Was nun?: Aus der kirchlichen Bewegung und wider den kirchlichen Radikalismus in Bremen [Reprint 2019 ed.] 9783111702070, 9783111313382

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Was nun?: Aus der kirchlichen Bewegung und wider den kirchlichen Radikalismus in Bremen [Reprint 2019 ed.]
 9783111702070, 9783111313382

Table of contents :
Inhalt
I. Mus den Schillerpredigten
II. Auf vulkanischem Boden
III. Zur Abgrenzung der Lehrfreiheit
IV. Flach Kalthoffs Code
V. Das Programm einer neuen Vierteljahresschrift: „Bremer Beiträge zum Hausbau u. Umbau der Kirche“

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Was nun? Hu5 der kirchlichen Bewegung und

wider den kircblicben Radikalismus in Bremen

von

J. Burggraf Pastor an 6t. Hnsgarii in Bremen

Giessen 1906 Verlag von Hlfred Eöpelmann (vormals J. Ricker)

Jnbalt: I. II. III. IV. V.

Mus den Schillerpredigten ♦ Seite i Huf vulkanischem Boden ............................. . „ 16 Zur Abgrenzung der Lehrfreiheit................... „ rr Flach Kalthoffs Code ........................ „ 30 Das Programm einer neuenViertelJahreschrift: „Bremer Beiträge zum Husbau u. Umbau der Kirche“



55

Mit dieser Schrift weisen Verfasser und Verleger zugleich hin auf

das

Erscheinen

der

Zeitschrift:

i Bremer Beiträge i

;um Ausbau und Umbau

der Kirche

Zhr Programm wolle man hier im fünften Anfsatz Nachlesen

Ein Bestellzettel befindet sich am Schlüsse des Textes auf Leite 65

| [

;

I.

Huö den Scbülerpredigten von I. Burggraf. Jena, Herm. Costenoble 1905.

„Wir, wir leben! Unser sind die Stunden, und der Lebende hat recht!" —

„Leben duftet nur die frische Pflauze, die die grüne Stunde streut!" Wie eine Anknüpfung an diese Verse aus Schillers „An die Freunde" klingt es, wenn Pastor Strudel in einem neulich aus dem „Freien Wort" in den hiesigen Blättern abgedrucktcn Artikel schreibt: Ein neuer Frühling religiösen Lebens ist in Deutschland angebrochen.

Allerorten

rührt und regt cs sich. Die Losung: „Gott ist tot" hat kein Echo gefunden in der deutschen Volksseele. „Air glauben an den Gott des Lebens, an den heiligen Geist der Ent-

wicklung, der sich in allen aufwärts und vorwärts strebenden Kräften der Menschheit ver­ körpert", — so lautet das Evangelium der neuen Zeit, das in den Werken der Dichter und Denker, der Naturforscher und Wahrhcitssucher, woher sie auch kommen, anklingt. Aber dieser neue und doch ewige Gott ist nicht ein Gott der Vergangenheit und des

heiligen Buches, sondern der Gegenwart und Zukunft. Er lebt im sprossenden Keimblatt, in der Tiefe jeder echten Künstlcrscele, in jcbcni ernsten Entschluß einer Persönlichkeit. Daß unsere Zeit dies cinzusehen gelernt hat, ist ihr größter Gewinn, ein Fortschritt, der

Erlösung bringt.

Nicht mehr „das Pergament" ist uns „der heil'ge Brunnen, woraus

ein Trunk den Durst auf ewig stillt".

Wohl „sagen's aller Orten alle Herzen unter

dem himmlischen Tage, jedes in seiner Sprache" — aber, so kann man hinzufügen, jedem

wird es nur in seiner Sprache verständlich, und darum sagt uns der Deutsche der Gegenwart, wenn er uns in die Tiefen seines religiösen Erlebnisses hineinleuchtet, mehr als ein Prophet Kanaans und ein vorderasiatischer christlicher Missionar, wie es St. Paulus

war.

Wir suchen Gott, der nicht ferne ist von einem jeglichen unter uns, in dem wir

Menschen der Gegenwart leben und wirken. — Aus dieser beglückenden Erkenntnis ergibt

sich der Bruch mit der überlieferten, an Bücher und Bekenntnisse der Vergangenheit ge­ bundenen religiösen Unterweisung, wie sie leider noch überall in deutschen Landen im wohlreglementiertcn Schnlbetrieb vorgeschrieben ist.

Der Artikel kommt dann auf die Forderung eines Teiles der Bremer

Lehrerwelt, den Religionsunterricht, auch den biblischen, ganz aus der Schule auszuscheiden, und gibt die Losung aus: „Kein Fach als Religion in der Schule,

aber kein Fach in der Schule ohne Religion." Biblische Unterweisung soll nicht Burggraf, War nun? 1

2

Burggraf, Was nun?

mehr stattfinden, das schaffe keine echte Religiosität; statt dessen solle der Lehrer

durch seine Persönlichkeit und sein ganzes Wirken und Lehren den Kindern

Ewigkeitssinn einpflanzen.

Zum Schluß heißt es:

Das aber ist Religion, daß wir Deutsche auf Grund unserer Geschichte uns unserer göttlichen Berufung bewußt werden, als die Vertreter eines auf Wahrheit, Güte

und Schönheit gerichteten Idealismus anderen Völkern voranzugehen.

Darum — los

von Kanaan, besten Vergangenheit unfähig ist, lebendige Religion in uns auszulösen,

— hin zu dem Gott einer mit tausend lebendigen und erlösenden Kräften ausgestatteten

Gegenwart; fort mit dem Unterricht in Religion, hin zu einem Unterricht aus Religion und einer Erziehung zur Religion!

Das ist die Reformation des 20. Jahrhunderts.

Dieses eifrige Bemühen, das religiöse Leben der Gegenwart von dem Boden der biblischen Überlieferung loszulösen, kommt mir vor wie das Treiben eines Mannes, der unter dem Erbgut seiner Väter einen großen Kasten goldener

Münzen von sehr altem Gepräge gefunden hat. Das meiste ist für den heutigen Verkehr entwertet, der Kaufmann nimmt sie nicht an.

Da kommt er auf den

vernünftigen Gedanken, sie zum Goldschmied oder zum Händler zu tragen, und freudig malt er sich aus, welche Fülle von Zwanzigmarkstücken er dafür ein­ wechseln könne.

Ganz beglückt von dem Gedanken seines Reichtums, im Geiste

schon umgeben von dem Schatz der blinkenden Stücke mit modernstem Wert­

stempel, greift er in seinen Kasten hinein und wirft die alten Münzen, die sich ja gar nicht vergleichen ließen mit diesen schönen Münzen der neuen Prägung, in rasendem Lustgefühle mit vollen Händen zum Fenster hinaus, bis er dann

schließlich, zur Besinnung gekommen, merkt, daß er ein recht armer Mann ge­ worden ist und nichts mehr hat.

Darauf kommt diese Losung: „Los von Kanaan!" schließlich hinaus, dieses

selbstgefällige Sichweiden an dem Reichtum moderner Religiosität und moderner Glaubenszeugnisse unter so kalt undankbarer Abweisung der Bibel, als brauchte

man diese nun nicht mehr.

Man wird die Menschen schwerlich dazu bringen,

„im sprossenden Keimblatt" das Gotteswort zu erkennen, wenn sie das Gottes­

wort ans den Blättern der Schrift nicht mehr kennen.

Und wer kein Ver­

ständnis mehr hat für das ewig Wahre und auch uns noch schöpferisch Be­

lebende in der Seele jenes „vorderasiatischen christlichen Missionars", der wird sich aus den Dichtungen eines Goethe und Schiller sicherlich keine Religion

anzueignen vermögen.

Man gibt die Bibel leichten Herzens weg, und was

wird man an wahrhaft religiösen Werten in der Seele seines Volkes dafür eintauschen?

Einen Sinn, der nun lebt und webt in dem lebendigen Gott der

Gegenwart, und dem alles Vergängliche sein Gleichnis wird? Unter diesem Verschleudern eines Gutes, das unser Volk religiös reich

gemacht hat, wird, fürchte ich, ein Geschlecht aufwachsen, das der Bibel in hoch­ mütiger Geringschätzung

und

infolge

dessen der ganzen Religion in voller

I. Aus den Schillerpredigten.

Gleichgültigkeit gegenüberstehen wird.

Der Ruf:

3

„Los von Kanaan!" — in

dieser Weise ausgegeben — ruft eine Zeit herbei, in der uns ringsum wüste

Trümmer anstarren werden da, wo einst heilige Denkmäler standen, und trockener Sand da, wo einmal Quellen rannen.

Es muß auf das bestimmteste Protest eingelegt werden gegen solchen jetzt in der ganzen protestantischen Welt als Bremische Theologie berüchtigten Ver­

such, den Strom unseres religiösen Lebens voll der Quelle abzuschneiden.

Diese Loslösung des Reformwerkes in der Kirche von dem geschichtlichen Zusammenhänge wäre nun auch ganz und gar nicht dem Schillergeiste ent­ sprechend.

Der

ganze Freiheitsgedanke des Sängers auf der Höhe seiner

Vollendung ist allem Radikalismus abhold, allem Bruch mit dem Heiligen im

Denken und Glauben der Väter.

einfach weil es alt ist.

Da ist nichts von Wegwerfen des Alten,

Freiheit paart sich da mit Weisheit, der Lebensdrang

mit Herzens- und Charakterreife und der Fortschritt mit der Pietät. Das Alte wird anerkannt als eine Macht im Neuen, und die Überlieferung ist nicht ohne

weiteres ein stagnierendes Wasser — sie kann nach Schillers „Tell" auch eine frische Quelle sein und kann, wenn nur der rechte Silin int jüngeren Geschlechte vorhanden ist, dazu gemacht werden. . . .

Doch etwas ist in jenem Artikel gut und beherzigenswert.

Es klingt dar­

aus, ganz in Schillerschein Geiste gedacht, eine starke Betonung des Rechtes zum eigenen, der biblischen Vergangenheit selbständig gcgenüberstehendcn Gegen­

wartsleben in der Religion und

damit zusammenhängend die Losung des

eigenen, an das Semitische und Griechische in der religiösen Auffassung der Bibel sich nicht bindenden germanischen Christentums. Der Dichter nennt Rom ein Grab der Vergangenheit.

Unter all dem

Kultusgepränge des römischen Katholizismus sieht er die Züge der Todesstarre.

Es ist eine mit der Fortentwicklung des Menschentuins nicht mehr im Zu­ sammenhänge stehende Kultur,

die nur durch die Künste des Priestertums

und durch die zwingende Gewalt seiner Tradition in einem Scheinleben er­ halten wird.

So sehr nun Schiller die von der Reformation her der evangelischen Kirche innewohnenden Lebenstriebe anerkannte, so stieß ihn doch auch in dieser Kirche, und zwar in jeglicher Richtung ihrer damaligen Erscheinung, etwas

Starres, Verknöchertes ab.

Er sah darin wieder eine Tradition, wenn auch

eine bessere, reinere und geistigere, nämlich die biblische, zum Bann der Geister geworden; was eine anregende und regulierende Kraft sein sollte, mehr aber auch durchaus nicht, zum Glaubensgesetz gemacht, das nun alle Geschlechter

verpflichten will, bei der biblischen Denkweise und Vorstellungswelt stehen zu bleiben....

Burggraf, Was nun?

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Aus diesem Widerspruch gegen den falschen Gebrauch der Bibel in der evangelischen Kirche ist auch das viel mißdeutete Wort zu verstehen:

Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, Die du mir nennst. Und warum keine? Aus Religion. Es ist der Protest des Lebens mit seinem eigenen Glauben- und Em­

pfindenwollen, mit seinem unmittelbaren religiösen Gefühl gegen die im kirchlichen Protestantismus zur Schablone und Zwangsjacke gemachte Bibel.

Nun hat ja der liberale Protestantismus sich dem Anspruch, daß man, um wahren Glauben zu haben, sich ganz die Glaubenswelt der Bibel aneignen müsse, schon längst widersetzt.

Er unterscheidet zwischen Geist und Buchstaben,

zwischen Glauben und Vorstellung und wahrt sich dem Buchstaben, der Vor­ stellung gegenüber das Recht der selbständigen Bewegung, wobei er aber seine

Geistesverbundenheit mit dem sittlich-religiösen Leben der heiligen Schrift in der Forderung eines „biblischen Christentums" zum Ausdruck bringt. Dieser Ausdruck führt jedoch zu Halbheiten, Unklarheiten und auch zu

Unwahrheiten. Nichts in der Bibel darf uns zum Feststehen wider unsere eigene Empfindung und bessere Überzeugung zwingen wollen! Darin hat Stendel vollständig recht: wir haben nicht ein biblisches, sondern unser mo­ dernes Christentum zu leben.

Unser ist die Stunde, und diese Stunde des

Gcgcnwartslebens bringt ihre eigenen, frisch duftenden und in ihrer Existenz

berechtigten Pflanzen hervor.

Wir wollen Gott leben und bekennen, wie wir

cs können und wie wir es nach unserer ganzen Erkenntnis und unserer mo­

dernen Entwicklung müssen.

Und dieses unser religiöses Leben will und soll ein deutsches Christenleben sein!

Ich freue mich, hier eine Losung zu vernehmen, die seit langen Jahren

all meine Predigt auf dieser Kanzel beherrscht.

Deutsches, germanisches

Christentum, — daß wir nicht den Glauben, wie er aus fremdvölklichem Blute und fremder Geistcsgeschichte erwachsen ist, einfach als den unsrigen be­

kennen, sondern ihn umzuprägen haben in die Gestalt, wie sie unserer germa­ nischen Gefühls- und Geistesart entspricht und sich aus der Geschichte des deutschen Geistes ergibt.

Herzen zuzustimmen.

In diesem Sinne ist dem „Los von Kanaan!" von

Ja, ein deutsches Christentum!

Das müssen wir finden

und in uns ausbilden; daß uns das gelinge, davon hängt wesentlich die Zu­ kunft unserer Kirche ab, und das erst wäre die Erfüllung der Reformation.

„Biblisches Christentum" ist eine Parole der Vermittelung, die unsere Kirche zu keiner dem gebildeten Zeitbewußtsein wirklich sympathischen, klaren und

festen Position kommen läßt.

Daß wir das noch nicht fühlen, kommt daher,

weil wir immer noch in der höchst einseitigen Auffassung von der Reformation gefangen liegen, als wäre diese, was sie äußerlich allerdings war, auch ihrem

I. Aus den Schillerpredigten.

5

Wesen nach gewesen: nichts anderes als eine Zurückführung unseres Volkes auf die Bibel und das Christentum der apostolischen Zeit. Wohl ist Luther erwachsen aus der Geistessaat, die einst von der Bibel

her auf den deutschen Boden herübergeflogen war.

Aus dem Paulus waren

ihm die Christusgeister, die dessen inneres Leben durchwaltet hatten, befreiend den Bann lösend, sein Auge erhellend, über die Seele gekommen; starke Lebens­

mächte, die nun in ihm die Tiefe des deutschen Volksgeistes aufbrachen und die große Sehnsucht darin auf den Heiland hinwiesen.

Da drängte es in Luther

empor, das religiöse Lebenwollen fühlte im Anschauen Jesu sein Lebenkönnen,

denn es fühlte ihn selbst in sich, wie er nun, sein Herr und Heiland gewor­ den, in seiner Art zu ihm redend, seine Brust dehnte, sein Herz erfüllte, wie

darunter eigenes, beseligendes Gotterleben ihm kam: das deutsche Christentum war da!

Nicht war das des Petrus, des Paulus, des Johannes wicdcrerwcckt,

sondern ein ureigenes, in Gefühlsweise, Gcistesrichtung, Lebcnsidealcn und

Vorstellungen ganz neues, ein germanisches Christcntumempfinden war zum Leben geboren!

Die Bibel ist keine Beschränkung des Lebens, das durch Jesu Christi Geist

und in Gottes Kraft aus uns selbst erwächst; kein Joch, unter dem der freie Entwicklungsdrang zum mühsamen und danken gezwungen werden soll.

peinlichen Zurechtstntzen seiner Ge­

Ja, sie will eine Offenbarung sein aus der

höheren Welt; aber das doch in der Weise, daß sic, was davon in uns selber ist, uns zum Bewußtsein zu bringen hilft.

Ja, sie will eine von Gott in unser

Glaubcnslebcn hineingcstelltc Autorität sein; aber bad doch nur in dem Sinne der immer wieder neuen Hinleitung auf die sittlich-religiöse Wahrhcitsmacht in uns, auf die innere Autorität unseres Herzens und Gewissens.

Die heilige Schrift ist der Ahnensaal unseres religiösen Lebens. Das ist die Betrachtungsweise, die sich aus der ganzen Sinncsrichtung Schillers ergibt, mit der Luthers sich verträgt und die auch vollständig den Bedürfnissen der Kirche und des christlichen Volkes gerecht wird.

Ein gewaltiges und reiches Gotteswort redet aus ihr, aber nicht vor allem aus den einzelnen Gedanken, Worten und Sprüchen, sondern aus den Charakter­

gestalten der biblischen Schriftsteller, aus ihrem Suchen und Ringen, aus ihrem

Leiden und Jubeln, aus dem Ahnen und Schauen dieser Geister, die Gott der Herr gewürdigt hat, Zeugen zu sein seiner der Menschheit ausgehenden Herr­ lichkeit von seines großen Tages erstem Dämmern bis zu der Sonne strahlen­

der Pracht.

Diesen Aufgang Gottes in der Menschheit haben sie in sich durch­

gelebt, durchgearbeitet und durchgekämpft.

Damit ist ihr Seelenleben etwas

uns Heiliges, wo der Morgenstunde göttlicher Odem uns erfrischend und stär­ kend anweht, und wo die suchenden Seelen der aus ihrem Geiste Geborenen

Burggraf, Was nun?

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an ihrem, der Väter, tiefen Sehnen und Gotterleben sich über ihre eigenen

tiefsten Bedürfnisse zu orientieren und über sich selbst klarer und immer klarer zu werden vermögen.

Diese Orientierung an den biblischen Männern brauchen wir aber unbe­ dingt, wenn unser religiöses Leben nicht zerflattern soll ins Unbestimmte und

Wirre, wie das stets immer wieder der Fall gewesen ist da, wo man sich über die Bibel Hinwegsetzen zu dürfen glaubte.

Wir brauchen die Fülle der Gottes­

kräfte, der reinen und so ganz einzigartig belebenden Schaffenskräfte des ewigen

Geistes, wie sie uns aus dem schöpferischen Werden und Bilden dieser Pro­ pheten und Apostel zufließen, — wir brauchen den Zusammenhang mit der

Quelle unseres Glaubens. Das aber ist ein Zusammenhang des Herzens!

Bei aller nüchtern ernsten

Kritik, die wir der Bibel gegenüber üben dürfen und müssen, wird doch nur

allein der zu dem „ewigen Leben" in der Schrift hinfinden, der sich mit nach­ empfindendem Herzen in das ringende Leben der Apostel und Propheten zu

vertiefen vermag.

Dieser verständnisvoll mit ihnen ihr Heiliges durchlebende

Hcrzenssinn, der für das Göttliche darin warm aufgeschlossen ist, darf uns nicht

verloren gehen, sonst wird die Bibel allerdings zu einem nichtssagenden, dem heutigen Glauben nichts mehr gebenden alten Pergament, und damit ist dann das religiöse Leben von der Quelle abgeschnitten.

Das an seiner zwar durchaus berechtigten Kritik, doch in Einseitigkeit ihrer Ausübung und in Pietätlosigkeit seines Wesens bankrott gewordene Herz, das

ist cs, was ich bei aller Anerkennung verwandter Bestrebungen dem Radikalis­ mus in unserer Mitte zum Vorwurf machen muß.

Bei allem, was von dieser

Seite ausgeht, wird man immer an Schillers „Licht und Wärme" erinnert, wie er da von einem „edlen Eifer" redet, der „der Wahrheit seinen treuen

Arm" bietet, dann aber doch davor warnt, daß man nicht der Wahrheit helle

Strahlen an innerer Erkältung zu kalten Strahlen ohne Leben schaffende Kraft werden lasse. Über dieser ganzen Bewegung steht für mich, ihre kirchliche Unfruchtbarkeit und Zükunftlosigkeit dartuend, des Dichters Wort: Wohl denen, die des Wissens Gut

Nicht mit dem Herzen zahlen!

Freiheit und Wahrhaftigkeit, und letztere schrankenlos, das sei unsere Lo­ sung der Bibel gegenüber. Aber es gibt auch eine Frömmigkeit der Forschung, und an der hat die Freiheit ihre Schranke!

etwa

ein

unfreies und

Und diese Frömmigkeit ist nicht

unwahrhaftiges Haltmachen vor einem Forschungs­

resultat, das einem nicht lieb ist; sondern es ist die Herzensoffenheit für

das Große, Gewaltige, Wahre, Göttliche, was einem in der heiligen Schrift entgegentritt, und die Herzensgradheit, die diesem Eindruck die Ehre gibt

und ihn nicht beugt und einer Theorie zuliebe preisgibt.

7

I. AuS den Schillerpredigten.'

Beides aber fehlt da, wo man z. B. zu einem Paulus, dessen Ansichten gegenüber vielfach eine sehr entschiedene Ablehnung am Platze ist, nicht den­ noch aufschaut in vollbewundernder Anerkennung seiner Seelengröße und seiner

gewaltigen, die Jahrhunderte durchwirkenden und für uns absolut unentbehr­ lichen religiösen Bedeutung.

Ein protestantischer Theologe, der über diesen

protestantischen Riesen unter den Aposteln und seinen aus unendlichen Christus­ tiefen schöpfenden Geist irgendwie geringschätzig zu urteilen vermag, der hat

sein Wissen über den Apostel, seine Erkenntnis des jüdisch Dogmatischen in

des Paulus Lehrbegriffen, mit dem Herzen bezahlt!

In einem solchen

Theologen redet alles andere, nur nicht die deutsche Volksseele; ihr ist dieser

Paulus wahrhaftig mehr als „ein vorderasiatischer Missionar"!

Aber die bedauerlichste Herzensschädigung in der freien Forschung wäre doch die Erkältung gegen Jesus.

Wer sich durch das zeitlich Bedingte seiner

Gestalt um die Empfindung für die Einzigartigkeit dieses tiefen, reinen Menschen­

herzens hat bringen lassen; wer vor dieser alles überragenden Seelengröße nicht mehr das Gefühl hat, daß das ein Quell ist, ohne den eine christliche Gemeinde gar nicht existieren könnte, und ohne dessen immer wieder belebenden Durchfluß ihr Glaubensleben der ärgsten Versandung ausgesetzt wäre; wer nichts mehr

sicht von diesem Heilswillen Gottes in Jesu Sendung, der keine dogmatische

Aussage ist, sondern als die Tatsache aller Tatsachen sich jedem gesunden Auge, das auf Jesu Erscheinung blickt, unmittelbar aufdrüngt; ja wer gar den Blick für eine hinter aller biblischen Christussage und Christusdichtung jedem unbe­

fangenen Sinne so urkräftig sich kundtnende geschichtliche Persönlichkeit bis zu dem Grade eingebüßt hat, daß er die Existenz eines persönlichen Stifters des

Christentums zu bestreiten vermag, weil das so besser in sein System paßt, — der hat in sich selbst viel verloren.

Bildet er sich ein, daß er damit dem Suchen

und Ringen der Zeit zurechtweisend entgegenkomme: nun gerade dieses schöpferische Hineinwirken in seine Zeit und sein Volk hat er damit bedenklich verloren. Der suchende Glaube der Gegenwart wird an solchem Christentum ohne Herz­

quell unbefriedigt vorübergehen, — „und warum? aus Religion".

ganz buchstäblich zu nehmen.

Das hier

Die deutsche Volksseele ist unlöslich mit des

Menschensohnes Gestalt verknüpft! Wohl läuft Schillers Lied „An die Freunde" in die bedeutsamen Worte aus: Was sich nie und nirgends hat begeben,

Das allein veraltet nie!

— und das heißt, auf seinen tiefsten Sinn angesehen, daß das Lebenwirkende

doch nicht geschichtliche Vorgänge und geschichtliche Gestalten, sondern jene Geistes­

mächte sind, die in großen Gedanken, in tiefen Ideen, in ewigen Wahrheiten liegen.

Ganz gewiß ist das eine richtige Erkenntnis des Philosophen in Schiller.

Aber gerade ein Schiller, in der Kraft seines stark historischen und dichterisch

Burggraf, Was nun?

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dramatischen Sinnes, weiß auch, daß diese großen Geistesmächte die Neigung

haben, in alle Lüfte zu zerfliegen, und daß nur allein das Geistige Leben wirkt,

was das Glück hat, in genialen herzgewinnenden Persönlichkeiten seine es fest­ haltenden und zum Durchschlag bringenden Träger gefunden zu haben. dies gilt vor allem auf religiösem Gebiet.

Und

Die weltcrlösende Religion der Liebe

wäre das nie geworden und sie würde das nicht mehr sein ohne die eben zu

dieser Erlösung berufene und begnadete Gestalt des Heilandes Jesu Christi.

Und hierin vor allem liegt nun der Grund, daß die Kirche die Bibel nie

aus den Händen legen, sie nie von ihrem Herzen reißen lassen darf: in der Schrift, sie ist es, die von mir zeuget!"

„Suchet

Der Christus, der im Johannes­

evangelium redet, woher dieses unser Textwort genommen ist, ist ja der verklärte

Christus.

Und reicher, als im Volke der Griechen, hat er bei uns Germanen

seine Verklärung gefunden.

Er ist eingegangen in unsere Natur und Geistesart

und waltet nun unter uns als der deutsche Christus.

Dieser deutsche Christus,

wie er in unserer Volksseele lebt, ist der Herr und das Haupt der reforma­

torischen Kirche.

Den, in seiner Herrlichkeit, predigen wir euch, der ist der Leben

spendende Mittelpunkt eures Glaubens, der eurer Seele Heiland.

Aber wo ihn finden, wo ihn fassen, daß diese das Gottcsreich unseres

deutschen Lebens durchwirkende Geistesmacht eben als unser Heiland deinem und meinem Herzen nahe trete und vor unseren Seelen Gestalt gewinne?

Da

gibt es nur ein einziges Mittel: blicke in das Evangelium, blicke in die Jesus­ geschichte vom See Genezareth und von Golgatha, blicke auf seine Zeitgestalt,

und er wird sich dir zeigen.

Dort verdichtet der ewig Lebendige sich uns immer

wieder, der König der Geister tritt immer wieder hinein in des Propheten schlichte

Erscheinung, und durch alle Hüllen seiner Zeit und seines Volkes hindurch leuchtet in unser Herz hinein die Herrlichkeit des deutschen Christus als Seelen an­ sprechender Heilandssinn und Seelen aufrichtende Lebensgröße.

Wir brauchen das biblische Jesusbild, es ist und bleibt seines Geistes Körper.

Ohne den verflöchtet sich der Gemeinde sein 'Geist, und damit ver­

flöchtet sich ihr seine Wahrheit.

Und darum ist es eine Tat der Verwirrung

und der Zerstörung', wenn man, statt das geschichtliche Jesusbild rein und

warm der Gemeinde nahezubringen, ihr die Freude und die herzliche Anteil­ nahme an diesem raubt und den Sinn davon ablenkt. .... (Aus der 18. Predigt.)

So dürfen wir uns in Schillers Sinn dieses Bild seiner „Sehnsucht" aus­ legen:

Der Glaubenswille baut und erwirkt sich sein Himmelreich.

Wille ist die Macht der Gottvereinigung.

Der fromme

In unserem Willen segnet und

weiht uns der, „der überschwenglich tun kann über alles, was wir bitten oder

I. Aus den Schillerpredigten.

verstehen".

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In der Luther-Schillerkirche ist der starke, auf sich selbst ver­

trauende Wille Kern und Stern aller Religion.

Also Selbstglaube! glaube, sagst du.

Aber das Wesen der evangelischen Kirche ist Christus­

Gewiß, das ist es und soll es auch bleiben.

Freilich schwerlich

wird in einer Kirche, in der dieser tatkräftige Geist Schillers waltet, bleiben

jener Christusglaube, der Anbetung des Mysteriums ist und der, niedersinkend vor dem Opfer, mit dem der Gottmcnsch den Ewigen versöhnt habe, nur an­

zunehmen hat die Genugtuung, die ein anderer für ihn vollbracht hat.

Auch

jener Christusglaube, der ein inniges Sichschmiegen an den Geliebten der Seele ist und der mit verzücktem Blicke sich versenkt in die Gnadentiefen seiner welt­

erlösenden Heilandsliebe, wird immer mehr schwinden in einer Kirche, die zur Männlichkeit Schillerscher Geistesart erwacht ist. In jener orthodoxen Christusausfassung spiegelt sich der Sinn des unmündigen,

ganz aufs Nehmen angewiesenen Kindes mit seiner Demut, seiner Dankbarkeit; in dieser pietistischen das Jugendalter mit seiner Schwärmerei und gefühlsseligen

Hingabe.

Kindheit und Jugend haben ihr Schönes, aus dem Christusleben der

Orthodoxie und des Pietismus ist viel Herrliches unserer Kirche erblüht, —

aber der Mann hat auch sein Recht, und aus dem Kindeswesen und dem warmen, aber unklaren Jünglingsherzen soll er erstehen in seiner Reife und Größe.

Eine dritte Art, sich zu Christus zu stellen, ist der männliche Christus­

glaube: da sinkt mau nicht anbetend vor ihm nieder, da umjubclt man ihn nicht in frommen Licbcshymncn, — da steht man still ihm gegenüber und schaut

ihn an mit tiefem Sinn.

Man sicht in ihm keine überirdischen Geheimnisse

mehr, man sicht ein Menschenleben vor sich, das Leben des großen Idealisten, von dem Johannes sagt, das; er und sein Vater eins gewesen seien, dieses

Idealisten mit dem heiligen Ernst, der nichts Böses dulden konnte, dessen Ernst aber wie die Sonne war, die vernichtet, indem sie erhellt, erwärmt und belebt;

dieses heroischen Idealisten, der sich aufgeopfert hat, um, die Welt überwindend, seine weltcrlösende Wahrheit in den Herzen durchzusetzen und sich und seinen Gott in uns zu behaupten.

Vor diesem Christusheroismus steht des Menschen Sinn in stiller Be­ wunderung und Verehrung. weise.

Nüchtern erscheint manchem solche Betrachtungs­

Aber diesem nüchternen Mannesglauben leuchten die Augen, und freudig

heben sich ihm die Geister der Brust.

Diesem Christus nachfühlend, in seine

Welt, in seine Kämpfe, in sein Ringen sich hineinlebend, spürt es das Herz,

wie nun in ihm selbst etwas stark und mächtig wird, und es spricht zu dem

Menschensohn: Jesus, du mein Heiland, denn du hast mir das Vertrauen gegeben zu mir selbst, daß ich wieder etwas will und — weiß, daß ich es kann! Das ist eine Christuspredigt, der unsere radikalen Gegner doch wahrlich nicht vorwerfen dürfen, daß sie ein die menschliche Selbständigkeit verleugnender

Burggraf, Was nun?

10 Jesuskult sei.

Es ist der Glaube der sittlichen Liebe, in der der Christ zum

Glauben an sich selbst erwacht; wo er, von der Gnade ergriffen, wie sie sich in der Menschenkraft dieses Einzigartigen erweist, zur eigenen Kraft ersteht

und, vom Helden berührt, zum Helden wird, der die Welt bei den Hörnern packt, alles falsche, ungeistige Wesen in sich immer mehr losreißt von der Be­

rührung mit der Erde, sich selbst überwindet und durch die Schwierigkeiten des

Lebens sich durchkämpft zu seinem Himmel.

Wo ein Mensch so fühlt, so Christum

als den Begeisterung wirkenden Genius und Heros in sich wohnen läßt, da

(9Ittä d„ n. Predigt.)

wird er erfüllt mit aller Gottesfülle.

Schule, Wissenschaft, Kunst, Theater sind auch Wirkungsstätten Christi,

können es sein. Kirche geschaffen.

Aber zu seinem lebendigsten Offenbaren hat Christus sich seine

Nirgends vermag er sich so in der Tiefe seines Lebens und

so unmittelbar zu den Herzen sprechend zu geben, wie in der Kirche mit ihrem

Evangelium, ihrem Gottesdienst, ihrer Predigt, ihrer Seelsorge, wo er mit seines Vaters Kindern als Heiland redet. Hier erfüllt er die Seinen „mit allerlei

Gottesfülle".

Alle intellektuelle, alle ethische und alle ästhetische Kultur, sofern

sie von der Kirche abführt, wohl gar Religion und Kirche ersetzen will, ist eine schwere Verirrung, die sich durch Verflachung der Volksseele rächt.

Auch

die Kunst, soviel Christliches sie enthalten mag, kann in ihren Tempeln nie

die innigen und erhebenden Herzenssegnungen bieten, die der Mensch braucht zu seinem Heil und zum Aufbau seiner Persönlichkeit, der Höchststehende und

Allergebildetste gerade ebensosehr wie der geringe Mann.

Die Kirche ist für

die innere Gesundheit unseres Volkes etwas Notwendiges.

Ihre Gottesdienste

sind eine Einrichtung, die nie an Wert verlieren darf, und in ihrer Bedeutung für die Vergeistigung des Lebens überragt die Predigt alle anderen idealen

Mächte ausnahmslos.

Die Kirche Jesu Christi ist etwas Größeres und Höheres,

als Schule, Wissenschaft, Kunst, Theater — auch als Schillergeist und Schiller­

dichtung! Diesem ihrem Berufe entspricht aber gar nicht ihre Wirklichkcitsgestalt. Von den schwankenden staatlichen Faktoren leider viel zu sehr abhängig, in

ihrer Entfaltung

geknebelt

von

den

konservativen

Interessen

der

leitenden

Mächte und aus ihrer eigenen Mitte herans behindert von den Bestrebungen

einer ebenso beschränkten wie wühleifrigen Reaktion, ist sie ein dem Geschlechte

unserer Tage wenig intonierendes Gebilde.

Mit wieviel Treue und hingeben­

der Herzensliebe und zum Teil auch weitem und großem Sinn im einzelnen

an der Erfüllung ihrer Aufgabe gewirkt wird, und das ohne Unterschied der

I. Aus den Schillerpredigten.

11

Richtung, so ist sie als Ganzes doch eine von vieler Kleinlichkeit, Engherzigkeit und Geistesdürre entstellte Erscheinung.

Wieviel tausend Segensbächlein auch

von ihrem Gottesdienst, ihrem Unterricht, ihrer Predigt und Seelsorge in unser Volksleben ausgehen, so leistet sie der deutschen Volksseele doch bei weitem das nicht, was sie sein könnte: sie spendet ihr nicht die Wasserströme erfrischenden und heiligenden Lebens, die sie durch Christi Kraft und Reichtum

Die Kirche der Gegenwart hat auf den Knien vor dem

in ihrer Tiefe birgt.

Ideal ihrer inneren Größe Buße zu tun!

Die Ursachen dieser Verkümmerung liegen wesentlich in der Klausnernatur der Kirche.

Das Mönchtum hat sie aufgehoben, des Mönchtums Triebe aber

nicht überwunden.

Statt den echt reformatorischen Verweltlichungsprozeß der

Religion fortzusetzen, hat sie ihr von den Vätern ererbtes Gut und ihr religiöses

Leben, unter Absperrung von der Welt draußen, in der abgelegenen Stille be­ sonderer Heiligkeitsempfindung angebaut.

Ihr Glaube hat keine innere und

wahre Verbindung mit den göttlichen Mächten des fortschreitenden Geisteslebens der Nation und den daraus sich ergebenden religiösen Bedürfnissen der Zeit

und ist deshalb der Volksseele fremd geworden.

Ihre Bibel, zum alleinigen

Gotteswort gemacht, ist ihr zur Klostermauer geworden, über die sie nicht hinwegzuschen vermag und hinter der sie nichts vernimmt von dem heiligen

Gotteswort der fortgehenden Offenbarung.

Reiß diese Mauern nieder, ruft

Christus der Kirche zu; brich dein und mein Gefängnis auf, gebietet er ihr, —

es falle der Baun, es dringe das Leben ein in meine Kirche, mein eigenes Leben draußen, daß cs hier zu ewigem Leben werde!

Ja, wird die Kloster­

kirche nicht endlich so zur Wcltkirchc, so hat die Kirche keine Zukunft: sie würde, von Zeit und Leben abgetrennt, dem Volksganzen bald nichts mehr sein und zum Sammelpunkt einiger kleiner, ob orthodox oder liberal gesinnter, Kreise zusammenschrumpfen.

Aber die Kirche Jesu Christi hat in Deutschland eine Zukunft, eine große, herrliche Zukunft! Wir glauben an eine gewaltige Größeentfaltung

im neuen Jahrhundert!

Denn wir glauben an den Fall der Mauern!

Die

moderne Theologie wird trotz Bann und Reaktion sie brechen, mit ihr ist Gott

und seine Wahrheit.

Schon spüren wir das Einströmen der Lebenslust, und

wir hören den Christusgeist der Kirche, wie er zu Schiller spricht:

herein, du Gesalbter Gottes, du Zeuge meines Geistes!

Jugend heißes Sehnen, mein Prediger zu werden.

Komm

Einst war es deiner

Dein Schicksal führte dich

auf andere Bahnen, aber du bist mir treu geblieben im tiefsten Innern und hast auf deines Dichtens Pfaden mein Werk getrieben.

Dichter, mit deinem Gotteswort, ich brauche dich!

Komm herein, mein

Du sollst mir meine Kirche

erfüllen mit deinem Schönheitssinn, mit deinem reinen, großen Menschensinn und daraus verscheuchen die Geister der Enge.

Du sollst mir die Verbindung

Burggraf, Was nun?

12

herstellen mit meines Volkes Seele, daß dein idealer, humaner Sinn sich um­ setze in kirchlichen Glaubcnssinn, und in dieser Verschmelzung sich der Kirche Kraft tief und voll entfalte.

Und wir hören diese Christusstimme, wie sie zur

Kirche der Gegenwart spricht:

Im Schillergeiste sollst du, Lutherkirche, dich

versöhnen mit der ganzen Bildung deines Volkes; sollst in lebendige Fühlung treten mit dem Gott im Leben, daß du „begreifen mögest, welches da sei die

Breite und die Länge und die Tiefe und die Höhe" seiner Wahrheit, und es lernest, deinen Beruf im Volksleben frei und groß und schön und menschlich wahr aufzufassen, — das ist mein Auftrag an dich! (Aus der 17. Predigt.)

Der Glaube — und ihr wißt, was ich darunter verstehe, nicht ein Meinen,

Denken und Hinnehmen, weil es die Kirche lehrt oder iin heiligen Buche steht,

sondern eine Herzenstat liebender, in das Ewige sich hineinliebender Hingebung — die Religion ist die Macht, die da ruft: Es werde Licht, wach auf, stehe

auf und lebe!

Sie bricht die Tiefen der Seele auf und weckt in der Seele

das schöpferische Werde.

Hat sie das aber an einem Menschenherzen vollbracht,

dann winkt sie ihrer Schwester, der Schönheit, daß sie ihr helfe, das Werk Gottes an diesem Herzen zu vollenden mit sanfter Hand, mit ihren großen

Empfindungen und ihren süßen Tönen von dem, was edel und gut und gott­

wohlgefällig und erhabener Menschenwürde gemäß ist, — daß sie singend und

sagend und bildend den freigewordenen Geist in ihre Leitung nehme und weiter zu hohen Zielen führe.

Und die jüngere Schwester, die Kunst, in der Maienwonne ihrer unsterb­ lichen Jugend, lehnt sich an die würdige Schwester, blickt der Religion in die

großen, tiefen Augen und spricht zu ihr:

Geistes und Töchter Eines Vaters.

„Ja, wir sind doch Kinder Eines

Ich will, Schwester, an deinem heiligen

Herzen meine Seele nähren und vertiefen, und dann verfüge du über meine

Melodien und über meines Herzens selige Harmonien."

Und Amen!

Amen!

erschallt es zu diesem Geistesbunde.

Das kommt aus dem Munde des Hohen­

priesters am Hochaltare der Kunst.

Das kommt aus der Seele des verklärten

Schiller, die daran gewiß ihr Wohlgefallen hat. Er wollte die Schönheit nicht zur Dienerin herabgewürdigt wissen, er

hatte recht daran;

aber als Botin Gottes, Hand in Hand mit einem freien,

lichten Glauben, wird er sie gern anerkennen.

Er wollte die Kunst nicht den

Vorhof zum Heiligtum sein lassen und ihren Tempel der Kirche nicht unter­

geordnet sehen.

Aber eine Kirche, die über sich und diesen Tempel ein Dach

I. Aus den Schillerprcdigten.

13

baut, die über die Welt des Dichters ihren dankbaren Segen spricht und ihre

Religion und seine Poesie so zu gegenseitiger Ergänzung aneinander fügt, wie wir es tun, die wäre wohl in seinem Sinne.

So sei mein Wort ein Gruß an unsere Künstlerwelt, an alle, die so sich fühlen, wie Schiller sie feiert: Kommt, laßt uns zusammenstehen'. Ihr braucht

die Kirche und was sie zu geben hat.

Ich höre es an dem Ringen, das heut

durch eure Geister geht: ein gewaltiges Suchen nach tiefem, ewigem Leben, nach Antwort auf dringendste Fragen der Seele, nach Lösung heißer Rätsel, die euch

keine Ruhe mehr lassen, ja so ernst und in immer wieder neuem Versuch ein

Forschen und Sehnen nach einem glaubhaften und lebenswahren Bilde des Heilandes. Kommt, ihr Geweihten des Geistes, eine Kirche ruft euch, die sich los­ gemacht hat von Satzung und altem, abgelebtem Wesen, die Kirche des freien,

des wahrhaft freien Protestantismus.

Sie will mit euch suchen, ringen und

arbeiten in großem Schaffenswillen an ihrer Zeit.

Besitze, aus

ihrem Glaubens-

Und sie wird aus ihrem

und Lcbensschatze und ihrer wissenschaftlichen

Wahrheitserkenntnis euch manches bieten können, was euer Genius braucht zu neuem Wirken.

Und wir brauchen euch!

Euren lichten Sinn und eurer Schönheit heilige

Kraft, eure Künstlcrhand, euren das Große verklärenden und die Herzen ver­

edelnden Geist!

Wir brauchen euch zum Ausbau eines neuen, reicheren und

schöneren Kultus des Protestantismus.

Kommt, weihet dem Höchsten auch für

seine Kirche eure Kraft und lasset Schönhcitslebcn durch diese Hallen rauschen, daß es Predigt und Gottesdienst und Gemeinde mit seinem Geist erfülle, und alle es fühlen: auch das ist heiliger Geist!

(3tu.? t,„ 2. $rrbiOt.)

Wir danken dem Dichter für diese Pfarrergestalt im „Tell".

Sie zeigt

uns in dem lebensfrischen Bilde des deutschen Volkstums die Kirche als Volks­

kirche, was sie immer mehr werden soll.

Wie sie dasteht ohne Herrschsucht, des

Lebens Leitung gern anderen Mächten überlassend, aber, in der Vertretung

ihrer sittlich-religiösen Aufgaben fest und stark, mit gesundem Rückenmark, sich

nicht beugen läßt von der Macht der Menschen.

Wie sie in allem Guten und

Wahren und Lebensnotwendigen der Mund ihres Volkes ist, treu zu biefem steht und im Volke eine Macht ist mit freiem Wort gegen alles, was das Volk

bedrückt. An diesem Punkte sind wir Gottlob vollständig auf dem Wege zur Volks­

kirche.

Im ganzen wird man sagen dürfen, daß unsere Pfarrerwelt bemüht ist,

Burggraf, Was mut?

14

dieses Schillersche Ideal von Festigkeit und Gerechtigkeit an sich wahrzumachen.

Es geht durch unsere Kreise jetzt ein Zug der wärmsten Herzensteilnahme an allen sozialen Bestrebungen für das Wohl der Niedrigen.

Wo einer aber in

diesen Arbeiten seine Gabe nicht hat, wird er doch mit der vollen Kraft seines Wortes Unrecht auch nach oben hin rügen und sich sehr wenig darum kümmern, ob er sich dadurch etwa unbeliebt mache.

wie es uns das Gewissen gebietet.

Wir tun unsere Pflicht und reden,

Wir sagen uns: sind die Hohen und Reichen

in der Gemeinde Menschen von guter, idealer Gesinnung, so werden sie dafür Anerkennung haben, auch wenn sie manches nicht billigen sollten; sind sie das

nicht, so ist ihr Urteil uns keinen Pfifferling wert!

Der rechte Pfarrer ist ein Mann des Volkes, des ganzen Volkes, er soll

in Liebe allen Kreisen verbunden sein.

Doch wenn er eine besondere Liebe zu

spenden hat, so gehöre sie den Armen, den Bedrängten in seiner Gemeinde, den mit Not und Elend Ringenden.

Die brauchen ja so viel Herz, und es wird

ihnen vielleicht recht wenig zugewendet, — da sollen sie das Herz an ihrer

Kirche finden! Aber die Kirche soll warm mitfühlen nicht nur mit dem Erleben des ein­

zelnen, auch mit dem, was das Volksganze in seiner Tiefe erregt, was da seh­

nend vorwärtsdrängt und Leben werden will.

Das ist die rechte Volkskirche,

die beweglichen Sinnes und offenen Auges ist, von reichem Verständnis für die Gedanken des Zeitgeistes und für die sprossenden Keime der Zukunft, freudig

bereit, in allem Guten den Fortschritt mitzumachen. Die Kirche muß im deutschen Volksleben eine liberale Größe sein, aber

eine liberale Größe mit konservativer Hand!

Fortschrittsfreudig, aber nicht

fortschrittsgierig; bewegungsfrei, aber nicht bewcgungswild, hastig, nervös; eine

Macht, die wohl, wie es bei Luther der Fall war, dem allgemein vorhandenen

gewaltigen, wenn auch nur dunkel empfundenen Verlangen das lösende Wort

gibt, aber nicht eine Vorwärtstreiberin, die das neue Bedürfnisse noch gar nicht fühlende Volkstum ungestüm aufwirbelt und mit verwirrendem Worte die noch gar nicht reifen Geister zu gedankenlosem Bruche mit dem Bestehenden aufreizt.

Wohl muß cs solche zu neuem erst weckende, vorwärtstreibende Elemente

im Volke geben. Kirche!

Aber das zu sein ist ganz und gar nicht die Aufgabe der

Das hat sie anderen Mächten zu überlassen.

Bei allem Freisinn und

bei aller Bereitschaft zum Mitgehen wird sie es doch vielmehr als ihren heiligen Beruf zu betrachten haben, zu hüten, was wir von den Vätern ererbten, daß

im Fortschritt nur nichts preisgegeben werde von dem, was denn doch gut und wahr ist. Dazu ist sie vor allem da, wie es auf dem Rütli Rösselmann tut, zu warnen, daß in einer Zeit der stürmenden Erregung nichts in Übereilung geschehe und in gut gemeintem, aber unbesonnenem Drange.

Es wäre geradezu

15

I. Aus den Schillerpredigten.

eine Sünde wider ihren heiligen Geist, wenn die Kirche, dazu bestimmt, den Geistern die Zuflucht zur Ruhe und Klarheit zu bieten, sich in die wirre und friedlose Gärung eines Zeitalters hinreißen ließe!

Freiheit soll die Losung

der Kirche sein, aber jene Freiheit nach Schillerscher Art, voll Pietät, mit Zucht

gepaart, von Harmonie erfüllt, in einem Festen, Unerschütterlichen gegründet. (Aus der 20. Predigt.)

Nur wem der Schöpfung

„Die Macht des Gesanges", wer hat sie?

Quell in der Tiefe rauscht, nur die zum dichterischen Schaffen in geheimnis­ voller Erwählung begnadigte Brust.

Nun ist ja freilich zwischen dem dich­

terischen und dem kirchlichen Schaffen insofern schon ein großer Unterschied, als doch überhaupt alles religiöse Leben schon ein Schaffen ist.

Religion, wo sie

wirklich vorhanden ist, nicht bloß ihre Hülle, ihr Schein, ist immer ein seelisches

Hervorbringen neuen eigenen Lebens aus den heiligen Urgründen des göttlichen Geistes und ein gestaltendes Hineinwirken in andere.

Aber im allgemeinen ist

das, sowohl was Tiefe, wie Umfang, was Klarheit, wie Stärke des religiösen Sinnes betrifft, nur eine begrenzte Produktivität.

Es kann einer seiner Um­

gebung als Glaubenshalt und Glaubcnssporn viel sein, und doch wird er nicht

eine religiöse Quellkraft, die Leitkraft eines vorwärtsstrebenden oder doch zum

Vorwärtskommen bestimmten Kirchenganzen sein können. Dazu gehört denn doch ein

besonderes Schöpfungs- und Gestaltungs­

vermögen, eine mehr oder weniger prophetische Natur. noch nicht die guten Redner, die schön, sprechen wissen.

Propheten aber sind

fesselnd, geistreich ober populär zu

Diese Befähigung kann einer im vollsten Maße haben, und

dennoch ist unter seinem Wirken die Kanzel verwaist; ob er schon einen starken Zulauf hat, ist es nicht der heilige Geist, den die Leute da suchen und nehmen, und von seinem Wirken bleibt herzlich wenig übrig.

Es ist nicht

produktiv, nicht verjüngend, nicht Richtung gebend. Im Geiste Schillers Propheten ihres Volkes — das sind großproduktive Naturen.

Es sind die Geister des tiefen Schöpfens und des reichen Gebens

in immer neuer Anregung, mit weitestem Horizont, mit einer Fülle der hohen Ideen, mit der Gabe des Findens und Erfindens, mit vielleicht gar nicht so

populärer Redeweise, aber mit durchschlagender, mitreißender Kraft.

Es sind

die Männer mit der unverwüstlichen Jugendlichkeit, aus deren Worte die Frische

quillt, und die, lebenskräftig in ihrem innersten Kern, beständig weiterzuwachsen, mit weiterzugehen vermögen; die in ihrer Gestalt vielfach sich wandeln können

und doch im Wandeln stets sich treu bleiben.

Es sind die Dichterverwandten,

die Welten aus sich heraussetzen und die, dem ewigen Werdegeist verbunden,

16

Burggras, Was nun?

mit tausend Ohren in das Wollen der Schöpfung lauschen, mit starken Armen in ihren Lebensschoß greifen, heraufdrängenden Kraftfluten das Bett zu graben imstande sind und mit lichtem Auge schimmernde Zukunftsbahnen schauen.

Vollständig dem Künstler gleich ist der wahre Prediger.

Was er gibt,

sind in immer neuem Hervorbringen Geisteswerke der religiösen Anschauung und Empfindung, ein großes Schaffen, das ihn, wo er geht und steht, in der Tiefe bewegt.

Sein ganzes Leben ist damit Arbeit.

Bei aller Feinheit seiner

Bildung ist er, darin Schiller verwandt, doch eine Wildnatur und soll es sein,

sonst wäre er kein Schöpfer.

Und er ist ebenso, wie der Dichter, eine Ein­

siedlernatur, die, ihren großen Ideen ergeben, bei aller Liebe und herzlichen

Empfindung für die Menschen doch für das gesellschaftliche Leben wenig zu haben ist.

Man soll ihm diese Zurückgezogenheit gönnen,

sie ist ihm in

dem, was er zu leisten hat, ein Bedürfnis. Die Theologie allein erzeugt keine solche Propheten.

Die Geburtsstätte

von Prophetenherzen liegt immer auf jenen Grenzgebieten der Gottesgelchrsamkeit, wo diese mit einem anderen großen Geistes- oder Lebensinteresse zu­

sammenstößt, sei es die soziale Frage oder die Naturwissenschaft, sei es die

Philosophie oder Kunst und Literatur.

Erst unter der Verbindung des kirchlich­

theologischen Sinnes mit einer von draußen aufgenommenen kräftigen Anregung

entwickelt sich in der reich bcanlagten religiösen Tiefe die stark produktive Kraft

und jene Seelcngewalt, in bezug auf die es auch vom großen Prediger wie vom Sänger gesagt werden darf: Wie mit dem Stab des Götterboten Beherrscht er das bewegte Herz; Er taucht es in das Reich der Toten, Er hebt es staunend himmelwärts. Da rafft von jeder eiteln Bürde Der Mensch sich auf zur Geisterwürde Und tritt in heilige Gewalt. (Aus der 19. Predigt.)

II.

Huf vulkanischem Boden. Unter dieser Überschrift veröffentlichte der Herausgeber in Nr. 16 der „Christlichen Welt" einen bereits im Februar d. I. geschriebenen Artikel, der

in etwas zusammengcdrängtcr Gestalt hier wiedergegeben werden mag:

Immer bewegter wird cs im kirchlichen Leben Bremens.

Es sieht fast so

aus, schrieb uns neulich ein Freund, als sollte die Zukunft der evangelischen

Kirche, ihr Sein oder Nichtsein, wenigstens ob sie bleiben werde, was sic ist, oder etwas gänzlich anderes werde, dem Prinzip nach in der kleinen Landes­

kirche der Weserstadt entschieden werden.

Das Neueste ist die Kalthoffsche Gründung des Monistenbundes, der alle Freidenker, Frcigenieindler, Ethische Kultur-Leute, Zarathustra-Gläubige, die Menschen, die ein Auge dafür haben, „in die unergründlichsten Tiefen des

Lebens hincinzuschaucn und Verborgenstes zu entdecken" alle „Bürger einer neuen Welt",

die

(Blaubuch Nr. 7),

von unverstandenen Sehnsuchtslauten

und dunklen Wcrdekräften bewegt werden, um sich vereinen will. Also ein buntes Volk von auseinandcrstrebenden Richtungen, wie Kalthoff selbst zugcsteht.

Da ist keinerlei Gemeinsanikeit der sittlichen Erkenntnis, der

idealen Empfindung,

der religiösen Stimmung.

Nur ganz schattenhaft ist

letztere vorhanden: in einem Zustande des Unbewußten,

in traumverlorenem

Liebesdrange, im Lebenshunger Nietzschcscher Ewigkeiten ein Verlangen nach

schöpferischem Berührtwerden von dem in immer tieferer Naturerkenntnis sich aufschließcnden Wcltgeheimnis.

Das religiöse Wesen des Bundes soll sich erst

noch klären und zur Kraft herausbilden, heißt es.

Vorläufig herrsche noch

ein wenigstens den Fremden „verwirrendes Durcheinander".

Immerhin „ahnen

sie doch schon ihre Zusammengehörigkeit — ein Zug in die Höhe und in die Weite macht sie einander kenntlich".

Das eigentlich Zusammenhaltende ist neben der Naturlehre des Jenaer

Gelehrten der bei allen Bundestruppen gleich starke Widerwille gegen die christ­

liche Kirche in jeglicher Gestalt.

Durch den das Programm enthaltenden Artikel

Kalthoffs „Religion und Monismus" klingt es wie ein über die Kirche gc-

Burggraf, Wa? nun?

2

18

Burggraf, Was nun?

Darin ist nichts von Wehmut der sich losrcißenden Seele. Alle Töne zeugen von bitterböser Verachtung einer Kirche, die ihm auch in ihrer protestantischen und auch in ihrer freisinnig-modernen Erscheinung sprochenes Todesurteil.

nur als ein Stück konservierten Mittelalters gilt. Elemente, die bisher allen Reformbestrebungen in und an der Kirche durchaus ablehnend gegenüberstanden, haben zu ihm, der die geschichtliche Exi­ stenz Christi beseitigt zu haben meint, nun das Vertrauen gewonnen, sich aus der ganzen Welt um ihn zu scharen. Geplant ist auf dem Boden der Haeckel-

schen Welträtsel „eine reifere und reichere Entwicklungsform der Religion", wie das Blaubuch sagt. Das Christentum als solches wird bezeichnenderweise in den Gründungsthesen des Monistenbundes überhaupt nicht mehr genannt.

Offenbar handelt es sich um eine über dieses weit hinausgehende religiöse Neubildung. Außer Dr. Kalthoff haben die beiden anderen Bremer Pfarrer Friedrich

Strudel und Oskar Mauritz, alle drei an hervorragenden Gemeinden der Stadt angestellt, gewiß in Übereinstimmnng mit zahlreichen Anhängern ihre Namen

für die monistische Bewegung hergegeben. Damit haben sie in ihrem Kanzel­ rayon für den Abbruch der Christuskirche das Anschnittsfeld dar­ geboten und ihr Amtsleben dem darauf vorzunehmenden Aufbau einer neuen Kultusgemeinschaft geweiht. So wird denn nun von St. Martini, St. Nemberti und vom Dom her fortan „das neue religiöse Leben eine das Ganze der Zeit durchdringende und sie zu einer neuen Kulturhöhe empor­ hebende Lebenskraft" zu werden streben. Die letzte Brücke der Verständigung zwischen den Dreien und uns liberalen Theologen Bremens, die wir allein in dem Evangelium Jesu Christi den Grund der Kirche sehen, ist damit definitiv abgebrochen! Mögen wir uns auch in einzelnen wissenschaftlichen und praktischen Fragen mit diesen Männern noch manchmal berühren, so gehen doch unsre Bestrebungen im wesentlichen un­ vereinbar auseinander, und unser Verhältnis zueinander kann von jetzt an nur eine entschiedene Kampfesstellung sein. Die Situation in diesem Kampfe ist äußerst schwierig. An unserer Ortho­ doxie besitzen wir keinen Rückhalt. Sie unterscheidet uns wohl, vermag aber unseren prinzipiellen Unterschied von dem Radikalismus und unsere Heils­ gemeinschaft mit ihr selbst nicht zu erkennen. Und was sollen wir für Herzens­ stärkung finden an verbitterten Herzen, die für einen Kalthoff, Strudel und Mauritz nur Worte der Verurteilung haben, und denen das Verständnis für

den hierin zutage tretenden Drang der neuen Zeit, der sich eben in ihre biblische Welt unbedingt nicht mehr einschließen läßt, völlig abgeht? Die großen tiefen Grundfragen christlicher Lebensanschauung sind in Frage gestellt, — und diesen Kampf führen sie mit den kleinlichen Mitteln offizieller

II. Aus vulkanischem Boden. Taufformeln.

Das sind keine Bundesgenossen.

19

Wir müssen gegen den wüsten

Ansturm noch ihre religiöse Position mitvcrteidigen, wozu sie nicht imstande sind, werden aber im Eigenen kaum Beistand an ihnen haben. In unserer Mitte selbst aber befindet sich bis in die gebildetsten Kreise

hinein soviel geistlich minderwertiges, religiös totes Material,

während die

unter dem Namen des Monismus zusammengesetzte Gegnerschaft über lebendig interessierte, für ihre Überzeugung vollpersönlich eintretende Reihen verfügt.

Stark, in sich beachtenswert und von einem wahrhaften, doch auch sittlich begründeten Pathos erfüllt sind diese Mächte.

Das ist nicht eine Verwirrung,

die nur eine Marotte Kalthoffs und seiner Genossen in unsere Kreise hinein­

getragen hat, deshalb auch nicht ein durch einen Steinwurf erzeugtes Wasser-

gekräusel, das sich bald verlaufen wird, wie einzelne unter uns wähnen.

Es

ist vielmehr, ob auch eine schwere Verirrung einzelner, doch eine aus der Tiefe der allgemeinen Gcistesentwicklung der Zeit und nach einem „Gott will es!"

in der Kirche und natürlich gerade auf Bremens freiem Boden hervorgebrochene

Notwendigkeit, die eben als göttliche Notwendigkeit nun mit dem massigen Zwangsgebot dasteht, daß wir uns daran auf das allerinnerste Erbe der Väter

und.seine heiligen Bcwegungstriebe besinnen sollen.

Sie wird nicht wieder

weichen, sondern immer gewaltiger um sich greifen, bis wir sie innerlich über­

wunden haben werden mit einem frommen „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!"

Ein heißer Kampf ist uns verordnet — so wie Christen kämpfen müssen: mit Mannhaftigkeit, mit Entschiedenheit und Überzeugungstreue nach außen, gegen den Irrtum und zur Behauptung der Wahrheit; mit Bußfertigkeit, mit

demütigem Erneucrungswillcn und ernster Vertiefung nach innen, gegen das

Rückständige, zu sieghafter Auferstehung.

Ein Kampf um die Existenz unserer Kirche!

Mit so ernstem Sinn wir

diesem entgegensehen, liegt das Gewicht dieser tiefernsten Stimmung doch wesent­ lich in der Frage, was der Neugewinn sein werde, den wir dem Andrang dieser Bewegung abzuringen haben.

Die Kirche muß weiter, reicher, lebendiger

werden, um auch dem Berechtigten und Lebensfähigen, das in der

Kalthoffschen Bewegung seine Forderungen bei uns einreicht, Be­ friedigung bieten zu können!

Ob es uns gelingen werde, so auf der Höhe der

Zeit zu bleiben, das verstehen wir unter unserer Existenzfrage. Keineswegs aber fürchten wir eine Erschütterung des Bestandes unserer

Kirche.

Es ist gänzlich ausgeschlossen,

daß Kalthoffs Programm (würde er

selbst den Monismus zu einer neuen Form des Christentums umzuprägen,

seine von der christlichen Kirche wegstrebenden Ideen in diese einzurenken und so den Haeckelschen Sprößling christlich umzutaufen versuchen) sich als ein be-

2*

20

Burggraf, Was nun ?

rechtigter Faktor der kirchlichen Entwicklung in der Bremischen Landeskirche durchsetzen und diese in eine vom evangelischen Christentum abgehende Bahn

ziehen kann. Eine christliche Kirche, man mag sie formen, wie man will, bedingt immer, wir drücken es absichtlich nicht biblisch aus, das „Ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt", wie es aus dem Schillerschen Idealismus erklingt, — und diesen

Gotteswillen nach Goethes „Faust" als einen göttlichen Erlösungswillen, wie

der Dichter das durchaus nicht etwa poetisch-allegorisch versteht. Trotz zeit­ weiliger pantheistischer Auffassung vertritt Goethe einen von der Welt, die seine Lebensoffenbarung und Erscheinungsform ist, wohl sich unterscheidenden Gottes­ geist; wie er ja auch ein ausgesprochener Anhänger des Gedankens an eine persönliche Unsterblichkeit war, dessen Ablehnung die Thesen des Monistenbundes zu einer Hauptforderung der Zugehörigkeit machen. Diese ihrer selbst bewußte Gottheit, zu der das Menschenherz sich in Not

und Sünde wenden und die es in Vertrauen und Hingebung kindlich anbeten kann — die Grundbedingung aller Religion und alles kirchlichen Wesens — verträgt sich aber absolut nicht mit dem Haeckelschen Monismus. Dieser ist ja nicht etwa die Weltanschauung der göttlichen Immanenz, der wohl die meisten

von uns huldigen, und die Kalthoff mit seinem Monismus zu verquicken sucht. Alles, was er zu dem Zwecke an tiefen Goetheworten und an Deckung hinter Schleiermacher vorbringt, ändert nichts an der Tatsache, daß das System der „Welträtsel" ein nur geistig überhauchter Materialismus ist. Die monistischen Bestrebungen der neuesten Bremer Theologie schließen sich von jeglicher christlichen und kirchlichen Geistesrichtung aus. Die Ent­ wicklung, die die drei Pastoren jetzt genommen haben, ist also aus sich selbst tit der Kirche Jesu Christi unberechtigt und lebensunfähig, mögen auch einige hundert Bremer Kaufleute, Lehrer und Arbeiter, und wären cs selbst tausende, noch so laut das Existcnzrecht dieser Bewegung in der protestantischen Kirche votieren. Aber dieses mit dem Worte Religion ein Maskenspiel treibende Haeckeltum ist nur die Bewußtseinsform der Kalthoffschen Erhebung. Hinter ihr liegen denn doch unter all dem dunklen Stimmungsgewühl seiner letzten Äußerungen lebenskräftige Triebe, die ihr Werk an der Kirche vollbringen

sollen und ganz gewiß vollbringen werden. Ist das aber geschehen, und haben sie ihre göttliche Bestimmung, freilich ganz anders, als die Radikalen es meinten, in uns und an unserer Kirche erreicht, dann werden eines Tages Kalthoff, Stendel und Mauritz vor einer großen Entscheidung stehen. Die innere Unvereinbarkeit ihres Monismus mit

der in Christi Herzenswelt lebenden Kirche wird sie dann entweder zu einer gründlichen Revision ihrer Anschauungen führen, — oder aber das Gefühl des Unbehagens, einer solchen Gemeinschaft angchören zu müssen, deren Geiste

21

II. Auf vulkanischem Boden.

sie entfremdet sind, dazu das Drängen ihrer Hintermänner wird sie dann noch viel mehr, wie bisher, in gießbachartiger Entwicklung zu Konsequenzen treiben, die sie im freireligiösen Gemeindetum und damit im Nichts enden lassen

werden.

Leider müssen wir dieses Zweite befürchten.

Das bedauern wir herzlich

um der inmierhin wertvollen Kräfte willen, die in Kalthoff und Stendel der

Kirche verloren gingen.

Was Manritz ist, entzieht sich völlig unserm Urteil.

Er hat sich bis dahin noch nicht entschließen können, mit seinen theologischen

und Amtsideen vor die Welt zu treten, wozu er bei den Sonderlichkeiten, von denen sich das kirchliche Deutschland erzählt, längst unbedingt verpflichtet

gewesen wäre.

Es läßt sich diese Zurückhaltung nur damit erklären, daß er Aber die beiden anderen sind

die sachkundige Kritik vorläufig noch scheut.

wissenschaftlich sehr tüchtige Männer, und Kalthoff schätzen wir nach seinen

zahlreichen

Schriften

auch

als

eine

religiös

warmherzige

und

seelenvolle

Persönlichkeit. So fremd der Verfasser dieser Zeilen sich den beiden stets in der Frage nach dem Hcilswerte und der kirchlichen Bedeutung Christi fühlte, so wußte er sich mit ihnen doch eins in der Überzeugung, daß unserer Kirche mit

einem bloßen Ausbau in uiidoginatisch-freisinniger Richtung nicht geholfen ist,

daß ihr vielmehr ein sehr gründlicher Umbau nottut.

In innerer Sympathie

für ihr frisches Streben und ihr ideenvolles, Gedanken mutig in Tat um­

setzendes Wirken fühlte er es ihnen ab, daß die traditionelle Kirche in jeglicher Gestalt für sie eine Enge hatte, unter der sie litten.

Was ihn bei Kalthoff

und Stendel anzog, war der verjüngende Lebenswille, mit dem sie die Kirche dem fortschreitenden Zuge der Zeit und dem Wesen des Protestantismus ent­

sprechend zu einer Pflege- und Kultusstätte des sittlich-religiösen Idealismus im Volke auszuweiten suchten.

Mit Bedauern sah er sie seit längerer Zeit auf

Bahnen ungesunder Extreme abirren, wo er ihr schärfster Gegner werden mußte.

Auf diese ins Vage verlaufenden Irrwege mußten sie aber geraten, nach­ dem

mit dem

Auslöschen

der historischen

Jesusgestalt

durch Kalthoff ihre

Richtung Halt und Licht und das Zuströmen des wahren, durch keine andere Größe zu ersetzenden Hcilslebens verloren hatte.

Um so fester stellen wir uns

nun auf den verlassenen Lebensgrund, um nicht minder energisch die Forderung

des Umbaues, aber des ohne Umsturz sich vollziehenden Umbaues der Kirche zu erheben. Das Bild dessen, was nach unserer Überzeugung die Kirche werden

muß, „die Kirche des deutschen Christentums", wird deshalb wesentlich anders

aussehen,

wie

Radikalismus.

das unevangelische und

geschichtslose Rebclbild

des Bremer

III.

Zur Abgrenzung der Lehrfreiheit. Gleichzeitig mit dem vorausgehenden Artikel erschien eine Broschüre des in der Beurteilung des Bremer Radikalismus mit dem Herausgeber dieser Blätter gesinnungsverwandten Bremer Pastors Hartwich.*)

Auch er sieht in

dieser, an den Haeckelschen Monismus sich anlehnenden Bekämpfung der religiösen

und sittlichen Grundgedanken des Christentums und in dem Versuche, die Re­ ligion weiterzubilden durch eine innere Loslösung von der Geistesschöpfung Jesu, einen Mißbrauch der in Bremen gewährten kirchlichen Freiheit.

Er

stellt folgende treffende Parallele auf: „Jeder Kranke ist bei seiner allgemein menschlichen Freiheit berechtigt, sich von einem Arzte oder auch von einem Schäfer und ähnlichen Heilkünstlern be­

handeln zu lassen; er kann es heute mit diesem und morgen mit jenem ver­ suchen.

Ein als approbierter Arzt öffentlich beglaubigter Mann ist aber nicht

berechtigt, außerärztliche und nach jedem fachmännischen Urteil direkt unmedi­ zinische Handlungen an seinen Patienten vorznnehmen.

Er verliert, wenn dies

an den Tag kommt, sein ärztliches Patent, sein Recht, sich .Arzt' zu nennen.

Mag er auch immerhin

auf

eigene Hand weiterkurieren,

solange

er

noch

Patienten findet, die ihm trotzdem vertrauen; dies wird ihm niemand wehren;

aber unter .ärztlicher' Flagge darf er nicht mehr segeln.

Gleichartiges muß auch

vom Geistlichen einer christlichen Gemeinde gelten: gibt er diejenigen religiösen und sittlichen Grundsätze auf, welche religionsgeschichtlich als die speziell christ­ lichen anerkannt sind und daher als das besondere Merkmal christlicher Ge­ sinnung betrachtet werden müssen, so hört er damit auf, .christlicher' Geisllicher

zu sein.

Wohl kann er auch weiterhin noch ein .religiöser' Prediger sein, aber er

segelt unter einer anderen Flagge als der christlichen.

Will die Gemeinde ihn

trotzdem behalten, sich also seelisch weiter von ihm behandeln lassen, so ist da­

gegen von einem weitherzigen und menschenfreundlichen Standpunkte aus wohl *) Zur Lehrfreiheit auf protestantischen Kanzeln. Verlag von K. Schüne­ mann. Bremen. Preis 50 Pfennig. — Wir fügen unserer Broschüre diesen Abschnitt ein mit Erlaubnis des Verlegers und mit Zustimmung unseres Freundes Hartwich.

in. Hartwich: Zur Abgrenzung der Lehrfreiheit.

23

nichts einzuwenden; nur muß die Gemeinde sich dann auch bewußt werden,

daß ihr verantwortliches geistliches Organ nicht mehr Träger der speziell christ­

lichen Gesinnung ist.

Die Gemeinde verwandelt damit — falls nicht gerade

mehrere Geistliche an ihrer Kirche sind — ihre Kanzel, ihren Altar und auch

das Katheder ihres Lehrsaals in einen Lehrstuhl allgemein-religiös-sittlicher Art, von dem sie nur weiß, daß die speziell christlichen Lebensgrundsätze dort ihre

Autorität verloren haben, von dem sie aber nicht weiß, wohin der dort ein­ geschlagene Kurs führen wird.

Im günstigsten Falle kann sie eine Art von

Kolumbus besitzen, der ihr auf dem Ozean religiöser und sittlicher Möglichkeiten den Seeweg nach Ostindien zeigen soll und zu seinem eigenen Erstaunen bei

den Rothäuten in Westindien landet; sie kann sich aber auch einer Art von Odysseus anvertraut haben, von dessen ganzem Heere nach zehnjähriger Irrfahrt nichts weiter übrig ist als er selbst.

Wer Lust hat, mit Weib und Kind an

solchen Entdeckungsreisen und gewagten Fahrten teilzunehmen und auch sein

von den Vätern ererbtes Schiff zu solchen Unternehmungen herzngeben, der mag es tun; doch sollte eine Gemeinde, die hierzu übergeht, auf ihrem Kirchen­

schiffe dann — um der Wahrhaftigkeit willen — nicht mehr die christliche Flagge, sondern die einer freireligiösen Gemeinde hissen.

Ein Geistlicher, der

solche Experimente macht, gleicht einem Kapitäne, dem die alte Linienfahrt zu uninteressant geworden ist, der lieber Abenteurerfahrten macht und ja für sich auch nichts dabei riskiert, solange seine Gage weitcrlauft; doch eine Kirchen­

gemeinde, die solche Experimente mitmacht, gleicht einer Schiffsrcedcrci, die nicht bloß ihr Schiff nebst Ladung, sondern auch das Gut und Leben aller derer

riskiert, die sich dem Fahrzeuge in der Meinung anvertrauten, daß es ein sicheres

Linienschiff sei.

Von den Chefs solcher Reederei wird man — um des Ge­

wissens willen — erwarten dürfen, daß sie ihr Fahrzeug wenigstens deutlich

kenntlich machen als ein für Entdeckungsreisen bcstiinmtes, damit die Insassen

sich überlegen können, ob sie die Fahrt mitmachcn wollen oder nicht.

Doch die

alte Auffassung bestehen zu lassen, als ob das Fahrzeug ein Linienschiff gleich

allen anderen wäre, das dem alten, lieben Ziele nach einem nur etwas ver­ änderten Kurse zusteuert, und dann die sämtlichen gutgläubigen Passagiere samt Frauen und Kindern auf Grund dieses ihnen gelassenen Irrtums einem un­

gewissen Schicksal preiszugeben, das entspricht wohl kaum noch dem, was man

eine korrekte Denkweise nennt....

Ohne Bild gesprochen: kann ein Kirchenvorstand es verantworten, wenn

er in einer Gemeinde, die sich christlich nennt, nur einen einzigen Kanzelredncr hält, der dem Monismus huldigt, jener Weltanschauung, die eine Gottheit —

genau besehen — nur noch im menschlichen Gehirne kennt, und die es ermög­ licht, die sittlichen Anschauungen der Bergpredigt als eine ,Sklavenmorall zu bekämpfen?

Mag man getrost um der bremischen Freiheit willen auch Männer,

Burggraf, Was nun?

24

die solche Anschauungen vertreten, weiterwirken lassen!

Ihre Experimente mit

zu beobachten, ist ja mindestens ebenso reizvoll, wie Zeppelins Versuche mit

dem Luftschiff zu verfolgen.

Es macht auch nichts aus, ob neben den schon

vorhandenen zahlreichen Sektenpredigern aus allerlei Völkern und Religionen noch einige mehr auf der Bildfläche erscheinen; nur möge man sie nicht öffent­ lich mit dem Namen eines christlichen, protestantischen Geistlichen decken."

Mit Recht lehnt Hartwich jeden Gedanken an eine behördliche Maßregelung

der radikalen Geistlichen nach juridisch-lchrgesetzlichen Gesichtspunkten ab. Er fordert vielmehr zur geistigen Überwindung dieser Erscheinung auf und eröffnet seinerseits den Kampf wider diese Richtung mit Hervorhebung des Konstanten im Christentum.

Während von jenen Theologen das speziell Christliche

in

solchen Dingen gesucht und befehdet wird, die den variabel» Inhalt der christ­ lichen Ära ausmachen, stellt er den Gegnern als das Konstante, das auch zu

allen Zeiten als christlicher Allgemeinbesitz gegolten hat, als das Edelmetall

in der Schlacke, das Prinzip des religiösen und sittlichen Idealismus entgegen.

Er schreibt:

„Was die Welt bisher unter religiösem Idealismus verstanden hat, dar­ über dürsten hüben und drüben wohl keine Meinungsverschiedenheiten obwalten. Er ist die rückhaltlose, vertrauens- und ergebungsvolle Hingabe des Herzens an

die Gottheit, wie diese sich im Walten der Natur, in den Fügungen der Ge­

schichte, in den Schicksalen des einzelnen Menschen, im intuitiven Schauen des Genius, in den Enthüllungen der Wissenschaft, in Lebensnot und Todcshoheit,

in Andachtsstunden und Gewissensqualen vor dem Empfinden als eine Macht, Weisheit und Güte enthüllt, die größer ist als alle Mcnschcnmacht, Menschen­ weisheit und Menschengütc.

Im gefühlsmäßigen Verstehen

dieser Seite des

göttlichen Wesens öffnet sich dem Geistesauge gewissermaßen der Schoß der

Gottheit.

Sich bergen zu können in diesen Schoß, wie sich ein Kind in seinem

Unvermögen im Schoße seiner Mutter birgt, das ist der beglückende Inhalt

des religiösen Idealismus.

Vertrauensvoll und dennoch ohne eigennützige

Berechnung irdischer Art, ergebungsvoll und dennoch ohne ein volles Begreifen des göttlichen Waltens, vollzieht der Mensch hier seine Hingabe an Gott und

findet so die Kraft zum Schaffen wie zum Leiden, zum Leben wie zum Sterben. Solche Hingabe ist nicht etwa bloß ein Stimmungsausdruck, sondern religiöse

Tat, religiöser Willensakt; denn sie ist jedesmal, wo cs zu einem Leiden kommt,

ein Heldentum, weil dort durch willige Hinnahme des Leidens auch selbst dem Leiden noch der Charakter einer Tat verliehen wird.

ist das Prinzip des religiösen Idealismus.

Diese rückhaltlose Hingabe

Mag die praktische Verwirk­

lichung des Prinzips in den einzelnen Fällen auch eine dem Grade nach ver­

schiedene fein, mag sie sich bei dem einen nur in vorübergehenden Augenblicken,

bei dem andern in gewissen Lebensperioden und erst bei dem dritten in jedem

25

III. Harlwich: Zur Abgrenzung der Lehrfreiheit.

Atemzuge vollziehen: die Richtung des religiösen Strebens ist in der ganzen

Menschheitsgeschichte die gleiche.

Am wenigsten erkannt ist das religiöse Prinzip

von den Buddhisten, doch findet sich dort auch kein anders geartetes religiöses Lcbcnsprinzip; der Buddhismus blieb eben eine Religion ohne klares Gottes-

bcwußtsein.

Ansätze zum religiösen Idealismus hat man bereits überall im

Heidentum.

Volles Verständnis für das Prinzip findet sich dann bei den

prophetischen Gestalten des Judentums; doch wurden diese bekanntlich noch

von der offiziellen, priesterlichen Religionsleitung bekämpft.

Das Prinzip als

ein beherrschendes in das Zentrum des menschlichen Bewußtseins gerückt, es

nnter der Autorität der kirchlichen Leitung osfiziell zur Anerkennung gebracht

und zu einem unverlierbaren Allgemeingut der Menschheit gemacht zu haben,

das ist erst das Verdienst des Christentums.

Darum darf und muß man

sprechen von einem religiösen Prinzipe des Christentums. Ähnliches gilt vom sittlichen Idealismus. Auch bei ihm handelt cs sich um eine Hingabe der eigenen Person und zwar in der Form der sog. „Selbstverleugnung".

Das Wesen dieser Selbstverleugnung ist ein bewußter

Verzicht auf Güter rein sinnlicher, materieller Art zugunsten einer inneren,

sittlichen Hoheit und Charaktergröße.

Der landläufige Ausdruck „Sclbstvcr-

leugnung" sollte jedoch lieber vermieden werden; denn er trifft nicht das, was sich beim sittlichen Idealismus wirksam in der Brust des Menschen abspielt, sondern nur das, was in seinem äußeren Verhalten dabei unterlassen wird; er

deutet nur die negative, nicht die positive Seite der Haltung des sittlichen

Idealisten an.

Es wäre treffender, hier von einer sittlichen „Selbstbehauptung"

zu sprechen; denn was der Mensch

dabei verleugnet, ist nur sein niederes

Selbst, während er sein besseres Selbst kraftvoll behauptet. das Streben

Wir bezeichnen

nach dieser Selbstbehauptung gewöhnlich als „eine anständige

Gesinnung", als die „politesse du coeur“.

Der letzte Ursprung dieses sitt­

lichen Strebens aber ist zu suche»! in dem gefühlsmäßig erworbenen Bewußtsein, daß man für seine Haltung und seine Handlungen einer unsichtbaren, heiligen

Macht verantwortlich sei und durch freiwillige Anpassung an dieses Bewußtsein zu einer inneren Einheit, zu einem beseligenden Einssein, mit ihr komme.

Bei

seinem Tun und Lassen sich selbst im Einklänge zu fühlen mit dieser unsicht­

baren Macht, das ist der beglückende Inhalt des sittlichen Idealismus. Sich selbst beschränkend und dabei doch keinen Verlust empfindend, andere be­

glückend und dabei doch selbst innerlich beglückt, vollzieht hier der Mensch seine Hingabe an jene unbekannte Macht, der er sich verantwortlich fühlt.

Diese

als Selbstverleugnung bezeichnete, als Selbstbehauptung sich charakterisierende

Hingabe ist das Prinzip des sittlichen Idealismus.

Mag die praktische

Verwirklichung des Prinzips, die man als das Maß des moralischen Bewußt­

seins zu bezeichnen pstcgt, bei den einzelnen Menschen auch eine dem Grade nach

Burggraf, Was nun?

26

verschiedene sein, mag auch das moralische Bewußtsein des einen schon beruhigt

sein bei seiner bloßen Anpassung an Sitte und Gesetz, also bei einer nur äußeren Legalität,

mag

das moralische Bewußtsein des anderen seine Be­

friedigung darin finden, daß er dem, seinem Wesen innewohnenden kategorischen Imperativ Folge leistet, der ihn wie ein Instinkt beherrscht und ihn ein Anders-

Handeln als eine bloße Unnatur, als einen Verstoß gegen sein ästhetisches, hygienisches, wirtschaftliches, soziales oder wissenschaftliches Bewußtsein empfin­

den läßt, und mag erst der dritte bei jedem Atemzuge das Gefühl der Ver­

antwortlichkeit und der inneren Einheit mit einer göttlichen, unsichtbaren Macht in sich tragen und so die Brücke zwischen moralischer Gesinnung und Religiosität betreten: die Richtung des sittlichen Strebens im Sinne der sog. Selbstver­

leugnung ist in der ganzen Menschheitsgeschichte dennoch die gleiche Das Christentum hat dann aber ganze Arbeit gethan, hat von der autoritativen, obersten, gebietenden Stelle aus die persönliche sittliche Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott und das innere sittliche Einssein mit Gott zur allgemeinen

Anerkennung gebracht.

Es hat den Menschen so zu einem übersinnlichen Wesen,

zu einem Mitarbeiter Gottes, gestempelt.

Ihm erst verdanken wir den Begriff

der persönlichen „Gewissenhaftigkeit" und damit die frohe Botschaft von der persönlichen sittlichen Freiheit.

Durch das Christentum also ward das voll­

entwickelte Prinzip des sittlichen Idealismus, das zwar privatim auch schon hie und da in seinem Umfange begriffen worden war, zu einem unverlierbaren

Allgemeingute der Menschheit gemacht, und darum darf und muß man welt­ geschichtlich sprechen von einem sittlichen Prinzipe des Christentums." Der Verfasser bespricht dann die Frage nach dem Ursprünge des religiösen

und sittlichen Prinzips

der christlichen Lebensanschauung,

unterzieht die Er­

klärungsversuche der monistischen Prediger und ihre unter dem verwirrenden Einflüsse Nietzsches stehende Beurteilung des Christentums seiner Kritik und

vertritt gegenüber dem Bestreben, Jesus als abgetan zu behandeln, die hohe Bedeutung

seiner geistigen Schöpfung und den unentbehrlichen und

unver­

gänglichen Wert seiner Persönlichkeit für das Christentum und die christliche Kirche.

Aus dem letzteren heben toir einiges für unsere Kampfesstellung wider

den Radikalismus Beachtenswerte hervor: „Wo will

die klügelnde Vernunft

hier das Recht hernehmen, die Idee von ihrem Träger zu trennen?

Mag es

auch genug Fälle geben, in denen solche Trennung geboten ist, und mag man

dann auch in dem einen Falle die Idee höher einschätzen als ihren Träger, in dem anderen den Träger höher als seine Idee, so gibt es doch auch Fälle, wo Idee und Träger, Schöpfung und Schöpfer, einfach identische Werte sind,

weil beide aus einem Gusse waren und sich durcheinander gegenseitig bedingen, wie Klang und Glocke oder wie Ton und Instrument.

Dieser Fall liegt im

allgemeinen vor bei genialen Neuschöpfungcn; denn dort wächst bekanntlich stets

m. Hartwich: Zur Abgrenzung der Lehrfreiheit.

27

das Prinzip aus der Person heraus und nicht etwa die Persönlichkeit aus dem Prinzipe.

In solchen Fällen war die Persönlichkeit zunächst unbewußt die

Trägerin und Verkörperin von etwas Neuem und übte so schon eine zündende

und begeisternde Wirkung auf andere aus.

Erst später pflegt dann die Per­

sönlichkeit sich auch selber des in ihr liegenden Eigenartigen und Neuen voll bewußt zu werden und nun mit klarer Absichtlichkeit die neue Idee weiter zu

verkörpern.

Richard Wagner sagt z. B. von sich, daß er in seinem Holländer,

Lohengrin und Tannhäuser noch völlig unbewußt die neue Art seiner Kom­ positionsweise angewandt und auch ebenso unbewußt den mythischen Stoff als den einzig brauchbaren Träger seiner menschlichen Empfindungen gewählt und

die in ihm waltende musikalische Idee und dichterische Stosfwahl erst bei der Schaffung des Ringes und der drei folgenden Musikdramen mit Bewußtsein

zur Geltung gebracht habe.

Gleichartiges dürfte von jedem Genius, auch vom religiösen, gelten.

Die

Idee ist nur der Blütenduft, der Genius selbst die blütentragende Pflanze, und

für den religiösen Genius kommt nun noch etwas ganz Besonderes, nur ihm

Eigenes hinzu: er gleicht nämlich nicht bloß der blütcntreibenden Pflanze, son­ dern der duftenden Blüte selbst.

Gibt man nämlich zu, daß bei einem Künstler

nicht die geniale Idee, sondern das geniale Kunstwerk begeisternd wirkt, so wird

man dies auch nicht leugnen können bei dem genialen Rcligionsstifter.

Da

möge man denn nun aber auch den Unterschied zwischen der Schöpfung eines

künstlerischen und eines religiösen Genius bedenken: das Werk des künstlerischen

Genius ist immer eine von ihm selbst trennbare Schöpfung, das Werk des re­ ligiösen Genius dagegen ist er selbst.

Der Künstler legt sein geistiges Ich in

Werke hinein, die er aus Worten, Tönen, Farben, Steinen und Erz gestaltet,

der religiöse Schöpfer aber gestaltet aus seinem eigenen Fleische und Blute und ist selber Künstler und Kunstwerk zugleich.

in den Melodien und Harmonien

Glocke, deren Klang uns ruft.

Er selbst ist das Instrument, das

des Idealismus erklingt, er selbst ist die

Den künstlerischen Genius kann man als Per­

sönlichkeit ohne Nachteil vergessen, weil nicht nur seine Ideen, sondern auch sein inneres Selbst in seinem Kunstwerke verkörpert sind und durch dieses zündend

wirken; den religiösen Genius kann man als Persönlichkeit aber nicht ohne Nachteil ausschalten, weil seine Ideen und seine Wesensart vollkommen nur in

ihm verkörpert sind und nur durch ihn zündend wirken können.

Wohl kann

man theoretisch — wie wenn man eine Blume im botanischen Unterrichte zer­ pflückt — die künstlerische und religiöse Idee von dem zugehörigen Kunstwerke

trennen, um sich über die Eigenart des Neuen klar zu werden und so Gesichts­ punkte für gleichartige Nachschöpfungen zu gewinnen, aber der praktische Antrieb zu solchen Nachschöpfungen wird nicht durch die bloße Verkündigung der neuen Idee, sondern durch das vorhandene Kunstwerk selbst erzeugt.

28

Burggraf, Was nun?

Aus dem Gesagten ergibt sich also zweierlei: 1) Will man eine geniale

neue Idee in der Theorie erschöpfend und anschaulich klarmachen, so bedarf man der genialen Schöpfung zur Illustration, sowohl in der Kunst, als auch

in der Religion, und zwar in jener des Kunstwerkes, in dieser des religiösen Genius selbst. 2) Will man den Hörer begeistern zu praktischer Nacheiferung auf der neuen Bahn, so darf man sich nicht auf Theorien beschränken, sondern muß ihm das Kunstwerk selbst nahe bringen, damit er Freude an ihm gewinne und so zur Nacheiferung angespornt werde."... „Gewiß, Jesus hat in der christ­ lichen Nachwelt schon so viel zündend gewirkt, daß man neben ihm auch zahl­ reiche andere Persönlichkeiten zur Illustrierung des religiös-sittlichen Idealis­

mus heranzichen und auch als begeisternde Beispiele ergänzend verwerten kann, aber seine Gestalt ist von zentraler Bedeutung, während die Stellung seiner

Vorlällfer und Nachfolger nur eine mehr oder weniger periphere ist; in seinem Lichte und von ihm aus werden diese peripheren Persönlichkeiten tatsächlich erst ganz verständlich und einschätzbar. — Die Kirchengeschichte lehrt uns bekanntlich auch, daß es nicht heilsam ist, auf seine Gestalt bei der christlichen Predigt zu verzichten; denn als man sich offiziell nur noch des dogmatischen Christus als eines Werkzeuges in Priesterhand bediente, da war die offizielle Kirche und ihre ganze Lehre eine Karikatur des religiös-sittlichen Idealismus geworden.

Nur durch die Rückkehr zum Originale konnte der Welt das verloren gegangene Gut in der Reformation wicdergegeben werden. Leider hat dann die pro­

testantische Kirche erneut den Fehler gemacht, neben das treue Originalbild des religiös-sittlichen Idealismus als eine zweite »Autorität' den zu stellen, der in seiner Bescheidenheit doch nur den Weg zum Originale wieder bahnen und nur bereichernd wirken wollte, nämlich Luther; und so entstand die protestantische Orthodoxie als ein neues Zerrbild jenes Idealismus. Es ist betrübend genug, daß sich auf liberalem Boden Männer finden, die wiederum die zentrale Ge­ stalt des Originals entbehren zu können glauben und statt ihrer die Persön­

lichkeiten Goethes oder Nietzsches bei ihren Erläuterungen als ihre einzigen »Autoritäten' benlltzen. Daß inan auch diese Männer und ihre Gedanken in einer christlichen Predigt sehr schön mit verwerten kann, soll damit nicht be­ stritten werden; das tut am Ende jeder einigermaßen gewandte Kanzelredner. Doch wenn man sie an die Stelle des christlichen Originals setzt, so dürfte

schwerlich etwas anderes dabei herauskommen, als eine dritte Karikatur des religiösen und sittlichen Idealismus." Gegen den Schluß hin heißt es dann: „Ein christlicher Geistlicher, der auf das Charakterbild Jesu verzichtet, gleicht einem Seefahrer, der seinen Kompaß über Bord wirft und ohne ihn den Kurs finden will. Daß man im Kirchen-

und Lcbensschiffe wie in einem Handelsschiffe auch derartiges ausprobiercn kann, ist unbestreitbar; aber so wenig wie dies in dem einen Falle ein Zeichen navi-

III. Hartwich: Zur Abgrenzung der Lehrfreiheit.

29

gatorischer Bildung wäre, so wenig ist es in dem anderen eine Errungenschaft der religiösen Bildung oder der theologischen Wissenschaft. Christlich-theologisch und menschlich-religiös betrachtet, ist dieser Akt ein Mißgriff, entsprungen aus

subjektiver, vielleicht unbewußter Willkür und gedeckt vom Schilde der bremischen Freiheit. . . . Wer das menschliche Gemüt mit seinen religiösen Bedürfnissen und seiner

religiösen Begeisterungsfähigkeit noch für etwas anderes hält, als für einen bloßen Resonanzboden klügelnder Prinzipicnreiterci, wer sich und anderen nicht bloß in theoretischen Spitzfindigkeiten und dialektischen Haarspaltereien gefallen will, sondern wirklich den Wunsch hat, dem religiös-idealen Gemütsbcdürfnisse

einer großen christlichen Gemeinde praktisch Rechnung zu tragen, der wird auf die Dauer nicht im Zweifel sein können, wo die Lehrfreiheit auf protestantischen

Kanzeln ihre Grenze hat. Theoretisch dürfte sie zu suchen sein in der taktvollen Respektierung der beiden Prinzipien des religiös-sittlichen Idealismus, der das unsichtbare Allgemeingut der ganzen Christenheit ist; praktisch aber dürfte diese Grenze gefunden werden in der Bewahrung des mittelbaren und unniittelbaren

geistigen Zusammenhanges zwischen Jesus und seinem Sendboten auf der Kanzel, weil die Jesusgestalt das greifbare und anschauliche Allgemeingut der ganzen

Christenheit darstellt."

IV.

]Nacb Kaitboffs Code. 1. Als am 11. Mai die Kunde von Kalthoffs plötzlichem Hinscheiden durch die Stadt eilte, waren Tausende im Herzen tief bewegt. Überall hörte man seinen Namen, in den Schaufenstern erschien sein Porträt dicht umflort, und

viele Tage hindurch brachten die Blätter spaltenlange Artikel. im Reiche des Geistes wurde er darin gefeiert.

Wie ein Fürst

Bremens bedeutendster Mann

ist gestorben — so schrieb man in die Welt hinaus; ein Schaffensgewaltigcr, auf den Unzählige rechneten — so kam die Antwort zurück.

Dazwischen tönte

wie ernstes, feierliches Glockenläuten der Abschiedsgruß von St. Martini in der

Todesanzeige seiner Bauherren:

„Wir betrauern

in

dem Entschlafenen

unseren

unvergeßlichen

Prediger, Seelsorger und Freund, der in seiner reinen Geistesgröße uns stets ein Führer und Lehrer, in seiner echten Nächstenliebe und edlen

Wahrhaftigkeit

der

Gemeinde allezeit ein

Vorbild war und

bleiben wird."

Aus dem Munde einer Kirchgemeinde, die an seelisch mitarbeitendem Ver­ ständnis für ihren Geistlichen wenige ihresgleichen haben dürfte, ist das ein schwer ins Gewicht fallendes Zeugnis für den sittlich-religiösen Wertgehalt und

die Amtstüchtigkeit des Verewigten.

Und da St. Martini, ein Glied der bre­

mischen Landeskirche, diese Stellung auf dem Boden des Christentums und des

deutschen protestantischen Kirchenwesens nie aufgegeben hat, mithin also doch,

weil aus ehrlichen und gewissenhaften Leuten bestehend, sich durchaus als christ­ liche und evangelische Gemeinde fühlen muß, so bedeutet jenes Urteil eine Kenn­ zeichnung Kalthoffs als christliche Charaktergröße und eine Anerkennung seiner

Verdienste uud seiner Vorbildlichkeit als evangelischer Pastor. Dem steht nun aber auf das bestimmteste die Ansicht entgegen, daß, ein

so hochachtbarer Mann Dr. Kalthoff auch war, seine Haltung immer mehr

unvereinbar geworden sei mit seinem geistlichen Berufe.

Das ist nicht nur das

IV. Nach Kallhoffs Tode.

31

Urteil auch der mildesten und lautersten Elemente unter den Orthodoxen, denen jedes fanatische Ketzerrichten fern liegt, sondern so denkt man über ihn wohl

auch auf der ganzen außerhalb des Bannkreises seines Geistes liegenden libe­ ralen Seite.

Und selbst wo man hier in Kalthoff den Vorboten einer neuen

Zeit des Christentums und der Kirche zu sehen glaubt, wird es bedauert, daß

er doch das christliche Glaubensleben und die evangelische Kirche aufs schwerste geschädigt habe. Bei diesem Widerstreit der Beurteilung, wo hüben und drüben gleich sehr

der Anspruch erhoben werden darf, als maßgebender Faktor beachtet zu werden, — dort seine intelligente und religiös gebildete Gemeinde, hier seine doch jeden­ falls nicht minder religiös befähigten und sehr weitherzigen theologischen Gegner;

dort die Seinen, die vielleicht viel tiefer in das Innere des Menschen schauten,

hier Männer, die dafür jedoch einen viel helleren Blick für die Konsequenzen seiner Ideen haben — wird Kalthoff zu einer Erscheinung, die das Fragen

und Nachdenken objektiv prüfender Geister herausfordert.

Dieser Jesusleugncr

und Jesusbckämpfer im Talar, dieser Pastor, der sich mit ausgesprochenen Widersachern des Christentums verbrüderte und sich zum Haupte des Haeckel-

schen Monistenbundes machte, dabei aber bis zuletzt die christliche Kanzel seine

Lieblingsstätte nannte; dieser Kirchcnmann, der einen sehr bewußten Amtsbegriff hatte und oft scharf für die Befreiung des geistlichen Standes von seiner Un­

würdigem eingetreten ist, trotzdem jedoch für seine Bestattung sich die Begleitung der Amtsbrüdcr

int Ornat und damit wohl überhaupt die Beteiligung der

Kirche verbeten hatte, — da wird man, freilich in anderer Weise, als der Ver­ storbene den Ausdruck Problem gebrauchte, von einem Kalthoff-Problem zu

reden haben.

2. Kalthofss Name ist sicherlich einer der unsterblichen in der bremischen, tvohl überhaupt in der deutschen Kirchengeschichte geworden.

Wir möchten

glauben, daß, wie viele weithin leuchtende, eigenartige und schöpferische Geister

gerade Bremen schon auf seinen Kanzeln gehabt hat, er doch alle an Bedeu­ tung weit überragt.

Stadt,



Zwar in der Geschichte des religiösen Lebens unserer

als Mächte

der Seelenvertiefung, der

persönlichen Lebensbeein­

flussung gelten ein Menken, einst auch an Martini, der ältere Mallet von der Stephanikirche, die Ansgariipastoren Dräseke, Paniel und Fr. Adolf Krum-

macher, aus der jüngeren Vergangenheit Männer wie Kradolfer in der Rembertigemeinde unendlich mehr als Kalthoff, der Jdeenprediger.

Aber an Zeit­

geist bestimmender Kraft und kirchlich einschneidender Folgewichtigkeit wird ihm bis zur Reformation zurück keiner auch nur annähernd zu vergleichen sein.

Burggraf, Bas nun ?

32

Der Pastor von St. Martini in Bremen stand in den letzten Jahren als eine machtvolle Größe der Gegenwart da.

Er gebot über ein Heer.

bar vor sich hatte er eine kleine, aber treu anhängliche Gemeinde.

Unmittel­ Neben sich

den von ihm ins Leben gerufenen großen Bildungsvcrein Lessing für das „arbeitende Volk", und durch diesen wie durch seine ganze sozialistische Haltung übte er weithin Einfluß auf die Arbeiterschaft.

Um sich scharte er aus allen

Schichten der Bevölkerung, besonders aus der jungen Lchrerwelt und aus den in der bremischen Presse das Wort führenden Literatenkrciscn, alle über das

Christentum, wenigstens in der bisherigen Auffassung von Religion und Kirche, hinwcgstrcbenden Elemente zu einer starken radikalen Gruppe.

Dazu besaß

Kalthoff die unbestrittene Herrschaft im deutschen Goethebunde, den er immer mehr in seine Bahn gedrängt hat und als Werkzeug seiner die geistige und

religiöse Welt umbauenden Bestrebungen zu benutzen wußte.

Zuletzt hatte er

alles, was in Deutschland und darüber hinaus seiner extremen und antithcisti-

schen Richtung verwandt ist, an sich zu ziehen und unter der Parole des Monismus zu organisieren begonnen.

Wenn seine zahlreichen Schriften ihm

längst überall Führer seiner Bewegung und begeisterte Träger seiner Ideen

erzogen, so hatte er sich nun noch vor einigen Monaten im „Blaubuch" eine Wochenschrift zu wcitgreifcndster Wirksamkeit geschaffen.

Für dieses monistische

Organ verfügte er neben den eingeschworcnen Freunden auch über manche be­ deutende Männer, die, nur nach einigen Seiten der Spekulation und der Welt­

anschauung sich mit ihm berührend, im Grunde aber wesentlich anders gerichtet, mit dem Gewicht ihres Geistes doch seine praktischen Tendenzen fördern sollten.

So ist Kalthoff in der Kirche zu einer Persönlichkeit erwachsen, deren in

Hunderttauscnde eingedrückte Spuren die Zukunft nicht wieder auslöschen kann. Er hat einen starken Impuls auf die geistige Kultur der Zeit ausgeübt, und

der richtete sich ganz auf die Religion.

Hierin hatte sein auf vielen Gebieten

heimischer Geist seine eigentliche Lebensenergie.

Hierin wollte er — durch und

durch Theologe und Kirchenmann — neue Bahnen brechen, neue Werte schaffen,

neue Gebilde aufrichten.

„Das bewußte Bekenntnis zum Monismus .. . wäre nicht sein letztes Wort geblieben, wenn ihn nicht vorzeitig der Tod stumm gemacht hätte",

verrät uns im Berliner Tageblatt der Redakteur Dr. Michaelis, ein früherer Bremer Theologe und warmer Anhänger Kalthoffs.

Wie dieses gelautet hätte,

sagt er nicht; aber wer Kalthoff kannte, fühlte es ihm längst ab.

Dieses letzte

Wort, das noch halb unbewußt, schließlich jedoch wohl schon immer klarer und

vor den Vertrautesten gewiß manchmal in Ahnungen und Andeutungen auf

seine Lippen dringend, in ihm sich regte, wäre der Ruf zur Reformation ge­ worden, — wenn auch sicherlich nicht in dieser geschichtlichen Anknüpfung aus­ gedrückt.

IV. Nach Kalthoffs Tode.

33

Denn nicht um eine Fortsetzung und Erfüllung des Lutherwerkes, auf die nach unserer festen Überzeugung alles in der evangelischen Kirche Deutschlands jetzt hinzielt, hätte es sich bei Kalthoff gehandelt.

Luthers Persönlichkeit war

ihm in innerster Seele zuwider, und Luthers Glaubens- und Neligionsbegriff, weil auf der Heilsoffenbarung im geschichtlichen Jesus und auf der Gnaden­

gesinnung eines göttlichen Bewußtseins ruhend, natürlich noch viel mehr. Aber doch gärte in ihm der Gedanke an eine Art von neuer Lnthertat: an eine Tat,

die das deutsche Volk in der Masse seiner Intellektuellen aller Gesellschafts­

und Geistesschichten von der Kirche des Protestantismus losreißen, diese Kirche in die Rückständigkeiten der Geschichte einrcihen und die protestantische Theologie,

die Universitätswissenschaft, als faule Scholastik verdammen sollte. Die Coulissen zu einem

solchen Auftreten hätten erst noch die Verhält­

nisse hergebe» müssen, aber die Figuren standen für seine Empfindung schon bereit.

Das Christusbild in seiner menschlichen Realität und deren Macht und unserem Glaubensleben haßte er wie Luther den Papst.

Bedeutung in

Be­

sonders wir liberalen Pastoren galten ihm wie Gestalten eines Tezel, der, um der Kirche zu dienen und sich selbst zu nützen, den Leuten in gewissenloser

Weise das Christsein leicht machte. nommen.

Ein Harnack hätte die Rolle des Eck über­

Und unser Kaiser in der Wertschätzung der Kirche und der Religion

war ihm ein wahrer Karl V. In seinem Seelenleben schob cs sich immer mehr und mehr zurecht zum

Handeln. dem

Schon waren seine Hände dazu ausgcstreckt, die heutige Kultur von

kirchlich

gehüteten Erbe

der

biblisch-evangelischen Tradition

zu lösen.

Bald wäre vielleicht der Anstoß erfolgt zu dem „letzten Wort" — es drängte in ihm, alles Leben der Gegenwart zu freierer Entfaltung in seine eigene moderne Religiosität hineinzulenken und in dieser seiner sittlich-religiösen Lebcns-

anschauung alle die Zeit durchwühlenden dunklen Glaubenstriebe zu vereinigen zu einer neuen Kultusgcmeinschaft: da hat der Tod dieser riesenhaft produktiven

Energie mit 56 Jahren ein Aushören geboten.

Aber vielleicht wird doch Kalt­

hoffs Leben und Wirken aus seinen Schriften heraus erst jetzt recht beginnen,

wo sein Leib zu Asche verbrannt ist.

Das hoffen seine Freunde, das erwarten

und — wünschen auch wir!

3. Oder wäre das eine die Linien seines Geistes zu groß nehmende Täuschung?

Wir rechnen nicht auf seine Unsterblichkeit in der Wissenschaft als histo­ rischer Forscher.

Es erscheint uns vollständig ausgeschlossen, daß seine schrift­

stellerischen Werke, wie er selbst dachte, die biblische wie die dogmcn- und kirchen­

geschichtliche Wissenschaft in jene neue sozialtheologische Richtung bringen werden,

die er mit seinem „Christusproblem" gewiesen hat.

Burggraf, Was nun?

Ob auch Kalthoff von dem

3

Burggraf, Was nun?

34

Glauben an seinen historischen Spürsinn ganz durchdrungen war und in sehr

hoher Meinung von seiner Wissenschaftlichkeit fast auf die Gesamtheit der deut­ schen Fakultätsprofessoren geringschätzig niederschante,

so

fehlte doch seinem

Geiste, um wirklich darin etwas vorzustellen, viel zu sehr die Objektivität. Er war ungemein und vielseitig gelehrt, aber ganz und gar Subjektivist

und Dichter.

Seine Arbeiten über Christus, wie schon vorher seine Studien

über die griechische Philosophie, selbst über Goethe und nachher die über Nietzsche

und über die Modernen, sind sehr geistreich und scharfsinnig, enthalten viel Gutes und Wahres, ein großartiger Wissensstoff ist darin aufgespeichert, aber —

es sind im Grunde doch nur aus dem Schalten und Walten der Poetenhand entstandene Geschichtskonstruktionen, recht willkürliche Anschauungen

nach des

Das Wichtigste, was er ge­

Verfassers Tendenzen und Phantasieforderungcn.

schrieben hat, sind seine Ausstellungen über die Entstehung des Christentums

(1902—1904), und gerade mit diesen wird die ernste Forschung bald fertig

sein.

Sind sie doch zum großen Teil schon jetzt von maßgebenden Forschern

über diese Fragen als etwas ganz Unbewiesenes und völlig Unhaltbares in

ihrem wissenschaftlichen Unwerte gekennzeichnet.

Dagegen werden Kalthoffs Bücher in der nichttheologischen Welt jedenfalls noch eine bedeutende Zukunft haben.

Sie sind ja gewissermaßen die Bekenntnis­

schriften der neuen religiösen Bewegung.

Pietät und Glaube der Freunde

werden sie dazu erheben, die verschiedenen Vcreinsfaktoren des weitverzweigten Anhangs werden sich ihre Verbreitung

zur Ehrenaufgabe machen, und ihr

innerer Wert als klassischer Ausdruck des kirchlichen Radikalismus wird sich

durchsetzen. Sie werden getragen werden von den religiös erregten, aber antikirchlichen und vielfach auch antichristlichen Strömungen der Zeit, und das tiefere Wesen

dieser Menschen, dem Kalthoffs Suchen nach

der von aller bildlichen Hülle

entschleierten Wahrheit, dazu ein Zug edler Mystik, der ihm eigen war, Be­ friedigung bietet, wird sie empfänglich aufnehmen.

Von Haeckels pseudoreligiöser

Naturphilosophie wird man sich mehr und mehr abwenden zu der Kanzel­ philosophie seines Freundes, weil diese, indem sie sich bedingungslos auf den

Erkenntnisboden der „Welträtsel" stellt, doch imstande ist, den religiösen Gold­

schaunr des Jenaer Meisters durch die echten Empfindungen eines wirklich frommen und poesievollen Gemütes zu ersetzen.

Aber als unbedingt anziehungs­

kräftigster Magnet seiner Schriften wird sich doch der Zarathustrasinn erzeigen,

der schließlich Kalthoffs ganze Lebensanschauung

bestimnrte und der, seiner

starken Seele konform, sich zuletzt kundgab in einem titanischen Grimm gegen

den historischen Jesus als das vermeintliche Betrugsbild der modernen Theologie

und in seinem Eifern über jeden Versuch der Versöhnung des Christentums

mit der fortschreitenden Erkenntnis.

Die Kalthoffschcn Bücher werden sich den

IV. Nach Kalthofss Todk.

35

jungen Geschlechtern empfehlen durch ihre temperamentvolle Art, denn der Zeit­

geist will Hammerschläge der Vernichtung hören und Götterbilder in den Staub sinken sehen, — durch eine Leidenschaft jedoch, die in schöner, lichtvoller und

den Leser mächtig fesselnder Sprache zu reden vermag.

aus Kanzelvorträgen vor der Gemeinde.

Viele sind entstanden

Das gibt ihnen den Vorteil der

Frische und der Wärme und des andringenden Jdeenwillens.

Sie würden das

noch mehr haben, wenn Kalthoff die Form wirklich erst in der Kirche, aus

freier Rede, geschaffen und sie nicht vorher ausgearbeitet hätte.

Aber alles,

was er auf der Höhe seines Lebens geschrieben hat, ist lebensvoll und in seiner Art auch lebensmächtig.

So wird sich die von seiner unerschöpflichen Arbeitskraft hervorgcbrachte Literatur das deutsche Publikum erobern.

Sie wird eindringcn in die große

Menge der Entfremdeten, die wir mit heißer Mühe der christlichen Denkweise und dem evangelischen Gottesdienste wiederzugewinnen suchten, und diese Kultur­ schichten lange gegen unsern Einfluß absperren.

Sie wird vielfach auch, und

durchaus nicht nur hier in Bremen, eindringcn in die Reihen, auf deren Unter­

stützung die freie kirchliche Bewegung rechnet, und darin erstmal viel Schaden

anrichtcn;

daS vielleicht mehr, als auswärtige Beobachter, die

keinen Ein­

blick haben in das Fascinierende dieses kirchlichen Radikalismus, cs zuzugcben

geneigt sein möchten.

Es wird noch schwere Kämpfe kosten, bis die Mächte der

Zerstörung und der Verwirrung niedergerungen sein werden, die Kalthoff in die Kirche hincingcbracht hat, und die draußen durch seine Schriften, hier in Bremen auch

noch durch seine Geistesjüngcr Steudcl

und Mauritz in der

Kirche weiterwirken.

Aber wir freuen uns dieses Gcistcrringcns. Es bringt Zunahme des eigenen Lcbensbesitzes im Überwinden des Irrtums. Denn ob der Geist KaltHoffs uns auch zuruft: Ihr kämpft für euren Jesus nnd sein Evangelium, für das Christentum in der modernen Kultur und für die Bewahrung der geschicht­

lichen Kontinuität in der Entwicklung der Kirche wider meine Entdeckungen

und wider meine Umsturzgedanken einen vergeblichen Kanipf! Ihr steht auf ver­ lorener Position, der Geist der Menschheit ist über euch lange hinweg und will von eurem theistischen Gottverkehr nichts mehr wissen!

Ihr

habt

der

Seelcnnot der Zeit keine wahre Erlösung zu bieten und den von meinem Wort berührten Kreisen könnt ihr nicht mehr Führer zu etwas Besserem und Höheren» werden! — nun hat der Lebende uns nicht irre gemacht in dem, was uns

Leben und Erfahrung ist, so werden wir auch wider seine fortwirkende Anfechtung unser und unserer Gemeinden teures Gut zu behaupten wissen.

Und um die

neue Zeit und die neue Menschheit ist uns nicht bange: — es läuten gerade

die Pfingstglocken — sie staunt jetzt vielleicht die Zungensprache fiebernder Geistesrede an, mit der ein Mauritz auf der Domkanzel Kalthoffsches Wesen, ihm

4*

Burggraf, Was nun?

36

ein Evangelium geworden, in die Herzen zu flammen sucht; aber wenn solche

radikale Rauschpredigt den Reiz der Neuheit verloren haben wird,

werden

ernstere Gemüter sich fragen, was man denn eigentlich davon an innerem

Lebensgewinn gehabt habe?

Und man wird froh sein, wenn der Sturm und

Drang der neuen Empfindung sich erst zur Klarheit und sicheren Kraft der Apostelrede beruhigt haben wird, und wenn aus dem jetzt noch wild und wirr

redenden Munde der jungen Bewegung wieder die alten lieben Jesusklänge mit hcrzansprechender Gewalt ertönen werden.

bleiben!

In

der Menschcnbrust

Und das wird gewißlich nicht aus­

tobt es jetzt gewaltig,

aber die Wahrheit

Gottes spricht: Ich habe Zeit — ich kann warten!

Bei dem Gedanken an Kalthoffs Lebenswerk und an die Wirkungen seines Radikalismus müßte uns nur dann beklommen zumute sein, wenn wir, gleich jenen Juden in Jerusalem, über die der Sturmgang der Geistesgeschichte aller­

dings hinweggegangen ist, verknöcherte Kirchenmänner, des Pfingstsinnes bare

Vertreter des Gewesenen wären, die dieser Brauseerscheinung gegenüber nur die

Erklärung der sinnlosen Trunkenheit, dämonischen Zerstörungswut hätten.

des

menschlichen Aberwitzes

Nichts liegt uns aber ferner.

und der Was wir

in Kalthoff und seinesgleichen bekämpfen, ist nur der Geistesrausch, in dem hier eine große Wahrheit auftritt.

Es ist der einen Willenstrieb des heiligen

Geistes umschäumende wirr erregte Menschcnsinn, der, von dem Glücksgefühl einer Wahrheitsoffenbarung ergriffen, im Überschwang dieses Gefühles der Wahrheitszucht sich noch

nicht unterwirft und in seiner Unbündigkeit über

Ewiges, zuni Heil der Menschheit Unentbehrliches verwüstend hinwcgschäumt. Diesen reißenden Wogen, die menschlich sind

nicht dem Lebcnsdrange,

Sturm, lege dich!

und so viel Schaden anrichten,

der göttlich und notwendig ist, gebieten wir ein:

Wir wollen nicht, daß das innerlich verwirbelte Menschen­

herz mit all seinen Ausgeburten von verschwommenen Empfindungen, von toll sich überstürzenden Einfällen und steuerlos gewordenen Übertreibungen sich mit bem göttlichen Auftrage, der in ihm liegt, identifiziere, und fordern von dem

Radikalismus Klärung, Selbstbesinnung,

Berufsvertiefung, Läuterung,

Ein­

gliederung!

Ja, in Kalthoff steht ein gewaltiger Auftrag des Pfingstgeistes vor der

Kirche der Gegenwart.

Unter all dem Verkehrten in Kalthoffs Schriften, das

an seiner inneren Unhaltbarkeit morsch zusammenbrechen, oder das die Macht der Wahrheit aus dem Wege schaffen wird, werden sich Tiefen auftun, und daraus Geister ersteigen, die aus der Wahrheit sind, an schöpferischer Kraft reich und bestimmt, segensvoll hineinzuwirken in die Entwickelung der evange­ lischen Kirche Deutschlands.

Sowenig der historische Forscher in Kalthoff von

Bedeutung ist, um so mehr wird der spekulative Denker, der Religionsphilosoph, der Metaphysiker und Ethiker sich geltend machen und der Theologie noch lange

IV. Nach Kalthoffs Tode.

Aufgaben stellen.

37

Vor allem aber sind es die Anstöße seines die Kirche in

eine neue Richtung drängenden Geistes, die sich doch schließlich als fruchtbare

Gedanken erweisen und, wenn auch gewiß in ganz anderer Gestalt, im 20. Jahr­

hundert sich ausleben werden.

Kalthoff ist ohne Frage eine reformatorische

Kraft gewesen, womit aber nicht gesagt ist, daß der Radikalismus diese von

ihm erben wird.

Hat doch sein großer Führer gerade in denk Radikalismus

der letzten Jahre seines Lebens selbst von diesem Besitztum unendlich viel ein­

gebüßt.

Je mehr in Kalthoff der reformatorische Wille erstarkte, auch die

äußeren Bedingungen zu einer kirchlichen Neubildung sich ihm darboten, desto

mehr schwand sein reformatorisches Vermögen, die innere Befähigung zu einer lebenskräftigen und die Volksseele wahrhaft befriedigenden Kirchenschöpfung.

Wie

erklärt sich das? 4.

Kalthoffs eigentliches großes Schaffen umfaßt die Zeit von 1896—1906, wo er, also erst von seinem 46. Lebensjahre an, seine bedeutenden Werke er­

scheinen ließ, Schlag auf Schlag in einer Freigebigkeit, die uns oft um seine Gesundheit besorgt machte. Denn wie enorme Studien, welche beständige Geistes­

spannung setzte dieses Arbeiten voraus!

In diesem letzten Jahrzehnt seines

Lebens stand er vor den Augen der ganzen protestantischen Welt.

Aber schon einmal hatte er die öffentliche Aufmerksamkeit in hohem Grade auf sich gezogen.

Das war, von der etwas komischen Bartaffäre (1874) des

Berliner Hilfspredigcrs abgesehen, die Periode von 1878—1884: von der Ab­ setzung des jungen Pfarrers von Nickern, der sich nach Hoßbachs Nichtbcstätigung an der Jakobikirche durch ein unverlangtes Bekenntnis vor dem preußi­ schen Obcrkirchenrat zum Martyrium gedrängt hatte, bis zu seiner Berufung

ins Pfarramt von Rheinfelden in der Schweiz.

Er hatte der preußischen Kirchenbehörde gemeldet, daß er die von ihr gegen Hoßbach aufgestellten Grenzbcstimmungcn der kirchlichen Lehre nicht an­

erkenne; vor allein — heißt es in Kalthoffs damaligem Schreiben — „bringe er cs nicht übers Herz, das liebe Bild des Menschensohnes zu entstellen durch die starren Züge des dogmatischen Gottmenschen oder den so einheit­ lichen, in festen Umrissen dastehenden Charakter Jesu zu verflüchtigen

in das Nebelbild der Zweinaturenlehre". mals!

(NB.

Das der Kalthoff von da­

Das der Standpunkt, den er in seinen letzten Schriften geradezu mit

Schmähungen überschüttet hat!) Zum Schluß nötigt er den Oberkirchcnrat, zu

diesen seinen Ansichten Stellung zu nehmen, er fordert ihn zum Einschreiten heraus.

Wenn wir uns recht erinnern, hatte er diesen folgenschweren Schritt

unternommen, ohne sich auch nur im geringsten mit den Führern des Pro­ testantenvereins verständigt zu haben.

Burggraf, Was nun?

38

An der Spitze des kirchlichen Liberalismus in Berlin standen um jene die Prediger Lisko,

Zeit

Thomas,

Hoßbach,

Richter,

Köllreutter,

Rhode,

Schmeidler, alles vortreffliche Männer, zu denen wir Jüngeren, die wir noch

im Werden waren, als zu zwar besonnenen, aber durchaus tapferen Vertretern der freisinnigen Bestrebungen emporschauten, zu Charakterköpfen, die, wo da­

mit der Sache wirklich gedient war, dem Kirchenregimente kräftig die Stirn

boten.

In diesem unserem Kreise wurde Kalthoffs Selbstanzeige aufs entschie­

denste verurteilt.

Im Evangelischen Gemeindeboten rief unter den Augen der

Kirchenbehörde einer unserer Freunde im Namen aller ihm zu: „Es kümmerte uns herzlich wenig, was für Grenzen der Lehrfreiheit der Oberkirchenrat in seiner Entscheidung gegen Hoßbach zu ziehen beliebte; derselbe hat (als pro­ testantische Behörde) einfach nicht die Befugnis dazu, diese zu bestimmen; sein

Urteil in dieser Beziehung ist für uns reines Privaturteil.

Von diesem Ge­

sichtspunkte aus müssen wir es für einen kirchenpolitischen Fehler halten, dem

Oberkirchcnrat abweichende Lehrmeinungen anzuzeigen und ihm irgendwelches

Disziplinarverfahren anheimzugeben, da ein solches Vorgehen eine Anerkennung des Rechts in sich schließen würde, uns wegen Lehrabweichungen zur Rechen­ schaft zu ziehen.

Wir behaupten unser Recht in der Landeskirche als selbst­

verständlich!"

Kalthoff hätte sich, — das machten wir ihm zum Vorwurfe — ehe er handelte, vor die Vernunft- und Gewissenserwägung stellen müssen, wodurch er

der guten Sache mehr nützen würde, durch solche Aufopferung, die, allein schon weil sie etwas Gesuchtes, Gemachtes war, unmöglich Geschichts-

und Ent­

wickelungsfolgen haben konnte; oder durch stilles Ausharren und unentwegtes

Wirken in seiner freisinnigen Gemeinde Nickern, wodurch er den liberalen Geist in der preußischen Landeskirche gestärkt und an seinem bescheidenen Teile für

eine spätere Gottesstunde großer Entscheidungen zubercitet hätte.

geduld ließ das nicht zu.

Seine Un­

Er hoffte, die von ihm provozierte Amtsentsetzung

sollte die ganze Landeskirche erschüttern, und er dachte dann wohl, mit Hilfe des politisch-liberalen Bürgertums sie in ganz neue Bahnen weisen, sie der Regicrungsgewalt entreißen und zur Volkskirche umgestalten zu können.

Auch

seine Erklärung vor den Vorgesetzten, er werde trotz ihres Gebotes sein Amt

nicht niederlegcn, und die anfängliche Fortsetzung seiner Tätigkeit in der Ge­

meinde waren darauf angelegt, der Welt den Volksmann zu zeigen, der ein

geknebeltes Heiligtnnr von den unprotestantisch es vergewaltigenden Mächten be­ freien wollte. Also die erste Äußerung der reformatorischen Willensenergie

Kalthoffs — aber bei dem 28jährigen jungen Manne ein Schößling!

völlig verfrühter

In der Sache selbst, diesem Kampfe um kirchliche Lehrvorschriften,

lag keine in der Volksseele durchschlagende ideale Wucht.

Und ihm selbst fehlte

damals noch ganz die religiöse Disposition der Seele, die allein zu dem so

IV. Nach Kalthoffs Tode.

39

gewaltigen Werke einer Kirchenerneuerung berechtigte: die treibende Fülle neuer, die ganze Persönlichkeit durchglühender Glaubensmotive und großer schöpferischer Anschauungen. Er hat den Gesinnungsgenossen bitter gegrollt, es ihnen auch nie ver­

gessen können, daß sie sich, als nun das Disziplinarverfahren wirklich gegen ihn eingeleitet wurde, nicht sofort mit einem Aufruf zur allgemeinen Erhebung

der Geister um ihn geschart hatten.

Nur sein bei völliger Unkenntnis der

Verhältnisse alles nach der eigenen Idee konstruierender Geist konnte das er­

warten.

So sehr man auch den selbst gewollten Ausgang bedauerte und mit

diesem den Verlust einer hoffnungsvollen Kraft, so entschieden man auch die

Ausführungen des Urteils nach der theologischen Seite und in einigen Punkten

des gegen ihn geübten Rechtsverfahrens in unserer kirchlichen Presse bekämpfte und sich unumwunden zu seiner Theologie und seiner Persönlichkeit bekannte, so

war doch bei dem ganzen Stand der Sache, bei seinen formalen Fehlgriffen,

bei seinem provozierenden und

widersetzlichen Auftreten, vor allem bei der

fehlenden inneren Größe der Angelegenheit ein Handeln für ihn nicht möglich.

Unwillig darüber gründete nun Kalthoff im merklichen Gegensatze zum

Protcstantenverein den protestantischen Reformverein in Berlin, der die liberale Bewegung in Preußen in rascheren Fluß bringen sollte.

Darin hat er auch

seinen Gesinnungsgenossen, die doch nicht im geringsten in religiösen Ansichten,

sondern nur in kirchenpolitischer Beurteilung der Kalthoffschcn Streitfrage von

uns geschieden waren, außerkirchliche Gottesdienste gehalten und so eine böse, innerlich ganz unwahre Spaltung in Berlin hervorgerufen.

Es war also nicht

nur die Landeskirche uni eine liberale Kraft gebracht, sondern er hat nun auch

noch den kirchlichen Liberalismus dort verwirrt, vielfach gehemmt, wenigstens

in den ersten Jahren oft genug geschädigt, dabei aber Separation doch nicht

mit dieser Berliner

einmal etwas für die Zukunft Wertvolles geschaffen.

Diese freie Kalthoffsche Gemeinde verfiel mit seinem Weggange nach der Schweiz

und ist seit Jahren aufgelöst. So ist diese erste öffentliche Periode Kalthoffs ein Knäuel der Irrungen

gewesen.

Aber durch diesen geht ein roter Vorsehungsfaden und ein goldener

Charakterfaden. Letzteren wollen wir gewiß nicht übersehen.

Bei allem Unbedachten und

Verkehrten seiner Handlungsweise entsprang diese doch einem reinen, selbstlosen

Idealismus, der Großes wollte.

Wohl hat er seine Person stark in den

Vordergrund gedrängt. Das war jedoch nicht eitler Ehrgeiz, jugendlicher Übermut, der eine Rolle spielen wollte, wozu er in sich gar nicht das Zeug und

den Auftrag hatte.

Sein tapferes, frisches Wirken unter aller materiellen Be­

drängnis, dieser Berliner Jahre, das ihm nicht bloß unter seinen Getreuen im

Reformverein hohe Achtung erwarb, ist ein Beweis dafür, daß das persönliche

Burggraf, Was nun?

40

Moment in seinem Auftreten edler Art war.

Es war die Bcrufsahnung, die,

in seiner Brust mächtig emportreibend, ihn in eine Bewegung setzte, für die

ihm noch das große Ziel und der reiche Inhalt fehlte.

Wie ein Daimonion

fühlte er cs in sich, daß sein Leben einen hohen Zweck für die Kirche hatte, und daß er zu einem Bahnbrecher geschaffen war.

So war er gestimmt, für

die Wahrheit, so wie er sie damals zu sehen glaubte, sein Leben opferfreudig

einzusetzen.

Man mag seine unnütze Aufopferung verurteilen,

er hat jedoch

schon in dieser, in der festen Art, wie er ohne Wanken und Weichen seine Überzeugung vertrat, nicht vor der Kirchenbehörde eingeschüchtert etwas zurück­ nahm, was er erst als heiliges Gewiffensgebot angekündigt hatte, der Welt

gezeigt, daß er von dem Holze war, aus dem die Vorsehung ihre großen Ideen­

träger schnitzt. Und Vorsehung, wie sie manchmal gerade in menschlichen Verirrungen

ihre göttlichen Absichten durchsetzt, tritt aus dieser Jugendgeschichte Kalthoffs dem sinnenden Betrachter entgegen.

dürfen

und — doch

Der junge Kalthoff hätte nicht so handeln

mußte er so handeln!

Gewissens- und Vernunftgebot

hätten ihn in der preußischen Landeskirche festhalten sollen — und doch sollte

er offenbar aus dieser heraus, hinein in eine Entwicklung, die ihm das ein­

das

geschränkte Leben dort, werden können,

wird

verwehrt hätte!

mit größter Wahrscheinlichkeit

Der Kirchenregimentskonflikt,

der

behauptet Reform-

vcreinsboden, die Schweizerluft, die bremische Kanzel, alles dies war nötig zur

Entfaltung Kalthoffs.

Nur auf diesem Entwicklungswege konnte er ausreifen

zum Erfassen der Wahrheit, für die er geschaffen und deren Träger zu sein

ihm bestimmt war.

Und wir möchten und müssen hinzusctzen: dieser Werde­

gang war ihm auch vorgcschrieben, damit das Tragische in seiner Natur sich auswirkte zu jener schließlichen Entgleisung, die dem Fortschritt der in Kalthoff

der Kirche beschlossenen Wahrheit zur Klärung, zur Sicherung, zur Stärkung dienen sollte. Dieser tragische Zug aber in Kalthoffs Wesen, schon unter dem ganzen

Verhalten jener Frühzeit sichtbar, war die in seinem absolut ungeschichtlichen Sinne begründete Verständnislosigkeit dafür, daß nicht Revolution, sondern Evolution das Gesetz der Wahrheit ist, — seine bedauerliche Unfähigkeit, das

Heilige der individuellen Erwerbung und Berufung in Einklang zu bringen mit dem Heiligen des ihm anvertrauten Allgemeingutes zu dessen gesundem Fortschritt.

Kalthoff war ein genialer Geist, begabt mit der

Kraft, neue Aufgaben zu sehen, ja noch mehr, neue Werte zu schaffen; aber

neben dem lichten Genius kauerte bei ihm der finstere Daimon der revolutionären

Zerstörung des Ererbten.

Hier äußerte sich das in der Geringschätzung der

ererbten kirchlichen Organisation.

Er ahnte eine große Kraft in sich, er fühlte

Ideale der Brust sich entwinden, er sah leuchtende Zukunftsbilder, — statt

IV. Nach Kalthoffs Tode.

41

nun aber diese in die von Gott gegebene Geistesschöpfung der Landeskirche hineinzuwirken zu deren Ausbau und, wo es nötig würde, zu ihrem Umbau,

stieß er das ihm anvertraute Gut von sich: aus dem Eigenen wollte er ein

es ersetzendes Gebilde schaffen, das, wie titanisch es auch gedacht war, nun doch, weil vom Segen Gottes verlassen, sich als ein armseliges, zukunftloses, schnell wieder zerfallendes Menschenwerk erweisen mußte. In Bremen sollte dieser eigenwillige

So damals in Berlin.

Sinn seinem größeren Schaffen durch

Vergewaltigung an einem viel höheren Gute noch viel verhängnisvoller werden.

5. Als Dr. Kalthoff im Jahre 1888, zehn Jahre nach seiner Absetzung, an

Dr. Schwalbs Stelle bei uns eintrat, ahnte niemand das Programm seines Seine markige und sicher auftretende Persönlichkeit,

seine

reich gebildete Denkweise hatte allerdings eine sehr bestimmte Richtung.

Die

späteren Lebens.

war aber ganz den sozialen Interessen der Zeit zugekehrt und äußerte sich nach der Kirche hin nur in rührigen Bestrebungen für den Ausbau des Gemeinde­

lebens und in Gedanken zur Neuordnung der äußeren kirchlichen Verhältnisse Bremens. In Berlin schon hatte Kalthoff es immer mehr mit der Volkspartei ge­

halten, in den vier Schweizer Jahren war er dann durch eingehende Studien

des

wirtschaftlichen Lebens der Zeit zu ziemlich

sozialistischen Anschauungen

gekommen, und hier in Bremen nahm er nun seinen Platz, wenn auch nicht inmitten, so doch nahe an der Peripherie der sozialdemokratischen Partei. Die Politik hätte uns,

die wir damals in religiöser und kirchlicher Be­

ziehung noch zusamnicn gehörten, ja nicht zu trennen brauchen. Sie hielt auch einige

der Kollegen nicht ab, mit Kalthoff enge Freundschaftsbande zu knüpfen.

Aber

andere, und wohl die meisten von uns liberalen Pastoren, empfanden es doch störend, daß jenes politisch Oppositionelle sich bei Kalthofs so sehr vordrängtc.

Es schien auf seine ganze Beurteilung der Menschen und der Verhältnisse,

immer mehr auch auf seine theologischen Ansichten abfärbend einzuwirken und gab seiner Kritik in unserem Kreise manchmal einen Ton, der uns wenig an­ genehm berührte.

Er lebte eben in einer ganz anderen Welt, mit der man

sich auch bei vielleicht gleich starker Hinneigung zu den Niederen und Armen

nicht zu berühren vermochte.

Kalthoff hat in unserer reichen Kaufmannsstadt

wahrlich nicht allein den Sinn des geistlichen Volksmauues vertreten, der, von Macht und Besitz nicht geblendet, innerlich frei über den sozialen Unterschieden

des Lebens zu stehen weiß und der mit warmen: Herzen sich als treuer Freund der auch in sozialer Beziehung Mühseligen und Beladenen fühlt.

Er hat dies

aber mit einer besonders hervorleuchtenden Mannhaftigkeit getan, indem er als

Burggraf, Was nun?

42

Anwalt berechtigter Bestrebungen Menschengunst völlig für nichts achtete.

Wenn

er für diese evangelisch wahre Stellungnahme, mit der es ihm heiliger Ernst

war, unter vielen seiner liberalen und orthodoxen Amtsbrüder lebhaften An­ klang fand, so wünschte man aus seiner Haltung doch manches Schroffe heraus und seinem Wesen mehr evangelisch ausgleichende Gerechtigkeit. Überhaupt ging damals der Zug zum Harmonischen ihm noch sehr ab.

Trotz

seiner Kunstfreude und seiner musikalischen Begabung lebte sein Geist

nicht gerade in den „Regionen, wo die reinen Formen wohnen".

Als jetzt vor

zehn Jahren sein erstes Werk, „Schleiermachers Vermächtnis an unsere Zeit",

gleichzeitig mit meiner ersten Schillerarbeit erschien und beide Publikationen

von einem Kollegen in der Tischrede begrüßt wurden,

gab er mir über die

Tafel hinweg mit äußerst unfreundlichen Bemerkungen über den „Dichter der

schönen Phrasen" die Versicherung, er werde solch ein Buch nie lesen.

Nun, er muß sich denn doch später in Schillers Dichtungen versenkt und

ihn anders anzusehen gelernt haben. seinem Tode,

„Die Religion

der

Er hat in dem letzten großen Werke vor Modernen",

unter

höchster

Anerkennung

Schillers als eines religiösen Befreiers und Vertiefers viel gut und fein Be­

obachtetes über diesen Dichter geschrieben, Schönheit,

über die tiefe Wahrheit in seiner

über die nicht bloß versittlichende, sondern auch versöhnende, zu

harmonischer Lebenserfassung leitende Macht seiner tragischen Muse.

Zwar ist

einzelnes in seinem Urteil nicht richtig, z. B. die aus dem mißverstandenen Wort von der Religion unter der Hülle aller Religionen und aus der Religions­ vermengung in der „Braut von Messina" hergeleitete Ansicht, dem Dichter

habe das Christentum nur als eine Religion unter vielen, nicht als die alle

überragende

wahre Religion gegolten.

Kalthoff

hätte wissen müssen,

daß

Schiller ein Christentum als Dogma und dogmatische Konfession trennte von

dem Christentum „in seiner reinen Form", zu dessen Absolutheit er sich vor Goethe in dem berühmten Briefe vom 17. August 1795 mit vollen Worten

bekannt hat.

Dieses Christentum war unserm Schiller als „Menschwerdung

des Heiligen" in schöner, freier Sittlichkeit eben die Religion, die einzig wahre, die vollendete Religion, die er, freilich verschieden klar und lebendig, unter den Hüllen aller Religionen fand.

In des Dichters eigenem Geiste war diese be­

sonders geläutert und urkräftig zum Vorschein gekommen. für uns ein Träger hoher Offenbarung!

Schillers Künstlerreligion Blick.

Deshalb ist Schiller

Für den Offenbarungscharakter in

hatte Kalthoff nun zuletzt

einen erfreulich hellen

Während die kirchlich-biblische Befangenheit auch noch bei den meisten

Liberalen Schillers Poesie allenfalls als den Vorhof zum Heiligtum gelten lassen will, — eine recht verständnislos oberflächliche Betrachtungsweise! — bezeichnet Kalthoff sie mit Recht als eine „ureigenste Offenbarung und Lebensentfaltung"

der Religion.

Er preist Schillers Kunst, die ihm nun „der Ausdruck ist für

43

IV. Nach Kalthoffs Tode.

alles, was echt menschlich genannt werden kann," als eine Macht, die in der

Menschenseele schöpferische Kraft entfesselt.

Er stellt es

als Schillers

und

Goethes Verdienst auf, daß sie beide auf verschiedenem Wege der Kunst und der Natur ihr Recht in der Religion wieder zurückgegeben haben.

Er eröffnet

die Perspektive, daß die Weiterentwicklung der Religion und der Kirche nur auf den in unsrer Poesie gebrochenen Bahnen möglich sei.

So Kalthoff im Schillerjahre 1905. die Kalthoffs Geist

zeichnet,

Es ist damit die Richtung gekenn­

seit 1896 einzuschlagen

begonnen hatte.

Die

politischen Ansichten und Interessen blieben zwar, doch trat das sozialistische

Denken, das soziale Streben nach dem Erscheinen jenes Schleiermacherwerkes

zurück hinter das ästhetische und idealistische; aus dem Volksmann, der das

Leben der Gesellschaft umwandeln wollte, wurde nun der auf völlige Umwand­ lung des religiösen Geisteslebens sinnende Kirchenmann, — letzteres Wort frei­

lich in

einem ganz neuen Sinu verstanden.

Denn alles, was wir Kirche

nennen, die gottesdienstliche Gemeinschaft der mancherlei Gaben, Ansichten und

Formen in dem Einen Geiste, sollte aus einem Grunde, über den nachher

zu sprechen sein wird, in Kalthoffs Gedankenwelt schließlich ganz untergehen.

An der Eingangspforte zu dieser Periode stand bei ihm also sehr bedeut­ sam jener große Theologe, der einst das nun zu Ende gehende Jahrhundert

mit

einem sehnsüchtigen Ausgreifen

nach

den gebildeten Religionsverüchtern

Von Schlcicrmachcr ging sie aus, der, um die Ent­

seiner Zeit eröffnet hatte.

fremdeten mit den christlichen Empfindungen zu versöhnen, für diese einen

gründlichen theologischen

Umbau unternahm.

Aus demselben edlen Motive

setzte die neue Arbeit bei Kalthoff ein, bloß daß er wohl erst viel mehr, nicht wie einst Schlcicrmachcr an die fein ästhetisch gebildeten Kreise, an den äußerst

regen, der Kirche abgcwandten Gcistesdrang in der heutigen Arbciterwelt dachte. Und wie dem ehemaligen Herrnhuter, so stand es auch dem Sohne des Wupper­

tals fest: das Christentum muß heraus aus der Kirchenenge, heraus aus der Bibelenge!

War

einst Luther

in

seiner

religiösen Grundstellung

von der Laien­

frömmigkeit seiner Zeit stark beeinflußt worden, so hatte auch der Reformator

der protestantischen Theologie die Anregung zu seinem Religionsbegriff nicht so sehr aus der Kirche, als von draußen, von den ihm nahestehenden Roman­

tikern entnonimen.

Aus diesem seinem Glauben als Gefühl erwuchs Schleier­

macher nun der Gegenwartssinn für die schöpferisch fortwaltcnde religiöse Heils­ wahrheit: das Christentum nicht eine Vergangenheitslehre oder ein aus der Vergangenheit übernommenes abgeschlossenes Moralstatut, sondern ein aus dem

Lebensgefühl geborenes Lebendiges, — es

ist ein Seelengut, das aus dem

Grundgefühl Christi heraus in der Christenheit in immer neuem Werden be­ griffen ist und mit den Zeiten sich umgestaltet!

Burggraf, Was nun?

44

Hier knüpfte Kalthoff an, auch er in seinem Geistesleben vornehmlich be­ stimmt von den Zeitmächten und der Zeitbildung.

Was ist nun unser Glaube,

das heutige Christentum, wie es die Kirche den Kindern unserer Tage, ihnen

verständlich und den Herzen allein zugänglich, zu verkündigen hat?

Schleier­

machers Antwort: Frage das lebendige Gemein de bewußtsein — Kalthoffs

Entgegnung: Dies ist unzulänglich, das kirchliche Christentum enthält von dem gegenwärtigen Christus erst zu wenig, von seinem vergangenen Wesen noch zu

viel; die maßgebende Instanz ist vielmehr das allgemeine Zeitbewußtsein der christlichen Welt.

Es ist Kalthoffs Verdienst, daß er in der von Schleiermacher gewiesenen Richtung konsequent weitergegangen und über den kirchlich-religiösen Glauben hinaus vorgedruugen ist zu der Lebensoffenbarung im Zeitgeist, in den sozialen,

sittlichen und wissenschaftlichen Bewegungen der Gegenwart, in dem Glauben

unsrer Denker und Forscher und Dichter.

Das war ja in der modernen

Theologie längst vorbereitet, der Gedanke an sich ist nicht neu.

Aber er ist

doch in Kalthoff etwas ganz anderes, ein Neues geworden durch die prinzipielle

Klarheit und innere Freiheit, mit der diese Idee hier vor die Welt trat, durch die Entschiedenheit und Gründlichkeit, mit der er aus der Laienreligion heraus

die Theologie umzudenken, das kirchliche Leben umzubilden begann.

Und be­

sonders das letztere ist ihm als Großtat anzurechncn: die Kühnheit, der hohe

Glaubcnsidcalismus, der, alle homiletische Tradition durchbrechend, die Gemeinde­ Ob sie freilich allein

predigt auf diesen weltlich-religiösen Lebensboden stellte.

auf diesem bestehen und ihren Zweck erfüllen könne, ist eine Frage, die wir

aus praktischen und inneren Gründen von Anfang an verneinen mußten. Zunächst fesselte den Prediger noch die in der sozialen Gärung der Gegen­ wart sich emporringende christliche Wahrheit („Kanzelredcn an der Wende des Jahrhunderts" 1898).

Aber schon durchmaß sein Blick die weiten Gefilde des

modernen Geisteslebens, das in der enormen Produktivität der Zeit ihm Auf­

gaben stellte, die auch bei seinem leichten Erfassen doch nur ein wahrhaft ver­

zehrender Riesenfleiß bewältigen konnte.

Selber eine schnellem Aufbrennen sich

preisgebende Kraftnatur wie Friedrich Nietzsche, mußte dieser der frühen Ver­

nichtung verfallene Dichterphilosoph sein höchstes Interesse auf sich ziehen, dies um so mehr, da auch Kalthoff den Dichter wie den Philosophen in sich trug.

Die Frucht

dieser Arbeit

„Kulturprobleme",

ein

nehmende Begeisterung Nietzsche

Hellas

aus in

die

ging

es

des Reformpredigers

höchst

sich

wertvolles

mit

gesund

naturgemäß in

Welt Goethes,

in

die

sind

die

Nietzschewerk, ablehnender

Kritik

die Philosophie Probleme

des

1900 erschienenen

in

dem

reich

vereinte.

aus­

Von

der Griechen, von Faust:

die

klassische

Dichtung Deutschlands tat ihm ihre Tiefen auf, und alles vermittelte ihm religiöse Ideen.

Um ihn rauschte es von tausend Zuflüssen,

seine Kanzel

IV. Nach Kallhoffs Tode.

45

wurde zum Quelland; in ihm erklangen tausend Stimmen, sein Geistesleben war ein singender Wald.

Mit seinem 50. Jahre stand Kalthoff jetzt auf der Höhe seines Lebens. Er fühlte sich enthoben allen Engen, beseelt und beseligt von dem Bilde einer

unermeßlich sich weitenden Kirche, in der es wieder Pfingsten werden wollte.

Zu der Gemeinde Christi, wie er sie nun auffaßte und verwirklichte, würde nun auch, das durfte er erwarten, die Menge hinzugetan werden, daß sie wieder gläubig würde.

In allen Poren seines Lebens spürte er ja das Auf-

wachsen eines jugendfrischen, herzensmächtigcn Christentums, und darin waltete er selbst in Schöpferkraft, Lebensgründe unter sich, Welten in sich.

Es war

ein Schöpfen aus der Fülle, und das alles, wie es nachher in der „Religion der Modernen"

Zeiten".

heißt,

der

„Anfang

für eine

unerhörte Fülle

kommender

Sein ganzes Wesen stand in heiliger Berührung mit dem Werde­

willen des Ewigen, daß auch die Züge seines Angesichts sich vergeistigten, und er Macht gewann über die Menschen, auch über das Denken derer, die ihm

nicht Freunde waren.

Man mußte sich sagen, daß er doch ein besonders aus­

gerüstetes Werkzeug der kirchlichen Weiterentwicklung wäre.

Meine Predigt vom

Pfingstfest 1905, aus der vorn ein Stück abgedruckt ist (Seite 15), hatte als den Prediger von Gottes Gnaden, der ein Dichter, ein Prophet, ein Schöpfer

in seiner Zeit sei, Kalthoff vor Augen! 6. Freilich wurden diese Worte mit Wehmut gesprochen, denn in solch einem

prophetisch schöpferischen Wirken stand er ja damals bereits nicht mehr.

mußte vielmehr schon als ein an Glanzgestirn betrachtet werden.

der Tragik

Er

seiner Gcistesart erloschenes

Ob auch seine weittragende Bedeutung gerade

erst in diesen Jahren begonnen hat, seit dem Erscheinen seiner Christusschriften

(1902—1904), so ist diese äußere Entfaltung doch nur das Nachleuchten eines für die christliche Kirche nicht mehr vorhandenen Lichtes gewesen! —

Kalthoff hatte ein Großes unternommen, doch, wie schon oben bemerkt, von vornherein in großer Einseitigkeit.

Er hatte die Kirchen- und Bibelenge gesprengt dadurch, daß er die Laien­ religion auf die Kanzel führte, in den Geistesbewegungen unserer Tage Offen­

barungen Gottes

begrüßte.

sah

und den Dichter und Denker als Wahrheitserzeuger

Das war gut und verdienstvoll, das ist ein Auswirken der Refor­

mationstriebe gewesen, das wird die Zukunft der Kirche und ihrer Predigt sein!

Aber er hatte über diesem Bedürfnis der heutigen Kirche, das sie noch nicht fühlte, und das er in der Vollmacht seines Amtes ihr zum Bewußtsein

zu bringen berechtigt war, ganz ihr eigenes Recht aus dem Auge gelassen.

Burggraf, Was nun?

46

Die Kirche darf und muß fordern, daß, was ihr Prediger auf der Kanzel als Wahrheit verkündet, wenn es als eine Neuerung und mit dem Anspruch

der Erneuerung und Bereicherung der Kirche auftritt, seinen inneren Zusammen­ hang mit dem, was ihr Lebensnerv ist, mit unserem christlichen Heilsgute, nachweise. Über diese Forderung hatte sich Kalthoff einfach hinweggcsctzt. Er hatte sich gar nicht darum gemüht, ob und wie die Religion des Weltlebens,

die er in das Heiligtum verpflanzte, sich mit dem darin Vorgefundenen Geistes­ erbe assimilieren lasse.

Bei dem Prediger einer geschichtslosen,

zusammenhangslosen Religions­

gesellschaft mochte das angehen, nicht aber bei einem Pastor der evangelischen Kirche, der mit seinem Amtsantritt doch einen von der Kirche ihm anver­ tranten Besitz, einen in der Seelenarbeit von Millionen durch die Jahrhunderte

hin erworbenen Schatz sittlich-religiöser Lebensanschauung übernommen hatte.

Als solcher mußte Kalthoff diesen — nicht in seiner dogmatischen oder sonst­

wie formulierten Prägung,

aber in seinem

inneren idealen Wertgehalt —

ebenso wahren, wie er daneben seine draußen ihm gewordenen Neuerwerbungen

zur Geltung zu bringen hatte.

Draußen also die Inspiration, die ihm heilig

war, und für die er verlangte, daß die Kirche sich ihr öffnete — drinnen die Tradition und zwar eine nach dem protestantisch freien Prinzip Bremens so ganz und gar nicht zum Gewissensjoch gemachte Tradition, in bezug auf die

nun die Kirche doch ihrerseits wieder verlangen durfte, daß sie ihrem Pastor auch heilig wäre: da war cs seine Aufgabe, und

nur ganz allein das

durfte die Aufgabe des Martinipastors sein, die kirchliche und die welt­ liche Religion ineinander zu verschmelzen, das Christentum des evangelischen Gemeindcbewußtseins zu

stimmen auf das Christentum der Zeitgcburt, daß

aus den beiden in seiner schöpferischen Hand ein gleich sehr die Kirche wie das Leben segnender neuer Christnsglaube würde. Das war der göttliche Auftrag, der dem reformatorischen Geiste in Kalt­ hoff gestellt war.

Nur in

diesem war ihm die Schaffenskraft und der

Schaffensreichtum des Propheten gegeben.

Und tatsächlich hat er auch das

ursprünglich vorgehabt, als er der Welt Schleiermachers Vermächtnis an unsere Zeit verkündete und der Kirche die Kultnrprobleme der Gegenwart in Nietzsche

und in den heutigen sozialen Kämpfen ans Herz legte. Aber durch die Einseitigkeit, mit der er bei der Ausführung seiner Mission den weltlich-religiösen Faktor urgierte, hat er seinen Beruf sofort gefährdet. Welche furchtbare Übertreibung allein schon die Behauptung, daß bei unseren Dichtern und Denkern und in der modernen Welt ringsum uns eine Fülle

des religiösen Lebens sich darbiete, „gegen die alles, was Kirche und Theologie an Religion besessen, nur als Armut und Dürftigkeit erscheint!"

er immer gleichgültiger gegen die kirchlichen Wahrheitsmächte.

So wurde

47

IV. Nach Kallhofss Tode.

Unter dieser zunehmenden Gleichgültigkeit erwachte nun in seinem Herzen

sehr bald wieder neben dem Genius, der jetzt so laut sprach und der jetzt reich und voll das besaß, was er in Berlin erst als Ahnung in sich getragen hatte, der unselige Dämon seiner Natur: — da wurde aus dem Propheten, der die Kirche in lichte Bahnen der Entwicklung hatte leiten sollen, ein das christ­

liche Glaubensleben schädigender und sich selbst in seiner besten Kraft zerstörender Revolutionär

gegen

das,

was

„Zarathustra-Predigten" (1904)

der Kirche Geist

und Leben

ist.

Seine

und seine „Religion der Modernen" (1905),

wie viele köstliche und im Grunde doch christliche Perlen sie auch enthalten,

sind doch in ihrer ganzen Tendenz eine Auflehnung wider seine Stellung als christlicher Prediger. In dieser Schärfe ist ihm die Unvereinbarkeit seiner Position mit seinem

Bei Kalthoffs

geistlichen Berufe ja keinesfalls zum Bewußtsein gekommen.

Wahrheitsliebe darf auch seine persönliche Wahrhaftigkeit nicht im geringsten in Zweifel gezogen werden.

Wie rücksichtslos er auch in jenen Prcdigtschriften

die christliche Kirche und das Christentum selbst bekämpfte, so

hat er doch

jedenfalls noch ihn beruhigende Beziehungen zwischen seinen nunmehrigen Auf­

fassungen und seinem einstigen Amtseide zu sehen geglaubt.*) Hätte aber sein Tod

nicht seine weitere Entwicklung und auch die weitere Entfaltung seines Bewußt­

seins abgeschnitten, so wäre ohne Frage für ihn sehr bald der Augenblick ge­ kommen, wo er sich um des Gewissens willen genötigt gesehen hätte, den end­ gültigen Bruch mit Christentum und Kirche zu vollziehen und auch äußerlich zu dokumentieren.

Er war innerlich

bereits vollständig auf dem Wege zur

freireligiösen Gemeinde. Auch vielen seiner Anhänger, vor allem seiner kirchlichen Gemeinde, ist

das sicherlich nicht zum Bewußtsein gekommen.

Sic werden sich auf ihre und

ihres Predigers protestantische Freiheit berufen: Der Protestantismus kennt keine Glaubensnorm, in seiner Kirche ist jede ehrliche Überzeugung berechtigt! —

Ja wohl, so

weit sie sich mit den bestimmenden Grundideen protestantisch­

christlichen Kirchcnwesens in Einklang setzt.

Aber

was würde ein Bremer

Kaufmann sagen, wenn, von ihm gerufen, ein genialer Kopf in sein Geschäft

einträte und dieser, mit vieler Selbständigkeit ausgerüstete Mitarbeiter entwickelte sich dann zu der Eigenmächtigkeit, daß er den von den Vätern ererbten Besitz

von bewährten Erfahrungen, von Gedanken und Grundsätzen, die die Firma *) Bei seiner Ausnahme in das Geistliche Ministerium am 9. Januar 1889 war ihm

nach dem unter uns herrschenden Gebrauche die Art seiner Verpflichtung auf die Bekennt­ nisse freigestellt.

Er hätte sich nur an den „Geist der Reformation" zu binden brauchen; aber

Kalthoff wählte die Form, daß er sich verpflichte, „das Evangelium Jesu Christi zu

lehren

nach

stimmen".

den

Bekenntnisschriften,

soweit

sie

mit

dem

Worte

Gottes

Burggraf, Was nun?

48

hochgebracht haben, einfach über den Haufen würfe, um ein ganz Neues nach seinem Sinn zu schaffen?

Jeder Kaufmann der Welt würde das als eine

Erschütterung der Lebensbedingung seines Geschäftes empfinden; und wenn der andere sich nicht bequemt, seine kaufmännischen Überzeugungen in das Vor­

gefundene hineinzubilden, aber auch hiernach jene umzubilden, so würde er ihm

sagen: Du bist ein prächtiger Mensch und ein unternehmender Geist, doch,

bitte, gründe dir dein eigenes Geschäft, denn ich habe als Sohn und Enkel an meinem Gute Pflichten zu wahren und dulde deshalb keinen solchen Umsturz! Als kirchlicher Umsturzmann ist Kalthoff aus dem Leben geschieden!

Des­

halb ist auch das Einschreiten unserer Orthodoxen gegen ihn in der Sitzung

des Ministeriums vom 9. Mai, deren Aktenmaterial die „Chronik der Christ­ lichen Welt" (Nr. 21 und 22) veröffentlicht hat, von mir in dieser Sitzung als ein religiös vollberechtigter Protest bezeichnet worden, wie entschieden

auch

Senat in

das Juridisch-lchrgcsctzliche im Anträge der Sieben an den

diesem Votum bekämpft, auch auf Kalthoffs Bedeutung in der Kirchengeschichte

der Finger gelegt wurde.

Sein verdienstvolles Nesormationswerk ist eben leider

zu einem ganz und gar unreformatorischen Zerstörungswerke geworden. Das lag jedoch nicht an dem oben im fünften Abschnitt gekennzeichneten

Prinzip dieses Werkes, zu dem auch wir uns mit voller Seele bekennen, sondern lediglich an seiner Natur, an einem von seinem pietätlosen Wesen und seinem nngeschichtlichcn Sinn verursachten individuellen Charakterzuge, der zum

Losreißen und Zerstören schnell geneigt war.

Kalthoff einem Schleiermacher verwandt!

Wie wenig war doch darin

Und wie wenig überhaupt allen hoch­

ragenden Führern in der Neligionsgeschichte!

Das war die Tragik, die diesen

so bedeutenden Mann doch nicht zur wahren Größe, seinen schöpferischen Geist nicht zum Schaffen eines positiv wertvollen Werkes

kommen

ließ.

Eine

Tragik, die Naturanlage und doch zugleich Schuld war! Sie wurde genährt durch seine sozialistische Richtung.

aus dieser ist ihm schließlich das Verhängnis erwachsen!

Ja, unmittelbar

Das war der Wahn­

glaube an die schöpferischen Instinkte der Masse und sein Nichtglauben an das

durchaus aristokratisch vorgehende Gesetz der göttlichen Hervorbringung, gegen

das der Demokrat in ihm blind war, durchaus blind

sein wollte.

Er sah

nicht, er mochte nicht sehen, daß nur der Genius, die besonders auserwählte

und ausgerüstete Persönlichkeit alles Außerordentliche auf Erden vollbringt;

daß zwar diese aus dem Volke Leben und Saft nimmt,

wie der Baum aus

der Erde, aber daß doch erst in dem geheimnisvollen Schaffen des Baumes die Kraft liegt, die uns die herrlichen Früchte schenkt.

Während der Grundton

all seiner Predigt immer mehr auf das Persönlichkeitsleben und auf das Per­ sönlichkeitwerden ging, während er tausendfach die bildende Macht der Persön­

lichkeit feierte, wuchs in ihm das Dogma aus, daß das größte Faktum der

IV. Nach Kalthofss Tode.

49

Menschheitsgeschichte, das Christentum, aus Ideen im Schoße großer Sklaven­ massen geworden sei und nicht aus dem Leben, Lieben und Leiden einer-

genialen ursächlichen Persönlichkeit. („Das Christusproblem." „Die Ent­ stehung des Christentums." „Was wissen wir von Jesus?") Nichts wissen wir von ihm, denn ein Jesus von Nazareth als Stifter der

nach ihm genannten Religion hat nie gelebt — das stand ihm schließlich fest, wie nur je einem Gläubigen sein Dogma. Weil das aber sein Dogma war, so mußten sich auch die Beweise dafür finden, und Geschichte war ja in KaltHoffs Händen wie Wachs.

7. Nachdem so der historische Jesus Christus für ihn weggefallen war, trieb er steuerlos in die brausenden Wogen der religiösen Moderne hinaus. Kalt­ hoff ist ein instruktives Beispiel dafür, wohin die Theologie gelangen kann, wenn sie sich nur auf das christliche Prinzip verläßt, in diesem die eigentliche

Wahrheit des Christentums sieht und das Verständnis verliert für die Heil spendende und allein Leben erhaltende Kraft der Persönlichkeit Jesu. Das Prinzip verlor für ihn nun Farbe, Leben, herzansprechende Gewalt, es büßte in dem obschon so spekulativen Kopfe seine Absolutheit ein, verdüsterte und verzerrte sich unter zeitgeschichtlichen Vergangenheitsformen zu etwas Unwahrem, dem heutigen Lebcnsdrange und Lebcnssinne Widersprechendem nnd wurde ihm dann natürlich von dem Zarathustragcistc der Zeit mit Leichtigkeit über den Haufen gestoßen. Auch wir modernen Theologen erkennen in Nietzsche viel Gesundes und menschlich Wahres an. Das hat uns denn veranlaßt, das Evangelium tiefer zu erforschen. Da sind uns aus der alten Wahrheit der demütig und selig

frommen Gotteskindschaft, aus dem lichten Glaubensgefühle sprühende, schaffensfrohe, seelenfreic Christusgeister erstiegen. ein Kalthoff, da ihm Jesus Christus entschwunden war, und kritiklos hinriß, das Evangelium einfach verdrängt und es

Jesu, neue kraft­ Statt dessen hat nun Nietzsche ihn ersetzt durch eine

Lcbensanschauung, die neben Nietzsches Wahrheit auch die ganze krankhafte Schrankenlosigkeit, Kraftwüsterei und verschwommene Gefühlsduselei Nietzsches enthält. Die widersprechendsten modernen Theorien gewinnen nun Einfluß auf Kalthoffs theologisches Denken. Das ist überhaupt keine Theologie mehr, kein Arbeiten aus bestimmten religiösen Prinzipien, kein wissenschaftliches Gestalten

aus und an der Masse der modernen religiösen Gefühle, sondern nur noch ein Interpretieren der wirr durcheinander schwirrenden Zeitstimmen, die ihm alle ihre Berechtigung haben. Es steht dieser Kalthoffschen Theologie nichts mehr fest. „Jenseits von Glauben und Unglauben" ist ihre ausdrückliche Losung. Burggraf, Waö nun? 4

Burggraf, Was nun?

50

Sie tut daher ihre Arme liebend auf für die vernünftigsten Gedanken und

für die tollsten Einfälle der Neuzeit und drückt alles an ihr Herz, was da sucht und ringt, den zukunftskräftig strebenden Geist wie das, was im dunkel

wühlenden Leidweh seiner Unklarheit über die

Psalmen

singt.

eigene Konfusion

jauchzende

Aber sie zieht es nicht an sich, um es zu heben und zu

klären, was Kalthoff bei seiner Christusferne gar nicht mehr vermochte, sondern nur um segnend darüber die Hände zu breiten: Heil dem großen Wirr­ warr!

Mancherlei Gaben und ein Geist, — so ruft er uns zu — dieses

Apostelwort

ist

euer

Zunftwort;

in

aber

„Mancherlei Gaben und vielerlei Geister!

meiner

Gemeinschaft

heißt

es:

Es gibt keine Seligkeit mehr für

alle, sondem jeder sucht sich seine eigene, besondere Seligkeit, und oft genug

mag das, was dem einen Seligkeit dünkt, den andern kalt lassen, ihm als Verdammnis erscheinen."

(Religion der Modernen, Seite 9.)

Das das Kalt-

hoffsche Gemeindeideal, die Religion der kommenden Menschheit, die das Durch­

einander und Auseinander als Symptom ihrer Lebendigkeit fordert! Und das Ding gebärdet sich nun, als sollte jetzt erst der Mensch zum

rechten Gefühl seiner selbst kommen!

Nachdem man von der Freiheit der

Kinder Gottes, wie sie im Jesusgeist die Kirche versteht, sich

glücklich los­

gemacht hat, geht nun ein Dehnen und Necken durch die neue Glaubenswelt,

daß man meint, es sollten Willensriesen geboren werden und der Mensch zu einer ganz ungeahnten Herrlichkeit erstehen.

Geringschätzig schaut Kalthoff auf

die schwächliche liberale Predigt herab, als wäre nur auf dem Boden des Radikalismus die Verkündigung der Religion als Kraft und Schöpfung mög­

lich.

Sieht man sich aber dieses Kraftaussprühen näher an, zieht man das

ab, was davon heute aus zahlreichen Gotteshäusern Deutschlands in die Ge­ meinde schallt, so bleibt als ihm und dem Radikalismus eigenartig fast nur die

Kraft des Hasses und der Verachtung übrig, mit der schließlich Kalthoff im

Namen seiner Modernen alles, was christliche Kirche heißt, von sich stieß, um es der Vermoderung anheimfallen zu lassen.

Eine Hauptbedingung zur religiösen Kraftentfaltung ist das gesunde klare Gefühl, das mit lichtem Auge in eine ihm licht gewordene Welt göttlicher

Liebesgedanken und Heilsabsichtcn blickt.

Diese Gotteswelt der Vatergedanken

ist dem Pastor von Martini weggeschwemmt von den Fluten, die ihm die Ge­

stalt Jesu hinrissen. Und wenn er auch in dem Monismus, der nun sein Be­ kenntnis wurde, zur Überwindung des Haeckelschen Materialismus eine gewisse

Geistigkeit des Weltprinzips zu bewahren gedachte, die auch immer wieder durch seine Predigten klingt, so ist er doch viel zu sehr in den Bann Haeckelscher

Gedanken und naturwissenschaftlicher Extreme hineingeraten, als daß er in sich dieses Geistesprinzip der Welt als ein denkendes, mit Bewußtsein und

Liebe lenkendes Vaterherz hätte behaupten können.

IV. Nach Kalthoffs Tode.

51

Kalthoffs Gott war am Ende nur noch ein Kraftzentrum, das zwar in seinem Entwicklungsdrange instinktiv Vernünftiges aus sich heraussetzt,

das

aber, von Bewußtlosigkeit umdunkelt, durch alles Weltwesen und Weltgeschehen träumend waltet.

Der Gottesglaube, der ihm übrig blieb, war eine mit dem

Willen des Pantheismus gegen den Materialismus sich wehrende Empfin­

dung voller Unklarheit,

klar

nur

in der unbedingten Ablehnung des

Theismus christlicher Glaubensanschauung.

Da konnte bei ihm das Blicken

in der Gottheit Tiefen, wie bei all diesen Radikalen, nur ein ganz verschwom­ menes Gefühl sein, kein seelisches Ich zu Du, sondern ein in Anbetung sich

hineinredendes, in Ahnungen und geheimnisvollen Lust- und Schmerzempfin­ dungen schwelgendes Tasten an der Weltentwicklung. Die Gedächtnispredigt, die ihm am Abend vor der Bestattung sein Ge­

sinnungsgenosse Strudel hielt, schloß mit einem Wort aus Kalthoffs Predigt­ sammlung „Religiöse Weltanschauung" (1903), also aus der letzten Zeit seiner

abwärtsgehenden Entwicklung.

Das Wort handelt von der Ewigkeit als „Er­

haltung der Kraft" in der Menschen Herzen und in der Welt, ein an sich schöner

und wahrer Gedanke.

Von

jener

höheren Unsterblichkeit, die dem

Christenglauben gewiß ist, konnte beim Tode des Monisten und durch den Mund eines Monisten natürlich nichts laut werden.

8. Die Abschiedsworte bewahrten nach dem uns vorliegenden Erinnerungs­

hefte sämtlich im Ausdrucke der Anerkennung, Dankbarkeit und Liebe einen hochgestimmten edlen Ton, in dem von der Zerstörungslust und dem Eifergeist

des Radikalismus nichts zu spüren war. mäßig reine Anschauung seines Bildes,

Sie ermöglichten uns eine verhältnis­ wenngleich

wir

größer fassen, als seine Freunde cs zu sehen vermögen.

dasselbe unendlich

Ihnen gilt der Kalt­

hoff seit 1902 in seiner radikalistischen Entwicklung als der wahre Kalthoff. Da können sie für seine dem vorausgehende wirkliche Größe, für seine ver­

dienstvolle Bedeutung in der Geschichte der Kirche Jesu Christi, natürlich kein

Verständnis haben.

Was er ihnen aber ist, haben sie in würdiger Weise gefeiert.

Jetzt jedoch in den Nachrufen der seinem Andenken gewidmeten Nummer

des Blaubuches (Nr. 23 vom 14. Juni) zeigen die religiösen Radikalen, welches Geistes Kinder sie sind, und wie sie zu der Kirche stehen, als deren Diener

Kalthoff gestorben ist. Einen tiefen Einblick in die die Gemeinden zersprengende Gefahr, die von diesen rücksichtslos subjektivistischen Pfarrern droht, gibt Strudels Ausspruch (Seite 923): „Nur wenige Zuhörer zu haben, betrachtete er als eine Ehre und

den Pöbel aus der Kirche hinauszupredigen als sittliche Pflicht.

Nichts erschien

4*

Burggraf, Was nun?

52

ihm jämmerlicher und eines ernsthaften Mannes, dem es um seine Wahrheit

zu tun ist, unwürdiger, als sich zum Sklavendienst gegenüber den teils aus gedankenloser Gewohnheit,

teils

ans Laune und Herrschaftsgelüst fließenden

Wünschen der Vielen und Allzuvielen herzugeben."

Auf die verständnislose und unschöne Weise, wie dann ein gewisser Hein­ rich Bösking, offenbar ein recht jugendlicher Anhänger Kalthoffs in Bremen,

die Vorgänge im Ministerium und die Haltung der orthodoxen Pastoren be­

leuchtet, wollen wir nicht weiter eingehen.

Aber interessant sind die Herzens­

ergüsse H. Jlgensteins, des Mitkämpfers Kalthoffs, mit dem er das Blaubuch

herausgab, und der jetzt den verschiedenen Freund ehrt mit einem offenbar nach seiner Überzeugung Kalthoffs Sinn entsprechenden Artikel über „Die Priester des Todes".

Die Priester des Todes sind sämtliche evangelische Geistliche Deutschlands, die ihr Amt nicht auffassen nach dem Sinne Kalthoffs „in dem letzten Sta­

dium seiner herrlichen Entwicklung".

Es ist zunächst die Orthodoxie.

Der

Gott ihrer Predigt ist „der unserm Wesen so fremde Götze, mit dem sie noch heute ihrem mittelalterlichen Bedürfnis nach dienerischem Personenkult frönt".

„Was diese Zöllner und Pharisäer, die auch heute noch nicht die Welt mit

Gott identifizieren wollen, im Auge haben, ist lkicht zu erkennen.

Sie merken,

daß die Entwicklung allmählich stärker wird als sie und die, von denen sie

aus politischen Gründen geschützt werden (später heißt es: von denen sie ge­ hätschelt und gefüttert werden).

Sie bangen für ihre Position.

Nichts fürchten

sie so wie die Stunde, in der Gott sich wirklich in dem Menschen regen und

lebendig werden könnte.

Sie fühlen sich mit der Furcht der Machthaber iden­

tisch, nicht mit der vorwärtstreibenden Kraft des allgemeinen Ganzen. Sie sagen sich mit Recht, daß sie ein Überflüssiges werden, wenn der Mensch im Verkehr mit Gott — d. h. im Verkehr mit sich selbst (!) — der staatlich berufenen

Vermittler nicht mehr bedarf.

Sie wissen, daß es mit ihren, aus dem Dualis­

mus abgeleiteten Machtansprüchen endgültig vorbei ist, wenn der Monismus ein Allgemeinbesitz wird und das zwiespältige, verzerrte Weltbild der Vergangen­

heit in Trümmer schlägt.

So tun sie sich mit denen, die ein brennendes Inter­

esse daran haben, in der Welt ein Regiertes, nicht ein Regierendes zu sehen, zu jenem widerlichen Mißbrauch zusammen, der mit der Gottessehnsucht der Menschen einen unerhörten Schacher treibt."

Also so denkt man im Kalthoffschen Lager von unseren orthodoxen Amts­ brüdern, unter denen doch Tausende sind, die vielleicht an einem Tage der

Menschheit mehr läuterndes und förderndes Leben schenken als dieser Mann, der, wie es scheint, durch das Christentum nie hindurchgegangen ist, auch nur zu

ahnen vermag.

Und von den liberalen Geistlichen heißt es dann: „Sie predigen

den Dualismus in seiner modernsten, bequemsten und darum gefährlichsten

53

IV. Nach Kalthofss Tode.

Form.

Auch sie kommen mit einer Religion, die nicht vorwärts, sondern rück­

wärts schaut.

In seinen rühmlichst bekannten Büchern „Das Christusproblem"

und „Die Entstehung des Christentums" sagt Kalthoff, was er gegen sie auf

dem Herzen hat.

Auch die Liberalen haben ein Autoritätsbedürfnis, das von

außen befriedigt werden muß.

Sie machen vor dem historischen Jesus Halt.

Er ist der Strohhalm, von dem sie nicht loskommen können. einen Götzen, an dem sie sich halten müssen.

Auch sie brauchen

Sie kommen mit einem Glauben,

der seine Fundamente wieder in der Vergangenheit sucht."

Also Pfaffen sind

sie alle, darum weg mit der Kirche! „Das Heil wird, von einzelnen Männern, die wie Kalthoff den Kontakt mit dem Leben wiedergefunden, abgesehen, nicht

aus dem Schoße dieser alle Zeichen des Verfalles tragenden Kirche kommen. Ihr Schicksal ist besiegelt.

Woher aber winkt eine Rettung?

die, welche die besten Kräfte unseres Volkes ungeweckt lassen?

Wer vernichtet

Wer treibt aus

unseren Tempeln die Todespriester, die sich zwischen uns und das stellen, was als lebendige Göttlichkeit in uns zu werden und zu wachsen beginnt? (Diese

in Talar und Bäffchen amtierenden Lebensfeinde!)

Wessen Aufgabe ist es,

denen das Handwerk zu legen, die einen Stillstand als Kultur ausrufen wollen?

Wer stopft denen den Mund, die aus dem Lebenslied eine Totenklage machen? Wer könnte diese Abgestorbenen wirklich totschlagen und den Lebenshungrigen

wirklich das Leben geben?" Das

ist

lutionär! warten hat,

die Totenklage

Man kann

über Kalthoff

als

kirchlichen

Revo­

daraus ermessen, was man von denen noch zu er­

die diesem Kalthoff treu bleiben werden.

uns nicht, die „Todcspriestcr" sind auf dem Plan.

Nun wir fürchten

Und für das Evangelium

Jesu Christi und seine evangelische Kirche eintretend, kämpfen und wirken sie

für eine Lebcnsmacht, die, ob sie unter diesem Kalthoffschen Geiste auch noch

viel zu leiden haben wird, doch demselben nie und nimmer unterliegen kann. (Ein' feste Burg ist unser Gott, Ein' gute Wehr und Waffen; Er hilft uns frei aus aller Not, Die uns jetzt hat betroffen!

Im übrigen aber sind wir der gewissen Zuversicht, daß viele, und gerade

die gehaltvollsten und verständnisreichsten unter Kalthoffs Anhängern, ihm

in anderer, in viel besserer Weise des Herzens Treue bewahren werden. Sie werden mit uns in Kalthoff zu unterscheiden vermögen das Vergängliche von dem Bleibenden, das Irrige von dem, was sein großer Beruf war.

Sie

werden in Fürsorge für ihre Gemeinde und in der Kraft ihres kirchlichen Be­

wußtseins bestrebt sein, das Kirchenwerk weiterzuführen, das er einmal mit

prophetischem Blick geschaut, begonnen, aber dann so bald aus den Händen

54

Burggraf, Was nun?

hat fallen lassen. Ihnen rufen wir zu das Wort Rodenbergs, das jüngst an einer geweihten Goethestätte erklang: Die neue Zeit will auch ein neu Geschlecht,

Die Jugend fordert und sie nimmt ihr Recht. Nur eins erflehn wir: bleib' ihr immerdar Das heilig, was den Vätern heilig war!

Dann wohl uns allen, wenn ihr Werk gelingt, Das Luft und Licht und Raum zu Taten bringt.

V.

Programm einer neuen Vierteljabrszeitscbrift.

„Bremer Beiträge“ zum Husbau und Umbau der Kirche« 1. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, wie aus Kalthoffs verdienst­ vollem Lebenswerke, nicht aus diesem selbst heraus, sondern durch Verirrungen seiner Individualität, eine das kirchlich-religiöse Leben Bremens durchwühlende,

aber auch schon durch die ganze deutsche protestantische Welt sich in ihren schädigen­

den Einflüssen bemerkbar machende Bewegung geworden ist, die wir nicht anders als eine kirchenrevolutionäre bezeichnen konnten.

Sie rühmt sich des Fortschritts, sie behauptet, das religiöse und überhaupt

das geistige Leben in Deutschland zu höherer und lichterer Entwicklung zu führen.

Aber sie verwirrt die Geister, erschüttert in Kirche und Schule und im

Glaubcnslcben unseres Volkes das Fundament des christlichen Bewußtseins und,

weit entfernt, der Kultur zu nützen, treibt sie vielmehr die Unklaren und die Beunruhigten den verfinsternden Mächten in die Arme, jene dem Atheismus,

diese dem Nomanismus oder Orthodoxismus.

Nur dem gesunden Kerne des

Bremischen Wesens ist cs zuzuschreibcn, daß das ungesunde Treiben auf kirch­ lichem Gebiete und in einem großen Teile unserer jugendlichen Lehrerwelt uns

nicht längst den Unsegen einer Reaktion eingebracht hat.

Draußen in der Welt

fördert der Bremer Radikalismus sichtbarlich den reaktionären Zug der Zeit.

Das ganze Auftreten dieser Leute, wenigstens in ihrer weitaus größten

Zahl, ist bezeichnend für die Art dieser Bewegung.

Wir haben darin noch

herzlich wenig von wahrhaften Seelentönen, von einem Schaffensdrange, der, wo er echt ist, immer demütig sein wird, vernommen, herzlich wenig auch von

den positiven Idealen einer neuen religiösen Sehnsucht.

Mag dort der Freiheits­

wille auch bei manchem Lebens- und Erlösungswille sein, im großen und ganzen ist er Zerstörungswille, beseelt von der Freude am lieben Ich.

Dabei dieses

Sichbrüsten mit ihrer wissenschaftlichen Lcbensanschauung, als ob Kirche und Schule außerhalb ihrer Kreise im Banne der beschränktesten Ignoranz lägen.

Burggraf, Was nun?

56

Dieses Hinausposaunen, daß nichts feststehe, und dieser Stolz auf die Chamäleon­ hastigkeit des eigenen Geisteslebens.

Dieses Bestreben, eine recht pikante, die

frommen Gefühle so recht bewußt verletzende und andererseits die Spottlust

herausfordernde Sprache zu führen.

Das Losarbeiten auf die Negationsgelüstc

und die Skandalsucht unreifer Massen, teilweise geradezu ein Hetzen gegen die Überlieferung und ihre Vertreter, — das alles erinnert an Zarathustras Schilderung: „Wenig begreift das Volk das Große, das ist: das Schaffende. Aber Sinn hat es für alle Aufführer und Schauspieler großer Sachen.

Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen

des Geistes.

Immer glaubt er an das, womit er am stärksten glauben macht, — glauben an sich macht! Morgen hat er einen

neueren.

neuen Glauben und übermorgen einen

Rasche Sinne hat er, gleich dem Volk, und veränderliche

Witterungen.

Umwerfen — das heißt ihm:

beweisen.

Toll machen — das

heißt ihm: überzeugen.

Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schlüpft, nennt er Lüge

und Nichts.

Wahrlich, er glaubt nur an Götter, die großen Lärm in

der Welt machen! .. . und das Volk rühmt sich seiner großen Männer! Das sind ihm die Herren der Stunde!"

2.

Daß die liberalen Pastoren Bremens nicht mit dieser Richtung gehen, weiß hier jedermann.

Es wird von den einzelnen oft genug in ihren Kreisen aus­

gesprochen sein. Für die eigene Person bezeugten es die vorn abgedruckten Prcdigtstücke schon längst auch der Öffentlichkeit. Aber nun zwischen diesem

Radikalismus und dem kirchlichen Liberalismus einen scharf trennenden

Strich zu ziehen; es mit aller Bestimmtheit festzustellen, daß zwischen uns und ihnen in dem, was sie nun schließlich geworden sind und wollen, nicht nur eine

Verschiedenheit der theologischen und wissenschaftlichen Anschauungen, sondern die allertiefste Geistesverschiedenheit besteht; vor den Augen des ganzen

deutschen Protestantismus jene Bewegung als eine von Christus, seinem Evan­ gelium und seiner Kirche abgehende zu kennzeichnen und im vollen Eintreten

für diese unsere religiösen Lebensgüter gegen den Bremer Radikalismus, seine

Religionszerstörung

und

Religionsverflachung,

Front

zu

machen, das war der Zweck des am 19. April d. I. in D. Rades Blatt er­ schienenen Artikels „Auf vulkanischem Boden".

Nach letzterem erhielt der Ver­

fasser eine Fülle zustimmender Briefe aus Bremen wie aus der Ferne, von

Laien und von seinen Gesinnungsgenossen unter den deutschen Theologen.

Von

überall her tönte das Eine, was Weingart, der ehemalige Osnabrücker, jetzt

V. Das Programm der „Bremer Beiträge".

57

zum Segen der Bremischen Landeskirche in Borgfeld wirkende Pastor in den

Worten äußerte:

„Seit Wochen hat mir die Frage: darf es in Bremen so weiter gehen, ohne daß von unserer Seite etwas zur Klärung geschieht? schwer

auf der Seele gelegen.

Ich selbst hätte schließlich noch einen Versuch

gewagt, obwohl ich mich — ohne die genaueste Kenntnis der persön­ lichen und sachlichen Momente im Kampfe gegen den Radikalismus —

wenig berufen fühlte.

Aber daß nur irgend etwas käme, was diesem

auf die Dauer unerträglichen Zustande des Gehenlassens ein Ende machte!

Es liegt ja auf der Hand, wie schwer hierdurch der kirchliche Liberalismus und vornehmlich das religiöse Leben in der öffentlichen

Meinung Schaden leiden mußte. Jüngst erst ist mir das aus den Äußerungen eines hochangesehenen Bremer Herrn, dessen feine und freie Denkart außer Zweifel steht, so recht schmerzlich klar geworden. Das Schweigen der gerade am meisten Engagierten hatte bereits ent­

täuscht, verbittert und in Bremen, besonders aber draußen in der Welt den Schein der Ohnmacht gemacht.

Da komnlt nun Ihr Artikel------------ Aber die „Christliche Welt",

soweit sie auch durch die Welt reicht, hat gerade in Bremen nicht die genügende Resonanz.

Und diese Gedanken, die ich als ein erlösen­

des Wort begrüße, müssen entschieden vor die Bremer Gemeinden! Möchten Sie dazu das richtige Mittel finden!

Es handelt

sich ja auch nicht mehr um eine nur Bremische, sondern um eine

für den ganzen deutschen Protestantismus hochwichtige Sache!" So schrieb der um seiner protestantisch freien Überzeugung willen zum

Märtyrer

gewordene Mann,

tischen Kirchenregimente

den aber seine unter einem wenig protestan­

gemachten Erfahrungen nicht gegen die evangelische

Kirche selbst verbittert haben, — einer von denen, die in der Luft der Bremischen Freiheit nicht in schrankenlose Extreme geraten sind, sondern sich darin gerade in ihrer evangelischen Position befestigten und vertieften.

Vier Tage darauf konnte ich ihm und Kollege Hartwich, der sich eben durch seine tapfere, die innere Unwahrheit und das kirchlich Unberechtigte des Radika­

lismus nachweisende Broschüre verdient gemacht hatte, von Gießen aus melden, daß der dortige, in den Reihen der modernen Theologen so angesehene Rickersche

Verlag durch seinen Eigentümer Herrn Alfred Töpelmann sich in der entgegen­ kommendsten Weise zur Herausgabe einer Zeitschrift erboten habe, für die ich ihm auf Grund jenes Artikels das Programm hatte entwickeln dürfen. Wenige Wochen später, mitten in unseren Vorbereitungen zu der ersten, für Anfang Juli in Aussicht genommenen Nummer, starb Dr. Kalthoff.

Der

Gegner, mit dem wir die Waffen zu kreuzen gedacht hatten, war nicht mehr,

Burggraf, Was nun?

58

der eigentliche Inspirator der ganzen Bewegung war dahingcgangen.

Dennoch

konnte es keinem Zweifel unterliegen, daß damit die Aufgabe nicht hinfällig

geworden war. Wir nehmen sie mit dieser Broschüre auf.

Dieselbe geht den nun auf den

1. Oktober verschobenen „Bremer Beiträgen" voraus, um unsere Freunde inner­

halb und außerhalb Bremens mit unserer Absicht bekannt zu machen. In den vorne stehenden Predigtauszügen findet der Leser gewissermaßen

Zugleich sind sie Vorboten des

Illustrationen zu den nachfolgenden Ideen.

nunmehrigen Unternehmens, wie auch die „Bremer Beiträge" uns damals schon

vorgeschwebt hatten, wenn auch noch nicht nach dem jetzigen Planes.

ganzen Umfange des

Der zweite und dritte Teil der Broschüre dursten nicht fehlen,

in mehrfacher Hinsicht schon nach ihrem Inhalt nicht, vor allem aber, weil diese beiden Äußerungen die erste Schilderhebung des Bremer Liberalismus wider die aus seiner Mitte erwachsenen unkirchlichcn und unchristlichen Prin­ zipien gewesen sind, und daraus das neue Werk entstanden ist.

Das Hauptstück ist dann die psychologische Studie der Gcistesgeschichte Kalthoffs, die in genetischer Entwicklung sein Denken und Streben in seiner

Größe darzulegen und die Verirrungen dieses Mannes zu begründen sucht.

Geschrieben in den Tagen, da die Seinigen um ihn trauerten, werden diese

Sätze trotz ihrer scharfen Kritik als ein Ehrenzcugnis für ihren Toten empfunden werden.

Das sollen sie auch vollauf sein.

Der heilige Ernst der Grabesfcier

hat sie dem Gegner diktiert, jene Stinimung, da man auch das menschlich und

irdisch Entstellte in seiner Verklärung, in seiner gottgewollten Wahrheit und Reinheit schaut.

Es

dürfte damit vielleicht Kalthoffs Bild für die Kirchen­

geschichte festgestellt sein, — allerdings auch die Abrechnung des kirchlichen

Geistes mit Kalthoff,

soweit das der individuellen Auffassung und im Zeit­

momente möglich ist. In jenem Artikel „Nach Kalthoffs Tode" ist eigentlich nun schon

ganze Plan der neuen Zeitschrift mitgezeichnet.

der

Vor dem aufmerksamen Leser

inuß bereits ein ziemlich genauer Riß dessen stehen, was die polemische Ten­ denz und was die sehr positiven Ziele unserer Arbeit sein werden.

deshalb im folgenden nicht mehr viel zu sagen sein.

Es wird

Nur noch einige zu­

sammenfassende und Richtung zeigende Linien.

3. „Bremer Beiträge". einen guten Klang.

Der Name hat in den Ohren jedes Gebildeten

So hieß die aus dem Kampfe zwischen Gottsched und

Bodmer hervorgegangene Zeitschrift, die, in der deutschen Literaturgeschichte ein wichtiges Organ der Entwicklung, mit dazu beigetragen hat, das Blütenalter

der klassischen Poesie heraufzuführen.

V. Das Programm der „Bremer Beitrüge".

59

Um die „Bremer Beiträge", die von 1744—1748 bei Nathanael Saurmann in Bremen erschienen — eine hier längst verklungene buchhändlerische

Firma — und die von dem Leipziger Karl Christian Gärtner herausgegeben

wurden, sammelte sich jener Kreis von Dichtern und Schriftstellern, den Klopstock in seiner berühmten Ode „An meine Freunde", später von ihm „Wingolf"

betitelt, gefeiert hat, die sogenannte sächsische Schule: sehr tüchtige, auf den

„Fürstenschulen" klassisch reich gebildete und aus der Geistesdürrc jener Zeit

emporstrebende junge Poeten, unter ihnen auch mehrere Theologen, die später in hohen Kirchenämtern standen oder als bedeutende Kanzelredner sich ouszeichneten.

Aus dem Gottschedschen Lager herrührend, aber aus seiner steifen und strammen Regeldiktatur sich loslösend, strebten sie mehr den tieferen, freieren und lebendigeren Mächten zu, die Bodmer in der Poesie zur Geltung gebracht

sehen wollte. Besonders fühlten sie sich angezogen von der Betonung des Natur­ gemäßen, Ungekünstelten und des deutschen nationalen Wesens als der Quelle der echten Dichterbegeisterung, worauf Bodmer mit seinen Studien über den

Minnesang und über Parzival und mit seiner Auffindung und Herausgabe des Nibelungenliedes hingcwiesen hatte.

Die bekanntesten der Mitarbeiter an den „Bremer Beiträgen" waren, um Gellert geschart, dieser selbst, ferner Gleim, Hagedorn, der Satiriker Rabcner,

der Epiker Zachariä, der Dramatiker Adolf Schlegel (der Generalsupcrintendent von Hannover und Vater der beiden Brüder A. W. und Friedrich Schlegel),

Cramer, Giseke, Arnold Schund, auch Arnold Ebert in Hamburg, der durch seine Übersetzung von Joungs Nachtgedanken in dieser Zeitschrift den frischen Odem aus der englischen Literatur, der sich bald so entwicklungskräftig erweisen

sollte, in Deutschland einführte, — und zuletzt als Glanzgcstirn des ganzen Kreises Klopstock.

Die „Bremer Beitrüge" bezeichneten sich nach dem Geschmack

der Zeit als eine Wochenschrift „zum Vergnügen des Verstandes und Witzes".

Aber unter der Hülle des Leichten und Gefälligen reifte in ihnen eine ge­ waltige Frucht deutschen Geisteslebens: sie gaben der Welt Klopstocks „Messias", dessen bedeutendste Gesänge, die drei ersten, hier an das Licht der Öffentlichkeit

kamen.

So schimmern in die „Bremer Beiträge" schon die leuchtenden Ge­

stalten der Dichterjugend Goethes und Schillers hinein.

Klopstock war 24 Jahre, als in Bremen dieses Meisterwerk des religiös­

ästhetischen Geistes erschien,

Dichtung zu wecken.

das bestimmt war,

gar bald die Großen der

Und in den Tagen, wo die nachher für ihn so wichtige

Zeitschrift ins Leben trat, rüstete sich Klopstock, um Theologie zu studieren, zur Übersiedlung von Schulpforta nach Jena. Sein tieffrommes Gemüt war da­ mals bereits bewegt von dem Gedanken, dem deutschen Volke einst des Erlösers

Werk in neuen Weisen zu singen.

Wenn wir jetzt nach 160 Jahren unter

dem Notstände in unserer Kirche wieder „Bremer Beiträge"

auf den Plan

60

Burggraf, Was nun?

treten lassen, so geben wir ihnen den Wunsch mit, daß es ihnen gleichfalls beschieden sein möge, einem jetzt vielleicht der Theologie erst zueilcnden Jüngling einmal dienen zu dürfen zu einer Geistesschöpfung, aus der dann, wie damals

in Klopstocks Werke der deutschen Literatur, so in ähnlicher Weise der Kirche

des deutschen Protestantismus einst Reformatoren erstehen! Warum nicht? Wir leben in einem gewaltigen Wandel der Dinge.

Großes bereitet sich vor für

die Zukunft des religiösen Lebens in unserem Volke.

Und jedenfalls sollen die

„Bremer Beiträge" ein Ruf sein, der durch die Hörsäle unserer Universitäten

schalle, — wir denken, er wird Tiefe, Mark und Feuer genug haben, ideal

gerichtete Jünglingsherzen, Theologen und Nichttheologen, zu begeistern „zum Ausbau und Umbau der Kirche".

4. Schon die Stellung der beiden Begriffe in dem Untertitel der angekündigten

Zeitschrift ist wichtig.

Diese meldet sich in erster Linie zum Ausbau der Kirche.

Alle, die daran mitwirken, glauben an die in der Kirche des Evangeliums liegende Entwicklungskraft, sie glauben an das auch in der Gegenwartskirche trotz

all ihren Mängeln doch lebendig wirksame Ideal der Wahrheit.

Sie sind aus­

gesprochene Gegner jener Ultras in Bremen, die im Geiste Kalthoffs erst alles,

was wir heute Kirche nennen, niederreißen zu müssen meinen, um dann auf der wüsten Trümmerstätte einen Tempel nach ihrer Art der Anbetung im Geiste

und in der Wahrheit errichten zu können. Die „Bremer Beiträge" werden diesen Radikalismus in den Übertreibungen seiner abfälligen Kritik der heutigen

Zustände, in seiner Hoffnungslosigkeit und Schwarzseherei und vor allem in seiner Verständnislosigkeit für die kirchliche Frömmigkeit unseres Volkes

und

unserer Zeit bekämpfen.

Die kirchliche Verständnislosigkeit, die einen Mitstreiter Kalthoffs wie diesen

Jlgenstein das undefinierbare Zeug von den „Priestern des Todes" schreiben ließ, hat ihren Grund darin, daß der Radikalismus verwirrt ist von modernen

Theorien, die ihm über den Kopf gewachsen sind; daß er irregeführt ist durch Kalthoffs ungeschichtliche und zusammengefabclte Auffassung von der Entstehung der christlichen Religion, und gleich ihm unfähig geworden, in zeitlich bedingten

Erscheinungsformen das göttlich Große, ewig Wahre zu erkennen.

So hat er

alles Verständnis verloren für das Christentum, für das Absolute darin, für das die reinste religiöse Beseligung und die höchste humane Vollendung mensch­ lichen Wesens enthaltende Evangelium der Gotteskindschaft, und damit natürlich

auch für die erlösende Heilskraft der Persönlichkeit Jesu Christi. Dieser Unterwühlung der Kirche und des religiösen Volkslebens durch den

Versuch, das, was den Herzen Gottesoffenbarung und Heilsbesitz ist, zu Resul­

taten schwankender, irrender Menschengedanken herabzudrücken, ihm seinen Lebens-

V. Das Programm der „Bremer Beiträge".

61

wert für die Seelen zu mindern, cs wohl gar als etwas durch die Entwicklung längst Überholtes aus dem Glaubensbewußtsein der Zeit zu verdrängen, werden die „Bremer Beiträge" entgegentreten.

Sie werden zeigen, wieviel künstliche

Mache in dem Hinwegdisputiercn Christi aus der Religionsgeschichte ist; wie­

viele schiefe Urteile auf der radikalen Seite überhaupt die Geschichtsbetrachtung beeinflußt haben; wie schnell-fertig diese Jugend mit den schwersten Fragen der Menschheit und wie leicht-fertig sie mit den größten Besitztümern unseres Ge­ schlechtes umgeht; an wie viel Oberflächlichkeit, Verschwommenheit und Unwahr­

heit diese ganze modern-religiöse Lebensanschauung krankt, mit der man das Christentum zu ersetzen gedenkt.

Es gilt, unsere Gemeinden gegen schön klingende, aber innerlich arme

Bildungsphrasen zu wappnen.

Sie zu festigen wider das Eindringen eines

scheinbar in tiefen Gefühlen wühlenden oder auf Adlerfittigen durch Ewigkeiten

schwebenden, aber in Wirklichkeit der Tiefe und der Ewigkeit so sehr ermangeln­ den Geistes, der sie vielmehr um Trost und Frieden und um die rechte Glau­

benskraft, die die Welt überwindet, bringen würde.

Es gilt, sie aufzuklären

über die Gefahr, in der sie stehen, und über die Verantwortlichkeit, die sie vor

ihren Vorfahren und Nachkommen

haben.

Vor allem auch, der Welt zu

zeigen, daß wir nicht gesonnen sind, dieses Zerstörungswerk

an Kirche und

Christentum stillschweigend mit anzuschen, und daß auch im Bremer Liberalis­

mus eine Macht vorhanden ist, die Freiheit und Fortschritt nur auf den Bahnen

christlicher Denkweise, nur in durchaus christozentrischer Richtung kennt. Ein schwerer Kampf erwartet uns!

Haben uns dazu Freunde in unserer

Umgebung ihre treue Hilfe zugesagt, so erwarten wir diese auch von den Ge­

sinnungsgenossen

draußen.

Besonders ergeht unsere Bitte an die modernen

Theologen und an die Philosophen der Universitäten, von denen schon manche

sich freundlich bereit erklärt haben.

Sie haben doch so recht den Beruf, diesein

Bremer Radikalismus mit ihren Gcisteswaffcn und wissenschaftlichen Einsichten zu steuern.

Die Arbeit des Gelehrten scheut ja freilich den Kampf in der

staubigen Arena.

Auch dem Herausgeber der „Bremer Beiträge" ist dieser

höchst unsympathisch, seiner innersten Natur fremd.

Er würde sich lieber ganz

dem positiven Schaffen in der Gemeinde widmen, das ihm immer größere Auf­ gaben stellt; daneben drängen so manche schriftstellerische Pläne, die längst das Herz bewegen, zur Ausführung.

Hier muß vieles zurückgestellt, manches Opfer

gebracht werden; aber es ist nötig, dieser Kampf wider den Umsturz wird

für uns heilige Pflicht.

Da mögen denn auch andere ihn als solchen empfinden!

Und es soll ein Kampf sein, der nicht erregt, verwirrt, zerstreut, sondern innerlich erhebt, heiligt und fördert.

Ein Kampf nicht in Leidenschaften, in

Zorn und Erbitterung, — ein christlich edler Kampf für die Wahrheit, mit hohen Gedanken und vornehmer Gesinnung, in ruhiger, wissenschaftlich geläu-

62

Burggraf, Was nun?

terter Sprache: ein Kampf mit den Waffen der Gerechtigkeit, für den die Haltung dieser Broschüre eine Bürgschaft sein dürfte. 5. Diese Gerechtigkeit fordert die Anerkennung all der Wahrheit, die etwa der

Radikalismus wider die Kirche, das Volkschristentum und die Theologie auf dem Herzen hat. Er hat zwar gar kein Verständnis für das Leben der Kirche, er beurteilt die Gemeindefrömmigkeit ganz einseitig von einem intellektualistischen

Standpunkte, er entwirft ein durchaus unwahres Zerrbild von der liberalen und modernen Theologie, — aber sehen die Augen des Hasses nicht doch manches, was uns, die wir mit Liebe darin stehen, entgeht? Der Wahrheit die Ehre! Wir wollen mit Demut und Ernst vom Gegner jede Belehrung annehmen über unsere Schäden und Schwächen. Die „Bremer Beiträge" sind kein Partei­ organ, wie auch ihr Herausgeber nichts vom Parteimann an sich hat, Partei­

schablonen nicht kennt, Parteiparolen nicht gehorcht!

Er hat es jetzt für geboten

gehalten, aus dem Verbände des Protestantenvereins auszutreten, nm damit kund zu tun, daß die Zeitschrift durchaus unabhängig ist. Bei der Aufnahme von Arbeiten soll nicht gefragt werden, ob sie opportun, der Selbstbeurtcilung des Liberalismus entsprechend seien, ob sie auch nicht den Frieden und die Zufriedenheit stören. Das Störende, Aufstörende, Weitertreibende wird uns gerade recht sein. Und wenn die erste Fülle des Vorliegenden bewältigt ist, sollen uns

selbst Beiträge ans dem gegnerischen Lager, soweit sie ohne Leidenschaft auf Rückständiges, das uns etwa entginge, den Finger legen, willkommen sein. Die Frage: Was können wir vom Radikalismus lernen? wird uns unendlich wichtiger sein als die: Wie haben wir ihn zu bekämpfen? Hoch über der pole­ mischen steht uns die positive Tendenz der „Bremer Beiträge"! Sie wollen unbedingt die Kirche weiterbringen, dem Fortschritt, der Entwicklung dienen, auch in der theologischen Wissenschaft ein treibendes Element sein. Das vor allen, auf dem christologischen Gebiete. Hier liegen die Differenzen zwischen der altliberalen und der modernen Theologie. Der Radikalismus ist nach einer Seite hin das äußerste Extrem der spekulativen Auffassung von der Heilsbedeutung allein des christlichen Prinzips, das er nun aber ganz verliert, weil er die Heilsbedeutung der Person Jesu verloren hat. Sein Bankrott hat nach unserm Dafürhalten den weiteren Entwicklungsgang ganz bedeutend nach der Richtung der modernen Theologie hinübergeschoben. Andrerseits aber hat der Radikalismus gegen deren Position der ausschließlichen Fundamentierung des Glaubens auf dem historischen Jesus die Augen doch wieder so kritisch ge­ macht, daß ein einfaches Weitergehen auf dieser Bahn auch nicht mehr möglich ist. Es wird sich darum handeln, eine Christusauffassung zu finden, die, ganz aus dem Geiste der modern-theologischen Jesuswertung geboren,

doch dem

V. Das Programm der „Bremer Beiträge".

Wahrheitsmoment der spekulativen Prinzipbetonung gerecht

63 wird,

also

eine

engere, innerliche, organische Verbindung von Prinzip und Person herzustellen.

Die christologischen Erörterungen werden in ein neues Stadium treten, das

nicht nur wissenschaftlich theoretische Bedeutung hat, sondern an dem die Ge­ meinde der Gegenwart mit brennendem Seeleninteresse teilnimmt.

Von der

rechten Lösung dieser Frage hängt ihre Heilsgewißheit und Glaubensfreudigkeit und damit die Zukunft der Kirche ab. Keiner Arbeit werden wir dankbarer die Spalten öffnen, wie einer, die hierüber ein gutes, förderndes Wort zu sagen hat.

Wenn die „Bremer Bei­

träge" diesen Heilschristus, wie er fortwaltendes, sich entfaltendes Prinzip

ist und dabei doch am Jesus der Geschichte nicht etwa bloß, wie im alten Liberalismus, seine praktische Illustration, sondern seine Heilsquelle und Heilskraft hat, zu erfassen vermögen, wenn sie einmal in dieser Art dem

Glaubensbewußtsein ein es überzeugendes, den modernen Sinn befriedigendes und begeisterndes Gebilde zu zeigen imstande sein sollten, dann hätten sie der Welt

mit diesem Christus eine noch viel wertvollere Gabe dargebracht, als die früheren „Bremer Beiträge" mit ihrem Messias!

Auf, ihr jungen Geister, Theologen

und Dichter, hier liegen für euch goldene Ziele, — wem hat der schaffende

Genius die Seele geweiht? (>. Damit sind wir aber schon in das Programm des Umbaus, der an der Kirche der Reformation nötig wird, eingctrctcn.

Dieser Christus unserer Sehn­

sucht wird nur zu erfassen sein, wenn die Kirche ihre Engen sprengt.

Was ist die Wahrheit im Radikalismus, die ihm diese Spannkraft eines mächtig um sich greifenden Willens verleiht?

schieden lauten.

Die Antworten werden sehr ver­

Jeder, der darüber nachgedacht und dem Geheimnis jener

Machtentfaltung auf die Spur gekommen zu sein glaubt, soll in den „Bremer Beiträgen" zu Worte kommen.

Unsere Lösung der Frage ist aus dem Artikel „Nach Kalthoffs Tode" zur Genüge bekannt.

Wir verweisen auch auf die Predigtstücke, besonders auf

das dritte (Seite 10) und vierte (Seite 12).

Zur näheren Darlegung des

Standpunktes, von dem aus der Herausgeber selbst an den „Bremer Beiträgen" zu arbeiten gedenkt, hier einige Stellen aus Briefen an hervorragende Ästhetiker und Philosophen, die zur Mitarbeit eingeladen wurden:

„Es geht durch das deutsche Geistesleben in Philosophie und Kunst

ein Strom christlichen Lebens, der, aus dem Quell des Reformations­ werkes entsprungen, mit seinen humanistischen Ideen und seinen idea­

listischen Trieben — zur Bereicherung wie auch zur Veredelung der im

engeren

Sinne religiösen Denkweise — in die Kirche hineingeleitet

Burggraf, Was nun?

64

werden muß, daß sie in ihm zu ihrer Tiefe die Größe empfange, die

Klarheit und Schönheit der Empfindung."

„Die Seele meines Wirkens in der Kirche ist der Gedanke, der

mich gesinnungsverwandt auf Sie blicken läßt, daß Religion und Kunst aufs engste zusammengehören, daß auch das Ästhetische ein Offen­ barungsmittel des Göttlichen ist.

Im Verfolg dieser Wahrheit wird

mir der Künstler, ein Goethe, ein Schiller, ein Wagner zum Propheten, ihr Wort und Geist eine Lebensmacht, die in den kirchlichen Kultus hinein­

gehört und in der Predigt ein Recht hat, zu der Gemeinde zu reden." „Überhaupt müssen wir unser Christentum immer mehr zu ger­

manisieren, aus unseres Volkes eigenster Seele heraus zu individua­ lisieren suchen, daß es unser Leben werde.

Das soll ein uns nun

vor allem mit bestimmender Gesichtspunkt

sein.

Aber

gerade

die

weltliche Christusoffenbarung im Leben, Denken und Fühlen unserer Geistesgrößen, der klassischen, doch auch der wahrhaft gesunden Elemente unter den Modernen, — dieses außerkirchliche Prophetentum wird ein

Mittel, unsere Religion so recht zur deutschen Religion umzuleben

und

unsere Kirche umzugestalten zu einer dem Volke verständlichen,

verwandten, dem Herzen lieben Macht, zum wahren Nationalheiligtum."

„Aber

wie

ich

halte, ist individuell.

die

Sache

und

angreife

Dichterpredigten

Jeder mag das in seiner Weise, vielleicht ganz

anders und am Ende viel besser ausführen.

Wer aber nur irgend,

wie auch immer, an der Jneinanderleitung des kirchlich-religiösen und

des ethisch-idealistischen Stromarms des deutschen Protestantismus in die Kirche hinein und so an der Überwindung der traditionellen Schranken kirchlicher Frömmigkeit

mitwirken

will, der soll

in den

„Bremer Beiträgen" sein Organ finden."

„Ja gewiß: Umbau, aber ohne Umsturz und allein auf dem Grunde, den uns Gott in Jesus Christus nur aus seinem Heil

und Leben heraus.

gewiesen hat, ein Bau

Wie nun aber der Bau

werde, überlassen wir ganz dem Schöpferwillen eines Höheren.

Nicht

Baurisse, nicht Projekte im einzelnen, nicht scharf umschnittene Kultus­

reformen sind das Programm der „Bremer Beiträge".

Sie sollen nur

Richtung gebende Gedanken, fruchtbare Ideen, treibende Geisteskräfte

hineinsenken in die Lebensentwicklung der Kirche." Wer Freude hat, daran mitzuarbeiten, wer aus Interesse an diesen Be­

strebungen, und um sie zu unterstützen, auf die „Bremer Beiträge" abonnieren

will, dem reichen wir hiermit in Gesinnnngsverwandtschaft die Hand!

Die

Bremer Beiträge zum Busbau und Umbau der Kirche erscheinen vom Oktober 1906 an als Vierteljahrshefte im Format dieser Broschüre. 3edes Best wird etwa sechs Bogen enthalten und In [Ich abgeschlossen sein. Abonnements auf die „Bremer Beiträge" nehmen schon jetzt alle Buchhandlungen an; die Beste werden auch einzeln zu mäßigem Preise käuflich fein.

Bestellzettel. ... an

------- ---------- ------- --------

OB

Hn

Unterzeichneter bestellt hiermit: ein Abonnement auf die Bremer Beiträge zum Ausbau und Umbau der Kirche. Abonnemenfcpreis pro Bahr (4 Beste) 5 Islark. (Verlag von Alfred Töpelmann, vormals 3. Ricker In Sletzen.)

das erste Best der „Bremer Beiträge" zunächst zur Ansicht. nicht Zutreffendes zu durchstreichen.

Adrette:

OB............

.

- -~~~OD

Verlag von ALFRED TÖPELMANN (vormals J. RICKER) in Gießen Soeben erschien:

Predigt und biblischer Text Eine Untersuchung* zur Homiletik von

Prof. Lic. Dr. Carl deinen

Gr. 8°

Privatdozenten der evangelischen Theologie in Bonn

M.

2.—

Vorwort: Die nachstehende Abhandlung behandelt Fragen, die in dieser Weise einmal aufge­ worfen und beantwortet werden mußten. Es geht nicht an, immer nur der Gewohnheit zu folgen; man muß hier und an zahlreichen anderen Stellen der praktischen Theologie ihr Recht prüfen. An einzelnen Punkten war das ja auch schon von andern geschehen; es ist, obwohl dadurch manchmal der Gang der Untersuchung aufgehalten wurde, hier vollständig dargestellt worden, um meine großenteils selbständig gewonnenen Anschauungen als das notwendige Ergebnis der bisherigen Entwicklung zu erweisen. Sie lassen sich in die drei Sätze zusammenfassen: ein biblischer Text ist für die Predigt nicht unbedingt nötig, aber in den meisten Fällen möglich und empfehlenswert; er muß dann wirklich der Predigt zu Grunde gelegt werden; es sind nur solche Texte zu wählen, bei denen das an geht.

Früher erschienen:

Die Predigt im 19. Jahrhundert Kritische Bemerkungen und praktische Winke von

D. Paul Drews

Gr. 8°

Professor der Theologie in Gießen

I Mark

Der Verfasser beschränkt sich in seinem kurzen Referat darauf, uns die Ent­ wicklung der Predigt im Laufe des 19. Jahrhunderts unter einem einzigen Gesichts­ punkt darzustellen, der, weil sich jene mehr oder weniger bestimmt darin spiegelt, besonders interessant ist. Dieser Gesichtspunkt ist der Gegenstand der Predigt. Es ist auch nicht zwecklos, ihn zu verfolgen, weil sich aus seiner Geschichte allerlei Be­ herzigenswertes für die Predigt der Zukunft, lernen läßt.

Was Drews betont, scheint mir fast der springende Punkt für die Hebung der Predigtnot zu sein. Oldenbnrgisches Kirchenblatt. Was gewiß viele fühlten, hier ists systematisch und historisch ausgesprochen, als ein erlösendes Wort. Kirchlicher Anzeiger für lWürttemberg.

Der Vortrag von D. hat viele Leser gefunden; mögen ihrer noch mehr werden, die aus der gedankenreichen Darstellung fruchtbare Anregung schöpfen. Prof. D. E. Chr. Achelis (Marburg) in der Monatschrift für Pastoraltheologie.

Die Gründe und die Folgen des mannigfachen Wechsels werden so einsichts­ voll und gerecht dargelegt, die Behauptungen und Folgerungen sind so maßvoll und besonnen gehalten, daß man keinen Widerspruch sich regen fühlt, sondern dem Ver-

fasser nur dankt für seine erfreuliche Gabe und die Hoffnung hegt, sie möge in der theologischen Welt die Beachtung auch finden, die sie verdient. Prof. D. H. Bassermann (Heidelberg) in der Theologischen Literaturzeitung. Der Verfasser besitzt offenbar die glückliche Gabe schöpferischer Kritik und hat bei allem Wissen seines Gefühl für das Richtige und praktisch Brauchbare. Seine Bemerkungen sind daher höchst beachtenswert. Kirchliche Gegenwart. Andeutungen, die jeder Prediger gründlich auszudenken sich nötigen sollte. In der Richtung, auf welche D. hinweist, liegt die Zukunft der Predigt. Liter. Zentralblatt.

Wie predigen wir der Gemeinde der Gegenwart? Ein Konferenzvortragf von

Walther Wollt Gr. 8°

Pfarrer in Aachen

I

Mark

Aus der Vorrede: Dafi aus dem Kreise, in dem der nachfolgende Vortrag gehalten worden ist, der Wunsch an mich herantrat, ihn drucken zu lassen, wird vor der weiteren Öffent­ lichkeit nicht ohne weiteres als ein ausreichender Grund für seine Veröffentlichung zu gelten brauchen. Ich durfte nur darauf eingehen, wenn ich der Meinung war, daß die Frage nach der zeitgemäßen Predigt noch nicht erschöpfend beantwortet sei, und meine Darbietung wenigstens den Versuch machte, die bisherige Literatur etwas zu ergänzen. Die Formulierung des Themas deutet schon an, daß ich diesen Versuch in der Tat gemacht habe. Ich glaubte, die Tatsache scharf betonen zu müssen, daß wir in unsrer Predigt doch immer die Gemeinde vor uns haben. Dann sind wir aber auch genötigt, bei aller sorgsamen Herausarbeitung der Nüancen und Differenzierungen, auf die wir bei der Frage: Wie predigen wir unsrer Zeit? zu achten haben, uns immer wieder auf allgemeine Grundsätze zu besinnen, die Ton, Haltung und Inhalt unsrer Predigt durchweg bestimmen müssen. Wie sehr ich mir bewußt bin, andern vieles zu verdanken, zeigt der ganze Vortrag deutlich. Er hatte auch den Zweck, eine Einführung in die vorhandene Literatur zu sein.

Die nüchterne und doch warmherzige, tief religiöse und klar verständige Aus­ führung ist aller Beherzigung wert.... Die Glaubenszuversicht und Liegesfreudigkeit des Verfassers wirkt um so tiefer, als er, allen Illusionen feind, die Größe und Schwierigkeit der Ausgabe mit klarem Wahrheitssinn erfaßt. Die Schrift von W. ist wärmster Empfehlung und weitester Verbreitung wert. Prof. D. E. Chr. Achelis (Marburg) in der Monatschrift für Pastoraltheologie. W. schildert mit Freimut und Ernst die ganze Schwere der Predigtausgabe in der modernen Welt und gibt wohlerwogene Ratschläge, für die ihm jeder, der in der Predigtarbeit steht, herzlichen Dank wissen wird. Die Wartburg. Wer bei der schon vorhandenen Literaturflut über diesen Gegenstand noch das Wort ergreift, muß eine besondere Berechtigung dazu aufweisen. Das tut der Ver­ fasser, dessen Schrift bedeutend genannt zu werden verdient. Hessisches Kirchenblatt. Die Klarheit und Energie, mit der W. einige wichtige Forderungen betont (Kasueller! Psychologisch!), aber die Sache auch prinzipiell anfaßt, ist rühmlich. Die Lektüre ist sehr zu empfehlen. Evangelisches Kirchenblatt für Schlesien. Dieser Vortrag ist so voll von anregenden und fruchtbaren Gedanken .... Kirchliches Monatsblatt für die evang. Gemeinden Rheinlands u. Westfalens.

a Verlag von Alfred Cöpelmann (vormals 3. Ricker) in Giehen

d

Francis S. Peabody Professor an der ßarvard-Universität in Cambridge

3n autorisierten Übersetzungen von 6. ülslllenhoff find erschienen:

Hbendfiunden Grohoktav

Religiöse Befrachtungen 168 Seiten

Kart. M. 2.50

«Religion für diese gegenwärtige Welt* will der Vers, in diesen kurzen Betrachtungen bieten. 3n dieser Erfassung feiner Hufgabe siebter auf den Schultern der «grohen Redner über Religion* von Schleiermacher bis auf Spurgeon und Robertson. Von ihnen stammen auch feine geistigen Grundlinien. Doch steckt ein gut Stück originellen flmerikanertums in der Hrt, wie er als ein