vorwärts rückwärts: Zur Geschichte des Fahrradfahrens in der Schweiz
 3883098809, 9783883098807

Table of contents :
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Titelei
Impressum
Inhaltsverzeichnis
VORWORT
1. EINLEITUNG
1.1 Fragestellung
1.2 Forschungsstand
1.3 Quellenlage
1.4 Methodik
1.5 Abgrenzung
1.6 Theoretische Bezüge
1.7 Sprache
2. FAHRRADFAHREN 1816-1910
3. FAHRRADFAHREN 1910-1945
3.1 Der Aufstieg zum Alltagsvehikel
3.2 Radwege: Freiheit, Verbannung, Utopie?
3.3 Zweiter Weltkrieg
4. FAHRRADFAHREN 1945-1968
4.1 Die Effekte der Massenmotorisierung
4.2 Das Mofa und das Verkehrsgefüge der 1960er-Jahre
4.3 Das Fahrrad in der Krise
4.4 Exkurs: Le Vélo et les Roestis
4.5 Die Fahrradverbände in der Fahrradkrise
4.6 Fahrrad und Politik in den 1960er-Jahren
5. FAHRRADFAHREN 1968-1973
5.1 Die Motorisierung in der Krise
5.2 Schelte für Mofas
5.3 „1968“ und die Verkehrspolitische Wende
5.4 Bewegungen im Fahrradmarkt
6. INTERMEZZO: EINE NEUE FAHRRADFASZINATION
7. FAHRRADFAHREN 1973-1980
7.1 Das Rad wird erwachsen
7.2 Bloss Kratzer im Lack
7.3 Der neue Fahrradboom
7.4 Neue Impulse in der Fahrradpolitik
7.5 Fahrradrenaissance – Radfahrrenaissance?
8. EPILOG: FAHRRADFAHREN 1980-HEUTE
9. BIBLIOGRAPHIE
9.1 Quellen
9.2 Literatur
9.3 Online-Referenzen
9.4 Korrespondenz
10. VERZEICHNISSE
10.1 Abkürzungsverzeichnis
10.2 Abbildungsverzeichnis
10. ANHANG

Citation preview

13 1962 war das Fahrrad am Ende. Der Künstler Christo packte es ein und montierte es auf den Dachträger eines Autos. Damit war das Fahrrad als Transportmittel erledigt. Benedikt Meyer beleuchtet die Ursprünge des Fahrradfahrens, seine Blütezeit zur Jahrhundertwende, seine Alltäglichkeit in der Zwischenkriegszeit, sein Verschwinden im Rahmen der Motorisierung und seine unerwartete Renaissance seit 1970. Ein Buch, das eine Forschungslücke schliesst: die Geschichte des Fahrradfahrens in der Schweiz.

BFNASG

Dr. phil. Benedikt Meyer (*1982) hat an den Unis Basel, Bern und Bordeaux Geschichte, Sozialpsychologie und Volkswirtschaftslehre studiert. Er promovierte 2013 an der Uni Bern zur Geschichte der Schweizer Fluggesellschaften und ihrer Passagiere. Der engagierte Alltagsradler hat auch mehrere grössere Touren absolviert, darunter Basel-Bordeaux, Bern-Oslo und New York-San Francisco.

Zur Geschichte des Fahrradfahrens in der Schweiz

Benedikt Meyer

vorwärts rückwärts Zur Geschichte des Fahrradfahrens in der Schweiz

Berner Forschungen zur Neuesten Allgemeinen und Schweizer Geschichte Band 13

ISBN 978-3-88309-880-7

Verlag Traugott Bautz

  vorwärts rückwärts

Berner Forschungen zur Neuesten Allgemeinen und Schweizer Geschichte Herausgegeben von Marina Cattaruzza, Stig Förster und Brigitte Studer Band 13

Für die Publikation überarbeitete Lizentiatsarbeit in Wirtschafts-, Sozial-, und Umweltgeschichte bei Prof. Dr. Christoph Maria Merki Bern im April 2008

Benedikt Meyer

vorwärts rückwärts Zur Geschichte des Fahrradfahrens in der Schweiz

Verlag Traugott Bautz

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Verlag Traugott Bautz GmbH 99734 Nordhausen 2014 ISBN 978-3-88309-880-7

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Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................ 7   1. Einleitung ......................................................................................... 8   1.1   1.2   1.3   1.4   1.5   1.6   1.7  

Fragestellung  .......................................................................................  8   Forschungsstand  ..............................................................................  10   Quellenlage  .........................................................................................  11   Methodik  .............................................................................................  12   Abgrenzung  ........................................................................................  12   Theoretische  Bezüge  .......................................................................  13   Sprache  ................................................................................................  14  

2. Fahrradfahren 1816-1910 ............................................................ 15   3. Fahrradfahren 1910-1945 ............................................................ 21   3.1   Der  Aufstieg  zum  Alltagsvehikel  .................................................  21   3.2   Radwege:  Freiheit,  Verbannung,  Utopie?  .................................  23   3.3   Zweiter  Weltkrieg  ............................................................................  25  

4. Fahrradfahren 1945-1968 ............................................................ 27   4.1   4.2   4.3   4.4   4.5   4.6  

Die  Effekte  der  Massenmotorisierung  ......................................  32   Das  Mofa  und  das  Verkehrsgefüge  der  1960er-­‐Jahre  ..........  37   Das  Fahrrad  in  der  Krise  ................................................................  39   Exkurs:  Le  Vélo  et  les  Rœstis  ........................................................  43   Die  Fahrradverbände  in  der  Fahrradkrise  ..............................  46   Fahrrad  und  Politik  in  den  1960er-­‐Jahren  ..............................  52  

5. Fahrradfahren 1968-1973 ............................................................ 54   5.1   5.2   5.3   5.4  

Die  Motorisierung  in  der  Krise  ....................................................  55   Schelte  für  Mofas  ..............................................................................  57   „1968“  und  die  Verkehrspolitische  Wende  .............................  59   Bewegungen  im  Fahrradmarkt  ...................................................  61  

6. Intermezzo: eine neue Fahrradfaszination ................................. 70   7. Fahrradfahren 1973-1980 ............................................................ 73   7.1   Das  Rad  wird  erwachsen  ................................................................  74   7.2   Bloss  Kratzer  im  Lack  .....................................................................  76   7.3   Der  neue  Fahrradboom  ..................................................................  78  

6

7.4   Neue  Impulse  in  der  Fahrradpolitik  ..........................................  79   7.5   Fahrradrenaissance  –  Radfahrrenaissance?  ...........................  85  

8. Epilog: Fahrradfahren 1980-heute.............................................. 86   9. Bibliographie ................................................................................. 89   9.1   9.1   9.3   9.4  

Quellen  .................................................................................................  89   Literatur  ..............................................................................................  91   Online-­‐Referenzen  ........................................................................  100   Korrespondenz  ..............................................................................  100  

10. Verzeichnisse ............................................................................. 101   10.1   Abkürzungsverzeichnis  ............................................................  101   10.2   Abbildungsverzeichnis  .............................................................  102  

10. Anhang ....................................................................................... 103  

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VORWORT 1975 machte der oberste US-Diplomat in China eine erstaunliche Aussage. „Je mehr ich über die Transportprobleme in unserem Land nachdenke“ erklärte George Herbert Bush „desto mehr erkenne ich eine wichtige Rolle für das Fahrrad im amerikanischen Leben. […] Nachdem ich in China selbst sehr viel Fahrrad gefahren bin, bin überzeugt, dass es sich dabei um ein Verkehrsmittel handelt, das zugleich praktisch, ökonomisch, sauber und äusserst sinnvoll ist.“1 Das Fahrrad als Vision für Amerika? Ein Gefährt von gestern für die Zukunft? Low-Tech für die High-Tech-Nation und das kommunistische Entwicklungsland als Modell für die Supermacht des Westens? Dass Fortschritt stets eine Frage des Standpunkts ist, illustrieren die Debatten ums Fahrrad ideal. Mal schien es veraltet, dann zukunftweisend. Mal war es etwas für Ewiggestrige, dann für die Avantgarde. Und nicht selten war es alles zusammen. Sein Verschwinden in der Nachkriegszeit galt als Zeichen des Fortschritts. Oder war es ein Rückschritt? War seine Renaissance seit den 1970er-Jahren progressiv oder nostalgisch? Demnächst feiert das Fahrrad seinen 200. Geburtstag. Im Auf und Ab seiner Geschichte spiegeln sich Utopien, Ideale und simple Notwendigkeiten. Der Diplomat wurde 1988 zum Präsidenten gewählt. Und obschon George H. Bush keine erwähnenswerte Fahrradpolitik betrieb, spielt das Rad heute in amerikanischen Städten eine immer wichtigere Rolle. Vermutlich weil es sich dabei um ein Verkehrsmittel handelt, das zugleich praktisch, ökonomisch, sauber und äusserst sinnvoll ist.

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Dodge 1996: 186.

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1. EINLEITUNG Der vorliegende Text entstand aus einer Lizentiatsarbeit an der Universität Bern. In dieser wurde vor allem die Zeit der 1960er- und 1970er-Jahre bearbeitet. Da aber auch zur Vorgeschichte einiges Material anfiel wurde der Text für diese Publikation nun neu strukturiert, stellenweise verschlankt und andernorts ausgebaut.

1.1

Fragestellung

Ziel des Textes ist es, einen groben Überblick über die Geschichte des Fahrradfahrens in der Schweiz zu erstellen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit lässt sich für die Schweiz eine beeindruckende und ziemlich kontinuierliche Steigerung der Mobilität feststellen: 1950 legte der durchschnittliche Einwohner pro Tag 10.8km zurück. Im Jahr 2000 hatte sich die Distanz auf 42.4km vervierfacht.2 Schweizerinnen und Schweizer bewegten sich also jeden Tag 1m70 weiter, als am Tag zuvor. Zu dieser Entwicklung trug der motorisierte Individualverkehr den Löwenanteil bei: über 90 Prozent des Mobilitätswachstums entfielen auf Automobil und Motorrad.3 1950 kam ein Auto auf 32 Einwohner. Im Jahr 2000 eines auf zwei.4 Die Mobilitätsgeschichte der zweiten Jahrhunderthälfte ist keine Fahrradgeschichte, das Rad in der Verkehrsgeschichte kein wesentlicher Akteur. Im besten Fall ist es ein Seismograph. Trotzdem und gerade deshalb lohnt es sich, sich mit ihm zu befassen. Denn während andere Verkehrsträger eher kontinuierliche Entwicklungen durchmachten, halbierte sich die Zahl der Fahrräder pro Einwohner zwischen 1952 und 1971 beinahe und stieg danach ebenso rasant wieder an. 2

LITRA 2006. Die Statistik erfasst Personen über sechs Jahren und fusst teilweise auf Schätzungen. 3 LITRA 2006. Vom gesamten Mobilitätswachstum macht der motorisierte Individualverkehr 92% aus. 4.4% die Luftfahrt, 3.1% ÖV Schiene, 2.7% ÖV Strasse, -0.1% das Fahrrad und -2.5% der Fussgängerverkehr. 4 Siegenthaler 1996: 779.

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Abbildung 1: Fahrzeugbestände pro 1000 Einwohner. 1910-2000.5 Die obenstehende Grafik war der Ausgangspunkt meines Interesses für die Entwicklung des Radfahrens in der Schweiz. Sie dokumentiert zwar den ausgeprägten Rückgang und Wiederanstieg der Fahrräder pro Kopf in der zweiten Jahrhunderthälfte, verschweigt aber zugleich wie die Räder genutzt wurden, von wem, wozu oder welchen gesellschaftlichen Status das Rad innehatte. Kurz: die Grafik macht neugierig. Im Folgenden wird deshalb einerseits versucht ein nunancierteres Bild der Radfahrer und ihrer Geschichte im 20. Jahrhundert zu zeichnen. Zum andern geht es insbesondere darum, zu erklären, weshalb das Fahrrad in den 1960er-Jahren so sehr an Popularität verlor und wie es zum rasanten Comeback in den 1970er-Jahren kam. Die fundierte Einbettung in den verkehrshistorischen Gesamtkontext ist dafür dringend nötig. Denn eine Fahrradgeschichte ohne Einbezug der motorisierten Verkehrsteilnehmer ist spätestens ab 1930 art pour l’art. Ebenso unverzichtbar ist die Einbettung der Entwicklungen im Verkehrswesen in den grösseren ökonomischen und soziokulturellen Rahmen.

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Siegenthaler 1996: 198 und 779.

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1.2

Forschungsstand

Die Fahrradgeschichte ist für manche Zeiträume sehr gut aufgearbeitet – für andere wiederum fast gar nicht. So wurden ihre Anfänge von Erhard Lessing minutiös recherchiert. Für die Phase von etwa 1880 bis 1914 setzen die Werke von Rabenstein, Herlihy, Seray, Ebert oder Dodge Massstäbe auf sehr hohem Niveau.6 Dann allerdings wird die Literatur mit zunehmender Verbreitung des Fahrrads dünner. Als Arbeitergefährt der Zwischenkriegszeit generierte das Rad offenbar weniger Quellen und fand nicht mehr dasselbe Interesse der Geschichtsschreiber. Kaum ein Autor wagt den Panoramablick über das Rad im 20. Jahrhundert.7 Und auch internationale Vergleichsstudien bestehen bislang noch zu wenige.8 Besser sieht es bei Aufsätzen aus, wo insbesondere zu technikhistorischen Fragen verschiedene sehr gute Texte erschienen sind.9 Auch aktuelle Fragen zu Fahrradpolitik, zum Mix der Verkehrsträger und zu Massnahmen der Fahrradförderung sind gut dokumentiert, wenn auch oft ohne historische Perspektive. Insgesamt ungenügend ist der Forschungsstand zu Fahrrad und Radfahren nach 1914 und noch mehr nach 1945. Ausnahmen bilden einige Perlen wie Cortats „Condor“.10 Besser sieht die Lage bei Automobil-, Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte aus, die für den bearbeiteten Zeitraum gut untersucht sind. Hervorzuheben sind beispielsweise Sachs, Merki, Haefeli, Pohl, Zürcher oder Pfister.11 Desolat ist die Lage hingegen beim Mofa zu dem rundweg keine wissenschaftliche Literatur existiert. Texte zur Geschichte des Fahrradfahrens in der Schweiz sind selten. Solche über seine Krisenjahre und Renaissance international rar. Der vorliegende Text bietet eine Basis um diese Lücken zu schliessen. 6

Herlihy 2004; Rabenstein 1996; Seray 1988; Lessing 2003; Dodge 1996; Ebert 2010. 7 Ausnahme sind Rauck et al. die sich aber in Technischem und Anekdoten verheddern und die gesellschaftliche Bedeutung des Rades unreflektiert lassen. Rauck 1979. 8 Ausnahmen: Ebert 2010 sowie Dodge 1996: 192-200. Vgl. auch: Heyen-Perschon 2002. 9 Z.B. Rosen 1993; Pinch/Bijker 1984; Ruppert 1993. 10 Cortat 1998. 11 Sachs 1984; Haefeli 2008; Pohl 1988; Pfister 1995; Zürcher 1993: 333-350.

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1.3

Quellenlage

Die Quellensituation lässt Raum für Wünsche. Mal hinterliessen Fahrräder kaum Quellen weil sie omnipräsent waren (Zwischenkriegszeit) und mal, weil sie zu verschwinden drohten (Nachkriegszeit). Trotzdem ist die Lage nicht komplett düster. Die Zeitschriften der massgebende Radfahrer- und Gewerbeverbände finden sich fast vollständig in der Nationalbibliothek (NB). Weitere Bestände bestehen im Bundesarchiv (BAR), beim Schweizerischen Sozialarchiv (SozArch), beim Schweizerischen Wirtschaftsarchiv (SWA) sowie bei verschiedenen Staatsarchiven (StaBS, AdGE). Zeitungsberichte finden sich in den meisten Archiven erst ab den 1970er-Jahren. Bei den quantitativen Quellen ist die Lage dank der obligatorischen Fahrradnummern gut. Auch zu den Unfällen bestehen relativ differenzierte Angaben.12 Bedauerlich ist hingegen, dass Fahrräder verschiedentlich mit Mofas vermischt wurden, Unklarheiten bezüglich Schätzungen und Dunkelziffern bestehen sowie immer wieder methodische Mängel auftreten.13 So war beispielsweise der Stichtag für den „Mikrozensus Verkehr“ von 1970 im November. Die Aussagekraft des statistischen Materials sollte daher nicht überschätzt werden. Schlecht dokumentiert ist die Fahrradindustrie. Angaben zur Produktionspolitik, Angaben zu Kinder-, Damen-, Herren-, Sport-, und anderen Modellen könnten wertvolle Hinweise auf Nutzer und Nutzungsweise liefern. Aber die grossen Fahrradfirmen der Vergangenheit verfügen heute über kein Material mehr (Jeker & Haefeli, Tour de Suisse, Komenda) oder sind dem Strukturwandel zum Opfer gefallen (Cilo, Mondia).14 Auch die Mitgliederzeitschrift des Verbands der Fahrradhersteller, Grossisten und Importeure (VFGI) ging 1954 ein.

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Seit 1996 werden die Bestände bloss noch geschätzt. Die Vignetten wurden ab dann via Grossverteiler verkauft. Seit 2012 sind sie ganz abgeschafft. 13 SCOPE 1975; EVED 1983; BfS 2001. 14 Die von Cortat untersuchte Condor S.A. kann kaum als Beispiel dienen, da sie in den 1960er- und 1970er-Jahren bloss noch etwa 20% mit Fahrrädern, primär Armeerädern, umsetzte. Cortat 1998.

12

1.4

Methodik

Ziel der Arbeit ist es, den Wandel des Radfahrens im Kontext der wichtigsten verkehrs-, wirtschafts-, sozial- und umwelthistorischer Strömungen zu portraitieren. Dieser Kontext wird primär literaturbasiert herausgearbeitet, während beim Fahrrad der Fokus auf drei Zeitschriften liegt, dem „FMG-Fachblatt“, dem „Rad- und Motorsport“, und dem „Arbeiter-Touring“.15 Hinzu kommen zum Schluss der Studie das „Basler Veloblatt“ und ähnliche radpolitische Zeitschriften sowie für die gesamte Zeitspanne die Quellensammlungen des Bundesarchivs, des Wirtschafts- und des Sozialarchivs.16 Statistische Informationen stammen primär aus dem Statistischen Jahrbuch der Schweiz sowie auf mir direkt von den Behörden zugestelltem Material.17 Wo möglich werden die Daten nicht absolut sondern in Relation zur Bevölkerung präsentiert. Zu einzelnen Fragen wurde mit Prof. Peter Schiess (IG Velo) und Gallus Komenda (Komenda AG) Rücksprache gehalten, auf eine eigentliche Oral History wurde aber verzichtet. Im Lauf der Arbeit wurde zunächst das statistische Material erfasst und ausgewertet. Um zu sinnvollen Aussagen zu kommen wurden die quantitativen Resultate anschliessend mit den qualitativen Informationen aus dem Quellenstudium verschränkt.

1.5

Abgrenzung

Im Zentrum der Untersuchung standen zunächst Baisse und Renaissance des Fahrrades in den 1960er- und 1970er-Jahren. Allerdings franste das Thema im Schreibprozess mehr und mehr aus, sodass nun auch zu den Dekaden davor und danach einiges an Text produziert wurde. Explizit keine Priorität geniessen die Militärradfahrerei sowie die Sportgeschichte, zu beiden bestehen aber gute andere Werke. Auch

15

FMG-Fachblatt 1923-1989; Rad- und Motor-Sport (RMS) 1891-2000; ArbeiterRadfahrer 1916-1923 bzw. Arbeiter Touring (AT) 1924-1984. 16 Basler Veloblatt 1976-1980. 17 Siegenthaler 1996; ESA/BfS 1960-1980.

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technische Faktoren werden nicht à fond beleuchtet sondern nur insofern sie die Geschichte des Gebrauchs tangieren.18 Eine weitere Auslassung ist quellenbedingt: Reiseberichte sind selten, Aussagen über die gesellschaftliche Wahrnehmung des Rads schwer zu finden. Wie die Räder tatsächlich verwendet wurden, muss konstruiert werden. Was die Fahrenden dabei erlebten, fühlten, dachten, welche Kosenamen sie ihren Rädern verliehen … all das bleibt ein Geheimnis der Geschichte. Nicht gesondert behandelt werden Spezialkonstruktionen: Tandems, Liegeräder, Dreiräder und: Kinderräder. Bei Rädern, die von Personen unter sieben Jahren gefahren wurden, handelte es sich in den Augen des Gesetzgebers nämlich nicht um Verkehrsmittel, sondern um Spielzeug.19 Daraus folgt allerdings auch, dass die Zahl mit der in der Folge oft operiert wird – jene der Räder pro Einwohner – etwas zu tief angesetzt ist, da sich die Kinder aus der Bevölkerungsstatistik nicht rausrechnen lassen. Übrigens klammerte auch das Händlerkartell SFMGV die Kinderräder bei seinen Bestimmungen explizit aus.

1.6

Theoretische Bezüge

In „La roue et le stylo“ weist Catherine Bertho-Lavenir darauf hin, dass Radfahren eine soziale Praxis, ein soziales Konzept ist. Wer das Rad benützt, was er oder sie dabei erlebt und empfindet wird über gesellschaftliche Diskurse ausgehandelt, zu denen unter anderem auch Werbung, Gebrauch und Berichte gehören. Diese Konzepte wandeln sich. Welches geeignete Verwendungszwecke oder Fahrweisen, Strecken, Erlebnisse oder Rituale waren, wer die typischen Nutzer des Fahrrads waren, wird immer wieder neu definiert. Von diesen Prozessen hing auch ab, ob das Rad geschätzt wurde oder nicht, wann von wem, wie oft und wozu die Räder verwendet wurden.20

18

Siehe dazu Wilson 2004; Hildebrand 2009; Schröder 2002; Gubler 1993. Bundesgesetz über den Strassenverkehr vom 19. 12. 1958, Art. 19. Abs. 2, BBl vom 26.12.1958. Kinder unter sieben Jahren durften nicht auf öffentlichen Strassen radeln, ihre Räder brauchten keine Nummer und erschienen so in keinen Statistiken. Auch der SFMGV nahm Kinderräder von seinen Bestimmungen aus. 20 Bertho-Lavenir 2002. 19

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Die soziale Gefälligkeit erweist sich auch in technischen Belangen als entscheidend. So verweist die Techniksoziologie nach Latour darauf, dass nicht die objektive Beschaffenheit, sondern die gesellschaftliche Adaption technischer Geräte für deren Erfolg ausschlaggebend ist.21 Diese Erkenntnis lässt sich aufs Fahrrad hervorragend applizieren, wie Pinch/Bijker am Hochrad bzw. Rover, und Rosen am Beispiel des Mountainbikes gezeigt haben.22 Die daraus resultierende Social Construction of Technology-Theorie erwies sich für die Technikgeschichte des Fahrrads als nützlich. Im sozialen Bereich zeigt sich immer wieder, dass bestimmte Gruppen sich über den Konsum bestimmter Güter definieren. Die Exklusivität dieser Güter wird gemäss Bourdieu mittels der Akzentuierung kleiner Unterschiede zu erhalten versucht. Bourdieus Theorie der sozialen Distinktion erweist sich in verkehrssoziologischen Fragen als grundlegend.23

1.7

Sprache

Fahrradgeschichte ist kein akademisches Orchideenthema. Eine gute Lesbarkeit des Textes wird deshalb explizit angestrebt. Ich erlaube mir die Arbeit mit Synonymen, Sprachspielen und Ellipsen. Helvetismen werden nicht gänzlich vermieden, französische und englischen Zitate nur punktuell übersetzt. Allgemein wird ein generisches Maskulinum verwendet.24

21

Latour 1996. Rosen 1993: 479-513; Pinch/Bijker 1984. 23 Bourdieu 1979. 24 Das Maskulinum lässt sich auch inhaltlich rechtfertigen: Haefeli 2008: 69. 22

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2. FAHRRADFAHREN 1816-1910 Die Geschichte beginnt mit einem Knall. Als im April 1815 auf der indonesischen Insel Sumbawa der Tambora-Vulkan ausbrach, waren die Auswirkungen bis nach Europa spürbar: 1816 fiel der Sommer aus, Chronisten sprachen von einem „Schneesommerjahr“. Missernten, Hungersnöte, Unruhen folgten. In der Schweiz wurde der Notstand ausgerufen. Vielerorts verendete das Vieh. Namentlich Pferde konnten nicht mehr ernährt werden; der Haferpreis stieg massiv an.25 Diese Entwicklung veranlasste Karl Freiherr von Drais, einen badischen Forstaufseher und Tüftler, zur Entwicklung einer zweirädrigen Laufmaschine.26 Diese übertraf schon nach kurzem das Tempo der Postkutsche ums vierfache, setzte sich gemäss Eigenwerbung mehrfach im Direktvergleich gegen Pferde durch und verbreitete sich als „Hobby-“ oder „Dandy-Horse“ bald bis nach Frankreich, England oder Russland. Allerdings war die gesellschaftliche Wirkung der Draisine begrenzt. Sie blieb ein spleeniges Spielzeug für exzentrische Adlige.27 Es dauerte nochmals fast fünfzig Jahre, bis aus dem Laufrad ein Fahrrad wurde.28 Erst 1861 wurden der Maschine in der Werkstatt des Pariser Schmieds Pierre Michaux an der Vorderradnabe befestigte Pedale beigefügt.29 Auch die Strahlkraft der Michauline blieb limitiert 25

Pfister 1999: 153ff. Der Ausbruch des Tambora war die heftigste Eruption der letzten 20'000 Jahre. Die Wucht der Explosion wird aufs 170'000fache der Hiroshima-Bombe veranschlagt und war über 2'500km weit zu hören. Die austretende Asche (man spricht von 150km3) gelangte in die Atmosphäre und bestimmte das Weltklima des Folgejahrs (vgl. auch Krämer 2014). 26 Drais’ Experimentieren an sich hatte mit dem Schneesommerjahr wenig zu tun; er erprobte schon zuvor Wagen mit pferdelosem Antrieb. Allerdings dürfte der akute Pferdemangel dazu geführt haben, dass Drais vom Ersetzen des Pferdes am Wagen dazu überging, Wagen, Pferd und Reiter zu verschmelzen, wie es der Kulturhistoriker Krausse ausdrückt. Krausse 1993: 86. Zur Figur Drais’ und zur These der Verquickung zwischen Tambora-Vulkan und Laufmaschine: Seray 1988: 19-30, Lessing 2003. 27 Herlihy 2004: 75ff; Rauck 1979: 16ff. Krausse 1993: 85ff unterstreicht anerkennend das Kindische an Drais’ Erfindung, welche die Talfahrt im Leiterwagen, den Ritt auf dem Steckenpferd und das Vorwärtsfallen des Schlittschuhfahrens verbindet. 28 Rauck 1979: 13; Pötzsch 1995: 11ff. Alle Berichte über ältere FahrradErfindungen sind widerlegt. Wiegand 1997: 7. 29 Die meisten Autoren machen Michaux für die Erfindung verantwortlich, Herlihy favorisiert dessen Mechaniker Pierre Lallement (Herlihy 2004: 75ff). Frühere Fahr-

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bis Michaux sein Vélocipède 1867 an der Pariser Weltausstellung präsentierte, Grossinvestoren an Bord holte und auf industrielle Produktion umrüstete.30 In den Folgejahren wähnte sich die „Capitale du 19ème Siècle“ im Fahrradfieber. Michaux konnte die Nachfrage kaum decken. Adel, Geldadel und Intelligenzija waren begeistert vom kapriziösen (und teuren) Sport.31 Im Bois de Boulogne bildete sich die erste Radfahrerszene und im In- und Ausland entstanden neue Fahrradfirmen. Es folgte eine schnelle Entwicklung. Das Fahrradgewerbe mutierte vom Tüftlermetier zur Leitindustrie, von der später Automobil-, Flugzeug- und Brückenbau massgeblich profitierten.32 Dann, 1870, geriet Frankreich in einen Krieg mit Preussen. Coventry wurde zum neuen Zentrum der „kleinen Königin“.33 Hier entwickelten innovative Ingenieure um den Nähmaschinen-Pionier James Starley das Gefährt weiter.34 1871 präsentierte dieser „Ariel“: ein Hochrad mit Drahtspeichen und Vollgummireifen.35 Die nächsten Jahre gehörten dem Hochrad, das sich als technisch ausgereifter, ruhiger und (der grösseren Übersetzung wegen) praktischer erwies, als Michaux‘ niedriger „Knochenschüttler“. James‘ Neffe John Starley präsentierte 1884 das Niederrad „Rover“, bei dem die Kraft mittels einer Kette übertragen wurde. Dieses wiederum wurde wenig später durch das leicht modifizierte „Safety“ abgelöst.36 Allerdings: die Entwicklung verlief nicht so linear wie gerade skizziert. Elemente der Maschine wurden von Tüftlern stets aufs Neue getestet, kombiniert und wieder verworfen. Auf den Strassen war ein räder sind entweder gefälscht (Capretti, Artamov), umstritten (Lefebvre), oder bleiben ohne Wirkung (Mac Millan, Mc Call). 30 Die Jahresproduktion von 1865 wurde drei Jahre später alle zwei Tage gefertigt. Neyer 1986: 62. 31 Krausse 1986: 52 sowie Bury/Hillier 1891 nach Rabenstein 1995: 47. 32 Neyer 1986: 64ff, Krausse 1993: 62. 33 Krausse 1993: 62. 34 Zu Starley vgl. Krausse 1993: 110ff; Rauck 1979: 45ff; Herlihy 2004: 235ff. 35 Das erste Hochrad „Ariel“ kombinierte bestehende Inventionen, darunter den seit 1845 existierenden Vollgummireifen. Drahtspeichen waren schon 1870 beim „Phantom“ zum Einsatz gekommen. Bei diesen wurde die Nabe nicht aufgestützt sondern aufgehängt und die Belastung so gleichmässig auf die Felge verteilt – eine kopernikanische Wende im Radbau. Krausse 1993: 67f. 36 Pinch/Bijker 1984: 399-441.

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Mix verschiedenster Modelle zu sehen und es waren vielfältige Faktoren die darüber entschieden, welches Prinzip sich durchsetzte. So waren beispielsweise Niederräder mit Kettenantrieb den Hochrädern unterlegen, solange es keine Luftgummireifen gab. Lederummantelte Reifen hingegen gab es bereits in den 1840er-Jahren, aber nur zu horrenden Preisen.37 Inventionen wurden gerne auf Messen präsentiert, behaupten mussten sie sich aber im Staub der Rennbahn. Das vom Pferdesport übernommene Wettbewerbsprinzip war Testarena, Marketingplattform und: ungemein populär. Hier setzte sich Dunlops luftgefüllter Reifen durch, das Hochrad, das Niederrad, die Kette, der Diamantrahmen.38 Und während im Rund Hersteller, Fahrer und Modelle ihr „survival of the fittest“ austrugen, sprang auf den Tribünen und an den Strassenrändern der Funke. Hunderte begannen, von diesen klobig-grazilen, flinken Maschinen zu träumen.39 Fahrradtechnik und –nutzung standen im Wechselspiel. Zwischen 1820 und 1890 gewann das Rad beeindruckende 0,5m/s je Dekade an Geschwindigkeit, verlor an Gewicht und steigerte die Effizienz der Kraftübertragung.40 Und doch greift die vielen „Fahrradgeschichten“ inhärente techno-darwinistische Teleologie, welche die stete Verbesserung der Energieeffizienz als Motor aller Neuerungen sieht, zu kurz.41 Denn die Entwicklung des Rades orientierte sich nur zum Teil an technischen Kriterien. Auch Fahrerinnen und Fahrer beeinflussten die Entwicklung des Gefährts.42 So setzte sich unter dem Einfluss junger Aristokraten das machoide Hochrad gegen andere valable Modelle durch. Als sich immer mehr Frauen und ältere Menschen fürs Radfahren zu interessieren begannen, wurde es vom Niederrad verdrängt. Und dies obschon die Rover-Räder schwerer und ineffizienter waren als die Hochräder. Erst das Safety-Rad brachte bessere Eigenschaften mit sich. Mehr noch: mit seinem Auftauchen 37

Klose 2003: 121. Krausse 1993: 63. 39 zur Bedeutung des Radsports für das Fahrrad siehe Rabenstein 1996. 40 Minetti 2001: 1358. 41 van Nierop 1997: 256ff. 42 Pinch/Bijker 1984; Rosen 1993: 485; Minetti 2001: 4ff. Dem Hochrad stand 1870 unter anderen das technisch ausgefeiltere Meyer-Guilmet-Rad (mit Kette und niederem Rahmen) gegenüber. 38

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verschwand das breite Spektrum an Rahmenformen, Antriebsmechaniken, an zwei-, drei- und vierrädrigen Modellen der 1880-er Jahre. Das Gefährt war definiert: „das Fahrrad“ ist ein Safety.43 Um 1890 war das Gerät also soweit, dass es für eine grössere Käuferschicht attraktiv war. Es war leicht und pannenarm genug für grössere Ausfahrten und Produktion und Handel begannen zu boomen.44 In den folgenden circa 20 Jahren entfaltete das Fahrrad seine grösste soziale Strahlkraft. Veloclubs, Velozeitungen, Velorennen, Velomode, Veloverbände, Velofahrschulen, Velokarikaturen, Veloromane, Veloplakate.45 Es entstand ein Hype und die Presse sah bereits „jedermann auf dem Rad“.46 Radler wurden Teil des Stadtbildes, der Parks und nach und nach auch der Landschaft.47 Distanzrennen und grosse Rundfahrten lockten tausende von Zuschauern an und ihre Sieger wurden über Nacht zu gefeierten Helden.48 Bedürfte die Belle Epoque eines Wappentiers: es wäre das Fahrrad. Twain, Wells, Einstein, Tolstoi: alle waren sie begeistert von der Maschine.49 Nichts verkörperte das Lebensgefühl der Zeit so gut, wie dieses elegante, moderne, scheinbar schwerelose Ding.50 An ihm kristallisierten sich die Hoffnungen und Träume der Zeitgenossen. Nicht weniger als die Lösung der Sozialen Frage,51 die Erziehung des Bür43

van Nierop 1997. Technisch noch effizienter wären Liegeräder gewesen, die sich aber aus Sicherheitsgründen nicht durchsetzen konnten. 44 In Frankreich waren 1890 50'000 und 1900 eine Million Fahrräder unterwegs. Seray 1988: 18f. 45 Offensichtlich konnte es sich die Branche leisten die immer noch kleine Käuferschaft über Plakate anzusprechen. Zu Plakaten vgl. Rennert 1974: 3. 46 Rabenstein 1996: 58f. Zahlen und Worte sind oft nicht deckungsgleich. Der „Boom“ der 1890er-Jahre fand auf tiefem Niveau statt. In Frankreich stieg der Anteil der Radbesitzer in der Bevölkerung von 1.4‰ auf 2.6%, in der Schweiz verfügten 1900 etwa 1.4% der Menschen über ein Rad (Seray 1988: 155; RdTCS 1901: 33). 47 Rabenstein 1996: 58. 48 Rabenstein 1996 S 71ff sowie Krausse, in Neyer 1986: 73. 49 Twain und Wells schrieben wiederholt über Fahrräder und Einstein kokettierte, er habe die Idee für die Relativitätstheorie beim Fahrradfahren gehabt. Tolstoi wiederum schrieb „Habe angefangen, in der Manege [Fahrschule] Rad fahren zu lernen [...]. Ich bereue es nicht, im Gegenteil, ich fühle, hier ist natürliche Narrheit im Spiel, und mir ist gleichgültig, was andere darüber denken, außerdem macht es mir einfach ganz harmlos und kindisch Spaß.“ Vgl. Meyer 2007: 3. 50 Rabenstein 1996: 47; Bertho-Lavenir 1999: 89. 51 Bertz 1900: 17ff.

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gers,52 die Nivellierung der Klassen- und Landesgrenzen,53 die Heilung von „Vermassung“ und „Entfremdung“ in der industrialisierten Welt sollte die „petite reine“ ermöglichen, ja manche versprachen sich gar den Brückenschlag zwischen Moderne und Romantik, die Rückeroberung des Paradieses qua Technik.54 Das Rad, so schien es, drehte sich in Richtung einer besseren Welt und sein Besitz versprach den Zugang zu einer glücklicheren Gesellschaft. Fahrrad-Ausfahrten mutierten zu Zeichen einer neuen Zeit, die soviel sinnlicher, natürlicher, individueller, freier und spielerischer sein sollte, als das Zeitalter der schweren, stinkenden und auf Massen ausgelegten Eisenbahn.55 Die Anti-Eisenbahn-Rhetorik, das Unbehagen an der Moderne war unter den frühen Radlern verbreitet. Und doch: die Velozipedisten waren ein modernes Phänomen und nutzten die Bahn komplementär zum Rad.56 Die Verbreitung des Fahrrads lieferte auch wichtige soziale Impulse. Sie beschleunigte den Transport, erlaubte grössere Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsstätten und erweiterte auch das soziale Handlungsfeld der Akteure. Insbesondere die Emanzipation der Frauen kam voran. Radlerinnen tauschten Rock gegen Hose und entzogen sich auf zwei Rädern den Blicken und sozialen Zwängen ihrer Zeit.57 Mit räumlicher Mobilität ging auch soziale Unabhängigkeit einher – Bewegungsfreiheit und persönliche Freiheit bedienten einander.

52

Bertz 1900: 150ff. Rabenstein 1995: 52. 54 Vgl. Bertz 1900 sowie Rabenstein 1995: 52. 55 Zur Eisenbahnkritik schreibt Schivelbusch 2004: 52f: „Die Geschwindigkeit und die mathematische Geradlinigkeit, mit der sie durch die Landschaft schiesst zerstören das innige Verhältnis zwischen Reisendem und durchreistem Raum. Der Landschaftsraum wird zum durchreisten Raum. […] Dieser Verlust der Landschaft betrifft alle Sinne, (die) Gerüche, Geräusche, Synästhesien gar, wie sie für den Reisenden der Goethezeit zum Weg gehörten, entfallen.“ Die Bahn negierte Hügel, Täler, Wind und Wetter. Vor ihren Fenstern verschwomm die Landschaft zu Klecksen, sodass Heinrich Heine konstatiert, die Eisenbahn habe den Raum getötet und nur die Zeit übrig gelassen (Kaschuba, 2004: 95). 56 Meyer 2007: 14f. Zum Begriff der Moderne vgl. Brunner 2004: 93-131. 57 Maierhof 1992; Hochmuth 1991: 20ff; Rabenstein 1996: 130ff. 53

20

In der allgemeinen Fahrrad-Euphorie gerieten die Velogegner nach und nach in Vergessenheit.58 Selbst auf dem Land gewöhnte man sich an die rasenden Flaneure.59 Das Fahrrad war auf dem Höhepunkt seiner gesellschaftlichen Wirkung. Sogar die Armeen interessierten sich für das Gefährt, das gegenüber dem Pferd einige Vorzüge aufwies.60 Aber auch die Post, Depeschenagenturen, Bäcker, Zeitungsverteiler, das grosse und kleine Gewerbe und überhaupt so ziemlich jeder hatte Verwendung für eines der nützlichen Gefährte.61 Und das nicht nur in Europa: Bereits zur Jahrhundertwende vermuteten findige Geschäftsleute in China, Indien, Japan und den Kolonien überhaupt die Absatzmärkte der Zukunft und investierten entsprechend in den Export und den Aufbau eigener Industrien.62

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Klavierlehrer, Pferdezüchter, Hutmacher gaben ihre Opposition auf, Kirchen und kommunistische Verbände mussten sich der Beliebtheit des Rades bei ihren Mitgliedern beugen. Rabenstein 1996: 104; Bertho-Lavenir 1999: 92f. 59 Bauern beklagten sich über den Staub und scheuende Pferde. Mitunter versuchten sie den Radlern Stöcke in die Speichen zu werfen. Gegen Hunde wurden Radfahrern kleine Knallkörper angeboten. Vgl. RdTCS, 1897. 60 Vgl. Rauck 1979: 86ff. 61 Herlihy 2004: 316ff; Rabenstein 1995: 49. 62 Herlihy 2004: 310.

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3. FAHRRADFAHREN 1910-1945 3.1

Der Aufstieg zum Alltagsvehikel

Etwa um 1910 war der Hype vorbei. Unvermittelt und paradoxerweise. Denn die Bestände stiegen weiter steil an. Doch mit der Popularisierung ging auch eine Proletarisierung einher. Die Industrie musste sich anpassen: von der Produktion eines Luxusgutes zur Herstellung eines Gebrauchsgegenstandes. Das Fahrrad verlor an Glanz, Preis und Prestige.63 Noch vor dem Ersten Weltkrieg änderte sich auch das Gefährt. Separate Bremse, Gangschaltung und geschwungener Lenker machten das Fahrrad stadttauglicher und gemütlicher.64 Das Rad wurde zum Alltagsgut. Nicht Rennen oder Touren, sondern profanes Pendeln, innerstädtische Mobilität standen nun im Zentrum. Modernität, Aufbruch und Abenteuer wurden nun eher mit Automobil oder Aviatik verbunden, als mit dem vergleichsweise unscheinbaren Fahrrad. Die neuen Leitbilder der Moderne waren motorisiert und wer es sich leisten konnte, sattelte um. Fahrräder beeindruckten niemanden mehr. Dabei lag in der Popularisierung des Fahrrads sein eigentlicher Erfolg. Indem es zusehends auch für Angestellte und Arbeiter erschwinglich wurde, wurde die Gesellschaft als ganze mobiler. Das ermöglichte den Bau neuer Aussenquartiere, liess die Mieten sinken und verbesserte die Wohnsituation der städtischen Bevölkerung.65 Radfahrer prägten das Strassenbild der zwanziger und dreissiger Jahre; insbesondere wenn sie sich zu den Stosszeiten zu tausenden gleichzeitig auf den Weg machten oder sonntags, wenn Heerscharen von Städtern Erholung suchten auf dem Land.66 Bald war das Fahrrad überall –

63

Biesendahl (nach Rabenstein 1995) schätzt, dass ein Rad 1900 noch die Hälfte, 1911 noch einen Achtel des Preises von 1890 kostete. 64 Herlihy 2004: 311f. 65 So schrieb die westschweizer Fahrradzeitung „La Pédale“ 1898: „l’on voit ainsi quantité de personnes, petits employés, ouvriers, travaillant en ville, ne pas craindre d’aller habiter très loin du centre pour échapper à la cherté des logements.“ Cortat, 1998: 68; Rabenstein 1995: 51. 66 Automobil-Revue, 24.3.1938, Strasse und Verkehr, 1939: 306. Die Legende, das „Radler“ (Panaché) Biermischgetränk sei 1922 von einem angesichts schönen Wetters und durstiger Kehlen in Nöte gekommenen Gastwirt unweit Münchens erfunden

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und wurde genau deshalb kaum mehr wahrgenommen. Je populärer es wurde, desto mehr geriet es in den Hintergrund. Das ehemalige Dandy-Horse des Adels und spätere Stahlross des Bürgertums wurde zum Drahtesel der arbeitenden Klassen. Fortschritt und Fahrrad gingen getrennte Wege.67 Was jeder hatte, war nicht mehr attraktiv. Zwar hoben Dadaisten und Surrealisten das Fahrrad nochmals auf den Schild, huldigten seiner harmlosen Alltäglichkeit und seiner ästhetischen Perfektion. Duchamps entwickelte am ihm sein „Ready-Made“.68 Grosz, Ernst, Magritte, Picasso, Tinguely, Le Corbusier feierten es – und grenzten sich damit auch von den Futuristen ab, die aufs Auto setzten.69 Denn soviel war mittlerweile klar: „Die Zukunft des Volkes“70 lag nicht im Veloziped (wie der Ruf noch zur Jahrhundertwende gegangen war) sondern im Automobil. Langsam aber sicher zog das Auto die Träume und Hoffnungen der Menschen auf sich, versprach es doch Mobilität, Raumerfahrung und Genuss des Fahrradfahrens ins Unendliche zu steigern.71 Noch zur Jahrhundertwende hatte sich das Auto am Fahrrad orientiert, hatte Technik, Know-How, Pioniere, Bestandteile, Marketing und schliesslich die Fahrer selbst übernommen.72 Die Wägen Daimlers, Benz’, Maybachs waren funktional gewesen, leicht und: sie hatten sich kaum verkauft. Erst mit der Motorisierung repräsentativer

worden, ist zwar nachweislich falsch, illustriert aber das Ausmass welches dies sonntäglichen Fahrradausflüge in den 1920er-Jahren erreichten. 67 Di Falco 2002: 97: "[In der Werbung der 1930er-Jahre haben sich] Prometheus und Flügelrad, Halbgöttinnen und Strahlenbündel [...] vom Fahrrad verabschiedet – ein untrügliches Zeichen dafür, dass diese Bewegungsmaschine viel an Faszination verloren hat und in den Köpfen der Zeitgenossen zu einem profanen Gebrauchsvehikel abgemagert ist. Was immer auch das Fahrrad weiterhin an symbolischimaginärem Konsum versprechen mag: Die "Herrschaft über Zeit und Raum" ist nicht mehr seine Sache". 68 Bei der Kunstform des „ready made“ oder „objet trouvé“ werden Alltagsgegenstände oder Weggeworfenes neu zusammengefügt. 69 Brunsiek 1995: 79ff; Krausse 1993: 68; zum Futurismus Ruppert 1993: 138. 70 Rabenstein 1995. 71 Sachs 1984: 127 "[...] die Anziehungskraft des Autos [wurde] auch aus dem Fahrradgefühl heraus [genährt]. Das Stahlross brach für die breiten Massen die gewohnten Grenzen der Raumerfahrung auf und setzte Wünsche nach erweiterter Unabhängigkeit in Bewegung. […] Das Fahrrad mobilisierte die Wünsche fürs Auto." 72 Burri 1998: 4f. Meyer 2014a.

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Kutschen, war das Ansehen des Automobils gestiegen.73 Es war schwerer geworden, komplexer und exklusiver. Und damit vom Kuriosum zum Prestigeobjekt. 1920 stand das Auto vor einer ersten – auf die Oberschicht begrenzten – Popularisierungswelle. Es gewann an Zahl und Einfluss und bestimmte 10 Jahre später wenigstens in den Städten bereits das Verkehrsgeschehen. Radfahrer waren fortan gehalten, stets einen Blick auf vorbeirauschende Autos zu werfen. Fahrradhistoriker tun gut daran, es ihnen gleich zu tun. Aus Sicherheitsgründen.

3.2

Radwege: Freiheit, Verbannung, Utopie?

Mehr und mehr wurde die Fahrradgeschichte nun vom Automobil bestimmt. Dabei war das Verhältnis zwischen Rad- und Autofahrern durchaus widersprüchlich. Zunächst dominierte das Gemeinsame: beide frönten derselben „Mobilitätsideologie“ (Merki) und hatten vor allem zwei Interessen: verkehrsfreundliche Gesetze und den Bau möglichst zahlreicher und guter Strassen.74 Dafür zählten die Radfahrer auf das Geld aus den Benzinsteuern75 und die Autofahrer auf den Support der Radler an der Urne.76 Erst ab Ende der 1920er-Jahre fiel auch Trennendes zusehends ins Gewicht. Wer hatte wieviel Recht auf den Strassenraum? Und wer hatte auf wen zu achten? Das Aufkommen des Automobils prägte das Geschehen auf den Strassen. Zwar wurde zunächst noch versucht, das neue Gefährt ins bestehende Verkehrsgefüge einzubinden, frühe Tempolimiten orientierten sich beispielsweise am Pferd.77 Doch mit der boomartigen Verbreitung und den steigenden Geschwindigkeiten akzentuierten sich im Verlauf der 1920er-Jahre die Tempounterschiede, Konflikte und Unfälle unter den Strassenbenützern.78 Reiter, Fuhrwerke und Leiterwa73

Rauck 1979: 221. Merki 1995: 319f. 75 Merki 1995: 311ff sowie Meyer 2014b. 76 Zu den Allianzen vgl. Nussbaum 1989 sowie Merki 1995: 320. 77 Merki 2004: 10, Merki 1998: 240ff. 78 Messungen auf der mittleren Basler Rheinbrücke ergaben für den nicht-FahrradVerkehr ein Durchschnittstempo von 5km/h 1901, 12km/h 1923, 24km/h 1929 und 28km/h 1934. Schweizweit nahmen die Unfälle von 2300 1926 auf 3750 1930 zu. Nussbaum 1989: 94f; Strasse und Verkehr, 21/1939: 135 74

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gen verschwanden nach und nach aus dem Stadtbild und auch die Radfahrer waren gezwungen mit den immer forscher auftretenden neuen Herren der Strasse ein Arrangement zu suchen.79 „[Es gibt zwei Mittel] um dem Tod auf der Strasse entgegenzutreten“ erklärte der SRB 1931 „1. Erziehung aller Strassenbenützer zur Verkehrsdisziplin. 2. Aufteilung der Strassenfläche in verschiedene Fahrstreifen nach der Formel: jeder Verkehrsart ihr besonderer Fahrstreifen. Für uns Radfahrer heisst es also: Schaffung von Radfahrwegen.”80 Tatsächlich hatte der SRB bereit 1928 die Initiative ergriffen und warb seither unermüdlich und mit wenig Erfolg für den Bau von Radwegen.81 Die Arbeiten harzten, das Netz blieb bestenfalls Flickwerk. Und dies, obwohl sich auch die Autoverbände zumindest verbal vehement für die Schaffung separater Verkehrsräume für Rad und Auto einsetzten. Den Radfahrern fehlte es an politischem Gewicht und finanzieller Potenz um ihr Anliegen wirklich durchzusetzen.82 In den 1930er-Jahren ereignete sich dann Sonderbares. Denn infolge der Weltwirtschaftskrise wuchs die Zahl der Autos auf den Strassen nur noch mit 2.4 Prozent jährlich83 während das Fahrrad auf ungleich höherem Niveau nochmals um 5.2% pro Jahr zulegte.84 Statistisch verbesserte sich die Position des Fahrrads: war 1930 noch ein Auto auf 13.6 Räder gekommen, so war es 1939 nur noch eines auf 16.7. Die Motorisierung stockte also. Trotzdem verschärften die Automobilisten den Tonfall. Die konkurrierenden Partner gerieten zusehends an einander. 79

Merki 2002: 417, 422f. SRB 1931: 5. 81 Der erste Radweg wurde 1929 eröffnet. Nach eigenem Bekunden ergriff der SRB gar schon 1901 die Initiative, eine Aussage ist auch von 1923 erhalten. Wirkliches Engagement ist aber erst ab 1928 erkennbar. 82 Merki 2005; Antoniazzi 1996; SRB 1982. Das mangelnde Gewicht lag auch an der schlechten Organisation der Radfahrer. Werden Fahrzeugbestände mit der Zahl der Vereinsmitglieder verrechnet (woraus nur ein Schätzwert abgeleitet werden kann), vertrat der SRB nie mehr als 9% der Radler, in den 1930er-Jahren noch rund 5-6.5% und zwischen 1945 und 1980 nur noch 3-3.5%. Demgegenüber vereinigte der TCS schon in der Zwischenkriegszeit 60% der Autofahrer, mitte der 1950er-Jahre gar gegen 90%! 83 In den 1920er-Jahren waren es noch 22% gewesen. 84 Siegenthaler 1996: 779. Auf 1000 Einwohner kamen 1920 2.3 Autos und etwa 115 Fahrräder; 1930 15 Autos und 202 Räder und 1939 18 Autos und 305 Räder. 80

25

Dabei wussten die Motorfahrer, dass sie in der stärkeren Position waren. Ihre Maschinen waren schwerer, stärker und schneller geworden und die ACS- und TCS-Hausblätter forderten nun eindringlich: „cyclistes, à vos pistes!“.85 Dafür fehlten aber einerseits die Radwege und andererseits der Wille. Denn die Reservate stiessen bei den Velofahrern auf zwiespältige Sympathie.86 Schutz und Verbannung gingen Hand in Hand, mehr Sicherheit bedeutete weniger Fahrkomfort und Raum.87 Zwar warben SRB und ATB stark für die Sonderbahnen, zwar verpflichtete auch das Bundesgericht die Radler die Wege zu benützen.88 Doch bei gerade mal 151km Radwegen (1938) wirkte beides einigermassen hilflos.89

3.3

Zweiter Weltkrieg

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erübrigte sich die Verkehrsfrage kurzfristig. Die Zahl der eingelösten Privatwagen sank auf das Niveau von 1922, gleichzeitig konnte das Fahrrad erst noch zulegen, um dann infolge des Kautschukmangels auf hohem Niveau bei leicht sinkender Tendenz zu stagnieren.90 Mehr als jeder Dritte besass nun ein Rad, und die Velos wurden intensiv benutzt.91 So traten etwa in Zürich oder St. Gallen ernsthafte Parkplatzprobleme auf.92 Zugleich kamen zahlreiche Männer dank der Armee erstmals in Kon85

Touring vom 19.8.38, Revue Automobile vom 17.8.1938. Revue Automobile vom 29.12.1938, Touring, 6.7.1939. Noch Ende der 1940erJahre wurden in Luzern Schilder mit der Aufforderung zum Kolonnenfahren demoliert. Basler Nachrichten 506/1954. 87 Der Bau von Radwegen allein ist kein Wundermittel zur Förderung des Radfahrens. In Shanghai und Canton etwa ging der Radwegbau einer Verminderung der Anzahl Radfahrer einher. Carré 1998: 161f. 88 BG-Entscheid vom 28.10.1937, BAR E 4261 (A) 1982/100 Bd. 52 AZ 11.05.12: Fahrradwege. 89 Revue Automobile vom 2.8.1939; Autostrasse vom 3.3.1939. Zu diesem Zeitpunkt verfügten 13 von 25 Ständen über gar keine Radwege. Radfahrer beklagten sich überdies darüber, dass die Radwege oft auch von Fussgängern und Leiterwagen und Mülltonnen mitbenützt wurden. Touring vom 6.7.1939. 90 Baumgartner, 1946. 91 NZ vom 17. Juli 1941. 92 BAR E 4261 (A) 1982/100 Bd. 52. AZ 11.05.12 Fahrrad. Beschluss Nr. 2832 des Stadtrates St. Gallen vom 23.9.1941. sowie Volksrecht 218/1945. 86

26

takt mit Autos oder Lastwagen, der Historiker Robert Braunschweig spricht von einer „ersten Vollmotorisierung“ im Krieg. Eine Erfahrung welche den Durchbruch der Motorfahrzeuge in den nächsten Dekaden wesentlich begünstigte.93

93

Braunschweig, 1988: 83.

27

4. FAHRRADFAHREN 1945-1968 Nach Kriegsende wandelte sich die Lage ruckartig. 1952 hatte sich die Zahl der Automobile bereits mehr als verdreifacht, mit weiter stark steigender Tendenz. Dass das Rad im selben Jahr mit 386 Stück pro 1000 Einwohner seinen Zenit erreichte, war vor diesem Hintergrund kaum mehr als eine Randnotiz.94

Abbildung 2: Zuwachszahlen für Autos und Fahrräder.95 Angesichts der stürmischen Motorisierung verlor das Fahrrad rapide an Gewicht. Und den Velo-Verbänden gelang es immer weniger, ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Auch der Support der Motorfahrer nahm spürbar ab, die Allianz zeigte immer deutlichere Risse. Zwar gelangten SRB, ATB, TCS, ACS und BfU noch 1952 mit einer gemeinsamen Resolution an die Kantone, die den Bau von Radwegen zur „conditio sine qua non jedes vernünftigen Strassenbaus“ erklärte.96

94

Siegenthaler 1996: 779f. Siegenthaler 1996: 779f. 96 Automobil-Revue 43/1951. Als Impuls wollte ATB-Präsident Iseli die 17 Millionen Franken verwenden, die sich bei der Radfahrerhaftpflichtversicherung als Überschuss angesammelt hatten. Die Reaktionen der Kantone fielen lau aus. Eine ähnliche Eingabe beim Eidg. Oberbauinspektorat blieb 1956 erfolglos: die Behörde beschied, man hätte den Radwegbau „früher“ angehen sollen. Eine Aussage die zum Refrain der Radwegbemühungen wurde. FuM 1956: 3470ff. 95

28

Doch der Erfolg blieb bescheiden.97 Das Radwegnetz wurde bis 1955 (1959) auf 250km (327km) ausgebaut, was im internationalen Vergleich eher wenig war, vor allem aber blieb die Qualität der Strecken schlecht.98 So sprach die Automobil-Revue nach einer Probe-Radfahrt von behördlicher „Stümperei“ und kam zum Schluss: „Die Radwege sind, so wie sie heute benutzt werden sollten, auferlegter Nonsens.“99

Abbildung 3: Velowege in der Schweiz.100 Während die Automobilverbände massiv an Einfluss zulegen konnten, wurden die Radfahrer zusehends zur Quantité Négligeable. Und der schleppende Radwegbau machte deutlich, dass der Verteilungskampf auf der Strasse nicht über bauliche Eingriffe gelöst werden würde. In den Vordergrund traten daher schärfere Gesetze und „erzieherische“ Massnahmen.

97

AT 15/1955: „Man machte den Radfahrern schöne und nichtssagende Versprechungen und dabei blieb es.“. 98 Zumindest Deutschland und die Niederlande verfügten bereits in der Zwischenkriegszeit über deutlich besser ausgebaute Radwege. Im Ruhrgebiet etwa bestand ein grossflächiges Netz, basierend auf Verkehrszählungen. Seidensticker 1937. 99 Automobil-Revue, 42/1949. Hervorhebung gemäss Original. Dem Urteil voraus ging eine Fahrt von Zürich nach Uster. Auf 10km sollte die vielbefahrene Landstrasse viermal überquert werden, die Radwege liessen keinen Gegenverkehr zu und hörten mitunter unvermittelt auf. 100 Revue Automobile vom 2.8.1938 und 9.6.1955; FMG-Fachblatt 3/1968, 26/1965, 1972: 164, 1975: 225; SHZ vom 7.10.1982. Die Daten wurden vom SRB in unregelmässigem Abstand bei den kantonalen Behörden erfragt.

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Solche wurden nun von Automobilistenseite immer dringender gefordert und von den Behörden schrittweise umgesetzt. Die Radfahrer wurden spürbar härter in die Pflicht genommen.101 Ab 1944 wurden kantonale Fahrradgesetze eingeführt, die restriktiver waren als das Eidgenössische von 1932.102 Darüber hinaus führten immer mehr Kantone Radfahrerprüfungen103 ein, um die wiederholt monierte „Disziplinlosigkeit“, „Missachtung der Verkehrsregeln“ und „mutwillige Verkehrsbehinderung“ durch die Radfahrenden zu bekämpfen.104 Die in dieser Debatte über Radwege, Fahrradprüfungen und Verkehrsgesetze oft bemühte Frage der Verkehrssicherheit war dabei Feigenblatt und echtes Anliegen. Gewiss ging es darum, die Unfallzahlen tief zu halten. Erreicht wurde dies aber letztlich dadurch, dass möglichst alles, was durchs Automobil verletzt werden konnte, von der Strasse verdrängt, verlagert, wegbeordert wurde. „Es geht“ analysierte der „Radsport“ trocken „um mehr Platz fürs Automobil“.105 Die TCSRevue hingegen sah in den Radfahrenden einfach nur „Verkehrshindernisse“106 und verdeutlichte damit die neue Prämisse: Verkehr bedeutete Autoverkehr. Fahrräder hatten darin ihren Platz verloren.107 „In Verkehrsregeln und Zebrastreifen, in Ampelschaltungen und Fahrbahnbreiten“ so der Kulturhistoriker Wolfgang Kaschuba „[drücken sich] letztlich gesellschaftliche Diskurse darüber aus, wer wo Vorfahrt haben soll im sozialen Raum.“108 Den Automobilisten gelang es in der Nachkriegszeit immer deutlicher, ihre Ansprüche de facto und de jure durchzusetzen. Es war eine Art Klassenkampf von oben, in 101

Automobil-Revue 26/1952. Gemäss Merki 1995: 320 fiel das Gesetz von 1932 u.a. deshalb recht fahrradfreundlich aus, weil es ohne die Unterstützung der Radler an der Urne nicht gutgeheissen worden wäre. 103 BAR E 4261 (A) 1982/100 Bd. 52 AZ 11.05.14 : Fahrprüfungen für Radfahrer und Kontrolle der Fahrradausrüstung. 104 Automobil-Revue vom 24.6.1941, 8.7.1941, 15. 3. 1944, 29.8.1945. Radsport vom 30.10.1940. Engagierteste Kraft in diesem Diskurs war der ACS dem u.a. auch ein Fussgängerverkehrsgesetz vorschwebte. Auch der SRB diskutierte die Einführung persönlicher Nummernschilder und führte freiwillige Verkehrsprüfungen durch. 105 Radsport 30/1952. 106 Touring 27/1948. 107 Deutlich wird dies etwa am faktischen Verbot von Kolonnenfahrten nach dem Krieg. BAR E 4261 (A) 1982/100 Bd. 52 AZ 11.05.10 ‚Radfahrerkolonnen. Korrespondenz mit dem Arbeiter-Touring Club „Solidarität“ 1937-1946’. 108 Kaschuba 2004: 222. 102

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dessen Verlauf sich die Radfahrer mehr und mehr an den Rand gedrängt sahen.109 Während ländliche Gebiete erst schwach motorisiert waren, gestaltete sich der Konflikt um den Strassenraum in den Städten akuter. Diese gingen in der Anti-Fahrrad-Haltung denn auch am weitesten: So gebot etwa die Stadt Bern ihren Cyclisten, auch innerhalb der Radstreifen „am äussersten rechten Rand“ zu fahren, verbot das stehen lassen von Rädern auf öffentlichem Grund nach 04.00 Uhr, auf Autoparkplätzen sowie überall da, wo sie den übrigen Verkehr (Fahrzeug-, Fussgängerverkehr oder Parkieren) behindern könnten.110 Der Beamte, der den Ausschnitt aus dem Anzeiger der Stadt Bern archivierte, notierte lakonisch: „Ich bin nur froh, dass ich kein Velo habe.“111 Ein Teufelskreis entstand: weil immer weniger Radler unterwegs waren, wurde ihnen immer weniger Platz eingeräumt, weshalb immer weniger Radler unterwegs waren. Radfahren wurde in der Nachkriegszeit ungemütlicher, enger und gefährlicher. Gesamtschweizerisch stieg die Zahl der Fahrradunfälle von 4‘100 (1946) auf 7‘000 (1950) und stagnierte dann bis 1960.112 In den Städten allerdings halbierten sich in den 1950er-Jahren die Unfälle. Hier wird der Verdrängungsprozess greifbar: das einst urbane Gefährt wurde in den Städten geradezu physisch weggedrückt. Auf dem Land konnte es zur selben Zeit teilweise noch zulegen, bevor es auch dort immer mehr in eine Abwärtsspirale geriet.

109

Radsport 30/1952. Anzeiger für die Stadt Bern, 18. Juli 1950. 111 BAR E 4261 (A), 1982/100 Bd. 49, AZ 11.05.01, Fahrrad: Allgemeines. 112 Schweiz. Städteverband 1949-1962. 110

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Abbildung 4: Velounfälle in Schweizer Städten 1949 und 1960.113 Letztlich resultierte eine Neuverteilung des Strassenraums. Die Strasse wurde zur Fahrbahn, beträchtliche Teile des öffentlichen Raumes kamen unter Hegemonie des Automobils. Die Diskussionen um Radwege erübrigten sich mehr und mehr. Pointiert formuliert könnte man sagen, ihr Bau sei so lange verschlafen worden, bis er nicht mehr nötig war. Radfahrer und Radwege verschwanden so peu à peu aus dem Strassenbild. Ein Prozess, der schleichend verlief, mit wenig Gegenwehr und gewöhnlich kaum bemerkt wurde. Einzig als der Neuenburger Staatsrat Pierre-Auguste Leuba (Exekutive) 1957 die Automobilisten öffentlich aufforderte, auch die Radstreifen zu benützen, regte sich Protest.114 Der Arbeiter-Touring zürnte: „Wir danken für diese Offenheit! Da wird, um die Bundessubvention zu erlangen, vom Bau von Radwegen geschrieben, und wenn man dieser dann teilhaftig geworden ist, wird der Radstreifen einfach zur allgemeinen Fahrbahn geschlagen, Sicherheit für die Radfahrer hin oder her. […] Haben die Radfahrer kein Recht mehr auf unseren 113

Schweiz. Städteverband 1949-1962. Schweizweit nahm die Zahl der Räder in den 1950er-Jahren um 2% zu, die Unfälle um 3% ab. Dass die Unfallzahlen in den Städten sanken, lässt auf eine verminderte Nutzung der Räder schliessen – insbesondere da die Auto-Dichte zumindest in den grossen Städten um 50% (Genf: 150%) über dem landesweiten Durchschnitt lag. 114 Touring 39/1957, Arbeiter-Touring 10/1958, Revue Automobile 31/1958 sowie zur Affäre Leuba das BAR-Dossier „Fahrradwege“ 1946-1959. Signatur BAR E 4261 (A) 1982/100 Bd. 52 AZ 11.05.12.

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Strassen?“115 – Dem hielt die Automobil-Revue süffisant und trocken entgegen: „Les cyclistes payent en tout, et pour tout, dans notre canton un montant de quelque cent trente mille francs de taxes par année. Comparé avec les quelque trois millions et demie de francs et plus d’un demi-million d’émoluments [Gebühren] que payent les motorisés, on peut bien dire que, proportionnellement parlant les pédaleurs sont largement servis !“116 Leuba musste schliesslich zurückkrebsen, doch der Fall war eine Ausnahme.117 Für gewöhnlich verlief die Motorisierung des Strassenraumes unscheinbarer und mit einer merkwürdigen Selbstverständlichkeit. Auch der Rückbau von Radwegen (wie er etwa in Basel stattfand) blieb wohl selten.118 Meist wurden die Wege schlicht und einfach unter stillschweigendem Einverständnis von Öffentlichkeit und Obrigkeit umgenutzt. So wurden aus Stadtzürcher Radwegen Parkplätze und im Kanton Baselland verschwanden 17 Kilometer Radstreifen ganz einfach weil sie (gemäss offizieller Auskunft) „infolge grosser Verkehrsdichte vom motorisierten Verkehr befahren werden.“119

4.1

Die Effekte der Massenmotorisierung

Die Motorisierung der Nachkriegszeit prägte das Schicksal des Fahrrads. Und nicht nur der Strassenraum wurde neu verteilt: kaum ein Bereich des Alltags blieb unberührt. Der Trend zum Motor veränderte die Köpfe, die Körper und die Landschaft. Paul Virilio nannte das ganze eine „Dromokratie“, eine Herrschaft der Geschwindigkeit.120 Die Schweiz erlebte zwischen 1946 und 1974 die stärkste Wachstumsphase ihrer jüngeren Geschichte. Die Wirtschaft wuchs um gegen 5 Prozent jährlich, das reale BIP pro Kopf verdoppelte sich.121 Diese Wohlstandssteigerung erlaubte eine rasante Motorisierung. Die 115

AT Nr. 10/1958. Revue Automobile vom 17. 7. 1958. 117 FMG-Fachblatt 1958: 267. 118 Automobil-Revue 44/1954. 119 Automobil-Revue vom 4.10.1950; FMG-Fachblatt 1968: 318. 120 Borscheid 1988: 117 – Virilio braucht den Begriff in einem etwas weiteren Sinn, auf die Nachkriegszeit lässt er sich aber hervorragend anwenden. 121 Jacot-Descombes, BfS: E-Mail vom 18.1.08. 116

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Zahl der Motorfahrzeuge122 stieg sprunghaft: von 92'000 (1946) auf 2'493'000 (1974).123 Die gefahrenen Distanzen verzehnfachten sich.124 In jedem Jahr legte die Durchschnittsschweizerin 292km mehr mit Motorfahrzeugen zurück, als noch im Jahr zuvor.125

Abbildung 5: Autos und BIP pro Bevölkerung, Index 1990.126 Die vor dem Krieg noch verbreitete Autoskepsis wich nun rasch einer allgemeinen Autobegeisterung.127 Ein Auto zu besitzen wurde zum zentralen Wunsch breiter Schichten128 und für immer mehr Schweizer Männer mittleren Alters129 erfüllte sich dieser auch. Die Bedeutung des Autos wird in den Statistiken untertrieben. Das Auto verkörperte eine neue, eine bessere Zeit, sein Besitz versprach Teilhabe an dieser. Dem Gefährt haftete etwas schwer zu be122

Genau: Private Motorfahrzeuge. Also PWs, Motorräder sowie Mofas. Schweiz. Städteverband 1949-1962. Die Zahlen beziehen sich auf private motorisierte Fahrzeuge, also Autos, Motorräder und Motorfahrräder. 124 LITRA 2006. Die im motorisierten Individualverkehr gefahrenen Distanzen wuchsen von 6.4 1950 auf 55.5 Mrd. PKM 1975. 125 LITRA 2006. Gemeint sind Autos und Motorräder. 126 Jacot-Descombes, BfS: E-Mail vom 18.1.2008 sowie Siegenthaler 1996: 779. 127 Zürcher 1993: 350. Der Widerstand gegen die Motorisierung wich bereits Ende der 1920er-Jahre einer breiten Akzeptanz. Merki 1998: 119f 128 Zürcher 1993: 236, 238f. 129 Lichtensteiger 2002: 113. 123

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schreibendes an, etwas was über die Ansammlung von Blech, Stahl und Gummi hinausging. Roland Bartes nannte es „die gotische Kathedrale der Neuzeit“,130 Joachim Radkau sah den Menschen mit ihm in einer „intimen Beziehung“,131 Marshall McLuhan interpretierte es als eine „Erweiterung des Körpers“132 und Wolfgang Sachs sprach von einer „automobilzentrischen Konstruktion von Wirklichkeit“.133 Letztere ist durchaus plastisch gemeint. Mit dem Aufkommen des Autos ging eine rege Bautätigkeit einher: eine neue Schweiz wurde hergerichtet. Autogerecht, in Beton, Asphalt und Eternit. Die (auch von der Fahrradpresse heftig beklatschten)134 Autobahnen (ab 1955) waren hierbei nur der offensichtlichste, dramatischste Eingriff in die Landschaft.135 Auch die Städte veränderten sich: Vororte verschmolzen, Agglomerationen entstanden, Garagen wurden zu hunderttausenden errichtet und an Berghängen sprossen Zweitwohnungen.136 Hatte die Eisenbahn sternförmige, um Bahnhöfe und Zubringerbahnen angelegte Siedlungen geschaffen, so erwirkte der Motor deren ringförmige, breiartige Ausdehnung.137 Das Auto verkleinerte die Schweiz nicht, aber es machte sie ungemein besser erreichbar. Dabei entwickelte sich eine sich selbst verstärkende Dynamik, eine „Mobilitätsspirale“, die gemäss Pfister „die weiträumige Verzettelung der Lebensaktivitäten (Wohnen, Arbeit, Freizeit, Einkauf, Kultur, Geselligkeit) [förderte] und dadurch materielle und infrastrukturelle Sachzwänge zur Aufrechterhaltung umwelt-

130

Zitiert nach Sachs 1984: 109. Zitiert nach Zürcher 1993: 236. 132 Zitiert nach Klose 2003: 89. 133 Sachs 1984: 190. 134 z.B. AT 2/1965: 1, AT 3/1966: 1, AT 2/1967: 1, AT 7/1967: 1. 135 Heller/Volk 1999: 114ff. Erste Teilstücke waren von einzelnen Kantonen schon ab 1955 erstellt worden. Die Forderung nach der Schaffung eines Autobahnnetzes war enorm populär, wurde auch vom SFMGV unterstützt und von den Stimmbürgern mit 85% gutgeheissen. (FMG-Fachblatt 1958: 203). Zur Autodominanz in der Verkehrspolitik der 1950er-Jahre und 1960er-Jahre siehe auch Haefeli 2008: 47ff. 136 Vgl. Bächtold 1981. Lesenswert ist auch Flückiger 1995: 333ff. 137 Borscheid 1988: 120f sowie Jaisli 1958: 167f. Parallelen zum Effekt des Fahrrads auf den Städtebau sind offensichtlich, allerdings waren die sozialen und ökologischen Kosten beim Auto ungleich grösser und zudem verloren die Zentren durch die Motorisierung markant an Einwohnern. Siehe dazu Haefeli 2008: 137. 131

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belastender Gewohnheiten [schuf].“138 Kurz: Weil der Motor die Verzettelung ermöglichte, wurde er sobald sie geschaffen war unerlässlich. „Möglichkeiten“ mutierten zu „Sachzwängen“. Mehr noch: Es entstand eine Eigendynamik durch welche das Auto zum Dreh- und Angelpunkt eines durchs Automobil geschaffenen und von ihm geprägten Lebensstils wurde.139 Wohnen, Arbeiten, Erholung, Einkaufen, Spielen, Sport oder die Pflege sozialer Kontakte wurden von der Nachbarschaft zusehends in darauf spezialisierte Zentren ausgelagert. Was früher auf der Strasse, im Quartier oder auf dem Dorfplatz geschehen war wurde nun durchs Automobil verstreut – wie auch verbunden. Damit fand eine Uminterpretierung und Re-Hierarchisierung der Räume statt. Die Nähe wurde der Ferne unterstellt,140 monofunktionale Räume ersetzten multifunktionale, die Zwischenräume verloren an Bedeutung.141 Die Strasse wandelte sich vom Lebensraum zur Transitzone, Einkaufszentren ersetzten Quartierläden, der Dorfplatz wurde Strassenkreuzung, die Nachbarn anonym und die Lebensweise zerfaserte.142

138

Pfister 1995: 29ff. Pfister führt die Motorisierungsdynamik u. a. auf die real sinkenden Treibstoffkosten und die Zweckbindung von Benzinsteuern für den Strassenbau zurück. Schon Jaisli (1958: 168) beschrieb Verkehrszunahme und Städtewachstum als Perpetuum Mobile. 139 Pfister 1995: 67, d'Iribarne 1975: 82ff. 140 Sachs nennt dazu das Beispiel Frankfurts, wo der Anteil der vom Verkehr belegten Stadtfläche von 6.9% 1950 auf 14.5% 1974 anstieg. Sachs 1984: 225. 141 Sachs 1984: 103f: „Millionen waren bereit die Welt durch die Brille von Stadtplanern zu betrachten. Unter diesem Blick gerinnen weite Gebiete zu blossen Durchgangsgebieten; sie werden nicht mehr in ihrem eigenen Recht, als Waldgebiet wo Tiere leben, und Menschen sich erholen, oder als Wohngebiet, wo Leute schlafen oder Kinder spielen, betrachtet, sondern als Zwischenräume zwischen übergeordneten Punkten, die es möglichst rasch zu durchqueren gilt. Mit anderen Worten, der Planer hierarchisiert den Raum in wichtige und weniger wichtige Gebiete und legt es darauf an, zwischen den wichtigen Gebieten eine stockungsfreie Zirkulation sicherzustellen; der Zugriff des Planers lebt von der Arroganz gegenüber den Zwischenräumen.“. 142 Sachs 1984: 113f, 228, 238, Borscheid 1988: 137; Hüttenmoser 1995: 275ff; sowie d'Iribarne 1975: 82ff. Sachs spricht von einem „Volkserziehungsdiskurs“, in dessen Verlauf die Strassen „menschenrein“ und die Städte „autogerecht“ geworden seien.

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Sekundiert von Kühlschrank, Fernseher und Telefon bewirkte das Automobil tiefgreifende Veränderungen in Raumgestaltung und Architektur, aber auch in Sitten, Werten und Usanzen, bis hin zum Menuplan und der Familienstruktur. Zeitliche, räumliche und soziale Ordnung gerieten durchs Automobil gründlich durcheinander.143 Verlierer waren jene, die an der benzinbetriebenen Mobilität nicht teilhaben konnten: Kinder, arme, behinderte, kranke und alte Leute.144 Sie verschwanden zusehends von der Strasse und damit aus dem öffentlichen Leben. Was sich in ihrem Bewegungsradius, in ihrem Erlebnishorizont befand verlor an Vielfalt und an Wert. Auch das war ein Grund für die Popularität des Motorfahrzeugs: Nichtbesitz wurde bestraft.145 Dem hatte das Fahrrad nichts entgegen zu setzen. Fahrradfahren wurde nicht nur gefährlicher und ungemütlicher, es wurde auch ganz einfach unpraktisch. Die interessanten Punkte in Velodistanz nahmen ab, jene ausserhalb dieses Kreises nahmen zu. Wege und Distanzen orientierten sich zusehends am Automobil. Zwar wurden auch in den 1960er-Jahren Radwege angelegt, doch änderten sich deren Routen. In Basel etwa wurden Radwege zwischen den Quartieren aufgehoben und an den Ausfallstrassen neue gebaut.146 Das Fahrrad wandelte sich vom städtischen Verkehrsmittel zum Sportgerät, das man (wenn überhaupt) für Ausflüge aufs Land verwendete. Für den innerstädtischen Verkehr war es inopportun geworden.

143

Beispielsweise: Kaschuba 2004: 220ff, d'Iribarne 1975: 27ff, Borscheid 1988: 117ff, Beutler 1995: 405ff. 144 Borscheid 1988: 137 sowie Hüttenmoser 1995: 269ff. Letzterer illustriert die Verdrängung der Kinder von der Strasse und weist darauf hin, dass das Kinderspiel auf Spielplätzen nicht nur seltener und kürzer, sondern auch qualitativ ärmer ist, als das Spiel auf der Strasse. 145 Sachs 1984: 228. 146 StaBS, PD-REG 12a 4-10 (4): Fahrrad; Automobil-Revue 44/1954. Im Kanton Zürich kam der Radwegbau praktisch zum erliegen. Der Zürcher Stadtrat befand die Schaffung von Radwegen als „erwünscht, aber nicht dringlich“ und war damit pikanterweise auf einer Linie mit dem SRB. Landbote 208/1963, TA 234/1965, Hiltbrandt 1965: 17.

37

4.2

Das Mofa und das Verkehrsgefüge der 1960er-Jahre

Zwei Neuheiten prägten den Strassenverkehr der 1960er-Jahre: Die Motorisierung der Massen und das Aufkommen des Mofas. 1960 hatte hierzulande eine von zehn Personen ein Auto besessen. 1970 war es eine von vier. Das Auto rückt in die Reichweite der Arbeiterschaft, die „Salon“-Beilage des Arbeiter-Touring beispielsweise berichtete ab 1960 nicht länger über Motorräder, sondern über Autos.147 Zugleich war das 1961 eingeführte Mofa unter Jugendlichen schnell sehr populär. Die Trends führten zu einem Wandel im Verhältnis der Verkehrsmittel untereinander. Liess sich noch in den 1950er-Jahren an der Wahl des Fahrzeuges der soziale Status ablesen, so spiegelte sich in den 1960er-Jahren darin primär noch das Alter. Die biografische Abfolge ersetzte die soziale Rangfolge. Man(n) arbeitete sich nicht mehr vom Fahrrad zum Motorrad zum Automobil hoch, sondern wuchs mehr oder minder automatisch vom Fahrradalter ins Töfflialter148 und von da ins Autoalter. Motorisierung wurde eine (männliche) biografische Norm. Dass die Motorisierung auch das Fahrrad erfasste, ist wenig verwunderlich. Schon in den 1950er-Jahren hatte sich das Velosolex149 einiger Beliebtheit erfreut. Und das Mofa war gewissermassen das logische Fahrradmodell der 1960er-Jahre.150 Der Gesetzgeber „erfand“ es per 1.1.1961 und definierte es als fahrradähnliches motorisiertes Zweirad, mit Obergrenzen von 50ccm Hubraum, 30km/h Tempo und 75dB Lautstärke, das ab 14 Jahren gefahren werden durfte.151 Ein Führerausweis war nicht von Nöten. Zielpublikum war namentlich die Landjungend, die so leichter zu Gymnasien und Berufsschulen gelan-

147

Zürcher 1993: 343, Lichtensteiger 2002: 114. Damit trocknete auch die Vielfalt der 1950er-Jahre aus: Kabinenroller, Kleinstwagen, Goggomobile, Vespa, Velosolex und weitere billige Motorfahrzeuge verschwanden aus dem Strassenbild. 148 Der Begriff Töffli ist ein Diminutiv, der sich von der in der Deutschschweiz gängigen Bezeichnung „Töff“ für Motorrad ableitet. Diese wiederum stammt vermutlich von „le tœff-tœff“, einem französisch-onomatopoetischen Motorrad-Kosenamen. 149 Ein Fahrrad mit Hilfsmotor am Vorderrad. 150 Siehe auch die Ausführungen des TCS-Präsidenten im FMG-Fachblatt 4/1964. 151 Bundesgesetz über den Strassenverkehr vom 19.12.1958. Vgl. BBl vom 26.12.1958.

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gen sollte.152 Aber der Erfolg des Mofas übertraf die Vorstellungen des Bundes bei weitem.153 Zehn Jahre nach Einführung kurvten schon über eine halbe Million „Töffli“ durchs Land. Für viele gehörte das Töffli zum Erwachsenwerden wie die erste Jeans, die erste Liebe und Vinylschallplatten. Die Frage Puch oder Piaggio war ebenso elementar wie Beatles oder Stones, der Zweitakt der meistgehörte Beat des Jahrzehnts. Basteln, tüfteln, frisieren, erste Touren, erste Ferien, kleine Fluchten: auch in der Jugendkultur der 1960er-Jahre war räumliche Mobilität mit sozialen Freiheiten verschränkt. Die Mofa-Welle hatte Nebeneffekte: die Krise des Fahrrads verschärfte sich, Leichtmotorräder und Roller verschwanden praktisch ganz. Bereits 1963 war fast jedes zweite motorisierte Zweirad ein Mofa. 1971 waren es über 80%. Ausserdem wurden schon früh Lärmklagen laut.154 Zwar war das Halbstarkengefährt mit maximal 75dB (ab 1967 maximal 73dB) zwar 5dB (7dB) leiser als das Automobil,155 aber beim Lärmempfinden sind keine zwei Ellen gleich lang. Höhere Frequenzen werden als störender empfunden und überhaupt nervten wohl oft nicht primär die Motoren sondern die Jugendlichen selbst.156 Das zu fast 100% importierte Mofa war ein Schweizer Unikat.157 Solche tendieren zu Eigenheiten: 14jährige durften es zwar fahren, konnten aber bei Regelverstössen kaum juristisch belangt werden. Hingegen finanzierten sie an der Tanksäule Autobahnen mit, die sie gar nicht benutzen durften und wurden selbst wiederum per Fahrradhaftpflichtversicherung von den Radfahrern quersubventioniert.158 Dabei wurde eine weitere Eigenheit der Mofa-Fahrer deutlich: sie waren miserabel organisiert. Zwar machten sich Händler-, Rad- und Autoverbände für die „Töfflibuben“ stark, aber dies aus eigenen Interes152

Siegenthaler 1996: 780. Das Mofa war bei Jugendlichen in ländlichen Räumen tatsächlich äusserst beliebt. 153 BAR E 4261 (B) 1992/197 Bd. 64 AZ 207-05: Motorfahrräder. 154 BAR E 4261 (B) 1992/197 Bd. 118-120 AZ 207-05: Motorfahrräder. 155 FMG-Fachblatt 1961: 28. 156 Moto-Touring 12/1972: 4. 157 Motorfahrräder erreichten in den Nachbarländern nie auch nur annähernd so hohe Werte. In Italien dominierte die Vespa, Deutschland wies kaum je mehr als 20 Mofas pro 1000 Einwohner aus, und auch Österreich kam nicht an die Schweizer Werte heran. Perritaz 1982: 113. 158 Vitelli 1980.

39

sen und nach eigenem Gutdünken.159 Eine eigenständige Mofa-Lobby gab es nicht, und so hatten die (ohnehin grossmehrheitlich minderjährigen) Mofafahrer keinerlei politisches Gewicht.

Abbildung 6: Verdrängung anderer Zweiräder durch das Mofa.160

4.3

Das Fahrrad in der Krise

Angesichts der Motorisierung setzten sich immer weniger Leute aufs Rad und fast niemand mehr aufs Velo als Verkehrsmittel. Radfahren – schwitzen und keuchen als Fortbewegungsmittel – mutete in einer motorisierten Welt nicht nur unchic an, sondern anachronistisch. Es gab nicht nur immer weniger Räder, sie blieben auch immer öfter im Keller. Gemäss Schätzungen der LITRA gingen die pro Person gefahrenen Fahrradkilometer zwischen 1950 und 1970 um rund 60 Prozent zurück.161 In den 1950er-Jahren war die Krise des Rades primär eine Imagekrise. Nutzung und Bestände gingen nur langsam zurück. Aber das Prestige und das Vergnügen des Radfahrens litten beträchtlich.

159

FMG-Fachblatt 1964: 52, 1961: 28, 1964: 161f, RMS 31/1964. Siegenthaler 1996: 778f. 161 LITRA 2006. 160

40

Bereits wurde ernsthaft über die Zukunft des Rades debattiert.162 Die NZZ erklärte schon 1953: „man wird [in der Fahrradbranche] in absehbarer Zeit nicht einmal das Recht haben, in „gedämpften Optimismus“ zu machen.“163 Und auch der „Rad + Motorsport“ fragte sich nachdenklich: „Ist das Fahrrad auf den Aussterbe-Etat gesetzt?“164 Ökonomisch gesprochen wurde das Rad zum „absolut inferioren Gut“: je mehr sich die Leute leisten konnten, desto weniger Fahrräder kauften sie.165 Hier lag die Krux für die Fahrradbranche: steigende Einkommen bedeuteten eine sinkende Nachfrage. Auf dem Land rückten für motorisierte das übernächste Dorf, die Verlockungen der nächstgrösseren Ortschaft in Griffweite. In der Stadt wurde das Radfahren gefährlicher.166 Und auch beim Freizeitverkehr grub der motorisierte Verkehr dem Fahrrad das Wasser ab. Selbst Wochenendausflüge wurden kaum mehr mit dem Rad getätigt. Für immer mehr Strecken oder Zwecke, schien das Fahrrad neuerdings ungeeignet. Man kann das Problem des Rades auf einen kurzen Nenner bringen: Es schien keine Zukunft mehr zu haben. Selbst der „Radsport“ hielt seine technische Entwicklung für abgeschlossen und interessierte sich stattdessen für Neuerungen bei den Motorfahrzeugen.167 Das Jedermannsgefährt der 1930er-Jahre mutierte zum Gefährt der nochnicht-Motorisierten. Wer konnte, stieg um. Und immer mehr konnten. Damit wandelte sich auch die soziale Wahrnehmung: das Rad wurde zum Vehikel der Kinder und der Armen.

162

FMG-Fachblatt 1961: 459. NZZ 1885/1953. 164 RMS 12/1956. 165 En gros unterscheiden Ökonomen drei Sorten von Gütern. Bei steigendem Einkommen steigt der Konsum von superioren Gütern überproportional, jener von inferioren Gütern unterproportional, und jener von absolut inferioren Gütern geht zurück. Welches Gut in welche Kategorie fällt hängt von sozialen Faktoren ab. So fiel das Fahrrad noch 1900 noch in die Kategorie der superioren Güter. 166 Radfahren ist überdies dort gefährlicher wo es weniger praktiziert wird und andere Verkehrsteilnehmer deshalb weniger mit Radfahrern rechnen. Zur Illustration: Anfang des 21. Jahrhunderts wurden amerikanische Radfahrer pro Personenkilometer achtmal so oft verletzt und doppelt so oft getötet wie deutsche. Arnott 2005: 108f sowie: 118. 167 RMS 12/1956. 163

41

Die Krise akzentuierte sich in den 1960er-Jahren. Erwachsene leisteten sich vermehrt Autos, Jugendliche setzten aufs Mofa. Dem Fahrrad blieben die Jüngsten. Schon 1960 war jeder dritte mit dem Fahrrad verunfallte unter 20 Jahre alt gewesen. 1970 war es jeder zweite.168 Besonders der Anteil der unter-14jährigen wuchs stark an.169 Die Fahrradverkäufe im Frühling schwächelten – dafür gewann Weihnachten an Bedeutung.170 Mehr als die Hälfte der 1965 verkauften Räder war für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren bestimmt.171

Abbildung 7: Fahrradunfälle nach Alter.172

168

Die Dunkelziffer dürfte höher liegen. So werden die Unfälle von Kindern wohl seltener polizeilich erfasst. Hinzu kommt, dass Fahrradunfälle ab 1963 erst ab einer Schadensumme von 200CHF erfasst wurden. Da Kinder langsamer fahren, weniger Masse aufbringen und über billigere Gefährte verfügen überschreiten sie dieses Limit wohl seltener, als Erwachsene. 169 BfS 1953-1981. 170 FMG-Fachblatt 1960: 412, 1964: 35, 1964: 383f. 171 NZZ 1388/1966, Moto-Touring 4/1966: 3, FMG-Fachblatt 1965: 10. 172 BfS 1953-1981. Die Dunkelziffer der Kinderunfälle dürfte etwas höher liegen. Hildebrandt 1965: 9 konstatierte eine lasche Rechtsprechung bei Fahrrad-AutoUnfällen. Die meisten Richter, so Hildebrandt, seien noch nie Fahrrad gefahren, daher befangen und argumentierten in ihren Urteilen oft für den Automobilisten entschuldigend. Radfahrer zu überfahren, so Hildebrandt werde als Kavaliersdelikt behandelt.

42

Während namentlich die Zahl der Herrenräder drastisch sank,173 verfügten immer mehr Kinder über Fahrräder.174 Damit mutierte das Fahrrad in der Wahrnehmung der Bevölkerung zusehends zum Kindergefährt, zum Spielzeug das Erwachsene höchstens für den Sport verwendeten. Die Entwicklung hin zum Verkehrsmittel der Kinder wurde von den Behörden genauso unterstützt, wie von der Autolobby. Und auch die Fahrradhändler sahen in der Verkindlichung einen Ausweg aus der Existenzkrise. Denn gemäss nun propagierter Logik mussten Kinder Fahrrad fahren, um Verkehrserfahrung sammeln und mit den Verkehrsgesetzen vertraut werden zu können.175 Zu diesem Zweck wurden regelmässig Prüfungen durchgeführt, bei welchen die Kinder erst auf dem Schulhausplatz, später auf der Strasse unter Anleitung des Ortspolizisten Situationen durchspielten und das korrekte Verhalten lernten.176 Das Beherrschen des Rades war die Grundlage für den richtigen Umgang mit dem Mofa, mit dem wiederum den Wechsel zum Automobil vorbereitet wurde. Während das Fahrradpublikum also jünger wurde, änderte sich das Geschlechterverhältnis höchstens geringfügig, aus den Unfallstatistiken lässt sich jedenfalls keine nennenswerte Verschiebung feststellen.177 Das Fahrrad wurde also nicht vermehrt als „Zweitwagen“ für Einkäufe verwendet. Hingegen verschob sich die geographische Verteilung der Verkehrsmittel. Die Motorisierung verlief in den lateinischen Kantonen ausgeprägter als in der Deutschschweiz. Und die Verbreitung des Fahrrades nahm in der Romandie und im Tessin überproportional ab.

173

Hochmuth 1991: 118. Die Nachfrage nach Kinderfahrrädern dürfte im Gegensatz zu jener nach Rädern für Erwachsene von der steigenden Kaufkraft profitiert haben. 175 Das FMG-Fachblatt 1965: 247 bezeichnete das Fahrradfahren etwa als „beste Vorschule für den Verkehr“. Zu dieser Logik gehörte auch, dass Kinderräder mit nutzlosen Schalthebeln und ähnlichem Autozubehör versehen wurden FMGFachblatt 1969: 326. 176 FMG-Fachblatt 1968: 246. 177 BfS 1953-1981. Frauen waren relativ konstant in ein Viertel der Unfälle involviert, was nicht heisst, dass sie nur ein Viertel der Strecken bewältigten. Möglicherweise fuhren sie einfach besser. Der Anteil der von Frauen geradelten Strecken dürfte über 25 aber wohl auch unter 50% gelegen haben. 174

43

4.4

Exkurs: Le Vélo et les Rœstis

Bei Verbreitung und Verwendung des Rades gab und gibt es starke regionale Unterschiede.178 Dieses war via Genf in die Schweiz gekommen und hatte sich von dort aus in Richtung Osten ausgebreitet. Bis zum Ersten Weltkrieg waren Velos in der Romandie verbreiteter als in der Deutschschweiz. Dann entwickelte sich das Radfahren in der Deutschschweiz dynamischer und nach dem Zweiten Weltkrieg brachen die Bestände in den lateinischen Kantonen noch dramatischer ein als chez les alémaniques.179 Selbst in den Bergkantonen gingen die Bestände weniger stark zurück als in Genf. Die Stadt am Léman war ohnehin ein Sonderfall. 1904 stand ein Viertel der Schweizer Räder in Genf. Dann entwickelte sich die Stadt zur Autometropole, die quer durchs 20. Jahrhundert markant stärker motorisierte war, als die anderen Schweizer Städte.180 Die Verdrängung des Fahrrads fand nicht sofort statt: Noch im Zweiten Weltkrieg verfügte der Kanton Genf über die Schweizweit höchste Fahrraddichte. Dann aber brachen die Bestände ein: 1942 kamen auf 1000 Genfer 492 Velos, dreissig Jahre später nurmehr 120 – weniger als ein Viertel. Auch in den übrigen lateinischen Kantonen setzte man stärker auf Motorfahrzeuge als in der Deutschschweiz. Und die Umdeutung des Verkehrsmittels zum Sportgerät war im Einflussbereich von Tour und Giro wohl ebenfalls ausgeprägter. Ausserdem lässt sich auch bei den Verbänden eine Verschiebung in Richtung Osten feststellen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen kaum noch wichtige Impulse aus der Westschweiz und die französischen Artikel in SRB/ATB/SFMGV178

Arnott 2005: 102f; Carré 1998: 156-159. Laut Arnott gibt es in Europa ein beträchtliches Gefälle beim Fahrradgebrauch. Niederländer legen 27% der Wege per Rad zurück, Griechen, Spanier und Portugiesen nur 1%. Auch in südlichen Ländern dürfte eine Radrenaissance stattfinden, allerdings schwächer und später als im Norden. Nebst klimatischen und kulturellen Faktoren dürfte auch der Umgang mit dem Auto eine Rolle spielen, das etwa in Frankreich gefördert und in Dänemark fiskalisch stark belastet wurde. Die regionalen Unterschiede in der Schweiz könnten de facto schwächer ausfallen als hier dargestellt. Im Jahr 2001 vermutete das BfS eine Dunkelziffer nicht registrierter Räder von 15-30% in der Deutschschweiz, 60% in der Romandie und 100% im Tessin (Bundesamt für Statistik 2001: 18). 179 1945 betrug die Verbreitung des Fahrrads in der Westschweiz noch 87% des Schweizerischen Mittels. 1968 sind es noch 52%. 180 Laut FMG-Fachblatt 1965: 281 war Genf 1964 hinter Monaco die Stadt mit der zweithöchsten Autodichte in Europa. Vgl auch Merki 2002: 70f.

44

Magazinen waren bloss noch nachgereichte Übersetzungen.181 Italienische Texte fehlten fast ganz. Ähnliche Unterschiede lassen sich zwischen dem lateinischen Europa und den Ländern mit germanischen Sprachen feststellen.182 Wobei die Dokumentation der Unterschiede einfacher ist als ihre Erklärung. Manche Autoren greifen dafür auf die geniesserische französische Hofkultur und die deutsche Romantik zurück – vielfach bewegen sie sich nahe an der Tautologie.183 Sicher ist, dass kulturelle Faktoren bei der Verkehrsmittelwahl eine Rolle spielen. Sicher ist auch dass diese eine selbstverstärkende Eigendynamik entwickeln können.184 Westlich der Sarine, südlich des Gotthard verliefen die Diskurse anders. Umweltschutz wurde anders verstanden,185 neue soziale Bewegungen formierten sich später186 und die Kritik am Auto wurde verschieden geäussert.187 So überrascht es nicht, dass auch die Renaissance des Rades in der Romandie und dem Tessin etwas später einsetzte als in der Deutschschweiz.

181

FMG-Fachblatt 1958: 27. Im FMG-Fachblatt lässt sich eine Ostwärtsbewegung feststellen. Der letzte wichtige Impuls aus der Westschweiz wird 1958 erwähnt, danach kamen alle Neuheiten im Verband aus deutschschweizer Federn. 182 Arnott 2005: 102f. 183 Merki 2002: 193. 184 Arnott 2005: 116f. Haefeli argumentiert beim Auto ähnlich. Haefeli 2008: 140f. 185 Gemäss Dejung wird die Natur in der Deutschschweiz als schützenswerten Wert für sich betrachtet, währen in der Romandie Umweltfragen eher als Anreiz zu Innovationen verstanden werden. Zwar wurden in der Romandie die ersten Grünen Parteien gegründet, trotzdem rangierte der Umweltschutz hier 1972 auf dem Sorgenbarometer der Schweizerischen Kreditanstalt bloss an vierter Stelle während er in der Deutschschweiz oberste Priorität genoss. Dejung 1998: 255, Walter 1996: 204. 186 Dejung 1998: 257ff. 187 Merki 2002: 193; Braunschweig 1988: 86.

45

Abbildung 8: Autodichte in Schweizer Städten.188

Abbildung 9: Autos pro Fahrräder nach Sprachregionen.189

188

Berechnungen auf Grundlage CH-Städteverband 1950: 16f, 46 und 1961: 20, 70 sowie Siegenthaler 1996. 189 Berechnungen nach Siegenthaler 1996 – Wallis und Fribourg wurden der West-, Bern der Deutschschweiz zugeordnet.

46

4.5

Die Fahrradverbände in der Fahrradkrise

Strömungen und Entwicklungen rund ums Radfahren in der Nachkriegszeit wurden bis hier ohne Erwähnung der Radfahrer-, Händler- und Herstellerverbände dargestellt. Diese wurden nicht vergessen, sondern vernachlässigt. Mit Absicht. Denn treibende Kräfte waren in dieser Zeit nicht SFMGV, VFGI, SRB oder ATB, sondern Wohlstandssteigerung und Motorisierung. Die Verbände agierten nicht, sie reagierten. Auf wirtschaftliche Umstände und die sich wandelnden Geschmäcker ihrer Klientel. Auch bei den Mitgliedern der Radfahrerverbände verlor das Rad an Bedeutung. SRB und ATB schrumpften und mutierten zu Vereinen gelegenheitsradelnder Automobilisten. Zwischen 1951 und 1962 halbierte sich beim SRB Zahl der Mitglieder;190 Mitte der 1960er-Jahre verfügten 86 Prozent von ihnen über ein eigenes Auto.191 Diese Quote lag beim ATB zwar tiefer, war aber ebenfalls im Steigen begriffen. Jener hatte ein doppeltes Problem: wer wollte noch Arbeiter-Radfahrer sein, wenn er bald mittelständischer Automobilist sein konnte?192 Die Verbände setzten aufs Auto. „Arbeiter-Touring“ und „Radund Motor-Sport“ berichteten ausführlich über den Autobahnbau, besprachen technische Neuheiten und gaben Ratschläge zur Autopflege und Unfallverhütung.193 Fahrradwerbung spielte in beiden Blättern eine bescheidene Rolle, die Anzeigen warben primär für Tabakwaren, Alkohol, Reiseangebote, Verkehrssicherheitskampagnen und natürlich für Autos, Motorräder und Garagen. Grösste Sorge der Verbände war denn auch die Abwanderung der sich motorisierenden Mitglieder zum TCS. Beide Verbände rea190

Hildebrandt 1965: 19. Die Zahl der Radfahrer im SRB sank von 45'000 1951 auf 22'000 1961. 191 FMG-Fachblatt 1965: 311/316. 192 AT 5/1966: 4, AT 6/1966: 1. Nachdem sich der Arbeiter-Radfahrer-Bund bereits 1930 zum Arbeiter-Touring-Bund umbenannt und damit den Motorfahrern die Tür geöffnet hatte, wurde nun der proletarische Charakter als unzeitgemäss empfunden. Der Name wurde dann allerdings beibehalten. Auch im SRB tobten angesichts der Neuausrichtung des Verbandes auf den motorisierten Verkehr Richtungskämpfe. RMS 6.11.1963: 1, RMS 21.12.1966. 193 Z.B. AT 2/1965: 1, AT 3/1966: 1, AT 2/1967: 1. AT 7/1967: 1. Bei der Auswertung eines Stichprobenjahrgangs 1964 befassten sich von 52 Leitartikeln des RMS je 11 mit Automobil und Verkehrssicherheit, 9 mit Radsport, 5 mit Verbandspolitik, 2 mit dem Fahrrad an sich und 3 mit anderem.

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gierten ähnlich: einerseits kopierten sie die Leistungen des TouringClubs, boten Reisedienste, Versicherungsschutz und Pannenhilfe an.194 Andererseits konzentrierten sie sich auf den vom TCS nicht abgedeckten Radsport.195 Beim SRB lagen dabei der Renn- und Quersport im Fokus, beim ATB Kunstrad und Radball. Der Spagat gelang nicht. Auf lange Frist konnten die Verbände dem TCS nichts entgegensetzen, sie entwickelten sich in den 1970erJahren zu reinen Sportverbänden. Damit vollzogen ATB und SRB die gesellschaftlichen Trends mit. Auch bei ihnen wandelte sich das Rad zum Hobby mit dem keine verkehrspolitische Agenda mehr verknüpft war. Die Positionen der Radfahrerverbände unterschieden sich denn auch höchstens geringfügig von jenen der Autolobby. So forderte der SRB 1963 eine Senkung des Benzinzolls oder eine Erhöhung des Anteils, der zweckgebunden für den Strassenbau verwendet werden sollte.196 Und zwei Jahre später bekannte sein Präsident: „Der Strassenbau darf 1965 durch nichts gehemmt werden. Alle verfügbaren Mittel (Finanzen und Arbeitskräfte) sind für den zweckmässigen Ausbau und Neubau unseres Strassennetzes zu verwenden. Es gibt einige Baubehörden, die machen es sich leicht. Sie behaupten kühn, es gebe zu viele Autos. Es gibt aber nicht zu viele Autos. Wir haben zu wenig gute Strassen!“197 – Vom Bau von Radwegen war in diesen Statements keine Rede mehr. Mit dem Verschwinden des Rads aus dem Alltag, verschwanden auch dessen Lobbyisten. Wer das Rad immer noch täglich verwendete war politisch unmündig (also jung oder weiblich) oder nicht organisiert.198 Ende der 1960er-Jahre hatten die Radfahrer jedes politische Gewicht verloren. Auch das Fahrradgewerbe hatte in der Nachkriegszeit ein Problem: die Nachfrage schwand. Zwar wurden Kinderräder verstärkt 194

Radsport 6.1. 1965: 1 / AT 16/17/1966: 1. AT 16/1966 und 17/1966: 1; RMS 22.12.1965: 1; RMS 5.1.1966: 3. 196 RMS 6.11.1963: 1. 197 RMS 6.1.1965: 1. Ins selbe Horn stiess der RMS bereits 1963 mit der Aussage: „Der Automobilist muss auf der Strasse Platz haben, muss flüssig vorwärts kommen. Darum gehört der Zweiradfahrer ganz an den Strassenrand.“ RMS 5/1965: 3 Auch der SRB betrieb in den 1960er-Jahren Verkehrspolitik durch die Windschutzscheibe. 198 Bekanntlich gehörten dazu bis 1971 nicht nur die unter-20-Jährigen, sondern auch die Frauen. Männer über 20, die das Fahrrad nicht nur zum Sport verwendeten waren selten geworden. 195

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nachgefragt, solche für Erwachsene aber wurden in den 1950er- und 1960er-Jahren immer weniger gekauft. Und weder sinkende Preise,199 noch technische Neuerungen vermochten an dieser Baisse etwas zu ändern.200 Neue Räder wie das „Pfiff“-Klapprad (1960) oder das englische Moulton-Rad (1962) fanden kein Publikum.201 Gerade die Lage der Produzenten präsentierte sich düster. Die Umsätze waren rückläufig, die Zukunftsaussichten trostlos. Investitionen und Innovationen wurden nicht honoriert. Im schrumpfenden Fahrradgeschäft wurde der Konkurrenzkampf deshalb über Details wie Farben und Lackierungen ausgetragen.202 Das Fahrradgewerbe verfiel in einen Dornröschenschlaf.203 Manche Hersteller verschwanden, andere sattelten um oder diversifizierten ihre Tätigkeiten. Condor nahm die Produktion von Spitalbett-Zubehör auf, importierte und assemblierte österreichische Puch-Mofas.204 Cosmos stellte Gartenmöbel her, Cilo importierte japanische Autos und fertigte Dachträger.205 Zwischen 1946 und 1964 sank die Zahl der in Produktion und Handel beschäftigten von 20-25‘000 auf 12-15‘000 Personen. 1964 wurden gerade mal noch 40‘000 Räder gefertigt – ein Viertel der Rekordproduktion von 1941.206 Allein von der Produktion von Fahrrädern konnten 199

Konkrete Preise sind nur bei den Importrädern greifbar. Laut FMG-Fachblatt stagnierten die Fahrradpreise seit Kriegsende bis mindestens Mitte der 1960er-Jahre, was einer Realpreissenkung von rund 35% gleichkäme. Bei den Importrädern gingen die Preise pro Rad allein zwischen 1960 und 1970 um real 42% zurück. FMGFachblatt 1967: 441 sowie FMG-Jahresberichte, SWA DoS SFMGV, Bv Bg 59. 200 Cortat 1998: 195. Unter anderem entwickelten sich Gepäckträger und Drei-GangSchaltung in den 1960er-Jahren zum Standard. 201 FMG-Fachblatt 1960: 413; 1962: 402; 1962: 447. Das „Moulton“ war in England sehr erfolgreich. Die beiden Neuerfindungen des Rades waren keine Einzelfälle, alternative Modelle wurden immer wieder geprobt und lanciert. So versuchte schon der englische Autodesigner Ben Bowden schon 1946 ein Fahrrad mit aerodynamischem Fiberglas-Rahmen und einem Elektromotor auf den Markt zu bringen, der bei Talfahrten aufgeladen werden konnte. In den USA fertigte John Finley Scott 1953 ein Mountain-Bike, das aber ebenfalls sein Publikum nicht fand. Clark 1992: 227235; Rosen 1993. 202 FMG-Fachblatt 1958: 155. 203 FMG-Fachblatt 1960: 370; 1964: 420. 204 Cortat 1998: 213ff. 205 Cortat 1998: 204f. 206 FMG-Fachblatt 1965: 404. 1941 dürfte ein aussergewöhnliches Jahr gewesen sein. Leider nennt der zitierte Artikel aber keine anderen Zahlen.

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die Hersteller, Grossisten und Importeure des VFGI nicht mehr überleben. Wichtigste Kraft waren aber nicht die Produzenten, sondern die im SFMGV organisierten Händler. Der Verband war eigentlich ein Kartell. Preise für Räder, Bestandteile und Reparaturen wurden abgesprochen.207 Die Nachkriegsschweiz war ein Kartelldorado.208 Dass die Fahrradhändler so organisiert waren, war also nicht ungewöhnlich, wenn auch etwas erstaunlich. Denn die Branche war stark fragmentiert209 und die Eintrittsschranken tief. Entsprechend viel Energie wurde daher darauf verwendet, das Kartell beisammen zu halten und gegen unliebsame Konkurrenz zu schützen.210 Beides gelang bis gegen Ende der 1960er-Jahre sehr gut. So schlossen Händler und Hersteller 1958 die sogenannte Lieferantenkarten-Regelung ab, gemäss welcher sie gegenseitig exklusiv verbandstreue Betriebe berücksichtigten.211 Die Hersteller mussten sich auf den Deal einlassen, da der SFMGV über ein Netz von über 3‘000 Betrieben212 verfügte, über das (konservativ geschätzt) mindestens 90% der Fahrräder abgesetzt wurden. Die Folge war, dass beispielsweise Condor wiederholt Anfragen der Migros und der ManorGruppe ausschlagen musste, weil sie es sich nicht leisten konnte, die Fachhändler als Partner zu verlieren.213 Vor ausländischer Konkurrenz wiederum wurden die Händler einerseits durch erhebliche Zölle protegiert, die erst ab mitte der 1960er-Jahre gesenkt wurden.214 Anderer207

Die Preise wurden via Fachblatt kommuniziert, eignen sich aber nicht für eine weitere Analyse da unklar ist welche Leistung welcher Position zuzuordnen ist. Verstösse wurden geächtet und konnten zum Ausschluss aus dem Verband führen. Da die Hersteller nur an die Fachhändler lieferten (bzw. liefern mussten) kam das einem Berufsverbot gleich. FMG 1965: 328. 208 Schröter 2008 (HLS). 209 Die grosse Mehrzahl der Betriebe waren Ein-Mann- und Kleinunternehmen. 210 So kann auch die Einführung der Meisterprüfung in den 1930er-Jahren nicht nur als Qualitätssicherungsmassnahme sondern auch als Erschwerung des Marktzugangs für Verbandsfremde gesehen werden. 211 FMG-Fachblatt 1958: 27. Gemäss Auskunft G. Komendas gab es auch im VFGI Bestrebungen zur Preisabsprache, was aber nie recht funktioniert habe. 212 FMG-Fachblatt 1965: 404. 213 Cortat 1998: 119f. 214 Zweifel, Eidg. Zollverwaltung (EZV), E-Mail vom 7.2.2008. Hinzu kommt, dass Importräder teilweise ebenfalls über das VFGI-SFMGV-Netz gehandelt werden. 35 Franken betrug 1960 der Zoll pro Fahrrad, was sich angesichts tiefer Fahrradpreise

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seits bevorzugten die Konsumenten Räder aus einheimischer Produktion.215 Schwieriger war es, der grossen Schar von Händlern eine gemeinsame Linie vorzugeben, namentlich bei den Preisen. Entsprechend gebetsmühlenartig propagierte das Verbandsorgan die „Branchensolidarität“ und sagte „Feierabendhändlern“, „Billigen Jakoben“ und Grosshandelsketten den Kampf an.216 Vor allem Coop, Migros und Warenhausketten stellten für das Kartell eine Bedrohung dar. Diese wären in der Lage gewesen das dichte Verkaufsnetz des SFMGV über ihre eigenen Läden auszuhebeln. Entsprechend scharf reagierte der Verband wenn Räder über solche Kanäle unter die Leute kamen.217 Als per Ende 1966 die Zölle gegenüber den EFTA-Staaten218 auf null gesenkt wurden bot sich den Grossverteilern eine echte Möglichkeit, das Kartell zu bedrängen. 219 Aber dieses reagierte geschickt: Zwar konnte sein Verkaufsnetz umgangen werden, das Monopol bei den Reparaturen aber blieb bestehen. Schon 1965 hatte der SFMGV das „Service-Garantie“-Zeichen geschaffen.220 Die kleine Plakette wurde auf allen Rädern angebracht, die über das Kartell verkauft worden waren. Räder ohne Abzeichen wurden nicht oder nicht prioritär geflickt. Zudem nahm der Verband selbst ein Billig-Rad ins Angebot. Dieses sollte preisbewusste Kunden in die Läden ziehen, wo ihnen dann ins Gewissen geredet werden sollte.221

bedeutend auf den Wettbewerb auswirkte. Bis Mitte der 1960er-Jahreblieb der Marktanteil importierter Räder unter 5%. Danach wurden die Zölle gesenkt. 215 Schweizer Räder verfügten über eine an Geografie und Gewohnheiten angepasste Machart. Die Mitte der 1961 lancierte österreichische Fahrradmarke „Simplon“ war ein expliziter Versuch ein Rad nach Schweizer Bauweise zu produzieren. Die SHZ kam noch 1986 zum Schluss, dass Schweizer Kunden primär inländische Räder verlangten (SHZ 23/1986). 216 Z.B. FMG-Fachblatt 1965: 328, FMG-Fachblatt 1965: 103. 217 FMG-Fachblatt 1968: 199. So sorgten Ende der 1960er-Jahre bei Wettbewerben offerierte Importräder für heftigen Protest des SFMGV. 218 EFTA: European Free Trade Association. Von diesen verfügten vor allem England und Österreich über nennenswerte Fahrradindustrien. 219 Allerdings mussten sich auch ausländische Hersteller zwischen Kartell und Grossverteilern entscheiden. So wurde Raleigh 1969 abgemahnt, weil Raleigh-Räder bei Jelmoli auftauchten. FMG-Fachblatt 1965: 452; 1969: 129. 220 FMG-Fachblatt 1965: 184. 221 FMG-Fachblatt 1965: 359.

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Die Strategie offenbart einen gewissen Qualitätspaternalismus, der beim Verband immer wieder durchschimmerte. Mit diesem standen sich die Händler aber im Weg, wenn es um Impulse für die Nachfrage ging. Das Kartell versuchte sich den Markt so zu organisieren „wie er sein sollte“ um Räder zu verkaufen „wie sie sein sollten“. Dieser kleingewerbliche Stolz verhinderte die erfolgreiche Lancierung neuer Modelle und Ideen.222 Stattdessen versuchte das Kartell die Nachfrage zu beleben ohne etwas zu verändern. Die Läden sollten zeitgemäss gestaltet werden, eine 1958 geschaffene Organisation verbreitete dafür geeignetes Material.223 Diese produzierte auch InserateClichés, Plakate und andere Werbemedien und versorgte die Presse mit oft überoptimistischen Artikeln.224 Dabei richteten sich die Händler vor allem an ihre bestehenden Kunden, also insbesondere an Kinder.225 Neue Kundengruppen wurden kaum angegangen, mit Ausnahme des „Gesundheitssegments“ – die vom Fachblatt oft beschworene „Gesundheitswelle“ blieb aber aus.226 Aus der Erkenntnis dass sich angesichts von Parkplatzmangel und Staus Chancen fürs Fahrrad eröffneten zog der Verband keine Konsequenzen.227 Ähnlich verhielt es sich mit der wachsenden Freizeit: zum neu aufkommenden arbeitsfreien Samstag fand sich im Fachblatt bloss eine dümmliche Karikatur.228 Werbe- und Produktpolitik des SFMGV fehlte es unter dem Strich an Mut, Entschlossenheit und auch etwas an Intelligenz. Und so verpassten die Händler die Chancen die sich ihnen boten.

222

FMG-Fachblatt 1960: 413. Ein Beispiel dafür war das nur halbherzig propagierte „Pfiff“-Klapprad. Seine kleinen Räder eigneten sich nicht für grössere Strecken, seine Qualität war diskutabel und so verzichteten die Händler lieber selbst, anstatt den Entscheid den Kunden zu überlassen. 223 FMG-Fachblatt 1959: 272, 1964: 10, 1964: 87, 1969: 11. 224 FMG-Fachblatt 1958: 40, 136, 295; 1960: 152; 1961: 198: 431; 1964: 107. Die Fahrradrenaissance wurde aber auch verbandsintern herbeizureden versucht. 225 FMG- Fachblatt 1964: 35, 1964: 383, 1965: 10. In 1958: 53f veröffentlicht der Verband eigens seine „10 Gebote zum Umgang mit Kinderkundschaft“. 226 FMG-Fachblatt 1960: 243 oder 1964: 105&107. Die Strategie wurde bereits damals von Branchenkennern kritisiert. FMG-Fachblatt 1964: 395. 227 FMG-Fachblatt 1964: 352, 1964: 395, 1968: 20, 1964: 4-5, 1964: 292 – Der SFMGV rechnete angesichts des sich verknappenden Parkraums aber eher mit einer Renaissance des Motorrades. 228 FMG-Fachblatt 1959: 202.

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Für viele von ihnen stellte sich angesichts real sinkender Preise, schrumpfender Umsätze und steigender Löhne die Überlebensfrage.229 Auch der SFMGV suchte nach rentableren Geschäftsfeldern.230 1957 erörterte das Fachblatt in einer Sondernummer einen möglichen Einstieg der Händler ins Kabinenroller- und Kleinstwagen-Geschäft.231 Das Fazit blieb aber skeptisch. Die grosse Stunde schlug 1961 mit der Einführung des Mofas. Dieses war nicht nur im Verkauf teurer als das Fahrrad, sondern auch intensiver in der Wartung.232 Das Mofa entwickelte sich rasch zum zweiten Standbein, zur Lebensversicherung der Fahrradhändler. Entsprechend vehement nahmen diese die Töfflibuben gegen alle Klagen in Schutz. Regelmässig berichtigten SFMGV und „NZK“233 mofaskeptische Zeitungsartikel und BfU-Studien.234 Über die Richtigkeit der Gegendarstellungen lässt sich debattieren. Wie sehr die Konflikte gesucht wurden, illustriert aber die Bedeutung des Mofas für die Fahrradhändler.

4.6

Fahrrad und Politik in den 1960er-Jahren

Der Gesetzgeber schenkte dem Fahrrad in den 1960er-Jahren wenig Beachtung. Einzig ein Obligatorium für Rücklichter wurde 1966 eingeführt.235 Das Basler Staatsarchiv hat fast keine fahrradspezifischen Dokumente aus den 1960er-Jahren,236 sein Genfer Pendant 229

Der SFMGV publizierte keine Mitgliederzahlen. Die Tribune de Genève schrieb 1965 von 3200 Händlern, die SHZ 1978 von nur noch 1768. Tribune de Genève 7.10.1965, SHZ 43/1978: 5. FMG-Jahresbericht 1981, SWA DoS SFMGV, Bv Bg 59. 230 Tribune de Genève, 7.10.1965. „un vélo normal coûte environ 300 francs, soit exactement autant qu’il y a douze ans. Un modèle de course dont la précision confondrait un horloger, vaut 575 franc, soit 125 francs de plus qu’en 1945, en un temps où on ne connaissait pas encore le double plateau qui permet jusqu’à dix développements.“ FMG-Fachblatt 1967: 441. 231 FMG-Fachblatt 1958: 219ff. 232 z.B. FMG-Fachblatt 1964: 90. 233 Die „Nationale Zweiradkonferenz“ war ein Dachverband, dem sowohl Fahrradhändler, als auch –produzenten angehörten. 234 FMG-Fachblatt 1962: 402, FMG-Fachblatt 1964: 161f, FMG-Fachblatt 1965: 360, FMG-Fachblatt 1962: 402. 235 FMG-Fachblatt 1965: 430. 236 StaBS PD-REG 12a 4-10 (4) „Fahrrad 1932-1970“.

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überhaupt keine.237 Im Bundesarchiv findet sich unter „Fahrräder 1962-1969“ ein schmales Mäppchen mit gerade mal drei Dokumenten. Die Auswahl aber könnte treffender nicht sein: beim ersten geht es um Mofas, beim zweiten um Kinderräder und beim dritten um die Befestigung von Fahrrädern auf Auto-Dachträgern.238

237 238

Barrelet (AdGE), Brief vom 24.1.2008. BAR E 4261 (B) 1992/197 Bd. 233 AZ 240 „Fahrräder 1962-1969“.

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5. FAHRRADFAHREN 1968-1973 Hatte das Fahrrad-Maximum Anfang der 1950er-Jahre keinen Grund zur Freude geboten, so war umgekehrt das Minimum um 1970 kein Anlass zur Tristesse. Die Trendwende schien bloss eine Frage der Zeit. Als ob wachsende Kaufkraft und immer mehr Autos zwar vorübergehend zu sinkenden, auf Dauer aber auch wieder zu steigenden Fahrradbeständen führen müssten. Das FMG-Fachblatt jedenfalls publizierte in den 1960er-Jahren in immer kürzeren Abständen Erfolgsmeldungen aus anderen Ländern. Es war, als könnte man zusehen, wie der Umschwung näher kam. Ausgangspunkt waren – natürlich – die USA. Hier fand bereits in den 1950er-Jahren eine kleine Renaissance statt. Eisenhower (1953-1961) bescherte dem Gefährt einen ersten Sympathieschub nachdem er infolge eines Herzinfarkts regelmässige Radtouren verschrieben bekommen hatte.239 Kennedy (1961-1963) erklärte angeblich „nothing compares to the simple pleasures of riding a bike“240 und gab die Losung „back to the bicycle“241 heraus. Johnson (1963-1969) führte die Pro-Fahrrad-Politik weiter242 und der den beiden gemeinsame Innenminister Stewart Udall (1961-1969) sprach davon, dass endlich etwas gegen die „Tyrannei des Autos“243 unternommen werden müsse. Die Leute zum Radfahren zu animieren, erklärte Udall, halte er für etwa zehnmal so wichtig wie den Bau der Concorde.244 Wie viel Gewicht den Worten aus dem Weissen Haus beizumessen ist, ist ungewiss. Sicher ist aber, dass die Zahl der Räder in den USA von unter 5 (1955) auf über 55 Millionen (1965) anstieg, wobei es sich allerdings hauptsächlich um Kinderräder handelte.245 Drei Viertel der 1964 verkauften Räder waren Kinderräder, die primär in

239

FMG-Fachblatt 1970: 303. FMG-Fachblatt 1961: 308. 241 FMG-Fachblatt 1967: 441. 242 Moto-Touring 7/1966: 1. 243 FMG-Fachblatt 1964: 162. 244 Hochmuth 1991: 122. 245 FMG-Fachblatt 1965: 298 240

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Suburbia und auf dem Land zum Einsatz kamen.246 Erwachsene nutzten das Rad höchstens als Sportgerät. Für die alltägliche Mobilität in den Städten wurde es hingegen kaum eingesetzt, zu sehr waren USStädte aufs Auto ausgelegt.247 Den Erfolgsmeldungen aus Übersee folgten bezeichnenderweise die Nachrichten einer Fahrrad-Renaissance aus Schweden, dem am zweitstärksten motorisierten Land der Welt. Die schwedische Siedlungsstruktur war schon eher mit der schweizerischen vergleichbar. Und hier stiegen auch Erwachsene für alltägliche Fahrten vermehrt aufs Fahrrad um, wobei der zunehmende Mangel an Parkflächen offenbar eine entscheidende Rolle spielte.248 Dann erfasste die Entwicklung auch Deutschland und Österreich.249

5.1

Die Motorisierung in der Krise

Ende der 1960er-Jahre erreichte die Motorisierung auch in der Schweiz ein Ausmass, das auf sie selbst zurückfiel.250 „Die Utopie der Massenmotorisierung“ bemerkt Sachs „lebte von der Illusion, dass das Vergnügen der frühen Automobilisten sich in der Masse zum allgemeinen Mobilitätswohlstand aufsummieren liesse“.251 Genau dies aber ging schief. Das Auto stiess an Grenzen, physisch und ideell. „Stahl kann man vervielfältigen, den Stadtraum nicht“ hielt der französische Soziologe Alfred Sauvy 1967 fest. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Zahl der Motorfahrzeuge weit stärker vermehrt, als die Verkehrsfläche. Staus, Stockungen und knappe Park-

246

Gemäss Arbeiter-Touring wurde 1965 ein Viertel der Räder für Erwachsene gekauft, was offenbar aussergewöhnlich viel war. AT 22/1965: 1. 247 Arnott 2005: 116. Gemäss Arnott waren europäische Städte um das Jahr 2000 im Schnitt dreimal so dicht bebaut, wie amerikanische. Das US-Verkehrssystem orientiert sich deutlich stärker am Auto. Für den Transport von A nach B ist das Fahrrad in den USA also auch deshalb weniger geeignet, weil A und B weiter von einander entfernt sind als in Europa. 248 FMG-Fachblatt 1964: 292, 1968: 20, 1967: 89. 249 Österreich: FMG-Fachblatt 1965: 49, Deutschland: FMG-Fachblatt 1971: 357 Vergleiche auch RMS 40/1962: 1, Moto-Touring 7/1966: 2; 9/1966: 2. 250 Hochmuth 2002: 80. 251 Sachs 1984: 206.

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räume waren die Folge.252 Schon vor Ölkrise und „Limits to Growth“253 ging in Westeuropas Städten eine wichtige Ressource zur Neige: der Raum. Für Paris errechnete Sauvy, dass jederzeit 200'000 Autos falsch (illegal) parkiert waren. Sollte die Motorisierung so weitergehen, würde es absurd. „Auf Grundlage der heute möglichen Voraussagen“ skizzierte Sauvy „müsste in Paris, wenn man den Verkehr wenigstens auf der augenblicklichen Durchgangsgeschwindigkeit erhalten wollte, in den nächsten dreissig Jahren ein Viertel der Stadt abrasiert werden. Der Bau von fünfzig Autostrassen mit vier Fahrbahnen durch die Stadt würde notwendig werden. Um die ganze Stadt müsste sich ein Niemandsland von Parkings von einem Kilometer Tiefe runden.“254 Sauvy folgerte: „Der Bürger hat nicht das Recht, sich durch Ankauf eines Automobils 10 Quadratmeter Raum anzueignen. Er hat nicht das Recht, nach Gutdünken die Luft zu verpesten und die Nerven seiner Stadtgenossen durch Motorrattern zu zerreissen. Der Privatwagen ist kein Menschenrecht.“ 255 Zum Raumproblem gesellten sich Lärm, Unfälle, Abgase. Die Verkehrskrise war quasi eine mehrfache Allmendtragödie:256 der Nutzen der Autos war privat, den Verschleiss an Luft, Ruhe, Raum und Sicherheit trug die Allgemeinheit. Und diese Kosten stiegen markant an. Die Zahl der Verkehrsunfälle erreichte 1971 ihren traurigen Höhepunkt.257 Motorfahrzeuge wurden nun zusehends als störend und gefährlich empfunden – jedenfalls jene der anderen. Auch die Freude am eigenen Auto liess nach. Das Vergnügen einzelner lässt sich nicht vervielfältigen wenn es darin besteht, dass andere es nicht haben. Das frühe Auto war sozial exklusiv, ein Status252

Statistische Daten sind hierzu nicht greifbar. Haefeli spricht jedoch von „alltäglich“ gewordenen Staus. Haefeli 2008: 257. 253 Meadows 1972. 254 FMG-Fachblatt 1968: 20. Der Artikel ist laienhaft übersetzt. Ob von einem Quartier oder einem Viertel der Stadtfläche die Rede ist, ist daher unklar. 255 FMG-Fachblatt 1968: 20. 256 Das Allmendproblem beschreibt in der Ökonomie das Problem der Übernutzung öffentlicher aber knapper Güter. Jeder einzelne verhält sich rational, wenn er Raubbau betreibt, für die Gesellschaft ist Raubbau aber schädlich. Eine ökonomische Optik auf den Verkehr fehlte bis in die 1970er-Jahre, Haefeli bezeichnet die Ökonomen als „die grossen Abwesenden“ der Verkehrsdiskurse. Haefeli 2008: 88; Sachs 1984: 210. 257 BfS 1972.

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symbol das nur wenigen zugänglich war.258 Dieser Nimbus kam ihm mit der Massenmotorisierung abhanden.259 Hinzu kam, dass auch der Gebrauch alltäglich wurde. Das ehemals „romantische Gefährt“260 wurde für profane Zwecke gebraucht. Wer Auto-sei-Dank ins Grüne ziehen konnte, musste nun täglich damit zur Arbeit fahren – und hunderte andere mit ihm. Die Möglichkeiten, die es eröffnet hatte, mutierten zu Zwängen. Das Auto lieferte nicht mehr ein Supplément an Mobilität, sondern den Grundbedarf. Damit kam ihm das Vergnügen abhanden. Das Autofahren verlor seinen Zauber. Hatte es lange als geniesserische Alternative zur dumpf von A nach B schnaubenden Eisenbahn gegolten, so wurde nun genau dieser schnelle Transport zum Zweck der Autofahrt. Abschweifen und Anhalten gingen verloren, das Ziel war nicht mehr der Weg und parallel zu den Eisenbahnen durchschnitten Autobahnen die Landschaft. Der motorisierte Individualverkehr mutierte mehr und mehr zum Massenindividualverkehr und führte sich damit ad absurdum.

5.2

Schelte für Mofas

Als erstes geriet eigentümlicherweise das Mofa in ein schiefes Licht. Mitte der 1960er-Jahre hatte ihm der SFMGV angesichts drohender Verkehrsengpässe eine blühende Zukunft prognostiziert, bald darauf standen die Zweitakter in heftiger Kritik.261 Die Anwürfe von 258

Für Bourdieu dient der demonstrative Konsum von Luxusgütern der sozialen Distinktion, dem sich-Abheben vom Rest der Bevölkerung. Verkürzt ausgedrückt liegt also der Mehrwert einer teuren Uhr nicht darin, dass sie die Zeit besser anzeigt als eine billige. Sondern darin, dass nur wenige Leute eine solche teure Uhr besitzen. Bourdieu 1979. Merki (2002: 423) spricht von einem „sozialen und emotionalen Mehrwert“, ohne den sich der Siegeszug des Automobils mikroökonomisch nicht verstehen lasse. 259 Lichtensteiger 2002: 114. Die Lancierung neuer Luxuskarossen konnte das nur ansatzweise ändern. Dem Auto erging es ähnlich wie dem Rad im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts: was jeder hatte war nicht mehr attraktiv. 260 Sachs 1984: 186. 261 FMG-Fachblatt 1964: 392; BAR E 4261 (B) 1992/197 Bd. 118-120 AZ 207-05: Motorfahrräder (Administrativ). Vgl. auch BAR E 4261 (B) 1997/197 Bd. 63 AZ 004.4-09, 004.4-17, 004.4-38, 004.4-51.

58

Lärmliga, ACS, Leserbriefschreibern und Medien gewannen Ende der 1960er-Jahre rapide an Zahl und Schärfe.262 Zu laut seien die Mofas und ausserdem zu gefährlich für die Jugend. Von „motorisierten Kindern“ war die Rede, von Lenkern die unnütz herumfuhren, unnötig Krach produzierten und die Umwelt belasteten.263 Die Politik diskutierte die Einführung einer Fahrprüfung, die Anhebung des Mindestalters oder die Reduzierung der Lärmgrenze.264 Ausserdem wurden 1969 (in einigen Kantonen 1967) die Mofa- von den Fahrradnummern separiert und erheblich verteuert.265 Jugendliche warfen den Kritikern Verlogenheit und Doppelmoral vor. Was sie am Mofa auszusetzen hatten betraf auch ihre Autos und doch kritisierten sie zuerst die Anderen, die Schwächeren, die Aufmüpfigen. Den Jugendlichen wurde das Recht am Motor zuerst abgesprochen. Auch SFMGV, ATB, SRB und TCS stemmten sich gegen den Trend, entkräfteten Argumente und sprachen von einem Generationenproblem.266 Den Imageverlust des Mofas konnte das aber nicht verhindern.267 Für die Händler gab es ein weiteres Problem: der Mofa-Markt war gesättigt. Jeder dritte Jugendliche hatte bereits eines und neue Kundengruppen liessen sich in der herrschenden Stimmung nicht ansprechen – Parknot hin oder her.268

262

FMG-Fachblatt 1969: 38: 207, 1972: 110: 184: 247: 385. ACS 1971: 10. 264 FMG-Fachblatt 1972: 15, 164, 247f. 265 FMG-Fachblatt 1968: 408, AT 15.8.1972: 2. Bis dato waren Mofas mit denselben Nummern wie Fahrräder ausgestattet und also auch gleich versichert wie diese. Die Anhebung der Kosten geschah u.a. weil Mofa-Unfälle teurer waren als Fahrradunfälle, wodurch die Haftpflichtversicherungen in Schieflage gerieten. Die Anhebung der Haftpflichttaxe ging aber in sämtlichen Kantonen mit einer deutlichen Anhebung der Fiskalabgaben einher. So verlangte beispielsweise der Kanton Zürich ab 1.1.1969 statt 2 neu 10 Franken Staatstaxe und hob die Versicherungsgebühr von 4.90 auf 15.50 an. Die Nummer verteuerte sich also von 6.90 auf 25.50. 266 FMG-Fachblatt 1972: 341, 1973: 315. 267 So verzichtete etwa die Migros aus Imagegründen auf den Einstieg ins MofaGeschäft. SHZ 43/1978: 5. 268 FMG-Fachblatt 1973: 22. Gemäss einer Studie der La-Suisse-Versicherung. 263

59

5.3

„1968“ und die Verkehrspolitische Wende

Zum Ende der 1960er-Jahre kam eine Vielzahl sozialer Gärungsprozesse zum Ausdruck, die heute gerne unter der Chiffre „1968“ zusammengefasst werden. Einigermassen zeitgleich artikulierten Studenten-, Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen in Paris, Berlin, Budapest, Prag, der Schweiz oder den USA ihr Unbehagen am Status Quo. Sei es bezüglich der Atomenergie, des Umweltschutzes, der Lage in der Dritten Welt, der Gleichberechtigung, der weltweiten Kriege oder der Bildungspolitik.269 Historiographische Schwierigkeit ist, dass die „Neuen Sozialen Bewegungen“ ein ungemein breites Repertoire an Themen aufgriffen. Eine Umkehrdefinition bietet sich an: kaum eine wichtige soziale oder politische Strömung des späten 20. Jahrhunderts wurzelt nicht in „1968“. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass die Bewegungen nicht gegen den Zeitgeist entstanden sondern aus diesem heraus. Das Unbehagen an den Wachstums- und Fortschrittsideen der Nachkriegszeit war eine direkte Folge von deren lawinenhaftem Erfolg in den vergangenen Jahrzehnten.270 Das betraf auch den Verkehr. Manuel Eisner hält fest: „Bis in die späten sechziger Jahre war der politische Konsens von einem ungebrochen bejahenden Verhältnis zum Mobilitätsparadigma des Automobils geprägt und die Planung war ausschliesslich auf die Befriedigung wachsender Mobilitätsbedürfnisse sowie die Beseitigung von Verkehrsengpässen ausgerichtet. Ab 1969/1970 begannen sich dann […] Widerstände zu regen […].“ Eisner stellt vermehrte politische Aktivi269

Für Brand war die gemeinsame Basis der Bewegungen die „Erfahrung der enthumanisierenden und lebenszerstörenden Folgen industriellen Wachstums [und] des industriellen Zivilisationsmodells schlechthin […]: [Die] Ausbeutung und Verwüstung natürlicher Lebensbedingungen; zunehmende Kommerzialisierung, Technisierung und Bürokratisierung sozialer Beziehungen; Zerstörung kleinräumiger, persönlich überschaubarer Lebens- und Arbeitsbereiche; wachsende Abhängigkeit von anonymen, technokratischen Kontroll- und Herrschaftsapparaten; wachsende Rüstungsspirale und Kriegsgefahr; explosiv wachsende Welt-Hungerprobleme. Die in diesen Erfahrungen begründeten Zukunftsängste, Entfremdungsgefühle und psychischen Belastungen verschmolzen zu einer Widerstands- und Protestbewegung, die ihre Schwungkraft und ihre Perspektive aus dem antimodernistischen Mythos des "natürlichen", sei es des einfachen und überschaubaren, sei des spontanen, bedürfnisorientierten Lebens gewann.“ Brand, Soziale Bewegungen 1982: 7. Siehe auch Ziegler 2012 (HLS); Dahinden 1987. 270 Haefeli 2008: 39.

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täten fest, die Probleme wie Lärm, Luftverschmutzung, Energieverbrauch, Verkehrsopfer, Wachstumskritik, Lebensqualität und soziale Kosten des Automobils zum Thema machten. „Sie [bewirkten], dass Mobilität als ein konfliktgeladener Wert wahrgenommen und seiner Selbstverständlichkeit beraubt wurde. […] Damit trat die Verkehrspolitik in eine Phase sich verschärfender Konflikte.“271 Die Stimmung kippte überraschend plötzlich um 1970. Verkehrs- und Infrastrukturvorlagen – zuvor stets durchgewinkt – scheiterten nun reihenweise an der Urne.272 Politstatistiker Hanspeter Kriesi stellt für die Jahre nach 1970 eine steigende Zahl politischer Aktivierungsereignisse in den Bereichen Umwelt, Verkehr und öffentlicher Raum fest;273 Historiker Ueli Haefeli spricht von einer eigentlichen „Umweltwende“ im Verkehrswesen.274 Dabei standen vor allem die Kollateraleffekte des motorisierten Verkehrs im Fokus der Debatten: Unfälle, Lärm und Gerüche.275 Plötzlich stemmte sich eine breite Mehrheit der Bevölkerung gegen Strassenbauprojekte und votierte für tiefere Abgasgrenzwerte, Tempound Lärmlimiten. Zwei Prozesse spielten diesem Gesinnungswandel in die Hände: die Sensibilisierung für die gesundheitsschädigende Wirkung des Autoverkehrs sowie das keimende Bewusstsein für ökologische Anliegen.276 Der Einstellungswandel bedeutete keinen grundlegenden Wandel im Verhalten. Das Auto wurde nicht grundsätzlich infrage gestellt. Propagiert wurden technische Lösungen wie Katalysatoren und Sicherheitsgurten oder ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs.277 Diese

271

Eisner 1992: 15. Haefeli 2008: 49, 109, 111, 210. Haefeli spricht vom „Ende der InfrastrukturEuphorie der 1960er-Jahre“. 273 Kriesi 1981: 110. Für die 1950er- und 1960er-Jahren zählt Kriesi in den genannten Bereichen 5 bis maximal 20 Aktivierungsereignisse pro Jahr. Zwischen 1969 und 72 kletterte deren Zahl auf über 50. Für den Rest der 1970er-Jahre pendelte der Wert um etwa 30 pro Jahr. 274 Ob die verkehrspolitische Trendwende die Verkehrsfachleute zuerst oder zu allerletzt erfasste ist strittig. Vgl. Blanc 1993: 137ff und Haefeli 2008: 107ff. 275 Haefeli 2008: 111. 276 Haefeli 2008: 107ff betont, dass Umweltfragen historisch immer dann die besten Erfolgschancen hatten, wenn sie mit Gesundheitsfragen verknüpft werden konnten. 277 Haefeli 2008: 108ff. 272

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erfolgte aber nicht zulasten des Autos sondern parallel zu diesem.278 Zwar verschärfte sich die Rhetorik und erste Innenstadtbereiche wurden für Autos gesperrt. Einschneidende Beschränkungen des motorisierten Individualverkehrs fanden aber in den ganzen 1970er-Jahren keine Mehrheiten.279 Auch die Fahrzeugbestände stiegen weiter steil an. Die Liebe zum Automobil kühlte sich ab. Dabei wurde deutlich dass die Beziehung zu diesem weniger einer Liebe ähnelte, als vielmehr einer Sucht.

5.4

Bewegungen im Fahrradmarkt

Aufkeimende Kritik am Strassenverkehr und engere Verhältnisse auf den Strassen: eigentlich sprach Ende der 1960er-Jahre einiges fürs Fahrrad. Aber der Gedankengang ist zu logisch, zu rational. Das Problem war, dass das Rad gar nicht mehr als Verkehrsmittel angesehen wurde, geschweige denn als Lösung für die Verkehrsprobleme. So stellte zwar eine Zeitschrift schon 1966 fest, dass man in Zürich per Fahrrad am schnellsten vorankam (vor Mofa und Taxi),280 als das GDI 1970 eine Tagung zu Verkehrsproblemen durchführte, sprach aber trotzdem kein Experte von Fahrrädern.281 Für die Renaissance brauchte es nicht logische Argumente, sondern emotionale. Nicht der Parkplatzmangel brachte die Wende, sondern das wiedergefundene Vergnügen. Und dabei spielten Klappräder die Hauptrolle. Das Rad gewann nicht als Alternative zum Auto wie-

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Haefeli 2008: 50 nennt diese Doppelförderung einen Etikettenschwindel und vermeidet damit den schärferen Begriff der Doppelmoral. 279 Haefeli: 107f sowie Eisner 1992: 15. Besonders pointiert äusserte sich etwa der deutsche Verleger Hans Dollinger, der den Verkehr ist die zur „Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“ erklärt. 1972 wurden die Innenstädte Genfs, Berns, Zürichs, Biels und Lausannes vom Verkehr befreit, wobei jedoch darauf geachtet wurde, dass rund um die Fussgängerzonen genügend Parkplätze bereitstanden. Die ablehnende Haltung der innenstädtischen Läden wechselt um 1970 in Unterstützung für Fussgängerzonen nachdem die Kundschaft ohnehin zusehends zu neuen Einkaufszentren an der Peripherie abwanderte. 280 Moto-Touring 1/1966; zum selben Ergebnis kamen später die wohl etwas präziser erhobenen Studien von Perritaz und Schürch. Perritaz 1982: 122ff, Schürch 1973. 281 Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) 1971.

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der Sympathien, sondern als Gadget. Sein Comeback war ein Comeback durch die Hintertür. Oder besser: durch den Kofferraum. Der Impuls kam von aussen: 1968 stiegen Manor, Jelmoli und Coop in den Fahrradhandel ein, 1969 die Migros.282 Und die Grossverteiler setzten auf eine klare Strategie: sie verkauften fast ausschliesslich Klappräder. Der Trend hatte sich bereits angedeutet, aber die Fachhändler unterschätzten sein Potenzial. Nun forcierten die Grossverteiler die Modelle, senkten die Preise und intensivierten die Werbung.283 Damit entwickelte die Mode eine Eigendynamik. Das Kartell reagierte nervös.284 Und als einzelne Kaufhäuser Anfang der 1971 auch noch Mofas ins Angebot aufnahmen, titelte das Fachblatt „Commerce Spécialisé, c’est la Guerre!“.285 Plötzlich standen alternative landesweite Filialnetze bereit über welche, primär jugoslawische Importräder, zu Tiefpreisen verkauft wurden. Einzelne Händler wollten die Preise nun ebenfalls senken, aber der Verband warnte: ein Preiskampf war aussichtlos.286 Stattdessen baut der SFMGV auf die bewährten Rezepte: er schloss die Reihen und verfügte, dass verbandsfremde Räder weiter nicht oder nicht prioritär repariert wurden.287 Darüber hinaus passten Händler und Hersteller ihre Produktpolitik an, setzten ebenfalls auf Klappräder und brachten ein eigenes Discountrad auf den Markt. Das Modell „Florida“288 war ein markenloses Schweizer Billigrad, das von mehreren Herstellern gemeinsam produziert wurde und bei einem Preis von 180 bis 200 Franken durchaus mit den Rädern der Grossverteiler konkurrieren konnte. Mit diesem „Kampfrad“, so der SFMGV, sollte die Kundschaft in die Läden gelockt, dort über die Nachteile billiger Räder aufgeklärt und

282

FMG-Fachblatt 1969: 402 und 1970: 11: 34: 269. 1965 ist kostete ein – verhältnismässig teures – Klapprad von Condor 395 Franken. Fünf Jahre später waren Import-Klappräder bei Migros und Coop für 200 Franken zu haben. FMG-Fachblatt 1965: 122, 1970: 202. 284 FMG-Fachblatt 1969: 47, 1969: 95 und 1969: 227. 285 FMG-Fachblatt 1969: 340, FMG-Fachblatt 1971: 33, 1972: 43. 286 FMG-Fachblatt 1971: 182. 287 FMG-Fachblatt 1972: 123: 125; Berner Zeitung 241/1980. Strategische Motive deckten sich mit praktischen: die Händler verfügten oft gar nicht über die richtigen Ersatzteile für jugoslawische und andere Importräder. 288 FMG-Fachblatt 1970: 312. 283

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schliesslich zum Kauf eines teureren Qualitätsrades bewogen werden.289 Die Hektik flaute ab nachdem klar wurde, dass die Massnahmen wirkten.290 Die Grossverteiler taten sich im Fahrradgeschäft schwer; einzelne zogen sich zurück.291 1970 hielt das Kartell immer noch einen Marktanteil von über 90% und schlug überraschende Töne an.292 Man müsse die Wünsche der Kunden im unteren Preissegment ernst nehmen sowie vermehrt „neuheitsorientiert“ arbeiten. Sogar exotische Hippie-, High-Riser- oder Bonanzaräder fanden nun den Weg in die Schaufenster der Fachhändler.293 Die Attacke der Grossverteiler brach zwar nicht die Marktmacht des Kartells, aber änderte dessen Produktpolitik zugunsten eines Trends den VFGI und SFMGV verschlafen hatten:294 1970 war mehr als jedes zweite verkaufte Fahrrad faltbar.295 Damit kam ein Konzept zum Zug, das schon seit Anfang des Jahrhunderts existierte und zuletzt 1960 und 1962 erfolglos lanciert worden war.296 Auch jetzt war das Prinzip umstritten. Die Fachhändler sahen darin einen flüchtigen Mode-Gag, Fahrradhistoriker Hochmuth nennt es „eine der konstruktionstechnisch verfehltesten Entwicklungen der Fahrradgeschichte”, ein „schwachbrüstiges, für Langstreckenfahrten völlig ungeeignetes Gefährt.“297 Für viele war das Klapprad kein „richtiges Fahrrad“. Genau das war sein Vorteil. Es unterschied sich schon optisch deutlich von dem Gefährt, das bloss noch Spielzeug für Kinder, Sportgerät für Verrückte und Verkehrsmittel für Spinner und arme Leute war. Damit eröffnete sich dem Klapprad die Möglichkeit, eine verstaubte Idee neu zu defi-

289

FMG-Fachblatt 1969: 10f, FMG-Fachblatt 1969: 47, FMG-Fachblatt 1969: 95. FMG-Fachblatt 1969: 227, FMG-Fachblatt 1973: 378. 291 FMG-Fachblatt 1971: 33. 292 FMG-Fachblatt 1971: 34. 293 FMG-Fachblatt 1970: 129; 1973: 141. 294 FMG-Fachblatt 1968: 413. 295 Zürcher Woche 42/1970. Gemäss Rauck 1979: 101 machten Klappräder in Deutschland schon zwischen 1967 und 1970 über 50% der neu verkauften Räder aus. 296 Mit faltbaren Rädern wurde bereits im 19. Jahrhundert experimentiert. Gerade die Armeen der Kolonialmächte bekundeten ein reges Interesse. Rauck 1979: 90ff. 297 Hochmuth 1991: 119. 290

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nieren.298 Das kleine faltbare Ding entsprach nur schon modisch dem Zeitgeist. Und gerade die Damenwelt realisierte schnell: zum Minirock gehörte ein Minirad.299 Die kleinen Räder machten das Fahren unruhiger, lebendiger, quirliger. Man musste gut balancieren können, das Rad betonte das spielerische, sinnliche am Fahrradfahren. Die Wiederentdeckung der Lust am Körper und an der Bewegung war einer der wichtigsten Umbrüche von „1968“ und dazu passte ein Faltrad perfekt.300 Es bot eher Spass als Transport, weniger praktischen Nutzen dafür emotionalen. Im Alltag kam es wenig zum Einsatz, aber das störte kaum: in Genf beispielsweise wurde 1970 ohnehin bloss jedes achte Rad täglich verwendet.301 Aber Schweizerinnen und Schweizer verfügten über immer mehr Freizeit und für diese war das Rad ideal.302 Der Modeartikel war um 1970 derart populär, dass sich das FMGFachblatt fragte: „Wird das Klapp- und Minirad zum Statussymbol?“ und ausführte: „Bei den Jungen muss man heute sowieso ein Minirad oder ein Mofa haben, sonst ist man nicht „in“. Immer mehr aber gilt der Besitz und Gebrauch eines Minirades auch für die reiferen Jahrgänge als Beleg dafür, dass man mit der Zeit geht […]. Diese Welle kann unserem Fach einige Jahre guter Nachfrage bringen […].“303 Tatsächlich ebbte die Klappradwelle nach ein paar Jahren ab. Die Nachteile des Modells überwogen. Für schlechte Strassen und 298

Dass das Design stärker gewichtet wurde, als die Fahrbarkeit ist keine Neuheit. Bereits in der Zwischenkriegszeit genossen sog. Motorbikes in den USA grosse Popularität. Diese waren mit aerodynamisch-stromlinienförmigen ‚Tanks’ ausgestattet. Die weisswandigen, mässig gepumpten Balloon-Tyres komplettieren die trendige Erscheinung. Sie wurden als zeitgemäss empfunden obschon sie sie 3-4 kg schwerer und schlechter zu steuern waren sowie einen deutlich höheren Rollwiderstand aufweisen, als ihre Vorgänger. Der Siegeszug des „modischen Klapprades“ lässt sich mit jenem des „modischen Motorbikes“ durchaus vergleichen. Dodge 1996: 175ff. 299 Dass Frauen vermehrt Fahrrad fuhren ist denkbar aber nicht schlüssig zu belegen. In der Werbung wurden mehr Damenräder beworben, aus den Unfallstatistiken lässt sich aber kein klarer Trend ableiten. Trotz uneinheitlicher Quellenlage dürften die Frauen bei der Radrenaissance eine wichtige Rolle gespielt haben. 300 Hochmuth 1991: 123. 301 Perritaz 1982: 136ff . Von den Mofas wurden indes zwei Drittel täglich benutzt. 302 Zürcher Woche 42/1970; Kaschuba 2004: 224; Gloor 1996. Bezüglich Freizeitforschung besteht laut Gloor 1996: 18 noch Nachholbedarf. Sicher ist, dass sich die Post-68-Generation stärker über ihr Freizeit- und Konsumverhalten definierte als frühere Generationen. 303 FMG-Fachblatt 1970: 77.

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längere Fahrten war es ungeeignet. Zu unruhig, zu schwer kontrollierbar und zu ermüdend war die Fahrt.304 Ab etwa 1972 wurden vermehrt Renner und Halbrenner nachgefragt – und von da an schöpfte die Veloindustrie wieder echten Optimismus.305 Trotzdem: Das Klapprad spielte bei der Velorenaissance eine Schlüsselrolle. Es lockte Fahrradabstinente zurück in den Sattel, rüttelte die Branche auf, entstaubte das Image des Rades und ermöglichte neue Ideen für die alten Stahlrösser. Damit erinnert es in gewisser Weise ans Rover-Rad von 1885: es war technisch nicht perfekt, eröffnete dem Fahrrad aber ein neues Publikum und eines Image. „Man fährt wieder Velo!“ betitelte die Migros eines ihrer Inserate. Eine Feststellung? Ein Werbeslogan? Beides: ein Imperativ.

Abbildung 10: Klappradwerbung von 1970.

304 305

Die Tat, 267/1974. AT 17/1972; FMG-Fachblatt 1972: 336.

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1972 traten erstmals seit langem wieder Lieferengpässe auf und die Preise begannen zu steigen.306 Das Sortiment wurde ausgeweitet und spätestens mit dem Erfolg von Renn- und Halbrennrädern waren die Debatten darüber lanciert, wozu das Rad denn nun eigentlich verwendet werden sollte.307 Dabei wurden unterschiedliche Konzepte erprobt. Der SRB startete 1970 sogenannte Volksradtouren.308 Bei diesen wurden Radlerinnen und Radlern auf geselligen, gesicherten Rundfahrten von etwa 30km Länge von SRB-Sektionen begleitet. Ab 1972 wurden Rundkurse auch fest auf verkehrsarmen Strassen in der ganzen Schweiz ausgeschildert.309 Der Verband adaptierte damit zunächst die Idee der Radiowanderung, dann jene des Vita-Parcours310 und positionierte das Rad damit im Freizeit- und Sportbereich; hier sah er auch seine eigene Zukunft. Auch der TCS erkannte die Schwächen des Klapprades, sah das Rad aber weiterhin als Ergänzung des Autos. Ab 1972 richtete er „Velo-Zentren“ ein – vorzugsweise auf grüner Wiese, in der Nähe von Autobahnzubringern und mit ausreichend Parkplätzen.311 Hier konnten Räder gemietet, ausgeschilderte Rundkurse befahren und idyllische Landschaften erkundet werden. Per Auto zur Natur zurück und dann per Fahrrad drin herumfahren, das ungefähr war das Konzept des TCS. 306

FMG-Fachblatt 1972: 321; 1972: 336 FMG-Fachblatt 1972: 29; 1973: 141; 1974: 21; 1975: 33. Der Rennradtrend wurde vermutlich durch die Erfolge von Eddy Merckx angefacht. Der charismatische Belgier gewann je fünf mal die Tour de France (68-72,74) und den Giro d’Italia (68,70,72-74) und 1974 auch die Tour de Suisse. 308 FMG-Fachblatt 1974: 356. Die Idee der Volksradtouren war an jene der beliebten Radiowanderungen der 1960er-Jahre angelehnt. Diese wurden vom Radio organisiert und begleitet und führten teilweise zu eigentlichen Volksaufläufen. Nachdem auch Radio-Skiwanderungen Zuspruch fanden wurde das Konzept fürs Fahrrad adaptiert (FMG-Fachblatt 1965: 346, 1968: 186, 1972: 163 sowie AT 7/1966: 1). Grösstes Problem war dabei offenbar, SRB-Sektionen zur Teilnahme zu bewegen (RMS 7/1965). Zu Beginn der 1970er-Jahre klappte die Organisation dann besser und die Touren erfreuten sich einer guten Resonanz. 13 Touren vermochten 1970 rund 1200 Teilnehmer anzulocken. Drei Jahre später mobilisierten dreimal so viele Touren zehnmal so viele Teilnehmer (FMG-Fachblatt 1974: 356). 309 RMS 8/1972; 14/1972; 14/1973; 16/1973; 18/1973; 32/1973; 34/1973; 35/1973 usf. Siehe auch SRB 1981. 310 Die ersten Trimm-Dich-Parcours der Vita-Versicherung entstanden 1968. Fünf Jahre später gab es bereits über 100 der beliebten Lauf- und Gymnastik-Strecken. 311 FMG-Fachblatt 1972: 369. 307

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SRB und TCS überboten sich mit „Velozentren“ und „Radwanderwegen“.312 Aber auch für den alltäglichen Gebrauch wurde das Rad Anfang der 1970er-Jahre wieder vermehrt propagiert. Medien, Politiker und lokale Gruppierungen forderten mehr Rechte, mehr Sicherheit und überhaupt: mehr Radfahrer. Das Rad begann vom geschärften Bewusstsein für Umwelt- und Verkehrsprobleme zu profitieren. 1971 fasste der Arbeiter-Touring einen Artikel mit der Feststellung zusammen „dass es so einfach nicht mehr weitergehen kann“. Im Text war das hohe Ja (92.7%) der Stimmbürger zum Umweltschutzartikel ebenso thematisiert worden, wie die Verkehrsprobleme des Städtchens Grenchen. Hier waren der allmorgendlichen Staus wegen die Arbeitszeiten flexibilisiert worden und die Industriebetriebe garantierten ihren Arbeitnehmern keine Parkplätze mehr – sofern sie weniger als 600m von der Firma entfernt wohnten.313 Die pauschale Erkenntnis des Arbeiter-Touring wurde von breiten Kreisen geteilt. Und: Verkehrs- und Umweltprobleme wurden nun zusehends mit der Forderung nach Förderung für das Rad verknüpft. So rief die NZZ 1971 angesichts „der Dringlichkeit der Umweltprobleme“ dazu auf, Räder aus Kellern und Estrichen hervorzukramen“ und schlug vor „einzelne Strassen an Sonntagen allein den Radfahrern zu überlassen“.314 Damit war die NZZ nicht alleine: das FMGFachblatt stellte überhaupt mehr „freundliche Presse“ für das Fahrrad fest.315 Auch bebilderte Reportagen über Radtouren fanden nun häufiger den Weg in die Zeitungen.316 1973 kam es vielerorts zu lokalen Aktionen, etwa unter dem Titel „Nimm‘s Velo“ in Winterthur oder als „Invito al ciclismo“ im Tessin.317 Im selben Jahr kam es in Zürich und Basel zu ersten Demonstrationen. Diese forderten konkrete Verbesserungen bei den lokalen Radwegen, standen aber zugleich in einem internationalen Kontext:318 312

RMS 16/1973; RMS 14,18,34; 35/1974; AT 8/1972; FMG-Fachblatt 1973: 203; 1974: 35; 1974: 254; 1975: 306; Weltwoche 30/1976. 313 AT 30. Juni 1971: 4. 314 FMG-Fachblatt 1971: 212. 315 FMG-Fachblatt 1973: 331. 316 FMG-Fachblatt 1971: 326. 317 FMG-Fachblatt 1973: 378: 429. 318 FMG-Fachblatt 1973: 232, RMS 19/1973. Die Demonstrationen wurden in den Folgejahren wiederholt und genossen spürbaren Zuspruch der Bevölkerung (die etwa spontan applaudierte) und der Medien. Nationalzeitung 167/1974; BaZ 169/1978

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zuvor war es schon in Paris, Brüssel, Washington, Oslo und München zu ähnlichen Kundgebungen gekommen.319 Den Demonstranten ging es nicht allein um Infrastrukturfragen. Mit dem gemächlichen, friedfertigen, umweltfreundlichen Gefährt wurden Bilder einer besseren Zukunft verbunden. Der SFMGV griff den Faden 1973 auf und stellte die neuesten Werbeplakate unter die Parole „Für eine schönere Welt: ein Zweirad“.320 Auch die Händler gaben sich nun kämpferischer, ihr Präsident sprach von einer „totgeschwiegenen (zweirädrigen) Mehrheit“321 und selbst die Radfahrerverbände setzten sich wieder vermehrt fürs Verkehrsmittel Fahrrad ein.322 Auch in Wirtschaft und Politik fand die Fahrradförderung nun Fürsprecher. Erste Firmen subventionierten radelnde Mitarbeiter323 und das FMG-Fachblatt wusste von parlamentarischen Vorstössen für den Radwegbau aus Zürich, Genf und Schaffhausen zu berichten.324 Damit traten die Radfahrer an, ihre Ideen über den langen Weg durch die Institutionen zu tragen.

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FMG-Fachblatt 1972: 311; 1968: 354. FMG-Fachblatt 1973: 388. 321 FMG-Fachblatt 1973: 111. Die Aussage ist zwar nicht ganz korrekt, aber sie trifft durchaus den Nerv der sich zunehmend politisierenden Radfahrergemeinde. Räder und Mofas waren zahlreicher als Autos wurden aber weniger benutzt, weshalb die Rede von einer Mehrheit etwas kühn war. Andererseits gebärdeten sich die rund 1.6 Millionen Automobilbesitzer auch nicht gerade wie eine gesellschaftliche Minorität. 322 So rechnete der ATB vor, dass mit den Einnahmen aus dem Rad- und MofaNummernverkauf jährlich 80km Radwege erstellt werden konnten. Der Schnitt der letzten Jahre lag aber bei bloss 25km. Fahrradfahren wurde also nicht gefördert, sondern besteuert. AT 15.8.1971, AT 8/1973. RMS 32/1973 323 FMG-Fachblatt 1973: 304. 324 FMG-Fachblatt 1972: 282; 1973: 114; 1975: 420; RMS 3/1973. 320

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Abbildung 11: Velo-Demo 1973 in Basel.325

325

FMG-Fachblatt 1973: 232.

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6. INTERMEZZO: EINE NEUE FAHRRADFASZINATION Die Wende der Jahre 1968 bis 1973 lässt sich mit der Situation auf den Strassen nicht ausreichend erklären. Entscheidend waren weniger Staus, als vielmehr eine neue Faszination fürs Fahrrad. Diese spies sich wesentlich aus den neuen Themen der 1970er-Jahre: dem Umweltbewusstsein und der Kritik an Fortschritts- und Wachstumsdenken der Vergangenheit. Erstmals seit der Jahrhundertwende kristallisierten sich am Fahrrad wieder Hoffnungen und Utopien verschiedenster Couleur. Diese waren ausserordentlich vielfältig: die Sympathisanten der frühen 1970er-Jahre argumentierten rational oder nicht, standen politisch rechts oder links, dachten progressiv oder gestrig, sozialromantisch oder hedonistisch. Vorstösse zu Gunsten des Rades kamen aus fast allen politischen Lagern.326 „Zukunftsbilder“, so der Automobilhistoriker Wolfgang Sachs, „ziehen ihre Farbe aus dem Kontrast zur Gegenwart“.327 Die Idealisierung des Fahrrads war als Kritik an den Problemen der Zeit zu verstehen. Sie entzündete sich am Überdruss an der motorisierten, betonierten Welt, an Unfällen, Gestank, Lärm, vergifteten Böden, saurem Regen, von Autobahnen zersägten Landschaften und sterilen Betonsiedlungen.328 Die Ideen der Nachkriegszeit wurden denunziert, die Forderung nach mehr Verkehrsfläche wich der Forderung nach mehr Natur.329 Fahrräder wurden zu festen Bestandteilen utopischer Gegenentwürfe. „Das Radfahren ist mehr als ein Sichfortbewegen“ zitierte das FMG-Fachblatt einen schwedischen Parlamentarier „es ist ein Lebens326

FMG-Fachblatt 1974 S.420, 1973: 114. Fahrradfreundliche Vorstösse wurden u.a. von Mitgliedern der SP, der FDP, der BGB und des LdU lanciert. 327 Sachs 1984: 231. 328 Kriesi 1981 S.107. 329 Mit reichlich Pathos befand etwa der Arbeiter-Touring: „(Es scheint eine) Tatsache […] zu sein, dass der heutige Mensch sich der Technik ausgeliefert fühlt und bemerkt, dass viele der so genannten Fortschritte bestenfalls an seiner Lebensexistenz nagen. Man entflieht der monotonen, zweckmässigen Welt der Maschinen, Computer, Motoren und der Rationalisierung und baut sich gleichzeitig eine Fluchtwelt auf, in der die Relikte der heilen Welt von gestern neue Urstände feiern. […] Der Mensch des 20. Jahrhunderts lehnt sich – vielleicht zum letztenmal – gegen die Herrschaft der Maschinen auf und sucht einen Weg, um noch einmal glücklich zu sein.“ AT 2/1973.

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stil, eine Philosophie, ein stiller Protest gegen die Entartungserscheinungen der Maschinenkultur.“330 Die Analogien zur Fahrradeuphorie der Jahrhundertwende sind augenfällig: schon damals war das Rad mit Natürlichkeit und Technoskepsis assoziiert worden, und als Heilmittel für eine als anonym, vermasst, entfremdet, schmutzig, unübersichtlich und unverständlich empfundenen Gegenwart. Sein Tempo war limitiert, seine Technik einfach, die Fahrt eine unmittelbare, sinnliche Erfahrung.331 Abschweifen, anhalten, aussteigen, sich verfahren, schlendern, rasen, sich verausgaben oder mit jemandem ins Gespräch kommen: was bei Motorfahrzeugen kaum mehr möglich war, wurde am Fahrrad wieder neu geschätzt. Der grauen Gegenwart wurde ein grünes Utopia entgegengesetzt; der zerfaserten Lebensweise, der örtlichen Beliebigkeit und ökologischen Rücksichtslosigkeit des Autozeitalters wurden Ideen einer lokal verwurzelten, ökologisch nachhaltigen Gesellschaft gegenübergestellt.332 Das Fahrrad schien für das rechte Mass, die vernünftige Dosis an Modernität und Technik zu stehen. „Die Renaissance des Fahrrades“ so Wolfgang Sachs „belegt die Suche nach einer Fortschrittsbefriedeten Gesellschaft.“333 Dem Machbarkeitsparadigma der Nachkriegszeit wurden Umweltschutz und ökologisches Bewusstsein als neue Leitbilder gegenübergestellt.334 Der Europarat rief 1970 das „Jahr der Natur“ aus, der Bund schuf 1971 das BUWAL335 und 1972 erschien der Club-ofRome-Bericht über die Grenzen des Wachstums.336 Ökohistoriker François Walter spricht von einer „ökologischen Ära“337 und erklärt: „Die Ideologie des Zurück zur Natur erfasste in den 1970er-Jahren die ganze westliche Gesellschaft und trug zur Verbreitung der neuen öko330

FMG-Fachblatt 1973: 117. Spinney 2007: 41f 332 Sachs 1984: 238. 333 Sachs 1984: 231. 334 Walter 1996: 203. Ein schönes Beispiel dieses Paradigmenwechsels lieferte der Schweizerische Naturschutzbund. Dieser warnte noch 1965 vor den Gefahren von thermischen und Wasserkraftwerken und setzte sich deshalb dringend für den Bau von Atomkraftwerken ein. Neun Jahre später hatte der Wind gedreht, und der Verein setzte sich ebenso vehement gegen Atomkraftwerke ein. Kupper 1998: 229. 335 Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft. 336 Walter 1996: 184; Meadows 1972. 337 Walter 1996: 179. 331

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logischen Sensibilität bei.“338 Davon profitierte auch das ökologischste aller Verkehrsmittel. Wer wissen möchte, ob die Rückkehr zum Rad eine Flucht zurück oder eine nach vorn war, stellt die falsche Frage. Sicher ist aber, dass sich die Attraktivität des Rades wiederholt aus der Abgrenzung zur Gegenwart ergab. Selbst das Mountainbike wurde in den 1980erJahren mit einem stark nostalgischen Unterton lanciert.339 Damit kristallisierte sich beim Fahrrad einmal mehr das urmoderne Motiv der Flucht vor der Moderne mittels moderner Mittel.340 Aber auch profanere Faktoren begünstigten die Renaissance. In den 1970er-Jahren war das Fahrradfahren auch ein Mittel um seinen Nonkonformismus und seine Aufgeklärtheit zu demonstrieren. Radfahrer waren – für jedermann sichtbar – unabhängig und flexibel, umweltfreundlich, individuell, spontan und Herren oder Damen ihres Fahrzeugs und ihrer Zeit. Parkplatzsuche, Staus und Benzinpreise kümmerten sie nicht.341 Natürlich konnte das Fahrrad vieles, was man sich von ihm versprach gar nicht leisten. Es war in den 1970er-Jahren genauso wenig ein Ersatz fürs Auto wie in den 1900er-Jahren ein Ersatz für die Eisenbahn gewesen war. Die neue Fahrradfaszination war aber ein wichtiger Faktor bei der Neupositionierung des Rades im Verkehrsgefüge – und in den Köpfen der Leute. Es gab in den 1970er-Jahren wieder gute Gründe, aufs Fahrrad zu hoffen.

338

Walter 1996: 203. Rosen 1993: 487, 499. 340 Rosen 1993: 499. 341 Sachs 1984: 237f. 339

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7. FAHRRADFAHREN 1973-1980 Der Umbruch von 1968 bis 1973 war ein Stillstand. Gebrauch und Wahrnehmung änderten, die Bestände aber stagnierten.342 Das änderte sich mit der Ölkrise. Die Drosselung der Förderung durch die OPEC-Staaten liess den Ölpreis im Oktober 1973 von 3 auf 5 Dollar pro Barrel ansteigen; im nächsten Jahr wurden bis zu 12 Dollar bezahlt. Schon Anfang 1973 war ausserdem das System der stabilen Wechselkurse zwischen den westlichen Industrieländern kollabiert. Beides zusammen bewirkte eine deutliche Abkühlung der Konjunktur und das Ende der Boomphase der Nachkriegsjahre.343 Das Benzin wurde massiv teurer; im Winter 1973/1974 wurden drei Sonntage für autofrei erklärt. Die Krise zeitigte für jedermann spürbare Effekte, führte die Abhängigkeit vom limitierten Rohstoff jäh vor Augen.344 Der Spaziergang auf der (sinn)entleerten Autobahn war für viele eine fundamentale Irritation, nicht wenige erlebten den Stillstand aber auch als Plus an Lebensqualität.345 Die in „Limits to Growth“ diskutierten Fragen erschienen von greller Aktualität.346 Umweltschutz und Motorverkehrskritik erhielten Auftrieb und 1974 wurden nicht weniger als fünf Initiativen mit entsprechender Stossrichtung eingereicht.347 Zwar wurden sie bis auf eine verworfen, aber die Ideen wurden diskutiert – und damit die Richtung der politischen Debatten der 1970er-Jahre vorgegeben.

342

FMG-Fachblatt 1971: 4. Haefeli 2008: 39. Allein im Jahr 1975 schrumpfte das Bruttoinlandprodukt um 7.5%. Vgl. auch Abbildung 10: 42. 344 AT 7/1973: 7, AT 11/1973: 1, 1/1974: 1, 12/1974: 1, 2/1975: 1. 345 Walter 1996: 185. 346 Braunschweig 1988: 85. 347 Es handelte sich um die Albatros-Initiative gegen die Luftverschmutzung durch Motorfahrzeuge, die Initiative „Demokratie im Nationalstrassenbau“; die Burgdorfer Initiative für 12 Motorfahrzeugfreie Sonntag pro Jahr, die Initiative für Fuss- und Wanderwege sowie die Initiative gegen den Strassenlärm. Angenommen wurde einzig die Wanderweg-Initiative. Walter 1996: 185. 343

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7.1

Das Rad wird erwachsen

Der Effekt aufs Fahrrad war unmittelbar. Als die Niederlande als erster Staat Autos für einen Sonntag stilllegten, bewertete die Börse die lokalen Fahrradfirmen unmittelbar um 10 Prozenthöher.348 Wenig später wurden auch in der Schweiz Fahrverbote erlassen und Räder mitten im Winter zur gefragten Ware.349 In welchem Ausmass die Händler von der Krise profitierten ist unklar. Intern empfahl ihr Verband, preiswerte Angebote aufzukaufen, da mit mehr Nachfrage zu rechnen war. Nach aussen aber wollten die Fachhändler nicht als Krisenprofiteure dastehen und wiesen Medienberichte über Preissprünge und Umsatzwachstum resolut zurück.350 Tatsächlich hatte der SFMGV Mühe richtig zu reagieren. Der Ölschock kam überraschend und ob die Preishausse anhalten würde, war nicht klar. Ausserdem konnte die Produktion kurzfristig ohnehin nicht wesentlich erhöht werden. Und schliesslich hatte es schon 1956 bei der Sueskrise autofreie Sonntage gegeben – ohne Effekte für die Fahrradbranche.351 Diesmal aber blieb der Ölpreis hoch und die Nachfrage nach Fahrrädern konstant. Ende 1974 fuhren 135‘000 Räder mehr durch die Schweiz als im Jahr zuvor und die Importe überstiegen trotz eines 15prozentigen Preisanstiegs erstmals die Grenze von 100‘000 Stück.352 Aber eigentlich war das Umsatzplus des Fachhandels ein Nebenschauplatz. Wichtiger war das neue Publikum: Leute die seit ihrer Kindheit nicht mehr Fahrrad gefahren waren, fanden zurück in den Sattel – und daran oft auch Gefallen. Das Rad gewann Kunden, die es 348

AT 11/1973: 1, FMG-Fachblatt 1973: 429. Gemäss Weltwoche 30/1976 entstanden bei Mondia durch die rasant steigende Nachfrage Lieferfristen von bis zu einem Jahr. 350 FMG-Fachblatt 1974: 35 – Allerdings nahmen die Bestände 1974 sehr markant zu. Der SFMGV dementierte auch bei der nächsten Ölpreissteigerung 1979 aussergewöhnlich gute Geschäfte zu machen. FMG-Fachblatt 1979: 173. 351 FMG-Fachblatt 25/1956: 1. Der Verband bemühte sich zunächst, die Erwartungen tief zu halten und sprach vor allem von einem besseren Reparatur- und Servicegeschäft in den Wintermonaten. FMG-Fachblatt 1974: 18f und 32. 352 Berechnungen auf Grundlage FMG-Jahresbericht 1981, SWA DoS SFMGV, Bv Bg 59. Insgesamt wurden 1974 Fahrräder für 38 Millionen Franken importiert 1974 war damit absolutes Spitzenjahr vor 1973, 1976 und 1981 mit je 28 Milliarden Franken. Zahlen zu Preisen von 2007. FMG-Fachblatt 1974: 411. 349

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ohne Ölkrise auch mit erheblicher Reklame kaum erreicht hätte.353 Und die Neukundinnen und Neukunden entdeckten das Gefährt nicht nur als Sport- und Spassvehikel, sondern auch als Chance sich im Alltag etwas mehr zu bewegen indem sie den Arbeitsweg oder die Einkäufe per Fahrrad absolvierten. Die neuen Kunden waren älter und finanzkräftiger, sie waren gebildet, umweltbewusst und fragten vermehrt sportliche und teurere Räder nach.354 Damit wurde es auch für die Hersteller wieder interessant, technisch hochwertige Modelle zu entwickeln.355 Die Ölkrise veränderte ausserdem die Images. Das Auto stand neuerdings für Abhängigkeit,356 das Fahrrad für Autonomie.357 Der Umbruch im Fahrradimage zeigte sich beispielsweise in der Werbung: „Radfahrer sind originell, haben Persönlichkeit, rauchen milde – oder besonders kräftige – Zigarettenmarken, verwenden haarschonende Shampoos, können entscheiden und bewusst verzichten, kurz, sie entsprechen perfekt dem Wunschbild der neuen, mündigen Konsumenten, bestens geeignet, Produkte auf vorgeblich sympathische, vitale und vor allem menschliche Weise zu bewerben.“358 Ein anderer Popularitätsbeweis zeigte sich auf der Strasse: Mitte der 1970er-Jahre ging es auch mit den Diebstählen endlich wieder bergauf.359

353

Dass mit der Ölkrise Radabstinente in den Sattel zurückfinden ist gerade deshalb relevant weil ohne Fahrerfahrungen eine Renaissance nicht denkbar gewesen wäre. Der Sozialpsychologe Daryl Bem postuliert, dass sich nicht das Verhalten aus den Einstellungen, sondern die Einstellungen aus dem Verhalten ergeben. Bem 1967. 354 Der Mikrozensus von 1974 fand keinen nennenswerten Zusammenhang mehr zwischen Einkommen und Fahrradbesitz. Zum Bildungsniveau der Radfahrer siehe SCOPE 1975: 44. Weber 1991: 9. Perritaz 1982: 127. Zur Nachfrage siehe FMGFachblatt 1974: 21. 355 SHZ 43/1978 S.5f. 356 Sachs 1984: 235. 357 Die Tat 267/1974. 358 Hochmuth 1991: 123. 359 Weltwoche 30/1976.

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Abbildung 12. Das Fahrrad in der Werbung.360

7.2

Bloss Kratzer im Lack

Verlierer der Ölkrise war das Auto. Zwar ging die Motorisierung der Schweiz ungebremst weiter. Aber die Diskurse wurden in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre autokritischer.361 „Ein Themenwechsel hat sich vollzogen“ konstatierte Wolfgang Sachs „während früher im Automobil die Antriebe und Ambitionen ganzer Gesellschaftsepo360

Aus Sachs 1984: 342. Braunschweig 1988: 85f. Diametral anderer Ansicht ist allerdings Haefeli, der die autoskeptischen Stimmen im Zuge der wirtschaftlichen Krise schwinden sieht. Haefeli 2008: 115. 361

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chen ihren Widerhall gefunden hatten, ist in den 1970er-Jahren dieser Gleichklang zerbrochen und verkehrt sich zu Schrilltönen. Nicht weil das Auto als solches sich geändert hätte, sondern weil die Passionen und Utopien, die sich in ihm verkörpern ihre Schwungkraft eingebüsst haben und neue Bilder vom guten Leben an Boden gewinnen, für die das Automobil (und mit ihm das Ideal einer autogerechten Gesellschaft) geradezu zum Inbegriff modernisierter Armseligkeit geworden ist."362 Gerade im deutschsprachigen Raum manifestierte sich nun eine deutlich autokritischere Haltung. Verkehrsberuhigungen und tiefere Tempi wurden ohne grössere Widerstände umgesetzt.363 Allerdings drehte sich der verkehrspolitische Diskurs um die Art und Weise der Motorisierung, nicht um die Motorisierung an sich. Die Autobestände stiegen weiter steil an.364 Ein Nebeneffekt der veränderten Optik war die Renaissance des Motorrades. Dieses war in den 1960er-Jahren fast komplett von der Bildfläche verschwunden, ab Mitte der 1970er-Jahre aber legten die Bestände wieder deutlich zu.365 Das lag (neben einige praktischen Gründen) in erster Linie daran, dass sich mit dem Motorrad wieder gefragte Ideale verknüpfen liessen: Authentizität, Abenteuer, Naturromantik, Individualismus und gesellschaftskritisches Rebellentum. Filme spielten bei diesem Image-Wandel eine wichtige Rolle.366 Das Mofa konnte vom Revival des grossen Bruders nicht profitieren. Zu nachhaltig war es in Verruf geraten, zu mofafeindlich war die Stimmung. An einzelnen Schulen wurde es gar verboten.367 Dem Töffli-Boom der 1960er-Jahre folgte in den 1970er-Jahren eine Phase der Stagnation. Ab 1981 gingen die Bestände zurück.368

362

Sachs 1984: 240. Braunschweig 1988: 85 – Im selben Kontext kann auch die Einführung der Fahrprüfung für Mofa-Lenker per 30.6.1977 gesehen werden (AT 15.11.1976: 1). 364 Siegenthaler 1996: 779f. 365 Siegenthaler 1996: 779f. 366 Siehe dazu den ausführlichen Bericht bei AT 17/1972: 1. 367 FMG-Fachblatt 1975: 13. 368 Siegenthaler 1996: 779f. Bis 1970 konnte das Mofa jedes Jahr mindestens 10% zulegen. 1971 sank das Wachstum erstmals unter 10%, 1973 unter 5%, 1975 unter 2%. Siehe auch FMG-Fachblatt 1979: 153. 363

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7.3

Der neue Fahrradboom

Auch nach der Ölkrise lief das Geschäft mit Fahrrädern gut, Stückzahlen und Preise stiegen. Allerdings vermittelt das kontinuierliche Aufwärts der Bestände einen falschen Eindruck: die Fahrradrenaissance verlief nicht linear, sie war beeinflusst von wechselnden Faktoren. Der Verkehrsökonom Richard Arnott beschreibt den Anteil der Radfahrer am Verkehr als System mit mehreren Gleichgewichten.369 Zunächst verhalf die Ölkrise der Velobranche 1973/1974 zu guten Geschäften, doch die Nachfragesteigerung verebbte circa 1976.370 Der Ölschock bewog nur eine begrenzte Zahl von Leuten zum Radfahren, er bewirkte keinen nachhaltige Entwicklung sondern hievte das Gleichgewicht bloss auf die nächste Stufe.371 Dass die Bestände auch danach weiter anstiegen lag an zwei weiteren Impulsen. Der erste war von SFMGV und VFGI ungewollt: 1976 begann der Luzerner Tabakwarenhersteller Villiger mit der Produktion von Fahrrädern, 1977 tat es ihm der Ostschweizer Textilspulenproduzent Gretener nach.372 In nur vier Jahren avancierten die Quereinsteiger zu den grössten Produzenten der Schweiz. Beide banden sich nicht an die Kartelle, sondern belieferten direkt Warenhäuser und Detailhändler. Damit konnten diese endlich auch Räder aus einheimischer Produktion anbieten.373 Die Neulinge profitierten vom Innovationsrückstand der Branche. Diese hatte schon lange nicht mehr wesentlich in die Modernisierung von Produkt und Produktion investiert. Ausserdem vertraten die Quereinsteiger neue Geschäftsideen. "Das ist dasselbe Problem wie in 369

Arnott 2005: 103ff. SFMGV Jahresbericht 1977, SWA DoS SFMGV Bv Bg 59. Schweizerische Handelszeitung 43/1978 S. 5. 371 Welchen Effekt die neuerliche Ölpreissteigerung von 1979 hatte ist nicht klar. Der SFMGV vermeldete einen normalen Geschäftsverlauf (Fachblatt 1979: 237), der Krise fehlt der Knalleffekt autofreier Sonntage und der Bestandeszuwachs fiel 1979 geringer aus als im ölkrisenfreien Vorjahr. 372 Villiger übernahm die Fahrradfirma Kalt in Buttisholz, die sich bereits 1976 aus der Lieferantenregelung verabschiedet hatte (FMG-Fachblatt 1976: 206). Zu Gretener siehe auch FMG-Fachblatt 1978: 275. 373 Bereits 1976 meldete das FMG-Fachblatt, die Migros sei intensiv auf der Suche nach einem inländischen Hersteller, da sich die importierten Modelle nicht gut genug verkauften. FMG-Fachblatt 1976: 91. 370

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der Uhrenindustrie“ erklärte Gretener 1980 in der Weltwoche „Die Hersteller schliefen, weil sie geschützt waren. Da wurde bisher auf handwerkliche Art produziert. Wir versuchen einen industriellen Weg zu finden. […] Während die Konkurrenten vor allem auf Bestellung liefern, produzieren wir kontinuierlich während 12 Monaten, ausgehend von unserer Markteinschätzung auf Lager, so verfügen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch über Fahrräder, während die anderen ausverkauft sind." Louis Jan, Chef des Konkurrenten Cilo erklärte in derselben Ausgabe: "Ich könnte heute 10'000 Velos liefern, produziere aber nur 2'500 pro Monat."374 Die Kartelle kamen zusätzlich unter Druck. Davon profitierten auch die Konsumenten, das Angebot wurde breiter, vielfältiger und technisch ausgefeilter während die Preise nur moderat anstiegen. Im Schnitt ergab sich ein attraktiveres Preis-Leistungs-Verhältnis. Aber die Chancen des Rades hingen nicht nur von der Fahrradbranche ab, sondern mindestens genauso von der Politik. Die Schweizerische Handelszeitung etwa kritisierte 1978 den Zustand der Fahrradinfrastruktur scharf und folgerte: „Ob die Beliebtheit des Fahrrades in den nächsten Jahren weiter zunimmt oder ob es zu einer Tendenzwende kommt, hängt zu einem gewichtigen Teil davon ab, ob es den interessierten Verbänden und Freunden des Fahrrades gelingt, auch die Behörden von ihren Anliegen zu überzeugen.“375 Genau diese Erfolge stellten sich um 1980 vermehrt ein.

7.4

Neue Impulse in der Fahrradpolitik

Im Frühjahr 1974 starteten Studenten des Technikums Burgdorf eine Initiative mit dem Ziel, die Motoren künftig an zwölf Sonntagen im Jahr abzuschalten. Zwar wurde die Initiative 1978 mit 63.7 zu 36.3 Prozent klar verworfen.376 Doch die Ideen wurden heiss diskutiert, selbst der Bundesrat äusserte grosses Verständnis.377 Der motorisierte Verkehr genoss nicht mehr dieselbe uneingeschränkte Priorität der 374

Weltwoche vom 11. Juni 1980. SHZ 43/1978: 5f. 376 http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/19780528/can287.html. 377 BBl vom 7.11.1977. 375

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vergangenen Jahrzehnte.378 In der Verkehrspolitik gewannen ausgewogenere, vielfältigere Leitbilder an Einfluss. Statt des rein quantitativen Verkehrsbegriffs tauchte immer öfter das qualitativ differenzierte Konzept der Mobilität auf.379 „Mehr Mobilität dank weniger Verkehr“ so das leicht plakative Credo: nicht Personenkilometer oder Durchschnittsgeschwindigkeit galt es zu optimieren, sondern den Zugang zu relevanten Zielen.380 Dabei sollte sich der Verkehr der Stadt anpassen, nicht die Stadt dem Verkehr. Alte Ideen keimten erneut: urbanes Wohnen, die Strassenbahn oder die Nutzung der Strasse als Lebensraum. Der Verkehr sollte aus den Quartieren herausgeholt werden, einzelne Wohnstrassen nach holländischem Vorbild gar ganz von Autos befreit werden.381 Auch über Radwege wurde nun wieder verstärkt diskutiert.382 Dabei ging es ab Mitte der 1970er-Jahre insbesondere um zusammenhängende Netze, die zunächst im Umfeld der Schulen, später im ganzen Stadtgebiet gebaut werden sollten. Denn wo das Rad nicht als sicher betrachtet wurde, blieb es im Keller.383 Zürich hatte bereits 1973 Pilotversuche mit neuen Fahrradstrecken unternommen,384 in Bern wurden ab 1975 die Zufahrtsstrecken zu den Schulhäusern mit Radstreifen versehen385 während in Basel im selben Jahr Radwege zu den Schulhäusern sowie Radialverbindungen zwischen Wohnquartieren und Innenstadt geplant wurden.386 378

Eisner 1992: 15 sowie Blanc 1993: 189ff. Für eine fundierte Klärung der Begriffe siehe Haefeli 2008: 119f. 380 Das Umdenken brachte auch einen neuen Realismus. Immerhin hatte in Deutschland de facto nur jeder vierte tatsächlich jederzeit Zugang zu einem eigenen Auto. Und da also nicht von einer „automobilen Gesellschaft“ gesprochen werden konnte, machte es auch keinen Sinn „autogerechte Städte“ anzustreben. Realitätsbezogen waren auch Kampagnen welche die Leute über die Kosten von Öffentlichem und Autoverkehr aufklärten. Studien hatten nämlich gezeigt, dass erstere konsequent über-, letztere unterschätzt wurden. Haefeli 2008: 121. 381 Haefeli 2008: 118. 382 Berner Tagblatt 89/1975. 383 Hochmuth 1991: 123; Arnott 2005: 115; Horton 2007: 133-152 macht in dem Zusammenhang auf einen paradoxen Effekt von Sicherheitskampagnen aufmerksam. Diese, so Horton, stärken die Angst vor dem Radfahren indem sie die „ideologische, räumliche und kulturelle Marginalität des Radfahrers“ perpetuieren. 384 RMS 18/1973: 1; TA 260/1975. 385 FMG-Fachblatt 1975: 200. 386 FMG-Fachblatt 1975: 262. 379

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Ein grundsätzlicher Wille zur Förderung des Radverkehrs war weit verbreitet. Der konkrete Erfolg hing aber oft von lokalen Besonderheiten ab. Eine besonders günstige Konstellation ergab sich in Basel: Der Stadtkanton verlor mit der Motorisierung der 1960er-Jahre an Wohnqualität, insbesondere gute Steuerzahler zogen aufs Land bzw. in den Landkanton. Ab 1965 stagnierte die Wohnbevölkerung Basels bei 235‘000, ab 1971 ging sie zurück und bis 1989 verlor Basel fast einen Fünftel seiner Einwohner.387 Nachdem die Fusion der Halbkantone 1969 gescheitert war lancierte die Regierung das Projekt „Basel 75“ mit dem Ziel die Stadt attraktiver zu machen.388 Dieses setzte auch explizit auf die aktive Förderung des Fahrradverkehrs.389 Basel verfügte über eine kleine aber sehr aktive Radfahrergemeinde.390 1975 gründete diese die „IG Velo beider Basel“.391 Diese verstand sich als eine explizit politische Organisation und propagierte das Fahrrad als Transportmittel für den innerstädtischen Verkehr.392

Abbildung 13: Das neue Selbstbewusstsein der Radfahrer.393 Merkmale der IG-Radler waren ein gerüttelt Mass an Selbstbewusstsein, Beharrlichkeit, Charme und eine gehörige Portion Chuzpe. Die Velo-Lobby agierte geschickt: so setzte sie sich für eine rechtliche Trennung des Fahrrads vom Mofa ein um Widerständen gegen Rad-

387

Di Loreto (BfS), E-Mail vom 17.1.2008. Regierungsrat Basel-Stadt 1975: 5f. Ziel des Projekts war es, den Einwohnerrückgang zu bremsen. Andere Städte beobachteten dasselbe Phänomen aber ohne die direkten fiskalischen Effekte. Haefeli 2008: 130ff. 389 Regierungsrat Basel-Stadt 1975: 15, Nationalzeitung 211/1975. 390 BVB 1/1976: 3. Die Zahl der Räder pro Einwohner war zwar im schweizerischen Vergleich (wie auch in anderen Städten) eher tief, doch waren laut Verkehrszählungen 1976 immerhin rund 20% der Verkehrsteilnehmer per Fahrrad unterwegs. 391 IG: Interessengemeinschaft. 392 Vgl. SWA DoS IG Velo, Bv LII 61. 393 BVB 11/1981: 3. Vorschlag eines Buben zum Sloganwettbewerb der IG. 388

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wege die Spitze zu brechen.394 Sie stellte nicht bloss Forderungen an die Behörden sondern lieferte die Lösungsvorschläge gleich mit.395 Mal wiesen die Radfahrer durch demonstrativen Gehorsam auf den Unsinn der Gesetze hin (sie trugen Fahrräder durch die Fussgängerzone weil dort selbst das Schieben verboten war),396 dann wieder verschafften sich die Radler mithilfe sogenannter Distanzkellen gleich selbst mehr Achtung, Raum und damit Sicherheit im Verkehr.397 Und anstatt gefährliche Ecken bloss anzumahnen, schenkte die IG der Stadt 60 Spiegel inklusive Vorschläge wo man sie aufhängen könnte.398 Der Protest der Radfahrer war hartnäckig aber konstruktiv. „Uns interessiert nicht, warum man keine Velowege erstellen kann“ erklärte IGPräsident Peter Schiess 1978 „uns interessiert nur, wie man sie machen kann.“399

Abbildung 14: Anschauliche Anliegen der IG Velo.400 Die IG wusste um die Popularität ihrer Anliegen – und wie man diese geschickt vor- und in die Politik einbrachte. Dabei half auch die Wahl 394

IG Velo 3/1979; VCS 1988:1. IG Velo 1/1979: 4f; 2/1979. 396 BVB 8/1980: 7. 397 BVB 7/1979: 4f, FMG-Fachblatt 1979: 239 – Distanzkellen sind ca. 40cm lange, seitlich vom Rad wegklappbare und mit Rückstrahlern versehene Plastikkellen. 398 BVB 7/1979: 4f. 399 BaZ 90/1978 400 BVB 8/1980: 1; 11/1981: 1. Unfälle mit politischen Forderungen zu verknüpfen war eine neue Methode. Zum Vergleich: 1965 ermahnte das FMG-Fachblatt angesichts eines tödlichen Unfalls bloss, besser auf den motorisierten Verkehr zu achten (FMG-Fachblatt 1965: 298). 395

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zweier IG-Gründungsmitglieder schafften in den Regierungsrat.401 Und die Legislative behandelte allein 1979 14 Vorstösse zum Fahrradverkehr.402 Im selben Jahr verdreifachte sich die Zahl der Mitglieder von 500 auf 1500.403 Unter diesen fanden sich zunächst insbesondere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der chemischen Industrie, später repräsentierten sie ein zusehends breiteres Spektrum der Bevölkerung. Die Anliegen der neuen Fahrradlobby waren vielseitig. Nebst Radwegen ging es ihr auch um Durchfahrtsrechte, Vorfahrtsrechte, die Beschaffenheit der Kanalisationsdeckel, um Sonderregelungen bei Einbahnstrassen, die Sicherheit an Kreuzungen oder unvermittelt geöffnete Türen parkierter Autos.404 Dass die Fahrradlobby bei Bevölkerung und Behörden auf viel Support stiess405 lag aber auch an einem neuen Trend: Stadtbewohner verzichteten zusehends aufs Auto. Ab ca. 1974 verfügten Stadtbaslerinnen und Stadtbasler über weniger Autos als der Schweizer Durchschnitt. Überall setzten die ehemals besonders stark motorisierten Stadtbewohner immer weniger aufs Auto.406 Überhaupt war Basel keine Ausnahme. In fast allen Schweizer Städten wurde (meist mit kräftiger Unterstützung der Medien)407 Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre vermehrt Fahrradförderung betrieben. Lokale Initiativen und Behörden arbeiteten dabei oft zusammen, so wie 1982 in Zug wo eine „Velo-Bürgerinitiative“ angeregt

401

Karl Schnyder 1976-1993 und Peter Facklam 1980-1991. BVB 8/1980: 2. 403 BVB 7/1979: 9. 404 BVB 12/1982: 3, BVB 2/1972: 7. 405 Basler Nachrichten 31.6.1976, NZ 26.8.1976 sowie StaBS PD-REG 4-10 (4) 1. Erfolglose Opposition kam einzig vonseiten des TCS. Dieser sprach sich noch 1978 gegen die von der BfU lancierte Kampagne „seitlich mehr Platz!“ aus und forderte statt mehr Rücksicht auf die Radfahrer deren bessere Erziehung. Vgl. FMGFachblatt 1922: 222; Touring vom 30. Mai 1974; FMG-Fachblatt 1978: 219 406 Schweiz. Städteverband 1968-2000. Lausanne und Bern folgten kurz nach Basel, Zürich 1977, die Stadt Genf indes verfügte erst in den 1990er-Jahren über weniger Autos als der Landesschnitt. 407 Zeitungsberichte waren fast ausnahmslos radfahrerfreundlich, selbst die NZZ berichtete etwa in 154/1980 aus Zweiradperspektive. Die NZ und BaZ nahmen im Konflikt zwischen IG Velo und TCS klar Position zugunsten der Radfahrer und in der BaZ erschien 1980 eine dreiteilige Artikelserie mit Forderungen an die Regierung (BaZ 176, 179 und 181/1980). 402

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hatte, drei Millionen Franken in neue Radwege zu investieren. Die Regierung sprach deren fünf.408 Auch St. Gallen gab sich 1977 ein neues Radwegkonzept.409 Köniz tat 1978 dasselbe.410 In Genf waren Radwege wiederholt Thema im Grand Conseil.411 In den meisten grösseren Städten fanden Fahrrad-Demonstrationen statt.412 IG Velos wurden 1978 in Bern,413 1979 in Chur und Zürich gegründet.414 Ebenfalls 1979 lancierte die Initiative „junges Bern“ einen Versuch mit dem Verleih von Gratis-Velos.415 In Zürich konnte eine Velo-Demonstration im selben Jahr über tausend Personen mobilisieren, woraus in der Folge ein über mehrere Jahre abgehaltener schweizweiter „Velotag“ entstand.416 Ebenfalls 1979 wurde der alternative Verkehrsclub VCS gegründet.417 1980 folgte die Gründung der Genfer „ASPIC“,418 1985 jene der Dachorganisation IG Velo Schweiz. Seit der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre begannen sich die Fahrradfahrenden in der Schweiz – aber auch in Europa – verstärkt politisch zu organisieren.419 In einem allgemein fahrradfreundlicheren Klima gelangen ihnen rasch erste Erfolge womit sie die Attraktivität des Radfahrens weiter steigerten.

408

SHZ 7.10.1982. Wenigstens passiven Goodwill zeigten die Behörden ein Jahr später in Genf, wo die ASPIC in Ermangelung öffentlicher Radstreifen einfach selbst einen gemalt hatte. Er wurde erst Monate später entfernt. www.aspic.ch. 409 BVB 3/1977: 7. 410 Berner Nachrichten 111/1978. 411 Grand Conseil de Genève: Mémoriaux du Grand Conseil de Genève 1972: 3064ff, 1976: 949ff, 1977 S.3729ff, 1980 841ff. www.aspic.ch. 412 Berner Tagwacht 224/1978, NZZ 137/1980 413 BVB 6/1979: 12. 414 BVB 8/1980: 4. 415 FMG-Fachblatt 1979: 265 / TA 99/1979. Der Versuch wurde allerdings bereits ein Jahr später wieder abgebrochen (TA 60/1980). 416 TA 247/1979, BVB 7/1979: 9, Katzenauge 1/1982: 4f. 417 NZZ 303/1979, BVB 8/1980: 4 418 Associatiation pour les Interets des Cyclistes. 419 Hochmuth 1991: 123. Vgl. ausserdem Dodge 1996: 187f.

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7.5

Fahrradrenaissance – Radfahrrenaissance?

Ab Mitte der 1970er-Jahre stieg die Zahl der Fahrräder wieder deutlich an. Hinzu kamen Massnahmen die das Radeln sicherer und attraktiver machen sollten. Ob das Rad aber wirklich wieder mehr verwendet wurde, ist weniger klar. Gemäss Schätzungen der LITRA stiegen die per Fahrrad zurückgelegten Strecken pro Person nur leicht an. Gemäss Verkehrsstatistiken stieg der Gebrauch des Rades im Alltag leicht, in der Freizeit hingegen stark an. Die Unfallstatistiken zeigen keine grössere Verschiebung bei der Zusammensetzung der Radfahrenden.420 Gewiss ist, dass immer mehr Räder in Gebrauch waren. Und diese wurden nicht für einen spezifischen Zweck verwendet, sondern für viele verschiedene. Dass jemand seinen angestammten Berufsweg neuerdings per Fahrrad absolvierte, war selten. Dass er hingegen sporadisch, im Frühling und bei gutem Wetter, sein Sportrad dafür einsetzte schon eher realistisch. Die Daten sind für die 1970er-Jahre zu uneindeutig und zu grob gerastert für eine abschliessende Analyse. Dennoch spricht vieles dafür, dass die immer weiter verbreiteten Räder tendenziell vielseitiger verwendet wurden. Darauf lässt auch eine Studie von 1997 schliessen gemäss welcher die höchste Fahrraddichte weder in den Städten noch auf dem Land anzutreffen war, sondern in der Agglomeration und in Kleinstädten. Also dort, wo ein Interesse bestand an einem Gefährt, das einen staufrei, gesund und autonom einige Kilometer ins Stadtzentrum brachte, zu Einkaufs-, Arbeits- oder Kulturplätzen oder hinaus in die nahe Natur.421 Das Fahrrad wurde in den 1970er-Jahren neu entdeckt und neu interpretiert. Ein Revival als Pendlertransportmittel im Stil der 1930erJahre blieb aus. Und doch verbrachten Schweizerinnen und Schweizer wieder mehr Zeit im Sattel. Ob man in der Fahrradrenaissance eine Radfahrrenaissance sehen will ist eine Frage des Standpunkts. Der Ansicht, ob der Pneu halbleer sei oder halbvoll.

420 421

SCOPE 1975; EVED 1983; Laut SHZ 43/1978: 5f. EVED 1997.

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8. EPILOG: FAHRRADFAHREN 1980-HEUTE Es scheint, als wäre die Renaissance des Fahrrades ohne Unterbrüche und sehr erfolgreich verlaufen. 1971 kamen auf 1000 Schweizer 206 Fahrräder. 1996 waren es 522.422 Die Radfahrer gewannen an politische Präsenz und rannten dabei oft offene Türen ein: die Förderung des Rades wurde fortgesetzt.423 Die im Alltag gefahrenen Strecken steigen leicht, die in der Freizeit gefahrenen deutlich stärker an.424 Das SFMGV-VFGI-Kartell verlor weiter an Einfluss,425 SRB und ATB mutierten definitiv zu Sportverbänden. Der Frauenanteil bei den Radfahrenden stieg an, während sich die Kluft zwischen den Sprachregionen weiter vertiefte.426 Es scheint, als hätten sich die Tendenzen der 1970er-Jahre in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich fortgesetzt. Trotzdem: Der Erfolg des Fahrrades war alles andere als ein Selbstläufer. Ein neuerlicher Stillstand war nicht undenkbar, immer wieder wurde über ein Ende des Booms spekuliert.427 Es war ein Geflecht an Einflussfaktoren, welche das Fahrrad auch in den 1980erund 1990er-Jahren neuen Höhen entgegentrugen. Wichtig waren dafür etwa die umweltpolitischen Diskurse der 1980er-Jahre, namentlich das Waldsterben.428 Aber auch die Verkehrsinfrastruktur wurde vielfältiger und fahrradfreundlicher gestaltet. Dabei ging es um grosse Projekte 422

Siegenthaler 1996: 779f. Die Zahl der Fahrräder stieg von 1.3 auf 3.7 Millionen. Die Aktivitäten der neuen politischen Radfahrerverbände kamen in den 1980erJahren erst richtig in Schwung was sich bereits aus einem groben Überblick über die Sammlungen von SWA und SozArch ablesen lässt. Die 1970er-Jahre dürfen als Pionier-, die 1980er als Boomphase der neuen Fahrradbewegung bezeichnet werden. 424 ARE/BfS 2001: 28: Die per Fahrrad zurückgelegten Strecken stiegen von 0.8 km pro Person und Tag 1984 auf 1.0 km pro Person und Tag 2000 (EVED 1997: 5). 425 Der Einfluss der Verbandsfremden Hersteller nahm auch in den 1980er-Jahren zu, das exklusive Bündnis zwischen Fachhandel und Schweizer Herstellern zerbrach am Ende der Dekade. Allerdings wurde auch danach die grosse Mehrheit der Räder im Fachhandel gekauft und von diesem repariert. 426 ARE/BfS 2001, EVED 1997: 4. Genauere regionale Zahlen existieren erst für 1996. Auf tausend Einwohner kamen dann 550 Räder. Während in der Nordwest-, Nordost- und Zentralschweiz auf Tausend Einwohner 660, 620 und 520 Velos kamen, waren es in der Romandie 280 und 290 im Tessin. 427 SHZ 40/1982. 428 Haefeli 2004: 124. 423

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und tausende kleiner Details. Um Vortrittsrechte, Kanalisationsdeckel, Einbahnstrassen, Brücken, um Spiegel, Signalemente und Ampeln, um Radstreifen und Parkplätze, um Radwegnetze in Städten, Agglomerationen und auf dem Land, um Tempolimiten für den Autoverkehr, um die Beruhigung von Quartieren, um Fahrradkonzepte für Schulen, die Nachsicht der Polizei, die Kombinierbarkeit des Rades mit dem öffentlichen Verkehr, um Fahrradverleihsysteme und vieles andere mehr. Auch dass sich die Stau- und Parkplatz-Probleme beim motorisierten Verkehr dauerhaft installierten und das Auto seine ungebrochen positive Ausstrahlung nie mehr zurückerlangte kam dem Fahrrad zupass. Zugleich konnten die Hersteller mit gefälligen Neuerungen aufwarten. Die 1980er-Jahre brachten das Mountainbike nach Europa: ein globalisiertes, kühn-cooles High-Tech-Rad, mit dem sich Abenteuerlichkeit und Naturverbundenheit, Umweltschutz und Fitnesskult verbinden liessen.429 Das Mountainbike setzte das Fahrrad-Image erneut auf die Höhe der Zeit. Die Fahrräder wurden technisch komplexer, das Angebot breiter, die Räder ausgefallener. Liegeräder, Tandems und andere exotische Modelle kamen vermehrt unter die Leute. Nachfrage und Zahlungsbereitschaft stiegen weiter an.430 Das Rad schaffte den Übergang vom industriellen Massenprodukt zum individuellen Stilelement.431 Ein überraschender Erfolg stellte sich in den 1990er-Jahren ein: ausgehend vom 1989 gegründeten Velobüro Olten wurde das ganze Land mit gut signalisierten Velofernstrassen –oder -wanderrouten überzogen. Das Projekt namens „Veloland Schweiz“ fand sehr schnell grosse Unterstützung bei den lokalen Behörden, grosse Popularität bei seinen Benutzern und trug einiges dazu bei, das „Genussradeln“ weiter zu fördern. Parallel dazu legten gerade in den frühen 1990er-Jahren die schweizweiten Fahrradbestände nochmals stark zu; alleine 1989, 1992 und 1993 um je 170‘000 Stück.432 Neben der weiteren Steigerung der Fahrradbestände liess sich in den 2000er-Jahren weitere Ausdifferenzierung der Kundschaft und ihrer Bedürfnisse feststellen. Insbesondere Fahrradkurriere (ein seit den späten 1980er-Jahren zusehends erfolgreiches Geschäftsmodell) 429

Rosen 1993: 504 - 508. SHZ 23/1986. 431 SHZ 23/1986. 432 Siegenthaler 1996: 779f. 430

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begannen auf minimalistische Singlespeed-Räder (sogenannte Fixies) zu setzen. Zugleich erfreuten sich Räder mit elektrischem Hilfsmotor (im Volksmund nach der zunächst dominierenden Schweizer Marke oft Flyer genannt) gerade bei älteren RadfahrerInnen immer grösserer Beliebtheit. Am Ende des letzten Kapitels tauchte die Frage auf, ob die Fahrradrenaissance positiv zu betrachten sei oder nüchtern. Man kann die Frage offen lassen und trotzdem festhalten: das Fahrrad hat noch offenes Potential. Wenn dieses genutzt werden soll, kann es nicht schaden, es wieder einmal neu zu erfinden.

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9. BIBLIOGRAPHIE 9.1

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100

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Korrespondenz

Barrelet, Jacques, AdGE: Brief an den Verf. vom 24.1.2008. Di Loreto, Corinne, BfS: E-Mail an den Verf. vom 17.1.08. Jacot-Descombes, Jean-Pierre, BfS: E-Mail an den Verf. vom 18.1.08. Kocher, Ursula, LITRA: E-Mail an den Verf. vom 26.3.08. Schranz, Niklaus ASTRA: E-Mail an den Verf. vom 14.10.07. Sutter, Gerda, BfS: E-Mail an den Verf. vom 25.3.08. Zweifel, Martin, EZV: E-Mail an den Verf. vom 7.2.2008.

101

10. VERZEICHNISSE 10.1

Abkürzungsverzeichnis

ACS AdGE AT ATB BAR BaZ BBl BfS BfU BGB BVB DoS EZV FMG-Fachblatt FDP FuM IG VELO LdU NB NZ NZK NZZ PKW RdTCS RMS SFMGV SHZ SRB SP SSA

Automobilclub der Schweiz Archives de l’Etat de Genève Arbeiter-Touring (Zeitschrift des ATB) Arbeiter Touring Bund Bundesarchiv Basler Zeitung Bundesblatt Bundesamt für Statistik Beratungsstelle für Unfallverhütung Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei Basler Velo-Blatt (Zeitschrift der IG Velo Basel) Dokumentensammlung Eidgenössische Zollverwaltung Fahrrad- und Motorradgewerbe-Fachblatt (Zeitschrift des SFMGV) Freisinnig-Demokratische Partei Fahrrad und Motorrad Interessengemeinschaft Velo Landesring der Unabhängigen Nationalbibliothek National-Zeitung Nationale Zweiradkonferenz – Dachverband der Zweiradbranche Neue Zürcher Zeitung Personenkraftwagen Revue du Touring Club de Suisse Rad- und Motorsport (Zeitschrift des SRB) Schweizerischer Fahrrad- und Motorrad-GewerbeVerband Schweiz. Handelszeitung Schweiz. Radfahrer- und Motorfahrerbund Sozialdemokratische Partei Schweizerisches Sozialarchiv

102

StaBS SWA TA TCS VFGI

10.2

Staatsarchiv Basel-Stadt Schweizerisches Wirtschaftsarchiv Tages-Anzeiger Touring Club de Suisse Verband der Schweiz. Fahrradhersteller, -Grossisten und Importeure

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Fahrzeugbestände pro 1000 Einwohner. 1910-2000 Abb. 2: Zuwachszahlen für Autos und Fahrräder Abb. 3: Velowege in der Schweiz Abb. 4: Velounfälle in Schweizer Städten 1949 und 1960 Abb. 5: Autos und BIP pro Bevölkerung, Index 1990 Abb. 6: Verdrängung anderer Zweiräder durch das Mofa Abb. 7: Fahrradunfälle nach Alter Abb. 8: Autodichte in Schweizer Städten Abb. 9: Autos pro Fahrräder nach Sprachregionen Abb. 10: Klappradwerbung von 1970 Abb. 11: Velo-Demo 1973 in Basel Abb. 12. Das Fahrrad in der Werbung Abb. 13: Das neue Selbstbewusstsein der Radfahrer Abb. 14: Anschauliche Anliegen der IG Velo Abbildungen diverser Modelle im Anhang ab Seite

9 27 28 31 33 39 41 45 45 65 69 76 81 82 103

103

10. ANHANG

Draisine

Michauline

Meyer-Guilmet-Rad

Ariel-Hochrad

Rover-Niederrad

Safety

104

Motorbike

Velosolex

Moulton-Rad

Bowden-Rad

Motorfahrrad

Klapprad

105

High-Riser-Rad

Rennrad

Halbrenner

Clunker-Rad

Mountain-Bike

Elektro-Rad

Nicht bei allen Abbildungen konnten die Bildrechte abgeklärt werden. Allfällige Urheberrechtsverletzungen sind nicht intendiert.