und hochfliegenden Ansätzen metajuristischer Art. III. Das rechtswissenschaftliche Element in Mommsens Werken 1. Mommsen kein „Pandektist“ Sehen wir nun zu, wie sich Mommsens Werke zur Rechtswissenschaft seiner Zeit verhalten. Es fällt sogleich auf, wie grundsätzlich sich das „Publikationsprofil“ Mommsens von dem eines durchschnittlichen „Pandektisten“ der historischen Rechtsschule unterschied: Hier streng quellengestützte Beiträge zur Altertumswissenschaft, in denen das juristische Element in seiner einstmaligen lebensweltlichen Verquickung mit den sozialen und kulturellen Bedingungen der römischen Antike auftritt – dort Arbeiten am System des Privatrechts und an der Behandlung von einzelnen Rechtsinstituten oder Streitfragen unter Einbeziehung vor allem der römischen Rechtsliteratur und / oder der Entwicklungsgeschichte seit dem Hochmittelalter. Man hat nicht nur die zahlreichen Lehrbücher zum Pandektenrecht zu bedenken, sondern auch die zahllosen Studien, die im Fortgang des 19. Jahrhunderts zu Themen des antiken römischen Rechts erarbeitet wurden, besonders im Zusammenhang mit den Erkenntnissen und Hinweisen, die sich aus den Institutionen des Gaius erzielen ließen. Erst vor diesem „Normalprofil“ der Rechtswissenschaftler des 19. Jahrhunderts wird recht deutlich, wie kompromisslos und unabhängig Mommsen seine eigene Forschungsagenda bestimmt hat. Betrachtet man die Generation, der Mommsen angehörte, wird man Wenige finden, die sich mit vergleichbarer Ausschließlichkeit antiken Themen gewidmet haben – Huschke wäre ein Name –, wobei die Integration der Rechtsgeschichte in eine durch die gemeinsame Quellenbasis definierte, allgemeine Altertumsforschung ein Programm wohl überhaupt nur Mommsens war. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, einmal zu untersuchen, inwieweit Mommsen mit seinem Programm – gerade auch in der Entgegenstellung zu einer fachjuristisch betriebenen Rechtsgeschichte – für die an den juristischen Fakultäten betriebene romanistische Forschung des 20. Jahrhunderts als Vorbild weitergewirkt hat.

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Praefatio, S. 70.

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2. Die Digestenedition als juristisches Werk Wenn man nach dem „eigentlich“ Juristischen in Mommsens Werk fragt, wird man zunächst an das „Römische Staatsrecht“ und an das „Römische Strafrecht“ denken. Der Frage, inwiefern das „Römische Staatsrecht“ 35 das Werk eines Juristen ist, ist Wolfgang Kunkel in einem Vortrag 1962 nachgegangen; 36 sie wird hier nicht noch einmal aufgenommen. 37 Auch das „Römische Strafrecht“ soll hier ebenfalls nicht weiter behandelt werden. 38 Übrigens liegt schon in der Wahl dieser beiden Themenfelder eine gewisse Abstandnahme vom romanistischen „mainstream“, der sich von jeher in immer neuen Anläufen der reizvollen Figuren des Privatrechts angenommen und darüber das antike Strafwie das Staatsrecht eher hat links liegen lassen. Die von Mommsen gewählten Forschungsgegenstände zeichnen sich überdies durch eine starke Wechselwirkung mit den antiken Staats- und Gesellschaftsverhältnissen aus und erheischen daher eine integrale Behandlung, während die Wiedervornahme von Glasperlenspielen der römischen Juristen oft zu einer „dekontextualisierten“ Diskussion einlädt. Wenn man nach dem Juristischen in Mommsens Werk fragt, darf indes die Edition der Digesten nicht übergangen werden. Auf sie sei hier besonders eingegangen. Es geht dabei nicht um eine umfassende Würdigung dieser editorischen Großleistung Mommsens, die ihn auf das Gebiet der mittelalterlichen Textüberlieferung führte (was vielleicht erklären mag, dass ihr vergleichsweise mehr und schärfere Kritik entgegengesetzt wurde als anderen seiner Arbeiten). 39 Hier soll 35

Zu Mommsens Staatsrecht s. die Beiträge in: W. Nippel / B. Seidensticker (Hrsg.), Theodor Mommsens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung (Spudasmata 107), Hildesheim 2005. 36 W. Kunkel, Theodor Mommsen als Jurist, in: Chiron 14, 1984, S. 369 ff. 37 s. zuletzt W. Nippel, Der „Antiquarische Bauplatz“. Theodor Mommsens Römisches Staatsrecht, in: J. Wiesehöfer (Hrsg.), Theodor Mommsen (o. Fn. 23), S. 165 ff.; ders., Geschichte und System in Mommsens Staatsrecht, in: H. M. von Kaenel u. a. (Hrsg.), Geldgeschichte vs. Numismatik. Theodor Mommsen und die antike Münze, Berlin 2004, S. 215 ff.; s. in diesem Band den Beitrag von Hölkeskamp. 38 s. zuletzt U. Ebert, „Strafrecht ohne Strafprozess ist ein Messergriff ohne Klinge“ – Theodor Mommsen und das Römische Strafrecht, in: J. Wiesehöfer (Hrsg.), Theodor Mommsen (o. Fn. 23), S. 51 ff.; s. in diesem Band den Beitrag von Masi Doria. 39 In der Literatur stehen sich seit rund hundert Jahren höchstes Lob und heftige Kritik gegenüber. Hier sei ganz einseitig eine einzige Wertung herausgegriffen, diejenige von H. E. Troje: „Je mehr man sich in Mommsens Digestenedition samt deren praefationes, Apparaten und Anlagen vertieft, desto mehr wird man von dem hier Geleisteten beeindruckt“, Ubi in libro Florentino duae lectiones inveniuntur ... Zur Geschichte der Digesteneditionen (16.−19. Jhdt.), TR 72 (2004) S. 61 ff. m. Nachw.; s. auch den Beitrag von J. G. Wolf in diesem Band. Der Zugang zu Mommsens Praefationes und den beigegebenen Anhängen – und damit auch die Auseinandersetzung mit Mommsens Editionstechnik − wird durch Übersetzungen von G. Hillner erleichtert, die in den vergangenen Jah-

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nur bedacht werden, inwiefern juristische Kompetenz und juristisches Interesse für die Edition bedeutsam geworden sind und wie diese Edition in das juristische Umfeld des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts einzuordnen ist. Hans Delbrück hat in die Geschichtsforschung den Begriff der „Sachkritik“ eingeführt und dieses Konzept hat seine Berechtigung auch in der Edition von und im Umgang mit fachjuristischen Texten der Antike: Was der Text aussagt, muss sich als etwas „juristisch Mögliches“ verstehen lassen, es muss zu den „rechtlichen Bedingungen“ der Entstehungszeit passen und als Ergebnis juristischer Gedankenleistung – erbracht im Rahmen der römischen Rechtswelt – nachvollziehbar sein. Man könnte von einer „juristischen Sachkritik“ sprechen, die die Textkritik komplementieren muss. Die Befähigung zu dieser Sachkritik setzt eine gewisse Einübung in das juristische Denken voraus und so sind in der Edition eines Textes wie desjenigen der Digesten Philologie und Jurisprudenz von vornherein aufeinander angewiesen. Von der Verquickung philologischer und juristischer Arbeit soll eine Probe aus dem 19. Buch der Digesten gegeben werden. D. 19,1,13 (Ulp 32 ed) behandelt die Haftung des Verkäufers einer mangelhaften Sache für – wie wir heute sagen würden – Mangelfolgeschaden. Der venditor sciens müsse für den Schaden, der dem Käufer erwächst, einstehen, so, wenn das Gebäude wegen des gekauften morschen Bauholzes einstürzt oder eigenes Vieh infolge Ansteckung durch das gekaufte, kranke Vieh stirbt: quod interfui idone venisse erit praestandum, heisst es in der Florentinischen Handschrift. Mommsen hat in die Digestenausgabe die Konjektur „idonea venisse“ aufgenommen. Diese Konjektur unterstellt einen von der Textüberlieferung her nicht undenkbaren Ausfall eines „a“. Juristisch ergäbe sich, dass der Verkäufer dem Käufer auf das sogenannte positive Interesse (Erfüllungsinteresse) haften würde. Er müsste den Käufer so stellen, als sei diesem gesunden Vieh geliefert worden. Die spätere romanistische Forschung hat sich hiermit nicht anfreunden können. 40 Hierfür ist nicht ausschlaggebend, dass idoneum (statt idonea) auf den Kaufgegenstand – ein einzelnes Stück Vieh – mehr recht als schlecht Bezug nehmen würde. Die ganze Stelle thematisiert mit ihren Beispielsfällen das negative Interesse (omnia detrimenta, quae ex ea emptione emptor traxerit). Die Überlegung, der Verkäufer könnte dem Käufer für den Differenzbetrag einstehen, der sich ergibt, wenn man sich das gekaufte kranke Vieh ren erschienen sind: (1) Praefationes minores von 1866/1868: ZRG RomAbt 126 (2009) S. 461 ff.; (2) Praefatio zur Editio maior: ZRG RomAbt 121 (2004), S. 369 ff.; (3) Anhang I und II: ZRG RomAbt 125 (2008), S. 696 ff. 40 W. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, Darmstadt 1948, S. 61: „Die Konjektur Mommsens betr. des justinianischen Textes und die aus ihr gezogenen Folgerungen sind [...] unrichtig“; von Mommsens Konjektur ging noch aus F. Schulz, Einführung in das Studium der Digesten, Tübingen 1916, S. 119 f.; der aber die sich ergebende Haftung auf das positive Interesse für eine justinianische Interpolation hielt; für die heutige Sicht (negatives Interesse): E. Jakab, Praedicere et cavere beim Marktkauf. Sachmängel im griechischen und römischen Recht, München 1997, S. 192.

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als gesundes vorstellt, in Geld veranschlagt und hiervon den Wert abzieht, den das Tier als krankes hat, ist dem Text nicht zu entnehmen. Eduard Fraenkel hat später die elegante Konjektur „id non evenisse“ vorgeschlagen, 41 die jedenfalls mit der juristischen Sachkritik gut harmoniert. Vor kurzem hat Horst Heinrich Jakobs in einem Durchgang durch die mommsenschen Emendationen in den ersten zehn Büchern zeigen können, wie viel zivilrechtlicher Sachgehalt in der Editionsarbeit Mommsens steckt. 42 Jakobs kommt zu dem Ergebnis, dass Mommsen sich mit philologisch penibler Genauigkeit auch in das zivilistische Detail hineingedacht hat, um diesbezüglich zu einem eigenen Urteil zu gelangen. Es wäre reizvoll, diese Untersuchung einmal mit der Anschlussfrage fortzusetzen, inwieweit sich die einzelnen Vorschläge Mommsens in den nachfolgenden rund 150 Jahren in der Diskussion der romanistischen Forschung behauptet haben. Der heutige Nutzer der mommsenschen Edition ist jedenfalls gehalten, die mommsenschen Konjekturen, in denen eine juristische Auslegung steckt, mit dem heutigen Forschungsstand zu der betreffenden Stelle abzugleichen. Nach Jakobs soll die mommsensche Digestenedition eine eigenständige Bedeutung gehabt haben für die zeitgenössische Auseinandersetzung um die Frage, ob am gemeinen Recht (neben den kodifizierten Partikularrechten) festzuhalten oder zu einer nationalstaatlichen Kodifikation überzugehen sei. 43 Es gehörte in der Tat zur Kritik am gemeinen Recht, dass dessen Anwendung durch Zweifelsfragen hinsichtlich des „richtigen“, geltenden Textes der Digesten als erschwert galt. Mommsen selbst hat ausweislich seines Beitrags „Über die kritische Grundlage unseres Digestentextes“ (1862) 44 – es handelt sich um die Schrift, die sein Projekt einer neuen Digestenedition vorstellt – den Umstand, dass in sachlichen Untersuchungen „unsere besten Rechtsforscher die ihnen eben zugänglichen Handschriften und alten Drucke selber nachschlagen und mit diesem Quasi-Resultat operieren“ müssen, als einen Notstand bezeichnet, dem man abhelfen müsse. So gesehen erscheint die Digestenedition als eine Maßnahme (auch) zur Sicherung der Rechtsgeltung des römischen Rechts, für die man auf einen einfach und sicher zu ermittelnden „Normtext“ angewiesen gewesen sei. Es ist schwer zu sagen, welches Gewicht der Gesichtspunkt einer verlässlichen Digestenedition im Kodifikationsstreit hatte, wenn man ihn neben Fragen wie die der nationalen Rechtsvereinheitlichung oder der Umstellung auf ein deutsches, einfach zu handhabendes Gesetzbuch stellt. Bedenkt man, wie viele Quellen Momm41

ZRG RomAbt. 44, 1924, S. 527 ff. H.H. Jakobs, Mommsen als Zivilist, in: H. Altmeppen / I. Reichard / M. J. Schermaier (Hrsg.), Festschrift für Rolf Knütel zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2009, S. 451 ff. 43 Ges. Schriften III (o. Fn. 5), S. 452 ff. 44 Jahrbücher des gem. Rechts 5, 1862, S. 407 ff. = Ges. Schriften II (Jur. Schriften – 2. Bd.), Berlin 1905, S. 107 ff. 42

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sen neu ediert hat, die nicht als geltende „Normtexte“ in Frage kamen (Codex Theodosianus, Jordanes, Cassiodor, die Chronica minora), ist kaum glaublich, dass die Digestenausgabe für Mommsen lediglich „Mittel zum Zweck“ einer Stabilisierung des gemeinen Rechts gewesen sein sollte, hatte er doch bereits seit Beginn seiner publizistischen Tätigkeit das Anliegen einer deutschen Kodifikation im Grundsatz anerkannt. Diesem Thema müssen wir uns nun noch zuwenden. 3. Mommsen und das BGB Wir hatten bereits gesehen, dass Mommsen das Kommen einer nationalstaatlichen Kodifikation vorher sah und im Grundsatz begrüßte. Das Unternehmen wurde nach der lex Miquel-Lasker ab 1873 in Angriff genommen. Zu der Generation von Rechtswissenschaftlern, in deren Lebenszeit hiermit die Aufgabe der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches fiel, gehörte an sich auch noch Mommsen. (Er war altersgleich mit Bernhard Windscheid; Gottlieb Planck war fünf Jahre jünger als die beiden). Die Arten und Weisen, auf die seitens der Professorenschaft an der Gesetzgebung teilgenommen wurde, waren individuell sehr verschieden: Mitwirkung an der gesetzgebenden Tätigkeit in den Kommissionen des Reiches bzw. in den Justizverwaltungen der Staaten, publizistische Begleitung, z. B. durch kritische Studien zum Ersten Entwurf, Erstellung von Vergleichen des bisherigen Rechts und des neuen BGB sowie die „Überführung“ einzelner Pandektenlehrbücher in Werke zum BGB (wie im Fall Dernburgs); dem allgemeinen Publikum wurde das BGB in zahllosen Publikationen, Reden und Vorträgen vorgestellt. Gleich, wie sich für den Einzelnen die Anteilnahme am Grossunternehmen BGB darstellte: Es dürfte wenige (Privat-)Rechtswissenschaftler gegeben haben, die sich nicht in der einen oder anderen Weise beteiligen ließen. 45 Von Mommsen ist mir dergleichen nicht bekannt. Auch zum politischen Aspekt der Schaffung einer nationalen Privat45 Es gilt als das Paradoxon der Geschichte der Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert, dass sich die Wissenschaft, die sich fast vollständig für das Programm der historischen Rechtsschule hatte gewinnen lassen, in den Dienst eines Gesetzgebungsvorhabens stellte, dessen Abwehr zum ursprünglichen Credo der Schule gehört hatte. Überzeugend ist die Auflösung, wonach das BGB eine Kodifikation im Geist der historischen Rechtsschule war, die nicht die Präponderanz der Wissenschaft beseitigte, sondern lediglich den Stand der Wissenschaft im Sinne eines „restatement“ fixierte, wissenschaftlich noch Ungeklärtes aber für die Behandlung durch „Wissenschaft und Praxis“ offen hielt; so die Kernthese von H.H. Jakobs, Wissenschaft und Gesetzgebung im bürgerlichen Recht – nach der Rechtsquellenlehre des 19. Jahrhunderts, Paderborn 1983. Das BGB entspricht so auch Mommsens Forderung, die nationalstaatliche Privatrechtsgesetzgebung müsse sich auf eine für „jede einzelne Institution“ erfolgte historische Erforschung gründen, sodass das Ganze „sogleich die Quintessenz der historischen Rechtsforschung und der methodische Ausdruck der gegenwärtigen Rechtsbegriffe“ sei.

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rechtskodifikation scheint sich Mommsen – trotz seines intensiven Interesses daran, wie die deutsche Einigung Gestalt annahm – nicht mehr geäußert zu haben. Eine eindringlichere Suche mag aber etwas zutage fördern. IV. Schluss Die Frage, wie Mommsen zur historischen Rechtsschule stand, erledigt sich schon durch die Alleinstellung, die Mommsen für sich infolge der Durchführung seines altertumswissenschaftlichen Programms begründete. Mommsen verfolgte ein anderes Erkenntnisinteresse als die Rechtswissenschaftler seiner Zeit, die man der historischen Rechtsschule zuordnet. Am Ius Romanum war Mommsen gelegen, non quia ius, sed quia Romanum. Den von seinen juristischen Zeitgenossen behandelten Fragen, ob und wie das Ius Romanum in seiner weiterentwickelten Gestalt zur Ordnung der Privatrechtsgesellschaft in der Gegenwart zu gebrauchen war, brachte Mommsen kein wissenschaftliches Interesse entgegen. Am kreativen juristischen Weiterdenken, wie es in der Pandektistik gepflegt wurde und das eindrucksvolle, aber auch skurrile Ergebnisse hervorgebracht hat, beteiligte er sich nicht. In gewissem Sinne vertrat er ja im Leipziger Vortrag die Ansicht, die Findung „neuen“ Rechts sei der Gegenwart unmöglich, so dass diese auf die Wiederverwertung alter Rechtsbestände angewiesen sei („abgeleitete Rechtweisung“). War das Pandektenrecht des 19. Jahrhunderts aus seiner Sicht nur eine solche Wiederverwertung, so scheint es konsequent, dass sein genuines Forschungsinteresse sich eher auf das Ursprüngliche und Originale richtet als auf das Derivat. Die Unterschiedlichkeit der Erkenntnisinteressen spiegelt sich auf methodischer Ebene. Die „juristische Methode“, zu der beispielsweise der Kanon der Auslegungselemente oder Figuren wie die der juristischen Fiktion gehören, kam für Mommsen, bei dem alles in der historischkritischen Handhabung des antiken Quellenbestandes aufgeht, natürlich nicht in Betracht. 46 Wegen der Unterschiedlichkeit in Erkenntnisinteresse und Methode entzieht sich Mommsen im Verhältnis zur historischen Rechtsschule der Einordnung als „Anhänger“ oder „Gegner“. Bereits 1851 hat er seinem Überdruss an dieser Frontenbildung Ausdruck gegeben: „Seit die verständigen Juristen sich darüber einig sind, dass der Streit zwischen der historischen Rechtsschule und ihren praktisch-philosophischen Gegnern im Wesentlichen auf Missverständnisse und

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Alfred Heuss’ Wort von Mommsen als einem „juristisch geschulten Philologen“ (o. Fn. 15), S. 107, war wohl doch nicht ganz unberechtigt, wobei man hier als „Philologie“ das ganze Methodenarsenal historisch-kritischer Geschichtsforschung verstehen sollte.

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vorübergehende Differenzen hinausläuft, sind die Shiboleths jenes leidigen Zankes auf den Trödelmarkt gekommen [...].“ 47 Allerdings traf sich Mommsens juristische Weltsicht in mehreren Hinsichten mit den Überzeugungen, die von der historischen Rechtsschule gepflegt wurden: Er teilte die abschätzige Sicht auf die Rechtsliteratur des 18. Jahrhunderts und ebenso kritisch sah er die nationalstaatlichen Kodifikationen aus dem 18. Jahrhundert und den Code civil. Der oberflächlichen Kritik am römischen Recht trat er ebenfalls entgegen. Hierbei spielte wohl die Frage des geistigen Niveaus eine maßgebliche Rolle: Das, was sich außerhalb der historischen Rechtsschule im Rechtswesen abspielte, war – schon gar für einen Kopf wie Mommsen – geistig zumeist viel zu armselig, um auf Interesse, Teilnahme oder Unterstützung von seiner Seite rechnen zu können. Auch insofern Mommsen auf der rückhaltlosen historischen Erforschung jeder einzelnen Rechtsinstitution bestand, ging er mit dem Programm der historischen Rechtsschule konform, doch hielt er sich von der fortlaufenden wissenschaftlichen Behandlung und Weiterentwicklung des gemeinen Rechts – einer Haupttätigkeit seiner Kollegen an den juristischen Fakultäten – völlig fern. Die Fortgeltung des verwissenschaftlichten gemeinen Rechts war ihm von vornherein kein Anliegen. Sehr frühzeitig hat Mommsen seine Überzeugung ausgedrückt, dass eine nationale Privatrechtsgesetzgebung kommen werde und solle. Dass in Mommsens altertumswissenschaftlichen Forschungen das römische Rechtswesen einen prominenten Platz einnahm, war unausweichlich: Mommsen war schliesslich ein (im römischen Recht) ausgebildeter Jurist und für eine Dekade Professor an juristischen Fakultäten. Indem die Entwicklung seines „enzyklopädischen Genies“ Mommsen zum Philologen und Althistoriker hat werden lassen, erscheint seine juristische Kompetenz dann freilich als nur eine unter den zahlreichen von ihm meisterlich beherrschten Fachkompetenzen.

47 Rezension von Collmann, Die judicielle Rechtswissenschaft im Grundriss, Litterarisches Centralblatt 1851, S. 571 f. = Ges. Schriften III (o. Fn. 5), S. 568.

Aus der Überlieferungsgeschichte der Digesten Justinians: Kantorowicz’ Kritik an der Edition Mommsens * Von Joseph Georg Wolf I. 1. Mein Beitrag zu diesem Seminar ist ein Bericht. Ich berichte von der Überlieferung der Digesten Justinians, freilich nicht von dem Weg, den sie seit ihrer Niederschrift bis in unsere Tage genommen hat, vielmehr von einer Kontroverse, die vor 100 Jahren aufgebrochen und bis heute nicht ausgetragen worden ist. Ich berichte in der Hauptsache von einer Kontroverse zwischen Theodor Mommsen und Hermann Kantorowicz. Den Digestentext, mit dem die Rechtsgeschichte bis auf den heutigen Tag arbeitet, hat Mommsen 1870 in seiner großen und schon 1868 in seiner kleinen, später von seinem Schüler Paul Krüger überarbeiteten Ausgabe ediert. Den Text dieser Ausgaben hat Kantorowicz in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung in den Bänden der Jahre 1909 und 1910 in zwei Aufsätzen angegriffen. Sie stehen unter dem Titel Über die Entstehung der Digestenvulgata und dem respektvollen Untertitel Ergänzungen zu Mommsen. Kantorowicz tadelt die unzureichende Beachtung der Vulgathandschriften und mahnt eine Revision des Textes der Edition Mommsens an. 1 2. Zur Person Mommsens brauche ich nichts zu sagen. Kantorowicz dagegen ist weniger bekannt. Er wurde 1877 in Posen in einer jüdischen Familie geboren. Nach dem juristischen Studium wurde er 1907 in Freiburg i. B. habilitiert, 1913 zum außerplanmäßigen Professor und nach dem freiwilligen Kriegsdienst 1923 der Freiburger Fakultät als außerordentlicher Professor oktroyiert. 1929 wurde er ordentlicher Professor für Strafrecht in Kiel. 1933 emigrierte er zunächst nach New York; 1934 ging er nach Cambridge in England, wo er 1940 starb. Seine Gelehrsamkeit war vielfältig, ein Arbeitsfeld die Rechtsgeschichte und hier vor * Mit dem Namen des Autors oder abgekürzt werden zitiert: Hermann U. Kantorowicz, Über die Entstehung der Digestenvulgata, Ergänzungen zu Mommsen (1910); Theodor Mommsen, Digesta Iustiniani Augusti, Vol. I (1870) Praefatio, S. V–LXXX; G. Hillner, Übersetzung von ‚Theodor Mommsens Praefatio zur Editio maior von 1870‘, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung, 121, 2004, S. 396 – 500. 1 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 154.

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allem die Mediävistik. Er war ein bekannter Pazifist und seine politische Haltung war sozialistisch, was der Freiburger Fakultät missfiel. 3. Schließlich eine gedrängte Beschreibung der Digesten. 2 Justinian wurde 527 n. Chr. als Nachfolger seines Onkels Justinus Kaiser in Ostrom. Der Codex, eine Sammlung der kaiserlichen Konstitutionen, war schon in Geltung, als Justinian am 15. Dezember 530 n. Chr. mit der Konstitution Deo auctore anordnete, das Gesetzgebungswerk mit der Herstellung der Digesten fortzuführen. Das Recht sollte umfassend verbessert, alle noch geltenden römischen Rechtssätze und Institute gesammelt und, wo erforderlich, berichtigt und zu diesem Zweck die Schriftwerke der Juristen der ersten Kaiserzeit ausgezogen und die Auszüge in einem einzigen Rechtsbuch vereint werden, eben den Digesten. Die Konstitution gab vor, die Digesten in 50 Bücher zu gliedern und die Bücher in Titeln zu unterteilen. In diese Titel wurden die Auszüge aus der Literatur der, wie wir heute sagen, klassischen Jurisprudenz eingestellt, jeweils unter einer individualisierenden Inskription, nämlich dem Namen des Juristen und der Angabe der exzerpierten Schrift. Die enorme Aufgabe wurde von vier Professoren, zwei Magistraten und elf Advokaten, die sich auf drei Arbeitskreise verteilten, getan und bewältigt. Nach nur drei Jahren wurden die Digesten mit den Konstitutionen Dedoken und Tanta auf den 30. Dezember 533 n. Chr. als kaiserliches Recht in Geltung gesetzt. Die Konstitutionen halten fest, dass die Kommission von ihrer Ermächtigung, die ausgewählten und aufgenommenen Texte zu verändern, erheblich Gebrauch gemacht hat. Dass die exzerpierten Schriften schon in den Jahrhunderten seit ihrer Niederschrift Veränderungen erfahren hatten, kommt nicht zur Sprache. Die justinianischen Interpolationen und die vorjustinianischen Eingriffe in die Texte sind nicht unser Thema. Ein Interesse an den ursprünglichen, den originalen Juristenschriften kam, eher flüchtig, bei den Humanisten des späten 15. und des 16. Jahrhunderts auf, entschieden dagegen in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, als das römische Recht Gegenstand der Rechtsgeschichte wurde. Als Ganzes sind die Digesten nur in einer einzigen Handschrift überliefert: sie war im Besitz der Stadt Pisa und wurde darum Pisana genannt, 3 bis sie 1406 von den Florentinern als Kriegsbeute in ihre Stadt gebracht wurde; seitdem wird sie Codex Florentinus oder Florentina genannt. Da die hier besprochenen Überlieferungszusammenhänge fast ausschließlich im 11. und 12. Jahrhundert spielen, nenne ich – entsprechend der Chronologie – die Digestenhandschrift Pisana und nur dann Florentina, wenn ihre Verwendung nach 1406 in Rede steht. 2 Siehe etwa P. Krüger , Geschichte der Quellen und Litteratur des römischen Rechts (2. Aufl. 1912), S. 370 – 385; Th. Kipp, Geschichte der Quellen des römischen Rechts (4. Aufl. 1919), S. 157 – 163. 3 Sie genoss in Pisa „abergläubische Verehrung“ und wurde für das Original der Pandekten und das „Handexemplar Justinians“ gehalten: Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 22.

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II. 1. Mommsen sah für seine Editionen in der Florentina den verlässlichsten und darum den grundsätzlich maßgebenden Text: er errichtete, wie Kantorowicz schreibt, „die Despotie des Florentinatextes“. 4 Denn er entthronte damit die littera bononiensis, den Vulgattext, der seit den Tagen des Irnerius über 700 Jahre hin der Text der Wissenschaft und Praxis gewesen war. 2. Die Pisana – wie sie also vor 1406 genannt wurde – war kein Urtext der Digesten, auch wenn sie in Pisa als eine Urschrift verehrt wurde. Sie war eine Abschrift, an der nach dem Urteil von Paläontologen zwölf Schreiber beteiligt waren. Nach Mommsen waren diese zwölf Schreiber griechischer Muttersprache. Zwei Argumente führt er ins Feld. Am Ende eines Buches steht häufig in übergroßen Buchstaben FELICITER oder EXPLICIT LIB XVI INCIPIT LIB XVII FELICITER oder auch EXPLICIT DIGESTORUM SIVE PANDECTARUM LIB XVIII FELICITER. Am Ende von Buch 11 lesen wir dagegen ein griechisches Schlusswort: εὐτυχῶς τῶ γζάφαντι τοῦτο τὸ βιβλίον FELICITER. 5 Außerdem zeige die Pisana nicht wenige Fehler, die auf einen griechischen Kopisten hinwiesen: So finde sich ei statt i, ou statt u, oi statt i, ph statt f oder heredi und herede und utentur und utantur verwechselt. 6 Diese Befunde reichen Mommsen aus, die zwölf Schreiber der Pisana für Griechen zu halten. Dagegen gibt Kantorowicz zu bedenken, dass all diese Fehler schon der Vorlage der Pisana eigentümlich gewesen sein könnten, an deren Niederschrift, wie Mommsen selbst gezeigt hat, griechische Kopisten beteiligt waren – Fehler, die dann von den lateinischen Kopisten der Pisana übernommen wurden. 7 Stärker ist das Argument, dass viele griechische Wörter in der Pisana in einer Weise entstellt sind, die unverkennbar den Kopisten lateinischer Muttersprache verrät. Über die ganzen Digesten verstreut finden sich Schreibfehler, die keinem Griechen unterlaufen wären: so liest man scuphi und scuphorum statt scyphi und scyphorum, olumpico und olumpicus statt olympico und olympicus, Truphoninus und Tryfoninus statt Tryphoninus und Tryphoninus, Efesi und Efesum statt Ephesi und Ephesum, Sumphoro statt Symphoro, Libua statt Lybia und das richtig abgeschriebene daphnide ‚verbessert‘ in dafnide. 8 Die griechisch abgefassten Teile, die Constitutio Δέδωκεν und der Index auctorum, und die gemischtsprachlichen Teile, 9 insbesondere die Bücher 26 und 27 mit zahlreichen griechischen Modes4 5 6 7 8 9

Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 154. Mommsen, Praefatio, S. XXXVIII mit A. 4. Mommsen, Praefatio, S. XXXVIIII. Mommsen, Praefatio, S. XXXVIII; Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 7 f. Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 9. Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 8.

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tin-Fragmenten, seien allerdings einem Griechen überantwortet worden 10 – wie schon ein Blick auf die Namen im Index auctorum außer Frage stellt: Papinianus heißt hier Papinianu, Quintus Mucius Scaevola Quintu Muciu Scaevola oder Iavolenus Iavolenu. 11 Kantorowicz kommt mit diesen Argumenten zu dem Schluss, dass an der Abschrift der Pisana 13 Schreiber mitgewirkt haben, und zwar zwölf Lateiner und ein Grieche. 12 Mommsen und Kantorowicz sind sich dagegen darin einig, dass die Korrektoren der Pisana griechischer Muttersprache, mithin Griechen waren; denn ihre eher seltenen Vermerke und Glossen sind in griechischer Sprache geschrieben. 13 Die Kollation erfolgte anhand eines mit der Pisana offenbar nicht verwandten Digestentextes, aus dem zum Beispiel das Fragment D 35.2.51 in die Pisana übernommen wurde, wo es – und vielleicht schon in ihrer byzantinischen Vorlage – fehlte. 14 3. Die Vorstellung, dass zwölf Griechen die Pisana geschrieben haben, führte Mommsen zu dem Schluss, dass der Ort, an dem die Kopie erstellt worden ist, nicht zu bestimmen sei: 15 Es könnte Italien, aber auch der Orient gewesen sein, Konstantinopel oder irgendeine Stadt in der Provinz. Kantorowicz dagegen ist sich sicher, dass sie in Italien kopiert worden ist: 16 Wenn zwölf Schreiber lateinischer Muttersprache waren und obendrein das Griechische nicht beherrschten, komme nur Italien in Betracht. Und in Italien, so meine ich, ist kaum ein Ort wahrscheinlicher als Ravenna. 17 Gestützt wird diese Hypothese durch die zuverlässige Nachricht, dass Justinian sehr bald, jedenfalls vor 554 n. Chr. Exemplare auch der Digesten nach Italien hat bringen lassen 18 – und das kann ebenfalls nur heißen: nach Ravenna. 19 10

Von dem Mommsen S. XXXVIIII annimmt, dass er unter den zwölf Schreibern der Florentina „doctiorem fuisse et utramque linguam pro suo artificio satis calluisse“. 11 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 5. 12 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 9 f. – Zu Schreibweisen und Herkunft der Florentina neuerdings A. Ciaralli, Materiali per una storia del diritto in Italia Meridionale. ‚Kleine Ergänzungen‘ alla storia del Codex Florentinus, in: Iuris Historia, Liber Amicorum Gero Dolezalek (2008), S. 17 – 34. – W. Kaiser, Schreiber und Korrektoren des Codex Florentinus, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung, 118, 2001, S. 217 zählt 14 Schreiber, „die das Lateinische wie das Griechische beherrschten“. 13 Etwa zu D 32.70 oder D 37.7.9. Nicht, wie sich versteht, die häufigen Ergänzungen des Digestentextes. – Nach W. Kaiser, Schreiber und Korrektoren (cit. A. 11), S. 217 waren es acht Korrektoren, die zweisprachig waren. 14 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 10; Mommsen, Digesta, S. XXXVIIII f. 15 Mommsen, Digesta, S. XXXVIII f. 16 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 11. 17 Zweifelnd Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 11. 18 Nach der Eroberung Roms durch Narses erließ Justinian auf Ersuchen des Papstes Vigilius noch im Jahre 554 n. Chr. die Sanctio pragmatica pro petitione Vigilii, dessen

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4. Nach Mommsen ist auch das Alter der Pisana nicht zu bestimmen; er möchte aber behaupten, dass der Florentinus vor dem 7. Jahrhundert verfertigt worden ist. 20 Kantorowicz hält dagegen, dass der Kodex jedenfalls in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts geschrieben worden ist. 21 Die Schriftart schließe eine spätere Datierung eher aus. 22 Außerdem spreche die „Reinheit der Orthographie“ für diese Begrenzung, vor allem aber habe es in Italien vom 7. bis tief ins 11. Jahrhundert keine „wissenschaftliche und praktische Kultur des römischen Rechts“ gegeben. Tatsächlich findet sich für Jahrhunderte das letzte Zitat der Digesten in einem Brief Papst Gregors des Großen aus dem Jahre 603. 23 III. 1. Die Pisana wurde in Italien geboren und verblieb auch in Italien, geriet aber für Jahrhunderte in Vergessenheit ohne kaum eine Spur in Literatur oder Praxis zu hinterlassen. Denn in Italien, so argumentiert Kantorowicz, sei im 9. Jahrhundert das der Pisana aufs engste verwandte Berliner Digestenfragment entstanden, was dessen „barbarische Orthographie“, die verständnislose Wiedergabe cap. 11 mit dem Satz beginnt: Iura insuper vel leges codicibus nostris insertas, quas iam sub edictali programmate in Italiam dudum misimus, obtinere sancimus. Die Gesetze, die schon vor längerer Zeit nach Italien geschickt worden waren, sind die Digesten, die Institutionen und der Codex: P. Krüger, Geschichte der Quellen und Litteratur des Römischen Rechts (2. Aufl. 1912), S. 400; B. Kübler, Geschichte des Römischen Rechts (1925), S. 417; L. Wenger, Die Quellen des Römischen Rechts (1953), S. 658 f.; G. Wesener, Pragmatica sanctio, in: RE Suppl. 14 (1974), S. 462. 19 Nach der Rückeroberung Italiens durch Ostrom war Ravenna bis 761 n. Chr. Sitz des oströmischen Statthalters und blieb auch in dieser Periode, wie seit der Gotenzeit, ein blühendes Gemeinwesen. – Zur Herkunft der Florentina, dem Ort ihrer Niederschrift jetzt A. Belloni, Un’ipotesi per le Pandette fiorentine, in: Iuris Historia, Liber Amicorum Gero Dolezalek (2008), S. 1 – 16. – Nach W. Kaiser, Schreiber und Korrektoren, S. 218 kann die Florentina nicht in einer ‚Provinzstadt‘ geschrieben worden sein; die Handschrift deute auf ein „herausragendes Zentrum“; er gibt den „Vorschlägen“ eine Chance, die „die Handschrift nach Konstantinopel“ setzen. 20 Mommsen, Praefatio, S. XXXX. 21 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 12/3. 22 F. Schulz, Einführung in das Studium der Digesten (1916), S. 2: „geschrieben wurde F in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts“; Weinberger, Schrift, in: RE 2 A (1921), S. 729: „der Florentiner Pandektencodex (dürfte) ins 6. oder 7. (Jhdt. gehören)“; L. Wenger, Quellen, S. 96: „eine fast unversehrte Unzialhandschrift wohl noch aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts“. 23 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 15. Das Zitat aus D 48.4.7.3 (epist. 13,45) lautet: „lib. Pandectarum XLVIII ad L(egem) Jul(iam) maj. scribit Modestinus, lege Famosi, paulo post principium: Hoc tamen crimen iudicibus non in occasione ob principalis maiestatis venerationem habendum est, sed in veritate etc.“: F.C. von Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter (1834, 1956), S. 275 –277; Mommsen, S. 803 zu D 48.4.7.3.

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der Graeca und die karolingische Schrift bewiesen. 24 Die Wiederentdeckung der justinianischen Digesten, vermutlich in Pisa, 25 zeitigte in den norditalienischen Städten und mit besonderer Dynamik in Bologna die Erneuerung ihres Studiums und damit – ein Vorgang von weltgeschichtlicher Bedeutung – die Wiedergeburt der Rechtswissenschaft. 26 Der Grundtext der erneut erwachten Rechtswissenschaft war indessen nicht die wieder entdeckte Pisana, sondern eine Abschrift derselben oder, nicht auszuschließen, die Abschrift einer Abschrift des antiken Digestentextes: der heute sogenannte Codex secundus. Diese Handschrift S, sprachlich bearbeitet, offenbar auch mit den Paralleltexten der justinianischen Institutionen verglichen und vielfach abgeändert nach einem Kontrollvergleich mit einer dritten autonomen Handschrift der Digesten, 27 wurde nach all dem, wie Mommsen gezeigt hat, 28 die Vorlage einer Vielzahl von Abschriften, deren Gesamtheit wir die Vulgata nennen. Da die Handschrift S schon 1080 vorlag, könnte die Pisana um 1070 wieder entdeckt worden sein; in den ersten sechziger Jahren des 11. Jahrhunderts war sie noch nicht wieder bekannt. 29 2. Der Codex Secundus ist ein direkter, allenfalls indirekter Abkömmling der Pisana. Er war schon am Ende des 11. Jahrhunderts, in der Zeit des Irnerius, in Gebrauch, verdrängte die Pisana und wurde der Arbeitstext der Glossatoren und Konsultatoren. Erst die Juristen des Humanismus besannen sich der antiken Reliquie, was mehrere Ausgaben der Digesten auf der Grundlage der Florentina zeitigte – allen voran die Ausgabe Haloanders aus dem Jahre 1531. Gleichwohl gelang es den Humanisten nicht, die Vulgata abzulösen, deren Handschriften und Ausgaben allesamt Derivate des Codex Secundus waren. 30 Erst im 18. und 19. Jahrhundert verdrängt die Florentina mit der Göttinger Ausgabe von Gebauer und Spangenberg von 1776, mit der Kriegelschen Ausgabe von 1828 und schließlich den Mommsenschen Ausgaben von 1868 und 1870 die Vulgata aus Gerichten und Hörsälen. 3. Der Codex Secundus ist nicht überliefert, uns aber durch die zahlreichen Vulgathandschriften, deren direkte oder indirekte Vorlage er war, durchaus bekannt. 31 Die ältesten Vulgattexte sind direkte Abschriften eines ersten Teils der Digesten, des alsbald zu besprechenden Digestum vetus. 24

Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 11. Rogerius (um 1160 ein bedeutender Gelehrter und Schriftsteller) zitiert die Pisana mit der Bemerkung, dass sie sich in Pisa befinde, und erwähnt in einer Glosse die vetus littera: „py. non – vetus littera est non et melior“. 26 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 19, zum Folgenden ebenda S. 19 –28. 27 Siehe unten bei A. 30 und III 3 sowie IV 2. 28 Mommsen, Praefatio, S. LXIIII: Bononiensium antiquiorum origo communis. 29 Der „juristisch nicht ungebildete Grammatiker Papias“ verwendet noch 1063 ‚Pandekten‘ nur für die Bibel: Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 20. 30 Siehe etwa Kipp, Quellen, S. 163 f. 25

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Der bedeutendste Vulgattext ist der P genannte Text des Codex Parisiensis vom Ende des 11. oder dem Anfang des 12. Jahrhunderts 32 – im Übrigen die einzige Abschrift von allen Vulgaten, deren Lesarten Mommsen in seinem Apparat der Editio maior vollständig verzeichnet hat. 33 Eine zweite unmittelbare Abschrift ist die dem Parisiensis ähnliche, V genannte Handschrift des Vatikans, die auch um die Wende des 11. Jahrhunderts entstanden ist. Eine dritte, wahrscheinlich auch direkte Abschrift von S wird in Padua aufbewahrt und mit U bezeichnet. Sie ist von P und V unabhängig und gehört schon dem 12. Jahrhundert an. Eine ebenso bedeutende, aber mittelbare Abschrift ist der in Leipzig aufbewahrte Text L, ebenfalls, wie U, aus dem 12. Jahrhundert. Wo zwei dieser vier ältesten Handschriften übereinstimmen und ihre Lesung nicht aus der Pisana stammt, gilt sie als die Lesung des kollationierten Codex secundus und damit als Urtext der Vulgata. Der Codex secundus selbst war ein Abkömmling der Pisana, nach Mommsen aber nicht eine nach Schreiber, Zeit und Plan einheitliche Abschrift, sondern zusammengefügt aus stückweisen Abschriften der antiken Handschrift. 34 4. Die auffälligste Eigentümlichkeit des Codex Secundus war eine Dreiteilung des Textes in Digestum vetus, Digestum infortiatum und Digestum novum. 35 Ein sachlicher Grund dieser Dreiteilung ist nicht ersichtlich. 36 Das Digestum vetus endet mit dem Titel D 24.2 De divortiis, worauf das Infortiatum mit dem Titel D 24.3 Soluto matrimonio beginnt; das Infortiatum endet mit dem 38. Buch, was bedeutet, dass der dritte Teil, das Novum, mit dem 39. Buch und dem Titel De operis novi nuntiatione beginnt. Dieser äußerliche Befund könnte den Schreiber oder die Schreiber zu der Dreiteilung angeregt haben, die Dreiteilung mithin, wie Kantorowicz schreibt, ein ‚Schreiberscherz‘ sein. 37 Die Dreiteilung

31 Mommsen, Digesta, S. XXXXV hat 200 Handschriften des Digestum vetus gezählt und schätzt den Gesamtbestand an Digestenhandschriften auf „ungefähr 500“. Sie seien ‚an sich von geringem Nutzen‘. Ihren Nutzen erkenne man, ‚wenn man aus der ungeheuren Menge wenige klug selektierte Handschriften‘ herausgreife. S. XXXXVI: Die jeweils ältesten Handschriften seien auch die besten. Zu den späteren und nutzlosen Bologneser Handschriften S. LXIII. 32 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 66 f. 33 Mommsen, Praefatio, S. LXXIII: itaque Bononiensium librorum unicum Parisinum plene excussi. 34 Mommsen, Praefatio, S. LXXII. 35 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 124 – 126; zu den drei Namen S. 138 f. und 147 – 150; zu ihrem Alter S. 139 – 147. 36 Die Dreiteilung wird bald dem Zufall zugeschrieben (Savigny, Niebuhr, Mommsen, Dernburg), bald für absichtlich gehalten (Hugo, Karlowa, Sohm): Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 130. 37 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 135 – 138.

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war der in zwei Bänden abgefassten Pisana fremd, 38 und wie die ältesten von S genommenen Abschriften 39 belegen, war die Dreiteilung auch nicht erst in diesen Abschriften 40 oder in einer möglichen, aber kaum wahrscheinlichen 41 Zwischenhandschrift eingeführt worden. 5. Mommsen 42 ist sich sicher, dass immer verborgen bleiben wird, wie die Pisana wieder bekannt geworden ist. Er stellt sich vor, dass zuerst eine unvollständige Abschrift bekannt wurde, die nur den Teil der Pisana enthielt, der demnächst das Digestum vetus war. Und erst nachdem dieser Teil ‚eine gewisse Zeit lang in den Schulen‘ gelehrt und in Abschriften verbreitet worden sei, habe man den übrigen Teil der Pisana in zwei Bänden abgeschrieben, von denen der erste zufällig dort endete, wo dann auch das Infortiatum endete mit der Folge, dass der zweite Band mit dem Digestum novum zusammenfiel. Außerdem macht Mommsen geltend, dass von den sechs Handschriften des 12. Jahrhunderts die vier mit P, V, U und L bezeichneten Handschriften direkte oder indirekte Abschriften des ersten Teils, 43 also des Digestum vetus sind, während alle anderen Handschriften erst im 13. oder in späteren Jahrhunderten kopiert worden seien. 44 Kantorowicz glaubt nicht an diese Zufälle: 45 es wäre „der Gipfel der Unwahrscheinlichkeit“, wenn die Grenzen der drei Mommsenschen Abschriften mit denen der Dreiteilung in Vetus, Infortiatum und Novum zufällig zusammen fielen. Der „offenbar vom Zufall der Erhaltung bestimmte“ quantitativ dürftige Überlieferungsbefund erlaube nicht, darauf zu schließen, dass das Digestum vetus, wie Mommsen will, früher bekannt war, als das Infortiatum und das Novum. Wenn unter den ältesten Handschriften die des Vetus überwiegen, so erkläre sich dieser Überhang ohne weiteres damit, dass in Bologna das Digestum vetus zu den ‚ordentlichen Büchern‘ gehörte und Gegenstand einer ‚ordentlichen Vorlesung‘ war, die in den Morgenstunden stattfand und von allen Studenten gehört werden musste. 46

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Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 124. – Der 1. Band der Pisana (442 Blatt) enthielt die Bücher 1 bis 29, der 2. Band (465 Blatt) die Bücher 30 bis 50: Mommsen, Digesta, S. XXX mit weiteren Einzelheiten; Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 36. 39 Es sind die Abschriften P und V. 40 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 125. 41 Anders Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 36. 42 Mommsen, Praefatio, S. LXXII. 43 P und V sind, wie gesagt, wohl noch im 11. Jahrhundert erstellt worden. 44 So ausschließlich alle Handschriften des Digestum novum. 45 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 136. 46 F.C. von Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter (3. Ausgabe 1834,1956), S. 264 – 266 und 267; Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 146.

Kantorowicz’ Kritik an der Edition Mommsens

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IV. 1. Wenn der Codex secundus eine Gesamtabschrift der Pisana war, 47 dann mussten die Fehler und Auslassungen der Pisana in S wiederkehren, 48 sofern sie nicht von den Schreibern erkannt und verbessert worden sind. Außerdem werden bei der Abschrift neue Fehler hinzugekommen sein. Die Herstellung eines neuen Textes durch Abschrift sah auch in der Spätantike Vergleich und Kontrolle mit einer dritten, von der Vorlage der Abschrift möglichst unabhängigen Handschrift vor. Dieser Revision ist auch der Codex secundus unterzogen worden. 2. Die Differenzen der beiden Handschriften, der Pisana und des Codex secundus, können verschiedene Ursachen haben. So können sie etwa durch Konjekturen des einen wie des anderen Textes bewirkt worden sein. Der Vergleich mit den wenigen Parallelstellen der justinianischen Institutionen kann auch zu Änderungen in S geführt haben. 49 Unwillkürlich können bei der Abschrift außerdem auch Glossen in den Text von S geraten, können absichtlich Worte verändert, ergänzt oder ersetzt worden sein, etwa, wie in D 5.3.13.14, tractat durch scribit. 50 Die meisten Differenzen der beiden Handschriften wird indessen die Revision des Codex secundus durch Vergleich mit einer Kontrollhandschrift gebracht haben. Diese Differenzen werden vor allem durch die Vulgattexte belegt, die ausnahmslos von S abstammen. 51 Textänderungen in S sind infolge dieses Vergleichs immer dann anzunehmen, wenn Ergänzungen oder Verbesserungen des von der Pisana abgeschriebenen Textes unzweifelhaft echt sind oder durch Konjektur nicht gefunden werden konnten. 52 Mommsen hat solche Textänderungen in elf Büchern festgestellt, nämlich in den Büchern 2, 3, 6, 7, 9, 12, 17, 30, 31, 33 und 34. Weitere Textänderungen infolge dieses Vergleichs hat Kantorowicz in den Büchern 1, 8, 28, 32, 36, 41 und 48 gefunden – verstreut mithin über das ganze Digestenwerk. Drei Beispiele sollen der Veranschaulichung dienen: In D 17.1.46 etwa liest die Florentina: ex volunta während die Vulgathandschriften P und V vel ex voluntate exsoluta haben. In D 41.3.23 pr. liest die Florentina: et universitas earum possessionem temporis immobilium rerum omnium mutet. Die verbesserte Vulgathandschrift 47

Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 32. Vgl. Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 30, 31, 36. 49 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 40 f.: dort sechs weitere Beispiele. 50 Die Florentina hat tractat, die Vulgathandschriften P, V und U haben scribit, L hat scribi tractat. 51 Nach den Vulgathandschriften P, V und U ist in S (D 2.15.14) infolge dieses Vergleichs ein ganzer Satz eingefügt worden: id observandum de aere alieno, quod inter eos convenisset. 52 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 41. Das Folgende nach S. 42 –47. 48

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ersetzt possessionem durch possessione und omnium durch dominium. Und in D 8.4.1.1 liest die Florentina: nemo enim potest servitutem adquirere vel urbani vel rustici praedii, nisi qui habet praedium, während die Vulgathandschriften P, V und U anfügen: nec quisquam debere nisi qui habet praedium. Die Lesart der Pisana kann der des Codex secundus unterlegen sein; in den ältesten Vulgathandschriften finden sich aber auch verdorbene Textstellen, die in der Pisana fehlerfrei sind. 53 Diese Korruptelen in den Vulgattexten erklären sich zum Teil aus Lesefehlern. S war nämlich in einer ungewöhnlichen Schrift geschrieben, 54 die, vielleicht missbräuchlich, ‚langobardisch‘ genannt wird 55 und bei der Abschrift leicht zur Verwechslung von Buchstaben führen konnte. 56 Andererseits führt das ‚Langobardisch‘ zu einer Datierung des Codex secundus. Weil nämlich die ‚langobardische‘ Schrift nicht vor dem Ende des 8. Jahrhunderts nachweisbar sei und erst in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts das wissenschaftliche und praktische Interesse an den Digesten sich erneuerte, soll, so Kantorowicz, der korrigierte und damit umgestaltete Codex secundus um 1085 vorgelegen haben. 57 3. Wir sind bisher davon ausgegangen, dass der Codex secundus eine vollständige Abschrift der Pisana war, mithin der gesamten Digesten. Indessen soll der Vergleich mit der Kontrollhandschrift „nur einen kleinen Teil der Mängel von S behoben haben“. „Irgend etwas“, so schreibt Kantorowicz, 58 müsse darum „an dem verglichenen Text oder an der Vergleichung nicht in Ordnung gewesen sein“. Seine überraschende Erklärung: der Vergleich von S sei überhaupt nicht mit einer Pandektenhandschrift vorgenommen worden, sondern mit einem Pandektenauszug. 59 Auszüge seien in vorbolognesischer, insbesondere langobardischer Zeit die charakteristische Literaturform gewesen, wobei der Auszug eine Auswahl wörtlich wiedergegebener Textstellen eines einzelnen Rechtsbuch war. 60 Und um die Wende des 11. Jahrhunderts seien Auszüge gerade auch der Pandekten vorgekommen, von denen wir mindestens zwei kennten. 61 4. Die Schriftart des Codex secundus weist uns die weitere Richtung. War sie ‚langobardisch‘, so versteht sich, dass S in Italien abgeschrieben, und wenn 53

Mommsen, Digesta, S. LXIIII; Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 31. Mommsen, Digesta, S. LXV; Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 32 f. 55 Siehe Weinberger, Schrift, in: RE 2 A (1921), S. 732 unter 8. 56 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 33: so z. B. von a und t, d und al, us und et. Eine Ausnahme ist die Vulgathandschrift L. 57 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 35 f. 58 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 49. 59 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 50. 60 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 51 f. 61 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 52 f.: die britische Dekretalensammlung mit 93 und das Ashburnhamer Rechtsbuch mit 51 Textstellen. 54

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S mit einer dritten, von der Pisana unabhängigen Handschrift kollationiert worden ist, dann liegt nahe, dass auch diese dritte Handschrift in Italien geschrieben worden ist. Ist aber diese dritte zur Kontrolle von S benutzte Handschrift auch in Italien hergestellt worden, dann ist kaum zweifelhaft, dass diese Kontrollhandschrift, ebenso wie die Pisana, von den noch auf Geheiß Justinians nach Italien verbrachten Digestenhandschriften abhängt – wobei nahe liegt, dass sie eine direkte Abschrift des byzantinischen Exemplars war und nicht über eine Zwischenabschrift von diesem Exemplar abhing. 5. Pisana und Kontrollhandschrift sind demnach Abkömmlinge ein und derselben Vorlage: beide also Abkömmlinge der aus Byzanz nach Italien verbrachten Digestenhandschrift: die Pisana, wie Kantorowicz unterstellt, vielleicht über eine Zwischenhandschrift, die Kontrollhandschrift wohl ohne Zwischenglied. Die Parallelität von Pisana und Kontrollhandschrift bedeutet indessen nicht, dass sich ihre Texte deckten. Schwächen der byzantinischen Vorlage sind gewiss in beide Handschriften von den Schreibern unwillkürlich übernommen worden, vielleicht in die eine mehr als in die andere; und ebenso gewiss werden die Schreiber der Kontrollhandschrift nicht durchweg dieselben Mängel entdeckt und behoben haben, wie die Schreiber der Pisana. 6. Der Codex secundus war eine Abschrift der Pisana. Dass deren Mängel, jedenfalls zu einem Teil, in S wiederkehrten, und dass bei der Abschrift mit aller Wahrscheinlichkeit neue Mängel hinzugekommen sind, ist schon gesagt worden. Darum kann nicht zweifelhaft sein, dass der Codex secundus und der Kontrolltext häufig von einander abwichen. Die Kollation des Codex secundus mit dem Kontrolltext muss nicht immer zu Lasten von S ausgefallen sein. Wo die Texte von einander abwichen, konnte S durchaus auch die bessere Lesart haben. Die Kontrollhandschrift stand der byzantinischen Vorlage indessen näher als der Codex secundus: der Kontrolltext war eine direkte Abschrift, der Codex secundus dagegen die Abschrift einer Abschrift, vielleicht sogar durch zwei Abschriften von ihr getrennt, durch die Pisana und die ihr vorausgehende Zwischenhandschrift. Demnach müsste der Kontrolltext authentischer, mit Fehlern, Auslassungen und anderen Schwächen deutlich weniger belastet gewesen sein, als der Codex secundus – und darum der Text des kollationierten und verbesserten Codex secundus dem Text der Pisana, seiner Vorlage, überlegen. 7. Nicht berücksichtigt haben wir bisher, dass der Codex secundus nicht überliefert ist und wir ihn nur aus den Vulgathandschriften, die ausnahmslos von ihm abstammen, rekonstruieren können. Auch ihre Schreiber können verderbte Worte oder Textstellen ihrer Vorlage unwillkürlich übernommenen, allerdings auch erkannt und behoben, und, nicht zu vergessen, in ihrer Abschrift neue Fehler gemacht haben. Trotz dieses einschränkenden Befundes können wir, dank der Kontrollhandschrift und der unmittelbaren Nähe zu ihrer byzantinischen

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Vorlage, dabei bleiben, dass der Codex secundus oder genauer die Vulgata in ihrer Authentizität der Pisana oder, wie wir heute sagen, der Florentina nicht nachsteht. V. Die vorgetragenen, von Kantorowicz’ Kritik dominierten Überlegungen laufen darauf hinaus, dass die Vulgatlesarten, wo sie vom Text der Florentina abweichen, nach ihrem sachlichen Gehalt oder in ihrer sprachlichen Darstellung richtiger oder besser sein können als eben die der Florentina. Zur Herstellung des justinianischen Digestentextes müssen herangezogen werden die Florentina, die vorbolognesischen Fragmente in Neapel, Pommersfelden und Berlin, die Fragmente in den Gromatikerschriften und die Basiliken – und neben diesen Texten jedenfalls auch die Vulgathandschriften. 62 Ihre Mutterhandschrift war der verschollene Codex secundus. Vielleicht war er nur ein Auszug, dessen genauer Umfang allerdings nicht zu bestimmen ist. 63 Wie die häufigen, durch Kollation vor allem mit seiner Kontrollhandschrift gewonnenen Verbesserungen, die in allen Teilen des Codex secundus anzutreffen sind 64 – wie diese Verbesserungen nahe legen, muss der Auszug jedenfalls von erheblichem Umfang gewesen sein. Und da mit aller Wahrscheinlichkeit die direkte Vorlage der Kontrollhandschrift die nach Italien verbrachten justinianischen Digesten waren, können die insbesondere aus ihr gewonnenen Emendationen den entsprechenden Textstellen der Florentina durchaus überlegen sein. Gleichwohl hat Mommsen im Apparat seiner Editio maior einen vollständigen Vergleich nur mit einer einzigen Vulgathandschrift registriert: 65 mit der auf das Digestum vetus beschränkten Handschrift P. Von siebzehn anderen Handschriften hat Mommsen nur eine kleine Auswahl von Varianten angeführt: die Varianten, die ihm wichtig erschienen. 66 Mit dieser radikalen Beschränkung wollte er der Vielfalt der Meinungen ein Ende setzen, die sich unbekümmert auf eine beliebige Vulgathandschrift beriefen. 67 62

Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 150 f. Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 152. 64 Während Mommsen, Digesta, S. LXX f., wie ausgeführt, 30 ‚authentische‘, durch Vergleich gewonnene Emendationen in nur elf Büchern gefunden hat, die letzte in Buch 34, hat Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 42 – 44 zusätzlich weitere sieben gefunden, und zwar auch in den Büchern 36, 41 und 48. 65 Außerdem hat Mommsen die Handschriften W, D und E mit den Büchern 30 und 31, die Handschriften X, Y, Z und M mit D 41.2 verglichen. Weitere Kollationen für verschiedene Titel (Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 156) in den Additamenta, dazu S. LXIIII. Zu den Vulgathandschriften S. XXXXVIII – LII. 66 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 154 f. 67 Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 153 f. 63

Kantorowicz’ Kritik an der Edition Mommsens

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Für Kantorowicz ist diese Verengung ein Mangel der Mommsenschen Editionen. 68 Die Vulgattexte hätten für die Herstellung des justinianischen Digestentextes „eine weit größere Bedeutung [...], als die seit Mommsen herrschende Meinung annimmt“. Damit ergebe sich die Notwendigkeit, Mommsens Editio einer Revision zu unterziehen „unter Anerkennung der kritischen Gleichwertigkeit des Vulgattextes“. Jede Lesart der Vulgaten, die der florentinischen überlegen sei, dürfe als die ursprüngliche gelten, es sei denn, man könne erweisen, dass diese Lesart nicht die des Codex secundus, sondern eine Konjektur der bolognesischen Gelehrten war. 69

68

Auch die folgenden Zitate Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 150 –154. Zu den Möglichkeiten, die Vulgathandschriften zu nutzen Kantorowicz, Digestenvulgata, S. 154 – 159. 69

Mommsens epigraphische Arbeit und sein Staatsrecht Von Werner Eck In einer Ansprache zu seinem sechzigsten Geburtstag formulierte Mommsen rückblickend seine wissenschaftliche Entwicklung in dem folgenden kurzen Satz: „Der Jurist ging nach Italien – der Historiker kam zurück.“ 1 Das ist nur die halbe Wahrheit; denn zurück kam auch ein Mommsen, der die schon in einer fast gleichzeitig mit seiner Italienreise im Jahr 1844 erschienenen Arbeit über die römischen Tribus gezeigte Neugier für die epigraphische Hinterlassenschaft der römischen Welt zu einer ihn nie mehr loslassenden Leidenschaft entwickelt hatte. Im Vorwort dieser Arbeit hatte er geschrieben: „Bei der Prüfung der über die Tribus und deren Vorsteher vorhandenen Inschriften im Zusammenhang ergab sich, daß die letzteren in der späteren Verfassung auch Centurionen waren; die Untersuchung über die Bedeutung der Tribusverfassung für die Centurieneintheilung und die berühmte Kontroverse über die reformirte Centurienverfassung ließ sich nun nicht länger abweisen. Für sie fand sich aber auch sofort die Lösung in diesen Inschriften, welche ausdrücklich die Centurienzahl in der Tribus angaben. Wenn den Verfasser selbst das Glück überraschte, daß ihm eine so leicht zu machende Entdeckung aufgehoben worden war, so war es ihm um so mehr Pflicht, diese Gunst des Zufalls dadurch zu verdienen, daß er sich die Erklärung und Ausnutzung der neuen Quellenzeugnisse auf eifrigste angelegen sein ließ. Zuvörderst mußte also, was sonst über die Centurienreform überliefert war, gesammelt, gesichtet und mit den Inschriften zu einem Ganze verbunden werden.“ 2 Die Erfahrung, die er in dieser wissenschaftlichen Arbeit zur Bedeutung von inschriftlich überlieferten Texten gemacht hatte, konnte er unmittelbar in konkrete Arbeit daran umsetzen. Denn im selben Jahr 1844, in dem diese Arbeit veröffentlicht wurde, gewährte ihm die dänische Regierung ein zweijähriges Reisestipendium, mit dessen Mitteln er sich von November 1844 bis zum Mai 1 Zitiert bei St. Rebenich, Theodor Mommsen. Eine Biographie, München 2002, S. 51; auch zitiert bei G. Alföldy, Theodor Mommsen und die römische Epigraphik aus der Sicht hundert Jahre nach seinem Tod, in: Epigraphica 66, 2004, S. 217 ff., hier 224. – Stefan Rebenich danke ich für kritische Hinweise. 2 Th. Mommsen, Die römischen Tribus, Altona 1844, S. VI f.

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Werner Eck

1847 in Rom und Italien aufhalten konnte. Auf diese Zeitspanne hat er mit dem eben erwähnten Satz an seinem 60. Geburtstag angespielt. Fast die gesamte Zeit dieses Italienaufenthalts widmete Mommsen dem Studium der epigraphischen Dokumente, der Sammlung und Kollationierung der nur noch in Abschriften vorhandenen Inschriften und mit besonderem Nachdruck der unmittelbaren persönlichen Kontrolle der überall konkret sichtbaren inscriptiones. Das Wort inscriptiones ist ganz konkret zu verstehen: Es interessierten ihn die Texte; worauf diese geschrieben waren, interessierte ihn nicht. Dafür hatte er zeit seines Lebens kein Sensorium entwickelt. 3 Noch von Italien aus erarbeitete er eine sehr konkrete Vorstellung von seiner zukünftigen Arbeit, die ihn wie nichts anderes sein ganzes weiteres Leben begleitete. Denn er schrieb eine Abhandlung „über Plan und Ausführung eines Corpus Inscriptionum Latinarum“, die er sogleich nach Berlin sandte, wo sie im Januar 1847 gedruckt und den Mitgliedern der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften übergeben wurde. 4 Der Plan, ein umfassendes Corpus aller lateinischen Inschriften zu schaffen, war auch schon vor ihm von anderen entwickelt, aber nie verwirklicht worden. Zudem sah Mommsen vieles wesentlich anders als seine Vorgänger, klarer und zukunftsträchtiger; der Plan war so zukunftsträchtig, dass er bis heute im Kern gültig und auch noch im Jahr 2013 die Grundlage der Arbeit des CIL an der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ist. Zunächst aber scheiterte sein Plan. Erst als im Jahr 1852 die Inscriptiones regni Neapolitani Latinae erschienen waren und damit allen ein durchschlagendes Exempel für eine moderne Inschriftenedition vorlag, wurde der Widerstand in der Berliner Akademie schließlich im Jahr 1854 überwunden. Die Arbeit an dem von Anfang an monumental geplanten Werk, welches das gesamte Imperium Romanum erfassen sollte, konnte im folgenden Jahr beginnen. Wie fast bei jedem größeren Unternehmen waren die anfänglich geäußerten Aussagen über die zeitliche Vollendung des Corpus zu optimistisch; denn der erste Band des CIL, der, als einziger lediglich die Inschriften eines Zeitabschnitts erfassend, die Inscriptiones Latinae antiquissimae ad C. Caesaris mortem, also die republikanischen Inschriften, umfasst, erschien erst im Jahr 1863, der nächste, die Inscriptiones Hispaniae Latinae, herausgegeben von Emil Hübner, im Jahr 1869. Zwei Jahre später, 1871, als Mommsen den ersten Band seines Staatsrechts publizierte, wurde der erste Faszikel von Band IV, der die Inscriptiones parietariae Pompeianae Herculanenses Stabianae enthielt, vorgelegt und im 3 Siehe dazu W. Eck, Mommsen e il metodo epigrafico, in: P. Croce Da Villa / A. Mastrocinque (Hrsg.), Concordia e la X Regio. Giornate di Studio in onore di Dario Bertolini, Atti del Convegno Portogruaro 22 – 23 ottobre 1994, Padua 1995, S. 107 ff. 4 Text in: Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin – Im Auftrage der Akademie bearbeitet von Adolf Harnack, Bd. 2, Berlin 1900, S. 522 ff. (Nr. 216); zu den Einzelheiten L. Wickert, Theodor Mommsen. Eine Biographie, Band 2: Wanderjahre: Frankreich und Italien, Frankfurt a. M. 1964, S. 185 ff.

Mommsens epigraphische Arbeit und sein Staatsrecht

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Jahr darauf, 1872, Faszikel 1 von Band V des CIL, mit den Inschriften der regio X, der Gallia Cisalpina. Als Mommsen, fast 50 Jahre nach Beginn des CIL, im Jahr 1903 starb, war das Corpus, das Mommsen häufig einfach als C. abkürzte, 5 sozusagen das Corpus schlechthin, zwar immer noch nicht vollendet, aber insgesamt waren 31 Volumina publiziert, aufgeteilt auf insgesamt 15 Abteilungen, die mit den römischen Ziffern von I bis XV bezeichnet waren. Es waren rund 130.000 lateinische Inschriften, die unter der direkten Leitung Mommsens auf diese Weise der Forschung zur Verfügung gestellt waren. 6 Mommsen schuf durch sein fast übermenschliches Engagement im Verlaufe von mehr als einem halben Jahrhundert eine systematische Sammlung aller damals erreichbaren lateinischen Inschriften, die ein Teil der Dokumentation war, aus der die umfassende römische Welt gedanklich wiedererstehen konnte. Parallel zu dieser Arbeit unternahm er es, die rechtliche Ordnung dieser vergangenen Welt, soweit sie sich auf das staatliche Leben bezog, ebenso systematisch in seinem monumentalen Staatsrecht darzustellen. Beides erarbeitete er zur gleichen Zeit, so dass die Frage ganz natürlich ist, wieweit Mommsen die Inschriften, diesen bisher nie umfassend gesammelten Schatz lateinischer schriftlicher Überlieferung, für sein Staatsrecht herangezogen und seiner Darstellung dienstbar gemacht hat. Es mag zunächst einmal nützlich sein zu sehen, was in den Jahren, zu denen die verschiedenen Bände des Staatsrechts in 1., 2. und 3. Auflage erschienen, jeweils an CIL-Faszikeln vorlag, teils von Mommsen konzipierten und zum Teil von ihm selbst erarbeiteten. Die folgende Tabelle gibt dazu einen Überblick:

5

Siehe z. B. Staatsrecht III 1, S. 490 Anm. 2. Die genaue Zahl der Inschriften, die in den bis 1903 publizierten Bänden enthalten ist, lässt sich nicht feststellen. Denn auf der einen Seite sind viele Texte, weil neu und besser gelesen, in Supplementen erneut mit einer neuen Nummer aufgenommen worden, so vor allem in CIL III; andererseits sind, um die einmal festgelegte Nummerierung beibehalten zu können, zahlreiche Texte mit Hochzahlen unter einer einzigen laufenden Nummer zusammengefasst worden. Das macht es unmöglich, schlicht die Zahl der Inschriften mit einer laufenden Nummer zusammenzuzählen. Doch die Größenordnung von 130.000 dürfte ungefähr zutreffen. Heute kennt man über 452.000 lateinische Inschriften, einschließlich des instrumentum domesticum; siehe dazu die Epigraphische Datenbank Clauss-Slaby: http://www.manfredclauss.de/. 6

52 Jahr

Werner Eck StR 2. Auflage 1. Auflage

3. Auflage

CIL-Bände

1863

I: Inscriptiones Latinae antiquissimae ad C. Caesaris mortem

1869

II: Inscriptiones Hispaniae Latinae

1871 Band I

IV: Inscriptiones parietariae Pompeianae Herculanenses Stabianae

1872

V 1: Inscriptiones regionis X: Venetia et Histria

1873

III 1 – 2: Inscriptiones Asiae, provinciarum Europae Graecarum, Illyrici Latinae VII: Inscriptiones Britanniae

1874 Band II 1 1875 Band II 2 1876

Band I

VI 1: Inscriptiones urbis Romae

1877

Band II 1 – 2

V 2: Inscriptiones regionum XI et IX: Transpadana, Liguria

1878 1879 1880 1881

VIII 1 et 2: Inscriptiones Africae

1882

VI 2: Inscriptiones urbis Romae

1883

IX: Inscriptiones Calabriae, Apuliae, Samnii, Sabinorum, Piceni X: Inscriptiones Bruttiorum, Lucaniae, Campaniae, Siciliae, Sardiniae

1884 1885 1886 1887 Band III 1 1888 Band III 2

VI 3: Inscriptiones urbis Romae Band I, II 1 – 2 XIV: Inscriptiones Latii veteris XI 1: Inscriptiones Aemiliae, Etruriae XII: Inscriptiones Galliae Narbonensis

Mommsens epigraphische Arbeit und sein Staatsrecht

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Als die erste Auflage von Band I und auch noch von Band II des Staatsrechts erschien, war das Corpus der Lateinischen Inschriften selbst, jedenfalls in publizierter Form, noch nicht sehr weit gediehen und das gilt selbst für die 2. Auflage; nur neun Faszikel waren im Jahr 1877 schon fertig gestellt, darunter, was gerade für die staatliche Ordnung der Republik sehr wichtig war, Band I mit den Inschriften bis zum Tod Caesars (ein Band, der heute durch eine 2. Auflage aus dem Jahr 1893 ersetzt ist). Die Zahl an erschienenen CIL-Bänden war dann deutlich anders, als 1887/88 das gesamte Staatsrecht in dritter bzw. für Band III 1 und 2 in erster Auflage zur Verfügung stand; da waren so entscheidende Bände des CIL wie die beiden ersten für die afrikanischen Provinzen, für Latium vetus mit den Inschriften der vielen alten Gemeinden in der Umgebung Roms, für das gesamte östliche Mittel- und Unteritalien, für Etrurien und die Aemilia sowie für die Narbonensis schon vorgelegt. Auch der Band zu Campanien, Bruttium, Sizilien und Sardinien war von Mommsen selbst publiziert worden, der freilich im Kern eine, allerdings beträchtlich erweiterte Neuauflage seiner musterhaften Inschriften des Königreichs Neapel von 1852 war. Mommsen hing bei seiner Arbeit am Staatsrecht natürlich nicht allein von dem neuen Corpus ab, jedenfalls nicht nur von den schon publizierten Bänden; denn all das, was er seit seinem Italienaufenthalt an Texten gesammelt hatte, was von anderen Mitarbeitern am Corpus zusammengetragen oder von ‚Mitarbeitern vor Ort‘ zugesandt worden war, war ihm direkt zugänglich. 7 Er selbst zitierte allerdings noch sehr häufig die Amplissima collectio von Orelli, vor allem mit dem Supplement von Wilhelm Henzen von 1856, 8 selbst an manchen Stellen, an denen bereits das neue Corpus vorlag. 9 Doch nicht selten griff er auch schon auf die Textfassungen zurück, die zur Zeit der Abfassung des Staatsrechts zwar bereits für das CIL ausgearbeitet waren, aber erst nach 1887 oder 1888 im Corpus erschienen. So verweist er in Bd. II 1, 570 Anm. 2 schon im Jahr 1887 für einen senatorischen Cursus aus Falerii Novi auf CIL XI 3098; der erste Faszikel 7 Manchmal hat er freilich bei der gewaltigen Masse an Inschriften, die noch nicht alle über einen Index erschlossen waren, das eine oder andere vergessen. So entsteht aus Staatsrecht II 2, 926 der Eindruck, das Amt ab actis senatus sei stets mit der Stellung eines aedilis curulis gekoppelt gewesen. Dabei hatte Mommsen selbst Ephemeris epigraphica IV 425 = CIL III 10336 (Gorsium) einen cursus herausgegeben, in dem ein Maximus zunächst ab actis senatus und danach tribunus plebis (in dieser Reihenfolge) wurde; Ephemeris epigraphica IV war im Jahr 1881 erschienen. 8 Die Frequenz der Verweise auf Orelli-Henzen sieht man an der Konkordanz in: Theodor Mommsen. Römisches Staatsrecht. Stellenregister, bearbeitet von Jürgen Malitz, München 1979, S. 276 – 279: mehr als 300 Mal. 9 Inscriptionum Latinarum selectarum amplissima collectio ad illustrandam Romanae antiquitatis disciplinam accomodata ac magnarum collectionum supplementa complura emendationesque exhibens cum ineditis Io. Casp. Hagenbuchii suisque adnotationibus edidit Io. Casp. Orellius. Insunt lapides Helvetiae omnes, 2 Bde. (Zürich 1828): 568 und 567 Seiten mit 5076 Nummern; Vol. III collectionis Orellianae supplementa emendationesque exhibens ed. W. Henzen (Zürich 1856): XXXIII und 525 Seiten.

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von Band XI erschien schon im folgenden Jahr. 10 In Band III 1, S. 761 Anm. 2 des Staatsrechts aber bezieht er sich für eine Unterteilung der Drachme in der Provinz Asia auf die Stiftung des Gaius Vibius Salutaris aus dem Theater von Ephesus, von der die meisten Texte erst im letzten Supplementband von CIL III unter der Nummer 14195 4 – 12 im Jahre 1902 (in der Abschrift von Heberdey) publiziert wurden. Mommsen selbst hatte in der Numismatischen Zeitschrift 14 (1887), 40 – 42 kurz über die Stiftung und die dort vorgefundene Einteilung der Münzen gehandelt, während die Masse des Haupttextes von Wood in den Discoveries at Ephesus schon 1877 vorgelegt worden war, auf den Mommsen wiederum nicht verweist. 11 An vielen Stellen stützt sich Mommsen ferner auf fast zeitgleich von anderen publizierte Texte, die, soweit sie lateinisch und damit zukünftiger Teil des CIL waren, in großem Maße ohnehin in Berlin durch das umfassende Netzwerk, das Mommsen geknüpft hatte, bei ihm angekommen waren. Manches erreichte ihn in sozusagen in letzter Sekunde. Ein Beispiel findet sich in Bd. III 1, erschienen im Jahr 1887. Dort schreibt er: „Eine anscheinend zusammengehörige Gruppe von Grabinschriften, die kürzlich in Rom unmittelbar vor Porta Salara zum Vorschein gekommen ist, (mir in Abklatsch von Hrn. Barnabei mitgetheilt: gedruckt in Fiorellis Notizie degli scavi 1887 p. 191), aus guter, wahrscheinlich augustischer Zeit“; die Texte führten wohl „auf ein Gesamtgrab der Tribulen der Pollia“. Diese Nachricht kam an, als der Umbruch des Bandes offensichtlich schon festlag. Hätte Mommsen den Zusatz, der ihm wichtig erschien (der insgesamt wesentlich länger ist, als hier zitiert), noch an der Stelle eingefügt, an der er die Tribusorganisation beschrieb (auf S. 189 f.), dann hätte dies eine weitreichende Verschiebung des Umbruchs zur Folge gehabt. Er fand die völlig unorthodoxe, aber sachlich einsichtige Lösung, dass er im Inhaltsverzeichnis auf S. IX, also innerhalb der römischen Seitenzählung, wo ein Zusatz nur eine Verschiebung des Umbruchs über wenige Seiten zur Folge hatte, eine Anm. 1 anfügte, in welcher der eben zitierte Nachtrag zu der Tribusorganisation steht. Dieses Verfahren wandte er nicht nur an dieser Stelle an, sondern in allen Bänden der dritten Auflage des Staatsrechts, wobei er fast immer unmittelbar vorher bekannt gewordene, ihm sachlich wichtig erscheinende Inschriften integrierte. 12 10

Wenige Seiten später aber, S. 573 Anm. 1, verweist er für eine Inschrift aus Urvinum Mataurense noch auf Grut. 485, 8; diese Inschrift benutzt man heute nach CIL XI 6053. Dieser Band erschien erst im Jahr 1901; so waren zum Zeitpunkt der Publikation der 3. Auflage von Band II des Staatsrechts für Faszikel 2 von CIL XI vermutlich noch keine Nummern vergeben. 11 In: Theodor Mommsen. Römisches Staatsrecht. Stellenregister, bearbeitet von Jürgen Malitz, München 1979, S. 216 wird das Zitat Mommsen, Num. Zeitschrift 14, 40 mit CIL III 14195 4 identifiziert, was aber so nicht zutrifft. Mommsen hatte sich auf den Haupttext der Stiftung bezogen, der jedoch, da ohne lateinische Teile, nicht ins CIL aufgenommen wurde; das geschah nur mit den bilinguen Statuenbasen des Vibius Salutaris.

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An anderer Stelle ebenfalls in Band III 1, S. 726 Anm. 3, dort also innerhalb der Darstellung, bezieht er sich auf „[e]ines der merkwürdigsten Documente, welches die pergamenischen Ausgrabungen ergeben haben;“ es sei „ein (noch ungedruckter)“ ihm „von den künftigen Herausgebern mitgetheilter Beschluss dieser Stadtgemeinde“. Er verwies hier auf einen pergamenischen Volksbeschluss aus dem Jahr 133 v. Chr., mit dem die Gemeinde Pergamon das Bürgerrecht der Stadt an bisherige Nichtbürger vergab, und zwar im klaren Bewusstsein, dass man diesen Beschluss in einem rechtlichen Zwischenstadium fasse, da die attalidische Königherrschaft beendet war, aber Rom die Rechtsnachfolge der attalischen Könige noch nicht angetreten hatte. Die Namen der künftigen Herausgeber in den Inschriften von Pergamon Band I nennt Mommsen freilich nicht; es waren Max Fränkel zusammen mit Ernst Fabricius und Carl Schuchardt. 13 Hier wie an manch anderen Stellen ist er wenig großzügig, wenn es um die Anerkennung der Hilfe geht, die von anderen kam. 14 Jürgen Malitz hat 1979 einen vollständigen Index zu Mommsens Staatsrecht vorgelegt, der vieles erkennen lässt, was sonst kaum genauer feststellbar wäre. 15 Die literarischen Quellenstellen einschließlich derjenigen aus der juristischen Literatur umfassen dort die Seiten 1 bis 210, die daran sich anschließenden Zitate aus den Inschriften die Seiten 211 bis 270. Auf den Seiten 211 bis 264 sind die lateinischen Inschriften verzeichnet, von Seite 264 bis 270 die griechischen. 16 Das zeigt die Dominanz der lateinischen epigraphischen Texte 12 Einige Male bringt er aber dort auch andere, von ihm vorher übersehene Quellenhinweise unter. 13 M. Fränkel (Hrsg.), Die Inschriften von Pergamon I, Berlin 1890, S. 179 ff. Nr. 249. In derselben Anmerkung verweist Mommsen noch auf einen weiteren Text aus Pergamon, der im Jahrbuch der preuss. Kunstsammlungen 1880, 190 publiziert worden war; er findet sich später in Inschriften von Pergamon II Nr. 413. 14 Natürlich tut er das gelegentlich; so schreibt er Staatsrecht II 2, 1007 Anm. 2 bei einem Verweis auf Gaius, Dig. 31.56: „Ich verdanke die Hinweisung auf diese wichtige [...] Stelle Herrn Prof. Eck“ – er ist kein Vorfahre des Autors dieses Artikels. 15 In Mommsens eigenem Stellenindex Band III 1314 ff. sind die Inschriften S. 1324 – 1327 eingearbeitet. 16 Die reine Zahl der Seiten, auf denen die Inschriftenzitate aufgelistet sind, sagt nicht alles. Denn der Verweis auf eine Inschrift wird im Index von Malitz wiederholt, wenn es mehrere autoritative moderne Ausgaben gibt. So werden alle Inschriften, die unter den CIL-Bänden angeführt sind, nochmals für die Inscriptiones Latinae Selectae von Hermann Dessau zitiert. Ebenso werden alle griechischen Inschriften, die nach Corpus Inscriptionum Graecarum angeführt sind, beispielsweise auch nochmals unter den Inscriptiones Graecae oder den Inscriptiones Graecae ad res Romanas pertinentes verzeichnet. Dadurch reduziert sich der Umfang, den die Inschriften im Index einnehmen um mindestens 15 Seiten. – Vergleicht man übrigens das Verhältnis von literarischer und epigraphischer Überlieferung, die sich im Strafrecht findet (siehe Theodor Mommsen, Römisches Strafrecht Stellenregister, bearbeitet von J. Malitz [München 1982]), dann zeigt sich sehr deutlich, dass für den Komplex des Strafrechts die Inschriften ein noch deutlich geringeres Gewicht haben als im Staatsrecht, was aber nicht verwunderlich ist.

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für das Staatsrecht, was von der Sache her nicht grundsätzlich verwundern kann. Doch es ist nicht nur die sachliche Präponderanz, die dieses Verhältnis bestimmt, es ist vor allem der Zustand der Sammlung der Inschriften. Das einzige große Corpus, das für griechische Inschriften damals existierte, war das Corpus Inscriptionum Graecarum, auch dieses wie das CIL ein Produkt der Berliner Akademie. Doch allein wegen der so fundamental anderen Sammlungsweise hatte es weit weniger Inschriften erfasst als das CIL, insgesamt weniger als 10.000 Inschriften. Da machte es sich in erheblichem Maße bemerkbar, dass es Mommsen nicht gelungen war, vor allem für den östlichen Mittelmeerraum auch die griechischen Inschriften in sein Corpus einzuschließen, wie er es eigentlich gewollt hatte. 17 Seinen missbilligenden Kommentar findet man in der Einleitung zu CIL III: Ita enim iussit Academia, neque legem operis quamquam per se parum commodam mutare potuimus. 18 Wo ihm die griechischen Texte allerdings vorlagen, hat er sie partiell auch intensiv genutzt; man vergleiche nur, wie oft er sich auf das senatus consultum de Asclepiade Clazomenio bezieht, dessen voller Text nur in der griechischen Version vollständig erhalten ist; dieses senatus consultum war allerdings auch in CIL I aufgenommen worden, da ein Teil der lateinischen Fassung erhalten ist; die Bronzetafel stammte überdies auch aus Rom, nicht aus dem griechischen Osten. 19 Der massive Unterschied in der Relation zwischen Belegen aus literarischen und epigraphischen Quellen ist eindeutig, er kann allerdings aus mehreren Gründen nicht so sehr überraschen. Da ist zum einen die simple, aber doch ganz zentrale Beobachtung zu nennen, dass für Mommsen die Königszeit und die Republik bedeutsamer waren als der Prinzipat. Lateinisches inschriftliches Material aber ist eben zu mehr als 98 Prozent kaiserzeitlicher Provenienz, 20 während die literarischen Quellen sich deutlich anders verteilen. Das beeinflusst auch das Ge17

Allerdings hat Mommsen sich offensichtlich nirgends darüber geäußert, welche griechischen Inschriften er, wenn es möglich gewesen wäre, tatsächlich in sein Corpus aufgenommen hätte. Nur diejenigen, die in den römischen Kontext gehören (wie das später in den IGR geschehen ist) oder generell alle Inschriften. 18 CIL III p. VI. Dass Mommsen nur über den Ausschluss der Inschriften in griechischer Sprache klagt, epigraphische Texte in anderen Sprachen aber mit Schweigen übergeht, ist nicht nur für ihn typisch, sondern bis in die heutige Zeit ganz normal. Die erste systematische Ausnahme zu dieser Haltung wird nunmehr im Corpus Inscriptionum Iudaeae / Palaestinae (Berlin 2010 ff.) gemacht. 19 CIL I 2 588 = IG XIV 951 = IGR I 118 = CIL VI 40890 = A. Raggi, Senatus consultum de Asclepiade Clazomenio sociisque, in: ZPE 135, 2001, S. 77 ff. 20 Das lässt sich ungefähr aus dem Vergleich der Zahl der Inschriften erkennen, wie sie in der Datenbank Clauss-Slaby (Mai 2013) zu fassen sind: Für die Zeit der Republik finden sich in CIL I 2 5286 Datensätze (der letzte Band von CIL I 2 erschien 1986; was an republikanischen Inschriften inzwischen erschienen ist, ist für die Statistik irrelevant), der Gesamtbestand der Datenbank ohne die republikanischen Inschriften beträgt ca. 447.000 (immer einschließlich des instrumentum domesticum). Das ergibt einen Prozentsatz von rund 1.2 an republikanischen Inschriften.

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wicht, das diese beiden Quellengruppen im Staatsrecht erreichen. Ferner ging es Mommsen in seinem Staatsrecht nicht vornehmlich um historische Entwicklung, also um Geschichte, sondern um die systematische Erfassung der organisatorischen Strukturen der römischen res publica von der Königszeit bis zum Ende des Prinzipats. Das war der Teil, der in dem Werk Adolph Beckers, das Marquardt und Mommsen zusammen fortsetzten, als „Staatsalterthümer“ oder „Staatsverfassung“ bezeichnet worden waren. Die Teile die bei Marquardt blieben, die „Provinzen, die Städte, das Finanz- und Militärsystem, die Priesterschaften“ hingen „in einem ganz anderen Ausmaße auf der inschriftlichen Überlieferung“; diese Arbeitsteilung entbehrt „nicht einer gewissen Ironie“, wie Wilfried Nippel zu Recht bemerkte, da sie mit der Notwendigkeit, die Details sowie die lokalen Unterschiede zu beschreiben, in einem ganz anderen Ausmaße auf der inschriftlichen Überlieferung beruhten als Mommsens Part. 21 Mommsen ging es dagegen vornehmlich um die generellen Erscheinungen, nicht um das Individuelle im historischen Prozess. Symptomatisch ist es deshalb, dass im Haupttext des Staatsrechts (wenn ich das recht überblicke) außer den Kaisern und den Autoren von literarischen Werken kaum Personen genannt werden, mit denen historische Ereignisse verbunden waren. Wenn etwa an einer Stelle die Namen P. Scipio und P. Rupilius erscheinen, dann deswegen, weil sie die Lokalstatuten auf Sizilien erlassen haben; sie sind sozusagen Quellenautoren. 22 Inschriften aber sind in ihrer übergroßen Mehrheit gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie als einzelne meist keine generellen Aussagen machen, sondern an Einzelereignisse erinnern und vor allem fast generell Personen nennen, für die individuell eine bestimmte Aussage zutrifft, Personen, die zumeist die Inschriftsetzung überhaupt selbst verursacht haben. Um aus diesen Einzelaussagen allgemeine Erkenntnisse zu gewinnen, sind zumeist viele oder möglichst alle Inschriften gleichartigen Inhalts miteinander zu verbinden, um auf diese Weise das Typische zu eruieren. Das hat Mommsen selbst an vielen Stellen geleistet, gelegentlich ohne das näher kenntlich zu machen, obwohl die Aussagen ohne Zweifel auf seiner umfassenden Kenntnis der inschriftlichen Texte beruhen. Manchmal aber hat er das ihm bekannte einschlägige epigraphische Material auch in den teilweise überlangen Anmerkungen im Staatsrecht präsentiert, wo dann oft nicht wenige Namen von Personen genannt werden, die in den Inschriften erscheinen; doch selbst hier werden beispielsweise vielfach zwar die Ämter von einzelnen Magistraten angeführt, nicht jedoch deren Namen, obwohl diese etwa für die Datierung ganz entscheidend wären. Doch gerade dieser Aspekt der präzisen Datierung spielte für Mommsen im Staatsrecht meist keine Rolle, zumindest nicht im Sinne einer

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W. Nippel, Der „antiquarische Bauplatz“. Theodor Mommsens Römisches Staatsrecht, in: J. Wiesehöfer (Hrsg.), Theodor Mommsen: Gelehrter, Politiker und Literat, Stuttgart 2005, S. 165 ff., hier S. 172 f. 22 Staatsrecht III 1, S. 746.

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Entwicklung. 23 Vielfach fehlten diese Detailuntersuchungen auch noch oder es gab, verglichen mit heute, für bestimmte Erscheinungen erst vereinzelte epigraphische Texte, die noch keine verallgemeinernde Feststellung zuließen, obwohl Mommsen das gelegentlich auch in solchen Fällen getan hat. So schrieb er, um nur ein relativ willkürliches Beispiel anzuführen, in Band II S. 997 mit Anm. 2: „Adsignationen, die gleich den gracchischen den Rückfall des Grundstückes an den Staat für gewisse Fälle vorbehalten, begegnen erst im dritten Jahrhundert“. Insbesondere finde sich die „Auflegung erblicher Dienstpflicht“, (die, wenn nicht erfüllt, den Rückfall von Adsignationen zur Folge habe – wie man in Mommsens Text ergänzen muss), was er einerseits mit HA (bei Mommsen natürlich SHA) vita Alexandri 58 und vita Probi 16 belegt, andererseits mit einem fragmentarischen Militärdiplom: „Bei einer in die erste Hälfte des dritten Jahrh. fallenden Verabschiedung wird, nach einer allerdings wenig sicheren Ergänzung, das erbliche Bürgerrecht nur denjenigen Centurionen verliehen, [qui cum filiis in] provincia ex se procreatis [milites ibi castel]lani essent“. Das Diplom, das von Mommsen selbst in Eph. epig. IV 508 f. erstmals veröffentlicht wurde, gehört, wie man jetzt weiß, ins Jahr 192 (oder 193) nicht ins 3. Jahrhundert und spricht lediglich davon, dass das Bürgerrecht denjenigen Kindern von Dekurionen und Zenturionen gewährt werde ([ut cives Ro]mani essent), welche diese Soldaten beim praeses der Provinz ex se procreatos probaverint. 24 Hier sollen problematische Aussagen der Historia Augusta durch ein in großen und entscheidenden Teilen ergänztes epigraphisches Zeugnis gestützt werden, obwohl Mommsen selbst – zu Recht – die Ergänzung für wenig sicher gehalten hatte. 25

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Ähnliches ist im Strafrecht zu sehen, siehe dazu D. Liebs, Mommsens Umgang mit den Quellen des römischen Strafrechts, in: W. Nippel / B. Seidensticker, Theodor Mommsens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung, Hildesheim / Zürich / New York 2005, S. 199 ff.; dazu St. Rebenich, in: ZSS 127, 2010, S. 555 ff. 24 P. Holder (Hrsg.), Roman Military Diplomas, Bd. V, London 2006, S. 446: [praete]r(e)a praestitit liberis decurionum et cen[turionu]m quos praesidi provinc(iae) se procreatos [probaverint] ut cives Romani essent. Siehe zu diesen Rechtsregeln, die eine Folge des Ausschlusses der Kinder von Auxiliaren waren, die während der Dienstzeit geboren wurden, zuletzt W. Eck, Bürokratie und Politik. Administrative Routine und politische Reflexe in Bürgerrechtskonstitutionen der römischen Kaiser, Wiesbaden 2012, S. 37 ff. 25 In Staatsrecht II S. 893 meint er, „die Verleihung des Goldringes, das heisst der Ingenuität, getrennt vom Ritterrecht“ begegne zuerst unter Commodus und könnte von ihm eingeführt worden sein. Als Beleg verweist er in Anm. 3 auf CIL VI S. 1847 mit dem Text: [L.] Marius L. lib. Doryphorus anulos aureos consecutus a divo Commodo [...]. Doch das kann seine Aussage im Text über die Verleihung der Ingenuität nicht stützten, da Doryphorus sich dann nicht L(uci) lib(ertus) nennen würde; denn dass er die Ingenuität, wenn sie ihm denn verliehen worden wäre, nicht nennen würde, ist wenig wahrscheinlich.

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Die Möglichkeiten, aus Inschriften generelle Aussagen zu gewinnen, zeigen sich, wie schon kurz angedeutet, bei der systematischen Auswertung thematisch verbundener Inschriften; das hat Mommsen selbst an vielen Stellen, etwa in den Bänden der Ephemeris epigraphica, meisterhaft vorexerziert und deren Ergebnisse an vielen Stellen in das Staatsrecht integriert. Er hatte wohl auch schon erkannt, dass sich über die vielen Personen, die während der Kaiserzeit für politische, administrative und militärische Funktionen speziell durch Inschriften bekannt sind, weitere entpersonalisierte Einsichten gewinnen lassen, vor allem zur Ämterstruktur in der Prinzipatszeit (weit weniger deren Entwicklung, obwohl auch dies immer wieder geschieht 26). Vermutlich ist daraus auch seine Absicht entstanden, eine umfassende Prosopographia Imperii Romani abfassen zu lassen, wozu er den Antrag an die Berliner Akademie im Mai 1874 gestellt hatte. 27 Für sein Staatsrecht aber kam dieses Arbeitsinstrument zu spät, da 1887/88, als die dritte und letzte Auflage erschien, noch nicht einmal die Materialsammlung für die zukünftige PIR abgeschlossen war. Die Bände der ersten Auflage der PIR, erarbeitet von Paul v. Roden und vollendet von Hermann Dessau, erschienen 1896 bis 1898. Gelegentlich aber versuchte Mommsen sich doch an der Auswertung des prosopographischen, fast ausschließlich epigraphisch überlieferten Materials. So verweist er bei der Behandlung des equester ordo darauf, dass für die „Gesuche um Aufnahme in die Ritterschaft“ „ein eigenes kaiserliches Bureau“ eingerichtet worden sei, das a censibus geheißen habe; daran schloss er auch gleich noch die „um Aufnahme in den Senat“ an. Dass dieses officium a censibus sich mit der Aufnahme in den equester ordo befasste, scheint unbestreitbar, dass es etwas mit der Aufnahme in den Senat zu tun haben sollte, ist wenig wahrscheinlich. Mommsen setzt jedoch hinzu, die Funktion a censibus habe „eine Abtheilung des Departments für die Bittschriften (a libellis)“ gebildet. 28 Zum Beweis führt er in der zugehörigen Fußnote mehrere Inschriften an, aus denen 26 Siehe z. B. Staatsrecht II S. 927: „Auf den älteren Inschriften pflegt der Name des commendirenden Kaisers entweder voll ausgedrückt oder doch der Magistrat als candidatus imperatoris (Caesaris Augusti) bezeichnet zu werden; gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts fängt dieser Genetiv an zu schwinden und im dritten ist die elliptische Fassung stehend geworden.“ Beispiele dazu führt er in Anm. 1 auf, wobei er zu CIL XIV 3599: trib. pleb. candidato, quaestori candidato divi Hadriani meint, Inschriften wie diese zeigten „den Übergang zu der geradezu elliptischen“ Ausdrucksweise. Dabei übersieht er allerdings, dass die konkrete Formulierung dadurch bedingt war, weil es dem Autor der Inschrift, nämlich dem geehrten Senator selbst, klar war, dass die erneute Anführung des Namens des Kaisers unnötig war, weil es nur Hadrian sein konnte. 27 W. Eck, The Prosopographia Imperii Romani and the prosopographical method, in: A. Cameron (Hrsg.), Fifty Years of Prosopography. The Later Roman Empire, Byzantium and Beyond, Oxford 2003, S. 11 ff. Dort S. 21 f. auch der Text von Mommsens Antrag an die Akademie, mit der er die PIR ins Leben gerufen hat und aus dem die enge Verbindung zu seiner epigraphischen Arbeit deutlich wird. 28 Staatsrecht III 1, S. 489 f. mit Anm. 2 auf S. 490.

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er die entsprechenden Ämter a censibus und a libellis entnahm. Dabei war ihm aber nicht völlig bewusst, dass eine solche hierarchische Struktur, die er hier voraussetzt – nämlich das umfassende Amt a libellis, innerhalb dessen es dann unter anderem die Unterabteilung a censibus gegeben habe, – vom 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. innerhalb der kaiserlichen Administration noch nicht möglich war. 29 Seine Annahme beruhte darauf, dass in einem epigraphischen Text aus Lyon, den er nach (Orelli)-Henzen zitiert, 30 die beiden Funktionen in der Form a libellis et censibus miteinander verbunden waren, was auch noch in einem weiteren Fall bezeugt ist. 31 Doch ist dies eine temporäre Verbindung zweier Funktionsbereiche gewesen, ohne etwas zur hierarchischen Struktur zu sagen. In anderen Fällen ist nach den auch Mommsen schon zur Verfügung stehenden Inschriften die Funktion a censibus allein übertragen worden oder sogar in Verbindung mit anderen Aufgaben, ohne dass deswegen dann eine andere hierarchische Struktur vorausgesetzt werden muss. 32 Mommsen hat sich hier durch ein, zwei vereinzelte Zeugnisse beeinflussen lassen, ohne diejenigen, die anderes erkennen lassen, genügend zu berücksichtigen. 33 Ganz anders verfuhr er bei den ihm bekannten epigraphischen Zeugnissen, die auf administrative Funktionen einzelner Personen im Kontext des census in irgendeinem Teil des Reiches verwiesen. Daraus hat er zutreffend entnommen, dass es kein Zentralbüro für den census in allen Provinzen gegeben haben kann, was andererseits Hirschfeld angenommen hatte. 34 Auch beim kaiserlichen consilium hat Mommsen für die Zeit ab Hadrian die prosopographischen, ausschließlich auf Inschriften beruhenden Informationen herangezogen. 35 Diesem Kaiser schrieb er auf Grund von HA vita Hadriani eine grundlegende Reform dieser Institution zu; seit seiner Zeit, so Mommsen, seien 29

Siehe dazu umfassend P. Eich, Zur Metamorphose des politischen Systems in der römischen Kaiserzeit. Die Entstehung einer „personalen Bürokratie“ im langen dritten Jahrhundert, Berlin 2005. 30 Statuenbasis für den Ritter C. Iulius C. f. Quir. Celsus und seinen Sohn: Orelli-Henzen III 6929 = CIL XIII 1808 = H. Dessau, Inscriptiones Latinae Selectae, Berlin 1892, ND 1962) (= Dessau) Nr. 1454. 31 CIL XIV 5347 f. für L. Volusius Maecianus, der wie Iulius Celsus diese beiden Aufgaben unter Pius übernahm. 32 Siehe z. B. die Laufbahn des M. Aurelius Papirius Dionysius, a libellis et a cognitionibus, in CIL X 6662 oder T. Haterius Nepos, proc. hereditatium et a censibus in CIL XI 5213. 33 Siehe zu den anderen Zeugnissen H.-G. Pflaum, Les carrières équestres sous le Haut empire romain, Paris 1960, III S. 1021 f.; Supplement Paris 1979, S. 111. 34 G. Hirschfeld, Untersuchungen auf dem Gebiete der römischen Verwaltungsgeschichte, Bd. 1: Die kaiserlichen Verwaltungsbeamten bis auf Diocletian, Berlin 1877, S. 18. 35 Staatsrecht II 2, S. 988 ff. mit Anm. 3 auf S. 989. CIL VI 1518, das von Mommsen in der Ergänzung in con[silio imp.] Caearis L. Aur. [Commodi] zitiert wird, hat mit dem consilium nichts zu tun, vielmehr ist dort wie CIL VI 41131 in con[sul(atu) collega

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die Mitglieder des kaiserlichen consilium „angestellte und salarierte consiliarii Augusti“ gewesen. Wahrscheinlich sei „mit der festen Anstellung eine gewisse Verpflichtung verbunden sich für diesen Dienst im Palast gegenwärtig zu halten, welche die Consiliarien gleichsam zu Hausgenossen des Kaisers machte“. Dabei hat Mommsen freilich kein Gewicht auf die Tatsache gelegt, dass alle epigraphischen Zeugnisse von consiliarii, die er anführt, ritterständische Personen betreffen, und zwar mit einem Rang zwischen sexagenarius und ducenarius, der nicht vergleichbar ist mit dem sozio-politischen Status derjenigen, die aus den literarischen Zeugnissen als Mitglieder des kaiserlichen consilium seit Hadrian bekannt sind, die Mommsen natürlich auch kannte. In den vollständig erhaltenen cursus honorum von Leuten wie Neratius Priscus oder Salvius Iulianus, die senatorischen Ranges waren, 36 oder auch von Volusius Maecianus, der zunächst Ritter war, dann aber in den Senat aufgenommen wurde, 37 wird jedoch nichts von ihrer, in historiographischen bzw. juristischen Quellen bezeugten Tätigkeit im consilium erwähnt, und zwar schlicht deswegen, weil diese Teilnahme am kaiserlichen consilium eben keine permanente Aufgabe war, keine „feste Anstellung“, wie aber Mommsen schrieb; Personen wie die genannten Senatoren nahmen stets nur von Fall zu Fall an solchen Beratungen um den Kaiser teil. Consiliarii aber, die eine permanente Funktion übernahmen und dafür ein Gehalt von 60-, 100- oder 200.000 Sesterzen bezogen, wie Mommsen richtig schließt, hatten nur die Aufgabe dem Kaiser Sachunterlagen zu erarbeiten. Mitglieder des consilium aber, wie wir sie heute z. B. aus der Namensliste der tabula Banasitana kennen, 38 waren solche bezahlten consiliarii nie. 39 Mommsen wollte keine Entwicklungsgeschichte des römischen Staatsrechts schreiben, weshalb sein Werk auch nicht, wie üblich und eigentlich auch erwartbar, nach Großepochen gegliedert hat, obwohl er bei vielen Einzelphänomenen das historische Fortschreiten erläutert hat; das war unvermeidbar. 40 Doch es ging ihm wesentlich um rechtliche Strukturen, nicht um Politik, die sich in der Zeit entfaltet. Natürlich entging Mommsen der politische Charakter vieler Erscheinungen nicht. Dennoch fasste er Phänomene, die im Kern politische waren, nicht Imp(eratoris)] Caesaris L. Aur[eli Veri Aug(usti)] zu ergänzen: T. Sextius Africanus war Konsul mit Verus im Jahr 154. 36 AE 1978, 287; CIL IX 2455 = Dessau 1034 = AE 1976, 195; CIL VIII 24094 = Dessau 8973. 37 CIL XIV 5347 f. 38 AE 1971, 534 = N. Labory (Hrsg.), Inscriptions Antiques du Maroc (Paris 2003) II 1, 94. 39 W. Eck, Der Kaiser und seine Ratgeber. Überlegungen zum inneren Zusammenhang von amici, comites und consiliarii am römischen Kaiserhof, in: A. Kolb (Hrsg.), Herrschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis: Konzepte, Prinzipien und Strategien der Administration im römischen Kaiserreich, Berlin 2006, S. 67 ff. 40 Vgl. Nippel, Der „antiquarische Bauplatz“, S. 173.

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selten in Rechtsbegriffe. So verneint er in den ersten Jahrzehnten des Prinzipats und auch noch unter Tiberius ein Commendationsrecht für den Konsulat, will dieses dann aber entweder vor oder unter Nero eingeführt sehen, 41 so dass es „in ausgedehnterer Weise in Anwendung gebracht wurde als bei den übrigen Magistraturen als bei deren Bestellung der Senat activ eingreift, während bei dem Consulat die Handhabung des Commendationsrechts jede effective Mitwirkung des Senats ausschliesst. Somit sind die Consuln dieser Zeit einfach vom Kaiser ernannte Beamte“. 42 Dabei verweist er auf einen Text aus Tibur, die Grabinschrift des A. Plautius Silvanus Aelianus, auf dessen zweiten Konsulat in der Inschrift mit den Worten: Hunc in eadem praefectura urbis Imp. Caesar Aug. Vespasianus iterum co(n)s(ulem) fecit, hingewiesen wurde. 43 Formal rechtlich war das aber eben keine Ernennung durch Vespasian, vielmehr vollzogen der Senat und dann die Comitien – rechtlich gesehen – den politischen Willen des Herrschers. Das aber war auch schon vor der von Mommsen postulierten angeblichen Veränderung des Commendationsrechts der Fall, jedenfalls bereits seit dem Jahr 19 v. Chr., als das imperium des Augustus in seiner Wirksamkeit auch auf Rom und Italien ausgedehnt worden war. Kein Konsul ist seitdem mehr gegen den politischen Willen des jeweiligen Princeps ins Amt gekommen, obwohl formal immer gewählt wurde. Wir wissen dies heute auf Grund der tabula Hebana noch genauer; 44 doch klar war das immer. Faktisch verlässt hier Mommsen den Bereich des Rechts, fasst aber das Phänomen, das er beschreibt, dennoch in dessen Begriffe. Die reiche inschriftliche Ernte, die Mommsen durch sein Großprojekt des CIL angestoßen und der Wissenschaft zur Verfügung gestellt hat und das wir heute noch genauso nutzen wie er selbst es tat, ist in seinem Staatsrecht, vornehmlich für die Zeit des Prinzipats, aber von dort rückblickend auch für die frühere Zeit, an zahllosen Stellen zu spüren und viele Details des juristischen Systems sind auf diese Weise klarer geworden. Besonders deutlich wird dies dort, wo er auf gesetzliche Regelungen wie etwa die leges municipales zurückgreifen kann. Sie geben systematische Orientierung auch für die Zeit der Republik, 41

Staatsrecht II, S. 924 f. Das einzige unmittelbare Zeugnis für eine commendatio zum Konsulat überhaupt, zwei Inschriften des Senators [M(arcus) Ae]dius M(arci) f(ilius) Ba[lbus] aus Allifae mit der Formulierung: per commendation(em) Ti(beri) Caesaris Augusti ab senatu co(n)s(uli) dest(inato?) (CIL IX 2342 = Dessau 944 = N. Mancini, Allifae (Piedimonte Matese 2005) Nr. 28 und CIL IX 2341 = Mancini Nr. 27 und 29) will Mommsen weginterpetieren und darunter die rechtlich unverbindliche suffragatio verstehen (Staatsrecht II 923 Anm. 1). 42 In Staatsrecht S. 924 Anm. 4 relativiert er diese Aussage: „Dass die Consuln vom Princeps nicht geradezu, sondern in der Form der Commendation ernannt wurden, zeigt Plinius paneg. 92.“ Damit wird freilich seine Aussage im Text rechtlich hinfällig, und Commendation und Ernennung sind rechtlich widersprüchlich.. 43 CIL XIV 3608 = Dessau 986. 44 M. Crawford (Hrsg.), Roman Statutes I, London 1996, S. 507 ff.

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selbst wenn sie erst eine kaiserzeitliche Entwicklung kodifizieren. 45 Aber nicht ganz selten kommen die Inschriften Mommsen in seinem Staatsrecht sozusagen auch in die Quere. Denn sie sind konkret, vor allem reflektieren sie meist politisch-soziale, oft an Einzelpersonen gebundene Phänomene, nicht in erster Linie rechtliche Erscheinungen. 46 Da ist Mommsen immer wieder versucht, die politisch-sozialen Erscheinungen dennoch rechtlich zu beschreiben, während in den Anmerkungen dann die möglicherweise nicht so ganz passende Realität in der Form von inschriftlichen Dokumenten erscheint. Insoweit nimmt das Staatsrecht vom Blickpunkt der epigraphischen Zeugnisse her nicht selten einen janusförmigen Charakter an. Politisch-soziale Realität und Recht bleiben zwei Welten bei Mommsen, die er in seinem systematischen Zugang nur teilweise zu einer stimmigen Einheit verschmelzen konnte. 47

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Siehe z. B. seine Ausführungen über die stadtrömische Ädilität (Staatsrecht II 1, 505 ff.), die er in großem Umfang auf die lex Iulia municipalis sowie auf die lex coloniae Genetivae stützen kann. 46 Siehe die Bemerkung Mommsens von der Komplexität der Aufgabe in Staatsrecht I Seite XIII: „Es ist der allgemeine Theil der Darstellung des römischen Gemeinwesens, der hier im Anschluss an die hergebrachte Bezeichnung der ‚Staatsalterthtimer‘ als ‚römisches Staatsrecht‘ gegeben wird, der Versuch eine jede Institution darzustellen sowohl als Glied des Ganzen in ihrer Besonderheit wie in ihrer Beziehung zu dem Organismus überhaupt. Darin liegt allerdings auch die eminente Schwierigkeit dieser Arbeit, dass dafür der Darstellende überall ebenso der vollständigen Kenntniss auch derjenigen Einzelheiten bedarf, die er nicht erörtert, wie der vollständigen Einsicht in das Wesen des römischen Organismus überhaupt.“ 47 Das ähnelt dem, was sich aus den Mitschriften über seine Vorlesungen über die Kaiserzeit ergibt und was teilweise auch im 5. Band der römischen Geschichte, der die Provinzen behandelt, zu finden ist: Die Geschichte, d. h. das konkrete Werden und die Veränderung in der Zeit, findet sich für Mommsen eher in der literarischen Überlieferung; wo solche Werke vorliegen, wird seine Darstellung breiter und lebendiger.

Ein Programm als Problem. Die „Verschmelzung von Geschichte und Jurisprudenz“ in Theodor Mommsens Staatsrecht – Rückblicke, Seitenblicke und Ausblicke * Von Karl-Joachim Hölkeskamp I. Es gab den Theodor Mommsen der großen Programme und ihrer herrischapodiktischen Verkündung ex cathedra: „Solange die römische Jurisprudenz Staat und Volk der Römer ignorierte und die römische Geschichte und Philologie das römische Recht, pochten beide vergebens an die Pforten der römischen Welt“ – daher müsse die „erste Bedingung organischer Behandlung der römischen Dinge“ eben „die Verschmelzung von Geschichte und Jurisprudenz“ zu einer „neue(n) römische(n) Wissenschaft“ sein. 1 Diese bereits im Jahre 1858 in der Antrittsrede vor der Königlich Preußischen Akademie formulierte Forderung könnte auch und vor allem als Motto des Römischen Staatsrechts gelesen werden – die dort angestrebte konkrete Umsetzung dieser „Verschmelzung“ erweist sich bei näherem Hinsehen jedoch als schwierig respektive problematisch. Mehr * Der vorliegende Text ist eine erweiterte und um die notwendigen Belege ergänzte Fassung meines Vortrages, die ihrerseits weitgehend auf einer früheren Arbeit beruht: K.-J. Hölkeskamp, Ein „Gegensatz von Form und Inhalt“. Theodor Mommsens Konzept des republikanischen „Senatsregiments“ – Hindernis oder Herausforderung?, in: W. Nippel / B. Seidensticker (Hrsg.), Theodor Mommsens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung, Hildesheim / Zürich / New York 2005, S. 87 – 129. In dieser Arbeit ist auch die Literatur ausführlich dokumentiert, so dass es hier bei den Nachweisen der Zitate bleiben kann. Ich danke Iole Fargnoli und Stefan Rebenich für die Einladung zu dem Kolloquium und die Gelegenheit, hier noch einmal auf ein altes Thema zurückkommen und mit Kollegen darüber diskutieren zu dürfen, ferner Sema Karatas und Rebecca Knoben für kritisches Korrekturlesen und wie immer Elke Stein-Hölkeskamp, für alles. 1 Akademische Antrittsrede (8. Juli 1858), in Th. Mommsen, Reden und Aufsätze, Berlin 1905, S. 35 – 38, hier S. 36. Vgl. dazu auch die Rede bei Antritt des Rektorats (15. 10. 1874) in ebd., S. 3 – 16, hier S. 13 ff. und zwei weitere, deutlich frühere Reden: Die Aufgabe der historischen Rechtswissenschaft (1848); Die Bedeutung des römischen Rechts (1852), in Th. Mommsen, Gesammelte Schriften, Bd. III, Berlin 1907, S. 580 –591, hier bes. S. 586 f., bzw. S. 591 – 600, hier bes. S. 600.

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noch: es sind gerade die daraus resultierenden Brüche, Verwerfungen und Widersprüche, welche die Lektüre des Staatsrechts immer wieder lohnend machen, ja das Werk selbst heute noch eigentümlich modern erscheinen lassen. 2 Zunächst wieder zum Mommsen des großen Programms: in den diversen Vorworten zum Staatsrecht proklamierte er den „Staat“ als „ein organisches Ganzes“, als ein geschlossenes und in sich ruhendes System, das aus den „Institutionen“ (oder eben den „Organen“), deren einzelnen Funktionen, deren Zusammenwirken und den dies alles beherrschenden Normen bestehen sollte. 3 Dementsprechend sei das eigentliche „Wesen“ des „römischen Organismus“, das „System des römischen Staatsrechts“ – wie das Wesen jedes anderen „Rechtssystems“ – überhaupt nur durch eine „begrifflich geschlossene und auf consequent durchgeführten Grundgedanken wie auf festen Pfeilern ruhende Darlegung“ wirklich zu erfassen. Und daraus ergebe sich notwendig, dass dabei zuallererst die „Grundbegriffe systematische Darstellung gefunden haben“ müssten. 4 Dieser „dogmatisch-juristischen“ Programmatik 5 entsprechend besteht im Staatsrecht das „System“ insgesamt aus den drei tragenden Säulen Magistra-

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Vgl. dazu (und auch generell zum Folgenden) immer noch grundlegend J. Bleicken, Lex publica. Gesetz und Recht in der römischen Republik, Berlin / New York 1975, Kapitel I; W. Kunkel, Theodor Mommsen als Jurist, in: Chiron 14, 1984, S. 369 –380; Y. Thomas, Mommsen et l’„Isolierung“ du droit (Rome, l’Allemagne et l’État), Paris 1984, und neuerdings W. Nippel, Geschichte und System in Mommsens „Staatsrecht“, in: H.-M. von Kaenel / M. Radnoti-Alföldi / U. Peter / H. Komnick (Hrsg.), Geldgeschichte vs. Numismatik. Theodor Mommsen und die antike Münze, Berlin 2004, S. 215 –228; erweiterte Fassung: ders., Der „antiquarische Bauplatz“. Theodor Mommsens „Römisches Staatsrecht“, in: J. Wiesehöfer (Hrsg.), Theodor Mommsen: Gelehrter, Politiker, Literat, Stuttgart 2005, S. 165 – 184; ders., Das Staatsrecht in der Diskussion – von 1871 bis heute, in: ders. / Seidensticker (Hrsg.), Mommsens langer Schatten (wie Anm. *), S. 9 – 60; E. Flaig, Volkssouveränität ohne Repräsentation. Zum Römischen Staatsrecht von Theodor Mommsen, in: W. Küttler / J. Rüsen / E. Schulin (Hrsg.), Geschichtsdiskurs, Bd. III: Die Epoche der Historisierung, Frankfurt a. M. 1997, S. 321 –339. Zu Mommsens ambivalenter Identität als Jurist und Historiker s. knapp und informativ St. Rebenich, Theodor Mommsen. Eine Biographie. 2. Aufl., München 2007, Kapitel IV; ders., „Unser Werk lobt keinen Meister“. Theodor Mommsen und die Wissenschaft vom Altertum, in: Wiesehöfer (Hrsg.), Theodor Mommsen (wie oben), S. 185 –205, sowie bereits A. Heuß, Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert, Kiel 1956, ND Stuttgart 1996, Kapitel II und III, auch zum Folgenden; ders., Niebuhr und Mommsen. Zur wissenschaftsgeschichtlichen Stellung Theodor Mommsens, in: A&A 14, 1968, S. 1 –18, hier S. 11 ff. (= A.H., Gesammelte Schriften in 3 Bänden [Stuttgart 1995] S. 1699 –1716, hier S. 1709 ff.). 3 Römisches Staatsrecht, 3 Bde. in 5 Teilen (1871 – 1888, zitiert nach der Auflage Leipzig 1887 – 1888, ND Graz 1969), hier I, S. XI f. (Vorwort zur 2. Aufl.); vgl. S. VII ff. (Vorwort zur 3. Aufl.). s. zum „Erscheinungsverlauf“ K. Kaufmann / K. Wannack (Bearb.), Bibliographischer Index zum Römischen Staatsrecht von Theodor Mommsen, Hildesheim / Zürich / New York 2010, S. 20. 4 Staatsrecht I, IX (Vorwort zur 3. Aufl.); XIII (Vorwort zur 2. Aufl.).

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tur, Volksversammlung und Senat. 6 Dabei galt Mommsen die Magistratur als die Bezugsgröße der beiden anderen Institutionen, als Zentrum und eigentlicher Ursprung der gesamten Ordnung. Denn die Magistratur sei nicht nur „die Verkörperung des Staatsbegriffs und die Trägerin der Staatsgewalt“, sondern auch „älter als die Volksgemeinde“, also der Staat selbst: Damit ist es also die „Einheitlichkeit der Beamtengewalt“, von der „das römische Staatswesen“ überhaupt „ausgegangen“ sei. Das ist auch die Voraussetzung für die Selbstverständlichkeit, mit der Mommsen nicht nur „Consulat und Dictatur“, sondern auch den rex und dann sogar den princeps, der „nichts als ein Beamter mehr“ sei, als bloße „Modificationen des Grundbegriffs der Magistratur“ behandeln kann. Einem begriffsjuristisch-positivistisch inspirierten „Staatsrecht“ könne es ja auch gar nicht um „die Geschichte“ als „Zeitfolge“ gehen, sondern die „übliche Eintheilung in Königs-, republikanische und Kaiserzeit“ müsse geradezu „nothwendig“ dem „System“ und seiner lückenlosen, logisch und eben begrifflich zwingenden Darstellung untergeordnet werden. 7 Die ursprünglich einheitliche „Vollgewalt“ der Magistratur, um die Mommsens Staatsrecht – im doppelten Sinne, als ‚System‘ und als Werk – überall kreist, ist das imperium in seiner ebenso ursprünglichen „Totalität“ und „Autarkie“: Es „überträgt sich selbst, es ergänzt sich selbst, es sorgt selber für seine Vertretung und bestellt sich selber die Gehülfen“. Von der Königszeit über die Republik bis zum Prinzipat bleibt dieses Fundament des ‚Systems‘ im Kern unangetastet – auch wenn, etwa durch die Entwicklung der Provokation und der tribunizischen Gewalt, „die ganze innere Verfassungsgeschichte Roms sich zusammenfasst in der Abschwächung des Imperium“. 8 Das imperium als letzte Quelle von Autorität, die von keiner höheren Instanz abgeleitet in sich selbst ruht, ist also die Grundkonstante – eine Konstante, die wie das ‚System‘ selbst 5

Diese zuspitzende Charakterisierung findet sich bereits in einer (gerade in dieser Hinsicht sehr kritischen) Rezension des ersten Bandes von L. Lange, in: Literarisches Centralblatt 1872, S. 684 – 689 (= L. Lange, Kleine Schriften aus dem Gebiete der classischen Altertumswissenschaft, Bd. II [Göttingen 1887], S. 154 –165, hier S. 155). Eine Liste der Rezensionen zu den verschiedenen Auflagen bzw. Ausgaben des Staatsrechts und des Abrisses (s. u., Anm. 7) findet sich bei Kaufmann / Wannack (Bearb.), Bibliographischer Index (wie Anm. 3), S. 273 ff. Vgl. zur zeitgenössischen Kritik generell Nippel, Staatsrecht in der Diskussion (wie Anm. 2), S. 12 ff. 6 Vgl. dazu bereits Heuß, Mommsen (wie Anm. 2), S. 49 ff.; Bleicken, Lex publica (wie Anm. 2), S. 24 ff. und zuletzt einerseits A. Lintott, Die Magistratur in Mommsens Staatsrecht, und andererseits M. Jehne, Die Volksversammlungen in Mommsens Staatsrecht oder: Mommsen als Gesetzgeber, in: Nippel / Seidensticker (Hrsg.), Mommsens langer Schatten (wie Anm. *), S. 75 – 85 bzw. 131 – 160, jeweils mit weiteren Nachweisen. 7 Abriss des römischen Staatsrechts. 2. Aufl., Leipzig 1907, ND Darmstadt 1974, zuerst Leipzig 1893, S. 64; Staatsrecht (wie Anm. 3) I, S. 6 f. bzw. I, IX und VIII (Vorwort zur 3. Aufl.); II, 2, 749, sowie I, 10; II 1, 16 f.; III 1, 300; Abriss 65 f.; 123 ff.; 148 ff. (mit einigen Modifikationen bezüglich des princeps). 8 Staatsrecht (wie Anm. 3) I 212 bzw. 22 und 24, sowie 116; 141 u.ö.

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als statisch, unverändert und unveränderlich, dem historischen Wandel entzogen galt. Davon überzeugt – ebenso wie davon, dass er selbst, und er allein, dieses Programm umsetzen könne – war auch der Mommsen der scharfen Polemik. Diese Polemik richtete sich nicht nur gegen die Philologen der Zeit, für die das Staatsrecht doch nur „Caviar“ sei, „und sie schnuppern nach Citaten, weil es ihnen nicht gegeben ist im Ganzen zu denken“, sondern auch gegen das, was er für die vorherrschende Richtung der zeitgenössischen Althistorie hielt: „Vor der Plattheit derjenigen historischen Forschung, welche das was sich nie und nirgend begeben hat, bei Seite lassen zu dürfen meint, schützt den Juristen seine genetisches Verständniss fordernde Wissenschaft“. Aus der luftigen Höhe dieser Überlegenheit sah er mit unverhohlener Verachtung auf „das Getümmel auf dem antiquarischen Bauplatz“ herab, auf dem „viele geschäftige Leute bloss die Balken und Ziegel durch einander werfen, aber weder das Baumaterial zu vermehren noch zu bauen verstehen“. 9 II. So mochte für Mommsen ein kohärentes und in sich geschlossenes „System“ zwar „seine eigene Wahrheit“ sein, wie er als junger Mann emphatisch formulierte. 10 Allerdings wird in manchen dieser Äußerungen selbst bereits deutlich, dass auch der Mommsen des Staatsrechts keineswegs ausschließlich als der strenge, rechtslogisch-deduktiv vorgehende Systematiker in der Tradition einer gewissermaßen artrein-abstrakten Begriffsjurisprudenz verstanden werden darf. Bei näherem Hinsehen stellt sich nämlich heraus, dass dieses Konzept immer auch eine ‚historische‘, ja sogar ‚antiquarische‘ Komponente hat: Dadurch ist es zutiefst ambivalent und (eben durch diese Ambivalenz) viel flexibler und auch offener als die apodiktische Einseitigkeit der zitierten programmatischen Äußerungen Mommsens vermuten lässt.

9 Die Zitate stammen aus einem Brief Mommsens an den Juristen H. Degenkolb vom 8. November 1887 (zitiert bei L. Wickert, Theodor Mommsen. Eine Biographie, Bd. III [Frankfurt a. M. 1969], S. 559) bzw. Abriss (wie Anm. 7) XVII (Vorwort zur 1. Aufl.) und Staatsrecht (wie Anm. 3) I, X (Vorwort zur 3. Aufl.). Wen Mommsen damit jeweils genau meinte, läßt sich nur mühsam und unvollständig rekonstruieren – vgl. dazu ausführlich Nippel, Staatsrecht in der Diskussion (wie Anm. 2), S. 27 ff. Hilfreich dazu jetzt die Dokumentation von Kaufmann / Wannack (Bearb.), Bibliographischer Index (wie Anm. 3). 10 Rezension von A. Th. Wöniger, Das Sacralsystem und das Provocationsverfahren der Römer, Leipzig 1843, in: Zs. für die Altertumswissenschaft 3, 1845, S. 131 –144 (= Ges. Schriften, Bd. III [wie Anm. 1], S. 537 – 546, hier S. 546).

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Denn der konkrete methodische Weg zur Erfassung des „Ganzen“ als „System“ – der Bau eines solchen geschlossenen Gebäudes, um es in Mommsens eigener Metapher auszudrücken, aus den einzelnen „Balken und Ziegeln“ der antiquarischen „Staatsalterthümer“ – war für ihn ganz selbstverständlich zweigleisig. Eine „Darstellung des römischen Gemeinwesens“, die die hohen Anforderungen eines vollendeten „Staatsrechts“ wirklich erfüllen könne, war nämlich für ihn nur als „Versuch“ vorstellbar, „eine jede Institution darzustellen als Glied des Ganzen in ihrer Besonderheit wie in ihrer Beziehung zu dem Organismus überhaupt“. Das „organische Ganze“ eines „Staatsrechts“ könne also nur entstehen, wenn jeder einzelne konstitutive Teil des gesamten ‚Systems‘, „jede Institution in ihrer Eigenthümlichkeit“ aufgefasst werde – und das heißt ganz einfach: für sich allein „in ihrem Werden und ihrem Sein, in ihrer Geschichte und in ihrer praktischen Bedeutung“ verstanden wird. Auch für das Staatsrecht gilt also sinngemäß, was Mommsen schon Jahrzehnte zuvor über ein anderes Gebiet formuliert hatte: „Es ist uns also die Aufgabe gestellt, [...] das praktische Civilrecht [...] in ein systematisches Rechtsgebäude zusammenzufassen, so dass jede einzelne Institution sowohl in ihrer durch historische Studien erforschten Individualität als im Einklange mit dem ganzen Rechtssystem erscheint und dieses Rechtssystem also zugleich die Quintessenz der historischen Rechtsforschung und der methodische Ausdruck der gegenwärtigen Rechtsbegriffe sein wird.“ 11 Tatsächlich drängt in dem „neue(n) und gewalttätige(n) Neubau“ des vollendeten Staatsrechts die historisch gewordene ‚Individualität‘ jeder einzelnen Institution immer wieder in den Vordergrund – insofern muss die etwas einseitige Charakterisierung dieses ‚Neubaus‘ als „großartig konzentrierte(r), aber auch ungeschichtlich starre(r) Gesamtbau“ relativiert werden. Anders formuliert: der „Sieg des Juristen über den Historiker Mommsen“ war nie und nirgends vollständig. 12 Das gilt nicht nur etwa für die minutiösen Darlegungen zur Entstehung 11 Staatsrecht (wie Anm. 3) I, S. XIII (Vorwort zur 2. Aufl.); Die Aufgabe der historischen Rechtswissenschaft (wie Anm. 1), S. 587 (Hervorhebungen von mir, K.-J.H.). Vgl. dazu bereits Heuß, Mommsen (wie Anm. 2), S. 43 ff., sowie F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung (1967, ND Göttingen 1996), S. 416 ff. (zu Mommsens Bedeutung im Rahmen der „Entdeckung der Rechtsgeschichte“); vgl. dazu auch dens., Römische Rechtsgeschichte. Erster Abschnitt: Einleitung – Quellenkunde – Frühzeit und Republik, München 1988, S. 42 ff., bes. S. 45 mit Anm. 38, mit weiteren Nachweisen, und vor allem Bleicken, Lex publica (wie Anm. 2), S. 19 ff. s. zu Mommsens „wissenschaftlichen Vorläufern“ zuletzt Nippel, Staatsrecht in der Diskussion (wie Anm. 2), S. 27 ff.; A. Giovannini, Die wissenschaftlichen Vorläufer von Mommsens Staatsrecht, in: Nippel / Seidensticker (Hrsg.), Mommsens langer Schatten (wie Anm. *), S. 61 – 73. 12 Die Zitate, die offensichtlich Mommsens Metapher aufnehmen (sollen), finden sich bei Wieacker, Privatrechtsgeschichte (wie Anm. 11), S. 416 und 419, bzw. W. Kunkel, Bericht über neuere Arbeiten zur römischen Verfassungsgeschichte I (zuerst 1955); II (zuerst 1956), in: ders., Kleine Schriften. Zum römischen Strafverfahren und zur rö-

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und Entwicklung der einzelnen Magistraturen, der Centurien- und Tribusordnung und anderer ‚Organe‘ des ‚Systems‘, sondern auch und insbesondere für den Senat und seine „Competenz“, seine „theoretische“ und „praktische Entwickelung“ zu jener „Körperschaft“, „welche Rom und durch Rom die Welt regiert hat“. 13 Hier geht es nicht nur um die vielen historischen Exkurse zu ‚staatsrechtlich‘ oder ‚verfassungsgeschichtlich‘ wichtigen Einzelproblemen. Eigentlich beruht ja das ganze Werk auf der breiten empirischen Basis einer beispiellosen Sammlung einzelner Gesetze, Regeln und Sitten, sozial- und kulturgeschichtlicher Details im weitesten Sinne, aus denen Mommsen sein ‚Gebäude‘ errichtete – und die er dabei in zahllosen Einzelanalysen (oft in den Anmerkungen) erst einmal jeweils für sich quellenkritisch-historisch behandelte. Dabei ist es kaum überraschend, dass dieses disparate Material in seiner Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit in verschiedenen Zusammenhängen das prinzipiell gleiche Problem aufwarf: Immer wieder erweisen sich konkrete Befunde der Quellenauswertung als resistent gegen eine glatte Vereinnahmung als ‚Bausteine‘ eines lückenlosen und widerspruchsfreien ‚Systems‘. III. Darüber hinaus stellen sich oft genug die Fakten, die historisch gewordenen Institutionen, als derart widerspenstig heraus, dass sie sich dem strengen Anspruch dieses ‚Systems‘ auf systemgerechte Ein- und Unterordnung schlicht verweigern. Das bekannteste Beispiel dafür ist Mommsens Behandlung des Senats. „Von Rechts wegen“, so verkündet er, „herrschte“ selbstverständlich die „der Anlage nach übermächtige Magistratur“, „und der Senat gehorchte“ – ja, im Sinne des ‚Systems‘ konnte er letztlich „nichts als eine Verstärkung der Magistratur“ sein. Da konnte es gar nicht anders sein, als dass der Senat ebenso wenig wie die Bürgerschaft zur „Action“ fähig gewesen sei, denn beide könnten ja immer „nur in Gemeinschaft mit dem Magistrat“ überhaupt handeln, so dass ihre „Action“ eigentlich „nie mehr als Cooperation mit derjenigen des Magistrats“ sein kann. 14 mischen Verfassungsgeschichte, Weimar 1974, S. 441 – 478, hier S. 442, nach E. Meyer, Römischer Staat und Staatsgedanke. 3. Aufl., Zürich / Stuttgart 1964, zuerst 1948, S. 443. Vgl. dazu auch W. Kunkel, Magistratische Gewalt und Senatsherrschaft, in: ANRW I 2, 1972, S. 3 – 22, der eine „an vielen Stellen begegnende Vergewaltigung des von ihm (sc. Mommsen) mit größter Sorgfalt verzeichneten Überlieferungsbefundes durch juristische Konstruktionen“ feststellt (3). s. generell wiederum die detaillierte Analyse von Bleicken, Lex publica (wie Anm. 2), S. 36 ff. 13 Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1022, vgl. 1025 (Zitate). s. etwa Staatsrecht (wie Anm. 3) II 1, S. 74 ff. und 181 ff. (Consulat und Consulartribunat); 141 ff. (Dictatur); 193 ff. (Praetur); 272 ff. (Volkstribunat); 470 ff. (Aedilität); 523 ff. (Quaestur); III 1, 161 ff. (Tribusordnung); 245 ff. (Centurienordnung).

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Im Vergleich zur Magistratur und selbst zur souveränen „Bürgerschaft“ in den Comitien mangelte es dem Senat sogar überhaupt an wesentlichen Merkmalen einer Institution: Er sei nämlich nicht einmal „ein Rechtssubject im abstracten Sinne“; denn „es fehlt ihm jedes corporative Recht“, etwa in Gestalt von „Grundbesitz“ oder einer eigenen „Kasse“. Wenn Mommsen dann wenig später doch von einem „Recht der Körperschaft“ spricht, ist das untechnisch gemeint; denn dieses Recht „beschränkt sich darauf, die von einem dazu berechtigten Magistrat an sie gerichtete Frage zu beantworten“. Und – so heißt es wenig später – diese „Antwort, welche der Senat dem Beamten auf seine Frage ertheilt, [...] (ist) zunächst nichts weiter als ein Rathschlag, den der Fragende nach Ermessen befolgen oder nicht befolgen kann“ – allerdings, so lautet ein unauffälliger Einschub in diesem Satz, „abgesehen von dem Bestätigungsverfahren“. 15 Genau damit behandelt Mommsen den Senat dann paradoxerweise doch als Institution sui generis bzw. sogar sui iuris – nämlich durch seine Konstruktion der patrum auctoritas als Kern und Ursprung der gesamten „Competenz“ des Senats. Mit diesem Begriff bezeichnet er „die Bestätigung des auf Antrag des Magistrats von der Gemeinde gefassten Beschlusses durch den Senat schlechthin, so lange er patricisch war, späterhin durch den patricischen Senatsteil“. Bezeichnenderweise definiert er dieses „Recht“ – hier wieder durchaus im technischen, gewissermaßen juristisch ‚harten‘ Sinne – über den „ursprünglichen Wortsinn“ des Begriffs auctoritas „in dieser alten Formel“, und zwar wiederum bezeichnenderweise in Anlehnung an das Institut der „tutoris auctoritas des Civilrechts“, also des Vormundschaftsrechts: Der (patrizische) Senat handle nämlich „gleich dem Tutor“, die „Bürgerschaft gleich dem Pupillen“; denn „der Willensact der Gemeinde, dem Irren und Fehlgreifen ebenso ausgesetzt wie der Willensact des unmündigen Knaben, bedarf der ‚Mehrung‘ und der Bestätigung durch den Rath der Alten“, 16 um überhaupt erst volle Rechtsgültigkeit zu erlangen. Damit erscheint die patrum auctoritas als „systematisch“ notwendiger Bestandteil des Beschlussverfahrens der „souveränen Gemeinde“ – und an diesem Verfahren kommt ja auch der Magistrat nicht vorbei: Denn er kann nach den Normen des ‚Systems‘ nur im ersten der „drei verschiedenen Kreise“ der „magistratische(n) Action“ überhaupt „für sich allein“ handeln. Zu diesem „Kreis“ 14 Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1024, 1026 und 1025. Vgl. generell zu Mommsens Konzeption der Rolle des Senats und zur Kritik dieser Konzeption bereits Kunkel, Magistratische Gewalt (wie Anm. 12), S. 13 ff.; Bleicken, Lex publica (wie Anm. 2), S. 24 ff. 15 Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1025 f. und 1027. 16 Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1022 und 1037 – 1039; Abriss (wie Anm. 7) S. 257 (Zitate). Vgl. auch Mommsens Abhandlungen: Die patricischen und die plebejischen Sonderrechte in den Bürger- und den Rathsversammlungen, IV. Der Patriciersenat der Republik; V. Der patricisch-plebejische Senat der Republik; VI. Bürgerschaft und Senat der vorgeschichtlichen Zeit, in: Th. Mommsen, Römische Forschungen, Berlin 1864, ND Hildesheim 1962, S. 218 – 249; 250 – 268; 269 – 284, hier bes. S. 233 ff.; 246; 280 f.; 284, wo Mommsen allerdings die Vergleichbarkeit relativiert.

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gehören nach Mommsen die „in der Gemeindeordnung vorgesehenen ordentlichen [...] Amtshandlungen“, vor allem die Ausübung der „Rechtspflege, ferner die Vornahme der Wahlen der ordentlichen Beamten und die Aufnahme des Census“ und nicht zuletzt „die Einberufung der Bürger zum Kriegsdienst und die Ausübung des Commandos“ – und gerade bei den zuletzt genannten „Handlungen“ findet sich wiederum ein ebenso unauffälliger wie folgenschwerer Einschub: „wenn die Vorbedingungen dafür gegeben sind“. 17 Was darunter verstanden werden muss, steht an anderer Stelle, wo es heißt, dass „das römische Staatsrecht das Recht der Kriegserklärung als von Haus aus der Gemeinde zustehend (betrachtet)“ – ja, es zählte sogar zu ihren „ursprünglichen Rechten“. Damit gehört die „Kriegserklärung durch Volksschluss“ – oder genauer: der dazu notwendige „Antrag auf formale Kriegserklärung“ durch den Magistrat – eben nicht zu den „ordentlichen“, sondern zu den „ausserordentlichen Amtshandlungen“, also zu jenen „Acten, deren Vornahme die Gemeindeordnung [...] dem Magistrat [...] nicht als ordentliche und ständige Verrichtung vorschreibt“. 18 Zu dieser Kategorie rechnet Mommsen jede „Veränderung der bestehenden Rechtsordnug“, die grundsätzlich „nicht anders stattfinden kann als nach Befragung und mit Einwilligung der Bürgerschaft“. Denn eine solche Änderung hat die rechtliche Form einer Bindung der Bürgerschaft durch eine „Vereinbarung zwischen Magistrat und Gemeinde“; denn nichts anderes sei die lex, die aus „der Befragung (rogare) der Bürgerschaft durch den Magistrat, also aus seinem Vorschlag (ferre)“ hervorgehe: Sie ist die Form der Bindung der Bürgerschaft, die aus der Bejahung in „freie(r) Entschliessung“ entstehe – eine Bindung, durch die „die Verpflichtung der Bürger über die rechtlich bestehende Grenze hin ausgedehnt“ werde. 19 Streng rechtlich bedeutet diese Kategorie eine „Übernahme einer neuen Verpflichtung“ – und eben diese ist von besonderer Bedeutung, weil nicht nur, wie erwähnt, jedes Gesetz „in dem weiten Sinn, in dem die Römer diesen Begriff fassen“, darunter subsumiert wird, sondern auch alle „Amtshandlungen“, die eine „Abweichung von den bestehenden Ordnungen für den einzelnen Fall“ bedeuten, wie die „Anordnung der Heerbildung“ – diese ist notwendig „ausserordentlich“ im Sinne des ‚Systems‘, weil die Republik eben kein „ständiges Bürgerheer“ kannte: Erst wenn hier die „Vorbedingung“ der „Einwilligung der Bürgerschaft“ vorlag, war der Magistrat zur „ordentlichen Action“, also zur tatsächlichen „Einberufung“ zum Heeresdienst und zur „Ausübung“ seiner Kommandogewalt über das Heer ermächtigt. Und dieses systematische Prinzip galt mutatis mutandis auch für die Kriegserklärung: Hier wie dort gilt kategorisch, dass die „Entschei17 18 19

Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1029. Staatsrecht (wie Anm. 3) III 1, S. 342 bzw. 341 f.; III, 2, 1023; 1029 f. Staatsrecht (wie Anm. 3) III 1, S. 313 und 311 f.

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dung“ darüber „immer bei dem rechtlichen Träger der souveränen Staatsgewalt“ liege. Damit definiert Mommsen dieses Recht als den eigentlichen „Ausgangspunkt der souveränen Gewalt der Gemeinde“. 20 Wie steht es aber dann mit dem Status des alten Senats – später: des patrizischen Senatsteils – im Rahmen des ‚Systems‘? Gerade wegen der soeben entwickelten „Competenz“ der Comitien und wegen deren konstitutiver Bedeutung für die systematische Funktion der Bürgerschaft als „Träger der Staatsgewalt“ müsste er ja seinerseits dann eigentlich auch eine solche tragende Säule sein, und zwar eben durch die patrum auctoritas; denn „für jeden wirklichen Volksschluss [...] ist diese Bestätigung erforderlich, ohne dass die Form oder der Gegenstand Unterschied macht. Ausdrücklich wird sie auf Gesetze wie auf Wahlen bezogen [...]. Ausdrücklich wird ferner die Bestätigung erfordert für die Curien, so weit ihnen Beschlussrecht zusteht, und für die Centurien; und auch für die Bestätigung der von den patricisch-plebejischen Tribus gefassten Beschlüsse liegen Zeugnisse vor“. 21 Dieses Bestätigungsrecht gilt Mommsen offenbar als so alt und ursprünglich wie die Comitien und ihr „Beschlussrecht“, das auf der erwähnten „Befugniss“ beruht habe, dass derjenige, „der sich verpflichten soll“, um eine „Willensäusserung“ gefragt werden müsse, ursprünglich also vom König, später vom Oberbeamten. In diesem Sinne seien „die Comitien so alt wie Rom“, also eigentlich sogar – wenn man es streng nimmt – so alt wie die Magistratur. Und genauso alt muss dann eben auch die ursprüngliche patrum auctoritas gewesen sein, die sich darauf bezieht. Denn, so heißt es systematisch-kategorisch, „(w)ie Volks- und Senatsschluss in allen Beziehungen correlat, ja ursprünglich so zu sagen zwei Hälften eines Ganzen sind, so gilt vor allem für beide die oberste Regel, dass sie immer zugleich magistratische Acte sind und Zusammenhandeln des Beamten dort mit den Comitien, hier mit dem Senat einschliessen“; und später hat Mommsen diesen „systematischen“ Zusammenhang sogar als „die ursprüngliche Dreitheiligkeit der Gemeindegewalt“ bezeichnet, die „in letzter Instanz [...] ihren Ausdruck in dem Antrag des Magistrats, dem Beschluss der Bürgerschaft und der Bestätigung des Senats“ finde – die letztere sei mithin also „der dritte Factor der Gemeindegewalt“ gewesen. 22 Über der ursprünglichen Form des Bestätigungsrechts liege allerdings „der ewige Schleier, der alles Werden deckt; es gehört in seiner Effectivität dem patricischen Rom und wir kennen dasselbe eigentlich nur als formalen Überrest einer für uns verschollenen Epoche“. Genau daraus resultiert nach Mommsen aber nun auch jenes „Berathungsrecht“, auf dem, so wörtlich, „wie das Senatsre20

Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1029 f. und III 1, S. 313 f. Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1039 f. 22 Staatsrecht (wie Anm. 3) III 1, S. 306, vgl. S. 313 f.; III 2, S. 907; Abriss (wie Anm. 7), S. 257 und 258; vgl. auch Röm. Forschungen (wie Anm. 16), S. 233 ff.; 244. 21

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giment so auch die Weltstellung Roms“ beruhe. Die beiden „Rechte“ verhalten sich zwar „zu einander wie Zeugung und Entwickelung“, das Beratungsrecht sei aber noch nicht einmal „jünger als das Bestätigungsrecht, aber wohl dessen Consequenz und aus diesem entwickelt“, wie es hier auffällig verklausuliert heißt. Was damit sachlich und logisch gemeint ist, wird dann aber sofort deutlich: Die „dem Volksschluss nachfolgende und auf einfaches Ja und Nein beschränkte Bestätigung“ habe nämlich „zur praktischen Voraussetzung eine dem Volksschluss voraufgehende Berathung mit derselben Körperschaft, bei welcher das Für und Wider erörtert werden konnte und welche, wenn dem Rathschlag der Senatsmajorität nicht Folge gegeben ward, dazu führen musste, dass dieselbe dem im Widerspruch damit gefassten Volksschluss die Bestätigung versagte“ – dies sei nicht nur „nach der Darstellung der Alten“ (namentlich wiederum in den frühen Zeugnissen zur Kriegserklärung) so gewesen, sondern dies habe der „inneren Wahrscheinlichkeit nach“ auch so sein müssen. 23 Der Historiker Mommsen muss die alte patrum auctoritas aber nun sang- und klanglos verschwinden lassen: Darauf geht er bezeichnenderweise nur en passant und in einem bestimmten Zusammenhang ein, nämlich bei seinen seltsam ambivalenten Erwägungen zu Bedeutung und Folgen der vorgängigen Erteilung der patrum auctoritas, die durch die leges Publilia und Maenia schon relativ früh, im Jahre 339 v. Chr. bzw. zu Beginn des 3. Jahrhunderts, eingeführt wurde und die nachgängige „Bestätigung“ im engeren Sinne ersetzte: „Mit dieser Modification hat sich die Bestätigung des Patriciersenats bis in die Zeit des Principats, also so lange wie der Volksschluss selbst behauptet“ – denn dieses Recht wurde ja nie durch einen rechtsförmlichen Eingriff abgeschafft und blieb daher ein Teil des ‚Systems‘. „Praktische Bedeutung aber“, so fährt der Historiker Mommsen unmittelbar fort, „kommt der anticipirten Bestätigung gar nicht [...] zu“, und zwar noch nicht einmal „weil die Anticipirung diese Befugniss denaturirte, [...], sondern weil dieselbe, als beschränkt auf den patricischen Theil des Senats, [...] ihre Bedeutung verlor, seit [...] an die Stelle des Patriciats die patricischplebejische Nobilität getreten war“. 24 Im Sinne des ‚Systems‘ musste allerdings selbst ein solcher „formaler Überrest“ schon Schwierigkeiten machen, eben weil ursprünglich und prinzipiell der Senat ja nur „berathend“ sein sollte. Weitere, erst recht fatale – da aus der Konsequenz des ‚Systems‘ selbst resultierende – Grundwidersprüche sind noch schwerer argumentativ in den Griff zu bekommen: Das unverbindliche, also juristisch gewissermaßen ‚weiche‘ „Berathungsrecht“, das sich (und zwar wiederum ‚systematisch‘ geradezu zwangsläufig) aus dem staatsrechtlich ‚harten‘ Bestätigungsrecht ergeben hatte, verlor gerade nicht parallel zur patrum auctoritas an 23

Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1022 f., vgl. S. 1039 f.; 1043; 1047 f. Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1042 f.; vgl. auch Röm. Forschungen (wie Anm. 16), S. 241 ff.; 251 u.ö. 24

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Bedeutung – ganz im Gegenteil. Auf diesem „Berathungsrecht“ beruhe nämlich nicht nur das (‚systematisch‘ überhaupt nicht vorgesehene) „Senatsregiment“, sondern mit diesem sogar die „Weltstellung Roms“. Dieses Recht entspringt nun aber gerade nicht dem alten „Bestätigungsrecht“, sondern entwickelt sich aus anderen Wurzeln und überhaupt erst später zu jenem „verbindliche(n) Berathungsrecht, welches der Senat während der letzten Jahrhunderte der Republik sich mit Erfolg vindicirt hat“. 25 Auf diese vielsagende, ja verräterische Begrifflichkeit wird gleich zurückzukommen sein. Zunächst muss es um die Frage gehen: Wenn nicht die patrum auctoritas die Quelle eines solcherart gefestigten, mit juristisch ‚harter‘ Verbindlichkeit bewehrten Beratungsrechtes ist, was sollte es dann sein? Mommsens Antwort ist hier wiederum ‚historisch‘ ebenso naheliegend wie ‚systematisch‘ problematisch. Der „Spruch des berathenden Senats“ war – jedenfalls „rechtlich“ und zumindest „zunächst“, wie es bezeichnenderweise heißt – „nichts weiter als ein auf Befragung ertheilter Rathschlag“, den „der Fragende nach Ermessen befolgen oder nicht befolgen kann“. ‚Historisch‘ – das heißt mit Mommsens Worten „nur thatsächlich, nicht rechtlich“, aber eben „factisch“ und vor allem „effectiv“ – nimmt sich das anders aus: „Wer Augen hat zu sehen, muss es erkennen, dass der Rathschlag des Senats von Haus aus mehr war und mehr sein sollte als ein einfacher Rathschlag und als Fesselung der Executive empfunden und behandelt ward. Der Uebergang dieses potenzirten Rechts den Magistrat zu berathen in die Bindung desselben durch Senatsschluss ist wohl in vielhundertjährigem Kampf zwischen Magistratur und Senat entwickelt worden; aber der Keim dazu liegt in der Institution selbst“. 26 Dieser „Kampf“ – „sachlich die Bildung des Senatsregiments“ – spiegelt sich in der Entfaltung eines (wiederum unter dem Aspekt juristischer Trennschärfe eigentlich höchst unbefriedigenden) zweiten, konkurrierenden Konzeptes von auctoritas. Dieses Konzept soll sich gerade nicht aus dem ‚harten‘ Begriff der alten patrum auctoritas entwickelt haben: Vielmehr handelt es sich um den zunächst eher ‚weichen‘ „terminologischen Ausdruck des dem Senat der späten Republik zustehenden bindenden Berathungsrechts“ und der darauf beruhenden „Machtstellung des Senats“, die „mit dem in entsprechender Weise verschwommenen und aller strengen Definition sich entziehenden Wort auctoritas bezeichnet“ worden sei – also mit einem Begriff, der zu „dem politischen Schlagwort des Senatsregiments“ schlechthin wird: „In diesem Sinne ist auctoritas mehr als

25 Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1022 und 1034, vgl. Abriss (wie Anm. 7), S. 259; 261. Vgl. dazu die Kritik von W. Kunkel, Staatsordnung und Staatspraxis der Römischen Republik. Zweiter Abschnitt: Die Magistratur, München 1995, S. 243 ff. 26 Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1027; S. 1029 und 1032, vgl. S. 1252; Abriss (wie Anm. 7), S. 259.

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ein Rathschlag und weniger als ein Befehl, ein Rathschlag, dessen Befolgung man sich nicht füglich entziehen kann“. 27 Darauf beruhen die generelle „Competenz“ und die daraus abgeleiteten konkreten „Befugnisse“ dieser Körperschaft, die den Senat dann eben doch zu einer ‚Institution‘ machen – wenn schon nicht „formell“ und „von Rechts wegen“, wie es immer wieder heißt, so doch „factisch“, „praktisch“ und „effectiv“: Immerhin reichen diese Befugnisse von der erwähnten „Bestätigung und Vorberathung der Volksbeschlüsse“ über das „Sacralwesen“, die „Rechtspflege“, das „Kriegswesen“ und das „Gemeindevermögen“ bis hin zu den „auswärtigen Verhältnissen“ und zum „Regiment“ über Italien und die Provinzen. 28 Mehr noch: die umfassende „Darstellung des Wirkungskreises des Senats“ verursacht „ungewöhnliche Schwierigkeiten“, wie Mommsen eingestehen muss – führt sie doch letztlich zu einem Resultat, das in diametralem Gegensatz zu den inhärenten, logisch zwingend notwendigen Erfordernissen des ‚Staatsrechts‘ als ‚System‘ steht. Denn auch für Mommsen stellt sich diese „Körperschaft“ schließlich als die „oberste Verwaltungs- und Regierungsbehörde“ dar, die nicht bloß eine „allgemeine administrative Oberaufsicht“ ausübe, sondern auch „in die gesammte magistratische Thätigkeit“ eingreife und schließlich „das Regiment des Staates im Innern wie nach aussen so völlig in seiner Gewalt“ habe, „wie dies bei collegialischem Regiment überhaupt möglich“ sei. Mit einem Wort: Der Senat habe sogar „in der theoretischen wie in der praktischen Entwicklung“, wie es heißt, „Rom und durch Rom die Welt regiert“. 29 Nachdem Mommsen als Historiker der Institution in ihrer ‚Individualität‘ diese „ebenso eminente und effective wie unbestimmte und formell unfundirte Machtstellung des Senats“ festgestellt hat, muss der Jurist Mommsen versuchen, das ‚Staatsrecht‘ als ‚System‘ durch eine weitere begriffliche Konstruktion zu erhalten, die allerdings ihrerseits das ‚System‘ als solches in Frage stellt. Er behauptet nämlich, dass diese „spätere Stellung der beiden Gewalten“ Magistratur und Senat „auf der Umkehr der ursprünglichen Ordnung“ beruhe – eine „Umkehrung“, die „sich mehr factisch als rechtlich vollzogen“ habe und, wie gesagt, schon gar nicht „zu formeller Fundamentirung“ gelangt sei: Die systemwidrige „nachherige Uebermacht des Senats“ sei das Ergebnis eines „gewaltigen, 27

Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 996 und 1032 ff. Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1022; S. 1024 u.ö., ferner zu den einzelnen „Kreisen“ S. 1049 ff.; 1063 ff.; 1071 ff.; 1111 ff.; 1147 ff.; 1194 ff.; 1211 ff.; Abriss (wie Anm. 7), S. 260 ff. 29 Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1034 f. bzw. 1022, 1025 und 1049. Vgl. bereits Mommsens Römische Geschichte, Bd. I. 9. Aufl., Berlin 1903, zuerst 1856, S. 316 ff. Der Versuch, den Senat als „Gegenspieler des Magistrats“ und die „Senatsautorität“ eben doch „als eine juristisch faßbare Größe zu erweisen“, ist dagegen theoretisch und methodisch kein Fortschritt (G. Wesenberg, Zur Frage der Kontinuität zwischen königlicher Gewalt und Beamtengewalt in Rom, in: ZRG, R.A. 70 [1953], S. 58 –92, bes. 76 ff., Zitate S. 87 und 92). 28

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Jahrhunderte ausfüllenden Prozesses“ der „vollständige(n) Überwältigung“, ja „Unterjochung der Magistratur“, der schon mit der Begründung der Republik begonnen habe; denn diese habe mit der Collegialität, der Annuität und den „Schritt für Schritt hinzutretenden weiteren Abschwächungen“ der Magistratur geradezu die „Fähigkeit des Widerstandes allmählich entzogen“. Tatsächlich schaue allerdings „das ursprüngliche Regiment der Magistratur noch überall deutlich“ heraus. Daraus habe sich dann ein „Gegensatz von Form und Inhalt“ ergeben, der schließlich sogar „eines der wesentlichen Momente des späteren Senatsregimentes“ geworden sei. Denn dieses „Optimatenregiment (hat) consequent mehr nach dem Herkommen als nach dem Gesetz regiert“ – und das heißt nun einmal, wie Mommsen mit typischer Mischung aus Einsicht und Bedauern erklärte, dass „die feste Formulirung und die bestimmten Abschnitte, welche die Gesetzgebung der staatsrechtlichen Darstellung gewährt, auf diesem Gebiet so gut wie ganz versagen“. 30 Dennoch – selbst wenn „der Keim dazu“, wie gesagt, durchaus „in der Institution selbst“, also ursprünglich angelegt war – es kann und darf ‚historisch‘, ‚factisch‘ und ‚effectiv‘ nicht einfach sein, was ‚systematisch‘ eigentlich nicht vorgesehen war. Das konnte für Mommsen nur das Ergebnis eines „Kampfes“ mit dem respektive sogar gegen das „System“ sein, und das war und blieb eine „vollständige Umwälzung“, ja „Usurpation“ und „Revolution“. 31 Aus dieser Sicht war es keineswegs paradox, sondern im Gegenteil „systematisch“ nur konsequent, wenn der „Principat des zweiten Romulus selbst in gewissem Sinne“ nichts weiter bedeutete als „die Rückkehr zu derjenigen Stellung der beiden Gewalten, welche der erste Romulus geordnet hatte“ – in der neuen „Dyarchie“ war die „Stellung des Senats“ also wieder wie eben diejenige „zu dem Königthum eine wesentlich unterwürfige“. 32 IV. Die vorsichtigen, widerwilligen Formulierungen ändern nichts daran, dass diese feine Differenzierung zwischen rechtlicher „Form“ und faktischem „Inhalt“, die er bei Kollisionen zwischen historischer Empirie und begriffsjuristi30

Staatsrecht (wie Anm. 3) III 1, S. 311; III 2, S. 1033 bzw. 1024 und 1035. s. bereits Röm. Geschichte, Bd. I (wie Anm. 29), S. 318. 32 Staatsrecht (wie Anm. 3) III 2, S. 1023 und 1025, vgl. S. 1252 ff.; 1262 ff.; 1271; Abriss (wie Anm. 7), S. 270 ff. Vgl. zu Mommsens Konzeption(en) des Principats und ihrer spezifischen Komplexität etwa einerseits M. Peachin, Mommsens Princeps, und andererseits A. Winterling, Dyarchie in der römischen Kaiserzeit. Vorschlag zur Wiederaufnahme der Diskussion, in: Nippel / Seidensticker (Hrsg.), Mommsens langer Schatten (wie Anm. *), S. 161 – 176 bzw. 177 – 198, sowie bereits A. Heuß, Theodor Mommsen und die revolutionäre Struktur des römischen Kaisertums, in: ANRW II 1, 1974, S. 77 –90 (= Heuß, Ges. Schriften [wie Anm. 2], S. 1730 – 1743. 31

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scher Theorie auch anderswo einführt, 33 für diese Theorie höchst problematisch ist; denn damit wird ja die Geltung der formalen ‚Ordnung‘ in einem ihrer zentralen Bereiche, der Beziehungen zwischen zwei tragenden Pfeilern dieser Ordnung, faktisch suspendiert. Und das bedeutet wiederum, dass die Tragfähigkeit des staatsrechtlichen ‚Gebäudes‘, die ja gerade auf der ausnahmslosen Gültigkeit des ‚Systems‘ als „organischem Ganzen“ beruht, implizit in Frage gestellt wird – und letztlich natürlich auch ihre theoretische Grundannahme, nämlich das Postulat der Fassbarkeit und Beschreibbarkeit des ‚Systems‘ in einem gewissermaßen flächendeckenden, das heißt lückenlosen und vor allem in sich widerspruchsfreien Raster von genau definierten, eindeutigen und trennscharfen Begriffen. Darüber hinaus ergibt sich aus der strikten Fundierung des Staatsrechts auf dem antiken Material noch eine weitere methodische Konsequenz von grundsätzlicher Tragweite. Denn die dabei entwickelte Begrifflichkeit der Institutionen, das Gerüst des ‚Systems‘ selbst – mithin aus begriffsjuristischer Sicht der Kern der Sache – ist deswegen in bestimmter Hinsicht eben auch ‚historisch‘, weil Mommsen diese Konzepte sorgfältig und gelegentlich phantasievoll aus den antiken Zeugnissen direkt kondensierte. Mithin sind alle wesentlichen Begriffe des Staatsrechts gerade keine abstrakten, überzeitlich gültigen und universell anwendbaren „Grundformen oder Grundtypen der Rechtswelt“, die eine „Jurisprudenz, die seit Jahrtausenden arbeitet“, längst entdeckt und als strukturelles Grundmuster der vergangenen wie gegenwärtigen, ja überhaupt aller denkbaren ‚Systeme‘ erkannt hätte – eine Jurisprudenz eben, die sich deswegen „nicht mehr durch die Geschichte in Verlegenheit setzen“ lassen müsse. 34 Wie groß diese „Verlegenheit“ tatsächlich werden konnte, belegt die oben erwähnte mühevoll hergeleitete Differenzierung konkurrierender auctoritasKonzepte mit der Trennung von „Bestätigungs-“ und „Beratungsrecht“ und der sekundären Herleitung eines „verbindlichen Beratungsrechtes“. Gerade Mommsens Umgang mit jenen Begriffen verrät das uneingestandene Unbehagen des Historikers an dem metahistorischen Gültigkeitsanspruch der Begriffsjurisprudenz: Tatsächlich entnahm er hier wie sonst überall den gesamten analytisch relevanten Begriffsapparat des Staatsrechts direkt den antiken Quellen selbst, und zwar noch nicht einmal in erster Linie aus den ‚Rechtsquellen‘, sondern aus dem gesamten bekannten Material, den epigraphischen und literarischen Zeugnissen zu Politik und Krieg, Gesellschaft und Kultur. Dort bezog er mit den einzelnen „Balken und Ziegeln“ zugleich die tragenden Konzepte des ganzen Gebäudes – und dazu gehören nicht nur imperium und auspicium, maior und par 33

s. etwa Staatsrecht (wie Anm. 3) I S. 34 ff.; II 1, S. 207 f. Vgl. dazu Bleicken, Lex publica (wie Anm. 2), S. 26 ff. 34 R. von Jhering, Unsere Aufgabe (1857), zitiert nach Bleicken, Lex publica (wie Anm. 2), S. 19 f. Anm. 4.

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potestas, Coercition und Intercession bis hin zu den genauen Bezeichnungen für die „Insignien und Ehrenrechte“ der Magistrate, 35 sondern auch contiones, comitia und concilia, ferre ad populum, Promulgation, Rogation und Renuntiation und eben referre ad senatum, relatio und patrum auctoritas. 36 Mit einem Wort: So sehr der Jurist und Systematiker Mommsen in seinen programmatischen Erklärungen immer auf eine Einordnung der einzelnen Sachverhalte in das holistisch geschlossene, metahistorisch-statische ‚Gebäude‘ eines ‚Staatsrechts‘ hinauswollte, so sehr blieb er bei der Aufbereitung der konkreten Daten für das ‚System‘ Historiker und Philologe, gerade weil er allein aus den Quellen die Institutionen in ihrer gewachsenen ‚Individualität‘ rekonstruieren wollte. Denn er verweigerte nicht nur die systematische Übertragung der abstrakten und scheinbar überzeitlichen, aber doch gegenwartsbezogenen und insofern modernen Staats- und Rechtskonzeption des Positivismus auf ein historisch fernes ‚Staatsrecht‘. Vielmehr entwickelte er aus den Quellen selbst eine differenzierte Terminologie der einzelnen „Organe“ und „Normen“, eben weil er nur solche Begriffe für genau treffend und damit der besonderen ‚Individualität‘ der Institutionen allein angemessen hielt: Mommsen wollte sie aus ihrer tatsächlichen, ‚historischen‘ Gestalt, ihrer ‚Geschichte‘, das heißt geradezu aus sich selbst heraus entwickeln und daraus erst das ‚System‘ entstehen lassen. Und schließlich benannte er auch die sich dabei ergebenden Diskrepanzen zwischen dem, was er für die eigentliche rechtliche „Form“ oder allgemeine „Norm“ hielt, einerseits und dem, was er durch seine Rekonstruktion einer ‚Institution‘ als ihren konkreten „Inhalt“ und ihre tatsächliche Funktion in der politischen Praxis der Republik erkannt hatte, andererseits – und nahm, wie gesagt, wenigstens zuweilen für die Anerkennung solcher ‚historischer‘ Realitäten sogar eine prinzipielle Gefährdung des ‚Systems‘ in Kauf. Mommsens ‚System‘ – und die Faszination, die seit dem ersten Erscheinen des Staatsrechts von seiner Geschlossenheit ausgegangen ist – ist also nicht alles, und vor allem erklärt es noch nicht die besondere Zeitlosigkeit, die der ungebrochenen Anziehungskraft und dem andauernden Einfluss des Werkes unter gewandelten Bedingungen zugrunde liegen muss. Vielmehr scheinen es gerade die offensichtlichen Brüche und Ambivalenzen zu sein, die wesentlich zu dieser Attraktivität und zum bleibenden Wert für die moderne Forschung beitragen. Der nie gelöste Widerspruch zwischen den systematischen und den historischen Dimensionen des Staatsrechts macht es ja überhaupt erst möglich, das ‚System‘ zu kritisieren oder gar zu dekonstruieren und sich doch der Einzelanalysen immer wieder zu bedienen, ohne Vorbehalte und Berührungsängste – ja, diese

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Staatsrecht (wie Anm. 3) I, S. 76 ff.; 116 ff.; 136 ff.; 266 ff.; 372 ff.; 436 ff. etc. Staatsrecht (wie Anm. 3) III 1, S. 149 f.; 311 f.; 370 f.; 409 f.; 413 u.ö.; III 2, S. 951 ff.; 1040 ff. 36

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Einzelanalysen sogar gegen das ‚System‘ ins Feld zu führen. In Deutschland 37 versuchte man genau auf diesem Wege, das ‚Staatsrecht‘ gewissermaßen von innen her zu ‚entjurifizieren‘ und als ‚Verfassungsgeschichte‘ und Geschichte einzelner Institutionen zu ‚re-historisieren‘ – ohne dabei allerdings dem langen „Schatten Mommsens“ wirklich entkommen zu können. Die Forschung war mithin lange Zeit durch eine paradoxe Situation geprägt, nämlich dass selbst eine fundamentale Kritik an Mommsens ‚System‘ von seinen Einzelanalysen und vor allem auch von seiner eigenen, ja durchaus ‚systematisch‘ entwickelten Begrifflichkeit geradezu inspiriert worden zu sein scheint – und dadurch wiederum letztlich auf das ‚System‘ fixiert blieb. Die Ursachen dafür sind bekannt: Durch die erschöpfende Auswertung des Materials wirken diese Einzelanalysen auf eine Weise quellennah, dass sie gar nicht erst als ‚system(at)isch‘ inspirierte Rekonstruktion erscheinen, sondern nur als vortheoretisch-neutrale Gewinnung objektiver Fakten. Die Voraussetzung dafür ist wiederum die Unmittelbarkeit der Übernahme aller tragenden Konzepte der Analyse aus der Sprache der Quellen. Gerade dadurch wirken die Analysen der einzelnen Institutionen respektive die dabei gewonnenen Daten gewissermaßen neutral und rein, eben nicht kontaminiert von einem sachfremden, unhistorisch-abstrakten und ideologisch voreingenommenen ‚Systemdenken‘. Als schlichte, objektive ‚Tatsachen‘ erscheinen sie mithin nicht nur immun selbst gegen die radikalste Kritik am ‚System‘, das den empirisch gehobenen Daten gewissermaßen erst sekundär oktroyiert worden sei. Vor allem lassen sich solche Daten auch in ganz anderen Zusammenhängen, neuen Rekonstruktionen oder auch ‚Systemen‘ der römischen ‚Verfassung‘ verwenden. Gerade deswegen lässt sich die genetisch-entwicklungsgeschichtliche Dimension des Staatsrechts auch ganz vom ‚System‘ lösen und für sich allein nehmen, ohne dass man sich überhaupt auf dieses ‚System‘ und seine Prämissen einlassen müsste: Das Mommsensche „System von Institutionen und Rechtsnormen“, das scheinbar so lückenlos konstruierte „Strebewerk“ seiner „begrifflichen Ordnung“, die ihnen geradezu kategorisch zugesprochene „zeitlose Gültigkeit“ sogar 37 Vgl. dazu und zum Folgenden etwa W. Kunkel, Bericht (wie Anm. 12), S. 441 ff. und zu Kunkels eigener, bei näherem Hinsehen gar nicht so „fundamentale(r) Abkehr“ von „einem republikanischen Staatsrecht“ in der Tradition Mommsens (R. Wittmann, in: Kunkel, Staatsordnung [wie Anm. 25], S. XIV): J. Bleicken, Im Schatten Mommsens. Gedanken zu Wolfgang Kunkels Buch über die Magistratur in der römischen Republik, in: Rechtshistor. Journal 15, 1996, S. 3 – 27 (= J. Bleicken, Gesammelte Schriften, Bd. I [Stuttgart 1998], S. 526 – 550), auch zu den großen Linien der Entwicklung seit Mommsen. s. dazu neuerdings umfassend Nippel (wie Anm. 2), S. 43 ff., mit weiteren Nachweisen, sowie (auch zur Rezeption des Staatsrechts in Frankreich) etwa K.-J. Hölkeskamp, Zwischen „System“ und „Geschichte“. Theodor Mommsens Staatsrecht und die römische „Verfassung“ in Frankreich und Deutschland, in: H. Bruhns / J.-M. David / W. Nippel (Hrsg.), Die späte römische Republik. La fin de la république romaine. Un débat franco-allemand d’histoire et d’historiographie, Rom 1997, S. 93 – 111; ders., Ein „Gegensatz von Form und Inhalt“ (wie Anm. *), S. 111 ff.

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„innerhalb des geschichtlichen Ablaufes“ und die damit ‚System‘ wie ‚Ordnung‘ zugrundeliegende „Konzeption von wahrhaft grandioser Paradoxie“ waren eben nicht nur, wie Alfred Heuß meinte, „nur zu akzeptieren oder zu zerbrechen“ 38 – man kann sie auch schlichtweg ignorieren. Genau das erscheint mir die wesentliche Voraussetzung für die Suggestion von Frische, ja Modernität und damit auch für die Unbefangenheit, mit der man bis heute das Staatsrecht immer noch benutzt. V. Diese Suggestivität war und ist allerdings nicht ganz ungefährlich – auch nicht für jene konservative Althistorie, die auf eine theoretisch und methodisch kontrollierte Reflektion ihrer Erkenntnisziele, ihrer Konzepte und Kategorien verzichten zu können glaubte, weil sie sich einer zweifachen Illusion hingab. Die erste Illusion beruht auf der naiven Gewissheit, dass die Quellen immer direkt zu uns sprechen und wir also nur zuhören müssten. Es war ein langwieriger, gelegentlich auch schmerzhafter Prozess zu realisieren, dass Reinhart Koselleck schlicht und einfach recht hatte: „Jede Quelle, genauer jeder Überrest, den wir erst durch unsere Fragen in eine Quelle verwandeln, verweist uns auf eine Geschichte, die mehr ist oder weniger, jedenfalls etwas anderes als der Überrest selber. Eine Geschichte ist nie identisch mit der Quelle, die von dieser Geschichte zeugt. Sonst wäre jede klar fließende Quelle selber schon die Geschichte, um deren Erkenntnis es uns geht“ – und das heißt in der Konsequenz: „das, was eine Geschichte zur Geschichte macht, ist nie allein aus den Quellen ableitbar“. 39 Und das hat natürlich ein geradezu beängstigendes Spektrum von Weiterungen, etwa für den epistemologischen Status eben jener ‚Begriffe‘, die wir aus diesen ‚Quellen‘ beziehen. Da stellt sich uns eine höchst alarmierende Frage: Wie kann man unter diesen Umständen eigentlich ‚Begriffe‘ der Quellen – wie etwa auctoritas oder auch imperium – umstandslos zu Konzepten und Kategorien des modernen Wissenschaftsdiskurses umdefinieren? Die andere Illusion hat die Althistorie lange mit der romanistischen Rechtsund Verfassungsgeschichte geteilt, nämlich die direkt aus der begriffsjuristischen Tradition stammende, ebenso schlichte wie unreflektierte Voraussetzung, dass die „römisch-republikanische Verfassung“ als Gegenstand sui generis respektive (im wahrsten Sinne des Wortes) sui iuris dargestellt werden könne. Dabei muss vorausgesetzt werden, dass die res publica – der „römische Staat“, wie es zuweilen bezeichnenderweise heißt – als Rechtsordnung begriffen werden kann oder 38

Zitate: Heuß, Mommsen (wie Anm. 2), S. 56 bzw. Kunkel, Mommsen als Jurist (wie Anm. 2), S. 371. 39 R. Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979 u.ö., S. 204 f.; 206.

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sogar muss, mithin als ein „staatsrechtliches System“ von rechtlich definierbaren Organen und formalisierten Verfahren. Damit wird zugleich vorausgesetzt, dass die rechtliche Form der Institutionen, Funktionen und Regeln diesem ‚System‘ eigentümlich sei: Erst durch diese spezifischen, das ‚System‘ auszeichnenden Strukturen, eigenen Gesetze und eben ‚Begriffe‘ kann es überhaupt als solches identifiziert werden; erst dadurch kann es mithin als einheitliches und eigenständiges ‚System‘ wahrgenommen werden, das von anderen ‚Systemen‘ oder ‚Subsystemen‘ innerhalb des Ganzen der res publica wie ‚Gesellschaft‘, ‚Kultur‘ und auch ‚Politik‘ unterscheidbar und isolierbar ist. Und das sei natürlich, so jüngst ein deutscher Romanist mit einer geradezu entwaffnenden Mischung aus Naivität und Selbstgewissheit, überhaupt nur „vom staatsrechtlichen Betrachtungswinkel aus“, also „vermittels juristischer Begrifflichkeit und Systematik denkbar“. Da kann der gleiche Autor schlicht und einfach verkünden, „daß der römische Staat auch für den modernen Betrachter der Staatswissenschaften“ [...] seit 367 „eine klar erkennbare Verfassung hatte“ und „daß die rechtlichen Bausteine diese Verfassung [...] begrifflich (!) abgesteckt haben“ – der große Baumeister Mommsen lässt hier noch einmal grüßen. Tatsächlich beruft sich der Autor vorbehaltlos und geradezu ehrfürchtig auf Mommsen und „sein monumentales ‚Staatsrecht‘“, durch das er „dem römischen Staat“ „ein unvergängliches Denkmal“ gesetzt habe: Seine „Begrifflichkeit“, das Grundmuster der „drei Säulen“ Magistratur – Volksversammlung – Senat und nicht zuletzt das „bleibende Verdienst“, „in einmaliger Deutlichkeit vorgeführt“ zu haben, „dass entwickelte Staaten rechtlich systematisch organisiert sein müssen, dass das Politische – das Veränderliche – zum Recht, dem Unveränderlichen (sic, KJH), führen kann“, sind und bleiben schlichtweg metahistorisch gültig. Mommsens „Beweis“ der Priorität der Systematik bedürfe daher „in seiner Großartigkeit“ auch gar „keiner weiteren Unterstützung“. So heißt es dann ebenfalls ex cathedra in der Manier des Meisters, „daß [...] auch das Funktionieren des politischen Systems im Zusammenwirken der einzelnen rechtlichen Institute dargelegt werden kann“ und „die Verfassung“ mithin „die Grundlage eines römischen Staatsrechtes war“. 40 Eine moderne Romanistik hatte diese Sicht eigentlich schon weit hinter sich gelassen – man hat begriffen, dass überhaupt „erst moderne Verfassungen eine funktionale Autonomie des Rechtssystems“ erzeugen (können); man glaubt auch längst nicht mehr an „die absolute Konstanz der juristischen Begriffe und Insti40

J.M. Rainer, Einführung in das römische Staatsrecht, Darmstadt 1997, S. 9 und 16; ders., Römisches Staatsrecht. Republik und Prinzipat, Darmstadt 2006, S. 21, 14 und 15 (Zitate), vgl. S. 13 ff. Übrigens müsse „auch bei der Darstellung des Prinzipats der juristisch-institutionelle Aspekt im Sinne Theodor Mommsens im Vordergrund stehen“ (ebenda, S. 9). Vgl. gegen diese Sichtweise bereits J. Bleicken, Staat und Recht in der römischen Republik, Wiesbaden 1978, S. 23 f. und passim (= Ges. Schriften I [wie Anm. 37], S. 281 – 300, hier 299 f. und passim) und zuletzt B. Stollberg-Rilinger, Verfassungsgeschichte als Kulturgeschichte, in: ZRG, German. Abt. 127, 2010, S. 1 –32, hier S. 10 ff., zur Problematik des (modernen) Konzeptes ‚Verfassung‘ und seiner Anwendung auf die ‚Vormoderne‘.

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tutionen“, bezweifelt grundsätzlich „Sinn und Funktion der Rechtssystematik“ und hat die erwähnte „Isolierung der Rechtswelt von ihren ethischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Hintergründen“ als „Verirrung“ erkannt. Dementsprechend hat man auch längst gelernt, eine vormoderne ‚Verfassung‘ wie die römisch-republikanische eher als „traditions- und autoritätsgebundene Machtordnung“, als genuin „historische Realität“ und (damit) als „ständige(n) Prozeß“ zu begreifen, „dessen Verständnis die Vergegenwärtigung seiner politischen und sozialen Bindungen, besonders der politischen und sozialen Gruppenbildungen und der Dynamik ihrer Veränderungen“ voraussetze. 41 Nun ist es aber keineswegs so, dass nur Romanisten immer noch in die Falle des traditionellen Korsetts eines trügerisch suggestiven hermetisch-abstrakten, sich selbst bestätigenden Begriffsgebäudes gehen – wie paradoxerweise die scheinbar modernste, weil radikalste Neubewertung der libera res publica und ihrer ‚Verfassung‘ belegt: Fergus Millar hat ja den Anspruch erhoben, mit jener „Fiktion einer kollektiven parlamentarischen Herrschaft durch den Senat“ und jener „Orthodoxie“ von der diesen Senat wiederum beherrschenden „Oligarchie“ aufgeräumt zu haben – einer „Orthodoxie“, die der „erstaunlich verzerrten“, ja „völlig falschen“ Konzeptualisierung der republikanischen Ordnung durch die angeblichen Traditionalisten von Matthias Gelzer bis zu Christian Meier und darüber hinaus zugrunde läge. Millars Gegenentwurf, wonach das Rom der Republik nicht bloß irgendein „Typ des antiken Stadtstaates“ gewesen sei, sondern eine „direkte Demokratie“, die dem klassischen Athen sehr ähnlich gewesen sei, ja dass die libera res publica zu jener „relativ kleinen Zahl historischer Beispiele für politische Systeme“ gehöre, die überhaupt den Namen „Demokratie“ verdienten, beruht nämlich auf einer Vorstellung von der „Verfassung“ der Republik, die bei näherem Hinsehen verdächtig vertraut erscheint: Was Millar als „constitution“ bezeichnet, ist eine vorgebene, relativ feste „Struktur“, ein statisches „System“ bzw. gelegentlich sogar eine „Maschinerie“ von Institutionen und formalen Verfahren 42 – und er bedient sich dabei umstandslos des idealtypisch41 Zitate: Stollberg-Rilinger, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 40), S. 12, bzw. Kunkel, Mommsen als Jurist (wie Anm. 2), S. 379 und Wieacker, Röm. Rechtsgeschichte (wie Anm. 11), S. 353 und 378. 42 F. Millar, The Crowd in Rome in the Late Republic, Ann Arbor 1998, S. 7; 11 f.; 15 ff.; 99; 208 ff. u.ö. Millars einschlägige ältere (und immens einflussreiche) Aufsätze (Political Power in Mid-Republican Rome: Curia or Comitium?, in: JRS 79 [1989], S. 138 – 150; The Political Character of the Classical Roman Republic, 200 –151 B.C., in: JRS 74 [1984], S. 1 – 19; Politics, Persuasion and the People before the Social War (150 – 90 B.C.), in: JRS 76 [1986], S. 1 – 11; Popular Politics at Rome in the Late Republic, in: I. Malkin / Z.W. Rubinsohn (Hrsg.), Leaders and Masses in the Roman World. Studies in Honor of Zvi Yavetz [Leiden 1995], S. 91 – 113) sind jetzt zusammengestellt in: F. Millar, Rome, the Greek World, and the East, Vol. 1: The Roman Republic and the Augustan Revolution, hrsg. von H.M. Cotton / G.M. Rogers, Chapel Hill / London 2002, S. 85 – 108; 109 – 142; 143 – 161; 162 – 182, hier bes. S. 99; 112 ff.; 120 ff.; 132 ff.; 136 ff.; 163 ff.; 172.

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systematischen Begriffsrasters der konventionellen ‚Verfassungsgeschichte‘, die letztlich der Mommsenschen Konstruktion des republikanischen ‚Staatsrechts‘ verpflichtet ist. Diese Charakterisierung der Republik hat sich nicht durchgesetzt – was allerdings mehr an Millars systematischem Ignorieren gesellschaftlicher Grundgegebenheiten und allenfalls noch an einem Befremden über seinen formalistischreduktionistischen Demokratiebegriff lag und damit nur indirekt an einer Kritik des zugrunde liegenden Konzeptes einer ‚Verfassung‘. 43 Immerhin hat Millar damit eine Debatte über das, was man seit einigen Jahren die ‚politische Kultur‘ der Republik nennt, angeregt: Dabei ist deutlich geworden, dass wir diese besondere Variante einer antik-stadtstaatlichen politischen Kultur gerade nicht verstehen, wenn wir das ‚Teil-‘ oder ‚Subsystem‘ der ‚Verfassung‘ in Gestalt von rechtlich definierten Institutionen, Verfahren und Normen isolieren und von vorn herein privilegieren, indem wir es zugleich zum Ausgangspunkt, zur Hauptebene und beherrschenden Bezugsgröße machen. Wir haben gelernt, dass die sozialen Strukturen generell und insbesondere die allgegenwärtige Asymmetrie aller gesellschaftlichen Beziehungen und die tief eingerasteten Hierarchien zwischen Senatsadel und breiteren Schichten des populus Romanus sich im steilen Gefälle von Macht und Befehlsgewalt zwischen Magistraten und Bürgern, Imperiumsträgern und Soldaten und zwischen Patronen und Clienten widerspiegeln. VI. In der Forschung der letzten beiden Jahrzehnte ist man über eine enge sozialgeschichtliche Sicht auch schon wieder hinausgelangt. Im Fokus der neueren ‚historischen Politikforschung‘ steht dabei die Erkenntnis, dass Prozesse der Willensbildung, Entscheidung und Implementierung in politicis eben nicht nur eine rechtliche Form und einen „Sitz im (gesellschaftlichen) Leben“ haben: Eine politische Kultur hat nämlich nicht nur eine „Inhaltsseite“, sondern auch eine 43 Vgl. dazu und zum Folgenden ausführlich K.-J. Hölkeskamp, Rekonstruktionen einer Republik. Die politische Kultur des antiken Rom und die Forschung der letzten Jahrzehnte, München 2004, S. 21 ff. und passim, jetzt in einer aktualisierten und erheblich erweiterten amerikanischen Fassung: Reconstructing the Roman Republic. An Ancient Political Culture and Modern Research, Princeton 2010, S. 12 ff. und passim; ders., Die Entstehung der Nobilität. Studien zur sozialen und politischen Geschichte der Römischen Republik im 4. Jh. v. Chr., 2. Aufl., Stuttgart 2011, zuerst 1987, S. IX ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. s. insbesondere bereits M. Jehne, Einführung: Zur Debatte um die Rolle des Volkes in der römischen Politik, in: ders. (Hrsg.), Demokratie in Rom? Die Rolle des Volkes in der Politik der römischen Republik, Stuttgart 1995, S. 1 –9; K.-J. Hölkeskamp, The Roman Republic: „Government, of the People, by the People, for the People?“ in: SCI 19, 2000, S. 203 – 223 (deutsche Fassung, mit Addenda, in: ders., Senatus Populusque Romanus. Die politische Kultur der Republik – Dimensionen und Deutungen [Stuttgart 2004], S. 257 – 280).

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„Ausdrucksseite“ und eine dementsprechende „kognitive“ Seite; 44 sie hat symbolische, affektive und ästhetische Dimensionen, die für die Reproduktion der Legitimität des politischen Systems und die Vergewisserung der Sinnhaftigkeit von politischem Handeln, die Bestätigung von Zugehörigkeit und die Erzeugung von Zustimmung, die Stiftung und Pflege der kollektiven Identität der Gruppe – etwa einer Bürgerschaft oder auch einer sozialen bzw. politischen Elite – konstitutiv sind. Dazu gehört ein jeweils kultur-, epochen- und gesellschaftsspezifischer Haushalt an symbolischen Ausdrucksformen: Spiele, Feste, Zeremonien und alle Arten von ‚civic rituals‘, zu denen in dieser Hinsicht auch formale Verfahren der politischen Entscheidungsfindung zu zählen sind – es ist ja längst anerkannt, dass „symbolisch-zeremonielle“ bzw. „-expressive Funktionen“ und Formen von Ritualen einerseits und „technisch-instrumentelle Funktionen“ von Entscheidungsverfahren andererseits sich eben „nicht einfach bestimmten Verfahrenstypen oder gar historischen Entwicklungsphasen zuordnen“ lassen. 45 Ge44

s. zu diesen Konzepten K. Rohe, Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, in: HZ 250, 1990, S. 321 –346, hier S. 338 ff. Vgl. zu der neuen Forschungsrichtung generell K.-J. Hölkeskamp, Mythos und Politik – (nicht nur) in der Antike. Anregungen und Angebote der neuen „historischen Politikforschung“, in: HZ 288, 2009, S. 1 – 50, hier bes. S. 3 ff.; 36 ff. und 44 ff., sowie zu ihrer Anwendung auf die römische Republik M. Jehne, Methods, Models, and Historiography, in: N. Rosenstein / R. Morstein-Marx (Hrsg.), A Companion to the Roman Republic, Malden / Oxford 2006, S. 3 – 28, hier S. 12 ff., und die übrigen Beiträge in diesem Band (v. a. zu „Political Culture“); K.-J. Hölkeskamp, Konsens und Konkurrenz. Die politische Kultur der römischen Republik in neuer Sicht, in: Klio 88, 2006, S. 360 – 396; ders., Rekonstruktionen (wie Anm. 43), Kapitel V –VIII = Reconstructing the Roman Republic (wie Anm. 43), Chapters 5 – 8; ders., Eine politische Kultur (in) der Krise? Gemäßigt radikale Vorbemerkungen zum kategorischen Imperativ der Konzepte, in: ders. / E. Müller-Luckner (Hrsg.), Eine politische Kultur (in) der Krise? Die „letzte Generation“ der römischen Republik, München 2009, S. 1 –25, hier S. 11 ff. 21 ff. 45 Vgl. zu den Konzepten und zur Sache generell B. Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: ZHF 27, 2000, S. 389 – 405; dies., Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren, Berlin 2001, S. 9 – 24; dies., Verfassungsgeschichte (wie Anm. 40), S. 4 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen; Ch. Dartmann / G. Wassilowsky / Th. Weller (Hrsg.), Technik und Symbolik vormoderner Wahlverfahren, München 2010. Vgl. zu den rituellen Dimensionen römisch-republikanischer Verfahren und zu Semantik und Symbolik der ‚civic rituals‘ grundlegend bereits C. Nicolet, Le métier de citoyen dans la Rome républicaine, Paris 1976 = The World of the Citizen in Republican Rome, Berkeley / Los Angeles 1980; E. Flaig, Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom, Göttingen 2003; ferner H.I. Flower, Spectacle and Political Culture in the Roman Republic, in: dies. (Hrsg.), The Cambridge Companion to the Roman Republic, Cambridge 2004, S. 322 – 343; K.-J. Hölkeskamp, Hierarchie und Konsens. Pompae in der politischen Kultur der römischen Republik, in: A.H. Arweiler / B.M. Gauly (Hrsg.), Machtfragen. Zur kulturellen Repräsentation und Konstruktion von Macht in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart 2008, S. 79 – 126; ders., The Roman republic as theatre of power: the consuls as leading actors, in: H. Beck / A. Duplá / M. Jehne / F. Pina Polo (Hrsg.), Consuls and Res Publica. Holding High Office in the Roman Republic, Cambridge 2011, S. 161 – 181.

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nuin politische Verfahren und rational anmutende ‚Geschäftsordnungen‘ hier und Zeremonien und Rituale da sind in vormodernen Institutionskulturen schon gar nicht genau voneinander zu trennen. Damit sind wir endlich auf dem Weg, jenseits des traditionellen einseitigen und engen juristisch-normativen Verständnisses des Begriffs ein neues Konzept des ‚Verfahrens‘ zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund kann schließlich auch das Konzept der ‚Institution‘ neu begriffen und über das bisherige formale Verständnis hinaus erweitert werden. Unter einer im engeren Sinne politischen ‚Institution‘ soll danach zunächst allgemein ein „Regelsystem“ verstanden werden, das die Vorbereitung, Inkraftsetzung und Implementierung aller gesamtgesellschaftlich verbindlichen Entscheidungen strukturiert. Solche „Regelsysteme“ sind normative Strukturen, die aus der Wiederholung vergangenen Handelns und seiner Verstetigung zu wiederholbaren, verlässlichen Handlungsmustern entstehen und sich durch „Internalisierung“ verfestigen. Erst in ihrer voll entwickelten Form können solche „Regelsysteme“ schließlich die Gestalt von Ämtern, Ratsgremien und überhaupt „Organisationen“ in einem modern-abstrakten Verständnis annehmen. In einem allgemein-anthropologischen Sinne zeichnen sich „Institutionen“ zunächst nur durch eine relative Dauer bzw. Dauerhaftigkeit aus, die aus der erwähnten Verstetigung oder „Habitualisierung“ von Handeln und Handlungsmustern resultiert. 46 Schon daraus gewinnen sie wiederum ein (jeweils zu bestimmendes) Mindestmaß an Stabilität, generieren einen entsprechenden Grad an „Erwartungssicherheit“ und entfalten damit zugleich eine ihnen eigentümliche Stabilisierungswirkung, indem sie dem Zusammenleben und Handeln in einer Gesellschaft bestimmte allgemein akzeptierte Formen und Regeln geben – auch wenn sie dabei „in ein dynamisches, ständig sich wandelndes Geflecht wechselseitiger Geltungszuschreibungen, -ansprüche und -zurückweisungen“ 47 eingebunden bleiben. Mit einem solchen Konzept von ‚Institutionen‘ und ‚Institutionalität‘ wird sich in Zu46 Vgl. zu diesen Konzepten P.L. Berger / Th. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a. M. 1980, zuerst 1966, S. 56 ff., sowie neuerdings die Beiträge in G. Melville (Hrsg.), Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde, Köln / Weimar / Wien 1992; ders. (Hrsg.), Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, Köln / Weimar / Wien 2001; R. Blänkner / B. Jussen (Hrsg.), Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, Göttingen 1998; K.-J. Hölkeskamp, Institutionalisierung durch Verortung. Die Entstehung der Öffentlichkeit im frühen Griechenland, in: ders. / J. Rüsen / E. Stein-Hölkeskamp / H.Th. Grütter (Hrsg.), Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, Mainz 2003, S. 81 –104, hier S. 82 ff., und zuletzt K.-S. Rehberg, Institutionelle Analyse und historische Komparatistik, in: G. Melville / ders. (Hrsg.), Dimensionen institutioneller Macht. Fallstudien von der Antike bis zur Gegenwart, Köln / Weimar / Wien 2012, S. 417 –443, jeweils mit weiteren Nachweisen. 47 Begriff und Zitat: Stollberg-Rilinger, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 40), S. 31 und 15.

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kunft noch am ehesten das im mos maiorum beschlossene Regelwerk respektive dessen eigentümliche Bindungswirkung beschreiben lassen. Dieses Konzept bezeichnet den Vorrat von hergebrachten Prinzipien, Vorbildern und Wertvorstellungen, Handlungsmaximen, bewährten Verhaltensweisen, konkreten Regeln und Praktiken. 48 Der mos maiorum regulierte das Recht, die Staatsreligion ebenso wie Militärwesen, Innen- und Außenpolitik; darin war auch das enthalten, was man als „constitutional conventions“ bezeichnen könnte. 49 Danach hatten sich die Magistrate in ihrer gesamten Amtsführung zu richten – der Comment bei Wahlbewerbungen richtete sich ebenso nach solchen Regeln wie die Formalien der Amtsführung von der Aufgabenverteilung bis hin zur Übergabe einer Provinz an den Nachfolger. Allein auf dem mos maiorum beruhte vor allem das komplexe Netz der niemals normierten Zuständigkeiten und „Rechte“ des Senats. Schließlich und endlich regulierte sich auch das Verhältnis zwischen den Institutionen mit ihren jedenfalls partiell konkurrierenden und potentiell kollidierenden Zuständigkeiten und Kompetenzen nach Maßgabe des Herkommens – ebenso wie die konkreten Verfahren der Interaktion zwischen Magistraten, Senat und Volksversammlungen. Aus dem mos maiorum nährte sich also auch jenes eigentümliche „Regulationsvermögen“, das gewissermaßen das Äquivalent eines ausdifferenzierten ‚Systems‘ gesetzlicher Normen und förmlicher Verfahrensvorschriften darstellte und damit das praktische Funktionieren der politischen Ordnung gewährleistete. 50

48 Vgl. dazu grundlegend Bleicken, Lex publica (wie Anm. 2), S. 347 ff.; 373 ff. s. außerdem etwa W. Kunkel, Gesetzesrecht und Gewohnheitsrecht in der Verfassung der Römischen Republik (zuerst 1971), in: ders., Kl. Schriften (wie Anm. 12), S. 367 –382, hier S. 376 ff.; Wieacker, Röm. Rechtsgeschichte (wie Anm. 11), S. 353 f.; 374f u.ö., und neuerdings K.-J. Hölkeskamp, Exempla und mos maiorum: Überlegungen zum kollektiven Gedächtnis der Nobilität (zuerst 1996), in: ders., Senatus Populusque Romanus (wie Anm. 43), S. 169 – 198; B. Linke / M. Stemmler, Institutionalität und Geschichtlichkeit in der römischen Republik: Einleitende Bemerkungen zu den Forschungsperspektiven, in: dies. (Hrsg.), Mos maiorum. Untersuchungen zu den Formen der Identitätsstiftung und Stabilisierung in der römischen Republik, Stuttgart 2000, S. 1 –23, und die übrigen Beiträge in diesem Band. s. zuletzt Ch. Lundgreen, Regelkonflikte in der römischen Republik. Geltung und Gewichtung von Normen in politischen Entscheidungsprozessen, Stuttgart 2011, S. 15 ff.; 29 ff.; 257 ff. und passim. 49 Ch. Meier, Res publica amissa. Eine Studie zu Verfassung und Gesellschaft der späten römischen Republik, zuerst Wiesbaden 1966, Neuausgabe Frankfurt a. M. 1980 u.ö., S. XXIV f.; 54 und 56 f. unter Berufung auf M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, besorgt von J. Winckelmann. 5. Aufl., Tübingen 1976, S. 17 f.; 187 ff. u.ö. Vgl. auch Kunkel, Magistratische Gewalt (wie Anm. 12), S. 17; A. Lintott, The Constitution of the Roman Republic, Oxford 1999, S. 4 ff.; 66, und jetzt v. a. W. Nippel, Gesetze, Verfassungskonventionen, Präzedenzfälle, in: Hölkeskamp / Müller-Luckner (Hrsg.), Kultur (wie Anm. 44), S. 87 – 97, bes. S: 89 ff. 50 Meier, Res publica amissa (wie Anm. 49), S. 50, im Anschluß an A. Heuß, Römische Geschichte. 3. Aufl., Braunschweig 1971, S. 37 f.

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Das erwähnte, im positiven Sinne minimalistische, nämlich offene und daher universalistische Konzept von ‚Institution‘ ist insbesondere auf vormoderne sozio-politische Formationen anwendbar. Zugleich ist es gerade wegen seiner Offenheit wesentlich besser in ein modernes, struktur- und gesellschaftsgeschichtlich eingebettetes Konzept der politischen Kultur einzufügen. Denn in einem solchen Konzept werden auch solche ‚Organisationen‘ wie voll ausdifferenzierte Ämter, Gremien und hochformalisierte Verfahren gerade nicht als überzeitlich gültige und jedem Wandel enthobene Ordnungen begriffen – weder ihre Gestalt noch ihre Dauer verstehen sich von selbst (was gerade gegen die erwähnte juristisch-systematische Sicht der römischen ‚Verfassung‘ nicht oft genug betont werden kann). Als normative Strukturen, die aus der Wiederholung vergangenen Handelns und seiner Verstetigung zu Handlungsmustern entstanden sind, haben auch sie notwendig „immer eine Geschichte, deren Geschöpfe sie sind“, und sind nur aus dem „historischen Prozeß, der sie heraufgebracht hat“, wirklich zu begreifen: 51 Gerade hoch entwickelte Institutionen stehen also am Ende eines Prozesses der „Institutionalisierung“, sie tragen und bewahren in sich die konkrete Geschichte ihrer Entstehung und Entfaltung. VII. Auf der Basis eines solchen holistischen Konzepts von ‚politischer Kultur‘ und eines entsprechenden methodisch-begrifflichen Rasters wird es in Zukunft vielleicht möglich sein, zumindest den hoch- und spätrepublikanischen Senat „funktionsanalytisch“ erschöpfend zu beschreiben. 52 Diese Beschreibung könnte 51

Berger / Luckmann, Konstruktion (wie Anm. 46), S. 58. Der Begriff stammt von J. Bleicken, Das römische Volkstribunat. Versuch einer Analyse seiner politischen Funktion in republikanischer Zeit, in: Chiron 11, 1981, S. 87 –108 (= Ges. Schriften I [wie Anm. 37], S. 484 – 505). Vgl. dazu etwa Hölkeskamp, Entstehung der Nobilität (wie Anm. 42), S. 184 ff.; 247 f.; 317; ders., Krieg, Konkurrenz und Konsens: die Expansion in Italien und die Entstehung der Nobilität (zuerst engl. 1993), in: Senatus Populusque Romanus (wie Anm. 43), S. 11 – 48, hier S. 36 ff. mit den Addenda S. 46 f.; ders., Rekonstruktionen (wie Anm. 43), S. 34 ff. = Reconstructing the Roman Republic (wie Anm. 43), S. 26 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. Das große Werk von M. Bonnefond-Coudry, Le Sénat de la République romaine de la guerre d’Hannibal à Auguste, Rom 1989 – insbesondere die Kapitel zur ‚Geschäftsordnung‘ der Senatssitzungen (S. 351 ff.) und zur internen Hierarchie und „distribution du pouvoir“ (S. 593 ff.) – bietet dafür wichtige Grundlagen, erfüllt den formulierten Anspruch aber nicht. Das gilt auch für die detaillierte Analyse von F.X. Ryan, Rank and Participation in the Republican Senate, Stuttgart 1998, der den allgemein angenommenen Zusammenhang zwischen Rang und Status, formalen Rechten, tatsächlicher Partizipation und faktischem Einfluss des einzelnen Senators auflösen will und sogar behauptet: „Rank did not make a senator“ (356) – s. dazu E. Flaig, in: Gnomon 76, 2004, S. 331 – 341. Die thematisch eigentlich ebenfalls einschlägige Arbeit von A. Graeber, Auctoritas patrum. Formen und Wege der Senatsherrschaft zwischen Politik und Tradition, Berlin / Heidelberg 2001, die „ein Stück 52

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folgende Umrisse haben: Die von Mommsen durchaus treffend charakterisierte, „ebenso eminente und effective wie unbestimmte und formell unfundirte Machtstellung des Senats“ war eine notwendige Folge jener technischen „Unvollkommenheit“ und „Unausgeglichenheit“ einer „gewachsenen Verfassung“, die durch das historisch gewordene ungeregelte Nebeneinander der Institutionen Magistratur und Volkstribunat, Comitien und eben Senat hervorgebracht worden war. 53 Nur unter diesen Bedingungen hatte sich letzterer zu einem „Entscheidungszentrum“ entwickeln können, das etwa in Fällen des Konfliktes als übergeordnete, von den jeweils Beteiligten anerkannte bzw. sogar angerufene Instanz des Ausgleichs fungieren konnte. Bis in die späte Republik war diese Rolle des Senats als solche unumstritten – und deswegen brauchte es nicht nur keine formalen Regelungen, sondern solche Fixierungen waren im Sinne der Macht des Senats als Schiedsinstanz und Garant der erwähnten „constitutional conventions“ sogar hinderlich. Tatsächlich beruhte diese Macht gerade darauf, dass der Senat keinerlei positiv definierte Zuständigkeiten hatte und eben deswegen auch nicht auf eingegrenzte Gegenstände oder Kompetenzen festgelegt war. Anders ausgedrückt: Gerade der Mangel an formal normierten ‚Rechten‘ war die Voraussetzung dafür, dass der Senat faktisch umfassende Macht entwickeln konnte – was Mommsen übrigens auch durchaus schon gesehen hat, als er den patrizisch-plebeischen Senat der klassischen und späten Republik als „factische Gemeinderegierung“ charakterisierte, deren „Fülle der Macht bei dem Mangel der Rechte“ eben „zum eigensten Wesen“ dieser „von formaler Normirung wenig beeinflussten und völlig von der Macht der Präcedentien beherrschten Institution“ gehörte. 54 Tatsächlich gab es keine wichtigen politischen und strategischen Entscheidungen, an deren Vorbereitung und Formulierung er nicht beteiligt war. Denn der Senat war nicht nur die „die Zentralregierung der Gemeinde“, welche als „oberste Verwaltungs- und Regierungsbehörde“ die (formal so mächtige) Obermagistratur faktisch zu seinem exekutiven Arm machte 55 – wie die erInstitutionengeschichte“ rekonstruieren und dabei eine (nicht weiter reflektierte) „Mittelstellung“ zwischen „Prozess- und Ereignisgeschichte“ einnehmen will (S. 8 f.), wird dem im Untertitel formulierten Anspruch nicht gerecht. 53 Meier, Res publica amissa (wie Anm. 49), S. XXV f.; 56 f. mit Anm. 174; 98; 119 f.; 123, vgl. S. 3; 14; 49 ff.; 328 (Register s.v. Verfassung [allgemeine Merkmale]); Meyer, Staat (wie Anm. 12), S. 209 ff.; J. Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik. 7. Aufl., München / Wien / Zürich 1995, S. 91 ff.; 194; Lintott, Constitution (wie Anm. 49), S. 65 ff.; 86 ff.; 196 ff. 54 Abriss (wie Anm. 7), S. 241 und 260. 55 So bereits Mommsen, Röm. Geschichte, Bd. I (wie Anm. 29), S. 318 (Zitat), vgl. S. 316 ff.; Staatsrecht (wie Anm. 3), S. 1034 ff. (Zitat: S. 1034). Vgl. auch Meyer, Staat (wie Anm. 12), S. 102; 210; Kunkel, Magistratische Gewalt (wie Anm. 12), S. 13 ff.; 20; ders., Staatsordnung (wie Anm. 25), S. 186; 218; 330; 590; 611; 642; 646 u.ö., der den Senat sowohl als „das zentrale Verfassungsorgan“, als auch als „oberste(s) Organ der Exekutive“ und als „das höchste Kontrollorgan“ bezeichnet hat; Bonnefond-Coudry (wie Anm. 51), S. 753 ff.

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wähnten Zitate belegen, hat das wiederum niemand besser formuliert als eben Mommsen. Der Senat war zugleich das institutionelle Zentrum der gesellschaftlichen Gruppe, aus der sich die Magistrate selbst rekrutierten – oder genauer: Alle Magistrate waren auch Senatoren, sie wechselten lediglich für eine jeweils begrenzte Zeit die Rolle, traten sich dabei aber gewissermaßen immer nur selbst gegenüber. Alle höheren Magistrate waren also vor ihrer Amtszeit schon Senatoren gewesen und kehrten danach in den Senat zurück – man könnte auch sagen: Sie traten ins Glied zurück, wenn man dabei bedenkt, dass das ‚Glied‘ in diesem Falle nicht dieselbe, sondern die nächsthöhere Rangstufe bezeichnet. Denn der Senat war in sich genauso hierarchisch strukturiert wie alle anderen Institutionen, wie die politische Klasse, die sich hier regelmäßig traf, und der populus Romanus insgesamt. Diese besondere doppelseitige Identität der Magistrate bewirkte in aller Regel, dass sie auch im Amt ganz selbstverständlich wie Senatoren dachten und im Sinne des Senats handelten. Das hieß zunächst, dass sie sich im Rahmen eines allgemeinen Konsenses über das Verhalten im Amt bewegten, sich über Rechte und Pflichten und die dabei zu respektierenden Grenzen im klaren waren – all das war Teil des erwähnten mos maiorum. Zu dem darin beschlossenen Verhaltenscode gehörte auch der Grundsatz, sich bei etwaigen Kollisionen dem Spruch eben jener Institution zu beugen, die für die Lösung solcher Probleme bereitstand. Das erwies sich immer wieder in der Praxis, etwa bei Kollisionen zwischen individuellen Ansprüchen ranghoher Mitglieder und objektiven, pragmatischen Notwendigkeiten. Gerade in solchen Fällen manifestierte sich konkret eine weitere, kaum zu überschätzende Funktion des Senats – diejenige der ‚Verwaltung‘ des erwähnten mos maiorum, also der Bewahrung und Interpretation, Anwendung und Weiterentwicklung der darin beschlossenen Regeln, Prinzipien und Maßstäbe. Die faktische Macht des Senats resultierte also einerseits daraus, dass seine politischen, strategischen und personalpolitischen Lenkungsfunktionen, seine Rolle als Schiedsinstanz bei Konflikten und seine kollektive Autorität als Hüter des geltenden Normensystems untrennbar aufeinander bezogen waren – erst dadurch ist seine eigentümliche Position als „die wirkliche Mitte des römischen Staates, Organ der politischen Willensbildung und der höchsten politischen Erziehung in einem“ vollends zu erklären. 56 Andererseits war der Senat das einzige Entscheidungszentrum, das diese kombinierten Rollen überhaupt erfüllen konnte – und zwar wiederum gerade wegen seiner Zusammensetzung aus Magistraten und Priestern, Feldherren und Patronen ganzer Städte und Völker überall im Imperium. Denn dadurch war an diesem Ort das ganze über Generationen akkumulierte Herrschaftswissen konzentriert und exklusiv präsent; hier wurde die gesamte politische, diplomatische und militärische, administrative, juristische 56

Heuß, Röm. Geschichte (wie Anm. 50), S. 40.

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und religiöse Expertise, die der imperialen Republik zur Verfügung stand, nicht nur gesammelt und verwaltet, sondern auch im konkreten Entscheidungsfall zur Anwendung und damit zur Geltung gebracht. In dieser – zugegebenermaßen vorläufigen, idealtypisch vereinfachten – Beschreibung wird der entscheidende Schritt über Mommsen hinaus schon erkennbar: Der berühmte „Gegensatz zwischen Form und Inhalt“, der Mommsen (und vor allem seinem „Systemwillen“) so große Schwierigkeiten bei der konkreten Umsetzung seiner projektierten „Verschmelzung von Geschichte und Jurisprudenz“ machte, lässt sich niemals aufheben – weil es einen solchen Gegensatz nach diesem Konzept überhaupt nicht geben kann.

Il gigante e i pigmei: Mommsen e il diritto penale romano. Appunti per una rilettura del „Römisches Strafrecht“ Di Carla Masi Doria I. Premessa Il Römisches Strafrecht di Theodor Mommsen 1 costituisce un monumento degli studi romanistici (e, più in generale, antichistici). Pur se superato su varie questioni e ormai datato, ad oltre un secolo dalla pubblicazione, è ancora un punto di riferimento stabile per le ricerche sul diritto e sul processo criminale romano. Da tempo ha meritato attenzioni storiografiche, che hanno messo in luce aspetti contenutistici, ideologici, culturali, problemi dell’opera, 2 ma – come ogni vero classico – suscita di continuo nuovo interesse e può essere studiato da punti d’osservazione diversi. Queste riflessioni 3 derivano da una sollecitudine ormai

1

Pubblicato a Leipzig nel 1899 per i tipi di Dunckler & Humblot. Per un primo orientamento si v. almeno, tra la letteratura più recente dedicata allo Strafrecht, E. Höbenreich, Leopold Wenger und das Studium des römischen Strafrecht, in: BIDR 92 – 93, 1989 – 1990, p. 377ss. (spec. p. 380ss.); T. Masiello, Mommsen e il diritto penale romano, Bari 1995; G. Crifò, Ancora sullo Strafrecht mommseniano, in: SDHI 62, 1996, p. 535ss. [= in: Materiali di storiografia romanistica, Torino 1998, p. 175ss.]; C. Venturini, Lo Strafrecht mommseniano ad un secolo di distanza, in: Processo penale e società politica nella Roma repubblicana, Pisa 1996, p. 11ss.; id., Assetti costituzionali e repressione penale nell’opera di Theodor Mommsen, in: Tradizione romanistica e costituzione, Napoli 2006, p. 1623ss.; D. Liebs, Mommsens Umgang mit den Quellen des römischen Strafrechts, in: W. Nippel / B. Seidensticker (Hrsg.), Theodor Mommsens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung, Hildesheim / Zürich / New York 2005, p. 199ss.; U. Ebert, „Strafrecht ohne Strafprozess ist ein Messergriff ohne Klinge“. Theodor Mommsen und das „Römische Strafrecht“, in: J. Wiesehöfer (Hrsg.), Theodor Mommsen, Gelehrter, Politiker und Literat, Stuttgart 2005, p. 51ss.; F. Sturm, Theodor Mommsen. Gedanken zu Leben und Werk des grossen deutschen Rechtshistorikers, Karlsruhe 2006, con profili sintetici a p. 37s. e 77 (cfr. già id., Theodor Mommsen. Pour commemorer le centenaire de son deces, in: Φιλία. Scritti per G. Franciosi IV, Napoli 2007, spec. p. 2532s.); S. Giglio, Teodoro Mommsen e la repressione penale nell’impero Romano, in: SDHI 72, 2006, p. 355ss. 3 Ho utilizzato qualche primo appunto su questi temi per un contributo destinato alla Festschrift in onore di Christoph Krampe. 2

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antica per la personalità del grande studioso di Garding 4 e insieme dall’occasione di questo importante seminario bernese. 5 II. Handbuch Nel 1885 l’autorevole penalista Karl Binding, quasi quarantacinquenne, pubblicava il primo volume del suo Handbuch des deutschen Strafrechts (il secondo – è cosa nota – non uscirà mai e sarà surrogato da lavori didattici, in particolare dal notissimo Lehrbuch 6), come parte dell’ampio Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft da lui diretto. Un’impresa titanica alla quale parteciparono i giuristi più importanti di quell’epoca d’oro della scienza tedesca. A. Wach per il processo civile, R. Sohm per il Kirchenrecht, O. Mayer per l’amministrativo, O. Gierke per il Deutsches Privatrecht. 7 Una serie di classici, per alcuni versi insuperati, del sapere giuridico tra Otto e Novecento. „Handbuch“, che sta nel titolo sia dell’opera specifica sia della serie-contenitore, è parola traditrice, polisenso malgrado la chiarezza del composto (HandBuch). 8 Il senso debole, di „manuale“, piccolo libro portabile che sta in una mano, il quale rinvia alla tradizione classica (gr. enchiridion, lat. manuale 9), non 4

C. Masi Doria, „Nota di lettura“ a Th. Mommsen, De collegiis et sodaliciis Romanorum e Zur Lehre von den römischen Korporationen „Antiqua, 92“, Napoli 2006, p. xvii-xxix [= Per una ristampa dei collegia mommseniani, in: Forme di aggregazione nel mondo romano, Bari 2007, p. 211ss.]; I „Grundrechte“ nell’opera storico-giuridica di Theodor Mommsen, in: M. Avenarius / R. Meyer-Pritzl / C. Möller (Hrsg.), Ars Iuris. Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag, Göttingen 2009, p. 371ss.; Napoli 1873: Mommsen e l’orologio, in Quaesitor urnam movet e altri studi sul diritto penale romano, 2. ed. Napoli 2007, p. 133ss., a proposito di quest’ultimo saggio mi piace ricordare l’affettuosa attenzione che volle dedicarvi uno degli studiosi italiani che più profondamente si sono occupati del problema storiografico dell’opera di Mommsen, G. Crifò, Minima mommseniana, in: C. Cascione / C. Masi Doria (cur.), Fides, humanitas, ius. Studii in onore di L. Labruna II, Napoli 2007, p. 1194. 5 Theodor Mommsen und die Bedeutung des Römischen Recht, 10 –11 maggio 2012, nel quale gli organizzatori, Iole Fargnoli e Stefan Rebenich, hanno voluto assegnarmi la relazione sullo Strafrecht. 6 Le diverse edizioni sono elencate nella bibliografia annessa alla recente (invero sintetica) voce di J.M. Silva Sánchez, in: Juristas Universales III, Madrid / Barcelona 2004, p. 501. 7 A. Wach, Handbuch des deutschen Civilprozessrechts I, Leipzig 1885; R. Sohm, Kirchenrecht I, II, Leipzig 1892 – 1923; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, II, Leipzig 1895 – 1896; O. Gierke, Deutsches Privatrecht I. Allgemeiner Teil und Personenrecht, Leipzig 1895, II. Sachenrecht, Leipzig 1905, III. Schuldrecht, Leipzig 1917. 8 Può risultare utile rileggere la voce dedicata al termine nel grande vocabolario della lingua tedesca dei fratelli Grimm: J. u. W. Grimm, DWB. X, Leipzig 1869, p. 366, s.v. „Handbuch“: „n. buch von mäszigem umfang, zum leichten gebrauch, entweder um hinein zu schreiben oder darin zu lesen: hantbuoch, manuale, liber qui frequenter manu portatur

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corrisponde all’evoluzione in una trattazione completa, pienamente scientifica, esaustiva di una disciplina. La struttura sistematica e la vastità d’impostazione caratterizzano infatti una serie di iniziative editoriali di questo genere, tipiche della cultura tedesca a partire dalla prima metà del secolo XIX. Nel progetto di Binding in questa prospettiva non poteva mancare una trattazione del diritto romano, addirittura costituendo la prima „Abteilung“ del trattato, un diritto che allora (e fino agli albori del nuovo secolo) era, come è noto, vigente nel Reich tedesco. La svolta normativa determinata dall’entrata in vigore del BGB e la corrispondente storicizzazione della disciplina (apprezzabile fin dagli anni Ottanta, con i primi esercizi dell’interpolazionismo) porterà, nell’ambito dello Handbuch bindinghiano, ad una trattazione scientifica del diritto privato romano nello splendido (anche se incompleto) Römisches Privatrecht bis auf die Zeit Diokletians di Ludwig Mitteis, che – privo ormai di una immediata utilità per i giuristi pratici, uscirà infatti nel 1908, 10 dopo il BGB –, pur influenzato dall’attualizzazione sia nel sistema sia nei concetti usati, risulterà significativamente limitato a una cronologia inusuale per le opere della „Pandektenwissenchaft“, e cioè all’età dioclezianea, che definisce il limite più avanzato del cd. „diritto classico“ e al contempo l’inizio del cd. „tardoantico“. 11

voc. inc. theut. i 1 a; das er (der prediger) die deutsche biblia lasz sein zornal und teglich handbuch sein. Mathes. Luther 145 b. in neuerer zeit häufig verwandt zur bezeichnung eines buches das in knapper fassung das hauptsächlichste einer lehre gibt: handbuch der griechischen und römischen alterthümer; handbuch der schönfärberei. das englische hat das wort als handbook herübergenommen“. 9 Cfr. Gell. N.A. praef. 7. 10 Con un primo (ed unico) tomo dedicato a Grundbegriffe und Lehre von den Juristischen Personen. Si noti come Mitteis (che sarà uno dei padri della papirologia), austriaco di nascita e di formazione, non avrebbe mai insegnato il diritto privato tedesco, nemmeno dopo la chiamata in Germania, a Lipsia, nel 1899, quando la sua attività didattica sarà dedicata alla „Antike Rechtsgeschichte“ (e al famoso seminario di studi papirologici, cfr. M. Talamanca, Gli studi di diritto greco dall’inizio dell’Ottocento ai nostri giorni, in: Scintillae iuris. Studi in memoria di G. Gorla I, Milano 1994, p. 879ss., spec. p. 898ss.). Sul tema della „storia giuridica dell’antichità“ come modello interpretativo della vicenda del diritto romano si v. per tutti E. Höbenreich, Der „Königsgedanke“, in: BIDR 103 –104, 2000 – 2001, p. 215ss. (con ampi riferimenti ai rapporti tra Mitteis e Wenger e interessanti spunti di storiografia sul diritto penale romano da Mommsen a oggi). 11 Sulla costruzione del concetto di „diritto classico“ nell’opera di Savigny e della scuola storica si v. M. Bretone, Il ‚classico‘ e la giurisprudenza, in: Labeo 45, 1999, p. 7 – 19 [parzialmente in id., Diritto e tempo nella tradizione europea, 2. ed. Roma / Bari 2005, p. 219 – 233]; cfr. anche C. Cascione, „Nota di lettura“ a O. Behrends, Scritti „italiani“, Napoli 2009, p. xviii s. La letteratura sull’idea di „tardoantico“ (e la sua genesi storiografica) è ormai vastissima: per una recente messa a punto si v. almeno L. De Giovanni, Istituzioni, scienza giuridica, codici nel mondo tardoantico. Alle radici di una nuova storia, Roma 2007, p. ix ss., 1 ss.

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III. La genesi del Römisches Strafrecht Binding, nel costruire il piano generale dell’opera, che doveva costituire la vera e propria enciclopedia del giurista tedesco, pensò anche al diritto penale romano. 12 Non è un caso, ben oltre la questione della vigenza (limitata al diritto privato). Il famoso penalista (poi in qualche misura famigerato, per l’utilizzazione che in epoca nazista si fece del suo concetto di „lebensunwertes Leben“ 13) si era infatti abilitato a Heidelberg, nel 1864, con un lavoro criminal-romanistico dal titolo De natura inquisitionis processus criminalis Romanorum. I suoi interessi storici sono peraltro attestati dalle ricerche, svolte agli esordi della sua attività scientifica con Waitz a Göttingen, sul regno romano-burgundo e da alcuni contributi della maturità usciti nella Savigny Zeitschrift, su questioni non secondarie. 14 Già nel 1879 aveva contattato il grande Mommsen, proponendogli proprio per lo Handbuch una trattazione complessiva del diritto pubblico (comprendente dunque il diritto penale), che il romanista aveva rifiutato, rivolgendogli parole ironiche e misteriose: „Ich mache Ihnen einem Vorschlag: Sie schreiben das erste Kapitel des Buches als Roman und ich schreibe das Übrige.“ 15 Mommsen in quegli anni stava procedendo all’elaborazione dello Staatsrecht, il suo trattato maggiore, destinato ad un’altra grande impresa editoriale-scienti12 Aveva notato l’importanza della collocazione dello Strafrecht mommseniano nell’ambito del progetto di Binding già Crifò, Ancora sullo Strafrecht mommseniano (cit. in nt. 2), p. 538 [= 180]. 13 La tesi è sviluppata in un volume pubblicato insieme allo psichiatra A. Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Mass und ihre Form, Leipzig 1920, 2. ed. 1922, nel quale viene rappresentata una teoria eugenetica frutto di un estremo darwinismo sociale, legittimante l’eliminazione della vita „non meritevole di essere vissuta“. 14 Cfr. Die Geschichte des burgundisch-romanischen Königsreichs, Leipzig 1868. L’attitudine germanistica dello studioso riprende interessi scientifici del padre, avvocato a Francoforte sul Meno, cfr. I. Binding, Zu den neuesten Ausgaben der Lex Salica, in: Zeitschr. f. deutsches Recht u. deutsche Rechtswissenschaft 7, 1842, p. 378ss. Negli ultimi anni di vita (morirà nel 1921 a Freiburg i. Br.), Binding si cimenterà due volte direttamente sul campo romanistico, con i saggi Culpa. Culpa lata und culpa levis, in: SZ 52, 1918, p. 1ss., e Rechtsvergleichende Vermutungen zu membrum ruptum, os fractum und injuria der Lex XII Tabularum, in: SZ 53, 1919, p. 106ss. 15 La testimonianza sta nelle parole dello stesso Binding pubblicate nel Vorwort apposto all’ultima iniziativa scientifica mommseniana, che trova la sua genesi proprio nel Römisches Strafrecht; mi riferisco al volume collettaneo Zum ältesten Strafrecht der Kulturvölker. Fragen zur Rechtsvergleichung gestellt von Th. Mommsen, Leipzig 1905. L’opuscolo – sul quale si dovrà tornare – era uscito in pochi esemplari, non destinati alla pubblicazione, nel 1903, privo della prefazione del penalista, cfr. K. Zangemeister, Theodor Mommsen als Schriftsteller, neu bearb. von S. Rebenich, Hildesheim 2000, nrr. 1479, 1512 (p. 205, 209).

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fica, ancora designata con il nome Handbuch, ma questa volta un „Manuale“ antichistico dedicato in particolare alla storia romana, quello diretto dallo stesso Mommsen e da Joachim Marquardt che costituiva un rinnovamento dello Handbuch der römischen Altertümer iniziato da Wilhelm Adolf Becker. 16 E la nuova edizione di quell’opera si aprirà proprio con lo Staatsrecht mommseniano. 17 Un epifenomeno di quella richiesta sarà l’uscita nello Handbuch di Binding dell’Abriss des römischen Staatsrechts, 18 un compendio della (per così dire) editio maior, 19 adattato all’uso dei giuristi e (specificamente di quelli che „nicht zugleich Philologen sind“ 20) e spinto oltre l’età dioclezianea, che aveva costituito il limite cronologico dell’opera maggiore. Binding aveva allora invitato a collaborare all’impresa, per il lavoro specifico sul diritto penale romano, uno studioso svizzero che era stato suo allievo a Lipsia, Emil Brunnenmeister (come ha di recente ricordato Udo Ebert in un utile saggio 21). L’incarico fu accettato nel 1881, ma non andrà a buon fine. La vicenda, che farà rientrare in gioco Mommsen (il quale alla fine prenderà su di sé la cura del volume), è particolarmente interessante. Si può seguire attraverso il ricordo che – a un anno dalla morte – Binding pubblicò del suo antico discepolo, poi amico, „mein lieber Schüler und Freund“, in una rivista-ponte tra accademia e pratica del diritto penale. 22 Brunnenmeister 23 si era abilitato nel 1878 a Basilea per il diritto penale e le due procedure e l’anno successivo aveva ottenuto una chiamata a Zurigo. Nel 1881, pur non essendo un romanista di professione (ma avendo chiaramente 16 Cfr., per tutti, W. Nippel, Das Staatsrecht in der Diskussion von 1871 bis heute, in: W. Nippel / B. Seidensticker (Hrsg.), Theodor Mommsens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung, Hildesheim / Zürich / New York 2005, p. 9ss. 17 Che – com’è noto – uscì con i soli primi due volumi nel 1871 –1875, riproposti in seconda ed. nel 1876/77e poi in terza nel 1887, quando l’opera fu completata dal III volume (pubblicato in due tomi, il secondo del 1888); cfr. C. Masi Doria, Spretum imperium. Prassi costituzionale e momenti di crisi nei rapporti tra magistrati nella media e tarda repubblica, Napoli 2000, p. 1 nt. 1; Nippel, Das Staatsrecht in der Diskussion (cit. in nt. 16), p. 9. 18 Si tratta dell’Abt. 1 Teil 3 dello „Handbuch“: Abriß des römischen Staatsrechts (Leipzig 1893, 2. ed. 1907, rist. Darmstadt 1974). 19 Ma con differenze rilevanti, cfr. soprattutto G. Tibiletti, Sull’opera di Pietro Bonfante, in: RIL 103, 1969, spec. p. 310. 20 Mommsen, Abriß (cit. in nt. 18), p. xvii. 21 „Strafrecht ohne Strafprozess ist ein Messergriff ohne Klinge“ (cit. in nt. 2), p. 52 e nt. 14. 22 K. Binding, Zum 22. Januar 1897 (Emil Brunnenmeister gestorben 22. Januar 1896), in: Gerichtssaal 53, 1897, p. 459ss. 23 Le principali notizie sul personaggio si possono leggere nella voce a lui dedicata redatta da K. v. Savigny per la ADB XLVII, Leipzig 1903, p. 297s.

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forti interessi storici 24), aveva risposto con entusiasmo al maestro, iniziando un impegnativo lavoro che, pur portando buoni frutti, 25 non si chiuderà con la pubblicazione dell’opera. Nel 1886 aveva intanto ultimato un’importante monografia romanistica, pubblicata poi l’anno successivo a Leipzig, 26 Das TödtungsVerbrechen im altrömischen Recht, un vero classico già per Hitzig. 27 In una lettera a Binding del marzo 1886 (citata nel necrologio), Brunnenmeister inizia a confessare le sue difficoltà (soprattutto di confronto con le fonti non giuridiche). La gravosa attività didattica (dal 1882 a Halle, dal 1889 sulla prestigiosa cattedra viennese, dalla quale impartirà anche la filosofia del diritto), attestata da un „Nachlass“ testimone di grandissimo scrupolo, lo condurrà – a quanto pare – alla malattia già nel 1889. Nel maggio del 1891 si sveleranno complicazioni mentali, curate tra il 1892 e il 1893. In quest’anno riprende le lezioni e si rimette al lavoro sullo Strafrecht, subito interrotto, però, per le incombenze connesse con l’esercizio del decanato della Facoltà giuridica viennese (durato fino all’estate del 1894). In una lettera del 30 maggio 1893 confessa al maestro di aver lavorato moltissimo, sull’epoca regia, su quella repubblicana e fino ai primi due secoli dell’età cristiana, ma di non poter essere pronto con un manoscritto in tempi brevi. Evidentemente Binding, a dodici anni dall’assegnazione, iniziava a pretendere un testo. La salute di Brunnenmeister crollerà nel luglio del 1895; morirà il 22 gennaio del 1896. Binding, tra le carte dell’allievo trasmessegli dagli eredi, non troverà alcun materiale sullo Strafrecht (se non brevissime osservazioni introduttive alla storia del processo penale) e avrà modo di sottolineare la stranezza di questa mancanza. 28 Evidentemente aveva sperato di poter utilizzare il lascito. La considerazione di Hitzig, 29 Neumann 30 e poi di Ebert 31 che solo con la morte di Brunnenmeister, e cioè dal 1896, si debba far partire l’assegnazione a Mommsen dell’incarico e dunque il tempus di due anni della scrittura di un volume di 1078 pagine (il „Vorwort“ è datato agosto 1898, la pubblicazione è del 1899) non può convincere del tutto. Se Binding aveva parlato, in modo piuttosto 24

Attestati dalla sua prima monografia: Die Quellen der Bambergensis. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Strafrechts, Leipzig 1879. 25 Cfr. subito infra. 26 Nello stesso anno pubblica, in: SZ 21, 1887, p. 265ss., una breve ma critica recensione della „seconda abilitazione“ di Ernst Landsberg, Iniuria und Beleidigung, Bonn 1886. 27 H.F. Hitzig, Zum römischen Strafrecht, in: Zeitschrift für Strafrecht 13, 1900, p. 213. 28 Cfr. Binding, Zum 22. Januar 1897 (cit. in nt. 22), p. 463. 29 Hitzig, Zum römischen Strafrecht (cit. in nt. 27), p. 184. 30 K.J. Neumann, Theodor Mommsen, in: Hist. Zeitschrift 92, 1904, p. 233. 31 Ebert, „Strafrecht ohne Strafprozess ist ein Messergriff ohne Klinge“ (cit. in nt. 2), p. 53 nt.16.

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generico, della „seconda metà degli anni Novanta“ 32 come momento per indicare l’inizio dell’opus mommseniano, più accuratamente (in una prospettiva ormai storiografica) Liebs ha messo in evidenza che lo studioso vi stava lavorando già nel 1895. 33 La prova sta in una lettera di Mommsen a Wilamowitz del dicembre 1895, che attesta lo stato di avanzamento del lavoro. Come si è visto, Mommsen era stato coinvolto nello Handbuch già da tempo: evidentemente Binding era ricorso a lui al momento della rilevata impossibilità di Brunnenmeister (ma quando? già con la crisi del 1889, quando Mommsen aveva terminato lo Staatsrecht?, al momento del „crollo“ nel luglio 1895? in una data intermedia? certo dal 1881 erano trascorsi ben quattordici anni!). La lettera al genero è di particolare interesse, uno stralcio indica le prospettive del lavoro in corso: „Ich habe meinen Entschluß nicht bereut, und in der kriminalrechtlichen Arbeit eine reiche Fülle unverarbeiteten Stoffes und frischer Belehrung gefunden. Das Gefühl habe ich immer gehabt, daß dieser Abschnitt bei meinen römischen Arbeiten fehlt; Zivilrecht und Zivilprozeß sind genügend behandelt, aber dieser Abschnitt zwischen diesen und dem Staatsrecht eigentlich in die Brüche gegangen“. 34 Emerge lo spirito (e anche l’entusiasmo) dell’indagatore che affronta un terreno per gran parte inesplorato e allo stesso tempo il senso di compimento di un’esperienza di lavoro nella quale evidentemente lo studioso sentiva la mancanza del confronto con una parte importante dell’esperienza giuridica antica. „Immer“ indica qui un antico sentimento: fin dai suoi esordi scientifici Mommsen aveva volto il pensiero al diritto criminale dei Romani, tanto che sia Binding, sia Wilamowitz avrebbero poi qualificato l’ambito penalistico come l’amore giovanile del grande studioso. 35 32

Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1) Vorwort p. vii. Liebs, Mommsens Umgang (cit. in nt. 2), p. 199. Cfr. già J. Malitz, Theodor Mommsen und Wilamowitz, in: W.M. Calder III / H. Flashar / Th. Lindken (Hrsg.), Wilamowitz nach 50 Jahren, Darmstadt 1985, p. 31ss., spec. p. 46. 34 Mommsen und Wilamowitz, Briefwechsel 1872 – 1903, Berlin 1935, p. 511. La ha utilizzata J. Malitz, in: Th. Mommsen, Römisches Strafrecht, Stellenregister, München 1982, p. v, e poi nel contributo, importante per l’intelligenza dei rapporti tra i due studiosi, Theodor Mommsen und Wilamowitz (cit. in nt. 32), spec. p. 46 e nt. 65; per l’indagine relativa agli apporti di Wilamowitz allo Staatsrecht mommseniano è ancora necessaria la lettura di P. Angelini, Lo ‚Staatsrecht‘ nell’epistolario Mommsen-Wilamowitz, in: SDHI 41, 1975, p. 362ss. (non messo a frutto da Malitz). 35 Binding, Zum 22. Januar 1897. (cit. in nt. 22), p. 462; U. von Wilamowitz-Moellendorff, Storia della filologia classica, trad. it. Torino 1967, p. 136. Sul programma di studio giovanile, che contemplava interessi di diritto criminale si v. L. Wickert, Theodor Mommsen. Eine Biographie I, Frankfurt a. M. 1959, p. 166; cfr. Masi Doria, „Nota di lettura“ (cit. in nt. 4), p. xxvs. [= Per una ristampa dei collegia mommseniani (cit. in nt. 4), p. 180s.]. 33

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Un’altra lettera, del 4 maggio 1898, questa volta destinata alla moglie, indica la fine del lavoro, con l’invio delle pagine a Lipsia, sede dell’editore Dunckler & Humblot. „Meine grossen Pakete sind nach Leipzig gegangen, und ich hoffe, dass Ende dieser Woche Binding kommt und ich mich mit ihm über die Publikation meines Strafrechts verständigen werde“. Manca ancora l’ultima „Ausarbeitung“, ma Mommsen esprime gioia nel vedere completati, attraverso lo Strafrecht, i suoi altri lavori: „Ich freue mich doch, dass dies Werk wohl noch fertig wird; es ergänzt meine anderen Arbeiten.“ 36 IV. Lacune e compimenti Lo Strafrecht, dunque, appare finalmente come quarta parte della prima „Abteilung“ del Systematisches Handbuch. L’immagine della lacuna scientifica e del riempimento-completamento attraverso la preparazione del trattato penalistico è chiara nella prospettazione di Mommsen. Il riferimento è allo stesso tempo al proprio lavoro e allo stato degli studi. Riemerge con chiarezza nel „Vorwort“, 37 una pagina assolutamente centrale per l’intendimento dell’opera. „Lücke“ ne è la prima parola chiave: riempire quei vuoti scientifici (unanimemente rilevati dalla triade dei destinatari: „Rechtsgelehrte wie Historiker und Philologen“) e contemporaneamente completare l’esame del versante pubblicistico del diritto romano, impostato nello Staatsrecht, esprime la vera finalità del lavoro. Nel rilevare lacune vi è un accento critico alla letteratura che si era occupata del diritto penale romano. 38 Non è un caso che ancora oggi la condizione scientifica di questa parte del diritto romano appaia per quei tempi „desolata“, come è stato di recente notato. 39 A partire dalla monografia del criminalista Julius Friedrich Heinrich Abegg (fortemente influenzato dalla Scuola storica), De antiquissimo Romanorum iure criminali commentatio (Königsberg 1823), si era sviluppato in Germania un certo interesse per il diritto penale dei Romani, 40 del resto la materia era stata oggetto della dissertazione dottorale dello stesso 36

La citazione è da Malitz, Stellenregister (cit. in nt. 34), p. v, che la traeva da una „Abschrift“ di Wickert. 37 Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), Vorwort p. viis. 38 Per un breve ma limpido cenno si v. Venturini, Lo Strafrecht mommseniano ad un secolo di distanza (cit. in nt. 2), p. 13 nt. 1; cfr. F.P. Casavola, Mommsen nella romanistica italiana, in: Diritto@storia 5, 2006, su ntt. 29ss. 39 Ebert, „Strafrecht ohne Strafprozess ist ein Messergriff ohne Klinge“ (cit. in nt. 2), p. 53. 40 Un elenco di nomi e titoli (senza particolari approfondimenti) si trova in E. Costa, Crimini e pene da Romolo a Giustiniano, Bologna 1921, p. 10ss., cfr. anche la rec. (cit. in nt. 27) di Hitzig a Mommsen, spec. 182, ove una breve relazione su „Der bisherige Stand der Wissenschaft“.

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Savigny. 41 I risultati delle ricerche sul tema svolte nei primi decenni dell’Ottocento si trovano sintetizzati e rielaborati dal filologo Wilhelm Rein, in un ampio volume, 42 utile per la vasta documentazione, ma che appare chiaramente debole sotto il profilo della ricostruzione giuridica e dell’organizzazione del materiale, limitandosi ad un’analisi delle singole fattispecie criminose. 43 Natura e limiti dell’opera emergono già dal sottotitolo: „ein Hülfsbuch zur Erklärung der Classiker und der Rechtsquellen für Philologen und Juristen“. Nello stesso anno in cui questo libro viene pubblicato, il 1844, compare nella Neue Jenaische Allgemeine Literaturzeitung 44 una recensione di Mommsen, per lui insolitamente estesa (mi sembra quantitativamente la più lunga, almeno di quelle ripubblicate nelle Gesammelte Schriften 45), che il giovane studioso dedica all’altro trattato che in quell’epoca aveva provato a disegnare una storia giuscriminalistica, questa volta dalla prospettiva del processo, una „Geschichte des römischen Criminalprozesses“ come avrà a scrivere proprio il recensore. Autore, questa volta, un penalista, Karl Gustav Geib, il quale – dopo una carriera pratica che lo aveva condotto fino in Grecia quando Ottone Wittelsbach era stato chiamato alla guida di quel Paese dopo l’indipendenza – era giunto a Zurigo prima come straordinario (dal 1836) e poi come ordinario di discipline criminalistiche e processualistiche. La trattazione di Geib, condizionata dalla communis opinio e dunque luogo di stratificazione di errori, aveva per il nostro un difetto che si manifesta proprio attraverso la differente successiva impostazione del trattato mommseniano. Essendo infatti limitata al processo (e dunque tralasciando il diritto penale sostanziale) risultava incapace di restituire quella strettissima interdipendenza tra aspetti materiali e procedurali che per il grande studioso caratterizzava l’esperienza criminalistica. Secondo la storiografia, la recensione al libro di Geib è tanto più importante, perché disegna il momento iniziale di una continuità di pensiero che durerà in Mommsen fino allo Strafrecht. 46 La successiva opera di Zumpt, segmentata in un grosso lavoro sul diritto criminale in due volumi e in un ulteriore tomo sul processo, 47 costituita sostanzialmente da un centone 41

De concursu delictorum formali, Diss. Marburg 1800. Das Criminalrecht der Römer von Romulus bis auf Justinianus, Leipzig 1844. 43 Secondo Venturini, Lo Strafrecht mommseniano ad un secolo di distanza (cit. in nt. 2), p. 13 nt. 1, ugualmente criticabile risultava nella letteratura tedesca della prima metà dell’Ottocento anche F. Walter, Geschichte des römischen Rechts bis auf Justinian, 2. ed. Bonn 1844. 44 Vol. 3, 1844, p. 245 – 252, 257 – 265. 45 Gesammelte Schriften III. Juristische Schriften III, Berlin 1907, p. 469 –494. 46 Si v. L. Wenger, rec. a Th. Mommsen, Gesammelte Schriften III, in: GGA, 1910, p. 46; W. Kunkel, Untersuchungen zur Entwicklung des römischen Strafverfahrens in vorsullanischer Zeit, München 1962, p. 9 e nt. 1; Höbenreich, Leopold Wenger (cit. in nt. 2), p. 381e nt. 15. 47 Das Criminalrecht der römischen Republik I – II, Berlin 1865 –1869; Das Criminalprozess der römischen Republik, Leipzig 1871. Forse è interessante ricordare l’intuizione, 42

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di fonti e limitata all’età repubblicana, soffriva dello stesso difetto (costituendo prevalentemente, anche con il Criminalrecht, una riduzione del diritto a una storia cronologica delle procedure). 48 Mommsen in generale non doveva stimare molto questo predecessore, un filologo ancora una volta, come emerge (in un contesto non giuspenalistico) da una lettera di recente pubblicata. 49 Il motto „Strafrecht ohne Strafprozess ist ein Messergriff ohne Klinge und Strafprozess ohne Strafrecht eine Klinge ohne Messergriff“ risulta insomma la chiave di lettura principale dell’interpretazione mommseniana che sta proprio nel „Vorwort“ (p. vii), ove lo studioso fa emergere a più riprese la necessità di „Strafrecht und Strafprozess zusammenzufassen“. 50 L’altro asse di completamento sta nel rapporto dello Strafrecht con lo Staatsrecht (e più in generale con l’attività di Mommsen come studioso del diritto romano). Il punto, nella percezione dell’autore, è chiaro ed esplicito fin dalla citata lettera a Wilamowitz. Nel „Vorwort“ riemerge con nettezza. La trattazione dello Staatsrecht risulta come necessaria, indispensabile premessa di metodo rispetto a quella dello Strafrecht. Il risultato è che il libro più recente è considerato come „ergänzende Fortsetzung“ del trattato pubblicistico giunto alla terza edizione dei primi due volumi e al completamento con l’uscita del terzo, nel 1887/88. 51 La prospettiva di lettura del diritto penale è certamente giuridica, fa parte della „römische Rechtswissenschaft“, ma ancor più del diritto pubblico si innesta nella „historisch-antiquarische Forschung“. Dunque ibridazione di metodi e di potenziali lettori, che – come si è visto – sono i giuristi in primo luogo (considerata anche la destinazione editoriale dell’opera), ma anche gli storici e i filologi.

simile a quella di Mommsen, spiegata nella Vorrede al primo volume (p. ix), di un lavoro che si svolge su un campo comune a giuristi e filologi („Meine Arbeit betrifft ein Juristen und Philologen gemeinsames Feld [...].“). 48 La critica era già in L. Landucci, Storia del diritto romano, Padova 1887, p. 567 nt. 2; lo ha notato Venturini, Lo Strafrecht mommseniano ad un secolo di distanza (cit. in nt. 2), p. 13 nt. 1, cfr. id., Assetti costituzionali (cit. in nt. 2), p. 1625. 49 Mommsen a de Rossi (10.5.1860), in: M. Buonocore, Theodor Mommsen e gli studi sul mondo antico dalle sue lettere conservate nella Biblioteca Apostolica Vaticana, Napoli 2003, spec. p. 114. Tra l’altro gli studi epigrafici di Zumpt, raccolti nelle Commentationes epigraphicae ad antiquitates Romanas pertinentes I – II (1850 –1854), lo avevano condotto ad uno scontro in campo aperto con il progetto mommseniano del Corpus Inscriptionum Latinarum. 50 P. vii; cfr. p. viii: „Zusammenfassung von Strafrecht und Strafprozess“. 51 L’idea del completamento torna spesso nella successiva letteratura, si v. ad esempio V. Scialoja, Teodoro Mommsen, in: Rendiconti Acc. Lincei, cl. Sc. Mor. Stor. e Filol., s. v, 12, 1903, p. 456 [= Studi giuridici II, Roma 1934, p. 223]; Höbenreich, Leopold Wenger (cit. in nt. 2), p. 382 s.; O. Diliberto, La biblioteca stregata. Tracce dei libri di Theodor Mommsen in Italia, Roma 1999, p. 25; Liebs, Mommsens Umgang (cit. in nt. 2), p. 199 e nt. 3. Cfr. anche infra § 6.

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V. Strumenti: le fonti; gli autori citati Lo Handbuch, come tipologia letteraria, è un reference-book, uno strumento per orientarsi nei problemi scientifici. Come tale deve essere utilizzabile anche attraverso apparati che consentano la consultazione e insieme il controllo. Come per lo Staatsrecht, anche nel manuale penalistico, Mommsen fa seguire al testo degli indici. Nel „Vorwort“ (p. viii) l’autore ringrazia, in particolare per la redazione del „Register“, Ernst von Simson. 52 In realtà alla fine del volume si trovano due indici. Molto importante quello analitico („Sachliches Register“, p. 1050 – 1068), che consente una rapida sinossi degli argomenti nelle varie parti del testo. Segue quello delle fonti, o meglio: „delle fonti trattate“ („Register der behandelten Stellen“, p. 1068 –1078). Mommsen aveva a cuore la fruibilità dei lavori e l’indice delle fonti è uno strumento fondamentale a questo fine. Proprio a proposito del diritto criminale romano aveva lamentato (in sede di recensione) come nell’opera di Gustav Geib un tale strumento mancasse. 53 Due i punti interessanti di quella critica: che dall’indice si potesse trovare tutto („Alles“) e che ciò potesse esser fatto velocemente („schnell“). Se il secondo mostra ancora una volta una caratteristica (e una qualità) del metodo di lavoro mommseniano, il primo punto merita un’ulteriore osservazione, perché – come ha messo in rilievo in particolare Malitz – sia l’indice delle fonti dello Staatsrecht, sia quello dello Strafrecht, sono ampiamente lacunosi. È difficile riflettere su quel „behandelten“ (le fonti „trattate“), perché non appare chiaro il criterio di scelta delle fonti registrate. Come è noto si deve a Malitz, che si è sobbarcato un lavoro improbo e certosino di completamento, la pubblicazione di uno Stellenregister 54 veramente accurato, uscito nel 1982, dopo che quello studioso aveva pubblicato anche l’indice delle fonti del Diritto pubblico romano. I testi antichi richiamati nello Strafrecht riempiono ben 125 pagine (a fronte delle undici del „Register“ di von Simson), per la maggior parte (ben 116) dedicate all’elenco delle „Literarische Quellen“. Seguono „Inschriften“, „Papyri“, „Münzen“ e un breve capo dedicato a concordanze. Può risultare interessante un paragone, sia pur molto approssimativamente calcolato, con le quantità percentuali che si rilevano nello Staatsrecht:

52 1876 – 1941: giurista, giudice, poi alto burocrate ministeriale, poi ancora industriale, emigrato per motivi politici nel 1937 in Inghilterra. 53 Gesammelte Schriften III (cit. in nt. 44), p. 494: „Sehr ungern haben wir dagegen ein Register vermisst, das bei einem solchen Werke durch die Disposition des Verf. nicht ersetzt werden kann. Nicht bloß finden muss man Alles können, sondern auch schnell finden.“ 54 Cfr. la segn. di G.P. Burton, in: Class. Rev. 34, 1984, p. 144, e la rec. di B.M. Levick, in: Gnomon 57, 1985, p. 194ss.

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Fonti di tradizione manoscritta

Strafrecht ca. 92 %

Staatsrecht ca. 76%

Fonti epigrafiche

Strafrecht ca. 6 %

Staatsrecht ca. 21%

Fonti papirologiche

Strafrecht ca. 0,8 %

Staatsrecht non presenti!

Monete

Strafrecht solo 4 ricorrenze

Staatsrecht ca. 2%

Si nota soprattutto l’uso determinante nello Staatsrecht delle epigrafi, molto meno rilevanti nell’esame del diritto criminale. Si può sottolineare anche come nello Strafrecht abbiano un ruolo i papiri, che mancano del tutto nel trattato pubblicistico (la scienza papirologica si può dire che fosse appena nata ai tempi del Diritto penale, mentre era praticamente insignificante ai tempi dell’elaborazione dello Staatsrecht). Si noti come nel recente Kunkel-Wittmann (che è il corrispondente critico, fortemente storicizzato, dello Staatsrecht, pubblicato nello Handbuch antichistico ora „vigente“), sia pure dedicato alla sola magistratura repubblicana, le citazioni papirologiche siano solo tre, tutte raccolte in un’unica nota, dedicata peraltro alla spiegazione di un contesto processuale di diritto greco. 55 Molto si è detto in storiografia della riluttanza mommseniana a citare bibliografia moderna. 56 Il problema è rilevante, ma da considerare rispetto agli standard dei tempi (e non con la prospettiva deformata dal profluvio di citazioni che si possono trovare in opere a noi contemporanee). Recentissimo è il Bibliographischer Index zum Römischen Staastrecht von Theodor Mommsen, 57 uno strumento prezioso che ci mostra il tavolo di lavoro dello studioso, i suoi libri, la sua corrispondenza scientifica relativa alla stesura di quel trattato. Manca un mezzo consimile per lo studio dello Strafrecht. Ma possediamo almeno un indice degli autori citati, curato da Tommaso Masiello con la collaborazione di Giuseppe Sanseverino e posto in appendice al volume Mommsen e il diritto penale romano. Questo elenco (di meri nomi), privo di referenze bibliografiche, è comunque fruttuoso: fornisce infatti notizie quantitative (Mommsen cita 64 autori) e consente di individuare alcuni punti di riferimento: Carl Georg Bruns (come editore dei Fontes), Gotofredo, l’allievo Otto Hirschfeld, Marquardt, Schöll 55

W. Kunkel / R. Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik II. Die Magistratur, München 1995, p. 357 nt. 197. 56 Si pensi agli interventi di A. Momigliano sulla Römische Geschichte, riscritta „senza curarsi di giustificare con critica minuta i suoi risultati o almeno di indicare i criteri generali della sua ricostruzione“, così in Friedrich Creuzer and Greek historiography (1946), ora in: Contributo alla storia degli studi classici, Roma 1955, p. 251 (ci sono altri punti nell’opera di Momigliano, dove la questione è toccata anche in relazione alle Römische Forschungen di Mommsen). 57 Bearbeitet von K. Kaufmann und K. Wannack, Hildesheim / Zürich / New York 2010.

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(anch’egli come editore, delle XII tavole) e Wilcken (ancora come editore, di papiri) sono gli studiosi più citati. Questi riferimenti, seppur minimi, mostrano – mi pare – due elementi: la maggioranza di richiami a filologi rispetto a quelli a giuristi (attestata anche oltre questi sei nomi) e l’uso prevalentemente strumentale della citazione (Mommsen soprattutto rinvia a editori, senza entrare quasi mai in una comunicazione sostanziale o critica con i citati). I non tedeschi sono pochissimi e non risulta nessuno studioso italiano. Il manuale ferriniano, 58 praticamente coevo, come il lavoro – pionieristico in Italia, ma alquanto debole – di Carnazza Rametta 59 e il precoce saggio di Di Marzo, 60 dedicato però al solo aspetto processuale, stanno probabilmente, in questa fase, del tutto al di fuori della prospettiva del deutscher Professor (in un contesto di scrittura molto rapida e poco incline all’esame della letteratura moderna). Del resto Mommsen aveva avvertito della difficoltà a seguire la bibliografia, giustificandosi proprio con la fretta di dover portare a compimento l’opera. 61 Ma queste sono solo prime impressioni, da verificare attraverso una più attenta mappatura. VI. La traduzione francese Il libro che ci sta interessando avrà molte ristampe, un significativo „Nachleben“, fino ad anni assai recenti. Ne esiste ora, peraltro, un’utilissima versione digitale, un CD/Rom della Heptagon, 62 che permette ogni tipo di ricerca (anche in combinazione con lo Staatsrecht e con la Römische Geschichte). 63 Un posto preminente, però, nella storia della diffusione della ricostruzione mommseniana, merita la traduzione francese, uscita nel 1907, che permise a molti (nelle cul58

C. Ferrini, Diritto penale romano. Teorie generali, Milano 1899. La prefazione è datata 30 giugno 1898. Si noti come il sintetico lavoro di Ferrini (358 pagine in formato piccolo) usciva in una collana divulgativa di grandissima diffusione (i „Manuali Hoepli“) e non in una sede accademica. 59 Studio del diritto penale dei Romani, Messina 1893, rist. an. Roma 1972. 60 S. Di Marzo, Storia della procedura criminale romana. La giurisdizione dalle origini alle XII Tavole, Palermo 1898, rist. an. Napoli 1986; sull’opera si v. i positivi giudizi di R. Orestano, Salvatore Di Marzo, in: SDHI. 20, 1954, p. 521ss. [= con integrazioni in: Diritto. Incontri e scontri, Bologna 1981, p. 667ss.]; id., „Nota di lettura“ alla rist. citata in apertura della nota, p. viiss.; cfr. Venturini, Lo Strafrecht mommseniano ad un secolo di distanza (cit. in nt. 2), p. 14 nt. 1. 61 Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), Vorwort p. viii. 62 Theodor Mommsen, Römische Geschichte und römisches Recht, hrsg. von M. Damken, Berlin 2002. Le opere consultabili sono la Römische Geschichte nella 9. ed., lo Staatsrecht nella III (I ed unica per il III vol.) e lo Strafrecht. 63 Un esercizio per provare i giovamenti che possono scaturire dall’uso della versione su CD / Rom si trova nel mio I „Grundrechte“ nell’opera storico-giuridica di Theodor Mommsen (cit. in nt. 4), p. 371ss.

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ture di lingua inglese, 64 ma anche in Italia) un avvicinamento più approfondito all’opera di quanto non consentisse l’originale tedesco, spesso ostico. La curò Joseph Duquesne (1874 –1951) 65 allora professore alla Faculté de droit di Grenoble, in tre volumi. La versione fu autorizzata dalla famiglia dell’autore (e dunque fu intrapresa dopo la morte di Mommsen). Anche in tal caso il Diritto penale fa seguito alla versione francese del maggiore trattato di diritto pubblico, che era appena uscita grazie a Paul-Frédéric Girard. Ad essa Duquesne si rifà anche per i criteri editoriali. Profondo conoscitore del tedesco (e della cultura giuridica germanica), il traduttore nell’„Avertissement“ che apre il I volume restituisce osservazioni interessanti su lingua e stile di Mommsen, le quali anticipano le più profonde notazioni che (soprattutto sullo Staatsrecht) saranno poi svolte da Gianfranco Tibiletti, 66 in particolare sulle difficoltà di interpretazione di alcuni passaggi, nonostante che il livello letterario anche di quest’opera sia da considerare tra i „Kunstwerken der deutschen Litteratur“. 67 Duquesne riprende alcuni momenti cruciali del „Vorwort“, in particolare la comunicazione di giurisprudenza, storia e filologia (p. ix), la „complementarità“ rispetto allo Staatsrecht (p. xi), l’importanza dell’opera, che vale a colmare una „véritable lacune“ (p. ix), e l’osservazione che l’operosità del Mommsen degli ultimi anni si era congiuntamente concentrata sull’edizione del Codex Theodosianus. Val la pena di riportare un brano della prefazione francese: „Cette traduction paraît comme appendice au Manuel des Antiquités Romaines de Mommsen et de Marquardt, bien que le Römisches Strafrecht de Mommsen n’appartienne pas à l’oeuvre allemande correspondante. Le manuel français s’est déjà élargi pour recevoir l’Histoire des Sources du Droit Romain de P. Krüger; des bon juges ont estimé opportun d’étendre à nouveau le cadre de l’oeuvre française pour y faire rentrer cette traduction. En agissant ainsi, nous n’avons fait que suivre la pensée de Mommsen qui dans sa préface présente son Droit pénal Romain comme le complément de son Droit public Romain“. Il rapporto stretto tra i due trattati mommseniani emerge compiutamente proprio nell’edizione francese. Si verifica, infatti, uno spostamento, per così dire, da Handbuch in Handbuch (o da Handbuch a Manuel). Come si è visto, l’originale dello Strafrecht era destinato a una trattazione prettamente orientata entro l’epistemologia, la cultura, l’attività pratica dei giuristi, che usciva come potente rappresentazione della scienza giuridica tedesca. Nella versione francese appare invece, forse più propriamente, come „appendice“ (p. x dell’Advertissment) del Droit public romain, nella serie 64 Come ebbe a notare l’anonimo segnalatore della Classical Review 23/3, 1909, p. 91s., riferendosi ai lettori inglesi e americani. 65 Sul personaggio si v. J. Dénoyez, Joseph Duquesne, in: Iura 3, 1952, p. 502s. Un breve profilo biografico si trova anche nella voce, redazionale, a lui dedicata in: NNDI VI, Torino 1960, rist. 1968, p. 328. 66 Sull’opera di Pietro Bonfante (cit. in nt. 19), spec. p. 308ss. 67 Hitzig, Zum römischen Strafrecht (cit. in nt. 27), p. 229.

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che traduce lo Handbuch di Mommsen e Marquardt, quello antichistico, svelando ancora più apertamente la relazione di „complementarità“ tra Staatsrecht e Strafrecht, significativamente indicata dallo stesso Mommsen, e in una certa misura anche l’ancillarità del secondo rispetto al primo. VII. Sistema e verità Questo rapporto dichiarato tra le due opere giuridiche maggiori di Mommsen serve anche a rileggere da una prospettiva diversa lo Strafrecht, nell’ambito di un sistema complesso del diritto romano pubblico. 68 L’integrazione nell’ordine dello Staatsrecht mi pare mostrarsi attraverso la centralità che nel Diritto penale assume il secondo libro, dedicato agli „Strafbehörden“, ai „funzionari“ incaricati della pena. Nella trattazione questa parte segue quella, generalissima e introduttiva, sulla natura e i confini del diritto penale, e precede il libro dedicato al processo, che a sua volta preannunzia quelli che affrontano i singoli delitti e le pene. Questa „Gliederung“ è del tutto singolare se paragonata da una parte a quelle delle coeve opere penalistiche del diritto positivo (basti il rinvio proprio allo Handbuch des Strafrechts di Binding 69), dall’altra ai tentativi romanistici di quella stagione, i quali o seguivano un andamento cronologico, ovvero replicavano strutture organizzative (e narrative) simili a quelle diffuse nella descrizione del diritto vigente. 70 La costruzione nuova e peculiare proposta da Mommsen aggancia la più debole dogmatica dello Strafrecht alla potente centralità che nello Staatsrecht aveva la magistratura, qui intesa specificamente come potere punitivo. Basti una sola citazione per comprenderne la centralità assorbente: „Ob der Magistrat nach freiem Ermessen spricht und ob alsdann dieser Spruch definitiv ist oder von der Bürgerschaft aufgehoben werden kann oder ob der Magistrat eine durch den Geschwornenspruch gemäss seinen Spruch thut, im Rechtssinn ist jedes Urtheil ein magistratischer Spruch.“ 71 E così il sistema forte, strutturato, del diritto pubblico regge il diritto penale: è la „Gesamtbau“ criticamente rilevata da Franz Wieacker. 72 E forse così si comprende anche perché lo studioso di Gottinga lanciava verso lo Strafrecht l’accusa non di essere un’opera dogmatica, ma un esempio di dogmatismo. È notissima 68 Anche se bisogna ricordare che nello Strafrecht Mommsen assorbe nella generale visione penalistica anche l’illecito privatistico (cfr. infra p. 110.), tradizionalmente affrontato nelle trattazioni del diritto romano privato. 69 Cfr. l’„Inhaltsverzeichnis“ a p. xiss. 70 Esempi dei due tipi, tra le opere citate, possono essere da una parte il Criminalrecht di Zumpt, dall’altra il Diritto penale di Ferrini. 71 Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), p. 135, v. anche 63; cfr. Höbenreich, Leopold Wenger (cit. in nt. 2), p. 383 nt. 22. 72 Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. ed. Göttingen 1967, p. 419.

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l’affermazione giovanile di Mommsen sulla utilità euristica del sistema. 73 Nel 1845, facendo proprie le parole di August Theodor Wöniger, 74 in sede di recensione del suo Das Sacralsystem und das Provocationsverfahren der Römer, 75 scriveva: „Das System ist seine eigene Wahrheit.“ 76 Dopo l’esperienza della Römische Geschichte lo studioso non tornerà più a schemi evolutivi: cercherà la coerenza soprattutto attraverso edificazioni sistematiche, in una storiografia che si costruisce come descrittiva ma non cronologica, quella che Arnaldo Momigliano, proprio confrontandosi con Mommsen, ha definito „synchronic history“. 77 E ancora il grande studioso italiano riuscì a comprendere come la sistemazione dei materiali fosse per Mommsen un mezzo per esorcizzare „il demone dell’arbitrio“, in lui molto potente. 78 Indicazioni di assoluta rilevanza – all’interno della metodologia mommseniana – si possono leggere in un altro „Vorwort“, quello dell’Abriß, datato maggio 1893. Emerge lì con forza – ancora una volta – la centralità (la necessità) del sistema: l’organizzazione delle notizie è lo strumento per domare l’irrazionalità del dato storico e dunque per ottenere conoscenza. „Die einzelnen Institute sind historisch entstanden, also irrationell“ è una frase

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Con riguardo allo Staatsrecht si v. in tempi recenti M. Bretone, Storia del diritto romano, 15. ed. Roma / Bari 2006, p. 443. Sul rapporto tra i due trattati cfr. Venturini, Aspetti costituzionali (cit. in nt. 2), p. 1625. 74 L’affermazione di Mommsen era stata unanimemente attribuita direttamente a lui (e non come citazione di Wöniger) fino alla chiarezza portata sul punto da O. Behrends, Mommsens Glaube. Zur Genealogie von Recht und Staat in der Historischen Rechtsschule, Nachr. der Ak. der Wiss. zu Göttingen I. Phil.-Hist. Kl., Göttingen 2005, p. 366ss. (ove anche utili indicazioni sul personaggio). 75 Leipzig 1843, ora in: Gesammelte Schriften III (cit. in nt. 45), p. 537ss. 76 Gesammelte Schriften III (cit. in nt. 45), p. 546. Bibliografia sulla citazione: A. Heuss, Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert, Stuttgart 1996, p. 48; A. Giovannini, De Niebuhr à Mommsen: remarques sur la genèse du ‚Droit public‘, in: Cah. Glotz 3, 1992, p. 167ss.; S. Rebenich, Theodor Mommsen. Eine Biographie, München 2002, p. 110; W. Nippel, Mommsen als Architekt des „Römischen Staatsrechts“, in: A. Demandt et. al. (Hrsg.), Theodor Mommsen. Wissenschaft und Politik im 19. Jahrhundert, Berlin 2005, spec. p. 252; id., Der ‚Antiquarische Bauplatz‘. Theodor Mommsens Römisches Staatsrecht, in: J. Wiesehöfer (Hrsg.), Theodor Mommsen (cit. in nt. 2), p. 177. 77 Nell’opera del grande storico italiano l’idea ricorre più volte, sparsa in diversi lavori, ora facilmente rintracciabili nei ‚Contributi‘ da cui cito: si v. A. Momigliano, Friedrich Creuzer (cit. in nt. 56), p. 251; Introduzione alla Kulturgeschichte di Jacob Burckhardt (1955), ora in: Secondo contributo alla storia degli studi classici, Roma 1960, p. 284ss.; Historicism revisited (1974), ora in Sesto contributo alla storia degli studi classici, Roma 1980, p. 27. Cfr. Behrends, Mommsens Glaube (cit. in nt. 73), p. 326ss., sulla „Systembau“ dello Staatsrecht. Critici sulla sistematica mommseniana soprattutto W. Kunkel, Theodor Mommsen als Jurist, in: Chiron 14, 1984, p. 369ss. spec. 373; A. Giovannini, Consulare imperium, Basel 1983. 78 L’immagine è tratta da una comparazione con Niebuhr, cfr. A. Momigliano, Friedrich Creuzer (cit. in nt. 55), p. 51. Cfr. Heuss, Theodor Mommsen (cit. in nt. 76), spec. p. 43s.

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netta, che dà da pensare, soprattutto se scritta da uno storico così grande. Per il diritto romano pubblico (comprensivo del penale) il sistema manca del tutto nelle fonti, quindi è necessariamente frutto di un ordine creato dallo studioso, da lui imposto alle fonti. L’arbitrarietà è vinta dalla dimostrazione, da un imperativo categorico: non presentare al pubblico „unbewiesenen Behandlungen“. Nello Strafrecht l’esperienza di ricerca storico-antiquaria, quanto mai necessaria per l’elaborazione di un „diritto penale romano“ (bisogna rinviare una volta di più al „Vorwort“, p. vii), viene dunque saldata ad una visione prettamente giuridica dei problemi. 79 Ne deriva la nota figura della „Zwischenstellung des Strafrechts zwischen Jurisprudenz und Geschichte“, 80 sulla quale si dovrà tornare. Forse proprio questo era stato il problema principale di Brunnenmeister: l’annegamento nel vasto mare delle fonti, delle testimonianze (specie quelle non giuridiche, meno controllabili, per loro natura sganciate dal sistema del diritto) senza la capacità (o la forza) di trovare un ordine. Mommsen sacrifica molto nello Strafrecht: 81 la letteratura moderna (come si è avuto modo di accennare) 82 dall’autore stesso considerata una „lacuna“, le linee della dogmatica propriamente penalistica, 83 l’età del tardoantico (se non per cenni). 84 Probabilmente era il solo metodo, in quelle condizioni, per chiudere il lavoro (tra l’altro in tempi brevissimi). Il risultato, seppur mirabile, appare allo stesso Mommsen imperfetto. Ma l’opera è frutto dell’uomo, anche della brevità del suo tempo umano: „Alles hat seine Zeit und auch der Mensch.“ 85 La discussione che lo Strafrecht (con tutto il percorso scientifico mommseniano) ancora suscita dimostra che quello

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Cfr. Kunkel, Theodor Mommsen als Jurist (cit. in nt. 77), p. 369ss. Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), Vorwort p. vii. 81 Crifò, Ancora sullo Strafrecht mommseniano (cit. in nt. 11), p. 535s. e nt. 4 [= in: Materiali di storiografia romanistica (cit. in nt. 11), p. 176e nt. 4]. 82 Si v. la giustificazione proposta in Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), Vorwort p. viii. 83 La debolezza era già stata notata da C. Ferrini, in sede di recensione, in: AG 5, 1900, p. 378s. Su questo punto, con un significativo esempio in tema di omicidio, si v. G.G. Archi, Gli studi di diritto penale romano da Ferrini a noi. Considerazioni e spunti di vista critici, in: RIDA 3, 1950, p. 56ss. [= Scritti di diritto romano III. Studi di diritto penale. Studi di diritto postclassico e giustinianeo, Milano 1981, p. 1429s.] (ove richiami alla migliore, ma pure non del tutto accettabile costruzione di C. Ferrini, Esposizione storica e dottrinale del diritto penale romano, in: E. Pessina, Enciclopedia del diritto penale italiano I, Milano 1905, p. 38ss.). 84 Cfr. Liebs, Mommsens Umgang (cit. in nt. 2), p. 205s. 85 Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), Vorwort p. viii; interessante la valutazione di Liebs, Mommsens Umgang (cit. in nt. 2), p. 200: „Das ist eine geschickte captatio benevolentiae des Alterns, stimmt aber nicht.“ 80

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„Schriftsteller“, 86 che metteva insieme energia passionale e mente sintetica, 87 il suo lo aveva ben impiegato. VIII. Opzioni interpretative e critiche al sistema Un aspetto della costruzione sistematica che a mio parere svela molto dell’impostazione mommseniana è l’inclusione del „delictischer Theil des Privatrechts“ („Vorwort“ p. vii) nell’ambito (e nella trattazione) dello Strafrecht. Mommsen assorbe nella generale visione penalistica anche l’illecito privatistico (pur mantenendolo concettualmente distinto). Seguo su questo punto suggestioni che provengono dalla lettura di un contributo di Cosimo Cascione. 88 L’opzione di Mommsen non è innocente. Ha un importante retroterra, politico e ideologico, che la moderna storiografia non ha mancato di indagare. 89 La questione da mettere in evidenza è soprattutto la premessa che lo studioso tedesco pone alla base della sua concezione del diritto penale romano: da una parte il parametro di riferimento 90 per la (ri-)costruzione di quella esperienza giuridica è il „dovere morale“, l’ethos; dall’altra si assume come tutore dell’ordine, che discende proprio da quel dovere, un astorico „Staat“ (quello „Stato“ studiato nel trattato pubblicistico così strettamente connesso, nell’interpretazione dell’autore, a quello penalistico). È da questa base che conseguono, sul piano operativo, sia la necessità della trattazione della teoria dei delitti privati annessa a quella criminalistica, sia la considerazione simultanea di diritto e processo. Su quello ermeneutico l’ormai nota „Zwischenstellung des Strafrechts zwischen Jurisprudenz und Geschichte“. 91 In realtà l’opera mommseniana, per i motivi che si sono considerati, premia molto più la sistematica che non la storia. Appare significativo come Wolfgang Kunkel, che si propose a partire dagli anni Sessanta del Novecento (a seguito d’una importante maturazione storiografica), come anti-Mommsen, smontasse la ricostruzione mommseniana, da una parte riannettendo la repressione criminale, al di là delle forme semplificate e naturali della vendetta (specie nei casi di spargimento di sangue) ed escludendo 86

Come lo stesso Mommsen si autodefinisce nel Vorwort (cit. in nt. 1), p. viii. Secondo il noto giudizio di B. Croce, Teoria e storia della storiografia, 5. ed. Bari 1943, p. 256. 88 Si tratta di una relazione dal titolo Roman Delicts and Criminal Law in Theory and Practice, tenuta il 14. 3. 2008 presso l’American Academy di Roma, nel corso di ‚A Conference on Roman Law: The Future of Obligations‘, apparsa in Th.A.J. McGinn (ed.), Obligations in Roman Law. Past, present and future, Ann Arbor 2012, p. 267 ss. 89 Si v. almeno Masiello, Mommsen e il diritto penale romano (cit. in nt. 2); Venturini, Lo Strafrecht mommseniano ad un secolo di distanza (cit. in nt. 2), p. 13ss. 90 Per usare le parole di G. Bassanelli Sommariva, „Proposta per un nuovo metodo di ricerca nel diritto criminale (a proposito della sacertà)“, in: BIDR 89, 1986, p. 333. 91 Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), Vorwort p. vii. 87

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l’„alto tradimento“ (perduellio) represso da organi pubblici, del periodo decemvirale al processo privato attuato attraverso legis actio, 92 dall’altra ipotizzando che, a partire dalla grande crescita demografica e urbanistica della città, in età mediorepubblicana, parte significativa della giurisdizione criminale fosse esercitata dal pretore, e per sua delega dai tresviri capitales nelle forme sommarie e semplificate di una „Polizeijustiz“ contro proletari, stranieri, donne. 93 Fino alle riflessioni più recenti, mi riferisco in specie a quelle di Ebert e di Liebs, 94 proprio questi momenti vengono messi in evidenza come elementi di rottura dell’equilibrio mommseniano. Si può aggiungere l’attenzione dedicata da Dario Mantovani al pretore come giudice criminale. 95 Elude il rigido sistema mommseniano anche la considerazione che il furtum, che (giustamente) s’insegna essere un „delitto privato“, fosse in alcuni casi – fin dall’età repubblicana – represso per mezzo di un intervento pubblico (anche dei tresviri capitales, 96 già citati). Questo approccio storiografico (che a mio parere non si può seguire nell’inquadramento dell’attività dei tresviri nel senso di una vera e propria „giurisdizione“ 97) – anche attraverso la rivalutazione di alcune fonti (e tipologie di fonti, come la commedia plautina) – dà conto di un aspetto del problema che non si deve tralasciare, e cioè la prassi. Una prassi fatta di esercizio del potere violento, anche abusivo, da parte dei magistrati, di interventi dei tribuni della plebe (selettivi nel trascegliere quali ‚delinquenti‘ eventualmente tutelare), della debolezza della provocatio ad populum, che non può essere intesa (se non semplificando) come garanzia costituzionale della libertas del cittadino. 98

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In sintesi: W. Kunkel, Linee di storia giuridica romana (tr. it. Napoli 1973 della 6. ed. 1972), p. 38ss.; più ampiamente id., Untersuchungen (cit. in nt. 46), p. 97ss.; su un caso specifico id., Ein direktes Zeugnis für den privaten Mordprozeß im altrömischen Recht, in: SZ 84, 1967, p. 382ss. [= Kleine Schriften. Zum römischen Strafvehrfahren und zur römischen Verfassungsgeschichte, Weimar 1974, p. 111ss.]. 93 W. Kunkel, Untersuchungen (cit. in nt. 46), sulla giurisdizione pretoria spec. p. 48ss. (per la successiva storiografia su tale questione rinvio a C. Cascione, Tresviri capitales. Storia di una magistratura minore, Napoli 1999, p. 91 nt. 24); sui tresviri capitales: p. 71ss. Sulle critiche alle ricostruzioni di Kunkel cfr. Cascione, Tresviri capitales, appena cit., spec. p. 85ss. 94 Cit. supra in nt. 2. 95 D. Mantovani, Il pretore giudice criminale in età repubblicana, in: Athenaeum 78, 1990, p. 24ss.; cfr. id., Il pretore giudice criminale in età repubblicana: una risposta, in: Athenaeum 79, 1991, p. 611ss. 96 Cascione, Tresviri capitales (cit. in nt. 93), p. 134ss. 97 Cascione, Tresviri capitales (cit. in nt. 93), p. 85ss. 98 A prescindere, infatti, dal limite formale di funzionamento (ordine di messa a morte e – poi – multe e fustigazione, ma non prensio e ductio in carcerem), bisogna considerare le difficoltà di attivazione. Si v., per tutti, B. Santalucia, Diritto e processo penale nell’antica Roma, 2. ed. Milano 1998, p. 29ss. Per un caso singolare, Masi Doria, Spretum imperium (cit. in nt. 17), p. 23ss., 68ss.

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Solo alla fine della repubblica e con il principato appare prendere consistenza la visione mommseniana dell’impossibilità di un diritto penale senza un processo penale. 99 Visione tutta moderna, progressiva, razionale e anche liberale. Ma l’antica vendetta e la „Selbsthilfe“ accettate dall’ordinamento, i poteri pieni del pater, quelli violenti del creditore, e anche il controllo (in fondo arbitrario se non con il contemperamento della collegialità del giudizio) dei censori sfuggono invero a tale preciso inquadramento. Solo qualche ulteriore esempio, per misurare quanto la struttura sistematica e il retroterra ideologico dello Strafrecht mommseniano incidano sull’interpretazione degli istituti del diritto penale romano. Un problema assai dibattuto, prima e dopo Mommsen (e che proprio negli ultimissimi tempi è assai presente nella storiografia romanistica italiana) è quello del cd. iudicium domesticum, cioè dei poteri del pater familias che vengono esercitati in forme che possono essere assimilate a quelle processuali, con l’assistenza di un consilium (normalmente formato da parenti), e che ha come esito una forma di condanna che può arrivare alla messa a morte del sottoposto alla patria potestas. 100 Mommsen è perfettamente consapevole delle similitudini tra la procedura domestica e quella pubblica, ma confina la prima nell’ambito di una semplice „Hauszucht“. Il perché è spiegato invero sbrigativamente: „Die sogenannte Hausgerichtsbarkeit freilich ist ein Widerspruch im Beisatz und dem römischen Recht ebenso unbekannt wie den Neueren geläufig; die Gerichtsbarkeit beruht auf der Gewalt des Gemeinwesens über den Einzelnen und diese Gewalt ist, wie der Baum vom Keime, verschieden von derjenigen des Eigenthümers über seine Habe, nicht unbedingt und schrankenlos wie diese, sondern durch die Rechtsordnung gewiesen und begrenzt.“ 101 Di conseguenza, Mommsen esclude addirittura l’espressione iudicium domesticum, che è attestata nelle fonti (sia pure con sfumature differenziate), per la descrizione della „Hauszucht“, che invece deve essere definita coercitio o disciplina. 102 La „contraddizione in termini“ sta, per il nostro, nell’incompatibilità della giurisdizione con l’ambiente familiare. La „Gerichtsbarkeit“ appartiene alla comunità, allo Stato e dunque non può essere esercitata se non in forme pubbliche. Poteri punitivi esistono nella sfera della famiglia, ma non sono da considerare come iudicia. Il presupposto ideologico di questa interpretazione è chiaro e con esso si fonde quello sistematico, che riconduce al solo magistrato la giurisdizione. 99 Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), p. vii; sulla metafora mommsensiana del coltello si v. supra § 4. 100 Di recente, sul tema, con opportuni riferimenti alla vasta bibliografia, N. Donadio, Iudicium domesticum, riprovazione sociale e persecuzione pubblica di atti commessi da sottoposti alla patria potestas, in: Index 40, 2012, p. 175ss. 101 Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), p. 17. Alla „Hauszucht“ è dedicato un intero „Abschnitt“ del primo libro (p. 16ss.). 102 Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), p. 17 nt. 1.

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Proprio da questo punto si può partire per l’analisi di un’altra interpretazione mommseniana, quella della natura della provocatio ad populum. Lo studioso già nello Staatsrecht aveva sostenuto che la provocatio fosse un vero e proprio „appello“ e il giudizio popolare che ne discendeva un processo di secondo grado. 103 Tale opinione è rappresentata pure nello Strafrecht. 104 Anche qui la matrice è sistematica: Mommsen considera l’atto esecutivo del magistrato che mette a morte esercizio di una giurisdizione e dunque la reazione del civis come una vera e propria impugnazione. L’aspetto ideologico sta nella controllabilità da parte del popolo del potere magistratuale (anche se, come si è visto, formalmente la decisione comiziale è considerata da Mommsen comunque un atto del magistrato che presiede l’assemblea: ancora il sistema che irrompe nell’interpretazione). È noto quanto la storiografia contemporanea, attraverso i lavori soprattutto di Heuß, Bleicken, Kunkel, 105 si sia allontanata da questa visione, per mettere l’accento sulla natura politica della provocatio, consistente in una invocazione del perseguito alla plebe perché questa – in una temperie che corrisponde alle lotte con il patriziato – lo proteggesse dall’esercizio dei poteri coercitivi del magistrato. Secondo questa corrente storiografica la provocatio si sarebbe trasformata in un diritto solo nel 300 a.C., con la lex Valeria Corvi. Ma anche chi oggi – come Bernardo Santalucia – riconosce validità alla tradizione più antica sulla provocatio e la fa risalire agli albori stessi della respublica, la intende come risposta (giuridica) agli eccessi della coercitio (amministrativa, non giurisdizionale) esercitata dal magistrato non come giudice, ma come detentore del supremo potere di comando. 106 Dunque non appello, ma giudizio popolare d’unico grado. Da un tema assai centrale e discusso, sempre considerando il rapporto magistrato-giurisdizione, si può infine passare alla analisi di una questione più minuta, e cioè la competenza e le modalità del processo (d’età repubblicana) nei confronti di stranieri. Mommsen se ne occupa assai sinteticamente, 107 affermando che essi (ad eccezione di quelli che godessero del privilegio di essere giudicati dai comizi romani attraverso la concessione della provocatio) erano sottoposti alla „Judication“ dei consoli. Il problema è che l’unica fonte considerata dallo studioso per affermare la sua tesi non attesta quello che Mommsen vorrebbe. 103

Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht I, 3. ed. Leipzig 1887, p. 148ss., II/1, 3. ed. Leipzig 1887, p. 109ss., III/1 Leipzig 1887, p. 351ss. 104 Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), p. 41ss., 167ss., 473ss. Cfr. Venturini, Aspetti costituzionali (cit. in nt. 2), p. 1627ss. 105 A. Heuß, Zur Entwicklung des Imperiums der römischen Oberbeamten, in: SZ 64, 1944, p. 57ss. [= Gesammelte Schriften II, Stuttgart 1995, p. 831ss.]; J. Bleicken, Ursprung und Bedeutung der Provocation, in: SZ 76, 1959, p. 324ss.; id., s.v. „Provocatio“, in: PWRE. XXIII/2, Stuttgart 1959, p. 2444ss. [= Gesammelte Schriften II, Stuttgart 1998, risp. p. 345ss., 398ss.]; Kunkel, Untersuchungen (cit. in nt. 46), p. 24ss. 106 Così Santalucia, Diritto e processo penale nell’antica Roma, 2. ed. (cit. in nt. 98), p. 31ss., spec. p. 37. 107 Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), p. 143 e nt. 3.

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Il caso, tramandato da Sall. Iug. 35, 108 è piuttosto intricato e in questa sede si può solo sommariamente riassumere. 109 Giugurta, re di Numidia è a Roma per testimoniare in alcuni processi di corruzione; si rende conto che il console Albino, con l’appoggio del senato, vuole contrapporgli come pretendente al regno Massiva (anch’egli nipote di Massinissa). Giugurta dunque decide di fare fuori il cugino e affida il lugubre compito a Bomilcare, un suo comes che lo aveva accompagnato a Roma. Questi organizza l’attentato, che ha successo. Ma viene catturato l’esecutore materiale, il sicario, che in sede di interrogatorio (e prima che sia attivata una procedura di tipo giurisdizionale) confessa di aver ottenuto l’ordine di uccidere da Bomilcare. A questo punto s’instaura la procedura per l’incriminazione di quest’ultimo (che non dové essere cosa facile, visto che – nelle funzioni di comes regis – il Numida era tutelato dal ius gentium), procedura che possiamo solo divinare nella sua struttura, perché non si tenne, a seguito della fuga di Bomilcare e di Giugurta, che temendo la condanna e quindi l’implicazione dello stesso re nel losco affare, lasciarono Roma (e lì ben cinquanta vades che avrebbero dovuto garantire la comparizione del reus al processo). Ebbene, in tutta questa vicenda non v’è traccia alcuna di un giudizio consolare. L’unico ruolo di Albino che emerge dalla fonte è la presenza all’interrogatorio del sicario (che potrebbe essere anche un Romano). Ma Mommsen sfrutta il cenno al console (che dice tutt’altro) per assimilare la repressione contro gli stranieri a quella delle donne e degli schiavi: categorie tutte escluse per diritto 108 Sall. Iug. 35.1 – 7. „Erat ea tempestate Romae Numida quidam nomine Massiva, Gulussae filius, Masinissae nepos, qui, quia in dissensione regum Iugurthae advorsus fuerat, dedita Cirta et Adherbale interfecto profugus ex patria abierat. 2. Huic Sp. Albinus, qui proxumo anno post Bestiam cum Q. Minucio Rufo consulatum gerebat, persuadet, quoniam ex stirpe Masinissae sit Iugurthamque ob scelera invidia cum metu urgeat, regnum Numidiae ab senatu petat. 3. Avidus consul belli gerundi movere quam senescere omnia malebat. Ipsi provincia Numidia, Minucio Macedonia evenerat. 4. Quae postquam Massiva agitare coepit neque Iugurthae in amicis satis praesidi est, quod eorum alium conscientia, alium mala fama et timor impediebat, Bomilcari, proxumo ac maxume fido sibi, imperat, pretio, sicuti multa confecerat, insidiatores Massivae paret ac maxume occulte, sin id parum procedat, quovis modo Numidiam interficiat. 5. Bomilcar mature regis mandata exequitur et per homines talis negoti artifices itinera egressusque eius, postremo loca atque tempora cuncta explorat. Deinde, ubi res postulabat, insidias tendit. 6. Igitur unus ex eo numero, qui ad caedem parati erant, paulo inconsultius Massivam adgreditur. Illum obtruncat, sed ipse deprehensus multis hortantibus et in primis Albino consule indicium profitetur. 7. Fit reus magis ex aequo bonoque quam ex iure gentium Bomilcar, comes eius, qui Romam fide publica venerat.“ 109 Ne ho trattato, proponendo una soluzione sulla natura del processo al quale Bomilcare andava incontro, in: ‚Reus magis ex aequo bonoque quam ex iure gentium‘: il processo di Bomilcare, in Iurisprudentia universalis. Festschrift Th. Mayer-Maly, Köln / Weimar / Wien 2002, p. 445ss. [= con modifiche Tra ‚aequitas‘ e ‚ius gentium‘: tracce di un processo popolare in Sallust. ‚Iug.‘ 35?, in: C. Cascione / C. Masi Doria (cur.), Diritto e giustizia nel processo. Prospettive storiche costituzionali e comparatistiche, Napoli 2002, p. 325ss. = Quaesitor urnam movet e altri studi sul diritto penale romano, 2. ed. (cit. in nt. 4), p. 35ss.].

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pubblico dai comitia e dunque, secondo quello studioso, anche dalla possibilità di essere giudicati nell’assemblea popolare. 110 IX. Il diritto „pessimo“ e „in parte veramente infame“. Un gigante e i (presunti) pigmei Bisogna riandare a questo punto a una nota giovanile affermazione critica di Mommsen, in generale sul diritto penale romano. Proprio in occasione della sua prolusione a Zurigo, dalla quale ricorrono 160 anni, Mommsen aveva contraddistinto negativamente il diritto penale nel più vasto ambito dell’esperienza giuridica romana. Secondo quella affermazione, il „Criminalrecht“ romano sarebbe stato „ganz schlecht(e)“ e „zum Theil wirklich niederträchtig(e)“. 111 Il giudizio del 1852 è estremamente sintetico, ma molto netto. Spesso nella letteratura è accostato ad un altro, ugualmente negativo, espresso da uno dei fondatori della scienza penalistica italiana, 112 Francesco Carrara. Questi, al fine infatti di enfatizzare la „differenza“ del diritto criminale, ebbe una volta a sostenere che i Romani erano stati giganti nel diritto privato ma „pigmei“ nel diritto penale. 113 La repressione criminale antica viene considerata dunque come 110 Mommsen, Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), p. 142ss.; l’altra categoria di soggetti sottoposti alla giurisdizione consolare era, secondo Mommsen, quella dei cittadini-soldati, che non potevano (almeno fino all’inizio del II secolo a.C.) ricorrere alla provocatio ad populum. 111 Th. Mommsen, Die Bedeutung des römischen Rechts, conferenza tenuta a Zurigo l’8 maggio 1852 e inedita fino alla stampa in: Gesammelte Schriften III (cit. in nt. 45), p. 591ss., il punto in questione è a p. 595; una traduzione italiana sta in appendice (p. 281ss.) a G. Liberati, Mommsen e il diritto romano, in: Materiali per una storia della cultura giuridica 6, 1976, p. 217ss., con una rilettura molto importante per l’inquadramento del testo zurighese nell’ambito della metodologia di Mommsen. 112 Cfr. G. Crifò, Principi di diritto penale romano, in: Labeo 19, 1973, p. 365 (si tratta di una recensione a C. Gioffredi, I principi del diritto penale romano, Torino 1970); V. Giuffrè, La repressione criminale nell’esperienza romana, 5. ed. Napoli 1998, p. xii; L. Garofalo, Problematiche criminalistiche tra giurisprudenza romana e diritto comune, in: F. Lucrezi / G. Mancini (cur.), Crimina e delicta nel tardo antico, Milano 2003, p. 201ss. [= in: Piccoli scritti di diritto penale romano, Padova 2008, p. 85ss.]; id., Concetti e vitalità del diritto penale romano, in: ‚Iuris vincula‘. Studi in onore di M. Talamanca IV, Napoli 2001, p. 73ss. [= in: Piccoli scritti di diritto penale romano, p. 95ss.]; D. Centola, Recenti studi di diritto criminale romano. Spunti e prospettive di ricerca, in: SDHI 63, 1997, p. 520; E.R. Zaffaroni, Humanitas en el derecho penal, in: C. Cascione / C. Masi Doria (cur.), Fides, humanitas, ius. Studii in onore di L. Labruna VIII, Napoli 2007, p. 6013; F. Gianniti, Criminalistica. Le discipline penalistiche e criminologiche nei loro collegamenti, Milano 2011, p. 1ss. 113 La testimonianza sta in un saggio di Enrico Ferri (altro maestro della scienza penalistica italiana, ma schierato dall’avversa parte, quella positivistica criminologica): E. Ferri, La riabilitazione del diritto penale romano, in: Per il XXXV anniversario di

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una sorta di diritto imperfetto, rispetto alla (presunta) chiarezza, linearità – e dunque utilità pratica persistente – della ratio scripta privatistica. La posizione di Carrara mi sembra abbastanza chiara: rappresentante autorevolissimo della dottrina ispirata ai principi liberali, caratterizzato nella sua opera e nella sua attività da una forte tensione politica e ideale, fu il principale protagonista della costruzione di una scienza penalistica indipendente, che, grazie anche all’opera sua, si trasforma in una vera e propria scienza. 114 In questa prospettiva si può facilmente leggere la critica al diritto penale romano (insieme con la lode del ius privato, che in qualche modo garantisce per la verità complessiva dell’affermazione). La determina un’esigenza di sganciamento dalla tradizione, già evidente nella letteratura illuministica (che invero poco distingueva tra il diritto romano dei Romani e quel coacervo di norme antiche, interpretazioni del ius commune e innovazioni d’età moderna, che aveva avuto vigenza fino a tutta la vicenda storica dell’Ancien Régime). 115 Per quanto riguarda Mommsen l’interpretazione di quella critica deve essere, in parte almeno, diversa (lo studioso tedesco non è infatti implicato direttamente nel dibattito penalistico a lui contemporaneo e non partecipa, se non come storico convocato da Binding, alla elaborazione di una cultura del diritto penale attuale). Si è visto come tale parte dell’esperienza giuridica romana sia stata intesa da illustri studiosi (alcuni dei quali avevano avuto un rapporto personale con il nostro) come il primo amore di Mommsen, sulla base soprattutto del suo piano di lavoro giovanile. Poco, invero, negli anni (rispetto alle dimensioni della sua produzione) si era dedicato alla repressione criminale. Temi penalistici emergono nell’esame delle leggi epigrafiche, specie della lex repetundarum (commentata per il primo volume del Corpus Inscriptionum Latinarum), 116 poi nelle Römische Forschungen a proposito della persecuzione degli antichi demagoghi e dei processi agli Scipioni, 117 infine nella breve (ma incisiva) trattazione

F. Serafini, Firenze 1892, p. 45ss. = Scuola positiva 3, 1893, p. 7s. = Studi sulla criminalità e altri saggi, Torino 1901, p. 413ss. = Studi sulla criminalità, 2. ed. Torino 1926, p. 375ss. 114 Così, sia pure nello spazio di una voce enciclopedica, S. Seminara, „Francesco Carrara“, in: Juristas Universales III (cit. in nt. 6), p. 195. Si v. A. Mazzacane, s.v. „Carrara, Francesco“, in: DBI. XX, Roma 1977, p. 664ss.; da confrontare con M. Sbriccoli, La penalistica civile. Teorie e ideologie del diritto penale nell’Italia unita, in: A. Schiavone (cur.), Stato e cultura giuridica in Italia dall’Unità alla Repubblica, Roma / Bari 1990, p. 147ss. = Storia del diritto penale e della giustizia: scritti editi e inediti (1972 –2007) I, Milano 2009, p. 493ss. 115 Da diversi punti di vista si v. F. Cordero, Criminalia. Nascita dei sistemi penali, Roma / Bari 1986; G. Alessi, Il processo penale. Profilo storico, Roma / Bari 2008. 116 CIL. I 49ss., nr. 198 = Lex repetundarum, in: Gesammelte Schriften I. Juristische Schriften I, Berlin 1905, p. 1ss. 117 Römische Forschungen II, Berlin 1879, p. 153ss., 417ss.

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sulla pena di morte, 118 che però – risalendo al 1896 – appare strettamente connessa con l’elaborazione del trattato. Dunque, alla fine della sua carriera scientifica, onusto di glorie accademiche, il gigante (prendiamo in prestito l’immagine di Carrara trasformandone la portata, perché nessuno quanto Mommsen può apparire tale nel nostro campo di studi), accettando l’invito di Binding, avrebbe deciso di occuparsi dei Pigmei? Cioè di una parte „pessima“ e addirittura „infame“ del diritto di Roma antica. Forse il giudizio giovanile non corrispondeva più alle idee della maturità. Forse per comprendere questo scarto di opinioni, oltre a valutare l’estemporaneità e la funzionalità del discorso zurighese (teso ad introdurre un insegnamento privatistico e pandettistico 119 ed innestato su premesse savignane) bisogna tornare ancora al „Vorwort“. Al punto, come si è visto centrale, della ridefinizione epistemologica del „diritto penale romano“ come storicamente appartenente alla „scienza giuridica romana“ e allo stesso tempo da affrontare (più che ogni altro campo della storia del diritto romano) storiograficamente con uno strumentario filologico antiquario. La „Römische Rechtswissenschaft“ è, nel 1899, alla data di pubblicazione del trattato, definibile attraverso una letteratura nella quale spicca per vicinanza cronologica e personale a Mommsen l’opera di Paul Jörs 120 (purtroppo limitata all’età dei Catoni). 121 Il Römisches Strafrecht è dunque trattato da Mommsen come parte di una „scienza“ / Wissenschaft, quella sviluppatasi nell’antica Roma primariamente attraverso l’opera dei sapienti del diritto. Non è un caso che il contemporaneo Diritto penale di Contardo Ferrini si apra proprio con un capitolo sulla Letteratura del diritto penale in Roma, dedicato all’attenzione (scientifica, appunto) che gli antichi giuristi avevano riservato alla materia cri-

118 Reden und Aufsätze, Berlin 1905, p. 437ss. Originale in: Cosmopolis 1, 1896, p. 231ss. 119 Sulle discipline impartite da Mommsen in quella Università si v., per tutti, S. Rebenich, Theodor Mommsen (cit. in nt. 76), p. 76s. 120 La figura e l’importanza di questo studioso sono state rivisitate negli ultimi decenni soprattutto dalle belle pagine che gli ha reiteratamente dedicato T. Spagnuolo Vigorita: „Nota di lettura“ in: P. Jörs, ‚Iuliae rogationes‘. Due studi sulla legislazione matrimoniale augustea. Die Ehegesetze des Augustus. Über das Verhältnis der lex Iulia de maritandis ordinibus zur lex Papia Poppaea, Napoli 1985, p. viiss.; Paul Jörs filologo e storico del diritto, in: Index 23, 1995, p. 261ss.; L’unità della ricerca storica. Paul Jörs e la legislazione matrimoniale augustea, in: Lezioni Emilio Betti, Napoli 2006, p. 37ss.; Joersiana III: ancora sul percorso della riforma matrimoniale augustea, in: Carmina iuris. Mélanges M. Humbert, Paris 2012, p. 793ss.; Joersiana IV: Livia, Augusto e il plebiscito Voconio, in: Index 40, 2012, p. 257ss. 121 Il riferimento è a Römische Rechtswissenschaft zur Zeit der Republik I. Bis auf die Catonen, Berlin 1888.

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minalistica. 122 Mommsen è perfettamente consapevole della solamente parziale „Verwissenschaftlung“ del diritto penale romano: mai esso ha ricevuto dagli antichi giuristi „nella sua completezza“ una „wissenschaftliche(r) Behandlung“. 123 La dichiarazione sta in una parte strategicamente molto importante dello Strafrecht, l’introduzione al quarto libro, dedicato ai singoli delitti, dove Mommsen opera – tra l’altro – la delimitazione concettuale del diritto penale rispetto agli altri „Rechtskreisen“ 124 e la costruzione delle „Kategorien des Strafrechts“. 125 Ciononostante, nel suo complesso quel diritto appare scientifico. Quindi tale aspetto, insieme con la costruzione ideologica liberale che Mommsen vi sottende, fa sì che gli accenni critici agli aspetti repressivi più brutali siano superati dall’intrinseca eticità che secondo lo studioso sta a fondamento del diritto penale 126 e che pervade la trattazione. Il nostro si ricongiunge così con quella passione giovanile perché ha trovato (lungo la strada degli studi e della maturazione, anche politica 127) la sua chiave di lettura del problema: riuscire a dare fondamento all’ammasso delle testimonianze. Il sistema, come si è visto, conferisce per lui, già nel 1845, verità. Appena un anno prima, nella recensione a Geib, aveva posto con chiarezza il problema dal suo punto di vista: „Mit jedem Detailpunkte, in dem unser Studium uns die Irrthümer der gegenwärtigen Darstellung entdeckte, wurde es uns immer klarer, immer augenscheinlicher, dass die Kunde des republikanischen Criminalprocesses erst noch gewonnen werden soll [...].“ 128 Il diritto criminale romano con la pubblicazione dello Strafrecht risulta come oggetto d’interesse nuovo, per le fondamenta finalmente scientifiche e sistematiche dell’esame che ne viene proposto, e condiviso, per storici e filologi, ma primariamente per i giuristi dell’età guglielmina, ai quali è destinato in funzione della sua appartenenza allo Handbuch di Binding. La „riabilitazione del diritto penale romano“ profetizzata nel 1892 dall’italiano (e penalista) Ferri, che anche 122 Ferrini, Diritto penale romano (cit. in nt. 58), p. 1ss. Ora si v. V. Giuffrè, Il diritto criminale secondo la giurisprudenza del principato, in: Seminarios Complutenses de derecho romano 13, 2001, p. 59ss. 123 Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), p. 533. 124 Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), p. 525, da confrontare con il „Begriff des Strafrechts“ a p. 3. 125 Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), p. 527s. 126 Römisches Strafrecht (cit. in nt. 1), p. 3s. 127 Sul Mommsen politico, si v. almeno A. Wucher, Theodor Mommsen. Geschichtschreibung und Politik, Göttingen 1956, 2. ed. 1968; J. Malitz, „Ich wünschte ein Bürger zu sein“. Theodor Mommsen im wilhelminischen Reich, in: K. Christ / A. Momigliano (Hrsg.), Die Antike im 19. Jahrhundert in Italien und Deutschland, Bologna / Berlin 1988, p. 321 – 359; Masi Doria, „Nota di lettura“ a Th. Mommsen (cit. in nt. 3) [= Per una ristampa dei collegia mommseniani (cit. in nt. 3), p. 211ss.]; I „Grundrechte“ (cit. in nt. 4), p. 371ss. 128 Gesammelte Schriften III (cit. in nt. 45), p. 493.

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nel nostro Paese stava portando buoni frutti, si compie con il Römisches Strafrecht. La dedica del trattato („Der juristischen Fakultät der Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin“) costituisce, in tal senso, una piccola ma significativa traccia ulteriore. Ed è singolare e ragguardevole l’entusiasmo ulteriore che si sviluppa nell’anziano studioso, che proprio dall’elaborazione dello Strafrecht enucleerà una serie di domande sulla storia universale del diritto penale che vorrà porre (ancora) a giuristi, storici e filologi in un progetto comparatistico assai stimolante (e troppo poco conosciuto), che – ancora grazie all’interessamento di Binding – dopo una prima versione a circolazione ridottissima comparirà nel 1905 per il fedele editore Dunckler & Humblot. Si tratta di interrogativi nati dall’indagine su temi generali e su problemi particolari che Mommsen riteneva si potessero risolvere (o almeno approfondire) attraverso un esame comparatistico. Un’apertura di metodo feconda, che susciterà interesse oltre il contesto disciplinare, come dimostra – tra l’altro – una recensione di Émil Durkheim. 129 L’apertura della romanistica al coté penalistico può servire forse ad una comunicazione, non scontata, tra l’opera (e il pensiero) di uno studioso che si è ormai da tempo prevalentemente dedicato alla storia (all’epigrafia, all’edizione di fonti) e i suoi „vecchi Colleghi“ della Facoltà giuridica berlinese, dell’Università nella quale aveva a lungo insegnato (1861 – 1887) Storia romana. In un clima che per Mommsen è – quanto al diritto romano e alle sue sorti – piuttosto cupo, un contesto nel quale il suo Strafrecht potrebbe addirittura celebrare „le esequie degli studi del diritto romano“ (come l’autore ebbe a scrivere al collega italiano Francesco Buonamici), ovvero segnare la strada (una strada) per la sua „resurrezione“. 130

129 É. Durkheim, Rec. di Zum ältesten Strafrecht der Kulturvölker. Fragen zur Rechtsvergleichung gest. von Th. Mommsen, beantw. von H. Brunner / B. Freudenthal / J. Goldziher et al., Leipzig 1905, in: Année sociologique 9, 1904 –1905, p. 424ss. 130 La lettera di Mommsen a Buonamici, con i riferimenti virgolettati si può leggere in S. Borsacchi, In margine ad un inedito di Th. Mommsen, in: ‚Societas-Ius‘. Munuscula di allievi a F. Serrao, Napoli 1999, p. 15ss.; cfr. Venturini, Aspetti costituzionali (cit. in nt. 2), p. 1623.

Theodor Mommsen und der Theodosianus Von Boudewijn Sirks Es ist angemessen, bei einer Würdigung Mommsens auch der Frage nachzugehen, was wir heutzutage von seiner Ausgabe des Codex Theodosianus halten. Dies zu beantworten ist insoweit leicht, weil schon unmittelbar nach der Erscheinung 1904 grundlegende Kritik von einer Autorität, nämlich Paul Krüger, geäußert wurde, der damit fortfuhr, bis er 1923 und 1926 seine eigene Ausgabe, leider unvollendet, vorlegte. Andererseits macht gerade dies die Antwort auch schwieriger, denn man muss jetzt zusätzlich die Ansichten Krügers überprüfen. So sollte der Titel dieses Vortrags eigentlich besser lauten: Krüger, Mommsen und der Theodosianus. Der Codex Theodosianus ist eine Sammlung von kaiserlichen Konstitutionen, erlassen in den Jahren 311 bis 437 und veröffentlicht 438 n. Chr. Der Codex bestand aus sechzehn Büchern, die wiederum je nach Thema in Titel unterteilt wurden. Er ist uns nur mangelhaft und teils indirekt überliefert worden. Weiter wurde 506 n. Chr. eine Selektion aus dem Codex veröffentlicht, das Breviarium des Westgotenkönigs Alarichs, dessen Buch 16 nachher aus dem Theodosianus in verschiedenen Handschriften ergänzt worden ist. Alarich ließ den ausgewählten Konstitutionen Interpretationen hinzufügen, welche Mommsen wieder in seiner Ausgabe aufgenommen hat, obgleich sie niemals Teil des Codex waren. Die Bücher neun bis sechzehn sind uns in der Handschrift Vat. reg. 886 Lat. (V), einer sehr gut leserlichen Handschrift, überliefert, wobei es eine Lakune in Buch 16 gibt. Diese Lakune kann mit Hilfe des Breviars gefüllt werden. Die Bücher sechs bis acht liegen uns fast vollständig in der Handschrift Parisinus 9643 (R) vor. Diese Handschrift hat aber sehr gelitten und ist nicht immer leserlich. Buch 1 ist nur teilweise erhalten in der Handschrift Ambrosianus C 29 (A). Weiter verfügten wir über Fragmente aus den Büchern eins bis sechs in der palimpsestierten Handschrift Taurinensis a II 2 (T). Sie verbrannte 1904, aber Krüger hatte vorher ein Apographum verfasst. 1 Daneben gibt es noch vereinzelte Fragmente. Weiter umfasst der Codex Justinianus eine Selektion aus dem Theodosianus. 2 1

P. Krüger, Codicis Theodosiani fragmenta Taurinensia, phil.-hist. Abh. der k. Akad. d. Wiss. zu Berlin, Bd. II, Berlin 1879. 2 Siehe zu den Quellen des Codex Theodosianus Mommsen, Prolegomena (wie Anm. 3), S. XXXVIII–CXLI.

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Wenn man einen Text hieraus nicht einem überlieferten Fragment zuordnen kann, muss es sich also um einen Text aus dem mangelhaften Teil des Theodosianus handeln. Aber die Arbeit der Zuordnung wird erschwert, weil die justinianischen Kompilatoren gelegentlich mehrere Texte zusammenfügten, weshalb man nicht weiß, aus welchem Text Anrede und Subskription entnommen sind. Auch fügten sie oft mehrere Titel zusammen, und bearbeiteten Texte. Das alles zusammen zu bringen und eine zuverlässige Edition abzufassen, war die Aufgabe, der Krüger und dann Mommsen sich gestellt hatten. Krüger hatte, nachdem er 1877 seinen Codex Justinianus veröffentlicht hatte, das Vorhaben dazu aufgegegriffen, aber eine andere Arbeit verzögerte die Ausführung. So kam es, dass, als Mommsen ihm 1896 von seinem Plan erzählte, er loyal sein Material Mommsen übergab. Es gelang Mommsen, seine Ausgabe noch zu Lebzeiten zu vollenden: 1905 wurde der Codex Theodosianus veröffentlicht. 3 Als die Ausgabe fertig war, sah Krüger, dass Mommsen oft von seinen Ergebnissen abgewichen war. Das hat ihn dazu gebracht, in verschiedenen Aufsätzen seine Ansichten hervorzuheben und letztlich 1923 und 1926 eine eigene Codex Theodosianus-Ausgabe, diesmal nach seinen Ansichten verfasst, herauszubringen. Doch diese ist unvollendet, sie endet mit Buch 8. 4 Will man jetzt, nach 108 Jahren, fragen, was wir von Mommsens Theodosianus-Ausgabe halten, müssen wir uns vorerst auf die Grundlage der krügerschen Kritik stellen und somit auch ihn einer Überprüfung unterwerfen. Denn er war damals als Kenner der Problematik einer Theodosianus-Ausgabe Mommsen ebenbürtig. Somit sind die Punkte der folgenden Betrachtung diese: 1. Wie gut ist Mommsens Lesung der Handschriften und insbesondere des Parisinus 9643? 2. Wie gut ist Mommsens Rekonstruktion der Bücher eins bis fünf? 3. Wie ist Mommsen mit der Verwertung der justinianischen und alarichschen Texttradition umgegangen?

3 Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis, edidit adsumpto apparatu critico P. Kruegeri Th. Mommsen, Vol. I pars prior, Prolegomena, Berolini 1905, Vol. I pars posterior, textus cum apparatu, Berolini 1905; Vol. II, Leges Novellae ad Theodosianum pertinentes edidit adiutore Th. Mommseno Paulus M. Meyer, Berolini 1905. 4 P. Krüger, Codex Theodosianus, Fasc. 1, Liber 1 – 6 (Berolini 1923), Fasc. 2, Liber 7 –8, Berolini 1926.

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I. Die Handschriften Es gibt wenige Handschriften des Theodosianus. Die wichtigste, der Vaticanus reg. 886 Latinus mit den Büchern neun bis sechzehn, ist gut leserlich. Die Turiner Fragmente wurden 1904 durch einen Brand zerstört, sodass wir wesentlich (es gibt einige Photographien) auf Krügers Apographum angewiesen sind. Die Pariser Handschrift 9643 Latin mit den Büchern sechs bis acht, der Bibliothèque National de France, von Mommsen als R bezeichnet, schafft uns die größten Probleme. Die Handschrift umfasst die Bücher 6 bis 8, aber sie ist nicht vollständig: Die ersten zehn Konstitutionen des ersten Titels des sechsten Buches fehlen. Sie tauchte um 1557 auf, geriet in Besitz von Cujas und wurde 1566 publiziert. Cujas verschenkte sie François Pithou und über Vererbungen geriet sie schließlich in den Besitz des Marquis Rosny de Rosando, wonach sie, 1837 versteigert, von der Bibliothek von Paris gekauft wurde. 5 Mommsen datiert sie auf das 5., allenfalls das 6. Jahrhundert. 6 Der obere Rand ist wohl früher beschnitten worden, auch die Seitenränder haben gelitten, sind zum Teil zerstört worden und damit oft auch ein Teil der Schrift. Dies bedeutet, dass auf Rekto-Seiten das Ende der Zeilen, auf Verso-Seiten der Anfang der Zeilen fehlt; am häufigsten im sechsten Buch. Außerdem ist der Rand dunkel geworden, wodurch die Schrift schwierig zu lesen ist. Cujas hat dazu Ergänzungen geschrieben, während, so Mommsen, oft eine ältere Hand Buchstaben überzogen hat. Danach hatte man dann mit einer Chemikalie die Ränder noch, nutzloserweise, bestrichen. An gewissen Stellen kann man die Schrift in Spiegelbild lesen, weil die Tinte auf der anderen Seite abgeklatscht ist. Mommsen ist der Meinung, Cujas’ Ergänzungen schweben zwischen Lesung und Konjektur, obgleich Cujas damals noch mehr lesen konnte als wir heute. Deswegen hat er sie nur im Apparat erwähnt. 7 Mommsen hat aber den Text, den Cujas offensichtlich noch lesen 5

Vor kurzem hat Ganivet noch behauptet (siehe den Beitrag von Blaudeau) Parisinus 9643 sei der erste Teil einer zweibändigen Handschrift des Codex, wovon Vat. reg. 886 Lat. der zweite Teil bildete. Diese Frage sei hier den Palaeographen überlassen, doch es sei zu bedenken, dass die Schrift beider Handschriften sehr unterschiedlich ist und dass Parisinus 9643, in Gegensatz zu Vat. reg. 886 Lat., keine Summarien enthält. Bei einer gemeinsamen Herkunft wären diese Unterschiede erst zu erklären. Siehe P. Ganivet, L’Épitomé de Lyon: un témoine de la réception du Bréviaire dans le sud-est de la Gaule au VIe siècle?, in: M. Rouche / B. Dumézil (Hrsg.), Le Bréviaire d’Alaric, Paris 2008, S. 280 – 281 und 280 Fn. 4. 6 E. A. Lowe, Codices Latinae Antiquiores, Oxford 1934 –1971, V, S. 591: 6th century. 7 Mommsen, Prolegomena (wie Anm. 3), S. XLII–XLIV; XLII: „[...] vestigia eius minio umido effecta inverse expressa; Per totum volumen et maximo in libro sexto adustis marginibus exterioribus perierunt passim in paginis rectis litteris postremae quaeque, primae in paginis versis. Praeterea margines et fuligine obscuratae sunt et supplementis Cuiacii manu adscriptis non raro antquae scripturae superpositis, denique remedio chemico coloris viridis sine ulla utilitate marginibus inducto. Ad dubitationes hinc ortas solvendas Cuiacii textus (cuius tamen lectiones potiores in apparatu rettuli) parum

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konnte, der aber jetzt durch Abbröckelung verloren ist, in eckigen Klammern aufgenommen, nämlich in C.Th. 6.2.12 –16, 19 –24. Das hat ihn allerdings nicht davon abgehalten, eigene Ergänzungen aufzustellen. So hat Cujas für C.Th. 6.2.17 die Lesung [Censualibus] * quibus onerosa glebae adfirmatur e[xactio onus] * quidem negotiosum movemus. Sed qu[ia eis plurimam] * scimus etc. Mommsen hat: [Censuales nostros] * quibus onerosa glebae adfirmatur e[sse exactio ab ipso] * quidem negotio summovemus Sed qu[ia praecipuam eis] * scimus etc. Für die Konjekturen am Ende der folgenden drei Zeilen übernimmt Mommsen dann Cujas’ Konjekturen disq[uisitio] nis, instru[ctionis] und Caesa[rio]. Wo also mehr fehlt, bleibt es bei Konjekturen. Dazu kommt, dass die Enden der Zeilen unregelmässig sind, im Gegensatz zu den Anfängen derselben. Krüger hat sich in einem Aufsatz mit C.Th. 8.18 beschäftigt. Er kritisiert Mommsen, der bei C.Th. 8.18.5 die Zeilenlängen nicht beachtet habe. 8 Schon in seiner Rezension des Theodosianus, 1905, hatte Krüger geklagt, dass Mommsen nicht seine Lesungen des Parisinus übernommen hatte. Zum Parisinus hat Krüger besonders moniert, Mommsen hat nicht beachtet, dass Text in spiegelverkehrter Schrift auf der gegenüberliegenden Seite abgedruckt ist, als Folge der Feuchtigkeit. Diese aber würden Cujas’ Lesungen der inzwischen abgebröckelten Seiten bestätigen. 9 Dagegen kann man anführen, dass Mommsen Cujas’ Lesungen öfters gefolgt ist und auch gesehen hat, dass es Spiegelschrift gab und dass die Zeilenlängen unregelmässig sind. Außerdem, was die Ergänzungen anbelangt, sind die Zeilenlängen unregelmässig, somit kann man nicht mit Sicherheit eine Zahl von fehlenden Buchstaben festlegen. Das ist schade, weil so ein Instrument zur Textrekonstruktion wegfällt. Was die Geschichte der Handschrift anbelangt, hat nach Mommsen Girard ausführlich darüber berichtet. Seiner Meinung nach wurde die Handschrift nach ihrer Entdeckung 1557 durch Charpin an Cujas gegeben, der sie 1566 herausgab. Nachher muss sie dann, vor 1586, durch einen Brand beschädigt und nass geworden sein. Nach dem Erwerb 1837 durch die Bibliotheque National de France hat Baudi de Vesme mit einer Chemikalie die Verfärbung verursacht. 10 Dennoch bleiben Fragen offen. Warum soll Baudi de Vesme mit Chemikalien gearbeitet haben, wenn Cujas die Schrift schon lesen konnte und confert, quamquam is librum tractavit minus corruptum, fluctuat enim inter lectionem et coniecturam.“ 8 P. Krüger, Beiträge zum Codex Theodosianus III. Ergänzung von 8,18,4,5, in: ZSS-R 37, 1916, S. 88 – 98. 9 P. Krüger, Über Mommsens Ausgabe des Codex Theodosianus, in: ZSS–R 26, 1905, S. 316 – 333, hier S. 322 – 324. 10 F. Girard, Le manuscrit Charpin du Code Théodosien, in: RHD 33, 1909, S. 493 – 506. Weil die Flecke blau sind, handelt es sich wahrscheinlich um das Giobertsche Reagens, siehe H. Hoffmann, Handschriftkunde für Deutschland, Breslau 1831, S. 48.

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die Handschrift kein Palimpsest ist? Was ist mit den überzogenen Buchstaben? Was mit der Erwähnung von XSI auf folio 2 recto, bei C.Th. 6.2.17? Mommsen sagt dazu: ‚manu antiqua, non prima, ad hanc legem in margine adscriptus est in R. Cuiacius hanc vix vidit pleniorem‘; tatsächlich erwähnt Cuiacius diese Nummer nicht in seiner Edition von 1566. 11 Könnte es sein, dass die Handschrift im Mittelalter schon nass und beschädigt geworden war, wobei die erste Quaternionen (32 im Ganzen) 12 verloren gingen, und dass jemand dann versucht hat, die Nummerierung darzustellen und wo Feuchtigkeit die Schrift schwierig leserlich gemacht hat, durch Überziehen wieder lesbar zu machen? Girard vermutete einen Brand bei Pithou, aber dafür gibt es keine sonstigen Hinweise. Die Spiegelung von Buchstaben in der Mitte eines Blatts zeigt jedenfalls, dass das Buch komplett nass gewesen sein muss. Eine Antwort gibt es hier nicht, solange die Handschrift nicht neu untersucht worden ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde dies nicht zu neuen Lesungen führen, aber es könnte, wo es möglich ist, unseren Text sicherer machen. Mommsen hat sich hier wahrscheinlich wegen Zeitmangels in seinen Forschungen beschränken wollen. Ob die Handschrift, trotz ihres Alters, an sich eine richtige Kopie des Originals darstellt, bleibt dabei natürlich offen. Grundsätzlich muss man also konstatieren, dass eine neue Studie des Parisinus 9643 und eine Einarbeitung der Ergebnisse in den Codex wünschenwert wären. In einer rezenten Veröffentlichung hat auch Barnes unter Hinweis auf Maas Mommsen vorgeworfen, er sei zu sehr beim Wortlaut der Handschriften geblieben. Er nennt zwei Beispiele, wo seines Erachtens Mommsen besser emendiert hätte (CTh 16.8.2 und 7.20.4). 13 Man kann ihm zustimmen, aber es ist die Frage, ob solche Stellen so oft vorkommen. Außerdem erwähnt Mommsen die Schwie11

In seinem Codicis Theodosiani Lib. XVI quam emendatissimi, adiectis quas certis locis fecerat Aniani interpretationibus. [...] Haec omnia curante Iacobo Cuiacio. Lugduni, apud Guliel. Rouillium, sub scuto Veneto. M.D.LXVI [1566]. Gothofredus (Codex Theodosianus cum perpetuis commentariis Iacobi Gotohofredi [...] Lugduni Sumptibus Ioannis-Antonii Huguetan, & Marci-Antonii Ravaud. M.DC.LXV. [1665]) erwähnt die Zahl nicht und die Konstitution hat bei ihm die Folgenummer 6. Offensichtlich meinten beide Juristen, dass sie nicht originell sei. Mommsen war hingegen der Ansicht, dass die Eintragung alt und somit authentisch sei. Eine UV-Photographie gäbe vielleicht Auskunft. 12 Sechzehn im Ganzen, für fast drei Bücher: wenn die ersten vier Bücher nicht zu gross gewesen sind, könnten tastsächlich die ersten 32 Quaternionen diese umfasst haben. Dann hätte dieser Codex, wie vermutlich der Vaticanus reg. 886, aus zwei Teilen bestanden. Wie schon festgehalten, bedarf die Behauptung, dass Parisinus 9643 der erste Teil von Vat. Reg 886 sei, des gründlichen Beweises. 13 T.D. Barnes, Foregrounding the Theodosian Code, in: Journal of Roman Archaeology 14, 2001, S. 678 – 680, mit zwei Beispielen. Er verweist auf die Rezension des Codex Theodosianus von P. Maas, Bespr. Theodosianus cum constit. Sirmondianis et leges novellae, edd. Th. Mommsen – P.M. Meyer, 147. Göttingische gelehrte Anzeigen 1906 Nr. 8, p. 641 – 662, Neudr. in P. Maas, Kleine Schriften, München 1973, S. 614 –615. Aber P. Krueger, Über Mommsens Ausgabe des Codex Theodosianus, ZSS-R 21, 1905,

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rigkeit durchaus im kritischen Apparat, so dass der Benutzer sich ein Urteil bilden kann. Auch kann ggf. der Rhythmus helfen (siehe hiernach, unten III zum Rhythmus). So hat Barnes zwar recht mit seiner Warnung, im Allgemeinen reicht dem Leser jedoch Mommsens Ausgabe. II. Die Rekonstruktion Ungefähr 260 Texte des Theodosianus sind uns nur über den Justinianus überliefert, eine nicht unbeträchtliche Zahl bei um 2500 sonst überlieferten Texten. Sollten diese auch bei einer kritischen Edition miteinbezogen werden? Hier gibt es eine tiefe Kluft zwischen Mommsen und Krüger. Mommsen hat sich bei der Wiederherstellung der Bücher eins bis fünf auf einen minimalistischen Standpunkt gesetzt und nur das, was durch Handschriften und das Breviar überliefert wurde, verwendet. 14 Wir dürfen annehmen, dass er dies aus folgenden Gründen tat: Die Texte im Justinianus könnten zuerst von den Kompilatoren bearbeitet worden sein, 15 und es wäre unmöglich, sie dem richtigen Platz zuzuorden. Eine Aufnahme würde bedeuten, ihnen den Schein der Authentizität zu geben. Krüger meinte dagegen, dass mehr möglich wäre. Zwar gab es die genannten Probleme, wozu noch die mögliche Verschmelzung von Konstitutionen und Titeln kommen könnte. Dennoch, so meinte er auf Grund eines Vergleichs der in beiden Kompilationen überlieferten Texte, wären viele Texte nicht bearbeitet. Weiter, so meinte er, könne man mit bestimmter Gewissheit Bücher und Titel des Theodosianus rekonstruieren. Es handelt sich natürlich besonders um die Bücher eins bis fünf, obgleich Krüger meint, dass auch aus den späteren Büchern durch Schreiberversehen Konstitutionen weggefallen sein könnten, die aus dem Justinianus wieder gewonnen werden könnten. 16 Damit wäre erreicht, dass der Benutzer ein vollständigeres Bild der Rechts des Theodosianus bekommt. Er hat dies dann in seiner Theodosianus-Ausgabe durchgesetzt. Kübler hat ihn dafür gepriesen, obgleich er zugab, dass die Rekonstruktion nicht 100-prozentig sicher sei. 17 S. 321 – 322, meinte, neben gleicher Kritik, dass es mit V keine Probleme gab. Siehe auch A.J.B. Sirks, The Theodosian Code. A Study, Friedrichsdorf 2007, S. 171 –172. 14 Mommsen, Prolegomena (wie Anm. 3), S. XXVII, ohne weiter hierauf einzugehen. 15 Was Mommsen, Prolegomena (wie Anm. 3), S. LX auch sagt. 16 P. Krüger, Beiträge zum Codex Theodosianus, S. V. Über Ergänzung des Theodosianus aus dem Justinianus, in: ZSS-R 38, 1917, S. 20 –28; P. Krüger, Beiträge zum Codex Theodosianus, S. VI. Versuch einer Wiederherstellung der Titelfolge des 4. und 5. Buchs, in: ZSS-R 38, 1917, S. 28 – 34. Neulich hat auch Barnes die Abwesentheit der nur im Justinianus überlieferten Konstitutionen bedauert und bemängelt, und Mommsens Edition als in dieser Hinsicht inkonsistent bezeichnet: T.D. Barnes, Foregrounding (wie Anm. 13)S. 674, 677. 17 B. Kübler, Rez. in Philologische Wochenschau 44, 1924, S. 462 –463.

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Krüger hat die theodosianischen Texte genommen und eine Zuordnung aufgestellt. Das hat er, es sei gerne betont, nicht ahnungslos gemacht. Einen Aufsatz hat er der Frage der Zuordnung gewidmet. 18 Bezüglich einzufügender Titel könnte man tatsächlich annehmbare Vorschläge machen. Richtig ist auch, wie er schreibt, dass ein Text oft nur wenig und inhaltlich nicht erwähnenswert geändert worden sei. 19 Ebenso brauchte die Bedeutung eines Textes noch nicht anders zu sein, als jene, welche er an der Stelle hat, wo die justinianischen Kompilatoren ihn unterbrachten. Es bedeutet nur, dass sie einem anderen Ordnungsprinzip folgten (worin übrigens auch andere Ansichten stecken können). 20 Gelegentlich aber könnte eine Konstitution unlösbar aus zwei anderen zusammengesetzt sein. 21 Dennoch wäre es laut Krüger möglich. 22 Meines Erachtens ist die Sache komplizierter als Krüger es darstellt. Man sollte, um richtig zu verstehen, ob eine Rückaufnahme in den Theodosianus möglich ist, erst der Frage nachgehen, wie die justinianischen Kompilatoren vorgegangen sind und was daraus resultierte. Ein Gedankenexperiment könnte dazu dienlich sein. Nehmen wir an, wir hätten die Bücher dreizehn bis fünfzehn 18

Siehe Anm. 8. Nur ein Beispiel: in C.Th. 13.5.32 haben die justinianischen Kompilatoren lacuna durch iactura ersetzt. Der letztere Terminus ist juristisch-technisch korrekt, dennoch bezog sich lacuna auf den Verlust im Cargo, die jetzt von der Gruppe der navicularii kompensiert werden muss. Eine iactura könnte tatsächlich die ganze Ladung betreffen und somit dem Verlust bei einem Schiffsbruch gleichgesetzt sein. Am Ende enthält der Text dieselbe Regelung. Die Streichung des letzten Satzes ändert ebenfalls nichts. Dagegen hat die Spaltung der Konstitution in zwei Teile, C. 11.2.4 und 11.6.6, Bedeutung. Was im Jahr 408/409 noch eine Sonderregelung war (C.Th. 13.5.32 ita ut [...] deferatur) für den Fall, dass die navicularii von Oriens ihre Pflicht nicht erfüllten, ist in 534 normal für alle navicularii, aber inzwischen transportieren sie nicht mehr, sondern tragen das Risiko von Frachtverlust. 20 Ein Beispiel: Krüger erwähnt C.Th. 1.6.9, die im Theodosianus im Titel De officio praefect urbis steht, aber im Justinianus im Titel 9.29 De crimine sacrilegii. Wo in C.Th. 1.6.9 die Rechtgültigkeit des Urteils des Stadtpefekts, der vice sacra richtet, betont wird (offensichtlich noch eine Frage in 438, nachdem die Konstitution 386 erlassen wurde) indem Zweifel daran Sakrileg gleichgesetzt wird, ist das im 534 offensichtlich keine Frage mehr: nun hat der Text für die Justinianer nur noch Wert als Strafbestimmung. 21 P. Krüger, Codex Iustinianus, Berolini 1877 gibt S. XXVII ein Beispiel. Einfach ist C. 4.61.5, die kontrollierbar ein Zusammenschluss von C.Th. 4.12.1 und 2 ist. Aber bei C. 9.28.1 ist nur der erste Teil noch einem Theodosianustext zuzuordnen (C.Th. 9.29.1.2), der zweite Teil und Subskription aber sind aus einem anderen, nicht mehr auffindbaren Text genommen. 22 Krüger S. 22: „Die Ergänzung aus dem Justinianus bringt also nur die Gefahr mit sich, justinianischen Wortlaut mit dem theodosianischen zu verwechseln und den in der Inskription der Konstitutionen genannten Kaisern einzelne Bestimmungen unterzuschieben, welche von anderen Kaisern getroffen wurden. Gleichen Gefahren ist man aber auch bei Benutzung des echten Theodosianus ausgesetzt; [...].“ Das Letztere gilt aber nur, wenn man die Konstitutionen im Theodosianus als ursprüngliche Erlasse betrachten will, nicht als Teile der Kodifikation. 19

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des Theodosianus nicht. Könnten wir sie aus dem Justinianus rekonstruieren? Es ist klar, dass dafür Buch 11 des Justinianus genommen werden sollte, denn Bücher eins bis zwölf des Theodosianus finden wir zum größten Teil wieder in den Büchern eins bis zehn und in Buch zwölf des Justinianus. 23 Es liegt dann auf der Hand, Buch 11 als Auslese der Bücher dreizehn bis fünfzehn zu betrachten, und in diesem Buch Themata zu unterscheiden, so dass daraus drei Bücher rekonstruiert werden können (wir wissen, diese drei fehlen). Das Fundament, um diese drei zu unterscheiden, wird vom Breviar gegeben, weil das Breviar dem Codex Theodosianus auf dem Fuß folgt. Darauf kann man weiter bauen. Die Breviar-Texte dienen als Pflöcke, zwischen welchen man die justinianischen Texte spannt. Bei Buch 13 gebe es dann acht, gegebenenfalls zwölf Titel: *C.Th. 13.1.1 (= BA 13.1.1) [= C.Th. 13.1.13] *C.Th. 13.2.1 – 6 (= C. 11.2) [= C.Th. 13.5.9, 26, 29, 32, 33, 34] *C.Th. 13.3.1 – 3 (= C. 11.3) [= C.Th. 13.6.5, 7, 8] *C.Th. 13.4.1 (= C. 11.4) [= C.Th. 13.7.2] *C.Th. 13.5.1 (= C. 11.5) [= C.Th. 13.8.1] *C.Th. 13.6.1 – 5 (= C. 11.6) [= C.Th. 13.9.1, 3, 4, 6; 13.5.32] *C.Th. 13.7.1 (= BA 13.2.1) (= C. 11.58.1) [= C.Th. 13.10.1] *C.Th. 13.7.2 (= C. 11.58.2) [= C.Th. 13.11.1] *C.Th. 13.7.3 (= BA 13.2.2) [= C.Th. 13.10.5] *C.Th. 13.7.4 – 8 (= C. 11.58.3 –7) [= C.Th. 13.11. 3, 4, 5, 8, 16] *C.Th. 13.8.1 (= C. 11.49.1) [= C.Th. 13.10.2] 23

Buch 11 des Codex Justinianus ist dafür am meisten geeignet, weil viele Konstitutionen, die Krüger Buch 5 zuweist sich hier befinden. Die Analyse zeigt dann zwei Dinge. Einerseits folgten die Kompilatoren hier der Folge der Bücher 13, 14 und 15 des Theodosianus, andererseits hatten sie ein eigenes Konzept des Buches 11 vor Augen. Der erste Teil sollte, so ergibt es sich aus dem Inhalt, die Regelungen staatlicher, hauptstädtischer und städtischer Dienste umfassen; der zweite Teil die Regelungen ländlicher und örtlicher Dienste. Was 529 oder 534 obsolet war, wurde nicht aufgenommen. Diese Planung hat zur Folge, dass nach C.Th. 13.9, nach der Getreideversorgung der Hauptstadt, C.Th. 10.19 bis 10.23 inseriert wird: die Regelungen bezüglich der staatlicher Manufakturen (dazwischen noch Verfügungen über alte Münzserien), dann wieder C.Th. 14 mit kleineren hauptstädtischen Diensten. Bezüglich städtischer Verwaltung an sich gab es offensichtlich nichts im Theodosianus (C.Th. 12 regelt nur die Verpflichtung der Verwaltung), so dass jetzt einige Titel aus dem Gregorianus, mit Hinzufügungen aus dem Hermogenianus, folgen. C. 11.41 bis 47 basieren dann wieder auf Buch 15 des Theodosianus und damit ist der erste Teil abgeschlossen. Was dieser uns lehrt ist, dass sich die Kompilatoren nicht scheuten, von der Folge des Theodosianus abzuweichen, Texte zu ändern oder aus anderen Teilen Texte hinzuzufügen.

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Eventuell kommen dazu: *C.Th. 13.1a (= C. 11.78.1) [= C.Th. 13.2.1] *C.Th. 13.1b.1 – 4 (= C. 10.53.6,7.9.11) [= C.Th. 13.3.2 + 3,5,8,9] *C.Th. 13.1.c.1 –2 (= C. 10.66.1 –2) [= C.Th. 13.4.2 – 3] *C.Th. 13.9.1 – 3 [= C. 11.11.1 –3, unbekannt im C.Th.] 24 Es wird deutlich, wie sich dies auswirkt. Man hätte von den ursprünglichen 127 Texten des Buches 13 nur 25 (eventuell 32) richtig (d. h., aus demselben, ins selbe Buch; drei davon bestätigt durch das Breviar) wiederherstellen können, d. h. ein Fünftel. Davon sind 18 (eventuell 23) verkürzt oder textuell geändert. Dazu wären möglicherweise wieder drei (C. 11.11.1 – 3) irrtümlicherweise hinzugekommen. Hätte man argumentieren können, dass C. 10.53, 10.66 und 11.78 auch an den Anfang des dreizehnten Buches gehörten, wären die Zahlen wie in den Haken gewesen. Sieben Texte wären zwar im Justinianus vorhanden gewesen, aber unauffindbar. Falls man nicht annimmt, dass C. 10.53, 10.66 und 11.78 in Buch 13 gehören, erhöht sich diese Zahl dementsprechend auf acht. Die Festlegung auf ein viertel wird bestätigt durch die fiktive Rekonstruktion von Buch 14, während jene von Buch 15 sogar ein Fünftel beträgt (siehe Appendix). Davon ist mindestens die Hälfte in irgendeiner Weise beschnitten oder geändert, wenn nicht fast drei viertel. Was für Buch 13 gilt, trifft somit auch auf die Bücher 14 und 15 zu. Auch dort ist der Verlust groß. Zur Kontrolle habe ich auch Buch 9 auf diese Weise rekonstruiert. Dort ist die Erfolgsrate 32 Prozent, d. h., nur ein drittel der Theodosianus-Konstitutionen geraten durch das Breviar in das zu rekonstruierende Buch 9; dazu kommen noch 49 Konstitutionen die in Buch 9 gehören, somit sind 54 Prozent korrekt rekonstruiert (ohne dass immer der Titel feststeht). Es ist doppelt so hoch wie bei den Büchern 13 bis 15. Das hängt wahrscheinlich mit der Struktur und dem Inhalt des Buches zusammen: es handelt sich um Straf- und Prozessrecht, außerdem zählt das Buch viele kleine Titel. Die Chance, dass eine Änderung zugleich viele Konstitutionen ausfallen lässt, ist somit geringer. Dennoch: Etwas mehr als die Hälfte, mehr nicht. Bezüglich der Materie und der Struktur findet sich zwischen ein Viertel bis die Hälfte in demselben Buch, aber noch nicht immer in demselben Titel als vorher zurück, obgleich zwar viele davon, die zusammen gehören, in einem Titel zusammenbleiben. Und je mehr Texte ein

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Mommsen, Prolegomena (wie Anm. 3), S. XIII–XXVII, stellt den Titeln des Theodosianus die entsprechenden Titel des Justinianus gegenüber. Dabei gibt es dann mehr Parallelstellen aus dem Justinianus. Man soll aber bedenken, dass die obigen Ausführungen ein Gedankenexperiment sind, eine Rekonstruktion, wobei das Breviarium Ausgangspunkt ist. Mommsens Aufstellung geht von dem originalen Titel aus.

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Titel hatte, desto weniger bleibt davon übrig und desto weniger ist das Bild vollständig, obgleich es auch hier Ausnahmen (C.Th. 15.1 = C. 8.11) gibt. Unter anderem bedeutet dies, dass man bei einer solchen Rekonstruktion, d. h. auch bei einer Rekonstruktion von Buch 5, auf nur ein fünftel bis die Hälfte der ursprünglichen Texte hoffen darf, und des Weiteren damit rechnen muss, dass die Kompilatoren sich nicht gescheut haben, in den erhaltenen Konstitutionen, wohl in der Hälfte der Texte, Änderungen oder Verkürzungen anzubringen. Die geringe Zahl der rekonstruierten Konstitutionen bedeutet, dass die justinianischen Kompilatoren obsolete Konstitutionen ausgelassen haben, wie auch ihr Auftrag war. Dazu kommt, dass man nur einigermaßen, nicht absolut, sicher sein kann, dass die Texte im richtigen Buch stehen, dass viele Texte auch in ihrer ursprünglichen Zusammenstellung stehen, und dass, abgesehen von der Vorgabe des Breviars, die Titel in der richtigen Reihenfolge stehen. Dabei bleibt es dann. Aber eine Rekonstruktion bringt noch andere Probleme mit sich. Es kann nicht genug betont werden, dass die Kompilatoren, sowohl die theodosianischen als auch die justinianischen, nicht die Absicht hatten, für spätere Geschlechter eine Sammlung historischer Quellen anzulegen. Sie wählten Texte aus, die gültige, generelle Regeln enthielten, und brachten sie in einer systematischen Struktur unter. Diese Struktur wiederum (Titel nach Themata) gibt den gewählten Texten Sinn, denn sie können jetzt nur noch in diesem Zusammenhang gelesen werden. Änderungen verstärken dies, und sogar Kürzungen brauchen nicht unschuldig zu sein. Besonders dort, wo die theodosianischen Kompilatoren schon Texte gekürzt haben, kann eine weitere Kürzung durch die justinianischen Kompilatoren ihre Bedeutung haben. Die Kompilatoren haben durchschnittlich in der Hälfte der Fälle den Text geändert oder gekürzt. Diese Änderungen, wie klein sie auch sein mögen, belassen niemals denselben Text. Wenn man dann solche Texte aus ihrem justinianischen Kontext nimmt und in den Theodosianus schiebt (wobei es noch nicht einmal sicher ist, dass man sie an den richtigen Ort setzt), kann es eine Bedeutungsverschiebung zur Folge haben, trotz der Tatsache, dass der Text doch aus dem Theodosianus entnommen wurde. Das Bild, welches dadurch entsteht, kann, muss aber nicht unbedingt mit der Lage von 438 n. Chr. übereinstimmen. Ein bezeichnendes Beispiel bietet C. 11.2 –6. Die Situation, die diese Titel zeigen, stimmt nur teilweise mit derjenigen von 438 überein: die weiteren Umstände im Osten und überhaupt diejenigen im Westen fehlen völlig. C. 11.2.4, welche die Regel für das Jahr 534 darstellt (und die anderen Texte sind in diesem Sinne angepasst), war 438 eine Ausnahme für den Osten. Eine Rekonstruktion, die diese Ausnahme für das Jahr 438 als Regel für das ganze Reich vorstellt, verzerrt die Realität völlig. Wissenschaftlich kann man hiermit so nicht arbeiten. In anderen Fällen ist es vielleicht nicht so schlimm. Aber es ist gerade das Problem, dass man das nicht eher weiß, bis man es genau untersucht hat. Das heißt, jede Rekonstruktion im Sinne Krügers darf grundsätzlich erst nach

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ausreichender Forschung nach dem Inhalt der Regelungen geschehen und nicht, wie Krüger verstand, im Voraus und als Grundlage für solche Forschung. Mommsen hat sich in seinen Prolegomena nicht zu einer Rekonstruktion mit Hilfe der justinianischen Theodosianus-Texte geäussert. Er hat nur erwähnt, dass diese oft vorsätzlich geändert worden seien und implizierte damit, dass sie untauglich für eine Aufnahme seien. Er hat sie nur dort, wo der Theodosianus-Text steht, parallel aufgenommen, damit der Leser eine Entscheidung über mögliche Emendationen selbst treffen kann. 25 Die Entscheidung, nicht zu rekonstruieren, ist offensichtlich nicht einmal seriös von ihm erwogen worden. Mit der Haltung, sich grundsätzlich auf Theodosianus-Handschriften und grundsätzlich auf getreue Auszüge derselben zu stützen (und somit nicht auf eine eigentlich mögliche und oft sicherlich bearbeitete Version), war das sowieso richtig; aber wie wir jetzt sehen, auch aus anderer Sicht. Krügers Vorschlag und der tatsächliche Versuch, die justinianischen Theodosianus-Texte zu verwenden, muss als unzulässig abgelehnt werden, wie sympathisch der Vorschlag auch jedem, der am Theodosianus interessiert ist, erscheinen mag. Insoweit hatte Mommsen Recht, aber auch nur insoweit. Was soll eine kritische Edition bieten? Nicht nur den etablierten Text, sondern auch die abgelehnten Textvarianten. Die justinianische Überlieferung ist eine solche abgelehnte Variante. Mommsen selber hat sie aufgenommen, wo es das theodosianische Original gab. Er hat sie auch in seiner Liste der Konstitutionen aufgenommen. Dass sie keinen sicheren Platz hatten, reicht als Entschuldigung, sie nicht aufzunehmen, nicht aus. Es wäre möglich, diese ‚Obdachlosen‘ nach Buch zu ordnen und je als Appendix chronologisch, oder so oft wie möglich in justinianischem Zusammenhang, mit justinianischen Titeln, in den Büchern eins bis fünf aufzunehmen. Sie hätten auch einfach als ein Appendix am Ende des fünften Buch oder am Ende der Ausgabe, chronologisch angeordnet, aufgenommen werden können. Damit wäre sein Theodosianus repräsentativer und als Arbeitsmittel bequemer gewesen. III. Die Verwertung anderer Überlieferungen Diese Frage ist nicht unberechtigt in Anbetracht der Kritik an Mommsens Edition der Digesten, wie von Herrn Ernst in diesem Band dargestellt. Er hat hier den Text der Florentina vorgezogen und dabei gelegentlich die Variante der Bononiensis als deteriores herabgestuft und in eine Anmerkung gesetzt. Aber bei der so kleinen Zahl der Theodosianus-Handschriften, und der Tatsache, dass sie einander kaum überschneiden, war die Gefahr in diesem Fall nicht groß. Nur für Buch 16, das in den Breviar-Handschriften mit Hilfe von anwesenden voll25

Mommsen, Prolegomena (wie Anm. 3), S. LVIIII – LX.

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ständigen Codex-Handschriften erweitert worden ist, gibt es eine reiche Zahl an Handschriften und auch an Textvarianten. Diese sind leider oft nur das Ergebnis von Textverstümmelungen. Dasselbe gilt für die Novellen: viele Handschriften, viele Varianten, die oft nur unbeträchtliche Textverstümmelungen sind. Anders ist es mit der justinianischen Texttradition. Es hat, wie wir aus den Gesta Senatus wissen, unmittelbar vom Anfang an in Konstantinopel ein erstes Exemplar gegeben, dem Mutterexemplar in Rom gleichwertig. Das bedeutet noch nicht, dass beide Exemplare textuell gleich waren, aber es liegt auf der Hand zu unterstellen, dass man gerade bei diesen zwei besonders genau gearbeitet hat. Das konstantinopolitanische Exemplar hat möglicherweise den justinianischen Kompilatoren in der Arbeit gedient, allenfalls eine Kopie davon. Dort, wo es eine justinianische Version einer Konstitution aus der westlichen Texttradition gibt, könnte es also eine Textvariante geben. 26 Die theodosianischen Konstitutionen, die es nur im Codex Justinianus gibt, scheiden aus: es gibt keinen Vergleich. Ebenso fallen die Konstitutionen weg, die augenscheinlich von den Kompilatoren bearbeitet worden sind. Zwar könnte eine Abweichung in einem Textteil, offensichtlich bei der Bearbeitung ausgespart geblieben, eine Variante darstellen, aber Sicherheit gibt es nicht. Dort, wo theodosianischer und justinianischer Text identisch sind, erübrigt sich die Emendation basierend auf Textvergleich. Damit bleiben nur wenige Fälle übrig, wo die justinianische Tradition eine Alternative und die Möglichkeit eines besseren Textes bieten könnte. Mommsen hat diese Möglichkeit auch berücksichtigt, wie er in seinen Prolegomena schreibt, aber mit Vorsicht, denn oft ist, seiner Meinung nach, der Justinianus vorsätzlich geändert worden. 27 Hier muss man seinem Urteil folgen. Nicht nur ist die Zahl möglicher weiterer Verbesserungen sehr gering, man kann bei seiner Edition

26 Ein Beispiel: in C.Th. 9.12.1 steht in V und T vel ictu, C. 9.14.1 hat nur ictu. Vel könnte überflüssig sein, aber braucht es nicht zu sein. In C.Th. 9.10.4 hat der C.Th. pronuntiandum (V, T, brev. ausserhalb O) und poena perculerit (), während pronuntiatum in brev. O und im C. überliefert ist, und poenam in brev. GC steht, pona in brev. L, während brev. ausserhalb EC perculerit, V und brev. E pertulerit, und brev. C und C. protulerit haben (T hat nur *****lerit). Mommsen hat sich für pronuntiandum und poenam perculerit entschieden. Wahrscheinlich hat Mommsen sich hierfür auf Grund der zeitlichen Abfolge im ersten Fall, und auf Grund der Parallele mit inpunitate im zweiten Fall entschieden. Das ist gut nachvollziehbar, dennoch wäre die justinianische Version, gerade weil es auch eine ähnliche Breviarvariante gibt, ebenfalls vollstellbar als Textedition. Andererseits, bei C.Th. 9.12.1 vitam linquere als ‚sterben‘ (kommt nur einmal im Theodosianus vor, und nicht im Justinianus) und C. 9.14.1 vitam relinquere kann es sich um eine stillschweigende Anpassung an einer justinianischen Preferenz für relinquere handeln: auch Justinianus hat in C. 6.42.30 relinquere, wie auch Zeno in C. 1.3.37. Aber bei K.E. Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch (Leipzig, 1918) kommt der Ausdruck nur bei Terentius vor, als animam relinquere bei Lecretius; linquere kommt auch bei diesen frühen Autoren in diesem Zusammenhang vor. 27 Mommsen, Prolegomena (wie Anm. 3), S. LX.

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auch immer den Text mit dem justinianischen vergleichen und selbst ein Urteil fällen. Dazu gibt es zugleich noch eine Methode. Diese andere Methode ist jene, die den Text-Rhythmus in Betracht zieht. Antike Texte, die wohl komponiert waren – und die Briefe an den Kaiser, an kaiserliche Funktionäre, Städte und an den Senat waren wohl komponiert – hatten einen Rhythmus. 28 Dort, wo die theodosianischen Kompilatoren eingegriffen haben, wurde notwendigerweise auch der Rhythmus zerstört. Es kann sein, dass sie sich die Mühe gemacht haben, den Rhythmus durch weitere Textänderungen wiederherzustellen und dass der Eingriff nichtdestotrotz ein gutes Ergebnis erzielte. Zwar ist der Codex schnell erstellt worden, damit er bei der Heirat Valentinians und Eudoxias übergeben werden konnte, aber es wäre wohl nicht viel Mühe gewesen, Entstellungen zu korrigieren. Maas hat schon auf diese Methode hingewiesen, falls man Textänderungen durch den theodosianischen Kompilatoren vermutet. 29 Hall und Oberhelman haben 1985 einen Aufsatz publiziert, in dem sie die Ergebnisse ihrer Untersuchungen bezüglich des Rhythmus kaiserlicher Konstitutionen darstellten. Es zeigt sich, dass die Gesetzestexte sehr genau mit einem bestimmten Prosarhythmus komponiert sind, nämlich mit dem cursus mixtus. Dieser eignet sich gut für einen Variantenvergleich, dort wo die Varianten gleichen Wert haben. Diese Methode könnte auch weiter nützlich sein. Wenn wir eine rhythmische Unregelmässigkeit finden, wissen wir grundsätzlich nicht, ob es sich um einen Eingriff der Kompilatoren handelt oder um eine Textkorruption oder, auch möglich, aber weniger wahrscheinlich, um ein Versehen des Autors des Textes. Gibt es aber eine justinianische Variante, die rhythmisch passt, dürfen wir diese Variante wählen. Wenn wir einen Text finden, der uns syntaktisch unwahrscheinlich scheint, rhythmisch aber passt, sollten wir besser Emendationen unterlassen. Mommsen hatte keine Angst davor, den Text zu emendieren, aber, wie beide Autoren für die Novellen zeigen, gelegentlich ist das Original besser. 30 Ein Beispiel, nicht von ihnen erwähnt, ist C.Th. 4.12.3. Die Konstitution hat den Satz: Quod ius et in fiscalibus servis et in patrimoniorum fundorum origini cohercentes et ad infitecaria praedia et qui ad privatarum rerum nostrarum corpora pertinent servari volumus. Mommsen hat das cohercentes ‚verbessert‘: Quod ius et in fiscalibus servis et in patrimoniorum fundorum originariis et ad emphyteuticaria praedia et qui ad privatarum rerum nostrarum corpora pertinent servari volumus. Diese Emendation führt aber zu einem hiatus oder 28 Siehe H. Drexler, Einführung in die römische Metrik, Darmstadt 1980; R.G. Hall / S.M. Oberhelman, Rhythmical Clausulae in the Codex Theodosianus and the Leges Novellae ad Theodosianum pertinentes, in: Classical Quarterly 35, 1985, S. 201 –214. 29 Siehe A.J.B. Sirks, Theodosian Code (wie Anm. 13), S. 172 –173. 30 Hall / Oberhelman, Rhythmical Clauses (wie Anm. 28), S. 211 –213, examples from the posttheodosian Novels.

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elisio, und der überlieferte Text soll den Vorrang haben, 31 obgleich es scheint, dass cohercentes analog zu servis eher im Ablativ stehen müsste. Dennoch, aus paläographischer Sicht ist es schwer verständlich, wie originariis zu origini cohercentes werden könnte. 32 Dagegen würde es als Akkusativ eine Parallele zu praedia bilden. Weiter kann cohercentes auch als Intransitivum gelesen werden, 33 d. h. origini cohercentes als ‚die zur origo gezwungen seiend‘. Auch bei justinianischen Varianten könnte diese Methode Aushilfe bieten. 34 Hat die Mommsensche Theodosianus-Ausgabe sich bewährt? Aus dem Dargelegten sollte klar sein, dass die Antwort positiv sein muss. Ja, man kann mit Krüger die Verarbeitung von Parisinus 9643 bemängeln. Die Kritik wäre aber relativ einfach mit einer neuen Kollation abzuschwächen, die mit Hilfe moderner Techniken die schwierigen Stellen hoffentlich erklären kann. Viele Textverbesserungen sollte man nicht erwarten und wo Text fehlt, bleibt man auf Konjekturen angewiesen und wird es oft schwierig sein zu sagen, welche Konjektur den Vorrang verdient. Ebenso kann man gemäß Krügers Vorschlag eruieren, ob in Parisinus 9643 und Vat. reg. 886 Lat. tatsächlich Konstitutionen vom Kopisten übergangen wurden. Aber ob man dann so Konstitutionen des Codex Theodosianus, die nur im Justinianus überliefert sind, einfügen kann, ist erstens unsicher und zweitens wissenschaftlich nicht sauber, ebenso wie es nicht legitim ist, die Lücken in den Bücherns eins bis fünf durch Rekonstruktion und Einfügen von justinianischen Konstitutionen zu füllen. Eine solche Rekonstruktion im Sinne Krügers würde nur einen trügerischen Schein der Wissenschaftlichkeit bieten. Sinnvoll wäre es hingegen, bei einer Neuauflage zwischen Buch 5 und 6 eine 31 Der Kommentar von Michael Winterbottom, der über Tobias Reinhardt so freundlich war diesen Fall zu betrachten, ist: „‚origini cohercentes‘ gives good rhythm; Mommsen spoils it and introduces a hiatus (or elision)“. 32 Der Titel 4.12 des Theodosianus ist auf einem Blatt im 11. oder frühen 12. Jahrhundert abgeschrieben. In jener Zeit gab es schon lange keine Geltung des Theodosianus mehr und somit auch keinen Bedarf an Kopien, im Gegensatz zum Breviarium, das aber diesen Titel nicht enthält. Der Text kann also nur vom einem Theodosianus-Exemplar aus dem 6. oder frühen 7. Jahrhundert stammen und soll somit textuell relativ unkorrumpiert sein. Weswegen gerade diese Titel kopiert wurden ist unerkennlich. 33 Siehe L. Feltenius, Intransitivization in Latin, Stockholm 1977, S. 21 and 23, according to whom Late Latin knows of many cases in verbs of movement and, oppositely, of staying, becoming intransitive. 34 Aber sicherlich nicht immer. Vergleiche C.Th. 4.14.1 (Mo): Nec sufficiat precibus oblatis speciale quoddam, licet per adnotationem, meruisse responsum vel etiam iudiciis allegasse, nisi allegato sacro rescripto aut in iudicio postulatione deposita fuerit subsecuta conventio. mit C. 7.39.3: Nec sufficiat precibus oblatis speciale quoddam, licet per adnotationem, promeruisse responsum vel etiam iudiciis allegasse, nisi allegato sacro rescripto aut in iudicio postulatione deposita fuerit subsecuta conventio. In Anbetracht der übrigen Änderungen im Text ist es nicht wahrscheinlich, dass die Justinianer dieses Wort geändert haben. Die Bedeutung von mereo und promereo ist gleich. Es könnte also hier um eine gleichberechtigte Variante handeln. Rhythmisch geben beide gute Sätze ab, somit bleibt die Frage offen.

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Insertion mit allen nur im Justinianus überlieferten Texten einzufügen, nach ihren justinianischen Titeln geordnet. Des Weiteren macht überall, wo Mommsen emendiert oder zwischen zwei Varianten gewählt hat, eine Überprüfung des Rhythmus Sinn. Bei einem Neudruck könnte man, falls dies zu einer Korrektur führte, die Verbesserung in margine hinzufügen. Aber auch hier sollte man wenig Änderungen erwarten, weil eine Störung des Rhythmus nicht schnell auffällt. So kommen wir gut mit Mommsens Edition zurecht und werden es auch in Zukunft – und, es sei mir verziehen, besser als mit Krügers geplanter Edition –, wenn wir uns nur seine Beschränkungen bewusst machen. Einigermaßen verbesserungsfähig ist sie – aber welche Edition ist das nicht, wenn hundert Jahre später die paläographischen Methoden fortgeschritten sind? – aber so lange nicht ein neue Handschrift auftaucht, wird sie uns gute Dienste leisten. IV. Appendix Nehmen wir an, Buch 10 sei erhalten, dann wären C. 11.7 – 10, 12 – 13 dort gefunden und hier ausgeschieden. Buch 13 *C.Th. 13.1.1 (= BA 13.1.1) [= C.Th. 13.1.13] *C.Th. 13.2.1 – 6 (= C. 11.2) [= C.Th. 13.5.9, 26, 29, 32, 33, 34] *C.Th. 13.3.1 – 3 (= C. 11.3) [= C.Th. 13.6.5, 7, 8] *C.Th. 13.4.1 (= C. 11.4) [= C.Th. 13.7.2] *C.Th. 13.5.1 (= C. 11.5) [= C.Th. 13.8.1] *C.Th. 13.6.1 – 5 (= C. 11.6) [= C.Th. 13.9.1, 3, 4, 6; 13.5.32] *C.Th. 13.7.1 (= BA 13.2.1) (= C. 11.58.1) [= C.Th. 13.10.1] *C.Th. 13.7.2 (= C. 11.58.2) [= C.Th. 13.11.1] *C.Th. 13.7.3 (= BA 13.2.2) [= C.Th. 13.10.5] *C.Th. 13.7.4 – 8 (= C. 11.58.3 –7) [= C.Th. 13.11. 3, 4, 5, 8, 16] *C.Th. 13.8.1 (= C. 11.49.1) [= C.Th. 13.10.2] Eventuell dazu: *C.Th. 13.1a (= C. 11.78.1) [= C.Th. 13.2.1] *C.Th. 13.1b.1 – 4 (= C. 10.53.6,7.9.11) [= C.Th. 13.3.2+3,5,8,9] *C.Th. 13.1.c.1 –2 (= C. 10.66.1 –2) [= C.Th. 13.4.2 – 3]

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*C.Th. 13.9.1 – 3 [= C. 11.11.1 –3, unbekannt im C.Th.] Das Problem ist hier, dass Breviar 15.2 nur De censu seu adscriptione als Rubrik trägt. Also müsste man annehmen, dass die Kompilatoren BA 15.7.2 und die weiteren Texte von C. 11.58 abgespalten haben. Umgekehrt dürfte man dann *C.Th. 13.7 erweitern mit Texten aus C. 11.58. Des Weiteren würde man für C. 11.49 annehmen dürfen, es habe im Theodosianus auch einen Einzeltitel hierfür gegeben, der gleich hinter *C.Th. 13.7 stand. Man hätte dabei verpasst, aber wohl in die Rekonstruktion von Buch 14 einbezogen: C.Th. 13.11.9, ebenso C.Th. 13.10.8, und noch zwölf weitere Texte, die sonstwo im C. (doch nicht in Buch 11) inseriert sind und deren Herkunft unbekannt ist. Man hätte nicht gewusst, dass *C.Th. 13.2.4 und *C.Th. 13.6.5 im C.Th. eine Einheit bildeten, obgleich es ersichtlich ist, dass sie derselben Konstitution entstammen. Also hätte man von den ursprünglichen 127 Texten des Buches 13 nur 25 (32) richtig (d. h., aus demselben, ins selbe Buch; drei davon bestätigt durch das Breviar) platzieren können, d. h. ein fünftel. Davon sind 18 (23) verkürzt oder textuell geändert. Dazu wären eventuell drei (C. 11.11.1 – 3) irrtümlicherweise hinzugekommen. Hätte man argumentiert, dass C. 10.53, 10.66 und 11.78 auch an den Anfang des dreizehnten Buches gehörten, wären die Zahlen wie in den Haken gewesen. Sieben Texte wären zwar im Justinianus anwesend gewesen, aber unauffindbar; falls man nicht annehme, C. 10.53, 10.66 und 11.78 gehören in Buch 13, erhöhte sich diese Zahl dementsprechend auf acht. Vielleicht wäre es zulässig zu unterstellen, dass man aus der Verbindung mit der lustralis collatio zur Platzierung von C. 10.78. 1 [= C.Th. 13.2.1] in *C.Th. 13.1 geriete. Hier ist dies ausgelassen. Am Ergebnis ändert dies alles wenig. Kaum ein viertel wäre richtig ins Buch eingeordnet worden. Buch 14 Es wäre klar gewesen, dass die Materie von BA 14.1.1 und C. 11.14 ff. zusammengehören und nicht direkt zum Buch 13, so dass es berechtigt ist, hiermit ein rekonstruiertes Buch 14 anzufangen. Aber BA 14.1.1 hätte wohl auch im echten C.Th. am Anfang stehen können. C. 11.30 – 40 wären ausgelassen worden, weil sie aus dem Gregorianus und Hermogenianus gezogen sind. Die Frage wäre dann, ob C. 11.41 –42 noch zu Buch 14 gehörten und die Antwort wäre wohl positiv, weil der Unterschied zwischen diesen und C. 11.43 ff. recht gross ist, während Schauspiele, Zuhälterei und Spiele noch städtische Belange sein können. Es ist also wahrscheinlich, dass C. 11.41.1 – 6 wegen des Inhalts eher Buch 14 als Buch 15 zugerechnet wären; ebenso C. 11.42.1. Dazu kommt, dass das Breviar ein fünfzehntes Buch hat, das mit den öffentlichen Bauten anfängt;

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die drei genannten Bereiche sind eher für den Schluss eines Buches. Also muss C. 11.43 – 78 grundsätzlich einem rekonstruierten Buch 15 zugerechnet werden. *C.Th. 14.1.1 (= BA 14.1.10 [= C.Th. 14.7.1] *C.Th. 14.2.1 – 2 (= C. 11.14.1 –2) [= C.Th. 14.1.3 – 4] *C.Th. 14.3.1 (= C. 11.15.1) [= C.Th. 14.2.2 –3 – 4] *C.Th. 14.4.1 – 2 (= C. 11.17.1 –2) [= C.Th. 14.4.6 + unbekannt] *C.Th. 14.5.1 (= C. 11.18.1) *C.Th. 14.6.1 (= C. 11.19.1) [= C.Th. 14.9.3] *C.Th. 14.7.1 (= C. 11.20.1) [= C.Th. 14.12.1] *C.Th. 14.8.1 (= C. 11.21.1) *C.Th. 14.9.1 (= C. 11.22.1) *C.Th. 14.10.1 – 3 (= C. 11.23.1 –3) [= C.Th. 14.15.1 – 3] *C.Th. 14.11.1 – 2 (= C. 11.24.1 –2) [= C.Th. 14.16.2 – 3] *C.Th. 14.12.1 – 2 (= C. 11.25.1 –2) [= C.Th. 14.17.10 + unbekannt] *C.Th. 14.13.1 (= C. 11.26.1) [= C.Th. 14.18.1] *C.Th. 14.14.1 (= C. 11.27.1) [= C.Th. 14.21.1] *C.Th. 14.15.1 (= C. 11.28.1 –2) [= C.Th. 14.26.1 – 2] *C.Th. 14.16.1 (= C. 11.29.1) [= C.Th. 14.27.2] *C.Th. 14.17.1 – 6 (= C. 11.41.1 –6) [= C.Th. 15.7.3, 6, 7, 12; 15.5.3; 15.8.3] *C.Th. 14.18.1 (= C. 11.42.1) Man könnte noch aufgrund der Rubrik von C. 11.41 *C.Th. 14.17 aufteilen in drei Titel. Also hätte man von den ursprünglichen 99 Texten des Buches 14 nur 26 (wobei C.Th. 14.2. –3 –4 zusammengefasst ist) richtig (d. h., aus demselben, ins selbe Buch) wiederplatzieren können, d. h. etwas mehr als ein viertel. Davon sind 18 verkürzt oder textuell geändert. Weiter würde man noch 29 Texte aus dem Codex zu Unrecht in Buch 14 inseriert haben (wobei man ebensowenig wissen würde, ob sie geändert wurden oder nicht). Das hätte eine ‚Verschmutzung‘ der Rekonstruktion von um 50 Prozent ergeben. Dagegen würden vier der 99 Texte unerkannt und somit unauffindbar in den Codex geraten sein.

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Buch 15 Hier gibt es mehr Möglichkeiten, zu rekonstruieren. BA 15.1.2 kehrt zurück als C. 8.11.11, und weil es dieselben Rubriken gibt, darf man Texte aus C. 8.11 in *C.Th. 15.1 inserieren. Weiter ist BA 15.2.1 aufgenommen als C. 11.43.4, mit gleicher Rubrik, was zulässt, dass auch hier (*C.Th. 15.2) Texte aus C. 11.43 chronologisch inseriert werden. Danach würde man alle weiteren Titel aus C. 11 aufnehmen müssen. *C.Th. 15.1.1 (= BA 15.1.1) [= C.Th. 15.1.9] *C.Th. 15.1.2 – 10 (= C. 8.11.1 –9) [= C.Th. 15.1.5,6,8,11,22,23,24,30,31] (C.Th. 15.1.46 wäre nicht aufgenommen, weil der Text in C. 8.10.9 steht) *C.Th. 15.1.11 (= BA 15.1.2) (= C. 8.11.11) [C.Th. 15.1.32] *C.Th. 15.1.12 – 19 (= C. 8.11.12 –19) [= C.Th. 15.1.34,37,39,40,44,47,51,52) *C.Th. 15.1.20 – 21 (= C. 8.11.20 –21) *C.Th. 15.2.1 – 2 (= C. 11.43.1 –3) [= C.Th. 15.2.5 – 6] *C.Th. 15.2.3 (= BA 15.2.1) (= C. 11.43.4) [= C.Th. 15.2.7] *C.Th. 15.2.4 (= C. 11.43.5) *C.Th. 15.3.1 (C. 11.41.1) [= C.Th. 15.12.1) *C.Th. 15.4.1 (= C. 11.45.1) [= C.Th. 15.11.1 ] *C.Th. 15.5.1 (= C. 11.46.1) [= C.Th. 15.6.1] *C.Th. 15.6.1 (= C. 11.47.1) [= C.Th. 15.15.1] *C.Th. 15.7 – 12 (= C. 11.48 –53) [C. 11.49.1 = C.Th. 15.1.49] *C.Th. 15.13 (= C. 11.55) *C.Th. 15.14 – 23 (= C. 11.59 –68) [C. 11.65.1 = C.Th. 15.3.1] *C.Th. 15.24 – 32 (= C. 11.70 –78) [C. 11.75.4 = C.Th. 15.3.6] Hier gäbe es kaum eine richtige Rekonstruktion. Auch wenn man C. 11.48 ff. auslässt, weil hier die Vermutung nahe liegt, dass die Wiederherstellungen aus anderen Büchern herrühren, und man somit die Ausgangslage erheblich verbessert, bleibt das Ergebnis schlecht. Von den 128 Texten kehren nur 26 zurück, d. h. ein fünftel, wovon 22 geändert oder gekürzt sind. Dazu kommen drei hinzu, die ursprünglich in anderen Büchern standen. Des Weiteren sind sechs unauffindbar in andere Bücher eingegangen. Buch 9 *C.Th. 9.1 (= C. 9.1) [C. 9.1.19 –20]

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*C.Th. 9.2 (= BA 9.1) [C.Th. 9.1.1,3,5,9 –12,14,15,18,19; C. 9.2.16] *C.Th. 9.3 (= C. 9.3) [C. 9.3.1 –3] *C.Th. 9.4 (= BA 9.2) [C.Th. 9.3.3,5,7; C. 9.4.1,5] *C.Th. 9.5 (= C. 9.7) [C. 9.7.1] *C.Th. 9.6 (= C. 9.8) [C. 9.8.3 –5] *C.Th. 9.7 (= BA 9.3) [C.Th. 9.6.2 –4] *C.Th. 9.8 (= BA 9.4) (= C. 9.9) [C.Th. 9.7.1 –2,4 – 8; C. 9.9.30,34] *C.Th. 9.9 (= BA 9.5) [C.Th. 9.8.1] *C.Th. 9.10 (= BA 9.6) [C.Th. 9.9.1] *C.Th. 9.11 (= BA 9.7) [C.Th. 9.10.1,3 –4; C. 9.12.9] *C.Th. 9.12 (= BA 9.8) [C.Th. 9.11.1] *C.Th. 9.13 (= BA 9.9) [C. 9.14.1, C.Th. 9.12.2] *C.Th. 9.14 (= BA 9.10) [C.Th. 9.13.1] *C.Th. 9.15 (= BA 9.11) [C.Th. 9.14.1 –2, C. 9.16.8] *C.Th. 9.16 (= BA 9.12) [C.Th. 9.15.1] *C.Th. 9.17 (= BA 9.13) [C.Th. 9.16.3 –4,; C. 9.18.3,6 – 9,11] *C.Th. 9.18 (= C. 9.19) [C. 9.18.2 –6] *C.Th. 9.19 (= BA 9.14) [C.Th. 9.18.1] *C.Th. 9.20 (= BA 9.15) [C.Th. 9.19.1; C. 9.22.22 – 24] *C.Th. 9.21 (= BA 9.16) [C.Th. 9.20.1] *C.Th. 9.22 (= BA 9.17) [C.Th. 9.21.5; C. 9.24.1,3] NB C. 9.24.2 ist eine Kombination von C.Th. 9.21.5 und 9.21.3, mit dem Jahre 326 des Letzteren, sonst 343. *C.Th. 9.23 (= BA 9.18) [C.Th. 9.22.1] *C.Th. 9.24 (= BA 9.19) [C.Th. 9.24.1,3] *C.Th. 9.25 (= BA 9.20) [C.Th. 9.25.1 –2] *C.Th. 9.26 (= C. 9.26) [C. 9.26.1] *C.Th. 9.27 (= BA 9.21) [C.Th. 9.27.1, 4; C. 9.27.1,3 – 6] *C.Th. 9.28 (= C. 9.28) [C. 9.28.1] *C.Th. 9.29 (= C. 9.29) [C. 9.29.1 –3]

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*C.Th. 9.30 (= BA 9.22) [C.Th. 9.29.2] *C.Th. 9.31 (= BA 9.23) [C.Th. 9.33.1] *C.Th. 9.32 (= C. 9.31) [C. 9.31.1] *C.Th. 9.33 (= BA 9.24) [C.Th. 9.34.1,9] *C.Th. 9.34 (= C. 9.37) [C. 9.37.1] *C.Th. 9.35 (= C. 9.38) [C. 9.38.1] *C.Th. 9.36 (= C. 9.40) [C. 9.40.1 –2] *C.Th. 9.37 (= BA 9.25) [C.Th. 9.35.4; C. 9.41.16,17] *C.Th. 9.38 (= BA 9.26) [C.Th. 9.36.1 –2] *C.Th. 9.39 (= BA 9.27) [C.Th. 9.37.1 –2, 4] *C.Th. 9.40 (= BA 9.28) [C.Th. 9.38.8] *C.Th. 9.41 (= C. 9.43) [C. 9.43.3] *C.Th. 9.42 (= BA 9.29) [C.Th. 9.39.1 –3; C. 9.46.7,9,10] *C.Th. 9.43 (= BA 9.30) [C.Th. 9.40.1, 10, 13, 18; C. 9.47.17 – 19,21 – 25] *C.Th. 9.44 (= BA 9.31) [C.Th. 9.41.1] *C.Th. 9.45 (= BA 9.32) [C.Th. 9.42.6, 10, 15, 17; C. 9.49.7,8,10] NB C. 9.42.9 ist Kombination *C.Th. 9.46 (= BA 9.33) [C.Th. 9.43.1] *C.Th. 9.47 (= BA 9.34) [C.Th. 9.45.4] Insgesamt 222 Konstitutionen gibt es im Codex Theodosianus; davon kehren 71 aus dem C.Th. in die Rekonstruktion zurück (über den Breviar), d. h. 32 Prozent. Dazu kommen aus dem C. 69 Konstitutionen, wovon 49 in Buch 9 gehören (meistens auch in ihrem Titel), 20 aber nicht in Buch 9 stehen (die Titel, sechs in der Zahl, sind auch meistens fehl am Platz). Dies zeigt, dass anscheinend 140 rekonstruiert sind, was ein 63-prozentiger Erfolg bedeutet, dennoch sind nur 120 richtig, was deutlich macht, dass es eine Fehlerrate von vierzehn Prozentpunkten gibt. Am Ende ist im rekonstruierten Buch 9 nur 54 Prozent sicher (Verkürzungen und Änderungen nicht mit einberechnet). Der Unterschied in den Titeln dreizehn bis fünfzehn liegt klar im Material. Strafen ändern sich weniger; dazu: viele Titel sind nicht umfangreich, somit ist die Chance einer Reduktion gering.

Faire de l’histoire romaine avec l’édition mommsénienne du Code Théodosien: entre modèle de compréhension du maître et inflexions de la recherche récente Par Philippe Blaudeau Plus sobre que vibrant, un certain hommage continue à être rendu à l’édition de Th. Mommsen dans les nombreuses publications en langue française qui, récemment parues, s’attachent à rendre disponible pour le plus grand nombre le texte même du Code Théodosien. 1 Il en va ainsi, comme on le sait des traductions du livre XVI proposées par E. Magnou-Nortier (2002) 2 ou par Jean Rougé, à titre posthume dans ce dernier cas (SC 497, 2005). 3 Mais cette caractéristique vaut également pour deux entreprises scientifiques mobilisant des équipes de chercheurs antiquisants dans la stimulante logique d’un work in progress. La première, réunie autour de R. Delmaire, a conservé le texte établi par Mommsen lorsqu’il s’est agi non plus seulement de vérifier une version déjà existante mais, dans un deuxième tome (SC 531, 2009), 4 de compléter le choix des 93 constitutions disséminées dans les quinze premiers livres du Code déjà retenues 1 On sait que le monde anglo-saxon dispose depuis 1952 d’une traduction complète assurée par le groupe de travail organisé autour de C. Pharr (The Theodosian Code and Novels and the Sirmondian Constitutions. A Translation, introd. notes et trad. anglaise C. Pharr et alii, Princeton 1952). Indiquons au passage que l’entreprise, débutée dès 1930 et officiellement lancée grâce à l’allocation de ressources en 1943 (p. VII), prend l’édition de Mommsen pour texte de référence (non reproduit), comme s’il ne pouvait en aller qu’ainsi. Précisons que les dates des constitutions y sont établies en fonction des observations de Seeck. 2 Le Code Théodosien, livre XVI et sa réception au Moyen âge, éd. reproduite de Th. Mommsen (Paris 2002). Signalons qu’E. Magnou-Nortier avait à sa disposition la version établie par Rougé. 3 Les lois religieuses des empereurs romains de Constantin à Théodose II (312 –438). Le Code Théodosien XVI, éd. reproduite de Theodor Mommsen, trad. J. Rougé, introd. R. Delmaire, comm. R. Delmaire / F. Richard, Paris 2005 (Sources Chrétiennes 497). 4 Les lois religieuses des empereurs romains de Constantin à Théodose II (312 –438). II. Code Théodosien I – XV, Code Justinien, Constitutions Sirmondiennes, texte latin Theodor Mommsen / P. Meyer / P. Krueger, trad. J. Rougé / R. Delmaire, introd. et notes R. Delmaire, collab. O. Huck / F. Richard / L. Guichard, Paris 2009 (Sources Chrétiennes 531).

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par Rougé. Les soixante-treize lois (ou parties de lois) supplémentaires restituent elles aussi le contenu du recueil publié chez Weidmann en 1904, même si, nous y reviendrons, le travail critique opéré autour du texte et des problèmes qu’il pose conforte les enseignements magistralement exposés dans l’introduction au livre XVI paru dans la collection des sources chrétiennes. Non sans susciter quelque étonnement, puisqu’il est quant à lui indépendant du travail engagé par Rougé, le premier volume issu du projet de traduction 5 et commentaire placé sous la direction de S. Crogiez-Pétrequin et de P. Jaillette présente le même parti pris. Consacré au livre V, il n’ignore pas l’édition alternative des livres I à VIII établie par P. Krüger (1840 – 1926) et parue à Berlin en deux fascicules, entre 1923 et 1926. 6 Discutée et considérée comme plus proche sans doute de l’édition originelle du Code, 7 celle-ci n’est cependant que reproduite (p. 206 – 237) et non pas sélectionnée comme base sur laquelle fonder la traduction. Sans doute faut-il y voir le souci de ménager une unité à un programme de longue haleine, appelé à reposer sur une seule et même édition de référence. Mais un tel choix, plus contraint que revendiqué, revient également à conforter à contrecœur la prévalence d’un travail qui s’est imposé par la rapidité de son exécution plus que par l’ingéniosité de ses leçons. 8 Ainsi se produit-il un phénomène analogue à celui qui régna pendant une bonne moitié du XIXe siècle

5 Sur les difficultés et les enjeux propres à celle-ci (notamment autour de termes tels que rationalis, sanguinolentus, ou, pour prendre des thèmes chers à l’auteur, autour de la notion de cursus publicus, voir S. Crogiez-Pétrequin, L’entreprise de traduction française du Code Théodosien, in: S. Crogiez-Pétrequin / P. Pasteur (éd.), Histoire et pratique de la traduction, Rouen 2010, p. 39 – 51. 6 Rappelons avec J. Matthews (Laying down the Law. A Study of the Theodosian Code, New Haven / Londres 2000, p. 99), que cette parution n’a jamais été rééditée (au contraire de celle de Mommsen-Meyer, dont la plus récente réimpression chez Olms-Weidmann date de 2011) et que son éditeur scientifique ne s’expliqua pas dans son introduction sur ses motifs ni sur les avantages qu’il assignait à son ouvrage au regard de l’édition de Mommsen. On sait que celle-ci, court-circuitant son propre projet longtemps retardé, lui avait comme extorqué nombre de travaux et observations préparatoires et l’avait laissé singulièrement dépité, malgré les précautions rhétoriques prises par Mommsen dès le titre (adsumpto apparatu Pauli Kruegeri) et répétées à plusieurs reprises dans les Prolegomena spécialement (CTh I-1: Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis. Edidit adsumpto apparatu P. Kruegeri Th. Mommsen. Pars prior: Prolegomena. Berlin 1905, p. XXXIX, XLII, LVIII, LXXXIV). Sur l’histoire longue et complexe des rapports entre Mommsen et Krüger, voir B. Croke, Mommsen’s Encounter with the Code, in: J. Harries / I. Wood (éd.), The Theodosian Code. Studies in the Imperial Law of Late Antiquity, Londres 1993, p. 224 – 227 et 237, et P. Jaillette, Introduction, in: Codex theodosianus. V Le Code Théodosien. V, éd. Th. Mommsen (1904), introd. P. Jaillette; trad. S. Crogiez-Pétrequin / P. Jaillette / J.-M. Poinsotte / J.-P. Callu / A. Laquerrière-Lacroix / P. Laurence, Turnhout 2009, p. 25 – 27, 54. 7 Opinion également énoncée par Matthews, Laying down the Code (v. note 6), p. 100. 8 Comme le souligne P. Jaillette, Code Théodosien (v. note 6), p. 60.

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quand l’ouvrage d’Hänel l’emportait sur la publication de Baudi de Vesme qui, il est vrai, s’arrêtait en IV.22.4. Cette dernière observation révèle le caractère paradoxal de la dette contractée par l’édition de Mommsen. Si Jaillette la considère comme monumentale en apparence mais fragile, 9 elle demeure encore la seule à combiner qualité scientifique requise et commodité d’usage, en dépit des défauts que lui assignent volontiers nombre de savants. Depuis plus d’un siècle, ceux-ci ont pu mettre à l’épreuve de leur sagacité, pour mieux les contester, les préférences énoncées par le vieux maître. Nullement arbitraires pourtant, ses choix méritent donc d’être interrogés à la lumière des critiques exprimées en tant qu’ils participaient d’une compréhension globale et articulée de l’Antiquité tardive. Bien mieux, discernées par un Mommsen alors octogénaire, mais une fois encore capable de mobiliser une équipe internationale 10 et d’accomplir une tâche immense (en 4 ans !), ces priorités contribuent toujours à orienter notre propre approche de la période et de ses enjeux principaux soumis à de notables transformations en matière de légitimité du pouvoir, de fonctionnement social et de repères sociétaux. Précisons encore que notre questionnement est celui d’un historien, non d’un historien du droit. Pour le dire d’un mot, et sans aucune autre prétention que de définir ici le lieu à partir duquel s’élabore notre réflexion, nous nous situerons davantage du côté de Le Nain de Tillemont que de celui de Godefroy, selon la répartition des compétences et des exercices disciplinaires (histoire et prosopographie d’un côté, science juridique et administrative de l’autre) que Mommsen reconnaît à ses deux devanciers. Aussi nous intéresserons-nous tout d’abord à la transmission manuscrite pour savoir si les jugements et interprétations de Mommsen en matière de manuscrits demeurent valides et accréditent ou non la pertinence du texte établi. Nous considérerons ensuite la question de l’origine des pièces sélectionnées en nous concentrant sur les souscriptions conservées, pour souligner combien les travaux de Seeck, repris et développés par Delmaire, ont pu permettre de suivre avec une plus grande exactitude l’évolution de la législation et, plus largement, de la politique impériale entre 311 et 438. En revanche nous laisserons de côté, comme moindrement appropriées à notre sujet, les interrogations plus techniques portant sur l’absence ou la (re)composition des titres de l’édition mommsénienne, de même que la place assignée à certaines lois dans les livres les moins bien conservés du Code. Enfin, nous examinerons le rapport intime conçu par Mommsen entre édition du Code et établissement d’une Prosopographia Imperii Romani embrassant la période de Dioclétien à Justinien, en cherchant à évaluer le rapport entre le projet formé par le maître, les réalisations contemporaines (PLRE et PCBE) et les travaux ainsi permis. 9 10

Ibid., p. 27. Non sans user de persuasive contrainte (sur Krüger en particulier).

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1. Servavit Theodosianum nobis Gallia. 11 Cette formule mémorable rappelle comment Mommsen a pu apprécier l’état des sources disponibles en tant qu’il reflétait l’état originel du Code Théodosien. Sa conscience de la centralité de l’espace autrefois gallo-romain repose sur la scrupuleuse connaissance des manuscrits mais aussi sur le refus de reproduire les constitutions uniquement préservées par le Code Justinien, sans aucune confirmation issue de la tradition du Code lui-même ou de la Lex Romana Wisigothorum, autrement dit le Bréviaire d’Alaric. 12 Evidemment contestable, puisque Mommsen sait fort bien que la commission dirigée par Tribonien a exploité le Code Théodosien de façon suivie, ce principe de sélection ainsi érigé en règle est sans doute le reproche le plus souvent adressé – à juste titre? 13 – à l’encontre de l’édition du maître. Rappelons qu’au contraire, dans son édition propre, Krüger puise avec discernement dans la compilation justinienne. Il enrichit ainsi notablement le contenu des livres I à V tout spécialement. En manifestant une prévention si têtue, sans doute Mommsen a-t-il voulu éviter de reproduire des sections de lois dont il savait qu’elles avaient pu être tronquées ou modifiées conformément aux instructions de Justinien. Mais il y a plus. L’origine orientale de la tradition ainsi consignée qualifiait insuffisamment les pièces susceptibles d’être intégrées au Code Théodosien. Dans le modèle méthodologique qu’il expose au cours de ses Prolegomena, Mommsen déploie en effet une intelligence de la compilation publiée en 438 qui révèle une conscience particulière de la réception vivante et durable de l’ouvrage. Aux yeux du spécialiste de la latinité juridique, celle-ci n’informe pas l’Orient en profondeur, au contraire des corpus d’Ulpien, Papinien ou du Code grégorien. Dès lors son respect intrinsèque ne peut y être assuré de façon satisfaisante. Il y a donc une ligne de continuité logique et volontiers exclusive entre la provenance des manuscrits étroitement attachés au Code Théodosien, directement ou par le biais du bréviaire, le lieu probable de leur copie, l’espace où l’impact de la compilation a été important et le texte lui-même. A l’appui de ce raisonnement se trouvent notamment les cinq manuscrits qui nous rapportent des parties entières du Code Théodosien (rappelons qu’aucun codex ne nous en fournit le contenu intégral). Ici signalés en fonction des lieux et date de facture qu’il leur attribue, il s’agit outre l’Ambrosianus C 29 inf. (A; Italie ? XI e s.), du Parisinus 9643 (R; Gaule – Lyon ? – VI e s.), du Taurinensis a II, 2 (T, Bobbio Italie, VII e ou VIII e s.,), du Vaticanus Reginae 886 14 (V, Gaule ou Italie, VI e s.,) et du Vaticanus 5766 (W, Bobbio, VIII e s.; dont trois feuilles détachées 11

Prolegomena (v.note 6), p. XXXVIII. Ibid., p. LXI – LX 13 J. Matthews, Laying down the Code (v. note 6), p. 91. Pour une critique de ce jugement, cf. la contribution très suggestive de B. Sirks ci-dessus. 14 Celui-ci comporte dans ses marges des scholies portant sur la presque totalité des constitutions. Rééditées par Sirks (1996) elles relèvent de deux mains différentes (S, plus ancienne que S2, celle-ci étant nécessairement postérieure à 448). Cf. A. Sirks, The Theodosian Code. A Study, Friedrichsdorf 2007, p. 215. 12

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sont conservées à Turin). Ces quatre derniers manuscrits RTVW ont en commun d’avoir été copiés avant le début du VIII e s. En outre, la conviction signifiée par Mommsen procède également du classement des codices contenant tout ou partie du bréviaire d’Alaric II (506). Parmi ceux-ci, le meilleur état textuel est fourni par l’Oxoniensis Bodleianus Seldenianus B 16 (copié par Guillaume, moine de Malmesbury, entre 1125 et 1137). Mommsen relève toutefois l’importance de deux codices, issus d’une famille moins sûre, mais dont l’ancienneté est assez remarquable, le Phillippsianus Berolinensis 1761 (P., Gaule, VI e s.) et celui qu’il tient pour son jumeau, 15 le Monacensis 22501 (M, Gaule ?; VII e s ?). Et le savant berlinois de considérer que ces observations, ajoutées à d’autres que nous ne pouvons détailler ici, attestent l’attachement de la Gaule à la loi et au droit romain bien au-delà des simples espace et époque dominés par les Wisigoths. Or, des recherches plus récentes confirment ce primat des Gaules, en soulignant même, si l’on peut pousser le jeu de mots, le rôle joué par Lyon, d’ailleurs déjà relevé à l’occasion par Mommsen. Signalons tout d’abord que peu de découvertes sont venues enrichir notre connaissance du contenu du Code et qu’elles s’avèrent d’une importance secondaire. 16 En revanche, les experts ont pu montrer que les manuscrits R et V n’étaient nullement indépendants l’un de l’autre comme l’avaient cru Mommsen, puis Krüger. Ch. Perrat a estimé en fonction des critères paléographique et codicologique que R et V étaient respectivement les tomes II et III d’un exemplaire complet du Théodosien, sûrement copié à Lyon au VI e s. 17 Récemment, P. Ganivet 18 est allé plus loin: constatant l’inégal volume de R et de V, il a estimé qu’il n’était pas utile de rechercher un hypo15

Prolegomena, p. LXXV. En voici la liste établie d’après les indications fournies par le Volterra Project (http://www.ucl.ac.uk / history2/volterra/) 1). Des papyrus découverts à Oxyrhynchos, le P. Oxy. XV 1813 (CLA II 211) [concernant le livre VII], que seul Krüger a pu utiliser pour son édition. 2). Des fragments palimpsestes qui recouvrent des parties connues des livres VI, X et XI: cf. M. Caravale, Frammenti del Codex Theodosianus conservati presso la Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei e presso lo Staatsarchiv di Zurigo, in: Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca. I, Naples 2001, p. 433 –87; qui avaient été précédemment signalés par A. Dold, Ein neuentdecktes Bruchstück des Codex Theodosianus unter Texten von Gregors. d. Gr. Moralia in Job, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 58, 1941, p. 169 – 76; et A. Petrucci et al., Frammenti corsiniani del Codex Theodosianus (sec. VI in.) e dei Moralia in Job in Gregorio Magno (sec. VIII): notizia preliminare, in: Rendiconti Lincei 8 – 29, 1974, p. 587 – 604. 3) Le fragment d’une constitution d’Arcadius et d’Honorius inconnue par ailleurs et provenant très sûrement d’un des cinq premiers livres: P. Vindob. L81; désormais publié par F. Mitthof, „Neue Evidenz zur Verbreitung juristischer Fachliteratur im spätantiken Ägypten“, in: H.-A. Rupprecht (éd.), Symposion 2003: Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte, Vienne 2006, p. 415 – 422. 17 Cf. J. Vézin, Les manuscrits juridiques en Gaule (V e–VIII e siècle), in: A. Dubreucq / Ch. Lauranson-Rosaz (éd.), Traditio iuris: permanence et ou discontinuité du droit romain durant le Haut-Moyen-Âge: actes du colloque international organisé les 9 et 10 octobre 2003 à l’université Jean Moulin, Lyon 3 [par] le Centre d’histoire médiévale, EA 3710 16

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thétique premier volume car celui qui en témoignait, bien que privé des livres I à V n’était autre que R. 19 Mais là ne s’arrêtent pas ses observations. Portant également son intérêt sur un manuscrit du bréviaire (Q, Lugdunensis 375 [olim 303]) peu considéré par Mommsen, il a suggéré que ce manuscrit était d’une origine lyonnaise pratiquement certaine au regard des caractéristiques d’écriture unissant les différentes mains à l’œuvre. 20 Mieux, les nombreux addimenta figurant dans ce codex, déjà repérés par Hänel, et répartis en gloses plus tardives et expositio, révèlent pour cette dernière composante (expositio) une triple disposition répondant à une unique intention. Cette répartition ménage en effet une continuité de sens entre notices, sommes et paraphrases. Et Ganivet de conclure à l’élaboration d’un travail de présentation et d’accompagnement du bréviaire conçu au milieu du VI e s., sous la domination mérovingienne, par un lettré averti de l’entreprise justinienne et peut-être capable de concevoir une synthèse de la matière des leges théodosiennes. Bref, s’il s’agit d’hypothèses, le faisceau de présomptions faisant de l’espace lyonnais un lieu principal d’intérêt, précoce et soutenu, pour le Code, pour sa préservation (que l’on pense à R et V), pour sa transmission et pour son actualisation informée gagne encore en probabilité: il garantit donc à la lecture mommsénienne de sa tradition un supplément de pertinence. 2. Constitutiones spectantes ad Occidentem pendere fere ex propositione earum publica, subesse videri syllogen aliquam privato labore compositam a iuris perito Karthaginiensi. 21 Si l’on s’engage dans la voie remontant de l’état manuscrit conservé à la documentation réunie par les compilateurs impériaux, il semble bien que les indications audacieuses placées par le vieux maître ne soient plus toujours aussi assurées. A l’épineuse question des lieux où les compilateurs puisèrent leurs textes, autrement dit des centres de conservation des pièces et des archives telles qu’elles sont reflétées par le Code, Mommsen avait répondu en privilégiant une [et le] Centre lyonnais d’histoire du droit et de la pensée politique, EA 669, Lyon 2005, (Cahiers d’Histoire Médiévale 3), p. 96. 18 „L’ ‚épitomé de Lyon‘: un témoin de la réception du Bréviaire dans le Sud-Est de la Gaule au VI e siècle ?“ in: M. Rouche / B. Dumézil (éd.), Le Bréviaire d’Alaric. Aux origines du Code civil, Colloque du XV e centenaire du Bréviaire d’Alaric: les fondements de la culture européenne (2006; Aire-sur-l’Adour, Landes), Paris 2008, p. 279 –328. 19 Il conviendrait désormais, comme me l’a suggéré B. Sirks dans une discussion tenue lors de la conférence, de soumettre cette hypothèse aux vérifications chimico-organiques nécessaires (analyse de l’ADN des parchemins et de la composition des encres notamment). 20 Plusieurs codices renfermant une partie du bréviaire ont pu être mis en rapport avec des scriptoria lyonnais, mais seul P (Phillippsianus 1761) peut être conforté dans cette origine. Il y a en revanche lieu de penser que M (Monacensis 22501) a été transcrit en Gaule certes mais plus au Sud. Cf. P. Ganivet, Epitomé (v. note 18), p. 283. 21 Prolegomena (v. note 6), p. XXIX.

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double localisation: les services des hauts responsables des fonctions publiques à Constantinople d’une part et la compilation d’un juriste carthaginois réfugié dans la capitale orientale d’autre part. Or, tout aussi bien qu’hier, cette question revêt aujourd’hui un intérêt majeur pour l’historien de l’Antiquité tardive, car il s’agit en définitive de connaître les modalités par lesquelles l’Etat impérial pouvait accéder à la mémoire de son action légale, sachant qu’il se gouvernait largement par correspondance selon l’heureuse suggestion de Millar. 22 La piste constantinopolitaine signalée par Mommsen doit être évidemment suivie, sans manquer toutefois de mener également au palais. 23 En revanche, Seeck a pu démontrer que si les documents marquant un rapport particulier avec l’Italie et l’Afrique avaient été amplement exploités en vue de la récolte, 24 le Code lui-même ne permettait pas de privilégier l’hypothèse d’une importante documentation carthaginoise. A l’idée de multiples visites rendues dans les archives provinciales, à la suggestion d’une mise à contribution, à Beyrouth ou ailleurs, des recueils constitués par les professionnels du droit (les professeurs et les délégués), plus encore que Sirks, Delmaire préfère donc l’exploitation davantage centralisée dans l’ancienne et la nouvelle Rome des fonds disponibles dans les préfectures du prétoire notamment, où devaient être archivés nombre de ces registres d’actes des gouverneurs placés sous leur contrôle, les cottidiana. 25 Cette interprétation est stimulante: elle permet en particulier de rendre compte de la diversité des formules, notamment en termes de dates et lieux d’affichage. Or, plus encore que les difficultés relatives aux adresses, 26 les problèmes de critique textuelle posés par les souscriptions, caractéristiques du Code Théodosien (tandis qu’elles peuvent ne pas apparaître ou s’avérer très lacunaires malheureusement dans les lois du Code Justinien) n’ont d’égal que leur intérêt majeur pour l’histoire. 27 A cet égard, l’ouvrage d’O. Seeck, 28 constitue l’indis22 Cf. par exemple A Greek Roman Empire. Power and Belief under Theodosius II (408 – 450), Berkeley / Londres 2006, 6, 84 faisant écho à plusieurs de ses travaux plus anciens consacrés au Haut-Empire, parmi lesquels figure la contribution suivante: Trajan: Government by Correspondence, in: J. González (éd.), Trajano emperador de Roma, Madrid 2000, p. 363 – 388. 23 Cette remarque doit évidemment s’appliquer à Rome et Ravenne. Cf. B. Sirks, The Sources of the Code, in The Theodosian Code (v. note 6), p. 52, 64. Voir aussi R. Delmaire, „Introduction“, in: Lois religieuses (v. note 3), p. 16. 24 Regesten der Kaiser und Päpste für die Jahre 311 bis 476 n. Chr. Vorarbeit zu einer Prosopographie der christlichen Kaiserzeit, Stuttgart 1919, Frankfurt / M. 1984 3, p. 12 – 13. 25 R. Delmaire, „Introduction“, in: Lois religieuses (v. note 3), p. 16. 26 Qu’elles concernent les noms du ou des empereurs émetteurs, l’onomastique ou la titulature des destinataires. 27 Même s’il convient d’ajouter avec B. Sirks, Sources (v. note 23), p. 64, qu’elles n’ont pas été écrites pour préciser le cours des déplacements impériaux, ni fixer les regestes ou les consulats. 28 Regesten (v. note 24).

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pensable complément de l’édition de Mommsen, comme ne manque pas de le dire son auteur dès sa préface. 29 Rappelant la valeur d’un tel souci de précision dans le Code Théodosien (une constitution sine die étant jugée non valide 30), Seeck établit ses priorités pour corriger les indications inexactes et dépasser définitivement les classements par ordre chronologique agencés par Mommsen. 31 Selon lui, se contenter, comme le vieux maître, de points d’interrogation et / ou de mise entre croches (pour une date alternative) n’aide en rien l’utilisateur-historien. En vue d’apporter des indications fiables, Seeck considère donc de son devoir de modifier les dates transmises par la tradition manuscrite (spécialement pour la période haute, ou constantinienne, du Code). Pour ce faire, il s’attache à retracer le mouvement des voyages impériaux, en mobilisant toutes les sources disponibles. 32 Fort de ces indications, il montre l’impossibilité du rapport entre lieu et date de promulgation indiqués dans nombre de lois et introduit donc dans ses Regesten les modifications nécessaires. Celles-ci sont évidemment minutieusement pondérées par l’imputation raisonnée des approximations et des erreurs souvent dues aux abréviations (part des rédacteurs dressant copie pour publication, des compilateurs, des copistes ...) ainsi que par la cohérence interne de la répartition des leges. Cette régulation repose encore sur le constat de plus grande recevabilité des données relatives aux lieux qu’à celles portant sur les dates et, pire, sur les consulats (en raison du nombre souvent fautif qui leur est assigné). 33 Elle procède également d’observations fruit d’une longue appropriation des formules, permettant de débusquer l’attribution, suscitée par des formes, tronquées en leur centre, d’une séquence consulaire donnée à la date d’affichage alors qu’elle concerne la date d’émission. Sans doute Seeck ne résout-il pas toutes les difficultés surgies du Code Théodosien, ni ne fournit-il toujours les interprétations les plus fonctionnelles. Il n’en indique pas moins une direction de recherche capitale qui permet spécialement d’établir avec un degré d’exactitude renforcé le cours de la législation impériale, parfois marqué par des corsi e ricorsi, en cas de rapports de force incertains ou un temps remis en cause. 29

Ibid., p. VII. CTh 1.1.1. Ce qui a pu conduire les compilateurs à les supposer comme l’a suggéré P. Maas dans sa recension du Code (Göttingische gelehrte Anzeigen 168, 1906, p. 606 – 628), argument repris par R. Bagnall et alii dans Consuls of the Later Roman Empire, éd. R. S. Bagnall / A. Cameron / S. R. Schwartz / K. A. Worp, Atlanta 1997 (Philological Monographs of the American Philological Association 36), p. 75. Soulignons cependant que le caractère indispensable de la date, de même que la plus grande recevabilité des lois les plus récentes en terme de validité, a été nuancé par B. Sirks, au regard de la pertinence qui leur est attribuée par leur insertion formelle dans le Code (Sources (v. note 23), p. 55 – 58). 31 Dans ses Prolegomena, c. 10, § 3. 32 Cette intention est exprimée d’emblée: Regesten (v. note 24), p. VII. 33 Voir aussi Consuls of the Later Roman Empire (v. note 30), p. 72 –73. 30

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Il revient à l’équipe réunie autour de R. S. Bagnall et d’Al. Cameron, dont les résultats ont été depuis critiqués, à certains égards, mais surtout prolongés le plus souvent par les analyses de B. Sirks et R. Delmaire, d’avoir mené plus avant l’investigation en cette matière au moment de classer les attestations documentaires de chacun des consulats. S’ils rétablissent à l’occasion des datations originaires repoussées par Seeck, ils poussent surtout la vérification, selon les critères ainsi établis, des lieux de promulgation, des chiffres allégués (souvent trompeurs quand ils se rapportent aux consulats des empereurs), ou encore des mois et des jours indiqués. Ils peuvent rendre ainsi raison du très surprenant usage des datations post-consulaires. Dans la plupart des cas, leur apparition est sans doute liée à une transmission tardive du nom des consuls éponymes de la nouvelle année, aux provinces transmarines d’Afrique notamment. 34 Aussi par précaution, se contente-t-on dans ces cas de faire suivre la mention de la réception (accepta) ou de l’affichage (proposita) de l’indication post consulatum. Or, Seeck a étendu l’application de cet emploi à nombre de casse-têtes chronologiques qui ne concernent plus l’Afrique. Il convient donc de questionner ses choix et le cas échant de les rejeter. 35 3. Sperans fore, ut aliquando horum quoque saeculorum idoneam prosopographiam nanciscamur, quae sola his quaestionibus portractandis apta est. 36 Nul doute que ces précisions pourraient apporter leur lot d’émendations et de compléments à un éventuel 4 e tome de la Prosopography of the Later Roman Empire (en forme d’addenda et corrigenda) qui, dans ses trois premiers volumes a concrétisé, avec des modifications substantielles, l’une des aspirations les plus fortes énoncées par Mommsen à la fin de sa vie. On sait en effet que, au moment où il travaillait à l’édition du Code, le vieux maître avait conçu, en étroite concertation avec A. Harnack, le projet de poursuivre la Prosopographia Imperii Romani 37 des viri notabiles en embrassant la période de la fin du IIIe au der34

p. 79.

Seeck, Regesten (v. note 24), p. 15; Consuls of the Later Roman Empire (v. note 30),

35 Ainsi pour CTh 1.12.7; 11.7.15; 14.15.6; 14.23.1 (et non pas 14.28.1 comme il est malencontreusement porté en Consuls of the Later Roman Empire [v. note 30]; 1.15.17. Ces cinq dispositions, issues probablement d’une seule constitution à l’origine, avaient été placés le 28 septembre 400 par Seeck (p. 67 – 68 et 300) au moyen de l’adjonction d’un p.c. aux trois premières (lui-même considérant que cette indication avait ensuite été malencontreusement changée en un cons.) et l’attribution d’une erreur de report d’une année (en trop) pour la dernière. Bagnall et alii (CLRE (v. note 30) 84) ont montré, en prenant appui sur CTh 14.15.5, que l’année 399, pour ces cinq décisions, devait être préférée. 36 Prolegomena, p. CLIX. 37 3 volumes éd. E. Klebs, H. Dessau et P. von Rohden, 1897 –1898. Préfaçant l’ouvrage (VI), Mommsen devait souligner qu’il n’aimait guère le terme de prosopographie, ce qui ne l’empêcha pas d’en imaginer tout l’intérêt pour dévoiler le fonctionnement politique et administratif de l’Empire. Cf. K. Verboven / M. Carlier / J. Dumolyn, A Short

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nier tiers du VI e s. Il y fait même référence dans ses prolegomena pour mieux se défaire alors de la question complexe des durées d’exercice des magistrats. Comme le dit Seeck, Mommsen s’était déjà persuadé de la nécessité que les deux projets (Code et Prosopographie) aillent de pair. 38 En effet, le Code Théodosien, mais aussi les auctores antiquissimi des Monumenta Germaniae historica 39 et les sources littéraires disponibles, lui paraissaient susceptibles de donner matière à un dépouillement comparable à celui qui avait été accompli en prenant pour fonds principal le corpus inscriptionum Latinarum (CIL) pour les trois premiers siècles de l’Empire. L’optimisme de l’infatigable et impérieux organisateur d’entreprises scientifiques collectives adossées à la Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften devait s’avérer excessif en l’espèce, comme l’avait prédit son gendre et néanmoins adversaire, en l’espèce, Wilamowitz. Celui-ci avait dénoncé l’absence d’édition critique pour nombre d’œuvres exploitées et avait relevé les risques de confusion ou d’oubli suscités par les dénominations identiques en milieu chrétien (ainsi des centaines de personnes portant le nom de Jean). 40 En dépit de la subdivision rapidement établie entre sections civile et ecclésiastique (confiée à A Jülicher), le projet pâtit bientôt de la lourdeur de la tâche, de la mort du spiritus rector (1 er novembre 1903), de l’attitude peu coopérative de son successeur à la section profane, O. Seeck, puis des conséquences financières de la première guerre mondiale (inflation de 1923). En dépit de la constitution de 75000 fiches, le projet se perd dans les sables, lorsque Jülicher s’avoue incapable de poursuivre et qu’Eltester s’aperçoit (avril 1932) de l’absence d’un répertoire complet des sources dépouillées. Relancée dans un contexte différent par des équipes anglaise (autour d’ A.H. M. Jones et J. Morris) et française (H.-I. Marrou), selon une nette division du travail comme en atteste une déclaration de principe publiée en 1950, 41 l’initiative ne paraît guère bénéficier du travail accompli par les savants allemands. Si la consultation de la documentation conservée en RDA fait l’objet d’un accord de principe dès le 16 mai 1951 entre interlocuteurs germaniques et britanniques, celle-ci ne devient effective qu’en 1965, quand Morris franchit Manual to the Art of Prosopography, in éd. K. S. B. Keats-Rohan (éd.), Prosopography Approaches and Application: a Handbook, Oxford 2007 (Prosopographica et genealogica 13), 35 – 70, également disponible à l’adresse internet suivante http://prosopography.modhist.ox.ac.uk / images/01 %20Verboven %20pdf.pdf, 42. 38 Regesten (v. note 30), p. VII. 39 Pensons spécialement aux trois volumes des chronica minora, particulièrement utiles pour l’établissement des listes consulaires (cf. Consuls of the Later Roman Empire (v. note 30), p. 47). 40 St. Rebenich, Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mit einem Anhang: Edition und Kommentierung des Briefwechselns, Berlin / New York 1997, p. 267 41 Conjoitement publiée par Jones et Marrou. Cf. Journal of Roman Studies 40, 1950, p. 189.

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le rideau de fer et ramène au Royaume-Uni les cent cinquante-et-une boîtes qui renferment les notices. A la lecture de leur contenu, la déception des utilisateurs, tant anglais que français (à qui l’équipe de Jones a fait parvenir une centaine de boîtes sans accord berlinois préalable 42) est grande. Le matériau le plus abouti s’avère déjà connu (nombre de notices de Seeck en particulier étaient parues indépendamment dans la ‘Pauly und Wissowa’). Pour le reste, faute de répertoire, les fiches qui renvoient à des éditions souvent obsolètes ne servent guère qu’à vérifier les parcours déjà précisés et combler quelques oublis. Pour autant, les deux projets progressent, même si les rythmes sont différents. La Prosopography, dont le premier volume, à l’usage, a pu susciter quelques remarques peu amènes, est achevée dès 1992 avec la parution d’un dernier tome consacré aux années 527 – 640. En revanche la Prosopographie est encore en cours. Organisée, au contraire de son alter ego, par secteurs géographiques, pour mieux tenir compte de la diversité des sources 43 – et ajoutera-t-on pour rompre avec l’énumération des homonymes 44 – elle compte trois volumes successivement publiés en 1982 (Afrique), 1997 (Italie) et 2008 (diocèse d’Asie). 45 Un quatrième consacré à la Gaule est sous presse, 46 un cinquième (Hispanies) est assez avancé. Le bénéfice tiré pour la recherche dépasse de beaucoup les stemmata et fastes qui figurent commodément en fin d’ouvrages. Tant en matière profane que religieuse, ces sommes, quand elles étaient inachevées encore, ont pu apporter un supplément de documentation aux synthèses de leurs promoteurs 47 et donner matière 42 J.R. Martindale, The prosopography of the Later Roman Empire, Volume I: A Memoir of the Era of A. H.M. Jones, in: A. Cameron (éd.), Fifty Years of Prosopography: The Later Roman Empire, Byzantium and Beyond, Londres 2003 (Proceedings of the British Academy 118), p. 9. Cette initiative sera à l’origine de difficultés significatives lorsqu’il s’agira de restituer la documentation à Berlin. Voir St. Rebenich, Mommsen und Harnack (v. note 40), p. 326. 43 J.-R. Palanque, Notice sur la vie et les travaux de Henri-Irénée Marrou, in: CRAI 122, 1978, p. 410. Voir encore P. Riché, Henri-Irénée Marrou, historien engagé, préface Réné Rémond, Paris 2003 (Histoire, biographie), p. 106 – 107. 44 Pour indication, dans ses Mémoires d’outre-siècle. II. (1962 –1981). A gauche toute, Bon Dieu, Paris 2003, p. 437, A. Mandouze souligne combien les 104 Félix ou les 90 Donatus du volume consacré à l’Afrique ont pu lui donner des sueurs froides, car le risque d’une nouvelle découverte obligeait à une renumérotation complète (fiches et renvois) à un moment où l’informatique n’apportait guère de secours. 45 A. Mandouze (éd.), Prosopographie chrétienne du Bas-Empire. I. Prosopographie de l’Afrique chrétienne (303 – 553), Paris 1982. Charles (†) et Luce Pietri (éd.), II. Prosopographie de l’Italie chrétienne (313 – 604), (Rome 1999 – 2000). III. S. Destephen, Diocèse d’Asie (325 – 641), Paris 2008. 46 A paraître auprès de l’École française de Rome. 47 On pense en l’occurrence à l’ouvrage classique d’A.H.M. Jones, The Later Roman Empire 284 – 602, a Social, Economic and Administrative Survey, Oxford 1964. On sait en outre que deux chercheurs ont accès à la PLRE avant même que son premier volume ne paraisse: M. T. W. Arnheim qui l’utilise dans Senatorial Aristocracy in the Later Roman Empire, ouvrage finalement paru à Oxford en 1972 et John Matthews qui en tire profit

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à publication pour quelques travaux préparatoires. Mais leur nombre reste alors limité. Ainsi Marrou lance-t-il une collection particulière, études prosopographiques. 48 Il en préface le premier volume, composé par P. Petit mais cette série ne compte finalement que deux ouvrages intéressés à la période tardo-antique. Sans doute la parution progressive des prosopographies stimule-t-elle à son tour l’émergence de travaux innovants portant sur l’appareil d’Etat, ses agents, leur appartenance et leurs réseaux, 49 le sénat, 50 plus largement l’aristocratie et ses réseaux, 51 l’évolution des personnels et des structures municipales 52 ou encore les carrières et l’organisation ecclésiastique régionale. 53 Toutefois, PLRE et PCBE, dans pour Western Aristocracies and Imperial Court A.D. 364 –425, Oxford, 1 ère éd. 1975. Cf. Ralph W. Mathisen, The Prosopography of the Later Roman Empire: Yesterday, Today and Tomorrow, in: Fifty Years of Prosopography (v. note 42), p. 26 et la recension du premier tome de la PLRE par le même Matthews dans Classical Review 24, 1974, p. 97. 48 Paul Petit, Les étudiants de Libanius. Un professeur de faculté et ses élèves au Bas Empire, Paris 1956 (Études prosopographiques 1) et André Chastagnol, Les fastes de la Préfecture de Rome au Bas-Empire, Paris 1962 (Études prosopographiques 2). On signalera que, sans relever du même mouvement éditorial ni du même moment scientifique, la préparation du tome de la PCBE consacré à l’Italie, a été accompagnée par plusieurs études de nature prosopographique sur la Campanie chrétienne, réalisées par l’une des auteurs des notices, J. Desmulliez. 49 Voir par exemple la première partie de l’ouvrage de R. Delmaire, Largesses sacrées et Res privata. L’aerarium impérial et son administration du IV e au VI e siècle, Rome 1989 (CEF 121) ou encore son travail complémentaire Les responsables des finances impériales au Bas-Empire romain, IV e–VI e s. études prosopographiques, Bruxelles 1989 (Collection Latomus 203). 50 Outre le livre déjà signalé d’Arnheim, cf. notamment Ch. Schäfer, Der weströmische Senat als Träger antiker Kontinuität unter den Ostengotenkönigen (490 –540 n. Chr.), St. Katherinen 1991. 51 Conformément à la capacité démontrée par l’approche prosopographique de mettre en évidence la cohérence des groupes sociaux et leur animation, Cf. K. Verboven / M. Carlieet / J. Dumolyn, A Short Manual to the Art of Prosopography (v. note 36), p. 45 – 46. Voir l’ouvrage de Matthews déjà mentionné et plus récemment M.R. Salzman, The Making of a Christian Aristocracy: Social and Religious Change in the Western Roman Empire, Cambridge (Ms) / Londres 2002. 52 A. Laniado, Recherches sur les notables municipaux dans l’Empire protobyzantin, Paris 2002 (Travaux et mémoires du Centre de Recherche d’Histoire et Civilisation de Byzance. Monographies 13). 53 Pour l’Afrique, on pense particulièrement aux travaux d’Y. Duval (Densité et répartition des évêchés dans les provinces africaines au temps de Cyprien, in: MEFRA 96, 1984, p. 493 – 521), Le clergé de Cirta au début du IVe siècle. Notes de prosopographie et d’histoire, in: Ch. Hamdoune (éd.), Ubique amici. Mélanges offerts à Jean-Marie Lassère, éd., Montpellier 2001, p. 309 – 340 ou encore aux études de S. Lancel, Évêchés et cités dans les provinces africaines (III e–V e siècles), in: L’Afrique dans l’Occident romain (I er siècle av J.-C.-IV e siècle ap J.-C.). Actes du colloque organisé par l’École Française de Rome sous le patronage de l’Institut National d’Archéologie et d’Art de Tunis (Rome, 3 –5 décembre 1987) (Rome 1990) (CEF 134), p. 273 –290.; id., Le recrutement de l’Église d’Afrique au début du V e siècle: aspects qualitatifs et quantitatifs, in: L. Holz /

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comme il est convenu de les nommer, constituent plus des travaux de références que de véritables métasources. A la différence des PIR, et en raison même de la différence des matériaux de références (épigraphie / sources littéraires entendues en un sens large) et de l’évolution sociétale qu’elle enregistre, la méthode prosopographique n’affirme pas sa fécondité dans les mêmes proportions. 54 Si donc l’intuition de Mommsen, d’abord médiocrement précisée, comme l’a montré W. Eck, a manifesté son extraordinaire efficience pour la période du HautEmpire, 55 il semble qu’elle n’a pas joué de rôle équivalent, en dépit de tous ses mérites, pour la période que ses promoteurs français ont étonnamment continué, non sans ambiguïté, à appeler le Bas-Empire. Au total, le mouvement impulsé par l’édition du Code Théodosien n’a pas confirmé toutes les options directrices de Mommsen ni sans doute répondu aux espoirs qu’il fondait pour la Wissenschaft, lui qui savait d’ailleurs qu’il ne verrait pas aboutir de son vivant la prosopographie à laquelle il consacrerait ses dernières forces. Pourtant le bilan demeure impressionnant, tandis que ses traits dominants, relevées il y a près de vingt ans par Croke, ont été nuancés par les publications les plus récentes. 56 Au gré des travaux qui se sont succédé en effet, les outils d’analyse du texte, dans ses différentes composantes, ont été considérablement perfectionnés. Grâce aux études s’attachant aux rouages de transmission J.-C. Fredouille, De Tertullien aux Mozarabes. I. Antiquité tardive et christianisme ancien (III e–VI e siècles). Mélanges offerts à Jacques Fontaine, membre de l’Institut à l’occasion de son 70 e anniversaire par ses élèves, amis et collègues, Paris 1992, (Études augustiniennes, Antiquité 132), p. 325 – 338. Le deuxième tome dédié à l’Italie a été également mis à profit par une membre de l’équipe de la PCBE, Cl. Sotinel, notamment dans Identité civique et christianisme: Aquilée du III e au VI e siècle, Rome 2005 (BEFAR 324). Pour une réflexion méthodologique relative à l’emploi de l’ontil prosopographique, voir encore V. Puech, La méthode prosopographique et l’histoire des élites dans l’Antiquité tardive, Revue historique 314, 2012, p. 155 – 168. 54 Je regrette de n’avoir pas eu accès à la totalité des remarques annoncées comme pouvant apparaître très personnelles („idiosyncratic“) du propre aveu (p. 83) de leur auteur T. D. Barnes, Prosopography and Roman History, in: K. S. B. Keats-Rohan (éd.), Prosopography Approaches and Application: a Handbook, Oxford 2007 (Prosopographica et genealogica 13), p. 83 – 95. 55 Cf. W. Eck, The Prosopographia Imperii Romani and Prosopographical Method, in: Fifty Years of Prosopography (v. note 42), p. 16 – 17. Rappelons que les PIR ont connu deux éditions: la seconde lancée en 1933 sous la direction de E. Groag et A. Stein, a connu une histoire difficile en raison de la barbarie nazie puis des contraintes imposées par le système communiste. Elle a été poursuivie après guerre par L. Peterson et a été portée jusqu’à la lettre T sous la direction de W. Eck (Berlin, de Gruyter, 2009). 56 B. Croke, Encounter (v. note 6), p. 228, estimait en effet que l’intérêt des scientifiques s’était déplacé „des problèmes textuels et chronologique vers la personnalité des juristes, la structure et le mode de compilation du Code ou vers le contexte idéologique et socio-économique“ dans lequel il fut élaboré. Mais les entreprises plus récentes, françaises et non plus anglo-saxonnes, de confrontation aux textes ont redonné une réelle actualité aux premières interrogations et suscité une interaction nouvelle entre ces tendances.

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des lois en effet, notre intelligence des modalités et des temporalités qui présidaient à l’information, à l’analyse et aux décisions gouvernementales dans un ensemble vaste et complexe se trouve décisivement enrichie. Dès lors, comme l’a bien montré J. Matthews, le Code transforme notre compréhension de l’identité même de l’Empire tardo-antique. Il ne se réduit pas à constituer un objet juridico-administratif, si élaboré soit-il, mais constitue l’une des réalisations majeures de l’histoire culturelle de cette période. Il relève en effet d’une opération audacieuse, et d’ailleurs révisée dans son ambition même, de codification. Un tel effort répond à un besoin éprouvé, au premier tiers du V e s., de produire un supplément de cohérence pour mieux signifier ce qui constitue, articule et distingue par excellence la société romaine. Cette récapitulation, hiérarchisée selon les axes thématiques (livre, titre) et l’ordre chronologique (dans chacun des titres 57) constitue donc l’un des témoignages les plus précieux qu’une culture pouvait donner sur la conscience qu’elle avait d’elle-même. Il revient à Mommsen, mieux que quiconque, d’avoir su en faire ressurgir l’intérêt au moment même où il énonçait le regret de n’avoir su lui-même se dédier totalement à l’étude d’une Antiquité tardive 58 dont il n’avait jamais méconnu l’importance des sources. 59

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CTh 1.1.5. Si l’on en croit ses confidents, W. Ramsay et Von Pastor. Cf. Croke, Encounter (v. note 6), p. 238. 59 Id., Theodor Mommsen and the Later Roman Empire, in: Chiron 20, 1990, p. 161 et 189. 58

Theodor Mommsen. Inauguraldissertation (1843) * Juristische Schriften Bd. 3 Berlin 1907, XXXIX S. 455 –466 **

Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Gisela Hillner I. Bemerkungen zu dem sogenannten Gesetz über die Amtsschreiber, Amtsboten und Herolde. 1 Die Beschaffenheit des Gesetzes über die Amtsschreiber, Amtsboten und Herolde hat niemand behandelt, obschon das Gesetz jedem, der sich mit der Antike beschäftigt hat, bekannt ist. Man stimmt darin überein, dies im Unsicheren zu belassen und das Alter durch Konjektur festzustellen. Nicht wenige Verdienste in unserem Fach wird sich also derjenige erwerben, der mit Gewissheit zeigen kann, wohin diese Überreste gehören, die doch auch nützlich sind, obschon sie vielen anderen keineswegs gleichgesetzt werden dürfen. Indessen 2 muss man nur richtig hinsehen, und das Folgende hätte auch in der zu beschreibenden Tafel niemandem außer dem völlig Unbeweglichen und Abgestumpften entgehen können. Aber diese fehlende Sorgfalt bei der Behandlung von antiken Zeugnissen ist überall verbreitet und beinahe üblich. So hat, um ein mit diesem Gesetz verbundenes Beispiel zu bringen, Spangenberg bei dessen kürzlich erfolgter Edition, – ich * [Ad legem de scribis et viatoribus et de auctoritate commentationes duae quas pro summis in utroque iure honoribus rite obtinendis auctoritate illustris Ictorum ordinis in Academia Christiana – Albertina die VIII. mensis Novembris a. MDCCCXLIII hora XI in auditorio maiori publice defensurus est Theodorus Mommsen Oldesloensis. Kiliae, ex Officina C. F. Mohr. 1843. 21 S. Theses 2 S. – S. 3 – 7 sind mit einigen (hier angemerkten) Abänderungen wieder abgedruckt in den Neuen kritischen Jahrbüchern für deutsche Rechtswissenschaft Jahrg. III Bd. 5 = Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft Jahrg. VIII Bd. 15, 1844, S. 475 – 476]. ** Die eckigen [...] Klammern bezeichnen dasjenige, was zu dem Text der Dissertation bei deren Aufnahme in die Juristischen Schriften hinzugesetzt worden ist. Zusätze der Übersetzung im Text stehen in geschwungenen Klammern {...}. 1 [C.I.L. I, 202 = C.I.L. I 2, 587. Bruns Fontes I 6 p. 90 n.12. Girard Textes 3 p. 65]. 2 [At ed. 2].

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halte mich zurück, Haubold dafür verantwortlich zu machen – bedenkenlos den Text der Lex Servilia Zeile 63, der von Scaliger aus der Luft gegriffen worden und wenige Seiten zuvor in der Lex Servilia an der richtigen Stelle ediert worden war, ebenfalls zu diesem Gesetz gezogen. Wenn wir also, was übersehen war, aufdecken, sind wir weit davon entfernt, die Ehre, wenn sie sich denn im Überfluss daraus ergeben wird, für uns zu beanspruchen. So bekennen wir, nur Tatsachen vorzustellen, die von alters her bekannt und jetzt in bedauerliche Vergessenheit geraten sind. Antonius Augustinus {Antonio Agostín}, dem Erzbischof von Tarragona, einem der ersten Männer seines Jahrhunderts, mit dem im unsrigen niemand zu vergleichen ist, haben wir diese Einsichten zu verdanken. In seinem Werk über die Gesetze nennt er dort, wo er von den unterschiedlichen Anfängen der Gesetze handelt (p. 12 editio princeps): „in tabula octava Corneliae de viginti quaestoribus {in der 8.Tafel der Lex Cornelia über die zwanzig Quaestoren}: PRINCIPIUM. FUIT. PRO. TRIBU“. (s. Frontinus de aquaeductibus c. 129); 3 mit diesen Worten beginnt keines der uns erhaltenen Gesetze außer diesem über die Amtsschreiber. Doch die Konjektur Agostíns ist kühn, vielleicht glücklich, aber keineswegs gesichert. Aufmerksam zu beachten ist Folgendes. Derselbe schreibt an Fulvius Ursinus am 11. November 1575 (der Brief befindet sich in den Opera, ed. Lucca Bd. VII [1772] p. 259), nachdem er über die beiden Gesetzestafeln gesprochen hatte, die in Capranica erhalten sind, nämlich von der oben genannten Tafel sowie von einem Plebiszit über die Einwohner von Thermä: „In quella tavola dove sono quelle parole PRINCIPIUM. FUIT. PRO. TRIBU., sono in margine queste note: VIII. DE. XX. Q.; le quali io interpreto: octava de viginti quaestoribus. Dunque in sette altre tavole era la prima righa delle parole, che mancano avanti queste parole PRINCIPIUM“. {Auf dieser Tafel finden sich dort, wo folgende Worte stehen: PRINCIPIUM. FUIT. PRO. TRIBU. auf dem Rand diese Angaben: VIII. DE. XX. Q.; das löse ich wie folgt auf: octava de viginti quaestoribus – die achte {Tafel} über die 20 Quaestoren. Also besteht in den sieben anderen Tafeln die erste Zeile aus den Worten, die vor diesen Worten PRINCIPIUM ... fehlen“.} Durch die Autorität eines höchst verlässlichen Mannes, der diese Tafel nicht nur einmal betrachtet hatte (s. epist. ad Ursinum vom 11. April 1567), wird alles verständlich und sicher. Wenn man sich nämlich auf den Satz von Tacitus 4 XI, 22 beruft: 5 lege Sullae XX. (quaestores) creati {nach dem sullanischen Gesetz sind zwanzig Quaestoren gewählt worden}, auf den sich, wie ersichtlich, 6 Agostín selbst berufen hat, dann haben wir vor uns die achte Tafel 7 der Lex Cornelia 3 4 5 6 7

[Allegationem Frontini om. ed. 2]. Tacitus, Annales. [wie Agostín ihn hinzugezogen hat: ed. 2]. [quae – vidimus om. ed. 2]. [cum particula prooemii {mit dem Bruchstück des Prooemiums} add. ed. 2].

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über die XX Quaestoren, die von Agostín, ich weiß nicht durch welchen Zufall, 8 unter den Leges Corneliae ausgelassen worden ist. Denn wenn eine Lex in Erz eingeätzt wurde und eine einzige Tafel allein nicht ausreichen konnte, ist man so verfahren, dass man mehrere Tafeln, die mit je zwei Kolumnen beschrieben waren, nebeneinander legte, jedoch das Exordium auf allen Tafeln fortschrieb, die auf diese Weise verbunden waren. Das wird deutlich in der griechischen Version des Monumentum Ancyranum, die kürzlich dort 9 gefunden worden ist. Die Zahl der Tafeln wurde außerdem am oberen Rand zwischen den Kolumnen notiert, wie bei der Lex Rubria zu sehen ist. Um welches Gesetz es sich handelt, ist hiermit gesagt; sein Inhalt ist sehr schwer zu erklären und wird von uns hier auch nicht erläutert werden. Generell ist die Rede von der Aufstockung des Amtes der Quaestoren; das stimmt sehr gut überein mit dem letzten Teil der Lex Quaestoria. Aber den Abschnitt über die Decurien der Amtsboten und Herolde verstehe ich nicht; die Quaestoren haben offensichtlich nicht jeder im eigenen Amtsjahr Amtsdiener ausgewählt, sondern diese in bestimmten Jahren für mehrere Jahre bestellt, damit, als dieser Gesetzesantrag eingebracht wurde, die Dekurien für die nächsten drei Jahre ausgestattet waren und so vom Konsul und nicht vom Quaestor eine außerordentliche Nachbenennung vorgenommen wurde. 10 In den einzelnen Dekurien, die bei der Staatskasse Dienst taten, scheinen zuvor je drei Männer gewesen zu sein, nach diesem Gesetz je vier. Wie viele Dekurien von Amtsboten und Herolden für die Quaestoren aber zur Verfügung gestanden haben sowie des weiteren, was deren Aufgaben waren in den Jahren, in denen sie den Quaestoren bei der Staatskasse nicht dienten, wissen wir nicht. Uns reicht es, eine Sache, die bisher zwar nicht unbekannt, aber doch nicht glaubwürdig war, aus diesem Gesetz zu beleuchten: nämlich den Termin, an dem die Quaestoren ihr Amt antraten. Das Gesetz sagt: quam decuriam viatorum (praeconum) ex noneis Decembribus primeis (secundeis, tertieis) quaestoribus ad aerarium apparere oportet oportebit. {dass die Dekurie der Boten (Herolde) ab den Nonen des Dezember des nächsten Jahres (übernächsten, dritten) den Quaestoren an der Staatskasse zur Verfügung stehen muss oder wird stehen müssen}. Primis ist zu verbinden mit nonis; denn oft ist im Gesetz die Rede von einer Auswahl, die ante Kalendas Decembres primas etc. vorzunehmen sei; primis ist nicht zu verbinden mit den quaestoribus, was einst ein Gelehrter für richtig gehalten hat, dessen Ausführung über diese komplizierte Materie wir mit Spannung erwarten. Dazu passt, dass die Quaestoren an den Nonen des Dezember ihr Amt angetreten haben, wie die Volkstribunen am 4. Tag vor den Iden des Dezember ihr Amt antraten. Das ist nicht neu, sondern steht unübersehbar geschrieben bei einem Autor von 8

[inter leges – omissae om. ed. 2]. [ibi om ed. 2]. 10 [s. C.I.L. I p. 110. Staatsrecht I 3, S. 337– 338]. 9

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sehr geringer Glaubwürdigkeit, bei dem, wie ich durch dieses heilsame Beispiel gelernt habe, doch nicht alles zu verachten ist. Bei den Worten Ciceros, in Verr. Act. I, 10, 30: P. Sulpicius magistratum ineat oportet Nonis Decembribus {P. Sulpicius muss sein Amt an den Nonen des Dezember antreten} hat Pseudo-Asconius fälschlicherweise an die Volkstribunen gedacht 11 (p. 141 Orelli). Aber der Scholiasta Gronovianus 12 bemerkt richtig (p. 395 Orelli): quaesturam intelligimus. Nam omnes ceteri magistratus Kal. Jan. procedebant, soli vero quaestores nonis Dec. {wir verstehen darunter die Quaestur. Denn alle übrigen Magistrate traten ihr Amt an den Kalenden des Januar an, allein die Quaestoren an den Nonen des Dezember}. Was er als zutreffend angenommen hatte, hat er selbst wieder verdreht; so haben Zumpt (zu dieser Stelle), Orelli (im Onomasticon {Tullianum} verbo P. Sulpicius), schließlich Drumann (V, p. 406, not. 17), der für viele steht, dessen Meinung entweder nicht beachtet oder zurückgewiesen. Wenn man das erkannt hat, erklärt sich auch die expectatio sortis bei Cicero, Catil. IV, 7, 15, die die verständigsten Männer verwirrt hat (s. Drumann V. p. 523, not. 33). Cicero spricht über die berühmten Nonen des Dezember, 13 an denen die Catilinarier zum Tode verurteilt worden sind: scribas item universos, sagt er, cum casu haec dies ad aerarium frequentasset, video ab expectatione sortis ad communem salutem esse conversos {Ich sehe, dass sich ebenso alle Amtsschreiber, da sie zufällig dieser Tag an der Staatskasse zahlreich versammelt hatte, sich von der Erwartung der Losauswahl ab- und dem Allgemeinwohl zugewandt hatten}. Wie ich vermute, wünschten die Quaestoren, dass die Provinzen, die manchmal nach der Designation, manchmal nach der Übernahme des Amtes zugewiesen wurden, an diesem Tag sogleich nach Amtsantritt verlost wurden. Denn sonst blieben natürlich, wie die Kandidaten selbst, so die Amtsschreiber sowie auch alle Amtsdiener im Ungewissen. Wir müssen nicht notwendigerweise annehmen, dass das Los sich auf die Zuweisung der Schreiber selbst zu den Quaestoren beziehe. Trotzdem möchte ich Drumann nicht einmal das konzedieren, dass bei der Verteilung der Schreiber das Los keine Rolle gespielt habe.

11 In den Scholien zu den Verrinen, die wahrscheinlich ein Grammatiker aus dem 5. Jh. verfasst hat und nicht Quintus Asconius Pedianus, Kommentator und Grammatiker, 9 v. Chr. – 76 n. Chr.. 12 In der Edition von Jakob Gronovius, 1645 – 1716. 13 5.12.63 v. Chr..

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II. Eine Abhandlung über die auctoritas §1 Von dem Begriff auctoritas wird in den antiken Gesetzen, wenn man den neueren Autoren Glauben schenken kann, in einer vollkommen eigenen Weise Gebrauch gemacht, insbesondere in den Zwölftafeln. Welche Bedeutung zu Grunde liegt, entscheiden die Gelehrten; unsere Absicht ist es gewesen, die Sache zu erörtern. Aber obwohl wir in diesem Streit für den Beklagten auftreten, nicht die Rolle des Richters übernehmen, werden wir keineswegs so handeln wie die allzu geschwätzigen Herren, die die ganze actio mitsamt aller Einreden noch einmal durchnehmen. Überzeugt davon, dass es dem gewöhnlichen Rezensenten nicht einfallen wird, aus meinem, wie auch immer gearteten Vortrag die Meinungen anderer zu entnehmen, werden wir einfach unsere Meinung darlegen, ohne alle Widerlegung, außer wir haben vielleicht statt einer Widerlegung Geeigneteres vorgelegt. Ein auctor ist derjenige, der gehandelt hat, auctoritas die Beschaffenheit dessen, der gehandelt hat. Plautus Trinummus I, 2, 180 14 {217}: Quodsi exquiratur usque ab stirpe auctoritas, Unde quidque {quidquid} auditum dicant, nisi id appareat, Famigeratori res sit cum damno et malo. {Aber wenn die auctoritas immer von Grund auf erforderlich ist zu allem, was vom Hörensagen weitergegeben wird, dann soll, wenn es sich nicht als evident erweist, die Angelegenheit dem Schwätzer Schaden und Verlust bringen}.Wer aber gehandelt hat, wird verpflichtet, Rechenschaft abzulegen, warum er gehandelt hat, und wird einen dadurch entstandenen Schaden ersetzen. So sagt man, zum auctor gehöre, bestraft und belohnt zu werden. Diesen Sprachgebrauch des allgemeinen Lebens finden wir ebenso im Recht, sogar genauer und viel vollkommener. Wie im allgemeinen Gebrauch mein auctor derjenige ist, der mich gezeugt hat, so ist im Recht, dessen Grundlage und gleichsam Leben das Eigentum ist, mein auctor derjenige, der mich zum Eigentümer gemacht hat. Da er aber erklärt hat, er mache mich zum Eigentümer, hat er auch dafür einzustehen, dass die Sache die meine ist, und daher ist im Recht, weil dort diese Kraft, für einen Schaden einzustehen, schon aus sich selbst hervorgeht, die im gewöhnlichen Leben aus Verbindungen erworben wird, auctor derjenige, der für die Eviktion der Sache einsteht. (Plautus, Curculio IV, 2, 12; Cicero, in Verrem, II, 5, 22, 56; Dirksen, s.v. manumissio § 5).

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Hier und im weiteren Text zu Zahlenangaben in geschwungenen Klammern: Da nicht festzustellen ist, welche Ausgaben der Klassischen Literatur Mommsen benutzt hat, sind nach den Zitaten Mommsens in geschwungenen Klammern die Literaturangaben aus Perseus Digital Library [Tufts University] gesetzt, falls die Angaben differieren, da die Literatur dort für jeden zugänglich ist.

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Auctor wird sogar nicht nur derjenige genannt, der auf Grund der Veräußerung einer Sache für Eviktion einstehen muss, sondern jeder beliebige, der für Eviktion einsteht, obschon er nicht Eigentum übertragen hat, wie z. B. ein Bürge, den man im Allgemeinen einen auctor secundus nannte (l. 4 pr. D. de evict. XXI, 2, {D.21.2.4} und zu dieser Stelle Glück, Commentar XX, 178, not. 48). So hat man, nachdem die ursprüngliche Bedeutung in Vergessenheit geraten war, damit begonnen, einen völlig neuen und der alten Bedeutung manchmal entgegengesetzten Sinn dem Begriff auctor zuzuschreiben. Seltener zwar wird so {in diesem anderen Sinn} auctoritas gebraucht, aber trotzdem findet man auctoritas in dieser Bedeutung. Seneca, der die Eigenart der Worte genauestens beachtet, sagt, jemand verspreche auctoritatem (naturales quaestiones IV, 3,2) {Posidonius ... auctoritatem promittit}. Von den Unsrigen aber nennt Papinian das Versprechen auf das Doppelte stipulationem auctoritatis (Vaticana Fragmenta § 10) und Paulus sagt (Sententiae Receptae II, 17, 1): auctoritatis manet obnoxius (wo Schulting ersetzt actioni, Salmasius auctoritati wieder einsetzt) und kurz darauf § 3: auctoritatis venditor obligatur (s. Glück, XX p. 180, n. 49). In den Büchern unseres Faches findet sich zwar der Ausdruck defugere auctoritatem nicht, sondern nur bei den Autoren, die für jedermann geschrieben haben, aber trotzdem ist doch sicher das Wort defugere geradezu so zu lesen in l. 39 in f. D. de evict. {D.21.2.39} und in l. 139 D. de V. O. {verborum obligationibus} XLV, 1 {D.45.1.139}; diejenigen, bei denen diese Wortverbindung vorkommt, werden sie im übertragenen Sinn gebrauchen: Plautus, Poenulus I. 1, 19 {147}. Terentius, Eunuchus II, 3, 99 {390}. Cicero, pro Sulla 11 {33} 15. – Schließlich wird auch bei Erweiterung der Bedeutung dieses Wortes nicht nur die Haftung für Eviktion, sondern die actio de evictione selbst auctoritas genannt: Venuleius l. 76 D. de evictione {D.21.2.76}: Si alienam rem mihi tradideris et eandem pro derelicto habuero, amitti auctoritatem, id est actionem pro evictione, placet. {Wenn du mir eine fremde Sache übergeben hast und ich dieselbe als eine de15 Hierzu sind auch anzuführen die Worte von Seneca pater: Controversiae VII, 21 [7,6,23 p. 329, 10 ed. H. J. Müller]: relegamus auctoritatis tabellas: furtis noxaque solutus{wir wollen die Listen zur auctoritas zurücknehmen. Dann bist du frei von der Haftung für Diebstahl oder Schaden}. Die Verkaufslisten werden hier als zur auctoritas gehörig genannt, weil das, was vom auctor zu leisten war, zugleich in diese aufgenommen und sogar angegeben werden musste. In gleicher Weise bezieht sich das in l. 43pr. de pign. act.XIII,7 {D.13.7.43} vorkommende instrumentum auctoritatis auf den Umfang des Ackers, dessen auctor zu sein der Verkäufer dem Käufer schriftlich erklärt hatte. s. Cicero pro Tullio §17: Neque dum fines auctor demonstraverat. {Auch hatte der auctor noch nicht die Grenzen angegeben}. Paulus, Sententiae Receptae II, 17, 4. An keiner der beiden Stellen ist anzunehmen, es sei von auctoritas de dominio die Rede. – Die Rubrica de contrahenda auctoritate bei Paulus Sententiae Receptae V,10 ist unverständlich; vielleicht tritt die auctoritas nicht allein bei der Übertragung von Eigentum ein, um für Mängel einzustehen, sondern umfasste jede beliebige Leistung für einen Schaden. So soll derjenige, der auctoritas für einen künftigen Schaden versprochen hat, dies vertraglich vereinbart haben – er übernahm die Gewähr.

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relinquierte in Besitz habe, ist es richtig, dass die auctoritas, d. h. die actio pro evictione, verloren geht}. Auctoritas ist also die Beschaffenheit desjenigen, der, weil er manzipiert oder verkauft hat, zur Eviktion und zum Ersatz der Mängel einzustehen verpflichtet ist. Das Wort bezeichnet nicht das Eigentum, nicht einmal an folgender Stelle bei Cicero, de haruspicum responsis 7,14: Multae sunt domus in hac urbe atque haud scio an paene cunctae iure optimo, sed tamen iure privato, iure hereditario, iure auctoritatis, iure mancipi, iure nexi. {Es gibt viele Häuser in dieser Stadt, und vermutlich fast alle nach dem ius optimum, aber jedenfalls doch nach dem ius privatum, dem ius hereditarium, dem ius auctoritatis, dem ius mancipi – dem Recht der der Manzipation fähigen Sachen – oder dem ius nexi – dem Recht der durch Libralakt begründeten Haftung}. Salmasius (de usuris p. 211) erklärt das ius auctoritatis aus dem bonitarischen Eigentum: derjenige nämlich, der eine Sache in seinem Vermögen hat, habe bis zur Ersitzung nicht sie selbst, vielmehr habe die Sache nur der auctor. Das ist richtig; aber die Häuser, die nach dem Recht der auctoritas die unsrigen sind, ordnet Cicero den Häusern zu, die nach dem ius optimum in Besitz genommen sind; er setzt denjenigen Häusern, die nur mit dem ius privatum ausgestattet sind, sein eigenes Haus entgegen, das gleichsam durch öffentliches und heiliges Recht geschützt werde. Deswegen wird das ius auctoritatis richtig bezogen auf das Eigentum nach dem ius Quiritium. Aber dass auctoritas dieses Eigentum bezeichnet, ist so fernliegend, dass ich vielmehr vermute, es liege hier nichts zugrunde außer der Verpflichtung des auctor, die Sache zu verteidigen,. Denn diejenigen, die nach dem ius privatum, d. h. nach dem ius Quiritium ein Haus besitzen oder kraft Gesetzes oder Testaments ein Haus nach dem ius hereditarium übernommen oder es gekauft haben, werden auch durch auctoritas, Manzipation und die durch Libralakt begründete Haftung geschützt. Cicero hat, wortreicher als genau, einerseits Ähnliches, andererseits Verschiedenes miteinander verbunden und das Ganze mit seinen Teilen in eine einzige Ordnung gebracht, wie er es getan hat bei den Prozessen des Zentumviralgerichts in de Oratore I, 38 {173}; niemand sollte aus dieser rhetorischen Nachlässigkeit eine neue Bedeutung des Wortes ableiten. §2 Was auctoritas an anderen Stellen bedeutet, haben wir untersucht. Damit stimmt überein, dass das Wort ebenso in den antiken Gesetzen gebraucht wird. Wir werden darüber handeln, wenn wir gesehen haben, wofür der Verkäufer nach altem Recht dem Käufer einzustehen hatte. 16 Denn das steht hinreichend 16 Ich gebe zu, dass in dieser Sache durch die Gelehrsamkeit und den Scharfsinn von Mayer einiges vorweggenommen worden ist (Litiscontestation I, 135 – 140), zumal das,

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fest, dass derjenige, der durch Manzipation übereignete, denjenigen verteidigen musste, der durch Manzipation erworben hatte. Doch Cicero sagt (Topica, 10, 45): Finge mancipio aliquem dedisse id quod mancipio dari non potest; num idcirco id eius factum est qui accepit? aut num is qui mancipio dedit ob eam rem se ulla re obligavit? {Angenommen, jemand hat durch Manzipation übereignet, was nicht durch Manzipation übereignet werden konnte. Ist dies nun also in das Eigentum des Empfängers übergegangen? Oder ist derjenige, der durch Manzipation übereignet hat, in irgendeiner Weise wegen dieser Sache eine Verpflichtung eingegangen?} Es ist hier aber nicht die Rede von fremden oder sakralen Gegenständen, bei denen eine Manzipation, die nicht vom Eigentümer vorgenommen wurde, keineswegs ungeahndet blieb; es ist die Rede von den Sachen, quae mancipio dari non possunt {die durch Manzipation nicht übereignet werden können}, von wem auch immer, also von denjenigen Sachen, die der Manzipation nicht zugänglich und res nec mancipi sind. Derjenige, der sie manzipiert, nimmt keinen Rechtsakt vor. Viele negieren das jetzt, getäuscht dadurch, dass nicht die juristischen Autoren, sondern andere Schriftsteller das Wort manzipieren bisweilen für jegliche Veräußerung missbrauchen, was aus der folgenden Stelle eine gewisse Rechtfertigung zu empfangen scheint; vgl. auch Ulpian XIX, 3;7. arg. l. 8pr. D. de acceptil. XLVI. 4.{D.46.4.8}. Dem stimmt Boethius als antiker Interpret dieser Stelle zu: Si quis rem nec mancipi mancipaverit, num idcirco rem alienavit aut se reo (scribe eo) facto potuit obligare? {Wenn jemand eine Sache, die nicht manizipierbar ist, manizipiert, hat er dann das Eigentum an der Sache übertragen oder sich durch diese Tatsache verpflichten können?} Was derjenige leisten muss, der durch Manzipation übertragen hat, legt Cicero dar (pro Murena, 2, 3) {3}. Er sagt: Quodsi in iis rebus repetendis, quae mancipi sunt, is periculum iudicii praestare debet, qui se nexu obligavit, profecto etiam rectius in iudicio consulis designati is potissimum consul, qui consulem declaravit, auctor beneficii populi Romani defensorque periculi esse debebit. {Wenn also bei den der Rückforderung unterliegenden Sachen, deren Übereignung die Manzipation erfordert, derjenige das Risiko des Prozesses auf sich nehmen muss, der sich durch Libralakt verpflichtet hat, so sollte doch sicherlich erst recht in einem Gerichtsverfahren gegen einen designierten Konsul vor allem derjenige Konsul, der ihn zum Konsul erklärt hat, der auctor für ein wohlwollendes Urteil des römischen Volkes und der Verteidiger gegen das Prozessrisiko sein}. Der auctor also hat für das Risiko des Prozesses über eine manzipierte Sache einzustehen. Weil jedoch der auctor als Verteidiger des Eigentümers – wenn was zur Stipulation des Doppelten gesagt werden wird. Aber um nicht den Gang der zu der Zeit, als ich Mayers Buch erhielt, schon fertiggestellten Disputation zu stören, habe ich alles an seiner Stelle belassen. Und es ist auch an sich nicht ohne jedes Gewicht, auf verschiedene Weise dasselbe zu demonstrieren.

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er auch zur Zeit Ciceros von altersher noch vorhanden ist – dann nicht mehr vorhanden sein kann, wenn mit Sukkumbenzgeld prozessiert wurde, wird er deswegen zu einem Bürgen des Prozesses und der Eigentumsklage geworden sein. So betraf ihn das Risiko des Prozesses, denn um das Sukkumbenzgeld wurde nur der Form halber gestritten. Aber es geht noch weiter: Denn er ist nicht von Rechts wegen Bürge gewesen, sondern ist gezwungen worden, die Haftung zu übernehmen. Wir wollen sehen, wie er im Weigerungsfalle bestraft worden wäre. Die Grundlage für die Haftung war für den auctor das Zwölftafelgesetz. Cum nexum faciet mancipiumque, uti lingua nuncupassit ita ius esto (Dirksen, VI, 1) {Wenn jemand durch ein Libralgeschäft eine Haftung übernimmt und eine Manzipation vornimmt, so soll das rechtens sein, was er mündlich erklärt hat}. Das heißt, der auctor musste sowohl die Sache zum Eigentum dessen machen, dem er sie durch Manzipation übereignet hatte, als auch die Sache in der von ihm bezeichneten Beschaffenheit leisten, z. B. Land zu uneingeschränktem Recht, mit einer bestimmten Anzahl von Jochen (s. Paulus, Sententiae Receptae II, 17, 4), frei von Fehlern. Tat er das nicht, traf ihn die Strafe des Doppelten. Cic. de officiis. III, 16, 65 {65}: Ex XII satis erat ea praestari, quae essent lingua nuncupata, quae qui inficiatus esset, dupli poenam subibat. {Nach dem Zwölftafelgesetz genügte es, das zu leisten, was mündlich erklärt worden war; wer das nicht anerkannte, bezahlte die Strafe des doppelten Wertersatzes}. s. l. 48 D. de pact. II, 14. {D. 2.14.48}: Feierlich und gleichsam erhaben schien die Formel für die Manzipation; hatte jemand sie verletzt, sei es bewusst oder unbewusst – das nämlich unterschied das ius antiquum nicht –, so war das sein Risiko. Da aber in der Manzipationsformel, so wie diese überliefert ist, der Veräußerer weder etwas Bestimmtes sagt noch überhaupt spricht, so vermute ich, dass nur die Worte des Erwerbers überliefert, diejenigen Worte aber verloren sind, mit denen der Veräußerer vorher, wie Cicero a. a. O. sagt: nexu se obligabat {sich durch den Libralakt verpflichtete}. Das ist das nexum mancipiumque der Zwölftafeln. Wie es sich auch immer damit verhält, die Sache selbst ist unstrittig. Wenn derjenige, der manzipiert hatte, weder der Eigentümer noch bereit war, den Prozess zu übernehmen, dann erging ein eigenes Urteil auf Zahlung des Doppelten, woran noch Paulus erinnert: Paulus, Sententiae Receptae, II, 17, 3: Res emta mancipatione et traditione perfecta si evincatur, auctoritatis venditor duplotenus obligatur. {Wird eine verkaufte Sache, nachdem die Manzipation und die Übergabe vollzogen ist, evinziert, so wird der Verkäufer auf Grund der auctoritas verpflichtet, den doppelten Kaufpreis zu entrichten}. Es ist offensichtlich, dass die ganz singuläre Lesart des Codex Vesontinus, zu dessen Autorität Savigny (System II, p. 553) zu vergleichen ist, nämlich: nullatenus, von Cujaz zu Unrecht verteidigt wird (Observationes, XXI, 15). Duplotenus weisen alle Codizes von Haenel auf, und die Regeln der Textkritik erfordern dies auch.

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Was die Ausdrucksweise mancipatione et traditione perfecta angeht, so hüte man sich davor, sie alternativ, wie sie klingt, zu verstehen und so zu lesen, als sei die Rede von res mancipi, die manzipiert sind, und den res nec mancipi, die tradiert sind. Denn von den bloß traditis {rebus} handelt Paulus § 2. So bestätigen diese Worte von Paulus, was wir oben schon dargelegt haben, und sie zeigen, dass wir zu Recht nicht nur wegen der Ableugnung allein eine doppelte Strafe angenommen haben. Außerdem geht aus diesen Worten der Name des Prozesses hervor, der iudicium auctoritatis gewesen ist. Dessen Überreste haben wir wohl in den Gesetzesformeln: Quando In Iure Te Conspicio Postulo An Fuas Auctor (s. Ballhorn-Rosen über dominium, p. 268, not. 80); denn Cicero sagt in pro Caecina 19, 54: „actio est in auctorem praesentem his verbis: Quandoque te in iure conspicio“. {Die actio gegen den bei Gericht anwesenden auctor findet mit den Worten statt: Wenn ich dich vor Gericht sehe}. Ich habe in Friedrich Ludwig von Kellers Semestrium, L II, p. 481, das mir heute zugeschickt worden ist, gesehen, dass dort alle Codizes auctorem haben und keiner actorem. Quandoque ist richtig und bezeichnet et quando; denn vorausgegangen ist z. B. Quando tu mihi agrum vendidisti {wenn Du mir Land verkauft hast und ...}. Die auctoritas und die Verpflichtung auf Grund der auctoritas war der mancipatio eigentümlich. Bei der traditio benutzte man keine Formel und deswegen wurde nicht ohne weiteres wegen Eviktion gehaftet. So leitet Cicero, pro Murena 2 {3}, nicht ohne Grund das Risiko eines Prozesses von der durch Libralakt begründeten Verpflichtung ab; zu dieser Verpflichtung sagt er, dass diese notwendigerweise nur bei den res mancipi vorkomme. Nicht ohne Grund bezeichnet er in de Haruspicum responsis 7 {14} denjenigen als einen Besitzer nach bestem Recht, der nach dem Recht der auctoritas besitzt; von demjenigen, der eine Sache nur in seinem Vermögen hat, sagt er, dieser entbehre der auctoritas und des auctors. Deswegen hat auch Plautus, Curculio IV 2, 12 {Akt V, 494} gesagt, von einem Kuppler werde zwar gekauft, aber nicht durch Manzipation erworben, sodass ein solcher für niemanden ein auctor sein kann: Nec vobis auctor ullus est nec vosmet estis ulli. {Für euch gibt es keinen auctor, und ihr seid auch für niemanden auctor}. Weil die auctoritas zur Manzipation gehört, ist sie schließlich mit dieser aus den Digesten verschwunden. Außerhalb der Digesten ist sie allenthalben noch vorhanden. Die auctoritas und die Haftung für Eviktion, die wir oben dargestellt haben, unterscheiden sich voneinander dergestalt, dass diese zur Veräußerung nach dem ius naturale, jene zur Veräußerung nach dem ius civile gehört, obschon die auctoritas nicht selten weniger ausschließlich gebraucht wird. Zusammengefasst: die Verpflichtung des Verkäufers, den Käufer zu verteidigen, die sich unmittelbar aus der Manzipation ergibt, muss bei der Veräußerung durch traditio durch einen eigenen Vertrag geschaffen werden. So wird im Persa des Plautus dort, wo der Verwalter angewiesen wird, eine gestohlene Sklavin zu verkaufen, hinzugefügt: Suo periculo is eam emat, qui mercabitur; Mancupio

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neque promittes neque quisquam dabit. {Auf eigenes Risiko soll derjenige sie kaufen, der mit ihr Handel treiben wird; hinsichtlich einer Manzipation wirst du weder ein Versprechen abgeben, noch wird jemand deswegen übereignen} (IV, 3, 55/56) {524 –525}. Darum sagt der Verwalter beim Verkauf: Prius dico, hanc mancupio nemo tibi dabit. {Ich sage dir vorweg schon: niemand wird sie dir durch Manzipation übereignen}. (IV, 4, 40, {589} s. 113). Damit also der Verkäufer von dem Risiko frei ist, reicht es, die Sklavin nicht durch Manzipation zu übereignen, sondern einfach zu übergeben, ohne dass irgendein Vertrag über das zu übernehmende Risiko hinzugefügt wird. Denn der Verkäufer würde, auch wenn er nicht durch Manzipation übereignete, trotzdem, wenn er durch Manzipation verspräche, d. h. wenn er anbieten würde, die Sklavin zu einer Sache des Käufers zu machen, aus dem Vertrag haften. (das mancipium ist nämlich Eigentum, s. Lukrez III, 971 und Cicero ad familiares VII, 29 {Curius an Cicero}, 30 {Cicero an Curius}.) Dasselbe wird noch undeutlicher in Curculio IV, 2, 8 {494} bezeichnet, wo der Verkäufer, nachdem die Sache übergeben worden ist, sagt: memini {ich erinnere mich} – nämlich, dass ich wegen Eviktion den einfachen Kaufpreis versprochen habe – et mancupio tibi dabo {ich werde dir durch Manzipation übereignen}, damit du dann das Doppelte fordern kannst. Nun wird jedermann deutlich sein, dass der Vertrag, der bei der traditio die auctoritas sofort eintreten ließ, die Stipulation des Doppelten beinhaltet, wie es anders zu erklären sehr schwierig ist. Sie wird zu der Zeit anerkannt worden sein, in der die actio emti venditi aus dem bloßen Konsens noch nicht gegeben war; denn damals war der Käufer bei den der Manzipation nicht fähigen Sachen ohne jeglichen Schutz gewesen, wenn er sie nicht zufällig auch durch Manzipation bekommen hatte. Jedoch hätte dies unseres Erachtens nicht geschehen können. Auf das Doppelte aber pflegte die stipulatio duplae eingegangen zu werden, damit die traditio der mancipatio gleichkam. Diese Vermutung für den Ursprung des doppelten Wertersatzes wird die Wahrscheinlichkeit für sich haben durch den Nachweis, dass seit diesen Verkäufen, die nicht durch Manzipation begründet wurden, die Verdoppelung begonnen hat. Dies ist auch an und für sich wahrscheinlich, da durchaus ein iudicium auctoritatis ausreichte, wenn mit aes und libra agiert worden war. Und das ist gewissermaßen auch schon geschehen bei der Interpretation des Plautus-Textes. Aber über jeden Zweifel erhaben zeigen das die Worte Varros, Rerum rusticarum de agri cultura II, 10, 5: In servorum emtione solet, si mancipio non datur, dupla promitti, aut, si ita pacti, simpla {beim Kauf von Sklaven wird, wenn nicht durch Manzipation übereignet wird, gewöhnlich das Doppelte versprochen oder der einfache Betrag, wenn es so vereinbart ist}. Dasselbe scheint zu Grunde zu liegen in l. 37 § 1 de evict.{D.21.2.37.1}: Quod diximus duplam promitti oportere, sic erit accipiendum, ut non ex omni re id accipiamus, sed de his rebus quae pretiosiores essent, si margarita forte aut ornamenta pretiosa vel vestis serica vel quid aliud non contemtibile veneat.

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Per edictum autem Curulium etiam de servo cavere venditor iubetur. {Was unsere Aussage betrifft, es müsse das Doppelte versprochen werden, so muss das so aufgefasst werden, dass wir dies nicht bei jeder Sache annehmen, sondern nur bei den Sachen, die besonders kostbar sind, wie z. B. bei einer Perle oder kostbarem Schmuck oder Seidenkleidern oder was sonst noch an Kostbarkeiten zum Verkauf kommt. Durch das kurulische Edikt aber wird dem Verkäufer auferlegt, auch bei einem Sklaven diese Garantie zu geben}. Dazu ist Zweierlei zu notieren, womit ich diesen einen Teil des Kommentars abschließen werde. Zunächst zu dem, was Ulpian sagt, duplam promitti oportere {dass der doppelte Preis versprochen werden müsse}, d. h. nach dem neuesten Recht, das hervorgegangen ist aus jener Regel, der zufolge, was Sitte und Gewohnheit ist, in den nach der bona fides zu entscheidenden Prozessen eingeht (l. 31 § 20 D. de aed. ed. XXI, 1 {D. 21.1.31.20}). Grundlage des Doppelten ist immer ein Vertrag gewesen, der aber später stillschweigend zustande kam, sodass man aus dem Kauf klagen konnte, als sei ihm eine formlose Abrede hinzugefügt worden, sei es zur Befestigung der Abrede durch Stipulation (l. 2. 37 D. de evict. {D.21. 2. 37}), sei es insbesondere zu deren Ergänzung (Paulus, Sententiae Receptae II, 17, 2). Ferner: Ulpian bezieht an dieser Stelle die Stipulation auf das Doppelte zuerst auf die res nec mancipi und zwar so, dass er bei der Aufzählung der kostbarsten Güter das Ackerland und die mancipia geflissentlich auslässt. Das wird nicht zufällig so geschehen sein. Sodann fügt er hinzu, dass sich die Stipulation nach dem aedilitischen Edikt auch auf Sklaven beziehe. Darüber haben wir nichts zu sagen. Entweder haben die Aedilen in ihrem Edikt etwas zu denjenigen Sklaven gesagt, die nicht durch aes et libra übergeben worden waren. Wenn also Ulpian an dieser Stelle dies zunächst so mitgeteilt hat, so hat er doch in ausführlicher Darstellung die Stipulation des Doppelten auf die Verträge beschränkt, die der Manzipation entbehren. Oder es ist vielmehr auch bei der Manzipation schließlich die Stipulation des Doppelten zugelassen worden, die allerdings viel einfacher als die Förmlichkeit des Libralaktes die Hinzufügung formloser Abreden zuließ. Wer das als richtig erachtet, hat damit die Erklärung dafür, warum der Libralakt verloren gegangen und die Stipulation des Doppelten an die Stelle des Libralaktes getreten ist, nach dessen Vorbild die Stipulation einst geformt und ausgebildet worden war. 17

17 [Die hier skizzierten Gedanken sind später in breiterer Ausführung entwickelt worden. Vgl. besonders Eck, Die Verpflichtung des Verkäufers zur Gewährung des Eigentums, 1875. Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht, I (1876) bes. p. 102 – 154. 318 – 328. 361 – 416. Girard, Nouvelle Revue historique de droit français et étranger 1882 p. 280 – 318. 1883 p. 537 – 592. 1884 p. 396 – 430. Manuel 4, 1906 p. 552sq. Rabel, Die Haftung des Verkäufers wegen Mangels im Rechte, Leipzig 1902, p. 5 –163.]

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§3 Nachdem wir die Bedeutung der auctoritas und ihre Wirkung im Recht kennen, bleibt noch übrig, die Gesetze selbst zu erklären. I. Usus auctoritas fundi biennium esto, ceterarum rerum annus (Dirksen VI, 3) {die Ersitzung und die auctoritas sollen bei Grundstücken zwei Jahre, bei den übrigen Sachen ein Jahr betragen}. Nach unserer Interpretation des Wortes sagt das Gesetz: Der Käufer hat ein Grundstück zwei Jahre in Besitz, der Verkäufer gewährt ihm so lange die auctoritas und haftet für die Eviktion. Bei den übrigen Sachen tritt ein Jahr an die Stelle von zwei Jahren. Obschon dies einen optimalen Sinn ergibt, so ist doch die allgemeine Erwähnung von ceterarum rerum anstößig. Denn wenn wir sagen würden, die res nec mancipi seien keine unter das ius civile fallenden Sachen und deswegen sei mit Selbstverständlichkeit bei den res an sie nicht gedacht, so würden wenige oder auch niemand zustimmen. Anstößig ist weiterhin das Schweigen über die usucapio. Denn obschon die Autoren darin übereinstimmen, dass die usucapio durch dieses Gesetz bekräftigt worden sei, erscheint doch nur die Ursache für die usucapio, von der usucapio selbst aber keine Spur. Ich vertraue darauf, dass diese Zweifel ausgeräumt werden können, wenn man nur auf Grund der Anordnung der Gesetze, wie Dirksen sie trefflich vorgenommen hat, argumentieren darf. Denn wenn er auch hat irren können, so ist doch an Fragen dieser Art entweder überhaupt zu verzweifeln, oder sie sind aus einer bestimmten Anordnung der Gesetze zu beantworten. Die Decemviri, die am Anfang von Tafel VI vom nexus und dem mancipium gesprochen haben: – was der nämlich tun musste, der durch Manzipation übereignet hatte –, haben sodann aus der Einsicht heraus, dass nach vollzogener usucapio der Käufer sicher sein konnte und die auctoritas für ihn weiter nicht nötig war, die Frist hinzufügen wollen, mit deren Ablauf der auctor befreit wurde. Das ist durch diese Worte geschehen. Deswegen war es nicht nötig, die res nec mancipi auszunehmen. Denn am Anfang war nur von der Manzipation gesprochen worden. Weil sie sodann den Endpunkt der usucapio nicht ihrerseits bestimmen, sondern das, was schon lange in Gebrauch war, zur Anwendung bringen wollten (Dirksen, Zwölftafelfragmente, S. 420; Zimmern, Rechtsgeschichte I, 839, n. 33), was hätte man dann noch über die usucapio selbst sagen sollen? Weil Rechtsgelehrte eher nach dem Gesetz als nach der Gewohnheit vorgehen, haben sie später die Fristen der usucapio aus diesen Worten entnommen und diese Allegation in ihre Compendien aufgenommen. II. Adversus hostem aeterna auctoritas {Gegenüber dem Fremden ist die auctoritas unbefristet}.

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Die Stelle, an der dieses Gesetz gestanden hat, ist völlig unsicher (Dirksen, a. a. O. p. 104. 222); deswegen kann ich eine bestimmte Erklärung nicht geben. Über das ius postliminii, die Rückkehr in das frühere Rechtsverhältnis, scheint in dem Gesetz nichts bestimmt zu sein. Es ergab sich derart aus der innersten Natur des römischen Rechts, dass es eines Gesetzes nicht bedurfte. Es gibt zwei sonstige Interpretationen, von denen ich meine, dass sie der Wahrheit nahe kommen. Wenn ein Römer einem Peregrinus eine Sache verkauft hatte, verlangte dieser, da er sie nicht ersitzen konnte, einen dauerhaften Schutz: das ist adversus hostem aeterna auctoritas; einem Peregrinus soll der Verkäufer auf Dauer für Eviktion haften. Adversus in diesem Zusammenhang bedeutet: in Beziehung auf, insofern als {er ein Peregrinus ist}. Für diese Bedeutung gibt es zwar Belegstellen (Dirksen, s. v. § 2), aber sie kommt doch recht selten vor, so dass vielleicht ein anderes Verständnis mehr Zustimmung finden wird. Angenommen, ein Bürger hat einem Bürger etwas verkauft, der gegen einen Peregrinus zu verteidigen ist. Da für die Peregrini die römischen Gesetze nicht gelten, ist die Einrede der Ersitzung im recuperatorischen Prozessverhältnis nicht zugelassen, sodass der Verkäufer gezwungen war, den Käufer gegen den Peregrinus nicht bloß zwei Jahre, sondern auf Dauer zu verteidigen. So wird adversus nach üblicher Bedeutung aufgefasst. Wie dem auch sei, es gibt keinen Grund dafür anzunehmen, die auctoritas habe hier nicht dieselbe Bedeutung wie sonst. III. Quod subreptum erit, eius rei aeterna auctoritas esto. {Bei einer gestohlenen Sache sei die auctoritas unbefristet}. So stand es nach Gellius XVII, 7 in der Lex Atinia geschrieben, die nicht in das Jahr 557 gehört (denn Livius XXXIII, 22 hat keinen Beweiswert), sondern in das Ende des 6. Jh., als Scaevola, Brutus, Manilius, die Rechtsgelehrten des beginnenden 7. Jh. (Zimmern, Rechtsgeschichte I, S. 276) darüber disputierten, ob das Gesetz nur für einen später begangenen Diebstahl gelte oder sogar anzuwenden sei auf einen vorher verübten Diebstahl. In dieser Zeit war das Gesetz also neu. Im Übrigen bedarf dieses Gesetz keiner Erklärung. Gesagt werden muss aber, welche Verbindung zwischen diesem Gesetz und dem Abschnitt im Zwölftafelgesetz besteht, der die Ersitzung einer gestohlenen Sache verbietet. Nicht richtig ist, dass die Lex Atinia nur die Wiederaufnahme eines älteren Gesetzes ist; es hätten dann die gelehrtesten Männer sinnlos darüber gestritten, ob das Gesetz auf zuvor begangene Taten Anwendung finde. Ebenso suchen diejenigen, die gestohlene Sachen von heimlich entwendeten unterscheiden, einen Knoten in Binsen {sie finden Schwierigkeiten, wo es keine gibt}. 18 18

Nodum in scirpo quaeris – Erasmus, Adagia 2.4.76.

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Die Sache verhält sich ganz anders. Als die Decemviri bei den eine Strafe bestimmenden Gesetzen die Ersitzungsunfähigkeit gestohlener Sachen festsetzten, bemerkten sie nicht, dass das allgemeine Gesetz über die Befreiung des auctors nach einem Jahr sich auch auf gestohlene Sachen bezog. Daher hatte zwar die usucapio gestohlener Sachen keine Geltung mehr, und doch wurde der auctor befreit. Das war unzuträglich. Also hat die Lex Atinia hinzugefügt, was die Decemviri übersehen und deswegen die auctoritas bei gestohlenen Sachen als unbefristet festgelegt haben. THESEN 19 1. Die Worte Ulpians VI, 10 sind in der Handschrift korrekt geschrieben, sie sind nur folgendermaßen zu trennen: Singulorum liberorum nomine sextae retinentur ex dote, non plures tamen quam tres. Sextae in retentione sunt, non in petitione. {Für die einzelnen Kinder wird je ein Sechstel aus der Mitgift zurückbehalten, aber nicht mehr als drei. 20 Die Sechstel stehen kraft Zurückbehaltungsrecht zu, nicht kraft Klage}. 2. Die Worte des Käufers der familia sind nach Gaius, II, 104 folgendermaßen zu schreiben: Familiam pecuniamque tuam endo mandatela tua custodelaque mea [esse aio et ea]quo tu iure testamentum facere possis secundum legem publicam, hoc aere aeneaque libra esto mihi emta. 21 {Ich sage, dass deine Familie und dein Vermögen deiner Weisung unterliegen und in meiner Obhut sind und von mir aere et aenea libra gekauft werden sollen, damit du ein gültiges Testament in Übereinstimmung mit dem öffentlichen Gesetz machen kannst}. 3. Die Worte von Horaz Sermones II, 1, 86: Solventur risu tabulae; tu missus abibis sind auf die Zwölftafeln zu beziehen. {Dann werden sich die Tafeln in Gelächter auflösen, und Du darfst frei nach Hause gehen}. 4. Die Leges 19 und 22 C. de iure delib. VI, 30 {C. 6.30.19 u.22} sind so miteinander in Einklang zu bringen, dass von demjenigen, der innerhalb von drei Monaten nach dem Tag der Kenntnisnahme verstirbt, angenommen wird, dass er ein Jahr Bedenkzeit, zu rechnen vom Tag der Kenntnisnahme an, verlangt habe. 5. Die Mahnung durch den Gläubiger erübrigt sich, wenn für die Leistung ein Termin bestimmt ist; man kann nicht an jedem beliebigen Ort mahnen. 6. Der Praetor hat in der Weise Recht gesprochen, dass er an bestimmten Tagen bestimmte Kategorien von Prozessen angesetzt hat.

19 20 21

Als Grundlage für die Disputation. Sc. Sechstel, d. h. die Hälfte der dos. [Cf. Ges. Schr. II, 42]

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7. Die Gesetze, die das gerichtliche Verfahren betreffen: Lex Sempronia von 631, Lex Servilia Caepionis, Lex Livia, Lex Cornelia haben dasselbe angeordnet. 22 8. Das Repetundengesetz, das man lex Servilia nennt, ist keineswegs von Servilius. 23 9. Die Vortrefflichkeit wie auch die Irrtümer Niebuhrs sind darin begründet, dass er entweder nicht wusste oder negierte, dass die gesamte Geschichte hypothetisch ist. 10. Alle Kapitalprozesse vor dem Volk sind auf Appellation zurückzuführen. 11. Die gerichtliche Entscheidung enthält keine Novation. 12. Niederträchtig ist es zu sagen, die römische Plebs habe nichts gewollt außer Genuss ohne Anstrengung. 13. Das Wort: Graeca non leguntur ist im Allgemeinen richtig, sollte aber überprüft werden, weil für das Griechische der Philologe zuständig ist, für das Lateinische der Jurist. 14. Der Jurist kann vom Philologen lernen; ob der Philologe auch vom Juristen lernen kann, ist bis heute zweifelhaft. 15. Außer bei Prozessen wegen Hochverrats sind Gerichtsverfahren vor dem Volk in dieser Zeit nicht zu billigen. 24 Autorenregister 25 Antike Autoren und deren von Mommsen zitierte Werke Aemilius Papinianus, um 200 n. Chr. Anicius Manlius Severinus Boethius, um 480 – 524, Commentaria in Ciceronis Topica. Aulus Gellius, 2. Jh. n. Chr, Noctes Atticae. Domitius Ulpianus, um 200 n. Chr., Liber singularis regularum; Collectio Librorum Iuris Anteiustiniani T 2. Gaius, 2. Jh. n. Chr., Institutiones. Iulius Paulus, um 200 n. Chr. Berater Papinians. Lucius Annaeus Seneca, ca. 55 v. Chr.–ca. 40 n. Chr., Controversiae. Lucius Annaeus Seneca, 4 v. Chr.–65 n. Chr., Quaestiones Naturales. 22

[Cf. Ges. Schr. III, 341 ff.]. [Cf. Ges. Schr. I, 16 f.]. 24 [Cf. Ges. Schr. III, 499]. 25 Da nicht für die gesamte Literatur festzustellen ist, welche Ausgabe Mommsen benutzt hat, ist auf diese Angabe verzichtet worden. 23

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Marcus Terentius Varro, 116 – 27 v. Chr., Rerum rusticarum de agri cultura. Marcus Tullius Cicero, 106 – 43 v. Chr., in Verrem, pro Murena, ad familiares, in Catilinam, pro Sulla, de Haruspicum Responsis, Topica, pro Tullio, pro Caecina. Publius Terentius Afer, um 195/90 – 159 v. Chr., Eunuchus. Publius Cornelius Tacitus, ca. 55 – 120 n. Chr., Annales. Quintus Horatius Flaccus, 65 – 8 v. Chr., Sermones. Quintus Asconius Pedianus, Kommentator und Grammatiker, 9 v.Chr.–76 n. Chr. Sextus Iulius Frontinus, 40 – 103 n. Chr., curator aquarum, de Aquaeductibus. Titus Livius Patavinus, 59 v. Chr.–17 n. Chr., Ab urbe condita libri. Titus Lucretius Carus, etwa 94 – 55 v. Chr., De Rerum Natura. Titus Maccius Plautus, ca. 250 – 184 v. Chr., Curculio, Poenulus, Persa, Trinummus. Neuzeitliche Autoren und deren von Mommsen zitierte Werke Agostín, Antonio, 1517 – 1586, Emendationum et Opinionium l.IV. Ballhorn Rosen, Friedrich Ernst, 1774 – 1855, Ueber Dominium; ein Titel aus Ulpians Fragmenten, als Versuch einer Bearbeitung juristischer Klassiker für Schulmänner. Cujaz, Jacob, 1522 – 1590, Observationes. Dirksen, Heinrich Eduard, 1790 – 1868, Übersicht der bisherigen Versuche zur Kritik und Herstellung des Textes der Zwölftafelfragmente, Leipzig 1824. Drumann, Wilhelm Karl August, 1786 – 1861, Geschichte Roms in seinem Übergang von der monarchischen zur republikanischen Verfassung, 1834/44. Erasmus von Rotterdam, 1466/69 – 1536, Adagia Collecteana. Glück, Christian Friedrich von, 1755 – 1831, Ausführliche Erläuterung der Pandekten nach Hellfeld – zit. Pandekten-Commentar. Gronovius, Jakob, 1645 – 1716., Edition von Ciceros Verrinen, dazu der Scholiasta Gronovianus. Hänel, Gustav Friedrich, 1792 – 1878, Catalogi librorum manuscriptorum. Haubold, Christian Gottlieb, 1766 – 1824, Antiquitatis romanae monumenta legalia, hg. v. Spangenberg, Berlin 1830. Keller, Friedrich Ludwig von, 1799 – 1860, Semestrium ad M. Tullium Ciceronem libri sex. Orelli, Johann Caspar von, 1787 – 1849, Opera Ciceronis Bd. V. Orsini, Fulvio, 1529 – 1600, s. Agostín, Opera, ed. Lucca. Salmasius, Saumaise, Claude de, 1588 – 1653, De Usuris. Savigny, Friedrich Carl von, 1779 – 1861, System des heutigen römischen Rechts. Scaliger, Joseph Justus, 1540 – 1609, Thesaurus Temporum. Schultingh, Antonius, 1656 – 1734, Jurisprudentia Vetus Antejustinianea. Spangenberg, Ernst Peter Johann, 1784 – 1833, Antiquitatis romanae monumenta legalia.

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Zimmern, Siegmund Wilhelm, 1796 – 1830, Geschichte des römischen Privatrechts bis Justinian. Zumpt, Carl Gottlob Timotheus, 1792 – 1849, Hg. v. Cicero, in Verrem. Nachwort

Nachdem Mommsen sein juristisches Staatsexamen zu Ostern 1843 in Kiel abgelegt hatte, 26 übernahm er in den Mädchenschulen seiner Tanten in Altona die Stelle eines Lehrers. In dieser Zeit beschäftigte er sich u. a. mit der Abfassung seiner Dissertation, 27 deren Vorlage für eine wissenschaftliche Laufbahn – im Gegensatz zur Habilitationsschrift 28 – unerlässlich war. Im November 1843 wurde er auf Grund dieser Arbeit von der juristischen Fakultät der Universität Kiel mit summa cum laude promoviert. 29 Die Dissertation befasst sich auf zehn und einer halben Druckseite 30 mit zwei Themen: Ad legem quam dicunt de scribis viatoribus praeconibus animadversiones und De auctoritate commentatio, wovon das erste Thema eher von „antiquarischem“ Interesse ist, das zweite sich mit einem zentralen Begriff des römischen Rechts befasst. Die Bearbeitung zweier Themen, die nichts miteinander verbindet, war nicht ungewöhnlich, auch nicht die Kürze des vorgelegten Textes. Denn der damalige Dekan Georg Christian Burchardi, der dem Doktoranden am 16.10. seine Unzufriedenheit mit der eingereichten Dissertation mitteilte, forderte ihn auf, „eine andere Dissertation ein(zu)liefern, welche omni exceptione maior ist [...]. Länger braucht darum die Abhandlung nicht zu sein“. 31 Burchardi, der Mommsen durchaus wohlgesonnen war, hatte er ihm doch zur Erlangung des dänischen Reisestipendiums 32 ein sehr positives Gutachten ausgestellt, 33 hielt den ersten Teil der Dissertation für „entschieden falsch“, beim 26 S. Rebenich, Theodor Mommsen. Eine Biographie, München 2002, S. 26, „das Amtsexamen [...], das in Schleswig-Holstein im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Ländern nur aus einer einzigen juristischen Staatsprüfung bestand“. 27 L. Wickert, Theodor Mommsen. Eine Biographie, Bd. 1, Lehrjahre (1817 –1844), Frankfurt / M. 1959, S. 184: Brief Mommsens vom 5. 8. 1843 an Storm: „Ich muss nächste Woche meine Doktorabhandlung machen“; und am 15.8. lt Taschenkalender: „Meine Abhandlung nach Kiel gesandt“. 28 S. Rebenich, Mommsen (wie Anm. 1), S. 43 „eine Habilitationsschrift, eine wichtige, aber keineswegs unumgängliche Voraussetzung für eine Professur“. – s. a. A. Heuß, Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert, Kiel 1956, S. 25: „die ihm nach dem Kieler Universitätsstatut aufgrund der Promotion zustehende Lehrbefugnis“. 29 L. Wickert, Mommsen, Bd.1 (wie Anm. 2), S. 478, Anm. 303. 30 Th. Mommsen, Juristische Schriften, Bd. 3, Berlin 1907, S. 455 – 465. 31 L. Wickert, Mommsen, Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 185. 32 Die Begründung Mommsens für seinen Antrag beim dänischen König auf ein Reisestipendium lautet: „die Sammlung und Bearbeitung aller aus dem römischen Altertum

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zweiten Teil „weder die Idee selbst noch die Beweise für neu“. In seinem Antwortschreiben weist Mommsen die Kritik Burchardis zurück. 34 Für den 1. Teil bleibt er dabei, Agostíns Zeugnis für unwiderlegbar zu halten. 35 Dass er im 2. Teil keine weitere Literatur zum Thema außer Meyer 36 berücksichtigt habe, erklärt er damit, dass er ein bloßes „exposé der richtigen Ansicht geben und alle Polemik bei Seite stellen wollte“. 37 Als Quellen führt er i. d. R. lateinische Autoren der Klassischen Literatur an: Cicero, Horaz, Plautus etc. Offensichtlich ist die Arbeit dann doch ohne eine Veränderung dem Promotionsverfahren zu Grunde gelegt worden. 38 Zum Verfahren gehörte weiterhin die Interpretation von vier vorgegebenen Digestentexten, die Mommsen in Altona erledigen konnte. 39 Zur feierlichen Promotion am 8. 11. 1843, bei der vorher eingereichte Thesen zu verteidigen waren, musste Mommsen dann allerdings nach Kiel reisen. Eine Promotion in absentia war für ihn außerhalb jeder Vorstellung. 40 Seine Opponenten bei der Disputation waren die Doktoren Nitzsch und Vollbehr und Advokat Schröder, mit denen Mommsen befreundet war. 41 Augenscheinlich hatte der Doktorand bei der Bestellung der Opponenten zumindestens ein Mitspracherecht, und die Opponenten ihrerseits konnten Wünsche bezüglich der Thesen äußern. 42

uns übrigen Gesetze und Volksschlüsse“. L. Wickert, Mommsen, Bd. 1 (wie Anm.2), S. 194. 33 L. Wickert, Mommsen, Bd.1 (wie Anm. 2), S. 194 f. 34 L. Wickert, Mommsen, Bd.1 (wie Anm. 2), S. 186. 35 s. Übersetzung, 1. Teil der Dissertation. 36 s. Übersetzung, 2. Teil der Dissertation. 37 L. Wickert, Mommsen, Bd.1 (wie Anm. 2), S. 186. 38 Nach Auskunft von Frau Dr. Bickelmann vom Landesarchiv Schleswig-Holstein sind die Promotionsakten der Juristischen Fakultät vor 1945 nur in Resten vorhanden, unter denen sich die Akte Mommsen nicht befindet. Dankenswerterweise befindet sich bei Lothar Wickert im Text und vor allem in den Anmerkungen eine Fülle von Quellenmaterial, zu einem nicht geringen Teil aus dem Familienarchiv. s. dazu L. Wickert, Mommsen, Bd.1 (wie Anm. 2), S. 273, Anm. 0. 39 L. Wickert, Mommsen, Bd.1 (wie Anm. 2), S. 185 und Anm. 293 zu Kap. 3. 40 Th. Mommsen, Reden und Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1912, Die deutschen Pseudodoktoren. 41 L. Wickert, Mommsen, Bd.1 (wie Anm. 2), S. 187. 42 L. Wickert, Mommsen, Bd.1 (wie Anm. 2), S. 474 Anm. 288. Freund Carstens schreibt an Mommsen am 14. 10. 1843: Schröder „hat die Opposition angenommen und wünscht am liebsten aus Civil- und Criminalrecht, aber in beiden keine rein historischen Thesen“.

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Fünfzehn Thesen hatte er eingereicht, 43 die sich auf unterschiedliche Bereiche beziehen. Die meisten betreffen sein eigentliches civilistisches Fachgebiet, dazu eine These, Nr. 12, die römische Sozialgeschichte. These 9 bot durch den Angriff auf Niebuhr den Disputanten eine grundsätzliche Einlassung zur historischen Methode. 44 Von allgemeinerer Art sind die Thesen 13 und 14. Zum Verhältnis zwischen Juristem und Philologem, 45 These 14, stellt die Breslauer Juristische Fakultät in ihrer Gratulationsadresse zu Mommsens goldenem Doktorjubiläum fest, dass es durch seine Lebensarbeit nicht mehr zweifelhaft sei, dass der Philologe vom Juristen lernen könne. 46 In These 13 wird bei dem berühmten Wort: Graeca non leguntur das Griechische den Philologen überlassen, wobei mehrere Erklärungen möglich sind: Wird allgemein das sprachlich Schwierigere den Philologen überlassen oder die nur auf Griechisch tradierten Stellen aus dem Corpus Iuris, weil sie ohnehin für nicht so wichtig zu halten seien. Mit der letzten These 15 aber greift Mommsen eine Forderung auf, die den Liberalen seit der französischen Revolution ein gewichtiges Desiderat ist: die Einrichtung von Geschworenengerichten, und bezieht so bei einer aktuellen politischen Frage Position: Er lehnt Geschworenengerichte bis auf Prozesse wegen Hochverrats ab. 47 Mit der Disputation schloss die Prüfung ab, nun war nur noch die Königliche Resolution abzuwarten, die vom 15. 12. 1843 datiert ist, woraufhin die Juristische Fakultät in Kiel Theodor Mommsen die Würde eines Doktors der Rechte verlieh. 48 Verblüffend und bemerkenswert ist, aus welchen bescheidenen Anfängen ein so gewaltiges Werk hervorgegangen ist.

43

s. Übersetzung. L. Wickert, Mommsen, Bd.1 (wie Anm. 2), S. 476, Anm. 298, zitiert aus Mommsen, Die römischen Tribus: Niebuhrs „glänzende Phantasien“. s. a. A. Heuß, Mommsen und das 19. Jahrhundert (wie Anm.3), S. 54. Heuß zitiert Mommsens Äußerung zu den Niebuhrianern:„die anmaßende Zurechtmacherei, welche, weil sie am Ende auch ohne Zeugnisse fertig würde, um einige mehr oder weniger nicht sehr bekümmert ist.“; derselbe zu Mommsens Verhältnis zu Niebuhr, S. 21 f. 45 S. Rebenich, Mommsen (wie Anm. 1), S. 34 sagt dazu: Mommsen ist ein „Jurist, der sich zur Lösung genuin rechtshistorischer Probleme Quellen zuwendet, die nur durch die philologische Methode zu erschließen sind“. 46 L. Wickert, Mommsen, Bd.1 (wie Anm. 2), S. 477, Anm. 300. 47 A. Heuß, Mommsen und das 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), S. 37, „Zwei Jahre später (1845) setzt er sich in einer ausführlichen Besprechung mit Beselers ‚Volksrecht und Juristenrecht‘ auseinander und gibt in ihr die nachträgliche Begründung seiner Doktorthese.“ 48 L. Wickert, Mommsen, Bd.1 (wie Anm. 2), S. 479, Anm. 303. 44

Inauguraldissertation * Von Theodor Mommsen I. Ad l egem quam dicunt de scr ibi s v i a t o r i b u s praeconibus animadversion e s . ** Legem de scribis, viatoribus, praeconibus etsi nemo ignorat, qui rebus antiquis operam dedit, tamen quae sit, a nemine dictum est; uno consensu in incertis collocatur et aetas ex coniectura statuitur. Non parum igitur merebitur de nostris rebus, qui quo pertineant hae reliquiae utilitate haud carentes etsi aliis multis minime aequiparandae, certo demonstret; quamquam *** ad hanc rem oculis solis opus est et in hac tabula describenda neminem id fugere potuit nisi desidem plane et incuriosum. Sed est haec incuria in antiquis monumentis tractandis vulgaris et paene solemnis; ita, ut exemplum adferamus cum hac ipsa lege coniunctum, qui nuper eam edidit Spangenbergius – Hauboldum accusare religio est – verba legis Serviliae v. 63a Scaligero ex aere allata et paucas paginas ante in lege Servilia suo loco edita ad hanc quoque legem trahere non dubitavit. – Quodsi nos neglecta aperimus, tantum abest ut gloriam si qua inde redundabit nobis vindicemus, ut non proferre nos nisi res olim notas nunc turpi oblivione obrutas profiteamur. Antonius Augustinus est, archiepiscopus Tarraconensis, vir sui seculi primarius, nostro maior, cui haec accepta debemus. Ait in libro de legibus, ubi verba facit de variis exordiis legum (p. 12 ed. princ.): „in tabula octava Corneliae de viginti quaestoribus: PRINCIPIVM. FVIT. PRO. TRIBV“. (conf. Frontinus de aquaeduct. c. 129) ****; a quibus verbis nulla legum nobis servatarum incipit excepta hac de scribis. – At fuit coniectura Augustini audax, * [Ad legem de scribis et viatoribus et de auctoritate commentationes duae quas pro summis in utroque iure honoribus rite obtinendis auctoritate illustris ICtorum ordinis in Academia Christiana-Albertina die VIII. mensis Novembris a. MDCCCXLIII hora XI in auditorio maiori publice defensurus est Theodorus Mommsen Oldesloensis. Kiliae, ex Officina C. F. Mohr. 1843. 21 S. Theses 2 S. – S. 3 – 7 sind mit einigen (hier angemerkten) Abänderungen wieder abgedruckt in den Neuen kritischen Jahrbüchern für deutsche Rechtswissenschaft Jahrg. III Bd. 5 = Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft Jahrg. VIII Bd. 15, 1844, S. 475 – 476.] ** [C. I. L. I, 202. Bruns Fontes I 6 p. 90 n. 12. Girard Textes 3 p. 65.] *** [At ed. 2.] **** [Allegationem Frontini om. ed. 2.]

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felix fortasse, nequaquam vero certa. Attendas velim. Idem scribit ad Fulvium Ursinum d. XI. Nov. MDLXXV (epistola exstat in opp. ed. Luc. T. VII [1772] p. 259), postquam exposuit de duabus tabulis legum apud Capranicos servatis, huius nimirum et plebisciti de Thermensibus: „In quella tavola dove sono quelle parole PRINCIPIVM. FVIT. PRO. TRIBV., sono in margine queste note: VIII. DE. XX. Q.; le quali io interpreto: octava de viginti quaestoribus. Dunque in sette altre tavole era la prima righa delle parole, che mancano avanti queste parole PRINCIPIVM“. Hac auctoritate viri fide dignissimi, qui hanc tabulam non semel oculis usurparat (cf. epist. ad Ursinum de d. XI. Apr. MDLXVII) omnia efficiuntur plana et certa. Iam enim adhibitis * verbis Taciti XI, 22: lege Sullae XX. (quaestores) creati, quae ipsum Augustinum adhibuisse vidimus, ** tenemus legis Corneliae de viginti quaestoribus, inter leges Cornelias ab Augustino nescio quo casu omissae † tabulam octavam. †† Nam cum lex aeri incidebatur neque una tabula commode absolvi poterat, ita fecerunt, ut plures tabulas binis columnis scriptas iuxta disponerent, exordium tamen continuarent per omnes tabulas hac ratione coniunctas; quod bene apparet in Graeca versione monumenti Ancyrani nuper ibi ††† reperta. Numerus tabularum praeterea in margine superiore inter columnas notabatur; quod videre licet in lege Rubria. Quam legem teneamus, dictum est; quid in ea scriptum sit, dictu difficillimum est neque a nobis hic dicetur. In universum sermo est de augendo officio quaestorio; quod optime convenit extremae parti legis quaestoriae. Sed illa de decuriis viatorum et praeconum non intelligo; videntur quaestores non suo quique anno apparitores legisse, sed certis annis in complures annos eos constituisse, ut cum haec lex ferretur decuriae in proximum triennium ordinatae essent itaque a consule, non a quaestore extraordinaria sublectio institueretur. *** In singulis decuriis quae ad aerarium apparebant antea terni homines videntur fuisse, post hanc legem quaterni. Quot vero viatorum praeconumque quaestoriorum decuriae fuerint; porro quid fecerint iis annis, quibus quaestoribus ad aerarium non apparebant, nescimus; nobis satis est unam rem adhuc si non ignoratam tamen non creditam ex hac lege in lucem protrahere; nempe diem, quo quaestores magistratum inibant. – Ait lex: quam decuriam viatorum (praeconum) ex noneis Decembribus primeis (secundeis, tertieis) quaestoribus ad aerarium apparere oportet oportebit. – Primis coniungendum est cum nonis, ut saepe in lege sermo est de lectione ante Kal. Dec. primas etc. instituenda; non cum quaestoribus, quod placuit olim viro docto, cuius de hac re difficillima expositionem cupide exspectamus. Nonis igitur Dec. iniisse quaestores consentaneum est, ut tribuni * [adhibitis cum Augustino ed. 2.] ** [quae – vidimus om. ed. 2.] † [inter leges – omissae om. ed. 2.] †† [cum particula prooemii add. ed. 2.] ††† [ibi om. ed. 2.] *** [Cf. C. I. L. I p. 110. Staatsr. I 3, 337 – 338.]

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pl. inibant IV. Idus Dec. Quod non est novum, sed aperte scriptum exstat apud auctorem pessimae fidei, cuius non omnia spernenda esse ita salutari exemplo didici. Ad verba Ciceronis in Verr. Act. I, 10, 30: P. Sulpicius magistratum, ineat oportet Nonis Decembribus Pseudo-Asconius perperam cogitavit de tribunis plebis (p. 141 Orell.); sed recte scholiasta Gronovianus (p. 395 Orell.) notat: quaesturam intelligimus. Nam omnes ceteri magistratus Kal. Jan. procedebant, soli vero quaestores nonis Dec. Verum quod accepit ipse corrupit; ita Zumptius (ad h. 1.), Orellius (in onomast. v. P. Sulpicius), Drumannus denique (V p. 406, not. 17), qui pro multis est, eius opinionem aut non attenderunt aut reiecerunt. – Quo cognito explicatur etiam expectatio sortis Cicer. Catil. IV, 7, 15, quae homines doctissimos vexavit (vide Drum. V p. 523, not. 33). Loquitur Cicero de famosis illis nonis Dec., quibus Catilinarii capitis damnati sunt: scribas item universos, inquit, cum casu haec dies ad aerarium frequentasset, video ab expectatione sortis ad communem salutem esse conversos. Provincias quae modo post designationem, modo post susceptum magistratum attribuebantur, ea die quaestores illico post initam quaesturam sortiri voluisse suspicor; quae res ut ipsos candidatos ita scribas quoque omnesque apparitores suspensos tenebat. Ita non cogimur sortem referre ad ipsos scribas quaestoribus attribuendos; quamquam ne hoc quidem Drumanno concesserim in scribis distribuendis sorti locum non fuisse. II. De auctor itate commenta t i o . § 1. Auctoritatis verbum, si fides est recentioribus, plane singulari ratione usurpatur in antiquis legibus, praesertim in XII tabulis. Quae significatio subsit, disceptant viri docti; qua de re tractare nobis proposuimus. Sed cum in hac lite rei partes postulemus, non iudicis, minime faciemus ut patroni male copiosi, qui totam actionem excipiendo retractant; arbitros communes non ex mea qualicunque relatione aliorum opiniones cognituros esse persuasi simpliciter nostram exponemus sine ulla refutatione, nisi forte pro refutatione erit probabiliora proposuisse. Auctor est is qui fecit, auctoritas conditio eius qui fecit. Plaut. Trin. I, 2, 180: Quodsi exquiratur usque ab stirpe auctoritas, Unde quidque auditum dicant, nisi id appareat, Famigeratori res sit cum damno et malo. Qui vero fecit, tenetur ut rationem reddat cur fecerit damnumque si quod inde venit resarciat; ita dicunt poenas praemiaque sequi auctorem. – Hunc usum vitae communis itidem reperimus in iure pressiorem etiam multo et magis perfectum. Ut in usu communi auctor meus est is qui me genuit, ita in iure, cuius fundamentum et quasi vita est dominium, auctor meus est is qui me dominum fecit. Quoniam vero dominum me reddi professus est, praestet etiam rem meam esse itaque

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in arte, iam per se procedente ea vi damni praestandi, quae in usu vulgari ex coniunctis adsumitur, auctor est is qui evictionem praestat. (Plautus Curc. IV, 2, 12. Cic. in Verr. II, 5, 22, 56. Dirksen man. s. v. § 5.) Quin appellatur auctor non solum is qui ex rei alienatione evictionem praestare necesse habet, sed quicunque evictionem praestat, etsi dominium non transtulit, ut fideiussor, quem vulgo appellabant auctorem secundum (1. 4 pr. D. de evict. XXI, 2 et ad h. 1. Glück Comm. XX, 178, not. 48). Ita originariae significationis obliti novam plane et antiquae nonnunquam contrariam vim verbo auctoris tribuere coeperunt. Rarius ita usurpatur auctoritas, usurpatur tamen; Seneca qui verborum proprietati quam maxime studet, auctoritatem promittere quem ait (nat. quaest. IV, 3, 2). Ex nostris autem Papinianus duplae promissionem appellat stipulationem auctoritatis (Vat. fr. § 10) et Paulus ait (S. R. II, 17, 1): auctoritatis manet obnoxius (ubi Schulting. supplet actioni, Salmasius reponit auctoritati) et paulo post § 3: auctoritatis venditor obligatur (cf. Glück XX p. 180, n. 49). Ita etiam dicitur defugere auctoritatem, quae locutio etsi in nostrae artis libris non reperitur, sed apud eos solum qui omnibus scripserunt, tamen defugere certe simpliciter ita legitur 1. 39 in f. D. de evict. 1. 139 D. de V. O. XLV, 1 et translate loqui videntur qui ea coniunctione usi sunt Plaut. Poen. I, 1, 19. Terent. Eunuch. II, 3, 99. Cic. Sull. 11, 33. 1 – Denique amplius etiam prolatis vocabuli terminis non evictionis praestatio tantum, sed ipsa actio de evictione dicitur auctoritas; Venuleius 1. 76 D. de evict.: Si alienam rem mihi tradideris et eandem pro derelicto habuero, amitti auctoritatem, id est actionem pro evictione, placet. Auctoritas igitur est conditio eius, qui quia mancipavit vendiditve ad evictionem vitiaque praestanda obligatus est: dominium non significat ne hoc quidem loco Ciceronis de harusp. resp. 7, 14: Multae sunt domus in hac urbe atque haud scio an paene cunctae iure optimo, sed tamen iure privato, iure hereditario, iure auctoritatis, iure mancipi, iure nexi. Salmasius (de usuris p. 211) auctoritatis ius intelligit de dominio bonitario; eum enim, qui rem in bonis habeat, usque ad usucapionem non habere rem, sed auctorem solum. Verum est; sed collocat Cicero domus auctoritatis iure nostras inter domus iure optimo possessas, quibus nullo nisi privato iure munitis suam opponit tanquam lege publica et sacra defensam. Quare recte refertur ius auctoritatis ad dominium ex iure Quiritium; sed tantum abest, ut auctoritas id dominium significet, ut nihil nisi auctoris obligationem ad 1

Huc etiam referenda sunt verba Senecae patris controv. VII, 21 [7, 6, 23 p. 329, 10 ed. H. J. Müller]: relegamus auctoritatis tabellas: furtis noxaque solutus. Tabulae venditionis hic dicuntur auctoritatis, quia ea quae ab auctore praestanda essent simul in iis scripta maxime indicanda erant. Eadem ratione in 1. 43 pr. de pign. act. XIII, 7. instrumentum auctoritatis ad agri modum pertinet, quanti venditor auctorem se esse emtori scripserat. Cf. Cic. pro Tull. § 17: Neque dum fines auctor demonstraverat. Paul. S. R. II, 17, 4. Neutro loco necesse est auctoritatem de dominio accipere. – Rubrica de contrahenda auctoritate Paul. S. R. V, 10 obscura est; fortasse auctoritas non in sola dominii translatione de vitiis praestandis usu venit, sed qualemcunque damni praestationem complectebatur. Ita qui damni infecti promisit auctoritatem contraxisse dicebatur – er übernahm die Gewähr.

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rem defendendam hic subesse suspicer. Qui enim iure privato, id est ex iure Quiritium domum possident, aut lege testamentove eam ceperunt hereditario iure, aut emerunt et auctoritate, mancipatione, nexu defenduntur. Coniunxit Cicero plenius quam accuratius alia similia, alia diversa et totum cum partibus uno ordine protulit, ut fecit in causis centumviralibus de orat. I, 38; nemo deducet ex hac oratoria negligentia novam vocabuli significationem. § 2. Auctoritas quid alibi significet, exploravimus; eadem ratione usurpari vocabulum in antiquis legibus consentaneum est. Qua de re agemus cum viderimus quid iure antiquo venditor praestiterit emtori. * Nam hoc satis constat mancipio dantem defendere debuisse eum qui mancipio acceperat. Quanquam Cicero (Top. 10, 45): Finge, inquit, mancipio aliquem dedisse id quod mancipio dari non potest; num idcirco id eius factum est qui accepit? aut num is qui mancipio dedit ob eam rem se ulla re obligavit? Sed non loquitur de rebus alienis sacrisve, quarum mancipatio a non domino facta nequaquam impunis erat; loquitur de iis rebus, quae mancipio dari non possunt a quoquam, id est quae mancipationem non recipiunt et sunt nec mancipi. Quas qui mancipat, nihil agit. Id, quod multi nunc negant, eo decepti quod non iuris auctores, sed alii scriptores mancipandi verbo interdum de omni venditione abutuntur, ex hoc loco certa ratione effici videtur; cf. etiam Ulp. XIX, 3; 7. arg. l. 8 pr. D. de acceptil. XLVI, 4. Adstipulatur Boethius antiquus huius loci interpres: Si quis rem nec mancipi mancipaverit, num idcirco rem alienavit aut se reo (scribe eo) facto potuit obligare? – Quid praestandum sit ei qui mancipio dedit, Cicero (pro Mur. 2, 3) exponit: Quodsi in iis rebus repetendis, inquit, quae mancipi sunt, is periculum iudicii praestare debet, qui se nexu obligavit, profecto etiam rectius in iudicio copsulis designati is potissimum consul, qui consulem declaravit, auctor beneficii populi Romani defensorque periculi esse debebit. Auctor itaque periculum iudicii de re mancipata commissi praestat; tamen cum defensor domini etsi Ciceronis tempore extitit antiquitus exstare nequiret, tum cum sacramento agebatur auctor videtur factus esse praes litis et vindiciarum. Ita eum spectabat periculum iudicii; nam de sacramento dicis causa certabatur. Sed hoc non sufficit; non enim ipso iure praes fuit, sed cogendus erat ad obligationem suscipiendam. Hanc si recusasset quas poenas dederit videamus. * Non ignoro in his rebus Mayeri doctrina et acumine quaedam praecepta esse (Litiscontestation I, S. 135 – 140), praesertim quae de duplae stipulatione dicentur. Ne tamen disputationis dudum perfectae, cum Mayeri librum acciperem, ordinem turbarem, omnia suo loco reliqui. Neque id ipsum sine aliqua auctoritate est diversis rationibus idem demonstrari.

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Causa obligationis erat auctori lex XII tabb. Cum nexum faciet mancipiumque, uti lingua nuncupassit ita ius esto (Dirksen VI, 1). Id est auctor et rem eius facere necesse habebat, cui mancipio dabat et eam ita praestare uti dixerat, verbi causa agrum optimo iure, tot iugerum (cf. Paul. S. R. II, 17, 4), vitiis carentem. Quod nisi faceret, duplione luebat. Cic. de off. III, 16, 65: Ex XII satis erat ea praestari quae essent lingua nuncupata, quae qui inficiatus esset, dupli poenam subibat. Cf. 1. 48 D. de pact. II, 14. Solemne et quasi religiosum videbatur mancipationis carmen, quod si quis violarat sive sciens sive nescius – haec enim ius antiquum non distinguebat – periculum erat. Cum vero in formula mancipationis quae exstat mancipio dans neque lingua quicquam nuncupet neque omnino verbum faciat, mancipio accipientis verba sola superesse suspicor, interiisse vero ea verba, quibus mancipio dans antea nexu se obligabat, ut ait Cicero 1. c. Id est nexum mancipiumque XII tabb. – Utut haec sunt, res ipsa certa est. Si is qui manciparat neque dominus erat neque iudicium suscipere paratus, proprium iudicium dabatur in duplum, cuius denique Paulus meminit S. R. II, 17, 3: Res emta mancipatione et traditione perfecta si evincatur, auctoritatis venditor duplotenus obligatur. Lectionem plane singularem codicis Vesontini, de cuius auctoritate videndus est Savigny (Syst. II p. 553), nullatenus male a Cuiacio (obss. XXI, 15) defendi apparet; duplotenus exhibent omnes codices Haenelii flagitantque artis criticae leges. – Verba mancipatione et traditione perfecta cave alternative ut loquuntur accipias de rebus mancipi mancipatis, nec mancipi traditis; nam de simpliciter traditis locutus est Paulus § 2. Ita haec verba Pauli confirmant quae supra proposuimus et recte nos non de sola inficiatione dupli poenam accepisse ostendunt. Praeterea ex iis prodit nomen iudicii quod fuit auctoritatis. Cuius reliquias tenere videmur in notis legum: Quando In Iure Te Conspicio Postulo An Fuas Auctor (cf. Ballhorn-Rosen über dominium p. 268, not. 80); nam Cicero pro Caec. 19, 54: „actio est in auctorem praesentem his verbis: Quandoque te in iure conspicio“. Ubi omnes codd. auctorem habere, nullum actorem ex Kelleri semestrium L. II p. 481 hoc ipso die ad me perlato vidi. Quandoque rectum est et significat et quando; praecesserunt enim quaedam e. c. Quando tu mihi agrum vendidisti. Auctoritas autem auctoritatisque praestatio propria erat mancipationis; in traditione nullo carmine utebantur ideoque per se evictionem non praestabant. Ita non sine causa Cic. pro Mur. 2 iudicii periculum a nexu ducit, quem in solis rebus mancipi usu venire significat; non sine causa de harusp. resp. 7 optimo iure possidentem facit qui iure auctoritatis possideat, ut qui rem in bonis tantum habeat auctoritate auctoreque carere indicet. Quare Plautus quoque Curc. IV, 2, 12 ait a lenone emi quidem, sed mancipio non accipi, ut nemini is auctor sit: Nec vobis auctor ullus est nec vosmet estis ulli. Denique quia auctoritas mancipationem comitatur, cum hac et ipsa ex Digestis evanuit, extra ea passim relicta. – Quas igitur supra composuimus auctoritas et evictionis praestatio ita differunt, ut haec ad naturalem illa ad civilem alienationem pertineat; quanquam auctoritas non raro minus proprie ponitur. In summa quae ipso iure ex mancipa-

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tione venit obligatio venditoris ad defendendum emtorem in traditione proprio pacto constituenda est. Ita in Plauti Persa, ubi iubetur procurator ancillam furtivam vendere, additur: Suo periculo is eam emat qui mercabitur; Mancupio neque promittes neque quisquam dabit (IV, 3, 55. 56). Quare in venditione procurator ait: Prius dito, hanc mancupio nemo tibi dabit (IV, 4, 40 cf. 113). Ut igitur venditor periculo liberetur, sufficit ancillam mancipio non dari, sed simpliciter tradi nullo pacto de praestando periculo adiecto; nam venditor etsi mancipio non daret, tamen si promitteret mancipio, i. e. eam emtoris facere polliceretur (mancipium enim est dominium Lucret. III, 971. Cic. ad fam. VII, 29. 30), teneretur ex pacto. Idem obscurius indicatur Curc. IV, 2, 8, ubi re tradita venditor ait: memini scil. me simplam pro evictione promisisse et mancupio tibi dabo, nempe ut duplam postulare possis. Pactum quod in traditione auctoritatem repraesentabat iam omnes intelligunt esse duplae stipulationem, quam aliter explicare difficillimum est. Recepta videtur eo tempore, quo emti venditi actio ex consensu solo nondum dabatur; tum enim in rebus nec mancipi emtor omni auxilio destitutus erat, nisi forte et eas mancipio accepit. Quod tamen nobis non videtur fieri potuisse. In duplum vero concipi solebat stipulatio duplae, ut traditio aequipararetur mancipationi. Coniectura haec de duplae origine probabilis videbitur, cum ab iis venditionibus incepisse eam demonstratum erit, quae mancipatione non confirmabantur. Quod et per se probabile est, cum satis sufficeret auctoritatis iudicium si quid aere et libra actum erat; et quodammodo iam in verbis Plautinis interpretandis factum est. Sed extra dubitationem id ponunt verba Varronis de re rust. II, 10, 5: In servorum emtione solet, si mancipio non datur, dupla promitti, aut, si ita pacti, simpla. – Idem subesse videtur in 1. 37 § 1 de evict.: Quod diximus duplam promitti oportere, sic erit accipiendum, ut non ex omni re id accipiamus, sed de his rebus quae pretiosiores essent, si margarita forte aut ornamenta pretiosa vel vestis serica vel quid aliud non contemtibile veneat. Per edictum autem Curulium etiam de servo cavere venditor iubetur. Ad quae verba duo notanda sunt, quibus hanc alteram commentationis partem terminabo. Primum quod ait Ulpianus duplam promitti oportere, id est novissimi iuris, ortum ex praecepto illo ea quae sint moris et consuetudinis in bonae fidei iudiciis venire (1. 31 § 20 D. de aed. ed. XXI, 1). Causa duplae semper fuit contractus, sed tacitus postea ut ex emto agere posses quasi pacto adiecto cum ad pactum stipulatione confirmandum (1. 2. 37 D. de evict.) tum ad id implendum (Paulus S. R. II, 17, 2). – Deinde Ulpianus hoc loco stipulationem duplae primum refert ad res nec mancipi ita, ut in enumerandis rebus pretiosissimis agrum mancipiaque studiose omittat; quod casu non videtur factum esse. Postea addit ex edicto aedilicio stipulationem ad servos quoque pertinere; qua de re quid dicamus non habemus. Aut edixerunt Aediles de servis non per aes et libram traditis; quod si olim hoc loco scripsit Ulpianus, diserte stipulationem duplae ad eos contractus restrinxit, qui mancipatione carent. Aut in mancipatione quoque postremo duplae stipulatio admissa est, quae quidem multo facilius quam nexi solemnitas pacta adiecta

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recipiebat. Quod qui probat, explicatum habet cur nexus interciderit et duplae stipulatio in eius locum succreverit, cuius ad imaginem olim efficta et efformata erat. * § 3. Denique postquam cognovimus, quid significet auctoritas quidque in iure efficiat ipsas leges interpretabimur. I. Usus auctoritas fundi biennium esto, ceterarum rerum annus. (Dirks. VI, 3.) Ex nostra vocabuli interpretatione haec lex ait: Fundo per biennium emtor utatur, venditor tamdiu auctoritatem ei accommodet evictionemque praestet; in ceteris rebus annus pro biennio observetur. – Quod quamquam optimam sententiam praebet, tamen offendit ceterarum rerum generalis commemoratio. Nam si diceremus res nec mancipi non esse res civiles ideoque per se in rebus non inesse, pauci aut nemo adsentirent. Offendit porro de usucapione silentium; nam quamquam eam hac lege confirmatam esse auctores consentiunt, tamen sola causa usucapionis apparet, nullum ipsius usucapionis vestigium. – Dubia haec expediri posse confido, modo liceat argumentari ex legum ordine, qualem Dirksenius ingeniose constituit. Nam etsi errare potuit, tamen eiusmodi quaestiones aut plane desperandae sunt aut ex certa legum ordinatione solvendae. Decemviri initio tab. VI. locuti de nexo et mancipio, quid ei faciendum esset qui mancipio dedisset, cum usucapione perfecta emtorem securum esse posse neque amplius opus ei esse auctoritate intelligerent, terminum addere voluerunt, quo auctor liberaretur. Id factum est his verbis. Quare necesse non erat res nec mancipi excipere; initio enim de mancipatione tantum dictum erat. Deinde cum usucapionis terminos non definire vellent, sed applicare dudum receptos (Dirksen, Zwölftafelfragm. S. 420. Zimmern, Rechtsgesch. I, 839, n. 33), quid erat quod de usucapione ipsa verba facerent? ICti postea, lege potius quam consuetudine utentes usucapionis fines ex his verbis sumserunt et hanc allegationem compendiis inseruerunt. II. Adversus hostem aeterna auctoritas. Locus, quo haec lex collocata erat, plane incertus est (Dirksen l. c. p. 104. 222); quod facit ut certam explicationem dare non possim. De postliminio in ea cautum esse non videtur; ita ex intima natura iuris Romani fluxit, ut lege opus non esset. Duae aliae interpretationes * [Die hier skizzierten Gedanken sind später in breiterer Ausführung entwickelt worden. Vgl. besonders Eck, Die Verpflichtung des Verkäufers zur Gewährung des Eigentums, 1875. Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht, I (1876) bes. p. 102 –154. 318 – 328. 361 – 416. Girard, Nouvelle Revue historique de droit francais et étranger 1882 p. 280 – 318. 1883 p. 537 – 592. 1884 p. 396 – 430. Manuel 4, 1906 p. 552 sq. Rabel, Die Haftung des Verkäufers wegen Mangels im Rechte, Leipzig 1902 p. 5 –163.]

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sunt, quae haud absimiles veri mihi videntur. Quodsi Romanus peregrino rem vendiderat, peregrinus cum usucapere non posset perpetuam tuitionem requirebat; id est adversus hostem aeterna auctoritas, in peregrino venditor semper evictionem praestet. Adversus ita significat circa, quoad; cuius significationis etsi exempla inveniuntur (Dirksen s. v. § 2); tamen rarior est, ut fortasse alia interpretatio magis sit placitura. Civem civi vendidisse ponamus, qui contra peregrinum defendendus sit. Cum legibus Romanis peregrini non tenerentur, in recuperatorio iudicio usucapionis exceptio non est admissa, ut venditor emtorem adversus peregrinum non biennium; sed semper defendere cogeretur. Ita adversus vulgari sententia accipitur. – Quicquid est, nulla causa apparet, quin in auctoritate hic idem inesse putemus, quod praeterea inest. III. Quod subreptum erit, eius rei aeterna auctoritas esto. Ita auctore Gellio XVII, 7 scriptum erat in lege Atinia, quae non pertinet ad a. DLVII (nam Liv. XXXIII, 22 nihil probat), sed ad finem seculi sexti, cum Scaevola, Brutus, Manilius, ICti septimi seculi incipientis (Zimmern, Rechtsgesch. I, S. 276) disputarint, utrumne in post facta modo furta lex valeret an etiam in ante facta. Eo tempore igitur lex recens erat. – Ceterum lex expositione non indiget; sed dicendum est quae coniunctio intercedat inter eam et XII tabularum caput, quod furtivam rem usucapi vetabat. Non esse legem Atiniam nisi antiquioris repetitionem non placet; tum frustra litigassent viri doctissimi an in ante facta valeret. Item qui furtivas res a surreptis discernunt, nodum in scirpo quaerunt. – Longe alia res est. Decemviri cum inter leges poenales furtivarum rerum vitium sancirent, non animadverterunt legem generalem de auctoris liberatione post annum ad furtivas res quoque pertinere; quo factum est, ut furtivarum rerum usucapio non procederet, auctor liberaretur: id quod erat incivile. Ita addidit lex Atinia, quod decemviri omiserunt aeternamque auctoritatem harum rerum sanciverunt. Theses. 1.

Verba Ulpiani VI, 10 recte in codice scripta esse, modo ita distinguantur: Singulorum liberorum nomine sextae retinentur ex dote, non plures tamen quam tres. Sextae in retentione sunt, non in petitione. 2. Familiae emtoris verba Gai. II, 104 ita scribenda esse: Familiam pecuniamque tuam endo mandatela tua custodelaque mea [esse aio et ea] quo tu iure testamentum facere possis secundum legem publicam, hoc aere aeneaque libra esto mihi emta. * 3. Verba Horatii Serm. II, 1, 86: Solventur risu tabulae; tu missus abibis ad XII tabulas esse referenda.

* [Cf. Ges. Schr. II, 42.]

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Leges 19 et 22 C. de iure delib. VI, 30 ita esse conciliandas, ut qui intra tres menses a die scientiae moriatur, annale tempus deliberandi inde a die scientiae computandum petiisse videatur. Diem pro homine interpellare posse, non ubivis interpellare. Praetorem ita ius dixisse, ut certis diebus certa iudiciorum genera ordinaret. Leges iudiciarias Semproniam a. DCXXXI, Serviliam Caepionis, Liviam, Corneliam idem sanxisse. * Legem repetundarum quam Serviliam dicunt minime esse Serviliam. ** Niebuhrii cum splendorem tum errores in eo positos esse, ut historiam totam esse hypotheticam sive ignoraret sive negaret. Omnia populi iudicia capitalia fuisse ex provocatione. In re iudicata novationem non inesse. Male dici plebem Romanam nihil voluisse nisi rerum fructum sine labore. Illud Graeca non leguntur cum verum esse tum probandum, cum res Graecae philologorum sint, Latinae iurisconsultorum. Iurisconsultum a philologo discere posse; an possit philologus ab illo, adhuc dubitandum. Exceptis causis maiestatis populi iudicia hoc tempore non esse probanda. ***

* [Cf. Ges. Schr. III, 341sq.] ** [Cf. Ges. Schr. I, 16sq.] *** [Cf. Ges. Schr. III, 499.]