Unsere Kinder und der Krieg: Experimentelle Untersuchungen aus der Zeit des Weltkrieges [Reprint 2020 ed.] 9783112379080, 9783112379073

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Unsere Kinder und der Krieg: Experimentelle Untersuchungen aus der Zeit des Weltkrieges [Reprint 2020 ed.]
 9783112379080, 9783112379073

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
Einleitung
Kindliche Mimik beim Kriegserlebnis
Anhang

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Unsere Kinder und der Krieg Experimentelle Untersuchungen aus der Zeit des Weltkrieges von

Rudolf Schulze-Leipzig

Mit 7 5 Abbildungen im Text

Leipzig — Verlag von Veit & Cornp.

1917.

Meinem Freunde und Mitarbeiter

Herrn

Zeicheninspektor Feodor Lindemann gewidmet.

Borwort. Schon beginnt die Erinnerung an die große Begeisterung der ersten Kriegsmonate zu verblassen. Daß man damals Unbe­ kannte auf der Straße ohne weiteres anredete, um sie nach den neuesten Depeschen zu befragen, daß Kinder und Erwachsene die deutschen Verwundeten und die Träger des schwarzweißen Bandes ehrfürchtig grüßten, das und vieles andere mutet uns heute schon beinahe fremdartig an. Das nachfolgende Geschlecht wird sich noch schwerer in den Geist der großen Zelt zurückversetzen können. Das objektive Geschehen wird verhältnismäßig leicht rekonstruiert werden, aber das, was in uns lebte, die gewaltige Gefühls­ erregung in der Zeit der vaterländischen Erhebung, wird in der Erinnerung und für die Historie schwer festzuhalten sein. Einen kleinen Teil dieses innerlichen Geschehens in objektiver Weise aufzubewahren, das ist der Zweck meines Buches. Es will zeigen, wie die Kriegsereignisse in der Zeit der größten Be­ geisterung auf das Gemütsleben der deutschen Jugend gewirkt haben. Auf der Suche nach einer objektiven Methode bin ich, nach einigen Beobachtungen über Veränderungen des Vorstellungs­ verlaufes und über Atmungserscheinungen, bei dem photographi­ schen Verfahren stehengeblieben. Ich ließ auf die Kinder die Kriegsereignisse in Wort und Bild und Lied wirken und hielt, indem ich sie unbemerkt photographieren ließ, die reiche Skala ihrer Gemütsbewegungen im Ausdrucksbilde fest. Die gewonnenen Ausdrucksbilder ließ ich durch einen Erwachsenen deuten, der schon durch frühere Versuche seine Kunst, Kindermimik zu beur­ teilen, bewiesen hatte.

Die Kinderbilder im Zusammenhänge mit den Beschreibungen meines Beobachters sind Dokumente aus der Kriegszeit über das Gefühlsleben der deutschen Jugend in einer Zeit höchster vaterländischer Erhebung. Sie bilden den Hauptinhalt meines Buches, das also im wesent­ lichen von den Kindern und von meinenl Beobachter geschrieben worden ist. Der Text ist nicht viel mehr als eine Arabeske. Was ich an Eigenem hinzufügte, das war lediglich der Ver­ such, die gewaltigen Gefühlserregungen in ihre Elemente aufzu­ lösen und durch Reihenbildungen zahlenmäßig zu bewerten. Es ist, glaube ich, der erste umfangreichere Versuch in dieser Richtung. Er hat in erster Linie dazu geführt, die Frage des Wider­ streites der Menschlichkeitsgefühle und der vaterländischen Be­ geisterung in — wie ich denke — einwandfreier Weise zu ent­ scheiden. Die deutschen Kinder haben sich dabei namentlich in bezug auf die große Frage der Feindesliebe, ohne daß sie es wußten, selbst ein Ehrenmal geschaffen. So lebhaft sie auch in vaterländischer Begeisterung mit den Freuden und Leiden des deutschen Kriegers sympathisierten, so wurde doch die Vater­ landsliebe übertönt durch die Stimme der Menschlichkeit. Das behaupte ich nicht nur, ich denke es zu beweisen, und jeder, der es bezweifelt, kann an der Hand der vielen Kinderbilder meine Behauptung nachprüfen. Da ich den Kindern die Kriegserlebnisse im Kunstwerk darbot, so war Gelegenheit gegeben, auch die Stellung der Kinder zur Kunst, ihr Kunstgenießen und ästhetisches Urteil, in -en Kreis der Betrachtungen zu ziehen. Ich wende mich mit meinem Buche an die Allgemeinheit, weil ich hoffe, daß jeder Deutsche ein Interesse daran haben wird, ein objektives Bild zu gewinnen von dem, was die deutsche Jugend in Deutschlands schwerster Zeit bewegte. Ins­ besondere hoffe ich, daß jeder heimgekehrte Soldat seine Freude daran haben wird, zu sehen, mit welch innigem Mitfühlen die dankbare deutsche Jugend ihn auf seinem schweren Gange begleitet hat. Mein Beobachter, durch dessen geradezu bewundernswerte Kunst im Ausbeuten kindlicher Mimik ich allein imstande war, zu meinen Ergebnissen zu gelangen, Herr Feodor Lindemann,

der Inspektor für den Zeichenunterricht in Leipzig, hat in wohl hundert Stunden mit immer neuem Interesse, mit immer neuer Liebe sich in die Kindergesichter verlieft. Wie sehr er mit ihnen vertraut wurde, das geht aus seiner eigenen Äußerung am Schlüsse der Versuche hervor: „Die Kinder sind jetzt für mich Nomangestalten geworden, die sich gerundet haben zu Leben. Ich gebe jetzt jedem Mädchen einen bestimmten Tonfall im Reden, ich möchte sie einmal wirklich reden hören." Ich sage meinem Freunde an dieser Stelle meinen herz­ lichsten Dank, ebenso den Herren Paul Schlager und Arthur Wolf, die gleichfalls an den Versuchen teilnahmen, ferner einigen anderen Herren, deren Namen ich nicht nenne, weil ihre ästhetischen Fähigkeiten in der Feuerprobe meiner Versuche weniger gut bestanden haben. Dank schulde ich auch Herrn Oberlehrer Bergmann von der 8. Bezirksschule, der einen großen Teil seiner Ferien opferte, um die photographischen Aufnahmen zu besorgen, sowie den Herren Feuerstein, Hähnel, Kantor Lange, Oberlehrer Neumeister, Weitz von derselben Schule, die mir als Versuchspersonen dienten oder meine Untersuchungen sonst ge­ fördert haben; ich danke auch Herrn Direktor Engel, der die Versuche gestattete und sie mit seinem Interesse begleitete. Die Kinder, Mädchen der 8. Bezirksschule in Leipzig, werden sich ihren Dank beim Leser selbst holen. Sie haben sich in ihren Ausdrucksbildern ein schönes Denkmal ihrer Vater­ landsliebe und ihres menschlichen Fühlens aufgerichtet. Leipzig, im Jahre 1916.

Der Berfaffer.

Inhaltsübersicht. Seite

Einleitung.................................................................................................. 1—18

1. Vorstellungsverlauf beim Kriegserlebnis

.....................

2. Atemveränderungen beim Kriegserlebnis

.....

3

3. Lichtbilder aus dem Kinderlande.....................................

9

1

4. Lichtbilder bei Geschmacksversuchen...............................

13

19—142

Kindliche Mimik beim Kriegserlebnis

I. Volkserhebung und Liebestaten........................

19

II. Die Führer zu Sieg und Frieden...................

26

III. Kampf und Kriegsnot.............................................

35

IV. Tod und Grab.......................................................

43

V. Kriegsbericht und Kunstbild...................................

51

VI. Wortkunst im Feldberichle..................................

56

VII. Wortkunst im Kriegsgedichte.............................

67

VIII. Kriegseinstellung und Wettbewerb der Künste

.

.

IX. Vaterlandsliebe und menschliches Fühlen....

78

93

X. Gefühlselemente beim Kriegserlebnis.....................

107

XL Korrelationen zum Sachverständnis..........................

119

XII. Korrelationen zum Kunstverständnis..........................

133

'Anhang................................................................................................ 143 — 151

Zusammenstellung der Ergebnisse..........................................

143

Giirl-itrnrg. V Vorstellungsverlaus beim Kriegserlebnis «Ich bin guk, der Engel ist besser, der Kaiser ist am besten." Diese denkwürdigen Sähe sand ich in dem Buche einer kleinen Zehnjährigen, als wir einst — mitten in der Kriegszeit — die Steigerung der Eigenschaftswörter üben muhten. Daß unsere Kleine sich selbst als gut bezeichnet, das werden wir auf das Konto ihrer Naivität buchen, und ebenso, dah sie schon nach den Sternen greifen muß, um etwas Besseres zu finden. Menn sie aber am Schlüsse den Kaiser in eine überhimmlische Höhe hinaufhebt, so erkennen wir daraus, wie plötzlich die Glut der Baterlandsbegeisterung in den Borstellungsverlauf hineinschlägt. Durch die kindliche Naivität, die sich hier kundgibt, besonders ansprechend, ist der Borgang doch nur ein Beispiel für hundert andere, die jeder aus seiner eigenen Erfahrung anfügen könnte. Niemals haben wir das Wirken der scheinbar ganz unver­ mittelt in den gewohnten Gedankengang hineingreifenden, von einem bekannten Psychologen als «freisteigende Vorstellungen" be­ zeichneten Gedankenverbindungen so lebhaft empfunden, wie in den Tagen des großen Weltgeschehens. Und jeder wird auch an sich selbst bemerkt haben, daß der Vorstellungsverlauf ein anderer war, als der gewöhnliche, wenn die Kriegsereignisse sich seiner bemächtigten. Um wenigstens einiges von den Gesetzen zu erlauschen, die bei diesen Vorgängen unsern Vorstellungsverlauf beherrschen, stellte ich mit Kindern folgenden Versuch an. Ich nannte ihnen ein Anfangswort, etwa «Apfel", und forderte sie auf, das nächste Wort zu sagen, das ihnen gerade einfiel. An das zweite Wort wurde ein neues geknüpft, uyd so fort. Als An­ fangswörter gab ich entweder «neutrale" Wörter (Apfel), oder solche mit Beziehung zum Kriege (Säbel). Schulze, Unsere Kinder u. d. Krieq.

1

2 Das erste Ergebnis war, daß die Kinder sehr häufig aus einer Reihe von neutralen Wörtern — und zwar durch sinnvolle Be­ ziehungen — zu Kriegswörtern (so will ich sie kurz bezeichnen) übergingen. Der umgekehrte Fall, das Zurückkehren voin Kriegswort zum neutralen Gebiet, vollzog sich unter ganz anderen Bedingungen. Rur in einem einzigen Falle konnte ich da eine sinnvolle Beziehung finden. Der Berlauf war vielmehr im allgemeinen der folgende: Das Kriegsgebiet ist erschöpft, der Borstellungsgang stockt, und wenn das Kind nun ein weiteres Wort anfügt, so folgt es damit nicht dem Gebot der Stunde, sondern dem leidigen Zwange, und ohne Berbindung taucht irgendein Wort auf. So endet bei einem Kinde das Kriegsgebiet mit den Worten: «verwundet — Bater — Mutter — Sohn — Tochter — mutig — freudig." Da reißt der Faden ab, und es folgt, ganz unvermittelt: «Baum — Fritz." Bei dem angeführten Beispiele ist aber noch ein Zweites zu beobachten. Die Kriegswörter sind in sehr viel Fällen reicher an sinnvollen Beziehungen als die aus dem neutralen Gebiet. Der nichtssagenden Berbindung: «Baum — Fritz" steht beispielsweise eine Reihe: «Soldaten — tragen — schwer — scharf — bang" gegenüber. 3a, der Borstellungsverlauf zeigt im Kriegsgebiet in vielen Fällen ein prinzipiell ganz anderes Gepräge wie im neutralen. An das Anfangswort «Leipzig" schloß sich bei einem Kinde folgende Reihe: «Leipzig — Connewitz — Chemnitz — Görlitz — Bank — Stuhl — Kasten — Zwirn — Rolle — Holz — Kohle — schwarz— breit — mittel — Schrank — Buch — Fach — Schlüs­ sel — Kalender — Zettel — Tag — Stunde — Lesebuch — Singebuch." Ganz abgesehen von dem geringen Werte, ja von der voll­ ständigen Beziehungslosigkeit einzelner Berbindungen zeigt sich hier ein plan- und zielloses Umherirren der Borstellungen. Das Kind kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Dem ist folgende Kriegsreihe gegenüberzuslellen: «Krieg — Schlachtfeld — Soldaten — Anzug — verwundeter Soldat — ge­ fallener Krieger — Flagge — schwarz-weiß-rot — Franzosen — rotes Feld — Blut — Engländer — Franzosen — Uniform — Soldatenblut — langer Krieg." Das ist eine einheitliche Borstellungs mässe, zusammen­ gehalten durch den einen Gesichtspunkt: Krieg. Am auffälligsten war der Kriegszusammenhang bei den bessern Schülern. Das war so deutlich ausgesprochen, daß man derartige Untersuchungen beinahe als Intelligenzprüfungen empfehlen möchte. Fragt man nun nach der Ursache der grundlegenden Berschiedenheit des Borftellnngsablaufs im neutralen und im Kriegs­ gebiet, so wird, man nicht fehlgehen, wenn man die starken Gefühls­ werte, die sich mit den Kriegsreihen verbinden, für den festen Zu­ sammenhalt in Anspruch nimmt. Bei einigen Klaffen ging schon

3 ein leises «Oh!" durch die Reihen, wenn ich nur das Wort Krieg aussprach. Die seelische Erregung war von Anfang an gegeben. Wer sich aber einmal aus das stürmische Meer dieser gewaltigsten Erregungen hinausbegeben hat, der kann nicht lustig flatternd wie der Schmetterling im leichten Luftmeere von tausend Blüten Honig naschen, er mutz sich langsam und zielbewußt von Woge zu Woge durchkämpfen, kommt dabei vorwärts, aber nur schwer wieder aufs feste Land des normalen Borstellungsablaufs. Die einzige Rettung vor den überwuchernden, starken Gefüh­ len scheint zu sein, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, die Ge­ fühlswerte durch andere, ähnlich starke, abzulösen. Auf solche Weise ist tatsächlich in dem einzigen Falle, von dem ich bereits sprach, das Zurückfinden vom Kriegsgebiet aufs neutrale — und zwar auf sinnvolle Weise — von selbst erfolgt. Die Reihe lautet: «Krieg — böse Menschen — töten — zer­ schossene Häuser — Ostpreußen — Tannenberg — Memel — Lichtbildvortrag — Prüfungssaal — geimpft morgen — keine Angst — viele aber — Brüder mir gesagt: Weh — Spaziergang." Bis zu dem Wort Prüfungssaal (in dem der Lichtbildvortrag stattfand) ist noch alles am Krieg orientiert. 3m selben Saale aber wird die Kleine morgen geimpft. Und da fällt, den Bann der Kriegsreihe brechend, eine neue Gefühlsmasse herein, die Furcht vor der Impfung. Denn daß sie, wie sie stolz sagt, «keine Angst" habe, das glaubt doch niemand. Bor all dem Schrecklichen rettet sie sich dann durch ein stark lustbetontes Wort: Spaziergang. Eine schwache Hoffnung auf einen Schulfpaziergang taucht auf. 3a, wenn die gefürchtete Impfung vorüber ist, wenn der Krieg mit allen seinen Schrecken beendet, wenn erst wieder Friede ist, wenn wir wieder einmal zusammen früh mit Sack und Pack ausziehen dür­ fen, um erst recht spät zurückzukehren, ja, dann ist alles wieder gut. Zweifellos hätte sich auf dem beschrittenen Wege noch manche Gesetzmäßigkeit auffinden lassen. Ich habe aber die Versuche nicht weiter fortgesetzt, weil sie mich mit allzugroßer Deutlichkeit darauf hinwiesen, daß hier die Ge m ü t s werte in erster Linie aus­ schlaggebend waren. Unter diesen Umständen mußte es aussichts­ reicher erscheinen, sich derjenigen Methoden zu bedienen, die sich in der experimentellen Seelenlehre für die Gefühls Untersuchun­ gen besonders bewährt haben.

2. Atemveränderungen beim Kriegserlebnis Es war ein elementarer Zwang, der uns aus den gewohnten Bahnen des Denkens riß, wenn der wohlbekannte Ruf «Extra­ blatt" in den Arbeilssaal oder in die stille Studierstube hereindrang, eine innere Unruhe, die keinen Widerstand gestaltete. Dem auf­ merksamen Beobachter ist es nicht entgangen, wie da das Herz klopfte, wie der Atem flillsland oder in ungewohntem, gewaltigem Wogen sich austobte, bis das neue Ereignis in seiner Wirkung

4 ausgeklungen war zu einem ruhigeren Gefühl der Freude, des Erhobenseins oder der gedämpften Trauer. Wir haben es an unserm eigenen Leibe hundertmal erlebt, daß solche Gefühlserregungen nicht allein die Seele, sondern auch den Körper in Mitleidenschaft zogen, daß die Schwingungen des erregten Gemüts merkbare Spuren in den körperlichen Vor­ gängen hinterließen.

Abb. 1. Bersuchsanordnung für Atemversuche.

Die experimentelle Seelenlehre hat solche durch Gefühls­ vorgänge yervorgerufene körperliche Veränderungen als Aus­ druckssymptome bezeichnet und sie zur genaueren Erforschung der seelischen Bewegungen verwertet. Einige Versuche, in denen ich die Wirkung von Kriegsbildern auf die Atmung prüfte, will ich hier kurz Mitteilen, weniger um mit glänzenden Ergebnissen aufzuwarten, als um das Wesen der Ilntecsuchungsmethode zu zeigen. In Abbildung 1 sehen wir die Versuchsordnung. Die Ver­ suchsperson, ein Knabe, sitzt hinter einer Pappwand, die ihm das zu betrachtende Bild zunächst verbirgt, so daß es ihm erst sichtbar wird, wenn eine in der Wand befindliche Tür sich öffnet. Der

5 Pneumograph oder Atemschreiber besteht, wie die Abbildung zeigt, aus einem flachgedrückten Gummiball, der in der Gürtelgegend an­ gebracht ist und der die durch die Atmung hervorgerufenen Be­ wegungen der Bauchwand (abdominale Atmung) auf die registrie­ renden Apparate überträgt. ’) 3n den folgenden Abbildungen sind die Ergebnisse der Bersuche dargestellt. Oben die zeitliche Begrenzung des Bersuchs, eine gerade Linie, die unterbrochen ist durch zwei Zeichen: Offnen und Schließen der Tür. Zwischen- diesen Zeichen war das Bild für die Bersuchsperson sichtbar. — Darunter folgt die Atemschreibung. — Die unterste Linie zeigt den zeitlichen Berlauf des Bersuchs in Sekundenabschnitten.

Abb. 2. Atemkuroe zu dem Bilde: Vernichtung der drei englischen Kreuzer.

Der Knabe, mit dem ich die Bersuche ansiellte, war der Erste seiner Klasse, er stand im Alter von 12 wahren. Die Bilder, die ich ihm vorlegte, sind aus der vom Leipziger Lehrerverein herausgegebenen Serie von Kriegsbildern entnommen, die bei 3. 3. Weber, Leipzig, erschienen ist. Das wildeste Kurvenbild ergab sich bei der Betrachtung eines Bildes von Stöwer: Vernichtung der drei englischen Kreuzer. Man sieht im Bordergrunde ein mächtiges Schiff, das sich mit der Spitze hoch aus dem Wasser emporhebt, im Hintergründe die zwei andern Kreuzer. Sofort bei Freigabe des Bildes erhebt sich die Kurve gewaltig. (Abb. 2.) Die Atemschwingungen sind von einer so großen Un­ regelmäßigkeit, daß die Auszählung und Mesiung fast unmöglich erscheint. Am Schluß der Betrachtung sind die Atemzüge gewalt­ sam erniedrigt, und es erfolgt schließlich, geraume Zeit nach dem Berschwinden des Bildes, ein gewaltiges Aufatmen, die Gegen­ reaktion gegen die vorhergehende künstliche Ruhe, die fast atemlose ^) Weitere Einzelheiten über die zu solchen Versuchen nötigen Appa­ rate bitte ich nachzulesen in meinem Buche «Aus der Werkstatt der ex­ perimentellen Psychologie und Pädagogik". 3., wesentlich erweiterte Auflage. Mit 611 Abbildungen. A. Voigtländers Verlag in Leipzig. 1913.

6 Aufmerksamkeitsspannung. Dann erst wird die Kurve wieder normal. Das Bild hat offenbar einen tiefen Eindruck hervor­ gerufen.

Abb. 3. Aiemkurve zu dem Bilde: Kaiser Wilhelm II. in Felduniform.

Beim Kaiserbild zeigt sich eine bemerkenswerte Ruhe. (Abb. 3.) Zwar tritt in der Mitte ein ziemlich hoher Atemzug hervor, gegen Ende erfolgt ein kräftiges Aufatmen, im ganzen aber ist die Kurve schon dadurch als eine ruhige charakterisiert, daß die Atemzüge fast alle sich aus derselben wagerechten Linie erheben und daß die Höhe der einzelnen Atmungen — im ganzen — fast unverändert er­ scheint. Das Bild erweckte in dem Kinde nicht die Borstellung des führenden Kriegsherrn, der Schlachten leitet und die Truppen ins Gefecht führt, sondern ein Gefühl der Sicherheit und des Der-

Abb. 4. Atemkurve zu dem Bilde: Generalfeldmarschall von Mackensen,

trauens, das sich auch in der mündlichen Äußerung des Kindes über das Bild ausspricht, die ungefähr so lautete: „Das ist unser Kaiser, der wird es schon machen." Ganz verschieden von der Wirkung des Kaiserbildes ist die des Porträts von Mackensen. Hier zeigt sich eine äußerst lebhafte Bewegung. (Abb. 4.) Eine große Anzahl der Atemzüge ist stark überhöht. Das nach einem ausgesprochenen Ruhezustände auf­ tretende Aufatmen am Schluß des Versuchs ist nicht vorhanden.

7 Das Bild hat eine starke, erregende Wirkung. Der Knabe ist bei der Betrachtung mitten in dem Getümmel der Schlachten, in denen der große Feldherr seine Truppen zum Sieg führt.

Abb. 5. Atemkurve zum Bilde: Kühnes Reiterstückchen ungar. Husaren.

Das folgende Bild stellte eine dramatisch bewegte Szene dar: Zwei ungarische Husaren verfolgen eine fliehende russische Reiter­ patrouille. Die Wirkung (Abb. 5) ist ähnlich wie bei dem Bilde von Mackensen, aber bei weitem nicht so stark. Die Erhöhung der Kurven ist seltener und geringer, das Gesamtbild bedeutend ruhi­ ger. Die Wirkung eines guten Porträts kann also stärker sein als die bei einem der so beliebten Reiterstückchen Ähnlich, nur noch etwas schwächer, wirkt die nächste Szene: Einige ungarische Husaren sind von russischer Infanterie um­ zingelt. Einer der Reiter rettet sich durch einen gewaltigen,

Abb. 6. Alemkurve zu dem Bilde: Ein kühnes Reiterstückchen. — Ein ungarischer Husar.

kühnen Sprung über einen leeren Heuwagen vor der sicheren Ge­ fangennahme durch die verdutzten Gegner?) Der humoristische Einschlag des Bildes kommt in dem einen Atemzuge, der in einigen Absätzen hoch hinausschießt, ganz lustig zum Ausdruck (Abb. 6). ’) Zur Einführung in das Verständnis der Bilder lese man die schönen Texte von Arthur Wolf, Leipzig, zu den bei I.I. Weber er­ schienenen Kriegsbildern.

8 Auf dem folgenden Bilde: Deutsche Skipatrouille überfällt eine französische Alpenjägerpatrouille — sehen wir vorn rechts die hinter einer schneebedeckten Erdwelle versteckt liegenden Deutschen, während die feindliche Patrouille, aus dem Dunkel des Waldes

Abb. 7. Atemkurve zu dem Bilde: Deutsche Skipalrouille überfällt eine französische Alpenjägerpatrouille.

hervortretend, dem sicheren Verderben in die Arme läuft. Schüsse blitzen, und schon sehen wir den Vordermann fallen. Der Kurvenzug ist sehr charakteristisch (Abb. 7). Der All­ gemeinanblick wirkt zunächst erregend, die Kurven erhöhen sich. Daran schließt sich eine kurze Zeit atemloser Spannung, gekenn­ zeichnet durch plötzliche, starke Erniedrigung. Und dann löst sich das Drama: die beiden hochaufstrebenden Kurvengipfel sind wohl auf das Fallen des Franzosen zu deuten. Das Ganze klingt dann verhältnismäßig ruhig aus.

Abb. 8. Atemkuroe zu dem Bilde: Franktireurüberfall in Belgien.

Sehr erstaunt war ich über den Einfluß eines Bildes: Frank­ tireurüberfall in Belgien. Man blickt in eine sonnenbeschienene Dorfgafse hinein. 3m Vordergründe rechts, hinter einem Tor­ eingang verborgen, schießt ein Franktireur hervor, ein deutscher Soldat fällt. Das Kurvenbild recht Kindliche Natur, Go ein in seinem Gefühlsleben besonders reich reranlagtes und schon höher entwickeltes Kind. Die Korrelation zwischen den Mädchen ergab beim Beobachter A die Zahl 71, bei C 73. Die Zahlen sind fast gleich, was von neuem für die Genauigl eit der Beobachtung spricht, und sie sind so hoch, daß es keinem Zwe sel unterl egen kann: Die Großen haben sich in außerordentlich ähnlicher Meise, selbst in ihren „Außenseitern", mit d n einzelnen Motiven abgefunden. Es bleibt nun noch die letzte und wichtigste Frage, mit deren Beantwortung — in Rücksicht aus das Verfahren — die ganze Untersuchung steht cder fällt, die Frage: Sind als Endergebnis annehmbare Beziehungskoeffizienten nachzuweisen zwischen Großen und Kleinen, zwischen Erwachsenen und Kindern? Jn den Tabellen R und S sind die Ergebnisse niedergelegt. Die Korre'ationen zwischen Kleinen und Großen finden sich in der dritten wagerechten Reihe „Gr u. Kl".

Für die Beziehungen der Kinder zum Erwachsenen lagen beim Beobachter A zwei Reihen vor. Bei der einen hatte ich ihm aufgeg den, die Motive nach ifrer Lustwirkung zu ordnen, und zwar lediglich nach dem sachlichen Inhalt. Vom Kunstwerte sollte dabei ganz abgesehen werden. Völlig ist das dem Beobachter nicht ge­ lungen, wie er selbst angab. Ich bezeichne die Reihe mit „Lust— Sacye". In einer anderen Reihe bat ich ihn, die Bilder, «wie sie eben vorliegen", nach ihrer Lultwirkung zu ordnen. Ich wollte hier ein gut Teil Kunslwirkung mit einfangen. Das ist n'cht ganz geg ückt. Als ich dem Beobachter hinterher den Zweck der Reihe erläuterte, sagte er, daß bei der Aufgabenstellung doch das Verbältn's zum sachlichen Inhalt in allererster Lin e maßgebend war. Die Kunslwirkung könnte ja etwas mehr mitgesprochen haben als hei dcr Reihe Lust—Sache, aber die Reihen müßten sehr ähnlich se'n. Das war denn auch der Fall. Ich habe die Reihe mit Lust—Sache—Kunst bezeichnet. In der Tabelle R sirden sich in den ersten beiden wagerechten Reihen die Korrelationen der Großen und Kleinen zu der Reihe Lust—Sache. Dabei lagen für die Großen und K'einen allemal je zwei Re henordnungen vor, vom ersten und zweiten Beobachter, A und B. Die kleinen, tstnter A B gedruckten, unter der Rubrik Z stehenden Zahlen bedeuten die zugehörigen Zuverlässigkeits­ korrelationen. Ein flüchtiger Blick auf die Tabelle entscheidet die Haupt­ frage: Es sind nicht nur annehmbare, sondern sehr gute Korre­ lationen vorhanden. Hohe Beziehungskoeffizienten zwischen Kindern und Erwachsenen sind mit Sicherheit nachgewiesen, und damit muß das letzte Bedenken — gegen das indirekte Verfahren — hinfällig werden. Schulze Un'er > K^nd.'r u. d

!l

130 Die Bedeutung der hohen Zahlen in ihrer Gesamtheit soll erst am Schlüsse des nächsten Kapitels gewürdigt werden, wir wollen zuerst die Ilnterschiede der Zahlenwerte vergleichen. Bei der Beurteilung der Zahlenverhältnisse dürfen die Zuverlässigkeitsprüfungen nicht außer acht gelassen werden. Sind sie gering, so könnten etwa auftretende Beziehungskoeffizienten zwischen Kindern und Erwachsenen als Zufallsergebnisse gedeutet

Tabelle R. Beziehungskoesfizienten zwischen Kindern und Erwachsenen.

Bild

A Gröhe 79 Kleine 90 Gr. u. Kl. 82

B 86 84 90

Lust — Sache. Haupfteihe Z A B 87 !!ii 83 -'s. 78 83 80 80

Wort

Z 91 89

A 85 71 65

B 79 71 75

Z si

liS

werden; weichen sie in bezug auf Große und Kleine erheblich von­ einander ab, so können die bei Kleinen und Großen erlangten (groß gedruckten) Hauptzahlen nicht gut miteinander verglichen werden. Bezüglich der Beurteilung der Hauptreihe befinden wir uns in einer besonders glücklichen Lage. Die Zuverlässigkeits­ korrelationen sind außerordentlich hoch und für. Große und Kleine beinahe gleich, 91 und 89. Ilnd da außerdem das Verhältnis zwischen Großen und Kleinen bei A und B völlig gleich ist, 80, so haben wir für den Vergleich der vier Hauptzahlen einen besonders festen Boden unter uns und können hier die Zahlen 83, 78, 87, 83 beinahe nach ihrer absoluten Größe in Beziehung setzen. Der Beobachter B erreicht, wie wir sehen, bei Großen und Kleinen die besseren Zahlen. Das ist um so auffälliger, als doch der Beobachter A die Ordnung der Kunstwerke ausgeführt hatte. Richt er, sondern der Beobachter B aber hat die vorhandene Korrelation am reinsten herausgestellt. Er muß also in der Be­ urteilung der Mimik in diesem Falle als der bessere Beobachter gelten. Ilnd wir werden gut tun, uns in der Auslegung der Er­ gebnisse im wesentlichen seinen Zahlen anzuschließen. Der Vergleich der Zahlen in den Hauptreihen des Beobachters B ergibt mit 87 und 83 bei Großen und Kleinen sehr hohe Korre­ lationen, wobei die Großen der Auffassung des Erwachsenen noch etwas näher kommen. Genau dasselbe Verhältnis zeigt sich beim Beobachter A, nur mit etwas niedrigeren Zahlen, 83 und 78. Besonders bemerkenswert ist dabei, daß nach den Zahlen des Beobachters B die Kinder unter sich, mit 80, größere Verschieden­ heiten aufweisen als im Verhältnis zum Erwachsenen. Wenn dieses Zahlenverhältnis der Wahrheit entspricht, so muß irgendein

131 besonderer Grund angenommen werden, der dahin führt, daß die Großen von dem Erwachsenen nach der einen Seite, die Kleinen nach der entgegengesetzten abweichen, und es lohnt sich, dieser Frage im einzelnen nachzngehen. Prüft man daraufhin die ein­ zelnen Motive der Reihe, so findet sich, daß in vier Fällen die Großen dir heitere, die Kleinen dagegen die ernstere Seite der Auffassung — dem Erwachsenen gegenüber — vertreten. 3n fünf Fällen wär das Verhältnis umgekehrt: Die Kleinen reagierten heiterer, die Großen dagegen ernster, lind bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß es sich in allen diesen fünf Fällen um Wortkunst handelt, in den gegensätzlichen vier — mit einer einzigen Aus­ nahme — um Bildkunst. Dieses Korrelationsergebnis legt die Vermutung nahe, daß die Großen durchgängig auf die Bildkunst heiterer, auf die Wortkunst ernster reagiert haben als der Erwachsene, die Kleinen umgekehrt. Und es würden sich in der kleinen Unregelmäßigkeit der Korre­ lationsergebnisse — beim Zusammenwerfen von Mort und Bild — in schönster Meise die Ergebnisse der Tabelle O und der graphischen Übersicht H bestätigen, soweit sie das Verhältnis der Kleinen und Großen in bezug auf die Lust—Unlust-Wirkung von Bild- und Wortkunst betreffen. Menn diese Auffassung richtig ist, so müßte bei der getrennten Behandlung der Korrelation von Bild- und Mortkunst die kleine Unregelmäßigkeit verschwinden. Und das ist denn auch tatsächlich der Fall, wenigstens beim Beobachter B. Sowohl bei Bildkunst als auch bei Wortkunst steht hier die Korre­ lation der Kleinen zum Erwachsenen an letzter Stelle, bei der Bild­ kunst mit 84 gegen 86 und 90, bei der Wortkunst mit 71 gegen 75 und 79. Und wenn man die Einzelniotive der Reihe durchgeht, so sind bei Bild- wie bei Wortkunst die gegensätzlichen Unterschiede der Kleinen und Großen gegen den Erwachsenen verschwunden.

Tabelle 8. Beziehungskoeffizienten zwischen Kindern und Erwachsenen.

A Große 76 Kleine 86 Gr. u. Kl. 82

Lu st — Sache — Kunst. Bild Hauptreihe B Z A B Z 83 94 82 84 91 84 95 73 89 68 90 80 80

A 83 62 65

Wort B 78 65 75

Z 81 (iS

3n der Spalte „Bild" treten beinahe dieselben Zahlen auf wie in der Hauptreihe, wenn wir uns wieder in erster Linie an den Ergebnissen des Beobachters B orientieren. Die Zuverlässigkeits.Ahl ist noch größer, die Großen sind nur um eins schlechter, die Kleinen um eins besser als in der Hauptreihe. Die Zahlen bei der 3)

132 Wortkunst endlich sind, den geringeren Zuverlässigkeitskorre­ lationen entsprechend, ein wenig geringer und in sich schwankender, sind aber alle noch vollgültige, sehr gute Korrelationen. Die Tabelle S endiich zeigt die Beziehung der Kinder zur Reihe Lust—Sache—Kunst. Auch diese Tabelle zeigt lauter gültige, meist sehr hohe Korre­ lationen. Vergleichen wir sie aber mit den entsprechenden Zahlen der Tabelle R, so ergibt sich eine durchgängige Abm'nderung, die bei den Großen sehr gering, bei den K'einen erheblich ist. Sobald also der Kunstwert merklicher mitspricht, entfernen sich die Kinder von der Auffassung des Erwachsenen. Die Frage, ob und in welchem Grade sie auf den Kunstwert reagiert haben, läßt sich an der Hand dieser Übersicht kaum ent­ scheiden, sie mag dem nächsten Kapitel vorbehalten bleiben. Sicher ist jedenfalls, daß sich die Kinder, wie zu erwarten war, hauptsächlich am sachlichen Inhalt orientiert haben. D e Frage des irdirekten Verfahrens habe ich, wie schon angeöentet, nicht für das Gesamtergebnis zu entscheiden gesucht. Ich glaubte nicht, daß die Kinder imstande wären, alle 29 Motive, Bild- und Wortkunst durcheinander oemischt, direkt durch Selbst­ beobachtung nach ihrer Lust—Unlust Wirkung zu vergleichen. Ich wäh.te darum zu dem Vergleich nur die 15 Bildmotive aus und ließ sie unmittelbar nach ihrer Lustwirkung von den Kindern in

Tabelle T. Beziehungskoeffizienten nach direkten und indirektem Verfahren. Beobachter E. Selbstbeobachtung Indirekt. Verfahren

Gr. 85 92

Kl. 80 83

Go. 73 88

3.

93 75

Beobachter A. Lust—Sache Gr. Kl.Go. Z. Selbstbeob. 63 4745 71 Indlr. Verfahr. 79 9078 63

Lust—Sache—Kunst Gr. Kl. Go. Z. Selbstbeob. 60 41 46 70 Indir Verfahr. 76 86 80 61

«ine Reihe ordnen. Die Ordnung erfolgte zunächst durch die Kinder einzeln und dann für die Gesamtheit der Großen und Kleinen noch einmal besonders durch Abstimmung. Wenn die Selbstbeobachtung dem indirekten Verfahren erheblich überlegen ist, fo muffe das bei dieser verhältnismäßig leichten Teilaufgake am deutlichsten in die Erscheinung treten.

133 Der Vergleich ist in der Tabelle T durchgeführt. 3n den magrrechten Spalten «Selbstbeobachtung" ist die Ordnung der Kinder nach ihrer mündlichen Aussage korreliert mit dem Ärteile des erwachsenen Beobachters, zuerst mit E, dann mit A, nach seinen beiden Reihen «Lust—Sache" und «Lust—Sache—Kunst". Die darunter stehenden Re hen «Indirektes Verfahren" geben die Korrelationen zw schen den Ordnungen nach der Mimik der Kinder und dem Urteile der Erwachsenen. Schalken wir zunächst das Kind Z aus, so gibt die Tabelle ar s unsere Frage eine eindeutige, bestimmte Antwort: Bei den Großen und Kleinen wie bei dem einzelnen Kinde Go hat das in­ direkte Verfahren nicht schlechtere, sondern durchgängig bessere Ergebnisse gezeitigt. Das Kind Z bildet eine Ausnahme. Es zeigt in allen drei Reihen erheblich bessere Zahlen bei der Selbstbeobachtung, so daß in einem Falle die beinahe unglaublich hohe Korrelation 93 aus­ tritt. Z ist ein eigenartiges Kind von besonders einfacher-Ge­ fühlsveranlagung, bei dem die Lustgefühle eine beherrschende Stellung einnehmen. Es hat bei der Selbstbeobachtung wohl fast nichts vorgefunden als eben das Gefühlspaar Lust—Unlust und konnte infolgedessen die Ordnung mit einer großen Sicherheit ausführen. Das ist aber gewiß ein seltener Fall. Er ändert nichts an dem Hauptergebnis, daß die direkte Beobachtung der Gefühle bei Kindern hinter dem indirekten Verfahren zurücksteht: sind doch bei der Selbstbeobachtung in einigen Fällen recht unterwertige Zahlen aufgetreten, während alle Ergebnisse des indirekten Ver­ fahrens, auch bei dem Kinde Z, vollwertige Korrelationen aus­ weisen. Ich nehme an, daß hiermit alle wichtigen Einwände gegen meine Methode hinfällig geworden sind1).

XII. Korrelationen znin Kunstverständnis Bezüglich des Verhältnisses der Kinder zum Kunstwerk könnte ich auf die vielen Einzelheiten und Aeihenbildungen ver­ weisen, ich fürchte aber, der Leser wird nach dem Vorangegan­ genen nun auch hier einen zahlenmäßigen Beleg durch Korrela­ ts Kurze Zeit vor Drucklegung dieses Buches wurden mir die Untersuchungen von Dr. Deuchler bekannt, der eine neue, wie mir cheint, richtigere Berechnungsweise des Korrelationskoeffizienten vorchlägt. Ich habe sämtliche Reihen nach der neuen Formel umgerechnet, rann das Ergebnis aber hier nicht im einzelnen Mitteilen und disku­ tieren und möchte nur so viel sagen, daß. alle von mir gefundenen Gesetz­ mäßigkeiten auch vor dieser neuen Formel standhalten. Manche davon sind nach der neuen Berechnungsweise noch deutlicher ausgesprochen.

134 tionsrechnung fordern, und ich will dein Verlangen nicht aus dein Wege gehen, so schwierig und wenig aussichtsreich auch die Lösung der Frage erscheint. Der Beobachter A brachte auf meinen Wunsch die Kunst­ werke rein nach ihren ästhetischen Qualitäten in eine Reihe. Dann bat ich ihn, die Kinderbilder zu ordnen nach dem in den Gesichtern ausgeprägten Wohlgefallen an der Form, das er ja in einzelncii ausgesprochenen Fällen ganz von selbst, ohne Aufforderung, fest­ gestellt hatte. Er fand die Aufgabe «sehr, sehr schwer", hat ste aber gelöst. Bei den folgenden Korrelationsversuchen ist selbstverständlich Bild- und Wortkunst völlig zu trennen, ebenso bei der Mortkunst Prosa und Gedicht. Rach dieser Trennung bleiben für die geson­ derte Behandlung von Prosa und Gedicht zu wenig Fälle übrig. Der Versuch ist also nur mit der Bildkunst zu wagen. Aber auch hier scheint die Aufgabe beinahe unlösbar. 3» einigen Fällen mag das ästhetische Wohlgefallen klar und deutlich vorhanden und ausgesprochen sein, sie genügen aber nicht zur Er­ zielung einer nennenswerten Korrelation, sie können höchstens eine vorhandene Korrelation, die Sachkorrelation, leise abändern. Bei dieser Sachlage kann man sich dadurch helfen, daß man ganze Reihen von Korrelationen aufstellt und durch den Vergleich ver­ sucht, ein Auf- und Abwandern der Korrelationshöhe zu beob­ achten. Die Tabelle U enthält ein derartiges kleines System von Korrelationen.

Tabelle U. D i e Lu st reihen der Kinder in Korrelation mitKunstundSache. Z. Kl. Gr. Go.

Kunst -49 -41 —62 —49

Sache-Kunst 60 86 76 80

Sache 65 90 79 78

Als ich beim Beobachter A die Lustreihe, Lust—Sache, zu der Kunstreihe in Beziehung setzte, ergab sich die ziemlich hohe umge­ kehrte Korrelation von —40. Zwei Ursachen ließen sich dafür auffinden. Erstens wurden bei der Ordnung nach der Kunstform die Kunstwerke mit heiterem und ernstem sachlichen Inhalt durch­ einandergeworfen. Diese Ursache allein hätte nur zur Aufhebung der Korrelation, mit dem Ergebnis 0, führen müssen. Run hatte ich aber in die Reihe der Kunstwerke absichtlich eine ganze Anzahl eingefügt, die einen starken Gegensatz zwischen dem sachlichen und Forminhalte boten. So beispielsweise das Bild der Siegesfahne,

135

eine Photographie, die nach dem sachlichen Inhalte, stark lust­ betont, in der Sachreihe immer sehr bevorzugte Zahlen aufweist, die aber nach dem Kunstwerte die letzte Stelle einnimmt. Dadurch wird die Korrelation ins Gegenteil verkehrt. Die Spalte «Kunst" der Tabelle U verzeichnet die Korrelationen zwischen den Lustreihen der Kinder mit dem Kunsturteil des Er­ wachsenen. Die Kinder zeigen hier ein ähnliches Verhalten wie der Erwachsene: Die Korrelationen sind ins Gegenteil verkehrt. Korrelieren wir jetzt die Lustreihen der Kinder mit der Reihe des Beobachters, in der er beinahe ausschließlich nach der Sache ordnete (Spalte «Sache"), und mit der anderen, in der er den Kunst­ werk etwas mehr mitsprechen ließ (Spalte «Sache—Kunst"), so finden wir überall hohe Korrelationen. Dabei zeigt sich aber, daß die Kinder — mit der einzigen Aus­ nahme des großen Mädchens Go — die höheren Zahlen in der Spalte „Sache" aufweisen. Sobald der Kunstwerk beim Beobachter etwas stärker mitklingt, vermindern sich die Korrelationen. Sie fallen bei dem Kinde Z am meisten, von 65 auf 60; dann folgen die Kleinen mit 90 gegen 86, dann die Großen mit 79 gegen 76, und tert Schluß bildet das Mädchen Go, das in der Spalte «Sache— Kunst" eine Erhöhung der Zahl aufweist. Wenn wir dem geringen Zahlenunterschiede einen Wert beimessen dürften, so hätten wir also schon hier eine Ordnung der Kinder nach dem Kunstverständnis.

Tabelle V. Korrelationen der indirekt gewonnenen Kun st reihen der Kinder mit ihren eigenen Sache-Reihen und mit den Reihen „Sache", «Sache—Kunst" und „Kunst" des Erwachsenen.

3* Kl. Gr. Go.

Sache—Kind 63 3 28 —54

Sache—E. 56 24

30 —49

Sache—Kunst—E. 48 20 4h| —48

Kunst—51 —19 — 3 l6j

Die Tabelle V bringt die Entscheidung. 5n allen vier Spalten Ist von den Kunstreihen der Kinder ausgegangen worden. Sie werden in Beziehung gesetzt zu den Lustreihen der Kinder, bei denen die Kunstwirkung ganz ausgeschallet ist (Spalte «Sache- Kind"), dann zu den Lustreihen des Erwachsenen mit sehr schwachem und etwas stärkerem Kunstemschlag (Spalte „Sache—E" und „Sache— Kunst—E.") und schließlich zu dem ästhetischen Urteile des Erwachsenen (Spalte «Kunst—E.”). Demnach sind in den ersten drei Spalten negative Zahlen zu erwarten, die in der

13!) Spalte eins die gtöüte Hohe haben müssen. 3n der vierten Spalte müssen positive Zahlen austreten, wenn Kunstverständnis vor­ handen und nachweisbar war. Das Mädchen Z zeigt den gerade umgekehrten Verlauf. 3n der ersten Spalte erreicht sie die höchste positive Zahl der ganzen Tabelle, 63, während doch gerade hier ö'e größte negative Zahl zu erwarten war. Eine ästhetische Wirkung ist also nicht nachweis­ bar. Das tritt noch deutlicher in der Abwanderung der Korrela­ tionshöhe zutage, die ganz regelmäßig vonstatten geht, 63, 56, 48, -51, ober im umgekehrten Sinne. Die Regelmäßigkeit der Abwanderung verhindert uns, ein Zufallsergebnis anzunehmen, es bleibt nur übrig, daß aus der Mimik des Kindes nichts von Kunst­ verständnis abzulesen war. Einige Bemerkungen des Beobachters ließen dieses Resultat voraussehen. Als ich ihm die Photographien zur Bildung der Kunslreihen vorlegte, sagte er: «Bei Z werde ich einmal so ver­ fahren, daß ich zuerst diejenigen Photographien heraussuche, bei denen sie in ästhetischer.Beziehung nichts sagt." Schon diese Bemerkung spricht nicht gerade für das Kind. Er fährt dann fort: .Sie reagiert mehr für das Heitere. 3ch glaube deshalb auch, daß hier viel Fehlschlüsse vorkommen werden. Sie ist noch nicht reif, sie hat nicht einen so geläuterten Eeschmach wie das Kind Go." Vergleichen wir die Reihe im einzelnen, so finden wir alle Be­ merkungen des Beobachters bestätigt. De ersten acht Stellen der Ordnung werden, mit einer einzigen Ausnahme, von den lustigen Motiven eingenommen. Die ganze Reihe ist fast nichts als eine Ordnung nach Lust—Ilnlust, die von asketischen Wirkungen nicht im mindesten beeinflußt erscheint. Das tritt in besonders krasser Meise bei dem Bilde „Siegesfahne" in die Erscheinung, das mit seinem sachlich heiteren 3nhalte in allen Lustreihen bevorzugte Stellen einnimmt. 3n'ber Kunstre'he des Beobachters steht es anr Ende, mit Nr. 15, es ist eben nur eine Photographie. Die Kinder haben sich in ihren Kunslreihen dieser Auffassung des ästhetisch Ge­ bildeten N'cht ganz anschlieten können, aber die Stellung des Bildes erscheint doch wesentlich herabgedrückt, es findet sich als Nr. 7, 9 und 10. Bei dem Mädchen Z aber bleibt es hartnäckig als Nr. 1 bestehen. Den geraden Gegensatz zu dem Kinde Z bildet das gleich­ altrige Mädchen Go. Bei dem Vergleich zur Lustreihe setzt sie mit der hohen negativen Beziehung von —54 ein, wie es beim Vor­ handensein von ästhetischer Wirkung erforderlich ist. Die Zahl mindert sich ab, le mehr die Reihen des Erwachsenen an Kunstwerk hinzufügen. 3n der Spalte „Sache—Kunst—E.” jst sie auf —48 gesunken, oder vielmehr gestiegen, da ja das Vermindern der nega­ tiven Größe ein Plus für die .Kunstwirkung bedeutet. Und von da aus erhöht sich der Zahlenwert, wenn wir nun die Kunstreihe des Kindes mit der des Erwachsenen vergleichen, in gewaltigem Sprunge b's zu der positiven Zahl 36. Hier tritt beim Vergleichen der Kunstreihen, das einzige Mal in der Tabelle, die erwartete

137 — positive Beziehung auf. Zwar ist der absolute Wert nicht hoch, aber er hat im Zusammenhänge mit der regelmäßigen Abwande­ rung eine ganz andere Bedeutung, aU wenn die Zahl allem stünde. Es ist kein Zweifel, das Mädchen Go hat in bezug auf ästhetisches fühlen ihre gleichalterige Freundin weit übertroffen, sie überragt alle anderen Kinder. Auch dieses Ergebnis hat der Beobachter vorausgeahnt. Er sagte beim Borlegen der Photographien: «Das Mädchen Go empfindet zweifellos. Es steht wesentlich über den Großen und Kleinen. Es ist für eine ganze Anzahl der dargebotenen Motive geschmacklich schon zu reif/ Bei vielen Photographien lese ich aus jyrem Ausdruck, daß sie etwa folgendes sagt: ««Das ist nicht etwcn, ivas mich bei meinem geläuterten Geschmack noch reizt."" Beim Massenversuch treten überall nur minderwertige Zahle i auf. Trotz der Verwischung aller Gegensätze zeigen aber di.' Großen wie die Kleinen ein gesetzmäßiges Mandern der Korrc lationshöhe. Die Kleinen setzen ein mit 3, steigen auf 24 und fallen von b.r an, zuerst auf 20, dann auf —19. Es zeigt also die Kunstreihe der Kinder zu der des Erwachsenen ein negatives Verhältnis, doch ist zu bedenken, daß beim Korrelieren der Lu st reihe der Kinder mit der Kunstreihe des Erwachsenen das negative Verhältnis mit —41 bei weitem stärker war. Es sind also 22 Grade des Miß­ verhältnisses durch das Besinnen auf den künstlerischen Gehalt gewissermaßen ausgelöscht worden: Eine kleine Andeutung von vorhandenem Kunstverständnis. Bei den Großen ist der Gang ähnlich, nur daß sie die höchste Zahl in der dritten Spalte mit 36 erreichen, uni von da auf —3 abzufallen. Dabei ist der große negative Betrag von —62 bei der Korrelation der Lustreihe der Großen mit der Kunstreihe des Er­ wachsenen beinahe ganz ausgelöscht: Größeres Kunstverständnis. Bei der Ordnung der Kinder nach dem ästhetischen Empfinden ergeben sich nunmehr vier Korrelationssysteme. Erstens die Spalte vier, «Kunst-^.", für sich. Die Kinder ordnen sich, wie die Tabelle sie wiedergibt: Z„ KI., Gr., Go. Eine zweite Betrachtungsweise ergibt sich, wenn wir die höchsten positiven Zahlen ins Auge fassen, die von den Kindern erreicht wurden. Z in der ersten Spalte (63): Mangelndes Kunst­ verständnis. Die Kleinen in Spalte zwei (24). Sie gehen mit dem Erwachsenen, bei dem in der Reihe «Sache" ganz geringe Spuren von Kunstwirkung mitspielen. Die Großen in Spalte drei (36), wo der Erwachsene die Kunst stärker mitsprechen läßt. Und das Kind Go endlich zeigt die höchste Zahl in der letzten Spalte: Größeres Kunstverständnis. Die Ordnung der Kinder ist, wie man sieht, dieselbe wie im ersten Systeme. Sie kehrt drittens auch in den geringen Zahlenunterschieden der Tabelle U wieder. Und sie wiederholt sich endlich noch ein­ mal, wenn wir ins Auge fassen, wieviel von dem negativen Ver-

138 hältnis der Lustreihen der Kinder zu den Kunstreihen des Er­ wachsenen beim Besinnen auf den künstlerischen Gehalt ausge­ löscht wird. Trotz der Eindeutigkeit der Ergebnisse schien es mir wün­ schenswert, den Vergleich auch mit anderen Erwachsenen durch­ zuführen. Ich wählte dazu vier Personen von allgemein aner­ kanntem Kunstverständnis. In der folgenden Tabelle W habe ich zunächst das Verhältnis der Beobachter, die ich mit den Ziffern 1 bis IV bezeichnet habe, durch Korrelationszahlen festgelegt.

Tabelle W. Korrelationen der direkt gewonnenen Kunstreihen von ästhetisch geschulten Erwachsenen. I : II II : III

92 80

I : III 11 : IV

74 66

I : IV

65

Die sehr hohen Korrelationen sind ein Beweis für die Sicherheit der vier Beobachter im Beurteilen der Bildkunst. Die völlig regelmäßige Verminderung der Zahlenwerte aber spricht dafür, daß in der Ordnung I, II, III, IV zugleich die Reihenfolge ihres Kunstverständnisses festgelegt ist. Wenn nun in der Mimik der Kinder das negative oder posi­ tive Kunstverständnis richtig abgelesen wurde, so müßten sie auch im Vergleich mit dieser Reihenfolge von Erwachsenen ein ge­ schlossenes Korrelationssystem liefern, in dem sie dieselbe Ordnung nach ihrem Kunstverständnis aufweisen müßten, die in den vier besprochenen Systemen zutage trat. Die Tabelle X gibt das not­ wendige Zahlenmaterial.

Tabelle X. Korrelationen der indirekt gewonnenen Kun streihen der Kinder mit den Kun st reihen ästhetisch geschulter Erwachsener.

Z. Kl Gr. Go.

I —66 —26 5 14

II —51 — 19 — 3 36

III —48 3 3 43

IV —50 — 4 22 50

Das System ist, an seinen senkrechten Reihen gemessen, ganz fehlerlos. Und es ist eindeutig in seinem Ergebnis: Bei allen vier Beobachtern weisen die Kinder dieselbe Reihenfolge des Kunst­ verständnisses auf wie in den vorigen Systemen. In den wage-

139 rechten Reihen ist die allgemeine Tendenz der Steigerung der Zahlen nach rechts hin deutlich erkennbar, wobei das Mädchen Go ein ganz regelmäßiges Aufsteigen bis zu dem hohen Werte 50 aufweist. Die Kinder zeigen nunmehr in fünf Korrelationssystemen ge­ nau dieselbe Anordnung. Und ich muß gestehen, daß diese Über­ einstimmung, trotz der verhältnismäßig geringen Zahlenwerke, für mich eine größere Überzeugungskraft besitzt als eine einzelne hohe Korrelationszahl. Der große Aufwand von Zahlenmaterial bei der Bearbeitung der indirekt gewonnenen Resultate hat allerdings nur dazu ge­ führt, Spuren des Kunstverständnisses nachzuweisen. Ange­ sichts dieses Ergebnisses wird hier der Ruf nach dem direkten Ver-

Tabelle Y. Korrelationen der direkt gewonnenen Kun streihen der Kinder mit de in Urteil von kunst­ verständigen Erwachsenen.

3-

Kl. Gr. Go.

1 -30 —20 - 30 11

11 —34 -13 -38 — 3

111 — 16 — 8 —15 — 19

IV 3 6 1 — 7

fahren besonders dringlich erhoben werden. Sollte es nicht viel richtiger sein, die Kinder über den Kunstwert der Bilder einfach zu befragen? So wenig ich mir von dem Versuche versprach, so habe ich ihn schließlich doch angestellt.

Tabelle Z. Korrelationen der direkt gewonnenen Kun streihen der Kinder mit gemischten Reihen Erwachsener.

3-

fit. Gr. Go.

1.

2.

3.

4.

99

23 29 59 33

45 39 50 49

54 49 54 23

5 19 7

Der Vergleich mit den kunstverständigen Erwachsenen in den Reihen I—IV zeigt auf den ersten Blick: Das Resultat ist ein durchaus unbefriedigendes. Der Wert der Zahlen ist durchgängig

140

abgemindert, positive Zahlen treten nur viermal und in minimaler Höhe auf, und außerdem ist das Korrelationssystem gerade bei dem kunstverständigen Mädchen Oo wesentlich erschüttert. Es ist kein Zweifel, die Kinder sind nicht fähig, über den Kunstwert eines Bildes ein Urteil zu fällen. Ihre Mimik gab besseren Auf­ schluß als ihre Aussage. Ein recht erfreuliches Bild bietet die Tabelle Z. Hier haben wir alles, was wir wünschen können: lauter positive Zahlen, die 4>is zu ziemlicher Höhe anwachsen, und ein wenigstens in den wage­ rechten Reihen durchaus geschlossenes System. Aber es ist leider eine recht «gemischte Gesellschaft", die ich in den Spalten 1 bis 4 zum Vergleich herangezogen habe. Und wir werden aus der Tabelle erfahren, was eigentlich für die Kinder bestimmend ist, wenn sie ein ästhetisches Urteil abgeben sollen. Die in Spalte 1 zum Vergleich herangezogene Reihe ist gar keine Kunstordnung, sondern die Lustreihe eines Erwachsenen, also eine Ordnung.nach dem sachlichen Inhalte. Und hierbei übertrifft der Zahlenwert bei den Großen (19) und bei dem Kinde Z (22) alles, was in der Tabelle Y beim Vergleich mit dem Kunsturteile der Erwachsenen erreicht wurde. Die Kinder haben also bei ihrem ästhetischen Urteil offenbar mehr nach der Sache als nach dem künstlerischen Gehalte geordnet. Die Spalte 2, die höhere Zahlen aufweist, gibt den Vergleich mit der Kunstreihe eines kunstverständigen Erwachsenen, des Be­ obachters IV. Als er die Reihe gebildet hatte, verwarf er sie wieder, indem er sagte: Die Reihe gilt nicht, ich sehe jetzt, ich habe den Inhalt viel zu stark mitsprechen lassen. Die Ordnung ist also eine Mischung von ästhetischer und sachlicher Beurteilung. Und da sich hier die Korrelationszahlen gegen die Spalte 1 erhöhen, so ist es wahrscheinlich, daß auch das ästhetische Urteil der Kinder aus einer solchen Mischung besteht. Die Spalten 3 und 4 enthalten den Vergleich mit den Kunst­ reihen von zwei gebildeten Erwachsenen, deren ästhetisches Urteil mit dem der «idealen" Kunstverständigen recht wenig zusammengehen wollte. Der Beobachter 4 verwies beispielsweise drei von den fünf besten Kunstwerken, die von allen ästhetisch Geschulten als die ersten anerkannt wurden, beinahe ans Ende der Reihe. Seine Ordnung ergibt mit den Kunstreihen Geschulter natürlich sehr hohe negative Zahlen, mit der Lustreihe eines Erwachsenen aber den positiven Wert 50. Auch er hat also in erster Linie nach der Sache geurteilt. Kein Wunder, wenn in den Spalten 3 und 4 die Korrelationen zu den Kinderreihen ansteigen, wenn jetzt das Mädchen Z mit dem Werte 54 die Führung übernimmt, während ihre Freundin Oo auf 23 herab sinkt. So weit geht sie, auch in ihrem ästhetischen Urteile, denn doch nicht mit! Auch der Kunstverständige kann sein Formurteil nicht immer völlig vom fachlichen Inhalte loslösen. Meine auserlesenen Er­ wachsenen I bis IV zeigten in Tabelle W ein fehlerloses Korre­ lationssystem. Das regelmäßige Abwandern der Zahlen muß eine

141 Ursache haben, es mutz etwas vorhanden sein, was sich in abgeftusten Graden dem ästhetischen Urteil beimischt. 3m anderen Falle müßte die Zahlenreihe Unregelmäßigkeiten zeigen. 3ch linde dieses Etwas in der größeren oder geringeren Betonung des sachlichen Inhalts, was sich leicht an Einzelheiten nachweisen läßt. So nimmt das Porträt des Kaisers in der Reihenfolge der Beobachter folgende Stellen ein: 14, 14, 9, 8. Es ist am Schlüsse, beim vierten Beobachter, auf einer Höhe angelangt, auf die es nach seinen künstlerischen Qualitäten ganz gewiß nicht Anspruch hat. 3n der gemischten Reihe (Sache—Form) des Beobachters IV steigt das Bild dann auf Nr. 6, um in der reinen Sachreihe als Nr. 1 zu enden. Einen ähnlichen Weg geht Hindenburgs Porträt, oon 6, 6 auf 3, 2. Trotz dieser Beimischung von Sachinteresse müssen aber auch die Beobachter III und IV als kunstsinnig gelten. Wo allerdings die Anteilnahme am Inhalt den Formensinn völlig überwuchert, da muß das Kunstverständnis bestritten werden. Man könnte auf Grund des Zahlenmaterials befürchten, dies sei bei dem Durch­ schnitt der Kinder in einem Maße eingetroffen, das Besorgnis um ihre ästhetische Veranlagung erwecken müßte. Der Vergleich mit vier anderen gebildeten Erwachsenen, die ich wahllos zur Untersuchung heranzog, entkräftet das Bedenken. Nur einer von ihnen hat das Mädchen Go übertroffen, zwei von ihnen gehen etwa mit den Großen und Kleinen, während einer noch weit unter dem Mädchen Z zu stehen scheint. Die Mädchen können also den Vergleich mit dem Durchschnitt der Erwachsenen recht wohl auShalten. Und wenn in den Kunstdebatten den Kindern so ost das Verständnis für die Bildkunst abgestritten worden ist, so scheint der Hauptgrund darin zu liegen, daß hervorragende ästhetische Veranlagung selten ist, bei Kindern und Erwachsenen. — Nach dem Abschluß der ästhetischen Untersuchung, die wegen der geringen Höhe der Korrelationszahlen mit so großen Schwie­ rigkeiten zu kämpfen hatte, wird man die hohen Werte bei den Sach Korrelationen erst richtig einschätzen, die um so mehr auf­ fallen, als es sich doch auch hier um Gefühlsvergleiche handelt. Selbst das Gebiet der Lust-Unlust-Gefühle weist größere in­ dividuelle Unterschiede, schon in den Uronlagen, auf, als man ge­ meinhin annimmt, was wir schon an den Geschmacksversuchen gesehen haben. Wenn nun bei unseren Kriegsversuchen trotz aller Verschie­ denheit in der Uranlage der Gefühle so große Korrelationszahlen zutage treten, so muß es etwas ganz Überwältigendes gewesen sein, das in das Gefühlsleben der Erwachsenen, der kleinen und großen Mädchen regulierend eingegriffen hat, Unterschiede in der ursprünglichen Veranlagung ausgleichend und so zur fast völligen Übereinstimmung führend, zwischen dem männlichen Fühlen des Erwachsenen, der kindlichen Auffassung der zehnjährigen und dem Empfinden der zwölfjährigen Mädchen, bei denen schon das weib­ liche Fühlen leise anklingt.

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142 —

Das Kriegserlebnis, das den Ausgangspunkt der Unter­ suchung bildet, forderte nun, wie wir gesehen haben, eine gefühls­ mäßige Auseinandersetzung vor allem nach zwei Richtungen, nach dem vaterländischen und nach dem allgemein menschlichen Fühlen. Dor den allgemeinen Anforderungen des Sittengesetzes, vor der vaterländischen Be­ geisterung einer großen Zeit schrumpfen alle Unterschiede des menschlichen Empfindens bei­ nahe zu nichts zusammen. Ein Volk, ein Wille, ein Fühlen: Das ist der Sinn unserer Korrela­ tionszahlen.

Anhang. Zusammenstellung der Ergebnisse Sympathetische Gefühle 1. Die Kinder orientieren sich bei der Auffassung des Kriegserlebnisses im wesentlichen an der Hand der sympathetischen Gefühle. 2. Die sympathetischen Gefühle der großen Mädchen weisen bedeutend stärkere Grade auf als die der kleinen, bei Mitfreude wie bei Mitleid. 3. 3n der Reihe Mitfreude werden die Motive der Feindesliebe von Großen und Kleinen besonders bevorzugt.

4. Bei den Großen sind diese Motive durch die stärksten Grade von Mitfreude ausgezeichnet.

Bei den Kleinen werden sie im Gedächtnis am treuesten aufbewahrl.

6. Bei den Kleinen orientiert sich die Stärke der Mitfreude vom egozentrischen Standpunkte aus, in der Reihe: Bater, Kamerad, Vaterland, Feindesliebe.

7. Die Großen zeigen eine ähnliche Reihenfolge, aber die Motive der Feindesliebe treten an die erste Stelle. s. In der Mitleidsreihe steht das kindliche Empfinden mit dem Trennungsschmerz der Mutter obenan. 9. Dem folgt die Anteilnahme an dem in den Tod ziehenden deutschen Krieger — besonders stark bei religiösem Einschlag — und an der Trauer des Kameraden um den Tod des gefallenen Freundes.

10. Die Kinder empfinden stärker mit dem Leiden des Lebenden als mit dem Abschlüsse des Kriegsdramas im Kampfestod. 11. Demnach wird der Tod im ehrlichen Kampfe nur durch mit (lere Grade von Mitleid begleitet.

144 12. Der Untergang von freund und Feind ergibt die gleiche Schmerz­ note, mögen die Motive durch Wort- oder Bildkunst vorgeIragen fein. 13. Das Widerspiel der sympathetischen Gefühle, der Neid und die echte Schadenfreude, waren nicht auffindbar.

14. Allgemeine Menschlichkeitsmotive wirkten stärker, wenn sie durch Wortkunst, als wenn sie durch Bildkunst vorgetragen wurden.

vaterländische Begeisterung 15. Die vaterländische Begeisterung bildet beim Kriegserlebnis der Kinder gegenüber der allgemeinen Orientierung an Menschlichkeits­ gefühlen nur eine Episode. Die Reihe der sympathetischen Gefühle iimfafot alle 29, die Baterlandsreihe nur 10 bis 13 Motive. 16. Die vaterländische Begeisterung ist nach der Auffassung des Erwachsenen charakterisiert durch starke Erregungszustände und lebhaft menschliches Fühlen. Sie erscheint ihm zumeist stark lust­ betont und ist selten von Spannungsgefühlen, meist von starken Löjungsgeiühlen begleitet. 17. Die vaterländischen Gefühle der kleinen Mädchen sind stets starke Erregungszustände, sie knüpfen in den meisten Fällen an heitere Motive an, die, von lebhafter Mitfreude begleitet, zu ausge­ sprochenen Lösungserscheinungen führen. Bei ganz ernsten Motiven versagen die Zehnjährigen. Mittelernste, von schwacher Unlust und Spuren von Mitleid begleitet, wirken stark spannend und schwach erregend, so daß dabei nur eine schwache vaterländische Begeisterung aufkommen kann. Sie zeigen im ganzen eine frische, heiter kindliche Art. 18. Die aaterländische Begeisterung der großen Mädchen ist, einer geringeren Erregungsfähigkeit entiprechend, weniger in die Auaen springend und auf einen ernsteren Ton abgestimmt. Die heitersten Motive, nur von geringen Graden der Mitfreude begleitet, wirken flau, und die aus der Stimmung sich ergebende Lösung schwächt das vaterländische Fühlen eher ab, als sie es stärkt. Mit gröberem Eifer ergreifen die Zwölfjährigen die ernsteren — nicht die aller­ ernstesten — Motive. Sie erfassen den Borgang mit Spannungs­ gefühlen und Nuhezuständen (Ergebung in das Schicksal!), begleitet von mäßiger Unlust und normalen Mitleidsäuberungen.

1.9. Während bei den Kleinen in allen Fällen, abgesehen von Unlust und Mitleid, die stärksten Gefühlsäuberungen als Komponenten in das vaterländische Fühlen eingehen, nach Lust, Spannung, Lösung, Erregung und Mit reude, handelt es sich bei den Großen höchstens um 'mittlere, zumeist um untermittlere Werte, mit einziger Ausnahme der Erregungserscheinungen, in denen sie aber doch nicht an die Kleinen herankommen. 20. Vaterländische Begeisterung erwecken, nach der Stärke ihrer Wirkung geordnet, folgende Motive: Sieg, Friede, Wiederkehr des siegreichen Vaters, Kameradschaft, Liebestalen für Freund und Feind, Truppenführer, Kaiser, siegesgewisses Vorgehen gegen

145 den Feind, unschuldiges Leiden des deutschen Kriegers und — hauptsächlich bei den Großen — der künstlerisch verklärte Tod fürs Vaterland. 21. Das Bild der Siegesfahne und das Friedensbild zeigen die höchsten Grade vaterländischer Begeisterung, im ersten Falle von starker Erregung, im zweiten von Beruhigungszuständen begleitet. 22. Die Erregungsunlerschiede der beiden Motive treten auch im Schriftcharakter zutage, bei der Siegeszuversicht durch große, kräftige Schrift, beim Friedensmotiv durch weiche, runde Formen gekennzeichnet.

23. Bei einem zwölfjährigen Knaben bewirkt das Bild der Sieges­ fahne, nach seiner Aussage, nach Form und Dauer der Atemkurve, mehr Beruhigungs- als Erregungserscheinungen.

24. Das Kaiserbild, das auf die Soldatenkinder besonders stark wirkt, verbreitet eine Stimmung ruhiger Zuversicht, bei den Kleinen mit den ausgesprochenen Symptomen der Sttßmimik (Zuneigung). Diesem Gesamtbilde ist bei den Kleinen „ein bißl" Stolz, bei den Großen etwas mehr davon zugefügt. 25. Auch bei dem Knaben ist die Wirkung des Kaiserbildes, gemessen an seiner Aussage, an Form und Dauer der Atmungserscheinungen, mehr beruhigend als erregend, erregender wirken die Porträts siegreicher Truppenführer. 26. Kampfmotive werden sehr verschieden aufgefaßt. Nur die Kleinen zeigen hier und da Spuren von Angriffsgeist, bei den Großen ist der Eindruck lähmend.

27. Die lähmende Wirkung der Kampfmotive äußert sich im Schrift­ charakter durch kleine, unregelmäßige Züge. 28. Verletzungen der allgemeinen Menschenrechte dem deutschen Soldaten gegenüber (das Schießen auf deutsche Verwundete, der heimtückische Franktireurüberfali) werden nur durch geringste Spuren von Abscheu begleitet und im allgemeinen mit ergebungs­ vollem Schmerze ertragen. 29. Der Knabe zeigt bei dem Bilde Franktireurüberfall in seiner Aus­ sage und in der Atemkurve eine ähnliche Auffassung.

30. Starker Abscheu tritt bei den Kindern zutage angesichts der blinden Zerstörungswut des Feindes, die sich gegen Leben und Besitz der unschuldigen Bevölkerung richtet. (Ostpreußen.) 31. Bei den besonders stark wirkenden Todesmotiven schweigt die Stimme der Vaterlandsliebe, übertönt durch allgemein mensch­ liches Empfinden.

32. Nur in seltenen Fällen wird der Tod fürs Vaterland durch aus­ gesprochen vaterländisches Fühlen ausgezeichnet und verklärt. 33. Wort- und Bildkunst sind in bezug auf vaterländisches Fühlen von ungefähr gleicher Wirkung. Schulze, Unsere Kinder u. d. Krieg.

10

146

Gesüblselement 34. Die Kinder reagieren auf das Kriegserlebnis mit einer reichen, nach jeder Richtung hin sein abgestuften Skala von Gefühls­ äußerungen, wobei sie zuweilen den schwierigsten Stimmungen gerecht werden. 35. Die Verteilung der Gefühlselemente Lust, Unlust, Erregung, Beruhigung, Spannung, Lösung erfolgt bei den Kindern in großer Übereinstimmung mit dem Erwachsenen. 36. Das Kriegserlebnis wird bei Erwachsenen und Kindern ganz über­ wiegend von Erregungszuständen begleitet.

37. Hierbei zeigen die Kleinen, ihrer Jugendlichkeit entsprechend, mehr Erregungsfälle als der Erwachsene, während die Großen, einem allzu weiblichen Empfinden nachgebend, hinter dem männlichen Erwachsenen zurücksteyen.

38. Auch in den Erregungsgraden werden die Großen von den Kleinen übertroffen, während in den Beruhigungsgraden die Großen die Führung haben. 39. Das Kriegserlebnis wird in der Mehrzahl der Fälle von Spannungs­ zuständen begleitet, bei Kindern und Erwachsenen.

40. Starke Spannungs- und Lösungsgrade sind beim Erwachsenen häufiger als bei den Kindern aufgetreten. 41. Die Spannungsgrade der Großen und Kleinen sind annähernd gleich.

42. Das Kriegserlebnis wird beim Erwachsenen in einer größeren Zahl von Fällen lustbetont empfunden wie bei den Kindern. 43. Die Lust grade sind in Annäherung an die Empfindung des Erwachsenen bei den Großen stärker als bei den Kleinen.

44. Die höchsten Lustgrade werden nur durch „neutrale" Bilder aus­ gelöst, auch bei den lustigsten Kriegsmotiven erscheint die Lnstwirkung abgeschwächt. 45. Trotzdem waren die auftretenden Lustwirkungen stärker differenziert als die Unlustreaktionen.

46. Bei den Anluststimmungen zeigen sich größere individuelle Ver­ schiedenheiten als bei den Lustgefühlen, entsprechend den Ergeb­ nissen der Geschmacksversuche bezüglich der Bitter- und Süß­ wirkung.

47. Kinder mit abweichenden Gefühlsäußerungen bei den Geschmacks­ versuchen reagieren auch aus die Lust- oder Unlustmotive bei den Kriegsversuchen eigenartig. 48. 3m allgemeinen erscheinen infolge der tiefgreifenden Wirkung des Kriegserlebnisses die individuellen Unterschiede abgeschwächt, so daß sich im ganzen eine große Übereinstimmung zwischen dem Fühlen des Erwachsenen und der Kinder ergibt, soweit es sich um den Inhalt und nicht um die Form der Motive handelt.

147 49. Die Großen reagieren dabei noch einheitlicher als die Kleinen, sie zeigen auch noch in ihren „Außenseitern" eine große Überein­ stimmung. 50. Bild- und Wortkunst folgen bei der Berteilung nach Lust-Unlust und Erregung-Beruhigung der bei diesen Gesühlspaaren geltenden Kreuzregel.

51. Die Kreuzregel besagt, daß bei der Lust- und Erregungsreihe individuelle Beranlagungen oder geschlossene Massen von Gefühls­ motiven (Bild- oder Wortkunst, Geigen- oder Trompetenton), die zu hohen Erregungsgraden führen, nur geringe Beruhigungsgrade aufweisen und umgekehrt — entsprechend bei der Lustreihe —, so daß beim Vergleich zweier Individuen oder zweier Systeme von Gefühlsmotiven die Gefühlsgrade kreuzweise wechseln.

52. Die Kreuzregel ist bestätigt durch das Verhältnis der Gesamt stellungszahl sowie durch die Berechnung der stärksten Gefühlsgrade. 53. Das Gefühlspaar Spannung-Lösung folgt seiner Natur nach der Kreuzregel nicht. 54. Das Bild wirkt bei den Großen spannender als die Wortkunst, 55. Für Große und Kleine wirkt das Bild bedeutend erregender als die Wortkunst.

56. Die aktiven Seiten der Reihen Lust-Unlust und Erregung-Beruhigung (Lust und Erregung) zeigen die größeren Abweichungen in der Stellung von Bild und Wort.

Kunstverständnis 57. Bei Erwachsenen, auch bei Gebildeten, ist die Stellungnahme zu Formwerten des Kunstwerkes, im Kunstgenießen wie im ästhetischen Urteil, in sehr unterschiedlichen Graden vorhanden und ausgebildet. Die Korrelationsverluche mit Erwachsenen geben solchen Unter­ schieden zahlenmäßigen Ausdruck.

58. Die Kinder ersassen das im Kunstwerk dargebotene Kriegserlebnis infolge ihrer starken persönlichen Anteilnahme im wesentlichen nach seinem sachlichen Inhalte, der Künstwert spricht nur leise mit.

59. Spuren des Kunstverständnisses der Kinder wurden bei den Versuchen nachgewiesen durch gelegentliche Äußerungen des Beobachters bei der Mimikdeutung, die auf Formwerte Hinwiesen, durch ungewollte mimische Äußerungen des Beobachters selbst, namentlich bei der Mimik der musikalischen Motive, und durch zahlenmäßige Beweise im Abwandern der Korrelationshöhe in Korrelationssystemen. 60. Das ästhetische Urteil der Kinder ist wesentlich am Sachinhalte orientiert, während sich in der Mimik das Kunstempfinden ästhetisch veranlagter Kinder reiner abspiegelt. 61. Der Wettbewerb der Künste ergibt, an den Graden der sympathe­ tischen Gefühle gemessen, für die großen Mädchen folgende Reihe: Vokalmusik, Instrumentalmusik, Gedicht mit Liedanklang, Gedicht, Prosa, Bild.

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148 62. Unbewußte oder bewußte „Kriegseinstellung" kann die Formwerte eines Kunstwerkes dem Verständnis erschließen oder vertiefen, was in den Versuchen bei musikalischen Darbie'ungen, bei Wortund Bildkunst nachweisoar ist. 3. Die Mimik bei musikalischen Darbietungen scheint besondere Eigentümlichkeiten aufzuweisen, denn der Beobachter gab bei der Betrachtung der betreffenden Photographien selbst durch musikalische Ausdrucksbewegungen, durch rhythmisches Klopfen, durch Pfeifen und Singen ungewollt Hinweise auf den Inhalt des Gebotenen.

64. Die Mimik der Wort- und Bildkunst ist deutlich geschieden. Nur bei den kleinen Mädchen hat der Beobachter einige Fehlurteile abgegeben. 65. Bei Gedichtstrophen gaben die Berichte des Beobachters, namentlich bei kindertümlicher Kunst, vielfach Hinweise auf die Wirkungen des Rhythmus. 66. Gute Prosa im Feldbericht hinterläßt zuweilen in der Mimik deutliche Spuren der Formwirkung. Die Prosa wird bei hervor­ ragend rhythmischem Vortrag als Gedicht, bei bilderreicher Sprache als Bildkunst gedeutet.

67. Die Mimik der Bildkunst wird in besonders treffender Weise vom Beobachter gedeutet, so daß er bei einer ganzen Anzahl von Motiven das richtige Bild nannte, ehe er wußte, welche Bilder bei den Versuchen benutzt worden waren, daß er an verschiedenen Stellen zutreffende Urteile über den Kunstwert abgao und in einzelnen Fällen, nur aus der Mimik der Kinder heraus, sogar die ganze Bildanlage mit ihren wirksamen Formwerten beschrieb. 68. Bei manchen Bildern, namentlich bei Porträtdarstellungen, benutzen die Kinder — vor allem die Kleinen — das Bild gleichsam nur als Stichwort, von dem ausgehend sie Gedankenfaden spinnen, so daß ein großer Teil der eigentlichen Kunstwirkung verloren geht.

69. Trotzdem sind Spuren der Porträtwirkung nachweisbar, denn der Beobachter hat beinahe alle Porträtmimik richtig als solche gedeutet.

70. Ein kindertümliches Porträt sollte, der kindlichen Art nachgebend, etwas von Handlung in die reine Porträtwirkung hineintragen. 71. Die Kinder zeigen inbezug auf das Kunstverständnis weitgehende Unterschiede. 72. Diese Unterschiede, vom gänzlichen Mangel an Kunstverständnis bis zur hohen Annäherung an das Kunstverständnis hervorragend veranlagter und geschulter Erwachsener, müssen nicht notwendiger­ weise durch verschiedene Entwicklungsstufen begründet fein. Sie zeigen sich in ähnlicher Weise bei gebildeten Erwachsenen.

73. Rach den Ergebnissen der Korrelationsrechnung zeigt ein großes Mädchen beinahe gänzlichen Mangel an Kunstverständnis, während ein anderes eine größere Annäherung an das Kunstverständnis eines gebildeten und für Bildkunst empfänglichen, zeichnerisch sehr gut veranlagten E wachsenen au,weist als dieser selbst zur Auffaffung des „idealen" Kunstverständigen.

149 74. Die kleinen Mädchen zeigen, soweit es sich um Bildkunst handelt, geringere Spuren von Kunstverständnis, bei den größeren sind sie deutlicher nachweisbar.

Vorstellungsverlauf 75. Der Dorstellungsverlauf der Kinder geht unter dem Eindruck der Kriegserlebnisse leicht, sowohl durch sinngemäße Beziehungen wie durch sogenannte freisteigende Dorstellungen, in den Kriegsbereich über.

76. Die Rückkehr vom Kriegsdenken zum normalen Dorstellungsverlauf erfolgt nur beim Stocken der Kriegsreihe, durch äußeren Zwang oder durch besonders starke Gefühlswerte. Sinnvolles Zurück­ kehren wurde nur im letzteren Falle beobachtet. 77. Die Kriegsreihen der Kinder waren reicher an sinnvollen Be­ ziehungen als die neutralen. 78. Die Kriegsreihen sind zusammenhängende Dorstellungsmassen, während beim neutralen Denken das Kind, auch beim Ausgehen von einer Gesamtvorstellung, mit seinen Gedanken umherirrt und vom Hundertsten ins Tausendste gerät. 79. Der Zusammenhang der Kriegsreihen war besonders stark bei den intelligenten Kindern.

Methodisches 80. Bei Kinderversuchen, namentlich bei Gefühlsuntersuchungen, wo die Selbstbeobachtung auf Schwierigkeiten stößt, kann das indirekte Derfahren empfohlen werden, das mit Hilfe der Einfühlung Aus­ drucksbewegungen der Kinder deutet. 81. Die mimische Methode lieferte durch Einzelbeschreibungen, durch Zuverlässigkeit- und Beziehungskoeffizienten ausgezeichnete Er­ gebnisse. 82. Die Einfühlungsmethode kann bei Mimikdeutung gleiche, im Einzel falle sogar bessere Resultate ergeben als die Selbstbeobachtung des Erwachsenen.

83. So erfolgte die Ordnung einer Reihe von Lust-Unlust-Mimik durch zwei Erwachsene mit größerer subjektiver Sicherheit und mit gleichen oder größeren Zuverlässigkeitskoeffizienten als die Ordnung einer entsprechenden Reihe von Lust-Unlust-Motiven durch die Selbstbeobachtung derselben beiden Erwachsenen. 84. Die Zuverlässigkeitskoeffizienten bei der Deutung der Lust-UnlustMimik der Kinder waren bei allen Beobachtern außerordentlich hoch. Selbst die Ordnung einer Reihe durch ein zehnjähriges Kind ergab ziemlich hohe Zuverlässigkeitszahlen im Dergleich mit den Ordnungen der Erwachsenen. 85. Die Erregungs- und Spannungsmimik wurde mit geringerer Sicherheit gedeutet, doch ergaben sich noch gültige Zuverlässigkeits­ koeffizienten.

150 86. Die verwendeten Gefühlsmotive zeigten in ihrer Gesamtheit — bei allen drei Gefühlspaaren: Lust-Unlust, Erregung-Beruhigung, Spannung-Lösung — insofern die mathematischen Kennzeichen eines Kollektivgegenstandes, als die Enden der Reihen größere Unterschiede aufweisen als das mittlere Gebiet der Reihe. Die Scharung um einen Mittelwert verriet sich in der Unsicherheit der Bewertung der llbergangsfälle.

87. Kinder, die dem Beobachter besonders sympathisch erschienen, wurden in ihrer Mimik am genauesten beurteilt.

8S. Die mündlichen Aussagen der Kinder über die Lustwirkung der vorgelegten Bildmotive ergaben zum Teil gute, zum Teil mäßige Korrelationskoeffizienten zu der Auffassung des Erwachsenen. 89. Die auf Grund der Beobachtung der Lustmimik gewonnenen Korrelationen zwischen Erwachsenen und Kindern zeigten durch­ gängig höhere Werte. 90. Die mündlichen Aussagen der Kinder über den Kunstwert der Bilder ergaben keine Beziehungen zu dem Kunsturteile Erwachsener, weder durch Korrelationszahlen noch durch Korrelationssysteme.

91. Die auf Grund der Mimikdeutung gewonnenen Kunstreihen der Kinder zeigten in Korrelationssystemen gesetzmäßige Beziehungen zu dem Kunsturteile Erwachsener. 92. Die Massenuntersuchung kann bei einer großen Gleichartigkeit der Individuen unter Ilmständen bessere Ergebnisse zeitigen als der Einzelversuch.

93. Die durch Massenversuch gewonnenen Korrelationszahlen können, unter diesen Umständen eine außergewöhnliche Höhe erreichen. Sie können höher sein als beim Einzelversuch. 94. Dieser Fall war im allgemeinen verwirklicht bei der Beurteilung der Motive nach ihrem sachlichen Inhalte.

95. Ist die Variationsbreite der Individuen größer, so steht der Massen­ versuch hinter dem Einzelversuch zurück.

96. Die Unlustmotive zeigten infolge größerer individueller Unterschiede beim Massenversuch geringere Werte als die Lustmotive, besonders bei den kleinen Mädchen. 97. Bei der Bildkunst, die einen Durchschnitt durch das Geschehen bedeutet, waren die Korrelationen vorzüglich, während sie bei der Wortkunst, die durch die Darstellung eines fortlaufenden Geschehens Anlaß zu individuell verschiedener Auffassung bietet, merklich abgemindert erschienen.

98. Ist die Variation der Individuen sehr groß, wie bei der ästhetischen Beurteilung der Motive, so liefert die Massenuntersuchung unge­ nügende Resultate.

99. Die als Endergebnis auftretenden hohen Beziehungskoeffizienten zwischen den Lustreihen der Kinder und Erwachsenen entkräften



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für den gegebenen Fall die gegen das indirekte Verfahren, gegen die Einfühlungsmethode und gegen den Massenversuch im allge­ meinen zu Recht bestehenden Bedenken.

100. Die Korrelationsrechnung kann bei Gefühlsuntersuchungen zur Prüfung der Zuverlässigkeit der Methode sowie zur Herausstellung gesetzmäßiger Beziehungen durch Beziehungskoeffizienten und Korrelationssysteme mit Ruhen verwendet werden.

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