Glockenläuten und Uhrenschlag: Der Gebrauch von Kirchenglocken in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung [1 ed.] 9783428493463, 9783428093465

Wenn die Glocken und das Glockengeläut auch seit alters her im öffentlichen Leben präsent sind, so ist ihr Gebrauch in d

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Glockenläuten und Uhrenschlag: Der Gebrauch von Kirchenglocken in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung [1 ed.]
 9783428493463, 9783428093465

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ANSGAR HENSE

Glockenläuten und Uhren schlag

Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Alexander Hollerbach . loser Isensee . loseph Listl Wolfgang Losehelder . Hans Maier· Paul Mikat . Wolfgang Rüfner

Band 32

Glockenläuten und Uhrenschlag Der Gebrauch von Kirchenglocken in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung

Von

Ansgar Hense

Duncker & Humblot . Berlin

Schriftleitung der Reihe "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen": Prof. Dr. Joseph Listl, Lennestraße 15, D-53113 Bonn

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Hense, Ansgar:

Glockenläuten und Uhrenschlag : der Gebrauch von Kirchenglocken in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung / von Ansgar Hense. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen; Bd. 32) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996/97 ISBN 3-428-09346-1

Alle Rechte vorbehalten

© 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 3-428-09346-1

Vorwort Die Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. im Wintersemester 1996/97 als Dissertation vor und wurde flir die Drucklegung überarbeitet. Herrn Prof. Dr. Dres. h. c. Konrad Hesse habe ich flir die geduldige Betreuung sehr zu danken. Weiterhin gilt mein persönlicher Dank Herrn Prof. Dr. Alexander Hollerbach sowohl für die Übernahme des Zweitgutachtens im Promotionsverfahren als auch flir zahlreiche wichtige, weiterflihrende Hinweise. Einen ganz besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Joseph Listl: Er hat die Themenstellung angeregt, beständig begleitet und schließlich ermöglicht, daß die Arbeit in der Reihe "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen" erscheinen kann. Dresden, am Hochfest Peter und Paul 1998

Ansgar Hense

Meiner Mutter

Inhaltsverzeichnis

Einftihrung ............................................................................................................................ 23

A.

Juristische Frage- und AufgabensteIlung ..................................................................... 23

B.

Der Gegenstand der Arbeit: Die Kirchenglocke und ihr Gebrauch ............................ 24 1. Teil: Der innerkirchliche Bereich

A.

Liturgische und geistesgeschichtliche Aspekte des Glockenläutens und Kirchturmbaus ....................................................................................................... 29 I.

Die theologische, liturgische Einordnung des Glockenläutens ............................... 29 I.

Liturgisch, gottesdienstlich, kultisch, sakral? - Frage nach der Wortbedeutung ................................................................................................ 30

2.

Das Glockenläuten, der Kirchtunn in der katholischen und evangelischen Liturgie-Literatur ............... :............................................... 32 a) Hinweise zur Geschichte des Glockengebrauchs in der Kirche ................. 33 b) Allgemeine Funktion des Glockenläutens ................................................. 34

11. Einzelne Arten des Glockenläutens und ihr Entstehungszusammenhang beschreibende Typologie ........................................................................................ 37 I. Das Läuten zum Gottesdienst, Kirchgang: Invitatorische Funktion ................ .37 2.

WandlungsläutenlVater-Unser-Läuten u.ä. (signifikative Funktion) ............... 38

3.

Das Gebetsläuten, Angelusläuten .................................................................... 39 a) Am Morgen - seit dem 11. Jh ....................................................................40 b) Läuten am Mittag - und seit 1455 das "Türkenläuten" ............................ .40 c) Am Abend ................................................................................................. 41 d) Der Zusammenhang des dreimaligen Angelusläutens am Tage ................. 42

4.

Läuten zur Erinnerung an die Passion: Angst- und Scheideläuten am Donnerstagabend und Freitag .................................................................... .42

8

Inhaltsverzeichnis 5.

Die Stunnglocke und das Gewitterläuten ........................................................ .43

6.

Läuten zu besonderen Anlässen: Taufe und Tod ............................................. .45

7.

Weltliches oder politisch motiviertes Läuten der Glocken .............................. .46 a) Das "Polizeiläuten" .................................................................................. .4 7 b) Glockenläuten und politische Ereignisse .................................................. .47 aa) Das Läuten am Tag der Unschuldigen Kinder - 28. Dezember. ......... .47 bb) Das gewünschte Läuten am Tag der Wiedervereinigung ................... .48 cc) Glockenläuten am 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges .......................................................................... .48

8. Das Kirchtunnuhrschlagen ............................................................................. .49 III. Die Bedeutung des Kirchtunns als "versteinerter Prediger" .................................. 51 IV. Die Aktualität des Glockenläutens und des Kirchturmbaus - Bemerkungen zu ihrer Sakralität ........................................................................................................ 52 I. Das Hören der Glocken.................................................................................... 52 2. Kirchtürme und Glocken als liturgisches Mediurn ........................................... 54 3. Das Kirchtunnuhrschlagen als 'Nagelprobe' .................................................... 56

B.

Das Glockenrecht der katholischen Kirche .................................................................. 58 I.

Die weltkirchliche Ebene des Glockenrechts ......................................................... 58 I. Das katholische Glockenrecht bis 1917 ........................................................... 59 a) Die "Heiligung" der Glocken durch die Glockenweihe: die Glocke als Sakramentale ..................................................................... 59 aa) Die Glockenweihe .............................................................................. 59 bb) Charakter der Glocke als Sakramentale .............................................. 63 b) Die Ausstattung der einzelnen Kirchen mit Glocken ................................. 66 c) Der Gebrauch der Kirchenglocken ........................................................... 67 aa) Gottesdienstliches Läuten der Glocken ............................................... 68 bb) Sonstiges Läuten zu kirchlichen Zwecken .......................................... 68 cc) Nutzung von Glocken zu weltlichen Zwecken .................................... 69 dd) Nutzung der Glocken zu "akatholischen Zwecken" und der Simultangebrauch .................................................................. 71 ee) Das Läuten während eines örtlichen Interdikts ................................... 71 d) Das Amt des Glöckners ............................................................................. 72

Inhaltsverzeichnis 2.

9

Die Glockenregelungen im eIe 1917 .............................................................. 72 a) Die einzelnen glockenrelevanten Bestimmungen im eIe 1917 ................ 73 b) Innerkirchliche Weiterfiihrung des Glockenrechts nach 1917 ................... 76

3.

Die Entwicklung des Glockenrechts - Kodexreform und Aufhebung der Glocken im "liturgischen Recht" außerhalb des eIe 1983 .............................. 78 a) Der Wegfall des Glockenrechts aus dem eIe 1983 - die Arbeit der Kodexreformkommission .......................................................................... 78 b) Mittelbar das Glockenwesen betreffende Bestimmungen des eIe 1983 .................................................................................... ......... 79 c) Vermögensrechtliche u.a. Glocken-Regelungen im eIe 1983 ................. 79 d) Die Glockenweihe, die Glocken - Sakramentalien? ................................. 80 aa) Der Begriff 'Sakramentale' ................................................................ 80 bb) Die Glockenweihe als Sakramentale und ihre Regelung in den liturgischen Büchern ................................................................ 81 (I) Glockenweihe als consecratio oder benedictio .............................. 81 (2) Die Glockenweihe in den liturgischen Büchern ............................ 83 cc) Die Glocke: Sakramentale - oder nur res sacra? ................................ 85 e) Das Glockenrecht der katholischen Kirche als liturgisches Recht ............ 85

11. Das diözesane Läuterecht in Deutschland .............................................................. 86

I. Möglichkeit eines diözesanen bzw. örtlichen Läuterechts ............................... 86 2. Läuteordnungen und andere allgemeine glockenrechtliche Bestimmungen ..... 87 a) Diözesane Läuteordnungen und ihr Vorkommen ...................................... 87 b) Beispiele fiir neuere diözesane und überdiözesane Glockenregelungen .... 89 3.

Regelung spezieller Läuteanlässe .................................................................... 90 a) Das Wetterläuten ....................................................................................... 91 b) Angelusläuten ............................................................................................ 91 c) Beerdigungsläuten ..................................................................................... 91 aa) Beerdigungsläuten fiir Konfessionsfremde ......................................... 91 bb) Allgemeines zum Totengeläute ........................................................... 93 cc) Trauergeläut beim Tod des Bischofs, des Papstes ............................... 93 d) Geläute aus freudigen, feierlichen Anlässen .............................................. 94 e) Einläuten von Sonn- und Feiertagen .......................................................... 95

10

Inhaltsverzeichnis f)

Freitagsläuten ............................................................................................ 95

g) Tag der Unschuldigen Kinder .................................................................... 96 h) Weltliche Anlässe des Läutens: Geburtstag oder Tod des Landesvaters u.ä .................................................................................. 96

4.

i)

Zur Zulässigkeit des Glockenläutens ......................................................... 98

j)

Glockenweihe ............................................................................................ 99

Regelung technischer Fragen in den Glockenbestimmungen ........................... 99

5. Kirchtürme als Glockentürme ........................................................................ 100 6. Zusammenfassende Würdigung des diözesanen Läuterechts ......................... 10 I

C.

Glockenläuten im evangelischen Kirchenrecht ........................................................ .101 I.

Phase der Abgrenzung und der Ausbildung eines Glockenrechts in den nachreformatorischen Kirchenordnungen (16., 17. Jh.) ............................. 10 I I. Infragestellung, Umwidrnung und Beibehaltung herkömmlicher Läutearten ............................................................................. 103 2. Verwerfung des Wetterläutens und der Glockentaufe .................................... 105

11. Konsolidierung und Probleme des evangelischen Glockenrechts im 17. und 18. Jahrhundert ................................................................................... 106 1. Auseinandersetzungen über Glockenrnißbrauch ............................................ 107 a) "Papistisches" Gebetsläuten? .................................................................. 107 b) Das Wetterläuten im 17. und 18. Jahrhundert ......................................... 108 2. Trauergeläut. .................................................................................................. 109 III. Die Entwicklung des evangelischen Glockenrechts während des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ..................................................... ........ 110 1.

Allgemeines .................................................................................................. 11 0

2. Kirchlich-religiös motiviertes Läuten ............................................................ 112 a) Gebetsläuten und sonstige festliche Läuteanlässe ................................... 112 b) Sterbe- und Begräbnisgeläute .................................................................. 113 3.

Glockenläuten zu weltlichen Anlässen - Ablieferung zu Kriegszwecken .......................................................................................... 113

4.

Entscheidungsrecht über das Glockenläuten .................................................. 116

5. Regelung technischer Glockenfragen ............................................................. 117 IV. Die weitere Entwicklung des Glockenrechts von 1919 bis 1945 .......................... 117 I. Die Phase der Weimarer Republik von 1919 bis 1933 .................................. 117

Inhaltsverzeichnis 2.

Il

Das Glockenrecht in der Zeit von 1933 bis 1945 ........................................... 119

V. Das Glockenrecht im Rechtskreis der evangelischen Kirchen nach 1945 ........... 123 I.

Die evangelische "Glockenweihe" .......................................... ....................... 124

2.

Glocken- oder Läuteordnungen im Rechtskreis der EKD .............................. 124 a) Die Läuteordnung der VELKD von 1956 .......................................... ........ 12 b) Läuteregelungen in der EKU ................................................................... 125 c) Richtlinien für Glocken im kirchlichen Gebrauch in Baden ................... 127 d) Andere Läuteregelungen evangelischer Landeskirchen in der Nachkriegszeit im Überblick ......................................................... 128

3.

Die Verfügungsbefugnis über die Glocken und ihr Geläute .......................... 129

4.

Besondere Läuteanlässe ................................................................................. 130 a) Der Stundenschlag in landeskirchlichen Läuteordnungen und Agenden .130 b) Läuten nicht zur 'Menschenehrung' - politische Anlässe des Glockenläutens als Mißbrauch ? ....................................................... 132 c) Kirchenglockenläuten als Alarmsignal: Polizeigeläut heute ................... 133

5.

Gottesdienstliche, liturgische Aspekte der Läuteordnungen im einzelnen ..... 134 a) Liturgische Funktionen einzelner Glocken .............................................. 134 b) Aufklärungspflicht über die Arten liturgischen Läutens ......................... 135

6. Technische Regelungsgesichtspunkte im Glockenwesen .............................. .136 VI. Resume zum evangelischen GlockenrechL. ................ .... ............................. ........ 137 VII. Exkurs: Institutionalisierung des Glockenwesens ........................................ ........ 138 1.

Der Beratungsausschuß für das Deutsche Glockenwesen .............................. 138

2.

Ausschuß für die Rückführung der Glocken .................................................. 139

2. Teil: Glocken und Kirchtürme - geschichtliche Grundlagen der Kultusfreiheit und der staatlichen Glockengesetzgebung von der Reformation bis zum Nationalsozialismus

A.

Aspekte der Religionsausübung im Religionsverjassungsrecht des Alten Reiches ........................................................................................................ 141

B.

Die Glocken in den Revolutionen von 1789 und /848/49 .......................................... 146 I.

Das Schicksal der Glocken während der französischen Revolution und in den durch Frankreich annektierten Rheingebieten ...................................................... 146

12

Inhaltsverzeichnis 11. Die Kultusfreiheit in der Reichsverfassung von 1848/49 ..................................... 149

C.

Landesverfassungsrechtliche Kultusfreiheit und gesetzliche Bestimmungen zum Glockenläuten in den deutschen Staaten ............................................................ 153 I.

Das Bayerische Glockenrecht. .............................................................................. 154

11. Glockenläuten und Kultusfreiheit in Preußen seit dem prALR 1794 ................... 160 1. Das preußische Allgemeine Landrecht 1794 ................................................. 161 2. Die preußische Verfassungsurkunde 1850 ..................................................... 164 3. Preußische 'Glocken'-Gesetzgebung .............................................................. 166 III. Glockenrecht in Baden, WUrttemberg und Sachsen ............................................ .168 IV. Das besondere Beispiel: "Reichsland" Elsaß-Lothringen ..................................... 170

D.

Kultusfreiheit und Glockenläuten nach Konstituierung des Deutschen Reichs 1871 bis 1945 ............................................................................................................. 172 I.

Keine reichseinheitliche Gewährleistung der Kultusfreiheit nach 1871 .............. 172

11. Kirchenglocken im Ersten Weltkrieg ................................................................... 172 III. Die Weimarer Reichsverfassung .......................................................................... 173 IV. Kirchenglockenläuten in der Zeit des Nationalsozialismus .................................. 176 I.

"Glockenhoheit" des nationalsozialistischen Staates ..................................... 178

2.

Streitfälle des Glockengebrauchs zwischen 1933-1944/45 ............................ 180

3. "Nationalsozialistische Glockenpolitik" als systematische Vorgehensweise ............................................................................................. 185

E.

Resume zur geschichtlichen Entwicklung der "Kultusfreiheit" ................................ .187 I.

Genuine Gemeinschaftlichkeit der "ReligionsUbung" .......................................... 187

11. Die Bedeutung des öffentlichen Religionsexerzitiums ......................................... 188 UI. Schranken und Einschränkungen des Glockenläutens .......................................... 191

3. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Kirchenglockengeläuts

A.

Die Kirchenglocken und das Glockenläuten als Gegenstand der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 2 GG ................................................. 196 I.

Die Freiheit der ReligionsausUbung i. S. Art. 4 Abs. 2 GG .................................. 196 1. Problemstellung ............................................................................................. 196

Inhaltsverzeichnis 2.

13

Der Schutzbereich des Art. 4 GG .................................................................. 199 a) Tatbestandliche Erosion des Art. 4 Abs. 2 GG? ...................................... 199 b) Art. 4 GG und das Selbstverständniskriterium ........................................ 203 aa) Gründe rur das Selbstverständniskriterium im Staatskirchenrecht ... 203 bb) Einwände gegen das Selbstverständniskriterium .............................. 205 c) Art. 4 Abs. 2 GG als herkömmliche Kultusfreiheit: Heutige Bedeutung öffentlicher Religionsausübung und Kriterien des Kultus ..... 211 aa) Der Entstehungszusammenhang der Normen als maßgebender Anknüpfungspunkt ........................................................................... 212 bb) Kriterien rur das Vorliegen eines Kultus .......................................... 215 cc) Dimensionen des Art. 4 Abs. 2 GG .................................................. 217 (I) Funktionale Aspekte ................................................................... 217 (2) Subjektivrechtliche Aspekte ........................................................ 221 (3) Objektivrechtliche Elemente ....................................................... 222

H. Der Kirchturrn und die einzelnen Arten des Glockengebrauchs als Religionsausübung .......................................................................................... 225 I.

Das Gottesdienstgebäude und der Kirchturrn ................................................. 225

2.

Der "sakrale" Gebrauch der Kirchenglocken ................................................. 227 a) Der Grundsatz des liturgischen, gottesdienstlichen Glockenläutens ....... 228 b) Maßgeblichkeit der innerkirchlichen Zwecksetzung als Anknüpfungspunkt ............................................................................ 229

3.

Problematische Einzelfälle des Glockenläutens als Gegenstand des Art. 4 GG ................................................................................................. 231 a) Der Kirchturmuhrschlag .......................................................................... 231 aa) Sakralität des Zeitschlagens? ............................................................ 231 bb) 'Grundrechtsverzicht' der Kirchen hinsichtlich des Zeitschlagens? .234 b) Das kirchliche Mahnläuten am Tag der Unschuldigen Kinder ................ 235 c) Läuten zu politischen Demonstrationszwecken ....................................... 236 aa) Kirchliches "Demonstrations-Läuten" .............................................. 236 bb) Von staatlicher Seite angeordnetes oder gewünschtes Läuten .......... 23 7 d) Streitigkeiten zum Beerdigungsläuten ..................................................... 23 7

m.

Zwischenergebnis ................................................................................................. 238

14

B.

Inhaltsverzeichnis

Der Glockengebrauch als Gegenstand des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts .......................................................................................................................... 240 I.

Art. 140 GG i.V.m. 137 Abs. 3 WRV .................................................................. 240 I. Inhalt des Selbstbestimmungsrechtes nach Art. 140 GG/ 137 Abs. 3 WRV ........................................................................................... 240 2. Verhältnis von Art. 140 GG zu Art. 4 GG ..................................................... 242

H. Läuteregelungen und einzelne Arten des Glockenläutens als Gegenstand des Selbstbestimmungrechtes nach Art. 140 GG LV.m. Art. 137 Abs. 3 WRV .......... 244 I.

Innerkirchliche Läuteregelungen.................................................................... 244

2. Nichtkultisches Läuten als Gegenstand des Selbstbestimmungsrechtes? ...... 244 III. Relevanz des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes in der Glockenproblematik .......................................................................................................... 246

C.

Glockenläuten im Lichte allgemeiner Verfassungsprinzipien .................................... 246 I.

Glockenläuten und Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen ........................................ 246

II. Glockenläuten und Kulturstaatlichkeit ................................................................. 247 4. Teil: Die verfassungs rechtlichen Schranken des Glockenläutens und des Kirchturmbaus

A.

Die Schranken des Art. 4 Abs. 2 GG ..........................................................................250 I.

Problemstellung .................................................................................................... 250

H. Unterschiedliche Lösungsansätze in der Literatur ................................ .. .. .. .......... 251 III. Begrenzungen durch sonstiges Verfassungsrecht und konkordante Zuordnung der konfligierenden Rechtspositionen ............................................... 254

B.

Mit dem Bau von Kirchtürmen und dem Glockenläuten konjUgierende Verfassungsgüter und der schonende Ausgleich zwischen ihnen ............................... 259 I.

Gesundheitsschutz nach Art. 2 Abs. 2 S. I GG .................................................... 260 I. Reichweite der Garantie nach Art. 2 Abs. 2 S. I GG und Schwelle der Schutzgutbeeinträchtigung .... :........................................................................ 260 a) Gewährleistungsreichweite des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ........................ 260 b) Einige illustrierende Forschungsergebnisse zu Lärmwirkungen .............. 262 c) Konfliktlagen des Kirchenglockengebrauchs im Hinblick auf seine Lärmwirkungen? ...................................................................... 263 aa) Befmdlichkeitsprobleme und Immissionsbewertung ........................ 263

Inhaltsverzeichnis

15

bb) Unterschiedlich beeinträchtigende Wirkung des Glockengebrauchs im Tagesablauf... .......................................... 264 cc) Fazit zu möglichen Lärmwirkungen des Glockenläutens und Uhrenschlags ............................................................................. 265 2.

Parameter proportionaler Zuordnung von lärmverursachendem Glockengebrauch und körperlicher Integrität ................................................ 266

H. Allgemeine Handlungsfreiheit und Glockenläuten: der Aufwachzeitpunkt... ....... 273

IlI. Glockenläuten und Art. 14 GG ............................................................................. 274 1.

"Freie Aussicht", Wohnfunktion des Grundstücks gegen Glockenturmbau ... 274

2.

Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb ............................................. 276

IV. Negative Religionsfreiheit versus Kirchturm und Glockenläuten? ....................... 278

C.

Glockengebrauch und die Schrankenklausel des Art. 140 GG/137 Abs. 3 WRV ....... 282 5. Teil: Kirchtürme und Kirchenglocken - Sonderstatus der res sacrae und die Frage nach dem Rechtsweg gegen das Glockenläuten

A.

Kirchenglocken und Kirchtürme als" res sacrae" ........................... .......................... 285 1.

Rechtsstatus der res sacrae allgemein .................................................... .. ... .. ........ 285 I.

Widmungsbefugnis der Religionsgemeinschaften kraft der grundgesetzlichen Körperschaftsgarantie ...................................................... 286

2.

Würdigung ..................................................................................................... 288 a) Probleme einer gänzlichen Einbindung der res sacrae in die dogmatischen Strukturen des Rechts der öffentlichen Sachen ................. 288 b) Öffentlichrechtlicher Körperschaftsstatus - Formalstatus oder materiale Garantie? ................................................................................. 291 c) Gewohnheitsrechtlieh anerkannter öffentlichrechtlicher Sonderstatus der res sacrae ................................................... ................... 293

H. Weitere Rechtsfragen der Glocken und Kirchtürme ............................................. 295 I.

Kirchturm als Teil des Kirchengebäudes ....................................................... 295

2.

Kirchenglocken .............................................................................................. 296 a) Eigentumsfrage hinsichtlich der im 2. Weltkrieg beschlagnahmten GlockeniGlockenscherben .......................................... 296 b) Glocken als wesentlicher Bestandteil oder Zubehör des Kirchengebäudes? ............................................................................. 297

16

B.

Inhaltsverzeichnis

Rechts/olgen der öffentlichrechtlichen Qualifikation der res sacrae die Rechtswegproblematik .......................................................................................... 298 I.

Ordentlicher Rechtsweg ....................................................................................... 299

11. Verwaltungsrechtsweg ......................................................................................... 300 I. Differenzierende Rechtsweg-Lösungen ......................................................... 30 I a) Gleicher Rechtsweg rur Glockenläuten und Kirchturmuhrschlag? ......... 301 b) Maßgeblichkeit des Benutzungsverhältnisses rur die Rechtswegfrage .... 302 aa) Die Ansichten von Mainusch und Lorenz ......................................... 302 bb) Kritische Würdigung dieser Ansichten ............................................. 303 2. Bedeutung des Körperschaftsstatus rur die Rechtswegfrage .......................... 304 3.

Denkbare Lösung des Rechtswegproblems .................................................... 306

4. Verwaltungsrechtsweg bei behördlichen Anordnungen gegen das Läuten ..... 308

6. Teil: Glockenläuten und staatlicher Immissionsschutz A.

Zweispurigkeit des Immissionsschutzes beim Glockenläuten ..................................... 309 I.

Nachbarrechtliche Anspruchsgrundlagen ............................................................. 309

11. RegeIungsstrukturen der §§ 3, 22 BImSchG und § 906 BGB .............................. 310 I. Maßstab des öffentlichrechtlichen Immissionsschutzes nach BImSchG ....... 310 a) Glocken als Anlage? - Anwendbarkeit des anlagenbezogenen BImSchG ................................................................................................. 310 b) Konkreter Maßstab immissionsschutzrechtlicher Bewertung nach BImSchG ........................................................................................ 312 c) "Authebung" der Grundrechtskollision auf einfachgesetzlicher Ebene .. 315 2. Maßstab privatrechtlichen Immissionsschutzes - § 906 BGB ....................... 318

B.

Erheblichkeit und Wesentlichkeit des Glockenläutens und des Uhrenschlags i. S. der §§ 3 BImSchG bzw. 906 Abs. 1 BGB ............................................................ 319 I.

Die Messung im einzelnen und ihre Probleme beim Glockengebrauch ................ 319

11. Aspekte einer quantitativ-tatsächlichen ErheblichkeitspTÜfung ........................... 323

C.

Mindestmaßgebot nach § 22 BImSchG und Zumutbarkeitsprüjung ........................... 327 I.

Vermeidungspflicht und Mindestmaßgebot nach § 22 BImSchG beim Glockengebrauch ........................................................................................ .327

Inhaltsverzeichnis

17

II. Der "verständige Durchschnittsmensch" .............................................................. 329 III. Art der Geräuschquelle ......................................................................................... 330 I.

Klangqualität des Läutens .............................................................................. 330

2.

Klangqualität des Kirchturmuhrschlages ....................... .. .. .. .. .. .. ...... .. .. .. ........ 33 I

IV. Dauer und Zeitpunkt der Glockenimmissionen .................................................... 332 V. Vorbelastung am Einwirkungsort und zeitliche Reihenfolge konkurrierender Nutzungen .................................................................................. 333 VI. Weitere Bewertungsmaßstäbe des Glockengebrauchs .......................................... 335 I.

Sozialadäquanz, Herkömmlichkeit, Akzeptanz und Nützlichkeit des Glockengebrauchs in der Rechtsprechung ..................................................... 335

2.

Probleme einer wertenden Betrachtungsweise ............................................... 338

VII. Ergebnis zu einer wertenden Betrachtungsweise der Zumutbarkeitsprüfung ....... 340 1.

Relativer Vorrang der Betreiberinteressen nach § 22 Abs.l Nr. 2 BImSchG ................................................................... 340

2. Die erforderliche Nähe der Läuteanlage zu ihren Hörerndas Näheprinzip ............................................................................................. 341 3. Bedeutung und Beachtlichkeit kultureller Standards ..................................... 341

D.

Ausschluß der Erheblichkeit durch den Bebauungsplan, eine Baugenehmigung oder durch Einwilligung der Betroffenen ..................................... 343 I.

Der Bebauungsplan, die Baugenehmigung als "Schutzschild" rur die nicht genehmigungsbedürftige Anlage Kirchturm und Läuteanlage ..................... 344

II. Einwilligung ......................................................................................................... 350

E.

Befugnisse der Behörde nach §§ 24, 25 BlmSchG ..................................................... 350 I.

Anordnungen im Einzelfall: Beschränkungen des Glockenläutens (Zeit und Dauer); Auflage zur Schalldämpfung ................................................... 351 I. Einschreiten der Immissionsschutzbehörde gegen die als öffentlichrechtliche Körperschaften anerkannten Religionsgemeinschaften ................ .352 2. Einzelanordnung nach § 24 BImSchG gegen das Glockenläuten .................. 353 3. Die Untersagung des Glockenläutens nach § 25 BImSchG ........................... 355

H. Anspruch des einzelnen Nachbarn auf Einschreiten der staatlichen Behörde ...... 356 1. Verpflichtung der Immissionsschutzbehörde zum Einschreiten? ................... 356 2. Die Pflicht zum Einschreiten gegen das Glockenläuten ("Ermessensreduzierung auf Null") ? ............................................................ 357 3. Resurne zum Ermessensspielraurn der Behörden ........................ ................... 359 2 Hense

18 F.

Inhaltsverzeichnis Spezielle landesgesetzliche Regelungen über das Glockenläuten .. ....... ..................... 360

1.

Verhältnis des BlmSchG zum Landesimmissionsschutzrecht .............................. 360

II. Zulässigkeit einzelner landesrechtlicher Glockenbestimmungen .......................... 362

G.

I.

§ 7 der Berliner LärmVO ............................................................................... 362

2.

§ 11 Abs. 5 LlmSchG des Bundeslandes Brandenburg ................................. 362

3.

Art. 13 1lI Nr. 2 BaylmSchG ......................................................................... 363

Privatrechtlicher Schutz gegen den Glockengebrauch - Rechtskraftprobleme .......... 363

1.

Bewertung des Glockenläutens im privatrechtlichen Immissionsschutz ............... 363

II. Rechtskraftprobleme - Exkurs .............................................................................. 365 Ausblick ............................................................................................................................... 367 Wesentliche Ergebnisse ............................................................................................. ......... 370

I.

Ergebnisse zum I.TeiI .......................................................................................... 370

II. Ergebnisse 2. Teil ................................................................................................. 371 III. Ergebnisse 3. und 4. Teil ...................................................................................... 371 IV. Ergebnisse 5. und 6. Teil ...................................................................................... 371 Literaturverzeichnis ........................................................................................................... 373 Archivalien ................................................................................................................. .. ...... .405 Anhang 1..............................................................................................................................406 Anhang 2 .............................................................................................................................. 407 Sachwomerzeichnis ................................. ......................................................... ................. 415

Abkürzungen a.A.

anderer Ansicht

AfevKR

Archiv ftir evangelisches Kirchenrecht

AfP

Archiv ftir Presserecht

AG

Amtsgericht

AK

Alternativ-Kommentar zum Grundgesetz

AkKR

Archiv ftir katholisches Kirchenrecht

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Art.

Artikel

Az.

Aktenzeichen

BauR

Baurecht

BayVBI

Bayerische Verwaltungsblätter

BayVGH

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

BK

Bonner Kommentar zum Grundgesetz

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

CE

Caeremoniale Episcopum

CIC

Codex iuris canonici

DDC

Dictionnaire de Droit Canonique

DVBI.

Deutsches Verwaltungsblatt

EKD

Evangelische Kirche in Deutschland

ELThG

Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde, hrsg. von Burkhardt u.a., Bd. 11, Wuppertal 1993

EssG

Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche

EStL

Evangelisches Staatslexikon



20

Abkürzungen

EuGRZ

Europäische Grundrechte Zeitschrift

evgl.

evangelisch

FG

Festgabe

Fn.

Fußnote

FS

Festschri ft

ggfs.

gegebenenfalls

GS

Gedächtnisschrift

HdbDStR

AnschützlThoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I (1930), Bd. 11 (I932)

HdbkathKR

ListllMüller/Schmitz, Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 1983

HdbStKirchR

Friesenhahn/Scheuner (Hg.) Handbuch des Staatskirchenrechts, l. Aufl. Bd. I (1974), Bd. 11 (1975); Listl/Pirson (Hg.), 2. Aufl., Bd. I (1994), Bd. 11 (1995)

HistWBPhilos.

J. RitterlK. Gründer (Hg), Historisches Wörterbuch der Philosophie

HStR

IsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1987 ff

i.d.R.

in der Regel

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KirchE

Entscheidungen in Kirchensachen

LG

Landgericht

LThK

Lexikon für Theologie und Kirche (kath.)

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NuR

Natur und Recht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungsreport

O.V.

Ohne Vorname(n) bzw. Verfasserangabe

OVG

Oberverwaltungsgericht

Abkürzungen Pag.

Paginierung

RE

Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche (evgl.)

RGG

Die Religion in Geschichte und Gegenwart (evgl.)

RR

Rituale Romanum

RVBI.

Reichsverwaltungsblau

SRC

Sacra Rituum Congregatio

StL

Staats lexikon der Görres-Gesellschaft

TRE

Theologische Realenzyklopädie (evgl.)

u.Ö.

und öfters

VBIBW

Verwaltungsbläuer für Baden-Württemberg

VELKD

Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands

VerwArch

Verwaltungs archiv

VG

Verwaltungs gericht

VGH

Verwaltungsgerichtshof

VSSR

Viertelj ahresschri ft fiir Sozial recht

WiVerw

Wirtschaft und Verwaltung

ZRGKA

Zeitschrift der Savigny-Stiftung fiir Rechtsgeschichte, Kan. Abt.

ZUR

Zeitschrift fiir Umweltrecht

21

Siehe im übrigen die Angaben bei Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, Berlin u. a. 1993.

Einführung

A. Juristische Frage- und AufgabensteIlung Zum Erscheinungsbild der Kirchengemeinden in der Bundesrepublik Deutschland gehört seit alters her das Glockenläuten und der Kirchturmuhrschlag. Seit Mitte der 70iger Jahre sind das Glockenläuten und der Uhrenschlag Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Auseinandersetzungen geworden: Das Läuten der Glocken störte die Nachbarn in ihrer Ruhei. Als eher 'skurriler Randbereich'2 des Verhältnisses von Staat und Kirche wurde der Glockengebrauch Gegenstand juristischer Kontroversen 3 , die "nur scheinbar [... ] eine bedeutungslose Merkwürdigkeit am Rande des Staatskirchenrechts" seien 4 • Größte Bedeutung wird dabei der Rechtsnatur des Glockengeläuts zugemessen 5 • Den immissionsschutzrechtlichen Fragestellungen des Glockengebrauchs widmen die erst- und zweitinstanzlichen Entscheidungen i.d.R. mehr Aufmerksamkeit als die Entscheidungen des BVerwG. Das BVerwG wendet z.B. bei der immissionsschutzrechtlichen Beurteilung des Kirchturmuhrschlags die TA Lärm recht schematisch an, während die unteren Instanzen z.T. versuchen, der Eigenart des Stundenschlags und seines Herkommens Rechnung zu tragen 6 • Vgl. die Entscheidungsübersicht in Anhang II und Laubinger, VerwArch 83 (1992), S. 623 ff.

C. Link, Neuere Entwicklungen und Probleme des Staatskirchenrechts in Deutschland, in: I. Gampl/drs., Deutsches und österreichisches Staatskirchenrecht in der Diskussion, Paderbom 1973, S. 25 ff/25. Immer wieder finden sich in Presse Artikel über das Glockenläuten u.ä. Vgl. z.B. Roloff, Technik vom alten Schlag. Glocken als Objekt der Wissenschaften, Rheinischer Merkur - Nr. 52 - vom 29. Dezember 1995, S. 15. Vgl. Mainusch, Die öffentlichen Sachen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Tübingen 1995, S.2, 315 ff u.ö.; drs., ZevKR 38 (1993), S. 26 ffl insbes. S. 75 ff. So M Stolleis, ZevKR 17 (1972), S. 150 ffl15 I. BVerwGE 68, 62 - das BVerwG folgt bei dieser Entscheidung einem Gutachten Isensees, in: GS Constantinesco (1983), S. 301 ff. A.A. war die Vorinstanz VGH Mannheim, KirchE 18, S. 429 ff und die bis dahin überwiegend vertretene Auffassung; siehe BVerwGE 90,163 ff und jetzt auch BVerwG, NJW 1994, S. 956 Einerseits OVG Saarlouis, NVwZ 1992, S. 72 ff/74 f, andererseits BVerwGE 90,

163/167.

24

Einführung

Die Aufgabe dieser Arbeit wird es zum ersten sein, den kultur-, rechtshistorischen und innerkirchlichen Hintergrund des Gebrauchs von Kirchenglocken - des Glockenrechts 7 - nachzuzeichnen 8 • Zum zweiten hat sie vor diesem historisch-religiösen Hintergrund dann zu prüfen, wie im einzelnen die "Sprache der Glocken"9 und ihre unterschiedlichsten Läuteanlässe verfassungsrechtlich heute zu qualifizieren sind lO • In einem weiteren Schritt ist zu ermitteln, wo die verfassungsrechtlichen Grenzen des Glockengeläuts im einzelnen liegen. Im letzten Teil der Arbeit geht es schließlich um die Darstellung der verwaltungs- und immissionsschutzrechtlichen Aspekte des Glockengeläuts und Uhrenschlags. Ziel dieser Arbeit ist in erster Linie die Dokumentation und Bestandsaufnahme des Läuterechts, wie es sich in der Praxis herausgebildet hat und für die einzelne Kirchengemeinde heute relevant wird bzw. sein kann.

B. Der Gegenstand der Arbeit: Die Kirchenglocke und ihr Gebrauch Gegenstand der Untersuchung ist die Kirchenglocke und ihr Gebrauch 11. Die aus Metall gegossene europäische Kirchenglocke als ein "kelchformiges Gefäß mit 7 Soweit der Begriff "Glockenrecht" verwendet wird, ist darauf hinzuweisen, daß dieser Begrifffrüher eine andere Bedeutung besaß. Er bezog sich zum einen bloß auf das Eigentumsrecht an Kirchenglocken und betraf zum anderen als "droit sur les c1oches" den gewohnheitsrechtlichen Grundsatz, daß dem Eroberer einer Festung oder Stadt die Glocken gehörten. Die Stadt kOlUlte die Glocken ggfs. zurückkaufen. Napoleon z.B. verfuhr 1807 so mit den Glocken der Stadt Danzig und verteilte einen Teil des Erlöses an seine Soldaten. Aus diesem Glockenrecht wird auch noch ersichtlich, welche große Bedeutung den Glocken für das Gemeinwesen bis ins 19. Jh. zukam. Vgl. hierzu den Artikel "Glockenrecht" in: Brockhaus' Conservations-Lexikon, Bd. VIII (1884), S. 114 f. 8 Eine wertvolle, abgelegen veröffentlichte Übersicht bietet Wohlhaupter, Die Glocke im Recht, Schwäbischer Heimatbote 11 (1936), Nr. 1 (S. 1 ft), Nr. 2 (S. 2 ft), Nr. 3 (S. 2 ft) und Nr. 4 (S. 1 ft).

9 Vgl. die mentalitätshistorische Untersuchung von A. Corbin, Die Sprache der Glokken - Ländliche Gefühlskultur und symbolische Ordnung im Frankreich des 19. Jahrhunderts, München 1995. 10 Scheinbar wird heute das Glockenläuten wieder vermehrt zu politischen Demonstrationszwecken eingesetzt. Die evangelischen Kirchengemeinden in Hamburg protestierten z.B. am Buß- und Bettag (22. November) 1995 durch ein gemeinsames Glockengeläut gegen die Abschaffung dieses gesetzlichen Feiertages zur Finanzierung der Pflegeversicherung. Für Furore sorgte das Mahnläuten am Fest der Unschuldigen Kinder (28. Dezember), mit dem die katholische Kirche gegen die Abtreibungen in der Bundesrepublik Deutschland protestierte. Dieses Mahnläuten beschäftigte sogar den Hessischen Landtag. Eine Hessische Landtagsabgeordnete bezeichnete dieses Läuten als 'rechtsmißbräuchliches Demonstrationsgeläut' - vgl. Raabe, Die Neue Ordnung 44 (1990), S. 404 fTl409 f. II ZU ersten Orientierung über die Kirchenglocken vgl. C. Mahrenholz, Art. 'Glocken', in: RGG, Bd. TI (1958), Sp. 1621-1626; Niemann, Art. 'Glocken', in: TRE, Bd. XIII (1984), S. 446- 452; Gebhard, Art. 'Glocken', in: Marienlexikon, Bd. TI (1989), S. 651-655; Streber, Art. 'Glocken', in: Wetzer und Welte's Kirchenlexikon, Bd. V (1888), Sp.697-708.

Einfiihrung

25

klingendem Rand und stummem Scheitel" 12 besitzt eine ganz charakteristische Form 13 • Bei der Glocke handelt es sich um ein Musikinstrument, dessen Ursprung in Asien liegen so1l14. In der Systematik der Musikinstrumente wird die Glocke zu den "schwingenden Platten" gerechnet l5 • Der Ton der Glocke, ihr sog. Schlagton als lautester Ton einer Glocke ist physikalisch eigentlich gar nicht vorhanden 16; der Schlagton (Klöppelanschlag) einer Glocke ist objektiv nicht erfaßbar 17 • Dies wird allgemein als paradox empfunden und sei aus diesem Grunde kurz erläutert: Der Schlagton bildet sich nach heutigem Wissensstand erst im (menschlichen) Ohr, indem bestimmte Bestandteile des Glockenklangs gemeinsam wahrgenommen werden l8 . Der Schlagton gibt der Glocke zwar ihren Tonnamen, doch entfaltet die Glocke nicht nur diesen Hauptschlagton, sondern auch noch eine Reihe anderer Teiltöne l9 • Der Hauptschlagton und die Teiltöne stehen in bestimmten Intervallverhältnissen zueinander. Die Beziehung zwischen diesen Tönen machen den vielschichtigen und harmonischen Klang einer Glocke aus 20 . Diese Gesamtkomposition Klang, die aus mehreren Teiltönen 21 besteht und eine Summe von Tönen darstellt, wird als (charakteristisches) Klangbild und Klangfarbe der Glocke einheitlich wahrgenommen. Es gibt dabei vielfältige zusätzliche Faktoren für die Klangwirkung der Glocke: das Material der Glocke (Glockenbronze oder Stahl), die Gußform, das Glockenjoch aus Holz oder Stahl, Holzglockenstühle, die Höhe des Glockenturms und der Klöppel. Das Idealbild einer Glocke gibt es nicht. Einmaligkeit, Harmonie, Ästhetik eines Glockenklangs unterliegen nach wie vor einem Geheimnis 22 • 12 C. Mahrenholz, Art. 'Glocken', in: RGG, Bd. 11 (1958), Sp. 1621 ff/1623; Niemann, Art. 'Glocken', in: TRE, Bd. XIII (1984), S. 446 ff/447. 13 Vgl. Kramer, Die Glocke und ihr Geläute, München 1990, S. 7 ff zur Entwicklung der europäischen Glockenform und Glockenrippe.

14 Rolli, Kirchengeläute, 1950, S. 10; Ellerhorst, Handbuch der Glockenkunde, 1957, S. 28, Kramer, S. 21 ff; G. Wagner, Die Glocke als Musikinstrument, in: Bund [Hg.], Frankfurter Glockenbuch, S. 12 ff. 15

G. Wagner, in: Bund [Hg.], Frankfurter Glockenbuch, S. 12; Kramer, S. 21.

16 D.h., daß er nicht durch Resonanz meßbar ist. 17

Kramer, S. 4, 21.

Näher zum Schlagton der Einzelglocke G. BestlT Halekotte, Glockenmusik - eine Einfiihrung, in: Kleine Hilfen im pastoralen Dienst. Beilage zum kirchlichen Amtsblatt fiir die Erzdiözese Paderborn - Kirchenmusikalische Mitteilungen S I - '89, S. 36 ff/37 f. 18

19 Jede Glocke hat zudem noch einen Nebenschlagton, vgl. G. BestlT Haiekotte, S. 36 ff/37. 20

Kramer, S. 21.

21

Vgl. hierzu näher G. Wagner, in: Bund [Hg.], Frankfurter Glockenbuch, S. 12 f.

Kramer, S. 22: "Die Glocke hat also ihr Geheimnis auch einer perfektionierten Forschung und vielem Sachverstand nicht preisgegeben". 22

26

Einführung

Das Glockengeläut besteht regelmäßig nicht aus einer Einzelglocke, sondern aus einer bestimmten Anzahl anderer Glocken, die zu einem Geläut vereinigt sind 23 . Die Zusammenstellung eines solchen Geläutes aus mehreren Glocken mit unterschiedlichen Schlagtönen ist schwierig (Disposition)2\ da das Geläute differenziert sein soll. Durch diese Differenzierung - in Vollgeläut, Teilgeläut u.ä. - sollen der unterschiedliche liturgische Rang, die unterschiedlichen Zwecksetzungen des Läutens zum Ausdruck kommen und verdeutlicht werden. Während im 19. Jahrhundert der hohe religiöse Wert des Glockenläutens allgemein hervorgehoben wurde 25 , wird die Bedeutung der Glocken heute vermehrt in Zweifel gezogen. Die Auffassung vom Glockenläuten als Glockenmusik wird durch die vom Glockenlärm ersetd 6 • Auf der anderen Seite repräsentiert die Glocke immer noch europäische Kulturtradition, so daß die Rede des Kulturhistorikers Friedrich Heer von einem "Glockeneuropa" nicht ganz ihre Berechtigung verloren haf 7 • Die Glocken und mit ihnen die Kirchtürme als Glockenträger prägten und prägen das Stadt- und Landschaftsbild 28 • Die meisten Kirchengemeinden bauen zwar immer noch ein Kirchengebäude mit Glockenturm, doch hat die Glockensymbotik nicht mehr den "Sitz im Leben der Gemeinde", den sie früher einmal besaß 29 .

23 Vgl. G. BestlT. Halekotte, S. 36 ff/38 f. 24

G. Wagner, in: Bund [Hg.], Frankfurter Glockenbuch, S. 17.

25 Vgl. G. May, Das Recht des Gottesdienstes, Bd. II (1987), S.484. Drinkweider, S. 78: "Die heilige Kirche hat den Glocken gleichsam ihre Sprache in den Mund gelegt. [... ] Die Kirche spricht zu den Gläubigen durch die Glocken". 26 Vgl. Ross, Glockenmusik, in: FS Thomas Michels OSB (1963), S. 441 ff. Glockensachverständige bemühen sich immer wieder, die musikalischen Aspekte der Glocken herauszustellen, vgl. z.B. G. BestlT. Halekotte, Glockenmusik - eine Einführung, in: Kleine Hilfen im pastoralen Dienst. Beilage zum kirchlichen Amtsblatt für die Erzdiözese Paderbom - Kirchenmusikalische Mitteilungen S I - '89 (zu KA Paderbom 1/1989), S. 36-41 und S 7'89 (zu KA Paderbom 10/1989), S. 40-45.

27 UUa Wilhelmi schreibt in ihrem Führer zum 'Deutschen Glockenmuseum auf Burg Greifenstein' (1987), S. I: "Die Glocke wurde zum Symbol der europäischen Denkweise und Kulturtradition schlechthin".

28 Vgl. zu dem grundsätzlichen Zusammenhang von Glocken und Kirchtürmen nur: H. Wolf!, Das Münster 35 (1982), S. 127 ff; W. Haas, Türme und Glocken, in: Lusus Campanularum-FS Sigrid Thurm, München 1986, S. 35 ff; Schotes, Der Glockenturm, in: Beratungsausschuß [Hg.], Glocken in Geschichte und Gegenwart, Bd. II (1997), S. 443 ff. Wenn heute auch die Kirchtürme zunehmend mit anderen Türmen der modemen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft (Industrieschornsteine genauso wie Geschäftshochhäuser) konkurrieren, so haben sie im Prinzip aber nicht alles an kultureller Prägekraft eingebüßt.

29 Vgl. Perkmann, Art. 'Glocke', in: E. Hoffmann-Krayer [Hg.], Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. III (1930/31), Sp. 868 ff/868, trifft diese Feststellung: "Die große Bedeutung, welche die Glocke im deutschen Volksglauben innehat, gründet sich vorwiegend auf das innige Verhältnis des Landvolks zu seinen Kirchen, deren Glocken das Leben des Menschen von der Wiege bis zum Grabe begleiten".

Einführung

27

Wenn das Glockenläuten sicherlich nicht das kirchliche Angebot mit dem höchsten Stellenwert ist, so gaben doch bei einer aktuellen repräsentativen Umfrage 30 immerhin 39 % der Bewohner der alten Bundesländer an, daß das Glockenläuten unabhängig von ihrer konfessionellen Zugehörigkeit - wichtig sei, in den neuen Bundesländern waren es sogar 45 %. Das Glockenläuten erreicht zwar nicht die 75 % kirchlicher Jugendarbeit oder die 59 % pastoraler Tätigkeit, doch so bedeutungs- und belanglos, wie es einige politische Aktionen bisweilen unterstellen, ist das Glockenläuten (noch) nicht. Der fortschreitende Bedeutungsverlust religiöser Phänomene bzw. das Wissen über sie wird auch an der Glockensymbolik deutlich. Welche Bedeutung dem "Kult" des Glockenläutens innerkirchlich auch heute noch zukommen kann und welche spezifische kirchliche, öffentlichkeitswirksame Ausdrucksmöglichkeit mit dem Glockengebrauch verbunden sein kann, wird im folgenden näher darzustellen sein.

30 Näher wird diese Emnid-Umfrage dargestellt bei E. Kopp, Geliebte, ältliche Heimat Warum Menschen (noch) an der Kirche hängen. Auswertung der Umfrageergebnisse, Teil 11, in: Das Sonntagsblatt - Nr. 26 - vom 27. Juni 1997, S. 19 ff.

1. Teil: Der innerkirchliche Bereich l

A. Liturgische und geistesgeschichtliche Aspekte des Glockenläutens und Kirchturmbaus I. Die theologische, liturgische Einordnung des Glockenläutens Da die Rechtsprechung des BVerwG strikt zwischen dem liturgischen und nicht-sakralen Glockengebrauch unterscheidef, ist anhand der liturgiewissenschaftlichen Literatur bei der großen Konfessionen zu untersuchen, welche Bedeutung diese Terminologie hae, zumal gerade mit den Glocken vielfältige Aspekte von Volksfrömmigkeit4 und Aberglaubens verbunden waren bzw. sind.

Es kann zwischen dem innerkirchlichen und weltlichen Rechtskreis unterschieden werden. Das Auseinandertreten dieser Rechtskreise ist Folge der Glaubensspaltung, vgl. nur Heckei, Parität, in: Drs., Gesammelte Schriften, Bd. I (1989), S. 103 ffl133, 136 u.ö. Dem weltlichen Rechtskreis werden dabei in erster Linie die Fragen zugeordnet, welche die Außenwirksamkeit des Glockenläutens betreffen. Fragen des Läuteanlasses u.ä. sind dem innerkirchlichen Bereich, Rechtskreis zuzurechnen. Es wird zwischen dem liturgischen Glockengeläut (BVerwGE 68, 62) und dem nichtsakralen Zeitschlagen (BVerwGE 90,167; BVerwG NJW 1994, S. 956) streng getrennt. Ob diese Trennung sich wirklich treffen läßt, wird weiter unten behandelt 1. Teil A., 11.,8. und IV. 3. In der Entscheidung des BayVGH, BayVBI. 1994, S. 721 f/722 taucht nunmehr der Aspekt der Volks frömmigkeit auf. Dem Begriff Volks frömmigkeit wird oft eine negative Bedeutung beigelegt. Es wird angenommen, daß es sich bei der Volks frömmigkeit um eine Frömmigkeit minderen Grades handelt, die i.d.R. abergläubische Elemente enthält. Es gibt aber vennehrt Bestrebungen, diese negative Bedeutung der Volksfrömmigkeit zu relativieren und jetzt vielmehr ihren Sinn und ihre Berechtigung herauszustellen. Vgl. dazu den Sammelband EberhartlHöranderlPöttler, Volks frömmigkeit, 1990.

Einen Eindruck hierüber verschaffi der Artikel 'Glocke' von Perkmann, in: Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. m (1930/1931), Sp.868 876m.w.N.

1. Teil: Der innerkirchliche Bereich

30

1. Liturgisch, gottesdienstlich, kultisch, sakral? -

Frage nach der Wortbedeutung

Die durch die Gerichte und Literatur vorgenommene Qualifikation des Glokkenläutens als liturgisch und des Zeitschlagens als nichtsakral wirft die Frage auf, ob und inwieweit sich diese kategoriale Trennung überhaupt begründen läßt. Hierfür ist es erforderlich, das Wortfeld gottesdienstlich, liturgisch, kultisch, rituell, sakral6 und dessen innerkirchliche Bedeutung7 zu untersuchen: Alle diese Begriffe werden nicht eindeutig verwendet. So hat z.B. der Ausdruck 'Gottesdienst' viele Bedeutungshorizonte, "die sich durch das Ereignis selbst im Sprachgebrauch je neu ausbilden. Wer begründet vom Gottesdienst reden will, hat sich je neu auf bestimmte Ereignisse zu beziehen"s. Nicht bloß vieles, sondern alles läßt sich als 'Gottesdienst' qualifizieren: Der Gläubige hat dem Ruf Gottes in und mit seinem ganzen Leben zu folgen. Angesichts dieser Vagheit des Begriffs 'Gottesdienst! gottesdienstlich' sollte er bei rechtlich-qualifizierenden Fragen des Glockenläutens eher nicht mehr verwendet werden. Förderlicher erscheint eventuell die Beschränkung auf die Begriffe Liturgie9 und Kult lO zu sein. Volp weist daraufhin, daß der Ausdruck 'Liturgie' den gewöhnlichen rituellen Charakter des Gottesdienstes im Auge habelI. Aber auch der Begriff Liturgie darf - oder soll - nicht im Sinne einer rechtlich verfestigten Ordnung verstanden werden, so daß Liturgie nur noch äußerliche Form und Ordnung wäre l2 : Lange wurden cultus publicus und Liturgie gleichgesetzt (vgl. z.B. c. 1256 CIC

6 Entsprechend die Gegensätze wie profan u.a. Vielfach werden die genannten Begriffe auch einfach als Synonyma verwendet oder ein Begriff wird als Oberbegriff angesehen, dem die anderen zugeordnet werden.

7 Es ist gerade die innerkirchliche Bedeutung maßgeblich, da staatliche Stellen durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Neutralität prinzipiell gehindert sind, derartige Qualifikationen auszusprechen, zumal der Staat über keine eigenen inhaltlichen Kriterien fUr Sakralität und Nichtsakralität z.B. des Glockenläutens verfUgt. Vgl. hier nur Heckei, StaatKirche-Kunst, Tübingen 1968, S. 105 ffm.w.N. S

So der evangelische Liturgiker R. Volp, Liturgik, Bd. I, S.34 ff/36 f.

Zur begrifflichen Orientierung vgl. E. J Lengeling, Art. 'Liturgie', in: Handbuch Theologischer Grundbegriffe, Bd. II (1963), S. 75-97; A.-G. Martimort, Handbuch der Liturgiewissenschaft, Bd. I (1963), S. 3 ff; und als ältere Stellungnahme C. F. Rosshirt, Äußere Encyclopädie des Kirchenrechts, Heidelberg 1867, S. 167 ff. 9

10 Vgl. nur E. J Lengeling, Art. 'Kult', in: Handbuch Theologischer Grundbegriffe, Bd. 1(1962), S. 865-880 m.w.N. 11

R. Volp, S. 37.

12 Liturgie ist nicht nur Vollzug vorgegebener Formen, sondern gründet insgesamt in der Lebendigkeit der konkreten Kirchengemeinde; vgl. St. Rau, Das Feiern der Gemeinden und das Recht der Kirche, 1990, S. 241 ff m.w.N.; R. Volp, S. 37 f, verweist in diesem Zusammenhang aufRöm 13,6; 15, 16; Hebr 1,7/14; 8,2/6; Lengeling, Art. 'Liturgie', S. 75 ff/ 90 ff.

A. Liturgische und andere Aspekte des Glockenläutens

31

1917) 13. Sowohl von der katholischen 14 als auch der evangelischen Seite l5 wird betont, daß Liturgie weder rechtlich verengt verstanden werden dürfe noch nur der äußere, dekorative Apparat der Zeremonien sei. Kennzeichnend für das liturgische Geschehen ist eine "Doppelbewegung,,16: Als aufsteigende Bewegung zu Gott Lob und Dank sowie Sühne und Bitte, als absteigende Bewegung das Wirken Jesu Christi durch Wort und Sakrament 17 • Der Begriff des Kults umfaßt demgegenüber nur innere und äußere Akte, mit denen Gott oder mit Gott besonders verbundene Dinge ausdrücklich verehrt werden I!. Der Kultbegriff wird demnach enger gefaßt als der Begriff Liturgie. Im katholischen Bereich wird noch zwischen liturgischem Kult und pium exercitium l9 unterschieden 20 . Aus diesen lediglich andeutenden Bemerkungen wird ersichtlich, wie schwierig es ist, den Glockengebrauch im einzelnen eindeutig als liturgisch oder kultisch zu qualifizieren. Es ist aus diesem Grunde zumindest problematisch, einfach und mit weitreichenden juristischen Folgen vom liturgischen Glockengeläut zu sprechen 21 . Fraglich ist, ob beispielsweise der Begriff' sakral' angemessener wäre. "Heilig, sacrum heißt etwas kraft seiner Hinordnung auf den kultischen Gottesdienst, ad cultum divinum'