Die Ironie des Konservativen: Philosophische Untersuchungen zu einem Diktum Thomas Manns [1 ed.] 9783428535897, 9783428135899

In seinen "Betrachtungen eines Unpolitischen" behauptet Thomas Mann, der Konservative sei Ironiker. Eine Unter

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Die Ironie des Konservativen: Philosophische Untersuchungen zu einem Diktum Thomas Manns [1 ed.]
 9783428535897, 9783428135899

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Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 63

Die Ironie des Konservativen Philosophische Untersuchungen zu einem Diktum Thomas Manns Von Heinz-Gerd Schmitz

Duncker & Humblot · Berlin

HEINZ-GERD SCHMITZ

Die Ironie des Konservativen

Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 63

Die Ironie des Konservativen Philosophische Untersuchungen zu einem Diktum Thomas Manns

Von Heinz-Gerd Schmitz

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 978-3-428-13589-9 (Print) ISBN 978-3-428-53589-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-83589-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 * ∞ Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Des“, rief er ziemlich laut, „gibt es nur in Berlin. Da nur ist Witz und Ironie. Hier gibt es gutes Weißbier, aber wahrhaftig keine Ironie.“ „Ironie haben wir nicht“, rief Nannerl, die schlanke Kellnerin, die in diesem Augenblick vorbeisprang, „aber jedes andre Bier können Sie doch haben.“ (Heinrich Heine: Reisebilder. Dritter Teil: Reise von München nach Genua)

Inhaltsverzeichnis Vorverständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I.

Der Konservatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Konservative und Projekteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Konservative und Traditionalisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Konservative und Liberale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 4. Staatsmetaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Die Ironie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Rhetorische und soziale Ironie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Ironie im Kampf gegen den Relativismus . . . . . . . . . . . . . 84 3. Pyrrhonische Ironie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4. Romantische Ironie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 5. Nietzsche als Ironiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6. Rortys liberale Ironikerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Nachbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Abkürzungen Aen Akad

Anal post Ap BB Col Cra de or EE EF EN EphB Ep. Men. FW Gd Gorg HW

Inst Inv JGB KdU KFSA

Vergil: Aeneis Kant, I.: Werke. Akademie-Textausgabe. Unveränderter photomechanischer Abdruck des Textes der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1902 begonnen Ausgabe von Kants gesammelten Schriften. Berlin 1968 Aristoteles: Analytica posteriora Platon: Apologie Wittgenstein, L.: Das Blaue Buch Plutarch: Adversus Colotem Platon: Kratylos Cicero: De Oratore Aristoteles: Eudemische Ethik Kant: Zum Ewigen Frieden. Akad VII Aristoteles: Nikomachische Ethik Wittgenstein, L.: Eine philosophische Betrachtung Epikur: Brief an Menoikeus Nietzsche, F.: Fröhliche Wissenschaft Nietzsche, F.: Götzendämmerung Platon: Gorgias Hegel, G. W. F.: Werke in 20 Bde. Auf der Grundlage der Werke von 1832 – 1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion E. Moldenhauer u. K.M. Michel. Frankfurt / M. 1986 Quintilian: Institutio oratoriae Cicero: De inventione Nietzsche, F.: Jenseits von Gut und Böse Kant, I.: Kritik der Urteilskraft. Akad V Schlegel, F.: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Hg. v. E. Behler unter Mitwirkung von J.-J. Anstett und H. Eichner. Erste Abteilung: Kritische Neuausgabe. München / Paderborn / Wien / Zürich 1958 ff.

10 KSA

Leg M MA Men Met MM PH PhB PhG PhU Rep Rh SVF Symp Theae Top Tusc. disp WL WTB

WW

Abkürzungen Nietzsche, F.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bde. Hg. v. G. Colli u. M. Montinari. München / Berlin / New York 1980 Platon: Nomoi Sextus Empiricus: Adversus Mathematicos Nietzsche, F.: Menschliches, Allzumenschiches Platon: Menon Aristoeles: Metaphysik Aristoteles: Magna Moralia Πυρρώνειοι ὑποτυπώσεις (Pyrrhoneioi hypotyposeis) Wittgenstein, L.: Philosophische Betrachtungen Wittgenstein, L.: Philosophische Grammatik Wittgenstein, L.: Philosophische Untersuchungen Platon: Politeia Aristoteles: Rhetorik Arnim, H. F. A. von: Stoicurum veterum fragmenta, 4 Bde. Stuttgart 1964 Platon: Symposion Platon: Theaitetos Aristoteles: Topica Cicero: Tusculanae disputationes Nietzsche, F.: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne Hardenberg, F. Freiherr von [Novalis]: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Hg.v. H.-J. Mähl u. R. Samuel. 3 Bde. Darmstadt 1999 Wittgenstein, L.: Werkausgabe. 8 Bde. Frankfurt / M. 1989

Vorverständigung Mit dem Tode Queen Annes 1714 findet die politische Karriere des Tory-Pamphletisten Jonathan Swift ein Ende; er zieht sich 1715 nach Irland zurück, wo er seit April 1713 Dean der Saint Patrick’s Cathedral in Dublin ist. Freilich kann er es nicht lassen, sich einzumischen. Insbesondere die Armut auf der Insel, welche eng mit der Überpopulation zusammenhängt, macht ihm zu schaffen. 1729 veröffentlicht er daher einen Text mit dem Titel A Modest Proposal For preventing the Children of poor People in Ireland, from being a Burden to their Parents or Country; and for making them beneficial to the Publick 1. Swift teilt dem Leser in dieser Schrift mit, von einem amerikanischen Bekannten aus London wisse er, daß junge, gesunde, wohl genährte Kinder im Alter von einem Jahr äußerst wohlschmeckend seien – ganz gleich, ob man sie röste, backe oder koche. Von den 120.000 Nachkommen armer Leute, die man in Irland gezählt habe, möge man 20.000 zu Fortpflanzungszwecken am Leben lassen – ein Viertel davon Jungen, das seien schon mehr männliche Exemplare, als man in der Schaf-, der Rinder- oder Schweinezucht kalkuliere. Da Kinder dieser Art selten ehelich geboren würden, reiche für die Fortpflanzung ein Mann für vier Frauen. Die restlichen 100.000 solle man im Alter von etwa einem Jahr an reiche Leute im ganzen Lande verkaufen, welche sie 1

In der literaturwissenschaftlichen Forschung verweist man darauf, daß der von Swift gewählte Titel ernsthafte polit-ökonomische Vorschläge der Zeit nachahme – vgl. Wittkowsky 1943, 88 f. (Die Jahreszahl hinter dem Autorennamen bezeichnet das Erscheinungsjahr des in der Bibliographie vollständig genannten Bandes, auf das Komma folgt ggf. in römischer Zahl der Band, dann arabisch die Seite).

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dann Freunden bei einer Dinnerparty servieren, aber auch im Familienkreise auftischen könnten 2. Daß der Dean of Staint Patrick’s Cathedral in allem Ernste vorschlagen könnte, man möge zur Armutsbekämpfung zu einer kannibalischen Lebensform übergehen, dürften die Hellsichtigen unter seinen Gegner kaum angenommen haben 3. Sie werden den Vorschlag als das rezipiert haben, was er ist, eine ironisch vorgetragene Kritik an der Art, wie London die keltische Insel behandelte bzw. behandeln ließ 4. Nun ist Ironie nicht immer so leicht zu durchschauen wie im Falle Swifts. Sieht man von ihrem Auftreten als Worttropus ab – also von der Imitation des gegnerischen Vokabulars –, dann ist sie auf ihrer einfachsten Stufe, i.e. der der simulatio, ein Phänomen der Kontradiktion: Das, was gesagt wird, paßt nicht mit dem zusammen, was gewisse Signale als das Gemeinte indizieren. Der Sprecher äußert sich so, daß man, nimmt man ihn wörtlich, annehmen muß, er stehe im Lager seiner Gegner, i.e. der Leute, die eine Meinung vertreten, welche der seinen entgegengesetzt ist. Oder, wie im Falle Swifts, er offeriere einen geradezu barbarisch-inhumanen Standpunkt, den ihm natürlich 2

Swift 1955, 111/112. Daß es auch andere gegeben hat, wird in der einschlägigen Literatur betont. Man weist darauf hin, daß Swift durchaus deshalb kritisiert worden sei, weil man seine Aufforderung zum Kannibalismus wörtlich genommen habe; vgl. Lang 1996, 578. Auch heute scheint eine solche Rezeption nicht völlig ausgeschlossen: Christopher Fox teilt in seiner Einleitung zum Cambridge Companion to Janathan Swift mit, der Schauspieler Peter O’Toole habe bei der Widereröffnung des Gaiety Theatre in Dublin im Jahre 1984, ohne eine Ankündigung oder nähere Erklärung, aus Swifts Modest Proposal vorgelesen, was dazu geführt habe, daß eingeladene Würdenträger das Haus unter Protest verließen. Fox kommentiert dieses Ereignis mit der Feststellung, auch Hunderte von Jahren nach seinem Tode vermöge Swift sein Publikum noch in Bewegung zu versetzen, was hier wohl ganz wörtlich zu nehmen ist; vgl. Fox 2003, 7. 4 Vgl. Wright 1953, 117/118. Es gibt freilich auch Stimmen, die nicht England, sondern gewisse Kreise in Irland als Gegenstand der Kritik betrachten – vgl. exemplarisch Furguson 1959. 3

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niemand zutraut. Deshalb ist das von ihm gesetzte Ironiesignal so überdeutlich. Eine etwas höhere Stufe erreicht die Ironie, wenn sie als dissimulatio auftritt. Hier äußert man sich auf eine Weise, welche die eigene Ansicht verbergen soll. In dieser Bedeutung ist die Ironie ein Phänomen der griechischen Poliswelt: Jemand wird aufgefordert, etwas für die Gemeinschaf zu tun, und reagiert damit, sich selber als einen zu solchen Handlungen unfähigen Menschen hinzustellen. Ein Ironiker dieses Schlages ist der ἰδιότης, i.e. der auf Privatheit pochende Einzelne. Theophrast beschreibt einen solchen Menschen 5 und formuliert damit bündig das negative Bild des Ironikers als eines Ohne-mich 6. ‚Ironie‘ ist damit ein an seiner historischen Wurzel politisch bedeutsamer Begriff, aber eben als Schimpfwort 7. Die dissimulatio wird erst durch die Art und Weise hoffähig, in welcher Sokrates sie handhabt 8. Sein ‚Ich weiß, daß ich nichts weiß‘ ist zugleich bescheiden und großsprecherisch; denn er rühmt 5

Vgl. Char. I,1: ῾Η μὲν οὖν εἰρωνεία δόξειεν ἂν εἶναι ... προσποίησις ἐπὶ χεῖρον πρᾶξεων καὶ λόγων ... – Ironie scheint der ungerechtfertigte Anspruch zu sein, daß Handlungen und Taten einen Wert haben, der geringer als der Wert ist, der ihnen eigentlich zukommt (zur Entschlüsselung der verwendeten Abkürzungen vgl. das Verzeichnis am Beginn des Buches). 6 Vgl. auch die vierte Rede des Demosthenes, in welcher er die Athener dazu auffordert, die ironische Haltung abzulegen und sich ganz in den Dienst ihrer Polis zu stellen – 4, 7. 7 Vgl. Bergsons zusammenfassende Erklärung dessen, als was ein Eiron betrachtet wird: „die Eirones verstellen sich, um einen Vorteil zu gewinnen, handeln also aus Selbstsucht, sei es, um ihre Schulden auf betrügerische Weise loszuwerden ..., oder um den Mühen des Kampfes für die Sicherheit des Vaterlandes zu entgehen ..., oder aber um irgendwelchen Unannehmlichkeiten auszuweichen ...“ (1971, 426). 8 Vgl. Vlastos 1987, 84. Der Unterschied zwischen der Ironie als simulatio einerseits, als dissimulatio andererseits, insbesondere in ihrer Sokratischen Form, hat Melissa Lane (2006, 50 ff.) dazu veranlaßt, beide gänzlich trennen zu wollen. Wenn Platon Sokrates einen ‚eironikos‘ nenne, dann dürfe man nicht mit ‚ironic‘ übersetzen, denn hier werde ja etwas verborgen, während der Ironiker gerade etwas zeige.

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sich hier ja, allen anderen in seinem Wissen überlegen zu sein. Zugleich wird damit Ironie zum Instrument der Mäeutik: Der sich in seinem Nicht-Wissen präsentierende Sokrates entbindet seine Gesprächspartner des Wissens, über das sie positiv verfügen, und bekämpft auf diesem Wege den Relativismus der Sophisten. Ironie ist dadurch ein Pharmakon gegen die Weiterungen des homo-mensura-Satzes, jener nur dem Anscheine nach bescheidenen These, der Mensch sei Maß aller Dinge. Als Wort- bzw. als Gedankentropus von simulatio und dissimulatio läßt sich die Ironie als ‚rhetorisch‘ bezeichnen, die aus der dissimulatio entwickelte sokratische Ironie kann ‚mäeutisch‘ genannt werden. Ihrer bemächtigen sich die Pyrrhonischen Skeptiker, wie Sextus Empiricus sie präsentiert. Unter ihren Händen wird, was der Wahrheitsfindung dienen sollte, zum Mittel eines uferlosen Relativismus, der – angesichts des Selbstanwendungsdilemmas, das ihn bedroht, – zu einer Philodoxie seine Zuflucht nimmt, die Sokrates nur bedauernswert finden konnte, die dem Pyrrhoniker aber als einzig denkbare Position verbleibt. Daher stammelt er sein ὡς ἐμοὶ φαίνεται – so sehe ich es eben – und enthält sich allen weiteren Urteilens, indem er Epoché übt 9. Das Muster der skeptischen dissimulatio wird dann durch die deutschen Romantiker von einer Gesprächs- und Argumentationstechnik zur philosophischen Haltung. Damit erreicht die Ironie eine Stufe, auf welcher sie ihre Herkunft aus Rhetorik und sokratischer Mäeutik abgestreift hat und zur existentiellen Ironie geworden ist: Das Subjekt nimmt der Welt gegenüber eine Haltung ein, die es ihm ermöglicht, alles, was ist, oder 9 ἐποχὴ δέ ἐστι στάσις διανοίας δι᾽ ἢν οὔτε αἴρομέν τι οὔτε τίθεμεν – Epoché ist eine Geistesverfassung, in welcher man weder etwas negiert noch etwas setzt, behauptet Sextus (PH I, 10). In einer sehr schwachen Form vertritt Russell das Epochepostulat: Er will es nur auf solche Thesen bezogen wissen, bezüglich derer sich die Experten streiten. Sein Ratschlag lautet deshalb, man möge sich des Urteils enthalten, solange die Fachleute sich nicht einig sind; vgl. Russell 1928, 12/13.

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zumindest Teile des Ontischen dadurch zu negieren, daß es Bedeutungslosigkeit konstatiert. Wenn dies geschehen ist, wendet sich das ironische Subjekt gegen sich selbst. Es negiert nun den ersten negativen Akt und hebt damit das Subjekt als fundamentum inconcussum veritatis auf. Damit ist der Pyrrhonismus, dem es letztlich um Seelenruhe ging, um einen entscheidenden Schritt überboten; denn die solchermaßen totalisierte Ironie der Romantiker besteht in einer nicht endende Reihe von Negationen des Ontisch-Objektiven und der negierenden Subjektivität selbst. Insofern ist sie zwar Ausdruck der Freiheit des Subjektes, einer Freiheit aber, vor deren Negationen gerade auch ihre Akteure nicht geschützt sind. Freiheit ist hier sowohl die Freiheit von als auch die Freiheit zu – frei von dem Anspruch des Ontischen, das Bewußtsein des Subjektes zum passiven Rezipienten zu degradieren, frei zu der Bestimmung seiner selbst, welche in der Freiheit von zum Ausdruck kommt – und natürlich auch von dem, was sich als ein sich selbst negierendes Subjekt zeigt. In gewissem Sinne hat Richard Rorty diese suizidalen Tendenzen des Ironikers – bei ihm taucht er in weiblicher Gestalt auf – zu therapieren versucht, indem er eine strikte Begrenzung auf den privaten Bereich 10 und eine Rückbindung an die – freilich als kontingent erachteten – geistig-politischen Errungenschaften liberaler 11 westlicher Demokratien empfohlen hat. Seine Ironikerin – durch Nietzsche und Wittgenstein belehrt – glaubt, um die Unbegründbarkeit aller Standpunkte zu wissen, operiert aber dennoch in der Sphäre des Gesellschaftlich-Politischen ohne jeden Anflug von Unernst mit einem Solidaritätsbegriff, dessen rhetorische Durchschlagskraft sie zu schätzen gelernt hat. Was hier von einer politischen Wirkung der Ironie verbleibt, ist eine gewisse Toleranz, die freilich nicht 10 11

Vgl. Rorty 1989, 83 ff. Vgl. Rorty 1989, 84.

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aus dem Respekt vor fremden Rechten resultiert, sondern aus dem skizzierten skeptischen Agnostizismus. In Gegensatz zu dieser Auffassung steht der noch recht junge Thomas Mann mit seinen berüchtigten Betrachtungen eines Unpolitischen 12. Auch für ihn ist Ironie eine Lebensform, allerdings durchaus eine, die nicht nur in die Öffentlichkeit ausstrahlt, sondern sich gerade hier deutlich zur Ansicht bringt, als die Weltansicht eines Konservativen nämlich. Thomas Mann schreibt: „Ironie und Konservativismus sind nahe verwandte Stimmungen. Man könnte sagen, daß Ironie der Geist des Konservativismus sei“, er setzt dann freilich einschränkend hinzu, „sofern dieser nämlich Geist hat“ 13, woraus zu schließen ist, daß durchaus mit geistlosen und daher unironischen Konservativen zu rechnen wäre, die freilich nicht Gegenstand der im folgenden auszubreitenden Überlegungen sein werden. Thomas Mann präzisiert seine Aussagen durch den Hinweis, daß es zwischen der Existenz als Ironiker oder als Radikalist 14 für den geistigen Menschen keine Alternative gebe. Für den ersten sei der Hinweis auf die Wahrheit einer Aussage dann kein Argument, wenn es um das Leben gehe; für den zweiten hingegen stünden Wahrheit, Gerechtigkeit, Reinheit auf so hohem Podest, daß Hinweise auf das Leben nichts ausrichten könnten. Diese Haltung mache den Radikalisten zugleich zu einem 12

Der Text ist oft in Verruf gebracht worden – vgl. exemplarisch Görtemaker, der davon spricht, Thomas Mann überschreite zuweile die Grenze zur völkischen Ideologie (2005, 41). Bei allem, was man Thomas Mann vorwerfen kann, um ein Dokument faschistischen Denkens handelt es sich durchaus nicht – Heller ist hier gewiß ein glaubwürdiger Zeuge – vgl. 1976, 131, Anm. 13 Mann 2009, 634. 14 Daß er hier seinen Bruder Heinrich und dessen Fortschrittspathos im Augen hat, ist ein Gemeinplatz der literaturwissenschaftlichen Forschung. In Heinrich Manns Aufsatz Voltaire – Goethe heißt es: „... Freiheit: das ist die Gesamtheit aller Ziele des Geistes, aller menschlichen Ideale. Freiheit ist Bewegung, Loslösung von der Scholle und Erhebung über das Tier: Fortschritt und Menschlichkeit“ (Mann, H. 2005, 25).

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Nihilisten 15, man könnte geneigt sein hinzuzusetzen: zu einem manichäischen Nihilisten, der nur Freund oder Feind kennt 16. Thomas Mann ist sich darüber im klaren, daß sein Ironiebegriff nicht mit der herkömmlichen Auffassung übereinstimmen könnte, versichert aber, er glaube, diesen Begriff gar nicht weit genug, ihn „niemals zu ethisch und zu politisch“ fassen zu können 17. Der Grund hierfür ist in seiner Bestimmung des Politischen zu suchen, das er als einen Vermittlungsprozeß versteht, nicht aber als die Verwirklichung bestimmter Ziele. Deshalb sind politische Projekte, wie Rorty sie verfolgt, für Mann nicht denkbar. „Ironie ist das Pathos der Mitte“, heißt es in Überlegungen zu Goethe und Tolstoi, der ‚spielende Vorbehalt‘, den es vor einseitigen Parteinahmen graust 18. Thomas Mann hat mit diesen Vorstellungen die genaue Gegenposition zu Rorty formuliert, sein Ironiker ist nicht liberal 19 in dem Sinne, in welchem Rorty den Begriff verwendet, er ist konservativ; es geht ihm nicht um Fortschritt, sondern um Vermittlung, also nicht um die Zukunft, sondern um die Gegenwart. 15

Mann 2009, 617. Schönherr-Mann hat gewiß Recht, wenn er die Politiktheorie Carl Schmitts als das Musterbeispiel eines nicht-ironischen Denkens nennt (2003, 300 f.). Zum Verhältnis der Ansätze von Rorty und Schmitt vgl. Müller-Friemauth 2001, 249 f.; was Schmitts Vorstellung von der Ironie angeht, macht Kittsteiner einige Angaben (2000, insbes. 246 ff.). 17 Mann 2009, 631/632. 18 Mann 2002a, 934. Koopmann spricht zurecht vom ‚Standpunkt der Standpunktlosigkeit‘, die er nicht mit Charakterlosigkeit verwechselt wissen will (2005, 846). Einen in diese Richtung weisenden Vorwurf gegen Thomas Mann hat Martin Walser, der Schriftstellerkollege, erhoben – vgl. Walser 1976 10. Boehlich kann in den Betrachtungen nur den Versuch erblicken, „das Versagen des Bürgertums in seine eigentliche Tugend umzuschminken“ – vgl. Boehlich 1976, 53. 19 Daß sich auch Rorty einen nicht-liberalen Ironiker denken kann, zeigt eine Bemerkung zu Foucault und Habermas: Den ersten nennt er einen Ironiker, der kein Liberaler, den zweiten einen Liberalen, der kein Ironiker sein wolle (Rorty 1989, 61). 16

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Will man die Thesen Rortys und Manns erörtern 20, so stellen sich zwei Fragen. Einmal gilt es herauszufinden, ob Ironie und Politik überhaupt zusammengehören 21. Sollte man hier zu einem positiven Ergebnis kommen 22, müßte geklärt werden, ob dies in dem Modus geschehen muß, den Rorty vorführt, oder

20 Gewiß nicht gerecht wird man dem Autor des Zauberbergs, wenn man seine These, der Konservative sei ein Ironiker, einfach für unschlüssig erklärt, wie Koopmann es mit leichter Hand und ohne genauere Prüfung tut (1995, 69). 21 Für Menke ist die Frage eindeutig positiv zu beantworten. Er kennt eine philosophische, eine tragische und eine liberale Ironie. Alle drei werden zu einem Prozeß zusammengebunden. Die philosophische Ironie setzt Wert und Bedeutung der Politik herab (Menke 2003, 23), indem sie den Anspruch der Politik kritisiert, sie sei zu einer Erziehung zum Guten fähig (2003, 25). Das veranlaßt die Politik zu einer Selbstreflexion, in welcher ihr klar wird, daß sie ihre eigenen Vorhaben unterläuft (2003, 23). Weil es ihr nicht gelingt, zugleich das Wohl des einzelnen und das der Allgemeinheit zu befördern, wankt ihr sittlicher Anspruch (2003, 25). Auf diese Einsicht reagiert die Politik mit weitergehender Selbsterkenntnis (2003, 23). Sie beschränkt sich fortan auf das Gemeinwohl. Dadurch werde, so Menke, eine „ironische Depotenzierung souveräner Macht“ vollzogen (2003, 26). Demokratische Macht sei stets ironisch gebrochene Macht (2003, 27). Der Rezipient dieser Überlegungen fragt sich allerdings schnell, ob er es hier mit einer Beschreibung der politischen Wirklichkeit oder mit wishful thinking zu tun hat. Folgt man nämlich den Äußerungen der Tagespolitiker, dann dürfte von ironischer Depotenzierung kaum die Rede sein – viel häufiger schon von einer gänzlich unironischen Belehrungs- und Erklärungsfreude. 22 Uwe Japp kommt hier zu einer negativen Antwort: Die Arbeit, die Politik und die Liebe seien ‚kontraironisch‘ (1983, 25). Anderer Auffassung ist hier die Mehrheit der Autoren eines von Thorsten Bonacker, André Brodocz und Thomas Noetzel herausgegebenen Bandes mit dem Titel Die Ironie der Politik. Über die Konstruktion politischer Wirklichkeiten (2003). Schon 1992 ist Helmut Willkes Buch Ironie des Staates. Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft erschienen, in dem er in einer gewissen Anverwandlung bestimmter Überlegungen Rortys (1989) Ironie als eine politische Tugend liberaler Demokratien entfaltet. Robert Srcuton hingegen stellt in seinem jüngsten Buch mit einem sehr knappen Hinweis einen Zusammenhang zwischen der Ironie und einer konservativen Politik-Auffassung her, arbeitet aber mit einem recht eigenwillig definierten Ironie-Begriff: „... the habit of acknowledging the otherness of everything, including oneself“ (2010, 219).

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ob nicht eher der Mannsche Ansatz zu favorisieren wäre. Die letzte These will ich in diesem Buch verfechten. Die folgenden Darlegungen haben in einem ersten Teil zunächst den in der einschlägigen Literatur nur unzureichend 23 bestimmten Begriff des Konservatismus zum Gegenstand. Thematisieren kann man den Terminus freilich nur, wenn man ihn abgrenzt – einerseits vom Traditionalismus, andererseits vom Liberalismus. Ist dies geschehen, dann wird es nötig, ein Kriterium anzugeben, wodurch konservatives von nicht-konservativem Denken unterschieden werden kann. Ich werde hier vorschlagen, den Gebrauch gewisser politischer Metaphern als Indikator zu benutzen. Die These lautet: Der Konservatismus verwendet eine Körpermetapher, wenn er den Staat darstellt, seine auf Innovation ausgerichteten Gegner hingegen operieren mit Maschinenbildern. Die Rede von einer Metapher ist freilich nicht unproblematisch. Es wird also nötig werden, den Begriff so weit zu schärfen, daß er im angestrebten Sinne handhabbar wird. Dies soll dadurch geschehen, daß der enthymematische Charakter alles Metaphorischen herausgearbeitet wird.

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Häufig greift man zu dem gewiß fragwürdigen Verfahren einer definitio per enumerationem. Besonders unsystematisch arbeitet Greiffenhagen in seinem Konservatismus-Buch. Über die ganze Arbeit verstreut wird eine Vielzahl von Merkmalen des Konservativen aufgezählt – vgl. 1986, 63, 85, 100, 122 – 143, 186 – 188, 192 ff., 258 ff., 270 ff. und an vielen weiteren Stellen. Hondrich nennt 19 Merkmale (1994, 253 – 346), darunter recht grotesk anmutende Bestimmungen, etwa die, der Konservative fühle sich von der Aristokratie angezogen (325). Ein wenig systematischer geht Quinton vor, der allerdings die britischen Verhältnisse vor Augen hat. Er nennt drei Prinzipien: den Traditionalismus, den Organizismus, den Skeptizismus (1978, 16). Während die letzten beiden gewiß nicht unzutreffend sind, will ich die Richtigkeit des ersten bestreiten. Huntington (1974, 91 f.) versucht das Definitionsproblem dadurch zu lösen, daß er einen Konservativen zum Muster nimmt und dessen Ansichten darlegt. Fragwürdig ist hier die Wahl Edmund Burkes, dessen Auffassungen in der einschlägigen Forschung alles andere als eindeutig klassifiziert werden. Eine Übersicht liefert Doering 1990, 13 – 23.

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Vorverständigung

Anschließend kommen die hier im Rahmen einer Vorverständigung bereits skizzierten Gestalten der Ironie zur Sprache: die rhetorische und die Sokratische Ironie, die um Epoché bemühte Pyrrhonische Skepsis, die Position der deutschen Romantiker, die Haltung Nietzsches 24 und schließlich die bereits benannte Auffassung Rortys. Zum Ende des Buches sollte es dann möglich sein, den Zusammenhang zwischen den zu Beginn der Überlegungen entfalteten unterschiedlichen politischen Dispositionen und der Ironie zu bestimmen 25. Dabei werden, so die Hoffnung, die im Titel genannten Termini in ihren Bedeutungsnuancen hervortreten, so daß am Ende der Darlegungen deutlich geworden ist, was die Begriffe in politischen Zusammenhängen bezeichnen können und wie sie sich in ihrer Interaktion darstellen, was also – angesichts der Bedeutung der einzelnen Termini – die aus ihnen zusammengesetzte Behauptung Thomas Manns besagt, der Konservative sei ein Ironiker.

24

Nietzsches Credo lautet: „Wir conserviren Nichts, wir wollen auch in keine Vergangenheit zurück, wir sind durchaus nicht liberal, wir arbeiten nicht für den Fortschritt, wir brauchen unser Ohr nicht erst gegen die Zukunfts-Sirenen des Marktes zu verstopfen – das, was sie singen, gleiche Rechte, freie Gesellschaft, keine Herrn mehr und keine Knechte, das lockt uns nicht! – wir halten es schlechterdings nicht für wünschenswerth, dass das Reich der Gerechtigkeit und Eintracht auf Erden gegründet werde (weil es unter allen Umständen das Reich der tiefsten Vermittelmässigung und Chineserei sein würde) ...“ (FW – KSA III 629). Es wird sich zeigen, daß Nietzsche, wenn er den Begriff ‚konservativ‘ in den Mund nimmt, eine Haltung meint, die in der Diktion der vorliegenden Arbeit ‚traditionalistisch‘ zu nennen wäre. 25 Dabei wird, soweit dürfte die Einleitung schon Klarheit geschaffen haben, nicht herauskommen, die von Thomas Mann vertretene Ironie-Konzeption stelle eine konservative Metaphysik dar, wie Kurzke meint – vgl. 2005, 680; denn niemand ist metaphysikfeindlicher als ein Ironiker.

I. Der Konservatismus 1. Konservative und Projekteure

Hans Castorps Mitbürger glauben vorhersagen zu können, der verwaiste, bei seinem Onkel, Konsul Tienappel, lebende Patriziersohn werde es in seiner Heimatstadt einmal zu einer Stellung bringen, die seinem Namen, seinem Vermögen und dem damit verbundenen Einfluß entspreche. Was sie hingegen nicht zu prognostizieren vermögen, ist die politische Gruppierung, der er sich anschließen dürfte. Zwar macht er, was Kleidung und Gebaren betrifft, nicht den Eindruck, sich zu einem Parteigänger der Demokraten zu entwickeln; viel eher hat es den Anschein, mit ihm stehe dem politischen Hamburg ein weiterer ‚Hemmschuh‘ ins Haus, ein ‚konservatives Element‘ also, das sich dem Fortschritt in den Weg stellen werde 1. Dann aber beschleicht sie, angesichts der Ausbildung und anvisierten Profession des jungen Mannes, mehr als nur ein flüchtiges Bedenken: Schiffsbauingenieur soll er werden; die theoretischen Studien sind abgeschlossen, es fehlt ihm lediglich der praktische Teil seiner Ausbildung. Diese technisch-naturwissenschaftliche Orientierung Castorps spricht in den Augen seiner Mitbürger dagegen, daß er Sympathien für die Konservativen hegen könnte. Man rechnet daher durchaus mit der Möglichkeit, daß sich der Ingenieur als ein Radikaler entpuppen werde, der mit der Tradition umstandslos zu brechen „und den Staat in waghalsige Experimente zu stürzen“ bereit wäre 2.

1 2

Mann 2002, 58. Mann 2002, 59.

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I. Der Konservatismus

Was an diesen Überlegungen politiktheoretisch interessiert, ist die Tatsache, daß sich die Hamburger nicht fragen, ob Castorp die richtige politische Einstellung besitze – angesichts seiner Herkunft und der in seinen Kreisen üblichen Erziehung. Für sie scheint die politische Orientierung überhaupt keine Frage des Begründens und Widerlegens zu sein, des ÜberzeugtWerdens und der anschließenden Konversion – also nichts, wozu man sich entscheiden oder das man zurückweisen könnte. Sie glauben vielmehr, daß man seine politische Auffassung etwa so annehme, wie man Tee- oder Kaffeetrinker wird. Kurz: Man scheint den Konservatismus für Resultat einer – um den von Michael Oakeshott 3 verwendeten Ausdruck zu benutzen – Disposition zu halten. Disposition meint hier eine gewisse Empfänglichkeit für diese oder jene Weise des politischen Diskurses, wobei der Begriff ‚Diskurs‘ nicht eine durch die Postulate logischer Gültigkeit, durch die Verpflichtung auf sachliche Richtigkeit und am Gemeinwohl orientierter Überparteilichkeit geprägte Form der Auseinandersetzung meint, sondern das Faktum bezeichnet, das politische Konfrontation verbale Interaktion welcher Qualität auch immer impliziert. Die Bemühungen des Erzpädagogen und Menschheitsretters Settembrini – gewiß nicht das Sprachrohr seines Autors 4 – zeigen dann im Verlaufe des Romans auch, daß Castorp nicht wirklich zu beeinflussen ist. Seine Disposition hält sich durch, zur Beförderung des Fortschritts rührt er genauso wenig einen Finger wie zur Verwirklichung von Naphtas 5 totalitärer Uto3 Oakeshott 1991, 407. Ohne einen Bezug zu Oakeshott herzustellen, führt Quinton aus: Um dem Paradoxon des Konservatismus zu entgehen, eine theoriefeindliche Theorie vorzulegen, habe man versucht, den Begriff ‚Theorie‘ durch den der ‚Disposition‘ zu ersetzen. Aber eine Disposition brauche wie eine Theorie eine Rechtfertigung (1978, 12). Im folgenden wird sich zeigen, daß eine solche Rechtfertigung sehr wohl vorhanden ist – nur auf eine ungewöhnliche Weise, nämlich durch die Wahl einer bestimmten Metaphorik. 4 Vgl. B. Kristiansen 1975, 123; Wißkirchen 1995, 81 – 116. 5 Mit der Einordnung von Naphtas Denken hat sich die literaturwissenschaftliche Forschung schwer getan, weil man nicht hat sehen wollen,

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pie. Schließlich ereilt ihn die Pflicht, an dem „argen Tanzvergnügen“ teilzunehmen, von dem der auktoriale Erzähler meint, daß es „noch manches Sündenjährchen“ dauern und daß der simpel Protagonist „diesem Weltfest des Todes“ 6 wohl kaum heil entkommen werde. Mit den folgenden Überlegungen soll versucht werden, den Charakter der angesprochenen unterschiedlichen politischen Dispositionen genauer zu bestimmen 7. Dazu wird folgende daß auch der Reaktionär in gewissem Sinne revolutionär denkt – nämlich in Kategorien einer gewaltsamen Veränderung der politischen Verhältnisse. Es ist also gar nicht nötig zu vermuten, daß Naphta sich revolutionär verhülle, um gegen den Marxismus ankommen zu können (vgl. Tholen 1990, 81 – 99). Gewiß unzutreffend ist die Behauptung, in Naphta begegne uns der späte Nietzsche, dem nicht in den Sinn gekommen wäre, einen Gottesstaat zu postulieren – vgl. Erkme 1996, 85. Naphtas Haltung ‚manichäisch‘ zu nennen – wie Zons (2000, 203) es tut – trifft hingegen gewiß den Sachverhalt. 6 Mann 2002, 1085. 7 Daß eine solche Klärung nicht überflüssig ist, zeigt ein Blick in unsere Tageszeitungen. Im Umfeld der sogenannten Finanzkrise, welche die Jahre 2008/2009 geprägt hat, äußert der britische Premier die Ansicht, Banken sollten sich auf die traditionellen Geschäftsmodelle zurückbesinnen. Janet Daley, Kommentatorin der Tageszeitung The Daily Telegraph, greift diese Äußerung mit – wohl nur prätendierter – Verwunderung auf, weil sie, so ihre Erklärung, nicht erwartet hätte, das Wort ‚Tradition‘ mit positiver Konnotation aus dem Munde eines Labour-Politikers zu hören (Daley, Janet: Tradition is the next big idea in politics. But why stop at banking? In: The Daily Telegraph, Monday, February 23, 2009, 22). Alles Traditionelle habe für Tony Blair, Browns Vorgänger im Amte, nur ein Hindernis dargestellt, weshalb er dazu aufgerufen habe, die Kräfte des Konservatismus zu bekämpfen. Gordon Brown hingegen habe alles daran gesetzt, altmodische Banken als ein positives soziales Gut erscheinen zu lassen, altmodische Tugenden wie Umsichtigkeit und die Bereitschaft zu persönlicher Verantwortung, Verhaltensmuster, die Labour in den Tagen Margret Thatchers als kleinbürgerliche Obsessionen bezeichnet habe. Janet Daley fährt dann fort, indem sie die von Labour angeblich lächerlich und damit wirkungslos gemachten Tugenden und die ökonomische Krise in einen Zusammenhang bringt und dem Leser damit einmal mehr die politische Botschaft der Zeitung, für die sie tätig ist, ans Herz legt. Das ist nicht weiter erstaunlich, weil wohl fast alle politischen Gruppierungen die wirtschaftlich bedenkliche Lage so interpretieren, daß alte Auffassungen bestätigt und gegnerische Ansichten als widerlegt gelten können. Bemer-

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These expliziert: In einem politischen Gemeinwesen, das Meinungs- und Pressefreiheit garantiert, also zuläßt, daß Fakten öffentlich mitgeteilt, Fragen öffentlich gestellt und die jeweils vorliegenden Verhältnisse sowie die Vergangenheit, aber auch bestimmte Vorhaben vor aller Ohren normativ, i.e. kritisch, klassifiziert werden, und das obendrein den Bürgern das Recht zugesteht, sich zu versammeln und sich in Zusammenschlüssen zu organisieren, in einem solchen Gemeinwesen wird – unabhängig von gewissen tradierten Formen der Regierung, mithin nicht nur in Castorps hanseatischer Stadtrepublik – eine politische Lagerbildung zu beobachten sein, durch die konservative Elemente sich von einer Gruppe trennen, die ich als ‚Projekteure‘ 8 bezeichnen will. Letztere zerfallen noch einmal in die – im Wortsinne und wiederum ohne eine pejorative Konnotation 9 – als ‚Reaktionäre‘ und die als ‚Innovateure‘ zu bezeichnenden Bürger 10. kenswert aber ist, daß die Klassifikationen, mit denen Frau Daley arbeitet, in einer Weise zusammenfallen, die anzeigt, wie nötig es ist, sich dieses Vokabulars in einer philosophischen Erörterung zu versichern. 8 Ich wähle die Bezeichnung nicht, um die durch sie Benannten herabzusetzen – etwa durch eine Anspielung auf Swifts ‚projectors‘, jene lächerlichen Professoren der großen Akademie von Lagado, auf die Gulliver auf seiner dritten Reise trifft (Swift 2004, 217 ff.). Vielmehr wird der Terminus im Einklang mit dem deutschen politischen Sprachgebrauch verwendet, welcher es erlaubt, von den Projekten zu sprechen, die eine Partei oder Gruppierung verfolgt. Roger Scruton verwendet in seinem letzten, eher auf eine breitere Leserschaft zielenden und recht kräftige, i.e. zuweilen undifferenziert-polemische, Formulierungen nicht scheuenden Buch The Uses of Pessimism (2010) den Begriff ‚unscrupulous optimism‘, um die Geisteshaltung der Projekteure zu kennzeichnen, und empfiehlt stattdessen einen wohldosierten Pessimismus (vgl. 19), welcher anerkenne, daß die Welt in einem gewissen Grade unvollkommen sei und sich deshalb nicht vollständig perfektionieren lasse (vgl. u. a. 41). 9 Was die Wortwahl ein wenig unglücklich erscheinen lassen könnte, ist die Tatsache, daß der Begriff in der Tat mit kritischer Intention verwendet wird. Vgl. exemplarisch O.H. von der Gablentz’ Definition; reaktionär nennt er „... das Festhalten an einer politischen Ordnung, die der Verteilung der gesellschaftlichen Macht in Wirtschaft und Bildung nicht mehr entspricht ...“ (1974, 76). Daß dies eine recht einseitige Bestimmung ist,

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Der erste Teil dieser Gliederung ergibt sich nicht als Resultat gewisser historischer Entwicklungen 11, sondern aus einer Differenzierung von Konservativen und Projekteuren, welche sich aus zwei unterschiedlichen Staatsauffassungen herleitet, die in den Metaphern vom Staatskörper 12 bzw. von der Staatsmaschinerie 13 nicht nur zum Ausdruck kommen, sondern durch ihre Verwendung auch gerechtfertigt werden sollen. Für den Konservativen erschöpft sich damit die Legitimation seiner Haltung, seine Gegner hingegen vermögen häufig mit zusätzlichen theoretischen – konkret: geschichtsmetaphysischen – Gebilden aufzuwarten. zeigt die Tatsache, daß wir in gewissen Zusammenhängen alle Reaktionäre sind – etwa wenn wir zum Arzt gehen, um einen Zustand wiederherstellen zu lassen, wie er vor einer Erkrankung bestanden hat. Reaktionär sind gewiß auch alle politischen Bewegungen, denen es darum geht, eine verlorene Freiheit oder Unabhängigkeit wiederherzustellen. Der Begriff wird im folgenden also wörtlich genommen: Man handelt reaktionär, wenn man sich darum bemüht, einen vergangenen oder als vergangen erachteten Zustand wiederherzustellen. 10 Inwiefern dieser Gliederung politische Parteien entsprechen, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Andeutungsweise kann aber konstatiert werden, daß sich in jeder der Parteien, die wir kennen, Elemente beider Gruppen finden dürften. 11 Die gegenteilige Auffassung vertritt Panajotis Kondylis (1986, 11). Freilich geht es ihm darum, die These zurückzuweisen, der Konservatismus resultiere aus gewissen anthropologischen Konstanten. Eine solche Auffassung vertritt z. B. Gerd-Klaus Kaltenbrunner (1975, 95 f.). 12 Topisch ist hier die Fabel des Menenius Agrippa, wie Livius sie mitteilt (Ab urbe condita II 32, 8 – 12). 13 Vgl. Schillers Formulierung: „Wenn der Künstler an einem Uhrwerk zu bessern hat, so läßt er die Räder ablaufen; aber das lebendige Uhrwerk des Staats muß gebessert werden, indem es schlägt, und hier gilt es, das rollende Rad während seines Umschwunges auszutauschen“. (Schiller 1962, 314). Auch Forsters Formulierung kann als Beispiel für die Begriffsverwendung gelten: „So kinderleicht es immer ist, durch plötzlich aufgebothene Kräfte in den friedlichen Alltagsgang der Staatsmaschine einzugreifen, ihr Getriebe aus einander zu reissen, neu zusammenzufügen, und in einer andern Richtung fortzubewegen; so unentschieden bleibt der Werth und die Dauer dieser neuen Ordnung, bis sie sich nicht mit jedem möglichen Widerstande gemessen und gegen alle siegreich behauptet hat.“ (Forster 1971, 411).

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Diese Feststellung mag auf den ersten Blick überraschen, denn John Stuart Mill 14 erklärt in wünschenswerter Deutlichkeit, eine Metapher sei kein Argument, sondern vielmehr die Behauptung, ein Argument existiere; die in einer Metapher verbundenen Vorstellungen glichen einander mithin in dem Sinne, welchen die Metapher unterstellt. Und schon Thomas von Aquin hatte konstatiert, tropischem Reden könne man keine Argumentation abgewinnen 15. Erproben läßt sich die Richtigkeit dieser Feststellung an einer Formulierung Kants, der beide Staatsmetaphern, die des Körpers und die der Maschine, in einem Atemzug nennt: „So wird ein monarchischer Staat durch einen beseelten Körper, wenn er nach inneren Volksgesetzen, durch eine bloße Maschine aber (wie etwa eine Handmühle), wenn er durch einen einzelnen absoluten Willen beherrscht wird, in beiden Fällen aber nur symbolisch vorgestellt. Denn zwischen einem despotischen Staate und einer Handmühle ist zwar keine Ähnlichkeit, wohl aber zwischen den Regeln, über beide und ihre Causalität zu reflectiren.“ 16 Die beiden Vorstellungen, welche durch die Bezeichnungen ‚Handmühle‘ und ‚Despotismus‘ hervorgerufen werden, vereinigen sich insofern zu etwas Neuem, als eine normative Qualifikation der benannten Herrschaftsform vorgenommen wird: Der Despot reibt seine Untertanen so auf wie die Handmühle die Körner. Da Menschen im Gegensatz zu den Körnern in der Mühle eine Würde besitzen, gewisse Rechte reklamieren können etc., ist die Behandlung, welche der Despot ihnen angedeihen läßt, inakzeptabel. Dies ist die Auffassung, zu welcher der Rezipient der Kantischen Metapher kommen soll. Sie wird nicht logisch-diskursiv erzeugt, sondern stellt sich schlagartig ein, wenn das verwendete Bild Evidenz 17 14

Mill 1868, II 395. ex tropicis locutionibus non est sumenda argumentatio (Super Boetium De Trinitate, q. 2, a. 3, ad 5). 16 KdU – Akad V 352. Kant spricht nicht von Metaphern, sondern von Symbolen, beschreibt aber nichts anderes als den Mechanismus einer metaphorischen Ausdruckweise. 15

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besitzt. Metaphern sind keine Argumente, da hat Mill gewiß recht, aber ihnen geht deshalb nicht jeder heuristische Wert ab; denn sie vermögen Aspekte sichtbar werden zu lassen 18, die vielleicht unbeachtet blieben oder gar unzugänglich wären, wenn man sie nicht verwendete. Konservative sehen den Staat – der Körpermetapher folgend – als eine organische Einheit 19, nicht als Resultat eines Planungsvorgangs – eines Züchtungsprozesses etwa, sondern als Ergebnis einer Entwicklung, in die Menschen zwar gestaltend eingreifen, ohne dabei aber erfolgreich nach einem Plan vorgehen zu können, weil die Welt des Politischen kontingenten Charakter hat. Karl Mannheim hat ganz zutreffend festgestellt, der Konservative habe eine Utopie, in welcher Sollen und Sein dergestalt zusammenfallen, daß die Utopie „in das Sein bereits von vornherein versenkt“ sei 20 – oder anders ausgedrückt: Für den Konservativen fallen Sein und Sollen nicht so weit auseinander, daß radikale Änderungen an der jeweiligen Gegenwart vorzunehmen wären. Ja der Versuch weitreichender Modifikationen führte in seinen Augen nur dazu, das Sollen zu verfehlen. Diese Auffassung bringt die Körpermetapher insofern zum Ausdruck, als man – zumindest menschliche – Lebewesen nicht als zu optimierende Objekte betrachtet, die durch beliebige Eingriffe zu modifizieren erlaubt sei. Vielmehr hegen wir einen – vielleicht atavistischen – Widerwillen gegen solche Experimente; Mary Shelly hat ihm mit ihrem Frankstein-Roman Ausdruck verliehen. Veranschaulicht man den Staat also durch Hinweis auf einen Körper, dann hält man sich nicht für befugt, gravierende Änderungen vorzunehmen, dann meint man viel17 Dies ist die Leistung, welche Michel Meyer gelungenen Metaphern zuspricht; vgl. Meyer 2008, 126. 18 Vgl. Kurz / Pelster 1976, 72. 19 Angesichts der Abscheu, welche Kant durch das Maschinenbild evozieren will und des Wohlwollens, das der Rezipient mit der Idee eines beseelten Körpers verbinden soll, wird man Kant eine konservative Grunddisposition zuschreiben müssen. 20 Mannheim 1929, 216.

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mehr, es sei lediglich gestattet, Maßnahmen zur Wahrung der Gesundheit dieses Körpers zu ergreifen. Wenn Castorp Settembrinis Kritik an den bestehenden Verhältnissen für ein Zeichen einer gewissen Verwahrlosung 21 hält, dann folgt er den Impulsen dieser konservativen Disposition; denn es scheint ihm in gewisser Weise ruchlos, über die gewachsenen Verhältnisse frei verfügen zu wollen. Daher lösen Settembrinis Erzählungen über die politischen Ansichten und das aufrührerische Treiben seines Großvaters sowohl bei Castorp als auch bei seinem Vetter – milde formuliert – ein gewisses Befremden aus; ihr Ordnungssinn fühlt sich auf das Empfindlichste gestört 22. Projekteure meinen demgegenüber, der Staat sei eine von Menschen geplante und gebaute Maschinerie 23, die in allen ihren Teilen der unbeschränkten Verfügungsgewalt ihrer Urheber zu gehorchen habe. Seine Entstehung verdanke dieser Apparat einem Geschichtsprozeß, in welchem menschliche Subjekte nicht nur als Akteure, sondern als Planer aufgetreten sind. Allerdings stellen die Resultate, die man dabei erzielt hat, die Projekteure nicht zufrieden. Das Sollen ist für sie mithin nicht in der Gegenwart versenkt, sondern in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Projekteur wird man also genau dann, wenn man unter einer vermeinten Sein-Sollens-Differenz leidet 24. 21

Mann 2002, 156. Mann 2002, 234. 23 Häufig wird diese Auffassung mit dem Kontraktualismus in Zusammenhang gebracht, den der konservative Denker ablehnt – vgl. Schoeps 1981, 15/16). Bei Thomas Mann vertreten sowohl Naphta als auch Settembrini die Staatsvertragslehre (vgl. 2002, 605). Freilich ziehen sie daraus gegenläufige Schlüsse. 24 Oakeshott spricht in diesem Zusammenhang von ‚politics of faith‘: „The activity of governing is understood to be in the service of human perfection; perfection itself is understood to be a mundane condition of human circumstances; and the achievement of perfection is understood to depend upon human effort. The office of government is to direct the activities of its subjects, either so that they contribute to the improvements which in turn converge upon perfection, or (in another version) so that 22

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Kommt das Unbehagen an der Gegenwart dadurch zustande, daß man glaubt, ein zurückliegender Zustand der Staatsmaschine sei dem gegenwärtigen vorzuziehen, dann gehört man in das Lager der rückwärtsgewandten Reaktionäre. Naphta ist ein extremes Beispiel. Für ihn beginnt mit dem bürgerlichen Zeitalter die Entwürdigung des Menschen 25, die es rückgängig zu machen gilt. Dies kann nur dadurch geschehen, daß ein anfänglicher „gottesunmittelbarer Zustand“ mit terroristischen Mitteln 26 wiederhergestellt wird 27. Ist man hingegen der Auffassung, der gegebene Zustand der Staatsmaschine sei zwar Resultat eines zu begrüßenden Prozesses, den man freilich weiter voranzutreiben oder gar durch einen revolutionären Akt beschleunigt in sein Ziel zu bringen habe, dann gehört man zu den Innovateuren, die sich selbst gern als Progressive bezeichnen. Thomas Mann hat der Weltliteratur mit seinem Settembrini ein Musterexemplar eines so disponierten Menschen geschenkt. Als Mitglied des Internationalen Bundes zur Organisierung des Fortschritts ist er der Auffassung, daß „der innerste Naturberuf der Menschheit ihre Selbstvervollkommnung“ 28 sei, welche genau dann erreicht werde, wenn man eine Weltrepublik gegründet habe 29. Historisch treten die Innovateure in großem Stil mit der Französischen Revolution auf den Plan. Tocqueville stellt fest, man habe zu dieser Zeit in Frankreich mit großer Lust den they conform to the pattern imposed. And since this office can be sustained only by a minute and zealous control of human activities, the first need of government in the politics of faith is power to match its task“ (Oakeshott 1996, 45). Die Gegenposition ist die des Skeptikers, der bei Oakshott ein Konservativer ist. 25 Mann 2002, 598. 26 Bei seiner Gestaltung des Terrors im Zauberberg sei Thomas Mann von Sorels Réflexion sur la violence (Paris 1906) inspiriert, führt Pierre-Paul Sagave (1988, 9 – 22, 15) aus. Auch Überlegungen zum sowjetischen Experiment hätten eine Rolle gespielt (16). 27 Mann 2002, 604. 28 Mann 2002, 371. 29 Mann 2002, 240.

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Versuch unternommen, das Land mit einem Schlage nach den Regeln der Logik zu ändern – einem einheitlichen Plan folgend. 30 Beide – sowohl die rückwärtsgewandten Reaktionäre wie auch die fortschrittsfreundlichen Innovateure – treten in unterschiedlichen Spielarten auf. Die einen tragen eher reformatorische Züge – wie Settembrini und seine Freunde, die anderen geben sich umstürzlerisch-revolutionär 31 und planen dabei nicht selten die Abschaffung der Freiheiten und Rechte, denen sie ihre Existenz verdanken. In den tagespolitischen Auseinandersetzungen gehen die skizzierten Gruppierungen ganz unterschiedliche Koalitionen ein. So mag der revolutionär gesonnene Innovateur es für opportun halten, sich reformatorisch zu geben; ja er kann sogar rückwärtsgewandte Züge aufweisen, etwa wenn er einem untergegangenen Staate nachtrauert, der seinem politischen Ideal eher entspricht als die Verhältnisse, unter denen er lebt. Auch der Reaktionär neigt manchmal zur Mimikry, wenn er sich den Anschein eines Konservativen gibt. Die Reihe der Beispiel ließe sich verlängern – doch schon die wenigen Hinweise zeigen, wodurch die Begriffsverwirrung bei der Kennzeichnung 30

Tocqueville 1866, 207. Kritisch heißt es dazu in einer Anmerkung, die Philosophen, von denen die Revolutionäre inspiriert gewesen seien, hätten nicht die menschliche Vernunft verehrt, sondern nur die eigene. Man habe sich als Rivale Gottes betrachtet und die einfachen Leute verachtet (413). 31 Was man die ‚konservative Revolution‘ genannt hat, erscheint unter dieser Perspektive als ein rückwärtsgewandtes Denken, das vor gewaltsamer Veränderung nicht zurückscheut. Thomas Mann benutzt den Begriff seit 1920; wahrscheinlich ist er sein Urheber. Hugo von Hofmannsthal spricht später in seiner Rede Schrifttum als geistiger Raum der Nation (Hoffmannsthal 1979) von einer ‚konservativen Revolution‘ und macht die Redeweise in Deutschland heimisch – vgl. Sontheimer 2002, 92; zur weiteren Karriere des Begriffs vgl. Breuer 1993, 1 ff.; Breuer gelangt zu folgender Kennzeichnung: „Was immer die Konservative Revolution gewesen sein mag, eine konservative [Kursivsatz bei Breuer] Revolution war sie nicht“ (1993, 5). Folgt man der mit der vorliegenden Arbeit vorgeschlagenen Terminologie, so erweist sich die Redewendung als contradictio in adiecto.

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politischer Dispositionen entsteht: Sie resultiert aus dem Hang des Betrachters, tagespolitische Konstellationen zur Erklärung grundsätzlicher Ausrichtungen heranzuziehen, die zwar hinter ihnen verborgen liegen, aber weniger durch die jeweilige Positionierung politischer Akteure als vielmehr – so die These des Buches – durch die politische Metaphorik sichtbar werden, deren man sich bedient, um die eingenommenen Positionen zu rechtfertigen. Dies gilt es weiter auszuführen – zunächst durch einige Abgrenzungen.

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Der Konservative wird gerne als ein Traditionalist bezeichnet, nicht nur in den politischen Alltagsdebatten, sondern auch in der einschlägigen Literatur 32. Daß es sich hier um eine nicht gerechtfertigte Gleichsetzung handelt, hat Karl Mannheim gezeigt. Er grenzt die in der Kapitelüberschrift genannten Termini so ab: Traditionalismus ist die überhistorisch anzutreffende menschliche Neigung, am Althergebrachten festhalten zu wollen, Konservatismus hingegen ein in bestimmter geschichtlicher Situation auftretendes politisches Phänomen 33. Er kommt durch soziale Differenzierungen zustande, welche dazu führen, daß eine Gesellschaft sich in Klassen aufspaltet, die sich 32 Vgl. Greiffenhagen 1986, 164; Quinton 1995, 244 f.; Schoeps 1981, 14; Kolnai spricht lediglich von einer traditionalistischen Spielart des Konservatismus (1972, 96 – Anm. 2). Anders Molnar: „... Konservatismus ... verkörpert eine philosophische Position, die weder reggressiv noch progressiv ist und als das eine oder andere nur im Zerrspiegel von Ideologien und anderer philosophisch nicht autonomer Konzepte erscheint. Die ‚Dummheit‘ und ‚Rückschrittlichkeit‘ des Konservatismus besteht somit nur in der andauernden Anstrengung, die Luftschlösser von Pseudophilosophien wieder abzureißen, also jener Systeme, in denen die philosophische Fragestellung an den Wagen ideologischer Wunschvorstellungen angehängt worden ist“ (Molnar 1972, 524). 33 Mannheim 1974, 26.

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nicht nur in ökonomischer Hinsicht unterscheiden, sondern auch verschiedenartige Weltansichten hervorbringen 34. Die eine richtet sich auf die Bewahrung der Verhältnisse, die andere auf deren Veränderung; denn der Konservative nimmt die Gegenwart als das letzte Stadium der Vergangenheit wahr, der auf Veränderung Drängende hingegen als den zu überwindenden Anfang einer von ihm herbeigesehnten Zukunft 35. Damit hat sich der überhistorische Traditionalismus geschichtlich als ein spezifischer Konservatismus konkretisiert. Die letzte Bestimmung zeigt die Schwäche der Mannheimschen Terminologie; denn das Explikationspotential, welches durch eine Differenzierung von Traditionalismus und Konservatismus erschlossen wird, geht wieder verloren, wenn eine jede sich historisch findende Gestalt des Konservatismus nichts anderes ist, als geschichtlich gewordener Traditionalismus. Was als Erkenntnis verbleibt, ist die Einsicht, daß ein nicht-konservativer Traditionalismus denkbar ist – etwa der von Personen, deren politische Ausrichtung auf Veränderung geht, deren private Lebensführung sich aber nicht vom Hergebrachten entfernt 36. Ein politischer Traditionalismus, den ich im letzten Kapitel ‚reaktionär‘ genannt habe, ist für Mannheim nicht denkbar, wiewohl er durchaus angetroffen werden kann. Es erscheint daher phänomenadäquater, den Begriff der Tradition anthropologisch zu schärfen und ihn deutlich vom Konservatismus zu unterscheiden. Dies kann durch einen Rückgriff auf Bestimmungen Herders und Schelers geschehen, derer ich mich im folgenden bedienen will. Herder konstatiert, der Mensch werde fast ohne Instinkt geboren, zur Menschheit bilde er sich nur durch solche Übungen fort, deren Resultate an künftige Generationen weitergegeben werden könnten 37. Tradition ist nach dieser Auffassung mithin 34 35 36

Mannheim 1974, 31. Mannheim 1974, 39. Mannheim 1974, 27.

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einmal Bedingung der Möglichkeit von Historizität, andererseits befähigt sie uns, einen geistigen Bezug zu etwas TransIndividuellem zu gewinnen – sei es zu der Familie, der man angehört, zu dem Kultur-Volk, dem man sich zurechnet, zu der Nation, deren politisches Glied man ist. Tradition verlängert die Existenz in einen Zeitraum hinein, der weit vor der eigene Geburt liegt. Damit schafft sie einen temporalen Raum, in dem man sich bewegt – sei es in ganz alltäglichen Zusammenhängen, sei es bei so fundamentalen Fragen wie der nach der eigenen Identität. Dieser Traditionsbezug ist nicht notwendigerweise positiv; denn auch die Negation, also der Affront gegen die Familie, eine sich entwickelnde Verachtung der Kultur, in die man hineinwächst, der Wille, die Nation, deren Glied man ist, gründlich zu verändern, bedürfen der Tradition, ohne welche man das, was man da so verabscheut, gar nicht zu Gesicht bekommt 38. Auch wer die Tradition haßt, ist daher in gewissem Sinne ein Traditionalist, wenn auch in negativem Bezuge. Ohne das Überlieferte fehlte das Objekt des Hasses und damit ein wesentlicher Teil der Identität, welche man für sich gewonnen hat. Marx geht noch einen Schritt weiter, wenn er feststellt, die Tradition laste zwar „wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden“, aber wenn die Menschen darangingen, ihre Welt zu verändern, um gänzlich Neues zu schaffen, dann sei ihr Krisenbewußtsein so groß, daß sie „ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste“ herbeiriefen, „ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm“ entnähmen, um in dieser „altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen.“ 39 37

Herder 1965, I 335. Daß die neuzeitliche Philosophie mit Descartes Discours eine antitraditionalistische Tradition ausbildet, die sich in Bacons Novum Organum manifestiert und einen Höhepunkt in Kants theoretischer Philosophie findet, scheint evident. Entsprechend klagt Hamann in seiner Metakritik: Der Versuch, die Philosophie von aller Tradition unabhängig zu machen, sei mißlungen (vgl. Hamann 1951, 284). 38

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Der Revolutionär braucht die Tradition also nicht nur, um zu wissen, was er verabscheut; er bedarf ihrer auch, um sich und seine Mitstreiter bei dem Neuerungswerk, das man plant und das unweigerlich einen Teil des Bodens wanken macht, auf dem man steht, gleichsam zu stabilisieren. Es ist mithin gar nicht denkbar, ohne jeden Bezug zur Überlieferung zu agieren; darum sind Umstürzler immer gezwungen, die Geschichte neu zu interpretieren; nur so wird es ihnen möglich, sich die Stabilität zu verschaffen, welche die Voraussetzung eines jeden Bruchs mit der Gegenwart darstellt 40. Pointiert könnte man sagen: Revolutionen und Geschichtsklitterung bedingen einander. Dieser Umstand verweist auf die anthropologischen Wurzeln unseres Traditionalismus. Scheler bringt sie mit folgender Bestimmung zum Ausdruck: Der Begriff ‚Tradition‘ bezeichne das Faktum, daß das Verhalten eines Lebewesens durch die Vergangenheit seiner Artgenossen bestimmt wird oder, so müßte man hinzusetzen, durch das, was es für die Vergangenheit seiner Artgenossen hält. Eine solche aus dem Raum des historisch bereits Abgelegten rührende Verhaltensnormierung ist freilich in größerem Umfang nur dann möglich, wenn orale Kulturen sich so weit entwickelt haben, daß man aufzuschreiben versteht, was zuvor nur in den Erzählungen alter Leute anwesend gewesen sein mag. Es genügt also nicht, sich an Vergangenes zu erinnern, man muß es auch mit Hilfe von Zeichen fixieren können. Menschliche Entwicklung ist damit aber noch nicht ermöglicht. Zwar ist die durch Tradition erwirkte Kontinuität Voraus39

Marx 1974, VIII 115. Adorno stellt in diesem Zusammenhang fest: „Man mußte gleichsam gesättigt sein mit der Tradition, um sie wirksam negieren, um ihre eigene lebendige Kraft gegen das Erstarrte und Selbstzufriedene wenden zu können. Nur wo das Gewesene stark genug ist, um die Kräfte des Subjekts zu formen und zugleich ihnen sich entgegenzusetzen, scheint die Produktion des noch nicht Gewesenen möglich“ (1986, 135/136). 40

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setzung für den Fortschritt, dies aber – wie bereits gezeigt – nur ex negativo. Für Scheler setzt die eigentliche Menschwerdung erst dann ein, wenn es gelinge, den Einfluß der Tradition abzubauen. Dies geschehe durch die Ratio, welche Raum für Neues schaffe 41. Hinzufügen muß man in diesem Zusammenhang freilich auch Marxens Einsicht: Indem Traditionen gebrochen werden, schafft man Unsicherheit, weil etwas, das bis dato geregelt schien, beseitigt und damit eine Offenheit erzeugt wird, die wir nur bis zu einem gewissen Grade ertragen. Darum eben drapieren sich die Akteure der Französischen Revolution als Römer 42. Der Mensch ist also nur mit Einschränkung als bestia cupidissima rerum novarum zu bezeichnen 43. Ein letzter Aspekt muß berücksichtigt werden: Traditionen in ihrer Jeweiligkeit lassen sich nicht begründen, sie beruhen vielmehr auf zurückliegenden Entscheidungen 44, deren Willkür demjenigen, dem sie überliefert werden, unübersehbar wäre, wenn es nicht gelänge, das Althergebrachte durch Tabuisierung zu schützen. Das, von dem man mit bebender Stimme feststellt, es gehöre sich nicht, ist daher immer etwas, das auszuführen genauso gut zu begründen wäre wie ein genau gegenteiliges Vorgehen. Darum eben muß die Stimme des Tadelnden beben, darum soll sich der Traditionsbrecher schämen, am besten in

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Scheler 1978, 29 f. Gadamer konstatiert: „Selbst wo das Leben sich sturmgleich verändert, wie in revolutionären Zeiten, bewahrt sich im vermeintlichen Wandel aller Dinge weit mehr vom Alten, als irgendeiner weiß, und schließt sich mit dem neuen zu neuer Geltung zusammen“ (1975, 266). 43 Scheler 1978, 56. Marquard nennt Traditionen zutreffend eine „Kompensation der Modernisierungsschäden“ (1986, 105). 44 Vgl. Lübbe 1980, 290; Gadamer 1975, 265. Wittgenstein formuliert so: „Aber mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide“ (ÜG – WW VIII 139). 42

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Grund und Boden, so daß niemand mehr auf den Gedanken kommt, die Frage nach dem Warum zu stellen. Daß ein Traditionalist das genaue Gegenteil eines ironischen Menschen ist, dürfte evident sein, denn er hat, in viel stärkerem Maße noch als ein diskursiv auftretender Dogmatiker welcher couleur auch immer das Gift der ironischen Negation zu fürchten, das ihn besonders leicht angreifen kann, weil ihm ja Argumente fehlen, mit denen er seine jeweiligen Positionen verteidigen könnte. Es ist die Vertrauensseligkeit dem Althergebrachten gegenüber – Heidegger spricht von der Möglichkeit, der Mensch könne „seiner mehr oder minder ausdrücklich ergriffenen Tradition“ verfallen 45 –, die den tradionell Orientierten, aber auch den Traditionalisten vom Ironiker so grundsätzlich unterscheidet. Damit sind die wesentlichen Merkmale eines anthropologisch fundierten Traditionsbegriffes beisammen. Es läßt sich nun resümieren, was den Begriff der Tradition ausmacht und was damit unter ‚Traditionalismus‘ zu verstehen wäre. ‚Tradition‘ kann die Gesamtheit solcher Verhaltensnormen heißen, welche Subjekte im Laufe eines Sozialisations- und Enkulturationsprozesses internalisieren oder wenigstens zur Kenntnis nehmen 46. Sie dienen der Außensteuerung eines nicht mehr instinktsicheren Wesens, dem die Möglichkeit zu einer gänzlich rationalen Innensteuerung in der Regel fehlt. In ihrer 45 1972, 21; traditionskritisch ist Heidegger auch an anderen Stellen seines Werks – vgl. Die Zeit des Weltbildes, wo es heißt: „Die aus Demut und Überheblichkeit gemischte Flucht in die Überlieferung vermag für sich genommen, nichts, es sei denn das Augenschließen und die Verblendung gegenüber dem geschichtlichen Augenblick“ (1972a, 88). Schwächer ist die Formulierung in Der Satz vom Grund (1986, 171). 46 Max Weber definiert so: „Es soll im nachfolgenden: ‚Traditionalismus‘ die seelische Eingestelltheit auf und der Glaube an das alltäglich Gewohnte als unverbrüchliche Norm für das Handeln heißen, und daher ein Herrschaftsverhältnis, welches auf dieser Unterlage, also: auf der Pietät gegen das (wirklich oder angeblich oder vermeintlich) immer Gewesene ruht, als ‚traditionalistische Autorität‘ bezeichnet werden“ (Weber 1986 I 269).

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spezifischen Gestalt haben Traditionen dezisionistischen Charakter, man kann sie also nicht begründen, sondern nur derart mit Tabus sichern, daß sie einigermaßen geschützt zu sein scheinen. Will man sie in Frage stellen, dann genügt es deshalb, auf Kulturen zu verweisen, in denen man in bestimmten Situationen anders handelt, also etwa zu Traueranlässen keine schwarze, sondern weiße Kleidung trägt 47. Damit bricht das Dilemma einer Position auf, welche man ‚traditionalistisch‘ nennen kann. Sie reklamiert mit mehr oder weniger großer Emphase, die Notwendigkeit, das Tradierte zu wahren und an künftige Generationen weiterzugeben, ohne dabei jedoch aus der Sache heraus begründen zu können, warum das Verhalten gerade auf diese und keine andere Weise normiert werden soll. Damit hebt sie – ganz entgegen ihrer Intention – die Brüchigkeit alles nur Tradierten eigens heraus, indem sie auf seine Dignität pocht 48. Verweisen kann der Traditionalismus schließlich nur noch auf die anthropologisch zu ermittelnde Unhintergehbarkeit des Traditionellen; das aber ist natürlich zu wenig, denn es geht ihm ja gerade um diese und jene spezifische Tradition 49. 47 Locke verwendet diesen Gedanken, um zu zeigen, daß das Naturrecht keinen traditionellen Charakter haben kann. Die Vielzahl der Traditionen ließen es nicht mehr als unumschränkt gültig, sondern als bloße Meinung erscheinen; zudem sei ein nur traditionell begründetes Naturrecht ein Gegenstand des Vertrauens, nicht aber des Wissens – vgl. Locke 2002, 128 ff. 48 Adorno formuliert diesen Sachverhalt so: „Reflexion auf das Traditionale, die es aus Willen festhalten oder wiederherstellen möchte, ist selber vom Schlag jener Rationalität, welche die Tradition auflöst“ (1986a, 131/132). 49 Vgl. in diesem Zusammenhang Weber Beispiel für ein traditionalistisches Verhalten: „der Mensch will ‚von Natur‘ nicht Geld und mehr Geld verdienen, sondern einfach leben, so leben wie er zu leben gewohnt ist und soviel erwerben, wie dazu erforderlich ist. Ueberall, wo der moderne Kapitalismus sein Werk der Steigerung der ‚Produktivität‘ der menschlichen Arbeit durch Steigerung ihrer Intensität begann, stieß er auf den unendlich zähen Widerstand dieses Leitmotivs präkapitalistischer wirtschaftlicher Arbeit, und er stößt noch heute überall um so mehr darauf, je ‚rückständiger‘

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I. Der Konservatismus

Wäre der Konservatismus ein Traditionalismus im dargestellten Sinne, dann lohnte sich kaum die auf ihn gerichtete Reflexion, dann ließe sich lediglich konstatieren, daß es Menschen gibt, welche an ihren Traditionen hängen, daß diese aber nur so lange in fragloser Geltung stehen, wie man nicht traditionalistisch auf ihnen herumreitet, weil man auf diese Weise sichtbar macht, daß sie durch nichts begründet sind. Auch wenn der Begriff ‚konservativ‘ in vielen Alltagszusammenhängen als Synonym des Ausdrucks ‚traditionalistisch‘ gebraucht wird und obwohl die innovativ orientierten Projekteure mit einer solchen Begriffsverwendung äußerst zufrieden sind, weil sie ihren konservativen Opponenten angesichts der entfalteten Schwierigkeiten recht dumm erscheinen läßt, kann die politischen Philosophie sich mit einer derart planen Erklärung nicht zufriedengeben, wenn sie ihren Anspruch, Philosophie zu sein, nicht verwirken will. Daß Konservatismus und Traditionalismus auseinanderfallen, erhellt allein aus der Tatsache, daß man im politischen Alltag durchaus auf einen reformbereiten Konservatismus trifft. Fiele er mit dem Traditionalismus im angegebenen Sinne zusammen, dann könnte ein Gedanke an Reform ihm niemals in den Sinn kommen, denn sie bedeutete ja immer den gefürchteten Tabubruch. Was tabuisiert ist, kann nicht reformiert werden, ohne dem Tabu seine Macht zu nehmen, es also aufzuheben. Damit ist eine erste negative Bestimmung des Terminus ‚Konservatismus‘ vollzogen: Konservative sind keine Traditionalisten. Zu prüfen bleibt, bevor positive Angaben gemacht werden, in welchem Verhältnis der Konservatismus zu einer anderen, bisher nicht thematisierten Disposition steht, zum Liberalismus. Die Forschungsbeiträge sind hier sehr uneinheitlich. Einmal will man den Liberalen zum geborenen Gegenspieler 50 des Konservativen erklären, ein anderes Mal faßt man ihn als ei(vom kapitalistischen Standpunkt aus) die Arbeiterschaft ist, auf die er sich angewiesen sieht“ (Weber 1986a I 44/45).

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nen Geistesverwandten 51 auf. Ich will die These vertreten, daß beide Positionen nicht ganz falsch sind, daß sie freilich dann nicht mehr vertreten werden können, wenn man sie ohne Einschränkungen formuliert.

3. Konservative und Liberale

Wie groß die Gefahr eines Mißverständnisses ist, sollte man das Wort ‚liberal‘ einmal allzu unbefangen in den Mund nehmen, erahnt man, wenn man den Begriff ohne nähere Erklärung von Europa nach Nordamerika verpflanzt. Bettina Bien Greaves teilt in ihrer Einleitung zur englischen Übersetzung des von Ludwig von Mises 1927 zunächst in deutscher Sprache publizierten Buches Liberalismus mit, daß man sich nicht habe entschließen können, den Band in den Vereinigten Staaten unter dem Titel Liberalism erscheinen zu lassen. Zur Erklärung dieser Skrupel zitiert sie den ehemaligen U.S. Senator Joseph S. Clark, Jr., der als Bürgermeister von Philadelphia die Bedeutung des englischen Ausdrucks ‚a liberal‘ so definiert hat: „... one who believes in utilizing the full force of government for the advancement of social, political, and economic justice at the mu50 Vgl. Scuton 1980, 16; von Hayek sieht den Liberalismus bis zum Aufkommen des Sozialismus als den eigentlichen Gegner des Konservatismus (1978, 397). Auch Hearnshaw betrachtet die Verhältnisse auf diese Weise, setzt aber hinzu, der Liberalismus habe seine Seele verloren, sei senil geworden und schließlich gestorben – eine Einschätzung, die auf die gegenwärtigen Umstände bezogen gewiß nicht zutrifft, auch nicht für England (1933, 4). Orton meint, der Konservatismus sei nicht nur Gegner, sondern auch notwendige Ergänzung des Liberalismus (1945, 6). 51 Vgl. Huntington 1974, 95; Greiffenhagen 1986, 132. Oakeshott nennt Locke einen Liberalen, der konservativer sei als die Konservativen selbst (2007a, 85). Starkosch meint, der wahre Liberalismus sei konservativ und der wahre Konservatismus liberal (1972, 521). O’Sullivan zieht beide Begriffe zusammen und spricht vom Liberal-Konservatismus (1976, 140). Saal schließlich bezeichnet den modernen Konservatismus als eine Spielart des Liberalismus, nennt diese Faktum freilich ironisch – vgl. Saal 1987, 343.

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I. Der Konservatismus

nicipal, state, national, and international levels... A liberal believes government is a proper tool to use in the development of a society which attempts to carry Christian principles of conduct into practical effect“ 52.

Mit dem hier verkündeten Etatismus wollte von Mises nicht in Zusammenhang gebracht werden, darum trug sein Buch in Amerika zunächst den Titel The Free and Prosperous Commonwealth. Für spätere Auflagen kehrte er dann zur Ursprungsbezeichnung zurück, freilich nicht ohne eine genaue Erklärung, was er mit dem Terminus meine, nämlich das, was man in Europa unter ihm verstehe 53. Aber auf dem alten Kontinent liegen die Dinge auch nicht so einfach. Einmal streitet man sich hier über die Geburtsstunde des Liberalismus, dann auch über die Gestalt einer liberalen Weltansicht überhaupt. Philippe Nemo will schon in der griechischen Antike Spuren liberalen Denkens ausmachen, weil man in den Poleis die Gesetzesherrschaft erfunden habe 54; Schapiro hingegen nennt das sechzehnte bzw. siebzehnte Jahrhundert als Ursprungszeitraum 55 und sieht das liberale Projekt im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts endgültig verwirklicht 56. Angesichts dieser Meinungsvielfalt 57 scheint es klug, sich bei dem Philosophen Rat zu holen, den man fraglos als einen Begründer dessen ansehen kann, was man neuzeitlich unter dem Begriff ‚liberal‘ in Europa versteht. John Locke 58 ist es, der 52

Clark 1953, 27. Eine Gegenüberstellung europäischer und amerikanischer Liberalismusvorstellungen liefert Krieger (1976). 54 Nemo 2006, 68. Auch Leontovitsch will den Liberalismus bereits in der griechisch-römischen Welt beginnen lassen – vgl. 1976, 37. Grampp führt den ökonomischen Liberalismus auf die Stoiker zurück (1965 I, 13 ff.). 55 Schapiro 1976, 21. 56 Schapiro 1976, 22. 57 Eine knappe Übersicht liefert Ryan 1995, 291 – 293. 53

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die Schlüsseltermini liefert und ihre gegenseitige Abhängigkeit bestimmt. Es geht ihm um Freiheit, Gleichheit und eine Regierung, die auf der Zustimmung der Regierten beruht. Die Reihenfolge, in der ich die Begriffe genannt habe, gibt ihre Dignität an – allem voran geht es um ‚natural liberty‘ die jedem Menschen im präpolitischen Zustande zukommt. Er müsse sich deshalb niemandes Herrschaftsansprüchen beugen, denn Gott habe keinen vor dem anderen derart ausgezeichnet, daß man ihn als Herrn anerkennen müsse 59. Die ursprüngliche Freiheit ist also nicht wie bei Rousseau 60 Postulat, sondern rational 61 hergeleitetes Recht 62. Der Liberale setzt auf die Vernunft und könnte deshalb ein Rationalist genannt werden. Überlieferung gilt ihm nicht viel, wenn sie sich nicht denkerisch begründen läßt. Es ist die negative Freiheit von, aus welcher sich für Locke die Gleichheit der Naturzustandsbewohner ergibt; denn wenn wir alle von Gott so geschaffen worden sind, daß wir einander den Handlungsspielraum lassen müssen, der dann besteht, wenn rationale Wesen, ohne einander zu schaden, ihren Geschäften nachgehen, dann sind wir in dieser Hinsicht alle gleich bezüglich eines Rechts auf Leben und Unversehrtheit, auf Hab und Gut. Ein jeder ist, da noch kein Staatsverband existiert, Richter in eigener Sache, wenn ein anderer durch einen Angriff auf Leib und Leben oder auf das Eigentum den Frieden bricht und dadurch zeigt, daß er sich nicht von seiner Vernunft leiten läßt. Polemischer formuliert: Der illiberale Rechtsbrecher zeigt, daß er nicht denken kann oder nicht denken will, und muß deshalb mit aller Härte vom Angegriffenen bestraft werden. 58 In der englischen Politik seiner Tage ist Locke ein Whig – vgl. Winfrey 1981, 427. 59 Locke 1980, 289. 60 Der berühmte erste Satz des Contrat social („L’homme est né libre, et partout il est dans les fers.“) ist – was die angeborene Freiheit des Menschen angeht – eine pure Behauptung (Rousseau 1966, 41). 61 Vgl. Locke 1980, 289. 62 Vgl. Schmitz 2000.

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I. Der Konservatismus

Die von Locke konstatierte Gleichheit ist freilich eine Gleichheitsfiktion 63, die wir konzedieren, nachdem uns klar geworden ist, daß sich Herrschaft nicht als etwas naturwüchsig Gegebenes begründen läßt. Keinesfalls meint Locke, daß wir alle faktisch gleich seien, sein sollten, sein könnten. Das Alter unterscheidet uns, die Vorzüge, die wir besitzen, die Verdienste, die wir uns erwerben 64. Als Gleiche haben wir uns lediglich dann anzusehen, wenn es um das Recht und seine Applikation, wenn es um politische Partizipation geht. In einen Staatsverband begeben wir uns deshalb, weil es nötig wird, die Urteile, die wir im Konfliktfalle übereinander sprechen, zu objektivieren, also zu unterbinden, daß jemand zugleich Opfer und Richter ist. Wegen der ursprünglichen Freiheit und der aus ihr resultierenden Gleichheit ist nur eine Form der Regierung denkbar: ‚government by consent‘ 65. Patriarchalische, gar despotische 66 Herrschaft sind pure Anmaßungen, die man entsprechend zu bekämpfen hat 67. Um solcherlei Auswüchse zu verhindern oder wenigstens doch unwahrscheinlich zu machen, sind in das politische System gewisse Kontrollmechanismen einzubauen. Locke – nicht Montesquieu – ist der Vater der Gewaltenteilung 68. Faßt man die Bestimmungen zusammen, dann ergibt sich zur Kennzeichnung eines Kernliberalismus folgendes: Man nimmt an, daß alle Menschen ein rational zu erweisendes Freiheitsrecht besitzen, welches zu einer politisch-rechtlich wirksamen Gleichheitsfiktion führt, die ihrerseits nur eine Regierungsform 63

Sobald dies in Vergessenheit gerät, bewegt sich der Liberalismus in die Richtung der innovativen Projekteure – vgl. Schapiro 197626 f. 64 Locke 1980, 322. 65 Locke 1980, 301. 66 Vgl. Locke 1980, 401 – hier findet sich die Definition des Despotismus. 67 Zum Widerstandsrecht vgl. Locke 1980, 386, 430. 68 Vgl. Locke 1980, 382 f. Baum geht so weit zu behaupten, daß Montesquieu, wenn er von Gewaltenteilung spreche, lediglich die britischen Verhältnisse analysiere – vgl. Baum 1979, 86.

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zuläßt, welcher die Beherrschten zustimmen. Um freiheitsfeindliche Herrschaft zu verhindern, müssen gewisse Kontrollmechanismen existieren. Nur so ist sichergestellt, daß niemand über die eigentlichen Aufgaben des Staates hinaus in und auf das Leben und den Besitz der Bürger ein- / ausgreift 69. Staatliche Aufgaben sind also Schutz der Unversehrtheit der Bürger sowie ihres Eigentums. Gegenüber ihren Gedanken, ihren Hoffnungen, ihren Gefühlen, ihren religiösen Überzeugungen hat er desinteressiert zu sein – i.e. tolerant 70. Alles, was diese Begrenzungen überschreitet 71, namentlich wohlfahrtsstaatliche Zuwendung – vor der sich Locke freilich noch nicht hat fürchten müssen – ist in geringerem oder stär69 Nachdem die Ökonomie in stärkerem Maße als bei Locke als ein bestimmender Faktor in den Blick der Theoretiker der Freiheit getreten ist, formuliert man so: „Every man, as long as he does not violate the laws of justice, is left perfectly free to pursue his own interest his own way, and to bring both his industry and capital into competition with those of any other man, or order of men. [...] ... the sovereign has only three duties to attend to ... first, the duty of protecting the society from the violence and invasion of other independent societies; secondly, the duty of protecting, as far as possible, every member of society from the injustice or oppression of every other member of it, or the duty of establishing and exact administration of justice; and, thirdly, the duty of erecting and maintaining certain public works and certain public institutions, which it can never be for the interest of any individual, or small number of individuals, to erect and maintain; because the profit could never repay the expense to any individual or small number od individuals, though it may frequently do much more than repay it to a great society“ (Smith 1937 651). 70 Die Grenzen der Duldung bestimmt Locke in seinem berühmten Toleranz-Brief – vgl. Locke 1963, 89 ff. 71 Eine präzisere Vorstellung, was hier konkret gemeint ist, kann man sich machen, wenn man die Freiheitsprinzipien ins Auge faßt, die der Liberale Constant formuliert: (1) ‚liberté d’action‘ – solange die Handlungen unschuldig sind, (2) ‚liberté entière d’opinion, (3) ‚liberté sous borne dans l’usage de leur propriété et l’exercice de leur industrie‘ (Constant 1997, 383/384). Illegitim wären also Eingriffe in die Handlung- und Meinungsfreiheit (solange Handlungen und Meinungsäußerungen niemandem schaden) sowie Übergriffe auf das Eigentum der Bürger (solange sie im Gebrauch ihres Eigentums nicht die Rechte anderer verletzen).

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kerem Maße eine patriarchalische oder gar despotische Anmaßung der Regierenden 72. Die zu Beginn des Kapitels zitierte Definition von Joseph S. Clark, Jr. ist mithin alles andere als eine Bestimmung der von Locke begründeten Form der politisch-gesellschaftlichen Liberalität. Denn er konzeptualisiert das Individuum vom Staat her, nicht den Staat auf der Grundlage eines ihm vorgängigen Individuums. Damit verkündet er einen Etatismus, der einem durch Lockes Denken geprägten Liberalen ausgesprochen suspekt sein muß. Nach den bisherigen Überlegungen ist es möglich, das Auftreten der vielen Spielarten des Liberalismus, von denen eingangs die Rede war, zu erklären. Wenn man auf den Umfang des Feldes schaut, in dem der Staat in der einen oder anderen Variante tätig werden soll, dann zeigt sich, daß unterschiedliche Grade von Etatismus denkbar sind. Auch in seiner radikalsten Gestalt, im sogenannten ‚ultraminimal state‘ enthält der Liberalismus 73 etatistische Elemente, nämlich das Zugeständnis eines staatlichen Gewaltmonopoles auf abgerenztem Territorium 74. Jede weitere Spielart, in welcher 72

Foucault hat gewiß recht, wenn er konstatiert, dem Liberalismus gehe es um eine genügsame Regierung – vgl. Foucault 2006, 51. 73 In der angelsächsischen Welt ist hier häufig nicht von Liberalismus die Rede, wenn die radikalste Gestalt oder eine ihrer Varianten gemeint ist, sondern man verwendet den Begriff ‚Libertarianism‘. Sandel kennzeichnet ihn durch drei negative Bestimmungen, durch drei Angaben dessen also, was man ablehne: (1) den Paternalismus, (2) eine auf moralische Überlegungen geründete Gesetzgebung, (3) eine Redistribution von Einkommen oder Vermögen (vgl. Sandel 2009, 60). 74 Der Begriff ‚Ultraminimalstaat‘ stammt von Nozick. Er definiert ihn so: „An ultraminimal state maintains a monopoly over all use of force except that necessary in immediate self-defence ...; but it provides protection and enforcement services only to those who purchase its protection and enforcement policies“ (Nozick 1980, 26). Ein Minimalstaat fügt dem Gewaltmonopol ein weiteres Stück Etatismus hinzu, indem er auch denen Schutz verschafft, welche nicht dafür zahlen können. Dazu verteilt er Gutscheine an Bedürftige, damit auch sie sich eine Schutzpolice kaufen können. Finanziert werden die Gutscheine aus Steuern, welche die zahlungskräftigen Bürger entrichten (Nozick 1980, 26).

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der Liberalismus auftritt, kann nun durch den Grad der zugestandenen staatlichen Eingriffsmöglichkeiten in das Leben der Bürger bestimmt werden: Gesundheits-, Sozial-, Bildungspolitik sind Beispielfelder; die Liste ließe sich beliebig erweitern, da für alle Bereiche unseres Lebens eine solche BindestrichPolitik denkbar ist. Streiten wird man sich unter den konkurrierenden Varianten des Liberalismus um zweierlei – einmal um die wahre Gestalt eines liberalen Gemeinwesens; hier geht es um die Frage, welche Spielart das Recht besitzt, den Namen ‚Liberalismus‘ zu führen. Zum zweiten – und durchaus wichtiger – wird es im Rahmen der Auseinandersetzungen, die Liberale untereinander führen, irgendwann nötig sein, den Punkt zu bestimmen, wo der Etatismus so weit getrieben ist, daß man sagen muß: Eine Spielart des Liberalismus liegt nun nicht mehr vor. Das zweite Problem ist noch schwerer zu lösen als das erste. Für die vorliegende Untersuchung ist es nicht nötig, diese Fragen zu beantworten; es reicht vielmehr aus, die Kernelemente des Liberalismus bestimmt zu haben, wenn man sein Verhältnis zu den anderen benannten politischen Dispositionen bestimmen will. Dies soll nun geschehen. Die Alltagsauffassung des Verhältnisses von Innovateuren, Traditionalisten und Liberalen ist so beschaffen, daß man sie in drei Positionen auf einer Linie anordnet 75, wobei die Traditionalisten, die man mit den Konservativen identifiziert, die rechte Position 3 einnehmen, die Liberalen in der Mitte auf 2 angesiedelt sind, die Innovateure hingegen auf 1 und damit auf der linken Position. 75 Ein etwas differenziertes Linienmodell vertritt Quinton. Er folgt dabei dem Rechts-Mittel-Links-Schema. In der Mitte steht der Liberalismus, der in einer rechten Variante individualistischer Liberalismus ist, in einer linken interventionistischer Liberalismus. Rechts vom Liberalismus findet sich der Konservatismus, noch weiter rechts der Faschismus, der Autoritarismus und der Elitismus. Links vom Liberalismus lokalisiert Quinton den Anarchismus und den Sozialismus (Quinton 1996, 244).

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I. Der Konservatismus

Die bisherigen Überlegungen haben eine etwas andere Besetzung vorgenommen. Hier waren die Traditionalisten von den Konservativen getrennt, die Liberalen kamen noch nicht vor, so daß sich eine Verteilung ergab, welche die Konservativen auf Position 2 in der Mitte verortete.

Von Hayek 76 hat vorgeschlagen, das gängige Linienmodell gänzlich fahren zu lassen und es durch ein Dreieck zu ersetzen. Grund für diese Idee ist die Vorstellung, daß nur Liberale und auf Innovation Ausgerichtete explizite Ziele verfolgen, nicht aber die Konservativen, denen Hayek in diesem Felde deutliche Defizite unterstellt. Nach seinen Angaben müßte man die nebenstehende Graphik zur Veranschaulichung der Verhältnisse verwenden.

In dieser Darstellung hat nur die Positionen 2 und 3 die Kraft, die anderen in ihre Richtung zu ziehen, nicht aber Position 1. Da Hayek den Konservativen (1) keine eigene Orientierung zutraut, sehr wohl aber den Innovateuren (2) und den Liberalen (3), sind die auf Bewahrung ausgerichteten Kräfte für ihn immer die Gezogenen – einmal, wenn hier die größere Kraft vorliegt, in die Richtung der Liberalen, einmal in die der Fortschrittsfreunde 77. 76

Hayek 1978, 398.

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Von Hayek kommt zu der Figur eines Dreiecks, weil er die Konservativen mit den Traditionalisten identifiziert. Sind die Überlegungen des letzten Kapitels zur Unterscheidung beider Dispositionen zutreffend, dann wird man mit einem Viereck operieren müssen, das in drei – das Feld der Möglichkeiten vollständig erschöpfenden – Gestalten auftreten kann – einmal als Raute, dann in zwei unterschiedlichen Parallelogrammen. Die Positionen sind hier etwas anders besetzt: 1 bezeichnet die Konservativen, 3 die Liberalen, 2 die Innovateure und 4 die Traditionalisten. Die Darstellung veranschaulicht eine politische Situation, in der es den Konservativen in Zusammenarbeit mit den Liberalen gelingt, sowohl die Traditionalisten als auch die auf Neuerung Ausgerichteten in ihrem Bewegungsstreben zu neutralisieren.

Man könnte sich etwa eine Lage denken, in der gewisse Institutionen, welche schon lange Bestand haben und in den Augen der Liberalen die Freiheit der Bürger garantieren, zum einen durch gewisse progressive, zum anderen durch bestimmte reaktionäre Bestrebungen gefährdet werden. Dies veranlaßt dann die Konservativen dazu, mit den Liberalen zusammenzuarbeiten.

77

Hayek 1978, 398.

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I. Der Konservatismus

Denkbar ist aber auch folgender Fall – eine erste Gestalt, mit der aus der Raute das obenstehende Parallelogramm wird: Position 1 (das konservative Element) nähert sich um so viel Position 2 (der Gruppe der innovativen Projekteure) an, wie sich 3 (die liberale Fraktion) auf 4 (also auf die Reaktion) zubewegt. Nun arbeiten also nicht mehr die Konservativen mit den Liberalen zusammen, sondern sie kooperieren mit den Innovateuren; die Freiheitsfreunde ihrerseits rücken an die Traditionalisten heran. Konkreter in einem Beispiel: Die Innovateure planen ein Gesetz, von dem sie sich versprechen, daß mit ihm ihre Klientel vor einer gewissen Gefährdung geschützt wird, welche sich daraus ergibt, daß der Arbeitsmarkt nicht reguliert ist, so daß ausländische Kräfte in unbegrenzter Zahl angeworben werden können. Die Konservativen stimmen der Regulierung zu, weil sie auf diese Weise zugleich andere Elemente des status quo gewahrt sehen, um deren Erhaltung es den Progessiven zwar nicht geht, deren Fortbestand sie aber in Kauf nehmen. Die Liberalen lehnen das Vorhaben ab, denn sie meinen, durch das neue Gesetz mische sich der Staat zu sehr in das Wirtschaftsleben ein. Die Traditionalisten schließlich sind nicht an der Wahrung bestehender Verhältnisse, sondern an deren gründlicher Revision interessiert, und sagen aus diesem Grunde zu allem nein, was die bestehenden Verhältnisse konservieren könnte. In einem zweiten Parallelogramm findet das Gegenteil der soeben beschriebenen Bewegungen statt: Die Liberalen (Position 3) rücken an die Innovateuere (Position 2), die Konservativen (Position 1) an die Traditionalisten (Position 4) heran. Auch hier fällt es nicht schwer, ein Beispiel in der praktischen Politik zu finden: Die Innovateure arbeiten darauf hin, den staatlichen

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Schutz der Familie so zu reinterpretieren, daß er sich künftig auf jede Lebensgemeinschaft erstrecken muß. Die Liberalen schließen sich diesem Vorhaben an, da sie meinen, dem Staat komme im Grunde gar kein Recht zu, irgendeine Form des menschlichen Zusammenlebens allen anderen gegenüber privilegiert zu behandeln. Die Konservativen hingegen verteidigen den status quo damit, daß er Staat nur an dem Nachwuchs interessiert sei, der aus Familien hervorgehe und in ihnen ein stabiles Sozialisationsumfeld finde. Die Traditionalisten schließlich schlagen sich auf die Seite der Konservativen; aber nicht wegen der Begründung, welche sie vorgetragen haben, sondern weil sie meinen, eine eheliche Beziehung zwischen Mann und Frau sei die einzig denkbare Form des Zusammenlebens, jede andere Gemeinschaft habe als verwerflich zu gelten.

Die Überlegungen verdeutlichen, daß die eingangs benannten in der Forschung anzutreffenden Positionen hinsichtlich des Verhältnisses von Konservativen und Liberalen alle zutreffen und dennoch auch falsch 78 sind. Es ist nicht unrichtig, daß Konservative wie Liberale agieren, nämlich dann, wenn das Viereck als Raute erscheint. Es ist ebenfalls richtig, daß Konservative und Liberale gegeneinander agieren – genau dann, wenn das Viereck zur einen oder anderen Form des Parallelogramms wird. Falsch ist die Feststellung, Konservative seien immer Kollaborateure der Liberalen, wie auch die Behauptung, sie müßten immer als deren Gegner angesehen werden.

78 Gewiß unzutreffend ist die Auffassung, die Begriffe gingen ineinander über und verlören daher ihre Bedeutung – vgl. Kondylis 1986, 24.

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I. Der Konservatismus

Damit hat sich ergeben, daß der Liberalismus für die Bestimmung dessen, was als konservativ zu betrachten ist, keine substantielle Rolle spielt. Ich werde das Thema noch einmal zur Sprache bringen, wenn es um Rortys Ironikerin geht – allerdings mit dem Vorbehalt, daß der hier verwendete Begriff des Liberalismus nicht deckungsgleich mit den Kennzeichnungen ist, die ich in diesem Kapitel referiert habe. Es wird mit Thematisierung Rortys also nur noch um die Frage gehen, ob sich die Haltung des Ironikers notwendigerweise mit einer nichtkonservativen Einstellung verbindet. Nach vollzogener Abgrenzung des Konservatismus von Traditionalismus und Liberalismus gilt es nun, zu positiven Angaben zu kommen. Dies soll dadurch geschehen, daß ein Verfahren beschrieben wird, wie sich konservatives Denken identifizieren läßt. Da Traditionalisten und Liberale aus dem Prozeß der Begriffsbestimmung bereits ausgeschieden sind, geht es nur noch um eine Abgrenzung zu der Disposition, die sich selbst ‚progressiv‘ nennt. Mit einer solchen Demarkation wird zugleich ein Identifikationskriterium für den Konservatismus geliefert. Die These lautet, Konservative und innovative Projekteure verwenden unterschiedliche Staatsmetaphern – die ersten sprechen vom politischen Körper, den es zu pflegen, letztere hingegen von einer Staatsmaschinerie, die es weiterzuentwickeln oder aber neu zu entwerfen gelte. Indem man diese Bilder verwendet, bringt man ein differentes Staatsverständnis zum Ausdruck.

4. Staatsmetaphern

Metaphern entfalten, wenn ihre Verwendung auf fruchtbaren Boden fällt, eine Wirkung, welche der eines Enthymems recht nahe kommt. Ihnen wohnt zwar durchaus ein kognitives Moment inne, es steht aber eher im Dienste der Persuasion als der Erkenntniserweiterung. Eine solche Behauptung aufzustel-

4. Staatsmetaphern

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len, heißt eine Position zu beziehen, die zwischen den gängigen Metapherntheorien liegt – nämlich zwischen der Deutung der Ornamentalisten und der Auslegung der Kognitivisten. Ich will in diesem Kapitel zunächst den Begriff der Metapher in dem soeben angegebenen Sinne präzisieren, um sodann zeigen zu können, daß die Konservativen, fragt man sie nach ihrer Staatsauffassung, es bei einem Verweis auf ihre Grundmetaphorik bewenden lassen; die innovativen Projekteure jedoch bei Bedarf noch hinter ihr Maschinenbild zurückschreiten können, um eine geschichtsmetaphysische Rechtfertigung ihrer Ansichten zu produzieren. Ein Ornamentalist meint, Metaphern dienten dem Redeschmuck, i.e. sie seien Bestandteil derjenigen Stilmittel, welche im Ornatus der klassischen Rhetorik vereinigt sind, genauer: die Metapher sei ein Tropus unter anderen. Zwar finden sich bei Aristoteles Formulierungen, die ihn wie einen Ornamentalisten erscheinen lassen 79, aber erst Quintilian vertritt diese Position in Reinkultur. Er versteht unter einem Tropus die kunstvolle Vertauschung der eigentlichen Bedeutung eines Wortes oder einer Wendung mit einer anderen 80. Solche Ver79

Typisch für einen Ornamentalisten ist es, wie sich zeigen wird, die Metapher als elliptischen Vergleich darzustellen. Aristoteles schafft dafür die Voraussetzungen, wenn er feststellt: ῎Eστιν δὲ καὶ εἰκὼν μεταφορά – die Metapher ist auch ein Gleichnis (Rh 1406b20). Untypisch hingegen sind Hinweise auf das kognitive Moment der Metapher. So spricht Aristoteles davon, wer Metaphern bilde, betrachte Gleichheiten. Hier fällt das Schlüsselverb intellektueller Betätigung: θεωρεῖν (Poetik 1459a7/8); an anderer Stelle heißt es, δεῖ δὲ μεταφέρειν ... ἀπὸ οἰκείον καὶ μὴ φανερῶν – man muß eine Übertragung von Eigentümlichen und Nicht-Offensichtlichem vornehmen (Rh 1412a11/12). Dabei bringe man weit Auseinanderliegendes zusammen, ganz so, wie die Philosophen vorgingen. Angesichts der starken Betonung des kognitiven Momentes, das der Metapher nach Aristoteles innewohnt, wird man ihn kaum einen Ornamentalisten nennen dürfen. Daher erscheint die von Ricœur geübte Kritik nicht ganz zutreffend; Ricœur stellt fest, das von Aristoteles gewählte Erklärungsmodell für die Metapher führe dazu, daß sie keinerlei Informationswert habe; er öffne damit den Verächtern der Metapher Tür und Tor (1997, 30). 80 Inst VIII, 6, 1.

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I. Der Konservatismus

tauschungen nehme man vor, wenn ein Ausdruck fehle 81 oder aus rein ästhetischen Gründen 82. In beiden Fälle sei der Metapherngebrauch zum Redeschmuck (ornatus) zu rechnen 83. Quintilian behandelt die Metapher unter der Bezeichnung ‚translatio‘ 84. Er unterscheidet vier Übertragungsweisen: Einmal setze man an die Stelle einer Art belebter Wesen eine andere 85. Eines der Beispiele lautet: Scipio wird von Cato angebellt 86. Wollte man das Beispiel erläutern, müßte man hinzusetzen: Wenn Cato die Fähigkeit zu bellen zugesprochen wird, dann sieht man ihn als einen Hund an. Der Mensch Cato ist hier also durch ein anderes Lebewesen ersetzt, was sein Auftreten Scipio gegenüber verdeutlicht. Zweitens setzt man an die Stelle unbelebter andere unbelebte Dinge 87. Eine Illustration wäre die Rede von der Staatsmaschine, also die Metapher, die ich den innovativen Projekteuren zuweisen will. Drittens tritt für ein belebtes Wesen ein unbelebtes Ding auf. Quintilian verweist auf das Schwert, das einen Menschen zu Fall bringt – gemeint aber ist die Person, die das Schwert führt. Schließlich kann an die Stelle von etwas Unbelebtem etwas Belebtes treten 88; hierher gehört die Rede vom Staatskörper. Es ist evident, daß diesen Ausführungen eine Substitutionstheorie der Metapher zugrunde liegt. Eine solche Substitutionstheorie reicht aber zur Erklärung der Metapher nicht aus, denn sie gilt auch für andere Tropen, ist also zu unspezifisch. Die Synekdoche setzt zum Beispiel generalisierend anstelle der Art 81 Vgl. Inst VIII, 6, 4. Unter den Bespielen, die Quintilian gibt, hat die deutsche Sprache eine besonders passende Entsprechung für incensum ira, nämlich: zornentbrannt. 82 Quintilians Beispiel lumen orationis dürfte unser anglizismengesättigtes Deutsch mit ‚highlight der Rede‘ wiedergeben. 83 Inst VIII, 6, 3. 84 Inst VIII, 6, 4. 85 Inst VIII, 6, 9. 86 Das Beispiel stammt von Livius (38, 54, 1). 87 Inst VIII, 6, 9. 88 Inst VIII, 6, 10.

4. Staatsmetaphern

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die Gattung bzw. für den Teil das Ganze, partikularisierend, wenn sie partem pro toto substituiert. Die Metonymie nennt die Hauptstadt und meint die jeweilige Regierung (London ist entschlossen zu handeln.), sie ersetzt die Bezeichnung des Inhaltes durch die Benennung des Gefäßes (Wir trinken noch ein Glas.), das Werk durch den Autor (Ich lese Goethe.). Um die Metapher von den anderen Tropen zu unterscheiden, greift Quintilian den von Aristoteles gegebenen Hinweis auf, Metaphern seien Vergleiche 89. Zur näheren Erklärung liefert Quintilian folgendes Beispiel: Ein Vergleich liegt vor, wenn ich sage, ein Mann habe etwas wie ein Löwe getan 90. Vergleiche erfolgen immer noch folgender Formel: A ist in Hinsicht H wie B.

Quintilian besetzt die Stelle A mit ‚ein Mann‘, B mit ‚Löwe‘; was er verschweigt, ist die Antwort auf die Frage, was man sich unter H vorzustellen habe. Man wird vielleicht einen Hinweis finden, wenn es gelingt eine der Eigenschaften, die man B zuschreibt, auch A zu attestieren. Da man B aber immer mehr als eine Qualität zuordnen kann, dürfte es schwierig werden, hier eine solche Auswahl zu treffen, daß eine eindeutige Interpretation des Vergleiches zustande kommt. Die soeben benannte Schwierigkeit gilt in gleichem Maße für die Auslegung von Metaphern, wenn man sie als elliptische Vergleiche auffaßt. Dies kann an den beiden Schlüsselmetaphern verdeutlich werden. Konservative sprechen vom Staatskörper und scheinen zu meinen, man müsse Staaten in gewisser Hinsicht so konzeptualisieren, wie man sich einen Menschen denke. Nun ist es für das Menschsein gewiß konstitutiv, daß wir als zweigeschlechtliche Wesen existieren. Daraus folgt aber wohl kaum, daß Konservative annehmen, es gebe männliche 89 in totum autem metaphora brevior est similitudo (Inst VIII, 6, 8); der gleichen Auffassung ist Cicero, vgl. de or 3,157. 90 Inst VIII, 6, 9.

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und weibliche Staaten – das tun sie auch dann nicht, wenn sie von ‚uncle Sam‘ sprechen und die USA meinen oder die Französische Republik in der Gestalt der Marianne gesprächsweise oder aber als Karikatur präsentieren. Ähnlich absurde Konsequenzen ergeben sich für die Maschinenmetapher. Es ist gewiß nichts Ungewöhnliches, daß Maschinen von Ingenieuren entworfen, nach ihren Anweisungen hergestellt und dann verkauft werden; ja die Vermarktung ist in den meisten Fällen der Grund für Entwurf und Produktion. Niemand aus der Gruppe der innovativen Projekteure käme aber auf den Gedanken, um des Profits willen einen Staat zu erfinden und ihn dann an einen Kunden zu verkaufen. Die Substitutionstheorie der Metapher, welche den Zusammenhang zwischen Substituiertem und dem, womit es verglichen wird, über ein tertium comparationis herstellen will, scheitert mithin an der Vielzahl möglicher Hinsichten. Dies ist eines der Argumente 91, sich nach einer anderen Erklärung metaphorischen Sprechens umzuschauen. I.A. Richards nennt in der fünften Vorlesung der von ihm gegebenen Mary Flexner Lectures die Metapher „a borrowing between and intercourse of thoughts, a transaction between contexts“ 92; der metaphorisch verwendete Begriff schmücke nichts aus, sondern interagiere mit dem nicht-metaphorischen 91 Vgl. Searle 1979, 106. Searle gibt weitere Hinweise; er führt zwei Beispielsätze an, mit denen er zeigen will, daß bei metaphorischen Äußerungen gar kein Vergleich vorliege. Der erste Satz lautet ‚Sally ist ein Drache.‘ Da es keine Drachen gebe, könne man Sally auch nicht mit einem dieser Fabelwesen vergleichen (101). Hier könnte man noch einwenden, daß es hinreiche, wenn wir uns eine gewisse Vorstellung von Drachen machen, um Sally mit ihnen zu vergleichen, daß also keine Existenz vorliegen müsse. Das zweite Beispiel ist, wie ich meine, wirksamer. ‚Sally ist kein Eisblock.‘ Da Sally abgesprochen wird, ein Eisblock zu sein, kann auch kein tertium comparationis gegeben werden, welches Sally mit Eisblöcken in Verbindung bringt. Dennoch nehmen wir wie selbstverständlich an, daß die Äußerung metaphorischen Charakter hat (101). 92 Richards 1971, 94.

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Terminus und schaffe damit eine Bedeutung, die bei nicht-metaphorischer Ausdrucksweise nicht vorhanden sei 93. Mit diesen Feststellunge leitet Richards die von Max Black 94 ausgearbeitete Interaktionstheorie der Metapher ein. Black nimmt Dr Johnsons Äußerung, eine Metapher gebe „two ideas for one“ 95, ernst. Die beiden involvierten Elemente nennt er ‚focus‘ und ‚frame‘. Der erste Terminus benennt das uneigentlich verwendete Wort, der zwei meint den Kontext, in dem es steht 96. In den politischen Schlüsselmetaphern wäre die Rede von Körper bzw. Maschine als ‚focus‘, der Begriff ‚Staat‘ hingegen als der Rahmen anzusehen. Im Gegensatz zu den Substitutionstheoretikern glaubt Black nun nicht, daß sich der Fokus einer Metapher ohne Kognitionsverlust ersetzen lasse. Vielmehr sei es so, daß die Bedeutung sowohl des Fokus als auch des Rahmens durch ihr Zusammentreten eine Wandlung erführen. Wenn also das Wort ‚Körper‘ in den Kontext des Begriffes ‚Staat‘ gesetzt wird, dann müßte nach Black aus der Interaktion beider etwas Neues resultieren, das nur auf diese Weise zum Ausdruck gebracht werden könnte. Black hat seine Überlegungen 1977 modifiziert und erweitert. Er liefert nun Erklärungen, die – auf die Schlüsselmetapher angewandt – etwas deutlicher machen, inwiefern nicht nur der Begriff des Staates eine Änderung erfährt, sondern auch die Termini ‚Körper‘ und ‚Maschine‘: Angesichtes der Rede von Staat wählt der Rezipient Eigenschaften dessen, was man als Köper bzw. Maschine bezeichnet und überträgt diese so auf den Begriff des Staates, daß diesem Implikationen, man sollte wohl besser sagen: Konnotationen, zuwachsen, die ihm fehlen, wenn er einzeln auftritt. Zugleich treten Bedeutungsveränderungen in 93

Richards 1971, 100. Cooper schreibt Black das Verdienst zu, der Verachtung der Metapher in Philosophenkreisen (er nennt Hobbes als pars pro toto) als erster erfolgreich entgegengetreten zu sein (1989, 18). 95 So Dr Johnson am 19. 9. 1777 laut Boswells Mitteilung (1998, 855). 96 Black 1983, 58. 94

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den Begriffen ‚Körper‘ bzw. ‚Maschine‘ auf 97. Inwiefern diese Rückwirkung eintritt, also in der Tat von einer Interaktion gesprochen werden kann, wird auch in der späten Arbeit Blacks nicht vollständig geklärt. Allerdings kann man die Richtigkeit seiner Annahme verdeutlichen, wenn man die Analyse unserer Schlüsselmetaphern etwas weiter vorantreibt. Wie in der Kritik an der Substitutions- und Vergleichstheorie deutlich geworden ist, sind nicht alle Eigenschaften der FokusTermini für den Rahmen bedeutsam. Wenn der Staat Körper genannt wird, wobei man an menschliche Körper denkt, dann ist die Zweigeschlechtlichkeit irrelevant. Gleiches gilt für weitere Qualitäten – etwa die Tatsache, daß Menschen einen nicht unerheblichen Teil ihres Lebens in Phasen der Bewußtlosigkeit verbringen, nämlich dann, wenn sie schlafen. Staaten schlafen nicht. Wenn also vom Staatskörper die Rede ist, muß man aus der Bedeutung des uneigentlich verwendeten Begriffs diese Qualität tilgen, wodurch er eine Veränderung erfährt. Weitere zu ignorierende Eigenschaften menschlicher Körper lassen sich leicht beibringen – die Tatsache etwa, daß wir verschiedenen Rassen angehören. Gleiches gilt für die im Begriff ‚Maschine‘ implizierte Bedeutung ‚mögliches Wirtschaftsgut‘. Aber auch das Faktum, daß kaum eine Maschine denkbar ist, die neben dem, was sie erzeugt, auch Emissionen hervorbringt, spielt für die Staatsmetapher keine Rolle. Wesentlich hingegen ist die Tatsache, daß menschliche Körper krankheitsanfällig sind 98; man überträgt sie auf Staaten so, daß man einen Teil der Entwicklungen, die sie nehmen, als gesund, einen anderen als pathogen betrachtet und das politische 97

Black 1983a, 393. Topisch ist hier ein Ratschlag Machiavellis zum Umgang mit Aufständen: Warte man, bis sie ausgebrochen seien, dann sei das Gemeinwesen ‚incurabile‘, jede Medizin komme dann zu spät (1986, 20/21). Vorbild für diese Überlegungen dürfte Platon sein; vgl. Leg 628c9 ff.; auch Aristophanes spricht vom Kurieren eines kranken Staates – vgl. Die Wespen 650. 98

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Handeln sodann mit Termini der ärztlichen Kunst beschreibt. Auch das Faktum der Natalität ist bedeutsam. Man denke nur an ehemalige Kolonien, welche den Tag ihrer Unabhängigkeit als Geburt der Nation betrachten. Schließlich ist für die Rede vom Staatskörper der Gedanke der Autofunktionalität wesentlich: Wir meinen, daß Menschen ihren Körper nicht instrumentalisieren dürfen, daß er vielmehr ein Zweck an sich selbst ist. Es gilt ihn zu pflegen, auf Bestandswahrung zu achten, ihn aber auch nicht hypertroph werden zu lassen 99. Das Ideal ist eine sich durchhaltende identitäre Präsenz – trotz allen Wandels. Das gleiche gilt für Staaten; denn man denkt Frankreich, ist es einmal entstanden, als sich perpetuierende Entität – ganz gleichgültig, ob es als eine Monarchie oder eine Republik verfaßt ist. Spricht man von einer Staatsmaschine, dann ist es bedeutsam, daß Maschinen Produkte geistiger Anstrengungen sind, sich also dem Entwurf eines Ingenieurs verdanken. Popper hat das mit seiner Rede vom Sozialingenieur anschaulich verdeutlicht. Dieser entwirft – ganz wie der Maschinenbauer – gesellschaftliche Institutionen. Daß Popper ihm dabei eine Neukonstruktion verbietet und ihn lediglich auf eine Stückwerktechnik verpflichten will 100, ist für die verwendete Bildsprache von 99

Rousseau beschreibt die Pflege des Staatskörpers mit folgenden Worten: „Der politische Körper, individuell genommen, kann als ein organisierter und lebendiger Körper betrachtet werden, der dem des Menschen ähnlich ist. Die souveräne Macht stellt den Kopf dar; die Gesetze und Gebräuche sind das Gehirn, das Prinzip der Nerven und der Sitz des Verstandes, des Willens und der Sinne, von denen die Richter und Beamten die Organe sind. Der Handel, das Gewerbe und der Ackerbau sind der Mund und der Magen, die die gemeinsame Ernährung vorbereiteten; die öffentlichen Finanzen sind das Blut, die eine weise Wirtschaft, die die Funktion des Herzens übernimmt, durch den ganzen Körper als Lebensnahrung hindurchverteilt. Die Bürger sind der Körper und die Glieder, die die Maschine [hier im Sinne von ‚Organismus‘, H. G. S.] in Bewegung, zum Leben und zum Arbeiten bringt, und die man in keinem Teil verletzen darf, wenn nicht der Schmerz im Gehirn verspürt werden soll, sobald das Tier nur gesund ist“ (1995, 14/15). 100 Popper 1974, 53/54.

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sekundärer Bedeutung. Entscheidend ist, daß die gewählte Metaphorik die Poppersche Politiktheorie in das Feld verweist, das von den innovativ orientierten Projekteuren bewirtschaftet wird: Man meint, jeder Staat sei nicht nur verbesserbar, sondern verbesserungsbedürftig. Obendrein setzt man Heterofunktionalität an – Staaten sollen etwas produzieren, was genau auch immer hier im einzelnen genannt wird. Schließlich nimmt man an, Staaten ließen sich ein-, aber auch abschalten, während die Anhänger der Körpermetaphorik hier von Geburt und Tod 101 sprächen. Die von Black ausgearbeitete Interaktionstheorie ist freilich nicht unkritisiert geblieben. Insbesondere Searles Gegenentwurf ist hier zu thematisieren. Searle bringt gegen Black vor, nicht zwischen Satz- und Wortbedeutung auf der einen und der Äußerungsbedeutung auf der anderen Seite zu unterscheiden. Nur letztere könne metaphorisch sein. Auch die Annahme, es trete eine Bedeutungsänderung ein, sei falsch. Gerade weil Bedeutungen erhalten blieben, kämen Metaphern zustande 102. Searle führt dann als Beweis ein Beispiel an, in dem ein Eigenname auftritt, der natürlich keine Bedeutung hat, die verändert werden könnte 103. Searles eigener Ansatz reflektiert dann auf die Dekodierung metaphorischer Äußerungen. Jemand konstatiert ‚S ist P‘, meint aber ‚S ist R‘, wobei ganz klar ist, daß P und R keine Synonyme darstellen. Die von einer Theorie der Metapher zu beantwortende Frage lautet nun zunächst: Wie erkennt der Hörer, daß die Äußerung ‚S ist P‘ als ‚S ist R‘ aufzufassen ist? Searle gibt folgende Antwort: Man greift zu einer metaphorischen Interpretation von Äußerungen, wenn ein Satz ohne sie entweder falsch 104 oder absurd erscheint. Einzuwenden wäre hier sofort, daß der Sprecher lügen oder sich irren, daß er mit schwachen 101 Grotius hat gewiß Unrecht, wenn er Staaten unsterblich nennt; vgl. 1689, 321. 102 Sear 1979, 100. 103 Searle 1979, 104.

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Geisteskräften begabt sein, unter Drogen stehen oder alkoholisiert sein könnte. Man müßte Searles Angaben also dahingehend erweitern, daß man sagt: Wir unterstellen, wenn wir uns zur Interpretation einer Metapher anschicken, einmal Aufrichtigkeit, Irrtumsfreiheit, dann aber auch normale Geistesgaben und Nüchternheit auf Seiten des Textproduzenten. Der zweite Dekodierungsschritt besteht nach Searle darin, die Eigenschaften zu bestimmen, die P besitzt. Drittens schließlich werden nicht in Frage kommende Attribute ausgeschlossen. Wie dies geschieht, wird auch bei Searle nicht recht klar. Dennoch läßt sich seinen Bestimmungen ein Wink entnehmen. Einerseits springt aus seinem ersten Schritt die Offenlegung der Unterstellungen, auf welchen jede Metapherninterpretation beruht. Aber auch der Hinweis auf die Notwendigkeit einer Selektion der Attribute ist hilfreich, wenn man ihn in einen erweiterten Zusammenhang stellt. Zunächst ist die Produktion von der Rezeption von Metaphern zu unterscheiden. Wer nach einer Metapher sucht, vollzieht einen Übergang von der conclusio eines Syllogismus zur propositio maior. Was dann herausspringt, ist die minor, welche die Metapher darstellt. Deutlich wird dieser Prozeß, an einem der von Searle verwendeten Beispiele. Ich möchte zum Ausdruck bringen, daß meine Bekannte Sally ein gefühlskalter Mensch ist. Dazu frage ich mich, welchen Entitäten in erster Linie und vor allem Kälte attestiert wird. Mir fallen hier Eisberge ein. Ich gehe also von der conclusio ‚Sally ist gefühlskalt‘ aus, schreite zu den Sätzen ‚Alle Eisberge besitzen als wesentliche Eigenschaft das Kalt-Sein‘ als der propositio maior fort und erhalte als minor die Metapher ‚Sally ist ein Eisberg‘. Wenn ich ganz sicher sein will, daß niemand auf den Gedanken kommt, ich mache eine Äuße104 Vgl. auch Davidson 2001, 257. Als Ausnahme benennt Davidson negative Metapher: Niemand ist eine Insel. Davidson geht insofern über Searle hinaus, als er metaphorischen Wortgebrauch und Lügen parallelisiert (258 f.).

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rung über Sallys Körpertemperatur, setzte ich vielleicht das Adjektiv ‚emotionaler‘ vor den Terminus ‚Eisberg‘. Hört jemand meine gewiß nicht sehr liebenswürdige metaphorische Äußerung, dann läuft sein Decodierungsprozeß so ab: Gegeben ist die minor eines Syllogismus, gesucht ist eine maior, mit deren Hilfe eine sinnvolle conclusio erzeugt werden kann. Es sind also die Eigenschaften durchzumustern, die man gemeinhin Eisbergen attestiert, um auf die maior zu kommen. Daß die Titanic an einem Eisberg gescheitert ist, wird nicht in Frage kommen, da hier keine maior entstehen kann. Aber folgende Auswahl enthält Eigenschaften, die für alle Eisberge gelten: − sie schwimmen im Meer, − ein großer Teil von ihnen ist nicht sichtbar, weil unter Wasser, − sie sind eine Gefahr für Schiffe, − sie bestehen aus gefrorenem Wasser, sind also kalt. Man sieht leicht, daß bei dieser Auswahl für eine sinnvolle Interpretation nur die letzte Eigenschaft in Frage kommt, denn niemand wird annehmen, daß Sally, so resolut sie auch sein mag, eine Gefahr für Schiffe darstellt. Die Frage, wie wir die Auswahl der interpretationskonstitutiven Eigenschaft treffen, dürfte nun zu beantworten sein. Wir arbeiten nach einem trail and error-Verfahren. Wenn mehr als ein Kandidat auf diese Weise ermittelt wird, dann scheitert die Interpretation, wenn sich überhaupt keiner einstellt, dann hat man es mit einer dunklen Metapher zu tun. Mit dem Enthymem, genauer dem Wahrscheinlichkeitsenthymem, verbindet die Metapher zweierlei: einmal die Tatsache, daß der Weg über die maior häufig angekürzt wird, also unmittelbar von der minor zur conclusio verläuft; zum anderen sind die Allsätze der maior in beiden Fällen Wahrheiten auf Abruf. Die Übereinstimmungen werden schnell anschaulich, wenn man sich die genaueren Bestimmungen des Wahrschein-

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lichkeitsenthymems, wie Aristoteles sie gibt, ins Gedächtnis ruft. Aristoteles bestimmt das Wahrscheinliche so: Das Wahrscheinliche ist das, was meistenteils geschieht, nicht schlechthin, wie einige definieren; vielmehr verhält sich im Felde des Kontingenten das Wahrscheinliche zu dem, wofür es wahrscheinlich ist, wie das Allgemeine zum Besonderen 105. Das Wahrscheinliche ist also das Allgemeine, das wir im Felde der Praxis ausmachen können. Dies kann freilich nicht die gleiche Art von Allgemeinem sein, welche die theoretische Wissenschaft kennt. Denn im Felde der Theorie können sich Dinge ja nicht ändern, hier sind sie immer so, wie sie sind. Im Bereich der Praxis hingegen sind sie heute so und morgen so. Daher treffen wir hier gar kein echtes Allgemeines an, wir stoßen immer nur auf etwas, das man als die praktische Variante des Allgemeinen nennen könnte. Dies ist das Wahrscheinliche. Man könnte sagen, das Wahrscheinliche ist das KomparativAllgemeine. Komparativ meint: In einer gehäuften Zahl von Fällen haben sich die Dinge auf eine gewisse Weise verhalten. Daraus schließen wir dann, daß es eine Wahrscheinlichkeit gibt, auch künftig werde die Mehrzahl der Fälle eben der Regel folgen, die wir dem bisherigen Auftreten entnommen haben. Aristoteles gibt folgende Beispiele: Jemand der neidisch ist, empfindet Haß auf den, den er beneidet. Jemand, der geliebt wird, empfindet seinerseits Liebe 106. In beiden Fälle sind die formulierten Allsätzen auf Beobachtungen zurückzuführen, die man als Wahrscheinlichkeitsaussagen formuliert, also mit komparativer Allgemeinheit. Um dies zum Ausdruck zu bringen, verwendet man häufig die Zusätze ‚im allgemeinen‘, ‚üblicherweise‘. Man sieht leicht, wie diese Sätze in Schlüssen zu verwenden sind. Der Redner vor Gericht wird die Schuld jemandes durch 105 106

Rh 1357a34.57b1. Anal post 70a3 – 6.

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Hinweis auf seinen Neid zu beweisen suchen, die Unschuld aber vielleicht, indem er glaubhaft macht, daß die angeklagte Person vom Opfer geliebt wurde. Formuliert man diese Ausführungen syllogistisch, dann müßte der Redner sagen: (1) Neidische Menschen neigen zu Haß auf diejenigen, die sie beneiden. (2) Der Angeklagte ist ein neidischer Mensch, und das Opfer war Gegenstand seines Neides. (3) Also hat der Angeklagte das Opfer gehaßt. Daraus kann man dann vielleicht auch schließen, daß der Angeklagte am Tode des Opfers schuld sei. So wie gerade vorgeführt wird der Redner freilich nicht argumentieren. Er wird sagen: Der Angeklagte ist ein neidischer Mensch, und er hat das Opfer sehr beneidet, also hatte er ein Tatmotiv. Diese Ausführungen verkürzen die syllogistische Form. Die Regel, nach welcher der Redner schließt, wird nicht genannt, sie wird vorausgesetzt. Aus diesem Grunde hat man das Enthymem einen verkürzten Syllogismus genannt 107, einen solchen nämlich, der die erste Prämisse verschweigt – entweder, weil sie als evident gelten kann, oder aber, weil sie eben nur wahrscheinlich ist. Sie deutlich herauszustellen, hieße in letzterem Falle dann, eine denkbare Schwäche des Argumentes sichtbar zu machen. Also verschweigt man sie. Zusammenfassend läßt sich sagen: Wahrscheinlichkeitsenthymeme sind solche Argumente, die auf Annahmen beruhen, welche als gültige Allsätze behandelt werden. Man beweist also 107 Aristoteles bestimmt das Enthymem als eine Art von Syllogismus (Rh 1355a8); vgl. auch Anal. pr. 70a3 ff. M.F. Burnyeat (1994, 3 –55) hat bestritten, daß die Auffassung, das Enthymem sei ein verkürzter Syllogismus, schon bei Aristoteles vorliege (11 f.), er schreibt sie erst den Stoikern zu (42).

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nicht diese Allsätze, man hypostasiert vielmehr ihre Gültigkeit und setzt sie dann als Prämissen ein. Analog sind Metapherninterpretationen solche Aussagen über die Bedeutung einer Äußerung, die auf der Hypothese beruhen, der als maior gesetzte Allsatz benenne die vom Metaphernproduzenten herausgegriffene, aber verschwiegene Eigenschaft der prädizierten Entität. Das Enthymem kann lediglich mit solchen Allsätzen arbeiten, deren Gewißheit vom Grade der Zustimmung eines Auditoriums abhängig ist. Die Allsätze des Enthymems sind mithin nur so lange gültig, wie man ihnen Gültigkeit zugesteht. Metaphern wirken nur dann, wenn es den Rezipienten gelingt, die maior zu bilden, welche der Produzent im Sinn hatte, also, um auf das Beispiel Searles noch einmal zurückzugreifen, Eisbergen als ihre wesentliche Eigenschaft das Kalt-Sein zuzuschreiben. Gelingt dies nicht, dann kann man von einer gescheiterten, weil dunklen Metapher sprechen. Beide, sowohl Enthymeme als auch Metaphern, können deshalb dann mit Erfolg rechnen, wenn die unausgesprochene maior den Status eine Topos 108 hat 109. Für die Schlüsselmetaphern des Politischen gilt dies fraglos, die Rede vom Staatskörper wie auch die von der Maschinerie des Staates haben topischen Charakter. Eine enthymematische Argumentation kann man bekämpfen, indem man die Prämisse selbst angreift, also ihr die komparative Allgemeinheit bestreitet. Folgendes Beispiel mag den Vorgang erläutern: Die Athener fragen sich, was sie mit besiegten Gegnern tun sollen. Die eine Partei, ich nenne sie ‚die Falken‘, spricht für Härte, die andere, ich nenne sie ‚die Tauben‘, für Erbarmen. Die enthymematische Argumentation der Fraktion der Falken lautet: ‚Wenn wir keine Härte zeigen, werden wir in Kürze eine größere Zahl an Feinden haben als heute‘. 108

Vgl. in diesem Zusammenhang Sprute 1975, 68 – 90. Bei der Beurteilung der Qualität literarischer Produkte gilt das Gegenteil: Eine zu geläufige Metapher wird man für abgedroschen halten und dem Autor mangelnde Originalität vorwerfen. 109

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Die Fraktion der Tauben muß nun zunächst das Enthymem analysieren, das hier vorgelegt worden ist. Es handelt sich um ein Wahrscheinlichkeitsenthymem. Formuliert man es syllogistisch, dann hat es folgende Gestalt: (1) Wer im Umgang mit seinen Feinden Härte zeigt, der schreckt weitere potentielle Feinde ab, kriegerische Aktionen gegen ihn einzuleiten. (2) Wir, die Athener, haben potentielle Feinde, die bisher noch nicht zu den Waffen gegriffen haben. (3) Daher müssen wir die besiegten Gegner hart bestrafen, um Auseinandersetzungen mit unseren potentiellen Feinden zu vermeiden. Nach dieser Analyse kann die Fraktion der Tauben nach einer möglichen Gegenargumentation suchen. Sie ließe sich so formulieren: ‚Wenn wir die Besiegten hart bestrafen, dann bringen wir auch solche Staaten gegen uns auf, die bisher noch keine kriegerischen Aktionen gegen uns unternommen haben‘. Damit wird ein weiteres Enthymem formuliert, wiederum ein Wahrscheinlichkeitsenthymem. Die syllogistische Formulierung zeigt, mit welcher Prämisse man hier arbeitet: (1) Wer im Umgang mit seinen Feinden Milde walten läßt, verhindert einen Solidarisierungseffekt weiterer potentieller Feinde mit denen, die man so milde behandelt hat. (2) Wir, die Athener, haben potentielle Feinde, die bisher noch nicht zu den Waffen gegriffen haben. (3) Daher müssen wir die besiegten Gegner milde behandeln, um Auseinandersetzungen mit unseren potentiellen Feinden zu vermeiden. Vergleicht man die syllogistische Formulierung beider Enthymeme, dann stellt man fest, daß sie sich lediglich in der Formulierung der ersten Prämisse unterscheiden. Die Falken

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postulieren Härte als Mittel der Kriegsverhinderung, die Tauben hingegen Milde. In der folgenden Auseinandersetzung wird man sich also um die Gültigkeit des Satzes von komparativer Allgemeinheit streiten müssen, mit dem die eine und die andere Partei arbeitet. Aus diesem Beispiel läßt sich zweierlei schließen: Das Enthymem ist gleichsam ein geronnener Syllogismus. ‚Geronnen‘ meint, die erste Prämisse, an welcher die Gültigkeit der gesamten Argumentation hängt, wird gar nicht ausdrücklich formuliert. Nur so gewinnt das Enthymem seine rhetorische Schlagkraft. Diese besteht darin, so zu formulieren, daß als völlig evident erscheint, was möglicherweise Widerspruch auslösen könnte. Die Falken tun so, als sei es immer und immer wieder bestätigte Lebensregel, daß nur Härte Frieden schafft. Die Tauben prätendieren hingegen, jedermann wisse, daß nur Milde wirklich neue Kriege verhindert. Der zweite Schluß, den man aus dem Beispiel ziehen kann, lautet: Der Redner muß sich darauf gefaßt machen, daß ein potentieller Gegner seine Enthymeme syllogistisch analysiert und dann die unausgesprochenen Prämissen angreift. Daher wird er sich etwas zurechtlegen müssen, was als Rechtfertigung dieser Prämissen gelten kann. Genau diese Situation liegt vor, wenn sich Konservative und innovativ orientierte Projekteure hinsichtlich ihrer Staatsvorstellungen auseinandersetzen. Konservative werden ein Programm zur Reformierung des Gemeinwesens mit einer organizistischen Metaphorik anpreisen, innovative Projekteure das ihre eher in Maschinenbildern. So konstatiert Tocqueville, das alte Regime sterbe an Krankheiten, welche die Zerstörung der politischen Freiheit und die Klassenunterschiede erzeugt hätten 110.

110

Tocqueville 1866, 145.

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Die kritische Analyse verläuft hier nach dem Muster der Kritik von Enthymemen: Man analysiert die verborgene maior. Für die Körpermetapher kommt man etwa zu folgenden Ergebnissen: Sie legitimiert Ungleichheit, i.e. Herrschaft, sie gibt die politische Ordnung als Naturordnung aus 111. Für das Maschinenbild gilt: Es impliziert, daß die Bürger als Teile eines Mechanismus den Status einsichtsloser Objekte haben, nicht den selbstbestimmter Subjekte 112. Nachdem der enthymematische Charakter 113 der Metapher herausgestellt worden ist, läßt sich zeigen, inwiefern mit dieser Position eine Mittelstellung zwischen den Kognitivisten und den Ornamentalisten einzunehmen ist. Es wird einerseits nicht zu halten sein, daß metaphorisch ein nicht anders zu machender Kognitionsgewinn möglich wird, denn sonst wäre es nicht denkbar, die verborgene maior aufzuspüren und dieses Resultat in Begriffe zu fassen. Es wird aber auch nicht von einer nur schmückenden Funktion der Metapher die Rede sein können. Denn sie hat in vielen Fällen genau die Funktion, die Hans Blumenberg mit der Rede von einer ‚absoluten‘ Metapher im Sinne gehabt hat. Er versteht darunter „‚Übertragungen‘, die 111

Lückemann 2008, 171, l. u. r. Sp. Vgl. Stollberg-Rilinger 1986, 225. Diese Kritik ist ein locus classicus der politischen Philosophie, vgl. die bereits erwähnte Kennzeichnung des Despotismus als einer Handmühle bei Kant (KdU – Akad 5, 352), die Kritik des Ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus: „Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk. Die Idee der Menschheit voran, will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also auch über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören. Ihr seht von selbst, daß hier alle die Ideen, vom ewigen Frieden u.s.w. nur untergeordnete Ideen einer höheren Idee sind: Zugleich will ich hier die Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit niederlegen und das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung bis auf die Haut entblößen“ (HW, I 234 – 235). 113 Es ist die Rhetorizität der Metapher, welche John Stuart Mill hat feststellen lassen, Metaphern seien keine Argumente, sondern Behauptungen, man verfüge über Argumente (1868, II 395). 112

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sich nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen“. Als solche sind sie begrifflich nicht einzuholen 114. Blumenberg schließt nicht aus, daß man eine Metapher durch eine andere in ihrer Bedeutung erhellen kann 115, und vermeidet damit das Paradoxon, in welches die Kognitivisten geraten, wenn sie zugleich die Unübersetzbarkeit von Metaphern behaupt und anschließend in Begriffen angeben, was man jeweils aus ihnen lernen kann 116. Daß wir auf absolute Metaphern nicht verzichten können, ergibt sich für Blumenberg aus der Tatsache, daß wir die Dinge, die uns umgeben, in ihrer Gesamtheit begrifflich nicht zu fassen vermögen, weil solche Begriffe eine Abstraktheit aufwiesen, die sie ihres Inhaltes beraubte. Hier liefern Bilder den Ersatz, der dennoch Orientierung erlaubt 117. Die in diesem Kapitel besprochenen Staatsmetaphern, so könnte man über Blumenberg hinausgehend sagen, sind solche Orientierungsbilder. Sie weisen auf die Dispositionen derjenigen, die sie gebrauchen, auch wenn die Sprecher sich gar nicht mehr klar darüber sind, daß sie metaphorisch formulieren 118. Unter einer Disposition soll eine Haltung verstanden werden, die eine / mehrere natürliche oder künstliche Person / Personen einem Sachverhalt gegenüber einimmt / einnehmen. Der 114

Blumenberg 1998, 10. Blumenberg 1998, 12 f.; vgl. hier auch Ricœure, der feststellt, es gebe keinen nicht-metaphorischen Ort, von dem aus man dem Spiel der Metaphern zusehen könnte (1997, 25). 116 D. E. Cooper macht überzeugend klar: Wenn Metaphern ein Surplus-Verständnis der Dinge erzeugten und man obendrein sagen könnte, worin dieses Surplus besteht, dann ist die Rede von einem Surplus obsolet, weil es sich ja in literalen Wendungen angeben läßt (1989, 237); ähnliche Hinweise bei Davidson 2001, 261. 117 Rentsch formuliert sehr zutreffend: ... sie (die Bilder) gehören zum konstitutiven kulturellen framework, sie artikulieren keine Tatsachen (Fakten), die in der Welt empirisch vorfindlich sind, sondern sie artikulieren (zeigen) die Form der Welt“ (2009, 142). 118 Mende sieht hier eine Gefahr der absoluten Metaphern (2009, 22). 115

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Begriff ‚Sachverhalt‘ bezeichnet die Konfiguration von Sachen und Subjekten an gewissen Raum / Zeit-Stellen. Die Haltung, welche man hier einnimmt, mag regelkonform oder regelwidrig sein; dies gilt allerdings nur dann, wenn das Auftreten beziehungsweise Unterbleiben gewisser Sachverhalte postuliert werden kann und auch postuliert wird. Ist dies nicht der Fall, dann kann von Regelwidrigkeit beziehungsweise Regelkonformität nicht gesprochen werden. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: In einer Kultur, in der man der Auffassung ist, das Klima sei nicht manipulierbar, ist es sinnlos, die ablehnende Haltung eines Subjektes Niederschlägen gegenüber als regelkonform zu preisen beziehungsweise als regelwidrig zu verdammen. Die Auffassung hingegen, die Eigentumsordnung eines Gemeinwesens sei zu wahren, kann gelobt oder getadelt werden, je nach der Haltung, die das urteilende Subjekt einnimmt. Tadelt es, dann nimmt es eine regelwidrige, tut es dies nicht, dann bevorzugtes eine regelkonforme Haltung. Sowohl die kritische als auch die zustimmende Disposition einem einzelnen Regelsatz gegenüber läßt sich nun ausweiten: Liegt nämlich ein System von Normen vor, welches das Auftreten beziehungsweise das Unterbleiben nicht nur einer gewissen Klasse von Sachverhalten, sondern weiter Bereiche des sozialen Lebens regeln soll, dann wird eine Disposition sich nicht nur auf Sachverhalte einer bestimmten Art beziehen, sondern auch auf das gesamte System von Normen. Zwei grundlegende Dispositionen sind denkbar, eine ablehnende, i.e. die der innovativen Projekteure, und eine zustimmende, die der Konservativen. Fragt man nach der Rechtfertigung ihrer Einstellungen, dann verweisen sie auf die politische Grundmetaphorik, den Körper, den es gesund zu halten, die Maschine, die es zu verbessern gilt. Weil die Konservativen – wie im zweiten Teil des Buches zu zeigen sein wird – Ironiker sind, erlauben sie sich keine weiterreichende Erklärungen als den metaphorischen Verweis. Das hat sie für theoriegewohnte oder gar theorieverliebte Intellek-

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tuelle oft unattraktiv erscheinen lassen. Die innovativen Projekteure hingegen vermögen, wenn sie entsprechend trainiert sind, die Maschinenmetapher als Ausfluß einer geschichtsmetaphysischen Interpretation des Ganges der Ereignisse im Laufe der menschlichen Historie zu präsentieren, ohne daß sie dabei freilich den Begriff ‚Metaphysik‘ verwendeten. Das letzte Kapitel des Buches wird genauer bestimmen, was gemeint ist, wenn von Geschichtsmetaphysik die Rede ist.

Zwischenbilanz Settembrini warnt den jungen Hans Castorp eindringlich wie stets: „Ach ja, die Ironie! Hüten Sie sich vor der hier gedeihenden Ironie, Ingenieur! Hüten Sie sich überhaupt vor dieser geistigen Haltung! Wo sie nicht ein gerades und klassisches Mittel der Redekunst ist, dem gesunden Sinn keinen Augenblick mißverständlich, da wird sie zur Liederlichkeit, zum Hindernis der Zivilisation, zur unsauberen Liebelei mit dem Stillstand, dem Ungeist, dem Laster“ 1.

Und Castorp wagt es diesmal insgeheim, anderer Auffassung zu sein; denn so weit, daß er den Dissenz formulieren wollte, geht er nicht. Angesichts der Eloquenz des stets und überall auf Innovation dringenden Projekteurs aus Italien fällt es ihm schwer, die konservativen Bedenken, die ihn umtreiben, zu benennen. Worin solche Einwände bestünden, läßt sich nach den Kapiteln des ersten Teils zusammenfassend so darlegen. Für den Konservativen ist das Sollen bereits präsent, in dem nämlich, was er vorfindet. Seine Gegner sind hier ganz anderer Ansicht. Sie meinen, die Welt müsse verändert werden – entweder durch die Wiederherstellung von etwas Vergangenem oder durch die Erreichung eines künftigen Zieles. Der zweiten Gruppe gehört Settembrini an, der ersten Naphta. Für beide liegen Sein und Sollen weit auseinander. Ein Liberaler steht dann zwischen den Positionen, wenn er lediglich sein Kernprogramm vertritt: Freiheit, Gleichheit, Toleranz, Beschränkung des Staates, Regierung im Konsens mit 1

Mann 2002, 335/336.

Zwischenbilanz

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den Regierten, Eigentumsgarantie. Zu einem Innovateur wird er erst, wenn er sich nicht nur einer Freiheits-, sondern auch einer Fortschrittspartei zurechnet; dann wird er den Gleichheitsbegriff reinterpretieren – nämlich so, daß er nicht mehr eine Gleichheitsfiktion enthält, sondern faktische Gleichheit postuliert, nicht nur was das Recht und seine Applikation angeht. Gleichheit der Bildungschancen, mag er nun postulieren und eine Vermeidung zu großer Vermögensunterschiede. Je mehr er die Kategorie des Bedürfnisses auf Kosten der Leistung ins Feld führt, um so klarer wandelt er sich von einem sozial orientierten Liberalen zu einem Innovateur sozialreformerischer, auch sozialistischer Prägung 2. Aber es wäre auch denkbar, daß er sich in die entgegengesetzte Richtung bewegt. Nun gibt er die Idee einer Gleichheitsfiktion auf und ist auch nicht bereit, die Bedürfnisse gewisser Kreise der Gesellschaft zu einem Maßstab seines Handelns zu machen. Einzig die Rechte der Menschen interessieren ihn. Unter diesen Voraussetzungen wird er mit den Konservativen paktieren, sollte er dem status quo zuzurechnende Freiheiten bedroht sehen. Rückschrittlich ist er orientiert, wenn er verlorene Rechte zu restituieren bestrebt ist. Er wird dann darauf hinweisen, daß man im Dienste einer Alimentation immer größer werdender Kreise der Bevölkerung die Eigentumsrechte der produktiven Schichten der Gesellschaft eingeschränkt, wenn nicht gar grundsätzlich verletzt habe. Es wird sich im folgenden zeigen, daß alle drei Dispositionen, weder die fortschrittliche noch die traditionelle und auch 2

Habermas hat das Argumentationsmuster vorexerziert: „Der klassische Liberalismus drohte ... den Sinn gleicher ethischer Freiheiten auf eine possessiv-individualistische Lesart instrumentalistisch mißverstandener subjektiver Rechte zu verkürzen. Damit verfehlte er eine wichtige normative Intuition, die auch unter den Bedingungen moderner Gesellschaften gerettet zu werden verdient – jene Solidarität, die ... Staatsbürger als Mitglieder eines politischen Gemeinwesens über bloße Rechtsbeziehungen hinaus miteinander verbindet“ (Habermas 2005, 280).

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Zwischenbilanz

nicht die liberale in ihren verschiedenen Spielarten wirklich ironiefähig sind, da sie in der Herde ihrer Überzeugungen einige heilige Kühe grasen lassen, welche ironisch zu betrachten eine Art Majestätsbeleidigung darstellte – für die Liberalen ist die Freiheits- bzw. die formale Gleichheitskonzeption eine solche heilige Kuh, für die Traditionalisten sind es die edlen Werte der Vorväter, für den Innovator hat der Fortschritt diesen Status. Mit derlei treibt man in den jeweils einschlägigen Kreisen keinen Scherz; darum mag man die Ironie nicht, insbesondere dann nicht, wenn sie als dissimulatio auftritt, man also nicht so recht weiß, woran man eigentlich ist. Denn die dissimulatio produziert, wie sich zeigen wird, Paradoxa; von denen aber gilt: „Das Paradoxon ist die Giftblüte des Quietismus, das Schillern des faulig gewordenen Geistes, die größte Liederlichkeit von allen!“ – so noch einmal Settembrini 3. Der reflektierte Konservative ist sich hingegen klar darüber, daß er seine Disposition persuasiv-argumentativ nur durch Metapherngebrauch verdeutlichen kann; er formuliert in Enthymemen und kritisiert seine Gegner, indem er ihnen ironisch begegnet – Castorp nennt Settembrini, wenn er auf ihn böse ist, einen „Windbeutel und Räsonneur, der sich in Dinge misch[e], die ihn nichts ang[ingen], während er selbst die Mädchen auf der Straße anträller[e]“ 4. Eine Theorie steht nicht hinter der konservativen Position – in den Augen seiner Gegner ist dies eine Schwäche; der zweite Teil des Buches wird zeigen, daß davon keine Rede sein kann, daß die Theorielosigkeit des Konservativen vielmehr Resultat seiner ironischen Haltung einer kontigenten Welt des Praktischen gegenüber ist. Eine Vorstellung, was man sich unter der konservativen Theorielosigkeit vorzustellen hat, gibt Edmund Burke, wenn er das Verhältnis von Umständen 5 und Prinzipien erklärt: „Cir3 4

Mann 2002, 337. Mann 2002, 340.

Zwischenbilanz

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cumstances (which with some gentlemen pass for nothing) give in reality to every political principle its distinguishing colour, and discriminating effect. The circumstances are what render every civil and political scheme beneficial or noxious to mankind“ 6. Am Beispiel des Prinzips der Freiheit zeigt er dann, wann die Umstände so beschaffen sind, daß man es außer Acht lassen sollte: „Is it because liberty in the abstract may be classed amongst the blessings of mankind, that I am seriously to felicitate a madman, who has escaped from the protecting restraint and wholesome darkness of his cell, on his restoration to the enjoyment of light and liberty?“ 7 Damit sind die Überlegungen zum Begriff des Konservatismus vorläufig abgeschlossen. Sie haben zu einem Resultat geführt, welches es ermöglicht, an der Art und Weise, wie ein Mensch über sein Gemeinwesen spricht, zu erkennen, daß es sich um einen Konservativen bzw. um einen der innovativen Projekteure handelt. Die nun folgenden Überlegungen zum Begriff der Ironie scheinen zunächst das bisher abgehandelte Thema aus den Augen zu verlieren. Es wird sich aber bald zeigen, daß mit ihnen ein zweites entscheidendes Kennzeichen des Konservatismus präziser gefaßt werden kann, eben die ironische Haltung, die ihn allen Projekten gegenüber ausgesprochen skeptisch macht. Auf ihn trifft zu, was Odo Marquard als Kennzeichen der Skepsis angegeben hat. Er schreibt, sie sei ‚Usualismus‘, sie habe einen Sinn für „die Unvermeidlichkeit der Üblichkeiten“; auf ‚absolute Orientierungen‘ gebe sie nichts 8. Projekteure können nicht ironisch sein, dazu lieben sie die von ihnen vertretene Sache viel zu sehr. Proselyten zu machen, 5 Die Lehre von den circumstantiae hat eine rhetorische Tradition – vgl. Cicero, Inv I, 24 ff. 6 Burke 1999, 93. 7 Burke 1999, 93. 8 Marquard 1986a, 7/8.

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Zwischenbilanz

das ist ihr Geschäft, welches sich nur dann ausführen läßt, wenn man zu überzeugen vermag, weil man selbst überzeugt ist. Ein solcher politischer Überzeugungstäter ist ein Konservativer Thomas Mannscher Provenienz gewiß nicht – auch wenn man seinen Betrachtungen allerlei hat unterstellen wollen. Castorp hält die von Settembrini zugelassene Ironie für eine „Trockenheit und Schulmeisterei“ 9, die ihn wenig zu beeindrucken vermag, und ganz Unrecht dürfte er mit dieser Einschätzung nicht haben.

9

Mann 2002, 336.

II. Die Ironie 1. Rhetorische und soziale Ironie „Romans, countrymen, and lovers, hear me for my cause, and be silent, that you may hear. Believe me for mine honor, and have respect to mine honor, that you may believe. Censure me in your wisdom, and awake your senses, that you may the better judge.“ 1

Mit diesen Worten läßt Shakespeare in seiner Tragödie Julius Caesar den Verschwörer Brutus eine Rede beginnen, die seine Gründe für den Mord an Caesar rechtfertigen soll. Und der zweifache Hinweis auf seine Ehrenhaftigkeit ist erfolgreich. Man nimmt ihm die Behauptung ab, er habe Caesar geliebt, mehr aber noch gelte seine Zuneigung Rom, das tyrannisch zu beherrschen, sich der Ermordete angeschickt habe. Nur sein Tod habe das Vaterland retten, die Freiheit seiner Bürger wahren können. Dann tritt Marc Anton auf und formuliert nach einigen einleitenden Wendungen so: „Here, under leave of Brutus and the rest (For Brutus is an honorable man, So are they all, all honorable men), Come I to speak in Caesar’s funeral. He was my friend, faithful and just to me; But Brutus says he was ambitious, And Brutus is an honorable man.“ 2 1 2

Shakespeare 1974, 1120/1121. Shakespeare 1974, 1121.

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II. Die Ironie

Die Wiederholung läßt aufhorchen: Meint der Sprecher, was er da sagt? Das „Brutus says he was ambitious / And Brutus is an honorable man.“ 3 taucht in Varianten noch fünf Mal auf, bis den Zuhörern schließlich klar wird, daß man auf die Ehrenhaftigkeit des Brutus und seiner Mitverschwörer doch nicht so viel geben dürfe. „They were traitors; honorable men!“ 4, ruft einer der Zuhörer, „They were villains, murderers.“ 5, ein anderer. Damit ist die persuasive Strategie aufgegangen. Der Sprecher kann nun ohne alle Ironie sagen: „... great Caesar fell. O, what a fall was there, my countrymen! Then I, and you, and all of us fell down, Whilst bloody treason flourish’d over us.“ 6

Um dann freilich sogleich wieder zurückzuschlüpfen in den seine gesamte Rede beherrschenden Worttropus: „... They are wise and honorable, And will no doubt with reasons answer you.“ 7

Dies bringt die Zuhörer so auf, daß sie Brutus’ Haus in Brand setzen wollen. Das Mittel, dessen sich Marc Anton bedient, ist die Verwendung des gegnerischen Vokabulars: Brutus hat sich ehrenhaft 3

Shakespeare 1974, 1121. Shakespeare 1974, 1122. 5 Shakespeare 1974, 1122. 6 Shakespeare 1974, 1122. 7 Shakespeare 1974, 1122. Eine sehr zutreffende Beschreibung des Wirkungsmechanismus, den Shakespeare seinen Protagonisten hier verwenden läßt, findet sich bei Connop Thirlwall: „The writer effects his purpose by placing the opinion of his adversary in the foreground, and saluting it with every demonstration of respect, while he is busied in withdrawing one by one all the supports on which it rests: and he never ceases to approach it with an air of deference, until he has completely undermined it, when he leaves it to sink by the weight of its own absurdity“ (1833, 484). 4

1. Rhetorische und soziale Ironie

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genannt, Marc Anton tut dies auch, aber in ironischer Weise. Erkennbar wird dies durch zwei Hinweise – einmal in den Wiederholungen, zum anderen durch den Gegensatz, den der Redner konstruiert: Er preist den Toten und zugleich seine Mörder. Eines von beiden kann er nicht so meinen, wie er es sagt; denn er unterliegt ja – wie alle rationalen Wesen – dem principium contradictionis, welches Widersprüche verbietet. Die Ironie als Worttropus besteht mithin in einem Verbergen, das sich durch Ironiesignale als Verbergen ausstellt. Quintilian nennt drei solcher Decodierungshilfen – einmal die Person des Sprechers (persona), die man kennt und von der man weiß, daß sie nicht meinen kann, was sie sagt; dann die Natur der Sache (rei natura), über die gesprochen wird und die sich dem common sense ganz anders darstellt als der Redner sie präsentiert; schließlich die Vortragweise, z. B. gewisse stimmliche Übertreibungen (pronuntiatio) 8. Wayne C. Booth hat diese Liste erheblich erweitert. Er nennt Stilbrüche, Kontexthinweise, Widersprüche zum common sense, direkte Warnungen – etwa in einem Vorwort, im Titel eines Werks etc., Faktenkonflikte im Werk, die Behauptung von etwas offensichtlich Falschem 9. Für die folgenden Überlegungen sind diese literaturwissenschaftlich bedeutsamen Angaben ohne Belang. Wesentlich ist lediglich, daß die Ironie als simulatio das Faktum ausdrücklich macht, daß hier etwas verborgen wird 10. Marc Anton tut dies nicht von Anfang an. Er kaschiert zunächst seine Beurteilung der Tat der Verschwörer, beginnt also nach dem noch darzustellenden Schema der dissimulatio. Man könnte deshalb meinen, er sei mit dem Vorgehen der CaesarMörder durchaus einverstanden. Wenn dann die Wirkung der Ironiesignale einsetzt, ergibt sich ein zweifacher Effekt. Der 8

Inst VIII, 6, 54. 1975, 53 ff.; Ingrid Fehlauer-Lenz hat die Liste in ihrer Dissertation bis zur Unübersichtlichkeit erweitert (2008, 96 – 109). 10 Dies rückt die simulatio in der Nähe der Brechtschen Verfremdungstechnik; vgl. B. Brecht 1967, 661 – 708. 9

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II. Die Ironie

Gegner, dessen Wortwahl nachgeahmt wird, verliert nicht nur alle Glaubwürdigkeit, man ist darüber hinaus schließlich auch geneigt, das Gegenteil dessen, was Brutus zuvor gesagt hat, für richtig zu halten. Nicht mehr die Liebe zu Rom und seinen Bürgern scheint nun Brutus’ Handlungsmotiv zu sein, sondern eitle Selbstsucht. Damit zeigt sich, worin der Unterschied zwischen der ironischen simulatio und einer Lüge besteht, mit der man einem anderen Menschen wider besseres Wissen die Unwahrheit sagt. Jemand, der absichtsvoll über bestehende bzw. nichtbestehende Sachverhalte hinwegtäuscht, der sich also nicht einfach irrt, sondern sein Gegenüber hinters Licht führen will, ist darum bemüht, die Tatsache, daß seine Aussage nicht den Gegebenheiten entspricht, zu kaschieren 11. Erfolgreich lügt man nämlich genau dann, wenn nichts darauf hinweist, daß die Wahrheit entstellt wird, wenn die Lüge sich also im Gewande der Wahrheit präsentiert. Das bisher gekennzeichnete ironische Sprechen hingegen ist nur wirksam, wenn offensichtlich wird, daß die Dinge sich nicht so verhalten, wie es den Anschein macht. Eine Lüge scheitert mithin an dem, was den Erfolg der Ironie garantiert, am Hinweis auf das Faktum, daß die getroffene Aussage den thematisierten Sachverhalt unangemessen darstellt 12. Damit ist der Mechanismus beschrieben, welcher dem Worttropus der Ironie zugrunde liegt. Er hat an sich selbst keinen 11 Harry Franfurt analysiert die Lüge so: „ Lying is a rather complicated act. Someone who tells a lie invariably attempts to deceive his victims about matters of two distinct kinds: first, about the state of affairs to which he explicitly refers and of which he is purporting to give a correct account; second, about his own beliefs and what is going on in his mind. In addition to misrepresenting a fact about the world, then, the liar also misrepresents various facts about himself. Each of these aspects of what he does is significant in its own way“ (1992, 6). 12 Jancke formuliert dies so: „Die Lüge ist eine Unwahrheit derart, daß sie eine Wahrheit sein möchte; die Ironie ist eine Unwahrheit derart, daß sie eine solche bleiben möchte“ (1929, 26).

1. Rhetorische und soziale Ironie

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politischen Charakter, läßt sich aber hervorragend in politischen Auseinandersetzungen als rhetorische Waffe verwenden. Insofern geht er in seiner Funktion weit über den Bereich hinaus, in welchem ihn die rhetorischen Lehrbücher anzusiedeln pflegen, denn er dient ja nicht nur dem Schmuck der Rede. Tritt die Ironie als Gedankentropus auf, dann wird das Gemeinte durch etwas anderes ersetzt, das in der Regel im Gegensatz zu ihm steht 13. Hier ist neben der simulatio auch die dissimulatio möglich. Beide unterscheiden sich dadurch, daß die erste – wie schon der Worttropus – als rhetorische, die zweite hingegen als eine soziale Strategie anzusehen ist. Die simulatio findet sich in der Alltagskommunikation häufig als Tadel, der in die Form eines Lobs gebracht wird. Jemand stößt ein Glas vom Tisch, das am Boden zersplittert und seinen Inhalt freigibt, wodurch allen Anwesenden Unannehmlichkeiten entstehen. Daraufhin sagt Person A zu dem Übeltäter B: „Das hast du ganz hervorragende gemacht. Darin bist du unübertrefflich“. Ein so vorgebrachter Tadel fällt schärfer aus als die nicht-ironische Wendung; denn es wird die Haltung eines Menschen nachgeahmt, der allen Anwesenden Übles will und daher die Unannehmlichkeiten begrüßt, in welche sie die ungeschickte Person B gebracht hat. Der Vorwurf lautet also nicht einfach: „Du schaffst uns allen ein Problem!“, sondern durch die simulatio einer gegnerischen Position wird zudem konstatiert: „Du spielst unseren Feinden in die Hände.“ Wolfgang Berg hat den Mechanismus der simulatio wie folgt bestimmt: „Wenn ein Sprecher S einen Satz T gegenüber einem Adressaten A äußert und das Äußern eines Satzes T als Ausdruck der Proposition p und als Vollzug eines Sprechaktes vom Typ I gilt, dann handelt S ironisch, wenn er unter den gegebenen Bedingungen T äußert, um damit die Proposition q auszudrücken oder einen Sprechakt vom Typ J auszuführen. 13 Vgl. Quintilians berühmte Bestimmung: contrarium ei quod dicitur intellegendum est (Inst IX, 2, 44) – Man muß das Gegenteil dessen verstehen (auffassen), was gesagt wird; hierzu auch Inst VI, 2, 15.

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II. Die Ironie

Die Sprechakte I und J, die Propositionen p und q seien dabei jeweils das ‚Gegenteil‘ voneinander.“ 14 Hinzufügen müßte man lediglich, daß aus einer gegnerischen Perspektive der Satz T in der Tat die Proposition p unter Vollzug des Sprechaktes I darstellt, die ironische Äußerung also genau dadurch auftritt, daß S etwas sagt, was nicht zu seiner, sehr wohl aber zur Auffassung eines anderen paßt. Damit ist zugleich die Voraussetzung benannt, unter welcher der Getadelte den ironischen Satz decodieren kann: Er muß die Position, die A einnimmt, kennen, muß also wissen, daß A die zu erwartenden Unannehmlichkeiten fürchtet und sich über die Freude ärgert, welche ein Gegner angesichts des Mißgeschicks empfinden wird. 15 Noch etwas deutlicher werden die Zusammenhänge, wenn man den Fall des selteneren 16 ironischen Tadels 17 durchspielt: B spielt in gewohnter Virtuosität ein Klavierstück, A hört zu. Nachdem die letzte Note interpretiert ist, steht B auf und stellt fest, er sei immer noch nicht ganz zufrieden mit sich selbst. A sagt daraufhin, daß B allen Grund habe, mit sich ins Gericht zu gehen, denn niemand vermöge das Stück so zu interpretieren wie er. Damit B die Äußerung als ironisches Lob verstehen kann, muß er sich darüber klar sein, daß man in der Tat nicht besser spielen kann, als er es soeben getan hat, daß er einen Hang hat, die eigene Leistung herunterzuspielen, um dadurch seine Mitmenschen zu Lobeshymnen zu animieren, daß A dieses fishing for compliments verabscheut. 14

Berg 1978, 82/83. Berg führt diese Decodierungsbedingung für jede ironische Sprechweise an. Sie gilt aber, wie sich zeigen wird, nur für die simulatio, nicht für die dissimulatio (Berg 1978, 88f.). 16 Vgl. Hartung 2002, 162. 17 Den ironischen Tadel leugnen zu wollen, wie es Ilse und Ernst Leisi in ihrem Ratgeber zu richtigen Verbalverhalten (1993, 193) tun, ist gewiß nicht phänomenadäquat. 15

1. Rhetorische und soziale Ironie

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Sind diese Bedingungen erfüllt, dann kann B folgende Botschaft aus A.s Äußerung herauslesen: Der Tadel ahmt die Haltung eines Menschen, der B.s Spiel in der Tat für kritikwürdig hält, lediglich nach. Gemeint ist ein Lob für seine hervorragende Interpretation, das allerdings mit einem Tadel für B.s Sucht nach Komplimenten verbunden ist. In die soziale Ironie geht die dissimulatio über, wenn die Decodierungssignale so weit getilgt werden, daß nicht mehr sichtbar ist, was genau der Sprecher meint. Auch hier liegt noch keine Lüge vor, denn dem Rezipienten ist irgendwie schon klar, daß er nicht unmittelbar für bare Münze nehmen darf, was man ihm hier präsentiert – aber das eben nur irgendwie und nicht näher zu präzisieren. Ein anschauliches Beispiel findet sich der Komödie Die Wespen. Aristophanes bringt hier den prozeßsüchtigen Philokleon auf die Bühne, der von seinem Sohn im Hause eingesperrt wird, damit er seinem Laster nicht mehr frönen kann. Der Vater verstellt sich daraufhin, um seinem Gefängnis zu entkommen. Zwei Sklaven kommentieren das Geschehen, und der eine von ihnen nennt Philokeons Verhalten εἰρωνικῶς 18. Soziale Ironie liegt mithin dann vor, wenn – in einer Minimalanalyse präsentiert – A an B mit dem Anspruch herantritt, sich auf eine gewisse Weise zu verhalten. Das bringt B in eine unangenehme Situation, denn was man da von ihm verlangt, widerspricht, aus welchem Grunde auch immer, seinen Wünschen, Vorlieben, Interessen. Andererseits ist es B nicht möglich, A offen und deutlich zurückzuweisen, da das, was A verlangt, gerechtfertigt ist und jedermann an sich dazu verpflichtet wäre, A.s Forderung zu erfüllen. B findet nun darin einen Ausweg, daß er A gegenüber die Berechtigung seiner Wünsche betont, zugleich aber bedauernd feststellt, nicht tun zu können, was A von ihm verlangt.

18

174.

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II. Die Ironie

Daß seine Prozeßsucht ein Laster ist, gesteht Philokleon seinem Sohne zu, dennoch könne er nicht im Hause bleiben, da gewisse andere Geschäfte es erforderlich machten, daß er es verlasse. Die Person B in der Minimalanalyse und der Protagonist der Komödie versuchen mithin beide ihr Gegenüber bezüglich ihrer wahren Wünsche zu täuschen. Die soziale Ironie als dissimulatio ist mithin der Ort, an welchem die Verwandtschaft zur Lüge am größten ist. Beide unterscheiden sich nur durch das Mißtrauen, welches die erste Art der Verstellung auf der Seite des Rezipienten begleitet 19. Dies erklärt die Unehrenhaftigkeit, welche die antike Welt dieser Form der Interaktion zuschreibt. Sie wird spürbar, wenn die Gesprächspartner des Sokrates ihm entsprechende Vorhaltungen machen. Das folgende Kapitel wird dies verdeutlichen. Systematisiert man die bisherigen Überlegungen dann läßt sich zusammenfassend folgendes festhalten: Ironie in all‘ ihren Gestalten entzieht sich immer einem Anspruch, ob dieser nun im Felde der Erkenntnis oder in dem des Praktischen erhoben wird. Im ersten Falle geht es um Wahrheit, im zweiten um die Gültigkeit von Postulaten. Ironisch tritt man dadurch auf, daß man entweder die eigene Position unkenntlich macht oder eine Haltung einzunehmen vortäuscht, die der eigenen Auffassung widerspricht. So resultieren vier Spielarten der Ironie: die dissimulatio im Felde der Erkenntnis (1) und der Praxis (2) sowie die simulatio in diesen Bereichen (3, 4). Sie lassen sich durch folgende Beispiel verdeutlichen: (1) A teilt B mit, die einzig wahre Philosophie sei die Kantische, nach dem Königsberger Denker habe man nur noch Unsinn formuliert. B will einem Streit aus dem Wege gehen und 19 Eine gelungene Illustration hat Cross geliefert; er bringt einen Satz aus einem Zeugnis, welches einem Angestellten mitgegeben worden ist, auf daß er es einem neuen Arbeitsgeber präsentiere: „You will be lucky if you get this person to work for you.“ (2006, 130). Cross fügt die Bemerkung hinzu, das Beispiel stamme von J. Tappenden (Anm. 4, 152).

1. Rhetorische und soziale Ironie

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verbirgt deshalb seine eigene Ansicht, die Schopenhauer favorisiert. B sagt dann etwa, seine eigenen philosophischen Kenntnisse reichten für derartige Urteile nicht aus. (2) A fordert B dazu auf, an einer gegen die Regierung gerichteten Kundgebung teilzunehmen. B fürchtet allerdings, sich auf diese Weise als Regierungsgegner zu erkennen zu geben und damit geschäftliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, denn B produziert gewisse Materialien, die er an Regierungsstellen verkauft. B antwortete A daher so, daß seine Haltung der Kundgebung gegenüber verdunkelt wird, etwa indem er sagt, er verstehe nichts von Politik. (3) Hier reagiert B mit einer Schmährede gegen die Regierung, die allerdings, da er deutliche Ironiesignale gibt, sofort als unangemessen zu durchschauen ist. (4) Hier stimmt B ein überzogenes und daher unglaubwürdiges Loblied auf Kant an. In allen vier Fällen richtet sich die Ironie gegen Geltungsansprüche, die indirekt oder direkt unterlaufen werden. Es ist diese Kapazität, welche sie in den Händen des Atheners Sokrates zu einem Instrument der Mäeutik, insbesondere auch zum Werkzeug der Kritik am sophistischen Relativismus macht. Die Pyrrhonische Skepsis setzt das Werkzeug dann genau gegenteilig ein, nämlich zur Schwächung aller Positionen, die sie für dogmatisch hält. Jahrhunderte später verliert die Ironie bei den deutschen Romantikern ihren instrumentellen Charakter und wird zu einer Einstellung der Welt und dem eigenen Leben gegenüber. Gesteigert wird das geltungskritische Potential der Ironie noch durch Nietzsches Philosophieren, welches – obwohl Nietzsche ganz wie Settembrini 20 eine ironiekritische Haltung verlautbart – eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Wirken von Richard Rortys Ironikerin ist. Damit ist der Gang der folgenden Kapitel im Aufriß skizziert.

20

Vgl. das Kapitel Zwischenbilanz.

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II. Die Ironie

2. Ironie im Kampf gegen den Relativismus

An zwei Stellen werfen die Gesprächspartner des Platonischen Sokrates 21 ihm vor, er trete als Ironiker auf, und sie meinen damit etwas wenig Schmeichelhaftes. Sie verwenden nämlich das Schimpfwort, welches man benutzt, um den im zurückliegenden Kapitel gekennzeichneten Drückeberger zu brandmarken 22, i.e. sie fassen die Ironie des Sokrates als soziale Ironie auf. Im Gorgias bittet Sokrates Kallikles, sanfter als zuvor mit ihm umzugehen, sonst suche er sich einen anderen Lehrer. Darauf hin sagt Kallikles: Εἰρωνεύῃ, ὦ Σώκρατες. Sokrates streitet die Berechtigung dieser Kennzeichnung ab, ist sich also der negativen Bedeutung einer solchen Charakterisierung bewußt 23. Er will sich nicht als sozialen Ironiker verstanden wissen und hat sich auch sein Lebtag über – will man den Angaben zu seiner Vita Glauben schenken – niemals so benommen. Im ersten Buch der Politeia sagt Thrasymachos: Herakles, das ist ja jene bekannte Verstellung (εἰρωνεία) des Sokrates! Aber das habe ich auch diesen schon vorhergesagt, daß du gewiß nicht würdest antworten wollen, sondern wieder Rückhalt suchen in der Verstellung und eher alles andere tun als antworten, wenn dich einer fragte. 24 Auch hier also der Vorwurf, sich auf Kosten der anderen Glieder der Gemeinschaft herauszuhalten. Erst im Symposion leuchtet etwas von der neuen Funktion der Ironie, der Ironie im Sokratischen Gebrauch auf. Hier sagt Alkibiades, gewiß kein Feind des Sokrates, über ihn: εἰρωνευόμενος δὲ καὶ παίζων πάντα τὸν βίον πρός ἀνθρώπους διατελεῖ – sein ganzes Leben über geht er mit den Menschen ironisch um und treibt sein Spiel mit ihnen 25. Nicht aber, um sie zu veralbern, so ist 21 Eine kritische Analyse der antiken Sokratestradition hat Gigon vorgelegt (1994). Die folgenden Überlegungen beschränken sich auf die von Platon präsentierte Gestalt. 22 Guthrie 1990 III, 126. 23 Vgl. Gorg 489e1/2. 24 Rep 337a4 – 7.

2. Ironie im Kampf gegen den Relativismus

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man hinzuzusetzen versucht, sondern um ihnen philosophisch auf die Sprünge zu helfen. Kurz: Sokrates macht aus der verachteten sozialen Ironie ein Erkenntnisinstrument. Seine Funktionsweise läßt sich durch folgende Überlegung kennzeichnen: Was Freund und Gegner in den zitierten Stellen auf gleiche Weise kennzeichnen ist Ironie als dissimulatio: Der Sprecher äußert sich in einer Weise, welche beim Hörer keine Vorstellung von seiner eigentlichen Position entstehen läßt. Man weiß nicht, woran man mit ihm ist. 26 Eine solche Verunsicherung zu erzeugen, steht hier aber nicht im Dienste der Selbstsucht eines sozialen Schmarotzers, sondern sie wird zur Beantwortung der berühmten τί ἐστιν-Frage eingesetzt – jener Frage, mit der Sokrates seine Gesprächspartner dazu bringen will, sich nicht im Partikular-Kontingenten zu verlieren, sondern das Allgemeine, i.e. das Notwendige, ins Auge zu fassen – und dies, wie Aristoteles betont 27 – im Felde des Praktischen. Exemplarisch verdeutlicht dieses Vorgehen der Dialog Menon. Hier will die Titelfigur die Frage erörtern, ob die Vortrefflichkeit – die geläufige Übersetzung des Wortes ἀρετή, an die ich mich halten will, ist: die Tugend – lehrbar sei. Sokrates beeilt sich zu versichern, daß er nicht wisse, was man unter dem Begriff zu verstehen habe, und deshalb auch nicht sagen könne, welche Beschaffenheit das mit ihm bezeichnete Phänomen aufweise. Menon mag dieser Äußerung keinen Glauben schenken. Er fragt nach und erhält eine nochmalige Versicherung. Damit ist der Zustand der dissimulatio eingetreten; denn sowohl der Gesprächspartner innerhalb der Dialogsituation als auch der Leser des Textes wissen nicht so genau, ob Sokrates 25

Symp 216e4 – 5. Gregory Vlastos hat in diesem Zusammenhang von ‚komplexer Ironie‘ gesprochen; vgl. 1987, 86. Zur Kritik an Vlastos vgl. Gordon 1996, 131 –137. 27 Aristoteles stellt fest, Sokrates handele ethische Fragen ab – nicht die ganze Natur; hier suche er das Allgemeine (τὸ καθόλου), und er sei der erste gewesen, der in diesem Felde seine geistigen Anstrengungen auf Definitionen gerichtet habe (Met 987b1 – 4; vgl. auch Met 1078b17ff.). 26

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II. Die Ironie

wirklich keine Vorstellung davon hat, was der Begriff bezeichnet, oder ob er nicht doch eine Haltung einnimmt, in welcher er sein Wissen verbirgt, um anschließend einen Belehrungsvorgang einleiten zu können. Der Prozeß beginnt mit der Behauptung, er habe noch niemanden getroffen, der bündig hätte sagen können, was der Ausdruck Tugend meine. Menon erwähnt daraufhin den Gorgias, den Sokrates bestimmt getroffen habe. Hier setzt ein zweiter Schritt der dissimulatio ein, denn Sokrates behauptet nun, sich nicht mehr erinnern zu können, was Gorgias auf die Frage nach der Tugend geantwortet habe. Diese Auskunft dient dazu, Menon die Definition des Gorgias wiederholen zu lassen, was dieser auf folgende Weise tut: Die Tugend des Mannes bestehe darin, sich um die Polis zu kümmern, auf daß er seinen Freunden nützen, seinen Feinden aber schaden könne, ohne daß ihm dabei von seinen Gegnern Gleiches widerfahre. Die Tugend der Frau hingegen bestehe in der Besorgung des Haushaltes und im Gehorsam ihrem Manne gegenüber; die des Kindes sei wiederum eine andere, auch die des älteren Mannes, schließlich unterscheide sich die eines Freien von der Tugend eines Sklaven 28. Resümiert wird diese Bestimmung in der Wendung, die Tugend müsse man nicht nur καθ᾽ ἑκάστην ... τῶν πράξεων, in Bezug auf eine jegliche Handlungsweise 29, bestimmen, sondern auch in Hinsicht auf das Alter einer Person und auf die Resultate ihres jeweiligen Handelns. Träfen diese Überlegungen zu, dann gäbe es nicht nur so viele Tugenden wie Individuen angetroffen werden, sondern darüber hinaus auch in genau der Zahl, in welcher der einzelne Mensch unterschiedliche Lebensalter aufweist und bei voneinander abweichenden Beschäftigungen angetroffen werden kann. Daß eine solche Angabe völlig unbrauchbar ist, springt ins Auge, denn allein die temporale Einschränkung läßt die Tugend in unendlich viele Stücke zersplittern, da die Zeit natürlich belie28 29

Men 71e1ff. Men 72a2f.

2. Ironie im Kampf gegen den Relativismus

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big oft geteilt und damit die Zahl der Lebensalter je nach Gusto vermehrt werden kann. Sokrates bringt dies mit einer Wendung zum Ausdruck, die selbst sein Gesprächspartner Menon nach wenigen Minuten als ironisches Lob nach dem Muster der simulatio durchschauen kann: Er nennt sich glücklich, weil man ihm so viele Tugenden liefere, wo er doch nur um eine gebeten habe 30. Sokrates setzt hinzu – die ironische simulatio dadurch mit einem augenfälligen Ironiesignal versehend –, es gehe ihm um den Begriff (εἶδος) der Tugend. Die Bestimmungen, welche dann im Verlaufe des Gesprächs geliefert werden, führen nicht dazu, daß eine zufriedenstellende Definition zustande kommt, aber das scheint auch gar nicht das zentrale Anliegen zu sein. Vielmehr geht es Sokrates darum, die Bedeutung des Allgemeinen für Diskurse der praktischen Philosophie zu etablieren. Dazu ist es geradezu unausweichlich, ständig von einer Aporie in die andere zu fallen, denn es gilt ja alles Kontingent-Partikulare, was geliefert wird, zu negieren. Das Allgemeine, welches man sucht, stellt sich nämlich zunächst lediglich als Negation der Partikularität dar 31. Diese herbeizuführen, ist Aufgabe der Sokratischen Ironie der dissimulatio. Sie räumt gleichsam das Feld des Einzelnen ab 32, auf daß der Blick für die Gestalt des wirklichen Wissen frei werde. In der Politeia vergibt Platon dann Namen für die Haltung, die Menon einnimmt, und für das Bestreben des Sokrates. Menon ist ein Philodoxer – jemand, der Meinungen liebt, Sokrates hingegen betreibt das Geschäft der Philosophie 33. Die Sokrati30

Men 72a6f. Vgl. Ralfs 1954, 93 – 134, 100. 32 Kierkegaard beschreibt diesen Vorgang so: Ironisches Fragen sauge einen nur scheinbaren Inhalt heraus und hinterlasse eine Leere – vgl. 1929, 27 f. 33 Für die Darstellungsabsicht dieses Kapitels ist es unerheblich, die Frage zu erörtern, ob die Ausführungen bereits im Besitz der Ideenlehre gemacht werden oder ob dies nicht der Fall ist. Für die erste Auffassung 31

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II. Die Ironie

sche Ironie entpuppt sich damit endgültig als ein Werkzeug für die Zerstörung von Meinungen; sie dient dazu, der Philosophie das Feld zu bereiten, hat also selber noch keinen philosophischen Charakter. Festgemacht sind diese Unterscheidungen in der Politeia an ontologischen Bestimmungen. Zu differenzieren ist das, was nicht ist (μὴ ὄν 34), von dem, was als ein Seiendes (ὄν 35) zu gelten hat. Zwischen beidem 36 liegt das Einzelne (ἕν τι 37). Auf das, was ist, bezieht sich der Philosoph, der nach Wissen (γνῶσις, ἐπιστήμη) strebt. Dem Inexistenten muß die Unwissenheit zugeordnet werden (ἀγνωσία), dem Einzelnen aber die Meinung (δόξα). Der Philodoxe ist also ein Mensch, für den das Einzelne das eigentlich Existente ist. Er antwortet auf die Frage nach dem Schönen damit, daß er auf Dinge oder Lebewesen zeigt, die für ihn schön sind – genauso wie Menon einen Schwarm von Tugenden angeboten hat. Das Einzelne hat aber lediglich Teil an dem Schönen schlechthin; es mit ihm zu identifizieren, hieße, das Schöne zu verkennen, das Kontingente an die Stelle des Notwendigen zu setzen. Deutlich wird dies daran, daß schöne Einzeldinge ihre Schönheit einbüßen können; das Schöne selbst ist aber immer so, wie es ist, es kann gar nichts anderes sein, als es ist, weil es sonst eben nicht das Schöne wäre, sondern lediglich etwas Schönes. Theoriefähig wird die Haltung der Philodoxen mit dem berühmten homo-mensura-Satz des Protagoras 38. Platon formuvgl. J. Adams Kommentar zu 475e (1969 I, 335), für die zweite W. Wieland 1983, 290 f.; eine mittlere Position nimmt A. Graeser ein, der von einer Hinführung zur Ideenlehre spricht (1992, 81 – 100). 34 Rep 477a1. 35 Rep 476e10. 36 Rep 479d4/5. 37 Rep 478b10. 38 Unwesentlich für die folgenden Überlegungen ist die Diskussion, ob Protagoras wirklich meint, was Platon ihn meinen läßt. Zu der These, erst in Platonischer Interpretation werde aus Protagoras ein Relativist vgl. Prier: 1976, 161 – 169.

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liert ihn im Kratylos so: πάντων χρημάτων μέτρον εἶναι ἄνθτρωπον – Aller Dinge Maß ist der Mensch 39; diese Äußerung kann zunächst auf ihre Existenz bzw. Inexistenz bezogen werden, dann aber auch auf ihr Wie-Sein – je nachdem wie man das Wort ὡς in der Theaitetos-Wendung des Satzes wiedergibt – als ‚daß‘ oder als ‚wie‘. Hier eine Entscheidung herbeizuführen, ist für den Zusammenhang von Relativismus und Sokratischer Ironie ohne Bedeutung; denn in beiden Fällen wird ja etwas als Kontingentes gesetzt, was in den Augen der Kritiker einer solchen Auffassung als Notwendiges betrachtet werden muß, das aus eigenem Recht ist oder nicht ist, so ist oder anders. 40 Verdeutlichen läßt sich dies an einem alltäglichen Beispiel. Erst seit recht kurzer Zeit gibt der deutsche Wetterbericht nicht nur an, wie warm bzw. kalt es werden wird, sondern auch, wie wir diese Temperaturen empfinden werden. Sinnvoll ist eine solche Information nur dann, wenn zwischen gemessener und aufgefaßter Temperatur eine Differenz besteht: Es wird eine Temperatur um -1 Grad geben, aber den Menschen wird es so vorkommen, als ob -7 Grad gemessen würden, i.e. das ὡς als ‚wie‘. Radikalisiert man den hier waltenden Subjektivismus, dann liegt nicht nur eine Differenz des Wie, sondern eine des 39

385e6 – 386a1. Gleichlautend die Formulierung im Theaitetos: Φησὶ γάρ που „πάντων χρημάτων μέτρον“ ἄνθρωπον εἶναι, hinzu kommt folgende Erklärung: „τῶν μὲν ὄντων ὡς ἔστι, τῶν δὲ μὴ ὄντων ὡς οὐκ ἔστιν“(Theae 152α1/2). Aristoteles bringt den Satz Met 1053a35/36. Diogenes Laertius teilt ihn in folgender Wendung mit: πάντων χρημάτων μέτρον ἄνθρωπος, τῶν μὲν ὄντων ὡς ἔστιν, τῶν δὲ οὐκ ὄντων ὡς οὐκ ἔστιν (IX, 51). Sextus Empiricus überliefert so: πάντων χρημάτων εἶναι μέτρον τὸν ἄνθτρωπον. Auf diese Weise führt er den Relativismus ein: τὸ πρός τι. (PH I, 216). 40 Zu den in diesem Zusammenhang geführten Debatten – die Übersetzung des Wortes ὡς betreffend – vgl. Gomperz 1912, 207; Zeller 1963, I2, 1355, Anm. 1; Neumann 1938, 368 – 379, insbes.: 374 f. Jenseits der Übersetzungsproblematik nimmt H.A. Koch an, daß Protagoras sehr wohl vom rezipierenden Subjekt unabhängige Realitäten angesetzt habe, zugleich aber lehre, daß diese dem Menschen nur in ihrem jeweiligen Erscheinen zugänglich seien, so daß Sein an sich und Sein für uns zwar vereinbar wäre, Protagoras aber „das subjektive Erscheinen zum Kriterium dafür ... [mache], welcher Ausschnitt des Seienden an sich zu Seiendem für ein Subjekt“ werde (1971, 282).

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II. Die Ironie

Daß vor. In diesem Falle nähmen wir nicht nur eine objektiv gegebene Temperatur anders wahr als sie ist, wir erschüfen vielmehr etwas, was ohne uns gar nicht vorhanden wäre. In beiden Fällen läge eine nur graduell unterschiedene Kontingenzfälschung vor; denn es gibt eine objektiv meßbare Temperatur, von der wir in unserer Auffassung abweichen, i.e. das ὡς als ‚wie‘, oder von der wir behaupten, daß wir sie erschüfen und daß sie nur in unserem Wahrnehmen Existenz habe, i.e. das ὡς als ‚daß‘. Für die Gültigkeit der These, der homo-mensura-Satz theoretisiere die Haltung der Philodoxen, sei also der eigentliche Angriffspunkt der Sokratischen Ironie, ist es ebenfalls gleichgültig, ob man den Singular ἄνθρωπον, der in allen Formulierungen auftaucht, wörtlich nimmt oder ihn als einen generalisierenden Singular auffaßt. Im ersten Falle hätte wir es mit einer radikalen Variante des Relativismus zu tun; denn hier wäre die individuelle Auffassung das Maß dafür, daß bzw. wie die Dinge sind. Ist hingegen nicht der einzelne Mensch gemeint, sondern die Gattung 41, dann wäre ein schrankenloser Subjektivismus 42 vermieden, an seine Stelle träte so etwas wie Intersubjektivität; aber auch hier verbliebe die relativistische Grundstimmung, welche dadurch zum Ausdruck kommt, daß es einer beschränkten Perspektive bedarf, entweder damit etwas überhaupt ist oder damit es das ist, als was es erscheint. Daher ist unter dem Regiment des homo-mensura-Satzes alles uns Erscheinende lediglich kontingent, nicht aber notwendig. Es ist diese Auffassung, welche Sokrates mit der Säure seiner Ironie zu zersetzen bemüht ist. Der Relativismus muß durch das Fegefeuer der ironisch erzeugten Aporie hindurch, wenn aus ihm einmal eine akzeptable Philosophie werden soll, eine 41

375).

Diese Auffassung vertritt exemplarisch Theodor Gomperz (1999 I,

42 Vgl. als exemplarischen Vertreter W. K. C. Guthrie (1990 III, 184); D.K. Glidden bestärkt die subjektivistische Auslegung, indem er darauf verweist, daß Protagoras mit πάντων χρημάτων keinen Terminus technicus im Sinne des Anaxagoras vor Augen haben könne (1975, 211).

2. Ironie im Kampf gegen den Relativismus

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solche nämlich, die den philodoxen Perspektivismus hinter sich läßt und damit zugleich auch den Widerspruch, in den jeder Relativismus dadurch gerät, daß man diese Position schon überwunden haben muß, um sie formulieren zu können. Im Theaitetos 43 klassifiziert Sokrates sein Programm als intellektuelle Hebammenkunst und setzt hinzu: Nur Frauen, die selber nicht mehr gebären könnten, übten diesen Beruf aus; in gleicher Weise vermöge er, keine Weisheiten hervorzubringen, er helfe lediglich anderen dabei, die fruchtbar seien. Was man hier als erstes überwinden müsse – weiß der Sokrates der ‚Apologie‘ 44 –, sei das δοκεῖν σοφὸν εἶναι μὴ ὄντα – das weise Erscheinen, ohne es zu sein. Hierzu seien Fragen zu stellen, welche die Meinungen des Gesprächpartners ans Licht brächten, deren Inkonsistenz in einem zweiten Schritt zu erweisen sei. Am Ende dieses Reinigungsvorgangs glaube man nur noch das zu wissen, was man wirklich wisse 45. Da der Fragende während dieses Prozesses keine eigene Position beziehen darf, gleicht seine Haltung der des sozialen Ironikers – er entzieht sich der Forderung einer Mitwirkung, läßt sich einerseits nicht festlegen und löst andererseits jede Festlegung auf, die sein Gesprächspartner vornimmt. Sokrates adelt mithin die verachtete soziale Ironie, indem er sie mäeutisch umgestaltet. Sie wird damit zu einem hervorragenden Instrument, jene Aporien zu erzeugen, die allem wirklichen Wissen vorangehen 46.

43

Theae 159b6 ff. Ap 29a5/6. 45 Theae 230b3-d4. 46 Iakovos Vasiliou weist darauf hin, daß sich die Sokratische Ironie auch in einer eigentümlichen Verkehrung präsentieren kann, dann nämlich, wenn die Rezipienten etwas für ironisch halten, was Sokrates genauso meint, wie er es sagt. So hätten die Richter, die über ihn zu urteilen hatten, die Bemerkung, man solle ihn zur Strafe im Prytaneion speisen, gewiß für eine dreiste Ironie gehalten, Sokrates hingegen sei der Auffassung gewesen, daß nur so sein Dienst an der Wahrheit geahndet werden könnte (2002, 221). 44

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II. Die Ironie

Mit der Aufwertung 47, welche die Ironie durch diese sokratische Praxis erfährt, ändert sich schließlich die Haltung auch der sozialen Ironie gegenüber, bis sie am Ende dieses Prozesses ihr Gesicht so weit gewandelt hat, daß Cicero sie mit Urbanität gleichsetzen kann 48. Auf diesem Wege ist Aristoteles ein wichtiger Mittler; denn er kennt einmal die verächtliche Seite der Ironie, dann aber treibt er auch die von Platon eingeleitete Nobilitierung voran. Dem Leser seiner Rhetorik gibt Aristoteles den Ratschlag, die Waffe der Ironie vorsichtig einzusetzen, denn man drücke auf diese Weise Verachtung aus 49 und ziehe damit unweigerlich den Zorn der Rezipienten auf sich, wenn die Person, der gegenüber man sich ironisch äußere, keine Verachtung verdiene. Gemeint ist hier gewiß der Wort- bzw. Gedankentropus der simulatio, der – in ausreichendem Maße mit Decodierungssignalen versehen – eine Entschlüsselung leicht macht. Die Ethiken haben demgegenüber die dissimulatio vor Augen. Bezüglich der Wahrheit heiße der Mittlere ‚wahrhaftig‘ und die Mitte ‚Wahrhaftigkeit‘, die Verstellung (προσποίησις), wenn sie den Mund zu voll nehme, Prahlerei, wenn sie untertreibe, Ironie 50. Der Prahlhans erwecke mithin den Anschein eines Ruhmes, der ihm nicht zukomme oder der nicht im behaup47 Daß Platon auch noch den tradierten negativen Ironie-Begriff kennt, zeigen Leg 908e2. Auch im Kratylos findet er sich. Hier beschwert sich Hermogenes bei Sokrates über die Titelfigur, welche eine nicht-konventionalistische These bezüglich der Bezeichnungen vertritt. Der Vorwurf lautet, Kratylos gebe auf Befragen keine klare Antwort, was er genau meine, er verstelle sich (εἰρωνεύεταί τι πρός με – Cra 384a1) vielmehr und tue so, als überlege er. Er wolle damit den Eindruck vermitteln, etwas zu wissen, das, wenn er es nur äußere, jedermann unmittelbar von der Richtigkeit seiner Meinung überzeuge. 48 Urbana etiam dissimulatio est, cum alia dicuntur ac sentias, non illo genere, ..., cum contraria dicas, ..., sed cum toto genere orationis severe ludas, cum aliter sentias ac loquare (de or II, 269). 49 καταφρονητικὸν γὰρ ἡ εἰρωνία – Rh 1379b31. 50 ἡ δ᾽ ἐπὶ τὸ ἔλαττον εἰρωνεία – EN 1108a22; vgl. auch MM 1193a28ff.; EE 1233b38 f.

2. Ironie im Kampf gegen den Relativismus

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teten Umfang vorhanden sei; der Ironiker hingegen verneine, was vorliege oder er lasse es geringer erscheinen als es sei 51. Zurechtzuweisen sind beide, weil sie die Wahrheit entstellen; dann aber setzt Aristoteles hinzu, der Aufschneider habe schärferen Tadel verdient als der Ironiker. Wenn es dann heißt, Sokrates sei einer von den Ironikern gewesen 52, dann wird deutlich, daß es sich im Falle der Untertreibung nur um eine sehr milde Zurechtweisung handeln kann 53. In der Rhetorik findet die Ironie schließlich dadurch eine Quasilegitimation, daß Aristoteles konstatiert, sie passe besser zu einem freien Mann als die Schmeichelei 54. Mit den Aristotelischen Bestimmungen verliert die Ironie den Geruch sozialer Unverantwortlichkeit, der ihr noch zu Sokrates Zeiten anhaftet, sie wird als eines der mäeutischen Werkzeuge gleichsam hoffähig. Allerdings wechselt sie dann auch recht schnell die Seiten. Nicht mehr zur Bekämpfung des Relativismus, sondern zu seiner Beförderung setzt man sie in der Spätantike ein und eröffnet ihr damit ein Betätigungsfeld, das sie bis in unsere postmodernen Zeiten nicht mehr verloren hat. Richard Rortys Ironikerin ist hierfür beredtes Beispiel. Dieser Dame, einer eingefleischten Relativistin, geht es nicht um die Bekämpfung, sondern um die Beförderung der Philodoxie, die sie durch Einebnung der Differenz von Wesen und Erscheinung zu bewerkstelligen trachtet. Die Ironie wird damit zu einem Werkzeug in einer großangelegten antimetaphysischen Schlacht. 51

EN 1127a20 – 32. EN 1127b25. 53 Man hat die Sympathie, welche aus Aristoteles’ Angaben herauszulesen ist, dadurch erklärt, daß es Höflichkeit sein mag, welche zum Kleintun veranlaßt, der Wille nämlich, den Mitmenschen die eigene Überlegenheit nicht spüren zu lassen; vgl. Büchner 1941, 353. Eine solche Auffassung hätten die Stoiker weit von sich gewiesen. Für sie galt: Τὸ δ᾽ εἰρωνεύεσθαι φαύλων εἶναί φασιν, οὐδένα γὰρ ἐλεύθερον καὶ σπουδαῖον εἰρωνεύεσθαι; vgl. SVF III, 161. 54 Rh 1419b8. 52

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II. Die Ironie

Die zu einer solchen Verwendung nötigen Vorarbeiten erledigen die Pyrrhonischen Skeptiker, denen sich auch der Ironiker Nietzsche geistig verwandt gefühlt haben mag. Sie sollen im nächsten Kapitel mit einer Skizze der unter dem Namen des Sextus Empiricus tradierten Gedankengängen zur Sprache kommen.

3. Pyrrhonische Ironie

Mit der Pyrrhonischen Skepsis geht der anti-relativistische Charakter der Ironie, wie Sokrates sie gehandhabt hat, verloren. Mehr noch: Die Verhältnisse werden auf den Kopf gestellt, und der sophistische Relativismus eignet sich in der Gestalt des anti-dogmatischen Denkens die Ironie an, welche er bis auf die heutige Zeit nicht mehr freigegeben hat – ein Blick in die postmoderne Philosophie Richard Rortys wird dies zeigen. Jede nicht-skeptische Philosophie ist in den Augen des Pyrrhonikers Sextus Empiricus 55 Ausdruck eines unhaltbaren Dogmatismus. ‚Dogmatisch‘ heißt die Überzeugung 56, man habe das Recht, mit dem Anspruch aufzutreten, die Wahrheit schon gefunden zu haben 57. Demgegenüber gilt von den Skep55

Bei der Interpretation der Schriften, welche unter Sextus’ Namen bekannt sind, läßt es sich nicht vermeiden, von einer Fiktion auszugehen – von der Annahme nämlich, wir hätten es mit einem in sich geschlossenen Textganzen zu tun, welches das Ergebnis der Mühen eines Denkers ist. Was Sextus seinen skeptischen Vorläufern schulden mag, welche Passagen seines Werkes einfache Zitate oder Paraphrasen fremden Gedankengutes sind, bleibt bei den folgenden Überlegungen unberücksichtigt, da die Darstellungsabsicht systematisch ist. Zu den philologischen Problemen vgl. Brochard 1923, 309 ff.; Goedeckemeyer 1905, 266 ff.; Heintz 1932; Janácek 1956; Janácek 1972; K. Janácek 1980; Mates 1996; Bett 2000. 56 Sextus verwendet den Begriff ‚Dogma‘ also im Sinne von ungerechtfertigte Meinung. Der Dogmatiker betrügt sich selbst, weil er für ein sicheres Fundament hält, was doch nur eine willkürlich gesetzte These ist; vgl. hierzu Burnyeat 1980, 26 f., 48, Anm. 50. 57 PH I, 3.

3. Pyrrhonische Ironie

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tikern, daß sie noch suchen 58. Man stellt also keine Behauptungen auf, mit denen Wahrheitsanspruch erhoben würde, sondern konstatiert hinsichtlich eines jeglichen lediglich ganz subjektiv, was sich zeigt. Auch die eigene skeptische Position soll davon nicht ausgenommen werden; denn auch ihre Wahrheit kann ja – will man das im Zusammenhang mit dem homo-mensura-Satz diskutierte Selbstanwendungsdilemma vermeiden – nicht behauptet werden. Sextus kennt also die Falle, in welche jede skeptische Philosophie zu geraten droht 59, und bemüht sich um eine Lösung, die im folgenden dargestellt werden soll. Der Pyrrhoniker will – im Gegensatz zu seinem dogmatischen Gegner – gar keine Theorie produzieren, seine Lehre ist vielmehr als eine Kur gedacht. Akzeptiert man sie, dann hat man sich ein abführendes Medikament verabreichen lassen, welches dem Körper gewisse schädliche Stoffe entzieht und, indem es diese heilsame Wirkung entfaltet, auch sich selbst beseitigt 60. Ziel dieser Therapie ist – wie bei konkurrierenden philosophischen Schulen auch 61 – Seelenruhe (ἀταραξία) 62, in welcher das Glück (εὐδαιμονία) des Menschen 63 zu sehen ist.

58

PH I, 4. Naess 1968, 6 f. Das Selbstanwendungsdilemma taucht an mehreren Stelle in den Schriften des Pyrrhonikers auf, vgl. M 7, 389 – hier findet es sich mit Berufung auf Demokrit und Platon, die das entscheidende Argument gegen den bereits thematisierten homo-mensura-Satz des Protagoras vorgebracht hätten; M 8, 55 – hier hinsichtlich der Unhaltbarkeit des Satzes ‚Alles ist falsch‘; M 8, 281 f. in Bezug auf die Schwierigkeit, mit Hilfe von Zeichen nachweisen zu wollen, daß es keine Zeichen gibt. 60 PH 1, 206; Es findet sich noch ein zweites – im letzten Jahrhundert von Wittgenstein am Ende des Tractatus (1989 I, 85) wiederaufgenommenes – Bild, welches das gleiche zeigen soll: Wenn man eine höhere Position mit Hilfe einer Leiter erklommen hat, dann verliert man diese Position nicht dadurch, daß man die Leiter wegstößt (M 8, 480). Wie das Abführmittel so ist die Leiter, nachdem sie ihre Funktion erfüllt hat, obsolet. 61 Vgl. Epikur, Ep. Men. 131; für die Stoa Cicero, Tusc. disp. IV, 11. 62 Vgl. PH I, 25. 63 Vgl. M VII, 158. 59

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II. Die Ironie

Skeptiker zu sein, heißt also, sich einem bestimmten Lebensstil zu verpflichten, der σκεπτικὴ ἀγωγή 64. Diese resultiert aus dem, was man die skeptische Denktechnik nennen könnte. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß man die Sinnlichkeit gegen die Sinnlichkeit, die Sinnlichkeit gegen den Verstand, schließlich den Verstand gegen den Verstand ausspielt, indem man einmal empirisch Wahrnehmbares anderem empirisch Wahrnehmbaren entgegensetzt, ein anderes Mal empirisch Wahrnehmbares solchem konfrontiert, was eine rein geistige Natur besitzt, und endlich – in einer dritten Variante – Geistiges mit Geistigem in Widerstreit bringt 65. Das Ziel, welches hierbei verfolgt wird, bezeichnet Sextus mit dem Begriff ‚Isosthenie‘, i.e. die Gleichwertigkeit aller Standpunkte, seien es nun solche, die empirisch, oder solche, die rein geistig, oder schließlich solche, die sowohl empirisch als auch geistig begründet werden. Gleichwertig sind sie, weil ebenso viel für wie gegen den Wahrheitsanspruch, welchen man mit ihnen erhebt, ins Feld geführt werden kann; denn in Hinsicht auf ihre Glaub- bzw. Unglaubwürdigkeit schwächt oder stärkt der Skeptiker eine jede Position so lange, bis sie mit der gleichen Überzeugungskraft präsentiert werden kann wie ihr Gegenteil. Damit wird genau das erreicht, was in der rhetorischen Tradition dissimulatio genannt wird: Bei gleichwertiger Behandlung einander entgegengesetzter Standpunkte ist nicht mehr zu erkennen, was man für wahr halten soll – die Positionen lösen sich in einem Nebel auf, der jede Frage nach dem Wesen einer Sache ganz unsinnig erscheinen läßt. Diese Ironie der Entgegensetzung ist es, welche Schlegel zum romantischen Prinzip erheben wird. Um Isosthenie durch Entgegensetzung 66 zu bewerkstelligen, verwendet der Pyrrhoniker die sogenannten skeptischen Tro64 PH I, 4. Man kann also davon sprechen, daß Sextus Ratschläge zur Existenzbewältigung gibt; vgl. Graeser 1992, 203. 65 PH I, 8. 66 PH I, 31.

3. Pyrrhonische Ironie

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pen; mit ihrer Hilfe kann es gelingen, denselben Gegenstand in unterschiedlichem Licht erscheinen zu lassen, so daß wir schließlich gar nicht mehr sagen können, wie er der Natur nach (πρὸς τὴν φύσιν) ist 67. Um diesen Effekt zu erzielen, kann man drei verschiedene Ausgangspunkte wählen, durch welche die Tropen gegliedert werden. Wendet man sich zunächst den von Sextus präsentierten zehn Tropen zu 68, dann ergeben sich die Gruppen (a) bis (c). Gruppe (a) bezieht sich auf den Urteilenden und präsentiert vier Varianten eines Hinweises, welcher das ‚Partikularitätsargument‘ heißen kann. Sie enthält die Tropen (1) bis (4). Gruppe (b) faßt das Beurteilte ins Auge. Zu ihr gehören Tropus (7) und (10). Gruppe (c) schließlich thematisiert das Verhältnis von Urteilendem und Beurteiltem. Sie besteht aus Tropus (5), (6), und (9). Der achte Tropus ist zwar der Gruppe (c) zugeordnet, es wird sich aber bei näherer Betrachtung zeigen, daß er insofern eine besondere Bedeutung hat, als man ihn den Zentraltropus nennen kann. Bei den Tropen der Gruppe (a) geht man vom Urteilenden, neuzeitlich gesprochen, vom Subjekt aus und verweist auf (1) die Andersartigkeit der Lebewesen; denn aus unterschiedlicher Entstehung resultieren einander entgegengesetzte Stimmungen, aus diversen Sinnesorganen verschiedenartige Vorstellungen (φαντασίαι 69). Daher ist die uns Menschen zugängliche Welt eben nur eine Welt für uns. Ihr An-sich-Sein bleibt verborgen, weil unsere Stammesgeschichte und unsere physische 67

PH I, 59; vgl. auch I, 78; 87; 112; 163. PH I, 36 – 39. Die Aenesidemus zugeschriebenen zehn Tropen werden auch von Diogenes Laertius mitgeteilt (9, 79 ff.). In einer von Sextus abweichenden Form finden sie sich bei Eusebius Caesariensis (Praeparatio evangelica 14, 18, 9). Pappenheim hat die unterschiedlichen Überlieferungen verglichen. Er vermutet, daß für die im folgenden den Gruppen (b) und (c) zugerechneten Tropen einige der Kategorien des Aristoteles Pate gestanden haben (1881, 35 ff.). Dieser Zusammenhang sei vielleicht deshalb von den Skeptikern verschwiegen worden, weil ihn einzugestehen, bedeutet hätte, die Gedanken eines Dogmatikers als gültig zu akzeptieren (1881, 40). 69 PH I, 58. 68

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II. Die Ironie

Ausstattung uns daran hindern, sie ungetrübt in den Blick zu nehmen. Dieser Tropus lähmt das Urteilen mit Verweis auf die Partikularität der Gattung. Aber die Menschen sind (2) auch untereinander verschieden; denn was dem einen wahrzunehmen möglich sein mag, bleibt dem anderen verborgen, was der eine für wichtig hält, schlägt der andere in den Wind 70. Sextus führt diesen Tropus gleichsam ersatzweise an – für den Fall, daß (1) als unzulässig abgewiesen würde; denn es ließe sich ja gegen (1) einwenden, daß mit etwas argumentiert wird, das per definitionem unzugänglich sein soll, nämlich mit der außermenschlichen Wahrnehmung. (2) soll also den mit (1) angestrebten Effekt dadurch erreichen, daß auf die Partikularität individuellen Wahrnehmens verwiesen wird. Von dieser kann man einfach dadurch Kenntnis erlangen, daß man bei dem Versuch, etwas zu beschreiben, auf den Widerspruch eines anderen Menschen stößt. Schließlich müssen wir (3) davon ausgehen, daß die Sinnesorgane eines einzelnen Menschen unterschiedliche, manchmal sogar einander widersprechende Botschaften liefern; denn was uns die Augen melden, mögen die Ohren vielleicht nicht bestätigen. Hier schränkt Sextus das Argument auf die Partikularität einzelner Sinne ein 71. Nicht einmal mit uns selbst also können wir einig werden, was wir eigentlich wahrnehmen. Der letzte Tropus der Gruppe, welche den Urteilenden zum Gegenstand hat, bezieht sich auf die Umstände (4), unter denen wir unsere Einsichten gewinnen; denn ein und dasselbe Sinnesorgan präsentiert Objekte an unterschiedlichen Raum- / Zeitstellen nicht auf die gleiche Weise. Der Blick aufs Meer, den man des Morgens bei aufgehender Sonne hat, ist ein anderer als der, welcher sich zur Mittagszeit bietet. Damit erfährt das Partikularitätsargument eine letzte Steigerung: Selbst wenn wir uns – in der Hoffnung, dem Widerstreit ein Ende zu setzen – nur noch auf ein Sinnesorgan verlassen, können wir nicht sicher sein, daß die 70 71

PH I, 79 – 90. PH I, 91 – 99.

3. Pyrrhonische Ironie

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Wahrnehmung ein glaubwürdiges Bild des Wahrgenommenen darstellt. Bei den Tropen der Gruppe (b) geht man vom Beurteilten, neuzeitlich gesprochen, vom Objekt aus und verweist hier zunächst (7) auf Qualität und Zurichtung der Gegenstände; denn die Dinge erscheinen je nach ihrer Zusammensetzung verschieden. Was in einer geringen Menge eine heilsame Wirkung hat, ist in größerer Dosis ein Gift 72. Aber auch der jeweilige kulturelle Kontext (10), in dem etwas auftritt, i.e. Lebensformen, Sitten, Gesetze, mythischer Glaube, dogmatische Annahmen, führt dazu, daß gewisse Dinge heilig erscheinen, andere hingegen Anstoß erregen 73. Bei den Tropen der Gruppe (c) schließlich hat man es mit der Beziehung zu tun, welche im Erkenntnisvorgang gestiftet wird. Der Pyrrhonische Skeptiker verweist hier darauf, (5) daß alles, was Gegenstand der Betrachtung wird, immer räumlich in Erscheinung tritt. Es kommt an einem Ort vor und wird aus einer gewissen Entfernung wahrgenommen 74. So zeigt sich eine Stadt aus der Ebene betrachtet anders als vom Gipfel eines Berges. Die Subjekt-Objekt-Relation differiert also, wenn die räumlichen Verhältnisse sich ändern. Obendrein (6) determiniert das, was dem Wahrnehmungsgegenstand beigemischt ist, die Subjekt-Objekt-Relation; denn nichts kommt für sich allein vor, alles tritt zusammen mit anderem auf, so daß im Betrachter unterschiedliche Vorstellungen erzeugt werden 75. Schließlich (9) treten gewisse Gegenstände oft, andere selten in Erscheinung. Dadurch erhalten die Objekte einen unterschiedlichen Wert, das Knappe ist teuer, und wenn wir ihm begegnen, erscheint es uns anders, als wenn wir mit etwas zu 72 73 74 75

PH PH PH PH

I, I, I, I,

129 – 134. 145. 118 – 123. 124 – 128.

100

II. Die Ironie

tun haben, das man ohne große Mühe an jeder Straßenecke bekommen kann 76. So finden sich also auf seiten des Subjekts, auf seiten des Objekts und schließlich auch in der Beziehung beider genügend Möglichkeiten, eine Behauptung dadurch zu neutralisieren, daß man auf ihre Relativität verweist: X äußert hinsichtlich eines Gegenstandes O den Satz p, weil X ein Mensch ist (1), weil X eben dieser Mensch ist (2), weil X eben dieses Sinnesorgan verwendet hat (3), weil X seine Betrachtungen unter den und den Umständen angestellt hat (4). X äußert hinsichtlich O p, weil O so und so zusammengesetzt war (7), weil O in den Kontext folgender Sitten und Gebräuche gehört (10). Schließlich: X äußert hinsichtlich O p, weil X von O so und so weit entfernt war (5), weil X O im Zusammenhang mit dem Gegenstand Q wahrgenommen hat (6), weil O sehr selten vorkommt und X daher ein großes Bedürfnis nach O verspürt (9). Diese Auflistung zeigt, daß alle Tropen, gleich welcher Gruppe sie angehören, die Relativität von p zum Gegenstand haben, i.e. sie lassen sich auf den Tropus (8) ἀπὸ τὸ πρός τι, den Sextus irreführenderweise der Gruppe (c) zuweist, zurückführen 77. Denn es gilt: Alles hat seine Bedeutsamkeit nur in Relation zu einem anderen, worunter zu verstehen ist: πρός τι πάντα φαίνεται 78 – alles tritt so in Erscheinung, daß es Relatum einer Relation ist 79. Mithin gilt für den Skeptiker die generelle Formel: X äußert hinsichtlich O p mit dem Anspruch, daß p O entspreche, wiewohl dieser Anspruch nur so lange einleuchtet, 76

PH I, 141 – 144. Vgl. Richter 1904 I, 53, 55, 342, Anm. 15; Goedeckemeyer, der den Tropus der Relativität als den allgemeinsten bezeichnet (1905, 288); Patrick, die feststellt, die zehn Tropen illustrierten „the relativity of knowledge“ (1929, 222); Robin 1944, 151 f. Zur Herkunft des πρός τι vgl. Krämer 1971, 75 ff. Auch Krämer sieht in der Relativität den Zentraltropus (77). 78 PH I, 135. 79 Es lassen sich also nicht nur die ersten neun, wie Pappenheim (1881, 43) meint, sondern sämtliche Tropen als Varianten des Relativitätstropus auffassen. 77

3. Pyrrhonische Ironie

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wie niemand die Perspektive thematisiert, unter welcher X O wahrnimmt. Mit Hilfe dieser Formel soll es gelingen, jedes Urteil so zu konterkarieren, daß sich alle Diskutanten in einer Position wiederfinden, welche weder bestätigt noch widerlegt werden kann 80. Denn niemand vermag mehr über Wahrheit und Falschheit Auskunft zu geben. Was immer ins Feld geführt würde, stünde selbst wieder in Frage. Für jeden Fall also ist die Pyrrhonische Skepsis bemüht, alle nur denkbaren Einlassungen mit der Bemerkung abzuweisen, es sei widersinnig, den Versuch zu unternehmen, das Fragliche durch das Fragliche als etwas Gewisses zu etablieren 81. Die als Strategie der späteren Skepsis von Sextus vorgeführten fünf Tropen 82, welche er nur als Ergänzung, nicht als Ersatz der ursprünglichen zehn verstanden wissen will, verdeutlichen den Relativismus der Pyrrhoniker in noch stärkerem Maße. Hier wird der Tropus des πρός τι an dritter Stelle genannt: (3) Eine Entscheidung, wie etwas an sich selbst ist, kann nicht erfolgen, da alles Urteilen relativ ist 83. Tropus (2) formuliert die Unausweichlichkeit des Relativismus: Man bedarf zur Rechtfertigung einer Position eines Beweises, der seinerseits wieder legitimationsbedürftig ist, et ad infinitum 84. Denn – so begründet (4) das mit (2) Behauptete – ein voraussetzungsfrei Erstes kann nur postuliert werden 85. Und (5) fügt hinzu: Oder man macht sich eines Zirkelschlusses, einer Diallele, schuldig, indem man zum Beweis der Richtigkeit von p q anführt und – nach der Richtigkeit von q gefragt – auf p verweist 86. (1) formuliert schließlich als Ergebnis: Wir geraten bei der Formulierung ei80 81 82 83 84 85 86

PH I, 59; vgl. auch I, 98; 112. PH I, 61; vgl. auch I, 90. Vgl. auch die Aufzählung bei Diogenes Laertius 9, 88 f. PH I, 167. PH I, 166. PH I, 168. PH I, 169.

102

II. Die Ironie

nes jeden Satzes p in eine Situation, in der wir mit dem Satz non-p konfrontiert werden. Die Diskrepanz von p und non-p macht uns verstummen. Wir enthalten uns jeden abschließenden Urteils. Haben die Tropen einmal eine solche geistige Haltung hervorgerufen, dann ist man nicht mehr geneigt, sich urteilend einer vorgeschlagenen Auffassung anzuschließen. Man verbietet sich vielmehr, da ja jede Entscheidungsgrundlage zerstört ist, das Urteilen, man übt Epoché (ἐποχή) und gewinnt so die Geistesverfassung, in welcher man weder etwas negiert noch etwas behauptet 87. Ist es dem Skeptiker gelungen, dieses Ziel zu erreichen, dann ist der Prozeß, welchen die Denktechnik des Entgegensetzens in Gang bringen soll, zu seinem Ergebnis gelangt: das Gemüt gerät in den Zustand der Ataraxia, der Ungestörtheit und Heiterkeit der Seele 88. 87

PH I, 10. PH I, 10. Dem kritischen Leser fällt freilich bei Lektüre der Schriften des Sextus eine Anekdote auf, welche die Behauptung, Isosthenie erzeuge Ataraxie, zu widerlegen scheint: Sextus teilt (M 2, 96 ff.) folgendes mit: Ein junger Mann bittet den Rhetor Korax, ihn in seiner Kunst zu unterweisen. Zahlen will er für den Unterricht mit dem Honorar, das er als Redner für den ersten Prozeß erhält, den er gewinnt. Nach Abschluß der Ausbildung weigert sich der Schüler jedoch, irgendwann einmal zu zahlen. Man geht vor Gericht. Korax argumentiert hier so: Gleich ob er den Prozeß gewinne oder nicht, er müsse sein Geld bekommen. Denn für den Fall seiner Niederlage gelte ja, was er mit dem Schüler vereinbart habe: das erste Honorar gehöre dem Lehrer. Die Richter sind beeindruckt und applaudieren. Der Beklagte trägt nun folgendes vor: Auch er könne nicht unterliegen. Wenn er nämlich den Prozeß verliere, dann müsse er nicht zahlen, weil er ja keinen Erfolg gehabt habe. Gewinne er aber, dann sei bestätigt, daß er sich zu recht geweigert habe, seinen Lehrer zu bezahlen. Nun applaudieren die Richter nicht mehr. Sie sind vielmehr so verärgert, daß sei beide Rhetoren, den jungen und den alten, vor die Tür setzen und ihnen nachrufen: Ein schlechtes Ei von einem schlechten Raben. Sextus erzählt diese Geschichte, um zu zeigen, daß die Rhetorik genau das Gegenteil dessen erreichen kann, was sie im Auge hat: sie intensiviert den Streit, den sie beilegen will. Auf den erklärten Zweck der skeptischen Bemühungen bezogen hieße das: Man strebt die Ataraxie durch Isosthenie 88

3. Pyrrhonische Ironie

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Damit ist der Begriff gefallen, aus welchem sich die Prinzipien der Pyrrhonischen Skepsis ergeben. Es ist die Hoffnung auf Ataraxie. Um ihretwillen setzt man Logos gegen Logos, denn nur so läßt sich der seelische Aufruhr vermeiden, welcher – durch die Unordnung in allen Angelegenheiten 89 hervorgerufen – die Suche nach dem Wahren und dem Falschen verursacht und so eine psychische Not 90 erzeugt, welche der Bedrängnis gleicht, in die ein Schiff gerät, das vom Sturm hin und her geworfen wird und sich daher nicht mehr steuern läßt. Die Menschen greifen dann zu einem Mittel, das Sextus δογματίζειν nennt: Man fühlt sich geneigt, Sachverhalte anzuerkennen, die nur nach den Regeln einer solchen Wissenschaft erforscht werden können, deren Gegenstand etwas ist, was sich gar nicht zeigt 91. Das Grundübel des Dogmatismus ist also darin zu erblicken, daß die aufgewühlte menschliche Seele zu Begriffen einer Semiotik ihre Zuflucht nimmt, welche eine metaphysische Weltansicht begünstigt. Denn sie faßt das, was ihr zugänglich ist, als solches auf, dessen Bedeutsamkeit gar nicht in ihm selbst, sondern nur in einem anderen gefunden werden kann, das seinerseits den Sinnen unzugänglich sein soll – weil es eben μετὰ τὰ φυσικά – jenseits der sich zeigenden natürlichen Welt angesiedelt ist. Die Dogmatiker behaupten also eine metyphysische Differenz: Einiges von dem, was ist, ist offensichtlich (πρόδηλα), anderes hingegen verborgen (ἄδηλα). Das, was sich zeigt, tritt als Bezeichnendes auf, das Verborgenen aber wird durch das, was sich zeigt, bezeichnet, es ist also das Bezeichnete 92. Die Wahrheit des Phänomenalen ist dem Dogmatiker mithin das an, und was man erreicht, ist die völlige Desorientierung, die eintritt, wenn man gar nicht mehr weiß, was man denn nun glauben soll, i.e. der Zustand, den die ironische dissimulatio erzeugt. 89 PH I, 12. 90 Vgl. die Definition der Unglücks M 11, 112. 91 PH I, 13. 92 PH I, 138.

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II. Die Ironie

Trans-Phänomenale, welches in einer durch die metaphysische Differenz erzeugten Hinterwelt angetroffen werden kann. Mithin ist der Dogmatismus dadurch gekennzeichnet, daß er mit überkonventionellen Zeichen rechnet, welche als Indikatoren fungieren: So wie Fieber Symptom einer Erkrankung ist, welche sich nicht selbst zeigt, sondern eben nur in ihrem Symptom greifbar wird, indizieren gewisse Entitäten, die phänomenalen Charakter haben, solche Entitäten, die als Erscheinungen niemals angetroffen werden können. Daher nimmt – so mag man Sextus Metaphorik fortspinnen – der verwirrte Seemann zu der Vorstellung Zuflucht, der Sturm sei ein Zeichen, das den Zorn einer Gottheit zum Ausdruck bringe. Dazu hat er zunächst freilich dem Satz zustimmen müssen: Sichtbarkeit des Verborgenen gewährt das Erscheinende 93. Genau dieses Eingeständnis ist es aber, das es ihm unmöglich macht, dem Unwetter, in das er geraten ist, jemals zu entkommen. Sein Hang zur Metaphysik hindert ihn daran. Die von Sextus gestellte Diagnose lautet also: Wir entschließen uns, gewisse Erscheinungen als Zeichenmittel eines verborgenen Objektes aufzufassen, weil das, was sich dann als Interpretant einstellt, von uns fälschlicherweise als ein wirksames Psychopharmakon gegen die Turbulenzen angesehen wird, welche das Leben allemal bereithält. Wir konstruieren so eine metaphysische Differenz von Phänomenalem und Trans-Phänomenalem, die uns psychisch nicht entlastet, sondern unsere Leiden nur verstärkt. Um dem Elend der in Seenot geratenen Seele aus dem Wege zu gehen, verordnet sich der Skeptiker eine ganz andere Arznei, welche die Bezeichnung Aphasie trägt 94. Der Terminus Phasis (φάσις) hat zwei Bedeutungen, eine engere, in welcher die Formulierung eines positiven assertorischen Satzes gemeint ist, und eine weitere, die auch negative assertorische Sätze einschließt. 93 94

PH I, 138. PH I, 192.

3. Pyrrhonische Ironie

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Das alpha privativum der skeptischen Aphasie bezieht sich auf die Formulierungen von Behauptungen generell. Der Skeptiker sagt also niemals: ‚Es ist der Fall, daß ...‘; seine aphatische Äußerung wird vielmehr immer mit dem Zusatz versehen: ‚Wie es mir scheint ...‘. Er vermeidet es auf diese Weise, die Phänomene als überkonventionell gültige Zeichen zu betrachten, welche es jedermann ermöglichen, mit ihrer Hilfe vom Phänomenalen auf das Verborgene zu schließen, i.e. er verbietet es sich, die metaphysische Differenz zu postulieren. Die Maxime für Denken und Handeln lautet daher: κατὰ τὸ φαινόμενον 95 – so leben, daß man die Dinge nimmt, wie sie erscheinen. Denn nichts ist sicherer als das Faktum, daß sich uns etwas zeigt, oder präziser: daß wir über Bewußtseinsinhalte verfügen 96. Diese erhalten den Namen ‚Phänome‘. Da sie sich dem Gemüt als Empfindungen und unwillkürliche Emotionen präsentieren 97, stehen sie selbst, i.e. als Präsentationen, außerhalb jeden Zweifels 98: Daß es kalt ist, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, wohl aber, daß ich friere; daß der Honig süß ist, mag abgestritten werden, nicht hingegen, daß sich mir bei seinem Verzehr eine solche Geschmacksempfindung aufdrängt. Was man über die Phänomene mit dem Anspruch sagt, sie begrifflich zu bestimmen, kann mithin in Zweifel gezogen werden, denn hier mögen wir vom Logos, der ein großer Schwindler sein kann, übers Ohr gehauen werden; alles Betrügen hat freilich bei dem ein Ende, was uns unwillkürlich zur Zustimmung bringt, i.e. die subjektive Empfindung 99. Der Pyrrhonische Skeptiker nimmt die Dinge, wie sie sich ihm zeigen, weil eben das Sich-Zeigen von Etwas nicht durch Entgegensetzung neutralisiert werden kann 100. Der phänome95

PH I, 17. Vgl. Hossenfeld 1985, 26. 97 PH I, 22. 98 M VIII, 368. 99 PH I, 19 f. 100 Vgl. Blumenberg 1973, 62. 96

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II. Die Ironie

nale Charakter des Phänomenalen ist das skeptische fundamentum inconcussum 101. Er dient zugleich dazu, dem Selbstanwendungsdilemma zu entgehen. Man könnte dem Skeptiker nämlich vorhalten, seine Lehre zerstöre sich, wenn man ihre Einsichten auf das beziehe, was er vorbringt, und hierzu auf das skeptische Schlagwort οὐ μᾶλλον 102 verweisen, welches die Isosthenie zweier Positionen bezeichnen soll. Der Einwand lautet dann: Zwar dient die Formulierung einander widersprechender Standpunkte der Isosthenie. Aber diese muß, wenn das οὐ μᾶλλον wirklich durchgehende Gültigkeit haben soll, ihrerseits wiederum durch eine ihr entgegenstehende Position aufgehoben werden, i.e. durch eine solche, in welcher eine Seite die Oberhand gewinnt 103. Die Antwort des Skeptikers wird hier unweigerlich lauten: Die einmal durch das οὐ μᾶλλον erreichte Isosthenie ist etwas, das mir erscheint. Daß sie sich zeigt, ist ein Faktum, welches nicht weiter hinterfragt werden kann 104. Also kann ich der Isosthenie vertrauen, ich darf es bei ihr bewenden lassen und die aus ihr resultierende Ataraxie genießen. 101 M.F. Burnyeat 1980, 38. Naess betont, daß Sextus damit keinen Phänomenalismus vertrete, i.e. eine Position, mit welcher behauptet wird, die Süße des Honigs sei letztlich nur etwas Subjektives, nichts aber, das dem Honig selbst zukomme. Schon hinsichtlich dieser Frage übe der Skeptiker nämlich Epoché (1968, 17). Klarer wird der Sachverhalt freilich, wenn man hinzusetzt: Der Skeptiker hat es gar nicht nötig, die Frage zu erörtern, ob der Honig wirklich süß ist; denn sein Fundament, die Phänomenalität des Phänomenalen, wird davon gar nicht tangiert. Johnson argumentiert folgendermaßen gegen die Basisthese der Skepsis: Mit dem Rückzug auf die Phänomenalität der Phänomene ermöglicht es der Skeptiker seinem Gegner, alles Mögliche zu behaupten, ohne daß er etwas dagegen ins Feld führen könnte (1976, 72). Doch scheint diese Subjektivierung des Wissens den Skeptiker insofern nicht zu berühren, als es ihm ja nicht um die subjektiven, sondern nur um die als objektiv behaupteten Prodela und insbesondere um die Adela geht. Nur wenn ein subjektives Prodelon als ein objektives oder wenn ein Adelon als Prodelon behauptet wird, tritt der Skeptiker in Aktion – vgl. hierzu Perin 2010, 150 ff. 102 PH 1, 188 ff. 103 Vgl. O. Johnson: Die gemäßigte Skepsis, a. a. O., S. 70.

3. Pyrrhonische Ironie

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Unter der Leitung der Erscheinungen also überläßt sich der Skeptiker zunächst der Macht, welche die Natur über uns beansprucht, der Unwiderstehlichkeit der Emotionen 105. Da diese zur Orientierung nicht ausreichen, gilt es, einen weiteren Leitfaden zu finden. Dies ist der systematische Ort, an welchem die Konventionen Eingang in den Argumentationsgang des Pyrrhonikers finden. Sextus reagiert damit auf ein Argument, das nicht nur gegen den Pyrrhonismus, sondern gegen jede Art von Skepsis ins Feld geführt worden ist. Plutarch 106 trägt es so vor: Folge man den Maximen der Skeptiker, dann werde man – wie beim Anblick des Gorgonenhauptes – zu Stein; denn man könne nun gar nicht mehr handeln, verfalle also in ἀπραξία. Sextus selbst spricht, wenn er den Einwand formuliert, von einer pflanzenähnlichen Untätigkeit (ἀνενεργησία), welcher der Skeptiker angeblich zum Opfer falle 107. Daß ein solcher Vorwurf dem Skeptiker zu schaffen macht, ist leicht zu sehen, denn er verspricht ja eine Lehre zu liefern, wie am besten zu leben sei, was gewiß nicht pflanzenhaftes Vegetieren meinen kann. Noch die postmodernen Nachfahren der antiken Skepsis, die Ironikerinnen, welche Richard Rorty konzeptualisiert, werden durch das ἀπραξία–Argument bedroht; und sie verfallen, wie sich zeigen wird, auf keinen anderen Ausweg als ihre spätantiken Vorläufer. Sextus’ Lösungsvorschlag besteht darin, ein Leben zu postulieren, das den im eigenen Lande herrschenden Sitten, Gesetzen, Lebensauffassungen und obendrein den Maßgaben der persönlichen seelischen Dispositionen folgt 108. 104 Zur vorskeptischen Bedeutung des οὐ μᾶλλον vgl. De Lacy 1958, 59 – 71. Hier finden sich die Überlegungen zur Vermeidung der Selbstanwendungsschwierigkeit (70/71). 105 PH I, 23. 106 Col 1122A. 107 M XI, 1627 163. 108 PH I, 17.

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II. Die Ironie

Es sind also die traditionellen Lebensregeln und Praktiken, welche sich jeweils in einer Kultur finden 109, nach denen man sich zu richten hat. Der Pyrrhoniker erweist sich als ein Traditionalist, weil ihm zu Reformen irgendwelcher Art einfach die Maßstäbe fehlen. Aber es kommt noch schlimmer; denn die Folgen dieser Bestimmungen sind weitreichender: Verlangte ein Tyrann eine unerlaubte Handlung, dann befragte der Pyrrhoniker nicht sein Gewissen, sondern er überlegt sich, was die Leute wohl gemeinhin tun 110. Dieser Verpflichtung auf die herrschenden Sitten und Gebräuche haftet fraglos etwas Opportunistisches an. Der Pyrrhoniker wird sich am Ende den Vorwurf der Charakterlosigkeit gefallen lassen müssen.

4. Romantische Ironie

Die Ironie weist in ihrer rhetorischen und sozialen Gestalt zwei unterschiedliche Stufen auf, die der simulatio und der dissimulatio. Sokrates hebt sie auf eine dritte, indem er sie zum Instrument der Mäeutik macht. Sie wird eine Waffe im Kampf gegen den Relativismus der Sophisten. Die Pyrrhonische Skepsis stellt diese Verhältnisse auf den Kopf, sie entwindet dem Dogmatiker Sokrates – Dogmatiker wenigstens in der Gestalt, die Platon ihm gibt – sein Werkzeug und macht es zu einem Mittel, mit dem sich Isosthenie erzeugen läßt, die Gleichwertigkeit aller Standpunkte, welche die Frage nach der Wahrheit obsolet erscheinen läßt. Für den Pyrrhoniker wird deshalb genau die Position wieder hoffähig, welche Platon-Sokrates mit dem Namen ‚Philodoxie‘ attackiert hat und die man als reinen Phänomenalismus kennzeichnen

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PH I, 23; vgl. auch PH I, 237. Vgl. M XI, 166.

4. Romantische Ironie

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kann. Ihr Credo lautet: Sicher sein darf ich des Faktums, daß sich mir etwas als das und das zeigt. Dieser Phänomenalismus dient dann als Basis, welche garantiert, nicht vom Selbstanwendungsdilemma bedroht zu werden. Allerdings ist diese Rettung teuer erkauft; denn man muß sich hier ja in die rein subjektive Bilder-, Geräusch, Geruchs- und Geschmackswelt zurückziehen, die sich zwar noch um taktile Eindrücke erweitern läßt, aber keinerlei Hinweis darauf enthält, daß all‘ dem etwas Extramentales entspräche und wie solche Entitäten, gäbe es sie, wohl beschaffen wären. Schließlich ist auch der Preis fragwürdig, den der Skeptiker im Felde des Praktischen zu zahlen hat – er besteht in einem schrankenlosen Opportunismus, den er zur Maxime machen muß, da ihm keinerlei Maßstäbe für eine selbstbestimmte Lebensführung zur Verfügung stehen. Die Romantiker, die Friedrich Schlegels Konzeption folgen, radikalisieren die Pyrrhonische Skepsis, indem sie das AtaraxiePostulat in den Wind schlagen. So verhindern sie, daß Isosthenie das Hin und Her gegensätzlicher Standpunkte stillstellt. Das führt dazu, daß auch das skeptische Subjekt nicht mehr sicher ist, nicht in den Strudel der ironischen Negationen hineingezogen zu werden: Die ironische Aufhebung macht die von ihr negierte Position wanken, löst sie schließlich auf, dann aber greift sie auch denjenigen an, von dem die Negation ausgeht, also den Ironiker selbst 111. Die Romantiker totalisieren damit die Ironie in einer zuvor nicht gekannten Weise 112. Dies 111 Szondi formuliert sehr eingängig: „Indem die Ironie das Negative festhält, wird sie, obwohl als dessen Überwindung gedacht, selber zur Negativität“ (1964, 18) – und dies in einem Ausmaß, welches schließlich am Horizont nicht die Einheit von Ich und Welt, sondern eine nihilistische Leere aufleuchten läßt. 112 Es ist diese Totalisierung, welche die Ironie in die Nähe des Teuflischen und des Wahnsinns gebracht hat. Victor Hugo stellt fest: „l’ironie, c’est le visage même du diable“ (1843 III, 297). Goethe hat im Gespräch über seinen Faust Mephisto ganz selbstverständlich als Ironiker bezeichnet (vgl. Biedermann 1889 f. V,126). Bezüglich

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II. Die Ironie

soll kurz an den Ausführungen Friedrich Schlegels illustriert werden. Der Ausgangspunkt der Überlegungen liegt in einer Unterscheidung von rhetorischer und philosophischer Ironie 113. Die erste eigne sich, sparsam verwendet, für die Polemik, sie falle jedoch weit zurück, fasse man die Urbanität ihrer Sokratischen Schwester ins Auge 114. Schlegel erhebt mithin den Anspruch, den Ansatz des Athener Philosophen aufzunehmen und fortzusetzen. Die folgenden Überlegungen werden zeigen, daß es sich hier um eine unzutreffende Autoritätsberufung handelt. Nicht in Sokratischer, sondern in einer radikalisierten Pyrrhonischen Tradition steht die Konzeption des Romantikers 115. einer Aufführung von Pars Oper Agnese stellt er am 1. 2. 1813 im Gespräch mit Wilhelm Riemer fest: „Das Ungeheuere in der Cultur ist dies, daß wir unser Publicum wider seinen Willen und zu unserm Schaden zur Ironie erheben, indem wir seine Leidenschaften reinigen dadurch, daß wir Alles zur Anschauung bringen, selbst den Wahnsinn und die Irrenhäuser und Narrenhospitäler. Denn was kann von dem allen das Resultat sein, als daß es dieses sonst für das Gefühl und die Empfindung so Zerreißende auch nur als einen Zustand kennen lernt, als ein Pathologisches, dem gegenüber es sich besser, erhabener fühlt, und mit dem es zuletzt spielen lernt“ (Biedermann 1889 f. III, 74). Paul de Man konstatiert, absolute Ironie sei das Bewußtsein einer Verrücktheit, das Ende allen Bewußtseins, das Bewußtsein des Ausbleibs des Bewußtseins, eine Reflexion der Verrücktheit von ihrer Innenseite her. (1986, 216). 113 Tieck operiert mit einer ähnlichen Unterscheidung, wenn er Hegels Kritik an Solger zurückweist. Hegel habe seinen Kollegen mißverstanden, da er ihm die gemeine Ironie eines Swift unterstelle. Aber es gebe noch andere Arten. Hier sei tiefer Ernst mit Heiterkeit verbunden. Diese Ironie sei nicht nur negativ. Sie ermögliche es dem Dichter, über seinem Stoff zu stehen, eine Qualität, die Tieck Schiller nicht zuschreiben mag, da er für ihn der unironische Autor schlechthin ist – vgl. Köpke 1855, II 238 f.; auch Solger kennt unterschiedliche Spielarten der Ironie – eine falsche, scheinbare und eine echte – vgl. 1829, 245. 114 KFSA II, 152. 115 Den Skeptizismus faßt Schlegel so: „Als vorübergehender Zustand ist der Skeptizismus logische Insurrektion; als System ist er Anarchie. Skep-

4. Romantische Ironie

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Wie genau der Ironiebegriff zu füllen ist, verdeutlicht Schlegel mit folgender Wendung: „Ironie ist die Form des Paradoxen“ 116. Paradox ist genau das, was dem common sense zuwiderläuft und daher befremdlich ist. Jedes Paradoxon tritt als Verstoß gegen das principium contradicitionis ins Bewußtsein 117, denn mit ihm scheint zugleich und in gleicher Hinsicht p und non-p gültig zu sein. Die Behauptung einer Nähe von Ironie und Paradoxie ist zunächst noch nicht revolutionär, denn sowohl die simulatio als auch die dissimulatio treten als Widerspruchsphänomen auf. Einmal zeigt ein Signal an, daß man sagt, was man nicht denkt, zum anderen redet man so, daß der Gesprächspartner nicht mehr weiß, was er von den Äußerungen halten soll. Neu an der Ironiekennzeichnung Schlegels ist ihre Bestimmung als sich forttreibender Widerspruch von Unbedingtem und Bedingtem, Unmöglichem und Notwendigen. Diese Bewegung geht weit darüber hinaus, lediglich die Meinungen der Alltagsmenschen zu zerstören, wie Sokrates es sich mit der Hilfe seiner dissimulatio angelegen sein ließ. Sie ist auch wesentlich mehr als die Isosthenie erzeugende Ironie, die ja in Ataraxie enden, also zu einem Stillstand führen soll, zur Ungestörtheit und Heiterkeit der Seele 118. Schlegel ist demgegenüber auf eine geistige Haltung aus, in welcher keine Position unnegiert bleibt, auch nicht die der Negation selbst und erst recht nicht die des Negierenden; denn ironisch „setzt man sich über sich selbst weg“ 119. tische Methode wäre also ungefähr wie insurgente Regierung.“ (KFSA II, 179). An anderer Stelle nennt er ihn eine ‚logische Krankheit‘, eine ‚Unphilosophie‘ (KFSA II, 241). Dennoch, so wird sich zeigen, muß das, was sein Ironiebegriff faßt, als der sich vollbringende Skeptizismus betrachtet werden; vgl. hierzu Frank 1996, 31; Frank 1997, 863. 116 KFSA II, 153. 117 Der philosophischen Tradition ist das παράδοξον der Oppositionsbegriff zum ἔνδοξον, zu dem, was von sich selbst her einleuchtet, weil es sich widerspruchsfrei konzeptualisieren läßt; vgl. Top 104a9 – 11. 118 Vgl. PH I, 10.

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II. Die Ironie

Exemplarisch läßt sich das, was Schlegel vorschwebt, an seinem Aufsatz Von der Unverständlichkeit vorführen. Der Text ist als Antwort auf Beschwerden verfaßt worden, gewisse Beiträge in der von den Gebrüdern Schlegel publizierten, recht kurzlebigen Zeitschrift Athenaeum seien sehr dunkel gewesen. Was Friedrich Schlegel nun in seiner Replik zu zeigen versucht, ist, daß ironische Texte notwendigerweise nicht verstanden werden können. Dies tut er in einer Darlegung, die ihrerseits ironisch ist. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Da Schlegel ironisch zeigen will, daß man Ironie nicht verstehen kann, vermag sein Leser nicht zu begreifen, daß dem so ist, weil die Erklärungen ja im Rahmen eines ironischen Diskurses erfolgen 120. Damit ist die Position: Ironie ist unverständlich, aufgehoben durch den Anspruch, ironisch etwas vermitteln zu wollen. Aber auch der Autor selbst hebt sich auf, denn er führt seine Darstellungsabsicht durch die gewählte Form ad absurdum 121. Aus diesem Vorgehen kann man nur einen Schluß ziehen: Was der logisch-diskursiven Auseinandersetzung von Sachverhalten als ein Erzübel gelten muß, der performative Widerspruch nämlich, aus dem das Selbstanwendungsdilemma entsteht, ist dem Ironiker Schlegelscher Prägung probates Mittel der Verwirklichung seiner Strategie. Er führt die Verwirrung absichtsvoll herbei, um eine Reihe gleichsam flirrender Negationen zu erzeugen und damit nicht nur seine Ausführungen, sondern auch die eigene Position in Frage zu stellen 122. 119 KFSA II, 160. Kierkegaard formuliert hier sehr anschaulich, wenn er feststellt, die Ironie gleiche einer Hexe, die zuerst alles um sie herum verschlinge, um dann sich selber, genauer: ihren eigenen Magen, zu verspeisen (1929, 45). 120 Vgl. Bohrer 2000, 13. 121 Vgl. hierzu Albert 1993, 839. 122 Frank hat diesen Vorgang an einem anschaulichen Beispiel verdeutlicht: Das ‚vollkommene Schema der Ironie‘ sei die Zeit; jedes Moment in ihr negiere als Position das vorangegangene und erfahre seinerseits diese Aufhebung durch seinen Nachfolger. Zudem gelte: Die Zeit als Bedingung

4. Romantische Ironie

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‚Ironie‘ meint nach diesen Bestimmungen „eine absolute Synthesis absoluter Antithesen, den stets sich selbst erzeugenden Wechsel zwei streitender Gedanken“ 123. Man könnte auch sagen: den ausgehaltenen Widerspruch, der zugleich Selbstsetzung und Selbstaufhebung beinhaltet 124. Hegel ist es, der mit dieser Konzeption Schlegels in seiner Geschichte der Philosophie scharf abgerechnet 125 hat. Seine Kennzeichnung sei kurz dargestellt, weil sie wesentliche Züge 126 der erweiterten Ironiekonzeption aufdeckt. Schlegels Ironie sei „das Fertigsein des subjektiven Bewußtseins mit allen Dingen“ 127, worunter eine absolute Selbstermächtigung des Ich zu verstehen ist. Denn das Subjekt sei der Möglichkeit alles Endlichen sei selbst von ‚unendlicher Erstreckung‘ (1989, 310). 123 KFSA II, 184. Angesichts der Reichweite dieser Bestimmungen scheint die Feststellung, bei Schlegel nehme die Ironie nicht für eine Seite Partei, sondern sie betrachte beide Seiten in kritischer Weise, eigentümlich verharmlosend; vgl. Muecke 1969, 200. 124 Deshalb kann Schlegel schreiben: „Ironie ist klares Bewußtsein der ewigen Agilität, des unendlich vollen Chaos“ (KFSA II, 263). In mancher Hinsicht klarer als Schlegels Überlegungen sind Hinweise, die Solger in verschiedenen seiner Arbeiten gibt. In seinem Erwin heißt es, der Künstler lasse in einer Welt mangelhafter, nämlich zeitlich-vergänglicher Erscheinungen ein Vollkommenes sichtbar werden, das freilich mit seinem Eintritt ins Phänomenale zugleich nichtig werde (1907, 387). Daher sei das Lebenselixier der Kunst die Ironie (1907, 388 – vgl. auch 1826, I 360; 1829, 241). 125 Szondi erklärt die Schärfe so: „Schlegels Ironie entspringt, wie die Hegelsche Dialektik, der Bemühung, den schroffen Dualismus von Subjekt und Objekt zu überwinden. Aber die Einheit, die sich in der Ironie herstellt, ist keine reale Versöhnung. Vielmehr wird der Objektwelt alle Realität aberkannt, die Objektwelt ist nur noch vorhanden, insofern die Subjektivität sich in ihr spiegeln und in dieser Spiegelung die Versöhnung, das Subjekt-Objekt aus eigener, also subjektiver Kraft verwirklichen will: die Wilkür des Subjekts dominiert“ (1974, 331). Eine solche Lösung des auch im Zentrum seines Denkens stehenden Problems habe Hegel nicht billigen können. 126 Daß Hegel Schlegels Gedanken unmittelbar auf Fichte zurückführt, haben schon die Zeitgenossen für fragwürdig gehalten; vgl. Heine 2005, 375. Neure Forschungen geben ihm Recht; vgl. Frank 1996.

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II. Die Ironie

es, das allem und jedem seine Eigenschaften zulege und daher das Gute schlecht, das Sittliche unsittlich, das Recht zum Unrecht machen könne – ganz wie es ihm behage. Das aber sei kein ernsthafter Umgang mit den Dingen, sondern vielmehr Ausdruck einer spielerischen Haltung, welche alles Wahre in Nichtigkeiten zu verwandeln sich bemühe. Hegel bestreitet dann, daß hier eine Verwandtschaft zur Sokratischen dissimulatio vorliege; denn die von Schlegel konzeptualisierte Ironie verbreite nichts als die Vorstellung, alles sei am Ende nichtig. Wenn ihr Tiefe innewohne, dann sei es die der Aristophanischen Komödie 128. An späterer Stelle heißt es dann, Heuchelei und Frechheit seien ihre wesentlichen Merkmale 129 – das erste wohl, weil sie sich und anderen etwas vormacht, das zweite, weil sie sich über alles hinwegsetzt, das sie in Hegels Augen zu achten hätte. Ganz anders operierte der Athener Sokrates, mit dem das Prinzip subjektiver Freiheit 130 heraufdämmere, aber so, daß er die Sittlichkeit seiner Landsleute in Moralität zu verwandeln suche 131. Denn das Gute finde sich nicht in äußerlicher Sitte oder in den Gesetzen, welche die Bürger machen, es sei im Inneren des Menschen zu suchen und dort auch zu finden. Augenfällig werde die Moralisierung des nur Sittlichen im Sokratischen δαιμόνιον 132. Die Sokratische Ironie habe die Funktion, Abstraktes konkret werden zu lassen 133; sie zwinge den Gesprächspartner, das, was er nur vage vorstelle, zu explizieren. Sie ist in Hegels Augen demnach alles andere als das gewaltige Zerstörungs- und Imaginationsmittel, das die Romantiker letztlich nur aus einem 127 128 129 130 131 132 133

HW XVIII, 640. HW XVIII, 640/641. HW XX, 416. HW XIX, 123; vgl. auch HW XII, 256. Vgl. HW XII, 329; HW XVIII, 445. HW VII, 448; vgl. auch XVII, 286; HW XII, 311. HW XVIII, 459/460.

4. Romantische Ironie

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Grunde handhabten – als Vehikel einer Selbstnobilitierung der Subjektivität. In der Ästhetik stellt Hegel einen Zusammenhang zur Geniekonzeption her: Der Ironiker, der sich selbst auf den „Standpunkte göttlicher Genialität“ gesetzt habe, blicke „vornehm auf alle übrigen Menschen nieder, die [er] für beschränkt und platt erklärt ..., insofern ihnen Recht, Sittlichkeit usf. noch als fest, verpflichtend und wesentlich gelten“ 134. Führt man diesen Gedanken fort, dann kommt man zu dem Schluß, daß der romantische Ironiker letztlich zu zwischenmenschlichen Bindungen unfähig wird; er steht zwar in Kontakt zu anderen Menschen, lebt auch mit ihnen zusammen, aber die beanspruchte Genialität macht es ihm letztlich unmöglich, in diesen Beziehungen etwas Wesentliches zu erblicken, etwas, das einen eigenen Wert besäße. So muß der Ironiker Hegel letztlich als Soziopath erscheinen 135. Kierkegaard treibt Hegels Kritik noch weiter voran, indem er die Möglichkeit einer ironischen Lebensform thematisiert. Die Ironie nehme nichts ernst, sie negiere alles ihr Begegnende augenblicklich, um dem Ernst, mit dem es daherkomme, zu entgehen 136. Deshalb stehe sie auch niemals in fremden Diensten, sondern werde ausschließlich um ihrer selbst willen betrieben 137. So erzeuge sie eine negative Freiheit, denn alles, was ihr mit dem Anspruch auf eine Bestimmung des Subjektes begegne, zerstöre sie unmittelbar, um eine Freiheit der Leere herzustellen, welche dem Subjekt nicht nur allen Inhalt, sondern obendrein auch alle Wirklichkeit nehme 138. Es bleibe ihm ein134

HW XIII, 95. Ganz so harsch fällt Hegels Kritik an Solger nicht aus. In einer Fußnote der Rechtsphilosophie-Vorlesungen heißt es, Solger habe Schlegels Ironie-Begriff aufgenommen und dabei das Dialektische festgehalten; zugleich aber mangele es seinen Ausführungen an Klarheit – vgl. HW 7, 277 f. Anm. 136 Kierkegaard 1929, 226. 137 Kierkegaard 1929, 214. 135

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II. Die Ironie

zig der Hinweis auf eine gänzlich unbestimmte Zukunft, die nur insofern ein wenig präzisiert werde, als man wisse, sie sei in allem anders als die Gegenwart. Es ist dieser Zug, den Rorty als die Maxime einer ironisch belehrten Politik herausstellen wird 139. Jemand, der auf diese Weise seine Tage verbringe, so Kierkegaard, lebe gleichsam im Konjunktiv 140, mithin auf eine ungesunde Weise, da ihm die Welt, die ihn umgebe, fremd sei. Von seiner Zukunft, die noch im Dunklen liege, könne, wenn sie einmal zur Gegenwart geworden sei, auch nichts anderes gesagt werden. Die Ironie stelle sich damit als eine Art Gift dar, das allem Hier und Jetzt den Garaus mache, auf eine vage Zukunft verweise, in der alles anders und besser sei – nur um diese Zukunft, sollte sie bestimmtere Züge annehmen, wiederum zu entwerten. Steht es so um den Ironiker, dann geht es ihm schon schlimm genug. Hinzu kommt freilich noch ein weiteres, wie ich meine, gewichtigeres Argument, das Cross 141 in Kierkegaards Texten aufgespürt hat. Es hat die gleiche Gestalt wie das Dilemma, in welches die Skeptiker geraten. Auch wenn der Ironiker alles um sich her negiert und anschließend sich selber zum Gegenstand macht, wird er eines unangetastet lassen müssen, nämlich die ironische Lebensweise, die er, weil er sie praktiziert, nicht zugleich negieren kann. Trifft diese Überlegung zu, dann kann die Ironie als Lebensform nicht praktiziert werden, da sie dabei an ihrem eigenen Anspruch zu versagen verdammt ist. Die Ironie muß – so kann der Schluß nur lauten – wieder regionalisiert werden. Auch hier zieht Rorty entsprechende Schlüsse. Freilich bedarf es, wenn man seine Position verstehen will, eines vorbereitenden Blickes auf den uneingestandenen Ironiker Nietzsche, der im nächsten Kapitel erfolgen soll. 138 139 140 141

Kierkegaard 1929, 215; 219. Kierkegaard 1929, 216. Kierkegaard 1929, 238. Vgl. Cross 2006, 138 ff.

5. Nietzsche als Ironiker

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5. Nietzsche als Ironiker

Der Ironie gegenüber ist Nietzsche in seinen Verlautbarungen nicht sehr positiv gestimmt; er will sie – so wie Settembrini in Thomas Manns Zauberberg – nur zu pädagogischen Zwecken zulassen, um heilsame Beschämung hervorzurufen, welche den Educandus gute Vorsätze fassen mache. Außerhalb erzieherischer Zusammenhänge – etwa für die Literatur – gilt hingegen: „Alle ironischen Schriftsteller rechnen auf die alberne Gattung von Menschen, welche sich gerne allen Anderen mit dem Autor zusammen überlegen fühlen wollen, als welchen sie für das Mundstück ihrer Anmaassung ansehen“ 142. Kurz: Die Ironie verderbe den Charakter, man werde am Ende ein Hund, der außer zu beißen auch das Lachen gelernt habe 143. Insbesondere die Sokratische Ironie ist Nietzsche suspekt. Er fragt sich, ob sie vielleicht Ausdruck eines gewissen „PöbelRessentiment“ sei, ob Sokrates sich nicht an der Unterlegenheit der Vornehmen weide; denn: „Man hat, als Dialektiker, ein schonungsloses Werkzeug in der Hand; man kann mit ihm den Tyrannen machen; man stellt bloss, indem man siegt.“ 144 Der Dialektiker zwinge sein Gegenüber dazu, den Nachweis zu führen, daß er kein Idiot sein. Trotz dieser Einlassungen hat man Nietzsche mit einigem Recht einen maskierten Ironiker genannt, der seine Nähe zu den Auffassungen der jüngeren Romantiker nicht kaschieren könne 145. Deutlich wird das an einem Gespräch, das er in Menschliches, Allzumenschliches zwischen Pyrrhon 146 und einer Figur, die er Der Alte nennt, stattfinden läßt. Dieser fragt 142 MA, KSA II, 260. Diese Formulierungen legen der Verdacht nahe, der große Kompilator Thomas Mann habe sich bei Nietzsche bedient, um Settembrini eine Argument gegen die Ironie zu liefern. Daß hier zwei intellektuelle Charaktere zusammengebracht werden, die verschiedener nicht sein können, dürfte dem erfahrenen Nietzsche-Leser ein vertrauter Gedanke sein. 143 MA, KSA II, 260. 144 GD, KSA VI, 71.

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II. Die Ironie

den Philosophen, wie er den Anspruch, die Menschen belehren zu wollen, rechtfertigen könne. Das ist eine sehr berechtigte Frage, da Pyrrhon kaum etwas über die Welt zu sagen haben dürfte – außer vielleicht, daß sich nichts sagen lasse und man sich daher jeden Urteils enthalten, also Epoché üben müsse 147. Pyrrhon gibt dann aber eine ganz andere Antwort, die ihn als einen Ironiker Schlegelschen Kalibers ausweist: Er belehre die Menschen, indem er zunächst seine Schwächen einräume – seine Übereilungen, Widersprüche und Dummheiten. Anschließend warne er davor, etwas von dem, was er sagt, zu glauben. Vertraue man ihm, dann werde er notgedrungen als Verführer und Betrüger auftreten. Auf den Einwand seines unironischen Gesprächspartners, Pyrrhon verwickele sich hier in einen performativen Widerspruch, antwortet er, dies sei in der Tat so und auch dies wolle er seinem Publikum mitteilen, um jedes Zutrauen im Keime zu ersticken. Wahrheit finde man nämlich nur, wenn man sich grenzenlosem Mißtrauen hingebe. Der Alte versucht es daraufhin noch einmal mit der Logik des ironiefernen Menschen. Er hält Pyrrhon vor: Befolge man seine Maxime, dann müsse man sich jeder Äußerung enthalten. 145

Vgl. Behler 1975, der zeigt, daß Nietzsche der Ironie durchaus positive Seiten abzugewinnen vermag; vgl. hierzu auch Picart 1997, 286; del Caro 1989, 5; Norman 2002, 502 ff.; Thomas Mann schreibt in seinem Nietzsche-Essay aus dem Jahre 1947: „Wer Nietzsche ‚eigentlich‘ nimmt, ist verloren“ (2009a, 222). Für die Gegenposition vgl. exemplarisch Kaufmann 1982, 444/445, Anm. 29. Bohrer meint, Nietzsche pflege zwar einen ironischen Stil, habe sich aber von der inhatlichen Konzeption der Romantiker verabschiedet – 2000a, 297. Ich will im Folgenden zeigen, daß dies nicht so recht behauptet werden kann. 146 Daß es sich hier um eine Erfindung Nietzsches und nicht um ein Portrait Pyrrhons handelt, darauf hat Bett hingewiesen (2000a, 67). Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, daß Nietzsche sich hier selbst darstellt. Zum gegenwärtigen Bild der philosophiehistorischen Forschung, insbesondere zu der Frag, ob Pyrrhon ein Pyrrhonist gewesen sei, vgl. Svavarsson 2010. 147 Vgl. Kapitel 4.

5. Nietzsche als Ironiker

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Pyrrhon bestätigt die Richtigkeit dieser Feststellung, ohne mit der Wimper zu zucken: „Ich werde den Menschen sagen, dass ich schweigen muss und dass sie meinem Schweigen misstrauen sollen“ 148. Resignierend äußert der Alte schließlich, er hoffe, Pyrrhon verstehe wenigstens sich selbst. Daraufhin wendet sich der Skeptiker ab und – lacht. Schweigen und Lachen, das sei seine ganze Philosophie, lautet die letzte Provokation des Alten. Auch diese Bemerkung trifft Pyrrhon nicht. „Es wäre nicht die schlechteste“ 149, gibt er zurück. Für den Logiker gerät Pyrrhon in diesem Gespräch in das Selbstanwendungsdilemma, von dem bereits im Zusammenhang der Darstellung der Skepsis die Rede war. Denn er behauptet, die Menschen belehren zu können, was natürlich zugleich heißt, Wahrheitsanspruch zu erheben. Was er aber mitteilen will, ist das vermeintliche Faktum, es sei unmöglich, Wahrheiten zu konstatieren. Daraus folgt, daß seine Lehre in logisch einwandfreier Form nicht mitgeteilt werden kann. Sie verfolgt nämlich das Schlegelsche Ironieprogramm ständiger Negation, die auch vor dem Negierenden nicht halt macht. Der von Nietzsche vorgestellte Pyrrhon ist gewiß so etwas wie eine Leitfigur seiner semiotisch gefärbten antimetaphysischen Philosophie des Perspektivismus. Nietzsche nimmt nämlich an, daß wir dogmatischerweise bestimmte Phänomene als über-konventionell gültige Indikatoren von Entitäten interpretieren, welche für uns in einer nicht-phänomenalen Welt beheimatet seien. Als Resultat stelle sich die Idee einer metaphysischen Weltordnung ein. Daß diese Vorstellung trügerisch sei, werde deutlich, wenn man den konventionellen Charakter der Zeichenmittel nachweise. 148 149

MA, KSA 2, 646. MA, KSA 2, 646.

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II. Die Ironie

Dies ist der erste Schritt in Nietzsches Entlarvungsstrategie. Der zweite besteht darin, den Grund anzugeben, der uns dazu veranlaßt, als über-konventionell zu behaupten, was doch nur unsere Erfindung ist. Ihn erblickt Nietzsche in der Tatsache, daß wir zeichenbenutzende Wesen sind – also in der semiotischen Tätigkeit überhaupt. Genau an dieser Stelle wird seine Argumentation nun durch das Selbstanwendungsdilemma bedroht. Denn Zeichen verwendend will Nietzsche uns darüber aufklären, daß es die Zeichenbenutzung sei, welche uns unweigerlich eine metaphysische Weltordnung imaginieren lasse und welche uns zugleich erfolgreich darüber hinwegtäusche, daß sie lediglich imaginiert sei. Die naiv klingende, aber in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzende Frage, die man Nietzsche hier stellen muß, lautet: Wenn die Täuschung durch die semiotische Tätigkeit unausweichlich ist, wie konnte der Enthüllungsphilosoph ihr dann entgehen? Die Antwort kann nur lauten: Daran ist ihm gar nicht gelegen, denn er agiert wie Schlegels Ironiker. Nietzsche setzt seine Lehre von einem Perspektivismus als Phänomenalismus gegen den traditionellen Anspruch auf Wahrheit und begründet seine Ausführungen im wesentlichen mit Argumenten der Pyrrhonischen Skepsis: Alles, von dem wir sagen, daß es ist, ist nur als ein Relatives. Wir müssen es nämlich als etwas betrachten, das zu uns in Relation steht und nur in dieser Relation ist, als was es erscheint. Jede Theorie, welche den perspektivischen Charakter aller Erkenntnis leugnet, nennt Nietzsche ‚metaphysisch‘. Der Terminus ‚Metaphysik‘ bezeichnet einen Theorietyp, den Sextus bereits beschrieben hat. Eine Sphäre des lediglich Erscheinenden setzt man einer solchen des Wesenhaften gegenüber und ordnet obendrein das Phänomenale – mit der Behauptung, es sei trügerisch – dem Nicht-Phänomenalen unter. ‚Metaphysisch‘ ist hier also nicht der Name einer der beiden Sphären, sondern der Begriff bezeichnet – wie bereits im Skeptizismus-Kapitel dargelegt – eine Relation zweier Bereiche, die dadurch gekennzeichnet ist, daß Sphäre (1) von Sphäre (2) differenziert und dieser dann als der Wesenswelt unterstellt wird. Die metaphysische Relation ist

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also – wie bereits von den Pyrrhonikern der Sache nach analysiert – eine metaphysische Differenz. An ihrer Berechtigung wird – mit Nietzsches Hilfe – die Protagonistin der Philosophie Richard Rortys so intensiv zweifeln, daß sie dauerhaft zur Ironikerin wird. Reformuliert man den von Nietzsche konstatierten Zusammenhang semiotisch, dann muß man zunächst sagen: Die metaphysische Differenz ist der Interpretant, welcher in einem Zeichenbenutzer auftritt, der gewisse Phänomene als über-konventionell gültige Zeichenmittel handhabt, von denen er annimmt, daß sie gewisse trans-phänomenale Objekte unzureichend repräsentieren. Es kommt in Nietzsches Analyse freilich noch ein weiterer Gesichtspunkt hinzu – nämlich der, daß die vermeintlich trans-phänomenalen Objekte ihrerseits nur Zeichenmittel sind. Sie für das letzte Designat zu halten, heißt, sich über eben dieses Faktum hinwegzutäuschen. Nietzsches These lautet also: Gewisse Phänomene als Indikatoren dafür zu handhaben, daß in einem trans-phänomenalen Bereich bestimmte Entitäten angesiedelt sind, heißt zu verkennen, daß diese Designate selbst Zeichenmittel sind. Die Philosophen verwechseln daher Bezeichnendes und Bezeichnetes, wenn sie behaupten die Zeichen seien das „wahrhaft Vorhandene, Unveränderliche und Allgültige“ 150. Nietzsche erklärt das Zustandekommen dieses Irrtums so: Wir verdanken die metaphysische Differenz der Tatsache, daß wir zeichenverwendende Wesen sind; sie entspringt unserer semiotischen Tätigkeit, welche zu einer Abwertung des Phänomenalen zugunsten einer trans-phänomenalen Sphäre verleitet. Er fundiert diese These mit Hinweis auf den Mechanismus der Verwendung sprachlicher Zeichen, wenn er schreibt: „Worte sind Tonzeichen für Begriffe; Begriffe aber sind mehr oder weniger bestimmte Bildzeichen für oft wiederkehrende und zu-

150

KSA XI, 614.

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II. Die Ironie

sammen kommende Empfindungen, für Empfindungs-Gruppen“ 151. Empfindungen werden also durch Bildzeichen dargestellt, i.e. durch Begriffe, welche ihrerseits durch Tonzeichen, i.e. Wörter, Ausdruck finden. Was an dieser Aufzählung ins Auge springt, ist die Tatsache, daß wir auf keinen extramentalen Gegenstand stoßen. Die bezeichneten Objekte sind Empfindungen, welche durch einen Begriff wiedergegeben werden. Diesen nennt Nietzsche ein ‚Bildzeichen‘. Der Ausdruck ‚Bildzeichen‘ legt die Vermutung nahe, daß zwischen den Empfindungen und dem Begriff ein nicht-konventionelles Verhältnis besteht; denn Bilder haben mit dem, was sie abbilden, etwas gemein; es scheint also eine Abbildungs-Relation vorzuliegen, die in dem Sinne nicht gestiftet ist, daß sich auch ohne Initiation ausmachen läßt, was Zeichenmittel und was Bezeichnetes und obendrein wessen Zeichenmittel das Bezeichnende ist. Anders steht es um die Tonzeichen, die sich – da die Menschen verschiedene Sprachen sprechen – von Kulturkreis zu Kulturkreis unterscheiden. Mithin besteht zwischen Begriff und Wort eine konventionelle, i.e. eine in dem Sinne arbiträre Beziehung, daß sich ohne Initiation nicht sagen läßt, was Zeichen und was Bezeichnetes und wessen Zeichen das Bezeichnende ist. Nietzsche weist nun darauf hin, daß die entscheidende Schwäche dieses Modells einer vorstellungstheoretischen Erklärung der Wortbedeutung in der Annahme liegt, Begriffe stünden zu den Empfindungen, welche sie bezeichnen, in einem nicht-arbiträren Verhältnis. Zunächst konstatiert er, daß Begriffe keine Namen sind, also nichts Individuelles, sondern immer Klassen bezeichnen 152. Es kann also kein AbbildungsVerhältnis vorliegen; vielmehr muß zunächst eine Anzahl von 151

JGB, KSA V, 221. „... jedes Wort wird sofort dadurch Begriff, dass es eben nicht für das einmalige ganz und gar individualisirte Urerlebniss, dem es sein Entstehen verdankt, etwa als Erinnerung dienen soll, sondern zugleich 152

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partikularen mentalen Phänomenen mit Hilfe eines Kriteriums zu einer Klasse zusammengefaßt werden. Der Begriff soll dann benennen, was alle Elemente der Klasse gemeinsam haben. Da sich aber der Begriff in keinem Phänomen vollständig erfüllt, wird das jeweils Bezeichnete stets zu einem Beispiel herabgesetzt, das seine Bedeutsamkeit niemals in sich selbst trägt, sondern immer nur aus dem bezieht, dessen Beispiel es ist, nämlich aus dem trans-phänomenalen Begriff. Wer Begriffe verwenden will, muß um die Klassen – oder zumindest um einen Teil der Klassen – wissen, denen die einzelnen zu Bezeichnenden angehören könnten. Er hat zudem das jeweils zu Bezeichnende als ein solches zu identifizieren, das nicht etwa einem individuellen Namen, sondern einer Begriffsklasse zuzuordnen ist. Er muß darüber hinaus das Kriterium kennen, mit dessen Hilfe die Zuordnung des zu Bezeichnenden zu seiner Klasse erfolgt. Schließlich ist es unabdingbar, in der Applikation des Kriteriums alle weiteren – für die Klassenzugehörigkeit des zu Bezeichnenden irrelevanten – Qualitäten, die es obendrein noch besitzen mag, zu ignorieren. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann kann es gelingen, das Phänomenale begrifflich zu fassen – freilich um den Preis, es damit auch in seiner ontologischen Bedeutung herabzusetzen. Denn die Applikation von Begriffen verstellt den Blick auf das Erscheinende selbst. Die Phänomene verlieren ihre Bedeutsamkeit, weil sie ja immer hinter den Begriffen zurückbleiben 153. Denn ihnen ist stets etwas beigemischt, was die Reinheit des Begriffs gleichsam trübt. Dieses Faktum nun erlaubt es, im Verhältnis von Phänomenalem und Begrifflichem eben die Relation zu erblicken, die ich als ‚metaphysische Differenz‘ bezeichnet habe. Sie wird immer dann gesetzt, wenn man etwas Phänomenales so auffaßt, daß es für zahllose, mehr oder weniger ähnliche, d. h. streng genommen niemals gleiche, also auf lauter ungleiche Fälle passen muss. Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen“ (WL, KSA I, 879/880). 153 Vgl. WL, KSA I, 879/880.

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II. Die Ironie

als defizitärer Modus des Begriffs zu gelten hat. Wäre es ganz und gar das, was es sein soll, dann wäre es so wie der Begriff, dessen Zeichen es lediglich ist. Aus der Tatsache freilich, daß verschiedene Sprachen das Phänomenale in unterschiedlicher Weise segmentieren, sich also nicht einfach nur dadurch unterscheiden, daß gleichen Begriffen verschiedene Phonemketten zugeordnet werden, läßt sich schließen, daß es bei der Zeichenverwendung gar nicht um die Repräsentation trans-phänomenaler Objekte geht. Vielmehr ist das Verhältnis von Phänomenalem und Begriff ebenso arbiträr wie das von Begriff und Wort 154. Daher muß die durch das jeweilige Kriterium der Begriffsverwendung bestimmte Klasse von Objekten als ein ens fictivum angesehen werden. Daß wir mit solchen Fiktionen hantieren, ist psychologisch durchaus bedeutungsvoll. Denn wenn wir genauer hinschauen, wie wir Begriffe bilden, dann können wir solchen Beobachtungen etwas über uns selbst entnehmen. Die vermeintlich transphänomenalen Objekte sind nämlich Zeichenmittel einer semiotischen Aktivität, welche die metaphysische Relation dadurch stiftet, daß sie die Differenz einer Welt der partikularen Phänomene in Gegensatz zu einer Welt reiner begrifflicher Einheiten bringt, welchen sie trans-phänomenale Realität zuschreibt. Gegen Nietzsches Herleitung des semiotischen Charakters der metaphysischen Relation kann man ähnlich argumentieren, wie es der Alte Pyrrhon gegenüber getan hat. Man kann – wie schon angedeutet – folgendes vorbringen: Die Behauptung, aus der Semiose selbst resultiere die metaphysische Differenz, läßt sich nur mit Hilfe von Zeichen, nämlich sprachlich vortragen, sie verdankt sich also genauso der metaphysikverdächtigen semiotischen Tätigkeit wie die kritisierte Sprachverwendung. Da die Sprache unhintergehbar ist, kann sie von keinem denkbaren Standort aus kritisiert werden; denn zu ihrer Kritik müßte es ja 154

Vgl. MA, KSA II, 30/31.

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vorstellbar sein, eine Position außerhalb der Sprache zu beziehen. Da uns dies unmöglich ist, kann uns ihr metaphysischer Charakter niemals zu Gesicht kommen. Wollte sich Nietzsche auf nicht-ironische Weise rechtfertigen, dann wären folgende Überlegungen denkbar: Zunächst wird er die Differenz der Sprachen ins Feld führen und damit die in einem Idiom vollzogene Begriffsbildung gegen die eines anderen ausspielen. Eben weil die Sprache X diesen, die Sprache Y aber jenen Begriff bildet und weil obendrein kein Maßstab verfügbar ist, die Richtigkeit der jeweiligen Begriffsbildung zu überprüfen, kann geschlossen werden, daß die Begriffsbildung willkürlich vollzogen wird, Begriffe also keine trans-phänomenalen Entitäten darstellen. Hier bietet sich freilich noch der Einwand an, allen Sprachen sei zumindest eines gemeinsam, die Tatsache nämlich, daß in ihnen überhaupt Begriffe nach dem oben beschriebenen Schema gehandhabt werden – dieses Faktum also sei nicht hintergehbar. Auf diese Entgegnung kann nun ein nicht-ironischer Nietzsche als zweites Argument der Verweis auf die Verwendung von Eigennamen ins Feld führen. Diese nämlich konstituieren keine metaphysische Relation; denn sie beziehen sich ja nicht auf eine Klasse von Phänomenen, sondern nur auf ein jeweils Partikulares. Obendrein macht niemand den Anspruch, sie stünden zu dem, was sie bezeichnen, in einer nicht-arbiträren Beziehung. Es gibt also innerhalb der Sprache eine Zeichenverwendung, welche die metaphysische Differenz nicht involviert. Sie ist der Standort, von dem aus die metaphysische Tätigkeit zu Gesicht kommen kann. Es ist mithin gar nicht nötig, unsere Sprachlichkeit zu überschreiten. Aus der Sprache heraus können wir vielmehr aufgrund der Unterschiede zwischen Namen und Begriffen auf die metaphysischen Vollzüge des Sprechens zeigen. Aufgrund dieser Überlegungen läßt sich nun die Reichweite des Perspektivismus bestimmen: Widerspruchs- bzw. ironiefrei sind Nietzsches Thesen so lange, wie er vom Boden des

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II. Die Ironie

untersuchten Gegenstandes aus konstatiert, daß wir einer Illusion erliegen, wenn wir meinen, wir bezeichneten mit unseren Wörtern trans-phänomenale Objekte. Diese Feststellung kann freilich nur dazu führen, die Illusion zu zerstören, i.e. die Tatsache bewußt zu machen, daß die metaphysische Differenz den Mechanismen des Zeichengebrauchs entspringt. Sie bietet keine Handhabe, den negativ-kritischen Horizont der Analyse zu überschreiten. Dies kann eben nur ein Ironiker von Schlegelschem Format. Als ein solcher tritt Nietzsche an den Stellen seines Werks auf, an denen er die semiotische Tätigkeit als Zeichen für den sogenannten Willen zur Macht einführt. In den Fragmenten der mittleren achtziger Jahre heißt es in diesem Sinne: „... daß die bisherigen Interpretationen perspektivische Schätzungen sind, vermöge deren wir uns im Leben, das heißt im Willen zur Macht, zum Wachsthum der Macht erhalten ... dies geht durch meine Schriften“ 155. ‚Wille zur Macht‘ ist eine Formulierung, die so aufgefaßt werden muß, daß im präpositionalen Attribut ‚zur Macht‘ die Qualität der Willensenergie zum Ausdruck kommt; ‚zur Macht‘ kennzeichnet eine Lebendigkeit, deren Eigenart in einem Mehr-Werden-Wollen besteht, in einem Streben nach Steigerung, nach Einverleibung. Die mit der semiotischen Tätigkeit verbundene Einheitsstifung ist Ausdruck eben dieses Herr-Werden-Wollens. In einem letzten Schritt erweitert Nietzsche die Lehre vom Willen zur Macht schließlich so, daß nicht nur alles Lebendige, sondern auch die unbelebte Materie als Manifestation des Willens zur Macht angesehen wird. Für den nicht-ironischen Leser liegen an diesem Punkte die Dinge klar zutage: Die metaphysische Differenz kommt nach Nietzsche dadurch zustande, daß man aus dem Verhältnis von Zeichenmittel und Objekt zwei Klassen von Entitäten erzeugt, das Trans-Phänomenale und als seinen defizitären Modus das, was in Erscheinung tritt. Ermöglicht wird diese Konstruktion dadurch, daß man fälschlicherweise annimmt, Zeichenmittel 155

KSA XII, 114.

5. Nietzsche als Ironiker

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und Objekt seien überkonventionell korreliert, und obendrein übersieht, daß die vermeintlich trans-phänomenalen Objekte ihrerseits lediglich Zeichenmittel sind, welche die semiotische Tätigkeit indizieren. Nun aber soll der Wille zur Macht das letzte aller Designate sein, dasjenige, was die semiotische Tätigkeit anzeigt. Daher wird auch hier Objekt und Zeichenmittel verwechselt. Nietzsches Wille zur Macht ist also nicht das letzte Designat, sondern das Faktum, daß Nietzsche ihn also solches ausgibt, zeigt lediglich an, daß seine Willens-Philosophie sich der semiotischen Tätigkeit verdankt. Für den an der Logik orientierten Denker wäre eine solche Argumentation schlüssig. Der Ironiker hingegen sieht die Dinge etwas anders. Für ihn ist die Lehre vom Willen zur Macht eine Negation der mit dem Perspektivismustheorem aufgebauten Position. Daraus folgt dann, daß Nietzsche sich mit seiner Willensphilosophie selbst ironisch aufhebt; man darf ihm, wenn er sich in derlei Kontradiktionen verwickelt, wohl genauso wenig glauben wie dem von ihm präsentierten Pyrrhon. Wiese man ihn auf das Selbstanwendungsdilemma hin, so steht zu vermuten, daß er reagierte wie der von ihm beschriebene Skeptiker – er dürfte das Lachen zur besten Antwort auf alle Einwände erklären und mit vielen Worten bekunden, es gebe nichts Wichtigeres, als bezüglich der Wahrheit zu schweigen, was er ja seit geraumer Zeit tue. Mit Nietzsche findet die Ironiekonzeption der deutschen Romantiker 156 im 19. Jahrhundert einen vorläufigen Abschluß – vorläufig, weil sie sich im 20. Jahrhundert an einem Ort in politiktheoretischen Zusammenhängen rematerialisiert, an dem kaum mit ihrem Auftreten hätte gerechnet werden können, auf dem nordamerikanischen Kontinent nämlich. 156 Thomas Mann ist ganz im Recht, wenn er in seinem Nietzsche-Essay aus dem Jahre 1947 Novalis einen „Geist von Nietzsches Familie“ nennt – vgl. 2009a, 213. Eine gleichlautende Einschätzung hat er bereits 1924 in einer Rede zu Nietzsches 80. Geburtstag geliefert – vgl. 2002b, 790; hier nennt er Nietzsche einen ‚späten Sohn der Romantik‘.

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II. Die Ironie

6. Rortys liberale Ironikerinnen

Einer der bis dato letzten zeitgenössischen Nachfahren der romantischen Ironie ist Richard Rorty 157. Sein Denken bereitet der von Thomas Mann behaupteten – dabei freilich auf den Konservatismus bezogenen – politische Wirkung des Begriffs das Feld –, auch wenn Rorty eine spezielle Variante des Liberalismus im Sinn hat und obendrein nur einen privaten Ironiegebrauch erlauben, in der Sphäre des Praktischen hingegen Abstinenz gebieten will 158. In seinem vielbeachteten Buch Contingency, irony, and solidarity führt Rorty zu Ende, was mit dem Pyrrhonismus begonnen hat: die Okkupation der Ironie durch den philodoxen Relativismus. Ganz selbstverständlich nennt er die Protagonistin seines Buches eine Ironikerin 159. Sie ist durch drei Merkmale gekennzeichnet: (1) Bezüglich des ‚Letztvokabulars‘, das sie augenblicks benutzt, hegt sie radikale Zweifel; denn sie hat andere ‚final vocabularies‘ kennengelernt. (2) Sie weiß, daß Argumente aus ihrem bisherigen Vokabular diese Zweifel nicht zerstreuen können. (3) Sie meint nicht, daß ihr Vokabular der Wirklichkeit näher komme als andere 160.

157 Vgl. Waas 2003, 147 ff. – hier wird eine unmittelbare Verbindung zu Friedrich Schlegel hergestellt (151). Rorty selber nimmt sich vor, die Romantik von den letzten Spuren des deutschen Idealismus zu reinigen – 1989, 123, Anm. 4. 158 Die Einschränkung hat ihm den Vorwurf einer ‚individualistischen Verengung‘ des Ironiekonzeptes eingetragen – vgl. Willke 1996, 322. 159 Wegen der offensichtlich skeptisch-relativistischen Züge dieser Leitfigur hat man gefragt, warum Rorty nicht eine entsprechende Bezeichnung wähle (vgl. Waas 2003, 146). 160 1989, 73.

6. Rortys liberale Ironikerinnen

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Daß Rortys Ironikerin den späten Wittgenstein studiert hat, springt sofort ins Auge. Der Begriff ‚Letztvokabular‘ verrät es; hinter ihm steckt die Sprachspielkonzeption, die es hier kurz zu skizzieren gilt. Wittgensteins Zentralthese lautet: Die Bedeutung eines Zeichens ist das, was die Erklärung der Bedeutung eines Zeichens erklärt 161. Die Erklärung aber besteht darin, ein Beispiel seiner Verwendung zu geben und dafür zu sorgen, daß die im Beispiel vorgeführte dyadische Korrelation von Zeichenproduktion und Verhalten habitualisiert wird. Was man auf diese Weise erklärt, kann nicht weiter begründet werden. Der Lehrer führt keine Herleitung ins Feld, er legitimiert nichts 162. Daher kann es auch kein an sich falsches oder richtiges Verhalten geben. Vielmehr ist der Verweis auf bestehende Regeln die letzte Erklärung 163. Die Gesamtheit von Zeichenproduktion und Verhaltensweisen erhält den Namen ‚Sprachspiel‘. Diese Redeweise ist metaphorisch: Zeichen haben die gleiche Bedeutung wie die Spielsteine in einem Brettspiel 164. So bedeutet der König im Schachspiel nichts anderes, als daß man die Figur gleichen Namens auf eine ganz bestimmte Weise über das Feld führen kann. Tut man dies nicht, dann spielt man eben nicht Schach, sondern ein anderes, vielleicht gerade erfundenes Spiel, das eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schachspiel aufweisen mag. Daraus ergibt sich einerseits, daß die Sprachspiele sich wandeln können, daß neue hinzukommen und alte absterben 165. Andererseits wird deutlich, daß wir nicht davon ausgehen dürfen, die Gesamtheit der jeweils gerade gespielten Sprachspiele 161

Vgl. PhG I, 23 – WW IV, 59/60; PhG I, 32 – WW IV, 68. Vgl. ÜG 34 – WW VIII, 126. 163 Daß in dieser These ein Stück Pyrrhonismus steckt, ist in der Wittgensteinforschung durchaus wahrgenommen worden; vgl. Fogelin 1987, 226, 229, 232 f. 164 Vgl. PhB 18 – WW II, 61; PhG I, 36 – WW IV, 77. 165 PhU I, 23 – WW I, 251; ÜG 256 – WW VIII, 170. 162

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II. Die Ironie

weise eine hierarchische Struktur auf. Vielmehr sind sie nach dem Prinzip der Familienähnlichkeit miteinander verbunden. Eines hat mit einem zweiten eine Eigenschaft gemeinsam, die ein drittes nicht aufweist. Das dritte aber zeigt eine andere Eigenschaft, die sich auch am zweiten findet. Wittgenstein kann daher sagen: „der Begriff ‚Spiel‘ ist ein Begriff mit verschwommenen Rändern“ 166. Somit liegen alle Sprachspiele auf einer Ebene, keines ist einem anderen über- oder untergeordnet. Deshalb ist es nicht mehr möglich, daß die Philosophie normativ auftritt und sagt, was sinnvoll und was unsinnig ist. Vielmehr stellt sie selbst eines unter vielen anderen Sprachspielen dar – sie ist das Sprachspiel, in dem wir andere Sprachspiele beschreiben 167. Daher ist auch die Philosophie niemals über ihren Gegenstand hinaus, sie muß vielmehr als Teil der Lebensform betrachtet werden, in welcher man eben die Spiele spielt, welche sie beschreibt – einschließlich des Spieles, in dem sie diese Beschreibung durchführt. Die Philosophie muß demnach als Perspektive unter Perspektiven betrachtet werden – nämlich als die, welche sich ergibt, wenn man das Sprachspiel Wir beschreiben unsere Sprachspiele spielt. Daher gilt für sie, was für alle Sprachspiele zutrifft: „Du mußt bedenken, daß das Sprachspiel sozusagen etwas Unvorhersehbares ist. Ich meine: Es ist nicht begründet. Nicht vernünftig (oder unvernünftig). Es steht da – wie unser Leben“ 168. Eben diese Maxime hat Rortys Ironikerin beherzigt. Sie weiß, daß die Sprachspiele, die sie zur Erklärung ihrer Lebenswelt verwendet, kontingent sind, daß andere Menschen andere Spiele spielen und daß nichts von all‘ dem einer anderen Art, über die Welt zu reden, vorzuziehen ist.

166

PhU I, 71 – WW I, 280. BB – WW V, 38/39; EphB – WW V, 179; PhU I, 109 – WW I, 298; PhU I, 124 – WW I, 302. 168 ÜG 559 – WW VIII, 232. 167

6. Rortys liberale Ironikerinnen

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Sie hat viel Zeit damit verbracht, sich darüber Sorgen zu machen, daß sie in den falschen Stamm eingeführt worden sei, daß man ihr beigebracht habe, falsche Sprachspiele zu spielen. Aber sie konnte natürlich kein Kriterium für Falschheit beibringen. Das hat sie zu einer Nominalistin gemacht. Sie glaubt nun nicht mehr, die Dinge besäßen eine ihnen zukommende Natur, ein Essenz 169. Auch das menschliche Selbst ist nicht mehr als ein Netzwerk von Meinungen, von Bedürfnissen und Emotionen. Nichts steht dahinter, es gibt kein Substrat, das Träger dieser Attribute wäre. Eine Person ist mit diesem Netzwerk nur dann identisch, wenn es um moralische oder politische Deliberation geht 170. Von einem Ich zu sprechen, das als eine wesenhafte Entität anzusetzen wäre – etwa als Cartesische res cogitans –, heißt also nichts anderes, als eines der kontingenten Letztvokabularien zu verwenden. Die Ironikerin weiß, daß es Menschen gibt, die auf eine solche Ausdrucksweise nicht verzichten können – sie nennt sie ‚Metaphysiker‘. Solche Leute werden sie als Relativistin 171 bezeichnen und darauf beharren, daß ihre Sprachspiele die einzig gültigen seien, daß allein die Wahrheit zähle 172. 169

Rorty 1989, 74. Rorty 1983, 585/586; vgl. auch Roty 1988, 105. Offensichtlich schimmert hier Humes Theorie des Ich durch: „... nothing but a bundle or collection of different perceptions, which succeed each other with an inconceivable rapidity ...“ (Hume 1981, 252). 171 Niemand sei ein Relativist, stellt Rorty in einer Rede vor der American Philosophical Association fest; denn ‚Relativismus‘ sei die Bezeichnung der Idee, daß jede Ansicht zu einer Sache ebenso gut sei, wie eine andere. In der Praxis komme eine solche Auffassung nicht vor (1980, 727). In einem anderen Sinne freilich akzeptiert er die Bezeichnung für die von ihm vertretene Position, nämlich dann, wenn eine ethnozentrische Auffassung angeboten wird: Wahr ist das, was in meiner Gesellschaft auf diese oder jene Weise gerechtfertigt wird; vgl. 1988, 15. Dem entspricht auch die von Rorty vertretene Auffassung von Rationalität. Er unterscheidet drei Bedeutungen des Begriffs – einmal bezeichne er die Fähigkeit, sich der Umgebung, in welcher man lebe, anzupassen, dann meine man mit ihm die Begründung evaluativer Hierarchien, schließlich sei er synonym mit Toleranz. Die Frage nach der Rationalität laufe für einen Liberalen darauf hinaus, den zweiten Rationalitätsbegriff fallen zu lassen und sich 170

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II. Die Ironie

Solche Metaphysiker sind ursprünglich Anhänger des common sense. Wird der common sense angegriffen, dann macht er zunächst die Regel der Sprachspiele deutlich, die er spielt. Sollten diese Plattitüden nicht ausreichen, wird man sokratisch und stellt die τί ἐστιν-Frage. Dies verwandelt den common-sense-Anhänger dann in einen Metaphysiker, der davon überzeugt ist, einem Begriff seines Letztvokabulars entspreche etwas in einer vom ihm hypostasierten trans-phänomenalen Wirklichkeit; er nimmt also die Differenz von Wesen und Erscheinung an 173, i.e. die metaphysische Differenz, von schon mehrfach die Rede war. Natürlich kann auf der Grundlage des bisher skizzierten Denkens eine Korrespondenztheorie der Wahrheit nicht länger verfochten werden 174. Vielmehr hat genau das als wahr zu gelten, was sich als nützlich erweist. Wahre Sätze sind solche Äußerungen, mit denen man auf die eine oder andere Weise erfolgreich gewesen ist und denen man deshalb attestiert, auch in Zukunft von Nutzen zu sein. Daß Rorty sich mit diesen Angaben in die Tradition des amerikanischen Pragmatismus stellt, ist offensichtlich und wird vom ihm immer wieder betont. Er füllt diesen Begriff so: Sowohl die klassischen als auch die Neo-Pragmatisten sind der Auffassung, daß es hinter der Erscheinung der Dinge kein ihnen in Wirklichkeit zukommendes Wesen gebe, sie ebne daher die Unterscheidung eines Für-uns von einem An-sich zugunsten des Phänomenalen ein. An ihre Stelle rückt die Differenz des Nützlich und des weniger Nützlichen. Was genau nützlich ist, sagen sie nicht, sie geben lediglich die Auskunft, nützlich sei etwas, wenn man es dazu verwenden könne, um eine bessere Zukunft zu gestalten. Auch woran das Besser oder Schlechter Gedanken über das Verhältnis zu machen, das zwischen dem ersten und dem dritten besteht; vgl. 1998b, 186ff. 172 Rorty 1989, 75. 173 Rorty 1989, 74. 174 Vgl. Rorty 1999.

6. Rortys liberale Ironikerinnen

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genau gemessen wird, können und wollen sie nicht angeben; sie halten sich hier vielmehr an einen offenen Fortschrittsbegriff 175. Nach diesen Vorbemerkungen kann abschließend gesagt werden, was man sich unter einem Letztvokabular vorzustellen hat: Alle Menschen besitzen eine Reihe von Wörtern, mit denen sie ihre Handlungen, Überzeugungen und ihre Lebensweise rechtfertigen. Diese Wörter bilden ihr final vocabulary. Es ist das letzte Vokabular, weil man es nur mit zirkulären Argumenten legitimieren kann. Zugleich markiert es die Grenze, bis zu der wir im Gebrauch der Sprache überhaupt kommen können. Jenseits davon gibt es nur hilflose Passivität oder Gewaltanwendung 176. Wir können also immer nur verschiedene final vocabularies betrachten, verfügen aber nicht über ein Kriterium, sie zu beurteilen. Es handelt sich um Bilder, zu denen es kein Original gibt 177. Daraus folgt, daß die Sätze, mit denen man Wahrheitsanspruch erhebt, keine Repräsentationen 178 extramentaler Entitäten bzw. Sachverhalte sind 179. Denn die Rechtfertigungen, von denen die Rede war, finden immer vor einem Auditorium 180 statt, das sie entweder akzeptiert oder zurückweist. Diese Entscheidung erfolgt mit Hilfe des bereits erwähnten Nützlichkeitskriteriums. 175

Vgl. Rorty 1999, 27 f. Rorty 1989, 73. 177 Rorty 1989, 80. 178 Vgl. Rorty 1998, 20; ähnlich schon 1980, 726 – hier allerdings noch unter dem Signum des Pragmatismus. 179 Folgerichtig meint Rorty, daß es George Orwell, wenn er in 1984 Winston Smith in sein Tagebuch schreiben lasse, Freiheit sei die Freiheit zu konstatieren, daß zwei und zwei vier seien, alles weitere folge, nicht darum gehe, ein Recht auf objektive Wahrheit zu reklamieren, sondern darum, daß man sagen könne, wovon man überzeugt sei, ohne dafür bestraft zu werden – vgl. 1989, 176. Zur Kritik dieser Lesart vgl. Conant 2000, 278 ff.; Conant kommt zu dem Schluß, daß Orwells Auffassung des Liberalismus der von Rortys Ironikerin vollständig entgegengesetzt sei (310). 180 Vgl. Rorty 1998, 22. 176

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II. Die Ironie

Nach diesen Überlegungen scheint Rorty vor ähnlichen Schwierigkeiten zu stehen wie schon der Pyrrhonische Skeptiker 181: Er muß die Frage beantworten, wie seine Ironikerin überhaupt lebensfähig sein soll in einer Welt, in der wir einiges für sicher und unumstößlich halten müssen, damit wir uns zurechtfinden können. Sextus löste das Problem durch den Opportunismus des Pyrrhonikers – er riet, so zu leben, wie die Umgebung es vorexerziert, auch dann, wenn man in einer Tyrannis leben sollte. Rortys Ausweg ist dem nicht unähnlich, wiewohl er andere politische Verhältnisse voraussetzt. Zunächst trennt er – wie schon mehrfach betont – strikt zwischen einer Sphäre des Privaten und des Öffentlichen. Ironie wird in den ersten Bereich verbannt, die öffentliche Sphäre 182 bleibt ironiefrei; denn die Jugend einer Gesellschaft könne nicht heranwachsen, wenn man sie lehre, das jeweilige Letztvokabular sei kontingent 183. Nach dieser ersten Vorsichtsmaßnahme stellt er fest, daß die Ironikerin – politisch eine Liberale 184 – sich überhaupt nur dann entfalten könne, wenn sie in einer Gesellschaft lebe, die ihre li181 Rorty selbst ist weit davon entfernt, sich als einen Skeptiker zu bezeichnen. Vielmehr unterstellt er Philosophen dieser Provenienz, sie hielte an der Vorstellung fest, unser Denken repräsentiere die Außenwelt, und leugneten dann, daß dies wirklich geschehe – vgl. Rorty 2000, 5. Hält man sich freilich an Nozicks Definition eines Skeptikers – „The skeptic argues that we do not know what we think we do“(1981, 167) –, dann erzeugen Rortys Ironikerin und ein skeptischer Philosoph dasselbe Resultat: Mißtrauen einem zuvor für sicher gehaltenen Wissen gegenüber. 182 Es ist – gewiß mit Recht – darauf hingewiesen worden, daß unter den Verhältnissen moderner Staatlichkeit, eine saubere Trennung zwischen dem, was als privat, und dem, was als öffentlich zu gelten hat, nicht mehr so leicht zu finden ist. Insbesondere die Segnungen des Wohlfahrtsstaates haben Lebensbereiche in das Licht der Öffentlichkeit geholt, die zuvor durchaus nur den einzelnen Betroffenen etwas angingen – z. B. Krankheit und Gesundheit, Armut und Reichtum etc. – vgl. Willkes Kritik an Rorty (1996, 87 f.). 183 Vgl. Rorty 1989, 87. 184 Diese Kennzeichnung hat Rorty die Einschätzung eingetragen, seine Vorstellungen seien nichts anderes als „an old- fashioned version of cold war liberalism dressed up in fashionable ‚post-modern‘ discourse“ (Bern-

6. Rortys liberale Ironikerinnen

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beralen Werte teile, es also zulasse, daß man ihr Letztvokabular belächelt 185. Damit ist die Tyrannis ausgeschlossen. Hinzu kommt schließlich, daß gewisse Werte einer universalistischen Ethik von der ironischen Negation verschont bleiben, etwa die Auffassung, Grausamkeiten seien zu vermeiden, die Menschen besäßen gleiche Rechte etc. 186; das heißt freilich nicht, daß man hier von der Dignität ewiger Werte 187 auszugehen hätte, vielmehr liegen lediglich historisch kontingente kulturelle Fakten vor 188, deren Annehmlichkeiten die Ironikerin freilich zu schätzen weiß. Die Überlegungen kulminieren in der These, daß die liberale Demokratie die Philosophie nicht brauche 189; denn das Vokabular, in dem ihre Werte formuliert würden – allen voran die Solidarität – sei über die Jahrhunderte hinweg seiner theologisch-philosophischen Voraussetzungen beraubt worden, ohne daß dabei auch die in ihm steckende rhetorische Macht verloren gegangen sei. Diese will Rorty keinesfalls abbauen; nur ihre philosophischen Voraussetzungen sollen getilgt werden 190. Ob beides zugleich zu haben ist, erweist sich hier als das Zentralproblem der Überlegungen, die Rorty vorlegt. Denn der Einwand, die rhetorische Macht der Rede von Solidarität stein 1987, 556). Daß diese Einschätzung kaum zutreffen dürfte, wird schnell klar, wenn man in Betracht zieht, wie Rorty den Begriff des Liberalismus inhaltlich füllt. Mit Bezug auf eine Definition, die Judith Shklar geliefert hat (1984, 44), nennt er denjenigen einen Liberalen, für den Grausamkeit das größte Übel ist (1989, 146). Eine solche – gewiß eigenwillige – Begriffsbestimmung dürfte mit dem, was Bernstein den Liberalismus des Kalten Krieges nennt, nichts zu tun haben. 185 Vgl. Rorty 1989, 91. 186 Vgl. Rorty 1989, 88. 187 Von ewigen Werten, so Rorty, spreche man immer dann, wenn einem die Argumente ausgegangen seien – vgl. 1999a, 83. 188 Vgl. Rorty 1998a, 170; 1999a, 84. 189 Vgl. Rorty 1988a, 87. Rawls habe mit seiner Theory of Justice nachgewiesen, daß dem so sei (Rorty 1988a, 88). 190 Vgl. Rorty 1988, 192.

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II. Die Ironie

ruhe gerade auf ihren theologisch-philosophischen Implikationen, ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn man will, daß dies so bleibt, hätte man sich die Feststellung zu verkeifen, daß derlei Voraussetzungen lediglich metaphysischer Wahn seien. Rorty tut gut daran, seiner Ironikerin Hausarrest zu verordnen, wenn sie zu solchen Erklärungen ansetzt. Die letzte Überlegung weist die Richtung, in die man sich wenden muß, wenn die Konsistenz des Rortyschen Pragmatismus überprüft werden soll. Es steht zu erwarten, daß er – wie alle Relativisten – mit dem Selbstanwendungsdilemma zu kämpfen hat. Für den Wahrheitsbegriff hat Russell 191 das Ausschlaggebende gesagt. Er stellt fest, wenn man annehme, wahre Sätze seien solche Äußerungen, die gute Folgen zeitigten, dann sei diese Feststellung – wende man die Theorie auf sich selber an – ihrerseits nur wahr, wenn sie gute Folgen habe et ad infinitum 192. Rorty muß daher für die Sätze des pragmatischen Philosophen die Korrespondenztheorie der Wahrheit ansetzen, die er für unsere alltäglichen Äußerungen außer Kraft setzen will. Nur so läßt sich der infinite Progreß vermeiden. Gleiches gilt für den Bereich des Praktisch-Politischen. Die Ironikerin muß schweigen, wenn es um die Rechtfertigung von Menschenrechten geht, um das Postulat der Solidarität und um die Notwendigkeit, Grausamkeiten zu vermeiden. Tut sie es nicht, dann ist ihre politische Religion in Gefahr 193; denn 191

Rorty erwähnt Russells Ablehnung des Pragmatismus, setzt sich aber nicht wirklich mit ihr auseinander – vgl. 1999, 23. 192 Russell 1972, 817. An anderer Stelle liefert Russell ein argumentum ex consequentibus: Wenn Erfolg das Wahrheitskriterium sei, dann dürften letztlich Panzerschiffe und Maschinengewehre den Ausschlag geben – vgl. 1980, 96. Die These, dem Relativismus sei Gewaltfreiheit gleichsam in die Wiege gelegt, erwiese sich demnach als eine Illusion. 193 Eben dies hat Rorty den Vorwurf eingetragen, kein rechter Liberaler, aber auch kein wirklicher Ironiker zu sein: ein dem Liberalismus in der Tat Verpflichteter gehe von der Nachweisbarkeit seiner Grundsätze aus, ein durch und durch ironischer Mensch spare nichts aus, wenn er sein Geschäft der Negation aufnehme – vgl. Schäfer 2001, 192.

6. Rortys liberale Ironikerinnen

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was anderes als eine säkularisierte Form der Nächstenliebe ist schließlich die Solidarität? Wenn man freilich ihre Unbegründbarkeit proklamiert und zudem anrät, entsprechende Fragen einfach nicht zu stellen, dann agiert man im Felde der Philosophie so, wie Russell es Thomas von Aquin vorgeworfen hat: Thomas sei kein rechter Philosoph, stellt er fest, weil er nicht bereit sei, sich in die Richtung zu wenden, welche philosophische Argumente wiesen; denn er kenne die Wahrheit schon, bevor er das philosophische Geschäft überhaupt aufnehme 194. Rorty agiert ganz ähnlich. Solidarität, Menschenrechte etc. gelten ihm fraglos, weil sie Teil der politischen Kultur sind, die er vorfindet oder vorzufinden meint. Philosophisch gibt es an ihnen nichts mehr zu deuteln; ja die Philosophie scheint überhaupt überflüssig geworden zu sein 195. Daß die beschworenen Rechte bzw. Handlungsnormen damit auf dem gleichen Niveau angesiedelt sind wie unsere Tischmanieren, scheint nicht weiter zu stören 196.

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Russell 1972, 463. Habermas hat gewiß recht, wenn er feststellt, Rorty verfolge ein philosophisches Programm, das darauf hinauslaufe, mit der Philosophie ein für allemal Schluß zu machen – vgl. 2000, 32. Ein ähnlicher Vorwurf wird von Kettnert erhoben (2001, 205). Auch in dieser Hinsicht stellt Rortys Denken eine moderne Fortsetzung des Pyrrhonismus dar – denn auch einem antiken Anhänger des Skeptizismus blieb am Ende nur das Schweigen, wenn es um philosophische Fragen ging. 196 In der Diskussion der Thesen Rortys ist häufig darauf hingewiesen worden, daß der von ihm angestrebte gewaltfreie Zustand nicht nur innerhalb einer Gemeinschaft, sondern auch zwischen verschiedenen politischen Entitäten, nur dann zu haben ist, wenn man sich eines universalistischen Vokabulars bedient, welches den Diskutanten glaubhaft macht, man teile gewisse Werte – vgl. exemplarischen Reese-Schäfer 1991, 133. Zur Kritik am ‚social relativism‘ vgl. Raz 1999. Searle hat den Perspektivismus des 20. Jahrhunderts, zu dem er auch Rortys Position zählt, damit erklärt, daß es sich um eine wissenschaftsfeindliche Position handle, um einen Willen zur Macht, welcher sich gegen den Führungsanspruch der harten, empirisch fundierten Disziplinen wende (1999, 19 u. 33, vgl. auch Searle 1995, 158); er gesteht freilich zu, dass diese Feststellung zwar psychologisch bedeutsam sei, philosophisch aber kein Argument darstelle (1999, 20). 195

Nachbereitung Die voranstehenden Darlegungen haben im Gang durch die einschlägigen Theoreme das Material geliefert, die im Titel des Buches genannten Begriffe in ihrem Bedeutungsgehalt und ihrer Interaktion aufleuchten zu lassen. Hier nun sollen sie systematisch behandelt und abschließend in Zusammenhang gebracht werden. Ich beginne mit dem nicht titelgebenden Terminus ‚Relativismus‘, der in der Konstitution dessen, was man als ironisch bezeichnet, eine so ausschlaggebende Rolle spielt: Der Relativismus ist eine Geisteshaltung, die man entweder theoretischen oder praktischen Fragen gegenüber einnimmt. Die ersten lassen sich zu dem Problem: Was ist sicheres Wissen? zusammenziehen, die letzteren zu der Frage: Was ist richtiges Handeln? Im Felde der Theorie ist man genau dann kein Relativist, wenn man annimmt, daß sich nicht-standortgebundene Erkenntnisse formulieren lassen, i.e. solche Einsichten, die nicht dadurch zustande kommen, daß ein Subjekt (S th) an einer bestimmten Raum- / Zeitstelle (O / T) in einer gewissen Verfassung (V) und unter gewissen Umständen (U) sie formuliert. Wäre dem so, dann hätten sie nur Gültigkeit für S an O / T und zwar für ein S, das sich unter U in V antrifft. Beispiel: Ein Reisender (S th1), der einen langen Weg durch eine Wüste hinter sich gebracht hat (U / O) und daher erschöpft ist (V), konstatiert um 12 Uhr Mittags (T), er nehme in der Ferne die Palmen einer Oase wahr. Einem ausgeruhten (V) Menschen (S th2), der das Gebiet im Flugzeug überfliegt (U / O), erscheint um 12 Uhr Mittags (T) nichts dergleichen. Im Felde des Praktischen ist man genau dann kein Relativist, wenn man annimmt, daß sich nicht-standortgebundene mora-

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lische Normen formulieren lassen, i.e. solche Regeln, die nicht auf die Einwirkung der Faktoren O, T, V, U und S zurückzuführen sind. Beispiel: Ein furchtsamer Reisende (S p1) trifft spät in der Nacht (T) an einem Ort, der ihm keinerlei Möglichkeiten der Flucht bietet (O), auf einen bewaffneten Räuber, der ihn zur Aushändigung seiner Barschaft auffordert (U), was ihn in panischen Schrecken versetzt (V), so daß ihm eine Übergabe seines Geldes die einzig vertretbare Handlungsweise zu sein scheint. Ein couragierter Reisenden (S p2), den der Räuber an O / T auf die gleiche Weise bedroht (U), läßt sich nicht ins Bockshorn jagen (V), er meint vielmehr, daß er dazu verpflichtet sei, das zur Ernährung seiner vielköpfigen Familie nötige Geld zu verteidigen. Relativist ist man mithin genau dann, wenn man behauptet, nichts habe absoluten Charakter, alles gewönne seine Bedeutung / Gültigkeit nur daraus, daß es zu etwas anderem in einer bestimmten Beziehung stehe. Ändere sich die Korrelation, dann wandelten sich auch Bedeutung und Gültigkeit. Daß der Skeptiker ein Relativist ist, haben die Ausführungen zum πρός τι bei Sextus gezeigt. Daß die praktizierte Ironie der dissimulatio sich relativistischer Argumentationsgänge bedient, dürfte auf die gleiche Weise klar geworden sein. Die deutschen Romantiker sind es, die aus dem Hin und Her der Perspektiven eine Lebensprinzip machen, das sie vorzüglich in der Kunst verwirklicht sehen. Nietzsche schließlich krönt den Relativismus dadurch, daß er das Selbstanwendungsdilemma zur Regel des ironischen Philosophierens macht. Rorty fügt die Stränge zusammen und baut zugleich einen Schutzraum für seine Ironikerin. Ihre Toleranz mag in die öffentlichen Debatten ausstrahlen, die Werte der westlich-liberalen Tradition sind jedoch vor ihr gesichert. Nur im privaten Bereich darf sie sich skeptisch-relativistisch austoben. Rorty läßt also nur einen theoretischen, keinen praktischen Relativismus zu. Denn er will uns ethnozentrisch auf die in der westlichen Kultur gewachsenen Werte verpflichten. Diese aber können ihre Kraft nur entfalten, wenn man sie als selbstevidente praktische Wahrheiten ansieht.

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Die Überlegungen, die in diesem Buch ausgebreitet worden sind, stellen das Material bereit, eine Umkehrung des von Rorty angesetzten Verhältnisses für sachangemessener zu halten: Nicht die Sphäre des Praktischen muß freigehalten werden von einer relativierenden Ironie, sondern das Theoretische. Dies kann deutlich werden, wenn man die Überlegungen noch einmal gerafft betrachtet. Mit der Ironie steht – wie häufig herauszustellen in diesem Buch Gelegenheit war – sowohl der theoretische als auch der praktische Relativismus in enger Verbindung. Zunächst wird das kaum sichtbar, weil die Alltagssprache den Begriff im Sinne der simulatio verwendet und dabei einen Gedankentropus im Sinn hat: Es gilt eine gegnerische Person bzw. Partei dadurch der Lächerlichkeit preiszugeben, daß man auftritt, als sei man einer der ihren, dabei aber Signale gibt, welche das Faktum zu decodieren ermöglichen, daß hier lediglich ein Ähnlich-Machen vorliegt. Gelingt die Ironie als Gedankentropus, dann ist der Opponent desavouiert. Die soeben gekennzeichnet Art der Ironie ist philosophisch bedeutungslos, nicht zuletzt deshalb, weil sie lediglich rhetorisch-technischen Charakter hat. Bedeutsamer ist die dissimulatio, die es dem ἰδιότης erlaubt, den eigenen Standpunkt zu verbergen. Aus ihr resultiert schließlich die Sokratische Ironie, welche als Mittel gegen den Relativismus der Sophisten eingesetzt wird. Der Athener Philosoph macht mit ihrer Hilfe die Meinungen seiner Mitmenschen wanken, er reißt das in seinen Augen windschiefe Gebäude des common sense ein, um auf dem dann frei werdenden Grund einen Tempel der Wahrheit zu errichten. Die Annahme, daß dies am Ende die Platonische Ideenlehren sein werde und die mit ihr inaugurierte Metaphysik, ist gewiß dann nicht mehr mit Schwierigkeiten verbunden, wenn man die vieldiskutierte Frage nach einer möglichen Differenz eines historischen und des von Platon präsentierten Sokrates ignoriert. Auf die sokratische Ironie berufen sich die deutschen Romantiker. Ihr Sprachrohr, Friedrich Schlegel, verwandelt das

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Mittel des philosophischen Diskurses freilich in eine Geisteshaltung, in welcher sich Relativismus und Ironie vermählen. Das wäre nicht möglich ohne das Phänomen der Skepsis, i.e. des Pyrrhonismus, der ein Verfahren entwickelt, in seinen Augen dogmatische Ansprüche durch Stärkung denkbarer Gegenpositionen so lange zu traktieren, bis Gleichwertigkeit von Pro und Contra erreicht ist: Isosthenie. Ist dieser Zustand eingetreten, dann entschließen sich die Diskutanten, sich eines Urteils zu enthalten, was zur Ataraxie führen soll – die Seele ähnelt dann einem völlig glatten Meeresspiegel, weil nichts mehr sie erregen kann. Alltagstauglich soll der mit ironisch erwirkter Isosthenie gegen jeden Dogmatismus immunisierte Skeptiker werden, indem man ihn, was seine Lebensgestaltung angeht, zu einem bedenkenlosen Opportunismus auffordert. Seinen Bewußtseinsinhalten gegenüber soll er die Haltung einer naiven Unmittelbarkeit einnehmen. Die deutschen Romantiker übernehmen nicht das Ziel des Pyrrhonismus, es geht ihnen nicht um Ataraxie. Denn sie wollen, daß der Prozeß ironischen Negierens eines schon Negierten nie zu einem Ende kommt. Die Ironie gewinnt bei ihnen totalen Charakter. Es ist diese – bei Nietzsche, aber auch beim späten Wittgenstein unter anderen Etiketten zu findende – Geisteshaltung, die in den gegenwärtigen politiktheoretischen Debatten eine Rolle spielt. Sie läßt sich systematisch so darlegen: Nicht lediglich im rhetorischen, sozialen, mäeutischen, sondern im umfassenden Sinne der Romantiker ironisch ist jemand, der keine denkbare Position theoretischen oder praktischen Raisonnierens bestehen läßt, sondern sie durch Hinweis auf denkbare gegenteilige Auffassungen oder Handlungsvorstellungen negiert. Ein Blick auf das hier sofort drohende Selbstanwendungsdilemma zeigt schnell, daß sich dieser Anspruch theoretisch nicht durchhalten läßt. Dies wird deutlich, wenn man die denkbaren Formen theoretischer Skepsis betrachtet.

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Zunächst sind der negative und der positive Dogmatismus zu konfrontieren. Dogmatisch ist man, wenn man meint, definitive Aussagen seien möglich. Negativ dogmatisch konstatiert man ‚S ist nicht p‘, positiv dogmatisch hingegen ‚S ist p‘. Beiden Haltungen steht der Skeptizismus gegenüber. Hier stellt man fest: ‚Ob S p oder ob S nicht p ist, läßt sich nicht / noch nicht sagen‘. Zu den bisherigen Unterscheidungen kommt die Differenzierung eines ontologischen von einem epistemologischen Auftreten. Epistemologisch sind Dogmatismus bzw. Skeptizismus, wenn Aussagen über die Erkennbarkeit einer Entität, einer Klasse von Entitäten oder aller Entitäten schlechthin gemacht werden. In den ersten beiden Fällen findet eine spezielle, im letzten eine generelle Applikation 1 statt. Ontologisch äußert man sich hinsichtlich der Existenz von etwas, das den Anspruch erhebt, den Charakter einer Entität aufzuweisen, in spezieller Applikation bezüglich eines einzelnen, einer Klasse, in genereller Applikation bezüglich aller Klassen. Die spezielle Applikation kann im folgenden vernachlässigt werden. Zu betrachten sind nur die epistemologischen bzw. ontologischen Aussagen über alle Klassen, da das Feld der ironischen Negation ja unendlich sein soll. Wenn man die drei Haltungen, die zwei Formen des Dogmatismus und den Skeptizismus, mit den beiden Spielarten, der ontologischen und der epistemologischen, kombiniert, so erhält man bei genereller Applikation neun Theorietypen, deren Mehrzahl aber ganz unsinnig ist; nur zwei Auffassungen sind vertretbar. Die eine ist ein positiver Dogmatismus, der die Existenz sowie die Bestimmbarkeit gewisser Entitäten behauptet. Die zweite Gestalt ist der epistemologische und ontologische Skeptizismus, der sich des Urteils enthält. Bei spezieller Applikation tritt eine dritte Position hinzu, ein ontologischer und 1

Vgl. Hankinson 1995, S. 15 ff.

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epistemologischer negativer Dogmatismus, der sich nicht auf alles und jedes bezieht, denn bei genereller Applikation zeigt sich sofort eine Gestalt des Selbstanwendungsdilemmas: Man konstatiert in Form einer Erkenntnis die Unerkennbarkeit. Eine weitere Gestalt findet sich dann, wenn man innerhalb einer Argumentation von einer skeptischen zu einer dogmatischen Position übergeht. Dieser Gefahr erliegt nun die von den Romantikern postulierte totale Ironie; sie verlangt schrankenlose Negation, die auch vor dem negierenden Subjekt nicht Halt machen darf. Dabei bleibt freilich eines unnegiert, das Postulat des Negierens nämlich. Theoretisch ist die Ironie mithin undurchführbar. Es verbleibt ihr nur das Feld der Praxis, also der Bereich, aus dem Rorty sie gerade verbannen will. Tritt die Ironie in das Feld des Praktischen, dann ist ihr Protagonist – so Thomas Manns Behauptung – immer ein Konservativer. Die folgenden Überlegungen werden zeigen, daß der Konservatismus für sein Auftreten keine bestimmte historische Konstellation 2, sondern nur eine gewisse Zeitvorstellung voraussetzt, die jeder Geschichtsmetaphysik abhold ist. Er ist also keine der politischen Strömungen, die aufkommen und wieder verschwinden, sondern unter ganz verschiedenen Bedingungen denkbar, solange nur eine lineare Zeitkonzeption das Denken der Menschen beherrscht und gewisse Zeitgenossen darauf eine geschichtsmetaphysische Welterklärung gründen. Die Richtigkeit dieser Behauptungen ergibt sich aus einer Analyse der Rede von politischem Handeln, ja von Handeln überhaupt. Ein Subjekt (S) handelt zu einem gewissen Zeitpunkt (t 0) und bewirkt damit etwas (R), das sich erst einstellt, wenn die Aktion schon begonnen hat bzw. wenn sie bereits abgeschlossen ist. R tritt also an einer Zeitstelle auf, die hinter t 0 liegt, i.e. an t 0+n.

2 Anderer Auffassung ist Kondylis, der alle Phänomene des Konservatismus in ihrer Historizität untergehen lassen will – vgl. 1986, 11.

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t0-n

S

R

t0

t0+n

S nimmt seine Tätigkeit mit Blick auf drei Weltzustände (W) auf, welche aufeinander bezogen sind. Der erste (W g) stellt die jeweils gegenwärtige Lage dar, die das Subjekt an t 0 vorfindet. Damit Wg beurteilt werden kann, muß die Möglichkeit bestehen, diesen Zustand mit wenigstens einem anderen in der Vergangenheit liegenden Wv zu vergleichen. Eine Vergleichssituation, also Wv, hat das Subjekt deshalb nur an zurückliegenden Zeitpunkten (t 0-n) beobachten können, weil es unmöglich ist, daß kontemporär mehr als ein Weltzustand vorliegt. Als Wr läßt sich schließlich das durch das Handeln angestrebte in der Zukunft liegende Resultat (R) bezeichnen. Die drei Weltzustände sind nun so aufeinander bezogen, daß Wg an Wv, also die Gegenwart an der Vergangenheit gemessen, wird, woraus das Postulat von Wr resultiert. Die Einschätzung von Wg und Wv bestimmt die Disposition, aus der heraus Wr angestrebt wird. Man kann von einer auf Restitution gerichteten Disposition sprechen, wenn Wr eine Wiederherstellung von Wv sein soll. Ein nicht-politisches Beispiel wären hier die Bemühungen von Zoologen, in Gefangenschaft gehaltene Tiere auszuwildern, um einen ursprünglichen und für naturgeboten erachteten Zustand wiederherzustellen, der durch Eingriffe des Menschen verloren gegangen ist. Auch die Rücknahme gewisser Landschaftsbaumaßnahmen, etwa von Flußbegradigungen, kann als restitutives Handeln aufgefaßt werden. Politisch restitutiv ist es, wenn eine Partei im Wahlkampf verspricht, sollte sie die Mehrheit bekommen, werde sie ein von der Regierung erlassenes Gesetz wieder aufheben und damit einen status quo ante wiederherstellen, der viel gerechter gewesen sei. Konservativ ist man hingegen disponiert, wenn man meint, Wg sei in seinem Bestand bedroht, und deshalb danach strebt,

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daß Wg durch die Herbeiführung von R perpetuiert wird. Auch hier mag man ein Beispiel aus unserem Umgang mit der Tierwelt heranziehen, etwa die durch Überfischung bedrohten Bestände an gewissen Meerestieren, deren Erhalt durch bestimmte Maßnahmen garantiert werden soll. Im Felde des Wirtschaftens wäre eine solche Anlagestrategie, die darauf ausgerichtet ist, die Vermögenssubstanz zu erhalten, ‚konservativ‘ zu nennen. Aus dem Bereich der Politik schließlich läßt sich konservatives Handeln mit den Aktivitäten illustrieren, die eine Regierung unternimmt, um eine Schrumpfung der Bevölkerung zu verhindern. Progressiv schließlich ist man orientiert, wenn man meint, Wg stelle Wv gegenüber zwar einen Fortschritt dar, der aber durch die Schaffung von Wr weiterentwickelt werden könne oder gar müsse. Beispiele für eine solche Disposition finden sich insbesondere in der Welt der Technik, etwa wenn man die ersten Automobile mit gegenwärtigen Modellen vergleicht und dann über Möglichkeiten nachdenkt, zu weiteren Optimierungen zu gelangen. Politisch finden sich viele Beispiele einer Fortschrittsrhetorik – häufig im Zusammenhang emanzipatorischer Projekte, deren Dringlichkeit man dadurch zu erweisen sucht, daß man aus der Vergangenheit herrührende und in der Gegenwart fortbestehende Zustände als rückständig anprangert. Dem restitutiv Orientierten liegt also an einer Wiederherstellung von Wv, er schaut angesichts seiner Gegenwart sehnsuchtsvoll auf die Vergangenheit. Dem Konservativen hingegen geht es um die Bewahrung von Wg, er steht ganz in seiner Gegenwart. Dem progressiv Denkenden schließlich ist die Überwindung von Wg Herzensangelegenheit, sein Blick richtet sich auf eine bisher unerreichte Zukunft, vor der alles Vergangene und Gegenwärtige verblassen soll. Die Prämisse aller drei Dispositionen wird erst deutlich, wenn man nicht, wie die gewählten Beispiele es nahelegen, davon ausgeht, daß man von Fall zu Fall eine restitutive, eine konservative oder einer progressive Haltung einnimmt, sondern daß politisches Handeln grundsätzlich von einer der drei Dispositionen geprägt sein soll. Das ist dann der Fall, wenn

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Menschen von ähnlicher Ausrichtung sich zusammenschließen und ein Parteiprogramm entwerfen, welches die Rückkehr zur guten alten Zeit verlangt, die Gegenwart bewahren oder als mittelalterlich empfundene Zustände endlich beenden will. Was alle drei Parteien gemeinsam haben, ist die Vorstellung, daß die Zeit einen linearen Verlauf nehme, also nicht etwa mit der Wiederkehr des ewig Gleichen zu rechnen sei. Die restitutiv Gesonnenen unterscheiden sich von den Progressiven dadurch, daß sie keine aufsteigende Zeitlinie annehmen, sondern sich im Zustande eines bereits eingetretenen Verfalls wähnen, den sie glauben rückgängig machen zu müssen. Die Konservative hingegen würden den Geschichtsverlauf weder als eine Kette von Fortschritten noch als Niedergang begreifen, sondern lediglich annehmen, es drohe zwar ein Verlust, er sei aber nicht so weit vorangeschritten, daß sich die Gegenwart nicht bewahren ließe. Die Fortschrittlichen endlich beschimpfen die Konservativen und erst recht die restitutiv Gesonnenen mit der Bezeichnung ‚Reaktionäre‘ und bemühen sich nach Kräften, die Reihe der Progressionen weiterzuschreiben. Im Gegensatz zu den Konservativen rüsten die auf Restitution bzw. auf Progression ausgerichteten Projekteure ihre Projekte häufig geschichtsmetaphysisch auf. Das heißt im einzelnen: Man nimmt eine Gangstruktur der Geschichte an, der zu entnehmen sei, welchen Verlauf die menschlichen Dinge welcher Regel folgend nehmen. Nur deshalb ist in ihren Augen dann auch eine Prognose möglich 3. Metaphysischen Charakter 3 Hannah Arendt erklärt den Wunsch nach einem geregelten Gang der Geschichte so: Dem Prozeß der Geschichte einen Sinn, eine Richtung zu unterstellen, heißt dem Ungefähr, das mit allem Handeln verbunden ist, wehren zu wollen. Man nimmt hier an, daß zwar eine individuelle Tat in ihren Ergebnissen nicht überschaubar ist, sehr wohl aber die Gesamtheit aller historischen Ereignisse. So versucht man der Sphäre des Politischen den Anstrich des Sinnvoll-Bedeutungsvollen zu geben (Arendt 1985, 85). Hinzu kommt der legitimatorische Mehrwert, den geschichtsmetaphysische Konstruktionen für den Politiker abwerfen. Lübbe kennzeichnet ihn so: „Die in politische Ideologie transformierte Geschichtsphilosophie

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hat eine solches Unterfangen ganz in dem Sinne, der in den Kapiteln zu den Pyrrhonikern und zu Nietzsche entwickelt worden ist: Man interpretiert die historischen Phänomene als Erscheinungen einer trans-phänomenalen Regel, welche zu entdecken die Geschichte zu verstehen heißt. Ist das gelungen, dann hat man in den Augen der Projekteure die Möglichkeit gewonnen, den politischen Alttag zu gestalten – entweder, indem man den Verfall bremst und alte Zustände wiederherstellt oder aber indem man dem Fortschritt dabei unterstützt, die Geschichte ins Ziel zu bringen. Im einzelnen vollzieht man folgende Schritte: (1) Die Sukzession beobachteter historischer Ereignisse wird nicht als ein Nach-, sondern als ein Auseinander aufgefaßt, i.e. man rechnet nicht mit einem kontingenten Geschichtsverlauf. (2) Man sucht nach einer Regel, welche das Auseinander steuert, also nicht nur für die Abfolge einzelner Ereignisse verantwortlich ist, sondern für die Gesamtheit des historischen Geschehens. (3) Nach Auffindung der gesuchten Regel wird es nicht nur möglich, die Geschichte zu verstehen, sondern auch ihren weiteren Verlauf zu manipulieren. (4) Die Manipulation der historischen Ereignisse wird als politisches Handeln interpretiert, obwohl man es hier weit eher

stattet ... ihre Subjekte mit einer unüberbietbaren Legitimität aus. Sie vermittelt Einsicht in den epochalen Geschichtsverlauf, und sie vermittelt ihren Subjekten mit dieser Einsicht zugleich die Zusatzeinsicht, wieso sie, kraft ihrer Position im Geschichtsverlauf, die bislang Ersten und Einzigen sind, die der Einsicht in eben diesen Geschichtsverlauf überhaupt fähig sind. Daraus ergibt sich die Selbstzuschreibung der Rolle, als Partei bereits gegenwärtig die Zukunftsmenschheit in Vorhutgestalt zu repräsentieren. Wer aber bereits heute weiß, in welcher zukünftigen Gesellschaftsverfassung die Menschheit zu sich selbst kommen wird, hat auch das Recht, ja die Pflicht, die entsprechenden aktuellen Fälligkeiten politisch verbindlich zu machen“ (Lübbe 1990, 248).

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mit einem Akt der Produktion, also mit einem Herstellen zu tun hat. (5) Der Bestimmung des Zieles aller Politik liegen Wertvorstellungen zugrunde, die nicht thematisiert, sondern als gültig vorausgesetzt werden. Daß man unter diesen Voraussetzungen kein Ironiker sein kann, dürfte auf der Hand liegen; denn eine skeptische Haltung wird – wie am Beispiel der Pyrrhoniker und Nietzsches vorgeführt – keine Geschichtsmetaphysik zulassen, sondern sie so negieren, wie es die Metaphysikkritik vorexerziert hat. Eben dies ist die Haltung des Konservatismus. Ihm ist der Geschichtsgang kontingent. Im einzelnen ist hier folgendes gemeint: Historische Ereignisse sind nicht kausal korreliert, aber auch nicht gänzlich zufällig, sondern sie berühren sich gleichsam wie die Steine einer Mauer, die durch kein Bindemittel zusammengehalten werden, sondern lediglich aufgrund ihrer Form einen Wall bilden. Ausschlaggebend ist hier allein die ins Auge springende Nachbarschaft – der Natursteine wie der Ereignisse. Hinzu kommt die Tatsache, daß die Korrelation zweier Ereignisse nicht exklusiv ist. Daher besitzen historische Ereignisse keine Notwendigkeit 4. Geschichtsmetaphysischen Anstrengungen gegenüber verhält sich der von einer so bestimmten kontingenten Korrelation historischer Ereignisse ausgehende Konservative durchaus und allenthalben ironisch. Er weist in einem ersten Schritt, wenn er ein philosophisches Training besitzt, auf das Faktum hin, daß die Vorstellung, der Geschichte lasse sich eine Regel entnehmen, nach der ihre Ereignisse in eine gewisse Gangstruktur gepreßt werden, nur den Beobachtungen der bisher vom Theorieproduzenten selbst erlebten Fakten bzw. den von ihm rezipierten Berichten entnommen sein kann, daß aber durchaus die Mög4 Das Beispiel wie auch die gesamte Erklärung der Kontingenz findet sich bei Oakeshott (1999, 102 f.).

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lichkeit bestehe, in Zukunft gänzlich andere facta anzutreffen, welche die Regelbildung ad absurdum führten 5. Oakeshott hat diesen Einwand noch verschärft. Er stellt fest, was man ein Gesetz der Geschichte oder des historischen Wandels nenne, beziehe sich gar nicht auf die faktischen Gegebenheiten, mit denen ein Historiker umzugehen und die er zu verstehen habe, sondern auf Modell-Situationen, welche das Gesetz liefere, mit dem man hantiere 6. Einen zweiten Angriffspunkt findet die konservative Ironie an der Stelle, an der Wertungen ins Spiel kommen, die nur gesetzt sein können, weil sich dem Faktischen nichts Normatives entnehmen läßt. Wie eine solche Kritik literarische Gestalt gewinnt, kann man in Thomas Manns Zauberberg nachlesen, wenn der Autor Settembrini und Naphta diskutieren und die Vettern aus Hamburg die Ausführungen kommentieren läßt 7. Die Überlegungen machen deutlich, daß der politische Alltag darin besteht, eine zutreffende Gegenwartseinschätzung zu 5 Das Argument stammt von Kant: „Wenn das menschliche Geschlecht, im Ganzen betrachtet, eine noch so lange Zeit vorwärts gehend und im Fortschreiten begriffen gewesen zu sein befunden würde, so kann doch niemand dafür stehen, daß nun nicht gerade jetzt vermöge der physischen Anlage unserer Gattung die Epoche seines Rückganges eintrete; und umgekehrt, wenn es rücklings und mit beschleunigtem Falle zum Ärgeren geht, so darf man nicht verzagen, daß nicht eben da der Umwendungspunkt (punctum flexus contrarii) anzutreffen wäre, wo vermöge der moralischen Anlage in unserem Geschlecht der Gang desselben sich wiederum zum Besseren wendete. Denn wir haben es mit freihandelnden Wesen zu thun, denen sich zwar vorher dictiren läßt, was sie thun sollen, aber nicht vorhersagen läßt, was sie thun werden, und die aus dem Gefühl der Übel, die sie sich selbst zufügten, wenn es recht böse wird, eine verstärkte Triebfeder zu nehmen wissen, es nun doch besser zu machen, als es vor jenem Zustande war“ (EF – Akad VII, 83). 6 Oakeshott 1999, 82. 7 Gewiß nicht unzutreffend nennt Joachim Fest den Zauberberg „die verklärende Parabel der Mitte“. Die Sympathie seines Autors sei nicht „bei den Parteigängern welcher Richtung auch immer, nicht bei den Advokaten und Bürodienern irgendeines Weltgeistes, überhaupt bei keinen vorgeblichen Wahrheiten, sondern bei den Skeptikern“ (Fest 2007, 199).

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finden, also die Frage zu beantworten, ob das hic et nunc der Vor-Schein einer besseren Ordnung, der Abglanz vergangener Größe oder eine durchaus bewahrenswerte Lebenswelt darstelle. Nur die letzte Auffassung ist die des Konservativen, die anderen beiden gehören zu der Gruppe von politischen Akteuren, die ich im ersten Teil des Buches ‚Projekteure‘ genannt habe. Sie glauben fast immer, nicht ohne eine Theorie auszukommen, die sich nur als eine bestimmte Geschichtsauffassung präsentieren kann. Der Konservative hingegen ist von Hause aus theorielos 8. Dies ist nicht etwa eine Schwäche, sondern unmittelbares Resultat seiner Illusionslosigkeit. Es ist nämlich sein ironisches Wesen, welches dafür sorgt, daß er keiner Geschichtstheorie, die ja immer als eine mehr oder weniger gut getarnte Metaphysik für den praktischen Gebrauch daherkommen muß, trauen mag; die sofort auftretende Negation entlarvt sowohl die Überzeugungen eines Settembrini als auch die eines Naphta als Resultate gegenläufiger Glaubensakte, die sich in das Gewand einer praktischen Philosophie gehüllt haben. Glauben aber mag der in den zurückliegenden Kapiteln skizzierte Konservatismus im Felde des Politischen nichts so recht. Dafür ist er zu skeptisch. Der nicht mehr junge Thomas Mann souffliert seinem fiktiven Erzähler Serenus Zeitblom im Doktor Faustus entsprechende Worte, wenn er ihn einen Vergleich zwischen sich selbst und Adrian Leverkühn ziehen läßt: „Der Glaube an absolute Werte, illusionär wie er immer sei, scheint mir eine Lebensbedingung. Meines Freundes Gaben dagegen maßen sich an Werten, deren Relativität ihm offen zu liegen schien, ohne daß eine Bezugsmöglichkeit sichtbar gewesen wäre, die sie als Werte herabgesetzt hätten“ 9. 8 Dies ist in der einschlägigen Literatur häufig festgestellt worden, sei es, daß man das Faktum lediglich konstatierte (vgl. Quinton 1995, 247), daß man es wohlwollend hervorhob (vgl. Oakeshott 1991, 407) oder aber zum Vorwurf machte (vgl. Greiffenhagen 1986, 63). 9 Mann 2007, 71.

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Personenregister Adorno, Theodor W. 34, 37 Aenesidemus 97 Aristophanes 56, 81, 114 Aristoteles 51, 53, 61, 85, 92f., 97

Kant, Immanuel 26f. Kierkegaard, Søren 112, 115f.

Bacon, Francis 33 Berg, Wolfgang 79 Black, Max 55f., 58 Blumenberg, Hans 66f. Booth, Wayne C. 77 Burke, Edmund 19, 72

Machiavelli, Nicolo 56 Mann, Heinrich 16 Mann, Thomas 16 –20, 28 –30, 74, 117, 127f., 143, 149f. Mannheim, Karl 27, 31f. Marquard, Odo 73 Marx, Karl 33, 35 Mill, John Stuart 26f., 66 Mises, Ludwig von 39f. Montesquieu, Charles de 42

Cicero 92 Clark, Joseph S. 39, 44 de Man, Paul 110 Demokrit 95 Descartes, René 33 Foucault, Michel 17, 44 Goethe, Johann Wolfgang 109f. Habermas, Jürgen 17, 71, 137 Hamann, Johann Georg 33 Hayek, Friedrich A. von 46f. Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 110, 113 – 115 Heidegger, Martin 36 Herder, Johann Gottfried 32 Hoffmannsthal, Hugo von 30

Locke, John 37, 39 –44

Nemo, Philippe 40 Nietzsche, Friedrich 15, 20, 23, 83, 94, 116 – 122, 125 –127, 139, 141, 147f. Nozick, Robert 44 Oakeshott, Michael 21, 28f., 39, 149 Orwell, George 133 Platon 13, 56, 84, 87f., 92, 95, 108, 140 Plutarch 107 Popper, Karl R. 57f. Protagoras 88, 95

170

Personenregister

Pyrrhon 117 – 119, 124

Sextus Empiricus 14, 100 – 107, 120, 134, 139

Quintilian 51 – 53, 77

Shakespeare, William 75f.

Richards, Ivor A. 54f. Ricœur, Paul 51 Rorty, Richard 15, 17f., 20, 50, 83, 93f., 107, 116, 121, 128 – 137, 139f., 143 Rousseau, Jean-Jacques 41, 57 Russell, Bertrand 14, 136f. Scheler, Max 32, 34f. Schiller, Friedrich 110 Schlegel, Friedrich 96, 109 – 113, 118 – 120, 126, 128, 140

94 –98,

Shelly, Mary 27 Sokrates 13f., 82 –87, 91, 93f., 108, 111, 114, 117, 140 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 115 Swift, Jonathan 11f., 24, 110 Theophrast 13 Thomas von Aquin 26, 137 Tieck, Ludwig 110 Tocqueville, Alexis de 29, 65 Walser, Martin 17

Schmitt, Carl 17

Weber, Max 36f.

Searle, John R. 54, 58, 137

Wittgenstein, 129f., 141

Ludwig

15,

95,

Sachregister Adela 103, 106 Agnostizismus 16 anthropologisch 32, 34, 36f. Aphasie 104f. Aporie 90f. Argument 26f. Aristokratie 19 Ataraxie 95, 102, 106, 109, 111, 141

Epoché 14, 20, 102, 106, 118

Bedeutung 58 Bewußtsein 15

Gedankentropus 14, 79, 92, 140

Demokraten 21 Despotismus 26 Differenz, metaphysische 103 – 105, 121, 123f., 126, 131 Diskurs 21 Disposition 21, 23, 28, 31, 38, 45, 47, 50, 67f., 71f., 144f. dissimulatio 13f., 72, 77f., 80 – 82, 85 – 87, 92, 96, 103, 108, 111, 114, 139f. Dogma 94 Dogmatiker 36, 97, 103, 108 dogmatisch 83, 94, 99, 119, 141 Dogmatismus 94, 103f., 141f. Eigentum 41, 43, 71 Enthymem 50, 60, 62 – 65, 72 enthymematisch 19, 66

Etatismus 40, 44f. Evidenz 26 Familie 33 Familienähnlichkeit 130 Fortschritt 17, 22, 35, 71f. Freiheit 15, 30, 41f., 47, 70 –73, 75, 114f.

Gegenwart 17, 27 –29, 32, 34 Gemeinwohl 21 Geschichte 34 Geschichtsklitterung 34 geschichtsmetaphysisch 25, 51, 68, 143, 146 Gleichheit 41f., 70 –72 Glück 95 Handeln 143 Herrschaft 41 – 43, 66 Historizität 33 homo-mensura-Satz 14, 88, 90, 95 Identität 33 imitatio 12 Individuum 44 Innovateur 24, 29f., 45 –47 Innovation 19

172

Sachregister

Interaktionstheorie 55, 58 Intersubjektivität 90 Ironie 12 – 18, 20, 72 – 74, 76 – 79, 81 – 83, 90, 92f., 96, 108 – 117, 128, 134, 140f., 143, 149 Ironie, philosophische 110 Ironie, rhetorische 110 Ironie, soziale 8f., 84f., 91f. Ironiesignal 13, 77, 87 Ironiker 36, 50, 68, 84, 93f., 109, 116, 118, 126, 148 Ironikerin 50, 83, 93, 107, 121, 128, 130f., 133 – 136, 139 Isosthenie 96, 102, 106, 108f., 111, 141 Kognitivisten 51 Konservatismus 16, 19, 21, 23, 25, 31f., 38, 73, 128, 148, 150 konservativ 17, 19, 21, 24f., 27, 31, 38, 46 – 51, 53, 65, 68, 70, 72, 145f. kontingent 27, 61, 72, 130, 134f., 147f. Kontinuität 34 Kontradiktion 12 Konventionen 107 Körpermetapher 19, 27 Kultur-Volk 33 Lebensform 16, 115, 130 Letztvokabular 128f., 131 – 134 liberal 17, 39f. Liberaler 17, 38, 41, 44 – 50, 70, 134 Liberalismus 19, 38, 44f., 128, 135f. Lüge 78, 81f.

Macht 18 Macht, Wille zur 126f. Mäeutik 14, 83, 93, 108 Marxismus 23 Maschinenbild 19, 51 Meinungsfreiheit 24 Metapher 19, 25f., 50 –69, 72 Metapher, absolute 66f. Metaphysik 104, 120 metaphysisch 103, 119f. Metonymie 53 Nation 33 Negation 15, 109, 111f., 142, 150 Nihilist 17 nihilistisch 109 ontisch 15 Opportunismus 109, 134, 141 Organizismus 19, 65 Orientierung 21 Ornamentalisten 51 ornatus 51f. Paradoxon 72, 111 Parteinahme 17 Partikularität 98 Partikularitätsargument 97f. Partizipation 42 Perspektivismus 91, 101, 119f., 125 Persuasion 50 Phänomenalismus 108f. Philodoxie 14, 87f., 90 –93, 108 Politik 18 Politisches 17 Pragmatismus 132f., 136

Sachregister

173

Prodela 103, 106

Skeptiker 94, 96, 97, 100, 105 –107, 119, 127, 139, 149

progressiv 29, 50, 145

Skeptizismus 19, 111, 137, 142

Projekteure 24f., 28, 38, 54, 65, 68 – 70,73, 147, 150

Solidarität 15, 135 –137

Pyrrhoniker 94 – 96, 101, 108, 121, 134, 147f.

Sophisten 14

Pressefreiheit 24

Sollen 27f., 70 Sozialingenieur 57 Sprache 121 – 126

Radikaler 21

Sprachspiel 129 – 132

Radikalist 16

Staat 19, 21, 27f., 30, 44, 54, 58

reaktionär 23 – 25, 29f., 32

Staatskörper 52f., 63

Recht 41f., 71

Staatsmaschine 29, 50, 52, 57

reformatorisch 30

Staatsmetaphern 26, 50

Relation 100

Stabilität 34

Relativismus 14, 89 – 91, 93f., 101, 108, 128, 131, 136, 138 – 139, 141

Subjekt 14f., 28, 65, 97, 100, 113, 143

Relativität 100

Subjektivismus 89f.

Revolution 29, 34f.

Subjektivität 15, 115

Revolution, konservative 30

Substitutionstheorie 52, 54 –56

Revolutionär 34

Syllogismus 59f., 62

Rhetorik 14 f., 51

Synekdoche 52

Romantik 14, 20, 83, 128, 143 Romantiker 109f., 114, 117, 127, 139, 141

Tabuisierung 35, 38 terroristisch 29 Toleranz 15, 70, 131, 139

Seelenruhe 15, 95, 102

Topos 63

Selbstanwendungsdilemma 14, 95, 106, 109, 112, 119f., 127, 136, 139, 141, 143

totalitär 21

Semiotik 103, 119 – 121, 124

Traditionalist 47 – 50, 108

simulatio 12, 14, 77f., 80, 82, 87, 92, 108, 111, 140

Tradition 21, 23, 32 –37, 139 Traditionalismus 19, 32, 34, 36 –38 31,

33,

36,

translatio 52

Skepsis 73, 101, 107, 119, 141

Tropen, skeptische 96 –102

Skepsis, Pyrrhonische 14f., 20, 83, 94, 99, 101, 103, 105, 108f., 120, 134

Tropus 51, 53 Überlieferung 34, 41

45,

174

Sachregister

Überparteilichkeit 21 Urbanität 92, 110 Utopie 22f., 27 Vergangenheit 28, 32 – 34 Vergleich 53 Verhaltensnormierung 34 Wahrheit 16, 78, 92, 94f., 101, 103, 118 – 120, 127, 131 – 133, 136f., 139f., 149

Wahrscheinliches 61 Welt 14, 33 Weltansicht 32 Weltrepublik 29 Weltzustand 144 Worttropus 12, 14, 76 –79, 92 Zentraltropus 97, 100 Zirkelschluß 101 Zukunft 17, 28, 32