Von der Umwelt zur Welt: Der Weltbegriff in der Umweltsoziologie 9783839433218

»Environment« has become an overused buzzword that also is at the forefront of the academic debate, since it promises en

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Von der Umwelt zur Welt: Der Weltbegriff in der Umweltsoziologie
 9783839433218

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
1. Einleitung
2. Das Leben in Umweltverhältnissen: Die Umweltsoziologie
2.1 Die Umweltsoziologie
2.1.1 Die Genese der Umweltsoziologie
2.1.2 Der Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie
2.2 Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls
2.2.1 Die theoretische Biologie als Gegenentwurf zum mechanistischen Weltbild
2.2.2 Umwelt als integrative Einheit von Subjekt und Umfeld
2.2.3 Die Partitur der Natur
2.2.4 Mensch und Umwelt in der Umweltlehre Uexkülls
2.2.5 Die Umweltbegriffe im Verhältnis zueinander
2.3 Ein alter biologischer Diskurs in neuem umweltsoziologischen Gewand
2.3.1 Die Positionen von Rational-Choice-Theorie und Lebensstilsoziologie
2.3.2 Das Begründungsverhältnis zwischen Biologie und Umweltsoziologie
2.3.3 Ist der menschliche Umfeldbezug eindimensional fassbar?
3. Das Leben in Weltverhältnissen: Helmuth Plessners Philosophische Anthropologie
3.1 Die Genese der Philosophischen Anthropologie Plessners
3.2 Die Formen des Lebendigen
3.2.1 Die Struktur des Lebendigen
3.2.2 Die Stufen des Organischen
3.3 Die exzentrische Positionalität als Bedingung der Möglichkeit des Menschseins
3.3.1 Die Weltoffenheit des Menschen
3.3.2 Die Verschränkung von Umwelthaftigkeit und Weltoffenheit: Die Aufhebung der Natur/Kultur-Dichotomie
3.3.3 Die Mitwelt als Träger von Selbst-Welt-Beziehungen
4. Die Analyse aktueller Selbst-Welt-Beziehungen und die Frage nach dem Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie
4.1 Das anthropologische Grundgesetz der vermittelten Unmittelbarkeit
4.1.1 Immanenz
4.1.2 Expressivität
4.1.3 Das Moment der Unverfügbarkeit und das Erleben von Unverfügbarem im Verhältnis zur umweltsoziologischen Umwelt
4.2 Resonanzerfahrung als Identitätsstiftung: Hartmut Rosas Soziologie der Weltbeziehungen
4.2.1 Resonanz als die Erfahrung einer antwortenden Welt
4.2.2 Die anthropologische Begründung der Resonanzbedürftigkeit und ihre Erfüllung
4.2.3 Die Bedingungen der Wirklichkeit misslingender Resonanzprozesse
4.3 Der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren: Eine resonanztheoretische Perspektive für die Umweltsoziologie
5. Schluss
Literaturverzeichnis

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Katharina Block Von der Umwelt zur Welt

Sozialtheorie

Für Jörg

Katharina Block, geb. 1981, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologische Theorie der Leibniz Universität Hannover. Die Soziologin forscht u.a. zu den philosophisch-anthropologischen Grundlagen soziologischer Theorie.

Katharina Block

Von der Umwelt zur Welt Der Weltbegriff in der Umweltsoziologie

Der Druck des vorliegenden Buches ist dankenswerterweise durch das Programm NaWi des Interdisziplinären Promotionszentrums der Universität Koblenz-Landau mit einem Publikationszuschuss gefördert worden. Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete Version einer Dissertation, die am 24.11.2014 endgültig vom Fachbereich 5 der Universität Koblenz-Landau zur Erlangung des akademischen Grades einer Doktorin der Philosophie angenommen wurde.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Andrea Preißler-Abou El Fadil Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3321-4 PDF-ISBN 978-3-8394-3321-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 7 1. Einleitung | 9 2. Das Leben in Umweltverhältnissen: Die Umweltsoziologie | 25 2.1 Die Umweltsoziologie | 30

2.1.1 Die Genese der Umweltsoziologie | 31 2.1.2 Der Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie | 47 2.2 Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls | 64 2.2.1 Die theoretische Biologie als Gegenentwurf zum mechanistischen Weltbild | 67 2.2.2 Umwelt als integrative Einheit von Subjekt und Umfeld | 75 2.2.3 Die Partitur der Natur | 85 2.2.4 Mensch und Umwelt in der Umweltlehre Uexkülls | 88 2.2.5 Die Umweltbegriffe im Verhältnis zueinander | 97 2.3

Ein alter biologischer Diskurs in neuem umweltsoziologischen Gewand | 101

2.3.1 Die Positionen von Rational-Choice-Theorie und Lebensstilsoziologie | 103 2.3.2 Das Begründungsverhältnis zwischen Biologie und Umweltsoziologie | 120 2.3.3 Ist der menschliche Umfeldbezug eindimensional fassbar? | 137 3. Das Leben in Weltverhältnissen: Helmuth Plessners Philosophische Anthropologie | 143 3.1 Die Genese der Philosophischen Anthropologie Plessners | 147 3.2 Die Formen des Lebendigen | 162

3.2.1 Die Struktur des Lebendigen | 163 3.2.2 Die Stufen des Organischen | 172 3.3

Die exzentrische Positionalität als Bedingung der Möglichkeit des Menschseins | 188

3.3.1 Die Weltoffenheit des Menschen | 189 3.3.2 Die Verschränkung von Umwelthaftigkeit und Weltoffenheit: Die Aufhebung der Natur/Kultur-Dichotomie | 196 3.3.3 Die Mitwelt als Träger von Selbst-Welt-Beziehungen | 216

4. Die Analyse aktueller Selbst-Welt-Beziehungen und die Frage nach dem Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie | 237 4.1 Das anthropologische Grundgesetz der vermittelten Unmittelbarkeit | 243

4.1.1 Immanenz | 244 4.1.2 Expressivität | 247 4.1.3 Das Moment der Unverfügbarkeit und das Erleben von Unverfügbarem im Verhältnis zur umweltsoziologischen Umwelt | 250 4.2

Resonanzerfahrung als Identitätsstiftung: Hartmut Rosas Soziologie der Weltbeziehungen | 259

4.2.1 Resonanz als die Erfahrung einer antwortenden Welt | 261 4.2.2 Die anthropologische Begründung der Resonanzbedürftigkeit und ihre Erfüllung | 270 4.2.3 Die Bedingungen der Wirklichkeit misslingender Resonanzprozesse | 279 4.3

Der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren: Eine resonanztheoretische Perspektive für die Umweltsoziologie | 286

5. Schluss | 303 Literaturverzeichnis | 311

Danksagung

Die vorliegende Arbeit ist die leicht veränderte Version meiner Dissertation, die im November 2014 vom Institut für Philosophie der Universität Koblenz-Landau am Campus Landau angenommen wurde. An dieser Stelle gebührt der Dank deswegen all den Personen und Institutionen, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben. Mein größter Dank gilt an erster Stelle den beiden herausragenden Wissenschaftlern, die mich bis zur Fertigstellung meiner Dissertation als Doktorväter begleitet und mir dabei geholfen haben, an jeder möglichen Abzweigung durch äußerst konstruktive Diskussionen den richtigen Weg einzuschlagen: Prof. Dr. Christian Bermes und Prof. Dr. Hartmut Rosa. Auch möchte ich mich bei den koordinierenden und administrativen Personen der Graduiertenschule „Herausforderung Leben. Gestaltung – Kreativität – Bildung“ für ihre tatkräftige Unterstützung bedanken sowie dem Förderer der Graduiertenschule, das Land Rheinland-Pfalz, für die finanzielle Ermöglichung der Dissertation meinen Dank aussprechen. Ein ganz besonderes und herzliches Dankeschön gilt zudem meinen Kolleginnen, denn gemeinsam haben wir uns der Herausforderung Promotion gestellt und gemeinsam haben wir diese auch gemeistert. Des Weiteren danke ich Prof. Dr. Alfred Langewand für die stets kritischen und erkenntnisfördernden Fragen sowie Prof. Dr. Volker Schürmann und Bernd Straßburg für die äußerst hilfreichen Anmerkungen zu verschiedenen inhaltlichen Punkten. Zu guter Letzt möchte ich aber natürlich auch all den Menschen in meinem Leben danken, die wissen, dass sie gemeint sind, wenn sie diese Zeilen lesen: Ohne Euch hätte ich es nicht geschafft!

Als ich dem gelehrten Astronomen lauschte, als die Beweise, alle die Zahlen vor mir aufgereiht wurden, als man die Tabellen und Diagramme mir zeigte, sie zu addieren, zu dividieren, sie zu messen, als ich sitzend dem Astronomen lauschte, wie er unter großem Applaus im Hörsaal las, wie bald wurde mir seltsam müde da und übel, so daß ich aufstand und hinausglitt und davonwanderte, allein, in die geheimnisvolle feuchte Nachtluft, aufblickend von Zeit zu Zeit zu den Sternen in völliger Stille. (Walt Whitman, 1865)

1. Einleitung

„Allgemeine Umweltsoziologie befasst sich mit dem Verhältnis von Mensch und Gesellschaft zu ihrer Naturumwelt; etwas genauer gesagt, mit den gesellschaftlichen Bedingungen des Stoffwechsels zwischen dem Menschen als einem Teil der Natur und der umgebenden Natur“.1 An diesem von Joseph Huber formulierten Selbstverständnis der Umweltsoziologie wird ein Sachverhalt deutlich, der von wissenschaftssystematischem Interesse ist: Die Umweltsoziologie definiert das, was als Natur und als Mensch begriffen wird, sowie deren Verhältnis in Form der „Umwelt“2 auf der Basis eines naturalistischen Weltbildes. Mit Naturalismus ist in dieser Arbeit die universalistische Theorie gemeint, nach der alles Seiende objektiv gegeben und insofern materialistisch bestimmbar ist. Diese erkenntnistheoretisch folgenreiche Annahme ermöglicht es, sämtliche Sachverhalte und Objekte in eine Summe von Teilen zu zerlegen und dadurch als empirische Fakten und berechenbare Einheiten aufzufassen. Der dabei verfolgte Anspruch der naturalistisch verfahrenden Wissenschaften ist nichts weniger als eine überprüfbare Welterklärung.

1

Joseph Huber: Allgemeine Umweltsoziologie (Wiesbaden 2001) 13.

2

In der vorliegenden Arbeit ist der Begriff Umwelt oder Begriffe, in denen er in Composita vorkommt, in Anführungszeichen gesetzt, wenn der Begriff im Sinne der zeitgenössischen Umweltsoziologie verwendet wird, d.h. als eine naturalistischökologisch begriffene und objektiv einsehbare Größe. Damit soll verdeutlicht werden, dass der Begriff in seiner aktuellen Verwendung keine Letztgültigkeit besitzt und lediglich eine andere Bedeutung hat als in seiner biologisch-philosophischen Verwendung nach Jakob von Uexküll, der den Begriff Umwelt gegen das evolutionstheoretisch-ökologische Verständnis der Beziehung zwischen Tier und Umfeld ins Feld führte.

Davon

ausgenommen

sind

die

Eigennamen

Umweltsoziolo-

gie/umweltsoziologisch sowie Zitate und Literaturangaben, die selbstverständlich im Original belassen wurden.

10 | VON DER U MWELT ZUR W ELT

Es ist diese Reduktion der Welt auf naturalistische Gegebenheiten, die den Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie – das Verhältnis zwischen Mensch und Natur in Form der „Umwelt“ – in einen naturwissenschaftlich-ökologischen Sachverhalt wie den des Stoffwechsels übersetzt. Was in diesem Vorgehen gleichwohl aus dem Blick gerät, ist, dass hier die Methode selbst zum Sachverhalt führt, wobei ihre epistemologische Aufgabe darin besteht, eine Ordnung zu stiften.3 Ob solche Sachverhalte wie der des Stoffwechsels aber tatsächlich das menschliche Leben in seinem Verhältnis zur Natur fassen können, bleibt ungeklärt, da die darin gestiftete Ordnung die Gültigkeit dieser Sachverhalte zugleich legitimiert.4 Diese Methodenvergessenheit reproduziert – nicht nur in der Umweltsoziologie – eine ubiquitäre Naturalisierung alles Seienden in objektiv bestimmbare Größen, deren Wahrheitsansprüche insbesondere auch anthropologische Annahmen einschließt. Mensch und Natur sind aber keineswegs ausschließlich innerhalb dieses naturwissenschaftlich determinierten Naturalismus thematisch geworden. So haben sich u.a. die Husserl‘sche Phänomenologie, die Daseinsontologie Martin Heideggers sowie die Philosophische Anthropologie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts explizit dem Verhältnis von Mensch und Natur bzw. Wirklichkeit gewidmet. Gleichsam als Gegenpositionen zu jenem Naturalismus wurde in diesen philosophischen Ansätzen das Mensch-Natur-Verhältnis hinsichtlich der Frage nach dem Menschsein, d.h. danach, was das Menschsein als solches auszeichnet, thematisiert. Ein wesentlicher Aspekt der philosophischen Betrachtungen war dabei die Explikation der strukturmäßigen Bezugsform, die das Lebewesen Mensch aufgrund seines Menschseins zu seinem Umfeld realisiert.5 Diese Form 3

Vgl. Christian Bermes: „Welt“ als Thema der Philosophie. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff (Hamburg 2004) 238; sowie Karl-Heinz Lembeck: Philosophie als Zumutung. Ihre Rolle im Kanon der Wissenschaften (Würzburg 2010) 10.

4

Karl-Heinz Lembeck sieht es deswegen als die selbstverständnisstiftende Aufgabe der Philosophie an, „die Weltbilder-stiftende Kraft der Normalität auf ihre legitimierenden Gründe hin durchschauen zu sollen“ (K.-H. Lembeck: Philosophie als Zumutung, a.a.O. [Anm. 3] 10). Diese Aufgabe zu erfüllen, gilt insbesondere dort, wo über den Menschen gesprochen wird, denn dieser ist letztendlich der Grund der Legitimation einer Ordnung.

5

Der Begriff des Umfelds ist von dem der Umwelt respektive Welt abzugrenzen. Mit ihm ist auch keine im Raum-Zeit-Kontinuum verortete Umgebung angesprochen. Vielmehr ist damit im Anschluss an Helmuth Plessner das Gegenwärtige gemeint, worauf ein Lebewesen als ein Lebendiges im Vollzug seines Lebens stets bezogen ist. Mit Umwelt und Welt sind dabei verschiedene Formen dieses Umfeldbezugs angesprochen. Je nachdem welches Lebewesen Gegenstand der Betrachtung ist, wird die

E INLEITUNG

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wurde dabei zumeist in Abgrenzung zur Bezugsform des Tieres präzisiert, da es die damalige philosophiegeschichtliche Situation erforderte, den Menschen in seinem Menschsein neu zu bestimmen. Die wichtigste Einsicht dieser anthropologischen und phänomenologischen Betrachtungen des spezifisch menschlichen Umfeldbezugs war, dass dieser sich durch Weltoffenheit (Scheler) auszeichnet. D.h. der Mensch lebt qua Menschsein in Weltverhältnissen. Das Tier hingegen – und darin liegt die für diese Arbeit entscheidende Abgrenzung – lebt in Umweltverhältnissen. Welt und Umwelt wurden somit als Begriffe handhabbar, die der Beschreibung differenter Formen des phänomenalen Bezogenseins auf ein Umfeld dienen. Der Mensch erlebt als Mensch sein Umfeld als Welt. Das Tier hingegen lebt als Tier in einem Umfeld mit Umweltcharakter. Der Sachverhalt, der mit dem Begriff Umwelt in den philosophisch-anthropologischen und phänomenologischen Auseinandersetzungen festgehalten wird, liegt somit erkenntnistheoretisch auf einer anderen Ebene als derjenige, der mit dem Begriff „Umwelt“ in der eingangs erwähnten Definition beschrieben ist.6 Denn in dieser Definition ist „Umwelt“ keine in anthropologisch-phänomenologischer Hinsicht explizierte und phänomenal erschließbare lebendige Bezugsform, sondern in naturalistischer Hinsicht eine dem Menschen objektiv gegebene und von ihm berechenbare Größe, die den materialistisch begriffenen Lebensraum des Menschen beschreibt. Die Feststellung dieser Äquivokation scheint für die Umweltsoziologie zunächst marginal zu sein, stehen ihre Fragestellungen und einzulösenden Ansprüche doch unter gänzlich anderen Vorzeichen als diejenigen der Philosophie. Fragt letztere z.B. nach den Bedingungen der Möglichkeit des Menschseins soBezugsform als eine umweltliche oder weltliche ausgewiesen (vgl. zur Bedeutung des in dieser Arbeit verwendeten Begriffs des Umfelds Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie (Berlin/New York 31975 [1928]) 199ff.; alle weiteren in dieser Arbeit verwendeten Werke Plessners werden zitiert nach Helmuth Plessner: Gesammelte Schriften [im folgenden GS], hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003)). 6

Innerhalb des philosophischen Denkens hat auch der Begriff der Welt einen starken Bedeutungswandel erfahren, der – wie Christian Bermes in seiner philosophiegeschichtlich-analytischen Auseinandersetzung mit dem Weltbegriff rekonstruiert hat – von einer metaphysischen bis hin zu einer phänomenologischen Bedeutung reicht, wobei letztere u.a. von den oben genannten Philosophen vertreten wird (vgl. C. Bermes: „Welt“, a.a.O. [Anm. 3] 1-14). Selbstverständlich kann auch der zugrunde gelegte Weltbegriff der vorliegenden Arbeit nach seinen Voraussetzungen befragt werden. Diese deswegen von vornherein zum Thema zu machen, ist folglich eine wichtige Aufgabe, die zu erfüllen im dritten Kapitel angegangen wird.

12 | V ON DER U MWELT ZUR W ELT

wie den zur Erscheinung kommenden Realisierungsweisen dieses Menschseins, ist die „Umwelt“ in sämtlichen umweltsoziologischen Fragestellungen als ein gegebenes Verhältnis bereits vorausgesetzt und insofern ein unproblematischer Sachverhalt. Welche Merkmale dieses Verhältnis systematisch auszeichnen, hängt zwar von dem jeweils gewählten Ansatz und der darin zugrunde gelegten Axiomatik ab, als solches wird es jedoch nicht hinterfragt. Es kann bspw. entweder als ein evolutionstheoretisch zu fassendes oder als ein konstruktivistisch konzipiertes aufgefasst werden – um die in der Umweltsoziologie vertretenen Hauptströmungen Realismus und Konstruktivismus aufzugreifen.7 Die Frage nach den Bedingungen seiner Möglichkeit muss aber offensichtlich nicht mehr zwangsläufig gestellt werden, da sich ja bereits für eine realistische oder konstruktivistische Bearbeitung des Verhältnisses entschieden wurde. Den Ansätzen gemeinsam scheint somit die Auffassung zu sein, dass die „Umwelt“ eine objektive und insofern natürliche Größe ist. „Umwelt“ wird dadurch zu einer empirischen Tatsache, deren Beobachtung Aufschluss über das menschliche Verhältnis zur Natur ermöglichen soll. Die Bedeutung des Begriffs als tierische Bezugsform ist dadurch in den Hintergrund getreten und somit auch die Bedeutung von Welt als menschliche Bezugsform. 7

Die realistische oder naturalistische Perspektive auf das Mensch-Natur-Verhältnis begreift den Menschen und das Soziale als von der Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten abhängige Größen, die mit naturwissenschaftlichen Methoden, bspw. der Ökologie, beschrieben werden können. Die konstruktivistische oder kulturalistische Perspektive begreift dagegen Mensch und Natur in ihrem Verhältnis zueinander nicht als eigenständige Größen, sondern als soziale Konstruktionen, deren jeweilige Bedeutung durch den gesellschaftlichen Diskurs bestimmt wird (vgl. Karl-Werner Brand/Fritz Reusswig: Umwelt. In: Lehrbuch der Soziologie, hg. von Hans Joas (Frankfurt a.M./New York 2001) 557-575, 656). Insgesamt sind sämtliche umweltsoziologischen Ansätze im Spannungsfeld zwischen Realismus und Konstruktivismus angesiedelt, was mittlerweile – gleichsam als Kompromiss – einen gemäßigten Konstruktivismus hervorgebracht hat, der die Disziplin einerseits für die interdisziplinäre Arbeit mit den Naturwissenschaften offenhält und andererseits spezifisch soziale Sachverhalte unter der Hoheit des soziologischen Selbstverständnisses lässt (vgl. Hellmuth Lange: Umweltsoziologie in Deutschland und Europa. In: Handbuch Umweltsoziologie, hg. von Matthias Groß (Wiesbaden 2011) 19-53, 36f.). Dieser Kompromiss dürfte u.a. darauf zurückzuführen sein, dass auch in konstruktivistischen Ansätzen der Umweltsoziologie nicht an der Existenz der „Umwelt“ als ein naturalistischer Tatbestand gezweifelt wird (siehe dazu auch die folgende Fußnote). Aus heuristischen Gründen wird in der vorliegenden Arbeit jedoch an der Zweiteilung festgehalten, um die zu behandelnde Problematik so scharf wie möglich zeichnen zu können.

E INLEITUNG

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Nun kann von der einen Seite durchaus der Einwand erhoben werden, dass es in konstruktivistischen, aber auch diskursanalytischen oder systemtheoretischen Ansätzen gerade nicht darum gehe, die Existenz einer materialistisch begriffenen Natur zu beweisen, sondern im Gegenteil die soziale Konstruiertheit ihrer Wirklichkeit aufzuzeigen, mithin sogar „Umweltprobleme“ als (bloß) diskursiv bestehende auszuweisen. Obwohl diese Ansätze zu Recht die Bedingtheit der sozialen Wirklichkeit durch symbolische Formen und die kommunikativen Formen ihrer Legitimierung betonen und diskursiv erzeugte Wissensordnungen als Machtverhältnisse sichtbar machen, wird jedoch noch in diesen Perspektiven die Gegebenheit der „Umwelt“ als solche nicht bestritten.8 D.h. selbst wenn der Fokus ausschließlich auf die soziale Wirklichkeit und deren Einfluss auf das Wie des „Umweltverhältnisses“ gelegt wird, bleibt die Annahme der objektiven Existenz dieses Verhältnisses, d.h. das Was, aufgrund der Gültigkeit der naturalistischen Annahme über die Gegebenheit von Mensch und Natur bestehen. Das in dieser Arbeit zu lösende wissenschaftssystematische Problem, das mit dem umweltsoziologischen Verständnis von „Umwelt“ einhergeht, besteht somit darin, eine Beschreibungsform des Mensch-Umfeld-Bezugs vorzulegen, die zum einen den Konflikt zwischen realistischem und konstruktivistischem Denken hinter sich lässt und zum anderen das ubiquitär gültige naturalistische Verständnis des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur überwindet. Denn aufgrund des bestehenden Verständnisses von „Umwelt“ wird der damit gemeinte Bezug stets als ein Verhältnis des Gegenübers und insofern als eine Subjekt-ObjektDichotomie konzipiert. Wenn dieser Nexus aber als eine Subjekt-ObjektDichotomie gefasst wird, kann es zugleich auch immer nur Aufgabe sein, die Überwindung dieser (scheinbar gegebenen) Dichotomie anzustreben. Entspre8

So betonen etwa Reiner Keller und Angelika Poferl trotz ihrer diskursanalytischen Perspektive: „Die Rede von der diskursiven Konstruktion der Umweltwirklichkeit bedeutet keine Leugnung ihrer tatsächlichen Realität, sondern richtet ihre Aufmerksamkeit auf Formen, Inhalte, Praktiken und Prozesse, in denen Umweltprobleme auf den gesellschaftlichen Agenden in Erscheinung treten“ (Reiner Keller/Angelika Poferl: Umweltdiskurse und Methoden der Diskursforschung. In: Handbuch Umweltsoziologie, hg. von Matthias Groß (Wiesbaden 2011) 199-220, 204). Insofern es in der Argumentation der vorliegenden Arbeit um das von der Umweltsoziologie bestimmte Verhältnis zwischen Mensch und Natur bzw. Subjekt und „Umwelt“ geht, wird der kritische Fokus entsprechend auf den Zusammenhang von naturalistischen Verkürzungen und instrumentellem Handeln gelegt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Instrumentalität notwendig auf Naturalismus zurückgeht. Gerade die Diskursanalyse deckt auf, inwiefern instrumentelle Vernunft im Namen von sozialen Konstruktionen wie z.B. Staat, Religion, Geschlecht etc. fungiert.

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chend ist eine der populärsten in der Umweltsoziologie aufgestellten Hypothesen: Nur wenn die bestehende Differenz zwischen Subjekt und „Umwelt“ überwunden ist, wird das Subjekt auch „umweltgerecht“ handeln.9 Einstweilen hat sich diese Differenz trotz systematischer Bemühungen, Subjekt und „Umwelt“ zusammen zu denken, als Hiatus erwiesen. Diese Diagnose legt nahe, dass es sich bei der Differenz um eine der naturalistisch fundierten Systematik geschuldete Aporie handelt. D.h. weil Subjekt und „Umwelt“ sich im Hiatusproblem stets als voneinander getrennte Größen gegenüber stehen, muss die Überwindung der Differenz als ein vom Subjekt aktiv zu gestaltendes Aneignungsverhältnis (Aneignung eines „Umweltbewusstseins“) konzipiert werden. Denn unter den genannten naturalistischen Voraussetzungen kann auch der zu stiftende Zusammenhang lediglich im Modus der Dichotomie thematisch werden. Die Differenz zwischen Subjekt und „Umwelt“ respektive zwischen Mensch und Natur wird dadurch implizit naturalisiert, wobei die Gründe ihrer Natürlichkeit dabei schlechterdings als anthropologische ausgewiesen werden. Als erklärende Annahmen formen diese Anthropologismen schließlich die Art und Weise der umweltsoziologischen Betrachtung und Beschreibung des subjektiven „Umweltverhältnisses“ sowie die vorgebrachten Lösungsvorschläge. Ein wesentlicher Teil des umweltsoziologischen Diskurses kreist entsprechend um die Frage, wie die anthropologisch bedingte Differenz zwischen Subjekt und Objekt auf der individuellen Handlungsebene ausgeglichen werden kann, so dass Mensch und Natur respektive Subjekt und „Umwelt“ (wenigstens) eine nachhaltige Koexistenz führen können. Die dabei zugrunde gelegte Systematik wird jedoch kaum mehr hinterfragt.

9

Diese von Lange als „notorische Differenz“ bezeichnete ,Kluft‘ zwischen „Umweltbewusstsein“ und sogenanntem „Umwelthandeln“ gehört zu den ersten umweltsoziologischen Themen überhaupt und wurde, ganz im Sinne soziologischen Selbstverständnisses, zunächst im Lichte strukturell bedingter Klassenunterschiede beleuchtet (vgl. H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland, a.a.O. [Anm. 7] 38). Heute wird diese Differenz insbesondere im Zusammenhang mit der Pluralität von Lebensstilen betrachtet (vgl. Hellmuth Lange: Lebensstile. Der sanfte Weg zu mehr Nachhaltigkeit? In: Handbuch Nachhaltigkeitskommunikation. Grundlagen und Praxis, hg. von Gerd Michelsen/Jasmin Godemann (München 2005) 160-172). Trotz der stets fortgeschrittenen Feinjustierung der divergierenden Faktoren, die auf das Verhältnis von „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ einwirken, ist die Schließung ihrer Differenz nicht in Sicht. Diese Feststellung lässt bereits erahnen, dass es sich hier womöglich um ein wissenschaftssystematisches und nicht um ein anthropologisch bedingtes Problem handelt.

E INLEITUNG

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Der entscheidende Verdacht, der somit den Anstoß für die vorliegende Arbeit gegeben hat, ist, dass die Umweltsoziologie an ihrem eigenen Begriff von „Umwelt“ krankt. Das erahnte systematische Problem, das sich mit diesem Begriff einschleicht, lässt sich jedoch erst explizieren, wenn der umweltsoziologische „Umweltbegriff“ ins Verhältnis zu den Bedeutungen der Begriffe Umwelt und Welt als lebendige und insofern phänomenal-reflexive Bezugsformen gesetzt wird, d.h. durch die Einnahme einer philosophisch-anthropologischen Perspektive. Denn in dieser Perspektive wird deutlich, inwiefern der naturalistisch gefassten „Umwelt“ anthropologische Annahmen inhärent sind, die das dichotome Denken und somit auch die Mensch-Natur-Differenz reproduzieren. In Anbetracht der derzeitigen Konjunktur von „Umweltthemen“ im Wissenschaftsdiskurs scheinen sowohl die wissenschaftssystematischen als auch -theoretischen Konsequenzen dieser Diagnose somit alles andere als marginal zu sein. Soll es der Umweltsoziologie jemals gelingen, den Mensch-Natur-Nexus bzw. das Subjekt-„Umwelt“-Verhältnis in diesem Diskurs nicht als ein Gegenüber zu fassen, sondern vielmehr als eine gleichursprünglich konstitutive Beziehung auszuweisen, muss sie sich jenseits der Debatte um Realismus vs. Konstruktivismus ihren eigenen Voraussetzungen stellen und diese insbesondere in anthropologischer Hinsicht reflektieren. Denn aufgrund ihres Anspruchs, das gesellschaftlich bedingte Verhältnis zwischen Mensch und Natur als ihren genuinen Forschungsbereich auszuweisen, sind für die Umweltsoziologie anthropologische Annahmen systematisch kaum zu hintergehen.10 10 Schon oft schien es, als wären anthropologische Fragestellungen in der Soziologie erledigt, schließlich geht es in der Soziologie um die Klärung der Frage, wie soziale Strukturen entstanden sind und welche Ordnungsfunktionen sie haben. Zwar waren und sind anthropologische Fragen bspw. in der Kritischen Theorie durch ihr Entfremdungstheorem (mehr oder weniger) noch präsent, in Theorien der funktionalen Differenzierung, allen voran in der Systemtheorie, spielen sie aber keine Rolle mehr. Und dennoch lassen sich auch in der Systemtheorie noch anthropologische Spuren finden. Dementsprechend konstatiert Gesa Lindemann trotz aller systemtheoretischer Abgrenzung zur Anthropologie: „Implizit führt sie aber ebenfalls anthropologische Voraussetzungen mit, denn auch die Systemtheorie behandelt die Vergesellschaftung von Menschen. Der Prozeß der Bildung und Aufrechterhaltung sozialer Systeme wird nicht auf psychologische Faktoren oder Instinktverhalten zurückgeführt, sondern im Sinne einer Eigendynamik des Sozialen interpretiert. Dies setzt die Möglichkeit voraus, auf andere Faktoren verzichten zu können. Darin ist unschwer die verborgene anthropologische Annahme eines offenen Umweltverhältnisses zu erkennen“ (Gesa Lindemann: Doppelte Kontingenz und reflexive Anthropologie. In: Zeitschrift für Soziologie 28 (1999), no. 3, 165-181, 166). Joachim Fischer hat zudem jüngst aufge-

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Um dabei jedoch nicht in alte Differenzen zurückzufallen, lotet diese Arbeit das systematische Potenzial des Weltbegriffs aus der Philosophischen Anthropologie Helmuth Plessners für die Umweltsoziologie aus. Denn zum einen wird mit diesem Weltbegriff das menschliche Leben als eine Verschränkung von Natur und Kultur sichtbar, zum anderen eröffnet sich mit ihm eine phänomenologischhermeneutisch intendierte Perspektive, die das Hiatusproblem als spezifisches Problem (spät)moderner Weltverhältnisse sichtbar macht und somit die Naturalisierung der Differenz hinter sich lässt. Die vorliegende Arbeit versteht sich dem Kontext der einleitenden Ausführungen gemäß daher als ein wissenschaftstheoretischer Beitrag, der mit seinen Ergebnissen aber durchaus auch praktische Absichten verfolgt. Denn ein bloßes Abfinden mit dem angenommenen Hiatus kann in Anbetracht eines fortschreitenden instrumentellen Umgangs mit Mensch und Natur für die Umweltsoziologie nicht akzeptabel sein. Insbesondere deswegen nicht, da heutzutage kaum ein Medium die kulturelle Praxis einer Gesellschaft mehr beeinflusst als die Wissenschaft, deren Erkenntnisse – wie insbesondere die sogenannten Lebenswissenschaften beweisen – stets im Kontext des Alltäglichen reflektiert werden. Das Aufdecken systematischer Probleme in der Umweltsoziologie ist folglich ein wesentlicher erster Schritt zur Gewinnung neuer Erkenntnisse, die dann – z.B. über die „Umweltpolitik“ – in die kulturelle Praxis eingehen können. Das in dieser Arbeit verfolgte Anliegen, der Umweltsoziologie eine Perspektive vorzuschlagen, mit der sie das menschliche Leben jenseits der zeigt, welche systematische Rolle der lebendige Körper in der Systemtheorie Luhmanns gespielt hat: „Auch Luhmann, der soziologisch am eindrucksvollsten die funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft in kommunikativ spezialisierten Teilsystemen […] ausgearbeitet hat, hat die Verankerung der differenten symbolisch operierenden Kommunikationsmedien […] in spezifischen Dimensionen des vitalen Körperlichen hervorgehoben, und zwar in den sogenannten ‚symbiotischen Mechanismen‘ der ‚symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien‘: In der jederzeit möglichen, sinnhaft vorgesehenen Rückkopplung an je spezifische ‚symbiotische Mechanismen‘ wie anschauliche Wahrnehmung […] gewinnen die verschiedenen symbolischen Kommunikationsmedien wie Wahrheit im wissenschaftlichen Teilsystem […] jeweils ihre Sicherheit, ihren ‚Standort‘, wie Luhmann sagt, im spezifischen Körperrückgriff“ (Joachim Fischer: Soziologie aus der Perspektive der Philosophischen Anthropologie. In: Der Mensch – Nach Rücksprache mit der Soziologie, hg. von Michael Corsten/Michael Kauppert (Frankfurt a.M. 2013) 33-60, 53). Zwar ist es systematisch konsequent, dass Luhmann den Menschen als unmittelbaren Forschungsgegenstand in seiner Analyse aus dem Blick nimmt, dennoch zeigen Lindemanns und Fischers Analysen, dass auch die Systemtheorie nicht ohne implizite anthropologische Annahmen auskommt.

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Mensch-Natur-Dichotomie erfassen und für die Bearbeitung ihrer Problemstellungen systematisieren kann, steht somit selbst im Kontext des Alltäglichen und trägt insofern mindestens die Verantwortung, zu einem besseren Verständnis des menschlichen Lebens in zeitgenössischen Weltverhältnissen beitragen. Die in dieser Arbeit aufgestellte These – der Hiatus zwischen Mensch und Natur respektive Subjekt und „Umwelt“ ist ein der umweltsoziologischen Systematik immanentes Problem – wird jedoch nur dann auch praktische Konsequenzen nach sich ziehen können, wenn das menschliche Wirklichkeitserleben ernst genommen wird. Diese Aufgabe leistet der philosophisch-anthropologische Ansatz Plessners, mit dem das menschliche Erleben der Struktur seines Realisierungsvollzugs nach expliziert werden kann. Denn auf dem Hintergrund von Plessners strukturmäßigen Beschreibung des menschlichen Wirklichkeitserlebens wird deutlich, dass und inwiefern die umweltsoziologische Bestimmung des subjektiven „Umweltbezugs“ das menschliche Leben verfehlt. Die vorliegende Arbeit möchte somit keinen weiteren umweltsoziologischen Beitrag leisten, der sich der Frage widmet, wodurch „umweltgerechtes“ Handeln auf der individuellen oder der institutionellen Ebene möglich wird. Insofern zielt diese Arbeit auch nicht darauf ab, Lösungsvorschläge für die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ zu entwickeln. Vielmehr wird über den Begriff „Umwelt“ eine Explikation der umweltsoziologischen Systematik vorgelegt, um darin eingeschriebene anthropologische Reduktionismen sichtbar zu machen. Die Einsicht, dass die Umweltsoziologie ein anthropologisches Problem hat, eröffnet dann die Möglichkeit, im Anschluss an Plessner eine anthropologisch begründete und phänomenologisch-hermeneutisch intendierte Perspektive vorzuschlagen, mit der das zeitgenössische menschliche Verhältnis zur Natur vom Wirklichkeitserleben her analysiert werden kann. Das Leben des Menschen in Weltverhältnissen wird dafür als Realisierung einer gleichursprünglich konstitutiven Selbst-Welt-Beziehung offengelegt und dadurch der soziologischen Analyse zugänglich gemacht, die nun nach dem Wie dieser Beziehung fragen kann. D.h. danach, wie diese Beziehung von den Subjekten auf dem Hintergrund zeitgenössischer Weltverhältnisse erlebt und interpretiert wird. Der Umweltsoziologie wird somit eine Perspektive eröffnet, die das Kreisen um das Verhältnis des Gegenübers von Subjekt und „Umwelt“ hinter sich lässt. Getragen wird die nachstehende Untersuchung von folgenden Thesen: (I) Da für die Umweltsoziologie das Verhältnis zwischen Mensch und Natur und insofern das gesellschaftlich bedingte Verhältnis zwischen Subjekt und „Umwelt“ der genuine Forschungsbereich ist, liegen den Konzeptionen des „Umweltverhältnisses“ immer schon anthropologische Annahmen zugrunde. Aussagen über das Subjekt-„Umwelt“-Verhältnis können kaum getroffen werden, ohne dabei

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eine (mindestens implizite) Vorstellung davon zu haben, was das Menschsein auszeichnet. Gleichwohl variieren je nach Ansatz (ob realistisch oder konstruktivistisch) die zugrunde gelegten epistemologischen Annahmen und damit der Erkenntnisanspruch sowie die Methode, mit der der jeweilige Anspruch eingeholt werden soll. Zwar wird das Verhältnis zwischen Subjekt und „Umwelt“ stets als ‚Kluft‘ zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ übersetzt. Die jeweilige anthropologische Begründung dieser ‚Kluft‘ fußt aber je nach Ansatz auf anderen epistemologischen Voraussetzungen, die in den erklärenden anthropologischen Annahmen zugleich das Spektrum der praxisrelevanten Lösungsansätze festsetzen. Somit speisen sich die Lösungsansätze zur Schließung der ‚Kluft‘ aus derselben Axiomatik, die diese ‚Kluft‘ überhaupt erst evoziert hat. Diese zirkuläre Begründungslogik hat zur Folge, dass die Dichotomie zwischen Subjekt und „Umwelt“ nicht aufgelöst, sondern stets reproduziert wird. Bestätigt sich die erste These zu den erklärenden Anthropologismen, gilt es zu fragen, ob es einen philosophisch-anthropologischen Ansatz gibt, mit dem dieser Reduktionismus durchbrochen und damit die Naturalisierung der SubjektObjekt-Dichotomie als ein systematisches Problem bekräftigt werden kann. Die These dazu lautet: (II) Um die Naturalisierung der Subjekt-„Umwelt“-Differenz, wie sie dem „Umweltbegriff“ der Umweltsoziologie inhärent ist, als dem menschlichen Leben nicht entsprechend auszuweisen, braucht die Umweltsoziologie einen anthropologisch elaborierten Weltbegriff. Die Anthropologie, mit der sich ein solcher Weltbegriff ausarbeiten lässt, muss ein Verständnis vom menschlichen Leben bereitstellen, das sich jeglicher naturalistischen Fixierung verwehrt. Denn nur wenn das menschliche Leben in seiner Unbestimmtheit und Komplexität systematisch erfasst ist, können für die Umweltsoziologie auch neue Anschlüsse erschlossen werden. Für dieses Vorhaben bietet es sich an, auf Plessners Philosophische Anthropologie zurückzugreifen. Denn ausgehend von der mit Plessner dem menschlichen Leben zugrunde gelegten exzentrischen Positionalität kann der menschliche Umfeldbezug von seiner ausschließlichen Umweltfixierung gelöst und auf dem Hintergrund des Weltbegriffs reflektiert werden. Ist mit Plessner das menschliche Leben als ein Leben in Weltverhältnissen offengelegt, kann der Weltbegriff das anthropologische Fundament bieten, auf dem eine phänomenologisch-hermeneutisch intendierte, soziologische Perspektive denkbar wird. Mit dieser Perspektive kann ferner eine Umweltsoziologie begründet werden, die vom Wirklichkeitserleben her zeitdiagnostische Gründe für das Erleben der Beziehung zur Natur als eine dichotome aufzuzeigen weiß. Denn dass der Bezug zwischen Subjekt und „Umwelt“ als eine Differenz erlebt wird, ist nicht der Verhältnisform selbst geschuldet, sondern ein den zeitgenössischen Realisierungsweisen von Selbst-Welt-Beziehungen immanentes

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Problem. Ausgehend von dieser Diagnose lässt sich schließlich die These (III) aufstellen, dass sich im Realisierungsvollzug der Selbst-Welt-Beziehung ein anthropologischer Sachverhalt identifizieren lässt, mit dem dieses Differenzerleben zusammenhängt. An diesem Sachverhalt setzt das Vorhaben der Entwicklung eines neuen umweltsoziologischen Ansatzes an. Basierend auf Plessners anthropologischem Grundgesetz der vermittelten Unmittelbarkeit, das die Struktur menschlichen Wirklichkeitserlebens beschreibt, lässt sich nämlich ein Erleben spezifischer Art extrahieren, in dem ein menschliches Bedürfnis gründet und das insofern als systematischer Ausgangspunkt zur Entwicklung einer anthropologisch fundierten phänomenologischhermeneutischen Perspektive für die Umweltsoziologie dienen kann. Dieses Erleben ist das Erleben des Unverfügbaren. In ihm gründet ein Bedürfnis, das Hartmut Rosa in Resonanzerfahrungen erfüllt sieht. Rosa hat auf der Grundlage seiner Resonanztheorie eine Weltbeziehungssoziologie entwickelt, die sozialkritisch betrachtet, wie die geschichtlich bedingten und kulturellen Entwicklungen sowie die damit einhergehenden gesellschaftlichen Strukturen den Status quo zeitgenössischer Weltverhältnisse erhalten und inwiefern sich diese Weltverhältnisse auf die Realisierungsweisen von Selbst-Welt-Beziehungen auswirken. Das beschreibende Potenzial einer solchen resonanztheoretischen Soziologie hat Rosa bereits umrissen und zudem plausible Gründe vorgelegt, warum in (spät)modernen Selbst-Welt-Beziehungen kaum mehr konstante Resonanzerfahrungen gemacht werden können. Die anthropologische Explikation der Bedingungen der Möglichkeit eines menschlichen Bedürfnisses nach Resonanz ist er hingegen bisher schuldig geblieben. Diese soll mit der These vom Moment der Unverfügbarkeit nachgeholt werden. Denn nur eine anthropologisch adäquat begründete Soziologie der Weltbeziehungen kann letzten Endes in sozialtheoretisch-fundierender Absicht Eingang in die Umweltsoziologie finden und darin jenseits von Naturalismus und Konstruktivismus einen alternativen Ansatz umweltsoziologischer Analyse bieten. Im Ausgang des Anspruchs dieser Arbeit, eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit der Umweltsoziologie zu präsentieren, wird im folgenden Kapitel (2) der Schwerpunkt auf den Begriff der Umwelt mit seinen beiden unterschiedlichen Bedeutungen gelegt. Ziel des Kapitels ist es, vom naturalistischen „Umweltbegriff“ der Umweltsoziologie zum phänomenologisch intendierten Umweltbegriff Jakob von Uexkülls zu führen, um dadurch den Weg zur Überwindung der dichotomen Verhältnisbestimmung zwischen Subjekt und „Umwelt“ zu ebnen. Dafür werden sowohl die mit dem umweltsoziologischen Begriff einhergehenden systematischen Implikationen als auch deren implizite Voraussetzungen sichtbar gemacht. In einem ersten Teil (2.1) steht dazu die

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Umweltsoziologie als Disziplin im Fokus der Betrachtung. Um die Entwicklung des „Umweltbegriffs“ innerhalb dieser Disziplin zu verstehen, wird zunächst (2.1.1) ein Gang durch die Genese umweltsoziologischer Forschung bis hin zu ihrer zeitgenössischen Form als etablierte Wissenschaft vollzogen. Dabei wird deutlich, dass die umweltsoziologische Bedeutung von „Umwelt“ seit ihrer Thematisierung naturalistisch geprägt ist. Diese naturalistische Prägung näher zu beleuchten, ist ein wesentlicher nächster Schritt des Kapitels (2.1.2), denn er zeigt, dass der Begriff durch einen impliziten Konsens über seine Bedeutung legitimiert wird und insofern nicht mehr zur Diskussion steht. Im zweiten Teil des Kapitels (2.2) wird der Begriff der Umwelt in seiner Bedeutung als tierische Form des Umfeldbezugs eingeführt. Uexküll, seinerzeit Querdenker in der Biologie, entwickelte seine Umweltlehre (2.2.1) sowohl als Gegenentwurf zum dominierenden Weltbild der Naturwissenschaften als auch gegen die in der Biologie herrschende Evolutionstheorie, die in der darwinistischen Ökologie Ernst Haeckels eine ihrer stärksten Ausprägungen fand. Im Verlauf der wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung mit der Umweltsoziologie lohnt es sich, diesen ‚Umweg‘ über die Umweltlehre Uexkülls zu gehen. Denn Uexküll bleibt mit seiner Umweltlehre nicht bei der Subjekt-ObjektDichotomie stehen, sondern fasst das Verhältnis zwischen Tier und Umfeld als eine geschlossene Einheit bedeutungsbezogener Wahrnehmung (2.2.2), die sich als Umwelt realisiert. Gleichwohl kann der Weg mit Uexküll nicht bis zum Ende gegangen werden, da er seine Umweltlehre einer holistischen Naturauffassung unterstellt (2.2.3). In dieser „Partitur der Natur“ nimmt auch der Mensch seinen Platz als ein ausschließlich umweltlich verfasstes Lebewesen ein (2.2.4). Diesen Schritt Uexkülls heuristisch mitzugehen, bedeutete jedoch lediglich in Ablehnung einer naturalistischen Naturauffassung einer holistischen anheimzufallen. Damit wäre der Umweltsoziologie schlicht nicht geholfen, denn Uexküll weiß keine Theorie bereitzustellen, mit der die Annahme vom menschlichen Leben als ein bloß umweltgebundenes systematisch hinterfragt werden kann. Und doch wird in der weiteren Auseinandersetzung mit der Umweltsoziologie an diesem Problem deutlich, warum Uexkülls Umweltlehre in der Argumentation der vorliegenden Arbeit – neben dem Eröffnen eines phänomenologisch intendierten Zugangs zum Umweltbegriff – außerdem wichtig ist. Ein erster Schritt dorthin besteht in der Gegenüberstellung der zwei Begriffsbedeutungen von Umwelt (2.2.5). Dadurch wird zum einen ersichtlich, dass mit diesem Begriff eine Äquivokation vorliegt. Zum anderen wird durch die Aufklärung derselben sichtbar, dass analog zu den Positionen, die Ökologie und Umweltlehre in der Biologie eingenommen haben, aktuelle Ansätze zur Betrachtung subjektiver „Umweltverhältnisse“ in der Umweltsoziologie die gleichen Positionen einnehmen (2.3).

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Anhand dieser analogen Positionen kann gezeigt werden, dass in der Umweltsoziologie eine stark biologische Lesart der Lebensform Mensch vertreten ist, die sich sowohl in der realistischen Strömung (Evolutionsbiologie) als auch in der konstruktivistischen (Umweltlehre) findet (2.3.1). Insofern es allen Positionen darum geht, den Bezug zwischen einem Lebewesen und seinem Umfeld zu bestimmen, zeigt diese Analogie, dass die Umweltsoziologie aufgrund ihres Festhaltens am menschlichen Leben in Umweltverhältnissen die biologische Begründung dieses Bezugs nicht überwinden kann. Anhand der umweltsoziologischen Positionen von Rational-Choice-Theorie (2.3.1.1) und Lebensstilsoziologie (2.3.1.2) wird herausgearbeitet, inwiefern diese jeweils das Subjekt„Umwelt“-Verhältnis anthropologisch begründen und warum der Unterschied in den Positionen analog zu dem der genannten Positionen in der Biologie ist (2.3.2). Sind die systematischen Konsequenzen, die der Umweltsoziologie durch die Anschlüsse von Rational-Choice-Theorie (2.3.2.1) und Lebensstilsoziologie (2.3.2.2) an die beiden biologischen Positionen entstehen, sichtbar gemacht, kann für die Einführung des Weltbegriffs hinsichtlich einer umfassenderen Beschreibung des menschlichen Umfeldbezugs plädiert werden (2.3.3). Da die Dichotomie zwischen Subjekt und „Umwelt“ in beiden Begründungen nicht überwunden ist, wird im zweiten Hauptkapitel der vorliegenden Arbeit (3) mit Plessner aufgezeigt, warum es für ihre Überwindung des Weltbegriffs bedarf. Ziel dieses Kapitels ist es nachzuweisen, dass Menschsein ein Leben in Weltverhältnissen – und nicht ein Leben in „Umwelt“- oder Umweltverhältnissen – zu führen bedeutet und dieses daher der eigentliche Ausgangspunkt umweltsoziologischer Forschung ist. Dafür an die Philosophische Anthropologie Plessners anzuschließen, bietet sich aus mehreren Gründen an. Zum einen entwickelt Plessner in expliziter Aufnahme von Uexkülls Umweltlehre – bei gleichzeitiger Ablehnung des Uexküll’schen Versuchs, die Umweltlehre auf den Menschen anzuwenden – seine Philosophische Anthropologie. Zum anderen macht Plessners Anthropologie die mitweltliche Vermitteltheit von Welt sichtbar. Diese Einsicht bietet nun insofern einen Anknüpfungspunkt für die Umweltsoziologie, da sie mit dieser Einsicht ihre eigenen anthropologischen Voraussetzungen als sozial vermittelte, d.h. als durch die Weltverhältnisse bedingte, und nicht schlicht (biologisch) gegebene reflektieren kann. Vor allem aber wird mit Plessner der Vollzug des menschlichen Lebens als Realisierung einer gleichursprünglichen Selbst-Welt-Beziehung sichtbar, wodurch das dichotome Denken abgelegt werden kann. Um zu verstehen, warum die Frage nach dem menschlichen Leben Plessner umgetrieben hat, ist eine Darlegung der philosophiegeschichtlichen Situation seiner Zeit unverzichtbar (3.1), da zu Beginn des 20. Jahrhunderts diese Frage

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virulent wurde. Trotz eines beträchtlichen Wissensbestandes über den Menschen sowohl in den Naturwissenschaften und der Biologie als auch in den Geisteswissenschaften fand sich keine Lösung für das dichotome Denken in der Bestimmung des Menschen, entweder Geist oder Körper zu sein. Um diesem EntwederOder zu entgehen, suchte Plessner (3.2) ein Prinzip, mit dem er das Menschsein als psychophysische Einheit ausweisen konnte und fand es in der Kategorie des Lebens (3.2.1). Da Plessner in dieser Kategorie Naturphilosophie mit Biologie verschränken konnte, ließen sich damit sowohl die Stufen des Organischen (3.2.2) als auch die organtranszendierende Spezifik des menschlichen Lebens begründen. Im Durchgang durch diese Stufen, der auf der Stufe der Pflanze (3.2.2.1) beginnt und über die Stufe des Tieres verläuft (3.2.2.2), gelangt Plessner zur Stufe des Menschen (3.2.2.3). Seiner organischen Form nach dem Tier gleichgestellt, ist die Bezogenheit des Menschen auf Etwas doch grundverschieden von der des Tieres. Letzteres ist mit Plessner zentrisch positioniert, der Mensch hingegen ist exzentrisch positioniert. Diese Kategorie der exzentrischen Positionalität (3.3) ermöglicht Plessner menschliches Leben als ein Leben in Weltverhältnissen sichtbar zu machen, da auf ihr die Weltoffenheit (3.3.1) als Auszeichnung dieses Lebens gründet. Organisch geschlossen und zugleich bezugsmäßig weltoffen steht der Mensch in gleichgewichtsloser Stellung in der Welt, die er mit künstlichen Mitteln ausgleichen muss (3.3.2). Am Vollzug dieses Ausgleichs wird deutlich, dass Mensch und Welt in korrelativer Gleichursprünglichkeit zur Erscheinung kommen (3.3.2.1) und die naturalistische Sicht auf die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt insofern eine kontingente ist (3.3.2.2). Was es für ein Lebewesen bedeutet, ein Leben in Weltverhältnissen zu führen, expliziert Plessner an der Triade Seele, Körperleib und Geist, die dem Menschen als Wirklichkeiten von Innen-, Außen- und Mitwelt zur Erscheinung kommen. Die Mitwelt (3.3.3), die als Sphäre des Geistes durch die exzentrische Positionalität gewährleistet ist, trägt dabei das Erleben von Innen- und Außenwelt (3.3.3.1). D.h. dass der Mensch das Leben, das er lebt, als eine gleichursprüngliche Selbst-Welt-Beziehung führt, deren sinnstiftende Qualität dabei eine mitweltlich vermittelte ist (3.3.3.2). Mit dieser Einsicht ist die Konzeption des Verhältnisses zwischen Subjekt und „Umwelt“ als ein Verhältnis des Gegenübers überwunden und die menschliche Lebensführung als Realisierung einer gleichursprünglichen Selbst-Welt-Beziehung offen gelegt. Diese anthropologische Einsicht nun anschlussfähig für die Umweltsoziologie zu machen und zugleich die naturalistisch gefasste Annahme der Dichotomie als Ausdruck (spät)moderner Weltverhältnisse sichtbar zu machen, ist das Ziel des letzten Kapitels (4). Dafür wird ein Fundierungsverhältnis zwischen Anthro-

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pologie und Soziologie hergestellt, mit dem sich eine phänomenologischhermeneutisch intendierte, soziologische Perspektive eröffnen lässt, die noch keinen Eingang in die Umweltsoziologie gefunden hat. Um dabei einen Anschluss an die aktuelle, theoretische Debatte in der Soziologie zu gewährleisten, bietet sich eine Verknüpfung der Ergebnisse aus dem Anthropologiekapitel mit der Soziologie der Weltbeziehungen von Rosa an. Denn Rosa identifiziert in dieser Soziologie eine sinnstiftende Erfahrung in Selbst-Welt-Beziehungen die keinen instrumentellen Bezug zur Wirklichkeit impliziert und insofern das methodische Problem, beim Subjekt ansetzen zu müssen, potenziell hinter sich lässt. Sofern diese Erfahrung also nicht erneut einer evolutionstheoretischen oder subjektivistischen Begründung anheimfallen soll, muss sich dafür eine systematische Fundierung in der Struktur menschlichen Wirklichkeitserlebens finden. Plessner hat diese Struktur im Sinne eines anthropologischen Grundgesetzes als vermittelte Unmittelbarkeit ausgewiesen (4.1). Das Wirklichkeitserleben, das seiner Struktur nach eine vermittelte Unmittelbarkeit ist, realisiert sich für den Menschen einerseits als Immanenz (4.1.1) und andererseits als Expressivität (4.1.2). Beide Lebensmodi zeichnen sich dabei ihrer Struktur nach durch ein Moment aus, das die Autorin als Moment der Unverfügbarkeit bezeichnen möchte. Denn auf diesem Moment – gleichsam als sein phänomenaler Gehalt – gründet ein Erleben, das als das Erleben von Unverfügbarem für den Menschen eine bedürfnisstiftende Unsicherheit bedeutet (4.1.3). Rosa hat in seiner Soziologie der Weltbeziehungen dieses Unverfügbare als eine Quelle starker Wertung ausgewiesen und zum Maßstab seiner Analyse spätmoderner Weltverhältnisse gemacht (4.2). Demnach meint Resonanz das Erleben einer antwortenden Welt, die dem Selbst als starker Wert eine Orientierung in seiner Lebensführung bietet (4.2.1). Obwohl Rosa von einer resonanztheoretischen Anthropologie spricht, fehlt seiner Theorie der Nachweis jener Struktur im menschlichen Wirklichkeitserleben, auf dem ein Bedürfnis nach Resonanz überhaupt gründen kann. Die Fundierung des Rosa‘schen Ansatzes mit dem aus Plessners Grundgesetz der vermittelten Unmittelbarkeit destillierten Strukturmoment der Unverfügbarkeit ist insofern die systematische Konsequenz und führt die vorliegende Arbeit zur Formulierung einer eigenen, umweltsoziologischen Perspektive. Für diese wird zunächst das Moment der Unverfügbarkeit als strukturmäßige Bedingung der Möglichkeit des Resonanzbedürfnisses ausgewiesen (4.2.1). Anschließend wird ein kurzer Einblick in Rosas resonanztheoretische Zeitdiagnose gegeben, der zufolge spätmoderne Weltbeziehungen vorwiegend misslingende Resonanzerfahrungen evozieren (4.2.3). Die Verknüpfung der anthropologischen Fundierung mit der resonanztheoretischen Zeitdiagnose ermöglicht (4.3) eine umweltsoziologische Perspektive zu formulieren, in der die

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Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ keinen naturalisierten Sachverhalt mehr darstellt, sondern das Erleben dieser Differenz als Symptom misslingender Resonanzerfahrungen in der Realisierung von SelbstWelt-Beziehungen sichtbar macht. Das Misslingen – so die abschließend aufgestellte These und spätestens darin über Rosa hinausgehend – ist dabei auf die Beschränkung der Möglichkeiten spätmoderner Subjekte, einen verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren zu entfalten, zurückzuführen. Denn diese leben in einer Wirklichkeit des Verfügbaren, die das Unverfügbare verstellt, so dass sie darin selbst zu bloßen Verfügbarkeiten werden. Mit dieser These sollen am Schluss der Arbeit (5) systematische Anschlussmöglichkeiten für sowohl philosophische als auch soziologische Betrachtungen im Allgemeinen ausgelotet werden. Im Speziellen ergeben sich aus den vorgestellten Überlegungen für die Umweltsoziologie zudem u.a. dort Anschlüsse, wo der Sachverhalt der Unberechenbaren Umwelt11 thematisch wird. Bleibt das Leben des Menschen als ein Leben in Weltverhältnissen dabei in sämtlichen Anschlüssen als explizite Voraussetzung möglicher Reflexionen bestehen, dient Anthropologie nicht lediglich der Legitimation fixer Annahmen über den Menschen, sondern übernimmt innerhalb des Wissenschaftskanons vielmehr eine wissenschaftskritische Aufgabe, die zu erfüllen zwar nicht leicht, aber notwendig ist.

11 So der Titel eines Sammelbandes, der kurz vor der Fertigstellung dieser Arbeit, erschien (vgl. Roderich von Detten/Fenn Faber/Martin Bemmann (Hg.): Unberechenbare Umwelt. Zum Umgang mit Unsicherheit und Nicht-Wissen (Wiesbaden 2013)). Da das Ziel der vorliegenden Arbeit darin besteht, eine Perspektive zu eröffnen, in der das Erleben von Unverfügbarem als sinnstiftende Qualität offenlegt wird, kann diese Arbeit möglicherweise einen theoretischen Zugang bereitstellen, auf der eine Analyse des Umgangs mit Unsicherheit aufbauen könnte. Siehe für weitere Überlegungen zum Anschluss an diese Thematik den Schluss dieser Arbeit.

2. Das Leben in Umweltverhältnissen: Die Umweltsoziologie

In einer ganz allgemeinen Art und Weise scheint es nichts Selbstverständlicheres für den Menschen zu geben als (s)eine „Umwelt“. Im Alltäglichen begriffen als das, was den Menschen entweder in Form seines sozialen und kulturellen Milieus oder in Form äußerer Naturbeschaffenheiten umgibt, ist der Sachverhalt „Umwelt“ eine objektive Gegebenheit und insofern eine Tatsache für den Menschen, der er sich nicht entziehen kann und die ihn unbedingt angeht. Sein Einfluss auf die äußere, materiell begriffene Natur hat in den vergangenen fünf Dekaden die gesellschaftliche Aufmerksamkeit mehr und mehr auf sich gezogen. Der Mensch hatte offenbar die Destruktivität seines Eingreifens in die Natur unterschätzt. Diese rückte jedoch mit der beginnenden Debatte in den 1960er Jahren um „Umweltbelastungen“ und „Umweltzerstörung“ infolge der Produktionsweise im Industriekapitalismus in den Fokus der Öffentlichkeit und führte dem Menschen die Dringlichkeit seines Angehens vor Augen. Zur Popularisierung der sogenannten „Umweltkrise“ hat damals insbesondere das Buch Silent Spring (Der stumme Frühling) der Biologin Rachel Carson, das 1962 in den USA erschien und bereits ein Jahr später in deutscher Übersetzung vorlag, beigetragen. Es gilt bis heute als Meilenstein für die damals einsetzende „Umweltbewegung“.1 Carson, die als US-Amerikanerin vornehmlich der US-amerikanischen Gesellschaft die Destruktivität ihrer Lebensweise2 im Um1

Vgl. Verena Winiwarter: Umwelt-en. Begrifflichkeit und Problembewusstsein. In: Gerhard Jaritz/Dies.: Umweltbewältigung. Die historische Perspektive (Bielefeld 1994) 130-159, 132.

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Diese Lebensweise war in der Nachkriegszeit der westlich-kapitalistischen Gesellschaften von einer ungehemmten Fortschritts- und Wohlstandsgläubigkeit geprägt, in der von einer unbegrenzten Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen ausgegangen wurde (vgl. Riley E. Dunlap: Aktuelle Entwicklungen in der nordamerikanischen Umweltso-

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gang mit der Natur aufzeigen wollte, trug weltweit mit ihrem Buch zur sogenannten ökologischen Revolution bei.3 Mit bestechender Klarheit macht sie darin ihren Lesern deutlich, dass die Verantwortung für die erkannte Problematik beim Menschen selbst liegt: „Kein böser Zauber, kein feindlicher Überfall hatte in dieser verwüsteten Welt die Wiedergeburt neuen Lebens im Keim erstickt. Das hatten die Menschen selbst getan“.4 Als weiterer Meilenstein der Öffentlichkeitssensibilisierung für die „Umweltkrise“ gilt zudem die einige Jahre später erschienene Studie Die Grenzen des Wachstums vom Club of Rome. Mit ihrer globalisierungskritischen Perspektive konnte diese Studie aufzeigen, dass die Fortführung und Ausweitung des bereits vorhandenen Ressourcenverbrauchs weltweite Folgen katastrophalen Ausmaßes für Mensch und „Umwelt“ haben werden.5 Auch die Sozialwissenschaften blieben nicht unbeeindruckt von diesem Diskurs. Nach und nach drangen sie auf das Forschungsfeld der Ökologie, auf dem bisher die Naturwissenschaften sowie die Biologie eine Schirmherrschaft genossen. Denn die Überzeugung, dass Natur und Mensch respektive „Umwelt“ und Gesellschaft per se zu trennen und insofern durch einen die verschiedenen Wirklichkeitsbereiche begrenzenden Hiatus gekennzeichnet sind, geriet mit der Of-

ziologie. In: Handbuch Umweltsoziologie, hg. von Matthias Groß (Wiesbaden 2011) 54-72, 55; sowie H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland, a.a.O. [Anm. 7] 23). 3

Vgl. Joachim Radkau: Vorwort. In: Rachel Carson: Der stumme Frühling (München 2007) 7-14, 7.

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Rachel Carson: Der stumme Frühling (München 2007) 16. Vgl. Dennis Meadows/Donella Meadows/Erich Zahn/Peter Milling: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit (Stuttgart 1972); vgl. zudem für einen Überblick zur durchaus kontroversen Diskussion über die Studie Patrick Kupper: „Weltuntergangs-Vision aus dem Computer“. Zur Geschichte der Studie ‚Die Grenzen des Wachstums‘ von 1972. In: Wird Kassandra heiser? Die Geschichte falscher Ökoalarme, hg. von Frank Uekötter/Jens Hohensee (Wiesbaden 2004) 98111. Abgesehen von der gängigen Kritik, dass die in der Studie verwendeten Berechnungsmodelle eine Unterkomplexität produzieren, die kaum sämtliche Einflussfaktoren einbeziehen kann, ist darüber hinaus ein anderer Sachverhalt wesentlich interessant: Eine computerbasierte, algorithmische Berechnung des ‚Weltuntergangs‘ muss implizit voraussetzen, dass das, was untergeht selbst algorithmisch geordnet, d.h. berechenbar ist. Mit anderen Worten: die Kritik, die sich aus den berechneten Daten speist, reproduziert die Vorstellung von der Berechenbarkeit der Natur sowie des menschlichen Lebens und legitimiert dadurch letztlich die Welterklärungshoheit des Naturalismus.

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fensichtlichkeit der menschlich verursachten Naturzerstörung ins Wanken.6 Insbesondere die Soziologie, deren bisherige Möglichkeit sich innerhalb der Wissenschaftslandschaft zu positionieren dadurch auszeichnete, Soziales genuin aus Sozialem7 zu erklären, wurde vor eine große Herausforderung gestellt. Es galt, einen eigenen Weg der sozialwissenschaftlichen Bearbeitung der viel diskutierten „Umweltkrise“ zu finden. Als erfolgreiches Ergebnis dieser Suche lässt sich die Etablierung der Umweltsoziologie verzeichnen, die sich in Anbetracht der anhaltenden Sorge um die „Umwelt“ darum bemüht, neben den Naturwissenschaften zu einem wichtigen Gesprächspartner für außerwissenschaftliche Institutionen (etwa Politik und Wirtschaft) zu avancieren.8 Dieser Anspruch gründet 6

Da das vorherrschende Naturverständnis in den Wissenschaften bis dahin ein naturalistisches war (und primär noch immer ist), wurde die Überzeugung einer prinzipiellen Zerlegbarkeit der Natur in erklärbare Gesetzmäßigkeiten auch auf ihre Beherrschbarkeit übertragen, wodurch diese ebenfalls zu einer berechenbaren und damit auch potenziell kontrollierbaren Tatsache werden sollte. Normative Maßstäbe für den wissenschaftlich-technischen Umgang mit Natur schienen dadurch entbehrlich, wie Jutta Weber in ihrer Arbeit zum Bedeutungswandel des Naturbegriffs verdeutlicht: „Die Stigmatisierung von Naturphilosophie und Ontologie in der Moderne und die Reduktion der ersteren auf eine Methodologie der Naturwissenschaft im 20. Jahrhundert ist nicht zuletzt auch Ergebnis und wiederum Voraussetzung des Siegeszuges der neuzeitlichen und vor allem der modernen Wissenschaften, die in zuvor ungekannter Weise technisches Wissen zur Verfügung stellen und die Fragen der praktischen Vernunft aus ihrem Gegenstandsbereich eliminieren (konnten)“ (Jutta Weber: Umkämpfte Bedeutungen. Naturkonzepte im Zeitalter der Technoscience (Frankfurt a.M. 2003) 23).

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Diesem in der Soziologie wohlbekannten Durkheim‘schen Paradigma liegt die Annahme zugrunde, dass Gesellschaft eine Realität sui generis ist, die nur durch soziale Tatbestände (faits sociaux) erklärt werden kann. Letztere sollen dabei wie objektive Dinge behandelt werden. Obwohl Durkheim die naturalistische Methodologie auf die Analyse der Gesellschaft übertrug, wandte er sich gegen Versuche, Soziales psychologisch oder biologisch zu begründen. Sein Objektivitätsanspruch trug jedoch dazu bei, dass er als Vorreiter des Positivismus gilt (vgl. Hartmut Rosa/David Strecker/Andrea Kottmann: Soziologische Theorien (Konstanz 2007) 74ff.).

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Dieses Bemühen spiegelt sich insbesondere in dem umweltsoziologischen Streben nach Transdisziplinarität wider. Transdisziplinarität meint das bewusste Öffnen wissenschaftlicher Forschungsbereiche für außerwissenschaftliche Akteure aus Politik oder Wirtschaft etc., um gemeinsam Lösungen für Probleme mit gesamtgesellschaftlicher Tragweite zu erarbeiten. Dabei wird auf einen gegenseitigen Lernprozess gesetzt, um die Lösungswege möglichst alltagsnah, d. h. in die lebensweltliche Praxis umsetz-

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dabei zugleich auch auf einer Kritik am naturalistischen Weltbild, dessen Prämissen vorwiegend Eingang in die kulturelle Praxis finden. Ob die Umweltsoziologie gleichwohl diese Kritik in ihrer eigenen Systematik einholt, wird sich im Laufe der vorliegenden Arbeit zeigen. Eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit dieser noch jungen Disziplin scheint angesichts des von ihr formulierten Anspruchs sehr sinnvoll. Denn die darin implizit zum Ausdruck gebrachte generelle Wirkmächtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die kulturelle Praxis lässt die Wichtigkeit des Vorhabens, die Umweltsoziologie zu ihren systematischen Voraussetzungen zu befragen, deutlich werden. Die Aufarbeitung der Umweltsoziologie soll in der vorliegenden Arbeit von ihrem Begriff der „Umwelt“ her geschehen. Denn von einer wissenschaftlichen Disziplin ist zunächst einmal anzunehmen, dass zumindest innerhalb ihres Faches Klarheit über den eigenen Forschungsgegenstand herrscht. Im Falle der Umweltsoziologie also darüber, welcher Sachverhalt mit ihrem Leitbegriff „Umwelt“ angesprochen ist und welche erkenntnistheoretischen Konsequenzen mit diesem einhergehen. Der Begriff als solcher verweist stets auf ein Verhältnis, in dem etwas bzw. jemand zu dem, was als Umwelt bezeichnet wird, in Beziehung gesetzt ist. In dieser Eindeutigkeit wird der Begriff in der Umweltsoziologie gleichwohl doppeldeutig verwendet. Zum einen ist damit in der Beschreibung des MenschNatur-Verhältnisses der den Menschen umgebende funktionalisierte Lebensraum, die sogenannte natürliche „Umwelt“, gemeint. Zum anderen sind damit die sozialen „Umwelten“ (auch als Milieus bezeichnet) der gesellschaftlich situierten Subjekte gemeint, die sich bspw. in der Praxis unterschiedlicher Lebensstile manifestieren. Dieser Befund weist darauf hin, dass der zentrale Begriff der Umweltsoziologie weniger eindeutig ist als vielleicht angenommen. Auf den ersten Blick scheint dies nicht problematisch zu sein, ermöglicht der Begriff doch jeweils die Beschreibung eines Verhältnisses. Die Analyse dieses Verhältnisses setzt in der Umweltsoziologie jedoch immer schon bei der Betrachtung des Wie dieses Verhältnisses an und versäumt dadurch, nach dem Was des Verhältnisses zu fragen. Die Frage nach diesem Was zu stellen, ermöglicht jedoch in systemabar, zu gestalten. Die Etablierung von Transdisziplinarität wird jedoch nicht unkritisch betrachtet, da die Forschung dabei Gefahr läuft, zu viele Zugeständnisse an die Interessen des Partners machen zu müssen. Kritische Stimmen monieren u.a., dass die Forscher zu Politikberatern gemacht werden, aber auch, dass mit der Einbeziehung außerwissenschaftlicher Akteure finanzielle Abhängigkeiten entstehen, da diese oftmals das Geld für die Forschung bereitstellen (vgl. sowohl zu Begriff als auch Kritik Michael Stauffacher: Umweltsoziologie und Transdisziplinarität. In: Handbuch Umweltsoziologie, hg. von Matthias Groß (Wiesbaden 2011) 259-276).

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tischer Hinsicht zu prüfen, ob mit dem Begriff der „Umwelt“ tatsächlich die Form beschrieben ist, in der sich der Mensch respektive das menschliche Subjekt mit seinem Umfeld ins Verhältnis setzt. Die Frage danach, ob das Verhältnis, das mit dem Begriff „Umwelt“ angesprochen ist, für die Beschreibung des menschlichen Umfeldbezugs einen Beitrag leisten kann, ist eine philosophische und keine soziologische. Gleichwohl hat sie systematisch hohes Gewicht, denn die Fragen der Umweltsoziologie betreffen stets ein Verhältnis, in dem menschliche Lebewesen stehen, und implizieren deswegen bereits getroffene anthropologische Annahmen über den Menschen, die erkenntnistheoretische Auswirkungen haben. Aus diesem Grund hat sich die vorliegende Arbeit zur Aufgabe gemacht, eine philosophischanthropologisch fundierte Perspektive auf das menschliche Leben in die Umweltsoziologie einzuführen, die den menschlichen Umfeldbezug in einer phänomenologisch-hermeneutisch intendierten Herangehensweise seiner strukturmäßigen Realisierung nach beschreibt, um die Frage nach dem Was zu klären. Denn Erklärungsversuche für die menschlich verursachte „Umweltzerstörung“ führen bis dato oft in ein zirkelschlussartiges Begründungverhältnis, das keinen Ausweg zulässt. Der Grund dafür liegt, so die These, im Festhalten am Umweltbegriff als solchem, da dieser als Verhältnisbegriff problematische Verkürzungen in der Darstellung des menschlichen Lebens enthält. Der Gehalt umweltsoziologischer Forschungen, d.i. das Verhältnis des Menschen zur Natur sowie dessen gesellschaftliche und subjektive Bedingungen, wird somit gerade aufgrund des Festhaltens am Begriff Umwelt nicht hinreichend erfasst. Um sich der Tragweite dieses systematischen Problems bewusst zu werden, wird im folgenden Teilkapitel ein Gang durch die Entstehungsgeschichte der Umweltsoziologie gemacht und anschließend eine eingehende Betrachtung ihres Forschungsgegenstandes vorgelegt. Dadurch sollen die Axiome sichtbar gemacht werden, auf denen die Annahme vom menschlichen Leben in Umweltverhältnissen gründet. In einem zweiten Teilkapitel wird dann der Terminus Umwelt in seiner originär philosophisch-biologischen Bedeutung nach Uexküll eingeführt. Dies dient dazu, den Begriff von naturalistischen Implikationen zu befreien und in seiner Bedeutung als lebendige Bezugsform sichtbar zu machen. Inwiefern jedoch auch dieser Umweltbegriff systematische Probleme in der Beschreibung der menschlichen Bezugsform mit sich bringt, wird anschließend anhand eines konkreten umweltsoziologischen Forschungsfeldes – der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ – analysiert. Denn damit die spezifische Form des menschlichen Umfeldbezugs von den umweltbegriffbedingten Verkürzungen befreit werden kann, muss diese Problematik als Folge der zugrunde gelegten Axiomatik sichtbar gemacht werden. Um diese Aufgabe

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zu erfüllen, soll am Schluss dieses zweiten Kapitels aufgezeigt werden, dass im umweltsoziologischen Forschungsfeld der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ ein Diskurs Wiederholung findet, der bezüglich der darin vertretenen axiomatischen Ansprüche bereits im Spannungsfeld zwischen Uexkülls Umweltlehre und Ökologie geführt wurde. Erst mit dieser Analyse der umweltsoziologischen Systematik wird es in anthropologischer Hinsicht möglich, alte Diskurse abzulegen und neue Wege – wie sie in dieser Arbeit im Anschluss an Plessners Philosophische Anthropologie beschritten werden sollen – zu öffnen, die zur Klärung umweltsoziologischer Problemstellungen beitragen können.

2.1 D IE U MWELTSOZIOLOGIE Die Ausführungen dieses Unterkapitels dienen dazu, die Umweltsoziologie1 als wissenschaftliche Disziplin vorzustellen. Dafür wird zu Beginn ein genealogischer Rückblick ihrer Entstehungsgeschichte vorgenommen und anschließend betrachtet, inwiefern sich innerhalb der Umweltsoziologie bisher mit dem Forschungsgegenstand „Umwelt“ auseinandersetzt wird. Die alltagssprachliche inflationäre Verwendung seines Begriffs verweist nämlich auf einen impliziten Konsens über dessen Bedeutung, der die zeitgenössische Umweltsoziologie offenbar vergessen zu lassen scheint, dass diese nicht immer unumstritten war und insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl in biologischnaturwissenschaftlicher als auch in anthropologischer Hinsicht diskutiert wurde. Ein Teil dieses Diskurses nahm auch Einfluss auf die Entwicklungsgeschichte der Umweltsoziologie, die in den nun folgenden Ausführungen nachgezeichnet wird.

1

In der vorliegenden Arbeit wird der Einfachheit halber der die „Umweltthematik“ betreffende wissenschaftliche Diskurs als ein umweltsoziologischer bezeichnet. Als stark interdisziplinär arbeitendes Fach bestehen aber natürlich viele Schnittstellen zu weiteren Sozial- und Naturwissenschaften. Hier sind u.a. Ökologie, Humanökologie, Umweltpsychologie, Biologie, Geographie oder die Ingenieurswissenschaften zu nennen. Die in der vorliegenden Arbeit verwendete Literatur kann jedoch vornehmlich in die umweltsoziologische eingeordnet werden, so dass auch bei Überschneidungen zu anderen Disziplinen der Terminus Umweltsoziologie beibehalten wird.

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2.1.1 Die Genese der Umweltsoziologie Eine achtbare Auszeichnung, dass es sich bei einer speziellen Soziologie um eine wissenschaftlich anerkannte und legitimierte Disziplin handelt, ist der Erhalt einer eigenen Sektion bei der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS). Von den 35 vergebenen hat in den 1990er Jahren auch die umweltsoziologische Forschung eine Sektion erhalten, wenngleich diese zu Beginn noch nicht den Titel Umweltsoziologie trug.1 Die Zusprechung einer eigenen Sektion verwundert nicht angesichts der seit vielen Jahren anhaltenden „Umweltdebatte“, die in der Öffentlichkeit spätmoderner Gesellschaften geführt wird. Die Dringlichkeit, Lösungsansätze für das destruktive Mensch-Natur-Verhältnis zu erarbeiten, hat damit auch in der Soziologie eine hohe Priorität. Dass das ‚Kind‘ jedoch erst seit 2007 bei seinem Namen genannt wird, ist innerdisziplinär zu erklären.2 Die Gründe für die späte Etablierung der Umweltsoziologie als Disziplin liegen insbesondere in der langen Suche der Soziologie nach einer genuin soziologischen Terminologie und Systematik, für deren Entwicklung einst eine explizite Abgrenzung vom Naturbegriff vollzogen werden musste.3 Den Forschungsgegenstand der Natur wieder in den soziologischen Fokus zu rücken, ohne dabei die errungene Abgrenzung preiszugeben, war insofern eine diffizile Angelegenheit. Mit dem eigenen Selbstverständnis ringend, nahm in Deutschland die Entwicklung der Umweltsoziologie als eigene Disziplin 1993 in Form einer Arbeitsgruppe der DGS erste konkrete Formen an. 1996 ging diese in die Sektion Soziologie und Ökologie über, die – in Anlehnung an den im internationalen Raum mittlerweile stark ausgeprägten Begriff der environmental sociology – ihren Titel zu guter Letzt in Umweltsoziologie änderte.4 Die Gründe für die späte Namensge1

Vgl. H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland, a.a.O. [Anm. 7] 39.

2

Vgl. Matthias Groß: Einleitung. In: Handbuch Umweltsoziologie, hg. von ders. (Wiesbaden 2011) 9-16, 12.

3

Für eine eingehende Historie der Umweltsoziologie, die zudem die US-amerikanische Entwicklung der umweltsoziologischen Disziplin beleuchtet, vgl. exemplarisch Matthias Groß: Die Natur der Gesellschaft. Eine Geschichte der Umweltsoziologie (Weinheim/München 2001); aber auch: H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland, a.a.O. [Anm. 7].

4

Vgl. M. Groß: Die Natur der Gesellschaft, a.a.O. [Anm. 23] 12. Die Umbenennung der Sektion von Soziologie und Ökologie in Umweltsoziologie hat demnach keine systematischen Gründe gehabt, die sich etwa auf die zugrunde gelegte Naturauffassung bezogen. Der vormals gewählte Begriff der Ökologie legt denn auch bereits nahe, dass die Umweltsoziologie auf ein evolutionstheoretisch-naturwissenschaftliches Naturverständnis aufbaut.

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bung der Disziplin sieht Matthias Groß hauptsächlich im Bestreben der dieser Sektion angehörenden Forscher, „nicht nur eine weitere Bindestrich-Soziologie darzustellen“.5 Denn die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur bzw. zwischen Gesellschaft und Natur hat in der Soziologie – trotz des Versuchs der Abgrenzung – eine lange Tradition. Die Umweltsoziologie lediglich als eine Bindestrich-Soziologie – exemplarisch seien hier die Alterssoziologie oder die Rechtssoziologie genannt – zu klassifizieren, würde daher nicht ausreichen, um „der ökologischen Thematik im Selbstverständnis der Soziologie eine zentrale Rolle zuzuschreiben“6 sowie die Tragweite ihres Forschungsgehalts adäquat zum Ausdruck zu bringen. Die Auseinandersetzung mit dem Mensch-Natur-Verhältnis geht in der Soziologie gewöhnlich bis auf Marx zurück, was auch für die Umweltsoziologie gilt.7 In der Tat ist bei Marx ‚Natur‘ Grundvoraussetzung für dessen Hauptkategorie der menschlichen Arbeit. Mit Arbeit meint Marx aber nicht nur die Bearbeitung der äußeren, sondern auch die der inneren Natur. Zur Veranschaulichung dieses Prozesses bedient er sich des aus der Chemie stammenden Begriffs des Stoffwechsels, mit dem er den für das menschliche Leben notwendigen Zusammenhang von Mensch und Natur beschreibt.8 Bereits in seinen Ökonomisch5

Ebd. 12.

6

Ebd. 12.

7

Vgl. H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland, a.a.O. [Anm. 7] 21.

8

Vgl. ebd. 21. Eine auf Marx’ Stoffwechselbegriff zurückgehende, umweltsoziologische Weiterentwicklung zur Analyse der gesellschaftlichen Makroebene findet sich in dem theoretischen Ansatz des „metabolic rift“ (Stoffwechsel-Unterbrechung) des USAmerikaners John Foster (vgl. Matthias Groß: Umweltsoziologie. In: Handbuch Spezielle Soziologien, hg. von Georg Kneer/Markus Schroer (Wiesbaden 2010) 645-661, 651). Groß diagnostiziert diesem Ansatz zwar eine hohe Anschlussfähigkeit an verschiedenste Themen: „Das Konzept des ‚metabolic rift‘ lässt sich auf so verschiedene Themen wie den globalen Klimawandel, den Vergleich verschiedener Wirtschaftsformen, die moderne Landwirtschaft oder den ökologischen Fußabdruck anwenden“ (ebd. 651). Dabei laufe das Konzept aber Gefahr, da es in der Marx’schen Tradition steht, die Ursache des Dilemmas immer schon a priori zu setzen: „Es ist die kapitalistische Produktionsweise und die industrielle Modernisierung, die keinen Ausweg aus dem Dilemma des ‚metabolc rift‘ erlaubt“ (ebd. 652). Viele Gründe für das destruktive Mensch-Natur-Verhältnis sprechen zwar dafür, dass sie in den kapitalistischen Strukturen spätmoderner Gesellschaften liegen, insofern deren Logik nicht nur für das Wirtschaftssystem geltend gemacht wird. Eine ausschließliche Betrachtung der Makroebene, schafft es aber nicht, das auf der Mikroebene liegende Verhältnis der einzelnen Subjekte zur Natur zu erfassen. Für die Überwindung eines solchen Entweder-

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philosophischen Manuskripten wird dieser unausweichliche Umgang mit der ‚Natur‘ deutlich: „Die Natur ist der unorganische Leib des Menschen, nämlich die Natur, soweit sie nicht selbst menschlicher Körper ist. Der Mensch lebt von der Natur, heißt: die Natur ist sein Leib, mit dem er in beständigem Prozeß bleiben muß, um nicht zu sterben. Daß das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen andren Sinn, als daß die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur“.9 Gesellschaft geht nach Marx deswegen aus der menschlichen Bearbeitung der stofflichen Natur hervor. Die Entstehung von Gesellschaft wird somit zu einem ökologischen Prozess, der stoffwechselartig vermittelt abläuft. Neben Marx finden in der Reihe der Soziologie-Klassiker zudem Max Weber und Emile Durkheim immer wieder Erwähnung innerhalb der Entwicklungsgeschichte der Umweltsoziologie. Anders als Marx, der mit dem Begriff des Stoffwechsels auf eine materialistische Position abhebt, gehen Weber und Durkheim auf die kulturelle Abhängigkeit des Naturverständnisses einer Gesellschaft ein: „Im Zentrum stand nun nicht mehr die Beschreibung der Einwirkung von objektiver Natur, welche gesellschaftliche Prozesse beeinflußte, sondern umgekehrt, die Beschreibung der gesellschaftlichen Wahrnehmung ihrer äußeren Umwelt. Dies bedeutete allerdings nicht, daß der Natur eine Eigenkraft abgesprochen wurde oder sie gänzlich ausgeklammert wurde“.10 Obwohl genau dies später geschehen ist und als Erklärung dafür insbesondere das Durkheim‘sche Paradigma (Soziales aus Sozialem zu erklären) ins Feld geführt wird,11 zeigen Oder, wird am Ende der vorliegenden Arbeit entsprechend der Fokus auf die Realisierung von Selbst-Welt-Beziehungen gelegt, da diese kein Entweder-Oder implizieren, sondern sich durch das Moment der Gleichursprünglichkeit auszeichnen. Mit Einnahme dieser Perspektive können Gründe für das wenig „umweltschonende“ Handeln sichtbar werden, die nicht entweder auf der Makro- oder Mikroebene, sondern im Dazwischen, in der Vermittlung beider Ebenen zu suchen sind. Dass dabei aktuell auch kapitalistische Strukturen eine Rolle spielen, wird ebenfalls im letzten Kapitel deutlich. 9

Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte. MEW. Ergänzungsbd., 1. Teil (Berlin 1968 [1844]) 465-588, 516.

10 M. Groß: Die Natur der Gesellschaft, a.a.O. [Anm. 23] 87. In diesem Zitat kündigt sich bereits ein Problem an: Die Gleichsetzung von Natur und „Umwelt“, die bei Groß durch die jeweilige Zuschreibung von objektiv gegebener Äußerlichkeit deutlich wird. 11 Im Nachhinein ist seitens der Umweltsoziologie dieses Paradigma oft „als eine Art Rechtfertigung dafür [für ihre späte Etablierung] ins Feld geführt“ (H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland, a.a.O. [Anm. 7] 21) worden. Auch Riley E. Dunlap argumentiert mit Durkheim, um die ebenfalls späte Entwicklung einer Umweltsoziolo-

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diese Ausführungen, dass grundlegende Überlegungen zur Naturbetroffenheit von Mensch und Gesellschaft bereits bei den die Soziologie begründenden Klassikern von systematischer Wichtigkeit sind. Das sich in Europa tatsächlich zunehmend durchsetzende Durkheim‘sche Paradigma ließ die Naturbetroffenheit des Sozialen langsam in Vergessenheit geraten. Ungeachtet dessen entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA die sozialwissenschaftliche Disziplin der human ecology, zu Deutsch Humanökologie.12 Diese stand in einer naturwissenschaftlich-evo lutionsbiologischen Tradition, genauer in der Tradition der Ökologie. Der Begriff der Ökologie geht auf den Zoologen Ernst Haeckel zurück, der diesen wie folgt definierte: „Unter Oecologie verstehen wir die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle ‚Existenz-Bedingungen‘ rechnen können“.13 Als Vertreter gie in den USA zu erklären (vgl. Riley E. Dunlap: Aktuelle Entwicklungen, a.a.O. [Anm. 13] 55). 12 Der Begriff der human ecology geht auf die Chemikerin Ellen Swallow Richards zurück. In Abgrenzung zu der in der Biologie bereits existierenden ecology, versah sie die von ihr damals neu gegründete Disziplin 1907 mit dem Zusatz human, da der Forschungsschwerpunkt auf das alltägliche Leben des modernen Menschen in Abhängigkeit zu seiner natürlichen und selbst geschaffenen „Umwelt“ gelegt werden sollte (vgl. M. Groß: Einleitung, a.a.O. [Anm. 22] 9). Obwohl explizit der Fokus auf das menschliche Leben in „Umweltverhältnissen“ gelegt wurde, bestand das vorrangige Interesse trotzdem darin, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur als einen objektiv einsehbaren und empirisch bestimmbaren Stoffwechselprozess auszuweisen. Die Fundamente der zugrunde gelegten Systematik blieben also auch in der Humanökologie weiterhin Naturalismus und Evolutionsbiologie. 13 Ernst Haeckel: Generelle Morphologie der Organismen. Allgemeine Grundzüge der organischen Formen-Wissenschaft, mechanisch begründet durch die von Charles Darwin reformirte Descendenz-Theorie. (Berlin/New York ND 1988 [1866]) 286. Die von Haeckel hier beschriebene Beziehung zwischen Organismus und umgebender Außenwelt ist als eine objektiv einsehbare konzipiert – wie auch im Begriff des Umgebens zum Ausdruck kommt –, wodurch ersichtlich wird, dass er seiner Ökologie die Vorstellung von der Objektivität der Natur zugrunde legte sowie eine evolutionsbiologische Auffassung des Lebendigen vertrat. Die Annahmen der Objektivität alles Seienden und die evolutionstheoretische Erklärung des Lebendigen tragen bis heute die Ökologie als Lehre von den Organismus-„Umwelt“-Verhältnissen. Dies führt dazu, dass gerade in Beschreibungen des menschlichen Lebens durch die ökologische Semantik seine phänomenologisch-hermeneutische Dimension in den Hintergrund tritt und eine einseitig biologistische Sicht auf den Menschen reproduziert wird.

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des Darwinismus ging Haeckel von einem Kampf ums Dasein aus, in dem nur jene Lebewesen überleben, die sich ihrer Umgebung optimal anpassen.14 Tatsächlich konstatiert Groß einen direkten Einfluss des Haeckel‘schen Darwinismus auf die frühe Humanökologie des Chicagoer Sozialwissenschaftlers Robert Park, jedoch sei dieser Einfluss letztlich als bloße Metaphorik übrig geblieben.15 Es wurden zwar Begriffe wie Anpassung oder Konkurrenz der evolutionstheoretischen Terminologie entlehnt, nach Groß aber aus einer biologischen Systematik in eine soziologische transformiert.16 Dass die Umweltsoziologie aber auch heute noch mit der Ökologie systematisch sehr eng verknüpft ist, gehört in dieser Arbeit gleichwohl zu den aufzuzeigenden Problemen, denn gerade das nachweisbare, biologische Erbe der Umweltsoziologie hat in Form von axiomatischen Voraussetzungen reduktionistische Annahmen zur Folge. Die Humanökologie, die seit den 1920er Jahren eng mit der Chicagoer Schule verknüpft war, ging zu einem großen Teil auch auf Georg Simmel zurück.17 Simmel versteht Gesellschaft grundsätzlich nicht als festgeschriebene und invariante, objektive Tatsache, sondern als ein offenes Netzwerk von Wechselbeziehungen zwischen Einzelnen: „Alle jene großen Systeme und überindividuellen Organisationen, an die man bei dem Begriff der Gesellschaft zu denken pflegt, 14 Vgl. ebd. 286. 15 Vgl. M. Groß: Die Natur der Gesellschaft, a.a.O. [Anm. 23] 139. 16 Groß kritisiert in diesem Zusammenhang die oft verkürzte Rezeption der Humanökologie, in der offenbar die Annahme vorherrscht, Park habe schlichtweg Darwins Evolutionstheorie in ihrer ökologischen Ausprägung soziologisch gewendet: „In ihrer von der Pflanzen- und Tierökologie entlehnten Herangehensweise der Humanökologie sei als grundlegendes Problem das Verhältnis von Konkurrenz und sozialer Kontrolle zu betrachten. Von den Individuen wird angenommen, sie verfolgten ihre Interessen, ihren eigenen Vorteil im Kampf ums Dasein. […] Diese konkurrierende Kooperation beinhalte ein symbiotisches Verhältnis, welches Darwins dem Individuum eine passive Rolle zuschreibende ‚Anpassung‘ (adaption) widerspiegele. […] Sie hätten Darwin in der Soziologie einen festen Platz zugewiesen, was von späteren Kritikern abgelehnt wurde“ (M. Groß: Die Natur der Gesellschaft, a.a.O. [Anm. 23] 91). Obwohl es wichtig ist, dass mit Park (auch aufgrund seines Zurückgreifens auf Georg Simmel) die Einseitigkeit des Verhältnisses überwunden werden konnte (siehe S. 36f.), sind die systematischen Folgen, die durch das Übernehmen von Begriffen aus einer Disziplin in eine andere entstehen, nicht zu unterschätzen, da diesen Begriffen bereits spezifische Voraussetzungen inhärent sind, die durch ihre Übernahme zu unausgewiesenen Präsuppositionen werden können, was Konsequenzen für die gesamte Systematik eines Ansatzes hat (vgl. dazu Kapitel 2.3ff. dieser Arbeit). 17 Vgl. ebd. 89.

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sind nichts anderes als die Verfestigungen – zu dauernden Rahmen und selbständigen Gebilden – von unmittelbaren, zwischen Individuum und Individuum stündlich und lebenslang hin und her gehenden Wechselwirkungen“.18 Aufgrund dieser dynamischen Auffassung von Vergesellschaftung gilt Simmel als einer der bemerkenswertesten Beobachter der sozialen Strukturen seiner Zeit. Dementsprechend stark prägen seine Beobachtungen der Vergesellschaftungsformen im großstädtischen Leben, die er in seinem berühmt gewordenen Aufsatz Die Großstädte und das Geistesleben beschreibt, die Chicagoer Humanökologie nach Park.19 Die Großstadt wird von Park als besondere Form der sozialen „Umwelt“ betrachtet, dabei aber als ein ökologischer Gegenstand untersucht.20 Auch Simmel, der in seinen gesellschaftstheoretischen Überlegungen die Wechselwirkung als Antrieb des gesellschaftlichen Fortschritts ausweist, stellt grundlegende Überlegungen zum Verhältnis zwischen Mensch und Natur an: „Die materiellen Kulturgüter: Möbel und Kulturpflanzen, Kunstwerke und Maschinen, Geräte und Bücher, in denen natürliche Stoffe zu ihnen zwar möglichen, durch ihre eignen Kräfte aber nie verwirklichten Formen entwickelt werden, sind unser eigenes, durch Ideen entfaltetes Wollen und Fühlen, das die Entwicklungsmöglichkeiten der Dinge, soweit sie auf seinem Wege liegen, in sich einbezieht“.21 Nach Simmel ist den Naturdingen keine Kraft immanent, die ihnen möglichen Formen selbst zu verwirklichen. Dazu braucht es den Menschen, der gleichwohl in der Gestaltung kultureller Güter an die jeweilige Potenzialität des Naturdings gebunden ist. Das Moment der Wechselwirkung bleibt somit trotz des hier eingenommenen anthropozentrischen Standpunkts auch im menschlichen Verhältnis zur Natur die Triebfeder der Entwicklung. Park geht bereits in seinen frühen Arbeiten über Simmel hinaus, da er die anthropozentrische Dominanz im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur aufzuheben sucht. Indem er der menschlich gebauten „Umwelt“ „eine ‚ReNaturalisierung‘, d.h. hier, eine vom Erfinder ungeplante Eigendynamik“,22 zu18 Georg Simmel: Schriften zur Soziologie. Eine Auswahl, hg. von Heinz-Jürgen Dahme und Otthein Rammstedt (Frankfurt a.M. ³1989 [1983]) 38. 19 Park studierte im Jahre 1900 bei Simmel in Berlin, den er für den herausragendsten Soziologen dieser Zeit hielt, was den Einfluss Simmels auf die Park‘sche Humanökologie erklärt (vgl. M. Groß: Die Natur der Gesellschaft, a.a.O. [Anm. 23] 110). 20 Vgl. M. Groß: Die Natur der Gesellschaft, a.a.O. [Anm. 23] 89. 21 Georg Simmel: Persönliche und sachliche Kultur (1900). In: Aufsätze und Abhandlungen 1894-1900. GS. Bd. 5, hg. von Heinz-Jürgen Dahme und David P. Frisby (Frankfurt a.M. 1992) 560-582, 560. 22 M. Groß: Die Natur der Gesellschaft, a.a.O. [Anm. 23] 123. Diese Überlegungen vertritt Park, wie Groß betont, bereits bevor er sich der Chicagoer Schule anschließt.

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spricht, will er einen einseitigen Kulturalismus verhindern. Somit wird bei Park die Stadt zur den Menschen umgebenden Quasi-Natur oder auch vergesellschafteten Natur, die auf die Individuen zurückwirkt. Groß pointiert entsprechend: „Umweltprobleme waren Stadtprobleme“.23 Das, was folglich heute als Forschungsgrundlage der Chicagoer Humanökologie betrachtet wird, ist laut Groß „ein ökologisches Konzept urbaner Sozialforschung“, das „die (oft gesundheitsschädliche) Wirkung der Stadtumwelt und […] die räumliche Bewegung von Menschengruppen innerhalb dieser“24 untersucht. Der durch den industriellen Fortschritt am ‚Fin de Siècle‘ verursachte exorbitante demographische Wandel (Landflucht, Urbanisierung, Ghettoisierung etc.) und die damit einhergehenden Veränderungen der Gesellschaftsstrukturen bestimmen die Forschungen dieser „erste[n] Umweltsoziologie“.25 Die Stadt ist nun die „Umwelt“ des Menschen, die es zu erforschen gilt, damit die Wechselwirkungen zwischen dieser und den sich ihr anpassenden Individuen erschlossen werden können. Mit der Betrachtung des wechselseitigen Individuum-Stadt-Verhältnisses schaffte es die Humanökologie zwar einen eigenen Forschungsgegenstand zu generieren. Die Übertragung der ökologischen Systematik auf das soziale Leben menschlicher Individuen in ihrer „Stadtumwelt“ hatte jedoch die systematische Konsequenz, dass der dabei implizierte Naturbegriff in der Bestimmung dieses Verhältnisses ein naturalistischer blieb. Denn auf diesem baut die Ökologie, wie das Zitat von Haeckel verdeutlicht, axiomatisch auf. Von einer genuinen soziologischen Systematik fehlt in dieser ersten Umweltsoziologie somit noch jede Spur. Dieses Fehlen einer eigenen soziologischen Terminologie und Systematik ist einer der Hauptgründe, dass in den 1930er Jahren die Theorie der Interaktion zwischen Mensch und seiner quasi-naturalisierten „Stadtumwelt“ als soziologische Theorie letztendlich fallengelassen wurde. Denn aufgrund einer massiven Expansion der Soziologie als Wissenschaft benötigte sie mehr denn je, wenn sie als eigenständige Wissenschaft ernstgenommen werden wollte, eine genuine Perspektive auf die Gesellschaft sowie Terminologie für ihre Beschreibung: „Um zu überleben, brauchte die Soziologie ein eigenständiges Terrain, einen eigenen, genuin soziologischen Begriffsapparat“.26 Nachdem die Perspektive der ökologischen Wechselbeziehung zwischen Mensch und „Umwelt“ als obsolete Perspektive fallengelassen war, kam eine 23 Ebd. 233. 24 Ebd. 89. 25 Ebd. 89. 26 Ebd. 166. Die in der Humanökologie verwendete biologistische Nomenklatur galt natürlich nicht zuletzt auch angesichts der nationalsozialistischen Rassenlehre im damaligen Deutschland als zu überwindende.

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lange Zeitspanne, in der sich die deutsche Soziologie primär strukturfunktionalistisch und systemtheoretisch orientierte: Der Begriff der Umwelt wurde dadurch aus der Bedeutung eines Natursachverhalts gelöst und auf dem Hintergrund eines funktional ausdifferenzierten Ensembles sozialer Sinneinheiten neu verortet. Entsprechend verblasste in der Soziologie die Bedeutung der „Umwelt“ als objektiv gegebener Naturraum und bekam innerhalb der Luhmann‘schen Systemtheorie eine konstruktivistische Konnotation27 Trotz des mit Luhmann erworbenen systemtheoretischen Selbstverständnisses der Soziologie durch seinen ausschließlichen Fokus auf innergesellschaftliche Differenzierungsprozesse, blieb die Systematik und Terminologie weitestgehend einer ökologischkybernetischen Deutung verhaftet. D.h. auch die Umdeutung des „Umwelt“Begriffs von einem natürlichen in einen sozialen Sachverhalt brachte nicht zustande, sein biologisches Erbe zurückzulassen. Diese Zeitspanne, die bis nach den oben erwähnten ersten „Umweltdebatten“ in den 1960er Jahren bzw. in Deutschland in den 1970er Jahren reichte, kann für die Entwicklung der Umweltsoziologie als eine Zeit der Stagnation bezeichnet werden, da das Mensch-Natur-Verhältnis aus der soziologischen Betrachtung der Gesellschaft herausfiel. Neben dem Durkheim’schen Diktum sowie einer die Soziologie der Nachkriegszeit bestimmende strukturfunktionalistisch28 systemtheoretische Position im Sinne Talcott Parsons und Luhmanns lag diese 27 Nach Niklas Luhmann grenzt sich jedes soziale System als ein System von anderen Systemen – die gleichermaßen aus funktional ausdifferenzierten Sinneinheiten bestehen – ab, wodurch letztere als sozial konstruierte Umwelt des ersteren hervortreten. Vgl. für eine kurze Einführung in den strukturfunktionalistischen bzw. systemtheoretischen Ansatz in der Soziologie: H. Rosa/D. Strecker/A. Kottmann: Soziologische Theorien, a.a.O. [Anm. 18] 150-196; grundlegend zur Einführung siehe jedoch Niklas Luhmann: Einführung in die Systemtheorie, hg. von Dirk Baecker (Heidelberg 62011 [2002]). Luhmann steht mit seinem Umweltbegriff im Grunde in der Tradition der Uexküll’schen Umweltlehre, da es ihm in der Umweltabgrenzung um die Sinnspezifität eines jeden Systems geht. Nichtsdestotrotz sind seine Begriffe der Ökologie entlehnt, was den Luhmann’schen Beobachter dazu befähigt, in die System-UmweltVerhältnisse Einblick zu nehmen. 28 Parsons entwickelte im Anschluss an die Soziologie-Klassiker eine strukturfunktionalistische Position, um die Entstehung und den Wandel sozialer Ordnungen zu erklären. Sein Ziel war eine umfassende Sozialtheorie, in der er die Modernisierung als evolutionären Prozess darstellte, die durch Anpassung, Zielerreichung, Integration und Strukturerhaltung für den Erhalt der sozialen Strukturen sorgte (zur Einführung in Parsons Theorie vgl.: H. Rosa/D. Strecker/A. Kottmann: Soziologische Theorien. a.a.O. [Anm. 18] 150-172). Die Beschreibung des Modernisierungsprozesses als ein evolutionärer

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Stagnation zudem an einer die Öffentlichkeit und die Wissenschaften dominierende Fortschrittsgläubigkeit, die sich angesichts der schnellen sozialen Wohlstandssteigerung in der Nachkriegszeit durch zwei miteinander verflochtene Überzeugungen auszeichnete: „[Z]um einen der Vorstellung, dass von der Natur gesetzte Grenzen durch die technologische Entwicklung immer mehr an Bedeutung verlören, und zum anderen der gesellschaftspolitischen Versicherung, dass sich mit dieser Entwicklung die ‚Soziale Frage‘ des 19. Jahrhunderts sozusagen von selbst erledige, und dies auf kapitalistischer Basis“.29 Natur nahm in dieser wohlstandsgeprägten Sichtweise lediglich den Status eines materiellen Rahmens für die Reproduktion der Gesellschaft ein. zeigt, dass auch Parsons die soziologische Terminologie nicht von der ökologischen trennte. Auch Groß macht darauf aufmerksam, dass die Parson’sche Perspektive eine bloß vermeintlich genuine gewesen ist (vgl. M. Groß: Die Natur der Gesellschaft. a.a.O. [Anm. 23] 167). Michael Jäckel und Manfred Mai verweisen in ihrem Beitrag zum DGS-Kongress im Jahre 2006 – der den Titel Die Natur der Gesellschaft trug – zudem auf den starken Einfluss naturwissenschaftlicher Methodologie und Terminologie auf die frühe Soziologie sowie die anhaltende Bedeutung biologischer Theoreme für die Systemtheorie der Luhmann’schen Schule (vgl. Michael Jäckel/Manfred Mai: Natur als Deutungsmuster? Zur Dominanz naturwissenschaftlicher Denkstrukturen in der Gesellschaft und den Medien – eine Einführung. In: Die Natur der Gesellschaft. Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006, hg. von Karl-Siegmund Rehberg (Frankfurt a.M. 2008) 1033-1043, 1033ff.). In kritischer Stellung dazu betonen die beiden Autoren gegenüber dem Anspruch auf Letztgültigkeit von Naturgesetzen die Verhandelbarkeit sozialer Prozesse (vgl. ebd. 1035ff.). Zu bedenken ist aber, dass auch Jäckel und Mai ihre Kritik ausgehend von einem naturalistischen Naturbegriff formulieren und hier keinen alternativen Naturbegriff in Betracht ziehen, wodurch auch sie implizit das naturalistische Paradigma reproduzieren. 29 H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland. a.a.O. [Anm. 7] 23. Lange sieht in der Fortschrittsgläubigkeit und der dominanten Stellung Parsons in der Soziologie die Hauptgründe für die Naturvergessenheit in der Soziologie – nicht das Durkheim’sche Paradigma (vgl. ebd. 22). Der große Einfluss Durkheims auf das soziologische Selbstverständnis sollte jedoch nicht unterschätzt und deswegen auch in der Nachzeichnung der Entwicklungsgeschichte der Umweltsoziologie betont werden, wie dies auch Groß, Karl-Werner Brand oder Dunlap in ihren Ausführungen zur Geschichte der Umweltsoziologie tun (vgl. M. Groß: Die Natur der Gesellschaft. a.a.O. [Anm. 23] 38-49; Karl-Werner Brand: Soziologie und Natur – eine schwierige Beziehung. In: Soziologie und Natur. Reihe “Soziologie und Ökologie, Bd. 2, hg. von ders. (Opladen 1998) 9-29; sowie R. E. Dunlap: Aktuelle Entwicklungen. a.a.O. [Anm. 13]).

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Diese Abstraktion spiegelt die zutiefst internalisierte Subjekt-ObjektDichotomie im sowohl wissenschaftlichen als auch alltäglichen Denken zwischen Kultur und Natur wider. Ein Rahmen stellt eine Beschränkung dar, an der das Eingerahmte aufhört. Eine gegenseitige Durchdringung ist nicht gegeben und auch nicht vorgesehen. Vielmehr ist ein Rahmen dazu da, das, was er einrahmt, in seiner Geltung zu unterstützen. D.h. ein Bild stellt im Gegensatz zu seinem Rahmen stets die dominante Komponente des Kunstwerks dar, der Rahmen, der das Bild umgibt, immer nur den rezessiven Teil. Zwar bilden beide zusammen ein Gesamtwerk, der Rahmen hat dabei aber lediglich den dienenden Part.30 So verstanden und metaphorisch übertragen auf das industriell geprägte Verständnis des Gesellschaft-Natur-Verhältnisses, in dem Natur als bloße Rahmenbedingung aufgefasst wurde, diente die äußere Natur lediglich der gesellschaftlichen Reproduktion. Da dieses anthropozentrische Weltbild, das die Instrumentalisierung der äußeren Natur als bloße Ressource legitimierte, auch von der Soziologie reproduziert wurde, lag die Entwicklung einer Umweltsoziologie zu dieser Zeit brach. Da die Natur lediglich als materielle Absicherung von Gesellschaft begriffen wurde, verschrieb sich die soziologische Forschung in Deutschland ausschließlich der Erklärung sozialer Strukturen und Ordnungen sowie deren funktionaler Ausdifferenzierung und kulturellen Vermittlungen: Nicht die Erforschung der Natur, sondern der Kultur, begriffen als zweite Natur des Menschen, bestimmte seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Soziologie. Ein soziologisches Interesse erregte Natur folglich nur noch als Gegenstand kultureller Symbolisierung.31 Erst mit der einsetzenden öffentlichen Thematisierung des destruktiven Ausmaßes menschlicher Eingriffe in die äußere Natur als Folge der stetigen Wohlstandsteigerung rückte das Mensch-Natur-Verhältnis überhaupt wieder in den Fokus wissenschaftlichen Interesses. Allerdings waren es zunächst die Naturwissenschaften sowie die Ökologie, die bei der Erforschung möglicher Schranken der Naturausbeutung als Leitwissenschaften fungierten. Gemäß des vorherrschenden naturalistischen Naturverständnisses verwundert es kaum, dass die fachlichen Kompetenzen zur Beantwortung der aufgekommenen „Umweltfragen“ bei den Naturwissenschaften gesehen wurden: „Welche Nutzungsformen von Natur, welche Art von Technik, welches Ausmaß an Umweltbelastung, welche synthetisch hergestellten Stoffe ökologisch verantwortlich und gesundheit30 Zu dieser Bedeutung des Bilderrahmens im Verhältnis zum Kunstwerk vgl. Georg Simmel: Der Bildrahmen. Ein ästhetischer Versuch. In: Aufsätze und Abhandlungen 1901-1908. GA. Bd. 7, hg. von Rüdiger Kramme/Angela Rammstedt/Otthein Rammstedt (Frankfurt a.M. 1995 [1902]) 101-108. 31 Vgl. K.-W. Brand: Soziologie und Natur, a.a.O. [ Anm. 49] 14.

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lich zuträglich war [sic!], das schien […] allein auf dem Feld naturwissenschaftlicher Kontroversen geklärt werden zu können“.32 Dass in erster Linie die Naturwissenschaften als die lösungsbietenden Leitwissenschaften gesehen wurden, zeugt einmal mehr vom gesellschaftlich tief verankerten anthropozentrischen Weltbild. In diesem wird davon ausgegangen, dass nicht nur die Beherrschung der Ressource Natur durch ihre Zerlegung in naturalistische Gesetzmäßigkeiten möglich ist, auch die Domination der Folgen ihres destruktiven Ausmaßes soll mit der Anwendung dieser Gesetzmäßigkeiten möglich sein: „Von dem ‚Zauberlehrling‘, der die Naturkräfte entfesselt hat, erhofft man sich, dass er auch deren zerstörerisches Potential unter Kontrolle bringt“.33 Die Reaktionen seitens der deutschen Soziologie auf die eingeläutete „Umweltdebatte“ waren zunächst eher zurückhaltend. Zwar konnte sie das Phänomen der „Umweltbewegung“ oder die Entwicklung eines „Umweltbewusstseins“ nach soziologischen Maßstäben analysieren und Aufschlüsse über die kulturelle Wahrnehmung von „Umweltproblemen“ geben.34 Sozialtheoretische Überlegungen, die den prinzipiellen Zusammenhang zwischen Mensch und Natur als eine für beide Phänomene konstitutive Austauschbeziehung aufzeigen, blieben in der deutschen Soziologie jedoch zunächst aus. Die Ressource Natur blieb weiterhin – als die vom Menschen abhängige Seite des Nexus – ein durch naturwissenschaftliche Analyse zu bearbeitendes Feld. Der in der Entwicklung der Umweltsoziologie wichtigste Appell für eine Aufhebung der anthropozentrischen Weltsicht kam wiederum zuerst aus den USA. In den späten 1970er Jahren formierte sich um die beiden Soziologen Riley Dunlap und William Catton die new human ecology, die sich programmatisch gegen die vorherrschende anthropozentrische Sichtweise westlichkapitalistischer Gesellschaften stellte und ein New Ecological Paradigm forderte.35 Dieses sollte „die ‚westliche‘ Ideologie der Instrumentalisierung der Natur durch eine neue Sichtweise ablös[en], die den Menschen als Teil eines ökologischen Systems begreift, dessen Erhaltung auf lange Sicht auch sein Überleben ermöglicht“.36 Dadurch dass Catton und Dunlap den ‚Spieß‘ umdrehten und von nun an den Menschen als abhängige Größe von den äußeren Naturbeschaffenheiten betrachteten, gelang es ihnen – zumindest für die Forschung in den USA – 32 Ebd. 11. 33 Andreas Dieckmann/Peter Preisendörfer: Umweltsoziologie. Eine Einführung (Reinbek 2001) 11. 34 Vgl. K.-W. Brand: Soziologie und Natur. a.a.O. [49] 11. 35 Vgl. William R. Catton/Riley E. Dunlap: Environmental Sociology: A New Paradigm. In: The American Sociologist (1978), no. 1, 41-49. 36 A. Dieckmann/P. Preisendörfer: Umweltsoziologie. a.a.O. [53] 17.

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die physische Natur in die Soziologie zurückzuholen und das alte Paradigma mit ihrem neuen zu ersetzen. Die daraus entstandene environmental sociology konnte sich als diejenige soziologische Disziplin etablieren, die nicht bloß die symbolische Vermittlung des Verhältnisses betrachtet, sondern zudem den materiellen Stoffwechsel zwischen Natur und Gesellschaft (wieder) in die Betrachtung mit einbezieht.37 Das, was darin mit äußerer Natur angesprochen ist, sowie die Bestimmung der Form des Verhältnisses bleiben jedoch weiterhin einem ökologischen Verständnis verhaftet. In Deutschland dauerte es noch bis in die 1980er Jahre als erste relevante Veröffentlichungen, die sich mit der konstatierten „Umweltproblematik“ befassten, in der Soziologielandschaft erschienen. Zu nennen sind hier insbesondere die 1986 erschienenen Arbeiten von Ulrich Beck (Risikogesellschaft) und Luhmann (Ökologische Kommunikation), deren Erscheinen im Jahr der ReaktorKatastrophe in Tschernobyl eine subtile Tragik anhaftet.38 Zwar kann von den beiden genannten Arbeiten nicht gesagt werden, dass sie explizit umweltsoziologische sind, aber sie setzen sich in Reaktion auf die anhaltende öffentliche Debatte um „Umweltrisiken“ und die bereits ergriffenen politischen Maßnahmen seitens der Regierung mit der innergesellschaftlichen Bearbeitung der „Umweltkrise“ auseinander.39 Einerseits werden darin – im systemtheoretischen Sinne Luhmanns – die gesellschaftlichen Kommunikationsprozesse und deren jeweilige systemisch abhängige Selektivität der Wahrnehmung von „Umweltproblemen“ thematisiert. Andererseits werden darin – im Sinne der Beck’schen Theo37 Groß bezweifelt die innovative Schlagkraft des New Ecological Paradigm: „So einfach und klar dieses ‚neue‘ Paradigma sein mag […], wurde es zwar als Erkenntnisbeleg für das umweltliche Desiderat der Soziologie häufig zitiert, allerdings stellte es keine theoretische Weiterentwicklung dar“ (M. Groß: Die Natur der Gesellschaft. a.a.O. [Anm. 23] 192). In der Tat fand sich, wie oben dargestellt, bereits bei Marx die Einsicht der menschlichen Abhängigkeit von der Natur. Die Einsicht selbst brachte also kaum theoretischen Gewinn, aber durch ihre explizite Wiederaufnahme trugen Catton und Dunlap entscheidend dazu bei, dass das Thema Mensch-Natur-Verhältnis wieder an Relevanz in der Soziologie gewann. 38 Vgl. dazu auch M. Groß: Einleitung, a.a.O. [Anm. 22] 11. Groß verweist an dieser Stelle auch auf das von Joseph Huber bereits 1982 veröffentlichte Werk Die verlorene Unschuld der Ökologie, das damals kaum beachtet wurde, jedoch heute als Wegweiser zur Theorie der ökologischen Modernisierung gilt. 39 Bereits 1970 erließ die Regierung in Deutschland das erste „Umweltpolitikprogramm“, welches noch im selben Jahrzehnt durch ein komplettes Grundsatzprogramm aufgestockt wurde (vgl. H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland. a.a.O. [Anm. 7] 35).

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rie – die selbstverursachten Risiken einer nunmehr reflexiv gewordenen Moderne und die erosiven Auswirkungen dieser Risiken auf gesellschaftliche Institutionen beleuchtet.40 Das Mensch-Natur-Verhältnis kehrte mit Beck und Luhmann zwar zurück in die deutsche Soziologie, jedoch nicht als eigenständiger Untersuchungsgegenstand. Vielmehr hat es durch das breite öffentliche Interesse sekundär, d.h. als Teil sozialer Kommunikationsprozesse, den Weg in die Soziologie zurückgefunden. Dementsprechend lag der Fokus beider Autoren auf den innergesellschaftlichen Vermittlungsprozessen (ob über systemische Kommunikationscodes oder Institutionen) von „Umweltproblemen“ bzw. „Umweltrisiken“ und deren Auswirkungen auf die soziale Ordnung. Lange weist hier zu Recht nicht nur auf den hoch reaktiven Charakter der sich allmählich formierenden Umweltsoziologie hin,41 sondern auch darauf, dass hieran deutlich wird, dass das, „was innerhalb wissenschaftlicher Disziplinen (hier der Soziologie) als Problem (hier als Umweltproblem) akzeptiert und wie es bearbeitet wird, […] auch stets ein Resultat der Art und Weise [ist], in der das Wechselspiel gesellschaftlicher Interessen, Überzeugungen und Institutionen einerseits und innerwissenschaftlicher Besonderheiten andererseits die Konstituierung der betreffenden Fachrichtung und ihre Entwicklung in epistemologischer, methodischer und institutioneller Hinsicht geprägt hat“.42 Der späte Einsatz umweltsoziologischer Forschungen in Deutschland hing also einerseits von der dort relativ spät einsetzenden „Umweltbewegung“ ab – im Gegensatz zur US-amerikanischen „Umweltbewegung“ – sowie andererseits vom innerdisziplinären Problem, nichtgenuin soziologische Forschungsgegenstände wie die äußere Natur in der Soziologie zuzulassen. Die seither andauernde innerwissenschaftliche und öffentliche Thematisierung des Mensch-Natur-Verhältnisses führte letztendlich doch noch zur eingangs beschriebenen Etablierung einer eigenständigen Umweltsoziologie in Deutschland, deren Bedeutung für den wissenschaftlichen Diskurs offenbar stetig zunimmt. Nicht nur der 2011 von Groß veröffentlichte über 700 Seiten starke Sammelband Handbuch Umweltsoziologie zeugt davon. Auch der Kongress der DGS wurde im Jahr 2006 thematisch unter dem Leitgedanken Die Natur der Gesellschaft abgehalten. Im Mittelpunkt standen hier explizit Reflexionen über den Menschen als Natur- und Kulturwesen.43 Die Möglichkeit eines systematischen

40 Vgl. K.-W. Brand/F. Reusswig: Umwelt, a.a.O. [Anm. 7] 663ff. 41 Vgl. H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland. a.a.O. [Anm. 7] 35f. 42 Ebd. 23. 43 Sämtliche auf dem Kongress gehaltenen Vorträge finden sich im dazu von KarlSiegmund Rehberg herausgegebenen Zweibänder: Die Natur der Gesellschaft. Ver-

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Bezugs zur Philosophischen Anthropologie, wie er in der vorliegenden Arbeit für die Umweltsoziologie hergestellt werden soll, deutet sich damit bereits an. Von einer Synthese beider kann ungeachtet dessen jedoch nicht die Rede sein. Im Kern befasst sich die Umweltsoziologie zwar stets mit dem Mensch-NaturVerhältnis, verbleibt dabei aber implizit stets in der biologischen Annahme eines menschlichen Lebens in „Umweltverhältnissen“. Gestritten wird lediglich darüber, ob in der Beschreibung dieses Lebens eine realistische oder eine konstruktivistische Position mehr Aufschluss geben kann, denn je nach Position verändert sich die Perspektive auf die Bezugsform zur „Umwelt“, an die der Mensch gleichwohl in sämtlichen Positionen gebunden bleibt.44 Der zunächst reaktive Charakter der soziologischen Bearbeitung von „Umweltthemen“ spiegelt sich auch in den umweltsoziologischen Themenbereichen seit ihrer Formierung wider. In Öffentlichkeit und Politik bereits wahrgenommen und hier erste Reaktionen auslösend, „entfalteten sich die umweltsoziologischen Forschungsperspektiven […] an den Widersprüchen, die sich aus der industriegesellschaftlichen Abstraktion von der Natur als Rahmen und Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung entwickelt hatten“.45 Als Konsequenz dieser Widersprüche bildeten sich zunächst Forschungsschwerpunkte zur technologischökologisch vertretbaren Modernisierung46 sowie zum „Umwelthandeln“ in Wirtschaft und Politik (sowohl regional als auch global).47 Mittlerweile nimmt zudem die Perspektive der Nachhaltigkeit im Umgang mit den natürlichen Ressourcen handlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006, hg. von Karl-Siegmund Rehberg (Frankfurt a.M. 2008). 44 Da diese Herangehensweisen stets auf der Vorstellung einer biologisch bedingten Umweltgebundenheit des Menschen verbleiben, nehmen sie eine problematische Verkürzung vor, die jedoch selbst nicht thematisch wird bzw. systematisch bedingt nicht werden kann (siehe zu diesem Grundlagenproblem Kapitel 2.3). 45 H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland, a.a.O. [Anm. 7] 36. 46 Den Grund für eine insbesondere in Europa vertretene ökologische Modernisierungstheorie sieht Dunlap in der verbreiteten Annahme einer „mutmaßlichen Unausweichlichkeit der kapitalistischen Expansion“, die „mit der derzeit hegemonialen, neoliberalen, ökonomischen Ideologie kompatibel ist“ (R. E. Dunlap: Aktuelle Entwicklungen, a.a.O. [Anm. 13] 64). Brand und Reusswig verweisen dementsprechend hinsichtlich der politischen Dimension des Umgangs mit „Umweltproblemen“ darauf, dass „[d]ie Forderung nach Internalisierung der ökologischen Kosten des Wirtschaftens […] inzwischen zum Grundkanon umweltpolitischer Programme jeglicher Coleur“ (K.-W. Brand/F. Reusswig: Umwelt. a.a.O. [Anm. 7] 660) gehören. 47 Für eine Übersicht der wichtigsten umweltsoziologischen Themengebiete vgl. exemplarisch H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland. a.a.O. [Anm. 7] 37-40.

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in den umweltsoziologischen Forschungsperspektiven eine Art Schirmherrschaft ein, weswegen Lange das Thema der „‚Nachhaltigkeit‘ als konzeptionelle[s] Dach“48 der Umweltsoziologie bezeichnet. Mit dem Konzept der Nachhaltigkeit können gleichwohl die systematischen Probleme, die mit dem festgeschriebenen materialistischen Verständnis von „Umwelt“ einhergehen, nicht beseitigt werden. Nachhaltigkeit wird zudem als ein ökonomischer Prozess begriffen.49 Entsprechend sind den Forschungen, die den Möglichkeiten eines nachhaltigen Handelns auf den Grund gehen, stets wirtschaftliche Interessen eingeschrieben, in denen es um ‚harte Fakten‘ – in diesem Fall der Fakt der Ressource Natur – geht. 48 Ebd. 20. Mit der Fokussierung der Umweltsoziologie auf den Nachhaltigkeitsdiskurs kann ihrerseits demonstriert werden, dass die physische Natur die Soziologie – ihrer Tradition gemäß – schon immer angegangen ist. 49 Bereits die erste nachgewiesene Verwendung des Begriffs „nachhaltend“ im Sinne eines nachhaltigen (Be-)Wirtschaftens bezog sich auf eine natürliche Ressource, den Wald, dessen beständiger Erhalt dem sächsischen Berghauptmann Hans Carl von Carlowitz aufgetragen war. In seinem Werk Sylvicultura oeconomica (wörtlich: haushälterischer Waldbau) findet der Begriff zum ersten Mal im Sinne seiner gegenwärtigen Bedeutung Verwendung: „[W]ie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen, daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe /weil es eine unentbehrliche Sache ist /ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag“ ([Hervorhebung Katharina Block (im Folgenden KB)] Hans Carl von Carlowitz: Sylvicultura oeconomica. Anweisung zur wilden Baumzucht (Freiberg ND 2000 [1713]) 105f.) Ulrich Grober hebt insbesondere die „semantische Operation des sächsischen Virtuoso“ vor, denn „[s]ie holt nachhalten auf das Wortfeld des so epochalen Begriffs conservare – bewahren – und – rückt es in die Nähe von sustentare – halten, stützen tragen. Und: Sie koppelt die adjektivische Partizipalform nachhaltend mit Nutzung zu einer Fügung, die den Weg zur abstrahierenden Begriffsbildung Nachhaltigkeit frei macht“ (Ulrich Grober: Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs (München 2010) 116). Auch erkennt er die Tragweite der Carlowitz‘schen Wortschöpfung: „Carlowitz entwirft nicht nur das Design für die Begriffsbildung. Er skizziert die gesamte Struktur des modernen Nachhaltigkeitsdenkens“ (ebd. 116). Dieses Denken zeichnet sich auch in der Spätmoderne primär durch eine Verknüpfung mit wirtschaftlichem Fortschritt aus bzw. ist dieser die zu berücksichtigende Prämisse, mit der Nachhaltigkeit vereinbar sein muss. Dementsprechend ist Grobers Resümee zum bisherigen Erfolg der Nachhaltigkeitsidee auch als Appell zu verstehen, nicht bei dieser Prämisse stehenzubleiben: „Es kam etwas in die Welt, was extrem weitreichend war. Die Tragweite haben wir bis heute nicht verstanden. Die Entdeckung der Nachhaltigkeit geht weiter“ (ebd. 268).

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Bereits der Titel der vom Bund geförderten Initiative Modellprojekte nachhaltigen Wirtschaftens aus dem Jahre 1997, die insbesondere für die umweltsoziologische Bearbeitung der Nachhaltigkeitsthematik förderlich war, macht dies sichtbar.50 Der darin gelegte Fokus auf ein nachhaltiges ökonomisches Handeln, das nicht nur die Produktion von Unternehmen, sondern insbesondere auch die Konsumtion des Verbrauchers betrifft, legt weiterhin einen „Umweltbegriff“ zugrunde, in dem Natur lediglich als bloße Ressource vorkommt. Dass die Naturbetroffenheit des Menschen über diesen rein stofflichen Austausch hinausgeht, wird somit auch vom Nachhaltigkeits-Paradigma übergangen.51 Zudem ist die Möglichkeit eines Verständnisses von Natur jenseits naturalistischer Tatsachen kaum vereinbar mit den sowohl expliziten als auch impliziten ökologischen Grundlagen der Umweltsoziologie. Mensch und Natur begegnen sich darin als zwei naturalistische Größen, deren Verhältnis prinzipiell das eines Gegenübers und insofern auch objektiv erklärbar ist. Da mit diesem Verhältnis aber stets auch die Natur des Menschen angesprochen ist, ist der Mensch darin – als eine Seite des Verhältnisses – selbst zu einem Erklärbaren reduziert. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der menschlichen Natur, die insbesondere für die anthropologischen Grundlagen der Umweltsoziologie Konsequenzen hat, ist insofern ein systematisch wichtiges Unterfangen, will die Umweltsoziologie je aus dem Schatten naturwissenschaftlicher Vormachtstellung hervortreten. Ein Verständnis der menschlichen ‚Natur‘ freizulegen, das keine reduktiven anthropologischen Prämissen nach sich zieht sowie keiner dichotomen Verhältnisbestimmung unterliegt, ist für die Entwicklung der in dieser Arbeit angestrebten phänomenologisch-hermeneutisch intendierten soziologischen Perspektive für die Umweltsoziologie daher unerlässlich. Damit diese Perspektive am Ende der vorliegenden Arbeit sinnvoll eingeführt werden kann, ist im nächsten Schritt eine detaillierte Analyse der Bedeutung und Verwendung des „Umweltbegriffs“ in der Umweltsoziologie notwendig. Denn ihrem eigenen Selbstverständnis nach gebraucht sie den ökologisch gedeuteten Begriff von „Umwelt“ stets in Bezug auf den Menschen bzw. menschliche Gesellschaften. D.h. diesem liegen stets anthropologische Annahmen zugrunde. Diese Diagnose zieht nun folgende sys50 Vgl. zur Förderung der Umweltsoziologie über die Bearbeitung der Nachhaltigkeitsthematik H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland. a.a.O. [Anm. 7] 41. 51 Die Charakterisierung der Natur als bloße Ressource ist bspw. auch einer Betrachtung von Natur als Erholungsraum eingeschrieben, da auch unter diesem Aspekt die Natur durch den Menschen für dessen Wohlbefinden instrumentalisiert wird. Nicht zuletzt der kommerzielle Erfolg von sogenannten Outdoor-Marken wie Jack Wolfskin oder Deuter, die das Streben nach der Einheit mit der Natur als lukratives Marketingkonzept entdeckt haben, sind dafür Zeugen.

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tematische Frage nach sich: Auf welche Art und Weise ist bzw. kann in der Umweltsoziologie das menschliche Verhältnis zur „Umwelt“ aufgrund des begrifflichen Bedeutungsgehalts erfasst und beschrieben werden? Ferner ist die Frage zu stellen, welche erklärenden, anthropologischen Annahmen die umweltsoziologische Forschung aufgrund des Sachverhalts „Umwelt“ im Bezug zum Menschen auf der Subjektebene zugrunde legen muss. Im folgenden Abschnitt wird deswegen zur Beantwortung der ersten Frage anhand verschiedener Definitionsversuche aus der zeitgenössischen Umweltsoziologie herausgearbeitet, was genau sie als ihren Forschungsgegenstand begreift, wenn sie von „Umwelt“ spricht. Erst wenn eindeutig geklärt ist, was der Begriff der „Umwelt“ im Verhältnis zum Menschen in der Umweltsoziologie meint, kann der Frage nachgegangen werden, ob sie vor dem Hintergrund dieser Bestimmung auf der Subjektebene tatsächlich das menschliche Leben erfassen kann. 2.1.2 Der Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie Wie die Illustration des Werdegangs der Umweltsoziologie bereits deutlich gemacht hat, analysieren umweltsoziologische Forschungen nichts Geringeres, als das Verhältnis des Menschen zur Natur bzw. – da es sich um eine soziologische Disziplin handelt – das Verhältnis zwischen Gesellschaft und natürlicher „Umwelt“. Auch untersucht sie auf der Mikroebene das Verhältnis zwischen Subjekt und dieser natürlichen „Umwelt“, über das bspw. die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ Aufschluss geben soll. Im Fortgang der Argumentation wird diese Subjektebene eine zentrale Rolle einnehmen, da das biologische Erbe der Umweltsoziologie gerade an den verschiedenen handlungstheoretischen Konzeptionen des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses sichtbar wird. Zwar ist bei Marx oder auch bei Simmel das menschliche bzw. gesellschaftliche Naturverhältnis nicht unbeachtet geblieben, die Spezifität der Umweltsoziologie liegt aber darin, dass sie dieses Verhältnis zu ihrem expliziten Forschungsgegenstand macht und eine eigene Perspektive hat, mit der sie dieses Naturverhältnis betrachtet. Das macht sie zu einer sogenannten speziellen Soziologie. Das Spezielle ihrer Perspektive kann per definitionem am Begriff „Umwelt“ festgemacht werden. Systematisch betrachtet sind Natur und „Umwelt“ dabei aber keine identischen Sachverhalte. Es ist jedoch ebenfalls deutlich, dass sie miteinander zusammenhängen. Mit dieser Feststellung stellt sich die Frage, inwiefern das zugrunde gelegte umweltsoziologische Naturverständnis das, was „Umwelt“ meint, determiniert. Im Folgenden ist deswegen zu prüfen, welche Form von Verhältnis zwischen Mensch und Natur mit dem Begriff „Umwelt“ angesprochen ist, wenn

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darin das Naturverständnis ein naturalistisch-ökologisches Erbe hat, wie die Genese der Umweltsoziologie gezeigt hat. Die sowohl alltägliche als auch (mehrheitlich) wissenschaftliche Anerkennung, dass der Mensch in „Umweltverhältnissen“ naturwissenschaftlicher Provenienz lebt, sowie angesichts der konsensuell biologisch-ökologischen Verwendung des Terminus, scheint es eine allgemeine Gewissheit darüber zu geben, was dieses Phänomen „Umwelt“ ist und was ein Leben darin bedeutet. Eine Debatte darüber, ob seine Bedeutung den menschlichen Bezug zur Natur tatsächlich trifft, wurde entsprechend ad acta gelegt. Aktuell wird vielmehr der Fokus auf die Gestaltung interdisziplinärer „Umweltforschung“ gelegt, deren Anspruch einer ausgewogenen Verknüpfung von Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften angesichts der Einigkeit darüber, worüber gesprochen wird, durchaus Aussicht auf Erfolg verspricht. In seiner Stellungnahme zur „Umweltforschung“ sprach sich der deutsche Wissenschaftsrat bereits in den 1990er Jahren für die Förderung der „umweltwissenschaftlichen“ Interdisziplinarität aus: „Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen von Individuen, sozialen Gruppen und Gesellschaften bestimmen die Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt. Deshalb darf sich die Umweltforschung nicht in naturwissenschaftlich-technischen Untersuchungen erschöpfen. Humanwissenschaftliche Forschungsaktivitäten, die das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Umwelt untersuchen, sind zentrale, bislang allerdings noch wenig entwickelte Bestandteile der Umweltforschung“.1 Der darin zum Ausdruck gebrachte inter- und darüber hinaus auch transdisziplinäre Anspruch2 auf dem umweltsoziologischen Gebiet stützt die Annahme eines 1

Wissenschaftsrat: Stellungnahme zur Umweltforschung in Deutschland (Köln 1994) 7.

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Brand und Reusswig etwa erachten eine stärkere Trans- und Interdisziplinarität als eine zukünftig notwendige Schwerpunktsetzung der Umweltsoziologie (vgl. K.-W. Brand/F.Reusswig: Umwelt. a.a.O. [Anm. 7] 670). Auch Dunlap plädiert für eine grundsätzliche Interdisziplinarität, wenn es um die Bearbeitung von „Umweltproblemen“ geht (vgl. R. E. Dunlap: Aktuelle Entwicklungen. a.a.O. [Anm. 13] 54). Und auch Groß betont, dass sich die Umweltsoziologie seit jeher „selbstbewusst interdisziplinäre Anschlüsse gesucht hat“ (M. Groß: Einleitung, a.a.O. [Anm. 22] 12). Interessanterweise bezieht sich die Forderung nach inter- bzw. transdisziplinärer Zusammenarbeit bei allen Autoren fast ausschließlich auf die Verknüpfung der Sozialwissenschaften mit den Naturwissenschaften. Eine explizite Hervorhebung der Philosophie als geeigneter Forschungspartner ist bei den genannten Autoren jedoch nicht zu finden. Allerdings ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass sich in der „Umweltforschung“ auch eine eigene ethische Disziplin, das Feld der „Umweltethik“, ausdifferenziert hat, die zwar als Teildisziplin der Philosophie betrachtet werden kann (einen

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implizit konsensuellen Verständnisses des Sachverhalts der mit „Umwelt“ angesprochen ist. Ein weiteres Indiz für einen impliziten Konsens ist die Tatsache, dass der Begriff „Umwelt“ sowohl im wissenschaftlichen als auch im öffentlichen Kontext zur Beschreibung diagnostizierter Probleme sowie möglicher Lösungswege gern und oft in Composita gesetzt wird: „Umweltproblem“, „Umweltkrise“, „Umweltschutz“, „Umweltpolitik“, „Umweltverschmutzung“, „Umweltrassismus“, „Umweltgerechtigkeit“, „Umweltmentalitäten“, „Umweltberichterstattung“, „Umweltverbrauch“ oder „Umweltqualität“ sind nur einige Beispiele, um zu verdeutlichen, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Composita ökologisch kontextualisiert und das Verständnis dessen, was mit dem Erstglied, dem Determinans, gemeint ist, vorausgesetzt wird. Da die ökologische Kontextualisierung stets auf die Gesellschaft oder den Menschen bezogen ist, stellt sich zudem die Frage, welche Annahmen über den Menschen damit einhergehen und ob diese ebenso eindeutig sind? Die Suche nach den Antworten auf diese Fragen beginnt in einem allgemeinen Einführungswerk zur Umweltsoziologie, da von diesem in seiner Funktion als Einführungsband einer Disziplin erwartet werden kann, dass darin ihre Begriffe geklärt sind. Die von Joseph Huber herausgebrachte Monographie zur Disziplin Allgemeine Umweltsoziologie befasst sich zunächst mit jenem eingangs erwähnten Problem, dass die Begriffe Natur und Umwelt – weswegen letztere u.a. zur „Umwelt“ geworden ist – im Alltäglichen synonym verwendet werden. Dementsprechend sieht er sich veranlasst, eine definitorische Trennung beider Termini vorzunehmen: „Unter unberührter Natur sei hier alles das verstanden, was der Geo- und Biosphäre angehört und nicht dem operativen System der Gesellschaft, etwa als Nutztier, Produkt oder Infrastruktur. […] Eine Umwelt [dagegen] besteht nicht an und für sich, sondern für interagierende Lebewesen. In der anthropogenen Ökologie besteht die Umwelt für menschliche Bevölkerungen und ihre gesellschaftlichen Systeme. Die Existenz einer Bevölkerung ist der soziale Grundtatbestand schlechthin. […] Allgemein heißt Umwelt der spezielle Lebensraum einer Population samt den Ressourcen und Senken, die sie sich darin verfügbar macht. Umwelt bedeutet in diesem Sinne die Gesamtheit der stofflichen raum-zeitlichen Lebensbedingungen der betreffenden Population“.3 einführenden Überblick über die „Umweltethik“ gibt Konrad Ott: Umweltethik. Zur Einführung (Hamburg 2010)). Die Zusammenarbeit mit der Philosophie im Sinne einer Arbeit an Begriffen als Wissensformen sowie im Sinne des Fragens nach deren systematischen Voraussetzungen bleibt aber auch darin weiter unterrepräsentiert. 3

J. Huber: Allgemeine Umweltsoziologie, a.a.O. [Anm. 1] 155ff.; vgl. außerdem Joseph Huber: Umweltsoziologie. In: Wörterbuch der Soziologie, hg. von Günter End-

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Unter Natur als Geo- und Biosphäre versteht Huber somit einen objektiv gegebenen Sachverhalt, der „phänomenologisch als Erde, Wasser und Luft, als ruweit/Gisela Trommsdorf (Stuttgart 2002) 641-645. Die Betonung Hubers der „Umwelt“ als Lebensraum, in dem der Mensch in einen Stoffwechsel mit den stofflichen Lebensbedingungen tritt, erinnert an den oben erwähnten Marx’schen Begriff des Stoffwechsels, der elementar für die Bestimmung seiner Kategorie der Arbeit ist: „Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin er seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Der Mensch tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und diese verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Möglichkeiten und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. Wir haben es hier nicht mit den ersten tierartig instinktmäßigen Formen der Arbeit zu tun“ (Karl Marx: Das Kapital. Band 1. MEW. Bd. 23 (Berlin 1968 [1867]) 192). Die spezifisch anthropologische Komponente bei Marx liegt hier nicht auf dem Stoffwechsel als solchem (den betreiben nach ihm auch Tiere, wie der letzte Satz des Zitats verdeutlicht), sondern auf der Fähigkeit der tätigen Vermittlung, Regelung und Kontrolle des Stoffwechsels, wie sie sich auch in Hubers Begriff der Anthroposphäre spiegelt. Die Feststellung eines Begründungsverhältnisses zwischen anthropologischen Annahmen und (umwelt)soziologischen Beschreibungen des Subjekt„Umwelt“-Verhältnisses kann somit bereits für die Anfänge ihrer Entwicklung getroffen werden. Der französische Philosoph Georges Canguilhem verweist darüber hinaus in seinem Werk La Connaissance de la vie (Die Erkenntnis des Lebens) auf den Geographen Carl Ritter, der bereits vor Marx, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die NaturAbhängigkeit des Menschen thematisierte und dadurch auch ihre soziologische Dimension mitführte: „Nach Ritter ist die menschliche Geschichte ohne die Bindung des Menschen an den Boden, und zwar den Boden in seiner Gänze, unverständlich. In ihrer Gesamtheit betrachtet, ist die Erde der Träger der Wechselfälle der Geschichte. Der irdische Raum und seine Beschaffenheit sind folglich nicht nur geometrisches, nicht nur geologisches, sondern auch soziologisches und biologisches Erkenntnisobjekt“ (Georges Canguilhem: Die Erkenntnis des Lebens (Berlin 2009) 251). Die sich in diesem Zitat Canguilhams andeutende Auffassung einer Verschränkung von biologischem und geschichtlichem Lebensvollzug als Auszeichnung menschlichen Lebens ist die Kernthese der Plessner’schen Anthropologie (vgl. für einen expliziten Vergleich des Canguilham’schen Ansatzes mit dem von Plessner Thomas Ebke: Lebendiges Wissen des Lebens: Zur Verschränkung von Plessners Philosophischer Anthropologie und Canguilhems Historischer Epistemologie (Berlin 2012)).

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Hügel, Gebirge und Ebene, Ozeane, Seen und Flüsse, als Tiere und Pflanzen in Wäldern, Wiesen, Steppen und Wüsten, als Himmel mit Sonne, Wind und Wolken, als nächtliches Firmament mit Mond und Sternen“4 in Erscheinung tritt. Der Begriff der „Umwelt“ hingegen ist von vornherein durch die menschlich modifizierbare bzw. modifizierte Natur in Form von Ressourcen und Senken ausgezeichnet.5 Erst dort, wo seitens des Menschen in die Natur eingegriffen wird, entsteht (s)eine „Umwelt“. „Umwelt“ ist diesem Verständnis nach etwas vom Menschen selbst Geschaffenes und zugleich objektiv Gegebenes. D.h. „Umwelt“ ist die vom Menschen tangierte Natur. Als ein ökologisch gefasster Begriff ist Hubers „Umweltbegriff“ zudem die Annahme der objektiv bestimmbaren und berechenbaren Stoffwechselbeziehung zwischen Mensch und Natur inhärent, deren konkrete Grenzen er als den menschlichen Lebensraum oder auch als „Anthroposphäre“6 ausweist. Der Mensch ist zwar Teil dieser Natur, handlungsrelevant wird diese für ihn aber nur als „Umwelt“. Dementsprechend präzisiert Huber die Aufgabe der Umweltsoziologie folgendermaßen: „Allgemeine Umweltsoziologie befasst sich mit dem Verhältnis von Mensch und Gesellschaft zu ihrer Naturumwelt; etwas genauer gesagt, mit den gesellschaftlichen Bedingungen des Stoffwechsels zwischen dem Menschen als einem Teil der Natur und der umgebenden Natur“.7 Die hier aus einer anthropozentrischen Sichtweise definierte „Umwelt“ kann ob ihrer Objektivität vom Menschen scheinbar nach Belieben gestaltet und erweitert werden. Zumindest bis zur Erschöpfung der dazugehörigen Ressourcen und Senken. Ist diese erreicht, entstehen spätestens jetzt die sogenannten „Umweltprobleme“, die Huber im Sinne eines ökologischen Verständnisses von „Umwelt“ konsequenterweise als „Stoffprobleme“ bezeichnet, d.h. als „Probleme des anthropogenen Stoffwechsels in der Geo- und Biosphäre“.8 Huber steht mit seiner Definition von „Umwelt“ in der Tradition der evolutionstheoretisch fundierten Ökologie Haeckels, die den Stoffwechsel zwischen einem Organismus und seiner Umgebung objektiv fasst. Tatsächlich betont Hu-

4

Ebd. 155. Dass die Natur auf diese Weise in Erscheinung tritt, gründet dabei auf dem menschlichen Leben in Weltverhältnissen, da der menschliche Umfeldbezug als ein weltoffener die von Huber beschriebene Objektivität erst ermöglicht (vgl. dazu Kapitel 3.3 der vorliegenden Arbeit).

5

Als Senken bezeichnet Huber „diejenigen Orte oder Umweltmedien, die jene Stoffe aufnehmen, die vom Menschen nicht mehr benutzt werden und als Emissionen-Output aus der Gesellschaft wieder in die Umwelt zurückfließen“ (ebd. 155).

6

Ebd. 21.

7

Ebd. 13.

8

Ebd. 16.

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ber die konkret ökologische Bedeutung des „Umweltbegriffs“.9 Allerdings wechselt die Perspektive auf das betreffende Lebewesen, das von einem passiven zu einem aktiven wird. Der Sachverhalt selbst bleibt jedoch eine objektive Tatsache. Dieses klassische Verständnis von „Umwelt“ als ein objektiv und materiell Gegebenes dominiert somit auch Hubers Verständnis von Umweltsoziologie.10 Diese Auffassung verwundert gleichwohl nicht vor dem Hintergrund des aufgezeigten naturalistischen Naturbegriffs der die Umweltsoziologie stets geprägt hat. Dass diese Eindeutigkeit gleichwohl nicht unumstritten ist,11 zeigt die begriffliche Auseinandersetzung von Matthias Groß in seiner historischen Rekonstruktion der Umweltsoziologie, die den Titel Die Natur der Gesellschaft trägt. Darin fragt er explizit nach den Möglichkeiten des „‚rechten‘ Betrachten[s] von 9

Vgl. J. Huber: Umweltsoziologie. a.a.O. [Anm. 74] 641.

10 Die Existenz der „Umwelt“ wird – wie bereits in der Einleitung hervorgehoben – auch in konstruktivistischen Ansätzen, wozu systemtheoretische und diskursanalytische Positionen zählen, nicht angezweifelt (vgl. Seite 3f. der Einleitung). 11 Erwähnenswert an dieser Stelle ist, dass sich erstaunlicherweise in der neuesten Ausgabe des umfassendsten soziologischen Nachschlagewerks, dem Lexikon zur Soziologie von 2011, die in der fünften und neu bearbeiteten Auflage erschien, unter dem Schlagwort Umwelt die gleichen Definitionen finden lassen wie in der ersten Auflage von 1973. In diesem Zeitraum hat sich die deutsche Umweltsoziologie aus ihren Kinderschuhen heraus als soziologische Disziplin fest etabliert. Trotzdem findet sich auch in der neuesten Ausgabe des Lexikons kein Verweis auf einen spezifisch umweltsoziologischen Begriff. Es wird in beiden Lexika zunächst auf den systemtheoretischen Umweltbegriff verwiesen (was in Anbetracht des weitreichenden Einflusses der Systemtheorie auf soziologische Forschungen nicht verwundert). Tatsächlich findet sich auch die Erwähnung Uexkülls, allerdings so stark verkürzt, dass nicht deutlich wird, inwiefern ein Zusammenhang zur Soziologie bestehen könnte. Interessant ist zudem, dass der Umweltbegriff, der darin als der anthropologische ausgegeben wird, bei genauerem Hinsehen der ökologische ist. Ein Umweltbegriff im Sinne der Philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts fehlt gänzlich (vgl. Lexikon zur Soziologie, hg. von Werner Fuchs-Heinritz/Rolf Klima/Rüdiger Lautmann/Otthein Rammstedt/ Hanns Wienold: (Opladen 1973) 707f.; sowie Lexikon zur Soziologie, hg. von Werner Fuchs-Heinritz/Daniela Klimke/Rüdiger Lautmann/Otthein Rammstedt/Urs Stäheli/Hanns Wienold/Christoph Weischer (Wiesbaden 52011) 707. Die Nicht-Erwähnung einer spezifisch umweltsoziologischen Bedeutung unterstreicht die These, dass es darüber einen impliziten Konsens gibt, der letztendlich dazu führt, dass die Begrifflichkeit unreflektiert als „Umwelt“ verwendet wird, ohne dass Fragen dazu gestellt werden, die zu einer fruchtbaren Begriffsirritation führen könnten.

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Umwelt“12 in einer soziologischen Disziplin, die sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur befasst. Nach Groß sei nämlich „in der Soziologie dem Begriff Umwelt allzu oft die ausschließliche Bedeutung von ‚sozialer‘ Umwelt […] zugesprochen“13 worden, um die innergesellschaftlichen Interaktionsräume, in denen die Subjekte leben und die für diese sozialisations- und handlungsrelevant sind, zu beschreiben. Groß’ Feststellung der Übertragung des Umwelttheorems auf ein genuin soziales Phänomen verwundert allerdings nicht. Die Geschichte der Umweltsoziologie hat gezeigt, dass sich die Soziologie schon oft der ökologischen Terminologie und Systematik bediente. Das Problematische dabei ist und bleibt, dass dadurch bereits getroffene Vorannahmen in einen soziologischen Sachverhalt eingehen, die jedoch nicht fraglos übernommen werden sollten. Durch die Anwendung der ursprünglich biologischen Methodologie auf ein soziales Phänomen kann auch die soziale „Umwelt“ als objektiv erfassbar und in einem naturwissenschaftlichen Sinne als überprüfbar angenommen werden. Hinzu kommt, dass sich diese objektive ‚Natur‘ des Sozialen in innergesellschaftlichen Beziehungen, deren Beschreibung und Analyse die selbstgestellte Aufgabe der Soziologie ist, manifestiert. Da es jedoch zum Selbstverständnis der Umweltsoziologie gehört, das gesellschaftliche Verhältnis zur außergesellschaftlichen Natur zu beschreiben, muss sie eine explizite Abgrenzung zum Begriff der sozialen „Umwelt“ vornehmen. Dazu wird das allein stehende Substantiv „Umwelt“, wenn damit nicht die soziale Dimension angesprochen ist, häufig mit konkretisierenden Attributen wie natürliche „Umwelt“, materielle „Umwelt“, physische „Umwelt“ versehen.14 Die Gefahr der impliziten Gleichsetzung von „Umwelt“ mit Natur ist dabei offensichtlich, denn diese Attribute verweisen auf die angenommene äußere Natur, in der sich die „Umwelt“ einbettet.

12 M. Groß: Die Natur der Gesellschaft. a.a.O. [Anm. 23] 21. 13 Ebd. 25. 14 Vgl. exemplarisch M. Groß: Die Natur der Gesellschaft. a.a.O. [Anm. 23] 23. Seit Kurzem kommt der Begriff der unberechenbaren „Umwelt“ hinzu, wobei das Unberechenbare dabei auf eine Natur verweist, die nun auch wieder als ein geheimnisbewahrender Raum begriffen wird – mit dem gleichwohl empirisch gerechnet werden muss (zu unterschiedlichen Thematisierungen der unberechenbaren Umwelt in der aktuellen Umweltsoziologie vgl. den jüngst erschienenen Sammelband R. von Detten/F. Faber/M. Bemmann (Hg.): Unberechenbare Umwelt, a.a.O. [Anm. 11]). Inwieweit darin jedoch tatsächlich eine Abkehr vom naturalistischen Verständnis der Natur stattfindet, bedarf einer vertiefenden Analyse der Beiträge, die im Rahmen dieser Arbeit nicht mehr geleistet werden konnte, jedoch als eine mögliche Anschlussforschung im Blick gehalten wird.

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Erschwert wird eine klare Definition des Sachverhalts „Umwelt“ zudem, wie auch Groß betont, durch den bereits erwähnten inflationären Gebrauch seines Begriffs, der sowohl in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen als auch in der Politik, den Medien und, durch diese vermittelt, auch im alltäglichen Sprachgebrauch stattfindet.15 Zu diesem Ergebnis kommt auch Verena Winiwarter, die sich aus einer historischen Perspektive dem Begriff nähert. Dessen unscharfe Verwendung veranlasst Winiwarter dazu, sich auf eine Spurensuche seiner Entstehung zu begeben. Dabei stellt sie zunächst Folgendes fest: „Der Umweltbegriff, der heute uneingestanden die Diskussion prägt, entstand, als sich die ‚Umweltverschmutzung‘ zu einem gesellschaftlich bedeutsamen Problem entwickelte“.16 Gespeist von einem naturwissenschaftlich-ökologischen Gehalt wurde das Wort „Umwelt“ in Composita gesetzt zu einem politisch-sozialen Leitbegriff. Durch diese Setzung besteht jedoch, wie auch Winiwarter feststellt, immer die Gefahr ihrer Gleichsetzung mit Natur, so dass „[d]iese Vermischung von Kategorien [...] symptomatisch für den Begriff […] Umwelt“17 sei. Im Ergebnis kann somit auch Winiwarter zwar keine neuen Erkenntnisse zum zeitgenössischen Verständnis von „Umwelt“ vorlegen. Allerdings stellt sie sich als „Umwelthistorikerin“ aber generell die Frage, „ob denn die ‚Umwelt‘ Gegenstand der Umweltgeschichte sei“.18 Da der Terminus in seiner heutigen Verwendung stark von den Naturwissenschaften geprägt ist, wodurch seine Bedeutung als ökologischer Stoffwechsel betont wird, sei fraglich, ob dieser „Umweltbegriff“ ein geschichtswissenschaftlicher sein kann. Denn Umweltgeschichte ist für Winiwarter eine genuin anthropozentrisch ausgerichtete Wissenschaft: „Geschichtswissenschaft hat den Menschen zum Gegenstand. Der Umweltbegriff der Umweltge19 schichte ist daher ein anthropozentrischer“. 15 Vgl. ebd. 25f. 16 Verena Winiwarter: Umwelt-en. a.a.O. [Anm. 12] 132. 17 Ebd. 135. 18 Ebd. 155. 19 Ebd. 155. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob es denn überhaupt möglich ist, einen nicht-anthropozentrischen Blick auf die „Umwelt“ zu entwickeln, da die Perspektive, aus der dies geschieht, immer schon eine anthropozentrische ist. Da die „Umwelt“ für den Menschen ist, zumindest wie sie bisher thematisch wurde, kann sie nicht aus einer nicht-anthropozentrischen Perspektive angegangen werden. Auch für eine Biologin ist es schwierig, sich aus der anthropozentrischen Perspektive zu befreien. Ein Beispiel dafür ist etwa die allgemein anerkannte Annahme, die DNS eines Lebewesens trage einen genetischen Informationscode. Dass eine DNS Informationen in codierter Form vermittelt, macht jedoch erst mit ihrer Entdeckung durch den informationsverarbeitenden und codekonstruierenden Ordnungsstifter Mensch Sinn.

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Obwohl die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, dass jenes Naturverständnis, auf dem das Verständnis von „Umwelt“ gründet, ein anthropozentrisches ist und Winiwarters Feststellung insofern trivial scheint, führt sie dennoch zu einer Frage, die das Selbstverständnis der Umweltsoziologie betrifft. Es ist die Frage danach, ob denn menschliche „Umweltverhältnisse“ der eigentliche Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie ist. Nach ihrem eigenen Selbstverständnis will Umweltsoziologie die Gesellschaft bzw. das Subjekt in ihrem/seinem Verhältnis zur Natur analysieren, das sie dann als „Umwelt“ beschreibt. Dieses grundsätzlich menschliche Verhältnis dabei an einen vorwiegend ökologisch gefassten Begriff von „Umwelt“ zu koppeln, um dessen Form aufzuzeigen, greift – so die These – zu kurz. Denn in dieses Verständnis von „Umwelt“ gehen aufgrund seiner ökologischen Systematik axiomatische Annahmen ein, die als erklärende zwar anthropologische sind, aufgrund ihrer biologischen Determination aber fraglich werden lassen, ob sie das menschliche Verhältnis zur Natur tatsächlich dem menschlichen Leben entsprechend erfassen. Mit anderen Worten: Aufgrund der implizit biologisch-ökologischen Voraussetzungen ihrer eigenen Begrifflichkeiten ist die Umweltsoziologie nicht in der Lage, ihren eigentlichen Forschungsgegenstand hinreichend zu erfassen, da sie das menschliche Leben aufgrund ihrer bisherigen Systematik in seiner Gänze nicht fassen kann. Vor dem Hintergrund dieser These wird dann zudem deutlich, dass es nicht darauf ankommt, ob eine realistische oder konstruktivistische Definition des „Umweltverhältnisses“ fruchtbarer ist. Denn (biologisch fundierte) „Umweltverhältnisse“ sind nicht der Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie, sondern die Art und Weise des Vollzugs der Mensch-Natur-Beziehung sowie dessen sozial-kulturellen Bedingungen. Die soziologische Beschreibung dieser Beziehung erfordert somit auch eine anthropologisch hinreichende Erfassung der Bedingungen und Realisierung des menschlichen Lebens. Zu den Bedingungen gehört z.B. die soziale Verfasstheit des menschlichen Lebens, die sich wiederum in den von Huber betonten, konkret realisierten gesellschaftlichen Bedingungen der „Umweltverhältnisse“ realisiert. Um die anthropologische Grundlegung der Beziehung zwischen Mensch und Natur wieder in den Fokus zu bekommen, ist somit der Blick von der „Umwelt“ zu lösen und auf die dem Begriff inhärente Verhältnisbestimmung zu richten, so dass diese nach der Adäquanz ihrer anthropologischen Annahmen befragt werden kann.

Der Code ist also nicht etwas, das es in dem Sinne gibt, wie es die DNS als solche gibt. Als Metapher dient er dem Menschen vielmehr dazu, bestehende Unsicherheiten auszugleichen (vgl. Kapitel 3.3) Winiwarters Feststellung trägt an dieser Stelle insofern eher tautologische Züge, als dass sie erhellende Einsichten bereitstellt.

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Groß stellt sich die Frage nach den anthropologisch reduktiven Implikationen des Forschungsgegenstandes „Umwelt“ nicht. Er betont zwar, dass „[e]ine akzeptierte und vergleichstaugliche Definition [...] noch nicht in Sicht“20 sei, verweist hinsichtlich des kategorialen Unterschieds zwischen Natur und „Umwelt“ aber lediglich darauf, dass letztere implizit eine Innenwelt voraussetze, was beim Begriff Natur nicht der Fall sei.21 An diesem Punkt greift Groß Überlegungen zum Umweltbegriff auf, die die Biologie Uexkülls auszeichnen und Thema des nächsten Kapitels sein werden. Zwar würdigt Groß Uexkülls Bestreben, sich von Haeckels objektivierender Ökologie durch eine subjektbezogene Bedeutungslehre zu distanzieren, betont dabei aber auch die Schwierigkeiten einer Verallgemeinerung bei einem derart subjektbezogenen Umweltkonzept.22 Wesentliche Merkmale der Uexküll’schen Umwelt wie ihre absolute Geschlossenheit und ihre Planmäßigkeit (vgl. Kapitel 2.2) müssen in Groß’ Darstellung aufgrund ihrer Kürze allerdings unbeachtet bleiben. Dadurch entgeht ihm die Chance, durch ei20 M. Groß: Die Natur der Gesellschaft, a.a.O. [Anm. 23] 23. 21 Vgl. ebd. 26. 22 Vgl. ebd. 24 u. 236. Neben Groß behandelt auch Winiwarter (in verkürzter Darstellung) den Uexküll’schen Umweltbegriff (vgl. V. Winiwarter: Umwelt-en, a.a.O. [Anm. 12] 137f). Beide kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass die Uexküll’sche Umwelt zur Beschreibung des menschlichen Naturverhältnisses nicht geeignet ist. Doch nur Winiwarter verweist diesbezüglich explizit auf eine Feststellung Adolf Portmanns, die deutlich macht, dass der Umweltbegriff Uexülls – wie weiter unten gezeigt wird – nicht auf den Menschen übertragbar ist: „Die Trennung tierischer Artwelten als gesonderter Sphären soll im Wort ‚Umwelt‘ festgehalten und betont werden – gerade darum müssen wir aber diesen Begriff für die Kennzeichnung menschlicher Gegensätze des Weltbildes ausschalten“ ([Hervorhebungen KB] Adolf Portmann: Ein Wegbereiter der neuen Biologie (Vorwort). In: Jakob von Uexküll/Georg Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten. Bedeutungslehre. Mit einem Vorwort von Adolf Portmann (Frankfurt a.M. ND 1983 [1970]) IX-XXI, XIII). Groß hingegen berücksichtigt nicht, dass Uexküll, wie Portmann pointierte, genau diese phänomenale Eigenschaft der geschlossenen Wirklichkeit eines jeden Tieres mit dem Wort Umwelt explizit festhalten wollte und dadurch einen phänomenologisch intendierten Zugang zum Sachverhalt Umwelt eröffnet. Seine Kritik, dass mit Uexkülls Umweltbegriff „nur schwerlich Verallgemeinerungen erstellt werden können und man nur einer jeweiligen Region verhaftet bleiben müßte“ (M. Groß: Die Natur der Gesellschaft, a.a.O. [Anm. 23] 24), verbleibt letztlich in der ökologischen Sichtweise und übersieht dadurch, trotz seiner berechtigten Kritik am Uexküll’schen Subjektivismus, die mit Uexkülls Umweltbegriff einhergehenden phänomenologischen Implikationen.

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ne umfassende und kritische Auseinandersetzung mit der Uexküll’schen Umweltlehre die Annahme des menschlichen Lebens in bloßen „Umwelt“- bzw. Umweltverhältnissen hinter sich zu lassen. Kategorien respektive Termini, die zur Beschreibung der menschlichen Beziehung zur Natur angemessener sind als der Begriff der Umwelt, werden somit nicht in den Blick genommen. Resümierend stellt Groß zwar fest: „Die Geschichte der Umweltsoziologie hat gezeigt, daß es für eine ‚soziologische‘ Gestaltung der heutigen Umweltsoziologie nicht von Nutzen sein kann, Natur oder Umwelt klar zu kategorisieren und zu definieren“.23 Die anthropologischen Möglichkeiten, die sich durch ein Einbeziehen der Uexküll’schen Bedeutung von Umwelt und ihr gleichzeitiges Überwinden eröffnen, gehen Groß durch diese Überzeugung jedoch verloren. Zwar betont Groß, dass sich bisher „Kategorisierungen von Umwelten in Mensch-NaturTheoretisierungen […] als praktisch unbrauchbar erwiesen“24 haben, doch vollzieht er im Gegensatz zu Winiwarter nicht den Schritt zu fragen, ob denn wissenschaftssystematisch betrachtet Umwelt überhaupt die adäquate Kategorie für eine soziologische Disziplin ist, die das gesellschaftlich bedingte Mensch-NaturVerhältnis erforscht. Obwohl Groß den Standpunkt vertritt, dass es keine klare Definition geben kann, kommt er am Ende seines Buches nicht umhin, doch noch eine zu formulieren, in der er „Umwelt“ als „den Raum, die Zeit, die Sachen und Dinge, die ‚alte‘ und die ‚neue‘ Natur“25 beschreibt. In phänomenologischem Sinne beschreibt Groß – wie zuvor Huber – damit jedoch das, was für den Menschen eigentlich Welt und nicht Umwelt bedeutet. Das umweltsoziologische Insistieren auf die ökologische „Umweltkategorie“ verschließt den Blick auf den fundamentalen Unterschied der Begriffe Welt und Umwelt, insofern darin die Implikationen einer lebensformbeschreibenden Hinsicht verstellt sind. Diese Implikationen wieder in den Blick zu bekommen, ist jedoch notwendig, will man den Forschungsgegenstand der Umweltsoziolgie neu ausloten und dadurch neue Perspektiven auf bestehende umweltsoziologische Probleme eröffnen. Auf der Suche nach einer vielleicht überzeugenden Bestimmung des Forschungsgegenstandes „Umweltverhältnis“ der Umweltsoziologie vor dem Hintergrund ihres Selbstverständnisses lohnt der Blick in die jüngste Literatur Allgemeiner Umweltsoziologie. In dem bereits erwähnten, 2011 erschienenen, umfangreichen Sammelband Handbuch Umweltsoziologie lässt sich jedoch keine explizite Auseinandersetzung damit finden, obwohl seitens der Herausgeber viel Wert darauf gelegt wurde, eine grundlegende Einführung in die Thematik der 23 Ebd. 236. 24 Ebd. 236. 25 Ebd. 245.

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Umweltsoziologie vorzulegen, „[d]amit das Handbuch auch als Nachschlagewerk dienen kann“.26 Was dieses Werk gleichwohl bereithält sind Beiträge, die die verschiedenen theoretischen Herangehensweisen (von Systemtheorie über die Akteur-Netzwerk-Theorie zu Rational-Choice-Ansätzen) an umweltsoziologische Problemstellungen beleuchten. Den Beiträgen gemeinsam ist dabei die Annahme, dass das menschliche Leben in „Umweltverhältnissen“ eine objektive Tatsache ist. Der oben konstatierte – und auch festgestellte – implizite Konsens über das Verständnis von „Umwelt“ kommt zudem in dem dieses Werk eröffnenden Einführungstext von Lange zur deutschen bzw. europäischen Umweltsoziologie zum Ausdruck. Lediglich in der ersten Fußnote weist Lange darauf hin, dass „[d]er Begriff ‚Umwelt‘ in seiner heutigen Verwendung […] eine Lehnübersetzung aus dem angelsächsischen Wort ‚environment‘“27 sei, dessen Begriffsgeschichte Lionel Charles instruktiv veranschaulicht habe. Charles rekonstruiert die Geschichte des Begriffs environment in seinem Text „Du milieu à l’environnement“. Er fragt darin nach dessen semantischer Bedeutung in der französischen Sprache, da mit dessen Lehnübersetzung l’environnement eine Lücke im Französischen gefüllt werden konnte. Die durch die Industrialisierung verursachten Transformationen von Natur und Gesellschaft konnten mit bereits vorhandenen Begriffen wie milieu oder nature nicht hinreichend erfasst werden, so dass auf den englischen Begriff zurückgegriffen wurde.28 Bevor der Begriff environment im angelsächsischen Raum in den wissenschaftlichen Diskurs Eingang fand, implizierte dieser bereits, so Charles, neben der geographisch-räumlichen Bedeutung auch einen Beziehungskontext29 – auf dessen stoffliche Konnotation in seiner späteren wissenschaftlichen Verwendung jedoch das Hauptaugenmerk gelegt wurde. Die Einführung als spezifischen Beziehungsbegriff verortet Charles in die Entstehungszeit der Chicagoer Schule, allerdings in die des Pragmatismus von John Dewey und nicht in die der Park’schen Humanökologie. Charles stellt fest: „Le philosophe Dewey […] dé26 M. Groß: Einleitung, a.a.O. [Anm. 22] 14. 27 H. Lange: Umweltsoziologie in Deutschland, a.a.O. [Anm. 7] 19. 28 Vgl. Lionel Charles: Du milieu à l’environnement. In: L’environnement, question sociale, publ. par Michel Boyer/Guy Herzlich/Bruno Maresca (Paris 2001) 21-28, 22. Es soll hier darauf hingewiesen werden, dass es in dieser Arbeit nicht darauf ankommt, die französische Diskussion, die um den Begriff l’environnement geführt wurde, erschöpfend zu behandeln. Charles’ Text dennoch zu berücksichtigen, ist für diese Arbeit insofern wichtig, da trotz Beibehaltung des Begriffs Umwelt darin deutlich wird, dass es in der Analyse von „Umweltverhältnissen“ darum geht, den Blick auf das Dazwischen zu richten, denn dieses hat bei jedem Lebewesen eine spezifische Form. 29 Vgl. ebd. 22.

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fend d’emblée la nécessaire complémentarité entre les idées d’organisme et d’environnement: l’organisme ne peut être conçu indépendamment de l’environnement […]. Pour Dewey, organisme et environnement s’influencent réciproquement: ils sont en interaction”.30 Da, wie oben dargelegt, die Haeckel’sche Ökologie im angelsächsischen Raum durchaus bekannt war und insbesondere im Kreis der Chicagoer Schule Einfluss ausübte, ist anzunehmen, dass diese Überlegungen Deweys u.a. in Reflexion auf Haeckels Ökologie entstanden sind. Diese Annahme bestätigt sich dadurch, dass Charles das Verständnis von „Umwelt“ – auch mit seiner spezifischen Ausprägung als Beziehungsbegriff – explizit in der Darwin’schen Tradition stehen sieht.31 Entgegen der Ökologie, die das Zusammenspiel von Organismus und Umgebung in objektivistischer Form beschreibt und mit dem einen kausalen Beziehungskontext implizierenden Darwin’schen Anpassungsbegriff verknüpft, sind die Überlegungen Deweys zur Reziprozität zwischen Organismus und Umwelt anders gelagert. Denn dem von Dewey vertretenen Pragmatismus entsprechend, wie Florence Rudolf in Reflexion auf Charles Text betont, „beruhen [Deweys Überlegungen] auf dem Bild des autonomen Individuums, in einem sich wandelnden Universum. Weder in der sozialen noch in der physischen Umgebung gibt es für dieses Individuum feste Entitäten, die sein Handeln prinzipiell determinieren“.32 Sowohl Organismus als auch Umwelt sind somit mit Dewey keine festgeschriebenen Größen mehr, deren klare Trennung in Subjekt und Objekt einen einseitigen Anpassungsmodus bereits voraussetzt. In ihrer Beziehung zueinander sind Organismus und Umwelt bei Dewey vielmehr gegenseitig konstitutiv.33 30 Ebd. 23: „Der Philosoph Dewey […] verteidigt auf Anhieb die notwendige Komplementarität zwischen den Ideen des Organismus und der Umwelt: Der Organismus kann nicht unabhängig von der Umwelt entworfen werden […]. Für Dewey beeinflussen sich Organismus und Umwelt gegenseitig: Sie stehen in Interaktion“ (Übersetzung von Christoph Schaupp). 31 Vgl. ebd. 24. 32 Florence Rudolf: Umwelt und politisches Weltbild: Bisherige Wahrnehmung und künftige Rolle des Umweltgedankens in Frankreichs Soziologie und Gesellschaft. In: Natur- und Umweltschutz nach 1945 – Konzepte, Konflikte, Kompetenzen, hg. von Franz-Josef Brüggemeier/Jens Ivo Engels (Frankfurt a.M. 2005) 356-368, 359. 33 In einem systematischen Vergleich zwischen Plessners Philosophischer Anthropologie und Deweys Pragmatismus weist Hans-Peter Krüger auf die Parallelität zwischen Dewey und Plessner hinsichtlich der Bestimmung des Verhältnisses von Organismus und Umwelt hin: „Auch für Dewey gibt es einen Unterschied zwischen der generellen strukturellen Angepasstheit von Organismus und Umwelt aufeinander […] und den beiden aktualen Anpassungsrichtungen, nämlich des Organismus an die Umwelt und

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Charles Rückgriff auf Dewey macht deutlich, dass mit der Wechselbeziehung zwischen Mensch und Natur ein Verhältnis angesprochen ist, das zwischen einer nichtfestgestellten, eigendynamischen Natur und einem nicht festgestellten sondern reflexiv auf sein Umfeld bezogenen Individuum besteht. Hier deutet sich also bereits an, dass dieses Verhältnis eine spezifische Form des Bezugs eines Organismus auf sein Umfeld ist, die sich offenbar durch Offenheit und zugleich durch die Angewiesenheit auf dieses Umfeld auszeichnet. Der sich in diesem Verhältnis realisierende offene Lebensraum des Menschen, in dem Natur für das Individuum nicht lediglich determinierend, sondern konstitutiv ist und umgekehrt, ist nach Charles das, was mit dem Begriff Umwelt angesprochen wird: „La notion d’environnement répond précisément à cette indépendance, désignant un univers avec lequel l’individu est dans une relation ouverte, indéterminée, non conditionelle mais précisément constitutive en ce qu’elle est réflexive“.34 Übersetzt man univers mit dem Begriff Welt, deutet sich mit Charles nunmehr eine Perspektive auf das menschliche Leben an, die einen anthropologisch offenen Zugang sucht. Ohne diesen könnte die Spezifik des menschlichen Umfeldbezugs, die von Charles mit dem Begriff univers im Grunde angesprochen ist, nicht sichtbar werden. Das von Charles beschriebene Verhältnis zwischen Mensch und Natur impliziert, dass sich darin ein menschliches Subjekt aktiv selbstgestaltend in und zugleich reflexiv zu seinem Umfeld, das diesem als offene Realität begegnet, verhalten muss. Genau dieses doppelte Verhältnis von aktiv und passiv soll in Bezug zur Natur in Charles Text mit dem Begriff Umwelt festgehalten werden. Ausschlaggebend an diesem Verständnis ist – das nach Lange für die umweltsoziologische Forschung maßgebend ist –, dass darin von einer objektiv geteilten Realität ausgegangen wird, die zugleich ein Moment des subjektiven Erlebens der Umwelt an den Organismus” (Hans-Peter Krüger: Philosophische Anthropologie als Lebenspolitik. Deutsch-jüdische und pragmatistische Moderne-Kritik (Berlin 2009) 343). Die von Charles vorgelegte Rekonstruktion des Umweltbegriffs mit ihrem expliziten Verweis auf Deweys Position lässt insofern deutlich werden, dass in diesem Umweltbegriff bereits Überlegungen kategorialer Art angelegt sind, die in der vorliegenden Arbeit – zwar nicht mit Dewey sondern mit Plessner – entfaltet werden. Durch diese Feststellung gewinnt das Vorhaben, die Selbst-Welt-Beziehung als konstruktiven Forschungsgegenstand und Ausgangspunkt für umweltsoziologische Fragestellungen auszuweisen, an Plausibilität. 34 Ebd. 24: „Der Begriff der Umwelt entspricht genau dieser Unabhängigkeit, indem er eine Welt bezeichnet, mit der das Individuum in einer offenen, unbestimmten, nicht konditionalen Beziehung steht, die aber gerade in ihrer Reflexivität konstitutiv ist […]“ (Übersetzung von Christoph Schaupp).

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dieser Realität enthält. So definiert, wird mit Charles eine Form von Verhältnis sichtbar, das bereits in den 1920er Jahren als Mensch-Welt-Verhältnis thematisch und u.a. von der Philosophischen Anthropologie systematisch begründet wurde. Mit anderen Worten: Charles beschreibt mit dem Begriff Umwelt etwas, das von der Philosophischen Anthropologie als Weltverhältnis angesprochen wird. Aufgrund der ihr inhärenten Offenheit und Unbestimmtheit ist diese Form von Verhältnis jedoch nicht mit der ökologischen Kategorie des „Umweltverhältnisses“ gleichzusetzen. Denn letzteres kann die phänomenale Offenheit und hermeneutische Unbestimmtheit als den Grundzug des menschlichen Verhältnisses zur Natur aufgrund seiner naturalistischen Voraussetzungen nicht erfassen. In Charles Rekurs auf Dewey wird deutlich, dass er in seinem Text mit dem Begriff Umwelt implizit die Betrachtung des menschlichen Lebens in Weltverhältnissen anspricht, dessen systematische Ermöglichungsbedingungen jedoch auch von ihm nicht weiter thematisiert werden. Gleichwohl wird es mit Charles möglich, den Begriff Umwelt derartig in einen Beziehungskontext zu stellen, dass darin ein Verständnis von Umwelt als eine Form des wechselseitigen Bezugs zum Vorschein kommt. Dieses Verständnis von Umwelt als eine Bezugsform eines Lebewesens auf sein Umfeld macht zudem einen anderen Begriff von ‚Natur‘ sichtbar als denjenigen, der dem Verständnis von „Umwelt“ als objektiv gegebene Anthroposphäre immanent ist. Denn das Mensch-Natur-Verhältnis ist darin reduziert auf „den intersubjektiv generalisierbaren Ausschnitt der Natur, der für den Menschen von Überlebens-Interesse ist. Eine solche ‚Umwelt‘ ist immer Umwelt des Menschen und zweckorientiert für den Menschen“.35 Um dieses stark ökologische Verständnis des menschlichen Lebens in „Umweltverhältnissen“ als ein auf anthropologischen Reduktionismen gründendes ausweisen zu können, muss das menschliche Wirklichkeitserleben ernst genommen werden. Dafür bedarf es einer anthropologischen Fundierung, die im Folgenden mit Uexkülls Umweltlehre gewissermaßen vorbereitet werden soll. Denn in die Umweltsoziologie eine Perspektive einzuführen, die ihren Ausgang vom menschlichen Leben in Weltverhältnissen nimmt, ist Ziel dieser Arbeit. Dazu war es jedoch zunächst notwendig, auf das systematische Problem der Umweltsoziologie, das sie sich durch ihren Begriff der „Umwelt“ in anthropologischer Hinsicht einhandelt, zumindest schon einmal aufmerksam zu machen, damit dessen Lösung im Folgenden auch angegangen werden kann.

35 Thomas Potthast: Umweltethik – Steuerungsinstrument oder Trostpflaster für das Umweltverhalten? In: Umweltverhalten in Geschichte und Gegenwart – Vergleichende Ansätze, hg. von Thomas Knopf (Tübingen 2008) 295-310, 297.

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In einer resümierenden Betrachtung der hier illustrierten Versuche der Kategorisierung von Umwelt lassen sich zwei verschiedene Verständnisse festhalten, die äquivok mit diesem Begriff angesprochen werden: •



„Umwelt“ – in der Tradition der Ökologie stehend – beschreibt eine objektiv gegebene Tatsache, die als Beobachtbares und insofern Messbares den Zustand der Mensch-Natur-Beziehung widerspiegeln soll, der aufgrund ihres dichotomen Charakters ein Naturverständnis eingeschrieben ist, durch das Natur lediglich als Ressource in die Betrachtung hineinkommt.36 „Umwelt“ ist demnach der vom Menschen in die Natur eingebettete Lebensraum, der bis zur Ressourcenerschöpfung zwar modifizierbar, aber nicht prinzipiell offen ist. Mit Charles – im Anschluss an Dewey – ist der Sachverhalt Umwelt als eine Form des wechselseitig konstitutiven Bezugs zwischen Mensch und Umfeld hervorgetreten, der mit Charles zwar implizit das spezifisch menschliche Erleben von Welt anspricht, dabei aber anthropologisch unterbestimmt bleibt.37

Ob der Umweltbegriff als solcher in anthropologischer Hinsicht somit ausreicht, um den menschlichen Realitätsbezug seinem Erleben und Deuten nach zu beschreiben, wird im Verlauf dieser Arbeit noch zu klären sein. Denn wenn dem Selbstverständnis der Umweltsoziologie nach das Mensch-Natur-Verhältnis als eins zur „Umwelt“ betrachtet werden kann, stellt sich die Frage, inwiefern diese 36 Die bereits bei Marx (1867 in seinem Werk Das Kapital) zu findende Objektivität der Stoffwechselbeziehung zwischen Mensch und Natur lässt sich auch bei den hier behandelten Autoren an unterschiedlichen Stellen nachweisen: Bei Huber wurde dies bereits in seiner Verwendung des Begriffs Stoffwechsel deutlich. Bei Groß findet sie sich nicht nur in Formulierungen wie physische „Umwelt“ oder materielle „Umwelt“, sondern auch implizit in seiner Kritik am Uexküll’schen Subjektivismus. Die bei Charles zu findende Betonung der Ökologie für das zeitgenössische „Umweltkonzept“ trägt diese objektive Sichtweise ebenso mit. 37 Dass sich die Mensch-Natur-Beziehung vor dem Hintergrund eines Weltrahmens abspielt, ist somit keine von den hier behandelten Umweltsoziologen herausgestellte Charakteristik des zeitgenössischen „Umweltkonzepts“, obwohl diese bei allen aufgeführten Autoren und Autorinnen, etwa in der Kollektivität bzw. in der verstehenden Geteiltheit sowie in der der offenen Gestaltung des Lebensraums, anklingt. Diese Feststellung unterstützt das Anliegen, den Weltbegriff in der Umweltsoziologie explizit zu machen und so das menschliche Leben in Weltverhältnissen in die umweltsoziologische Betrachtung zu holen.

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„Umwelt“ in die Betrachtung hinein kommt. Denn – wie Hans-Peter Krüger mit Dewey feststellt – „[w]er das Verhalten von Organismen in ihrer Umwelt wahrnehmen und beobachten kann, positioniert sich selbst woanders und in anderer Zeit als in dem Raume und der Zeit dieses Verhaltens“.38 Oder anders ausgedrückt: „Umweltsoziologen“ gehen selbst nicht in diesem Leben in „Umweltverhältnissen“ auf. Sie müssen vielmehr eine Distanz zu diesem einhalten können, um es in den Fokus der Betrachtung nehmen zu können. Denn begreift man Umwelt als spezifische Form der phänomenalen Bezugsweise eines Lebewesens auf sein Umfeld, dann zeigen die folgenden Ausführungen zu Uexkülls Umweltlehre, inwiefern diese Form zwar für das tierische, aber nicht für das menschliche Leben beansprucht werden kann. D.h. dass der Bezug der „Umweltsoziologin“, die aufgrund ihres Menschseins ebenfalls eine spezifische Form des Umfeldbezugs vollzieht, nicht als ein bloß umweltlicher beschrieben werden kann. Dem „Umweltsoziologen“ wird sein Forschungsobjekt, d.i. auf der Mikroebene die subjektiven „Umweltverhältnisse“, nur vor dem Hintergrund eines Sinnhorizonts verständlich, in welchem das, was „Umwelt“ meint, als Teil dieses Sinnhorizontes zum Ausdruck kommt: „Ohne diesen semiotisch-sinnhaften Kontrast fiele die bestimmte Umwelt im Vordergrund einer Welt, die den Hintergrund bildet, nicht auf“.39 Um also aufzeigen zu können, dass die menschliche Bezugsform als eine welthafte zum Ausdruck kommt und keine bloße Umweltgebundenheit bedeutet, ist es zunächst wichtig, systematisch aufzuzeigen, inwiefern überhaupt das Nachdenken über Umwelt als Bezugsform des Lebendigen möglich wurde. Erst wenn dieses Verständnis von Umwelt offen liegt, wird es möglich zu verdeutlichen, warum diese Bezugsform aufgrund ihrer kategorialen Bestimmungen nicht ausreicht, um auf das Lebewesen Mensch angewendet zu werden. Ferner wird es dadurch auch möglich zu zeigen, dass die Umweltsoziologie nicht lediglich das Leben in „Umwelt“- oder Umweltverhältnissen, sondern darüber hinaus das Leben in Weltverhältnissen zum Gegenstand hat.

38 H.-P. Krüger: Philosophische Anthropologie als Lebenspolitik, a.a.O. [Anm. 104] 343. 39 Ebd. 343.

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2.2 D IE U MWELTLEHRE J AKOB

VON

U EXKÜLLS

Im beginnenden 20. Jahrhundert fand der Terminus Umwelt durch den schon erwähnten baltischen Zoologen Jakob Johann von Uexküll in einer spezifischen, denn philosophisch fundierten, Bedeutung Eingang in den biologischen Diskurs. Der darin zum Ausdruck gebrachte philosophische Anspruch ging allerdings innerhalb der Biologie zugunsten einer primär evolutionstheoretisch-ökologischen Ausrichtung der Biologie verloren. Der semantische Inhalt des Umweltbegriffs erfuhr dadurch einen Bedeutungswandel, den Uexküll nicht intendiert hatte. Die Begegnung mit dem Begriff „Umwelt“ im Alltäglichen bringt diesen Bedeutungswandel besonders deutlich zum Ausdruck, so dass Gerald Ulrich in Reflexion auf Uexküll beklagt: „Es gibt nur wenige Begriffe, bei denen die Kluft zwischen dem ursprünglich tiefgründigen Bedeutungsgehalt und der späteren umgangssprachlichen Bedeutungsentleerung so groß ist, wie bei dem der ‚Umwelt‘“.1 Aber nicht nur die inflationäre Verwendung sowohl im alltäglichen als auch im wissenschaftlichen Kontext macht es notwendig, seinen originär biophilosophischen Bedeutungsgehalt in den Fokus der Betrachtung zurückzuholen. Die aufgezeigte, systematische Problematik, die durch den ökologischen Bedeutungsgehalt innerhalb der Umweltsoziologie entsteht, macht dies notwendig. Denn aufgrund der ökologischen Festschreibung gerät das, was der Umweltbegriff im philosophischen Sinne zu leisten mag, aus dem Blick: Das Aufzeigen einer integrierenden Einheit von Organismus und Umfeld als lebendiger Vollzug von Umwelt. Damit im Folgenden keine Missverständnisse entstehen, ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass hier keine verkürzte Kritik an der Verwendungsweise des soziologischen Terminus „Umwelt“ geübt werden soll, indem lediglich behauptet wird, dass Uexkülls Umweltbegriff eine Bedeutung besitzt, deren Gehalt das menschliche Leben besser erfasst, als der ihrer gegenwärtigen Verwendung. Träfe dies zu, wäre die hier verfolgte Argumentation leicht dem Einwand ausgesetzt, dass der Bedeutungswandel zwar tatsächlich vonstattengegangen, für die Umweltsoziologie jedoch irrelevant sei. Das stützende Argument für diesen Einwand wäre so treffend wie einfach: Der umweltsoziologische Begriff „Umwelt“ beinhalte zwar aufgrund der Übertragung in die soziologische Terminologie nicht mehr seinen zoologischen Bezug, da nicht mehr das Tier-Umwelt- sondern das Mensch-Natur-Verhältnis betrachtet wird; der Sache nach aber als Ver-

1

Gerald Ulrich: Medizin als Angewandte Biologische Naturwissenschaft und der Bilz‘sche Entwurf einer umweltorientierten Psychiatrie. In: Ders.: Psychiatrie: Biologische Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft (Tübingen 2013) 115-125, 117.

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hältnisbegriff konzipiert, bleibe sein Bedeutungskern jedoch erhalten und legitimiere dadurch auch die Begriffsentlehnung.2 Welchen Sinn hat es also im aktuellen Zusammenhang, den Uexküll’schen Umweltbegriff für die Umweltsoziologie in Erinnerung zu rufen? Welche Erkenntnisse kann sie durch Uexkülls Umweltbegriff jenseits der festgestellten Äquivokation gewinnen, wenn doch der Bedeutungskern in beiden Auslegungen erhalten bleibt? Und inwiefern ist die Uexküll’sche Umweltlehre relevant für das Anliegen, den umweltsoziologischen Blick auf das menschliche Weltverhältnis zu lenken? Wenn die Annahme stimmt, dass die Umweltsoziologie aufgrund ihres eigenen „Umweltverständnisses“ und dessen Voraussetzungen lediglich ein Verhältnis zwischen Mensch und Natur in den Blick bekommt, das als Subjekt-ObjektDichotomie besteht, dann ist die Einführung der Umweltlehre Uexkülls der erste Schritt zur Überwindung dieses dichotomen Denkens. Denn diese Lehre setzt eine Naturkonzeption frei, in der ein Lebewesen nach seiner lebensformmäßigen Verhaltensweise, die es als Bezug zu seinem Umfeld realisiert, befragt wird. D.h. die Form respektive die Struktur des Verhaltens wird mit Uexküll als die ‚Natur‘ eines Lebewesens – im Falle seiner Umweltlehre die des Tieres – sichtbar. Insofern können Lebewesen und Umfeld nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Denn erst durch ihre Einheit im lebendigen Vollzug dieses Verhaltens wird die Umwelt eines Organismus als eine Subjekt und Objekt integrierende Form sichtbar. Organismus und Umfeld werden so als Vollzugseinheit einer Umwelt greifbar und müssen nicht als Dichotomie stehen bleiben. Zudem wird durch die Auseinandersetzung mit Uexküll deutlich, dass Umwelt als eine Form des phänomenalen Bezugs zu kurz reicht, um damit das lebensformmäßige Verhalten des menschlichen Lebewesens zu fassen. Insofern ist Uexkülls Umweltlehre auch die Vorbereitung auf die Einführung der Philosophischen Anthropologie Plessners, mit der sich der menschliche Bezug zum Umfeld über den umweltlichen hinaus als ein welthafter naturphilosophisch begründen und anthropologisch entfalten lässt. D.h. erst in Abgrenzung zu Uexküll lässt sich mit Plessner die menschliche Bezugsweise auch als ein Leben in Weltverhältnissen sichtbar und im Anschluss daran für die Umweltsoziologie fruchtbar machen. Systematisch fungiert die Umweltlehre Uexkülls somit als eine Art Scharnierstelle zwischen biologischer und philosophischer Beschreibung des Lebendigen, an die Plessner anknüpft. 2

Zu einer kritischen Stellungnahme bezüglich dieses Vorgehens sei noch einmal auf den Text von Jäckel und Mai verwiesen, die darin exemplarisch den Begriff des sozialen Systems bei Luhmann anführen, der eine Adaption des biologisch-kybernetischen Begriffs des Systems ist (vgl. M. Jäckel/M. Mai: Natur als Deutungsmuster?, a.a.O. [Anm. 48] 1035) und entsprechend mit diesem bestimmte Vorannahmen teilt.

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Darüber hinaus ist neben der Ökologie auch Uexkülls Umweltlehre als axiomatische Grundlage in aktuellen umweltsoziologischen Forschungen nachweisbar, was das biologische Erbe der Umweltsoziologie noch deutlicher macht. Denn in konstruktivistischen umweltsoziologischen Betrachtungen des Verhältnisses zwischen Subjekt und „Umwelt“ wird, bspw. in der Lebensstilsoziologie, dem Subjekt der Form nach eine anthropologisch bedingte Umweltgebundenheit unterstellt, die als auf den spezifischen subjektivistischen Voraussetzungen der Umweltlehre gründend ausgewiesen werden kann. Dadurch nimmt die Bezugsform des Subjekts auf die soziale Umwelt, die als gewichtiger Einflussindikator für praktiziertes und insbesondere unterlassenes „Umwelthandeln“ gesehen wird, die Stellung eines subjektivistischen Faktors ein, der in der Bestimmung des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses als erklärende anthropologische Annahme auf das „umweltrelevante“ Handeln Einfluss nimmt. D.h. diese Konzeption des subjektiven Verhältnisses zur „Umwelt“ weist strukturelle Ähnlichkeiten mit Uexkülls Umweltlehre auf. Letztlich wird mit Uexkülls Umweltlehre deutlich, dass in der Umweltsoziologie der alte biologische Diskurs zwischen Ökologie und Umweltlehre in neuem soziologischen Gewand geführt wird, der hinsichtlich des Anspruchs auf anthropologisch plausible Beschreibungen menschlichen Verhaltens mit ähnlichen systematischen Problemen umgehen muss wie die Ökologie oder die Umweltlehre Uexkülls. Dieses problematische Begründungsverhältnis in der konkreten umweltsoziologischen Betrachtung des Subjekt-„Umwelt“Verhältnisses zu offenbaren, ist somit ein weiterer Grund dafür, Uexkülls Umweltlehre in der vorliegenden Arbeit zu behandeln. Der Uexküll’sche Umweltbegriff war zwar in seinem Bedeutungsgehalt eine folgenreiche Innovation, der Begriff selbst entstand jedoch bereits lange vor Uexkülls Schaffenszeit. In einem nicht-wissenschaftlichen, sondern poetischen Kontext erklang das Wort bereits um 1800. Es diente dort zur Beschreibung des den Menschen umgebenden Universums, das einer anthropozentrischen Betrachtungsweise der gegenständlichen Welt eingeordnet war.3 Diese „Umwelt“ diente als bloßes Anschauungsobjekt für den Menschen und wurde nicht als Teil eines (wie auch immer zu beschreibenden) reziproken Verhältnisses gedacht. Seine spezifische Bedeutung als eine lebendige Bezugsform bekam der Terminus erst mit Uexkülls Umweltlehre, die dieser in Kritik zum damaligen naturwissenschaftlichen Forschungsparadigma sowie zur Vormachtstellung der Evolutionstheorie in der Biologie entwickelte. Im Folgenden wird der Zugang zu Uexkülls Umweltlehre zunächst über diese Kritik eröffnet, wodurch einige Aspekte seiner Umweltlehre verständlicher werden. In der Rekonstruktion der Umweltlehre wird besonderes Augenmerk auf jene Umweltaspekte gelegt, die mit dem heuti3

Vgl. V. Winiwarter: Umwelt-en, a.a.O. [Anm. 12] 131f.

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gen ökologischen Verständnis von „Umwelt“ inkommensurabel, jedoch zugleich mit der bereits erwähnten lebensstiloziologischen Konzeption der Form des Verhältnisses zwischen Subjekt und „Umwelt“ kompatibel sind. Anhand dieser Verhältnisbestimmung wird deutlich, dass die menschliche Beziehung zur Natur sowie deren zeitgenössisch pathologischen Ausmaße mit der Annahme der Umweltgebundenheit des Menschen soziologisch nicht hinreichend erklärt werden können. 2.2.1 Die Theoretische Biologie als Gegenentwurf zum mechanistischen Weltbild Für Uexküll war es kein Leichtes, Anerkennung für seine Leistungen auf dem Gebiet der Biologie zu finden. Einer der Hauptgründe kann darin gesehen werden, dass Uexküll seine biologische Theorie, die sogenannte Umweltlehre, auf die Grundlage philosophischer Erkenntnisse stellte. Ein solches Fundament galt für die zu seiner Zeit dominierenden, mechanistisch fundierten Naturwissenschaften (allen voran Physik und Chemie) sowie für die an den Naturalismus anschließende Evolutionsbiologie als Metaphysik und wurde daher verpönt. Dem vornehmlich vertretenen Dualismus zwischen Subjekt und Objekt, der sich bis heute durch das sich durchgesetzte naturalistische Weltbild fortsetzt und auch Präsupposition der Umweltsoziologie ist, trat Uexküll dennoch mit seiner Theoretischen Biologie entgegen. Zu Uexkülls früher intellektueller Schaffenszeit wurde innerhalb der Biologie der causa efficiens – die in Haeckel seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen ihrer Hauptvertreter fand – mit einer vitalistischen Auffassung vom Lebendigen, d.h. einer causa finalis, begegnet. Diese fand in Hans Driesch, der Vertreter des neovitalistischen Ansatzes ist, einen ihrer Hauptprotagonisten. Der Diskurs zwischen diesen beiden Positionen ist in die Wissenschaftsgeschichte als Mechanismus-Vitalismus-Streit eingegangen.1 Uexküll selbst versucht mit seiner Um-

1

Vgl. in Reflexion auf Uexküll u.a. Charlotte Helbach: Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls. Ein Beispiel für die Genese von Theorien in der Biologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Aachen 1989) 4. Martin Voss stellt hinsichtlich der Entwicklung des Mechanismus-Vitalismus-Streits ein bis heute noch offenes Ende fest: „Während anfangs der Entelechiefaktor als wahrscheinlich galt und von seinen Kritikern zu widerlegen war, war es nun naheliegender anzunehmen, dass die Besonderheit des Lebendigen nur noch nicht, wohl aber letztlich mit kausal-rationalen Mitteln zu erklären sei. Bis heute ist dieser Beweis nicht erbracht“ (Martin Voss: Symbolische Formen – Grundlagen und Elemente einer Soziologie der Katastrophe (Bielefeld 2006) 95). Als

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weltlehre, diese antagonistischen Positionen zu vereinen, wodurch sein Denken sowohl unter dem Einfluss vitalistischer Ideen als auch in Teilen unter dem des mechanistischen Denkens steht. So stellt Adolf Portmann in seinem Vorwort zu Uexkülls Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen etwa fest, dass Uexküll „auf vielerlei Art […] mit der mechanistischen Interpretation verBeleg für seine Feststellung verweist Voss in einer Fußnote auf die Entschlüsselungfortschritte des Genmaterials, „an denen gerade vielmehr deutlich wird, dass die genaueste Kenntnis des ‚Materials‘ (hier also der DNS) nichts über dessen komplexe Bedeutung als Teil eines übergreifenden Organismus auszusagen vermag“ (ebd. 95). Bemerkenswert an Voss’ Einsicht ist, dass er offenbar davon ausgeht, dass es eine Entscheidung geben könnte, obwohl in seinen Überlegungen bereits der Gedanke angelegt ist, dass das Phänomen des Lebendigen sowohl organisch als auch im Sinne eines sinnhaften Vollzugs zu verstehen ist und die Komplexität des Lebendigen als eine Verschränkung beider Prinzipien erschlossen werden kann. Michael Esfeld zieht hingegen nicht nur für die gegenwärtige Naturwissenschaft, sondern auch für die Naturphilosophie ein deutlich anti-vitalistisches Resümee: „Es ist in der heutigen Wissenschaft und Naturphilosophie unbestritten, dass Lebendiges aus anorganischer Materie entstanden ist und dass es im Bereich des Lebendigen keine eigenständigen Kräfte – wie etwa eine Lebenskraft, Entelechie oder Elan vital […] – über die physikalischen Kräfte hinaus gibt. Alle biologischen Kausalbeziehungen erfolgen gemäß den physikalischen Wechselwirkungen, insbesondere dem Elektromagnetismus und der Gravitation. Einige komplexe physikalische Systeme sind somit Organismen (lebendige Systeme)“ (Michael Esfeld: Einführung in die Naturphilosophie (Darmstadt 2011) 108). Dass sich die zeitgenössische Naturphilosophie, wie Voss bereits andeutet, bis jetzt keinesfalls abschließend auf das Paradigma der Naturgesetzmäßigkeiten geeinigt hat, zeigt auch ein recht aktueller naturphilosophischer Beitrag Michael Hampes, in dem er verschiedene Konzeptionsmöglichkeiten von Natur durchspielt. Hampes eigene Position steht in der Tradition des Whitehead’schen Ansatzes der actual entities: „Die Natur wird meist als ein erklärbarer Ereigniszusammenhang begriffen, der vor allem vom Wiederholbaren und Gesetzmäßigen her verstanden werden muss. Die Natur und menschliche Lebensläufe dagegen als einmalige Geschehnisse und Prozesse zu begreifen, bedeutet, Gesetzmäßigkeiten und Wiederholungen als das Produkt unserer Erklärungsinteressen und nicht als etwas durch die Wirklichkeit Vorgegebenes aufzufassen“ (Michael Hampe: Geteilte Natürlichkeiten – Ein naturphilosophischer Versuch. In: Ders.: Tunguska oder das Ende der Natur (München 2011) 292). Für Uexküll galten die Naturgesetze ebenfalls nicht als die letztgültige Wahrheit, sondern nahmen für ihn im Gegenteil eher die Form illegitimer Glaubenssätze an, „welche mit allem Eifer von den dii minores weiter verbreitet wurden“ (Jakob von Uexküll: Theoretische Biologie (Frankfurt a.M. 1973 [1928]) 8).

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bunden“2 bleibt, deren ausschließliche Gültigkeit zu überwinden er gleichwohl angetreten ist. Die vitalistische Komponente seines Denkens kommt insbesondere in Uexkülls „neuem Naturfaktor“ zum Ausdruck. Dieser Naturfaktor manifestiert sich nach Uexküll in einer metaphysischen Planmäßigkeit, die allem Lebendigen innewohnt. In dieser Planmäßigkeit, die auf einem holistischen Naturbegriff gründet, entdeckt Portmann entsprechend „die Position des Vitalismus, der zwar den engen Mechanismus überwunden [...] aber dabei in seinem Bedürfnis nach umfassender Erklärung, die Grenzen wissenschaftlicher Möglichkeit überschritten hatte“.3 Uexkülls Anschlüsse an den Vitalismus sowie sein holistischer Naturbegriff haben letztendlich dazu geführt, dass er innerhalb der Wissenschaftslandschaft nur schwerlich Anerkennung fand. Für die an chemischen und physikalischen Prozessen ausgerichtete Biologie war Uexküll ein „unbequemer Außenseiter“,4 der mit seiner Theoretischen Biologie am ‚Stuhlbein‘ des naturalistischen Weltbildes sägte. Innerhalb der Biologie sah sich Uexküll damals einer Systematik gegenüber, die das Leben ebenso fragmentierte wie Physik und Chemie die Natur. Diese fragmentierende Biologie im Folgenden mit Uexkülls Auffassung ins Verhältnis zu setzen, dient insofern dem besseren Verständnis seiner philosophisch fundierten Biologie, da er darin eine eigene Systematik der Einheit entwickelte. Mit Charles Darwins Evolutions- und Deszendenztheorie, die sich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Biologie etablieren konnte, hatte die Auffassung einer Entwicklung des Lebendigen nach dem Kausalitätsprinzip in die Biologie Eingang gefunden. Bekannte Schlüsselbegriffe Darwins wie ‚Anpassung‘ oder ‚Kampf ums Dasein‘ sind heute geläufige Ausdrücke der Umgangssprache und prägen das Weltbild des Common Sense. Die Evolutionstheorie kann prima facie als bisher erfolgreichste naturwissenschaftlich-biologische Theorie angesehen werden, von der behauptet wird, dass sie sämtliche Annahmen über die Wirklichkeit heutiger Menschen auf irgendeine Art und Weise affiziert.5 Für Uexküll liefert insbesondere der an die Evolutionstheorie anknüp2

A. Portmann: Ein Wegbereiter der neuen Biologie, a.a.O. [Anm. 93] 11.

3

Ebd. 19.

4

C. Helbach: Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls. a.a.O. [Anm. 114] 7.

5

Vgl. Richard Saage: Philosophische Anthropologie und der technisch aufgerüstete Mensch. Annäherungen an Strukturprobleme des biologischen Zeitalters (Bochum 2011) 56; sowie C. Helbach: Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls. a.a.O. [Anm. 114] 112. Helbach erkennt Darwins Theorie für die Biologie an als „einen übergreifenden wissenschaftstheoretischen Ansatz […], in dessen Konzept im Laufe dieses Jahrhunderts Morphologie, Molekularbiologie, Physiologie, Populationsgenetik, Ökologie etc.

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fende Darwinismus – und hier ist vor allem die Haeckel‘sche Ökologie zu nennen – die systematische Herausforderung, eine dazu kritisch stehende Umweltlehre zu entwickeln.6 In Anbetracht einer Biologie, die das Leben auf den Grundlagen von Physik und Chemie erklären will, sucht Uexküll nach einem erneuten archimedischen Punkt, der sowohl kausale als auch materialistische Erklärungen integriert werden konnten“ (ebd. 112). Auch in der Soziologie hat die Logik der Evolutionstheorie bei einigen ihrer Vertreter eine gewisse Sprengkraft zur Erklärung gesellschaftlicher Prozesse erlangt. Einer der bekanntesten Soziologen, der sich explizit auf die Evolutionstheorie bezieht, ist der Rational-Choice-Theoretiker Hartmut Esser, der betont: „So wie sie heute vorliegt, ist die evolutionäre Erklärung des Lebens ohne jede ernsthafte theoretische Konkurrenz“ (Hartmut Esser: Soziologie. Allgemeine Grundlagen (Frankfurt a.M./New York 31999 [1993] 191). Obwohl die Bedeutung der Evolutionstheorie für die Biologie nicht wegzusprechen ist und dies auch nicht gemacht werden soll, bedeutet ihre Ausdehnung im Sinne eines absoluten Erklärungspotenzials auf soziologische Sachverhalte, aber auch auf das Phänomen des Lebendigen einen sowohl anthropologischen als auch epistemologischen Reduktionismus. Der Begriff des Lebens bekommt mit dieser Perspektive eine einseitige, kausal-theoretisch und biologistisch begründete Bedeutung, so dass Interpretationen des Lebendigen, die jenseits einer evolutionstheoretischen Logik stehen, verstellt werden. 6

Kalevi Kull bemerkt bezüglich Uexkülls Einstellung zur Evolutionstheorie: „The first thing […] is that, despite his opposition to Darwinism, Uexküll was not an antievolutionist” (Kalevi Kull: Jakob von Uexküll: An introdution. In: semiotics 134 (2001), no 1/4, 1-59, 7; vgl. auch C. Helbach: Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls. a.a.O. [Anm. 114] 123, Fußnote 29). Uexkülls Frau Gudrun von Uexküll offenbart in der von ihr geschriebenen Biographie, dass ihr Mann sich zunächst sogar für die Lehren Darwins und Haeckels begeisterte, da auch er „von der Richtigkeit der Lehre des Materialismus und des Determinismus überzeugt“ war. Mit seiner (Kant’schen) Einsicht, „daß alle wissenschaftliche Erkenntnis von der Natur auf menschlicher Deutung beruht und damit immer durch die geschichtlichen und philosophischen Voraussetzungen ihrer Zeit belastet ist“, fing Uexküll jedoch an, an der Universalität der Darwin’schen Naturtheorie, ja an der Aussagekraft von Theorien per se zu zweifeln: „Er hielt nicht viel von Theorien. ‚Theorien sind billig wie Brombeeren‘, pflegte er zu sagen“ wie seine Frau pointierte (alle Zitate in Gudrun von Uexküll: Jakob von Uexküll – seine Welt und seine Umwelt (Hamburg 1964) 36f.). Auch wenn Uexküll als Gegenspieler der Evolutionsbiologie gilt, ist trotzdem festzuhalten, dass seinen theoretischen Bemühungen eine gewisse Anerkennung der Erkenntnisse Darwins vorweg geht, er aber zu der Einsicht kam, dass die Evolutionsbiologie gerade nicht das Lebendige abschließend erklären kann und diese Leerstelle zu füllen der Entwicklung einer neuen Biologie bedarf.

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in der Biologie hinter sich lassen soll: „Die Auflösung der Lebenserscheinungen in chemische und physikalische Prozesse kam nicht um einen Schritt weiter [eine genuine Biologie zu profilieren]. […] Für alle jene Forscher aber, die im Lebensprozeß selbst und nicht in seiner Zurückführung auf Chemie, Physik und Mathematik den ‚wesentlichen‘ Inhalt der Biologie sahen, mußte der ungeheure Reichtum an experimentell lösbaren Problemen ein besonderer Ansporn sein“.7 Entsprechend strebt er nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der Biologie an, denn „die Grundlagen, auf denen sich die Biologie der Tiere als stolzes wissenschaftliches Gebäude erheben soll“, entscheiden nach Uexküll „das Schicksal der Biologie“.8 Als Zoologe geht es ihm um eine nicht von Anthropomorphismen geleitete Erfassung der Beziehung zwischen Tier und Natur, die nach Uexkülls Überzeugung nur als Einheit und nicht als zwei isolierte Teile betrachtet werden können: „Ein leitender Gedanke […] ist die Gewißheit, daß die Natur und das Tier, nicht wie es den Anschein hat, zwei getrennte Dinge sind, sondern daß sie zusammen einen höheren Organismus bilden“.9 Ein durch Physik und Chemie fundierter Objektivitätsanspruch in der Betrachtung von Natur, der zugleich im Darwinismus vertreten wird, stellt für Uexküll den unzulässigen Anthropozentrismus dar, den er überwinden will: „Unsere anthropozentrische Betrachtungsweise muß immer mehr zurücktreten und der Standpunkt des Tieres der allein ausschlaggebende werden“.10 Das Paradigma der Objektivität von Welt ersetzt er – im Anschluss an Immanuel Kant11 – durch das der Subjektivität von Welt. Fußt das erste auf der Möglichkeit objektiver Erkenntnis von gegebenen und insofern prüfbaren Beziehungen, kommt bei letzterem ein grundlegend neuer Anspruch 7

Jakob von Uexküll: Umwelt und Innenwelt der Tiere (Berlin ²1921 [1909]) 2.

8

Ebd. 2.

9

J. v. Uexküll: Umwelt und Innenwelt, a.a.O. [Anm. 120] 169. Canguilham vertritt in seinen Reflexionen über die Möglichkeit, wie die Wissenschaft vom Lebendigen betrieben werden kann, einen ähnlichen Grundgedanken, wenn er schreibt, „dass man die Originalität der Formen aus dem Blick verliert, wenn man sie bloß als Resultate sieht, deren Komponenten man zu bestimmen trachtet. Da die lebendigen Formen Ganzheiten sind, deren Sinn in dem Streben liegt, sich als solche im Laufe der Konfrontation mit ihrem Milieu zu verwirklichen, können sie nur in einer Vision, einer Zusammenschau, niemals durch Division, durch Zerteilung erfasst werden. Reizt man die Etymologie des Wortes aus, so bedeutet dividieren ‚leeren‘, und eine Form, die nur als Ganzes besteht, kann nicht in Teilen geleert werden“ (G. Canguilhem: Die Erkenntnis, a.a.O. [Anm. 74] 19).

10 Ebd. 5. 11 Vgl. J. v. Uexküll: Theoretische Biologie, a.a.O. [Anm. 114] 9f.

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hinzu: die sich in der Beziehung manifestierende, subjektive Bedeutung von Gegenständen für das jeweilige Lebewesen. Diese sieht Uexküll in der Biologie nicht berücksichtigt: „[M]eist setzt die Forschung […] ein, indem sie die Welt als gegeben hinnimmt, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, welche subjektiven Faktoren die Existenz der Welt überhaupt ermöglichen“.12 Uexküll erkannte, dass die Auflösung der Welt in pure Quantitäten und die Eliminierung qualitativer Wesen- oder Eigenheiten auch für den Lebensbegriff Konsequenzen hat: „In der Welt reiner Quantitäten hatten Pläne [d.i. plan- bzw. zweckmäßige Ordnungen] als subjektive und rechnerisch unbrauchbare Faktoren keinen Platz. Damit fiel auch das Leben aus der objektiven Welt heraus. Da man seine Existenz aber nicht zu leugnen wagte, behalf man sich damit, es als ein System von Quantitäten anzusprechen“.13 Die Verdrängung des Lebens als ein qualitatives Prinzip begünstigte die Instrumentalisierung von Lebendigem, da es kaum mehr als eine bestimmbare und berechenbare Größe darstellte und dadurch beherrschbar wurde.14 Die damit einhergehende, unhinterfragte Ontologisierung 12 Ebd. 116. Durch die Einführung der Subjektivität will Uexküll ebenfalls die Separierung der Biologie zur Physiologie verdeutlicht wissen. Diese ist zwar Teil der Biologie, inhaltlich beschäftigt sie sich jedoch mit den chemischen und physikalischen Prozessen in lebendigen Organismen (z.B. Stoffwechselprozesse), so dass sie für Uexküll per definitionem nicht Biologie sein kann, die nach seiner Auffassung die Phänomene des Lebendigen in ihren Erscheinungen als immaterielle, planmäßige Einheiten zum Gegenstand hat (vgl. Jakob von Uexküll: Die Rolle des Subjekts in der Biologie (1931). In: Ders.: Kompositionslehre der Natur. Biologie als undogmatische Wissenschaft. Ausgewählte Schriften (Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1980) 343-356, 352f.). 13 Ebd. 337. Dass der durchschlagende Erfolg dieses Weltbildes bis heute anhält – wie bspw. Esfelds Ausführungen zur (scheinbaren) Einigkeit in Naturwissenschaft und philosophie demonstrieren –, hat in der jüngeren Literatur Jutta Weber in ihren kritischen Reflexionen zur Geschichte bisheriger Naturkonzepte eindrucksvoll aufgezeigt (vgl. Jutta Weber: Umkämpfte Bedeutungen. a.a.O. [Anm. 17]). 14 Als ein Resultat dieses Verständnisses kann bspw. die industriell organisierte Produktion und Verwendung von Tieren und Pflanzen gesehen werden, aber auch das, was als kulturelle Praxis der Biopolitik im Sinne der Foucault‘schen Biomacht verortet wird. Foucault hat in seiner Geschichte der Gouvernementalität herausgearbeitet, dass im 18. Jahrhundert seit der Entdeckung der Kategorie Bevölkerung – im Sinne einer natürlichen quantifizierbaren Einheit – diese durch bspw. Statistiken (Geburtsraten, Krankheitsraten etc.) analysiert und kontrolliert werden konnte: „Die Thematik des Menschen muß durch die Humanwissenschaften [sciences humaines] hindurch, die ihn als Lebewesen, als arbeitendes Individuum, sprechendes Subjekt usw. analysieren, seit der Emergenz der Bevölkerung verstanden werden als Machtkorrelat und Objekt

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des mechanisch-naturalistischen Paradigmas, das auch das Lebendige einschloss, veranlasste Uexküll immer wieder gegen dieses Weltbild zu polemisieren: „Was ihr behauptet ist nicht wahr. Das Leben ist prinzipiell etwas anderes als ein physikalischer Prozeß“.15 Nach Uexküll geht das Lebendige über die reinen organischen Funktionen eines Lebewesens hinaus. Leben endet somit nicht an den organischen Stoffwechselvorgängen, sondern tritt darüber hinaus als Vollzug der Einheit zwischen Subjekt und Objekt, d.h. als ein sinnhaftes Geschehen, in Erscheinung. Uexkülls durchaus als teleologische Position zu bezeichnende Biologie ist insbesondere mit den Begriffen Planmäßigkeit, Eingepasstheit und subjektive Bedeutung verknüpft. Ohne hier nähere Explikationen anstrengen zu müssen, lässt sich die Differenz zur evolutionstheoretischen Ökologie leicht erkennen: Planmäßigkeit statt Zufall – der stets die repräsentativ-evidente Manifestation

des Wissens“ (Michel Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung – Geschichte der Gouvernementalität, Bd. 1 (Frankfurt a.M. 2006) 120). 15 Jakob von Uexküll: Wohin führt uns der Monismus?. In: Das neue Deutschland (1913), no. 1/2, 641-645, 645. Rudolf Langthaler betont in Reflexion auf die Motivation Uexkülls zur Entwicklung seiner Umweltlehre ebenfalls die Transformation des Lebendigen in Quantifizierbares: „Lebendiges wird ausschließlich an Wirklichkeits’kriterien‘ und Maßstäben des Toten, d.i. an bloß ‚Gegenständlichem‘ und den entsprechenden Äquivalenten bemessen – und danach auch behandelt. ‚Natur‘ […] konnte damit prinzipiell uneingeschränkt als bloßes Material, als Stoff ‚beliebigäußerlicher Zweckmäßigkeiten‘ vor-gestellt werden, […] das […] uneingeschränkt in den bloßen Verfügungsraum menschlicher Interessen genommen und damit dem allein an Maßstäben technologisch-ökonomischer Raffinesse und Klugheit orientierten ‚Bewirtschaftungskalkül‘ des Menschen überantwortet werden“ (Rudolf Langthaler: Organismus und Umweltlehre – Die biologische Umweltlehre im Spiegel traditioneller Naturphilosophie (Hildesheim 1992) 36). In diesen Ausführungen pointiert Langthaler nicht nur Uexkülls Kritik am Naturalismus, sondern bringt zudem einen Verhaltensmodus des Menschen zur Sprache, der einen wesentlichen Stellenwert in der zeitgenössischen „Umweltbewusstseinsforschung“ einnimmt und den kritisch zu prüfen weiter unten Aufgabe dieser Arbeit ist: die evolutionstheoretisch fundierte Nutzenmaximierung, die auch in der Umweltsoziologie als erklärende anthropologische Annahme fungiert. Obwohl Langthalers Kritik berechtigt ist, muss doch darauf aufmerksam gemacht werden, dass diese ein wenig Gefahr läuft, den Menschen als Homo oeconomicus hervorzuheben, was nicht Impetus der vorliegenden Arbeit ist. Im Gegenteil wird angestrebt, eine solche Reduktion als ‚schlechte‘ Anthropologie sichtbar zu machen.

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der Evolutionstheorie darstellt16 –, Einpassung statt Anpassung und Subjektivität statt Objektivität. Die Differenz zum zeitgenössischen „Umweltverständnis“ der Umweltsoziologie kann zwar ebenfalls in diesen Eigenschaften gesucht werden, besonders deutlich wird diese jedoch an den Begriffen der Geschlossenheit und der absoluten Harmonie als Charakteristika der Uexküll’schen Umwelt. Darüber hinaus ging es Uexküll nicht darum, einen objektiven Ausschnitt aus der Natur zu präsentieren, wie dies etwa Anspruch der Ökologie ist. Er wollte eine Theorie erarbeiten, die auch philosophische Erkenntnisse einschließt, so dass die umweltliche Bezugsweise tierischer Organismen als ein spezifisch bedeutungbezogenes Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt verständlich wird. Dadurch wollte er der Biologie eine Perspektive eröffnen, die den anthropozentrischen Blick des Wissenschaftlers mitreflektiert, anstatt diesen als die objektive Sichtweise zu verklären. Inwiefern Uexküll der unreflektiert reifizierenden Verdinglichung des Lebendigen und der Natur begegnete, wird im Folgenden anhand der eingehenden Illustration der Uexküll’schen Umweltlehre herausgearbeitet.

16 Der Begriff des Zufalls bringt die Abkehr von einem teleologischen Weltbild zum Ausdruck, da er keinen metaphysischen Naturbegriff zulässt. Michael Hampe bemerkt diesbezüglich: „Die Darwinsche Evolutionsbiologie hat […] aus der Biologie eine Wissenschaft ohne wirkliche natürliche Arten, das heißt ohne unwandelbare Wesenheiten gemacht“ (M. Hampe: Geteilte Natürlichkeiten, a.a.O. [Anm. 114] 231). Auch in Esfelds Ausführungen zur Evolutionstheorie wird deutlich, dass die Zufälligkeit im Sinne einer Nicht-Zielgerichtetheit gelesen werden muss (vgl. M. Esfeld: Einführung in die Naturphilosophie. a.a.O. [Anm. 114] 110).

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2.2.2 Umwelt als integrative Einheit von Subjekt und Umfeld Die für die Argumentation dieser Arbeit heuristisch wichtige Auseinandersetzung mit der Umweltlehre Uexkülls wird im Folgenden insbesondere des Aufweises der geschlossenen und planmäßigen Einheit von Tier und Umfeld, die sich als Umweltbezug manifestiert, dienen. Denn an dieser Geschlossenheit und Planmäßigkeit wird die Differenz zum menschlichen Leben in Weltverhältnissen besonders deutlich. Die philosophisch fundierte Theoretische Biologie Uexkülls, die sich gegen die vorherrschenden Paradigmen in Biologie und Naturwissenschaft wendet, trägt insbesondere Früchte aus der Erkenntniskritik Kants sowie aus dem Vitalismus von Aristoteles und Driesch.1 Zur Überwindung der herrschenden Antithetik von Subjekt und Objekt sowie zur Begründung der Subjektivität von Welt 1

Uexküll selbst bezieht sich nicht explizit auf Aristoteles. Wie stark sich Aristoteles’ Teleologie ungeachtet dessen in Uexkülls Umweltlehre niederschlägt, hat Helene Weiss in ihrem Artikel Aristotle’s Teleology and Uexküll’s Theory of Living Nature von 1948 herausgearbeitet, wie folgender Vergleich der Autorin illustriert: „Like Aristotle, Uexküll emphasizes the far-reaching similarity between a planning human workman and his work on the one hand and the plan of nature on the other. In both regions there is causation of the kind for the sake of something, to put it in Aristotle’s words, or, to put it in Uexküll’s, there is in both a plan at work. Yet, so both authors feel, there is one distinguishing feature. Uexküll expresses it by speaking of Zielhandlung, or zweckmässige Handlung on the part of human planning, while speaking of nothing else than a plan in the case of nature. Aristotle expresses the same difference by stressing that nature lacks nous, while asserting that the structure for the sake of something as such does not depend on the existence of nous” (Helene Weiss: Aristotle’s Teleology and Uexküll’s Theory of Living Nature. In: The Classical Quarterly (1948), no. 1/2, 44-58, 56). Auch Helbach verweist auf den Aristotelischen Einfluss in Uexkülls Biologie (vgl. C. Helbach: Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls, a.a.O. [Anm. 114] 8, 60f.). Darüber hinaus zeigt sie auf, inwiefern diese mit Kants Kategorischem Imperativ verknüpft ist: „Von Uexküll bezeichnet die Zielstrebigkeit als einen ‚organischen Imperativ‘ ähnlich dem ‚kategorischen Imperativ‘ Kants; dadurch ist das Werden des Organismus als ein ‚Sollen‘ charakterisiert“ (ebd. 119f.). Uexkülls Festschreibung des ‚organischen Imperativs’ steht wiederum dem ‚kategorischen Konjunktiv’ Plessners, als welchen er den Menschen bezeichnet, entgegen, womit sich die Grenzen der Umweltlehre für die Beschreibung des Menschen schon andeuten (vgl. Helmuth Plessner: Der kategorische Konjunktiv. Ein Versuch über die Leidenschaft (1968). In: Conditio humana. GS. Bd. 8, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 338-352).

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eines jeden Lebewesens schließt Uexküll an die erkenntnistheoretische Einsicht Kants an, dass die Welt kein objektiver Tatbestand ist, sondern vom Subjekt her aufgebaut wird: „Alle Wirklichkeit ist subjektive Erscheinung – dies muß die große grundlegende Erkenntnis auch der Biologie bilden“.2 Für Uexküll ist es entscheidend zu verdeutlichen, dass der Umfeldbezug eines Tieres nicht vor dem Hintergrund eines gemeinsamen, objektiven Weltrahmens, d.h. einer ‚Lebenswelt‘-Totalität, wie im Darwinismus unterstellt,3 stattfindet. Jedes Tier hat vielmehr einen ganz eigenen Erfahrungshorizont, in dem es nur mit Objekten in Beziehung steht, die für das Tier subjektspezifische Bedeutungen tragen. Die Umwelt bildet somit keinen objektiven Ausschnitt der Natur, voll von Dingen, die das Tier umgeben. Sie bezeichnet eine Wahrnehmungs- und Verhaltensleistung, nach der das Tier seiner Form nach auf diejenigen Objekte bezogen ist, „die diesem speziellen Tier allein angehören“.4 Die Wirklichkeit ist darin kein objektiver Tatbestand, den sich alle Lebewesen teilen. Vielmehr baut jedes Tier seine subjektive Wirklichkeit – seiner umweltlichen Bezugsweise entsprechend – als seine eigene Umwelt auf. Die konstituierenden Funktionen jeder subjektiven Tierumwelt sind dabei ‚Merken‘ und ‚Wirken‘ wie Uexküll mit der Darstellung des Funktionskreises5 illustriert:

2

J. v. Uexküll: Theoretische Biologie, a.a.O. [Anm. 114] 9; zum Einfluss Kants auf die Biologie Uexkülls vgl. zudem: C. Helbach: Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls. a.a.O. [Anm. 114] 127-140. An diesem Punkt stellt sich auch die Frage nach der Subjektivität bei Uexküll, da er Tieren diese zuerkennt, von Kant aber nur den zur Erkenntnis fähigen Lebewesen, d.i. der Mensch, zugesprochen wird. Aldona Pobojewska verweist diesbezüglich auf die Üexküll’sche Transformation des Apriorischen bei Kant, wonach Uexküll anstelle der Erkenntnisstruktur die lebendige Aktivität a priori setzt und somit jegliche Lebewesen als Handelnde einen Subjektstatus erreichen (vgl. Aldona Pobojewska: Die Umweltkonzeption Jacob von Uexkülls: eine neue Idee des Untersuchungsgegenstandes von der Wissenschaft. In: Neue Realitäten – Herausforderung der Philosophie. Sektionsbeiträge I. XVI. Dt. Kongreß für Philosophie, hg. von Allg. Gesellschaft für Philosophie in Deutschland (Berlin 1993) 94-101).

3

Vgl. C. Bermes: „Welt“, a.a.O. [Anm. 3] 103ff.

4

J. v. Uexküll: Umwelt und Innenwelt der Tiere. a.a.O. [Anm. 120] 45.

5

Abbildung in Jakob von Uexküll/Georg Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen – Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten. Bedeutungslehre. Mit einem Vorwort von Adolf Portmann (Frankfurt a.M. ND 1983 [1970]) 11.

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Abbildung 1: Schema des Funktionskreises

Quelle: Jakob von Uexküll/Georg Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen – Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten. Bedeutungslehre. Mit einem Vorwort von Adolf Portmann (Frankfurt a.M. ND 1983 [1970]) 11.

Der Funktionskreis hat die Aufgabe, „ein allgemeines Schema zugrunde zu legen, das die Beziehungen eines jeden Tieres zur Welt“6 verdeutlicht. In diesem Schema spannt sich die Beziehung zwischen der Innenwelt eines Tieres und den Objekten der Außenwelt, die dieses tangieren, auf. Denn die Innenwelt umfasst nach Uexküll spezifische Schemata, die den reizauslösenden Gegenständen der Außenwelt entsprechen und sich als Merkzeichen darstellen. Qua dieser schematischen Merkzeichen prägt das Tier (s)einem Objekt, das den Merkzeichen entspricht, diese als Merkmale auf. Mit exakt den Sinnesorganen ausgestattet, um diese Merkmale in spezifisch-subjektiver Bedeutung wahrzunehmen, findet sich in der Innenwelt des Tieres gleichsam eine Gegenwelt (in Form dieser Schemata), die mit den Objektzeichen identisch ist.7 Als Merkmale wahrgenommen lösen sie beim Subjekt wiederum eine Reaktion aus, die den Wirkzeichen in der Gegenwelt entspricht. Diese Wirkzeichen manifestieren sich in Folge eines durch sie ausgelösten Verhaltens als Wirkmale am Objekt. Dadurch verschwindet das reizauslösende Merkmal, dessen Funktion nun erfüllt ist, und der Vorgang kommt kreisförmig zum Abschluss. Ausschließlich diejenigen Objekte, die für das jeweilige Tier eine Bedeutung tragen, so Uexküll, konstituieren einen Funktionskreis, in dem Subjekt und Objekt perfekt ineinander eingepasst sind, d.h. in ihrer Gestalt a priori in vollkom6

Ebd. 45.

7

Vgl. ebd. 168f.

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mener Weise zueinanderpassen und sich nicht erst a posteriori aneinander anpassen8 müssen. In Anlehnung an einen Vers Goethes bringt Uexküll diese Eingepasstheit folgendermaßen auf den Punkt: „Wär nicht die Blume bienenhaft, Und wäre nicht die Biene blumenhaft, Der Einklang könnte nie gelingen“.9

Mit dem Funktionskreis stellt Uexküll die dem Tier mögliche Bezugsform auf sein Umfeld dar. Die Gesamtheit der Funktionskreise eines Tieres bildet dessen Umwelt, so dass die Gebundenheit des Tieres an diese Funktionskreise darin zum Ausdruck kommt. Dabei gilt: „Die Funktionskreise sind unteilbare Ganzheiten“.10 Denn erst die vollkommene Einheit von Innen und Außen komplettiert 8

J. v. Uexküll: Theoretische Biologie, a.a.O. [Anm. 114] 150. Mit dem Begriff der vollkommenen Einpassung wendet sich Uexküll dezidiert gegen das Anpassungstheorem der Evolutionstheorie: „Durch die allgemeine Einbürgerung des Wortes Anpassung wurden die Forscher dahin gedrängt, auch in dem in der Natur beobachteten ‚Zueinanderpassen‘ der Lebewesen und ihrer Umgebung einen Vorgang zu erblicken, der sich allmählich vollzieht, und die Behauptung aufzustellen, es gäbe mehr oder weniger gut angepaßte Beziehungen zwischen Lebewesen und Umgebung“ (ebd. 318). Die Entdeckung des Funktionskreises, der Subjekt und Objekt umschließt, beweist nach Uexküll jedoch Gegenteiliges: „Diese Annahme widersprach […] direkt der tatsächlichen Beobachtung, für die man den Ausdruck ‚Anpassung‘ gewählt hatte. […] Es ist daher an der Zeit, ein Wort zu wählen, das keinerlei falsche Theorien in sich birgt, sondern die nackte Tatsache allein wiedergibt. Ein solches Wort scheint mir die Einpassung zu sein, da es nichts anderes besagt, als die unbestrittene Tatsache, daß Lebewesen und Umgebung ineinander passen“ (ebd. 318). Diesem Gedanken folgend war auch der evolutionäre Fortschrittgedanke für Uexküll falsch, da jede lebendige Gestalt von vornherein, auch wenn sie neu gestaltet wird, vollkommen ist: „[N]irgends Evolution, immer Epigenese“ (Ebd. 148).

9

J. v. Uexküll: Bedeutungslehre, a.a.O. [Anm. 134] 158. Um die perfekte Einpassung von Subjekt und Objekt zu verdeutlichen, bedient sich Uexküll zudem des Vergleichs mit der musikalischen Komposition: „Als Vorbild kann uns die musikalische Kompositionslehre dienen, die von der Tatsache ausgeht, daß mindestens zwei Töne nötig sind, um eine Harmonie zu bilden. […] Darauf beruht die Lehre vom Kontrapunkt in der Musik“ (ebd. 140). D.h. Subjekt und Objekt sind in der Biologie Uexkülls der musikalischen Bedeutung entsprechend kontrapunktisch aufeinander abgestimmt.

10 J. v. Uexküll: Theoretische Biologie. a.a.O. [Anm. 114] 295. Auch die Natur bildet bei Uexküll eine derartige Ganzheit, da sie aus Millionen von Umwelten besteht, die ge-

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das Lebewesen. D.h. die Funktionskreise eines Subjekts bilden „gemeinsam die Tiergestalt“11 insofern sie in die Außenwelt hineinreichen und dabei den Organismus transzendieren. Uexkülls Leistung besteht hier darin, dass er mit dem Konzept der Umwelt ein theoretisches Modell12 entwickelt hat, mit dem es möglich ist zu zeigen, dass das Lebendige nicht am Tierkörper aufhört, sondern dass das Leben auch sinnhaftes Vollzugsgeschehen ist, das in der Einheit von wahrnehmend-tätigem Subjekt und bedeutendem Objekt besteht, und sich diese lebendige Einheit – begriffen als Bezugsform des Tieres zu seinem Umfeld – als planmäßige Umwelt manifestiert. In dieser Auffassung vom Leben wird auch Uexkülls vitalistische Komponente deutlich. Denn jenseits von naturwissenschaftlichen Erklärungen lebendiger Organismen waltet in seiner Theorie ein immaterieller Lebensfaktor, der – ähnlich der aristotelischen Entelecheia – eine den Dingen innewohnende Planmäßigkeit ist.13 Subjekt und Objekt fallen darin geradezu zusammen, denn Inmeinsam die Naturgestalt bilden. Damit steht er wiederum der Evolutionstheorie gegenüber, die die Welt respektive die Natur als eine Einheit begreift, deren Einheit sich bspw. in der natürlichen Selektion, die als kausale Gesetzmäßigkeit allem Lebendigen in seiner Entwicklung zugrunde liegt und dadurch eine einheitliche Geschichte des Lebendigen begründet, manifestiert (vgl. zum Naturbegriff Uexküll Abschnitt 2.2.3 der vorliegenden Arbeit; sowie zur evolutionstheoretischen Auffassung der Natureinheit C. Bermes; ,Welt‘, a.a.O. [Anm. 3] 89f.). 11 Ebd. 295. Die planmäßige Ganzheit, die in der Natur aus den Millionen Umwelten besteht, findet sich somit in der Ganzheit der gemeinsamen Funktionskreise wieder, da nur die Gemeinsamkeit aller Funktionskreise als Ganzheit die Tiergestalt als Umwelteinheit bildet. 12 Vgl. A. Pobojewska: Die Umweltkonzeption Jacob von Uexkülls, a.a.O. [Anm. 131] 97. 13 Diese Planmäßigkeit in einen psychologischen Kontext begeistert aufnehmend, hält Rudolf Bilz im Vorwort zu Uexkülls Theoretischer Biologie fest: „Uexküll lehrte uns, daß Subjekt und Umwelt, ja, daß das Leben überhaupt eine in sich geschlossene, planvolle Ganzheit sei“ (Rudolf Bilz: Vorwort. In: Jakob von Uexküll: Theoretische Biologie (Frankfurt a.M. 1973 [1928]) V-XXIV, XI). In Bezug auf den tierischen Lebensvollzug ist Bilz zuzustimmen. Allerdings tendiert er wie Uexküll zu einer Überbetonung des Planvollen und einer eher undifferenzierten Anwendung der Umweltlehre auch auf den Menschen (vgl. ebd.). Dass aber gerade der menschliche Lebensvollzug keiner Planmäßigkeit im Sinne Uexkülls folgt, wird im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit mit Plessner deutlich. Adolf Portmann würdigte differenzierter als Bilz, dass das Lebendige als solches jenseits seiner naturalistischen Fragmentierung durch Uexkülls Idee des Funktionskreises als Prinzip der Bedeutungsstiftung in die Biologie

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nenwelt und Umwelt entsprechen sich, wie auch Portmann feststellte, „auf das genaueste“.14 Die Tier-Umfeld-Beziehung, die Uexküll anhand seiner Umweltlehre illustriert, ist eine von Harmonie geprägte, geschlossene Einheit – eine genuin lebendige Homogenität. Das Tier lebt, wie Uexküll betont, fest in seine Umwelt eingeschlossen, die es „wie ein undurchdringliches Gehäuse sein Lebtag mit sich herum[trägt]“.15 Mit anderen Worten: Zwischen dem Tier und den bedeutungstragenden Objekten besteht eine vollkommene Einheit, die das Tier in seiner Umfeldstellung „sicherer als ein Kind in der Wiege“16 sein lässt und deswegen eine umweltliche Beziehung bedeutet. Die Subjekt-Objekt-Beziehung liegt hier insofern als eine integrative vor, da sie vom Tier als eine unmittelbare Einheit gelebt wird. Die Stellung des Tieres zu seinem Umfeld ist somit eine umweltgebundene. Im Funktionskreis repräsentiert sich diese Gebundenheit zwischen tierischem Subjekt und Objekt. Die darin zum Ausdruck kommende, wechselseitige Durchdringung von Subjekt und Objekt steht somit dem naturwissenschaftlichen Dualismus diametral entgegen. Denn dessen Trennung zweier verschiedener Wirklichkeitsbereiche ist bei Uexküll zu Gunsten einer lebendigen Einheit aufgehoben.17 Das Uexküll’sche Umweltkonzept weist – entgegen der zeitgenössischen umweltsozioloEingang gefunden hat: „Die Lebensforschung unserer Tage spricht von Umwelten der Tiere in dem besonderen Sinne, den Uexküll diesem Begriff gegeben hat, sie stellt Funktionskreise des Lebendigen dar, so wie er sie uns in Jahrzehnten intensiver Arbeit gezeigt hat. Wenn wir heute die Lebenserscheinungen nicht nur als Ursache von Folgen, sondern auch als Glieder in einem vorbereiteten Zusammenhang sehen, so ist sein Werk daran maßgebend beteiligt“ (A. Portmann: Ein Wegbereiter der neuen Biologie, a.a.O. [Anm. 93] IX.). 14 A. Portmann: Ein Wegbereiter der neuen Biologie, a.a.O. [Anm. 93] XL. 15 J. v. Uexküll: Umwelt und Innenwelt der Tiere, a.a.O.[Anm. 120] 219. 16 Ebd. 41. 17 Es ist diese Unmöglichkeit der Verdinglichung der lebendigen Einheit, die Bernd Herrmann anspricht, wenn er das Uexküll’sche Umweltkonzept folgendermaßen zusammenfasst: „Anders als Natur ist Umwelt nicht er-lebbar, sondern nur lebbar. Sie lässt sich nicht verdinglichen“ (Bernd Herrmann: Umweltgeschichte wozu? Zur gesellschaftlichen Relevanz einer jungen Disziplin. In: Umweltgeschichte und Umweltzukunft. Zur gesellschaftlichen Relevanz einer jungen Disziplin, hg. von Patrick Masius/Ole Sparenberg/Jana Sprenger (Göttingen 2009) 13-50, 15). In dieser Einsicht Herrmanns wird erneut implizit deutlich, dass der Umweltbezug nicht ausreicht, um damit das menschliche Leben zu erfassen, denn dieses zeichnet sich, wie mit Plessner im dritten Kapitel deutlich wird, durch den Vollzug des Er-lebens als eine Stufe der Reflexion aus.

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gischen Auffassung von „Umwelt“ – dementsprechend auch keine Möglichkeit der Instrumentalisierung oder Eigenschaft einer Ressource auf, da ihr keine materialistische Konnotation zugrunde liegt, sondern zur Beschreibung der Bezugsweise des Tieres dient, die sich nicht als messbares Objekt vorstellen lässt. Mit dem Begriff der Umwelt ist hier folglich das Fest-umschlossen-Sein in ausschließlich subjektiv Bedeutungsvollem angesprochen. Im Lichte dieser harmonischen Betrachtungsweise ist auch Uexkülls Kritik am Darwin’schen Kampf ums Dasein – in dem die Stellung des Tieres nicht als eine harmonische, sondern als eine prekäre gedeutet wird – zu verstehen, die er exemplarisch anhand der Umweltbeziehung des Seeigels verdeutlicht: „So ist auch der Seeigel nicht einer feindlichen Außenwelt preisgegeben, in der er einen brutalen Kampf ums Dasein führt, sondern er lebt in einer Umwelt, […] die aber bis aufs letzte so zu seinen Fähigkeiten paßt, als wenn es nur eine Welt gäbe und einen Seeigel“.18 Das Tier ist seiner Umwelt demnach nicht ausgeliefert, d.h. es ist nicht passiv-reaktiv in eine „Umwelt“ hineingestellt. Vielmehr verleiht es den Dingen im Kantischen Sinne ihre Bedeutungen nach eigenen Prinzipien, wodurch diese zu seiner Wirklichkeit werden.19 Die Objekte einer spezifischen Umwelt sind somit nur aufgrund ihres spezifischen Bedeutungsgehalts in Bezug auf das Subjekt Wirklich-

18 J. v. Uexküll: Umwelt und Innenwelt der Tiere, a.a.O. [Anm. 120] 96. 19 Helbach wird in ihrer Interpretation aufgrund von Uexkülls Rückgriff auf Kant zu einem kognitiven Bewusstseinsbegriff verführt: „Dabei ist das Bewußtsein des Subjekts (bzw. seine Möglichkeiten zur Reizverarbeitung) das primär Gegebene, wodurch das Objekt geformt und damit vergegenständlicht wird“ (C. Helbach: Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls, a.a.O. [Anm. 114] 175). Auch wenn die Interpretation Helbachs in Hinsicht auf den vorhandenen Subjektivismus bei Uexküll richtig ist, dürfte jedoch bereits deutlich geworden sein, dass das tierische Subjekt zum einen nicht die Fähigkeit der Vergegenständlichung im Sinne des Objektivierens von Etwas hat, sondern die Fähigkeit der Wahrnehmung spezifischer Bedeutungstöne. Aus diesem Grund betont Herrmann den Unterschied zwischen leben und er-leben, wobei bei letzterem gerade nicht der bloße Umweltvollzug gemeint ist (vgl. 2.2.3 Fußnote 10 der vorliegenden Arbeit). Zum anderen ist der Auffassung Helbachs vom Bewusstsein als ein primär Gegebenes zur Reizverarbeitung zu widersprechen. Zwar ist es richtig, dass es ohne Bewusstseinsvollzug keinen Bedeutungsgehalt gäbe, jedoch ist das Bewusstsein kein a priori Gegebenes, sondern der Struktur nach das Vollzugsgeschehen der Einheit, in der Subjekt und Objekt gleichurprünglich sind. Uexküll setzt entsprechend diese Einheit a priori, die jedoch keine Interpretation des Bewusstseins als ein primär Gegebenes nach sich zieht.

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keit. Umgekehrt ist aber auch die Spezifität des Subjekts nur in Relation zu den Objekten bestimmbar.20 So wie jedes Tier nur subjektspezifische Objekte in seiner Umweltlichkeit wahrnimmt, so hat auch jedes seinen eigenen Raum und seine eigene Zeit. Basierend auf den reinen Anschauungsformen Kants ist es bei Uexküll die innere, planmäßige Organisation des jeweiligen Tieres, welche es in seinem eigenen Raum und seiner eigenen Zeit leben lässt.21 Der anthropozentrischen Annahme eines objektiven Raumes und einer objektiven Zeit setzt Uexküll eine Mannigfaltigkeit beider Dimensionen entgegen, die sich analog zur Mannigfaltigkeit der tierischen Umwelten ausmachen lässt: „Jetzt wissen wir, daß es nicht bloß einen Raum und eine Zeit gibt, sondern ebenso viele Räume und Zeiten wie es Subjekte gibt, da jedes Subjekt von seiner eigenen Umwelt umschlossen ist, die ihren Raum und ihre Zeit besitzt“.22 An diesem Zitat wird besonders deutlich, dass Uexküll die Umweltgebundenheit in einem stark subjektivistischen Sinne auslegt, insofern er seine Einsicht in die subjektivistisch gefasste Umweltgebundenheit für jedes einzelne lebendige Subjekt betont.

20 Entsprechend hält Aldona Pobojewska fest: „Das Subjekt und das Objekt sind also keine unterschiedlichen ontischen Kategorien, die unabhängig voneinander existieren, sondern zwei untrennbar miteinander verbundene Glieder einer Subjekt-ObjektRelation“ (A. Pobojewska: Die Umweltkonzeption Jacob von Uexkülls, a.a.O. [Anm. 131] 94). Entgegen der Auffassung, dass die Uexküll’sche Umwelt ahistorisch sei, weil sie nicht das Werden, sondern das Sein thematisiere, insistiert Helbach auf die Subjekt-Objekt-Relation. Mit der organischen Veränderbarkeit des Subjekts veränderten sich auch die bedeutungsvollen Umweltdinge, denn „als Funktion der Innenwelt ist [die Umwelt] ein aktiv geschaffenes, veränderbares, im historischen Wandel begriffenes Gebilde“ (C. Helbach: Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls, a.a.O. [Anm. 114] 118); zur Gegenposition vgl. exemplarisch C. Bermes: „Welt“ a.a.O. [Anm. 3] 106f. (Fußnote 312)). Obwohl es richtig sein mag, dass die Umweltdinge eines Kükens zu denen eines Huhns differieren, scheint die Rede von der geschichtlichen Wandelbarkeit bezogen auf die tierische Umwelt unplausibel, denn geschichtlich verfasst zu sein würde für das Huhn bedeuten, dass es sein einstiges Küken-Dasein nachvollziehen und vor dem Hintergrund seines gegenwärtigen Huhn-Daseins reflektieren kann. Auch an diesem Punkt greift der von Herrmann aufgemachte Unterschied zwischen leben und er-leben, insofern er damit zwei unterschiedliche Reflexionsformen anspricht (vgl. 2.2.3 Fußnote 10 der vorliegenden Arbeit). 21 Vgl. J. v. Uexküll: Theoretische Biologie, a.a.O. [Anm. 114] Kapitel 1 u. 2; vgl. auch C. Helbach: Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls, a.a.O. [Anm. 114] 62-91. 22 Ebd. 340.

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Anhand der Abbildung des Funktionskreises (siehe S. 77) lässt sich zudem eine weitere mit der Gebundenheit angesprochene wesentliche Eigenschaft der Umwelt treffend visualisieren. Mit Uexküll gesprochen besteht sie schlicht darin, dass die „Umwelt eines jeden Tieres in sich geschlossen“23 ist. Denn die umweltkonstituierende Beziehung zwischen Subjekt und Bedeutungsträger ist keiner objektiven Wirklichkeit zugänglich, diesen Anthropomorphismus hat Uexküll stets abgelehnt. Insofern ist diese Einsicht für Uexküll auch Beweis genug, dass der ökologische Objektivitätsanspruch, der sich in der Annahme spiegelt, „ein Tier könne jemals mit einem Gegenstand in Beziehung treten, falsch ist“.24 Der Borkenkäfer erkennt bspw. die Baumrinde eines Baumes nicht als Baumrinde, sondern nimmt diese bloß als spezifischen Reiz zur Eiablage wahr. Derselbe Baum trägt in der Umwelt der Eule wiederum eine andere Bedeutung: Mit seinem Geäst dient er der Eule nachts als Schutz vor Fressfeinden sowie als Versteck beim Spähen nach Beute. Den Baum als Baum erkennt sie dabei jedoch nicht. So wird einerseits die Vieldeutigkeit eines Objekts in den verschiedenen Umwelten der verschiedenen Tiere deutlich, bzw. die Tatsache der Umweltmannigfaltigkeit evident, andererseits aber auch, dass der tierische Umfeldbezug ein gänzlich anderer ist als der des Menschen. Uexküll beabsichtigte mit dem Begriff Umwelt die perfekte Eingepasstheit eines jeden Tieres in sein Umfeld auszudrücken, in dem es nichts Widerständiges, sondern ausschließlich unmittelbar subjektiv Bedeutungsvolles gibt. Umwelt ist als Ausdruck der tierischen Bezugsform somit erstens kein Ausschnitt 23 Ebd. 45. 24 [Hervorhebung KB] J. v. Uexküll/G. Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, a.a.O. [Anm. 134] 108. Auch Langthaler betont – gleichwohl in Kritik an Uexküll –, dass das Ineinanderfallen von Subjekt und Objekt auf einer Distanzlosigkeit des tierischen Subjekts zu den Objekten beruhe, die es eigentlich verunmöglicht, dass das tierische Subjekt überhaupt Objekte im eigentlichen Sinne wahrnehmen kann: „Dies bedeutet freilich, daß in dem den tierischen Umweltbezug bestimmenden ‚Ineinander‘ der ‚Eigen-Stand‘, das ‚Eigenwesen‘ als ‚Gegen-Über‘ […] gerade noch nicht zur Erscheinung zu gelangen vermag. Deshalb scheint es zweifellos angemessen, für die Kennzeichnung der […] je besonderten ‚Tier-Umwelt-Bezüge‘ die Bezeichnung ‚Subjekt-Objekt-Beziehung‘ am besten überhaupt zu vermeiden“ (R. Langthaler: Organismus und Umwelt, a.a.O. [Anm. 128] 230). Der Sache nach ist Langthaler Recht zu geben. Dass in der theoretischen Beschreibung trotzdem die analytische Möglichkeit besteht, die tierische Umfeldbeziehung als eine zwischen Subjekt und Objekt darzustellen, ist ja gerade der eigentümlichen, menschlichen Fähigkeit der Distanzeinnahme zu den Dingen geschuldet, dessen sich auch Uexküll, wie das obige Zitat vermittelt, offenbar bewusst war.

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einer materiell begriffenen Natur, die mit anderen geteilt werden kann, wie der Begriff der Ressource im zeitgenössischen „Umweltbegriff“ vermuten lässt. Zweitens meint Umwelt aber auch keinen Sinnzusammenhang, der als Wissen durch sein Verstehen geteilt werden kann. Vielmehr bringt der Begriff die harmonische und planmäßige Geschlossenheit einer jeden tierischen Umwelt zum Ausdruck, wodurch die „Trennung tierischer Artwelten als gesonderte Sphären […] festgehalten und betont werden“25 soll. Die Pluralität der nicht geteilten und auch nicht teilbaren Umwelten, die das Gegenteil zu einem kollektiven Sinngefüge bilden, ist die Quintessenz aus Uexkülls Umweltlehre. Ihr folgend, trägt jedes Objekt – abhängig von der artspezifischen Wahrnehmung der verschiedenen Subjekte – eine andere Bedeutung: „Durch diese Erkenntnis gewinnen wir eine ganz neue Anschauung vom Universum. Dieses besteht nicht aus einer einzigen Seifenblase, die wir über unseren Horizont hinaus bis ins Unendliche aufgeblasen haben, sondern aus Abermillionen engumgrenzter Seifenblasen, die sich überall überschneiden und kreuzen“.26 In jeder dieser Seifenblasen offenbart sich die umweltlich geformte Beziehung des Tieres, die es zu seinen Bedeutungsträgern realisiert. An diesem von Uexküll stark vertretenen Subjektivismus wird deutlich, dass mit einer Fortführung der Uexküll’schen Umweltlehre, in der es bloß subjektive Wirklichkeiten gibt, kein umweltsoziologischer Ansatz entwickelt werden kann. Denn dazu muss in einer gesellschaftswissenschaftlichen Disziplin mindestens vorausgesetzt werden können, dass es einen geteilten Sinnhorizont gibt, auf den sich die einzelnen Subjekte intersubjektiv beziehen können. Mit anderen Worten: Das Menschsein muss sich in Abgrenzung zum Tiersein durch die Möglichkeit des geteilten Verstehens von Bedeutungen auszeichnen. Wenn also mit Umwelt die tierische Form des lebendigen Bezugs auf ein Umfeld beschrieben wird und Umwelt sich dabei durch eine absolute Geschlossenheit auszeichnet, dann trifft dieser Begriff nicht die menschliche Bezugsform. Denn die Möglichkeit des geteilten Verstehens impliziert eine bedeutungsstiftende und -kontingente Offenheit, die Uexkülls geschlossene, bedeutungsimmanente Umwelt nicht leisten kann. Ein wesentlicher Grund für die fehlende Offenheit liegt im Naturverständnis Uexkülls begründet, das im Folgenden daher kurz nachgezeichnet werden soll. Dabei wird sich zeigen, dass Uexküll in Gegenstellung zur mechanistischen Naturkonzeption eine holistische entwirft, um der im ersteren Naturverständnis herrschenden, fragmentierenden Objektivität ein Ende zu setzen.

25 A. Portmann: Ein Wegbereiter der neuen Biologie, a.a.O. [Anm. 93] XIV. 26 J. v. Uexküll: Die Rolle des Subjekts, a.a.O. [Anm. 125] 355.

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2.2.3 Die Partitur der Natur Um die systematische Problematik, die mit der Anwendung der Umweltlehre Uexkülls auf das menschliche Leben entsteht, noch verständlicher zu machen, lohnt eine nähere Betrachtung seines Naturbegriffs, auch wenn Uexküll in seiner Theoretischen Biologie selbst noch nicht das Hauptaugenmerk darauf richtet. Dieses liegt auf seinem Beweis von der Subjektivität der Umweltwirklichkeit eines Tieres. Uexküll ordnet jedoch in seine Auffassung von der harmonischen Planmäßigkeit der Natur auch den Menschen ein, weswegen diese im Folgenden kurz illustriert werden soll, denn auch seine Biologie lässt sich als implizite Grundlage in der Umweltsoziologie aufzeigen. Am Funktionskreis macht sich neben der Geschlossenheit der Umwelt noch ein weiteres für Uexkülls Biologie grundlegendes und auch bereits erwähntes Prinzip bemerkbar: die Planmäßigkeit der Natur: „Der einzige unwandelbare Faktor, der dies wirre Weltgewebe trägt und formt, ist der Funktionskreis. Alle Funktionskreise sind nach dem gleichen Prinzip gebaut. In ihnen sehe ich die aktiven Naturpläne, die als Elementarfaktoren des Universums zu gelten haben. Das gesamte Universum, das aus lauter Umwelten besteht, wird durch die Funktionskreise zusammengehalten und nach einem Gesamtplan zu einer Einheit verbunden, die wir Natur nennen“.1 Dieses Zitat zeigt, dass Uexküll eine holistische Auffassung von ‚Natur‘ in seiner Biologie zum Tragen kommen lässt. Einem teleologischen Prinzip gemäß, versteht Uexküll Natur als eigenständige Kraft – die eine planmäßige Ordnung ist –, was ihn dazu veranlasst, sie voller Bewunderung mit Goethes Ausspruch der „Gottnatur“ zu titulieren.2 Steht zu Beginn seiner Biologie der Nachweis der Subjektivität von Umweltwirklichkeiten im Zentrum seiner Forschung, rückt später die Partitur der Natur, wie auch Portmann feststellt, mehr und mehr in Uexkülls Fokus. So gehen nach Portmann diesbezüglich Uexkülls Begrifflichkeiten „über den Horizont des biologischen Arbeitsfeldes weit hinaus und bezeugen die Haltung des Forschers, der sein Leben lang den Ordnungsweisen des Organischen nachgegangen ist und dessen Arbeit seine Überzeugung von kosmischen Ordnungen immer mehr befestigt hat“.3 Diese Planmäßigkeit der Natur als kosmische Ordnung ist für Uexküll allerdings nicht erst in der Betrachtung der gesamten Naturordnung ersichtlich. Sie 1

J. v. Uexküll: Theoretische Biologie, a.a.O. [Anm. 114] 324.

2

Vgl. J. v. Uexküll: Bedeutungslehre, a.a.O. [Anm. 134] 160.

3

A. Portmann: Ein Wegbereiter der neuen Biologie, a.a.O. [Anm. 93] XXI. Bilz kommt in seinem Vorwort zu Uexkülls Theoretischer Biologie zu einem ähnlichen Schluss: „Der Akzent seiner [Uexkülls] Forschung liegt auf der Feststellung, daß in der Natur die Planmäßigkeit dominiert“ (R. Bilz: Vorwort, a.a.O. [Anm. 142] VI).

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ist bereits Gegebenheit jeder Umwelt und stellt sich als planmäßige Einheit von Subjekt und Objekt dar. Schließlich sieht Uexküll diese Planmäßigkeit schon in jedem einzelnen Organismus verwirklicht, dessen Gestalt sich einem Bauplan gemäß organisiere: „Die Gestalt ist niemals etwas anderes als das Erzeugnis eines Planes im indifferenten Stoff, der auch eine andere Gestalt hätte annehmen können“.4 Seinem Naturfaktor gemäß, d.i. der Plan5, gestaltet sich aber jeder Organismus der vollkommenen Eingepasstheit in seine Umwelt entsprechend aus. Dass Uexkülls holistisches Naturverständnis also nicht unwichtig für seine Umweltlehre ist, wird an diesen Überlegungen deutlich.6 Diese holistische Naturkonzeption ist natürlich nicht mit dem naturalistischen Naturverständnis kompatibel, das die Instrumentalisierbarkeit und Ressourcenhaftigkeit von Natur transportiert und bspw. in der gegenwärtigen Nachhaltigkeitsdebatte vertreten wird. Seiner Naturvorstellung gemäß findet sich zudem bei Uexküll interessanterweise an einer Stelle die Andeutung einer Kulturkritik, in der er die Ablösung des Menschen vom Naturganzen infolge des Schaffens von Artefakten problematisiert, da mit diesem Schaffen die Instrumentalisierung der Natur immer weiter fortschreitet: „Wir [haben] mit allen Gebrauchsgegenständen Brücken von unserer Person zur Natur geschlagen […], der wir uns dabei nicht näherten, sondern von der wir uns immer mehr loslösten. Dann aber haben wir in immer eiligerem Tempo begonnen, Brücken zu den Brücken zu schlagen, die bereits beim Aufbau einfacher Maschinen für den naturnahen Mann unübersehbar sind. Wir sind in der Großstadt nur noch von künstlichen Dingen umgeben, denn selbst die Bäume und Blumen unserer Anlagen, die wir nach Belieben herausnehmen und verpflanzen, haben wir aus dem Naturganzen 4

J. v. Uexküll: Theoretische Biologie, a.a.O. [Anm. 114] 183.

5

Vgl. ebd. 341.

6

Uexkülls Naturbegriff bekundet hier eine eindeutige Nähe zur Aristotelischen Entelecheia, die diesen Naturfaktor als Zweckmäßigkeit bezeichnet. Uexküll selbst erwähnt lediglich, ohne direkten Bezug zu Aristoteles, die griechische Naturvorstellung: „Nach der Anschauung der Griechen gab es überhaupt nichts Planloses in der Welt. Die ganze anorganische Welt erschien ihnen ebenso als Kunstwerk wie die organische. Sonne, Mond, Planeten und Fixsternhimmel schlossen sich zu einem großen planmäßigen Kunstwerk zusammen, in dem jeder Stoff an seiner ihm bestimmten Stelle war“ (ebd. 129). Seine Nähe zu dieser Weltanschauung wird schließlich in Folgendem deutlich: „Die griechische Weltanschauung geht in ihrer Forderung nach Planmäßigkeit weit über die kühnsten biologischen Träume hinaus. Die Sicherheit und Folgerichtigkeit dieser Weltanschauung legt uns aber die Erwägung nahe, ob wir durch die Preisgabe der anorganischen Welt an die Physik nicht viel zu viel Boden den Gegnern kampflos überlassen haben, den wir gelegentlich zurückerobern müssen“ (ebd. 130).

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herausgerissen und zu menschlichen Gebrauchsgegenständen gemacht“.7 Obwohl Uexkülls Kritik an der Verdinglichung der äußeren Natur durchaus seine Berechtigung hat, stehen diese implizite Dichotomisierung von Kultur und Natur sowie sein damit verknüpfter pathologischer Befund im Widerspruch zur von ihm postulierten planmäßigen, kosmischen Ordnung, in die der Mensch gleichermaßen funktional eingebunden ist wie das Tier. Zwar ist es dem Menschen seiner Ansicht nach möglich „seine Umwelt zu vertiefen und zu erweitern“,8 als Teil der planmäßigen Ordnung sei es jedoch auch dem Menschen nicht möglich, sich dieser zu entheben, gleichgültig welcher Hilfsmittel er sich bediene: „Aus dem Umkreis der Umwelt führt keines hinaus“.9 Damit bleibt mit Uexküll auch der Mensch als Lebewesen der „Gottnatur“ eingeordnet und kann sich nicht von ihr entzweien oder sich ihr entgegenstellen. In geradezu apollinischer Weise verweist Uexküll den Menschen auf seinen Platz in der planmäßigen Natur: „Uns ist während unseres Lebens die Aufgabe zugewiesen, mit unserer Umwelt eine Taste in der riesenhaften Klaviatur zu bilden, über die eine unsichtbare Hand spielend hinübergleitet“.10 Dass Uexküll in der Beobachtung der Umwelten bereits selbst aus dem Umkreis des umweltlichen Daseins enthoben ist, bleibt ihm hier verborgen. Damit ist nun endgültig das Problem in Uexkülls Umweltlehre hervorgetreten, auf das in der Rezeption Uexkülls immer wieder hingewiesen wurde: die einfache Übertragung der tierischen Umwelt auf die Konstitution des Menschen. Nicht nur Portmann machte an prominenter Stelle darauf aufmerksam.11 Insbesondere Plessner zeigt im Rahmen seiner Philosophischen Anthropologie auf, dass die Spezifik des Menschen darin liegt, über die Umweltgebundenheit hinausgehen zu können. Bevor jedoch in der vorliegenden Arbeit der Fokus auf Plessners Philosophische Anthropologie gelegt werden kann, ist zunächst kritisch zu analysieren, mit welchen Argumenten Uexküll die Anwendung seiner Umweltlehre auf den Menschen plausibilisierte. Dieser Schritt ist notwendig, da Uexkülls Position, insbesondere durch seine Bedeutungslehre, auch wegbereitend für den soziologischen Konstruktivismus war und bis heute implizit als Grundlage anthropologischer Annahmen in der Umweltsoziologie fungiert.

7

J. v. Uexküll: Bedeutungslehre, a.a.O. [Anm. 134] 160.

8

Ebd. 160.

9

Ebd. 168.

10 Ebd. 176. 11 Vgl. A. Portmann: Ein Wegbereiter der neuen Biologie, a.a.O. [Anm. 93] XIII.

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2.2.4 Mensch und Umwelt in der Umweltlehre Uexkülls Den Menschen in die planmäßige Geschlossenheit des Universums einzuordnen, liegt für Uexküll analog zur tierischen Situation in der funktionskreismäßigen Eingepasstheit von Subjekt und Objekt begründet. Den Beweis dafür versucht er am Beispiel der von ihm sogenannten magischen Umwelten zu erbringen. Ausgehend davon, dass auch jeder Mensch in seiner eigenen, nicht-geteilten Umwelt lebt, vergleicht er die verschiedenen magischen Umwelten von Tier und Mensch.1 Als Beispiele zieht Uexküll u.a. die zwei folgenden Beobachtungen heran, von denen eine ein Huhn und die andere ein kleines Mädchen betrifft. Letzteres spielt in der beobachteten Situation mit drei Streichhölzchen das Märchen Hänsel und Gretel nach, wobei ein Hölzchen die Hexe darstellt. Plötzlich ruft das kleine Mädchen: ‚Nimm mir die Hexe fort, ich kann ihr scheußliches Gesicht nicht mehr ansehen‘. Offensichtlich sieht das Mädchen in diesem Moment in dem Hölzchen eine scheußliche Hexe, wo andere nur ein Hölzchen erblicken. Für Uexküll ist dieses Verhalten der Beweis, dass das Mädchen in einer geschlossenen Umwelt wohnt.2 Die zweite Beobachtung bezieht sich auf eine Henne, die in einem Stall gefüttert wird. Ihr Besitzer lässt währenddessen ein Meerschweinchen in den Stall, worauf die Henne panisch herumflattert und seitdem nicht mehr in dem Stall fressen will.3 Uexküll geht davon aus, dass seit diesem Ereignis „die Erscheinung des ersten Erlebnisses als magischer Schatten über dem Stall“4 hängt, den nur die Henne wahrnehmen kann. Aus diesen Beobachtungen schließt er darauf, „daß ein jedes Subjekt in einer Welt lebt, in der es nur subjektive Wirklichkeiten gibt und die Umwelten selbst nur subjektive Wirklichkeiten darstellen. Wer die Existenz subjektiver Wirklichkeiten leugnet, hat die Grundlagen seiner eigenen Umwelt nicht erkannt“.5 Zunächst scheinen die gewählten Beispiele plausibel, schließlich ist es unmöglich, sich in die Perspektive des Huhns zu versetzen – dazu wäre ein anthropomorpher Analogieschluss nötig, den Uexküll kategorisch ausschließt – und auch das Streichholz sieht für den Beobachter im Moment des Ausrufs vermut1

Da Uexküll keinen qualitativen Unterschied zwischen Mensch und Tier macht, sondern lediglich einen graduellen, lassen sie sich systematisch auch nur in verschiedene Gattungen einteilen. Ihre Einteilung in unterschiedliche kategoriale Formen des Lebendigen ist mit Uexkülls philosophischer Biologie nicht möglich.

2

Vgl. J. v. Uexküll/G. Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, a.a.O. [Anm. 134] 86.

3

Vgl. ebd. 91.

4

Ebd. 91.

5

Ebd. 93.

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lich nicht wie eine scheußliche Hexe, sondern wie ein Streichholz aus. Die Beispiele Uexkülls zur vergleichenden Veranschaulichung der Umweltgeschlossenheit bei Tier und Mensch sind jedoch alles andere als unproblematisch miteinander vereinbar. Die Phantasie eines Kindes ist nicht mit der beobachteten ‚Schattenwahrnehmung‘ des Huhns, die diesem ein bestimmtes Merkzeichen (Feind) vermittelt, zu vergleichen. Sich, wie erwähnt, explizit gegen den herrschenden Anthropomorphismus in der Biologie wendend, läuft Uexküll dabei Gefahr, nun einem Zoomorphismus anheim zu fallen. Dass das Meerschweinchen bzw. dessen Schatten den Bedeutungston ‚Feind‘ für die Henne hat, liegt vermutlich daran, dass Hühner Fluchttiere sind. Das Vorliegen eines geschlossenen Funktionskreises ist hier evident. Der Henne werden die Bewegungen des Meerschweinchens bzw. von dessen Schatten in seinem Merkorgan als das Merkzeichen ‚Feind‘ vermittelt, wodurch die Henne durch ihr Wirkorgan hindurch das entsprechende funktionale Verhalten vollzieht: Flucht ergreifen. Dass die Hexe für das Mädchen überhaupt etwas Schreckliches darstellt, ist dagegen nicht als Merkzeichen zu verstehen, das in einer inneren Gegenwelt des Mädchens gegeben, so dass die umweltliche Eingepasstheit gewährleistet ist. Vielmehr steht die Hexe kulturbedingt symbolisch für einen bösen Charakter, den abzulehnen dem Mädchen durch dieses Märchen vermittelt wird. Und bekanntermaßen hat in besagtem Märchen die Hexe einen schrecklichen Charakter, voll von Bösartigkeit und Hinterlist. Würde die Figur der Hexe jedoch nicht als personifiziertes Böses dargestellt, sondern als eine gutmütige und liebevolle alte Dame, würde das Mädchen vielleicht ausrufen: ‚Ich möchte auch so eine liebe Hexe als Oma‘, da die Hexe in diesem Fall symbolisch für einen ‚guten‘ Charakter stünde, der als erstrebenswert gilt. Das Ausschlaggebende an diesem Sachverhalt ist, dass das Mädchen in dem Hölzchen eine schreckliche Hexe und keine gutmütige alte Dame sieht, weil es durch das Medium Märchen die Bedeutung der Ablehnung böser Charaktereigenschaften symbolisch vermittelt bekam und diese mit anderen Personen seines Kulturkreises teilt. Auch wenn andere Personen im Moment des Ausrufs keine Hexe sehen mögen, so können sie doch die Vorstellung des Mädchens nachvollziehen, da sie die Bedeutung des Symbols Hexe verstehen. Anders als bei der Henne liegt im Falle des Mädchens kein geschlossener Funktionskreis vor, der eine nur für das Mädchen sinnvolle Bedeutung vermittelt. Vielmehr kommt hier eine Wahrnehmung zum Ausdruck, die erst vor einem geteilten Sinngefüge eine Bedeutung bekommt, denn erst durch dieses können andere Personen im Nachvollzug des Sinns Anteil an dem Erlebnis des Mädchens haben. Ein anderes Huhn als das, was vom Schatten erschreckt wird, wird im Unterschied dazu nicht nachvollziehen können, warum die erschreckte Henne

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nicht mehr in dem Stall frisst, da es die Wahrnehmung dieser Henne nicht nachvollziehen und insofern auch nicht verstehen kann. Geschweige denn, dass es eine ähnliche Situation antizipieren könnte. An diesen Beispielen wird der fundamentale Unterschied zwischen Mensch und Tier, wie er oben in den Ausführungen zur tierischen Wahrnehmung von Objekten als Bedeutungstöne bereits angedeutet wurde, besonders deutlich. Uexküll hat diesen Unterschied in der Wahrnehmungsweise bei Tier und Mensch nicht weiter reflektiert und den Menschen schlicht in seine Umweltlehre eingeordnet. Für den Fortgang dieser Arbeit ist dieser Unterschied jedoch entscheidend. Denn mit dieser Differenz lässt sich zeigen, dass die Verschiedenheit von Mensch und Tier in den Begriffen Welt und Umwelt zum Ausdruck kommt, insofern mit Welt und Umwelt spezifische Wahrnehmungseinstellungen im Umfeldbezug gemeint sind. Für das Huhn besteht in der Wahrnehmung zum Objekt eine Unmittelbarkeit, die keinen Raum für jene Distanz lässt, welche die Bedingung der Möglichkeit dafür ist, Vermittlungs- und Reflexionsebenen in symbolischen Formen zwischen Subjekt und Objekt schieben zu können bzw. zu müssen. Es gibt keinen Prozess der Symbolbildung beim Tier, da das Symbol in seiner Wahrnehmung etwas ist, „das auf etwas nicht unmittelbar Wahrnehmbares (den Sinngehalt) verweist. Das Nichtwahrnehmbare […] wird durch das S[ymbol] repräsentiert“.6 Die unmittelbare Geschlossenheit, die sich in Uexkülls Funktionskreis präsentiert, wird durch die symbolische Form demnach gebrochen, da sie auf etwas hinter der unmittelbaren Wahrnehmung verweist. Gerade die Möglichkeit des nachvollziehenden Verstehens der Symbolik, die dem Sachverhalt Hexe inhärent

6

[Hervorhebungen KB] Gabriele Köhler: Symbol. In: Grundbegriffe der Soziologie, hg. von Bernhard Schäfers/Johannes Kopp (Wiesbaden 102010) 320-322, 320. Ernst Cassirer bestimmt den Menschen in Abgrenzung zum Tier (und hier explizit über Uexküll hinausgehend) als das Lebewesen, das zur symbolischen Form fähig ist, d.h. als „animal symbolicum“ (vgl. Ernst Cassirer: Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur (Hamburg 22007 [1996]) 47-51). Plessner wiederum zeigt auf, dass Cassirer, anstatt eine strukturmäßige Lebensformbestimmung vorzunehmen, lediglich eine Leistungsschau des Menschen mit dessen Symbolfähigkeit begründet und insofern die Aufgabe einer Philosophie des Menschen verfehlt (vgl. Helmuth Plessner: Immer noch Philosophische Anthropologie? (1963). In: Conditio humana. GS. Bd. 8, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 235-246, 242f.). Dieser Unterschied zwischen Cassirer und Plessner wird vielleicht auch an ihren beschreibenden Begrifflichkeiten deutlich, da Cassirer kategorial weiterhin beim Prädikat animal verbleibt, hingegen Plessner auf das Prädikat homo zur Beschreibung des Menschen besteht.

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ist, zeigt an, dass es dazu eines vermittelnden Sinngefüges bedarf.7 Dieses Gefüge setzt sich aus intersubjektiv erworbenen Sinndeutungen zusammen, die vermittelt in symbolischen Formen als Sinnzusammenhang zum Ausdruck gebracht werden. Die Möglichkeit (und zugleich Notwendigkeit) einer gemeinsamen Sprache ist wohl das prägnanteste Beispiel für ein nachvollziehendes Verstehen.8 Folgt man diesen Überlegungen zur Differenz zwischen tierischer und menschlicher Lebensform, dann deutet sich hier abermals an, dass Uexkülls Umweltlehre zu kurz greift, um damit eine Anthropologie entwerfen zu können. Die Einsicht, dass der Mensch in keiner Umweltgebundenheit aufgeht, wie dies das Tier in Uexkülls Umweltlehre tut, wurde gegen Uexküll immer wieder verteidigt.9 7

Auch Portmann kritisiert im Anschluss an die philosophische Anthropologie: „Uexküll […] vernachlässigt […] den Umstand, daß alle diese verschiedenen Weltansichten an einer gemeinsamen Artwelt teilhaben, daß ‚Verstehen‘ verschiedener derartiger Umwelten möglich ist – daß eine Aussprache über Gegensätze der Auffassung stattfinden kann“ ([Hervorhebung KB] A. Portmann: Ein Wegbereiter der neuen Biologie. a.a.O. [Anm. 93] XIV).

8

Ludwig Wittgensteins Privatsprachenargument, in dem er verdeutlicht, dass eine nicht intersubjektiv eingeübte Sprache sinnlos bleibt, ist wohl das bekannteste Argument für die Notwendigkeit des gegenseitigen Verstehens. „Welchen Grund haben wir, ‚E‘ das Zeichen für eine Empfindung zu nennen? ‚Empfindung‘ ist nämlich ein Wort unserer allgemeinen, nicht mir allein verständlichen, Sprache. Der Gebrauch dieses Worts bedarf also einer Rechtfertigung, die Alle verstehen“ (Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen § 261. In: Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 19141916. Philosophische Untersuchungen. WA. Bd. 1 (Frankfurt a.M. 2006 [1984] 362f.).

9

Sowohl Portmanns Kritik im Anschluss an die philosophische Anthropologie ist in diesem Sinne zu verstehen als auch Langthalers Kritik an der Übertragung der Umweltlehre auf den Menschen (vgl. R. Langthaler: Organismus und Umwelt, a.a.O. [Anm. 128] 226-232). Bilz sieht hingegen explizit in der Uexküll’schen Umwelt die Grundlegung einer Anthropologie: „Die Umwelt gehört ebenso wie die eigene Leiblichkeit zu den naturgegebenen Voraussetzungen des Menschen. Und hier liegt die Basis einer Anthropologie“ (Rudolf Bilz: Vorwort, a.a.O. [Anm. 142] XI). Gerade die Subjektivität einer jeden Umwelt biete dabei einen Ansatz, um Phänomene wie psychische Wahnvorstellungen zu erklären, da diese (wie die magische Umwelt des kleinen Mädchens bei Uexküll) nur von der betroffenen Person wahrgenommen würden und in diesem Sinne subjektive Bedeutungstöne trügen (vgl. ebd. XII). Auch wenn Bilz insofern zuzustimmen ist, dass die menschliche Wahrnehmung stets subjektiv gefärbt ist, so liegt die Basis einer Anthropologie aber gerade nicht in der Subjektivität, sondern im verstehenden Nachvollziehen, ohne das Bilz die Wahnvorstellungen seiner

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Durch die von Uexküll sowohl organisch (Funktionskreis) als auch ontologisch (Planmäßigkeit der Natur) begründete apriorische Vollkommenheit der Einheit von Organismus und Umwelt, die für ihn die Auffassung einer allmählichen Anpassung obsolet werden lässt, kann seine Betrachtung des menschlichen Lebens zudem als eine ahistorische interpretiert werden. Dafür spricht Uexkülls Versuch seine Umweltlehre auf Gesellschafts- bzw. Kulturformen verschiedener Epochen anzuwenden. Da Uexküll seines Erachtens aufgezeigt hat, dass es im Tierreich keinen evolutionären Fortschritt gibt, sondern darin das planmäßige Fortschreiten einer harmonischen Naturmelodie waltet und der Mensch Teil dieser Melodie ist, kommt er schließlich zu der Frage, ob es „in der menschlichen Geschichte einen Fortschritt“10 gibt. Seiner Naturauffassung gemäß, negiert er auch für die Kulturdimension den Fortschrittsgedanken, wofür er erstaunlicherweise an den Historismus Leopold von Rankes anschließt. Dieser geht von der objektiven, egalitären Qualität jeder geschichtlichen Epoche aus, die sich durch ihre jeweilige Gegenwart ergibt. Dadurch ist es Ranke möglich, Epochen sowohl vor einer normativen Hierarchisierung als auch vor der Annahme eines durch die Geschichte sich verwirklichenden höheren Prinzips zu immunisieren: „Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, und ihr Wert beruht gar nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst – in ihrem eigenen Selbst“.11 Ranke vertritt im Gegensatz zu Uexküll einen starken Objektivitätsanspruch, den er explizit gegen eine urteilende Subjektivität in der historischen Betrachtung geltend macht.12 Dieser Anspruch ist nicht nur mit Uexkülls Subjektivitätsdiktum schwer vereinbar, sondern auch mit seiner Vorstellung von einer kosmischen Planmäßigkeit. Doch ungeachtet dieser Differenzen zu Rankes Position ist es für Uexküll in erster Linie wichtig, die Evidenz der Umweltgebundenheit auch für das menschliche Dasein aufzuzeigen, was für ihn durch den Rückgriff auf Ranke offenbar möglich ist: „Was haben wir anderes unter einer Epoche im Ranke’schen Sinne zu verstehen als eine zusammengehörige Gruppe menschliPatienten gar nicht als solche erklären könnte. Denn erst vor dem Hintergrund geteilter Bedeutungen können Verschiebungen in diesen Bedeutungen sichtbar werden. Insofern geht Bilz hier die Einsicht verloren, dass das Menschsein anthropologisch gerade nicht ausschließlich an der leiblichen Umweltgebundenheit festgemacht werden kann, auch wenn Tier und Mensch sich dieses von der Organisation abhängige Merkmal teilen. 10 J. v. Uexküll: Bedeutungslehre, a.a.O. [Anm. 134] 165. 11 Leopold von Ranke: Über die Epochen der neueren Geschichte (Berlin 1899) 17, hier zitiert nach J. v. Uexküll: Bedeutungslehre, a.a.O. [Anm. 134] 165. 12 Vgl. zum Objektivitätspostulat Rankes: Leopold von Ranke: Vorlesungseinleitungen, hg. von Volker Dotterweich/Walther Peter Fuchs (München 1975) 81.

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cher Umwelten innerhalb eines begrenzten Zeitabschnitts“?13 Denn bei Ranke bedeute das unmittelbare Zurückgehen auf Gott, den Schöpfer, die Vollkommenheit einer jeden Epoche, da Gott als Schöpfer nichts Unvollkommenes schafft: „Daraus darf man schließen, daß jede Umwelt dieser Gruppe unmittelbar auf Gott zurückgeht, weil alle Umwelten zur gleichen Komposition gehören, deren Komponisten Ranke als Gott bezeichnet“.14 Im Anschluss an Ranke versteht Uexküll somit jegliche Form des Zusammenschlusses menschlicher Umwelten, d.i. eine bestimmte kulturelle Epoche, ebenfalls als Manifestation des vollkommenen Naturplans. Für Uexküll ist es allerdings „nicht nötig, einen außerhalb der Lebewesen stehenden Schöpfer anzunehmen, der ihnen seine Pläne einflößt“,15 da er diese Vorstellung eines „gedachten Schreiners der Welt“16 für einen Anthropomorphismus hält, dessen Negierung aber nicht die Negation der Planmäßigkeit der Natur bedeutet. Diese liegt seiner Ansicht nach vielmehr als vitalistisches Moment allem Lebendigen a priori zugrunde und bedeutet für Uexküll „die Erkenntnis, daß außer unserer persönlichen Umwelt auch die Umwelten unserer menschlichen und tierischen Mitbrüder in einem allumfassenden Plan geborgen sind“.17 Somit sind dem allumfassenden Plan auch alle kulturellen Entitäten eingeordnet. Die eigenwillige Bezugnahme Uexkülls auf Rankes Historismus ermöglicht es ihm somit – trotz aufgezeigter Unterschiede in der Wirklichkeitsauffassung –, die von ihm beanspruchte, allumfassende Gültigkeit seiner Umweltlehre zu festigen. In Anbetracht seiner oben erwähnten, kulturkritischen Überlegung entsteht bei näherer Betrachtung jedoch ein Widerspruch in Uexkülls Denken, der die problematische Anwendung seiner Umweltlehre auf den Menschen abermals offenbart. Zwar räumt er der menschlichen Umwelt einen höheren Grad an Transformierbarkeit ein, als der des tierischen Subjekts. Die absolute Geschlossenheit einer Umwelt ist für Uexküll jedoch in jedem Fall evident und nur die Einsicht, selbst Teil der planmäßigen Naturkomposition zu sein, bringe den Menschen über den Horizont seiner Umwelt hinaus.18 Und doch kommt er selbst nicht umhin, eine Entfremdung des Menschen von der äußeren Natur zu sehen, die sich in 13 J. v. Uexküll: Bedeutungslehre, a.a.O. [Anm. 134] 165. 14 Ebd. 165. 15 Jakob von Uexküll: Die Bedeutung der Umweltforschung für die Erkenntnis des Lebens (1935). In: Ders.: Kompositionslehre der Natur. Biologie als undogmatische Wissenschaft. Ausgewählte Schriften (Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1980) 363-381,

378. 16 Ebd. 378. 17 [Hervorhebungen KB] J. v. Uexküll: Bedeutungslehre, a.a.O. [Anm. 134] 168. 18 Vgl. ebd. 168.

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den immer länger werdenden ‚Brücken‘ respektive Vermittlungsketten zwischen Mensch und Natur manifestiert: „Die vielgepriesene menschliche Technik hat jeden Sinn für die Natur verloren, ja sie erdreistet sich die tiefsten Fragen des Lebens wie das Verhältnis vom Menschen zur Gottnatur mit ihrer völlig unzureichenden Mathematik lösen zu wollen“.19 Von ihm selbst als pathologisches Moment des menschlichen Lebens in der planmäßigen Ordnung gesetzt, kann die Loslösung des Menschen von der Natur für Uexküll jedoch kaum Teil des allumfassenden Naturplans sein, da sich dieser ja gerade durch die prinzipiell vollkommene Eingepasstheit des Lebewesens in die Natur manifestiert. Mit anderen Worten: Uexküll kehrt am Ende seines kurzen kulturkritischen ‚Ausflugs‘ wieder zurück zu seinem teleologischen Naturbegriff, ohne aus seinen kritischen Einsichten tatsächlich anthropologische Konsequenzen zu ziehen: „All dieses ist nebensächlich. Viel wichtiger ist es, sich eine Anschauung darüber zu verschaffen, welche Wege die Natur einschlägt, um ihre Geschöpfe […] aus dem undifferenzierten Keim hervorzulocken“.20 Und diese Wege gründen eben auf der allumfassenden Planmäßigkeit. An diesem Punkt wird deutlich, dass Uexküll Biologe war und kein Anthropologe. Als bedeutender Wegbereiter der Philosophischen Anthropologie ist er aus dieser trotzdem nicht wegzudenken. Hätte Uexküll es gewagt, in seinen Überlegungen zum Mensch-Umwelt-Verhältnis ein wenig weiter über die Grenzen seiner Umweltlehre zu blicken, hätte er nicht nur als Wegbereiter, sondern auch als Begründer der Philosophischen Anthropologie gelten dürfen. Seine kulturkritischen Überlegungen hätten ihm dabei einen systematischen Ausgangspunkt für die Erkenntnis eines qualitativen Unterschieds zwischen Mensch und Tier bieten können. Uexkülls nachhaltige Errungenschaften (nicht nur) für die Biologie – insbesondere sein erkenntnistheoretisch begründeter Subjektivismus in der Beschreibung artspezifischer Umwelten, mit dem er sich explizit gegen das Objektivitätsdiktum der Evolutionsbiologie richtet – sind mit der kurzschlüssigen Anwendung der Umweltlehre auf den Menschen an einen wichtigen Punkt gekommen. Denn diese widersprüchliche Überdehnung hat die Konsequenz, dass – gerade weil diese Lehre zum Verständnis der tierischen Umwelten einen großen Beitrag in der Biologie geleistet hat – Uexkülls eigene Nivellierung der sowohl graduell als auch prinzipiell differierenden Lebewesen abgewehrt werden muss. Umwelt, begriffen als spezifische Form des Bezugs, die ein Tier zu seinem Umfeld realisiert, ist nicht gleichzusetzen mit dem menschlichen Bezug zum Umfeld. Gerade anhand dieser Differenz lässt sich das spezifisch Menschliche hervorheben. Dazu muss die spezifische Bedeutung des Umweltbegriffs bei Uexküll aber erhal19 Ebd. 160. 20 Ebd. 160.

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ten bleiben. Nicht ohne Grund sind es insbesondere die Vertreter der Philosophischen Anthropologie, die, wie Portmann betont, „Uexkülls eigenste Leistung gegen seinen temperamentvollen Durchbruchsversuch“21 zu verteidigen suchen. Sie verteidigen Uexküll, da er mit seiner Umweltlehre einen systematischen Anknüpfungspunkt für Konzeptionen der Philosophischen Anthropologie geschaffen hat. Gerade weil Uexkülls Lehre von den tierischen Umwelten ein hohes Maß an Plausibilität besitzt, die er aufgrund der Verknüpfung von biologischen und philosophischen Erkenntnissen erlangt, ohne dabei das Lebendige in atomistische Teilchen zu zerlegen oder den Gesetzmäßigkeiten der Kausalität nach Darwins Evolutionstheorie zu unterwerfen, liefert sie überzeugende Einsichten für die Philosophische Anthropologie. In Abgrenzung zu diesen Erkenntnissen Uexkülls, die sich auf die tierische Lebensform beziehen, und insofern zugleich auch an diese anknüpfend, konnten die Vertreter der Philosophischen Anthropologie die spezifisch menschliche Weise des Umfeldbezugs ausmachen. Seinen epistemologischen Ort hat das menschliche Leben damit nicht in der zoologischen Biologie, sondern in der Anthropologie bzw. – vor dem Hintergrund der vorliegenden Untersuchung – in der Philosophischen Anthropologie. Nichtsdestotrotz wird in Uexkülls Umweltlehre das philosophische Nachdenken über die Formen des Lebendigen als sinnhaftes Vollzugsgeschehen sichtbar und erklärt die eingangs erwähnte Notwendigkeit, für die Entwicklung einer phänomenologisch-hermeneutisch intendierten Perspektive in der Umweltsoziologie den Weg über Uexkülls Biologie zu gehen. 21 A. Portmann: Ein Wegbereiter der neuen Biologie, a.a.O. [Anm. 93] XIV. Portmanns Kritik an Uexkülls Biologie betrifft darüber hinaus insbesondere die naturphilosophische Begründung seiner Umweltlehre, die sich auf den teleologischen Begriff der Planmäßigkeit verkürzen lässt. Er selbst entdeckt darin mehr Verklärung als Erklärung, mehr Ausdruck des Rätsels des Lebens als seine Lösung: „In der Bezeichnung, etwas sei ‚planmäßig‘, erhält dies Etwas damit eine Eigenschaft, ein Prädikat, und es wird dadurch der Eindruck erweckt, daß damit etwas geklärt und erklärt sei. In Wirklichkeit spricht dieses Wort das große dunkle Rätsel aus, gerade das Unverstandene – dasselbe Rätsel, das wir auch mit dem Wort ‚Leben‘ wohl nennen, aber nicht erklären. […] Wir sehen heute deutlicher, daß wir die Rätselhaftigkeit des uns als Problem gegebenen Lebendigen nicht mit einem Wort verhüllen dürfen, das ein Prädikat vortäuscht“ (ebd. XX). Portmann spricht hier 1956 etwas an, das mit Plessner seine systematische Begründung bereits 1928 gefunden hatte: die Unergründlichkeit des Lebens. Um diese als konstitutives Moment im menschlichen Leben zu verstehen und gegen jegliche Verklärung zu immunisieren, bedurfte es für Plessner allerdings keines holistischen Naturbegriffs, sondern ihrer hermeneutisch-phänomenologischen Beschreibung (vgl. dazu Kapitel 4 dieser Arbeit).

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Die intensive Rezeption Uexkülls seitens der Philosophie22 verdeutlicht, dass die Uexküll’sche Umweltlehre trotz ihrer Nichtübertragbarkeit auf den Menschen ein Tableau an biophilosophischen Überlegungen bietet, das, wenngleich nicht für eine philosophisch-anthropologische Grundlegung, dennoch für die Eröffnung einer solchen geeignet scheint. Aus einer konstruktiven Kritik an der Uexküll’schen Umweltlehre, wie Plessner eine solche formuliert, kann die spezifisch menschliche Situation in ihrer Teilhaftigkeit an ‚Natur‘ für die Umweltsoziologie auf neuen Wegen erschlossen werden. So wird bspw. in Uexkülls neunzehntem Grundsatz der Biologie die Möglichkeit eines phänomenologischen Anschlusses deutlich: „Die Erscheinungswelt eines jeden Menschen gleicht ebenfalls einem festen Gehäuse, das ihn von seiner Geburt bis zum Tode dauernd umschließt“.23 Für Uexküll hat nicht nur das Tier, sondern auch der Mensch in seinem Umfeldbezug eine feste Stellung inne – als Beleg dafür führt Uexküll u.a. die Existenz der magischen Umwelten an. Dass der menschliche Bezug zu seinem Umfeld trotz subjektiver Wahrnehmung zugleich aber ein nichtfestgestellter und insofern kein umweltgebundener ist, hat die Philosophische Anthropologie eindrucksvoll herausgearbeitet und wird im dritten Kapitel dieser Arbeit mit Plessners Ansatz gezeigt. In dem nun anschließenden Vergleich der beiden diskutierten Umweltbegriffe wird zunächst jedoch ein resümierender Blick auf die bisherigen Ergebnisse der in dieser Arbeit vollzogenen ‚Umweltforschung‘ gegeben, um aufbauend auf diesen Ergebnissen das systematische 22 Eine der jüngsten Publikationen zu Uexküll setzt sich intensiv mit dem Einfluss Uexkülls auf die Philosophie Heideggers, die Phänomenologie Maurice Merleau-Pontys und den Poststrukturalismus von Gilles Deleuze auseinander (vgl. Brett Buchanan: Onto-Ethologies. The Animal Environments of Uexküll, Heidegger, Merleau-Ponty and Deleuze (New York 2008). Darüber hinaus listet Buchanan weitere namhafte Vertreter der Philosophie auf, die von Uexkülls Umweltlehre in ihrem Denken beeinflusst wurden: Cassirer, Hans-Georg Gadamer, José Ortega y Gasset, Jaques Lacan und Gorgio Agamben (vgl. ebd. 3.). Letzterer widmet Uexküll in dem 2002 in italienischer Originalausgabe erschienenen politisch-anthropologischen Essay Das Offene. Der Mensch und das Tier Aufmerksamkeit, denn Uexkülls Einfluss auf Heideggers Denken ist „einschneidender, als es Heidegger selbst erkennt“ (Gorgio Agamben: Das Offene. Der Mensch und das Tier (Frankfurt a.M. 2003) 59; zum Einfluss Uexkülls auf die Philosophische Anthropologie vgl. zudem exemplarisch: R. Langthaler: Organismus und Umwelt, a.a.O. [Anm. 128] sowie C. Helbach: Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls, a.a.O. [Anm. 114]). 23 [Hervorhebung KB] Jakob von Uexküll: Der Beobachter. In: Ders.: Kompositionslehre der Natur. Biologie als undogmatische Wissenschaft. Ausgewählte Schriften (Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1980) 278-282, 282.

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Problem der Umweltsoziologie in einem nächsten Schritt noch einmal diffiziler fassen zu können. 2.2.5 Die Umweltbegriffe im Verhältnis zueinander In diesem sowohl resümierenden als auch vorausblickenden Abschnitt sollen die zwei unterschiedlichen Bedeutungen des Umweltbegriffs noch einmal zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, um anhand ihrer Differenz das spezifisch anthropologische Problem innerhalb der umweltsoziologischen Systematik zuspitzen zu können. Uexküll, der zunächst mehr als wissenschaftlicher Außenseiter denn als Pionier galt, gab dem Umweltbegriff eine bis dahin unbekannte Bedeutung. Zwischen der Skylla der mechanistisch-naturalistischen Naturwissenschaften und der Charybdis der evolutionstheoretischen Ökologie entwickelte Uexküll eine Biologie, die jenseits von welterklärenden Objektivitätsansprüchen und der Fragmentierung des Lebendigen steht und ihr Fundament in der Kantischen Erkenntnisphilosophie des Subjekts sowie einer vitalistischen Auffassung des Lebendigen als planmäßiges Prinzip hat. Das erkenntnistheoretische Resultat dieser Biologie ist seine Umweltlehre, um mit dieser die Subjektivität von Wirklichkeit und die planmäßige Einpassung des Lebendigen in die Natur zu beweisen.1 In

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Ein häufiger Kritikpunkt seitens der ökologischen Biologie an Uexkülls Umweltkonzept ist, dass dieser kaum die anorganischen Elemente wie Luft, Wasser etc., die für das tierische Subjekt existenziell und somit auch Teil der objektiv gegebenen „Umwelt“ sind, berücksichtigt habe. Zu nennen ist hier bspw. die Kritik August Thienemanns, der in expliziter Abgrenzung zu Uexküll „Umwelt“ als den objektiv erfassbaren Lebensraum des Tieres fasst und damit direkt in der Haeckel’schen Tradition steht: „,Umwelt‘ fassen wir hier nicht in dem engen Sinn v. Uexkülls sondern als den Komplex der Beziehungen einer Lebenseinheit zu ihrer Umgebung oder gelegentlich auch nur – enger – als den Komplex der Lebensbedingungen für eine bestimmte Lebenseinheit an einer bestimmten Lebensstätte“ (August Thienemann: Leben und Umwelt. Vom Gesamthaushalt der Natur (Hamburg 1956) 8). Die Uexküll’sche Umwelt, begriffen als ‚kleine‘ Repräsentation der großen Naturpartitur, enthält entgegen Thienemanns Kritik jedoch sehr wohl die kontrapunktischen Beziehungen zwischen Tier und jenen existenziellen Elementen der Lebensbedingungen: „[A]uch die leblose Natur ist in diese Partitur mit inbegriffen, die sich uns in der Beziehung vom Flügel des Vogels zu Luft und Wind und in der Beziehung von der Flosse des Fisches zu Wasser und Strömung ohne weiteres aufdrängt“ (Jakob von Uexküll: Biologie oder Physiologie (1933). In: Ders.: Kompositionslehre der Natur. Biologie als undogmatische Wis-

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dieser (gewissermaßen phänomenologisch-hermeneutisch) intendierten Bedeutungslehre, deren Kernstück der Funktionskreis von Wahrnehmung und Verhalten ist, konnte Uexküll zeigen, dass die Umwelt eines Tieres nicht aus allen Dingen seiner Umgebung besteht, sondern ausschließlich mit Objekten gefüllt ist, die einen spezifischen Bedeutungston für das Tier tragen und es deswegen mittels seiner Sinnesorgane in einer Wechselbeziehung (Merken und Wirken) mit diesen Objekten lebt. D.h. dass eine Umwelt nur die Objekte beinhaltet, die für das Subjekt eine spezifische Bedeutung tragen und ihre Einheit insofern eine vollkommen subjektive Wirklichkeit konstruiert.2 Dass es sich bei Uexkülls Umwelt nicht um einen objektiv erfassbaren Ausschnitt aus einer materialistisch begriffenen Natur handelt, sondern um eine Form, die der Beschreibung des tierischen Umfeldbezugs dient, wobei mit dem Um bei Umwelt die Subjektivität des Bezugs und insofern dessen Geschlossenheit festgehalten wird, wurde in der naturalistisch-ökologisch orientierten Nachfolge der Biologie ausgeblendet. In dieser Nachfolge steht jedoch nicht nur der gegenwärtige „Umweltbegriff“ der Biologie, sondern auch der der gegenwärtigen Umweltsoziologie. Entsprechend legt sie den Fokus innerhalb der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur auf den stofflichen Austauschprozess sowie dessen gesellschaftliche Bedingungen und macht ihn als treibende Kraft konstatierter und fortschreitender Asymmetrien im Verhältnis zur Natur aus. Davon zeugt nicht zuletzt die stark vertretene Nachhaltigkeitsdebatte. Die unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der jeweiligen Umweltkonzeptionen haben zur Folge, dass mit dem Begriff einerseits ein senschaft. Ausgewählte Schriften (Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1980) 122-129, 125). Thienemanns Kritik ist somit verfehlt, da er durch seine ökologische Sicht auf die „Umwelt“ Uexkülls biophilosophische Leistung, die lebensformmäßige Stellung des Tieres zu seinem Umfeld zu verdeutlichen, übersieht und statt dessen den ökologischnaturalistischen Blick reproduziert, den Uexküll mit seiner Umweltlehre gerade überwinden wollte. 2

In der konstruktivistischen Soziologie griff bspw. Luhmann diese Einsicht Uexkülls auf. Systemtheoretisch betrachtet, konstituiert sich die Geschlossenheit eines Systems gegenüber anderen Systemen durch den jeweiligen funktionalen Sinn eines Systems, den es nicht mit anderen Systemen teilt, so dass auch Luhmann dieses Umweltkonzept von dem eines objektiv begriffenen unterschieden wissen will: „Jakob von Uexküll hat im Übrigen schon sehr früh in der Biologie bewusst gemacht, dass die Umwelt eines Tieres nicht das ist, was wir als Milieu, als Umgebung beschreiben würden. Wir können mehr oder andere Dinge, vielleicht auch weniger, sehen, als ein Tier wahrnehmen und verarbeiten kann. Diese beiden Umweltbegriffe sind also zu unterscheiden“ (Niklas Luhmann: Einführung, a.a.O. [Anm. 47] 80).

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objektiv gegebener Ausschnitt in der äußeren Natur und andererseits das subjektivistische Bezogensein eines tierischen Lebewesens auf sein Umfeld beschrieben wird. Damit liegt mit dem Begriff Umwelt eine Äquivokation vor, die zwei verschiedene Sachverhalte beschreibt. Angesichts dieser Feststellung lässt sich nun die These formulieren, dass mit der Fokussierung auf den Umweltbegriff als solchem nicht nur explizit jenes ökologische Verständnis von „Umwelt“ Eingang in die Umweltsoziologie gefunden hat, sondern implizit auch das Verständnis von Umwelt im Uexküll’schen Sinne. So kann beispielsweise in konstruktivistischen Ansätzen, in denen es um die konkrete Erfassung des Subjekt-„Umwelt“Verhältnisses geht, Uexkülls Umweltlehre als unausgewiesene anthropologische Voraussetzung offen gelegt werden. Denn die Umweltsoziologie hat sich die Analyse eines Verhältnisses vorgenommen, das als Mensch-Natur-Verhältnis auch am vergesellschafteten Subjekt sichtbar werden muss. Dies wird insbesondere vor dem Hintergrund des umweltsoziologischen Problems der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ diskutiert. In der Bearbeitung dieses Problems dreht sich das Erkenntnisinteresse stets um die Beantwortung der Frage, wie das Objekt „Umwelt“ eine subjektive Bedeutung innerhalb individueller Lebensentwürfe erlangen kann, so dass die „Umwelt“ im Verhältnis von „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ tatsächlich eine handlungsrelevante Bedeutung trägt. Systematisch ergibt sich dabei folgende Schwierigkeit: Die Konzeptionen der Verhältnisform, die das Subjekt zum Objekt „Umwelt“ realisiert, gründen auf anthropologischen Annahmen, die dabei entweder in der Linie von Uexkülls Biologie oder in der der Ökologie stehen, wodurch die Art und Weise, wie über das „Umweltverhältnis“ auf subjektiver Ebene nachgedacht wird, von reduktiven Bestimmungen geleitet ist. Aus diesen Überlegungen ergibt sich folgende Annahme: Die Positionen, die bereits vor 100 Jahren in der Biologie von Ökologie und Umweltlehre eingenommen wurden, finden sich auch heute noch in der umweltsoziologischen Betrachtung der Subjektebene mit den Positionen Realismus und Konstruktivismus wieder. Deutlicher noch: die biologischen Bestimmungen des LebewesenUmfeld-Verhältnisses liegen der Umweltsoziologie als erklärende Annahmen axiomatisch zugrunde. Dadurch können zwar biologische und soziologische Erkenntnisansprüche funktional identisch behandelt werden, offen bleibt dabei jedoch die Frage, ob erstens diese Übertragung in anthropologischer Hinsicht plausibel ist und zweitens, inwiefern diese Übertragung überhaupt hilfreich sein kann, die konstatierte Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ zu erklären, geschweige denn zu überwinden. Nimmt man Uexkülls Umweltbegriff als tierische Bezugsform ernst sowie die bereits angedeutete Kritik der Philosophischen Anthropologie an dem Versuch Uexkülls, die Umwelt-

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lehre auf den Menschen anzuwenden, dann ist das Reden vom menschlichen Leben in „Umwelt“- oder Umweltverhältnissen nicht mehr selbstverständlich. Dennoch gibt es in verschiedenen umweltsoziologischen Ansätzen den expliziten Versuch, das Leben in „Umwelt“- oder Umweltverhältnissen anthropologisch zu erklären. So baut etwa die Rational-Choice-Theorie auf evolutionstheoretischen Annahmen in diesem Verhältnis auf. Die Lebensstilsoziologie hingegen geht von einer kognitiv bedingten Subjektivität von Wirklichkeit als anthropologische Voraussetzung aus. Im folgenden Unterkapitel soll anhand der umweltsoziologischen Debatte um die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ diese eigentümliche Situation, die mit dem Umweltbegriff als solchem systematisch entsteht, expliziert werden. Anhand der „Umweltbewusstseinsthematik“ – in ihrer jeweiligen Bearbeitung in der Rational-Choice-Theorie (RCT) sowie im lebensstilorientierten Ansatz – lässt sich leicht demonstrieren, inwiefern darin biologische Annahmen als anthropologische Erklärungen zum Tragen kommen und inwiefern diese die reduktive Annahme vom menschlichen Leben in „Umwelt“bzw. Umweltverhältnissen legitimieren. Die Naturalisierung bestimmter Eigenschaften des Menschen, wie bspw. die einer evolutionstheoretisch bzw. kognitivsubjektivistisch bedingten Myopia,3 wird in diesen Ansätzen zur Erklärung des ausbleibenden „Umwelthandelns“ stilisiert. Dadurch läuft die Argumentation nicht zuletzt auch Gefahr, sozial- und kulturkritische Ansätze innerhalb der geführten „Umweltdebatte“ obsolet werden zu lassen, da „Umwelthandeln“ schlicht als nicht der Natur des Menschen entsprechend ausgegeben wird. Um diese Leerstelle schließen zu können, ist es unumgänglich, diejenigen ‚blinden Flecke‘ der Umweltsoziologie aufzuzeigen, deren Erhellung die Entwicklung eines anthropologischen Fundaments erlaubt, das auch die Möglichkeit kulturkritischer Perspektiven wieder eröffnet. Der Nachweis der verwendeten biologischen Grundlagen auf der Subjektebene sowie deren reduktive Begründungsfunktion werden im Folgenden deutlich machen, dass der Umweltsoziologie eine anthropologische Fundierung fehlt, die es ermöglicht, den menschlichen Umfeldbezug der Form nach jenseits eines Lebens in bloßen „Umwelt“- bzw. Umweltverhältnissen zu begründen. Diese 3

Roman Meinhold verweist in seinem Beitrag zur Nachhaltigkeitsdebatte auf den Begriff myopisch, der im übertragenen Sinn auch die Bedeutung des kurzsichtigen Handelns trägt. Obwohl er dadurch eine anthropologisch interessante Konsequenz hinsichtlich einer reduktiven Bestimmung menschlichen Verhaltens ziehen könnte, bleibt auch er ihr verhaftet (vgl. Roman Meinhold: Lifestyle und Selbstverwirklichung auf dem Weg zur Nachhaltigkeit? In: AWT-Info (Weingarten 2001), no. 20, 110-125, 111).

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Fundierung wird im dritten Kapitel mit Plessners Philosophischer Anthropologie nachgeholt, da mit dieser die Frage nach dem Objekt „Umwelt“ bzw. die Frage nach dessen subjektiver Bedeutsamkeit aus einer Perspektive angegangen werden kann, in der der Mensch als Mensch in Weltverhältnissen lebt. Auf der Grundlage dieser Annahme wird es dann möglich sein, eine phänomenologischhermeneutisch intendierte Perspektive zu eröffnen, in der die Wirklichkeitsbedingungen aktueller Weltverhältnisse danach befragt werden können, inwiefern sich diese in den realisierten Selbst-Welt-Beziehungen niederschlagen. Denn es sind die Realisierungsweisen, in denen zum Ausdruck kommt, dass die Beziehung zur „Umwelt“ respektive zur Natur als eine dichotome, instrumentelle oder auch pathologische erlebt wird. Mit anderen Worten: Plessners Anthropologie eröffnet eine Perspektive auf umweltsoziologische Problemstellungen, die in dieser Form noch keinen Eingang in die Umweltsoziologie gefunden hat. Diese ermöglicht es zudem, von dem Subjektfokus Abstand nehmen zu können und das menschliche Leben in Weltverhältnissen als gleichursprünglich-konstitutive Selbst-Welt-Beziehung sichtbar zu machen. Sowohl die Annahme einer naturalisierten Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt als auch die Bemühungen diese zu überwinden, stellen sich mit Plessner gar nicht erst ein. Inwiefern diese Dichotomie aktuell noch immer einen starken Einfluss auf die umweltsoziologische Systematik hat, zeigt die nachstehende Untersuchung.

2.3 E IN

ALTER BIOLOGISCHER D ISKURS IN NEUEM UMWELTSOZIOLOGISCHEN G EWAND

Anschließend an die Überlegungen des letzten Abschnitts wird im Folgenden aufgezeigt, inwiefern mittels biologischer Argumente im RC- sowie im lebensstilsoziologischen Ansatz in der Umweltsoziologie jeweils das dem Subjekt aufgrund seines Menschseins mögliche Verhältnis zur „Umwelt“ beschrieben und begründet wird. Dadurch wird zudem sichtbar, dass die Positionen, die RCT und Lebensstilsoziologie in der Umweltsoziologie einnehmen, analog zu den Positionen sind, die Ökologie und Umweltlehre in der Biologie einnehmen, wodurch Umweltsoziologie und Biologie in einem spezifischen Begründungsverhältnis zueinander stehen. D.h. es wird nicht behauptet, dass die RCT identisch mit der Ökologie sei und die Lebensstilsoziologie mit der Umweltlehre Uexkülls. Was behauptet wird, ist, dass sie aufgrund gleicher Voraussetzungen analoge Positionen einnehmen und insofern die jeweiligen biologischen Erkenntnisse als Axiome in den jeweiligen umweltsoziologischen Positionen Eingang gefunden haben. Erkenntnistheoretisch lässt sich diese ‚Verwandtschaft‘ in den Voraussetzungen

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dabei folgendermaßen pointieren: Ökologie und RCT besetzen realistische Positionen, wobei sie ihre Erkenntnisse auf einem Objektivismus aufbauen. Umweltlehre und Lebensstilsoziologie hingegen besetzen konstruktivistische Positionen, wobei sie ihre Erkenntnisse auf einem Subjektivismus aufbauen. Es wird weiterhin die These leitend sein, dass der Grund für dieses spezifische Verhältnis zwischen den jeweiligen eingenommenen Positionen im Umweltbegriff liegt. Denn das Festhalten an diesem Begriff in allen Positionen führt dazu, dass das in den biologischen Theorien jeweils unterschiedlich konzipierte Leben in „Umwelt“- bzw. Umweltverhältnissen auf der umweltsoziologischen Mikroebene – einerseits innerhalb der RCT und andererseits innerhalb der Lebensstilsoziologie – eine Begründungsfunktion für die jeweilige Konzipierung des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses erfüllen. Kann diese These im Folgenden bestätigt werden, wird just an diesem Punkt deutlich, warum die Umweltsoziologie den Weltbegriff braucht: Die Einführung des Weltbegriffs erlaubt es, eine Einstellung sichtbar zu machen, in der das menschliche Leben nicht als ein Verhältnis des Gegenüber gedacht wird, das sich durch die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt auszeichnet, d.h. von dieser sowohl gewährleistet als auch aufrechtgehalten wird. Vielmehr kann das menschliche Leben durch den Weltbegriff als ein Leben in Weltverhältnissen sichtbar werden, das sich durch die Gleichursprünglichkeit von Selbst und Welt auszeichnet. Dadurch eröffnet sich für die Umweltsoziologie die Möglichkeit ihre eigenen Voraussetzungen danach zu befragen, ob sie das menschliche Leben systematisch verständlich machen können, und in der Folge Ansätze zuzulassen, die sich auf den Welt- statt auf den Umweltbegriff einlassen. In der zeitgenössischen Debatte um die Überwindung der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ bieten RCT und Lebensstilsoziologie unterschiedliche Ansätze an, die – und darin analog der Positionen in der biologischen Debatte – unterschiedliche Begründungen für denselben Sachverhalt bereitstellen. Zudem hat das damalige Kräfteverhältnis zwischen Ökologie und Umweltlehre auch heute noch Bestand. Das naturalistisch-objektivistische Weltbild bleibt auch aktuell das erfolgreichere und kann in diesem Kontext als die fundamentale Voraussetzung von RC-Ansätzen ausgewiesen werden. Analog zur Position der Uexküll’schen Umweltlehre nimmt daher die konstruktivistisch einzuordnende Lebensstilsoziologie eine Gegenposition zur evolutionstheoretisch geprägten RCT ein. Diese Feststellung wirft für die in diesem Kapitel verfolgte Betrachtung folgende Fragen auf: Welche Annahmen sind es, die dazu führen, dass zwischen den jeweils analog eingenommenen Positionen von Ökologie und RCT und von Umweltlehre und Lebensstilsoziologie ein Begründungsverhältnis besteht? Inwiefern ist dies dem Umweltbegriff geschuldet? Und

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welche systematischen Probleme handelt sich die Umweltsoziologie durch diese anthropologischen Annahmen als erklärende Axiome in der Bestimmung der Subjektebene ein? 2.3.1 Die Positionen von Rational-Choice-Theorie und Lebensstilsoziologie Um die These vom Begründungsverhältnis zwischen Biologie und Umweltsoziologie beweisen zu können, werden im Folgenden zunächst die Positionen der Rational-Choice-Theorie und der Lebensstilsoziologie innerhalb der Umweltsoziologie aufgezeigt. Dadurch wird ersichtlich, inwiefern diese die gleichen Voraussetzungen, wie die jeweiligen biologischen Positionen, haben. Insofern dieses Analogieverhältnis mit dem Umweltbegriff einhergeht, kann im Anschluss gezeigt werden, dass die jeweilige Disziplin in der jeweiligen Debatte hinsichtlich der Begründung von Umweltverhältnissen gleich argumentiert. In diesen Begründungen werden schließlich die erklärenden Annahmen sichtbar, die in die Umweltsoziologie als biologische Tatsachen eingehen. Als diese (re)produzieren sie in Form von Anthropologismen die jeweilig reduktiven Bestimmungen des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses und machen insofern die Dringlichkeit der Einführung des Weltbegriffs deutlich. 2.3.1.1 Die Position der Rational-Choice-Theorie In seinem Aufsatz Conditio humana – Überfordert umweltgerechtes Verhalten den Homo sapiens? schreibt der Sozialwissenschaftler Sven Leunig: „Will man die Gründe für das […] wenig umweltschonende Verhalten des Menschen erkennen, erscheint es sinnvoll, nach den generellen Orientierungen menschlichen Handelns zu fragen. Ich gehe dabei davon aus, dass der Mensch sich grundsätzlich zweckrational verhält, das heißt, sein Handeln dient einer individuell definierten Zielerreichung. Dieses Ziel ist mit einem ebenfalls individuell bewerteten Nutzen verbunden“.1 Leunig greift in seinem Aufsatz zu den evolutionstheore1

[Hervorhebungen KB] Sven Leunig: Conditio humana – Überfordert umweltgerechtes Verhalten den Homo sapiens? In: Umweltverhalten in Geschichte und Gegenwart – Vergleichende Ansätze, hg. von Thomas Knopf (Tübingen 2008) 316). Bereits der Titel zeigt an, dass in Leunigs Aufsatz die Conditio humana auf biologische Sachverhalte, die am Homo sapiens beobachtbar sind, reduziert wird. Eine Interpretation der Lebensform Mensch, die über das evolutionstheoretische Wissen von der Gattung Mensch hinausgeht, wird damit von vornherein ausgeschlossen. Ein biophilosophischer Zugriff auf das Lebewesen Mensch, wie dieser in Uexkülls Umweltlehre – insofern diese eine Bedeutungslehre ist – angedeutet ist, ist in der Leunig‘schen Herange-

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tisch begründeten Determinanten der menschlichen Möglichkeit „umweltgerechten“ Handelns auf die schon erwähnte RCT zurück, die sich innerhalb der Soziologie als methodologischer Individualismus positioniert. Das bedeutet, dass diese Theorie als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen stets das handelnde Subjekt setzt. Die Grundannahme, auf der die RCT dabei aufbaut, ist schnell formuliert: Jedes Individuum entscheidet sich für die Handlung, die für dieses den größten Nutzen bringt.2 Diese Annahme vorausgesetzt, ist das Ziel dieses methodologischen Individualismus über die Festlegung formaler Entscheidungsregeln spezifische Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, die erklären, warum Subjekte aus Handlungsalternativen eine bestimmte selektieren und diese Handlung vollziehen.3 Dieser Anspruch erfordert dabei die Zusatzannahme, dass die Handlungssituationen, in denen sich Subjekte entscheiden, objektiv einsehbare sind. Ein aushensweise an die Conditio humana systematisch kaum möglich, da seine Argumentation auf dem evolutionstheoretisch begründeten Faktum der Kosten-NutzenMaximierung aufbaut und die Sichtweise auf den Menschen dadurch wesentlich beschränkt wird. 2

Trotz der intensiven Weiterentwicklung des RC-Ansatzes – vom Ansetzen beim engen Modell des Homo oeconomicus über das sogenannte RREEMM-Modell bis hin zum Framing-Modell – ist diesem im Kern das Prinzip der Nutzenmaximierung als primäre Entscheidungsregel erhalten geblieben, wie Jochen Mayerl jüngst aufgezeigt hat. So stellt Mayerl in Reflexion über den Zusammenhang von Menschenbild und RCT fest, dass das aktuelle Framing-Modell „erstaunlich ,klassisch‘ bei der Modellierung seiner formalen Entscheidungsregel der Modus-Selektion [verfährt]: es ist weiterhin das Prinzip der Nutzenmaximierung […]. Menschen ,sind‘ also auch in dieser weiten RC-Variante Maximierer, wenn auch ,raffinierte Maximierer‘, die häufig auch mit wenig Aufwand und wie automatisch zum Ziel kommen“ (Jochen Mayerl: Der Mensch in der analytisch-erklärenden soziologischen Handlungstheorie – Universelle Menschenbilder und ihre Implikationen. In: Der Mensch – nach Rücksprache mit der Soziologie, hg. von Michael Corsten/Michael Kauppert (Frankfurt a.M. 2013) 147176, 167). Trotz dieser Feststellung versäumt Mayerl es, den Grund dafür zu nennen. Die RCT gründet auf evolutionstheoretischen Prämissen, von denen das Maximierungsprinzip aufgrund seiner kausallogischen Erklärungskraft eine einfache Operationalisierbarkeit verspricht. Insofern mag es kaum verwundern, dass sich in der RCT das Bild vom Nutzenmaximierer als Axiom durchgesetzt hat. Diese Grundlegung hatte bereits Hartmut Esser, wie die folgenden Ausführungen des Haupttextes noch zeigen, in seiner sozialwissenschaftlichen RC-Variante vorgenommen (vgl. dazu grundlegend H. Esser: Soziologie, a.a.O. [Anm. 118]).

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Vgl. J. Mayerl: Der Mensch in der analytisch-erklärenden soziologischen Handlungstheorie, a.a.O. [Anm. 194] 148.

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schlaggebendes Positionskriterium der RCT ist somit die Annahme der Objektivität, die es dem soziologischen Beobachter ermöglicht, Handlungssituationen als solche einzusehen und aus diesen gesetzmäßige Erklärungen für Handlungen abzuleiten. In Anbetracht dieser deduktiv-nomologisch erklärenden Programmatik kann der Schluss gezogen werden, dass die Axiomatik, d.h. das Explanans, der RCT auf naturalistischen Prämissen gründet. Und insofern sie dies tut, begründet diese Axiomatik zudem die erkenntnistheoretische Position, welche die RCT in der Umweltsoziologie – ebenso wie in der Allgemeinen Soziologie – einnimmt. Folgt man der darin vorgenommenen Einteilung in realistische und konstruktivistische Ansätze, bekleidet die RCT eine realistische Position. Insbesondere die Ausführungen Hartmut Essers, der (zusammen mit James Coleman) als Begründer der soziologischen RC-Variante gilt,4 machen diese Position deutlich. Esser bedient sich in der Entfaltung seiner Theorie explizit der evolutionstheoretischen Logik und Terminologie, um die Grundannahme der rationalen Wahl durch erklärende anthropologische Konstanten, die auf biologisch beobachtbaren Tatsachen gründen, zu axiomatisieren.5 Generell geht er in soziolo4

Vgl. H. Rosa/D. Strecker/A. Kottmann: Soziologische Theorien, a.a.O. [Anm. 18] 239.

5

Neben der Dominanz des evolutionstheoretischen Bezugs in Essers handlungstheoretischem Ansatz lässt sich darüber hinaus auch ein starker Bezug zu Max Webers Handlungstheorie aufweisen, da Weber dem zweckrationalen Aspekt in Handlungen die höchste motivationale Kraft zuschreibt: „Max Weber macht […] einen deutlichen Vorschlag: Das Gesetz des Handelns ist die Regel der Orientierung an der ‚Evidenz‘ der ‚Verständlichkeit‘ des Handelns. Sie ergibt sich, wenn es ein ‚rational orientiertes Zweckhandeln‘ […] ist. […] Subjektiven Sinn gewinnt ein Tun also durch eine optimierende Auswahl zwischen verschiedenen Alternativen zur Verwirklichung hoch bewerteter Ziele bzw. Zwecke nach Maßgabe von Erwartungen über die Tauglichkeit bestimmter Mittel und über die Konsequenzen der verschiedenen denkbaren Alternativen. Das Prinzip der Handlungswahl nach den Regeln der Zweckrationalität ist das allgemeine Gesetz, das, zusammen mit den subjektiven Erwartungen und Bewertungen über Ziele und Mittel, das Handeln erklärt – und es dadurch gleichzeitig mit einer hohen ‚Evidenz‘ verständlich macht“ (Hartmut Esser: Soziologie. Spezielle Grundlagen. (Frankfurt a.M./New York 1999) 199). Bei genauerem Hinsehen lässt sich anhand dieses Zitats die Esser’sche Lesart Webers als von evolutionstheoretischen Implikationen durchdrungen beschreiben, die Esser explizit zur Begründung seiner Theorie der rationalen Wahl heranzieht (vgl. H. Esser: Soziologie, a.a.O. [Anm. 118] 222ff.). Auch wenn der Evolution selbst kein zweckrationaler Sinn zu unterstellen ist, wie er von Weber für Handlungen unterstellt wird, ist es gleichwohl möglich, die Re-

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gischer Hinsicht zunächst einmal davon aus, dass sich „[d]ie Logik des Vorgangs der Evolution […] auch auf die Entwicklung nicht-biologischer Organsimen, Programme oder Systeme anwenden [lasse]“, wodurch „auch die Entwicklung sozialer Systeme und die von Gesellschaften als eine solche Evolution“6 verständlich werde. Da in einem methodologischen Individualismus die Bedingung der Entwicklung von sozialen Systemen das menschliche Individuum ist, muss auch Essers Soziologie auf einer Axiomatik gründen, der eine Vorstellung vom Menschen inhärent und die in diesem Fall, wie das Zitat zeigt, eine evolutionstheoretisch begründete ist. Der RCT-Vertreter Jochen Mayerl fasst dieses anthropologische Problem wie folgt zusammen: „,Der Mensch‘ ist demnach nicht nur Träger der Letztelemente einer jeden soziologischen Erklärung [...], sondern auch der Bedingungen, die letztlich zu Handlungsentscheidungen führen“.7 Und diese Bedingungen, die bestimmen, inwiefern der Mensch auf sein Umfeld bezogen ist, sind mit Esser evolutionstheoretisch festgeschrieben. Ausgehend von der neodarwinistischen Annahme, dass die Gene die Träger der Evolution sind,8 deren kausallogische Entwicklung als Prozesse der Mutation und Selektion abläuft, wodurch sie für eine allmähliche Anpassung des Organismus an seine „Umwelt“ sorgen, vertritt Esser zudem die These, dass menschliches Lernen und die Bildung von Wissen auf die gleiche Weise funktionieren. Daraus folge, dass sich die kulturelle Entwicklung analog zur biologischen Evolution verhalte. Die Motivationen individueller Praxis entstehen nach Esser somit aus evolutionstheoretischer Perspektive vor dem Hintergrund grundlegender Imperative des Lebens, die einer ursprünglichen Knappheit natürlicher Ressourcen innerhalb der gegebenen „Umwelt“ geschuldet seien: 1. die Beschaffung von produktion eines Organismus bspw. durch Brutpflege aus einer anthropozentrischen Perspektive heraus trotzdem als sinnvoll zu betrachten und daher auch mit Webers Zweckrationalität im Sinne eines Analogieschlusses verknüpft werden. 6 7

H. Esser: Soziologie, a.a.O. [Anm. 118] 185. J. Mayerl: Der Mensch in der analytisch-erklärenden soziologischen Handlungstheorie, a.a.O. [Anm. 194] 147.

8

Neueste Befunde in der Genetik stellen, laut Christian Illies, diese Überzeugung mittlerweile infrage, so dass aus diesen Befunden ein Paradigmenwechsel folgen könnte, dessen praktische Konsequenzen nicht abzusehen wären: „Statt Gene als Blaupause für Strukturen zu betrachten, die lediglich abgelesen werden, geht man zunehmend von einer Steuerung, jedenfalls Auswahl der aktivierten Gene durch den Organismus selbst aus. Das neue Verständnis ist ein komplexes Wechselspiel zwischen Organismen und Genen“ (Christian Illies: Biologie statt Philosophie? In: Evolution in Natur und Kultur, hg. von Volker Gerhardt/Julian Nida-Rümelin (Berlin/New York 2010) 15-38, 30).

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Ressourcen und 2. die Konkurrenz darum.9 D.h. dass die Anpassung an die stetige Knappheit bereits auf biogenetischer Ebene den berühmten Kampf ums Dasein zur Folge hat, der sich in den Prozessen der Selektion und Mutation zeigt.10 Insofern dabei diejenigen Mutationen als erfolgreichste betrachtet werden, die zu einer Anpassung an die ‚Lebensimperative‘ führen, ergibt sich daraus in der Übertragung dieser evolutionstheoretischen Logik auf die Theorie der rationalen Wahl für die Erklärung von Handlungsmotivationen das Grundprinzip der Nutzenmaximierung (bei möglichst geringen Kosten). Und weil auf der evolutionstheoretischen Ebene diesem Prinzip das Gesetz der natürlichen Selektion inhärent ist, ist mit Esser folglich auch in der RCT dieses Prinzip der Selektionsmodus, nach dem das Subjekt die Entscheidung zwischen verschiedenen Handlungsalternativen trifft. In dieser evolutionstheoretisch begründeten Funktionalität menschlichen Handelns zeigt sich die Affinität zu biologistischen Erklärungen in Essers Ansatz.11 Auch die Kulturfähigkeit des Menschen, die Esser eo ipso als Ergebnis 9

Vgl. H. Esser: Soziologie, a.a.O. [Anm. 118] 186.

10 Esser macht an dieser Stelle darauf aufmerksam, dass der Darwin’sche Kampf ums Dasein nicht als Kampf zwischen den einzelnen Organismen vorgestellt werden darf, sondern als Prozess der Durchsetzung erfolgreicher Gene gegenüber weniger erfolgreichen Genen, dessen Resultat die allmähliche Anpassung eines Organismus an seine „Umwelt“ in Abhängigkeit zu deren Bedingungen ist (vgl. ebd. 195). Diese asymmetrische Abhängigkeit des Organismus von den objektiven „Umweltbedingungen“ ist eine der Prämissen, gegen die sich Uexküll mit seiner Umweltlehre stellt. Nicht die „Umweltbedingungen“ konstituieren allmählich die Gestalt des Organismus, sondern der Organismus konstituiert gemeinsam mit den Objekten, die eine Funktion für ihn haben – insofern ist er von diesen abhängig –, die Umwelt des Tieres. Am Beispiel einer Libelle illustriert Uexküll dieses Umweltverhältnis in Abgrenzung zum „umweltbedingten“ Kampf ums Dasein folgendermaßen: „So ist die Libelle trotz ihrer Unabhängigkeit doch wiederum in ihre Umwelt eingehängt, […]. Gewiß ist sie im Verlauf ihres Lebens völlig von dieser Umwelt abhängig. Aber ihre Umwelt ist wiederum bis in alle Einzelheiten ihr eigenes Werk. So gleicht ihr Dasein durchaus nicht einer Knechtschaft, welche ihr der sogenannte Kampf ums Dasein aufzwingt, sondern vielmehr dem freien Wohnen im eigenen Haus“ (J. v. Uexküll: Umwelt und Innenwelt der Tiere, a.a.O. [Anm. 120] 215). 11 Julian Nida-Rümelin hat darauf aufmerksam gemacht, dass seitens des Naturalismus davon ausgegangen wird, dass kausalen Erklärungen eine algorithmische Form zugrunde liegt. Die dadurch mögliche Beschreibung aller vorhergegangenen Zustände erlaubt somit eine Prognose des kommenden Zustandes, was auch in RCT-basierten empirischen Studien angestrebt wird (vgl. H. Rosa/D. Strecker/A. Kottmann: Soziolo-

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der evolutionsbedingten biologischen Entwicklung des menschlichen Organismus begreift,12 ist für ihn – trotz einer höchstmöglichen Ablösung des Menschen von der biogenetischen Verhaltensfixierung und von exogenen Handlungsdeterminationen (d.i. natürliche Phänomene wie Hitze oder Kälte, die bspw. eine lähmende Wirkung auf das Verhalten haben können) – von einer Reihe von Universalien geprägt, welche „die Evolution des Lebens insgesamt grundlegend bestimmt haben und weiter bestimmen“13 werden. Entkommen kann ihnen nach Esser kein Lebewesen, auch nicht der Mensch. Das Prinzip der Nutzenmaximierung modelliert somit aufgrund seiner angenommenen Universalität im evolutionären Prozess auch die Natur des Menschen, so dass es „auch dann seine Geltung nicht einbüßt, wenn die Restriktionen mehr und mehr zu solchen der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit werden“.14 Für Esser ist das Maximierungsprinzip letztlich der Beweis für die Richtigkeit der Evolutionstheorie, deren Gesetze ubiquitär seien: „Es wäre schon sehr verwunderlich, wenn sich diese Regeln nicht auch bis in die hardware der menschlichen Physiologie zurückverfolgen ließen und wenn ausgerechnet homo sapiens sapiens damit nichts mehr zu tun hätte“.15 Essers Setzung gische Theorien, a.a.O. [Anm. 18] 244f.). Die folgenschwere Problematik, die sich aus solchen Versuchen, Handlungen monokausal zu erklären, ergibt, ist nach NidaRümelin nicht weniger als die Möglichkeit „daran zu zweifeln, dass wir verantwortlich sind für das, was wir tun“ (Julian Nida-Rümelin: Naturalismus und Humanismus. In: Evolution in Natur und Kultur, hg. von Volker Gerhardt/Ders. (Berlin/New York 2010) 11f.). Der Evolutionstheoretiker Daniel Dennett interpretiert Darwins grundlegende Idee der natürlichen Selektion ebenfalls explizit algorithmisch: „Das Leben auf der Erde entstand über Milliarden von Jahren hinweg als ein einziger verzweigter Baum – der Stammbaum des Lebens –, und zwar immer durch irgendeinen algorithmischen Prozeß“ (Daniel C. Dennett: Darwins gefährliches Erbe (Hamburg 1997) 66). Dennett reduziert somit das Leben im Zuge seines Darwinismus auf eine berechenbare Größe. Das Leben im Sinne eines sinnstiftenden Vollzugsgeschehen, wie die menschliche Lebensführung eine ist, wird dem Menschen dadurch aus der Hand genommen und auf eine vorhersehbare, algorithmische,Wiederkehr des Immergleichen‘ reduziert. 12 Zur biologischen Besonderheit des Homo sapiens nach Esser vgl. ebd.149-164. 13 Ebd. 220. 14 Ebd. 222. 15 Ebd. 223. Esser ist natürlich nicht der erste Wissenschaftler, der einen derart starken Universalanspruch der Evolutionstheorie vertritt. Bereits Ernst Haeckel war ein vehementer Vertreter eines evolutionstheoretischen Universalismus, in den er auch den Menschen einordnete (vgl. J. N.-Rümelin: Naturalismus und Humanismus, a.a.O.

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des Maximierungsprinzips als grundlegendste Auszeichnung der menschlichen Natur hat systematisch eine starke Ontologisierung zur Folge. Denn durch diese Setzung ist es ihm möglich, das Streben nach Maximierung des eigenen Nutzens als substantialistische Disposition des Menschen zu begreifen.16 [Anm. 203] 13). Illies betont, dass Darwin selbst eher zurückhaltend hinsichtlich einer evolutionstheoretisch fundierten Welterklärung war, Haeckel dagegen mit der Evolutionstheorie sämtliche ‚Welträtsel‘ lösen wollte (vgl. C. Illies: Biologie statt Philosophie?, a.a.O. [Anm. 200] 29). So betonte Darwin etwa die Sonderstellung des Menschen, da er davon ausging, dass die kulturelle Entwicklung auf vielerlei Weise das Prinzip der natürlichen Selektion verhindere (vgl. ebd. 29). Insofern erkannte bereits Darwin einen qualitativen Unterschied zwischen tierischem und menschlichem Leben, da er letzteres eben nicht generell mit den gleichen evolutionären Gesetzen erklären konnte, wie Esser dies versucht. 16 Der Neurobiologe Jochen Oehler spricht – ebenfalls aus einer strikt evolutionstheoretischen Perspektive heraus – von der Natur des Menschen als einer phylogenetisch bedingten Mitgift von natürlichen Anlagen: „In dieser Mitgift sind unter anderem Dispositionen der Kooperation wie auch der Konkurrenz gleichermaßen verankert. Die kulturelle […] Entwicklung und Daseinsweise des Menschen hat zwar die kooperativen Anlagen in vielfältiger Weise gefördert, leider aber auch die gegenteiligen, nämlich die zur Konkurrenz und Rivalität, die in ihren extremsten Formen bis zu massenhaften Tötungen von Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen […] geführt haben und leider immer noch führen“ (Jochen Oehler: Einführung. In: Der Mensch – Evolution, Natur und Kultur, hg. von ders. (Heidelberg 2010) ix-xi, xi). Die Gefahr einer biologistischen Verkürzung der kulturellen Entwicklung des Menschen auf genetische Dispositionen ist evident und wird sowohl in Oehlers Pointe: „Kultur ist Evolution mit anderen Mitteln“ (Ebd. ix) als auch in Frank Wuketits’ Postulat über den Menschen deutlich: „[E]r kann nur soviel Kultur produzieren, wie seine Natur erlaubt“ (Franz M. Wuketits: Evolution: Treibende Kräfte in Natur und Kultur. In: Der Mensch – Evolution, Natur und Kultur, hg. von Jochen Oehler (Heidelberg 2010) 2538, 31). Die darin hervortretende biologistische Sichtweise auf den Menschen trägt letztendlich zur naturalistischen Auffassung sowohl der äußeren Natur als auch der inneren ‚Natur‘ bei, deren Pathologien auch nur innerhalb der Logik dieses Weltbildes gelöst werden können. Entsprechend hält Illies evolutionstheoretischen Kulturerklärungen u.a. eine kulturkritische Möglichkeit der Argumentation entgegen: „[V]ermeintliche anthropologische Konstanten könnten [selbst] kulturelle Artefakte sein“ (C. Illies: Biologie statt Philosophie?, a.a.O. [Anm. 200] 31). Wissenschaftlich anerkannte Annahmen über den Menschen wie die der RCT bekommen durch die aktuelle Konjunktur evolutionstheoretischer Erklärungen (insbesondere in den sogenannten Lebenswissenschaften) jedoch zusätzliche Legitimation und erhöhen dadurch

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Nimmt man nun das Maximierungsprinzip als menschliche Disposition im Sinne Essers ernst, hat dieses beim Menschen phylogenetisch eine evolutionär bedingte Kurzsichtigkeit – von der Autorin als Myopia bezeichnet – zur Folge.17 bspw. auch die Wahrscheinlichkeit in politische Konzepte Eingang zu finden. Gerade in der „Umweltpolitik“ ist bspw. die Annahme vom Menschen als eines ‚Homo oeconomicus‘ verbreitet. Politische Maßnahmen, adressiert an einen ökonomisch handelnden Menschen, der sich in seinen Entscheidungen an einem schlichten KostenNutzen-Prinzip orientiert, lassen eine simple Umsetzung in die Praxis erwarten und dadurch auch schnelle Erfolge erhoffen. Brand und Reusswig stellen entsprechend fest: „Die Forderung nach Internalisierung der ökologischen Kosten des Wirtschaftens – etwa in Form einer ökologischen Steuerreform – gehört deshalb inzwischen zum Grundkanon umweltpolitischer Programme jeglicher Couleur. Wenn die Nutzung von Umwelt teurer wird, ihren ‚wahren Preis‘ widerspiegelt, dann wird jeder Produzent oder Konsument, so die dahinterstehende Logik, seinen Umweltverbrauch […] einschränken“ (K.-W. Brand/F. Reusswig: Umwelt, a.a.O. [Anm. 7] 660f.). Andreas Dieckmann gibt außerdem zu bedenken, dass es schon „bemerkenswert [ist], daß die moderne Umweltökonomie mittlerweile immerhin die Programmatik der meisten mit Umweltfragen befaßten Verbände, Parteien und Institutionen geprägt hat“ (Andreas Dieckmann: Homo ÖKOnomicus. Anwendungen und Probleme der Theorie rationalen Handelns im Umweltbereich. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (Sonderheft 36), hg. von ders./Carlo C. Jaeger (Opladen 1996) 89-117, 90). Es bleibt somit festzuhalten, dass es aktuell einen starken Einfluss des evolutionstheoretischen Universalismus auf die kulturelle Praxis gibt, dessen Vertreter davon ausgehen, dass sämtliche Sphären der Wirklichkeit mit der Evolutionstheorie erklärt werden können. Entsprechend geht z.B. Dennett davon aus, dass die Evolutionstheorie alle Wirklichkeit durchdringt und so zu einer Theorie für Alles avanciert: „Jetzt ist nicht mehr zu leugnen, daß Darwins Idee ein universelles Lösungsmittel ist, das sich bis ins Innerste aller erkennbaren Dinge frißt“ (D. C. Dennett: Darwins gefährliches Erbe, a.a.O. [Anm. 203] 733; vgl. dazu auch C. Illies: Biologie statt Philosophie?, a.a.O. [Anm. 200] 25). 17 Der Begriff der Myopia wird von Esser selbst nicht verwendet. Wie erwähnt, wird dieser Begriff im Anschluss an Meinhold, der die Bedeutung des Adjektivs myopisch i.S. eines kurzsichtigen Handelns herausstellt, verwendet (vgl. 2.3.1.1 Fußnote 19 dieser Arbeit). Der Begriff der Myopia lässt insofern die bloße medizinische Bedeutung von Kurzsichtigkeit hinter sich, wodurch mit diesem Begriff die Annahme vom kurzsichtigen Handeln als eine (scheinbar) anthropologische Konstante sichtbar und insofern pointiert werden kann. Von deren Richtigkeit ist zudem nicht nur Esser schlechterdings überzeugt. Auch Leunig unterstellt dem Menschen eine evolutionsbedingte Myopia, die allerdings der Ressourcenfülle und nicht wie bei Esser der Ressourcen-

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Nach Esser ist diese handlungsbedingende Kurzsichtigkeit der stetigen Ressourcenknappheit geschuldet: „Es geht in der Evolution wie beim gesellschaftlichen Handeln immer nur um den nächsten Schritt und um das Lösen von Problemen des jetzt drängenden Alltags. Das Schicksal der Art bzw. das der menschlichen Gesellschaft wird bei der individuellen biogenetischen bzw. sozialen Reproduktion nicht bedacht. Menschen sind nur in sehr begrenztem Umfang Empathisanten füreinander. Was ihnen ferner steht, interessiert sie nicht – und kann sie in aller Regel auch nicht interessieren. […] Menschliche wie andere Organismen sind von jeher (fast) nur der kurzfristigen und kurzsichtigen Maximierung ihrer eigenen fitness […] gefolgt. Und sie konnten angesichts der enormen Ressourcenkonkurrenz auch gar nicht anders. […] Die meisten Menschen können sich Weitsicht und langfristige Verantwortung außerhalb ihrer unmittelbaren Lebenswelt schlicht nicht leisten. Und sie maximieren daher immer nur mit einem doch stark beschränkten Horizont der Folgen ihres Tuns.“18 Folgte man dieser Feststellung Essers im Kontext der vorliegenden Arbeit, müsste schlicht anerkannt werden, dass der Mensch die subjektiven Schranken seiner (direkten, d.i. sozialen) „Umwelt“ nicht überschreiten kann, da er evolutionsbedingt nicht zur Weitsicht befähigt ist, und deswegen nur der unmittelbare Nutzen der Dinge in knappheit geschuldet sei: „Die Vorstellung, eine Tierart könnte bei gleich bleibender Bejagung in einigen hundert Jahren ausgerottet sein, gehörte nicht zu den notwendigen Überlebensmaßnahmen [...]. Diese Verhaltensdisposition prägt anscheinend aber auch noch unser Verhalten ganz aktuell, wie die Orientierung vieler Menschen auf kurzfristigen Nutzen immer wieder zeigt“ (S. Leunig: Conditio humana, a.a.O. [Anm. 193] 317f.) Nach Leunig sei es in Anbetracht der Ressourcenfülle kaum möglich, dass sich eine Nachhaltigkeitsdisposition im Verhalten ausbilde, da diese Fülle eine solche Weitsicht schlicht nicht erfordere. Entsprechend stellt Leunig fest: „Das heißt, es ist zwar möglich, sich umweltgerecht zu verhalten. Dazu ist es aber [...] notwendig, sich seinen phylogenetisch wie kulturell verfestigten Prädispositionen zu widersetzen“ (ebd. 322). Für die praktische Umsetzung dieser Widersetzung brauche man jedoch zusätzlich „eine gehörige Portion Zukunftsoptimismus“ (ebd.), da – der RCT gemäß – das Nutzenmaximierungsprinzip die Motivation menschlichen Handelns darstelle. Entgegen Leunigs evolutionstheoretischen Reduktionismus lässt sich mit Plessner hingegen aufzeigen, dass sich das Menschsein durch eine Offenheit auszeichnet, auf der ein Zukunftsoptimismus überhaupt erst gründen kann. So könnte man vielleicht sagen, dass aufgrund dieser Offenheit mit Plessner Menschsein im Grunde Optimistinsein bedeutet (vgl. dazu 3.3). Alles andere ist das Festschreiben des Menschseins auf eine bestimmte ‚Natur‘, wodurch so etwas wie Zukunftsoptimismus im Grunde obsolet ist. 18 [Hervorhebung KB] Ebd. 228f.

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seiner unmittelbaren „Umwelt“ handlungsrelevant für ihn sein kann. Damit wird fraglich, wie die „Umwelt“ begriffen als das, was da draußen ist, in die „Umweltschranken“ des Esser’schen Nutzenmaximierens Bedeutung finden soll. Das in Essers Theorie dabei als implizite Voraussetzung fungierende und nun deutlich hervortretende naturalistische Weltbild hat letztlich gravierende systematische Auswirkungen hinsichtlich des Anspruchs auf empirische Gültigkeit.19 Das Lebendige respektive die zu erforschenden Lebensvollzüge der Subjekte werden zu zerlegbaren und objektiv einsehbaren Größen, die per evolutionstheoretischer Nutzenmaximierungsformel kausallogisch bestimmt und berechnet werden können. Das vorgestellte Menschenbild, das sich durch die evolutionsbedingte Myopia auszeichnet, gibt dabei als erklärende Annahme axiomatisch den Rahmen der empirisch möglichen Handlungen vor. Denn, wie Mayerl festhält, „die Motivation, die hinter menschlichem Handeln steht, ist unabhängig von ihrem konkreten theoretischen Zuschnitt stets mit einer grundlegenden Axiomatik menschlichen Strebens zu verknüpfen [...]. Und diese Axiome sind nichts anderes als ein bestimmtes Menschenbild“.20 Zwar gibt es neben Essers Festhal19 Illies verweist hinsichtlich des empirischen Anspruchs einer evolutionstheoretischen Welterklärung darauf, dass dieser immer schon Präsuppositionen immanent sind, die sie selbst nicht erklären oder begründen kann: „Was sie mit ihrer Methode nicht erreichen kann, ist vor allem das, was die Methode bzw. ihr Vorgehen bereits voraussetzt und was nicht Teil der empirisch erfassbaren (und kausal analysierbaren) Wirklichkeit ist. […] Was sind solche Voraussetzungen? Da die Evolutionswissenschaften kausale Erklärungen anbieten wollen, wäre hier die ontologische Annahme zu nennen, dass die Wirklichkeit streng kausal geordnet ist“ (C. Illies: Biologie statt Philosophie?, a.a.O. [Anm. 200] 34). Das gleiche gilt auch für einen kognitiv begründeten Subjektivismus, in dem die Annahme vorausgesetzt werden muss, dass das Bewusstsein ein kognitives Phänomen ist (vgl. dazu den Abschnitt zur Lebensstilsoziologie). 20 J. Mayerl: Der Mensch in der analytisch-erklärenden soziologischen Handlungstheorie, a.a.O. (Anm. 194] 172. Esser hat dieses Menschenbild zudem explizit in den Kontext des Lebens verortet: „Das Erlebnis des zuträglichen inneren Funktionierens des Organismus durch den Organismus selbst sei als Nutzen bezeichnet. Der Nutzen ist das oberste Gut, um das es den Menschen letztlich und ganz allgemein geht. Etwas anderes ist gar nicht denkbar: ,Leben‘ besteht aus dem Funktionieren der Organismen – egal freilich zunächst, worauf speziell dieses Funktionieren beruht“ (H. Esser: Soziologie. Spezielle Grundlagen, a.a.O. [Anm. 197] 92). Da Esser Leben als biologische Kategorie des organischen Funktionierens begreift, verbleibt bei ihm auch das menschliche Leben primär im Kontext des Überlebens und lässt wenig Raum für Perspektiven, die das menschliche Leben zugleich in den Kontext eines phänomenologisch-hermeneutischen Lebensbegriffs stellen.

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ten an der Nutzenmaximierung als dem ausschlaggebenden Selektionsmodus mittlerweile auch in der RCT eine gewisse Bandbreite an anderen Motivationen sich für diese oder jene Handlung zu entscheiden (allein die Entwicklung vom Homo oeconomicus zum RREEMM-Model macht dies deutlich). Diese müssen auch nicht mehr bloß exogen sein, auch endogene bzw. intrinsische Motivationen werden berücksichtigt. Das axiomatische Menschenbild bleibt nichtsdestotrotz bestehen: „Dies gilt unabhängig davon, ob Maximierung, Satisficing, heuristisches Prozessieren, Intuition, automatisch-spontanes Prozessieren von Informationen oder eine andere spezifische Form der Selektionslogik theoretisch ausgearbeitet wird“.21 Das erklärende Menschenbild bleibt somit in allen RCVarianten ein evolutionstheoretisch begründetes, wodurch in diesen auch die realistisch-naturalistische Position bestehen bleibt. Und insofern das jeweilige Menschenbild sowohl Träger als auch Bedingung ist, wird ein Ausbrechen aus dieser reduktionistischen Position systematisch eine schwierige Angelegenheit. Diese selbstproduzierte Ausweglosigkeit erfordert somit eine Perspektive, die nicht nur eine Reflexion auf dieses Problem ermöglicht, sondern auch einen Begriff des menschlichen Lebens bereitstellt, mit dem dieser Zirkelschluss aufgebrochen werden kann. Inwiefern diese Problematik im zweiten umweltsoziologischen Ansatz, der hier vorgestellt werden soll, ebenfalls besteht, wird der nächste Abschnitt zeigen.

21 Ebd. 172. Trotz Mayerls Appell an die Soziologie, derartige Axiome in Form von Menschenbildern zu explizieren und zu reflektieren (vgl. ebd. 172), verschweigt auch er das evolutionstheoretische Erbe der RCT und schließt es somit selbst in jene ,black box‘ ein, vor der er eigentlich warnt (vgl. ebd. 172).

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2.3.1.2 Die Position der Lebensstilsoziologie Die zweite Position in der Umweltsoziologie, die hier als Gegenposition zur RCT betrachtet und vorgestellt wird, nimmt – entsprechend der Zweiteilung in Naturalismus/Realismus und Konstruktivismus – die Lebensstilsoziologie ein. Die Lebensstilforschung erhielt – wie die RCT – im Zuge der Debatte um die ‚Kluft‘ zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ Einzug in die Umweltsoziologie. Gehört die „Umweltbewusstseinsforschung“ zwar zu den ersten Forschungsthemen der Umweltsoziologie und wird deswegen auch „als ‚ein altgedientes ‚Schlachtroß‘ der Umweltsoziologie eingeordnet“,1 so evident ist gleichwohl das Fehlen von Forschungsergebnissen, die zur Schließung besagter ‚Kluft‘ tatsächlich etwas beitragen konnten.2 Als Konsequenz aus der offenbar nicht zu überwindenden Differenz wurde die Mannigfaltigkeit sozio-kultureller Unterschiede zwischen den einzelnen Akteuren in den Fokus gerückt, um so die systematische Rolle der Subjektivität bei Handlungsentscheidungen näher betrachten zu können. In den empirischen Ergebnissen zum „Umweltbewusstsein“ wurde, wie Lange betont, zum einen mehr und mehr deutlich, dass „es wenig Sinn macht, sich auf das Umweltbewusstsein der Bevölkerung zu beziehen, das sich dementsprechend nur in einer quantitativen Unterscheidung im Sinne von ‚viel‘, ‚mittel‘ und ‚wenig‘ differenzieren ließe“.3 Aber auch die objektiven sozial-strukturellen Merkmale, die homogen erhoben werden können (bspw. Geschlecht, Alter, Einkommen etc.), wurden zum anderen als nicht ausreichend zur Verhaltensdetermination erkannt, denn „[u]nterschiedliche Menschen und Gruppen beziehen sich im Rahmen ihrer ganz unterschiedlichen Lebensverhältnisse und Zielstellungen in entsprechend unterschiedlicher Weise auf die verschiedenen Dimensionen […] der Umweltrelevanz ihres Verhaltens“.4 Die Verknüpfung von „Umweltbewusstseinsforschung“ und Lebensstilforschung war hinsichtlich des umweltsoziologischen Erkenntnisinteresses somit die einzig plausible Konsequenz. Denn erstens konnte dadurch das „Umweltbewusstsein“ als ‚rocher de bronze‘ des umweltsoziologischen Selbstverständnisses erhalten bleiben. Zweitens war die Berücksichtigung der Lebensstile – in Anbetracht einer entwickelten Pluralisierung der Gesellschaft und einer fortschreitenden Individualisierung der kulturellen Sinn- und Deutungsangebote –, „als geeignetes Erklärungsmuster 1

Hellmuth Lange: Eine Zwischenbilanz der Umweltbewußtseinsforschung. In: Ökologisches Handeln als sozialer Konflikt. Umwelt im Alltag, hg. von ders. (Opladen 2000) 13-34, 13.

2 3

Vgl. ebd. 13. [Hervorhebungen KB] H. Lange: Lebensstile, a.a.O. [Anm. 9] 163; vgl. außerdem: H. Lange: Eine Zwischenbilanz, a.a.O. [Anm. 214].

4

Ebd. 163.

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für die vorliegenden empirischen Befunde zur Praxis des Umweltverhaltens“5 mittlerweile unausweichlich geworden. In der Verknüpfung beider Forschungsperspektiven wurde demzufolge ein „geeigneter Ansatz, um die viel beschworene Kluft zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten zumindest innerhalb einzelner Gruppen zu verkleinern“,6 gesehen. Die Einführung des Lebensstilkonzepts in die Soziologie wird einerseits auf Simmel und andererseits auf Weber zurückgeführt. Letzterer führte Lebensstile als eine kulturelle Dimension sozialer Schichtung ein, da er diese über verschiedene Konsumformen – entsprechend der individuellen Wünsche nach Gruppenzugehörigkeit und Klassenlage – realisiert sah, und Lebensstile für Weber insofern eine zweite Strukturdimension, neben den sozioökonomisch determinierten Klassen, darstellten.7 In dieser Perspektive erscheint der Lebensstil jedoch eher als ein nichtintendiertes Nebenprodukt sozial-strukturell bedingter Konsumentscheidungen und nicht als ein aktiv und bewusst gestalteter Sinnzusammenhang, der er in der umweltsoziologischen Lebensstilforschung ist. Begreift man Lebensstil in Anlehnung an Webers Überlegungen, bleibt dieser wesentlich von der Klassenlage und den damit einhergehenden Lebenschancen determiniert und verleiht dem Subjekt somit gegenüber den gesellschaftlichen Strukturen eine Passivität, die den Möglichkeiten der aktiven Gestaltung der eigenen Lebensführung nicht entspricht.8 Bei Simmel, der das Konzept des Lebensstils um 1900 für die Soziologie fruchtbar gemacht hat, wird die aktive Gestaltung des eigenen Lebens dagegen zum Grundgedanken der Konzeption: „Aus der gesellschaftlich angebotenen Menge von L[ebensstil]en greift sich der Einzelne aufgrund seines […] Weltbildes den L[ebensstil] heraus, der ihm angemessen erscheint“.9 Die Stilisierung 5

Ebd. 163.

6

Ebd. 163.

7

Vgl. Falk Schützenmeister: Hybrid oder autofrei? – Klimawandel und Lebensstile. In: Der Klimawandel – Sozialwissenschaftliche Perspektiven, hg. von Martin Voss (Wiesbaden 2010) 267-281, 270.

8

Eine solche Position ginge von ihrer Systematik her eher mit der RCT und insofern mit einer evolutionstheoretischen Auffassung des „Umweltverhältnisses“ konform. Auf Essers evolutionstheoretisch eingefärbten Anschluss an Weber wurde bereits hingewiesen (vgl. 2.3.1.2 Fußnote 3 dieser Arbeit).

9

Otthein Rammstedt: Lebensstil. In: Lexikon zur Soziologie, hg. von Werner FuchsHeinritz/Daniela Klimke/Rüdiger Lautmann/Otthein Rammstedt/Urs Stäheli/Hanns Wienold/Christoph Weischer (Wiesbaden 52011) 400, 400; vgl. zudem zur lebensstilkonstituierenden „Kreuzung sozialer Kreise“ Georg Simmel: Soziologie. Untersuchung über die Formen der Vergesellschaftung. In: Soziologie. Untersuchung über die

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des Lebens wird zu einer bewussten Entscheidung, die einerseits davon abhängt, wie das Subjekt die Welt sieht, und andererseits davon, aktiv realisiert zu werden, indem das Subjekt aus den vorhandenen Lebensstilangeboten seinen eigenen Lebensstil gestaltet. Simmel selbst führt diesen Begriff ursprünglich ein, um die aus der Individualisierung resultierende Pluralisierung der Möglichkeiten zur Individualität und die damit zugleich entstehende Freisetzung aus den vormals sicheren sozialen Verhältnissen (der Ständegesellschaft) zu verdeutlichen. Seine Diagnose des mit dieser Freisetzung zugleich erwachsenen Zwangs zur selbstverantwortlichen Gestaltung der Lebensführung lässt nun deswegen eine konstruktivistische Interpretation zu, da diese Gestaltung nach Simmel der sinnstiftendenden Wechselwirkungen zwischen Subjekt und Gesellschaft bedarf und er insofern eine objektivistische Betrachtung von Gesellschaft ablehnt (siehe S. 35f.). Der sich im Konzept des Lebensstils ankündigende, paradigmatische Wechsel zeichnet sich durch die Verschiebung des Fokus von objektiven Strukturen, die das Subjekt als ein (relativ) passives erscheinen lassen, auf ein aktives, seine Lebensvollzüge selbstgestaltendes Subjekt aus. Dabei werden auch nicht mehr nur einzelne Handlungen in den Blick genommen, sondern möglichst das gesamte Ensemble persönlichkeitsstiftender Sachverhalte, die sich in konsistenten Verhaltensweisen niederschlagen. Zudem wird mit dem Konzept des Lebensstils die Annahme rein zweckrationaler Zusammenhänge zwischen Subjekt und Objekt zu überwinden versucht.10 Gunnar Otte und Jörg Rössel schlagen aktuell demFormen der Vergesellschaftung. GA. Bd. 11, hg. von Otthein Rammstedt (Frankfurt a.M. 1992 [1908]) 464-485. Dass Simmel ähnlich wie Uexküll die subjektive Wahrnehmung als Konstitutivum setzt, wird darin durch Folgendes deutlich: „Wie man den substantiellen Gegenstand, der uns gegenübersteht, als die Synthese sinnlicher Eindrücke angesprochen hat, […] so bilden wir aus den einzelnen Lebenselementen, deren jedes sozial entstanden oder verwebt ist, dasjenige, was wir die Subjektivität […] nennen, die Persönlichkeit, die die Elemente der Kultur in individueller Weise kombiniert“ (Ebd. 467). 10 Der aus der Umweltpsychologie stammende Ansatz der „ipsativen Handlungstheorie“, der sich ebenfalls der ‚Kluft‘ zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ widmet, setzt grundsätzlich ebenfalls an einer Kritik der RCT an und fordert, den Fokus auf die subjektive Wahrnehmung und das subjektive Bewusstsein der Handelnden in der tatsächlichen Situation zu legen. Denn RC-Ansätze könnten zwar Prognosen abgeben, aber keine Erklärungen, da aufgrund ihrer abstrakt bestimmten Voraussetzungen, die alle in einer Entscheidungssituation erfüllt sein müssen, keine tatsächliche Situation abgebildet werden kann. Aber auch Ansätze wie der der Lebensstilforschung, die von relativ autonomen Subjekten ausgingen, die sich ihre Umgebung zur

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entsprechend folgende Definition vor: „Bei einem Lebensstil handelt es sich um ein Muster verschiedener Verhaltensweisen, die eine gewisse formale ÄhnlichZielerreichung quasi zurechtlegten, seien nicht adäquat, um das Nicht-Handeln zu erklären, da die Begrenztheit menschlicher Handlungsspielräume nicht berücksichtigt werde (vgl. Carmen Tanner: Die ipsative Handlungstheorie: Eine alternative Sichtweise ökologischen Handelns. In: Umweltpsychologie (1998), no. 1, 34-44, 35). Interessant ist nun Carmen Tanners Annahme, dass „Umwelthandeln“ deswegen nicht erfolge, weil „die umweltrelevanten Handlungsoptionen nicht im ipsativen Möglichkeitsraum repräsentiert sind“ ([Hervorhebung KB] ebd. 38). Demnach liegt der ipsativen Handlungstheorie eine psychologische Repräsentationstheorie zugrunde, d.h. nur die Handlungsmöglichkeiten, die im ipsativen Möglichkeitsraum als Repräsentationen vorliegen, können dem/der Handelnden auch bewusst werden. Hat ein Subjekt demnach also keine „umweltrelevanten“ Informationen als kognitive Repräsentationen ausgebildet, ist es in der Situation für das Subjekt auch nicht möglich, „umweltgerecht“ zu handeln. Denn nach dieser Theorie fehlen ihm die Wissensrepräsentationen, die der Handlung notwendig vorläufig sein, d.h. im Sinne eines Programms erst aktiviert werden müssen, damit die Handlung adäquat ausgeführt werden kann. Als Begründung für das Nicht-Handeln führt Tanner letztlich ähnliche Argumente an, wie die, die sich in Essers evolutionstheoretisch fundierten RC-Ansatz finden lassen: „Nun liegt eine besondere Schwierigkeit bei Umweltproblemen darin, dass sich viele Folgen menschlicher Aktivitäten der unmittelbaren und direkten Wahrnehmbarkeit entziehen. Hierfür sind einerseits Beschränkungen unseres Wahrnehmungsapparates verantwortlich, andererseits spielt die räumlichzeitliche Entfernung, mit der Umweltschäden und -zerstörungen erst sichtbar werden, ebenfalls eine Rolle. […] D.h. wir haben es hier erneut mit einer Begrenzung individueller Erfahrungsmöglichkeiten zu tun. Auf diese Weise wird nicht nur der Aufbau ökologisch relevanter Wissensstrukturen, sondern auch die regulative Anpassung des Handelns an […] ökologischen Veränderungen erschwert“ ([Hervorhebung KB] ebd. 40). Zwar schafft Tanner es, die reine Zweckrationalität hinter sich zu lassen, Handeln erscheint aber auch in dieser Theorie als ein myopisch bedingter Ablauf, der nur die Optionen zulässt, die vorher kognitiv erlernt worden sind und insofern als Repräsentationen vorliegen. (Ökologisch relevante) Wissensstrukturen, gestiftet durch leiblich vermittelte Erfahrungen, die ein Verstehen erfordern, können in kognitiven Theorien nicht erklärt werden, da diese stets Dispositionen oder Repräsentationen als quasi-materialistische Erklärungskomponenten brauchen. Handlungsmöglichkeiten, die an ein Verstehen anknüpfen, bleiben insofern von vornherein unberücksichtigt (vgl. zur ipsativen Handlungstheorie auch Carmen Tanner/Klaus Foppa: Umweltwahrnehmung, Umweltbewusstsein und Umweltverhalten. In: Umweltsoziologie, hg. von Andreas Dieckmann/Carlo Jaeger (Wiesbaden 1996) 245-271).

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keit und biographische Stabilität aufweisen, Ausdruck zugrunde liegender Orientierungen sind und von anderen Personen identifiziert werden können“.11 Wie bereits eben mit Simmel angedeutet, zeichnet sich demnach der Lebensstil dadurch aus, dass er vor dem Hintergrund eines subjektiven Sinnzusammenhangs entsteht, der ein dazu – zur Stiftung dieses Zusammenhangs – korrelatives und konsistentes Verhalten erfordert. Ein von Rudolf Richter herausgegebener grundlegender Sammelband zur Lebensstilforschung trägt dementsprechend den pointierenden Titel Sinnbasteln.12 Der Begriff des Bastelns verweist hier auf eine axiomatisch angenommene Subjektivität von Wirklichkeit und somit auf ein vom Subjekt gestiftetes Wechselverhältnis zwischen ihm und den bedeutungsbzw. sinnvollen Objekten des jeweiligen sozio-kulturellen Kontextes, in dem es lebt. Die eingenommene Position der Lebensstilforschung ist somit eine subjektivistisch-konstruktivistische und steht der vorgestellten, naturalistischrealistischen insofern entgegen, als sie den Fokus auf die subjektive Konstruktion von sinnstiftenden (Lebensstil-)Wirklichkeiten legt.13

11 Gunnar Otte/Jörg Rössel: Lebensstile in der Soziologie. In: Lebensstilforschung, hg. von dies. (Wiesbaden 2012) 7-34, 13. Interessant ist, welche Merkmale die beiden Autoren einem Lebensstil zugrunde legen: Selbst-Welt-Verständnis, Expressivität und Intersubjektivität. Diese Merkmale lassen somit folgende Vermutung zu: Die Definition zeigt, dass die Lebensstilsoziologie durchaus einen Weltbegriff hat, dieser aber darin als Präsupposition besteht. Denn die genannten Merkmale scheinen mit Plessners Trias von Innen-, Außen- und Mitwelt durchaus kompatibel zu sein. Die Überprüfung dieser Vermutung muss jedoch an anderer Stelle erfolgen. 12 Vgl. Rudolf Richter (Hg.): Sinnbasteln. Beiträge zur Soziologie der Lebensstile (Wien/Köln/Weimar 1994). 13 Tilmann Sutter rückt die Lebensstilforschung in die Nähe des interaktionistischen Konstruktivismus, der sich als Position der Sozialisationsforschung versteht. Sutter begrüßt die im Lebensstilkonzept vorgenommene Entkopplung von strukturellen Lebensbedingungen und subjektiv bedeutsamen Lebensstilen, da durch diese analytische Trennung erst die Wechselwirkungen zwischen ihnen sichtbar werden (vgl. Tilmann Sutter: Interaktionistischer Konstruktivismus. Zur Systemtheorie der Sozialisation (Wiesbaden 2009) 315ff.). Den Fokus explizit auf das Dazwischen der SubjektObjekt-Beziehung zu legen, was Sutter hier zurecht begrüßt, ist zwar ein erklärtes Ziel der vorliegenden Arbeit, kann aber nicht mit der Lebensstilforschung eingeholt werden, da darin davon ausgegangen wird, dass einem Lebensstil primär mentale Orientierungen des Subjekts zugrunde liegen (vgl. G. Otte/J. Rössel: Lebensstile in der Soziologie, a.a.O. [Anm. 224] 13). Die Betonung des Mentalen läuft jedoch Gefahr, implizit repräsentationstheoretische Implikationen zu schüren, wodurch die Dichotomie

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Insbesondere die Geltungsansprüche struktureller Kriterien wie Klassen- oder Lebenslage sowie Verfügbarkeiten an Ressourcen und den mit diesen Kriterien einhergehenden Wertorientierungen, aber auch Geschlecht oder Alter gelten als zu oberflächlich, um die individualisierungsbedingten Freisetzungen und die daraus wachsenden Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedensten Sinnangeboten noch hinreichend erklären zu können. Dies bedeutet nicht, dass diesen strukturellen Lebensbedingungen per se ein Erklärungsgehalt abgesprochen wird. Worauf die Lebensstilforschung jedoch aufmerksam macht, ist die im Zuge der Pluralisierung moderner Gesellschaften fortschreitende Entkopplung subjektiver Lebensentwürfe von strukturellen Lebensbedingungen. Ronald Hitzler verweist dementsprechend auf den entscheidenden Unterschied zwischen objektiv gedachten Strukturmerkmalen und subjektiv konzeptualisierten Lebensstilen: „Es macht wenig Sinn, Lebensstile als (wie auch immer) auferlegte Vollzugsformen zu charakterisieren. Ein […] aufgezwungener Habitus ebenso wie eine alternativlose soziale Positionierung, das ist durchaus kein Stil, weil sich damit per se keine Gestaltungsabsicht verknüpft“.14 Mit dieser Feststellung wird die Abkehr von der Beobachtung objektiver Determinanten einer sozialen „Umwelt“ betont und die Hinwendung zur Betrachtung der Subjektivität von sozialen Umwelten gefordert. Damit kann innerhalb der „Umweltbewusstseinsdebatte“ ein epistemologischer Paradigmenwechsel konstatiert werden, der sich als Perspektivenwechsel von einer objektiv angenommenen Realität zur Subjektivität von Wirklichkeit manifestiert und sich analog zur aufgezeigten biologischen Debatte verhält.15 Mit anderen Worten: Die Auffassung darüber, wie sich der Form nach der Mensch auf sein Umfeld bezieht, hat sich geändert. Zudem weicht die Auffassung von einer zerlegbaren objektiven Wirklichkeit der Annahme einer holistischen Lebensstilwirklichkeit, die im Verhältnis zum Subjekt als eine korrelative

zwischen Subjekt und Objekt reproduziert wird und die Analyse weiterhin ihren Ausgang beim Aneignungssubjekt nehmen muss. 14 Ronald Hitzler: Reflexive Individualisierung. Zur Stilisierung und Politisierung des Lebens. In: Sinnbasteln. Beiträge zur Soziologie der Lebensstile, hg. von Rudolf Richter (Wien/Köln/Weimar 1994) 36-47, 42; Zur weiteren Debatte um die Definition von Lebensstil und dessen Einflussgrößen vgl. außerdem: H. Lange: Lebensstile. a.a.O. [Anm. 9]. 15 Zum Paradigmenwechsel in der „Umweltbewusstseinsforschung“ vgl. Dieter Rink: Nachhaltige Lebensstile zwischen Ökorevisionismus und neuem Fundamentalismus, „grünem Luxus“ und „einfacher Leben“. Zur Einführung. In: Lebensstile und Nachhaltigkeit. Konzepte, Befunde und Potentiale, hg. von ders. (Opladen 2002) 7-23, 15f.

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Einheit zwischen Subjekt und Objekt begriffen wird.16 Somit liegen für die „Umweltbewusstseinsforschung“ zwei Positionen vor, wobei eine auf einem naturalistisch-objektivistischen Weltbild fußt und die andere auf einem konstruktivistisch-subjektivistischen Wirklichkeitsbegriff. Im Folgenden werden diese beiden Positionen zu denen von Ökologie und Umweltlehre ins Verhältnis gesetzt. Dadurch soll das biologische Erbe der Umweltsoziologie hervorgehoben und gezeigt werden, welche systematischen Konsequenzen das eigentümliche Begründungsverhältnis zwischen Biologie und Umweltsoziologie hat, die aufgrund des Festhaltens am menschlichen Leben in „Umwelt“- bzw. Umweltverhältnissen gezogen werden müssen. 2.3.2 Das Begründungsverhältnis zwischen Biologie und Umweltsoziologie In den vorstehenden Ausführungen wurde in Hinsicht auf die umweltsoziologischen Positionen von RCT und Lebensstilsoziologie ein Paradigmenwechsel deutlich, der gravierende Auswirkungen auf die Vorstellungen darüber, was das menschliche Leben auszeichnet, hat, wobei diese Vorstellungen die entweder realistische oder konstruktivistische Konzeption des Subjekt-„Umwelt“Verhältnisses fundieren. Inwiefern diese Annahmen dabei als biologische Erklärungen reduktiver Anthropologismen in die Umweltsoziologie eingehen, soll im Folgenden anhand des bereits erwähnten Differenzproblems erörtert werden. In der „Umweltbewusstseinsforschung“ dienen gerade RCT und Lebensstilforschung primär der Untersuchung der Differenz zwischen subjektivem „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“. Denn beide Ansätze operieren auf der Subjektebene, wodurch subjektive Verhältnisse zur „Umwelt“ über die Analyse der Bezüge zwischen Subjekt und sozialem Umfeld erklärt werden sollen. Insofern setzen beide Ansätze jeweils eine dem Menschen entsprechende Form der Bezugsweise auf sein Umfeld voraus, die die jeweilige Konzipierung subjektiver „Umweltverhältnisse“ bedingt. Die Frage, die sich hier somit stellt, ist: Wie kommen RCT und Lebensstilforschung zu ihren jeweiligen systematischen Bestimmungen der Form dieser subjektiven Umfeldbezüge? Die Antwort dazu lautet: Dadurch, dass sie die beiden verschiedenen auf der biologischen Ebene liegenden Umweltbegriffe als jeweilige Vorlage der Bezugsform auf die Mikroebene des vergesellschafteten Subjekts übertragen. Denn das – einerseits explizite, andererseits implizite – Festhalten am biologischen Konzept der „Umwelt“ bzw. Umwelt hat zur Folge, dass die jeweilige Bestimmung der Bezugsform eines Or-

16 Vgl. G. Otte/J. Rössel: Lebensstile in der Soziologie, a.a.O.[Anm. 224] 12.

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ganismus auf sein Umfeld, die ebenfalls jeweils bestimmten Voraussetzungen unterliegt, auf der soziologischen Mikroebene in Form einer anthropologischen Annahme in das Subjekt gelegt wird. Insofern kann ein Begründungsverhältnis zwischen Biologie und Umweltsoziologie konstatiert werden, das sich anhand der jeweiligen analog eingenommenen Positionen in Biologie und Umweltsoziologie aufzeigen lässt. Im Folgenden sollen diese Begründungsverhältnisse daher genauer betrachtet werden. 2.3.2.1

Die ökologische Erklärung des menschlichen Umfeldbezugs in der RCT Überträgt man die bei Esser entfaltete, evolutionstheoretische Logik mit ihren aufgezeigten Anthropologismen auf die Problematik des unterlassenen „Umwelthandelns“, lässt sich daraus eine Ökologie der Subjekte – ganz im Sinne des Haeckel’schen Ökologiebegriffs – ableiten. Denn Haeckels Anspruch, die Beziehung zwischen Organismus und umgebender Außenwelt objektiv zu erfassen – wobei er davon ausging, dass sämtliche existenziell relevanten Einflüsse auf das tierische Verhalten objektiv erfassbar seien –, lässt sich gleichermaßen bei Esser konstatieren. Auch Esser geht von einer prinzipiell beobachtbaren Beziehung zwischen „den internen Erfordernissen des Organismus und […] den Bedingungen in der jeweiligen (sozialen wie nicht-sozialen) Umgebung“1 aus. Dass Ökologie und RCT diese Grundannahme teilen, liegt in ihren gemeinsamen naturalistischen und evolutionstheoretischen Voraussetzungen begründet. Die folgenreichste – und auch für den hier bearbeiteten Kontext bedeutungsvollste – axiomatische Annahme, die beiden Theorien dadurch inhärent ist, ist die der objektiv bestimmbaren (und insofern auch berechenbaren) Natur. Denn diese Annahme schließt auch das Lebendige mit ein, was im umweltsoziologischen Kontext insbesondere für die Beschreibung des menschlichen Lebens Konsequenzen hat. Die Ordnung dieser Natur – und darauf gründet in beiden Theorien die reduktive Erklärung lebendiger Verhaltensweisen – folgt darin Gesetzmäßigkeiten kausaler Art, ganz gleich, ob das Leben in der biologischen oder der sozialwissenschaftlichen Einstellung beschrieben wird. D.h. auf dieser Auffassung von einer kausallogisch funktionierenden und objektiv gegebenen Natur gründet sowohl der Anspruch der Ökologie, das „Umweltverhältnis“ des Tieres objektiv beschreiben zu können, als auch die Annahme der RCT, auf der Subjektebene Handlungen nach dem zweckrational fungierenden Maximierungsprinzip erklären bzw. prognostizieren zu können.2 Mehr noch: Die Ökologie ist als biologisch erklärendes Fun1

H. Esser: Soziologie, a.a.O. [Anm. 118] 222.

2

Neben den RC-Ansätzen, die eine kausale Erklärung des Handelns intendieren und die Annahme voraussetzen, dass der/die Handelnde realiter in der Entscheidungssituation

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dament in den Ansatz Essers eingegangen (siehe Abschnitt 2.3.1.1), wodurch die darin enthaltene evolutionstheoretische Begründung des „Umweltverhältnisses“ eine Axiomatik bereitstellt, die in Form reduktiver anthropologischer Annahmen Erklärungen auf der subjektiven Handlungsebene bietet. Wie die beobachtete Menge der objektiv gegebenen Umgebungseinflüsse in der Ökologie die „Umwelt“ des Tieres formen, so formen in Essers Ansatz die objektiv gegebenen und durch exogene Restriktionen determinierten Handlungsalternativen den zwar subjektiven, aber beobachtbaren Raum der möglichen Handlungsentscheidungen. In beiden Fällen gilt dabei die Annahme, dass die bestimmten (An-)Reize kausallogisch dazu führen, dass ein bestimmtes Verhalten ausgelöst respektive eine bestimmte Handlungsentscheidung getroffen wird. Verändern sich die objektiven Restriktionen, verändert sich auch die Handlungsentscheidung.3 Im Sinne einer Ökologie der Subjekte besteht das vom Beobachter einsehbare Verhältnis also zwischen Subjekt und den dieses Subjekt umgebenden und insofern erfassbaren Restriktionen, die sich wiederum in Haeckels Definition von Ökologie in den Existenzbedingungen, die das Tier vom Standpunkt des Beobachters aus in seinem Verhalten beeinflussen, wiederfinden. Die Vertreter der Theorie der rationalen Wahl unterstellen demnach – unter Berücksichtigung der evolutionsbiologischen Axiomatik – folgende grundlegende Handlungssituation: Orientiert am eigenen kurzfristigen Nutzen, entscheidet sich das Subjekt, nachdem es sämtliche Handlungsmöglichkeiten in Abhängigkeit der das Kosten-Nutzen-Verhältnis ihrer Handlungen kalkulieren, versuchen prognostizierende Ansätze zudem eine „als-ob“-Interpretation anzulegen, um dadurch den Fokus mehr auf die Prognosefähigkeit der Theorie, als auf ihren tatsächlichen explanativen Gehalt legen zu können (vgl. dazu Christian Lüdemann: Rationalität und Umweltverhalten. Die Beispiele Recycling und Verkehrsmittelwahl (Wiesbaden 1997) 14). Essers Ansatz ist, wie die entsprechenden Ausführungen gezeigt haben, ersteren zuzuordnen, da es ihm nicht um die Entwicklung eines spekulativen Prognosemodells geht, sondern einer allgemeinen Theorie, die die Entstehung und Entwicklung von Gesellschaften mittels eines methodologischen Individualismus erklärt, der dabei sein erklärendes Fundament in evolutionstheoretischen Annahmen findet. 3

Ulf Liebe und Peter Preisendörfer bestehen darauf, dass diese Annahme auch in der aktuellen RCT die allgemeine Grundannahme ersten Ranges bleibt. Die Änderung intrinsischer Präferenzen als Erklärung von Handlungsänderungen heranzuziehen, führe dagegen zu tautologischen Begründungen (vgl. Ulf Liebe/Peter Preisendörfer: Umweltsoziologie und Rational-Choice-Theorie. In: Handbuch Umweltsoziologie, hg. von Matthias Groß (Wiesbaden 2011) 221-238, 223). Hierin ist die evolutionstheoretische Vorstellung von einer passiven Anpassung an die „Umwelt“ unschwer zu erkennen.

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Einflüsse aus seiner sozialen „Umwelt“ ‚überschaut‘ hat, für diejenige Handlungsalternative, die unmittelbar die (auch vom Beobachter angenommene) subjektiv beste Kosten-Nutzen-Relation erwarten lässt. Die Handlungsmöglichkeiten ergeben sich dabei aus den jeweiligen, für das Subjekt gegebenen Restriktionen, die dessen objektiv einsehbaren Handlungsmöglichkeitsraum konstituieren. Denn aufgrund des dieser Systematik zugrunde gelegten, erklärenden Menschenbildes – pointiert ist das die Annahme einer evolutionsbedingten Myopia – muss das Subjekt in diesem als soziale „Umwelt“ konzipierten Restriktionsraum die Entscheidungen treffen, die in dieser „Umwelt“ den größten Nutzen versprechen. Sind also bspw. „Umweltprobleme“ wie Trinkwasserknappheit, das Ozonloch oder die Überfischung der Meere nicht Bestandteil der ersichtlichen Handlungsrestriktionen innerhalb der sozialen Umgebung des Subjekts, haben diese – der RCT nach – auch keinen Einfluss auf seine Handlungsentscheidung, da es zu diesen keinen kausalen Bezug herstellen kann. Dieser nach Esser anthropologisch bedingte Bezugsmodus, der als ein Leben in „Umweltverhältnissen“ konzipiert ist und in der Betrachtung der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ auf der Subjektebene als erklärende Annahme fungiert, soll – zum besseren Verständnis der Reduktion des menschlichen Lebens auf einen ökologischen Sachverhalt – an einem Beispiel kurz illustriert werden: Eines der Paradebeispiele in der „Umweltbewusstseinsforschung“ ist die Ermittlung des Recyclingverhaltens als praktische Umsetzung oder Nicht-Umsetzung von „Umweltbewusstsein“. Die dazu verwendete ‚Handlungsformel‘ lässt sich wie folgt definieren: „[D]ie Nutzenwerte und Eintrittswahrscheinlichkeiten von Handlungskonsequenzen [werden] empirisch ermittelt, miteinander multipliziert und über die Konsequenzen aufaddiert. Ein Akteur wählt jene Handlung, die den größten Nettonutzen (Nutzen abzüglich Kosten) erzielt“.4 Berücksichtigt man dabei zusätzlich (wie aktuell in den meisten Modellen üblich), dass in der soziologischen Variante der RCT neben harten ökonomischen Anreizen auch sogenannte ‚weiche‘ wie soziale Anerkennung, subjektive Werte etc. in die Kosten-Nutzen-Relation einbezogen werden, wird in der Analyse empirischer Untersuchungen zum Recycling nach dem RC-Ansatz evident, dass die Handlungsbereitschaft gemäß des vorhandenen „Umweltbewusstseins“ am höchsten in sozialen „Low-cost-Situationen“5 ist. D.h. ein Subjekt wird nur dann die als „umweltbewusst“ geltende Handlung vollziehen, wenn der individuelle Nutzen, den es aus dem Recyceln ziehen kann, höher ist, als die erwarteten sozialen Kosten. Als Anreiz kann dabei bspw. soziale Anerkennung gelten, da Recyclingaktivitäten meistens öffentlich einsehbar (und dadurch auch 4

H. Esser: Soziologie, a.a.O. [Anm. 118] 224.

5

Vgl. A. Dieckmann: Homo ÖKOnomicus, a.a.O. [Anm. 208] 110.

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öffentlich sanktionierbar) sind: „Die Absenkung der Raumtemperatur bedeutet ‚Frieren ohne soziale Anerkennung‘, während z.B. Recyclingaktivitäten gegenüber anderen Personen demonstrierbar sind“.6 Bliebe die soziale Anerkennung jedoch aus, fiele auch das Recyceln aus, da der Aufwand, d.h. die sozialen Kosten, höher wären als der individuelle Nutzen. Es ist demnach also nicht das „Umweltbewusstsein“ – im Sinne eines qualitativen Grundes – als solches, das zum Handeln führt. Vielmehr sind es die die Entscheidung kausal beeinflussenden und das Individuum ersichtlich umgebenden Restriktionen, d.i. bspw. die soziale Anerkennung der Nachbarn, der Freunde oder der Eltern. „Umwelthandeln“, so die Annahme, wird damit nicht aus einem tatsächlich intendierten „Umweltbewusstsein“ heraus konstituiert, sondern bildet in dem vorliegenden Fall lediglich eine vom Akteur nicht-intendierte Nebenfolge. Intendiert war das konkrete Erreichen sozialer Anerkennung, das gemäß dem Ursache-Folge-Prinzips umgesetzt wird. Christian Lüdemann spricht bezüglich der nicht-intendierten Nebenfolgen auch von „Handlungsfolgen mit 6

Ebd. 111. Mayerl macht darauf aufmerksam, dass in der von Esser entwickelten Definition der Entscheidungssituation dieser davon ausgeht, dass soziale Wertschätzung und physisches Wohlbefinden die zwei Bedürfnisse sind, die sich „allgemein, hinreichend und notwendig zur Erzeugung des ‚inneren Nutzens‘“ (J. Mayerl: Der Mensch in der analytisch-erklärenden soziologischen Handlungstheorie, a.a.O. [Anm. 194] 169) erweisen und insofern den Selektionsrahmen vorgeben (vgl. ebd. 168ff.). Esser unterstellt damit, dass sich jegliches Handeln stets auf diese zwei Bedürfnisse ausrichtet und somit hinreichend sind, um das menschliche Leben anthropologisch zu fassen: „Sie sind die allgemeinen Bedingungen für die Reproduktion menschlicher Organismen“ (H. Esser: Soziologie. Spezielle Grundlagen, a.a.O. [Anm. 197] 92). Obwohl Esser insoweit Recht zu geben ist, dass diese zwei Bedürfnisse grundlegende sind, ist jedoch fraglich, ob sie das menschliche Leben tatsächlich hinreichend erfassen. Zumal Esser in der Begründung für das Auftreten dieser Bedürfnisse bei einer biologistischen Sichtweise bleibt, was auch sein Rückgriff auf den Begriff der Weltoffenheit verdeutlicht. Denn Esser rekurriert darin auf Arnold Gehlen (vgl. ebd. 94), der in seiner Anthropologie den Sachverhalt der menschlichen Weltoffenheit ebenfalls als einen biologisch bedingten Mangel („Mängelwesen“-These) auswies (vgl. für einen Überblick über Gehlens biologische Argumentation: Christian Thies: Arnold Gehlen zur Einführung (Hamburg 2007) Kapitel 4). Interessant ist zudem, dass Esser eine Dimension des Psychischen oder Leiblichen nicht als notwendige Bedingung für die Vorgabe des Selektionsrahmens erachtet, denn als intrinsische Dimensionen sind sie mit dem rational-choice-theoretischen Objektivitätsdogma systematisch inkommensurabel, dessen Gültigkeit in der RCT Lieb und Preisendörfer gleichwohl jüngst betonten (vgl. 2.3.2.2 Fußnote 14).

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verschiedener zeitlicher Verzögerung“,7 in denen zwar der subjektive Nutzen unmittelbar eintritt, hingegen der Nutzen „umweltbewussten“ Handelns erst viel später offenbar wird. Deswegen sei es dann sehr schwierig – sowohl für das Subjekt als auch für den Beobachter – diesen Nutzen „einem individuellen Verhalten kausal zuzuordnen“.8 Folgte man dieser Logik, müsste daraus der Schluss gezogen werden, dass die Überwindung der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ deswegen scheitert, weil Subjekt und Objekt (d.i. die „Umwelt“) in keinem Kausalzusammenhang stehen. Überträgt man nun vergleichend diese subjektive Handlungssituation auf Haeckels Definition von Ökologie, lässt sich die Situation folgendermaßen übersetzen: Als eine relevante Existenzbedingung der Umgebung des Subjekts übt die soziale Anerkennung als ein Objekt der sozialen „Umwelt“ Einfluss auf dieses aus und kann dadurch als verhältnisstiftend zwischen Organismus und Umgebung beobachtet und bestimmt werden. Mit anderen Worten: Subjekt und Objekt finden in ihrem „Umweltverhältnis“ des Gegenübers durch einen Kausalzusammenhang zueinander. Der Gegenstand der ‚natürlichen‘ „Umwelt“ selbst ist nicht Teil dieser „Subjektumwelt“, da zur diesem keine Kausalbeziehung hergestellt werden kann. D.h. letztendlich ist die „Umwelt“ darin kein handlungsrelevantes Objekt, weil das ökologische Konzept des Organismus-„Umwelt“-Verhältnisses – dem die allgemein gültige Annahme von der Realität der „Umwelt“ da draußen zudem selbst unterliegt – Grundlage der Bestimmung des subjektiven „Umweltverhältnisses“ auf der umweltsoziologischen Subjektebene ist. Dieses Begründungsverhältnis 7

C. Lüdemann: Rationalität und Umweltverhalten, a.a.O. [Anm. 231] 57.

8

Ebd. 57. Entsprechend sieht Lüdemann ebenfalls die Hauptursache der meisten „Umweltprobleme“ darin, „daß Akteure bei ihren individuellen Entscheidungen kurzfristige individuelle Kosten und Nutzen gegenüber langfristigen kollektiven Kosten und Nutzen überbewerteten“ (ebd. 57). Einer der primären Gründe für die hier implizit konstatierte Myopia ist wiederum die phylogenetisch „beschränkte kognitive Kapazität“ (ebd. 57). Aufgrund der starken Präsenz an kritischer Auseinandersetzung mit Autoren, die das kurzfristige Kosten-Nutzen-Prinzip als Erklärung für Handeln oder eben Nicht-Handeln anführen, soll noch einmal betont werden, dass es in der vorliegenden Arbeit nicht darum geht, dieses Handlungsmuster als nicht existent auszuweisen. Natürlich gibt es das Handeln zur Erreichung eines kurzfristigen Nutzens. Aber dieses Muster als das primäre bzw. das den Menschen auszeichnende auszuweisen, wobei zu dessen Begründung ein axiomatisch fungierendes und evolutionstheoretisch begründetes Menschenbild angeführt wird, führt zu einfachen Festschreibungen des Menschen, deren Gültigkeit nicht nur durch empirische Ergebnisse bestätigt wird, sondern durch diese Bestätigung zudem Gefahr läuft, als Wahrheit in die kulturelle Praxis einzugehen.

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zwischen Ökologie und RCT führt somit letztendlich dazu, dass in diesem realistischen Ansatz der Umweltsoziologie keine Lösung für das Differenzproblem gefunden wird. Da das evolutionstheoretisch begründete „Umweltkonzept“ der Ökologie im umweltsoziologischen RC-Ansatz in anthropologischer Hinsicht auf das Subjekt angewendet wird, und dieses zudem aufgrund der darin vorausgesetzten naturalistischen Naturauffassung lediglich ein Verhältnis des Gegenübers zwischen Subjekt und „Umwelt“ eröffnen kann, bleibt auch die auf der umweltsoziologischen Subjektebene angenommene Form des Verhältnisses eines des Gegenübers. Insofern bleibt die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt als Präsupposition bestehen und reproduziert dadurch zugleich die naturalistischevolutionstheoretische Auffassung des „Umweltverhältnisses“. Damit kann festgehalten werden, dass die systematische Problematik, die durch das Begründungsverhältnis zwischen Ökologie und RCT entsteht, am „Umweltbegriff“ selbst liegt. Denn das Festhalten an diesem ökologischen Begriff mit all seinen impliziten Voraussetzungen hat in der umweltsoziologischen Beschreibung menschlicher Lebensvollzüge zur Folge, dass auf der Mikroebene diese Voraussetzungen in Form von anthropologischen und insofern axiomatischen Annahmen in das Subjekt gelegt werden. D.h. wenn die Subjekt-Objekt-Dichotomie diejenige Präsupposition ist, die in der anthropologischen Begründung des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses dazu führt, dass dieses Verhältnis lediglich als eins des Gegenübers zu fassen ist, dann kann die Thematisierung dieses Verhältnisses in einer realistischen Umweltsoziologie lediglich unter der Prämisse der Überwindung des Gegenübers stehen. Die Lösung des Problems muss dadurch stets von der Subjektseite aus in Angriff genommen werden, wodurch die Dichotomie letztendlich jedoch bestätigt wird. Ein ähnlicher Befund lässt sich allerdings auch für die umweltsoziologische Lebensstilforschung diagnostizieren. Die darin bestehenden biologischen Begründungen, die sich aus der Umweltlehre Uexkülls speisen, werden im Folgenden zudem verdeutlichen, inwiefern diese Diagnose auch in einem konstruktivistischen Ansatz mit dem Umweltbegriff zusammenhängt. 2.3.2.2 Die subjektivistische Erklärung des menschlichen Umfeldbezugs in der Lebensstilsoziologie Die umweltsoziologische Lebensstilforschung, die ebenfalls nach Erklärungen für die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ sucht, kann – im Lichte der Uexküll’schen Biologie betrachtet – als eine Umweltlehre von Subjekten gedeutet werden, in der die „Art und Weise, wie Realität wahrge-

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nommen wird, verhaltensbestimmend“1 ist. Uexkülls Diktum – Alle Wirklichkeit ist subjektive Erscheinung – drängt sich hier als axiomatische Voraussetzung geradezu auf. Doch wie plausibel ist diese Behauptung vom Uexküll’schen Erbe der Lebensstilforschung? Die zuvor erwähnte Entwicklung des Lebensstilkonzepts nach Simmel (siehe S. 115f.) gibt einige Hinweise auf die Antwort: In Simmels Lebensstilkonzept ist das Subjekt der Mittelpunkt im Schnittpunkt der Kreuzung sozialer Kreise, die es selbst gewählt hat und die zusammengenommen das Konglomerat seines Lebensstils bilden. Thure von Uexküll, der Sohn Uexkülls, hat den Bezug zwischen Subjekt und Umwelt in ganz ähnlicher Weise für die Umweltlehre seines Vaters beschrieben: „In ihr [der Umwelt] ist es [das Subjekt] ‚Zentrum‘ nur im Sinne des Schnittpunkts von Beziehungslinien, die sich in ihm wie in einem Fokus vereinigen. Die Frage, wie ein Lebewesen die Dinge und Vorgänge der Umgebung erlebt, wird daher als Frage nach der Stellung in einem Beziehungsfeld verstanden in dem ein Netz von Verbindungslinien vom Subjekt zu bestimmten Dingen der Umgebung und von diesen wieder zurück zum Subjekt verlaufen. In diesem Netz unsichtbarer Fäden verwandeln sich die neutralen Dinge der Umgebung zu Objekten der Umwelt“,2 wobei diese Beziehungslinien durch die Funktionskreise repräsentiert werden. Auch die oben angeführte Definition von Lebensstil (siehe S. 117f.) lässt die Annahme einer systematischen Ähnlichkeit zu Uexkülls Umweltlehre zu. Denn das darin hervorgehobene Muster von Verhaltensweisen, die eine formale Ähnlichkeit haben, erinnert an das Muster artspezifischer Verhaltensweisen, deren formale Ähnlichkeit mit dem Funktionskreis zum Ausdruck gebracht wird. Zudem erinnert die biographische Stabilität eines Lebensstils an die artspezifische Geschlossenheit der Umwelt, wobei die dem Lebensstil zugrunde liegenden Orientierungen den subjektspezifischen Bedeutungstönen in Uexkülls Umweltlehre in ihrer sinnstiftenden Funktion ähnlich sind. Zwischen Lebensstilkonzept und Uexküll’schem Umweltkonzept können demnach einige systematische Gemeinsamkeiten festgestellt werden – dies ist die These. Denn in ähnlicher Weise wie Uexküll von einem Universum voll von Umwelten spricht, wird in der Lebensstilforschung mit Blick auf die pluralisierte Gesellschaft, die sich in den verschiedenen Lebensstilen mit ihren jeweils unter1

Rudolf Richter: Der Lebensstil. Dimensionen der Analyse. In: Sinnbasteln. Beiträge zur Soziologie der Lebensstile, hg. von ders. (Wien/Köln/Weimar 1994) 48-65, 49.

2

Thure von Uexküll: Die Umweltforschung als subjekt- und objektumgreifende Naturforschung. Einleitung. In: Jakob von Uexküll/Georg Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen – Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten. Bedeutungslehre. Mit einem Vorwort von Adolf Portmann (Frankfurt a.M. ND 1983 [1970]) XXIII-XLVIII, XXV.

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schiedlichen Sinnstiftungen zeigt, auch von einem „Mikrokosmos zersplitterter Welten“3 gesprochen. Die Gestaltung bzw. Aneignung einer dieser Welten, d.h. eines spezifischen Lebensstils (analog zu Uexkülls artspezifischen Umwelten), konstituiert demnach die ‚Identität‘ des Subjekts und somit zugleich die Verhaltensweisen, die diese ‚Identität‘ zum Ausdruck bringen. Letztere werden folglich nicht per se von einem evolutionsbiologisch begründeten Handlungsprinzip geleitet, wie dies in der RCT unterstellt wird. Insofern geht es in Lebensstilforschungen zum „Umweltbewusstsein“ auch nicht darum zu berechnen, welche Gegebenheiten sich in einer auf „Umwelthandeln“ bezogene Entscheidungssituation als nutzenmaximierender gegenüber anderen feststellbaren Einflussgrößen erweisen. Vielmehr gilt es zu analysieren, inwiefern „Umweltprobleme“ vom Subjekt kognitiv aufgenommen werden und wie das daraus entstehende „Umweltbewusstsein“ in den verschiedenen, Lebensstilen als „Umwelthandeln“ zum Ausdruck kommt. Die handlungstheoretische Annahme, die dahinter steckt, ist dabei, dass aufgrund der Subjektivität der Lebensstilwirklichkeit die praktische Umsetzung von „Umweltbewusstsein“, je nach Lebensstil und den darin dominierenden Werthaltungen und Einstellungen, auch im Handeln unterschiedlich ausfällt. Wenn in einem materiell ausgerichteten Lebensstil bspw. Autos eine hohe Bedeutung als Statussymbol tragen, wird sich die praktische Umsetzung von „Umweltbewusstsein“ nicht in einem Verzicht auf das Autofahren zeigen, sondern vielleicht im Kauf von Bioprodukten oder von Öko-Aktien. Hingegen wird sich die „umweltrelevante“ Praxis in einem Lebensstil, in dem Autos nicht 3

Angelika Poferl: ‚Umweltbewußtsein‘ und soziale Praxis. Gesellschaftliche und alltagsweltliche Voraussetzungen, Widersprüche und Konflikte. In: Ökologisches Handeln als sozialer Konflikt. Umwelt im Alltag, hg. von Hellmuth Lange (Opladen 2000) 35-56, 43. Lange betont ebenfalls, dass das handlungsrelevante ‚Umweltbewusstsein‘ weit entfernt von einem „integralen Umweltbewußtsein“ und vielmehr „hochgradig fragmentiert“ ist, wobei die Fragmentierung mit der „Unterscheidung nach Lebensstilen“ (H. Lange: Eine Zwischenbilanz, a.a.O. [Anm. 214] 21f.) korreliert. Obwohl es natürlich richtig ist, dass sich spätmoderne Gesellschaften durch einen starken Pluralismus und einer Mannigfaltigkeit an Lebensstilen auszeichnen, läuft eine Überbetonung des mit dem Lebensstilkonzept vertretenen Subjektivismus dennoch Gefahr, dem Menschen seine Eigenschaft des verstehenden Nachvollzugs zu entziehen. Denn ein solch starker Subjektivismus würde es verunmöglichen, die „Umwelt“ oder die sogenannte äußere Natur als ein allgemeingültiges Gut auszuweisen. Eine extrem individualisierte „Umweltpolitik“ etwa, die hypothetisch die Konsequenz aus einem solchen Subjektivismus sein würde, dürfte aber schwerlich umzusetzen sein, da das Politische selbst auf einem verstehenden Nachvollzug, der eine interpersonale Einstellung ist, gründet.

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zu den stilisierten Bedeutungsträgern gehören, gerade im Verzicht auf das Autofahren zeigen. Analog zu Uexkülls Verdienst, die Artspezifität von Umwelten herausgestellt zu haben, die sich in den verschiedenen artspezifischen Funktionen der umweltrelevanten Objekte zeigt, kann für die Lebensstilforschung festgehalten werden, darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass die Mannigfaltigkeit der Lebensstile auf eine Subjektivität von Sinnordnungen hinweist, in denen die sinntragenden Objekte je nach Lebensstil unterschiedliche Bedeutungen haben. Zudem wird angenommen, dass Lebensstile mit dieser Eigenschaft subjektiver Realität eine wesentliche soziale Funktion erfüllen: die Distinktion zu anderen Lebensstilen respektive zu deren Trägern: „Diversität ist dem Lebensstilkonzept inhärent, weil Sinn aus Differenzen bezogen wird“.4 Nicht nur, dass die Funktion von Lebensstilen durch den Begriff der Diversität von Falk Schützenmeister hier biologisiert wird,5 systematisch wird von ihm zudem die Uexküll’sche Annahme der nicht-geteilten Wirklichkeit in die sinnbedingte Distinktionsfunktion der mannigfaltigen Lebensstile gespiegelt.6 Schützenmeister stellt entsprechend fest: 4

F. Schützenmeister: Hybrid oder autofrei?, a.a.O. [Anm. 220] 273.

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Dieter Rink verweist bezüglich der Lebensstildiversität auf eine seitens der Politik (Enquete-Kommission 1994) vorgenommene Analogisierung der kulturellen Vielfalt mit biologischer Vielfalt: „Die Existenz einer Vielfalt von Lebensstilen wird hier als Voraussetzung der Lebens- und Entwicklungsfähigkeit von Gesellschaften gesehen. Die kulturelle Vielfalt einer Gesellschaft – manifestiert in der Pluralität von Lebensstilen – wird damit in einer Analogie zur Funktion biologischer Vielfalt für Ökosysteme gesehen.“ (Dieter Rink: Lebensweise, Lebensstile und Lebensführung. Soziologische Konzepte zur Untersuchung von nachhaltigem Leben. In: Lebensstile und Nachhaltigkeit. Konzepte, Befunde und Potentiale, hg. von ders. (Opladen 2002) 27-52, 33). Diese von der Politik angestrengte Analogie ist somit ein weiterer Zeuge dafür, dass in der kulturellen Praxis ein biologistisches Verständnis vom Leben vorherrscht, von dessen Richtigkeit die entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse überzeugen.

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Selbst in der Beschreibung der zeitlichen Entwicklung von Lebensstilen findet sich eine Ähnlichkeit zu Uexkülls Beschreibung der zeitlichen Dimension der Umwelt. So schreibt Uexküll: „Wenn man die Umwelt eines Tieres in einem bestimmten Moment als Kreis darstellt, so kann man jeden darauffolgenden Moment als einen neuen Umweltkreis hinzufügen. Auf diese Weise erhielte man eine Röhre, die der Länge des Lebens dieses Tieres entspräche. Diese Röhre wird allseitig von Merkmalen gebildet, die man sich entlang und um den Lebensweg des Tieres aufgebaut denken kann. Es gleicht daher der Lebensweg einem an beiden Enden geschlossenen Umweltstunnel“ (J. v. Uexküll: Theoretische Biologie, a.a.O. [Anm. 114] 108). Rink verweist auf ein ganz ähnliches Bild der zeitlichen Entwicklung von Lebensstilen: „Häufig geht man

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„Ein Kleinwagen kann in einer Arbeiterfamilie die automobile Freiheit symbolisieren, während die Nutzung desselben Modells als Zweitwagen in einer wohlhabenden Mittelschichtfamilie als ein Beitrag zum Umweltschutz betrachtet wird“.7 Die Möglichkeit der unterschiedlichen Deutung ist natürlich gegeben, aber die Potenzialität des gegenseitigen Verstehens wird hier von Schützenmeister durch seine differenztheoretische Bestimmung von Sinn unterlaufen. Seine Ausführungen erinnern insofern an das oben angeführte Uexküll’sche Beispiel vom Baum, der in der Umwelt einer Eule eine andere Bedeutung trägt als in der Umwelt eines Borkenkäfers. Diese Feststellung lässt nun den Schluss zu, dass die jeweilige subjektive Bedeutungszuschreibung, die den Lebensstil konstituiert gleich dem Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt im Uexküll’schen Umweltkonzept ist. Damit ist in implizitem Anschluss an Uexkülls Bedeutungslehre für das Lebensstilkonzept festzuhalten: „Die Stilisierung des Lebens wird als ein Entscheidungsprozess verstanden, der den Bemühungen, bestimmte Lebensziele zu erreichen Bedeutung verleiht“.8 Ein Lebensstil ist somit als eine komplementär funktionale Einheit von bedeutungstragender Sinnordnung und praktischem Ausdruck dieser subjektiven Bedeutungen zu betrachten, die vermittels der schon bestimmten Lebensziele zudem in ein noch höheres Ganzes eingeordnet ist – worin schließlich auch noch die Uexküll’sche Planmäßigkeit zum Vorschein kommt. Ausgehend davon, dass Praktiken tief in Lebensstile eingebettet sind9 und letztere dadurch als relativ stabile subjektive Sinnzusammenhänge begriffen

von der Vorstellung eines Korridors aus, in dem sich Lebensstile entwickeln können, dessen Planken nicht konkretisiert werden“ (D. Rink: Lebensweise, Lebensstile und Lebensführung, a.a.O. [Anm. 242] 31). So wie Uexkülls Axiom der Subjektivität dazu führt, dass es keine objektive Einsicht in die Umwelt eines Tieres gibt und der Beobachter deswegen die Merkmale entlang des Tunnels nicht objektiv bestimmen kann, werden auch im Lebensstilkorridor keine konkreten Angaben über objektive Merkmale angestrebt, die dann in ihrer Summe einen Lebensstil ergeben. Vielmehr wird von einem qualitativen Wandel respektive einer qualitativen Entwicklung ausgegangen, die sich kohärent zu der Entwicklung subjektiver Werte, Einstellungen etc. verhält, jedoch nicht als eine bestimmte Summe erfasst werden kann. 7

F. Schützenmeister: Hybrid oder autofrei?, a.a.O. [Anm. 220] 272.

8

[Hervorhebung KB] Ebd. 271.

9

Vgl. ebd. 272. Gerade aufgrund der tiefen Einbettung der Praxis in den Lebensstil wird dem vorwiegend politischen Impetus, aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse neue Lebensstile zu kreieren, seitens der Wissenschaft eher skeptisch begegnet (vgl. dazu H. Lange: Lebensstile, a.a.O. [Anm. 9] 165ff.)

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werden,10 besteht nun in der umweltsoziologischen Lebensstilforschung die Annahme, dass sich über die Einbettung der „Umwelt“ als Bedeutungsträger in einen Lebensstil – in einem systematisch ähnlichen Sinne zu Uexkülls Annahme, dass die Umwelt eines Tieres dieses fest umschließt – den Subjekten dieses Lebensstils ökologische Werte vermittelt werden können. Die praktische Umsetzung in „umweltbewusstes“ Handeln könne wiederum, so die Hoffnung, zu einer langfristigen Zustandsverbesserung der „Umwelt“ führen.11 Mit dieser Annahme ist das Problem erreicht, das bereits Uexkülls Anwendung seiner Umweltlehre auf den Menschen inhärent ist und das als axiomatische Annahme auch in die Lebensstilforschung eingegangen ist: Die Gebundenheit des Subjekts an die Umwelt bzw. im Falle des Lebensstilansatzes an die Lebensstilwirklichkeit. Lange spricht deswegen vom Problem der Kontextgebundenheit in der „Umweltbewusstseinsforschung“, „denn die Sichtweisen und Handlungsmuster […] stehen [darin] üblicherweise in mehr oder weniger starken Interdependenzen zu

10 Vgl. ebd. 270; aber auch H. Lange: Lebensstile, a.a.O. [Anm. 9] 162; sowie gegenteilig dazu R. Hitzler: Reflexive Individualisierung, a.a.O. [Anm. 227]. Hitzler geht von einer stark ästhetisch ausgerichteten Definition von Lebensstil aus, der sich aus „heterogenen Orientierungen zu so etwas wie einer (ästhetischen) Gesamtfigur arrangiert“ (ebd. 43). Aufgrund Hitzlers Fokussierung auf die ästhetische Dimension von Lebensstilen sind sie für ihn vielmehr „in ihrer existenziellen Relevanz und biographischen Reichweite begrenzte Lebensstil-Orientierungen“ (ebd. 43). Es ließe sich hier zum einen die Frage anschließen, ob nicht nochmals eine Differenz zwischen Lebensstil und Lifestyle vorzunehmen wäre, wobei letzterer explizit die ästhetische Dimension beinhalten würde (vgl. dazu R. Meinhold: Lifestyle und Selbstverwirklichung, a.a.O. [Anm. 197]). Rössel und Otte sprechen sich ebenfalls gegen eine Überbetonung der ästhetischen Dimension aus, denn ebenso können Lebensstile auch in ethischen Orientierungen wurzeln (vgl. G. Otte/J. Rössel: Lebensstile in der Soziologie, a.a.O. [Anm. 224] 13). Demnach wäre anzunehmen, dass ethische Überzeugungen ästhetischen Entscheidungen, bspw. Konsumentscheidungen, vorgelagert sind, da solche Überzeugungen gerade durch Konsumentscheidungen und die damit eingekaufte Ästhetik zum Ausdruck gebracht werden und insofern als relativ stabiler Sinnzusammenhang in Erscheinung treten. Entgegen der von den Autoren angestrengten Trennung von Ethik und Ästhetik machen diese Überlegungen jedoch eigentlich deutlich, dass es diese Trennung zwischen der ethischen und der ästhetischen Dimension in der Praxis gar nicht geben kann, sondern der Zusammenhang von ethischer Überzeugung und ästhetischem Ausdruck dieser Überzeugung vielmehr die psychophysische Einheit des menschlichen Lebensvollzugs verdeutlicht. 11 Vgl. D. Rink: Lebensweise, Lebensstile und Lebensführung, a.a.O. [Anm. 242] 38.

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den jeweiligen sachlichen und sozialen Kontexten“12 der Subjekte. Dadurch entsteht jedoch der Eindruck, das Subjekt wäre lediglich dazu befähigt, die Wirklichkeit innerhalb einer bestimmten Reichweite zu verarbeiten, was offenbar auch mit einer kognitiven Auffassung von Bewusstsein zusammenhängt. Die Wirklichkeit eines vorreflexiven, leiblich vermittelten Wissens, das sich in Handlungsvollzügen und Einsichten kundtut, dabei aber nicht auf unmittelbare Interdependenzen mit der Lebensstilwirklichkeit angewiesen ist, findet in einer solchen kognitiv-subjektivistischen Auffassung keinen Platz, da damit kaum ein linearer Zusammenhang zwischen ‚Bewusstsein‘ und Handeln hergestellt werden kann. Obwohl Lange hier zu Recht die subjektivistische Beschränkung der „Umweltbewusstseinsforschung“ kritisiert, ist die Annahme von der Subjektivität der Lebensstilwirklichkeit dennoch grundlegend im Lebensstilansatz. Diese Annahme gründet dabei auf einem Menschenbild, das auch in der Lebensstilforschung als einer subjektzentrierten, erklärenden Soziologie eine axiomatische Funktion einnimmt. Damit kann auch für die lebensstilsoziologisch orientierte Umweltsoziologie – wie bereits für ihren RC-Ansatz – die Behauptung aufgestellt werden, dass dieses reduktive Menschenbild aus der (impliziten) Übertragung eines in der Biologie entwickelten Umweltkonzepts resultiert. In Form einer anthropologischen Annahme fundiert es das Verhältnis zwischen Subjekt und „Umwelt“, allerdings nun mit konstruktivistischen Vorzeichen. Das so entstehende erklärende Axiom gründet dabei auf der Uexküll’schen Annahme der subjektiven Umweltgeschlossenheit als Bezugsform eines Organismus auf sein Umfeld, die dieser auch für den Menschen geltend macht. Analog zu Uexküll, der das menschliche Leben als ein Leben in geschlossenen Umweltverhältnissen ausweist, wird der Lebensstil zur quasi-geschlossenen Sinnordnung, auf die sich das Subjekt bezieht und ihn insofern fest in seine Umwelt gestellt sein lässt. Entscheidend dabei ist, dass dadurch die Bezugsform des Menschen auf die Wirklichkeit qua seines Menschseins als eine subjektivistische angenommen wird. Mit anderen Worten: Der gleiche ‚anthropologische Fehlschluss‘, der bereits bei Uexküll konstatiert und kritisiert wurde, findet sich nun als erklärende anthropologische Annahme in der Lebensstilforschung implizit wieder. Erkenntnistheoretisch interessant ist dabei insbesondere, dass sich trotz der Unterschiede zur realistischen Position der RCT das Menschenbild der Lebensstilforschung in seiner Quintessenz ebenfalls durch eine anthropologisch bedingte Myopia auszeichnet. Wie ist dies trotz unterschiedlicher epistemologischer Voraussetzungen zu erklären? Am Kontext der umweltsoziologischen Differenzproblematik kann dies gut illustriert werden. Denn aufgrund der lebens12 H. Lange: Eine Zwischenbilanz, a.a.O. [Anm. 214] 24.

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stilsoziologischen Annahme, dass ein einmal adaptierter Lebensstil nicht so flüchtig ist wie bspw. eine Mode als Ausdruck von Lifestyle, wird im Lebensstilansatz eine Verflechtung der lebensstilrelevanten Objekte mit „umweltrelevanten“ Bedeutungen angestrebt, um die Differenz zwischen Bewusstsein und Handeln aufzuheben. Lange verweist an dieser Stelle explizit auf das eben angesprochene Bewusstseinsproblem: Das „Umweltbewusstsein“ werde dabei als ein kognitives Phänomen begriffen, das sich in Wissen, Werten und Einstellungen manifestiere und nach ausreichender Akkumulation in einem konsistenten Handeln münde.13 Mit anderen Worten: Nur wenn die „Umwelt“ eine handlungsrelevante Bedeutung im Lebensstil erlangt, wird auch kohärent – analog zu Uexkülls Begriff der Kontrapunktion – gehandelt. Bezieht man nun die Vorstellung Uexkülls von den Gegenweltschemata ein, die ihren systematischen Ort in der Innenwelt des Tieres haben, entsteht der Eindruck, dass sich die dortige funktionskreismäßige Einheit von Subjekt und Objekt hier in einer „eindimensionalen Beziehung zwischen Bewußtsein und Handeln“14 widerspiegelt. So wie die Um13 Ebd. 20. 14 Ebd. 29. Bereits die Definition von „Umweltbewusstsein“, die der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen 1978 festlegte, bringt die stark kognitive Ausrichtung dieses Begriffes zum Ausdruck, da sich darin das „Umweltbewusstsein“ durch kognitive Einsichten in die „Umweltlage“ auszeichnet, die dann zu Handlungsbereitschaften führen (sollen) (vgl. Gerhard de Haan/Udo Kuckartz: Umweltbewußtsein. Denken und Handeln in Umweltkrisen (Opladen 1996) 36). Einsichten sind dabei als Wissensaspekte zu verstehen, die den Handlungsbereitschaften als notwendig vorläufig verstanden werden. Die kognitive Repräsentation dieses Sets an Wissen wird als Ursache verstanden und das entsprechende Handeln als deren kausale Folge. De Haan und Kuckartz verweisen zudem explizit auf den diffusen Gebrauch des „Umweltbewusstseinsbegriffs“ in der Öffentlichkeit, aber auch auf eine recht unpräzise Verwendung in der Umweltsoziologie. Darin werde häufig die Handlungsbereitschaft einer Person mit der tatsächlichen Handlung verwechselt. Laut den Autoren müsse jedoch in einer adäquaten Definition von „Umweltbewusstsein“ die tatsächliche praktische Umsetzung von „Umweltwissen“ und „Umwelteinstellungen“ in Form des „Umweltverhaltens“ erfüllt sein (vgl. ebd. 36f.). Zwar werden unter „Umwelteinstellungen“ bei De Haan und Kuckartz nun auch Emotionen einbezogen, aber auch hier geht den emotionalen Affizierungen das Wissen um den unhaltbaren „Umweltzustand“ voraus (vgl. ebd. 37). Das „Umweltverhalten“ bleibt somit auch bei diesen Autoren Folge der kognitiven Komponenten, die in Form von Wissensrepräsentationen ein „Umweltbewusstsein“ bilden. Damit bleibt bei De Haan und Kuckartz das „Umweltbewusstsein“ eine naturalistische Größe, die im Modus des Habens und nicht in dem des Seins formuliert wird (vgl. dazu auch A. Poferl: ‚Umweltbewußtsein‘ und soziale Praxis, a.a.O.

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weltdinge eines Tieres als Schemata im Merk- und Wirkorgan vorliegen, so wird dem Lebensstilkonzept nach die Differenz nur aufgehoben, wenn die „Umwelt“ als subjektiver Bedeutungsträger eine kognitive Repräsentation hat.15 Mit anderen Worten: Nur das, was innerhalb der Lebensstilumwelt Bedeutung hat, sieht das Subjekt als handlungsrelevant an. Alles andere erfordert eine Weitsicht, die das Subjekt der Lebensstilforschung durch die nun subjektivistisch-kognitiv begründete Myopia offenbar kaum realisiert. Interessanterweise verweist Lange diesbezüglich kritisch auf ein „implizite[s] Menschenbild“, das suggeriert werde, wenn von einer ‚Kluft‘ zwischen Bewusstsein und Handeln gesprochen wird: „Erklärungsbedürftig erscheint vor diesem Hintergrund weniger die Tatsache, daß Bewußtsein und Handeln nicht 1:1 miteinander korrespondieren, sondern die schlichte Erwartung, es könne derartige Korrespondenzen tatsächlich geben“.16 An dieser von Lange eingeforderten Einsicht der Inkommensurabilität von kognitiv begriffenem Bewusstsein und Handeln können zwei Dinge deutlich gemacht werden: Zum einen, dass die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt als Präsupposition auch in der lebensstilorientierten Umweltsoziologie weiterhin besteht. Denn das Rekurrieren auf kognitive Entitäten schafft stets ein dichotomes Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, dessen Überwindung dann einer linearen Bewegung folgt: Das myopische Subjekt, das im ‚Dunstkreis‘ seines Lebensstils lebt, muss sich erst die „Umwelt“ als ein sinnstiftendes Objekt kognitiv aneignen, damit sich ein „Um-

[Anm. 240] 40f.). Poferl plädiert in kritischer Stellungnahme zu den Autoren, dass die Berücksichtigung der sozial-praktischen Aneignung eines „Umweltbewusstseins“ in den Fokus gerückt werden müsse, da dieses direkt mit dem Erleben der Lebenswelt verknüpft ist. Poferls Überlegungen gehen hier in eine konstruktive Richtung, da es ihr gelingt, den Begriff des Bewusstseins als einen bloßen Zustandsbegriff (kognitiver Repräsentationen) zurückzulassen und versucht, diesen vom Erleben her zu greifen. Allerdings schafft Poferl es nicht, sich gänzlich von der Vorstellung eines Gegenüberverhältnisses zu lösen, da sie bei der Überzeugung bleibt, dass es sich beim Bewusstseinsphänomen primär um ein Aneignungsverhältnis handelt, das aktiv vom Subjekt ausgeht (vgl. ebd. 47f.). Die Perspektive einer gleichursprünglichen Konstituierung von Selbst-Welt-Beziehungen, in der das Objekt am Bewusstseinsvollzug gleichermaßen beteiligt ist wie das Subjekt bleibt insofern auch ihr verschlossen (vgl. Kapitel 4.1). 15 Uexkülls Vorstellung von der Subjekt-Objekt-Einheit stand zwar nicht unter den Vorzeichen der Kognitionswissenschaft, seine Vorstellungen von den Gegenweltschemata muten in dieser Hinsicht aber durchaus als dafür wegbereitend an. 16 H. Lange: Eine Zwischenbilanz, a.a.O. [Anm. 214] 30 sowie 26 u. 29.

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weltbewusstsein“ ausbilden kann, das schließlich zur Handlung führt.17 Selbst Langes Skepsis gegenüber einer generellen Annahme, dass es einen einheitlichen Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Handeln geben könne, macht noch das Verhaftetsein im dichotomen Denken sichtbar. Dadurch macht er zum anderen aber auch deutlich, dass in der Umweltsoziologie der Diskurs darüber, was Bewusstsein ist, lediglich zwischen Realismus und Konstruktivismus geführt wird und deren Fronten kaum andere Sichtweisen zulassen. Denn als Lösungsvorschlag bietet Lange keine alternative Konzeptualisierung des Bewusstseins an, in der bspw. das leibliche Erleben als Konstitutivum eines Bewusstseinsvollzugs Berücksichtigung findet und so einen anthropologisch-phänomenologischen Zugang zum „Umweltbewusstsein“ eröffnet. Zwar bemerkt Lange, dass u.a. die Frage nach den persönlichen Erlebnissen eines Menschen im Kontext der „Umweltthematik“ von der „Umweltbewußtseinsforschung bis heute noch höchst unzulänglich bearbeitet“18 sei. Letztendlich spricht er sich jedoch dafür aus, die Kontextgebundenheit der Subjekte ernst zu nehmen und in die individualpsychologische Perspektive Elemente der Politischen Psychologie, der Soziologie und der Politologie einfließen zu lassen.19 Lange nimmt zwar zu Recht eine ablehnende Haltung gegenüber anthropologisch-reduktiven Generalisierungen innerhalb der kognitiven „Umweltbewusstseinsforschung“ ein. Aber auch er trägt im nun positiven Rekurrieren auf die Kontextgebundenheit implizit das Bild des myopischen Menschen mit, dessen Begründung hier zwar keine evolutionsbiologische ist, aber implizit auf der bereits von Uexküll erhobenen Prämisse der Subjektivität von Wirklichkeit ruht und insofern ebenfalls ein biologisches Erbe hat. Die von ihm zudem bekundete grundsätzliche Ablehnung „[a]nthropologisierende[r] Generalisierungen“20 zeugt letztendlich mehr von der insbesondere für die konstruktivistische Soziologie gängige Ablehnung anthropologischer Überlegungen in Bezug auf soziale Sachverhalte, anstatt im Sozialen selbst eine anthropologische Möglichkeit zu sehen. Dadurch geht ihm letztendlich die Gelegenheit verloren, durch eine Reflexion auf die von ihm kritisierten Reduktionismen philosophisch-anthropologische Anschlüsse in den Blick zu bekommen – anstatt generell anthropologische Überlegungen abzulehnen –, mit denen das eigentliche Ziel der „Umweltbewusstseinsforschung“ erreicht werden könnte: die „Identifizierung jener Gründe, die Personen davon abhalten, einen 17 Vgl. ebd. 29. 18 Ebd. 23. Bis heute ist keine phänomenologisch-hermeneutisch intendierte Bearbeitung des umweltsoziologischen Bewusstseinsproblems durchgeführt worden. 19 Vgl. ebd. 33. 20 [Hervorhebung KB] Ebd. 27.

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solchen Prozeß der Selbstveränderung zu beginnen“.21 Dazu bedarf es allerdings keiner weiteren Erklärung der subjektiven Kontextgebundenheit, sondern vielmehr der phänomenologisch-hermeneutisch intendierten Freilegung des transzendierenden menschlichen Lebens, das sich im Vollzug als Wirklichkeit von Selbst und Welt realisiert, sowie dessen philosophisch-anthropologische Fundierung. In der zeitgenössischen Umweltsoziologie scheint diese Möglichkeit der philosophisch-anthropologischen Bearbeitung ihres Forschungsgegenstandes, das Mensch-Natur-Verhältnis, vergessen zu sein. Dies mag auch daran liegen, dass Uexkülls Umweltlehre darin äußerst peripher Berücksichtigung findet und dementsprechend auch die von der Philosophischen Anthropologie vorgetragene Kritik an Uexküll bisher keine Anschlüsse bieten konnte.22 Nichtsdestotrotz kann festgehalten werden, dass auch zwischen Umweltlehre und Lebensstilforschung 21 Ebd. 22. 22 Soweit die Literatur zur Lebensstilforschung von der Autorin überblickt wurde, gibt es kaum explizite Bezüge zu Uexkülls Umweltlehre, obwohl dieser als Vordenker der (Bio-)Semiotik sowie des Konstruktivismus gilt (vgl. für eine derartige Erwähnung der Umweltlehre exemplarisch die Beiträge von Ernst von Glasersfeld: Theorie der kognitiven Entwicklung/Wolfram Karl Köck: Neurosophie und Andreas Weber: Die wiedergefundene Welt. In: Schlüsselwerke des Konstruktivismus, hg. von Bernhard Pörksen (Wiesbaden 2011) 92-107/208-225/300-318). Einer der wenigen expliziten Bezüge zu Uexkülls Umweltlehre in der Lebensstilforschung hat Walter Sehrer hergestellt (vgl. Walter Sehrer: Ein relationaler Umweltbegriff. Von Uexküll über Gibson zu Mead – interdisziplinäre Anschlüsse für ein pragmatisch-subjektbezogenes Naturverständnis. In: Soziologie und Natur. Theoretische Perspektiven, hg. von Karl-Werner Brand (Opladen 1998) 173-200). Sehrer beabsichtigt in seinem Ansatz die Verknüpfung von Uexkülls Umweltlehre mit der Psychologie James J. Gibsons sowie der Soziologie George Herbert Meads. Damit will er erstens die Annahme der Umweltgebundenheit im Sinne des geschlossenen Funktionskreises überwinden und zweitens verspricht er sich von der Verknüpfung besagter Ansätze, „eine phänomenologisch erweiterte und subjektbezogene Ökologie“ (ebd. 173) zu entwickeln. Sehrer betont zwar, dass die systematischen Implikationen des Funktionskreises hinsichtlich einer Beschreibung des menschlichen Lebens überwunden werden müssen. Durch die von ihm vertretene und dabei chronologisch geordnete „Achse ,Wahrnehmen-ErkennenHandeln‘“ (ebd. 200) reicht aber auch sein Verständnis des Subjekt-„Umwelt“Verhältnisses nicht über ein vom Subjekt ausgehendes Aneignungsverhältnis hinaus. Da in der Umweltsoziologie aktuell keine Rezeption Uexkülls stattfindet, wird in der vorliegenden Arbeit auch eher von einem impliziten Begründungsverhältnis zwischen Uexkülls Umweltlehre und lebensstilorientierter Umweltsoziologie gesprochen. Eine zukünftige explizite Bezugnahme wäre allerdings durchaus interessant.

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ein Begründungsverhältnis vorliegt, das jedoch eher implizit denn explizit ist. Mit dieser Einsicht in das doppelte Begründungsverhältnis – einerseits zwischen Ökologie und RCT und andererseits zwischen Umweltlehre und Lebensstilforschung – wird nun deutlich, dass sowohl umweltsoziologischer Realismus als auch umweltsoziologischer Konstruktivismus einem biologischen Erbe verhaftet sind, das sich beide Strömungen durch das Übernehmen der jeweiligen biologischen Umweltkonzepte als erklärende Annahmen in den jeweiligen Konzeptionen des subjektiven Umfeldbezugs einhandeln. Zum Abschluss des zweiten Kapitels werden die beiden behandelten Ansätze der Umweltsoziologie noch einmal resümierend betrachtet. Dadurch wird noch einmal kurz zusammengefasst, inwiefern die darin biologisch gefassten Anthropologismen die Formen des menschlichen Umfeldbezugs bestimmen und warum diese im Kontext des Umweltbegriffs keine hinreichenden Beschreibungen des menschlichen Lebens bieten. Dies eröffnet zum einen die Möglichkeit, den Weltbegriff – als Überleitung zum dritten Kapitel – vorzuschlagen, und zum anderen die damit einhergehende Forderung, festgeschriebene Menschenbilder zu verabschieden, noch einmal zu verdeutlichen. Denn will die Umweltsoziologie erstens diese jemals hinter sich lassen und zweitens die bipolare Ausrichtung in Realismus und Konstruktivismus aufbrechen, muss sie sich auf neue Ansätze, die jenseits von Naturalismus und Konstruktivismus stehen, einlassen. 2.3.3 Ist der menschliche Umfeldbezug eindimensional fassbar? Die vorhergehende Diskussion der umweltsoziologischen Ansätze von RCT und Lebensstilsoziologie (im Kontext des Problems der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“), die in Hinsicht auf ihre jeweiligen Axiomatiken geführt wurde, hat das grundlegende umweltsoziologische Problem einer systematischen Bestimmung des menschlichen Umfeldbezugs deutlich gemacht: die Lokalisierung, Erklärung und Setzung dieses Bezugs durch anthropologische Verkürzungen, die aus dem Festhalten am Umweltkonzept hervorgehen. Einerseits wurde innerhalb der Theorie der rationalen Wahl der Mensch in seinen Handlungs- und damit Lebensvollzügen dem Kosten-Nutzen-Prinzip sowie der Kausalität reduktiv untergeordnet. D.h. der Mensch ist darin auf eine berechenbare Größe dezimiert. Im Ergebnis führt diese Form der systematischen Bestimmung des Menschen in der realistischen Umweltsoziologie zu einer Ökologie der Subjekte, in der davon ausgegangen wird, dass das Verhältnis zwischen Subjekt und „Umwelt“ von den objektiven Bedingungen der Subjektumgebung

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abhängt. Denn für die Realisierung eines „umweltbewussten“ Handelns ist das Subjekt auf die Herstellung eines einsehbaren, kausallogischen Bezugs zu seinem sozialen Umfeld angewiesen, damit es die Kosten-Nutzen-Relation des möglichen „umweltrelevanten“ Handelns kalkulieren kann. Aufgrund dieses Menschenbilds wird davon ausgegangen, dass sich mittels des evolutionstheoretisch-ökologischen Maximierungsprinzips das Eintreten oder Nicht-Eintreten von „Umwelthandeln“ berechnen und erklären lässt. Andererseits wird in der lebensstilorientierten „Umweltbewusstseinsforschung“ davon ausgegangen, dass das subjektive Handlungsbewusstsein seine kognitiven Schranken an der selbstangeeigneten Lebensstilwirklichkeit findet. In diesen Lebensstil subjektiv-sinnvoll eingebettet und von ihm fest umschlossen, handelt das Subjekt – analog zur Funktion des Funktionskreises – gemäß der darin als unmittelbar handlungsrelevant wahrgenommenen Bedeutungsträger, die auf die Erreichung höherer Ziele ausgerichtet sind. Befindet sich somit die sogenannte natürliche „Umwelt“ außerhalb der subjektiven Sinnmauern, wird sie aufgrund mangelnder sinnstiftender Bedeutung auch keine Handlungsrelevanz erfahren, denn damit sie als Bedeutungsträger handlungsrelevant wird, muss die „Umwelt“ zuvor als kognitive Repräsentation, als mentale Wissenseinheit, vorliegen, um ein Bewusstsein bilden zu können. Für beide Ansätze kann somit festgehalten werden, dass in diesen das Verhältnis zwischen Bewusstsein und Handeln als ein eindimensionaler Bezug konzipiert wird. Diese Annahme der Eindimensionalität drückt sich in den lebensstilorientierten Ansätzen dabei in der kognitiven Gebundenheit des Subjekts an seine subjektivistisch sinnhafte Lebensstilumwelt aus, womit der Lebensstilansatz als eine Art Umweltlehre gefasst werden kann.1 In der RCT drückt sich diese Eindimensionalität in der Notwendigkeit der objektiven Einsicht aus, da nur so das Subjekt befähigt ist, ein ökologisches Gleichgewicht zwischen seinem individuellen Nutzen und seinen sozialen Kosten kausal herzustellen.

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Wie bereits bei der Thematisierung der Definition von Lebensstil angesprochen, sprechen viele Annahmen der Lebensstilforschung dafür, dass diese auf dem Hintergrund eines impliziten Weltbegriffs stehen (bspw. ist eine durch die Lebensstilaneignung gewollte Abgrenzung gegenüber anderen nur vor einem geteilten Sinnhorizont möglich, denn damit diese vollzogen werden kann, muss das Subjekt die Bedeutungsträger anderer Lebensstile, gegen die es sich abgrenzt, verstehen können). Das Konzept des Lebensstils als ein relativ eingeschränkter subjektiver Raum verhindert aufgrund des zugrunde gelegten Subjektivismus jedoch die Entfaltung der mit einem expliziten Weltbegriff einhergehenden systematischen Möglichkeiten, so dass das Subjekt der Lebensstilforschung weiterhin ein Leben in beschränkten Umweltverhältnissen fristet.

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Beiden Ansätzen gemeinsam ist dabei die axiomatisch erklärende Annahme einer anthropologisch bedingten Myopia: Wird diese in der RCT vor dem Hintergrund der „Imperative des Lebens“ (Esser) wie den der Nutzenmaximierung explizit gemacht, wird sie in der Lebensstilforschung durch die kognitiv begründete Gebundenheit des Subjekts an die unmittelbare Sinnhaftigkeit der Lebensstilwirklichkeit implizit sichtbar. Die Frage, die sich vor diesem Hintergrund somit stellt, ist: Kann der menschliche Bezug zu seinem Umfeld mittels einer anthropologisch begründeten Kurzsichtigkeit umfassend erklärt werden? Und ferner: Kann diese Myopia als anthropologische Begründung für das (scheinbar) nichtüberwindbare „umweltzerstörerische“ Handeln bei Einnahme einer philosophisch-anthropologischen Perspektive standhalten? Offensichtlich ist, dass in der zeitgenössischen umweltsoziologischen Debatte um die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ Positionen eingenommen werden, die bereits vor 100 Jahren in der Biologie von Ökologie und Umweltlehre vertreten waren. Die Umweltlehre schaffte damals eine Möglichkeit, das Lebendige jenseits eines naturalistischen Naturverständnisses und einer evolutionstheoretischen Biologie zu begreifen. Denn Uexküll eröffnete die Perspektive einer funktionalen Einheit zwischen Subjekt und Objekt, die in der Form des tierischen Umfeldbezugs, d.h. in der tierischen Lebensform, begründet liegt. In der Lebensstilforschung wird zwar aufgrund des impliziten Uexküll’schen Erbes die Annahme einer sinngebundenen Einheit zwischen subjektiver Lebensführungspraxis und selbstgestaltetem Lebensstil vertreten, bei näherer Betrachtung wurde jedoch deutlich, dass aufgrund des darin verwendeten kognitiven Bewusstseinsbegriffs auch hier die Subjekt-Objekt-Dichotomie als Präsupposition bestehen bleibt. Eine explizite Auseinandersetzung mit ihrem biologischen Erbe könnte der Lebensstilforschung die Chance bieten, das dichotome Denken hinter sich zu lassen, denn mit Uexküll ist die Bezugsform als solches, d.h. das Dazwischen, zumindest in den Blick gekommen. Aufgrund der anthropologisch reduktiven Annahme einer kognitiv bzw. evolutionär bedingten Myopia, kann das Verhältnis zwischen Subjekt und „Umwelt“ jedoch in beiden Ansätzen der Umweltsoziologie nur als ein Verhältnis des Gegenübers konzipiert werden. Dadurch bekommt die Betrachtung stets nur eine Seite der Dichotomie in den Blick, so dass der Zusammenhang a posteriori vom Subjekt hergestellt werden muss. Durch die Art und Weise, wie in der RCT explizit und in der Lebensstilsoziologie implizit das menschliche Leben systematisiert wird – nämlich durch die Spiegelung der biologischen Konzeptionen des Verhältnisses zwischen Tier und „Umwelt“ bzw. Umwelt in das menschliche Subjekt –, hat sich gezeigt, dass sowohl die realistische als auch die konstruktivistische Umweltsoziologie eigent-

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lich einer biologischen Beschreibung des tierischen Umfeldbezugs verhaftet bleibt, wodurch das Subjekt der Umweltsoziologie lediglich ein Leben in „Umwelt“- bzw. Umweltverhältnissen lebt. Nimmt man die anthropologischreduktiven Systematisierungen des menschlichen Umfeldbezugs in RCT und Lebensstilsoziologie trotzdem ernst, stellt sich zudem die Frage nach der Relevanz leiblich vermittelten Erlebens sowie dessen Deutung in der Realisierung dieses Bezugs. Denn Erleben und Verstehen tragen wesentlich zur Form des menschlichen Umfeldbezugs bei. Bisher hat ihre Berücksichtigung jedoch keinen Eingang in die Umweltsoziologie im Allgemeinen und in die „Umweltbewusstseinsforschung“ im Spezifischen gefunden. Vielleicht weil Erleben und Verstehen keine bestimmbaren objektiven Größen sind und auch nicht durch Kognition erklärt werden können. Erleben und Verstehen sind vielmehr Vollzugsweisen einer Strukturform, an denen sichtbar gemacht werden kann, warum der Mensch als Mensch in Weltverhältnissen lebt, d.h. seine Wirklichkeit als Welt erlebt und deutet. Diese nicht vorhandene Berücksichtigung von Erleben und Verstehen als wesentliche Konstitutiva im menschlichen Umfeldbezug sowie das Beharren auf dem Umweltkonzept zur Beschreibung des menschlichen Lebens, reproduzieren letztendlich den Hiatus zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“. Um die dadurch entstehende anthropologische Leerstelle schließen zu können, ist es notwendig, den Bezug des Menschen zu seinem Umfeld in seiner mehrdimensionalen Komplexität zu erfassen. Dazu gehören auch Erleben und Verstehen, was im folgenden dritten Kapitel mit der Einführung des Weltbegriffs in den Fokus gerückt werden soll. Die Einführung des Weltbegriffs macht es systematisch möglich, die Form des menschlichen Umfeldbezugs aus einer philosophisch-anthropologisch begründeten Perspektive in den Blick zu nehmen, wodurch das menschliche Leben jenseits eines Lebens in Gegenüberverhältnissen fassbar wird. Vielmehr kann das menschliche Leben als eine phänomenologisch-hermeneutisch explizierbare Beziehung zwischen Selbst und Welt entfaltet werden, die kein Verhältnis des Gegenübers meint, sondern eine gleichursprüngliche Wirklichkeit bedeutet und sich insofern der Legitimierung einer einseitigen, vom Menschen selbst ausgehenden Instrumentalisierung verwehrt. Mit dem Weltbegriff würde sich für die Umweltsoziologie somit die Möglichkeit eröffnen, ihre eigenen Voraussetzungen danach zu befragen, ob mit ihnen das menschliche Leben überhaupt hinreichend erfasst werden kann. Denn die vorstehende Analyse hat gezeigt, dass gerade die Umweltsoziologie offenbar nicht um erklärende Annahmen in anthropologischer Form herumkommt. Als Konsequenz dieser Reflexion müsste sich die Umweltsoziologie bereit erklären, Ansätze zuzulassen, die sich auch auf den Welt- statt lediglich auf den Umweltbegriff

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einlassen. Auf diesem Wege hätte sie die Chance, die hier aufgezeigten systematischen Probleme, die der Umweltbegriff mit sich bringt, hinter sich zu lassen und das menschliche Leben als Realisierung einer gleichursprünglichen SelbstWelt-Beziehung zu begreifen.

3. Das Leben in Weltverhältnissen: Helmuth Plessners Philosophische Anthropologie

Dass eine Disziplin, die das menschliche Verhältnis zur äußeren Natur zum Gegenstand hat, über das Leben des Menschen reflektieren muss, haben die vorhergehenden Ausarbeitungen zur Umweltsoziologie deutlich gemacht. Auch, dass die dortige Fokussierung auf das Konzept der „Umwelt“ bzw. Umwelt in der Beschreibung dieses Lebens anthropologisch und in der Folge systematisch hoch problematisch ist, konnte die vorstehende Untersuchung zeigen. Als Grund für diese Problematik konnte darin das eigentümliche Begründungsverhältnis zwischen Biologie und Umweltsoziologie ausgemacht werden. Die durch dieses Verhältnis in die Umweltsoziologie eingegangenen anthropologisch-reduktiven Festschreibungen konnten zudem mit dem Begriff der Myopia pointiert werden. Aufgabe der nun folgenden Ausführungen ist es deswegen, eine philosophische Anthropologie vorzustellen, mit der der Umweltsoziologie eine Grundlegung des menschlichen Lebens bereitgestellt werden kann, die dieses in seiner Mehrdimensionalität und gerade nicht-fixierten Erscheinungsweise offenlegt. Dafür ist gleichwohl eine Weitsicht erforderlich, die das menschliche Leben in all seinen Aspekten ergründet. Denn ist das Vorgehen der eindimensionalen Bestimmung des menschlichen Lebens überwunden, wird auch der biologistische Fokus auf dieses Leben, wie er sich bisher präsentierte, hinfällig. Ferner kann auf diesem Wege die mit diesem Leben verknüpfte Naturalisierung der Dichotomie zwischen Mensch und Natur als ein systematisches Problem thematisch werden. Eine philosophische Anthropologie, die sich nicht damit begnügt, lediglich einen Aspekt des menschlichen Lebens zu betrachten, und zudem nicht anstrebt, ein fixes Menschenbild zu zeichnen, dem die Präsupposition der naturalistischen Subjekt-Objekt-Dichotomie zugrunde liegt, findet sich in der Philosophischen Anthropologie Plessners. Diese Anthropologie, die sich als biophilosophische

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Perspektive auf die Bedingungen der Möglichkeit des Menschseins liest, soll deswegen in den folgenden Ausführungen rekonstruiert werden. Denn mit Plessners Ansatz – so die daran anschließende These – liegt ein naturphilosophisch begründetes und phänomenologisch-hermeneutisch explizierbares anthropologisches Fundament vor, mit dem zum einen die von RCT und Lebensstilsoziologie unterstellten eindimensionalen Menschenbilder fallengelassen werden können. Zum anderen kann mit Plessners Ansatz die menschliche Beziehung zur Natur als sich innerhalb einer Selbst-Welt-Beziehung – anstatt innerhalb eines bloßen „Umwelt“- bzw. Umweltverhältnisses – realisierende ausgewiesen werden. Es ist zudem Aufgabe dieser Untersuchung, den aufgezeigten biologisch begründeten Anthropologismen, die stets als spezifische Axiomatik fungieren, Plessners eigene „Axiomatik des Organischen“1 entgegenzustellen. Denn sie ermöglicht, die invariante Eindimensionalität aufgezeigter Reduktionismen zurückzulassen, indem sie das menschliche Leben als ein Leben in Weltverhältnissen begründet, worin die biologisch-organische Grundlage mit einem phänomenologischhermeneutischen Verständnis von Leben verschränkt ist. Dadurch kann auf dem Hintergrund des Weltbegriffs die anthropologisch fundierende Funktion von Plessners Ansatz für die Umweltsoziologie erschlossen werden. Die Mensch-Natur-Beziehung, auf deren Analyse das Selbstverständnis der Umweltsoziologie erklärtermaßen beruht, soll mit Plessner von ihren Möglich-

1

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 121. Die Diskussion darüber, ob das Stufen-Werk nun das Hauptwerk Plessners ist oder nicht, wird in dieser Arbeit nicht verfolgt und deshalb als sein grundlegendes, seine Anthropologie begründendes Werk vorausgesetzt (zur Diskussion vgl. exemplarisch Joachim Fischer: Ekstatik der exzentrischen Positionalität. „Lachen und Weinen“ als Plessners Hauptwerk. In: Expressivität und Stil. Helmuth Plessners Sinnes und Ausdrucksphilosophie, hg. von Bruno Accarino/Matthias Schloßberger (Berlin 2008) 253-270; Olivia Mitscherlich: Natur und Geschichte. Helmuth Plessners in sich gebrochene Lebensphilosophie (Berlin 2007) 1316; sowie Thomas Bek: Helmuth Plessners geläuterte Anthropologie. Natur und Geschichte: Zwei Wege einer Grundlegung Philosophischer Anthropologie verleiblichter Zweideutigkeit (Würzburg 2011) 10f., 15ff.). Mitscherlich und Bek vertreten die These, dass nicht nur die Stufen grundlegenden Charakter für die Philosophische Anthropologie Plessners haben, sondern dessen Schrift Macht und menschliche Natur ebenso grundlegend ist und insofern beide Werke zusammen als eine Grundlegung behandelt werden müssen. Es ist natürlich richtig, dass für das Gesamtwerk Plessners beide Schriften gleichermaßen wichtig sind. Die naturphilosophische Grundlegung seiner Anthropologie führt Plessner aber in den Stufen durch, weswegen in dieser Arbeit das Hauptaugenmerk auf die Stufen gelegt wird.

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keitsbedingungen her, d.h. von der Bezugsform menschlichen Lebens, gefasst werden. Denn mit Plessner erlebt und begreift der Mensch sein Umfeld als eine weltmäßige Wirklichkeit. Diese Bezugsform gründet auf der Strukturform des menschlichen Wirklichkeitserlebens, durch deren Vollzug der Zusammenhang von Mensch und Welt als eine gleichursprünglich realisierte Selbst-WeltBeziehung sichtbar wird. Die Strukturform darf dabei jedoch nicht implizit als Axiom vorausgesetzt, sondern muss systematisch ausgearbeitet werden, damit sie in den daran anschließenden Überlegungen explizit bleiben kann. Mit Plessners Philosophischer Anthropologie, die sich für dieses Vorhaben anbietet, kann diese Strukturform des Wirklichkeitserlebens als eine vermittelte Unmittelbarkeit verständlich werden. Als eines der drei anthropologischen Grundgesetze, die Plessner als die Strukturformen, nach denen sich das menschliche Leben realisiert, herausarbeitet, dient ihm das der vermittelten Unmittelbarkeit dazu, aufzuzeigen, inwiefern der Mensch Welt als eine Realität sui generis erfährt. Dabei kommt es Plessner nicht darauf an, die Strukturform als einen objektiven, kausalen Zusammenhang zu bestimmen oder mit ihr die subjektivistische Erkenntnisform von Welt als Kognitionsleistung zu beweisen. Vielmehr versucht Plessner, von der Organisation des menschlichen Lebewesens ausgehend, dessen prinzipielle Möglichkeit zur Welt als einen kategorialen Strukturzusammenhang zu erschließen, so dass Selbst und Welt gerade nicht als Subjekt-Objekt-Dichotomie, sondern als eine Gleichursprünglichkeit erfasst werden können. Als nicht einseitig objektivistisch oder subjektivistisch definierbar, aber als Realisierungsform des menschlichen Lebens in Weltverhältnissen ausweisbar, kann die Struktur der vermittelten Unmittelbarkeit – so die These – der anthropologischen Grundlegung umweltsoziologischer Erkenntnisansprüche dienen. Damit soll jedoch nicht der Anspruch erhoben werden, dass mit dieser Arbeit eine Lösung für das Problem der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ für die Umweltsoziologie bereitgestellt wird. Aber mit Plessners Philosophischer Anthropologie steht eine Auffassung vom menschlichen Leben zur Verfügung, auf der sich systematisch aufbauen lässt, da sie die menschliche Lebensform von ihrer Erscheinungsweise her erfasst und so ihre Realisierung in Selbst-Welt-Beziehungen vom phänomenalen Erleben her als eine komplexe Mehrdimensionalität sichtbar macht. Abstrakte Handlungsmodelle wie das des Kosten-Nutzen-Prinzips der RCT könnten somit durch Perspektiven ersetzt respektive erweitert werden, die bspw. auch den leiblichen Aspekt im Selbst-Welt-Verhältnis berücksichtigen. Zudem kann mit Plessner der Begriff des Bewusstseins innerhalb der „Umweltbewusstseinsforschung“ hinterfragt werden. Denn Bewusstsein ist darin, wie oben festgestellt, primär ein kognitives

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Phänomen, das der Auffassung des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses als eine Subjekt-Objekt-Dichotomie zugrunde liegt. Die Verwerfung des kognitiven Bewusstseinsbegriffs macht zudem die Überwindung desjenigen Lebensstilkonzepts denkbar, welches das Subjekt in die subjektivistischen Schranken seines Lebensstils verweist – so wie Uexküll das Tier in die Geschlossenheit seiner Umwelt. Mit Plessners Philosophischer Anthropologie ist vielmehr eine Möglichkeit vorgestellt, die solche Schranken sprengt, da mit ihr das menschliche Leben als eine gleichursprünglich konstituierte Selbst-Welt-Beziehung greifbar wird und insofern das Primat des Subjekts zurücklässt. Durch diese Grundlegung des menschlichen Lebens wird der Umweltsoziologie eine Perspektive eröffnet, mit der sie die Gründe dafür, dass spätmoderne Subjekte die Mensch-Natur-Beziehung als eine instrumentelle erfahren, phänomenologisch-hermeneutisch erschließen kann. Dadurch können Setzungen des Menschen als ein Lebewesen, dessen Lebensvollzüge durch eine anthropologisch bedingte Myopia determiniert sind, suspendiert werden. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Kapitels ist daher in Plessners System der Stufen des Organischen einzuführen. Denn die weiteren systematischen Schritte, die das Realisieren der Selbst-Welt-Beziehung als Vollzugsgeschehen einer vermittelten Unmittelbarkeit sichtbar machen, werden von diesen grundlegenden Überlegungen Plessners getragen sein.2 Die verschiedenen Stufen des Organischen werden im Folgenden als Problem der Gestelltheit eines Lebewesens zu ihm3 selbst und zu seinem Umfeld behandelt. Durch die Hervorhebung der Gestelltheit soll nicht nur verdeutlicht werden, dass sich jede Stufe als eine je spezifische Weise der Stellung bzw. des Stehens eines Organismus zu seinem Umfeld darstellt, sondern auch, dass es zum Menschsein gehört zu verstehen, in Weltverhältnisse gestellt zu sein. 2

Dass die Philosophische Anthropologie nicht nur aus Plessners Ansatz besteht, ist der Autorin bewusst. Die vergleichende Bezugnahme auf weitere Autoren dieser Denkrichtung, bspw. Max Scheler oder Arnold Gehlen, wird nichtsdestotrotz eher gering sein und nur in Anspruch genommen, wenn dadurch Sachverhalte oder Begriffe des Plessner’schen Ansatzes besser zu verstehen sind.

3

Der Unterschied zwischen dem Ausdruck Zu-ihm-gestellt und Zu-sich-gestellt ist in der Anthropologie Plessners wesentliches Element, den Reflexionsgrad entsprechend der Stufe eines Lebewesens zu verdeutlichen. Dabei ist insbesondere der Unterschied zwischen Tier und Mensch wichtig, da beide durch eine geschlossene Organisationsform ausgezeichnet sind, die Bewusstsein und damit auch Reflexivität möglich macht. Das Tier realisiert insofern zwar ein Selbst, aber es erlebt sich selbst nicht als ein Ichselbst und kann folglich nicht zu sich selbst gestellt sein, sondern bloß zu ihm selbst (vgl. die Ausführungen zu Tier und Mensch in Kapitel 3.2).

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Gleich der Vorgehensweise im Kapitel zur Umweltsoziologie und zu Uexkülls Umweltlehre wird im Folgenden zunächst der Blick auf die Entstehungsgeschichte des Plessner’schen Ansatzes geworfen. Denn die wissenschaftssystematischen Voraussetzungen innerhalb der Philosophie und den naturwissenschaftlich-biologischen Wissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren ausschlaggebend für Plessners Interesse an der Entwicklung eines eigenständigen philosophisch-anthropologischen Denkansatzes. Die philosophiegeschichtliche Verortung seines Ansatzes trägt somit dazu bei, Plessners Ambitionen zu verstehen, die in der Wissenschaft verharrenden Dualismen zurückzulassen. Dafür wird Plessners Denken zudem immer wieder ins Verhältnis zu Uexkülls Überlegungen gesetzt, da letztere maßgeblich zu diesen Ambitionen beigetragen haben.

3.1 D IE G ENESE DER P HILOSOPHISCHEN ANTHROPOLOGIE P LESSNERS Plessner veröffentlichte das grundlegende Werk seiner Philosophischen Anthropologie1 – Die Stufen des Organischen und der Mensch [im Folgenden: Stufen] –

1

Zur Unterscheidung zwischen der Philosophischen Anthropologie als Denkschule oder Paradigma und philosophischer Anthropologie als Disziplin innerhalb der Philosophie vgl. Joachim Fischer: Philosophische Anthropologie. Eine Denkrichtung des 20. Jahrhunderts (Freiburg/München 2009) 479-599; vgl. zur ersten Einführung dieser Unterscheidung: Joachim Fischer: Philosophische Anthropologie. Zur Rekonstruktion ihrer diagnostischen Kraft. In: Unter offenem Horizont. Anthropologie nach Helmuth Plessner, hg. von Jürgen Friedrich/Bernd Westermann (Frankfurt a.M. 1995) 249-280, 250. Eine kritische Haltung gegenüber dem Versuch der Herauskristallisierung einer Denkschule Philosophische Anthropologie vertritt Hans-Peter Krüger. Krüger hält die Behauptung einer Denkschule für „falsch, weil [sie] aus schulpolitischen Erwägungen“ (Hans-Peter Krüger: Die Körper-Leib-Differenz von Personen: Exzentrische Positionalität und homo absconditus. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 59 (2011), no. 4, 577-589, 579) behauptet werde. Auch Volker Schürmann kritisiert an Fischers Postulierung eines Denkansatzes, dass diese „erst gar nicht zu[lässt], qualitativ unterschiedene Traditionslinien innerhalb dieses Denkansatzes auch nur zu vermuten“ (Volker Schürmann: Plessners parteiliche Anthropologie. Aspekte eines sperrigen Verhältnisses zur Phänomenologie. In: Journal Phänomenologie 34 (2010) 11-21, 12). Die Frage, inwiefern innerhalb der Plessner-Rezeption ein (hoch)schulpolitischer Disput ausgetragen wird, ist für den Kontext der vorliegenden Arbeit jedoch irrelevant und wird von daher auch nicht weiter verfolgt. Obwohl die

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Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Fast zwanzig Jahre zuvor hatte Uexküll seine Umweltlehre vorgelegt. Plessner kannte nicht nur dessen Werk, sondern verkehrte mit Uexküll auch persönlich, da er vor seiner philosophischen Karriere Biologie bei Hans Driesch studierte.2 Die Kritik Plessners, aus der heraus die Entstehung seines philosophisch-anthropologischen Denkansatzes erklärt werden kann, setzt wie die Kritik Uexkülls bei den naturwissenschaftlich verfahrenen Wissenschaften an. Zugleich spielt – ebenfalls analog zu Uexkülls Denken – die Evolutionsbiologie eine wesentliche Rolle für die Entwicklung seiner Philosophischen Anthropologie. Obwohl Plessners Wissenschaftskritik einige Parallelen zu Uexkülls aufweist, steht er hinsichtlich einer adäquaten Beschreibung des menschlichen Lebens diesem jedoch kritisch gegenüber. Bevor dieses kritische Verhältnis zu Uexkülls Biologie im Folgenden thematisch wird, soll Plessners Kritik an den dominierenden Naturwissenschaften, der Evolutionstheorie sowie an der von ihm vorgefundenen philosophiegeschichtlichen Situation kurz nachgezeichnet werden, da sie auch heute noch ihre Berechtigung hat.3

Rede vom Denkansatz weitestgehend anerkannt ist (vgl. ebd. 11), scheint diese Bestimmung nicht unproblematisch und ist daher auch nicht vorbehaltlos zu übernehmen. Da in dieser Arbeit jedoch weder eine wissenschaftstheoretische Untersuchung der philosophischen Anthropologie als Disziplin noch eine eingehende Analyse der Philosophischen Anthropologie als Denkansatz angestrebt wird, bleibt die anerkannte 2

Schreibweise mit doppeltem Großbuchstaben in Bezug auf Plessners Ansatz bestehen. Joachim Fischer verweist in seinem Werk über Entstehungsgeschichte und Werdegang der Philosophischen Anthropologie darauf, dass Plessner 1913 während seines Biologiestudiums in Heidelberg Kontakt zu Uexküll unterhielt, der dort als Privatdozent forschte (vgl. J. Fischer: Philosophische Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 31). Auf eine weitere ausführlichere Betrachtung der einzelnen Stationen in Plessners Leben wird an dieser Stelle jedoch verzichtet, da sie nicht ausschlaggebend für die weitere Argumentation sind und ihre biographische Aufarbeitung bereits umfassend geleistet wurde (vgl. für biographische Auseinandersetzungen mit Plessner Carola Dietze: Nachgeholtes Leben. Helmuth Plessner 1892-1985 (Göttingen 22007 [2006]); Christoph Dejung: Plessner. Ein deutscher Philosoph zwischen Kaiserreich und Bonner Republik (Zürich 2003); sowie Kersten Schüßler: Helmuth Plessner. Eine intellektuelle Biographie (Berlin 2000)).

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Verwiesen sei diesbezüglich auf die im vorherigen Kapitel geübte Kritik an der umweltsoziologischen Konstatierung einer anthropologisch bedingten Myopia, die entweder evolutionstheoretisch oder kognitivistisch begründet wird.

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Bereits in seiner Schrift Die Einheit der Sinne. Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes4 [im Folgenden: Ästhesiologie] von 1923 wird Plessners grundsätzliches Unbehagen gegenüber den dominanten Naturwissenschaften deutlich. Plessners Diagnose zur Situation in den Wissenschaften fällt darin entsprechend negativ aus. Auf dem cartesischen Dualismus basierend und Welterklärungsanspruch erhebend, sei – so Plessner – „das Weltbild der Physik und der Chemie in seiner Einförmigkeit nur eine Schwarzweißskizze, die künstlich aus dem vollen Gemälde der offenbaren Wirklichkeit gewonnen wird, eine Abstraktion zur Vereinfachung der Natur im Sinne ihrer praktischen Bemeisterung“,5 die schlechterdings für die wahre Realität gehalten werde. Ähnlich wie Uexküll positioniert sich auch Plessner ganz entschieden gegen das in diesen Wissenschaften vorherrschende naturalistische Weltbild. Zwar geht es ihm in seiner Ästhesiologie noch nicht explizit um eine neue Grundlegung des menschlichen Lebens, aber um den prinzipiellen Nachweis der wesensmäßigen Korrelativität zwischen den Sinnen, ihren Sinnqualitäten und den Erscheinungsweisen der Welt. Denn diese Korrelativität ist in ihrer wahrnehmbaren qualitativen Komplexität für Plessner der Beweis der unersetzlichen Einheit von Sinn und Sinnqualität.6 Die Kritik Plessners am cartesischen Weltbild wird somit bereits in der Ästhesiologie als grundlegendes Motiv für sein philosophisches Schaffen deutlich.7 Folglich ist 4

Helmuth Plessner: Die Einheit der Sinne. Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes (1923). In: Anthropologie der Sinne. GS. Bd. 3, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 7-315.

5 6

Ebd. 25. „Für den Erlebenden ist die Welt in den Sinnen gegeben, als Farbenwelt im Auge, als Tonwelt im Ohr, als Tastwelt an der Oberfläche seines Leibes und seiner Gliedmaßen. Was wir von der Welt wissen, haben wir aus Empfindungen unserer Sinne“ (ebd. 25). Die Ähnlichkeit des philosophisch-biologischen Interesses Plessners und Uexkülls an einer nicht naturalistischen Erklärung der Erscheinungsweisen natürlicher Dinge wird anhand ihrer jeweiligen Versuche, eine philosophisch fundierte Sinnesbiologie bzw. eine biologisch fundierte Sinnesphilosophie zu entwickeln, besonders deutlich.

7

Plessner schreibt noch über 40 Jahre nach den Stufen 1969 in seinem Essay Homo absconditus: „Die cartesische Philosophie entspricht dem Weltmodell der mechanischen Naturwissenschaft. Daher ihre Aktualität bis heute“ (Helmuth Plessner: Homo absconditus (1969). In: Conditio humana. GS. Bd. 8, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 353-366, 354. Und auch noch 1975 in seinem Aufsatz Zur Anthropologie der Sprache warnt Plessner vor einer Verdinglichung im Zeichen des technischen Fortschritts, dessen Grundlage der Naturalismus ist (vgl. Helmuth Plessner: Zur Anthropologie der Sprache (1975). In: Conditio humana. GS. Bd. 8, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M.

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die Kritik am cartesischen Wissenschaftsverständnis auch wesentliches Motiv für die Grundlegung seiner Philosophischen Anthropologie in den Stufen. Neben der Kritik am Selbstverständnis der Naturwissenschaften ist der Antagonismus zwischen Idealismus und Naturalismus/Materialismus innerhalb der Philosophie ein wichtiger Impuls für Plessner, sich der Frage nach dem Menschen zuzuwenden.8 Denn die philosophiegeschichtliche Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts kulminierte – über 250 Jahre zuvor von Descartes mit seiner Trennung von res cogitans und res extensa ausgelöst – in einem „anthropologische[n] Problembewusstsein“,9 das die Frage nach dem Menschen virulent werden ließ. Interessanterweise geschah dies zu einer Zeit, in der das Wissen über den Menschen einen bis dahin nicht gekannten Höhepunkt erreichte.10 Die prinzipielle Setzung des vernünftigen Subjekts als Erkenntnisgrund seit Kant, die das Subjekt-Objekt-Problem zugunsten des „autodynamischen Subjekts“11 und damit im Sinne des Idealismus entschieden hatte, begann im 19. Jahrhundert mit der Besinnung auf die andere Seite des Dualismus, der Materialität – und damit auch wieder auf den Naturalismus –, an Legitimität zu verlieren.12 Der in Kritik an der idealistischen Subjekt-Objekt-Relation aufgekeimte und materialistisch fundierte 2003) 400-408, 408. Dass Plessner nicht der einzige unter den philosophischen und Philosophischen Anthropologen war, der seine anthropologischen Überlegungen aus einer kritischen Haltung gegenüber dem Dualismus von Idealismus und Naturalismus entwickelte, wird nicht zuletzt aus der Rede von der anthropologischen Wende sichtbar, womit nicht nur Plessner, Scheler, Gehlen angesprochen sind, sondern auch Ludwig Feuerbach und Friedrich Nietzsche, aber auch Heidegger und Ludwig Klages sowie Darwin und Sigmund Freud (vgl. J. Fischer: Philosophische Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 484f.; vgl. außerdem T. Bek: Helmuth Plessners geläuterte Anthropologie, a.a.O. [Anm. 261] 22f.), um nur einige Namen zu nennen. 8

Vgl. für einen kurzen Überblick zur philosophiegeschichtlichen Lage, in dem insbesondere der Aspekt der Lebenskategorie sowie der genannte Dualismus berücksichtigt sind, J. Fischer: Philosophische Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 507-514.

9

Kai Haucke: Plessner zur Einführung (Hamburg 2000) 10. Eine kurze Einführung in die Entstehungsgeschichte der anthropologischen Frage seit Platon gibt Heinz Witteriede in seiner Einführung in die Philosophische Anthropologie (vgl. Heinz Witteriede: Eine Einführung in die Philosophische Anthropologie. Max Scheler, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen (Frankfurt a.M. 2009) 9-18.

10 Vgl. ebd. 11. 11 J. Fischer: Philosophische Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 508. 12 Vgl. ebd. 508ff. Fischer nennt hier insbesondere die Religionskritik Feuerbachs und den Historischen Materialismus von Marx als impulsgebende materialistische Theorien.

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Zweifel wurde zudem durch die konstatierte Historizität des Subjekts und der Weltverhältnisse, in denen es lebt, abermals verstärkt.13 Das autonome Subjekt, aufgrund dieser Einsichten seiner alleinigen Autodynamik beraubt, erfuhr schließlich mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds eine weitere Kränkung. Freuds tiefenpsychologische Einsichten postulierten eine weitgehende Determination des Subjekts durch seine Triebe und bedeuteten damit, den damalig zeitgenössischen Maßstäben zur Differenzierung von Mensch (verstandesgeleitet) und Tier (trieb- und instinktgeleitet) gemäß, den Rückschritt des Menschen in die Tierheit.14 Diese erkenntniskritische Entsicherung des Menschen, deren Wegbereitung mit dem Abschied der Kantischen Versicherung der menschlichen Autonomie begann und zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den psychologisch konstatierten Rückschritt in die Tierheit seinen gegenläufigen Höhepunkt erreicht hatte, ließ den Menschen ein zutiefst fragwürdiges Lebewesen werden. Die Frage nach dem Sein des Menschen – Was ist der Mensch? – musste neu gestellt werden.15 13 Ebd. 510. Fischer verweist hier insbesondere auf die Historische Schule und den hermeneutischen Blick Diltheys als Vorreiter der Einsicht in die Geschichtlichkeit von Subjekt und Welt. 14 Ebd. 511. Auf Freud geht auch die bekannte Rede von den drei Kränkungen der narzisstischen Menschheit zurück, die zum ersten die Kopernikanische Wende meint, mit der der Mensch aus seiner Mittelpunktstellung im Universum gehoben wurde. Zum zweiten ist damit Darwin angesprochen, der den Menschen im Rahmen seiner Evolutionstheorie durch den Nachweis der biologischen Abstammungslehre seiner Sonderstellung enthob; und zum dritten bezeichnet Freuds Theorie selbst eine Kränkung des Menschen, da er mit seiner Triebtheorie die Auffassung vertrat, „daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus“ (Sigmund Freud: Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse (1917). In: GW. Bd. 12 Frankfurt a.M. 72006 [1947]) 3-12, 11). 15 Vgl. K. Haucke: Plessner, a.a.O. [Anm. 272] 10. In Hauckes Ausführungen zur Entstehung der Philosophischen Anthropologie, die sich angesichts der Selbstentsicherung des Menschen entwickelte, wird ein Motiv deutlich, dass bei Horkheimer und Adorno bekanntlich als Dialektik der Aufklärung bekannt wurde: „Die Befreiung und Erhebung des Menschen, insbesondere durch die Aufklärung, hat in einer ironischen Verkehrung den Menschen tiefer fallen lassen, als er vor dem fallen konnte, hat ihm im Namen der Freiheit eine ungeahnte Entfremdung gebracht; und die Versprechen auf innerweltliche Erlösung und Glück erscheinen höhnisch angesichts der Umwälzungen, in denen kein Sinn sich mehr zu behaupten vermag“ (ebd. 11; vgl. zudem Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt a.M. (152004 [1969]). Die bekannte Stelle in Schelers Die Stellung des Menschen im Kosmos brachte die Situation zwar ein wenig anders gelagert,

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Denn die erhobene Sonderstellung des Menschen, die dieser qua seines Vermögens zur ratio und der damit einhergehenden Fähigkeit zur reflektierenden Vernunft im Idealismus zugesprochen bekam, drohte in dieser biologistisch begriffenen und seitens der Psychologie bestätigten Tierheit zu versinken. Die philosophische Spaltung in Idealismus und Materialismus/Naturalismus und die Dominanz des naturwissenschaftlich geprägten Weltbildes (repräsentiert durch Physik und Chemie) sind jedoch nicht die einzigen Motive für Plessner, die Frage nach dem Menschen neu zu stellen. Es sind zudem die Entwicklungen in der Biologie, der Plessner besondere Aufmerksamkeit schenkt, als es ihm um die Fundierung eines neuen Verständnisses vom menschlichen Leben geht. Selbst als Biologe ausgebildet, ist – wie für Uexküll – auch für Plessner der Vitalismus-Mechanismus-Streit ein wesentlicher Anlass, der zur Entwicklung seiner biophilosophischen Perspektive beigetragen hat. Von Driesch kommend,16 stört sich auch Plessner insbesondere am herrschenden evolutionstheoretischen Paradigma, das Phänomen der Natur und des Lebendigen auf kausale und objektiv beobachtbare Zusammenhänge zu reduzieren. Dadurch lediglich die Objektseite des Subjekt-Objekt-Dualismus bedienend, wurde dieser von der Evolutionsbiologie dadurch zugleich aufrechterhalten. Plessner nutzt diese philosophiegeschichtliche und wissenschaftssystematische Stagnation für sich, um zu deren Überwindung mit neuen Entwicklungen aus der Biologie anzutreten. Er beginnt seine Stufen entsprechend mit den Worten: „Die entscheidenden Anregungen zu diesem Buch empfing ich in meinen Heidelberger Zoologenjahren [...] aus den tiefgehenden Spannungen, die zwischen Naturwissenschaft und Philosophie bestanden. Sie trieben den, der das Eine dem Anderen nicht opfern wollte, dazu an, auf neue Möglichkeiten philosophischen Naturverständnisses zu sinnen, die ebenso sehr der scharfen Kritik daaber ebenso deutlich zum Ausdruck: „Die immer wachsende Vielheit der Spezialwissenschaften, die sich mit dem Menschen beschäftigten, verdeckt, so wertvoll diese sein mögen, überdies weit mehr das Wesen des Menschen, als daß sie es erleuchtet. […] [S]o kann man sagen, daß zu keiner Zeit der Geschichte der Mensch sich so problematisch geworden ist wie in der Gegenwart“ (Max Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos (1928). In: Späte Schriften. GW. Bd. 9, hg. von Martin S. Frings (Bern/München 1979) 7-71, 11). In den jeweiligen Beschreibungen der prekären Situation des Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist natürlich auch der Erste Weltkrieg mit seinen Folgen angesprochen, der die Konkretheit des sich selbst entsichernden Subjekts erschreckend praktisch deutlich machte (vgl. T. Bek: Helmuth Plessners geläuterte Anthropologie, a.a.O. [Anm. 261] 22). 16 Vgl. zum wissenschaftlichen Verhältnis von Plessner und Driesch: J. Fischer: Philosophische Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 31-37.

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maliger Philosophie gewachsen wie für die Impulse besonders der neuen Biologie Drieschs und Uexkülls aufnahmebereit waren“.17 Der direkte Bezug Plessners auf Uexküll macht deutlich, dass Uexkülls Umweltlehre für die Philosophische Anthropologie einen ernstzunehmenden Ansatz darstellte, mit dem der universale Wahrheitsanspruch der Evolutionstheorie infrage gestellt werden konnte. Entsprechend teilt Plessner mit Uexküll die kritische Einsicht – da in der evolutionstheoretischen Biologie Lebendiges lediglich innerhalb dessen gefasst wird, was objektiv einsehbar ist –, dass die Deutungen des beobachteten Verhaltens, die als Deutungen den messbaren Bereich verlassen, anthropomorphen Analogieschlüssen ausgesetzt sind, da diese als vermeintlich sinnvolle Beschreibungen des nicht beobachtbaren tierischen Innenlebens betrachtet wurden.18 Die Über17 H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] III. 18 Vgl. Helmuth Plessner: Mensch und Tier (1946). In: Conditio humana. GS. Bd. 8., hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 52-65, 58. Die Kritik Plessners an der Evolutionstheorie reicht natürlich noch weiter. So hat sich Plessner immer wieder kritisch auf das Entwicklungs- respektive Fortschrittsschema bezogen (vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] XVI; H. Plessner: Mensch und Tier, a.a.O. [Anm. 281] 54; Helmuth Plessner: Die Frage nach der Conditio humana (1961). In: Conditio humana. GS. Bd. 8., hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 136-217, 141, 144; Helmuth Plessner: Der Mensch als Lebewesen. Adolf Portmann zum 70. Geburtstag (1967). In: Conditio humana. GS. Bd. 8., hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 314-327, 323ff.). Das Verhältnis Plessners zur Evolutionstheorie ist insgesamt jedoch ambivalent, da er sich einerseits strikt gegen die Reduktion des Lebendigen auf rein objektive Fakten und gegen die kausalanalytisch verfahrende Entwicklungslehre stellt, andererseits jedoch auch anerkennt, dass die Ergebnisse der Evolutionstheorie gesicherte Erfahrungen sind, die in einer Anthropologie berücksichtigt werden müssen (vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 70; zur Etablierung der Philosophischen Anthropologie als „Grenzforschung“, welche die Ergebnisse der Naturund Geisteswissenschaften vereint, vgl. zudem Helmuth Plessner: Über einige Motive der Philosophischen Anthropologie (1956). In: Conditio humana. GS. Bd. 8., hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 117-135, 119ff.). Fischer behandelt das Verhältnis Plessners bzw. der Denkschule der Philosophischen Anthropologie zur Evolutionsbiologie in seinen Arbeiten ähnlich ambivalent. Einmal stellt er, rekurrierend auf Aspekte des Idealismus, heraus, „dass Philosophische Anthropologie in der ‚Wende zur Natur‘ wegen dieser Prägung durch den Idealismus konsequent mit der darwinistisch-evolutionstheoretischen Auffassung der Natur“ ([Hervorhebung KB] J. Fischer: Philosophische Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 490f.) konkurriert. Ein anderes Mal hingegen entsteht bei Fischer der Eindruck

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einer weitgehenden Akzeptanz seitens der Philosophischen Anthropologie gegenüber der evolutionstheoretischen Naturauffassung: „Sie [die Philosophischen Anthropologen] akzeptieren nämlich am evolutionsbiologischen Ansatz die Immanenzerklärung aus der Natur, den gleichsam zur neuzeitlichen Philosophie passenden Versuch also, ohne theologische Modelle und Teleologiemodelle einer Zweckmäßigkeit der Natur insgesamt eine immanente Aufklärung des Phänomens Leben in der Natur zu leisten“ (Joachim Fischer: Tanzendes Tier oder exzentrische Positionalität – Philosophische Anthropologie zwischen Darwinismus und Kulturalismus. In: Der Mensch – Evolution, Natur und Kultur, hg. von Jochen Oehler (Berlin/Heidelberg 2010) 233-245, 239). Zwar kann eine Übereinstimmung Plessners mit der Evolutionstheorie in der Ablehnung von Theologie und Teleologie konstatiert werden, die Ablehnung einer Biologie, die sich an einer naturalistischen Naturauffassung hält, zieht sich jedoch konsequent durch Plessners Werk. Aber auch Richard Saage verdeutlicht in seiner Studie zur Philosophischen Anthropologie Plessners dessen Zugeständnisse an das Darwin’sche Theorem. Entsprechend polemisiert Saage gegen die in der Plessnerforschung vorherrschende „Tendenz […], Plessners Distanzierungen von Aspekten der Evolutionstheorie als eine pauschale Absage zu deuten“ (R. Saage: Philosophische Anthropologie und der technisch aufgerüstete Mensch, a.a.O. [Anm. 118] 58f.). Er verweist in seiner Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Plessner’scher Anthropologie und Darwin’scher Evolutionstheorie auf den ambivalenten Umgang Plessners mit der Evolutionstheorie, einerseits deren empirischen Gewinn hervorzuheben und andererseits ihren Universalanspruch zurückzuweisen (vgl. ebd. 60ff.). So kommt Saage zu dem Schluss, Plessner setze die empirischen Ergebnisse der Evolutionsbiologie als „Rohstoff der organischen Stufen“ (ebd. 68) voraus, um die Seinsstufen von Pflanze, Tier und Mensch daran auszuweisen. Richtig ist, dass Plessner die naturwissenschaftlichen Methoden und die evolutionstheoretische Biologie in Kooperation mit der Philosophischen Anthropologie sehen wollte (vgl. H. Plessner: Stufen. a.a.O. [Anm. 5] 70). Er sah die naturwissenschaftlich-biologische Methode als unerlässliche Hilfe an, sich der menschlichen Doppelnatur zu nähern – insofern musste er die Evolutionstheorie voraussetzen. Zugleich sah er es aber als höchst problematisch an, empirisch verifizierte Tatsachen über den Menschen oder andere Lebewesen als Grundlegung eines naturphilosophischen Ansatzes vorauszusetzen: „Erfahrung gibt viel, aber nicht ihre eigene Grundlegung: nicht ihre Ansatzpunkte“ (ebd. 75). Volker Schürmann verweist bezüglich Plessners Einwand gegen den Empirismus auf dessen Schrift Macht und menschliche Natur, in der Plessner hervorhebt, dass es ein logischer Fehler sei, das Menschsein empirisch erhellen zu wollen. Vielmehr ist es nach Plessner nicht möglich, über den Menschen zu reden, ohne dabei implizit eine Wesensbestimmung vorauszusetzen (vgl. Volker Schürmann: Unergründlichkeit und Kritik-Begriff. Plessners politische Anthropologie als Absage an die Schulphilosophie. In: Deutsche Zeit-

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windung dieses Anthropomorphismus rechnet Plessner explizit Uexküll zu, der insbesondere durch seinen Versuch, die Subjekt-Objekt-Dichotomie mit seiner Umweltlehre zu überwinden, für Plessners eigene Überlegungen anschlussfähig wurde.19 Anders als Uexküll, der seinen Ausgang in der Betrachtung der Sinneswahrnehmung des tierischen Subjekts nimmt, plädiert Plessner in den Stufen – in Ablehnung des Idealismus – für eine Wende zum Objekt. Objekt versteht Plessner jedoch nicht lediglich im Sinne eines messbaren ausgedehnten Körpers. schrift für Philosophie 45 (1997), 345-361, 347). Dass die Entwicklung einer Anthropologie trotzdem die Korrespondenz mit der Biologie braucht, liegt nach Plessner deswegen nahe, weil das Lebendige ganz eigentlich Gegenstand der Biologie ist. Empirische Beobachtungen können somit zwar als Indikatoren für das Vorliegen einer kategorial bestimmbaren Organisationsform dienen, aber für diese nicht vorausgesetzt werden. Obwohl empirische Unterschiede zu berücksichtigen auch Aufgabe der Philosophischen Anthropologie ist, sind diese jedoch nicht mit phänomenalen Unterschieden zu verwechseln. Insofern wird der Mensch von Plessner in den Stufen auch primär unter dem Aspekt seiner positional bedingten Erscheinungsform behandelt und erst auf den letzten Seiten das empirisch erfahrbare menschliche Dasein ansatzweise entfaltet (vgl. dazu auch: K. Haucke: Plessner, a.a.O. [Anm. 272] 140f.). Plessner bemerkt hinsichtlich des Verhältnisses zwischen seiner Anthropologie und der Evolutionstheorie in seiner späten Autobiographischen Einführung von 1982, dass die Stufen nicht „im Sinne einer Abbreviatur der Evolutionstheorie“ verstanden sein sollten, „sondern als eine Logik der lebendigen Form und darüber hinaus als Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Menschseins. Es bedurfte dazu eines ganz neuen Ansatzes, den ich im Verhältnis eines physischen Körpers zu seiner Begrenzung fand“ ([Hervorhebungen KB] Helmuth Plessner: Autobiographische Einführung. In: Mit anderen Augen. Aspekte einer philosophischen Anthropologie (Stuttgart 2004 [1982]) 6). Dass Plessner die Evolutionstheorie ernst genommen hat, liegt zudem in seiner Bestimmung des Menschen, das in-Möglichkeit-seiende Lebewesen zu sein, angelegt. Denn auch die Evolutionstheorie ist eine Möglichkeit des Menschen, sich die Welt zu erklären. Insofern sie Möglichkeit ist, weiß Plessner aber auch, dass ihr Universalanspruch keinen Anspruch auf Letztgültigkeit hat und die Erschließung anderer Möglichkeiten des Zugangs zur Welt von daher unerlässlich ist. 19 Vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] XIV. In ihren positiven Bezügen zum Driesch’schen Vitalismus konvergieren Plessners und Uexkülls Überlegungen ebenfalls. Sowohl Uexküll als auch Plessner beziehen sich auf Drieschs These der Schicht des Lebendigen, um der naturalistischen Beschreibung lebendiger Organismen ein gerade nicht messbares und dennoch wahrnehmbares Phänomen entgegenzuhalten: die Autonomie des Lebendigen (vgl. J. v. Uexküll: Theoretische Biologie, a.a.O. [Anm. 114] 177; vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 110.

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Er fasst das Objekt vielmehr in seiner Phänomenalität, d.h. von seiner qualitativen Erscheinungsweise her. Das Verstehen dieser qualitativen Erscheinungsweise bedeutet dabei auch das Erreichen der Grenzen naturwissenschaftlicher Erklärungen.20 Die Ablehnung einer Biologie, die sich ausschließlich im Reich der ausgedehnten Körper und kausal-analytischen Beschreibungen des Lebendigen bewegt und die für nicht-messbare Phänomene keine wissenschaftliche Verwendung hat, da darin Objektivität mit Realität gleichgesetzt wird, ist sowohl für Uexküll als auch für Plessner Beweggrund, sich hinsichtlich der Beschreibung des Lebendigen ganz neu zu orientieren. Richtungsweisend für beide ist dabei zunächst „[d]ie Losung: ‚Los von Descartes‘“.21 Dass Uexküll sich dabei ausdrücklich an Kant – genauer: an einer Neuinterpretation der Kantischen Kategorienlehre – orientiert, ist oben bereits deutlich geworden (vgl. Abschnitt 2.2.2). Aber auch Plessner stellt die Kategorienfrage neu. Allerdings will er, in Abgrenzung zu sowohl Kant als auch Uexküll – wobei letzterer den Subjektstatus auch für tierische Lebewesen geltend macht –, die Verstandeskategorien vom Subjekt lösen und diese wesentlich grundsätzlicher auf einer vor-bewussten Ebene als Vitalkategorien entwickeln, die das Lebendige als solches auszeichnen.22 20 Vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 41; vgl. zudem zum Unterschied zwischen Verstehen und Erklären bei Plessner: Gesa Lindemann: Verstehen und Erklären bei Helmuth Plessner. In: Verstehen und Erklären. Sozial- und Kulturwissenschaftliche Perspektiven, hg. von Rainer Greshoff/Georg Kneer/Wolfgang Ludwig Schneider (München 2008) 117-142. 21 Ebd. 42. Auch Plessner polemisiert explizit gegen die Verwechslung von naturwissenschaftlicher Methode mit der Wirklichkeit: „Wogegen sich eine anticartesianische Bewegung richten muß, ist die Identifizierung von Körperlichkeit und Ausdehnung, physischem Dasein und Meßbarkeit, die es verschuldet hat, daß wir für die meßfremden Eigenschaften der körperlichen Natur blind geworden sind. So daß wir so weit gehen konnten, die Naturwissenschaften nicht nur für die einzig mögliche Erkenntnisweise der Natur, sondern die Natur geradezu für das Ergebnis der Naturwissenschaft, für ihr Methodenprodukt zu halten“ (ebd. 41). 22 Vgl. ebd. 66. Der Begriff Vitalkategorie geht auf Driesch zurück (vgl. J. Fischer: Philosophische Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 36). Die Nähe zum Driesch’schen Vitalismus wird anhand des jeweiligen Versuchs der Transformation der Kategorienfrage bei beiden Denkern deutlich. Im Unterschied zu Uexküll, dessen primärer Anspruch kein anthropologischer, sondern ein biologischer ist, ist für Plessner zur Entwicklung der Vitalkategorien zudem die Lebensphilosophie Diltheys mit seinen Kategorien Erlebnis, Ausdruck und Verstehen bedeutend. Drieschs Vitalkategorien und Diltheys Lebenskategorien boten Plessner die Möglichkeit der Verknüpfung von organisch-

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Das kritische Hinterfragen des naturalistischen Naturverständnisses und der darauf basierenden Evolutionsbiologie sowie gleichermaßen des idealistischen Erkenntnisdiktums führte zu einer tiefen Einsicht Plessners, die für die Entwicklung seiner Philosophischen Anthropologie tragend war: Eine Anthropologie, die den Menschen nicht als entweder Subjekt oder Objekt bestimmen, sondern ihn als eine psychophysische Einheit erfassen will, kann es nur dann geben, wenn zuvor die Frage nach der Natur neu gestellt wird. Zu der anti-cartesischen Losung kam für Plessner somit eine weitere Prämisse hinzu: „Ohne Philosophie der Natur keine Philosophie des Menschen“.23 Darin liegt der Grund, weshalb Plessner in den Stufen seinen Fokus zunächst auf das Objekt richtet und in einem fundamentalen Sinne nach dessen qualitativen Eigenschaften in der Erscheinungsweise fragt. Erst in einem zweiten Schritt arbeitet er die spezifische Differenz zwischen der Erscheinungsweise eines nicht-lebendigen und eines lebendigen Objekts heraus, so dass sich Plessner der Frage nach dem Menschen respektive der stufenförmigen Entwicklung lebendiger Bezugsformen widmen kann, ohne dabei in alte Dualismen zurückzufallen. Die Frage nach dem Leben neu zu stellen, ist somit die notwendige Voraussetzung, um überhaupt die Frage nach dem Lebewesen Mensch neu stellen zu können.24 Es war diese unentschiedene Situation in der Frage nach dem Leben zwischen Philosophie und Biologie, die Plessner die Möglichkeit bot, wissenschaftssystematisch neu anzusetzen, um der Frage nach dem Menschen als Lebewesen nachzugehen. Insofern stellte diese Situation Plessner geradezu die philosophische Aufgabe, den Menschen nicht entweder als idealistisches Verstandeswesen – dessen Körper bloß Anhängsel der Natur ist – oder als sich evolutionär entwickelnder Körper – dessen Evolutionsstufe nach dem Gesetz von Anpassung und biologischen und phänomenologisch-hermeneutischen Momenten menschlichen Lebens als ambiguitive Einheit (vgl. zu Diltheys Einfluss auf Plessners Anthropologie exemplarisch ebd. 36f.). 23 Ebd. 26. 24 Zugleich ist aber auch der Mensch die Voraussetzung dafür, dass sich über Leben überhaupt sprechen lässt. Plessners Entwicklung der Kategorien des Lebendigen hat somit die exzentrische Positionalität selbst zur Voraussetzung. Dies hat auch Schürmann stets betont (vgl. u.a.: Volker Schürmann: Die Unergründlichkeit des Lebens. Lebens-Politik zwischen Biomacht und Kulturkritik (Bielefeld 2011) 216f.). Diese sich wechselseitig fundierende Systematik, in der einerseits das Leben und andererseits das Menschsein erschlossen wird, ist für Plessners Ansatz unerlässlich, insofern es ihm gerade nicht darauf ankommt, entweder dem Idealismus oder dem Materialismus den Rang einer prima philosophia einzuräumen, sondern die Bedingung der Möglichkeit beider Phänomene aus einem Prinzip heraus zu erklären.

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Selektion notwendig die ratio als von der Hirnentwicklung abhängige Größe hervorbringen musste – zu bestimmen, sondern beide Größen aus einem noch tiefer liegenden Realisierungsgrund heraus als lebendige Einheit im Menschen zu fundieren. Dieser naturphilosophischen Intuition folgend polemisiert Plessner entsprechend gegen die jeweiligen Einseitigkeiten der verschiedenen philosophischen Richtungen: „Dieser Grundsatz trennt die Philosophische Anthropologie bereits methodisch von allen materialistischen, idealistischen, existentialistischen Einseitigkeiten, die in Richtung auf eine Grunddimension, [...] einen besonderen Leit-Aspekt dem Menschen vorbehalten“.25 Um seine Programmatik auch systematisch einzuholen, d.i. die Überwindung zitierter Einseitigkeiten, bedurfte Plessner einer philosophischen Kategorie, durch die sich Naturphilosophie, Biologie und Anthropologie verknüpfen ließen, ohne dabei erneut dem cartesischen Dualismus implizit anheim zu fallen. Diese Schlüsselkategorie – die nicht nur für Plessners Philosophische Anthropologie entscheidend ist – fand sich im Phänomen des Lebens, in dem organisches mit phänomenologischhermeneutischem Vollzugsgeschehen verschränkt werden konnte.26 Bezogen auf das Phänomen Leben teilt Plessner mit Uexküll nicht nur einen gewissen Anschluss an den Vitalismus, sondern ebenso dessen Kritik an Drieschs Entelechie-Theorem, da beide Drieschs Auffassung, dass das Leben ein von außen dazukommender metaphysischer Faktor sei, ablehnen.27 Allerdings 25 Helmuth Plessner: Die Aufgabe der Philosophischen Anthropologie (1937). In: Conditio humana. GS. Bd. 8., hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 33-51, 38. 26 Fischer fasst die kategorialen Möglichkeiten, die sich mit dem Begriff „Leben“ für die Vertreter der Philosophischen Anthropologie boten, wie folgt zusammen: „In der Kategorie ‚Leben‘ liefen alle Problemlinien der auf prärationale Bedingungen abgebauten Vernunft zusammen, und zugleich war im Begriff des ‚Lebens‘ eine Kontaktstelle zwischen getrennten Größen […] per se eingebaut, die als Umkehrpunkt die Bedingung der Möglichkeit bot, von prärationalen Momenten aus eine Fundierung des Geistes aufzubauen“ (J. Fischer: Philosophische Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 516). Gerald Hartung betont zudem, dass die eine Richtung unter dem Aspekt des Lebens erst durch die Verklammerung der beiden Größen Natur und Geist möglich wurde, da diese Verklammerung „den doppelten Aspekt von Leben und Erleben [fasst], aus dem sich die menschliche Wirklichkeit konstituiert“ (Gerald Hartung: Leben birgt Existenz. Helmuth Plessners Deduktion der Kategorien der Lebendigkeit. In: Das Leben. Historisch-systematische Studien zur Geschichte eines Begriffs. Bd. 2, hg. von Stephan Schaede/Gerald Hartung/Tom Kleffmann (Tübingen 2012) 345-364, 347). 27 Vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 142-146; vgl. auch J. Fischer: Philosophische Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 76.

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unterscheiden sich die philosophisch-biologischen Pointen ihrer Kritik. Verbleibt Uexküll mit seinem Begriff der Planmäßigkeit im Grunde bei einem metaphysischen Naturfaktor, der zwar nicht mehr von außen als zusätzliche lebenspendende Kraft dazukommt, sondern den Organismen innewohnt, so lehnt Plessner jegliche holistisch konzipierten Naturphilosophien ab. Plessners Bestreben ist es vielmehr, das Lebendige aus sich selbst heraus zu begreifen, ohne dabei auf zusätzliche Naturfaktoren als Erklärung zurückgreifen zu müssen. Eine schlichte Übernahme der Umweltlehre Uexkülls ist für das Vorhaben einer Neubestimmung des menschlichen Lebens für Plessner daher unmöglich, geht es ihm doch gerade darum, ein Verständnis zu etablieren, das die Offenheit dieses Lebens hervorhebt. Denn die Sonderstellung der menschlichen Bezugsform wird auch mit Uexküll „hinfällig, wenn die Welt, in der der Mensch lebt, nichts anderes als die Umwelt des menschlichen Bauplans ist“.28 Die psychophysische Sonderstellung des Menschen sowohl gegen die evolutionsbiologische Abstammungstheorie als auch gegen Uexkülls Holismus zu ver28 H. Plessner: Mensch und Tier, a.a.O. [Anm. 281] 59. Die Zurückweisung der Uexküll’schen Umweltlehre hinsichtlich der Stellung des Menschen zur Welt ist von Plessner von Anfang an herausgestellt worden. Insofern ist es verwunderlich, dass Patrick Wilwert in seiner Studie zur Philosophischen Anthropologie Schelers und Plessners – hinsichtlich deren jeweiliges Potenzial zu einer Grundlagenwissenschaft – Uexkülls Lebensplanforschung in Plessners Anthropologie entdeckt, gleichwohl „auf eine andere, höhere Ebene transportiert“ (Patrick Wilwert: Philosophische Anthropologie als Grundlagenwissenschaft? Studien zu Max Scheler und Helmuth Plessner (Würzburg 2009) 180). Denn es ist gerade die Planmäßigkeit der tierischen Umwelt, die Plessner aufgrund der menschlichen Offenheit und Unergründlichkeit als nicht auf den Menschen übertragbar erachtet: „Zu dem selektiven, isolierenden und aktionsrelativen Charakter der Umwelt paßt schließlich ihre Nichttransportierbarkeit, die wiederum der menschlichen Fähigkeit, überall zu leben und sich an alle Milieus, sei es dann auch mit Hilfe künstlicher Mittel, anzupassen und in jeder Umgebung, im Prinzip wenigstens, zu Hause zu sein, entgegengesetzt ist“ (Helmuth Plessner: Über das WeltUmweltverhältnis des Menschen (1950). In: Conditio humana. GS. Bd. 8., hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 77-87, 82). Zwar ist das Wesen Mensch, wie Wilwert zu Recht ausführt, erst unter Berücksichtigung seiner Kultur verständlich und auch der Bauplan des Tieres ist erst unter Berücksichtigung seiner Umwelt verständlich (vgl. P. Wilwert: Philosophische Anthropologie als Grundlagenwissenschaft?, a.a.O. [Anm. 291] 180). Die Übertragung der Uexküll’schen Lebensplanforschung auf den Menschen rechtfertigt diese Argumentation aber nicht (vgl. dazu auch H. Plessner: Über das Welt- Umweltverhältnis des Menschen, a.a.O. [Anm. 291] 84f.).

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teidigen, plausibilisiert daher Plessners Vorhaben, seiner Anthropologie eine Naturphilosophie voranzustellen, deren Grundkategorie das Leben ist. Leben wird darin jedoch nicht auf am Lebewesen objektiv beobachtbare Vorgänge reduziert oder als eine dem Organismus innewohnende Kraft begriffen. Plessner versteht Leben vielmehr als ein phänomenal explizierbares Vollzugsgeschehen. Anhand dieser so verstandenen Kategorie entwickelt er einen methodisch wichtigen Begriffsapparat (Grenze, Positionalität, Exzentrizität) zur Bezeichnung der Vitalkategorien, mit denen die Phänomene des Lebendigen systematisch als Vollzüge zum Ausdruck gebracht werden können. Mit der dadurch möglichen Beschreibung des Lebens als Vollzug sowohl in organischer als auch sinn- und bedeutungsstiftender Hinsicht schafft es Plessner, das Menschsein als eine lebendige Bezugsform zu erfassen, ohne dabei diese auf eine evolutionsbedingte Zweckrationalität oder subjektivistisch bedingte, harmonische Umweltgebundenheit zu reduzieren. Somit ist Plessners Hauptanliegen in den Stufen eine biophilosophische Grundlegung der Lebenskategorien zu entwickeln.29 Zugleich legt er aber großen Wert darauf, dass die von ihm kategorial bestimmten Strukturformen des Lebendigen in der Anschauung durch lebendige Phänomene realisiert sein müssen. Dieser Anspruch führt ihn schließlich am Ende der Stufen zu einer Anthropologie, in der er die Erscheinungsweisen des menschlichen Lebens als Realisierungsvollzüge spezifischer Strukturformen herausarbeitet. Dass sich Plessner und Uexküll an der holistisch konzipierten Umweltlehre Uexkülls systematisch voneinander scheiden, ist für den Fortgang dieser Arbeit ausschlaggebend, da sich aus Plessners Kritik an Uexkülls Umweltbegriff die These zum Leben des Menschen in Weltverhältnissen explizieren lässt. Die Verwerfung der Uexküll’schen Umweltlehre in der Beschreibung menschlichen Lebens bedeutet jedoch nicht, dass Plessner die Zurückweisung der Biologie per se im Sinn hatte. Das Aufzeigen der menschlichen Bezugsform, die der Mensch zu seinem Umfeld realisiert, als die Entfaltung einer psychophysischen Einheit ist das Spezifikum seiner Philosophischen Anthropologie, die sich insofern auch als Biophilosophie bezeichnen lässt. Gerade „weil der Aufbau einer philosophi29 Plessner selbst nennt seine methodische Vorgehensweise dabei eine dialektische: „Eine derartige apriorische Theorie des Organischen hat, so scheint es, mehr Verwandtschaft mit einer Dialektik als mit einer Phänomenologie. Sie geht von einem Grundsachverhalt, dessen Realität sie durchaus hypothetisch behandelt, aus und gelangt Schritt für Schritt von einer Wesensbestimmung zur anderen. Die Wesensbestimmungen ergeben sich aus einander, ordnen sich in Stufen, offenbaren sich als ein großer Zusammenhang, der damit wiederum als Manifestation des Grundsachverhalts begriffen wird“ (H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 115; vgl. zudem zur Programmatik Plessners ebd. 28ff.).

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schen Anthropologie zur Voraussetzung die Untersuchung jener Sachverhalte hat, die um den Sachverhalt ‚Leben‘ konzentriert sind, wird das Problem der organischen Natur aufgerollt werden“.30 Diesem Anspruch Plessners folgend, wird im nächsten Unterkapitel zunächst die Struktur des Lebendigen kategorial gefasst und in seiner Stufenfolge (Pflanze, Tier, Mensch) als Problem der Gestelltheit aufgearbeitet. Auf der Stufe des Menschen angekommen, ist mit Plessners Zurückweisung des Uexküll’schen Umweltbegriffs die spezifische Stellung des Menschen zur Welt herauszustellen. Denn diese Stellung umfasst den gesamten „Umkreis der Existenz und der mit dem persönlichen Leben in selber Höhe liegenden, zu ihm in Wesenskorrelation stehenden Natur“.31 Daher erweist sich die menschliche Existenz in ihrer Weltstellung als lebendiger Ausdruck der psychophysischen Einheit des Menschen und damit als Möglichkeit zur Überwindung des naturalistisch gefassten Subjekt-Objekt-Dualismus.

30 H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 77. 31 Ebd. 27.

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3.2 D IE F ORMEN DES L EBENDIGEN Ausgehend von der Intention Plessners eine Grundlegung des menschlichen Lebens zu entwickeln, die den cartesischen Dualismus überwindet, indem sie Na turphilosophie mit Biologie konvergieren lässt, soll im Folgenden bei der Schlüsselkategorie Philosophischer Anthropologie begonnen werden: dem Phänomen des Lebens bzw. der Strukturform lebendiger Objekte.1 Denn Plessner versteht es als Aufgabe der Philosophischen Anthropologie, vor der Entwicklung einer Anthropologie zunächst die kategorial erschließbaren Strukturmerkmale des Lebendigen zu erarbeiten.2 Direkt bei den biologischen Organismen anzusetzen und das Phänomen der Lebendigkeit dabei schlicht anzunehmen, hält Plessner dabei für die verkehrte Vorgehensweise. Dieses Vorgehen wird zwar in der Biologie praktiziert, seines Erachtens kann jedoch das Organische als Ausgangspunkt des Lebens nicht stehen bleiben, wenn man die Erscheinungsweisen des Lebendigen verstehen will: „Man muß schließlich wissen, wovon man spricht, wenn man die Vokabeln Leben, lebendig, belebt gebraucht“.3 Insofern steht im Folgenden zunächst die Beantwortung der Frage, was für ein Phänomen Plessner meint, wenn er vom Lebendigen spricht, im Fokus. Erst im Anschluss daran kann die Frage danach gestellt werden, wodurch sich das Lebendige kategorial auf den unterschiedlichen Stufen auszeichnet und inwiefern sich diese kategorialen Differenzen in den Erscheinungsweisen der verschiedenen lebendigen Organismen manifestieren.

1

Fischer bezeichnet die Kategorie des Lebens als den „tiefstmöglichen Punkt“ an dem die Philosophische Anthropologie ansetzen konnte (vgl. J. Fischer: Philosophische Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 516). Leben als den tiefst möglichen Punkt, an dem anzufangen ist, zu denken, scheint insofern richtig, da dieser Gedanke den Vollzug des Lebens selbst voraussetzt. Systematisch setzt Plessner aber im Grunde noch früher an. Denn er beginnt beim Objekt als solchem, indem er nach der phänomenalen Möglichkeit von Objekten fragt. Erst von dort, vom einfachen Objekt aus, fragt er nach dem phänomenalen Unterschied zwischen diesem und einem lebendigen Objekt. Letzteres weist als lebendiges zwar einen kategorialen Unterschied zu einem nichtlebendigen Objekt auf, als solches behält es dabei aber die Objektstruktur bei. Dass die Möglichkeit des Nachdenkens über das einfache Objekt dabei ein lebendiges Wesen exzentrischer Positionalität voraussetzen muss, steht jedoch in keinem Widerspruch zur Bestimmung des Objekt-Seins als den tiefst möglichen systematischen Punkt, an dem Plessners Überlegungen ihren Ausgang nehmen.

2

Vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 66.

3

Ebd. XIX.

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3.2.1 Die Struktur des Lebendigen Plessner beginnt in der Entwicklung seiner These1 zur Definition des Lebendigen elementar beim einfachen Ding der Wahrnehmung. Dabei ausgehend von der Prämisse, dass Lebendigkeit eine „Qualität der Erscheinung“2 ist, formuliert Plessner zunächst die Hypothese, dass die Erscheinungsweise nicht-lebendiger Dinge von der Erscheinungsweise lebendiger Dinge differiert.3 Es kommt Plessner darauf an, anhand der qualitativ zu verstehenden Differenz in der Erscheinungsweise von Dingen den Unterschied zwischen lebendig und nicht-lebendig deutlich zu machen. Sein Gedankengang setzt folglich mit der Beschreibung des prinzipiell zur Erscheinung kommenden Dingcharakters ein: „Jedes in seinem vollen Dingcharakter wahrgenommene Ding erscheint seiner räumlichen Begrenzung entsprechend als kernhaft geordnete Einheit von Eigenschaften“.4 Mit

1

Vgl. ebd. drittes Kapitel: Die These, 80-122.

2

Ebd. XXII.

3

Vgl. Ebd. 89. Aufschlussreich ist diesbezüglich Hartungs Betonung, dass es sich für Plessner eben nicht um eine Differenz in einem materialen Erscheinungsgehalt handelt, sondern in der Erscheinungsweise (vgl. G. Hartung: Leben birgt Existenz, a.a.O. [Anm. 289] 349). Dies macht Plessners Anliegen, die kategorialen Strukturmerkmale des Lebendigen „als Konstitutionsformen der phänomenalen Seinsschicht des Lebens“ (H. Plessner: Stufen. a.a.O. [Anm. 5] 118) auszuweisen, noch einmal besonders deutlich. D.h. dass es sich beim Lebendigen, erstens – anders als die Naturwissenschaften oder die Evolutionstheorie suggerieren – nicht lediglich um eine empirische Größe und zweitens auch nicht – in Gegenstellung zum Vitalismus – um eine autonome Schicht des Lebendigen handelt (vgl. auch G. Hartung: Leben birgt Existenz, a.a.O. [Anm. 289] 350).

4

Ebd. 81. In diesem Zitat wird die naturphilosophische Auseinandersetzung Plessners mit der Aristotelischen Kategorienlehre deutlich, da er auf das Verhältnis von Substanzkern und dessen Eigenschaften rekurriert. Dieses klassische Theorem wird von Plessner jedoch hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Substanz und Akzidenz so transformiert, dass sich ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihnen ergibt und nicht lediglich das Akzidenz als abhängig von der Substanz gesetzt wird. Die Substanz wird als ebenso abhängig vom Akzidenz gesetzt. Denn begriffen als konstitutives Verhältnis verweist das Akzidenz als Nicht-Substanz auf die Substanz (vgl. zur spezifischen Umdeutung des Verhältnisses von Substanz und Akzidenz bei Plessner K. Haucke: Plessner, a.a.O. [Anm. 272] 24). Die vorliegende Arbeit folgt in den Ausführungen zum Verhältnis des Verweisungszusammenhangs bzw. der Doppelaspektivität weitestgehend Hauckes Interpretation, allerdings ohne dessen explizite

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anderen Worten: Ein Ding erscheint als geordnete Einheit von Eigenschaften oder Aspekten um einen Kern, der, wenn er nicht Aspekt ist, Substanz sein muss.5 Durch diese Überlegungen zum Substanz-Aspekt-Verhältnis entwickelt Plessner die Kategorie der Doppelaspektivität, die für seinen naturphilosophischen Ansatz zentral ist und einen zweifachen Verweisungszusammenhang von Aspekten meint.6 Zum einen muss ein Aspekt, um Aspekt sein zu können, Aspekt von Etwas sein, das selbst kein Aspekt ist, sondern Substanz. Zum anderen verweist die Bestimmung Aspekt-von-Etwas-Sein darauf, dass ein Aspekt nur ein Aspekt von anderen möglichen Aspekten der Erscheinungsweise ist. Diesen doppelten Verweisungszusammenhang auf die Substanz und auf die Mannigfaltigkeit weiterer, möglicher Aspekte nennt Plessner „Transgredienzcharakter“7 oder eben „Doppelaspekt“.8 Ein einfaches Ding erscheint sinnhaft als Ding somit durch diesen Doppelaspekt, dessen zweifache Aspektivität jedoch nicht ineinander überführbar ist, sondern eine „echte Aspektdivergenz“9 mit zwei absoluten Richtungen darstellt. Diese absoluten Richtungen sind „‚in‘ das Ding ‚hinein‘ und ‚um‘ das Ding ‚herum‘“.10 Das Hinein verweist dabei auf die Substanz und das Herum auf die anderen Aspekte.11 Der richtungsdivergente Doppelaspekt ist somit die BeAuseinandersetzung mit der dialektischen Methode Plessners eingehend auszuführen bzw. aufzuarbeiten. 5

Auch die Erscheinungsweise des Dings als Einheit von Substanz und Aspekten sieht Haucke in der aristotelischen Tradition stehen: „Ganz im Sinne der klassischen aristotelischen Ontologie ergibt sich die spezifische Einheit des Dinges durch den Bezug aller seiner Eigenschaften und Aspekte auf einen inneren, substantiellen Punkt, der selbst keine Eigenschaft und kein Aspekt ist, daher auch nicht räumlich anschaulich wird“ (K. Haucke: Plessner, a.a.O.[Anm. 272] 36). Dass der substanzielle Kern aber trotzdem, gewissermaßen in einem negativen Sinne, sinnhaft anschaulich ist, liegt an der Struktur der Aspektivität, die als Erscheinung auf das, was sie nicht ist, verweist, also sowohl auf andere Aspekte als auch auf die Substanz, die dadurch vermittelt zur Erscheinung kommt (vgl. ebd. 39).

6

Vgl. zur Entwicklung der Kategorie des Doppelaspekts: H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 81-85.

7 8

Ebd. 82. Ebd. 89: „Der Doppelaspekt konstituiert das Anschauungsgebilde des Dingkörpers […]“.

9

Ebd. 88. Plessner spricht vom gleichen Sachverhalt auch als einer absoluten Richtungsdivergenz (vgl. ebd. 102).

10 Ebd. 82f. 11 Plessner trennt das dingkonstituierende Moment der Richtungsdivergenz von denen des räumlichen Erscheinens, da ersteres absolut ist und somit in keine Relation räum-

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dingung der Möglichkeit von anschauungsmäßiger Dinghaftigkeit, auf der die kernhafte Ordnung der Eigenschaften um einen substanziellen Kern herum gründet. Der Doppelaspekt kommt beim einfachen Wahrnehmungsding jedoch selbst nicht zur Erscheinung, denn „als echte Bedingung verliert er sich in dem von ihm Bedingten“.12 Das einfache Ding, das als Ding in der Wahrnehmung unmittelbar erscheint, wird insofern seiner doppelaspektiven Struktur nach, d.h. durch den Doppelaspekt, vermittelt. An diesem Doppelaspekt, kraft dessen das Ding als Ding zur Erscheinung kommt, setzt Plessner den kategorialen Unterschied zwischen einem einfachen und einem lebendigen Ding an. Die Differenz besteht darin, dass ein lebendiges Ding nicht durch die Doppelaspektivität erscheint, sondern diese als anschauliche, körperliche Eigenschaft hat: „Körperliche Dinge der Anschauung, an welchen eine prinzipiell divergente Außen-Innen-Beziehung als zu ihrem Sein gehörig gegenständlich auftritt, heißen lebendig“.13 Lebendige Dinge erscheinen somit als lebendig, insofern sie aspektiv im Doppelaspekt erscheinen und nicht, weil sie kraft des Doppelaspekts erscheinen. Der Doppelaspekt wird bei lebendigen Dingen somit selbst zum Aspekt der Erscheinung. Diese Erscheinungsweise im Doppelaspekt ist es, in der sich für Plessner „das Plus jener rätselhaften Eigenschaft des Lebens [manifestiert], die trotz ihrem Eigenschaftscharakter nicht nur material die Erscheinung des betreffenden Dinges, sondern darüber hinaus formal seine Erscheinungsweise verändert“.14 Diese wesentliche Veränderung in der Erscheinungsweise, die sich aufgrund der Differenz im Bezug zum Doppelaspekt zwischen einfachem und lebendigem Ding ergibt, führt Plessner zu einer weiteren Kategorie, die konstitutiv für lebendige Dinge ist. In der eingangs zitierten Definition des einfachen Dingcharakters spricht er von dessen räumlicher Begrenzung. Damit ist gemeint, dass die formgebenden Konturen des Dings im Raum dessen Begrenzung sind. Das Ding beginnt dort, wo seine Konturen anfangen, und endet dort, wo diese aufhören. Das lebendige Ding unterscheidet sich vom einfachen nun darin, dass seine Form licher Bestimmung überführt werden kann: „Auf das Zentrum und die Seiten im räumlichen Sinne kann man den Finger legen. Auf Zentrum und Seiten als dingkonstituierende Charaktere kann man das aber nicht. So wenig die zentrale Bindung der eigenschaftstragenden Seiten nur eine Metapher für das unräumliche Verhältnis von Substanzkern und Eigenschaft ist, so wenig läßt sie sich im Raum aufweisen. Dingkonstituierende Momente und räumliche Momente sind also, obzwar in der Anschauung von einander untrennbar, nicht identisch“ (ebd. 84). 12 Ebd. 89. 13 Ebd. 89. 14 Ebd. 89.

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nicht lediglich von einer Be-Grenzung, an der es beginnt und aufhört, bestimmt wird. Denn insofern es im richtungsdivergenten Doppelaspekt steht, hat es diese Begrenzung vielmehr als zu ihm gehörende Grenze. D.h. wenn das einfache Ding sowohl den richtungsdivergenten Doppelaspekt als auch seine Begrenzung nicht selbst als körperliche Eigenschaften hat, so hat im Gegensatz dazu das lebendige Ding den richtungsdivergenten Doppelaspekt und insofern auch die Grenze als an ihm seiende Eigenschaft. Denn das Haben des eigenschaftlichen Doppelaspekts ist die Bedingung dafür, dass der lebendige Körper eine eigenschaftliche Grenze hat. Dadurch erst wird ihm die Realisierung der Grenze als eigenständige Vermittlung zwischen den beiden absoluten Richtungen von Innen und Außen möglich. Mit dieser Setzung der Grenzrealisierung erweitert Plessner seine Definition des Lebendigen: „Infolgedessen darf man dem Satz, daß lebendige Körper erscheinungsmäßig eine prinzipiell divergente AußenInnenbeziehung als gegenständliche Bestimmtheit aufweisen, die Form geben: lebendige Körper haben eine erscheinende, anschauliche Grenze“.15 Der Unterschied zwischen einem einfachen und einem lebendigen Körper liegt somit nicht darin, dass ein einfaches Ding eine Begrenzung im Raum hat und ein lebendiges Ding nicht, sondern dass das lebendige Ding im Gegensatz zum einfachen eine Grenze realisiert. Der erscheinungsmäßige Unterschied ist somit ein kategorialer – auch wenn beide im Raum eine Begrenzung vorweisen –, da das lebendige Ding den Übergang der Grenze als anschaulichen Aspekt selbst vollzieht. Im Falle des einfachen Dinges ist die Grenze deswegen nach Plessner reine „Raumgrenze“, die den Übergang gewährleistet und dadurch bloß das „virtuelle Zwischen dem Körper und den anstoßenden Medien“16 ist. Im Falle des lebendigen Dinges ist die Grenze hingegen zugleich „Aspektgrenze“, d.h. dass der lebendige Körper der Struktur des Doppelaspekts gemäß diesen Übergang „in seiner Begrenzung vollzieht und dieser Übergang selbst ist“.17 Die eingangs gestellte Frage, was Plessner meint, wenn er vom Lebendigen spricht, kann an diesem Punkt der Darstellung also dahingehend beantwortet werden, dass Lebendigkeit der eigenständige Vollzug der Grenzrealisierung eines Körpers ist. Ein lebendiges Ding realisiert also eine Grenze. D.h. dass die Vermittlung des Doppelaspekts von Innen und Außen von ihm selbst vollzogen wird. Da die absolute Richtungsdivergenz von hinein und herum von ihm selbst vollzogen wird, ist das lebendige Ding durch die Realisierung der Grenze selbst der substanzielle Übergang von Innen und Außen: „Deshalb wird hier die Grenze sei-

15 Ebd. 100. 16 Ebd. 103. 17 Ebd. 103.

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end“.18 Als seiende Grenze, als lebendiger Übergang, muss der lebendige Körper wiederum zu etwas ins Verhältnis gesetzt sein, das außerhalb und innerhalb seiner Grenze liegt. Mit diesem Gedankenschritt wird von Plessner eine weitere Vitalkategorie eingeführt, durch die sich ein lebendiges Ding auszeichnet: die Positionalität. Da die zwei Richtungen des Doppelaspekts absolut, d.h. nicht aufzuheben, sind und als anschauliche Eigenschaft zum Sein des Körpers gehören, ist das lebendige Ding durch seine Grenze sowohl durch ein In-es-hinein-Sein als auch durch ein Über-es-hinaus-Sein bestimmt.19 Plessner nutzt zur Erläuterung dieser Bestimmung den Begriff des Setzens als In-den-Körper-hineinsetzen und Über-den-Körper-hinaussetzen.20 Dieses Setzen des lebendigen Körpers durch 18 Ebd. 103. Wolfgang Eßbach spricht hinsichtlich der differenten Seinsweise einfacher und lebendiger Körper von der Grenze als einer „Faltung des Seins“, mit der er die komplexere Seinsweise lebendiger Körper gegenüber einfachen Dingen verdeutlicht (vgl. Wolfgang Eßbach: Die Gesellschaft der Dinge, Menschen, Götter (Wiesbaden 2011) 27). Eßbach greift damit Plessners Rede von der „Komplikation der Voraussetzungen“ bzw. von der „eigentümliche[n] Komplikation des Seins“ (H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 89 und 129) auf, die das lebendige gegenüber dem einfachen Ding auszeichnet. Nach Eßbach vervielfacht sich die Faltung entsprechend der stufenförmigen Anhebung der Seinsweise von Pflanze, Tier und Mensch, wobei die Komplexität des Verhältnisses jeder Stufe zu seiner Grenze die Anzahl der Faltung bestimmt: „Bezogen auf die Grenzthematik stellt die Pflanze eine einfache Faltung, das Tier eine Doppelfaltung als Distanz nach Innen und Außen, der Mensch eine Dreifaltigkeit dar, deren Drittes […] als Stellung in der Grenze reflektiert wird“ (W. Eßbach: Die Gesellschaft der Dinge, a.a.O. [Anm. 315] 31). Auch wenn solche Verbildlichungen in einem derartigen Kontext stets die Aufgabe erfüllen sollen, das Gemeinte verständlicher zu machen, so scheint das Bild der Faltung hinsichtlich der Beschreibung der verschiedenen Lebensformen im Plessner’schen Sinne nicht ganz treffend zu sein. Die Faltung vermittelt zwar mit jeder weiteren Falte einen weiteren Grad an Komplexität, doch scheint diese eben dadurch lediglich eine graduelle zu sein. Eine stufenförmige ,Anhebung‘ hingegen verdeutlicht gerade die kategorialen Unterschiede des Gestellt-Seins der unterschiedlichen Formen des Lebendigen und damit auch die Komplexitätserhöhung. 19 Ebd. 129. 20 Vgl. ebd. 128f.; vgl. für eine Auseinandersetzung mit Plessners Anschlüsse an Fichtes Terminologie: Jan Beaufort: Gesetzte Grenzen, begrenzte Setzungen. Fichte'sche Begrifflichkeit in Helmuth Plessners Phänomenologie des Lebendigen. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 48 (2000), no. 2, 213-236. Fischer sieht in Plessners fundamentaler Bedeutungstransformation des Setzungsbegriffs dessen Kehre zur Lebensphilosophie: „Leben ist getragenes Getragensein, ist Abhebung und Aufruhen, ist die

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die Grenze geht nach Plessner mit einem Angehobensein einher, denn die Notwendigkeit des Setzens muss zugleich eine Angehobenheit implizieren. Korrelativ zu dieser Angehobenheit bedarf es nun des Vollzugs der Setzung, damit das Ding Körper bleibt.21 D.h. insofern der lebendige Körper seiende Grenze und somit seiender Übergang ist, geht er stets in zwei Richtungen über sich hinaus und ist somit zugleich ‚angehoben‘. Bliebe er jetzt reines Angehobensein und fehlte die Setzung, würde das Ding die Eigenschaft verlieren, Körperding zu sein. Und „[n]ur dem Ausgleich mit dieser Bestimmung entspricht der Ausdruck des Setzens, welcher das Moment des Angehobenseins, In-Schwebe-Seins anklingen läßt, ohne darum das andere Moment des Aufruhens und Festseins zu verlieren“.22 Im Vollzug der Grenze stets über sich hinausreichend, setzt der lebendige Körper sein Sein als lebendiger Körper. Durch diesen lebendigen Vollzug in ihn selbst gesetzt, nimmt er so seine Position ein; oder mit Plessner ausgedrückt: seine Positionalität: „Hierunter sei derjenige Grundzug seines Wesens verstanden, welcher einen Körper in seinem Sein zu einem gesetzten macht“.23 Das lebendige Ding setzt sich folglich selbst als lebendiges Ding und wird nicht gesetzt. Das anorganische Ding dagegen ist als im Raum seiend gesetzt. Nach Plessner ist das lebendige Ding darum raumbehauptend, während das einfache Ding lediglich raumerfüllend ist.24 Dieser Unterschied macht sich – entsprechend Plessners These, dass Lebendigkeit eine phänomenale Erscheinungsqualität ist – abermals in der Erscheinungsweise des lebendigen Körpers bemerkbar: „Ein Lebewesen erscheint gegen seine Umgebung gestellt. Von ihm aus geht die Beziehung auf das Feld, in dem es ist, und im Gegensinne die Beziehung zu ihm zurück. Den Positionalcharakter faßt die Anschauung […] an einem Ding gerade so, daß es nicht mehr eine bloße Redewendung ist zu sagen, dieses Ding habe seine Teile als Eigenschaften […]; denn es selbst gehe doch nicht in ihnen auf, sondern sei noch etwas für sich, weil es lebe: kein bloßes Ding, sondern ein Wesen. In solchem Fürsichsein Erfahrung von nicht selbst gesetzter Gesetztheit, von nicht selbst gesetzten Impulsen und Rhythmen, ist geschehener Vollzug“ (J. Fischer: Philosophische Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 534f.). Dieses lebendige Getragensein als Erfahrung von geschehenem Vollzug deutet bereits an, was an späterer Stelle noch expliziert werden soll: Die Wirklichkeitserfahrung trägt den Menschen in seinem notwendig zu führenden Leben, wodurch seine Möglichkeit, sich eine Selbst-Welt-Beziehung zu konstituieren, realisiert wird (ob er dies nun will oder nicht). 21 Vgl. ebd. 129. 22 Ebd. 129. 23 Ebd. 129. 24 Vgl. ebd. 131.

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liegt die Abgehobenheit gegen das Feld seines Daseins. Es […] behauptet von ihm aus einen Ort, seinen ‚natürlichen Ort‘“.25 Ein lebendiger Körper zeichnet sich somit dadurch aus, dass er nicht lediglich eine Stelle im Raum einnimmt, sondern eigenständig für sich Raum behauptet und somit seine Positionalität als Eigenschaft des Lebendigen trägt. Plessner will mit dem terminologischen Unterschied zwischen raumerfüllend und raumbehauptend deutlich machen, dass sich Positionalität als lebendiges Phänomen nicht durch die Verortung in einem messbaren Raum-Zeit-Kontinuum auszeichnet – wenngleich ein lebendiger Körper auch darin als Körper erscheint –, sondern dass es Eigenschaft des Lebendigen als Lebendigem ist, ein absolutes Hier-Jetzt-Sein zu realisieren. D.h. dass ein lebendiges Ding seinen „natürlichen Ort“, der als absolute Positionalität keinen relativen, messbaren Ort darstellen kann, als für-sich-seiend behauptet.26 Resümierend lassen sich somit drei Vitalkategorien festhalten, durch die sich die Lebendigkeit eines Körpers auszeichnet: aspektive Doppelaspektivität, seiende Grenze und raumbehauptende Positionalität. Mit anderen Worten: Ein lebendiges Ding zeichnet sich in seiner Erscheinung als lebendig aus, weil es die doppelaspektive Eigenschaft, zugleich Innen und Außen zu sein, als realisierte Grenze an seinem Körper ständig vollzieht und insofern zugleich seine Positionalität behauptet. Damit hat Plessner Lebendigkeit – im Ausgang vom Problem des Substanz-Aspekt-Verhältnisses – als ein strukturrealisierendes Vollzugsgeschehen bestimmt, ohne dabei auf einen von außen hinzukommenden bzw. auf einen im Inneren liegenden, vitalistischen Naturfaktor zu rekurrieren oder das Lebendige auf chemisch-physische Prozesse, die dem Organischen zugrunde liegen, zu reduzieren: „Denn das Leben schwebt ja nicht wie ein feiner Hauch über dem Körper oder zieht sich durch seine Poren, sondern es ist ganz an den Köper gebunden und kraft seiner ontischen Struktur seine Eigenschaft, nichts weiter“.27 Leben ist mit Plessner also weder materialistisch noch metaphysisch zu bestimmen, sondern phänomenal als seiende Eigenschaft des Körpers, die dieser selbst vollzieht. Damit hat Plessner sowohl die naturwissenschaftliche als auch die vitalistische Auffassung von dem, was Leben ist, hinter sich gelassen und mit Hil25 Ebd. 131. An dieser Stelle grenzt sich Plessner sowohl von Driesch als auch von Uexküll ab, da er erstens im Gegensatz zu Driesch deutlich macht, dass Lebendigkeit kein von außen hinzu kommendes sur plus ist, und zweitens im Gegensatz zu Uexküll Leben aber auch nicht als die dem Organismus innewohnende Planmäßigkeit versteht. Es manifestiert sich nach Plessner vielmehr in dem „Fürsichsein“, welches das Lebewesen sich durch seine doppelaspektive Grenzrealisierung selbst setzt. 26 Vgl. ebd. 27 Ebd. 190.

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fe naturphilosophisch bestimmter Vitalkategorien aus sich selbst heraus begriffen. Die durch die realisierte Grenze vermittelte, aspektive Richtungsdivergenz von absolutem Innen und absolutem Außen bedeutet für den lebendigen Organismus zudem, in positionalem Bezug zu seinem Umfeld zu sein. Dieser Bezug zeichnet sich, begriffen als Vollzugsgeschehen, sowohl durch Abgeschlossenheit als auch durch Aufgeschlossenheit gegenüber dem Positionsfeld aus.28 Diese Ambiguität von Aufgeschlossenheit und Abgeschlossenheit des Organismus verdeutlicht Plessner anhand des Organs, da sich in Organen dieses ambiguitive Verhältnis realisiert. Die Begründung des organischen Zugleichs der Auf- und Abgeschlossenheit ist Plessner wieder durch das Prinzip der Doppelaspektivität möglich, das sich sowohl im Verhältnis der Organe zueinander als auch im Verhältnis eines Organs zum Körper als Ganzem findet. Das einzelne Organ vermittelt zum einen als Aspekt des Ganzen die Einheit des Körpers nach innen, insofern das Organ als Aspekt von Etwas auf das Ganze des Körpers, von dem es Teil ist, verweist. Es verweist zudem als Aspekt auf andere Aspekte, d.i. Organe, deren gemeinsame Wirkeinheit das Ganze zum Ganzen vermittelt.29 Durch seine Organe vermittelt sich der lebendige Körper nach innen selbstständig zur physischen Einheit und bildet so einen abgeschlossenen Körper. 28 Positionalität bzw. natürlicher Ort ist nicht identisch mit dem Positionsfeld. Ersteres bedingt kategorial die Form der Realisierung des organischen Bezugs zum Positionsfeld. Plessner wendet gegen die Gefahr dieses Missverständnisses entsprechend ein: „Wäre das Positionsfeld identisch mit seinem natürlichen Ort, so wäre es [...] nichts als das System des Organismus“ (ebd. 203). Das Positionsfeld ist als realisierte Umwelt oder Welt keine apriorische Kategorie. Entsprechend beschreiben die Begriffe Positionsfeld und Umfeld den gleichen Sachverhalt (vgl. Fußnote 5 in Kapitel 1 der vorliegenden Arbeit). 29 Vgl. ebd. 168f. Plessner bezieht sich an dieser Stelle explizit auf Uexkülls Begriff der Planmäßigkeit, um die Wirkeinheit der Organe als physische Organisation auszuweisen: „Unter Organisation versteht man, nach einem Wort von Uexkülls, den Zusammenschluß verschiedenartiger Elemente nach einheitlichem Plan zu gemeinsamer Wirkung. […] Organisation ist die Daseinsweise des lebendigen Körpers, der sich differenzieren und in und mit der Differenzierung jene innere Teleologie herausbringt, nach der er zugleich geformt und funktionierend erscheint“ (ebd. 169f.). Auch wenn Plessner mit Uexküll darin übereinstimmt, dass die Organisation eines Organismus eine planmäßige ist, nach der sich die Organe zur Wirkeinheit zusammenschließen, lehnt er Uexkülls Überzeugung, dass der Plan der Lebensfaktor selbst sei, ab. Nicht zuletzt deswegen, weil gerade das menschliche Leben mit keiner harmonischen Planmäßigkeit beschrieben werden kann.

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Zum anderen öffnen die Organe den Organismus gegenüber seinem Positionsfeld, denn als physische Träger der Stoffwechselprozesse vermitteln sie den Kontakt zum Umfeld: „In seinen Organen geht der lebendige Körper aus ihm heraus und zu ihm zurück, sofern die Organe offen sind und einen Funktionskreis mit dem bilden, dem sie sich öffnen. Offen sind die Organe gegenüber dem Positionsfeld. So entsteht der Kreis des Lebens, dessen eine Hälfte vom Organismus, dessen andere vom Positionsfeld gebildet wird“.30 In der organischen Vermittlung nach außen realisiert sich die Beziehung des Lebewesens zu seinem Umfeld somit als lebendige Einheit. Dadurch werden die Eigenschaften des Umfeldes wiederum zu Aspekten des Organismus. Denn als Aspekte verweisen sie sowohl auf das, was sie nicht sind, d.i. der Organismus, als auch auf andere mögliche Aspekte des Umfelds, die als Möglichkeiten auf die Lebenskreiseinheit von Organismus und Umfeld zurückverweisen. Plessner übernimmt hier mit dem Begriff des Lebenskreises die Figur des Funktionskreises von Uexküll, mit der letzterer die planmäßige Einheit zwischen Tier und Umwelt illustrierte. Der Lebenskreis Plessners verdeutlicht jedoch noch grundsätzlicher die lebendige Einheit von Organismus und Umfeld, die bspw. auch für Pflanzen gilt. Er beschränkt den Lebenskreis nicht, wie Uexküll dies tut, auf die tierische Umwelt. Vielmehr ist mit Plessner jeder lebendige Organismus Teil eines Lebenskreises: „Er verliert seine Selbständigkeit, weil die Organe, wie sie ihn zur Einheit seiner selbst vermitteln, ihm diese Einheit nur durch den Kontakt mit dem, was er nicht ist: mit dem Feld seiner Position ermöglichen“.31 Gegen sein Positionsfeld gestellt, ist der lebendige Organismus zwar als Körper ganz, organisch aber ist er „nur die Hälfte seines Lebens. Er ist das absolut Bedürftige geworden, das nach Ergänzung verlangt, ohne die er zugrunde geht“.32 Der Lebenskreis Plessners setzt somit kategorial tiefer an, als der Funktionskreis Uexkülls. Er verdeutlicht, dass die den Stoffwechsel vollziehende Gestelltheit zum Positionsfeld grundlegendes Merkmal eines jeden positionierten Organismus ist. Denn jedes lebendige Wesen, das eine Beziehung zu seinem Positionsfeld realisiert, zeichnet sich durch Positionalität aus. Hat man das Problem der Gestelltheit des Lebewesens zu seinem Umfeld erfasst, lassen sich mit Plessner unterschiedliche Stufen des Lebendigen als Formen dieser kategorialen Gestelltheit ausmachen. Diese sind jedoch nicht als blo30 Ebd. 191f. 31 Ebd. 193. Ähnlich Uexkülls Feststellung, dass die gesamte Tiergestalt erst als Einheit von Tier und Umwelt gegeben ist, betont auch Plessner, dass ein Organismus erst mit dem Lebenskreis, „der durch ihn hindurch und aus ihm herausführt“ (ebd. 218), eine Einheit erlangt. 32 Ebd. 194.

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ße Formen der Stellung eines Organismus zu seinem Umfeld zu verstehen, sondern müssen auch als gleichzeitiger Bezug der Stellung eines Organismus zu ihm selbst verstanden werden. Die Stufen des Lebendigen realisieren sich somit als ein doppeltes Problem der Gestelltheit des Organismus zu ihm selbst und zu seinem Umfeld. Auf der letzten Stufe realisiert sich das menschliche Leben, das die komplexeste Form von Gestelltheit ist. Als Strukturform ist sie die Bedingung der Möglichkeit des Menschseins. Diese hebt sich jedoch nur im Verhältnis zu den anderen Stufen ab, so dass ein kurzer Durchgang durch die verschiedenen Stufen hilfreich ist, um Plessners Antwort auf die Frage nach der menschlichen Lebensform zu verstehen. 3.2.2 Die Stufen des Organischen Plessner konkretisiert die soeben beschriebene Ambiguität von Abgeschlossenheit und Aufgeschlossenheit des Organismus zu seinem Positionsfeld als Konflikt. Dieser Konflikt kann jedoch durch die Organisationsform eines Lebewesens ausgeglichen werden, da sich durch diese die körperliche Selbstständigkeit und die vitale Unselbstständigkeit zur Einheit integrieren. Die Organisationsformen, die mit Plessner biologisch möglich sind, dienen ihm zugleich dazu, die kategoriale Abstufung der möglichen Strukturformen des Lebendigen zu begründen.1 An diesem Verhältnis von kategorialer und organischer Form wird die originelle Verknüpfung von Biologie und Philosophie, die für Plessners Philosophische Anthropologie programmatisch ist, evident. Denn die von ihm entwickelten kategorialen Stufen des Lebendigen sind nicht unabhängig von den biologischen Organisationsformen zu verstehen. Vielmehr ist jede Strukturform auf eine je spezifische Organisationsform, in der sie sich realisieren kann, angewiesen. Die Explikation dieser verschiedenen Stufen des Lebendigen ist somit der Kern von Plessners Naturphilosophie.2 In den folgenden drei Abschnitten sollen diese als

1

Vgl. ebd. 218. Plessner betont an dieser Stelle die Evidenz, dass das Leben nie in einer einzigen Form auftritt und die Erfahrung folglich mindestens zwischen pflanzlichem und tierischem Organisationstypus unterscheiden kann (vgl. ebd. 218). Die von Plessner vorgenommene Differenz zwischen Form und Typus besteht darin, dass nur der Typus zur Anschauung kommt. Die Form zeigt sich nicht in der Erscheinung, sondern ist Bedingung der möglichen Ausdifferenzierung des Organisationstypus und damit eine echte Bedingung, die sich in dem von ihm Bedingten verliert (vgl. ebd. 89).

2

Dass die Naturphilosophie eine Fundierungsfunktion für Plessners Anthropologie hat, ist deutlich. Dennoch ist dabei zu berücksichtigen, dass die exzentrische Positionalität nicht schlicht am Ende das Ergebnis der Stufenfolge ist, sondern für diese Explikation

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Stufen der Gestelltheit entfaltet werden. Denn am Problem der Gestelltheit kann deutlich gemacht werden, inwiefern das Mensch-Welt-Verhältnis als Stellung des Menschen zu sich und zur Welt von den anderen Stufen der Gestelltheit kategorial differiert. Plessner hat dafür auch von Uexkülls Umweltlehre zur Beschreibung der Gestelltheit des tierischen Organismus zu seiner Umwelt Gebrauch gemacht, diese aber auf der Stufe des Menschen verworfen.

Voraussetzung ist. Schürmann etwa betont, „dass auch eine naturphilosophische Untersuchung Menschenwerk ist. Ein Zugriff etwa auf die offene Positionalität kann niemals ein direkter Zugriff auf die ontische Sache selbst sein, sondern ist bereits ein Blick auf diese Sache aus exzentrischer Positionalität heraus“ (V. Schürmann: Die Unergründlichkeit des Lebens, a.a.O. [Anm. 287] 217).

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3.2.2.1 Die Stufe der Pflanze Auf der untersten Stufe des Lebendigen stehen diejenigen Lebewesen, deren Organisationsform als eine offene zur Erscheinung kommt.1 Der offenen Form entsprechen nach Plessner pflanzliche Lebewesen. Offenheit meint hinsichtlich der Gestelltheit eines Organismus zu ihm und zu seinem Umfeld die unmittelbare Eingliederung der Pflanze in ihr Positionsfeld, wodurch sie keine organische Eigenständigkeit gegenüber dem Umfeld hat, die einer ausgleichenden Vermittlung bedürfen würde. Mit anderen Worten: Die Vermittlung des Kontakts zwischen Pflanze und Positionsfeld durch ein organisches Zentrum ist nicht notwendig, weil die offene Organisationsform dem pflanzlichen Organismus den unmittelbaren Kontakt zum Positionsfeld gewährleistet, ohne dabei eine organische Abgeschlossenheit überbrücken zu müssen. Da das Verhältnis der Pflanze zu ihrem Umfeld ein unmittelbares ist und keiner weiteren Vermittlung durch Organe bedarf, muss die Pflanze den Konflikt, der zwischen körperlicher Abgeschlossenheit und organischer Aufgeschlossenheit besteht, auch nicht lösen. Ihr gesamtes stoffliches Gewebe dient den erforderlichen Prozessen des Stoffwechsels mit dem Positionsfeld, so dass die Pflanze nicht darauf angewiesen ist, spezialisierte Organe auszubilden.2 Dieser Mangel an Organspezialisierung bedeutet dafür aber, bezogen auf die notwendige Wirkeinheit spezialisierter Organe zur Realisierung der Geschlossenheit, eine höhere Unabhängigkeit. Denn das organische Gewebe der Pflanze ist aufgrund seiner funktionellen Homogenität nicht abhängig vom Funktionieren anderer Organe. Die Pflanze bedarf ihrer offenen Organisationsform nach somit keiner Ergänzung durch andere Aspekte, d.h. Organe, um eine autonome Geschlossenheit gegenüber dem Positionsfeld zu gewährleisten.3 Sie realisiert ihr organisches Ganzes vielmehr im Modus eines heteronomen Umfeldverhältnisses. Als bloßer Durchgang des Lebenskreises ist die Pflanze positional nicht noch einmal von ihrer einfach realisierten Positionalität abgehoben.4 Was bedeutet diese positionale Nicht-Abgehobenheit aber bezogen auf das Problem der wesensmäßigen Gestelltheit eines Lebewesens? Da dem pflanzlichen Organismus diese positionale Abgehobenheit fehlt, kann er auch keine frontale Gestelltheit 1 2

Vgl. ebd. 219. Vgl. ebd. 220, 222f. Auch wenn die Pflanze keine spezifischen Organe für den Stoffwechselkreislauf ausbilden muss, bilden Pflanze und Positionsfeld trotzdem einen Lebenskreislauf, da sie ihre Stoffwechselprozesse mit dem Positionsfeld als ein multifunktionales Organ eingeht.

3

Vgl. zum Problem der Aspektivität hinsichtlich der organischen Multifunktionalität K. Haucke: Plessner, a.a.O. [Anm. 272] 120ff.

4

Vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 233.

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als spezifische Form des Ins-Verhältnis-gesetzt-Seins zu seinem Umfeld realisieren. Denn eine jede Form des Gesetztseins, wie oben mit Plessner deutlich wurde, impliziert ein Abgehobensein, das diese Setzung korrelativ implizieren kann. Die offene Form gewährleistet diese Voraussetzung für das frontale Gegen-dasUmfeld-gestellt-Sein nicht. Dies bedeutet weiter, dass sich das Problem der frontalen Gestelltheit auf der Stufe der Pflanze noch gar nicht stellt. Die Pflanze geht vollkommen in ihrem Verhältnis zum Umfeld auf. Die Notwendigkeit der vermittelnden Ergänzung findet sich erst auf der nächsten Seinsstufe. Damit ist bereits angedeutet, dass sich die Organisationsform des Organismus dieser Stufe von der offenen Form der Pflanze unterscheidet. Unter dem Aspekt der Gestelltheit betrachtet, muss sich dieser Unterschied somit als Differenz im Verhältnis des Organismus zu ihm selbst und zu seinem Umfeld bemerkbar machen. 3.2.2.2 Die Stufe des Tieres Auf der Stufe des Tieres zeichnet sich die Organisationsform nicht mehr durch Offenheit, sondern durch Geschlossenheit aus.1 Die Geschlossenheit der Form bedeutet für den tierischen Organismus, dass dieser nicht mehr unmittelbar in sein Umfeld eingegliedert, sondern gegen sein Umfeld gestellt ist. Denn die Geschlossenheit der Organisation gewährleistet lediglich einen vermittelten Kontakt zwischen Organismus und Positionsfeld. Die unmittelbare Eingliederung der Pflanze in ihr Positionsfeld gelingt dem Tier somit nicht mehr. Damit gewinnt jedoch das Problem der Gestelltheit auf der Stufe des Tieres systematisch an Brisanz, da der Kontakt zum Umfeld nun einen diesen Kontakt vermittelnden Umweg nehmen muss, den das Tier seiner Form nach selbstständig zu realisieren hat. Diese autonome Existenzweise zeichnet nach Plessner wesentlich die Stufe des Tieres aus: „Auf Grund des vermittelten Kontaktes bleibt dem Organismus nicht nur eine größere Geschlossenheit als den pflanzlichen Lebewesen gewahrt, sondern er erhält echte Selbständigkeit, d.h. Gestelltheit auf ihm selber, die zugleich eine neue Existenzbasis bedeutet“.2 Diese Gestelltheit des Organismus auf ihm selber meint die positionale Abhebung des Organismus von seinem Körper, so dass auf der zweiten Stufe des Lebendigen das tierische Lebewesen zu ihm selbst in Beziehung gesetzt ist. Plessner führt zur Verdeutlichung der Realisierung des Abgehobenseins vom Körper den Begriff des Leibes ein. Mit dem Begriff des Leibes lässt sich die 1

Plessner verweist darauf, dass die Begriffe der offenen und geschlossenen Form zur Unterscheidung von pflanzlicher und tierischer Organisation auf Driesch zurückgehen (vgl. ebd. 219). Auch Uexküll muss diese Unterscheidung bei der Entwicklung des tierischen Funktionskreises daher bekannt gewesen sein.

2

Ebd. 226.

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Vermittlung des Kontaktes zum Positionsfeld als eine durch ein Zentrum im Körper des Organismus hindurchgehende entfalten. Mit der Realisierung des Leibes entbirgt sich für das Tier eine von ihm wahrnehmbare Realität, die Plessner als das neue „Seinsniveau“ beschreibt: „Er [der Organismus] steht also gar nicht mehr direkt mit dem Medium und den Dingen um ihn herum in Kontakt, sondern lediglich mittels seines Körpers. Der Körper ist die Zwischenschicht zwischen dem Lebendigen und dem Medium geworden. […] [D]as Lebewesen grenzt mit seinem Körper an das Medium, hat eine Realität ‚im‘ Körper, ‚hinter‘ dem Körper gewonnen und kommt deshalb nicht mehr mit dem Medium in direkten Kontakt. Infolgedessen ist der Organismus auf ein höheres Seinsniveau gelangt“.3 Die leibliche Realität hinter dem Körper realisiert sich nach Plessner mit dem Vollzug eines weiteren doppelaspektiven Verweisungszusammenhangs. Dieses Vollzugsgeschehen begründet auf der Stufe der geschlossenen Organisationsform für das Tier somit das Haben eines leiblichen Zentrums. Durch dieses Zentrum hindurch vermittelt sich der Kontakt zum Umfeld und gewährleistet dem Tier das wahrnehmende Merken seines Merkens und Wirkens. Phänomenal expliziert Plessner den Vollzug dieses Doppelaspekts als Leib, kategorial als zentrische Positionalität .4 Mit dem Begriff des Zentrums verweist Plessner, impliziert durch die Einführung eines weiteren Doppelaspekts, auf eine neue Dimension der absoluten Richtungsdivergenz, auf der die Gegebenheit eines leiblichen Zentrums gründet. Ausgehend von dem Problem, dass bei geschlossener Form eine vermittelnde Instanz zwischen Organismus und Umfeld realisiert sein muss, die ihn als Grenzfläche jedoch nicht abschließen darf, muss der Organismus in ihm selbst, d.h. in seiner Organisation, in einen Antagonismus treten. Dadurch ist es, so Plessner, dem Organismus möglich, sowohl seine geschlossene Form gegen das Umfeld aufrecht zu erhalten als auch den vermittelnden Kontakt zum Umfeld zu gewährleisten.5 Mit anderen Worten: Der geschlossene Organismus muss in ihm selbst eine absolute Richtungsdivergenz als seiende Gegensinnigkeit realisieren. Denn „[d]ie Gegensinnigkeit vermittelt ihn mit ihm selber zur geschlossenen Ganzheit oder sie organisiert ihn“.6 Diese Vermittlungsfunktion der Gegensinnigkeit organisiert sich durch das leibliche Zentrum hindurch. Ohne dieses Zentrum könnte zum einen der in der geschlossenen Organisation entfaltete Antagonismus nicht 3

Ebd. 230.

4

Vgl. ebd. 237. Auf der Stufe der Pflanze realisiert sich hingegen kein neuer Doppelaspekt, der auf einen Kern oder ein Zentrum der leiblichen Wahrnehmung verweisen würde.

5

Vgl. ebd. 227.

6

Ebd. 228.

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aufrechterhalten werden, da sich die Gegensinnigkeit als Gegensinnigkeit in diesem Zentrum realisiert. Zum anderen würde ohne vermittelndes Zentrum die Organisation aufgrund der Gegensinnigkeit auseinanderfallen.7 Der Doppelaspekt von In-ihn-hinein und Über-ihn-hinaus als Form des positionalen Abgehobenseins wird auf der Stufe der geschlossenen Organisationsform somit zur Bedingung der Setzung eines Zentrums der Gestelltheit. Plessner spricht entsprechend von einer zentrischen Positionalität.8 So ist der tierische Organismus zwar in ihm antagonistisch organisiert, diese Gegensinnigkeit ist aber zugleich durch das leibliche Zentrum hindurch zur organischen Einheit vermittelt. Neben den Doppelaspekt von Organismus und Umfeld tritt auf der Stufe tierischen Lebens damit der von Körper und Leib. Um diesen zentrisch vermittelten Antagonismus, der reine Form ist, auch phänomenal explizieren zu können, greift Plessner auf den Funktionskreis Uexkülls zurück. Mit diesem kann Plessner das sensorisch-motorische Verhalten des Tieres als Realisierung der zentrischen Vermittlung des Antagonismus verdeutlichen, da sich darin die Gegensinnigkeit als Merk- und Wirkwelt darstellt: „Das sensomotorische Schema, der ‚Funktionskreis‘, wie Uexküll sagt, ist die Bedingung der Möglichkeit für das Realsein der geschlossenen Form, der Organisationsidee des Tieres“.9 Merk- und Wirkwelt (oder sensorische und motorische Organisation) vermitteln, wie oben mit Uexküll verdeutlicht, den Kontakt zum verhaltensrelevanten Objekt durch die Innenwelt des Tieres hindurch.10 Ein realisierter Funktionskreis lässt sich dann bspw. als Jagd-, Fress- oder Paarungsverhalten beobachten. Am Funktionskreis, den Plessner als Bedingung der Möglichkeit für die Realisierung der Bezugsform geschlossener Organisation setzt, lässt sich nun abermals das Problem der Gestelltheit aufgreifen. Dabei bietet es sich wiederum an, auf das Uexküll’sche Subjekt-Umwelt-Verhältnis zurückzu7

Vgl. ebd. 228.

8

Vgl. dazu ausführlich ebd. 237-245.

9

Ebd. 230.

10 Plessner distanziert sich explizit von Uexkülls Begriff der Innenwelt, da dieser unterkomplex konzipiert sei und lediglich das organische Innere des lebendigen Körpers meine (vgl. ebd. 248f.). Er selbst reserviert diesen Begriff für die mehrdimensional konzipierte menschliche Sphäre, um damit eine der drei Dimension menschlichen Erlebens zu kennzeichnen. Auch Krüger betont – wenn auch in einem anderen Kontext als den der expliziten Abgrenzung zu Uexküll –, dass mit Innenwelt keine organische Sphäre gemeint ist, sondern eine leibliche: „Der eigene Leib ist gerade nicht der eigene Körper, sondern dessen lebendiges Medium. Mit Innenwelt ist also nicht gemeint, was im Organismus geschieht, sondern was im Leib geschieht“ (H.-P. Krüger: Die Körper-Leib-Differenz, a.a.O. [Anm. 264] 585).

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greifen, da sich mit diesem die Stufe der Gestelltheit des Tieres als eine einfache Gestelltheit darstellen lässt. Die Geschlossenheit des Funktionskreises bedingt, wie mit Uexküll deutlich wurde, dass die Stellung des Tieres zu seinem Positionsfeld umweltlich respektive umweltgebunden ist. Dieser Setzung Uexkülls folgt Plessner weitestgehend in der Beschreibung der tierischen Bezugsform. Sowohl bei Plessner als auch bei Uexküll bildet das Tier im Lebenskreis bzw. in seinem Bezug zur Umwelt einen selbstständigen Teil, der in Uexkülls Schema als Wirkwelt dargestellt ist; ebenso ist es jedoch auch ein hinnehmender Teil, der bei Uexküll als Merkwelt dargestellt ist. Plessner übersetzt das Schema des Funktionskreises beim Tier als Realisierung einer doppelten Beziehung des Habens.11 Denn um überhaupt die Vermittlung zum Umfeld realisieren zu können, die der Funktionskreis erfordert, muss der Organismus auf ihm selbst gestellt sein, so dass er als leibhafte Mitte von seinem Körper abgehoben ist. Durch diese einfache Gestelltheit hat das Tier seinen Körper auch als Leib und mit dieser so entstandenen Vermittlungsschicht hat es zugleich „notwendig das, was den Körper beeinflußt und auf welches er Einfluß ausübt: das Medium“.12 Das Tier, nun in Distanz zu seinem Körper gestellt, ist dadurch zu ihm als Leib ins Verhältnis gesetzt. D.h. es nimmt leiblich vermittelt wahr, dass es einen Körper hat. Damit nimmt es ebenso sein umfeldbezogenes Merken und Wirken wahr, wodurch das Tier zudem seine spezifische Umwelt hat. Stellt sich auf der Stufe der Pflanze das Problem der Gestelltheit noch nicht, realisiert die einfache Gestelltheit des Tieres auf ihm selbst nun eine zweifache Positionalität als Leib und als Körper und insofern den umweltlichen Bezug. Dieser kategoriale Unterschied in der Gestelltheit zwischen offener und geschlossener Organisationsform, der sich im Verhältnis zum eigenen Körper und zum Umfeld manifestiert, wird auf der zweiten Stufe von Plessner somit als eine leibliche Wahrnehmungsdimension entfaltet, die „die Grundlage für alle diejenigen Erscheinungen, die an die Existenz des Bewußtseins geknüpft sind“13 bildet. Damit erreicht Plessner – im Anschluss an Uexkülls Funktionskreisschema – die Stufe des Lebendigen, auf der von Bewusstsein gesprochen werden kann.14 Das 11 Vgl. ebd. 232. 12 Ebd. 232. 13 Ebd. 232. 14 Bezogen auf das Uexküll’sche Merken und Wirken entfaltet Plessner die Sphäre des Bewusstseins zwischen diesen beiden Zonen: „Zwischen beiden [Merken und Wirken] spannt sich die Sphäre des Bewußtseins, durch welche hindurch der Übergang vom Merken in's Wirken stattfindet. So ist sie die raumhaft innere Grenze, ist sie die zeithafte Pause zwischen dem von außen Kommenden und dem nach außen Gehenden,

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Tier hat durch seine Gestelltheit auf ihm selbst die Bezugsform reflexiver Positionalität erreicht. Es nimmt sein Merken und Wirken wahr, d.h. es ist zu sich rückbezüglich ins Verhältnis gesetzt. Aber das Tier kann sich zu dem Merken seines Merkens und Wirkens nicht noch einmal ins Verhältnis setzen. Dazu bedarf es einer weiteren Stufe der Gestelltheit, die eine höhere Reflexionsebene ermöglicht. Die erste Stufe der Reflexion eröffnet lediglich „den Tatbestand der primären Unerfülltheit des Lebewesens“.15 Tierisches Verhalten richtet sich somit primär auf die pure Bedürfniserfüllung. Die Gesamtheit der Bedürfnisobjekte bildet die artspezifische Umwelt eines Tieres, an die es gebunden ist. Die Stellung des Tieres zu seinem Umfeld zeichnet sich somit, wie Plessner im Anschluss an Uexküll sagt, durch die „Eingeschlossenheit im Lebenskreis“16 aus. Diese umweltliche Bezugsweise muss sich zudem in Eigenschaften realisieren, an denen sich die Abgrenzung zur Bezugsweise des Menschen phänomenal explizieren lässt, sofern die Annahme richtig ist, dass der Mensch in Welt- und nicht in Umweltverhältnisse gestellt ist. Insofern wird mit Plessner fragwürdig, wodurch sich die Erscheinungsweise der umweltgebundenen Stellung – als Ausdruck der tierischen Lebensform – auszeichnet. Die Pflanze geht aufgrund ihrer offenen Organisationform vollkommen in ihrem Positionsfeld auf, da sie positional nicht von ihrem Körper und ihrem Umfeld abgehoben ist. Das Tier hingegen steht seiner geschlossenen Organisationsform nach auf ihm selbst und ist deswegen von ihm selbst und dem Positionsfeld als leibliche Mitte abgehoben. Als Mitte geht es gleichwohl in dieser Mitte vollder Hiatus, die Leere, die binnenhafte Kluft, durch die hindurch auf den Reiz die Reaktion erfolgt“ (ebd. 245). Allerdings bedeutet Bewusstsein bei Plessner keine „sphärische Einheit von Subjekt und Gegenwelt, eine in dem Körper des lebendigen Subjekts steckende Größe“ (ebd. 67). Mit dieser kritischen Betrachtung des Begriffs Gegenwelt bezieht sich Plessner explizit auf Uexküll, der diesen Begriff prägte. Uexküll reserviert den Begriff der Gegenwelt zur Beschreibung einer spezifischen Anzahl von Schemata, die in der Innenwelt des Tieres ,bereitliegen‘, um bei passendem Reiz den Ablauf des Funktionskreises in Gang zu bringen: „In der Gegenwelt sind die Gegenstände der Umwelt durch Schemata vertreten […]. Die Schemata sind kein Produkt der Umwelt, sondern einzelne, durch den Organisationsplan gegebene Werkzeuge des Gehirnes, die immer bereitliegen, um auf passende Reize der Außenwelt in Tätigkeit zu treten“ (J. v. Uexküll: Umwelt und Innenwelt der Tiere, a.a.O. [Anm. 120] 168f.). Erneut wird hieran das Problem deutlich, dass Uexküll aufgrund seines Subjektivismus in die Verlegenheit kommt, die Erkenntnisbedingungen in das Subjekt allein hinein legen zu müssen, hier in Form der Schemata im Gehirn. 15 Ebd. 233. 16 Ebd. 232.

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kommen auf, d.h. es hebt sich nicht noch einmal von seiner Mitte ab, sondern bleibt ins „Hier–Jetzt“17 seiner Positionalität gestellt. Aber es nimmt sich leiblich wahr und ist damit sowohl rückbezügliches Subjekt als auch Objekt eines körperleiblichen Habens.18 Da es jedoch in seiner Mitte vollkommen aufgeht, ist ihm dieses Haben selbst nicht gegenwärtig. Es fehlt dem Tier somit der distanzierende Blick, den es bräuchte, um den Doppelaspekt des eigenen Körperleibes als unterschiedliche Weisen des Erlebens reflektieren zu können. Ihm ist sein Körperleib zwar als ein Sich gegenwärtig, aber es ist sich selbst, d.h. als ein Ich verborgen.19 Die Einfachheit der distanznehmenden Gestelltheit bildet insofern die Schranke – keine Grenze20 –, die das Tier in seiner Umwelt eingeschlossen hält: „Wenn in der Distanz zum eigenen Leib der lebendige Körper sein Medium als vom eigenen Leib abgehobenes und ihm entgegenstehendes Feld hat, wenn er es merkt und auf es wirkt mit Hilfe seines Körperleibes, den er ebenso […] merkend und wirkend hat, so ist ihm doch sein Haben verborgen. Es trägt ihn, aber es ist nicht für ihn; er ist es nur“.21 D.h. das Tier merkt zwar seine Umwelt und seine Einwirkungen auf diese vermittelt über den Körperleib als eine unmittelbare Beziehung, aber es weiß nicht um diese Vermittlung durch es selbst, so dass seine Umwelt ihm nicht als Umwelt und sein Körper ihm nicht als Körper gegenständlich werden, sondern ein leibliches Wahrnehmen des eigenen Merkens und Wirkens bleiben. Bereits im Kapitel zu Uexküll deutete sich ein Sachverhalt an, der nun mit Plessner als Ausdruck der tierischen Bezugsweise plausibilisiert werden kann: die Unfähigkeit des Tieres zur Vergegenständlichung. Hinsichtlich einer systematisch möglichen Übertragbarkeit der Uexküll’schen Umweltlehre auf den Menschen wurde bereits herausgearbeitet, dass nach Uexküll die Objekte einer Umwelt immer einen spezifischen Bedeutungston tragen und sich das Tier nur zu den zu seiner Art korrelativ passenden Bedeutungstönen verhält (Bäume tra17 Ebd. 239. 18 Vgl. ebd. 238f. 19 Vgl. ebd. 238 und 325. 20 Eine Grenze impliziert im Gegensatz zur Schranke die Möglichkeit des Hindurch- oder des über sie Hinwegkommens. Beim leiblich verfassten Menschen sind die Schranken, die an Verkörperung gebundenen Ausdrucksformen. Deren reflexives Potenzial bzw. möglicher Bedeutungsgehalt ist jedoch schrankenlos und dient dem Menschen dazu, seine eigene Unergründlichkeit grenzhaft auszugleichen. Deswegen kann Plessner beim Menschen, den er als einen Homo absconditus versteht, auch ganz eigentümlich von den „Grenzen seiner Schrankenlosigkeit“ sprechen (vgl. H. Plessner: Homo absconditus, a.a.O. [Anm. 270] 357). 21 H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 239.

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gen für Eulen einen Schutzton etc.). Diese umweltrelevanten Objekte in einen anderen situativen Zusammenhang zu transzendieren, als denjenigen, in dem er als dieser spezifische Bedeutungston steht, ist dem Tier jedoch nicht möglich. Verständlich wird „diese Tatsache […] aus dem Mangel echter Dinglichkeit. Sie [die Umweltdinge] entbehren eben der Objektivität, weil sie sensorisch Signale, motorisch Bedürfniserfüllungen sind und ganz in dem Funktionskreis (Uexküll) aufgehen, der Tiersubjekt und Umfeld zur Einheit verbindet“.22 Mit diesem Mangel echter Dinglichkeit korrespondiert die Umweltgebundenheit des Tieres, da dieses nicht von den jeweiligen Bedeutungstönen abstrahieren kann. Dazu fehlt ihm die nötige Distanz zu den Objekten. Die Möglichkeit einer solchen Distanznahme kann das Tier mit seiner einfachen, umweltlichen Gestelltheit zum Umfeld jedoch nicht realisieren. Plessner hat diesen Mangel an Objektivität auch als einen Mangel an Negativität bezeichnet. Damit verweist er wieder auf das doppelaspektive Verhältnis von Substanz und Aspekt in der Wahrnehmung des einfachen Dinges. Denn die Doppelaspektivität, kraft derer ein Ding als dinghaft erscheint, bedeutet den Verweis auf das, was selbst nicht zur Erscheinung kommt. Dieser „Sinn für’s Negative“23, der Sinn für potenziell Mögliches, aber in der Anschauung nicht aspektiv Vorhandenes, fehlt den Tieren. Deswegen verhält es sich stets bedeutungsimmanent und nicht antizipativ: „Das Tier nimmt Dinge wahr, deren Kernstruktur motorische Bedeutung hat und in dem Verhältnis zu seinen Aktionen ihre Deckung, ihren ‚Sinn’ findet. Es ist noch nicht zum Sachcharakter des Gegenstandes erwacht, faßt noch nicht die vollkommene Ablösbarkeit der Dinge vom Kreis der Wahrnehmungen und Handlungen, merkt noch nicht ihre innere Selbstgenügsamkeit. Ihm ist noch nicht der Sinn für das Negative, in welcher Form immer, aufgegangen. Abwesenheit, Mangel, Leere – sind ihm verschlossene Anschauungsmöglichkeiten“.24 D.h. das Umweltobjekt, das für das Tier als 22 Ebd. 247. 23 Ebd. 270. 24 Ebd. 271; vgl. zum fehlenden Sinn fürs Negative bei Tieren bzw. hier im Speziellen bei Schimpansen zudem Hans-Peter Krüger: Gehirn, Verhalten und Zeit. Philosophische Anthropologie als Forschungsrahmen (Berlin 2010) 35f. Krüger pointiert das daraus folgende Verhalten der Primaten wie folgt: „Sie bleiben empirisch verallgemeinernde Positivisten“ (ebd. 35), da sie keine Sachverhalte erwarten und innerhalb einer Verhaltensfunktion verallgemeinern (vgl. ebd. 36). Das Menschenbild der RationalChoice-Theorie trägt ähnliche Züge: Das diesem Menschen in der Entscheidungssituation objektiv Einsehbare, also positiv Gegebene, trägt die Handlungsentscheidung, wodurch das Maximierungsprinzip umsetzt wird. Hingegen werden Sachverhalte, deren Nutzen nicht unmittelbar einsehbar ist, kaum zur Entscheidungswahl beitragen.

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eine sinnhafte Bedeutung zur Erscheinung kommt – d.h. streng genommen gerade nicht als ein Objekt –, kann vom Tier nicht aus anderen möglichen Sinnperspektiven betrachtet werden. D.h. der sinnhafte Bezug zum Objekt bleibt für das Tier stets der gleiche und ist insofern bedeutungsimmanent. Dieser Mangel an Negativität impliziert nach Plessner zudem, dass das Tier keine Vorstellung davon hat, dass seine Umwelt eine endliche ist. Es ist in seiner frontalen Stellung zum Umfeld umweltgebunden und hat keinerlei Möglichkeiten, diese Gebundenheit reflexiv zu überschreiten. Dadurch kann es auch keinen Horizont seiner Umwelt erblicken. Insofern erscheint die Umwelt für das Tier als eine unendliche: „Für ihn [den tierischen Organismus] gibt es keine Horizontlinie, wie es noch keine Mittel hat, sie zu merken“.25 Die Umwelt verliert sich in der Unendlichkeit und erst die Welt bietet einen Halt gebenden, sinnstiftenden Horizont. Da das Tier aber bereits fest in seine Umwelt gestellt ist, bedarf es dieses Halt gebenden Sinngefüges gar nicht. Erst das gleichgewichtslose Lebewesen Mensch, wie im nächsten Abschnitt deutlich wird, ist auf den Halt eines sinnstiftenden Welthorizonts angewiesen. Die Gestelltheit zu ihm selbst als Mitte bedingt zwar, dass das Tier merkend und wirkend aus dieser Mitte heraus lebt und vice versa, aber es kann sich davon nicht distanzieren und sich des Horizonts seines Tuns gewahr werden. Dazu bedarf es einer weiteren Stufe der Gestelltheit: einer Weltgestelltheit. Nach Plessner ist es diese Art der Gestelltheit, die positional dem Lebewesen Mensch vorbehalten ist, wobei sich die Bedingung der Möglichkeit für die Stufe des Menschen dadurch auszeichnet, „daß das Zentrum der Positionalität, auf dessen Distanz zum eigenen Leib die Möglichkeit aller Gegebenheit ruht, zu sich selbst Distanz hat“.26 Damit hat Plessner die Sphäre des Lebens erreicht, die im Menschen ihren Ausdruck findet. Inwiefern sich diese als Problem der Gestelltheit entfaltet, wird im Folgenden expliziert. Erst mit der dort vorgenommenen kategorialen Erschließung des menschlichen Lebens wird es in einem weiteren Schritt möglich, die Bedingungen der Möglichkeit von Welt als eine genuine Wirklichkeit zu explizieren, so dass das menschliche Leben als ein Leben in Weltverhältnissen zur Erscheinung kommen kann. Diese Feststellung führt zu der Vermutung, dass sich der Mensch der RCT kaum von einem Schimpansen unterscheidet. Als eine Bestätigung dieser Vermutung kann die in Kapitel 2 erlangte Einsicht gelten, dass der RCT-Mensch evolutionär bedingt an seine “Umwelt” gebunden bleibt, was auch für den Primaten gilt. Krüger entdeckt am positivistischen Verhalten des Schimpansen aber auch sympathische Seiten: „Sie glauben weder an Gespenster noch an Gesetze“ (ebd. 36). 25 Ebd. 233. 26 Ebd. 289.

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3.2.2.3 Die Stufe des Menschen Auf der Stufe des Menschen drückt sich – abweichend von der Bestimmung des Unterschiedes zwischen pflanzlicher und tierischer Form – die Differenz zur vorherigen Stufe nicht durch eine neue Organisationsform aus. Die Organisationsform ist auch beim menschlichen Organismus geschlossen. D.h. die körperliche Geschlossenheit des Tieres bleibt auf der menschlichen Stufe erhalten.1 Der kategoriale Unterschied zwischen der Sphäre des Animalischen und der Anthroposphäre muss also durch eine organisch-körperlich nicht bestimmbare Eigenschaft realisiert sein, da der Mensch körperlich Tier bleibt.2 Formuliert als Prob1

Vgl. ebd. 290.

2

Vgl. ebd. 293. Obwohl der Mensch körperlich geschlossen organisiert bleibt, bildet er nichtsdestotrotz eine höhere positionale Stufe als das Tier (vgl. H Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 288). Wenn zudem Positionalität für ein Lebewesen bedeutet, „zu der Stelle ‚seines‘ Seins in Beziehung“ (ebd. 131) gesetzt zu sein, dann kann daraus geschlossen werden, dass auf der Stufe des Menschen die Bezugsweise des Lebewesens eine andere ist, da der Mensch dreifach positioniert ist, wohingegen das Tier lediglich zweifach positioniert ist. Das Bezogen-Sein des Menschen, verstanden als der Modus des In-die-Welt-gestellt-Seins, differiert damit zu dem des Tieres. Gerald Hartung geht hingegen davon aus, dass der Mensch „keine eigene Stufe des Seins“ (G. Hartung: Leben birgt Existenz, a.a.O. [Anm. 289] 58) repräsentiert, „da in ihm die geschlossene, tierische Organisationsform erhalten bleibt – diese wird lediglich bis zum Äußersten durchgeführt“ (ebd. 58f.). Hartung bezieht sich hier auf folgende Stelle in Plessners Stufen: „Man begreift, warum die tierische Natur auf dieser höchsten Positionsstufe erhalten bleiben muß. Die geschlossene Form der Organisation wird nur bis zum Äußersten durchgeführt. Zeigt doch das lebendige Ding in seinen positionalen Momenten keinen Punkt, von dem aus eine Steigerung erzielt werden könnte, außer durch Verwirklichung der Möglichkeit, das reflexive Gesamtsystem des tierischen Körpers nach dem Prinzip der Reflexivität zu organisieren und das, was auf der Tierstufe das Leben nur ausmacht, noch in Beziehung zum Lebewesen zu setzen“ (H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 291). Es zeichnet sich der Mensch also positional dadurch aus, dass er dreifach zu sich in Beziehung gesetzt ist und somit genanntes Prinzip der Reflexivität realisiert. D.h. dass sich auf der Stufe des Menschen jene Steigerung, die nicht mehr an die positionalen Momente gebunden ist, realisiert und insofern auch ein höheres Niveau des Bezogen-Seins als das des Tieres. Der Mensch geht nicht mehr nur im leiblichen Leben auf. Sein Bezogen-Sein ist nicht lediglich durch das gekennzeichnet, „was auf der Tierstufe das Leben nur ausmacht“, sondern zu diesem in Beziehung gesetzt. Insofern ist sein Bezogen-Sein dadurch gekennzeichnet, über das bloße leibliche Leben hinauszugehen, auch wenn der Mensch positional leibgebunden bleibt. Die so entstehende Instabilität, die sich als Weltstellung reali-

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lem der Gestelltheit, muss sich das menschliche Leben daher durch die Realisierung der Bezugsform des Zur- und In-Welt-Gestelltseins auszeichnen, um über das tierische Leben hinausgekommen. Im Folgenden ist somit die Frage zu beantworten, wie Plessner die kategoriale Differenz, die zwischen Tier und Mensch besteht, auf der letzten Stufe begründet. Das Tier hat, wie eben herausgearbeitet, durch die einfache Gestelltheit zu ihm selbst eine Realität leiblichen Erlebens gewonnen, die das Tier zwar merkt, von diesem Körperleib ist es positional aber nicht noch einmal abgehoben und somit auch nicht zu diesem in Beziehung gesetzt. Dazu bedarf ein Lebewesen die Möglichkeit der doppelten Distanznahme zu sich und zu seinem Umfeld, die mit einer einfachen Gestelltheit nicht zu realisieren ist. Der Möglichkeit des nochmaligen In-Beziehung-Setzens liegt die Form der zweifachen Gestelltheit zugrunde, die somit gegenüber der tierischen eine weitere Form der Abhebung bedeutet. Diese Schlussfolgerung legt das beschriebene Verhältnis von Abgehobensein und Gesetztsein nahe und lässt sich mit einem Gedankengang Plessners zur Beschreibung des Menschen noch einmal verdeutlichen: „Dieses Individuum ist in das in seine eigene Mitte Gesetztsein gesetzt, durch das Hindurch seines zur Einheit vermittelten Seins. Es steht im Zentrum seines Stehens“.3 D.h. das Prinzip des Doppelaspekts, das auf der Stufe des Tieres die Bedingung der Zentralität ist, die Gestelltheit in ihm selber, ist auf der Stufe des Menschen ein weiteres Mal realisiert, wodurch die bloße Zentralität durchbrochen ist. Der Mensch ist somit in die zentrische Gestelltheit seiner Organisation, in sich, gestellt. Damit zeichnet sich die Positionalität auf der Stufe des Menschen durch die Realisiert, kennzeichnet das menschliche Leben. Auch Thomas Ebke hat die eigene Stufe des Bezogen-Seins beim Menschen entsprechend hervorgehoben: „Die lebendige Wendung zum (eigenen und anderen) Leben, die Plessner mit dem Begriff der Positionalität ausfaltet, hat für menschliche Lebewesen nicht mehr den Charakter einer immanent lebendigen Wende. Im Leben (bzw. in sich selbst, in seiner eigenen Mitte) hält sich der Mensch nur um den Preis, dass ihm das Leben keinen Wahrheitsgrund, keine ihn tragende Wirklichkeit stiften kann. Er ist zugleich unhintergehbar aus seiner Mitte heraus versetzt in eine prekäre, unabschließbare Spannung zu ihr“ (T. Ebke: Lebendiges Wissen des Lebens, a.a.O. [Anm. 74] 107). Diese von Ebke betonte existenziell bedeutsame Differenz zwischen Tier und Mensch in ihrer jeweiligen Stellung zum Umfeld (Tier-Umwelt- bzw. Mensch-Welt-Korrelation) spricht dafür, dass diese auf der Stufe des Menschen durch eine eigene Stufe des Bezogen-Seins bedingt ist, auch wenn die geschlossene Organisationform erhalten bleibt. Die von Ebke bezeichnete Wendung bzw. Wende meint keinen graduellen, sondern einen kategorialen Unterschied. 3

Ebd. 290.

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sierung einer doppelten Abgehobenheit bzw. einer doppelten Distanznahme aus, die es dem menschlichen Organismus ermöglicht, sich zu seinem Körperleib in Beziehung zu setzen. Der Mensch ist damit immer schon dreifach positioniert: im Körper, als Körper und als ein beides betrachtender exzentrischer Blickpunkt, der die Einheit des Körperleibes vermittelt.4 Ein Lebewesen, das sich derart positioniert, ist – wie Plessner pointiert – nun tatsächlich hinter sich gekommen, denn eine weitere Stufe der Gestelltheit ist unmöglich.5 Diese dreifache Positionierung muss sich auch als Unterschied im Reflexionsniveau zwischen Tier und Mensch bemerkbar machen. Zwar ist auf der Stufe des Tieres mit der leiblichen Dimension eine erste Stufe der Rückbezüglichkeit gegeben. Der damit einhergehende Modus der Bedeutungsimmanenz wird aber erst mit der zweifachen Möglichkeit zur Distanznahme durchbrochen. Dadurch sind für ein Lebewesen dieser Stufe Bedeutungen transzendierbar und somit reflektierbar. Die zweifache Gestelltheit bedeutet gegenüber der einfachen des Tieres, dass sich der Mensch seines Selbst bewusst wird, denn „[d]amit ist die Bedingung gegeben, daß das Zentrum der Positionalität zu sich selbst Distanz hat, von sich selbst abgehoben die totale Reflexivität des Lebenssystems ermöglicht“.6 Diese totale Reflexivität, die auf der Stufe menschlichen Lebens realisiert ist, manifestiert sich darin, dass der Mensch auch zu seiner körperleiblichen Existenz eine Distanz einnehmen, d.h. diese er-leben kann, und damit das bloße Im-Doppelaspekt-Sein der tierischen Bezugsform transzendiert. D.h. dieses Überschreiten der tierischen Immanenz zeichnet sich dadurch aus, dass der Mensch den Doppelaspekt seines körperleiblichen Erlebens erlebt: „Ortloszeitlos ermöglicht er das Erlebnis seiner selbst und zugleich das Erlebnis seiner Ort- und Zeitlosigkeit als des außerhalb seiner selbst Stehens, weil der Mensch ein lebendiges Ding ist, das nicht mehr nur in sich selber steht, sondern dessen ‚Stehen in sich‘ Fundament seines Stehens bedeutet. Er ist in seine Grenze gesetzt und deshalb über sie hinaus […]. Er lebt und erlebt nicht nur, sondern er erlebt sein Erleben“.7 Die Lebensform Mensch hat damit kategorial die Zentralität durchschritten und zeichnet sich positional durch „Exzentrizität“8 aus. Organisch behält der Mensch dabei aber die geschlossene Organisationsform bei, da er als ein leibkörperlich verfasstes Wesen zugleich eines organischen Zentrums bedarf. 4 5

Vgl. ebd. 293. Vgl. ebd. 291. Gäbe es eine weitere Stufe, müsste ein Lebewesen denkbar sein, das sich von seinem körperleiblichen Dasein engelsgleich lösen könnte (vgl. H. Plessner: Conditio humana, a.a.O. [Anm. 281] 187).

6

Ebd. 290.

7

Ebd. 292.

8

Ebd. 292.

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Der exzentrische Blickpunkt, den das Stehen in seine Gestelltheit prinzipiell ermöglicht, bedeutet somit für den Menschen, sich des Bruchs zwischen seiner leiblich und körperlich realisierten Existenz bewusst zu sein. So begleitet ihn der Wechsel des einen in das andere und vice versa als ständiges Vollzugsgeschehen. Zugleich ist ihm dieser Bruch durch den exzentrischen Blickpunkt aber zur Einheit vermittelt: „Ihm [dem Menschen] ist der Umschlag vom Sein innerhalb des eigenen Leibes zum Sein außerhalb des Leibes ein unaufhebbarer Doppelaspekt der Existenz, ein wirklicher Bruch seiner Natur. Er lebt diesseits und jenseits des Bruches, als Seele und als Körper und als die psychophysisch neutrale Einheit dieser Sphären“.9 Mit dieser kategorial begründeten und phänomenologisch explizierbaren Beschreibung der menschlichen Lebensform als eine psychophysische Wahrnehmungseinheit überwindet Plessner den Cartesischen Dualismus. Denn mit der erlebbaren Dreifachheit von Körper, Leib und diese beiden Momente miteinander vermittelnde neutrale Einheit ist eine Stufe des Lebendigen realisiert, die die Sonderstellung des menschlichen Lebens sowohl gegen naturalistische als auch idealistische Einseitigkeiten verteidigt.10 Der naturphilosophische Ansatz Plessners lässt keine einseitige Begründung der menschlichen Sonderstellung zu. Weder kann sich mit seinem Ansatz im Sinne der Evolutionstheorie auf eine körperlich-dispositionale Besonderheit des Menschen gestützt noch können im Sinne des Idealismus die verstandesmäßigen Fähigkeiten des Menschen als Begründung der Sonderstellung ins Feld geführt werden. Die Sonderstellung des Menschen zeichnet sich mit Plessner vielmehr dadurch aus, dass sich der Mensch seiner bruchhaften, leibkörperlichen Existenz bewusst ist. Denn dadurch ist ihm zugleich die Möglichkeit gegeben, diese Bruchhaftigkeit seines leibkörperlichen Daseins zu verstehen und insofern auch auszugleichen. Auch wenn sich dieser Ausgleich, wie in den folgenden Unterkapiteln zu Plessners Philosophischer Anthropologie noch deutlich wird, als stetige Aufgabe des Menschen erweist. 9

Ebd. 292.

10 Krüger verweist hinsichtlich der Leib/Körper-Differenz darauf, dass Plessner den Leib als implizites Apriori für die Ermöglichung des naturalistischen Weltbildes betrachtet: „Der Leib als ‚Umweltintentionalität‘ […] bleibe – gemessen an der Physik – die raumlose und zeitlose Präsupposition, welche der Erfahrungswissenschaft die Körperbestimmungen in Raum und Zeit allererst ermögliche“ (H.-P. Krüger: Die KörperLeib-Differenz, a.a.O. [Anm. 264] 580). Diese Präsupposition bzw. dieses strukturelle Apriori in den biologistischen Anthropologien explizit zu machen, bspw. in kognitivsubstanzialistischen Bewusstseinsbestimmungen, wäre eine Möglichkeit, körperlichen Einseitigkeiten entgegenzutreten und das Phänomen der Leiblichkeit z.B. für das Aufzeigen von Verhaltensgrenzen zu berücksichtigen.

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Auf der Stufe des Tieres begründet die zentrische Positionalität den Doppelaspekt von Körper und Leib. Auf der Stufe des Menschen wird diese Form der Positionalität wiederum durch Angehobensein und Gesetztsein transzendiert. Somit stellt sich die Frage, inwiefern der Stufe der Exzentrizität dieses weitere Verhältnis absoluter Richtungsdivergenz zugrunde liegt, denn „[p]ositional liegt ein Dreifaches vor: das Lebendige ist Körper, im Körper (als Innenleben oder Seele) und außer dem Körper als Blickpunkt, von dem aus es beides ist. [...] Seine Existenz ist wahrhaft auf Nichts gestellt“.11 Dieses Nichts zeichnet den Blickpunkt von außen, die Exzentrizität, aus, die es erst auf der Stufe des Menschen gibt. Die Exzentrizität bedeutet jedoch keine neue Organisationsform, wie sie sich beim Tier im Gegensatz zur Pflanze durch eine in den Körper hinein gedoppelte Gegensinnigkeit auszeichnet. Sie wird also nicht durch einen weiteren, in der körperlichen Organisation liegenden Doppelaspekt begründet. Vielmehr ist das Stehen des Menschen in seine eigene Gestelltheit eine absolute Richtungsdivergenz, die als Form von Reflexivität zwar über die Organisationsform hinausweist, als Teil eines Doppelaspekts auf diese aber logisch verweist. Die Exzentrizität ist dabei das absolute Außen, das richtungsdivergent zum absoluten Innen des organischen Zentrums steht. Somit ist die leibliche Mitte des Menschen – artikuliert als Substanz-Aspekt-Verhältnis – dessen Substanz. Insofern ist die Exzentrizität auf Nichts gebaut, da die Substanz kein Aspekt, kein Etwas ist und damit Nichts.12 Zugleich verweist Exzentrizität aspektiv auf die anderen möglichen Aspekte der Substanz und insofern auf das körperliche Dasein. Während dieses jedoch an Ort und Zeit gebunden ist, ist die Exzentrizität ort- und zeitlos, da sie auf Nichts gestellt ist. Der somit realisierte Doppelaspekt von leiblicher Zentralität sowie den reflexiven und körperlichen Aspekten dieses Leibes begründet die exzentrische Positionalität als Bezugsweise des Menschen. Die exzentrische Bezugsform lässt sich daher als eine neue Stufe der Gestelltheit (auf Nichts) beschreiben, in der die Grenzrealisierung von Innen und Außen keine Mitte begründet, sondern durch die Mitte hindurchgeht und insofern ein neues Verhältnis von absolutem Außen und Innen ermöglicht. Exzentrisch auf Nichts gestellt wird der Mensch sich selbst bewusst und kann sich dadurch als ein Ich empfinden: „Als Ich, das die volle Rückwendung des lebendigen Systems zu sich ermöglicht, steht der Mensch nicht mehr im Hier-Jetzt, sondern ‚hinter‘ ihm, hinter sich selbst, ortlos, im Nichts, geht er im Nichts auf […]“.13 Dieses Hinter-sich-Stehen des Menschen bedeutet – im Gegensatz zum tierischen In-ihm-Stehen – die positionale Transzendierung zum 11 Ebd. 293. 12 Vgl. K. Haucke: Plessner, a.a.O. [Anm. 272] 151. 13 H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 292.

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Blickpunkt auf sich selbst oder mit anderen Worten: die exzentrische Positionalität. Das Tier ist kein Ich, sondern hat lediglich ein Selbst, dessen es sich jedoch nicht als ein Ich-selbst bewusst wird. Der Mensch hingegen steht seinem Umfeld als ein Ich gegenüber. Entsprechend der Bestimmung, dass jede Stufe als Differenz im sowohl Selbst- als auch Umfeldbezug sichtbar wird, ist somit auch die Umweltgebundenheit des Tieres auf der menschlichen Stufe transzendiert. Denn der Mensch, der sich als ein Ich erfährt, erfährt sein Umfeld als Welt. Die exzentrische Positionalität als spezifische Bezugsform des Menschen und Bedingung der Möglichkeit des menschlichen Lebens in Weltverhältnissen birgt als ein dreifach positioniertes Bezogen-Sein zudem mehrere Dimensionen des Erlebens von Welt. Die argumentative Sprengung der Eindimensionalität gängiger Menschenbilder deutet sich somit bereits an. Bevor diese jedoch durchgeführt wird, soll im Folgenden herausgestellt werden, inwiefern die exzentrische Positionalität ein Leben in Welt ermöglicht. Denn dieses Leben hebt sich von dem umweltgebundenen des Tieres ab und kennzeichnet somit den Punkt, an dem bezüglich des menschlichen Lebens nicht mehr von einem bloßen Leben in Umweltverhältnissen gesprochen werden kann.

3.3 D IE

EXZENTRISCHE P OSITIONALITÄT ALS B EDIN GUNG DER M ÖGLICHKEIT DES M ENSCHSEINS

Die exzentrische Positionalität des Menschen kommt als echte Bedingung selbst nicht zur Erscheinung. Sie muss aber – gemäß Plessners Anspruch, dass jede kategorial erfasste Stufe des Lebendigen in einer phänomenalen Entsprechung zum Ausdruck kommen muss – in den Erscheinungsweisen des menschlichen Lebens realisiert sein. Doch wie tritt der Mensch als Mensch in Erscheinung? Aufgrund der auf der Stufe des Menschen realisierten, exzentrischen Positionalität tritt er einerseits, wie im Folgenden erläutert wird, als weltoffenes Wesen in Erscheinung. Andererseits bleibt er jedoch aufgrund seiner geschlossenen Organisationsform an seinen Leib körperlich gebunden. Diese Leibgebundenheit der exzentrischen Positionalität stellt sich mit Plessner als eine Verschränkung von Umwelthaftigkeit und Weltoffenheit dar, wobei die Umwelthaftigkeit nicht mit der Umweltgebundenheit des Tieres gleichzusetzen ist. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels soll daher zunächst die Weltoffenheit des Menschen herausgestellt werden, um sie in einem zweiten Abschnitt mit der körperleibbedingten Umwelthaftigkeit zu verschränken. Dadurch wird die fundamentale Differenz zur Uexküll’schen Umweltlehre hinsichtlich einer Beschreibung des Menschen noch einmal deutlicher.

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3.3.1 Die Weltoffenheit des Menschen Der Begriff der Weltoffenheit ist eng mit der Philosophischen Anthropologie als Denkrichtung verknüpft. Von Max Scheler geprägt, wird der Begriff sowohl von Plessner als auch später von Arnold Gehlen zum zentralen Beschreibungsmoment der menschlichen Erscheinungsweise.1 Die Bedingungen der Möglichkeit von Weltoffenheit werden jedoch von den verschiedenen Autoren jeweils unterschiedlich konzipiert. In dem hier vorliegenden Kontext wird jedoch ausschließlich an das Plessner’sche Verständnis von Weltoffenheit angeknüpft und insofern auch der weiter unten zu explizierenden soziologischen Beschreibungsweise des menschlichen Lebens in Weltverhältnissen vorausgesetzt. Aufgabe dieses Abschnittes ist es daher, die Frage zu beantworten, warum sich dem Menschen als exzentrisch positioniertes Wesen eine Welt öffnet respektive warum der Mensch weltoffen ist und nicht, obwohl organisch von geschlossener Form, umweltgebunden bleibt wie das Tier. Plessner nähert sich diesem Problem über die Frage nach dem Strukturzusammenhang zwischen Mensch und Welt: „Steht der Lebenshorizont […], welche[r] für den Menschen die Welt ist, in einem strukturgesetzlichen Zusammenhang mit ihm“?2 In dieser Frage deutet sich der Anspruch Plessners an, ausgehend von der Bezugsform des menschlichen Lebewesens dessen anschauliche Beziehung zur Welt in ihren strukturellen Bedingungen zu fassen. Denn das Verhältnis zwischen Mensch und Welt kommt als eine sich gleichursprünglich konstituierende Selbst-Welt-Beziehung zur Erscheinung. Das Konstitutivum dieser Beziehung muss aber in der exzentrischen Positionalität gründen, insofern sie die Form des menschlichen Bezogen-Seins ist. In Hinblick auf die Gestelltheit des Menschen zu sich als ein Ich und zu seinem Umfeld als eine Welt gilt es, die exzentrische Positionalität als Bedingung der Möglichkeit von Weltoffenheit auszuweisen, wodurch das Leben des Menschen in Weltverhältnissen anthropologisch fundiert werden kann. Wie im Durchgang durch die verschiedenen Stufen des Lebendigen deutlich geworden ist, verändert sich mit jeder Stufe nicht nur die Form der Gestelltheit des Lebewesens zu ihm selbst, sondern zugleich auch die des Umfeldbezugs, die jeweils einer Positionalitätsform korrespondiert. Die Pflanze braucht in ihrem Bezug zum Umfeld, aufgrund ihres Mangels an Abgehobenheit von ihrem Kör1

Vgl. M. Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos, a.a.O. [Anm. 278] 33); sowie Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (1940). In: Der Mensch. Textkritische Edition. Teilband 1. GA. Bd. 3, hg. von Karl-Siegmund Rehberg (Frankfurt a.M. 1993) 34.

2

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 32.

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per und ihrem Positionsfeld, keine sinnhaften Elemente, auf die sie sich bezieht. Denn sie besitzt ihrer offenen Form nach keine Selbstständigkeit gegenüber dem Positionsfeld und ist insofern schlicht Teil davon, ohne dabei Stellung beziehen zu müssen, geschweige denn zu können. Da die Pflanze aufgrund dieser integralen Umfeldabhängigkeit keines Bedeutungszusammenhangs bedarf, kommt der pflanzliche Bezug zum Umfeld auch nicht als eine Umwelt- oder Weltbeziehung zur Erscheinung. Das Tier lebt zwar sinnhaft auf artspezifische Objekte bezogen, aber es kann den sinnhaften Bezug zu seinem Umfeld von Merken und Wirken mangels Abgehobenheit von seiner Mitte nicht durchbrechen. Insofern ist das Tier an diese Bedeutungen gebunden. Zur Erscheinung kommt dieser Bezug als eine Umweltbeziehung, die das Tier jedoch nicht von einem davon abgehobenen Blickpunkt aus beobachten kann, da es sich selbst verborgen ist. Das tierische Verwiesensein auf die Bedeutungsträger der Funktionskreise lässt sich somit als immanentes Leben in nichtüberschreitbaren Schranken, als Leben in einer unendlichen Umwelt, festhalten. Die tierischen Lebensformen zeichnen sich somit durch Umweltgebundenheit aus. Die Bedingung der Möglichkeit von Welt respektive von Weltoffenheit erfüllt erst ein Lebewesen der letzten Stufe der Gestelltheit: ein exzentrisch positioniertes Wesen. Denn die zweifache Gestelltheit gewährleistet diesem ein selbstreflexives Verhältnis zu sich und zu seinem Umfeld, was bedeutet, dass „das lebendige Ding […] jetzt wirklich hinter sich gekommen“3 ist. Diese Existenzweise ermöglicht dem Menschen, sich als ein Ich zu setzen, sodass dieses Um-sichWissen, das Erleben seines Erlebens, die tierische Immanenz durchbricht und den Menschen zur Weltvermittlung öffnet. Dadurch kann der Mensch die Unendlichkeit der tierischen Umwelt begrenzen und sich selbst einen sinnhaften Horizont setzen, der ihm als Welt begegnet. Die exzentrische Positionalität entbindet das menschliche Lebewesen somit von der tierischen Umweltgebundenheit, so dass es den sinnhaften Horizont, gegen den es exzentrisch gestellt ist, als Welt überblickt. Wesentlich dafür, dass dem Menschen eine Welt aufgeht, ist seine Fähigkeit zur Versachlichung und Objektivierung der Dinge, die ihm in der Wahrnehmung begegnen, selbst wenn diese als bloße Leere, d.h. lediglich als Negativität, auftreten. Plessner betont, dass die Welt als Realität sui generis trotz ihrer Vermitteltheit durch die Wahrnehmung niemals etwas von ihrer manifest unmittelbaren Wirklichkeit einbüßt.4 Mit der bezugsmäßigen Begründung menschlicher Weltoffenheit ist zudem – biologisch gesehen – die Aufrichtung der menschlichen Körperstellung und das

3

Ebd. 291.

4

H. Plessner: Conditio humana, a.a.O. [Anm. 281] 187f.

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damit einhergehende spezifisch menschliche Auge-Hand-Feld verknüpft.5 Zwar ist, wie Plessner hervorhebt, das Menschsein als solches an keine bestimmte Gestalt geknüpft, weswegen physische Merkmale auch lediglich im empirischen Sinne wertvoll sein können,6 aber als physische Aspekte sind sie mit denen der Wahrnehmung verschränkt und verwirklichen als Einheit den weltoffenen Vollzug. Im Vollzug seiner psychophysischen Einheit ermöglicht die aufrechte Haltung dem weltoffenen Menschen eine gänzlich andere Koordination zwischen den Wahrnehmungsweisen von Auge und Hand, als sie dem Tier offen steht. Die interpretativen Möglichkeiten des Zusammenspiels von Auge und Hand, die durch die Aufrichtung erschlossen werden, vollziehen mit dem Körper die Überbrückung der Distanz zur Welt, so dass sie als eine unmittelbare erscheint: „Auge und Hand überbrücken einen Abstand, ein jedes auf seine Weise, doch so, daß die unmittelbare Vergegenwärtigung im Sehen eine Stütze und Kontrolle an der greifenden Hand hat, die den Abstand zum Objekt überbrückt“.7 Weltoffenheit und aufrechte Haltung als Vollzugsgeschehen psychophysischer Einheit gewährleisten dem Menschen seine spezifische Wahrnehmungsweise, die sich durch die Vermittlung einer Weltwirklichkeit auszeichnet. Plessner verweist darauf, dass das Sich-Aufrichten sowohl biologisch als auch hinsichtlich der formalen Bestimmung des Menschseins bedeutsam ist: „Gerade weil es beim Menschen zur Normalhaltung gehört und nicht, wie bei den Tieren, situationsbedingte Reaktion ist [….], ist es von vornherein mit unserer Ansprechbarkeit als Person verbunden. Die Vertikale hat darum überall eine Sonderstellung unter den Richtungen“.8 Vor diesem Hintergrund kann auch das Stehen des Menschen in seine eigene Gestelltheit, d.h. die Realisierung der zweifachen Abgehobenheit von sich selbst, geradezu als ein ‚Aufrichten‘ zum Menschsein betrachtet werden. Zu betonen ist dabei aber, dass aufrechte Körperhaltung des Menschen und exzentrische Positionalität nicht miteinander zu verwechseln sind und auch nicht in einem gegenseitigen Bedingungsverhältnis stehen. Vielmehr ist Exzentrizität die Bedingung dafür, dass biologischer Körper und leibliche Existenz im gemeinsamen, sich verschränkenden Vollzug als Realisierung des Menschseins zu verstehen sind: „Die psycho-physische Verbindung 5

Vgl. zur Darlegung der spezifischen Möglichkeiten, die dem Menschen mit seinem Auge-Hand-Feld gegeben sind exemplarisch ebd. 169ff.

6

Vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 293.

7

H. Plessner: Conditio humana, a.a.O. [Anm. 281] 171.

8

[Hervorhebung KB] Ebd. 170. Trotzdem ist die empirisch feststellbare Gestalt nicht die Bedingung der Möglichkeit von Weltoffenheit, da sich das Menschsein, verstanden als Realisierung des Ausgleichs exzentrischer Positionalität, auch unter anderen empirischen Merkmalen realisieren könnte.

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verwirklicht sich nur im Vollzug der Existenz. Im Vollzug wird unser Körper leibhafte Mitte unseres Verhaltens und vom Verhalten aus als ein skizzenhafter Entwurf unserer Art, in der Welt zu sein, verständlich“.9 Weltoffenheit realisiert sich somit im Vollzug der psychophysischen Einheit vom exzentrischen Blickpunkt aus und manifestiert sich insofern als hyperleibliche Erfahrungsdimension. Bereits der Säugling, der sich im „extrauterinen Frühjahr“10 befindet und somit den aufrechten Gang noch nicht beherrscht, sondern diesen erst erlernen muss, zeichnet sich qua Menschsein durch die prinzipielle Möglichkeit zur Weltoffenheit aus. Plessner verdeutlicht anhand der frühkindlichen Entwicklung, dass die menschliche Weltoffenheit durch die psychophysische Einheit von Körperhaltung und positional bedingter Fähigkeit des Menschen zur Versachlichung entfaltet wird: „Wohl läßt sich an der Individualentwicklung des Kindes die Umstrukturierung des Verhaltens zur Weltoffenheit deutlich verfolgen. Fast zur gleichen Zeit, in der es stehen lernt, beginnt das Nachsprechen von Worten und das, was wir einsichtiges Handeln nennen. [...] Die Versachlichung des Umfeldes hat begonnen und setzt sich am Leitfaden der wachsenden sprachlichen Artikulation fort. Damit löst sich seine Gebundenheit an Situationen. [...] Der Mensch öffnet sich zur Welt“.11 Dieser Erfahrungsüberschuss über das bloße Leibliche hinaus gründet somit auf der menschlichen Fähigkeit zur Versachlichung, die dem von Plessner sogenannten „Sinn fürs Negative“ entspricht. 9

Ebd. 170.

10 Der Begriff des extrauterinen Frühjahres stammt von Portmann und bezeichnet die eigentümliche Situation des Menschen, nach der Geburt auf die Einbettung in einen sozialen Uterus angewiesen zu sein, um vermittelt durch seine spezifischen Wahrnehmungsweisen sein Menschsein entfalten zu können. Plessner expliziert entsprechend anerkennend: „Ein derart exponiertes Naturwesen [wie der Mensch] braucht, eben weil es darauf angelegt ist zu probieren, eine Vorbereitungszeit von frühester Jugend auf. Adolf Portmann hat das große Verdienst, den Charakter dieser Vorbereitungszeit biologisch zum erstenmal deutlich bestimmt zu haben. [...] [N]ach der Geburt [macht der Mensch] extrauterin ein Stück Entwicklung in direktem Kontakt mit der Außenwelt durch. Während dieses ,extrauterinen Frühjahres‘ lernt er die instrumentale Situation beherrschen, zu der ihn die Natur berufen hat: aufrecht gehen und sprechen. Beide Funktionen entfalten sich nur im Außenkontakt mit Sinneseindrücken, die der Mutterleib nicht bietet: Licht, Schall, räumliche Formen, Fremdwiderstände, unerwartete Kollisionen.“ H. Plessner: Der Mensch als Lebewesen, a.a.O. [Anm. 281] 322; vgl. zudem H. Plessner: Conditio humana, a.a.O. [Anm. 281] 166 und 191. 11 Helmuth Plessner: Der Mensch als Naturereignis (1965). In: Conditio humana. GS. Bd. 8, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 267-283, 276.

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Gleichwohl betont Plessner, dass damit nicht gemeint ist, dass sich der Mensch im Modus bloßer Weltoffenheit befindet. Eine solche Möglichkeit sei nur bei einem leiblosen Wesen denkbar, das, anders als der Mensch, nicht auf seine körperliche Natur zurückgeworfen wird.12 Mit dieser Aussage wendet sich Plessner sowohl kritisch gegen Schelers als auch gegen Gehlens Begründung der menschlichen Weltoffenheit. So stehe laut Plessner die Weltoffenheit bei Scheler im geistigen Horizont des Menschen, der sich bei diesem durch die absolute Abgehobenheit vom Körper auszeichne, so dass Scheler der doppelten Natur des Menschen – körperlich geschlossen organisiert und zugleich positional exzentriert zu sein – mit seinem Begriff von Weltoffenheit nicht Rechnung trage.13 Gehlen hingegen tendiere in seiner Verwendung des Begriffs dazu, die biologisch-körperliche Natur des Menschen in den Vordergrund zu rücken und Weltoffenheit insofern als biologisch notwendige Folge des menschlichen Mangels an Trieb- und Instinktgebundenheit zu setzen, dessen Ausgleich bei Gehlen ausschließlich unter pragmatische Interessen gestellt sei.14 Plessner polemisiert somit gegen beide Denker, dass sie die Doppelnatur des Menschen nicht berücksichtigten: „Mit der Möglichkeit, daß beim Menschen Umweltgebundenheit und Weltoffenheit kollidieren und nur im Verhältnis einer nicht zum Ausgleich zu bringenden gegenseitigen Verschränkung gelten, einer Möglichkeit, die durch seine zugleich tierische und nichttierische ‚Natur‘ nahegelegt ist, haben dagegen beide Parteien nicht gerechnet“.15 Gegen Scheler und Gehlen will Plessner den Menschen als psychophysische Einheit verteidigen, da ersterer Weltoffenheit als Modus eines körperunabhängigen Geistes und letzterer Weltoffenheit als Modus einer physischen Mangelhaftigkeit bestimme.16 Insofern sieht Plessner in der Weltoffenheit allein auch nicht die 12 Vgl. H. Plessner: Conditio humana, a.a.O. [Anm. 281] 187. 13 Vgl. ebd. 182. 14 Vgl. ebd. 182. 15 H. Plessner: Über das Welt- Umweltverhältnis des Menschen, a.a.O. [Anm. 291] 80f. 16 Da Plessner Weltoffenheit als auf der exzentrischen Positionalität gründend begreift, wird die psychophysische Einheit des Menschen wesentliche Voraussetzung für Weltoffenheit, wobei die exzentrische Positionalität die Bedingung der Möglichkeit der psychophysischen Einheit als Verschränkung ist. Insofern der Mensch auch Körper ist, kann er somit nicht ausschließlich weltoffen sein, sondern ist mit seinem Körper auch umwelthaft gebunden: „Wo ein Körper ist, muß Umwelt sein“ (H. Plessner: Der Mensch als Naturereignis, a.a.O. [Anm. 385] 277). Die Welt des Menschen ist von daher stets umwelthaft und seine Umwelthaftigkeit stets weltlich verfasst. Bei Scheler hingegen – wenngleich es sein Verdienst ist, den Begriff der Weltoffenheit für die Philosophische Anthropologie geprägt zu haben – gründet Weltoffenheit in einer

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„prinzipiellen Abschüttelung des Umweltbannes“ (M. Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos, a.a.O. [Anm. 278] 33). Während bei Plessner die Weltoffenheit als psychophysischer Modus des Sich-Aufrichtens fungiert, ist sie bei Scheler ein geistiger Modus des Über-sich-Erhebens: „Menschwerdung ist Erhebung zur Weltoffenheit kraft des Geistes“ (ebd. 33). Weltoffenheit ist somit ein Merkmal des Geistes, der von Scheler als ein „jedem Leben überhaupt, auch dem Leben im Menschen entgegengesetztes Prinzip“ (ebd. 31) entfaltet wird. Der Geist, auf dem die Weltoffenheit gründet, ist mit Scheler somit ein über das psychophysische Dasein des Menschen Erhobensein, das gerade nicht mit der psychophysischen Ich-Einheit zu verwechseln sei (vgl. dazu Wolfhart Henckmann: Max Scheler (München 1998) 70; sowie zum Verhältnis von Geist und Weltoffenheit: ebd. 205). Bei Plessner hingegen gründet die psychophysische Ich-Einheit in der Sphäre des Geistes (die durch die exzentrische Positionalität gewährleistet wird), die den gegensinnigen Doppelaspekt von individuellem und allgemeinem Ich ermöglicht (vgl. für eine genauere Darlegung dieses Doppelaspekts Abschnitt 3.3.3 der vorliegenden Arbeit). Gehlen hat dem Begriff der Weltoffenheit wiederum eine Bedeutung gegeben, die weder auf einen dem Körper enthobenen Geist noch auf den Vollzug zur psychophysischen Einheit rekurriert, sondern auf das organische Dasein des Menschen abhebt. Gehlen bestimmt im Gegensatz zu Plessner und Scheler die Weltoffenheit des Menschen biologisch: „Wenn nun der Mensch Welt hat, nämlich eine deutliche Nichteingegrenztheit des Wahrnehmbaren auf die Bedingungen des biologischen Sichhaltens, so bedeutet auch dies zunächst eine negative Tatsache“ (A. Gehlen: Der Mensch, a.a.O. [Anm. 375] 34). Das Welthaben des Menschen wird von Gehlen mit der biologischen Unspezifiziertheit des Menschen begründet, die er somit als negative biologische Situation, im Gegensatz zu der des Tieres, fasst: „Der Mensch ist weltoffen heißt: er entbehrt der tierischen Einpassung in ein Ausschnitt-Milieu. Die ungemeine Reiz- oder Eindrucksoffenheit gegenüber Wahrnehmungen, die keine angeborene Signalfunktion haben, stellt zweifellos eine erhebliche Belastung dar, die in sehr besonderen Akten bewältigt werden muß. Die physische Unspezialisiertheit des Menschen, seine organische Mittellosigkeit sowie der erstaunliche Mangel an echten Instinkten bilden also unter sich einen Zusammenhang, zu dem die ‚Weltoffenheit‘ (Scheler) oder, was dasselbe ist, die Umweltenthebung den Gegenbegriff bilden“ (ebd. 34). Enthebt Scheler den Menschen aus der Umweltgebundenheit kraft des Geistes, so enthebt Gehlen ihn dieser dadurch, dass er ihm die dazu notwendigen biologischen Mechanismen (Reiz-Reaktion etc.) abspricht. Weltoffenheit wird bei Gehlen dadurch zu einer biologischen Belastungssituation für den Menschen, so dass er seine Nicht-Eingepasstheit stets handelnd kompensieren muss. Plessner erkennt zwar an, dass durch den Aspekt der Handlung die „verhängnisvolle Aufspaltung menschlichen Seins in eine körperliche und eine nichtkörperliche Region vermieden“ (H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] XV) wird und

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spezifisch menschliche Situation, sondern in ihrer Verschränkung mit einer leibbedingten Umwelthaftigkeit. Diese Verschränkung ist dem Menschen jedoch nicht als dauerhafter Ausgleich gegeben, sondern muss von ihm stets aufs Neue vollzogen werden. Um das menschliche Leben in Weltverhältnissen verstehen zu können, muss mit Plessner diese verschränkte Doppelbezüglichkeit des Menschen berücksichtigt und nicht lediglich der geistige oder biologische Punkt gesucht werden, an dem sich dieser vom Tier abhebt. Inwiefern die menschliche Weise des Bezogen-Seins als Verschränkung von Umwelthaftigkeit und Weltoffenheit zur Erscheinung kommt, wird daher im nächsten Abschnitt nachgezeichnet. Dabei wird zugleich deutlich gemacht, weshalb in der vorliegenden Arbeit der Begriff der Umwelthaftigkeit im Gegensatz zu dem der Umweltgebundenheit für die Beschreibung der Verschränkung präferiert wird.

dadurch das notwendige Kulturschaffen des Menschen in dessen ‚Natur‘ liegt. Allerdings liege damit erneut ein verkürzter Naturbegriff vor, so dass Plessner auch bei Gehlen die Aufgabe der Philosophischen Anthropologie, die menschliche Seinsweise in ihrer Doppelnatur zu fassen, als nicht gelöst betrachtet: „Wenn wir uns mit solcher Kryptobiologie deutlich pragmatischen Charakters nicht zufrieden geben wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Tiernatur des Menschen in ihrer vollen Schwere neben der Ambition seiner geistigen Natur zu halten. Diese dialektische Lösung als Sonderprädikat des Menschen ist Scheler wie Gehlen gleich fremd“ (H. Plessner: Zur Anthropologie der Sprache, a.a.O. [Anm. 270] 405; für eine kritische Auseinandersetzung mit Gehlens Begriff der Weltoffenheit vgl. außerdem: C. Thies: Arnold Gehlen, a.a.O. [Anm. 235]). Thies kommt darin zu dem Schluss, dass der Ansatz Plessners der überzeugendere ist, da Plessner nicht qua Weltoffenheit auf der Sonderstellung des Menschen beharrt, sondern die Verschränkung von Weltoffenheit und Umwelthaftigkeit sichtbar macht (vgl. ebd. 58f.). Auf eine ausführlichere Darstellung der Diskussion um den Begriff der Weltoffenheit und seine jeweilige Bedeutung bei den aufgeführten Autoren der Philosophischen Anthropologie sowie weiteren Vertretern der Phänomenologie muss an dieser Stelle leider verzichtet werden. Da die Weltoffenheit bei Plessner aber zum einen von ihm selbst in Abgrenzung zu Scheler entwickelt und zum anderen auch im Verhältnis zu Gehlen diskutiert wurde, sollte jedoch wenigstens ein kurzer Einblick in die kontroversen Begründungen der drei Autoren gegeben werden.

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3.3.2 Die Verschränkung von Umwelthaftigkeit und Weltoffenheit: Die Aufhebung der Natur/Kultur-Dichotomie Der Mensch als ein weltoffenes Wesen hat im Gegensatz zum Tier die Möglichkeit, sich selbst einen sinnhaften Horizont zu setzen. Die exzentrische Positionalität, die diese Entbindung aus dem geschlossenen Kreislauf von Merken und Wirken gewährleistet, bedeutet jedoch zugleich die Entsicherung aus der festen Stellung zum Umfeld, wie sie dem Tier zu eigen ist. Auf sich selbst gestellt, hat der Mensch damit nicht nur die Möglichkeit der Sinnsetzung, sondern er ist auch auf die stellungssichernden Grenzen eines sinnhaften Horizonts angewiesen. Diese sinnstiftende Grenzsetzung des Menschen ist aber nicht mit der myopisch bedingten Beschränkung zu verwechseln, die im zweiten Kapitel zur Umweltsoziologie als dortiges anthropologisches Axiom aufgedeckt wurde. Vielmehr meint sie eine Offenheit des Menschen, sein Leben zu gestalten, indem er die Gewissheiten seiner Grenzen überschreitet und sich auf das ihm begegnende Fremde und Unverfügbare einlässt, um es zu verstehen. Dadurch ist der Mensch mit seinem Ich-Bewusstsein auch dazu gezwungen, sich zu sich selbst zu verhalten. Als leibgebundenes Wesen ist der Mensch dabei aber nicht frei von seiner körperlichen Natur. Vielmehr muss er die psychophysische Einheit, die er qua seiner dreifachen Positionierung ist und der er sich nicht entziehen kann, selbst zum Ausgleich bringen. Gerade weil sein Leben nicht in einem der beiden Aspekte aufgeht, sondern sich durch deren stetige Vermittlung zur Einheit auszeichnet, ist das Menschsein nicht auf ein EntwederOder zu reduzieren, sondern als Aufgabe zu begreifen.1 In der „konstitutive[n] Gleichgewichtslosigkeit seiner besonderen Positionalitätsart“2 liegt der Grund für das Menschsein als Aufgabe. Damit er seine Aufgabe, Mensch zu sein, bewerkstelligen kann, muss der Mensch sein Leben führen: „Der Mensch lebt also nur, wenn er ein Leben führt“.3 Das Menschsein wird somit auf dem Hintergrund der Kategorie des Lebens nicht lediglich am biologischen Organismus Mensch gefasst, sondern zudem in seiner sinnstiftenden Dimension sichtbar. Denn das Menschsein ist zugleich von der aufgegeben Lebensführung getragen, die sich in sinnstiftenden Lebensvollzügen konstituiert. Lebensführung bedeutet somit für den Menschen die Aufgabe, der eigenen unsicheren Existenz eine sinnvolle Stel-

1

Vgl. H. Plessner: Die Aufgabe der Philosophischen Anthropologie, a.a.O. [Anm. 288] 33.

2

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 316.

3

Ebd. 316.

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lung im offenen Welthorizont zu gewährleisten. Lebensführung meint also den umwelthaften Ausgleich der strukturmäßigen Gleichgewichtslosigkeit. An dieser menschlichen Aufgabe, sein Leben zu führen, wird zudem deutlich, dass die Form seiner Gestelltheit nicht lediglich ein aktives Moment des menschlichen Daseins als Aufgabe akzentuiert, sondern zugleich ein passives Widerfahrnis zum Ausdruck bringt, dessen Erfahrung der Mensch sich nicht entziehen kann: die Welterfahrung. Menschliche Gestelltheit ist somit eine sowohl aktive als auch passive Weltgestelltheit. Mit anderen Worten: Menschsein als Aufgabe bedeutet, diese Gegensinnigkeit von aktivem Weltgestalten und passivem Welterfahren stets von neuem durch seine Lebensvollzüge zum Ausgleich zu bringen.4 An diesem Verständnis von Leben, das sowohl ein biologisches als auch phänomenologisch-hermeneutisches Vollzugsgeschehen ist, hängt des Menschen Existenz. Mit Plessner kann daher gesagt werden: „Leben birgt als eine seiner Möglichkeiten Existenz.“5 Und die exzentrische Positionalität ist als eine Form des Lebendigen die Bedingung für den „wagenden Lebensakt“6 der 4

Hier wird der Kern des Plessner’schen Lebensbegriff deutlich. Denn Leben, begriffen als Form des Vollzugs, meint mit Plessner sowohl ein organisches als auch phänomenologisch-hermeneutisches Moment, die als ein Lebensvollzug miteinander verschränkt sind. Das Widerfahrnis von Welt, dem sich der Mensch grundsätzlich nicht entziehen kann, entspricht dabei nicht dem Widerfahrnisbegriff bei Bernhard Waldenfels (vgl. exemplarisch das jüngst erschienene Werk von Bernhard Waldenfels: Sozialität und Alterität. Modi sozialer Erfahrung (Frankfurt a.M. 2015) 20ff.) Waldenfels spricht damit zwar „die Urtatsache, daß [sic!] und etwas zustößt“ (ebd. 20) an, dieses Zustoßen wird von ihm aber in einem starken Sinne als Pathos verstanden. Damit sind jedoch besondere Erfahrungen gemeint, die Überraschendes, Erschreckendes oder Zustoßendes meinen und auf einem bereits gestifteten Welthorizont gemacht werden. Die Welterfahrung als solche, die der Mensch macht, wird in der vorliegenden Arbeit im ganz eigentlichen Sinne jedoch ebenfalls als ein Widerfahrnis verstanden, denn die Form seiner Gegenstellung zum Umfeld, die Exzentrizität, gewährleistet die Welterfahrung, ob er sie nun will oder nicht.

5

Helmuth Plessner: Der Aussagewert einer Philosophischen Anthropologie (1973). In: Conditio humana. GS. Bd. 8, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 380-399, 390. Die zitierte Stelle bezieht sich explizit kritisch auf die Fundamentalontologie Heideggers, der Plessner vorwirft, lediglich nach dem Sinn des Menschseins (Dasein) zu fragen und dabei zu vergessen, nach den Bedingungen der Möglichkeit des biologischen Lebewesens Mensch zu fragen (vgl. ebd. 388ff.).

6

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 208. Plessner bezieht hier eine Position, die sowohl das Darwin’sche Anpassungstheorem als auch die Einpassungsthese Uexkülls

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einholt. Denn er begreift Anpassung und Einpassung nicht als konträr zueinander laufende Erklärungen für die notwendige Beziehung eines geschlossenen Organismus zu seinem Umfeld, sondern vielmehr als Modi des Lebens, die gleichermaßen notwendig sind: „Sowohl die Lehre von der ausschließlichen Angepaßtheit (Eingepaßtheit) wie die von der ausschließlichen Anpassung übersehen, daß das Leben wesentlich beides ist und beides zum Leben braucht“ (ebd. 202). Plessner gelingt die Synthese beider Extrempositionen, indem er mit der doppelaspektiven Positionalität, sowohl In-ihnhinein als auch Über-ihn-hinaus zu sein, den Organismus in seiner Beziehung zum Umfeld als sowohl eingepasst als auch anpassungsbedürftig bestimmt. Positional seinen natürlichen Ort behauptend, steht der geschlossene Organismus gegensinnig zu seinem Positionsfeld, mit dem er – gemäß dem Uexküll’schen Funktionskreis – in „nichtumkehrbar gegensinnigen Beziehungen von Reiz und Reaktion, Beziehungen des Zueinanderpassens […], individueller Entsprechung, spezifizierter Harmonie“ verbunden ist (ebd. 204). Als in seiner Grenze seiender Körper ist er jedoch auch Teil seines Positionsfeldes. Und als Körper des Umfelds ist er nicht mehr gegensinnig, sondern gleichsinnig zu diesem gestellt, verbunden durch umkehrbare chemischphysikalische Stoffwechselprozesse, durch die er sich seinem Umfeld anpasst (vgl. ebd. 204). Sowohl geschlossener Organismus als auch „grenzenthaltender Körper“ (ebd. 203) seiend, ist das lebendige Ding zugleich sinnhaft in sein Umfeld eingepasst und stoffwechselmäßig der Anpassung an sein Umfeld bedürftig. Folgt man dieser Plessner’schen Synthese hinsichtlich der Lebenssituation des Menschen, so stellt sich darin die Einpassung als Korrelation zwischen Mensch und Welt dar und die Anpassung als die Notwendigkeit des Menschen, sein Leben in dieser Welt führen zu müssen. Die psychophysische Einheit des Menschen drückt sich damit auch in einer Synthese von Eingepasstheit und Anpassung aus. Darüber hinaus verdeutlicht Krüger an Plessners Auseinandersetzung mit den Begriffen Anpassung und Angepasstheit bzw. Selektivität und Selektion, inwiefern die evolutionstheoretische Verwendung dieser Begriffe Präsuppositionen (z.B.: Anpassung setzt voraus, dass es Angepasstheit gibt) beinhaltet, die sie selbst nur einholen kann, wenn sie ihre Begriffe als Möglichkeitsformen und nicht als unbedingt gültige setzt (vgl. H.-P. Krüger: Gehirn, Verhalten und Zeit, a.a.O. [Anm. 359] 51f.). Krüger betont somit den analytischen Wert von Plessners Naturphilosophie für die Evolutionstheorie ihre eigenen Präsuppositionen einzuholen und damit ihrem eigenen empirischen Anspruch gerecht zu werden: „Plessners Naturphilosophie emanzipiert die Theorie der natürlichen Evolution von ihren ständigen Rückfällen in Denkweisen, welche diese Theorie überwinden wollte, ohne es philosophisch zu können“ (ebd. 52). Dieser Appell Krügers gilt im Kontext der vorliegenden Arbeit insbesondere der evolutionstheoretisch fundierten RCT, die ihre anthropologische Begründung aus dem Spannungsfeld von Anpassung und Nutzenmaximierung herleitet.

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menschlichen Existenz, die dabei das passive Moment der Welterfahrung einschließt. Trotz des Wagnisses angesichts des Widerfahrnisses sind mit diesem Lebensakt dem Menschen die Konstitutiva einer festen Stellung zur Welt stets gegeben. Damit zeichnet sich das Menschsein durch die Möglichkeit aus, sein Leben in Weltverhältnissen als eine sinnstiftende Selbst-Welt-Beziehung zu realisieren. Der offene Weltbezug ist dabei das Feld seines Erlebens, in dem sich der Mensch die ihn sichernde, umwelthafte Einbettung selber setzen muss: „Unter dem Zwang, sich der offenen Wirklichkeit zu stellen und ihrer Unvorhersehbarkeit Herr zu werden, ergibt sich überall eine künstliche Horizontverengung, die wie eine Umwelt das Ganze menschlichen Lebens einschließt, aber gerade nicht abschließt“.7 Da dem Menschen von Natur aus keine umwelthafte Stellung gewährleistet ist, obliegt ihm ihre Realisierung selbst. Insofern ist sie eine künstliche und nicht gleich der natürlichen Umweltstellung des Tieres. Diese weltliche Umwelthaftigkeit ist aufgrund ihrer Weltlichkeit dabei nie gänzlich abgeschlossen, sondern stets offen gegenüber möglichem Wandel. Insofern bedeutet sie für den Menschen unendliche Möglichkeiten des sinnhaften Bezugs, deren Bedeutungen jedoch nicht vorherbestimmt sind. Aus diesem Grund spricht Plessner auch vom Menschen als einem Zwitterwesen, das diese weltlich-umwelthafte Ambiguität in sich vereint: „Zwischen Tier und Engel gestellt, ein Zwitterwesen, verrät der Mensch in seiner Weltoffenheit ein typisches Zurückbleiben hinter den Möglichkeiten, durch die er über jede Umweltbindung von vornherein hinausreicht: ein die Tierheit hinter sich lassendes Tier“.8 Diese Offenheit gegenüber der Mannigfaltigkeit an Möglichkeiten des sinnhaften Bezugs in der Welt, ohne dabei die Gebundenheit an sämtliche Möglichkeiten zu bedeuten, zeichnet somit das Menschsein aus. Die Offenheit in der umwelthaften Sinnsetzung macht deutlich, dass die menschliche Umwelthaftigkeit nicht äquivalent zu der Umweltgebundenheit des Tieres bei Uexküll zu verstehen ist. Der Mensch, der immer schon seine Tierheit übersteigt, durchbricht den geschlossenen Funktionskreis, der den Umweltbezug des Tieres bestimmt. Er sprengt die Geschlossenheit des Funktionskreises aufgrund seiner Weltoffenheit. Der durch die umwelthafte Horizontverengung selbstgeschaffene Halt seiner unsicheren Lebenssituation wird somit als eine Verschränkung von Umwelthaftigkeit und Weltoffenheit sichtbar. Plessner selbst verwendet in der Beschreibung der Verschränkung den Begriff der Umweltgebundenheit.9 Die prinzipiell nicht erreichbare Abgeschlossenheit der Beziehung 7

[Hervorhebung KB] H. Plessner: Conditio humana, a.a.O. [Anm. 281] 189.

8

Ebd. 189.

9

Vgl. ebd. 182.

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zwischen Mensch und Welt lässt die Verwendung des Begriffs Umwelthaftigkeit im Kontext der vorliegenden Arbeit jedoch plausibler erscheinen. Denn durch den Begriff des Umwelthaften wird der Schaffenscharakter der künstlichen Horizontverengung, der in dem Ausdruck „wie eine Umwelt“ (siehe Zitat Seite 199) durchscheint, vom planmäßigen Charakter der Umweltgebundenheit des Tieres differenzierbar.10 Zudem kommt durch diesen Begriff auch das Sich10 Plessner bekam wesentliche Impulse aus Uexkülls Umweltlehre, als es ihm darum ging, in seiner Ästhesiologie die Mensch-Welt-Korrelation anhand der menschlichen Sinnesmodalitäten (im Sinne von materialen Aprioris) aufzuweisen (vgl. für eine kurze, aber aufschlussreiche Einsicht in Sinn und Zweck der Plessner’schen Ästhesiologie Hans-Ulrich Lessing: Plessners Hermeneutik der Sinne und die Rehabilitierung der Naturphilosophie. In: Expressivität und Stil. Helmuth Plessners Sinnes- und Ausdrucksphilosophie, hg. von Bruno Accarino/Matthias Schloßberger (Berlin 2008) 3750). So, wie Uexküll betont, dass die Umwelt dem Bauplan des Tieres entspreche und sie von daher eine Einheit bilden, so entspricht „[d]em sinnlich wahrnehmenden Menschen […] die sich in Qualitäten äußernde Wirklichkeit. Die Erscheinung der Natur ist in gewisser Weise dem Menschen anvertraut […]. Das Erscheinen der Welt hängt somit nach Plessner vom Menschen ab, aber nicht in dem Sinne, daß [sic!] er sie ‚erzeugt‘, sondern, dass die Wirklichkeit den Menschen benötigt, um ‚real‘ zu werden“ (ebd. 44). Dass die Art und Weise, wie die phänomenalen Qualitäten zur Erscheinung kommen, mit der menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeit korreliert und in diesem Sinne ‚artspezifisch‘ ist, lässt sich leicht nachvollziehen. Allerdings ist eine Gleichsetzung der menschlichen Umwelt mit der der Tiere gerade nicht unproblematisch, wie Plessner selbst betont: „[D]ie Übertragung des Umweltbegriffs auf den Menschen als Kulturwesen […] [ist] ein schwierigeres Problem, als er [Rothacker] und auch Uexküll vermuten. Denn beim Menschen setzt sich die Umweltlichkeit des Daseinsrahmens mit seinen Bedeutsamkeiten und Lebensbezügen von einem zumindest latent gegenwärtigen Hintergrund von Welt ab“ (H. Plessner: Über das Welt- Umweltverhältnis des Menschen, a.a.O. [Anm. 291] 84). Wesentlicher Bestandteil der Uexküll’schen Umweltlehre ist der Bedeutungston eines Objekts, den dieses für das Tier trägt. An diese eine spezifische Bedeutung knüpft sich jedoch eine spezifische Verhaltensreaktion, von der abzuweichen nicht mehr dem Bauplan des Tieres entsprechen würde. Die tierische Umwelt ist von daher eine geschlossene, je artspezifische. Die menschliche sozio-kulturelle Umwelt hingegen ist eine gewordene und stetig werdende. Zwar unterscheiden sich verschiedene Kulturen, sie sind sozusagen daseinsrelativ (vgl. H.-U. Lessing: Plessners Hermeneutik der Sinne, a.a.O. [Anm. 400] 44), aber sie entstehen vor einem geteilten Sinnhintergrund, d.i. die Welt, die den Vollzug des gegenseitigen Verstehens ermöglicht. Die Mensch-Welt-Korrelation ist quasi als Präsupposition in den sozio-kulturell verschiedenen menschlichen Umwelten immer

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einlassen-Müssen des Menschen auf die unbestimmte Offenheit der Wirklichkeit schon vorausgesetzt (vgl. H.-P. Krüger: Gehirn, Verhalten und Zeit, a.a.O. [Anm. 359] 33). „[D].h. der menschlichen Welt kommt eine innere Notwendigkeit zu“ (ebd.). Der Mensch ist zwar leiblich umwelthaft gebunden, dabei ist er aber in seinem Handeln nicht auf je spezifische Bedeutungstöne verwiesen, sondern hat die Freiheit des weltoffenen Interpretationsspielraums. Ernst-Wolfgang Orth versteht hingegen „die Umweltlichkeit des Menschen (durchaus im Uexküllschen Sinne)“ (Ernst-Wolfgang Orth: Vom Subjekt zur Person. Verwirklichung bei Scheler und Plessner. Schelers und Plessners Erinnerungen an die Wirklichkeit. In: Philosophische Anthropologie im Aufbruch: Max Scheler und Helmuth Plessner im Vergleich, hg. von Ralf Becker/Joachim Fischer/Matthias Schloßberger (Berlin 2010) 103-115, 109). Als Begründung führt er die Personstruktur an, die nach Orth aus dem zentrierenden Vollzug des Be-deutens auf ein Zentrum hin besteht und die ‚verstehende Haltung‘ ermöglicht (vgl. ebd. 109). Als körperleiblich verfasstes Lebewesen hat der Mensch natürlich eine Positionalität und damit eine leibliche Gegenstellung zu seinem Umfeld. Aufgrund seiner exzentrischen Positionalität differiert der menschliche Umweltbezug aber zu dem anderer Lebewesen. Er ist ein umwelthafter und übersteigt somit immer schon die tierische Umweltgebundenheit an einen Bedeutungston. Die menschliche Positionalität hat nicht, wie Orth anmerkt, „zusätzlich den Charakter der Exzentrizität“ ([Hervorhebung KB] ebd. 110). Das Menschsein gründet auf der Exzentrizität. Insofern „hat die ganze Umweltbindung beim Menschen ein erworbenes und bewahrtes Wesen, ist nicht mit der Natur seines Leibes einfach gegeben, sondern – weil kraft ihrer offengelassen – gemacht und nur in übertragenem Sinne natürlich gewachsen“ (H. Plessner: Über das Welt- Umweltverhältnis des Menschen, a.a.O. [Anm. 291] 84). Auch Schürmann wehrt sich gegen den Versuch, Exzentrizität als etwas Zusätzliches zu verstehen. Gegen Fischers Beharren auf der stetigen Verwendung des ganzen Begriffs der exzentrischen Positionalität, wenn es um den Menschen geht, und dessen Betonung der Unangemessenheit, wenn man lediglich von Exzentrizität spreche, macht Schürmann auf das problematische Verhältnis von Positionalität und Exzentrizität in der ersteren Verwendung aufmerksam: „Das Moment der Exzentrizität wird dann zu einem Attribut, also zu einer näheren Bestimmung einer vermeintlich primären Positionalität. […] Exzentrizität wäre, so gesehen, ein Ergebnis, und nicht diejenige Idee, die dem Entwerfen dieses Stufengangs bereits seinerseits zugrunde liegt“ (Volker Schürmann: Positionierte Exzentrizität. In: Philosophische Anthropologie im 21. Jahrhundert, hg. von Hans-Peter Krüger/Gesa Lindemann (Berlin 2006) 83-102, 88). Das Reden von einer menschlichen Umweltgebundenheit suggeriert ebenfalls das Primat der Positionalität. Das Reden von einer menschlichen Umwelthaftigkeit schließt hingegen das Zugleich von Exzentrizität und Positionalität ein und ist somit dem ersteren vorzuziehen.

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– auch seiner eigenen – zum Ausdruck. Insofern kann mit dem Begriff der Umwelthaftigkeit das menschliche Leben vor jeglicher Fixierung geschützt werden. Umweltgebundenheit in dem in dieser Arbeit vorgetragenen Sinne meint dagegen das Gebundensein an festgestellte Bedeutungen. Uexkülls Anspruch, mithilfe seiner Umweltlehre die Erscheinungsweise des Menschen als eine ebenso planmäßige Gebundenheit innerhalb der Partitur der Natur wie die des Tieres zu bestimmen, lehnt Plessner ausdrücklich ab. Deutlich wird diese Zurückweisung insbesondere an den Punkten der Argumentation, an denen Plessner die verschiedenen Kulturen betrachtet, in denen der Mensch wie in einer Umwelt, d.h. umwelthaft, lebt.11 Uexküll betrachtet jede Kultur als eine abgeschlossene Umwelt, die wie eine Seifenblasenumwelt unter Millionen anderen Seifenblasenumwelten ihren Platz in der großen Partitur der Natur einnimmt.12 Als abgeschlossene Einheit, gleich dem Bild des Funktionskreises, könne man eine Kulturumwelt nicht mehr ergänzen oder ihr etwas entnehmen, da sie in ihrer Planmäßigkeit bereits vollkommen sei. Plessner betont dagegen, dass keine Kultur gegenüber inneren Veränderungen und Einflüssen anderer Kulturen abgeschlossen ist und sein kann. Denn die Bedingungen der Möglichkeit für die Form des Umfeldbezugs differieren zwischen Mensch und Tier. Der Mensch muss trotz seiner geschlossenen Organisationsform die feste Stellung in der Welt erst erwerben, da er aufgrund seiner Exzentrizität der vollkommenen Stabilität des tierischen Umweltbezugs entzogen ist: „[S]o hat die ganze Umweltbindung beim Menschen ein erworbenes und bewahrtes Wesen, ist nicht mit der Natur seines Leibes einfach gegeben, sondern – weil kraft ihrer offengelassen – gemacht und nur in übertragenem Sinne natürlich gewachsen“.13 Aufgrund dieses vom Menschen zu erwerbenden und nicht natürlich gegebenen Umweltbezugs liegt mit dem Uexküll’schen und dem Plessner’schen Begriff der Umweltgebundenheit lediglich eine Äquivokation, aber keine Bedeutungsgleichheit vor. Insofern kommt mit der Verwendung des Begriffs der Umwelthaftigkeit im Falle des Menschen die Differenz des Umfeldbezugs zwischen Tier und Mensch deutlicher zur Geltung.14 11 Vgl. H. Plessner: Conditio humana, a.a.O. [Anm. 281] 184ff. 12 Vgl. J. v. Uexküll: Die Rolle des Subjekts, a.a.O. [Anm. 125] 355. 13 H. Plessner: Über das Welt- Umweltverhältnis des Menschen, a.a.O. [Anm. 291] 84. 14 Im Bericht zum dritten Deutschen Kongress für Philosophie, dessen Präsidentschaft Plessner 1950 in Bremen inne hatte, verweist Plessner laut Protokoll ausdrücklich auf die Unvergleichbarkeit von tierischer Umwelt und menschlicher umwelthafter Kultur: „Ausdrücklich betonte Prof. Plessner noch einmal, daß die künstliche Einseitigkeit und Strukturiertheit einer menschlichen Kultur sich daher nicht vergleichen lasse mit dem Auswahlcharakter einer tierischen Umwelt, – ‚weil sie zur Welt offen ist und Ob-

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Eingepasste Abgeschlossenheit entspricht nicht dem menschlichen Leben. Die mit seiner Lebensform gegebene Möglichkeit zur Entfaltung von Weltoffenheit bedeutet vielmehr eine auszugleichende Offenheit: „Der Mensch schirmt sich ab, während das Tier immer schon abgeschirmt ist“.15 Der dazu notwendige, umwelthafte Daseinsrahmen ist die von ihm selbst geschaffene Kultur. Kultur als spezifischer Sinngehalt entsteht vor dem latenten Welthintergrund, der als Horizont unendlich viele Möglichkeiten der Sinnstiftung bietet. So ist die Welt einerseits als Bezugsform die Bedingung der Möglichkeit der spezifisch menschlichen Weise, sich auf sein Umfeld zu beziehen (Zur-Welt-Sein), wobei diese Bezugsweise im Vollzug der kulturellen Einbettung zur Erscheinung kommt. Andererseits ist die Welt als Möglichkeitsraum bzw. Sinnhorizont aber auch die Bedingung der Wirklichkeit (In-der-Welt-Sein), die die Art und Weise der kulturellen Einbettung in ihren Realisierungsmöglichkeiten bereitstellt: „Nur auf dem offenen Hintergrund einer nicht mehr in vitalen Bezügen aufgehenden Welt, die den Menschen in unvorhergesehene Lagen bringt und mit der er stets neue und brüchige Kompromisse schließen muß, hält er sich in jenem Gleichgewicht einer stets gefährdeten, selbst wieder schutzbedürftigen Kultur“.16 Ohne dieses Zurund In-der-Welt-Sein des Menschen ist das, was mit Plessner als Kultur angesprochen werden kann, gar nicht möglich. Den Unterschied zwischen tierischer Umwelt und umwelthafter Kultur untermauert Plessner u.a. mit dem erwähnten Portmann’schen Argument des gegenseitigen kulturellen Verstehens. Allerdings verweist er im Gegensatz zu Portmann zusätzlich auf die dazu notwendige menschliche Wurzel, die den Tieren nicht gegeben ist, denn tierische Umwelten „sind nicht ineinander überführbar. Sie bestehen nebeneinander und durcheinander in gleichen oder in verschiedenen Milieus und Medien, ohne sich in Frage zu stellen, oft sogar ohne sich zu stören. Kulturen aber kommen miteinander in Berührung und gehen keineswegs jektivität beansprucht‘“ (Helmuth Plessner (Hg.): Symphilosophein. Bericht über den Dritten Deutschen Kongreß für Philosophie. Bremen 1950 (München 1952) 353). Entsprechend verweist Plessner laut Protokoll darauf, „daß seine [des Menschen] ‚Welt‘ umwelthaft wie seine ‚Umwelt‘ welthaft ist“ (ebd. 353). Der Schriftführer des Protokolls verwendet dabei konsequenterweise den Begriff der Umwelthaftigkeit in Bezug auf Plessners Synthese von Weltoffenheit und Umweltbindung, wobei jedoch nicht deutlich ist, ob er damit explizit eine Äquivokation zwischen Plessners und Uexkülls Begrifflichkeit vermeiden wollte (vgl. ebd. 352). Nichtsdestotrotz bestätigt dieses Protokoll, dass durch den Begriff der Umwelthaftigkeit die natürliche Künstlichkeit der menschlichen Kulturumwelt deutlicher hervortritt. 15 H. Plessner (Hg.): Symphilosophein, a.a.O. [Anm. 404] 352. 16 H. Plessner: Conditio humana, a.a.O. [Anm. 281] 186.

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immer durch Berührung [...] einfach zugrunde. Es herrscht ebenso das Verhältnis der Befruchtung und Bereicherung zwischen ihnen, der Kontinuität im Austausch der Verständigung, und zwar auf Grund einer sich immer wieder durchsetzenden menschlichen Wurzel“.17 Diese menschliche Wurzel, d.i. die exzentrische Positionalität, realisiert sich in drei verschiedenen anthropologischen Grundgesetzen, deren jeweiliger Vollzug die Lebensform Mensch zur Erscheinung bringt. Eines davon ist das Gesetz der natürlichen Künstlichkeit, das mit den Ausführungen zur umwelthaften Einbettung in Form einer Kultur bereits angesprochen wurde und im Folgenden näher ausgeführt wird. Denn dieses Gesetz stellt die Korrelativität von Mensch und Welt heraus, womit der Dualismus von Natur und Kultur überwunden werden kann.18

17 Ebd. 188f. 18 Die zwei weiteren anthropologischen Grundgesetze sind nach Plessner das des utopischen Standortes und das der vermittelten Unmittelbarkeit. Letzteres wird im vierten Kapitel eine zentrale Position einnehmen, da sich mit dem Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit der Strukturzusammenhang zwischen Mensch und Welt als Form des gleichursprünglichen Wirklichkeitserlebens erklären lässt, ohne dabei entweder auf eine objektivistische oder eine subjektivistische Position rekurrieren zu müssen, wie dies in der Umweltsoziologie üblich ist. Mit dem Gesetz des utopischen Standortes fasst Plessner Phänomene wie die Religiosität, die sich in allen bekannten Kulturen finden lassen, und aus der menschlichen Erfahrung der eigenen Unergründlichkeit hervorgeht (vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 341-346). Die wichtigsten Ausdrucksformen des Menschen sind diesen drei Gesetzen nach sein Kulturschaffen, seine Geschichtlichkeit – die er in Form von bereits er- und gelebter Wirklichkeit auf seine Zukunft hin realisiert – sowie seine Fähigkeit, die eigene Unergründlichkeit und damit ebenso die der Welt zu erkennen und zu reflektieren.

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3.3.2.1

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Die Mensch-Welt-Korrelativität im Vollzug natürlicher Künstlichkeit Mit dem Ausdruck „natürliche Künstlichkeit“ verdeutlicht Plessner sowohl den existenziellen Zwang des Menschen, sich aufgrund seiner gleichgewichtslosen Lebenssituation eine umwelthafte Kultur schaffen zu müssen, als auch dessen Möglichkeit, durch den kulturell verfassten Ausgleich eine sinnhafte Beziehung zur Welt erfahren zu können. Die exzentrische Positionalität bedeutet für den Menschen somit eine Stellung einzunehmen, die ihn dazu befähigt, nach der Sinnhaftigkeit seines Lebens fragen zu können und damit auch nach dem Wie der Lebensführung. Jede Frage nach der eigenen Lebensführung – „[W]as soll ich tun, wie soll ich leben, wie komme ich mit dieser Existenz zu Rande –, bedeutet den […] wesenstypischen Ausdruck der Gebrochenheit oder Exzentrizität“.1 Die Frage nach einer ‚gelingenden‘ Lebensführung, die zu beantworten stets und insofern auch für die aktuelle Zeitdiagnose menschlichen Lebens brisant ist, kann mit Plessner somit als Ausdruck des Menschseins per se gefasst werden. Die endgültige Klärung des Wie einer ‚gelingenden‘ Lebensführung ist mit Plessner gleichwohl nicht zu haben, da sie sich – worauf die Frage verweist – nicht durch letztgültige Bestimmbarkeit, sondern durch das stets von neuem zu bewältigende Einlassen auf die offene Wirklichkeit auszeichnet. Denn weil sich diese Gegensinnigkeit nicht ineinander auflösen lässt, sondern als echte Gegensinnigkeit „ein wirklicher Bruch seiner Natur ist“2, ist dem Menschen der Ausgleich seiner gleichgewichtslosen Gestelltheit stets von Neuem aufgegeben. Die Unvorhersehbarkeit der Wirklichkeit erfordert zwar die umwelthafte Einbettung in einen Ausgleich bietenden, umwelthaften Daseinsrahmen, niemals aber kommt es zu einem vollkommenen Abschluss, da die menschliche Umwelthaftigkeit „stets ihren Ausweg in sich eröffnet“.3 Betrachtet man den Begriff der natürlichen Künstlichkeit, erscheint er zunächst paradox. Was bedeutet natürliche Künstlichkeit, wenn Künstlichkeit ihrer modernen Bedeutung nach das Gegenteil von Natürlichkeit meint? Da der Mensch als exzentrisch positioniertes und dadurch gleichgewichtslos stehendes Wesen das natürliche Gleichgewicht, das die Beziehung zwischen Tier und Umwelt auszeichnet, entbehrt, liegt es in seiner ‚Natur‘ seine Gleichgewichtslosigkeit durch künstliche Mittel stabilisieren zu müssen und dies auch zu können. Aufgrund seiner Exzentrizität und dem sich darauf gründenden Reflexivitätspotenzial weiß der Mensch zwar um sein Können, „immer aber mischt sich in das Wissen darum der Schmerz um die unerreichbare Natürlichkeit der anderen Le1

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 309.

2

Ebd. 292.

3

H. Plessner (Hg.): Symphilosophein, a.a.O. [Anm. 404] 353.

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bewesen“.4 Die Natürlichkeit seiner Künstlichkeit liegt somit im menschlichen Leben begründet. Denn „[i]n dieser Bedürftigkeit oder Nacktheit liegt das Movens für alle spezifisch menschliche, d.h. auf Irreales gerichtete und mit künstlichen Mitteln arbeitende Tätigkeit, der letzte Grund für das Werkzeug und dasjenige, dem es dient: die Kultur“.5 Kultur dient dem Menschen dazu, das Leben, das er als Lebewesen bereits lebt, auch führen zu können. Könnte der Mensch dabei aber nicht auf einen weltlichen Sinnhorizont zurückgreifen, der ihm die Sinnhaftigkeit seines Tuns vermittelt, wäre er nicht Mensch, sondern bliebe umweltgebundenes Tier. Den Menschen dabei als ausschließlich weltoffenes Wesen, das über dem tierisch-leiblichen Dasein steht, aufzufassen, greift jedoch ebenso zu kurz, wie sein Handeln entweder auf das evolutionsbedingte Maximierungsprinzip der RCT zu reduzieren oder seine Möglichkeiten auf die kognitiv vermittelten Sinnträger eines Lebensstils zu beschränken, dessen Grenzen zu überschreiten, geradezu Übermenschliches von ihm verlangt. Menschsein bedeutet vielmehr in jedem Moment seines Lebens diese Grenzüberschreitung zu vollziehen und sich dadurch als psychophysische Einheit zum Ausgleich bringt. Seine ihm selbst offenbare Schutzlosigkeit, deren Erkenntnis ihm der exzentrische Blickpunkt gewährt, ist der Anlass des Menschen sich selbst umwelthaft in eine Kultur einzubetten, durch die er das wird, was er schon ist: ein auf sich selbst rückbezügliches Ich, das in einer gleichursprünglich konstitutiven Beziehung mit den Dingen in der Welt steht und insofern „das Menschenhafte des Menschen“6 realisiert. Die Verschränkung von Weltoffenheit und Umwelthaftigkeit ist dabei die notwendige Daseinsweise des Menschen: „Nur weil der Mensch halb ist und (was damit wesensverknüpft ist) über sich steht, bildet Künstlichkeit das Mittel mit sich und der Welt in's Gleichgewicht zu kommen. Das bedeutet […], daß Kultur eine […] ontische Notwendigkeit“7 ist. Anthropologisch betrachtet, zeichnet sich die menschliche Lebensführung als eine ‚gelingende‘ zunächst also dadurch aus, dass der Mensch seine lebensformbedingte Gleichgewichtslosigkeit mittels kultureller Errungenschaften sinnvoll ausgleicht. Der Mensch erfindet nichts, was für ihn nicht sinnvoll ist. Seine Welt ist insofern der Sinnträger, den er sich selbst gegeben hat, vermittelt durch die Zwischenglieder, die er Kultur nennt. Plessner betont dementsprechend, dass lediglich der Mensch etwas erfinden kann. Das Tier kann zwar Dinge finden, aber nichts erfinden, weil das Tier „nichts dabei findet […]. Es deckt sich ihm das

4

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 310.

5

Ebd. 311.

6

H. Plessner: Conditio humana, a.a.O. [Anm. 281] 194.

7

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 321.

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Ergebnis seines Tuns nicht auf“.8 Das bloße Aus-der-Mitte-heraus- und In-dieMitte-hinein-leben verwehrt dem Tier einen transzendierenden Sinn an den Dingen zu entdecken. Es kann lediglich die eine spezifische Bedeutung, die das Ding für das Tier hat, wahrnehmen. Die Sinnhaftigkeit der Umweltgebundenheit des Tieres erschließt sich für einen Beobachter dementsprechend dadurch, dass das Verhalten des Tieres mit den Bedeutungen der Bedeutungsträger seiner Umwelt deckungsgleich ist. Das Tier kann an den Objekten seiner Wahrnehmung nicht mehr finden als das, was es an diesen je als Bedeutungston wahrnimmt. Es hat keinen Sinn für ein Mehr an Bedeutung, sondern ist lediglich auf die unmittelbare Bedeutung des Objekts im Moment der Wahrnehmung beschränkt. Dieses Mehr an Bedeutung bestimmen zu können, ist dem Menschen als ein exzentrisch positioniertes Wesen vorbehalten und bedeutet seine Freiheit, sich eine Welt zu gestalten, in die er sich sinnvoll einbetten kann. Darin liegt der Grund für die konstitutive Korrelativität zwischen Mensch und Welt. Mensch und Welt sind keine voneinander unabhängigen Gegebenheiten, die sich dichotom gegenüber stehen. Ihre Wirklichkeit gründet auf demselben Prinzip der exzentrischen Positionalität, die im Vollzug ihrer Realisierung Mensch und Welt gleichursprünglich konstituiert. Mit dieser Einsicht von der phänomenalen Korrelativität zwischen Mensch und Welt kann im Folgenden das dichotome Denken, das in der Umweltsoziologie bis heute systematisch Fehlschlüsse produziert, aufgehoben und der Weg für eine neue Perspektive frei gemacht werden.

8

Ebd. 321.

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3.3.2.2 Die Überwindung des dichotomen Denkens Menschliches Leben zeichnet sich durch die Korrelativität zwischen Mensch und Welt aus. Ihren ontischen Status erhält diese im Vollzug der natürlichen Künstlichkeit. Die natürliche Künstlichkeit bestimmt dabei jedoch nicht die Art und Weise, wie die Kultur im Mensch-Welt-Verhältnis realisiert wird. Das Wie des Umgangs mit seinem ‚Zwang zur Kultur‘, das die Ebene des Sollens tangiert, ist mit dem Grundgesetz der natürlichen Künstlichkeit noch nicht beschrieben. Dies macht in der Philosophischen Anthropologie Plessners den Unterschied zwischen Sein und Sollen aus, denn die Mensch-Welt-Korrelativität ist nicht gleichzusetzen mit der Möglichkeit des Menschen im Einklang mit der äußeren Natur zu leben. Vielmehr geben „Exponiertheit und beschränkte Weltoffenheit als Kennzeichen menschlicher Grundverfassung […] einer ambivalenten Lage Ausdruck, die bald in Überlegenheit, bald in Schwäche und Unsicherheit manifestiert wird. Unbehaustheit und planend-gestalterisches Können, das die Dinge im Griff hat, begegnet auf Schritt und Tritt der Chance einer übermächtigen Drohung, den Dingen ausgeliefert zu sein und ihnen zu erliegen“.1 Argumentationslinien, in denen behauptet wird, es liege in der ‚Natur‘ des Menschen (Stichwort: Myopia) die äußere Natur zu zerstören, können mit Plessner nicht weiter bestehen bleiben. Der Mensch zeichnet sich zwar dadurch aus, von ‚Natur‘ aus künstlich zu sein. Die zerstörerische Instrumentalisierung der äußeren Natur ist dabei aber nicht als der bezugsmäßige Ausdruck zu verstehen, der Kultur begründet. Sie liegt vielmehr als eine kulturformende Möglichkeit im Vollzug natürlicher Künstlichkeit vor: „Daß gerade der Mensch zum Apostaten der Natur, zum Unruhestifter, Geltungsbedürftigen, Leistungswesen wird und ihm die Selbststeigerungstendenz des Lebens in Form des Machttriebes Orgien zu feiern scheint, darf nicht zum Fundament des Ursprungs der Kultivierung gemacht, sondern muß selbst als Symptom der exzentrischen Positionalität begriffen werden“.2 Das wissenschaftssystematische und -theoretische Problem der naturalistisch gefassten Subjekt-Objekt- bzw. Kultur-Natur-Dichotomie stellt sich mit Plessner dem1

H. Plessner: Conditio humana, a.a.O. [Anm. 281] 212. Rosa diagnostiziert gerade für das Subjekt der Spätmoderne, dem Gefühl zu unterstehen, die Dinge nicht mehr im Griff zu haben, sondern diesen vielmehr ausgeliefert zu sein (vgl. Hartmut Rosa: Kritik der Zeitverhältnisse. Beschleunigung und Entfremdung als Schlüsselbegriffe der Sozialkritik. In: Was ist Kritik?, hg. von Rahel Jaeggi/Tilo Wesche (Frankfurt a.M. 2009) 23-54, 31). Dieses Gefühl kommt in dem Wie von Selbst-Welt-Beziehungen zum Ausdruck und tangiert dementsprechend auch die Art und Weise des Umgangs mit Natur (vgl. für eine nähere Betrachtung dieser Zeitdiagnose Rosas Kapitel 4.2.3 der vorliegenden Arbeit).

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H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 320.

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nach gar nicht. Das sowohl in der Umweltsoziologie als auch in anderen wissenschaftlichen Kontexten reproduzierte dichotome Denken führt jedoch dazu, dass Annahmen über die ‚Natur‘ des Menschen entweder aus einem biologistischen oder aus einem kulturalistischen Zusammenhang abgeleitet werden: Angesichts des herrschenden Fortschrittsparadigmas liege es nahe davon auszugehen, dass der Mensch von Natur aus, d.h. evolutionsbedingt, ein Nutzenmaximierer sei.3 Bzw.: Angesichts des ständig expandierenden kulturellen Pluralismus liege es nahe, dass der Mensch lediglich dazu fähig sei, sich mit subjektiv bedeutsamen Dingen aus seinem unmittelbaren Milieu zu identifizieren, da er kognitiv bedingt myopisch sei. Die abgeleitete erklärende anthropologische Annahme hat dabei, wie die Untersuchung in Kapitel zwei gezeigt hat, in beiden Ansätzen biologische Voraussetzungen, wodurch diese Annahmen als Anthropologismen naturalisiert werden. In solchen Annahmen wird also schlechterdings die Form vom Inhalt abgeleitet. Denn von den empirisch erworbenen Deskriptionen, die sich aus der Beobachtung des Verhaltens ergeben, wird auf das Wesen des Menschen geschlossen, das sich zu einem Menschenbild zusammenfügt. Die Legitimität dieses Menschenbildes wird wiederum durch die empirischen Deskriptionen fundiert. Ein Zirkelschluss also, der wahrheitsbeanspruchenden Charakter annimmt, da sich mit ihm die ‚Natur‘ des Menschen empirisch sowohl definieren als auch verifizieren lässt.4 Im Unterschied dazu hat Plessner vom Begriff des Lebens aus3

Plessner verweist in Kritik am Darwinismus darauf, dass sich der Mensch aufgrund seiner bezugsmäßigen Gleichgewichtslosigkeit, die er durch Kultur kompensieren muss, in seinem Schaffen ständig selbst übertrifft: „Denn der Mensch muß tun, um zu leben. Der Vollzugszwang, in seiner Exzentrizität begründet, wirkt sich natürlich nicht mit einem Schlage aus. Ihm genügt nicht Eine Tat, sondern allein die Rastlosigkeit unablässigen Tuns. […] Die Übersteigerung – fälschlich als eine Selbststeigerungstendenz des Lebens verabsolutiert – ist das notgedrungen diese Form annehmende Mittel der Kompensation seiner Halbheit, Gleichgewichtslosigkeit, Nacktheit“ (Ebd. 320). Das evolutionsbedingte Maximierungsprinzip kann somit nicht als Begründung für das Fortschrittsparadigma herhalten. Das Überschreiten seines eigenen Schaffens liegt zwar im Menschen selbst begründet, da er im Vollzug seiner Lebensführung stets über sich hinaus gehen muss, will er den Ausgleich seines positional bedingten Ungleichgewichts in ein labiles Gleichgewicht bringen. Dieser Vollzug folgt dabei aber nicht zwangsläufig einer Maximierungs- und Fortschrittslogik.

4

Krüger hat darauf aufmerksam gemacht, dass dieses zirkuläre Verhältnis von Explanans und Explanandum, das Foucault den „anthropologischen Zirkel“ nennt, mit dem seit der Moderne gesetzten Status des Erkenntnissubjekts einhergeht (vgl. Krüger: Philosophische Anthropologie als Lebenspolitik, a.a.O. [Anm. 104] 40-53). Diese

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gehend versucht die verschiedenen Formen des Lebendigen kategorial zu bestimmen. Diese lassen sich zwar nicht beobachten, aber sie sind die Bedingungen der Möglichkeit der Lebewesen, die ihrer jeweiligen Form nach als Pflanze, Tier und Mensch phänomenal erfahrbar sind. Plessner schließt jedoch nicht vom Verhalten dieser Lebewesen auf die Form. Vielmehr prüft er, ob die beobachtbaren Verhaltensweisen den von ihm kategorial hergeleiteten Formen entsprechen, denn jede Strukturform findet auch eine phänomenale Entsprechung. Beim Menschen, dessen Form die exzentrische Positionalität ist, findet sich diese Entsprechung u.a. im Vollzug der natürlichen Künstlichkeit wieder, denn die Form realisiert sich im Ausdrucksverhalten natürlicher Künstlichkeit. Die Kategorie des Lebens in ihrer Bedeutung als eine Verschränkung organischer und sinnstiftender Momente findet somit im Vollzug natürlicher Künstlichkeit ihre Bestätigung. Die Dichotomie zwischen Natur und Kultur hat Plessner somit hinter sich gelassen. Die Entfaltungsmöglichkeiten der natürlichen Künstlichkeit sind zudem so mannigfaltig, dass sie nicht auf ein spezifisches Antriebsschema (bspw. Nutzenmaximierung) reduziert werden können. Vielmehr muss versucht werden, ausgehend von der exzentrischen Positionalität, deren Spezifik die dreifache Positionalisierung ist, die unterschiedlichen Aspekte des Erlebens als Movens des Handelns gleichermaßen zu berücksichtigen. Denn die formale Dreifachheit hat im Erleben differente Entsprechungen, von denen keine den Status eines Primats einnimmt. Jegliche Präferierung einer eindimensionalen Bestimmung muss mit Plessner zurückgewiesen werden, da der Mensch qua seiner dreifachen Positionalisierung nur als psychophysische Einheit gedacht werden kann. Somit wäre bspw. auch der Aspekt der körperleiblichen Erfahrungsdimension in der Lebensführung zu berücksichtigen. Aber auch dieser Aspekt allein formuliert, ist nicht hinreichend, um die menschliche Lebenssituation gänzlich zu erfassen. Derart formuliert, wäre auch mit diesem Aspekt lediglich eine Seite der bruchhaften Existenz des Menschen beleuchtet. Das Ich bzw. das Selbst der menschlichen Personstruktur, das sich als Einheit der drei Erfahrungsdimensionen konstituiert, muss sich erst zu dem machen, was es bereits ist, und kann nicht implizit vorausgesetzt werden. Dieses Konstituierungsmoment jedoch wiederum in die Verantwortung des bloßen Machens zu legen und als ein rein aktivisches Moment zu begreifen, verfehlt Bewegung schafft ein eigentümliches Begründungsverhältnis zwischen Naturalismus und Subjektivismus, das u.a. im Lebensstilansatz deutlich wurde. In dem die subjektivistische Beschränkung des Erkenntnissubjekts darin mittels eines kognitiven Bewusstseinsbegriffs und insofern biologisch begründet wird, erhält wiederum der beanspruchte Subjektivismus seine Legitimierung.

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schlicht die Gleichursprünglichkeit reziproker Selbst-Welt-Beziehungen. Das passive Moment des Widerfahrnisses von Welt findet darin keine Berücksichtigung, obschon es – gleichsam als andere Seite der gleichen Medaille – ebenso Konstitutivum der Beziehung ist. Das Ansetzen bei den kognitiven, zweckrationalen oder körperleiblichen Möglichkeiten ist ein Ansetzen auf der Subjektseite. Dieses Verfahren konnte bei den hier diskutieren umweltsoziologischen Ansätzen beobachtet werden. Weltsein wurde darin je nach Maßstab (ob naturalistisch oder subjektivistisch) insofern schlechterdings vorausgesetzt und nicht nach seinen Konstitutiva befragt. Die systematische ‚Kunst‘ besteht jedoch darin, beide Konstitutiva, d.h. Mensch und Welt, in ihrem gegenseitigen Konstituierungsverhältnis zu erfassen, in dem sowohl Selbst als auch Welt in ihrer Beziehung zueinander als ein Gleichursprüngliches bedeutsam sind. Der Mensch konstituiert nicht nur Welt, indem er qua kognitiver oder körperleiblicher Fähigkeiten in sie schaffend eingreift, sie widerfährt ihm auch als sinnhafter Horizont von bereits gelebtem Leben, der ihm erst die Möglichkeit bietet, seine bruchhafte Existenz durch die sinnstiftende Realisierung eines Selbst auszugleichen. Die natürliche Künstlichkeit ist das anthropologische Grundgesetz mit dem sich diese „Antinomie: sich zu dem erst machen zu müssen, was er schon ist, das Leben zu führen, welches er lebt“,5 aushalten und ausgleichen lässt. Gleichwohl müssen wissenschaftliche Konzeptionen mit reduktionistischen Menschenbildern ebenfalls als Ausdruck des Menschen betrachtet werden, mit dem er seine strukturmäßige Gleichgewichtslosigkeit auszugleichen versucht. Einerseits drückt das hälftenhafte Lebewesen Mensch durch solche Konzeptionen somit sein Bedürfnis aus, ein festgestelltes Wesen sein zu wollen, das seinen sicheren Platz in der Welt eingenommen hat. Andererseits wird der Mensch durch solche Konzeptionen auf je bestimmte Verkörperungen seiner ‚Natur‘ festgelegt. Als Aspekte des menschlichen Ausdrucks sind solche Konzeptionen jedoch bloße Möglichkeit und verweisen insofern auf die Möglichkeit anderer Ausdrucksformen, die dem Menschen Halt geben. Folgt man dieser These, ist jegliche behauptete Letztgültigkeit eines Menschenbildes, gleich welcher Provenienz, abzuweisen. Der Mensch lässt sich nicht durch ein spezifisches Schema im Handeln bestimmen, indem dieses biologistisch begründet wird. Er führt sein Leben im ständigen Ausgleich seiner Doppelaspektivität – von ‚Natur‘ aus künstlich zu sein – und lebt insofern mit der stetigen Aufgabe, beide Aspekte miteinander zu verschränken. Die exzentrische Positionalität ist nicht nur der Grund für den Zwang zum Ausgleich, sondern birgt eben auch die Möglichkeiten seiner Realisierung in Kultur. Wie sich der Ausgleich gestaltet, steht dem Menschen als 5

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 310.

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weltoffenes Wesen prinzipiell frei und wird sich, da er der umwelthaften Bindung bedarf, in seiner Lebensführung zeigen. Mit der Fähigkeit des Menschen, seine Lebenssituation zu verstehen, entsteht aber auch die Möglichkeit, einen Modus des Sollens zu reflektieren: „[E]ine Macht im Modus des Sollens erst entspricht der exzentrischen Struktur. Sie ist der spezifische Appell an die Freiheit als das Stehen im Zentrum der Positionalität und das Movens für den geistigen Menschen, für das Glied einer Mitwelt“.6 Das Sollen ist als bezugsmäßige Möglichkeit somit im menschlichen Leben begründet. Da mit dem Wissen um seine gleichgewichtslose Lebenssituation der ausgleichende Lebensvollzug korrespondiert, hat der Mensch in seinem Bezug zur Welt einen Anspruch an sich selbst zu erfüllen. Plessner verweist entsprechend darauf, dass der Mensch nicht lediglich vor sich hinlebt, sondern aufgrund seines notwendig zu realisierenden Ausgleichs einen Geltungsanspruch an sich und die Welt hat und von daher vermittelt durch die kulturelle Praxis der Bindung an Sitten und Normen bedarf.7 Das Wissen um seine positionale Gleichgewichtslosigkeit wird ihm zum „Gewissen“8, dass er sein Leben in stetigem Ausgleich führen muss, so dass das Wie des Ausgleichs Geltung bekommt. Gleichwohl bleibt das Wie Ausdrucksmöglichkeit und hat keine notwendige Gestalt.9 6

Ebd. 317.

7

Vgl. ebd. 317.

8

Ebd. 317.

9

Ernst Wolfgang Orth macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass exzentrische Positionalität zwar den Zwang zum kulturellen Schaffen als notwendige Ausdrucksform begründet, „[a]ber im einzelnen begründet die exzentrische Positionalität nichts“ (Ernst Wolfgang Orth: Helmuth Plessners Anthropologiekonzeption und sein Begriff von Wissenschaft und Philosophie. In: Unter offenem Horizont. Anthropologie nach Helmuth Plessner, hg. von Jürgen Friedrich/Bernd Westermann (Frankfurt a.M. 1995) 67-74, 71). D.h. der menschliche Ausdruck muss zwar den Umweg über die Kultur nehmen, dabei begründet die exzentrische Positionalität aber nicht das Wie des Ausdrucks (vgl. dazu auch P. Wilwert: Philosophische Anthropologie als Grundlagenwissenschaft?, a.a.O. [Anm. 291]154). Das Verstehen seiner eigenen Gleichgewichtslosigkeit begründet für den Menschen in seiner Lebensführung zwar einen Anspruch an sich selbst als Mensch (vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 317). Diesen Anspruch aber unter eine spezifische Wertordnung mit ubiquitärer Gültigkeit zu stellen, widerspricht Plessners eigenem philosophischen Anliegen, das Leben zwar zu begreifen, aber in keinem „gewünschten Zweck eines Verständnisses des Lebens“ (Helmuth Plessner: Macht und menschliche Natur. Ein Versuch zur Anthropologie der geschichtlichen Weltansicht (1931). In: Macht und menschliche Natur. GS. Bd. 5, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 135-234,

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140). Auch Schürmann betont, „dass die Zurückhaltung in ethischer Engagiertheit das Ethos der Plessner’schen Philosophie, mithin Programm und nicht Defizit, ist, […]. […] Einzig verbindlich ist ihm [Plessner] die Unergründlichkeit des Mensch-Seins – und d.h. hier: Werte der Lebensführung mögen je in und für die jeweilige Lebensführung ernsthaft leitend sein, aber keinerlei philosophische […] Überlegung kann solche Werte als einzig-verbindlich ausweisen“; und fügt hinzu: „Freilich ist Plessners Version gleichsam dadurch definiert, dass sich in Sachen Ethik aus Exzentrizität nichts eineindeutig ergibt. Plessners Ethos ist das einer reflexiven Ethik: ein Grundsatz dazu, wie das Verhältnis der Anthropologie zur Ethik zu gestalten sei“ (V. Schürmann: Positionierte Exzentrizität, a.a.O. [Anm. 400] 85f.). In der Diskussion um das Verhältnis zwischen Anthropologie und Ethik sind aber auch weniger skeptische Positionen als diejenigen im Anschluss an Plessner zu finden. Das Verhältnis zwischen Anthropologie und Ethik weniger als ein skeptisches, sondern als ein prinzipiell positives zu bestimmen ist bspw. das Anliegen von Bermes in seinem Aufsatz Weltoffenheit und Integrität. Die ethische Bedeutung der Anthropologie. Bermes argumentiert darin, dass das anthropologische Streben des Menschen nach einer Selbstseinsbestimmung nicht ethisch neutral sein kann, denn dem Menschen gehe es „um seine eigene Integrität, d.h. die als Aufgabenstellung begriffene Übereinstimmung von Deutung und Sein, die sein eigenes Selbst betrifft“ (Christian Bermes: Weltoffenheit und Integrität. Die ethische Bedeutung der Anthropologie. In: Philosophische Anthropologie im Aufbruch. Max Scheler und Helmuth Plessner im Vergleich. Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Bd. 2, hg. von Ralf Becker/Joachim Fischer/Matthias Schloßberger (Berlin 2010) 213-229, 220). Grundsätzlich ist es richtig, wie auch Schürmann deutlich macht, dass Lebensführung an sinnstiftende Werte geknüpft ist, da Lebensführung ohne Wertorientierung nicht zu haben ist. Bermes positioniert sich jedoch (mit Scheler) bewusst gegen die Plessner’sche Ethik-Skepsis: „Es handelt sich hier nicht um die nüchterne Registrierung einer bloßen und variablen Wirklichkeit, sondern um die Anerkennung einer wertbestimmten Welt, in der der Mensch sich selbst nur mit und nach Wertbegriffen beschreiben und begreifen kann“ (ebd. 224f.). Auch hier ist Bermes dahingehend zuzustimmen, dass sich das Mensch-WeltVerhältnis als solches durch Orientierung stiftende Bedeutsamkeit auszeichnet. Allerdings erweckt das Plädoyer für das Streben nach Integrität in Form einer Übereinstimmung von Sollen und Sein den Anschein, dass es einen Punkt im Leben geben könne, an dem die Übereinstimmung von Deutung und Sein erlangt und insofern das sinnstiftende Werden der Lebensführung abgeschlossen, d.h. der Widerspruch zwischen Deutung und Sein aufgelöst sei. Mit Plessner kann es jedoch keinen solchen abgeschlossenen Prozess in der Lebensführung geben. Vielmehr bedeutet bei Plessner ein Leben zu führen, stets von neuem das Gleichgewicht zu verlieren, um dieses immer wieder auszugleichen. Die konstitutive Gleichgewichtslosigkeit als Aufgabe wür-

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Die Welt als Sinngefüge trägt die je kulturspezifischen Normen, Sitten, Institutionen usw., deren objektive Geltung mitweltlich, d.h. in der Sphäre des Sozialen, fundiert wird. Dem Begriff der Mitwelt ist in den bisherigen Ausführungen noch keine Beachtung geschenkt worden, obwohl dieser bei Plessner die Sphäre des Sozialen bezeichnet.10 Es wurde in diesem Kapitel zu Plessners Philosophide ihren Sinn verlieren, käme der Mensch an den Punkt einer vollkommenen Integrität, die sich durch das Verfügen über eine Übereinstimmung von Sein und Sollen auszeichnet. Mögliche Anknüpfungspunkte der vorliegenden Arbeit an ethische Überlegungen scheinen daher eher in der skeptischen Verhältnisbestimmung zu liegen, denn die Annahme exzentrisch positionierter Lebewesen bedeutet auch die Anerkennung „ihre[r] nicht feststellbare[n] Selbstspezifikation“ (Hans-Peter Krüger: Die Antwortlichkeit in der exzentrischen Positionalität. Die Drittheit, das Dritte und die dritte Person als philosophische Minima. In: Philosophische Anthropologie im 21. Jahrhundert, hg. von ders./Gesa Lindemann (Berlin 2006) 164-183, 179). 10 Plessner hat die Mitwelt zwar nicht als das Soziale bezeichnet. Insofern könnte hier der Vorwurf erhoben werden, dass mit der Gleichsetzung von Mitwelt und Sozialem eine Bedeutungsverschiebung einhergeht. In der vorliegenden Arbeit meint der Begriff Mitwelt die Lebenssphäre des Menschen, in der er überhaupt als Mensch ansprechbar wird, d.h. in der intersubjektiven Sphäre und damit im Sozialen. Matthias Schloßberger verweist bezüglich der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen von Intersubjektivität zudem auf ihre strukturmäßige Realisierung. Denn es ist „[d]ie Grundidee Plessners, dass die exzentrische Position eine immer schon intersubjektive Struktur ist, in der sich Menschen über die Wahrnehmung ihrer Körperleiber vermittelt zueinander verhalten“ (Matthias Schloßberger: Entfaltete Intersubjektivität. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Schelers und Plessners Sozialphilosophie. In: Philosophische Anthropologie im Aufbruch. Max Scheler und Helmuth Plessner im Vergleich. Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Bd. 2, hg. von Ralf Becker/Joachim Fischer/Matthias Schloßberger (Berlin 2010) 161-173, 171). Es geht Plessner darum „zunächst eine allgemeine Struktur aufzudecken, die alle Formen menschlichen Zusammenlebens begreifbar werden lässt“, bevor die „faktischen Unterschiede in den verschiedenen Kulturen und den Epochen der Menschheitsgeschichte“ (ebd. 163) betrachtet werden. Dies gilt auch für das reziproke Verstehen im körperleiblichen Ausdruck als Grundstruktur der Intersubjektivität: „Intersubjektivität lässt sich nicht aus der exzentrischen Positionalität ableiten, sondern ist eines ihrer Momente“ (Matthias Schloßberger: Von der grundlegenden Bedeutung der Kategorie des Ausdrucks für die Philosophische Anthropologie. In: Expressivität und Stil. Helmuth Plessners Sinnes- und Ausdrucksphilosophie, hg. von Bruno Accarino/Ders. (Berlin 2008) 209-217, 213) Die Mitwelt im Sinne des Sozialen als Sphäre der Intersubjektivität zu verwenden ist somit kaum ein Problem, da nach Plessner die ex-

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scher Anthropologie zunächst deren naturphilosophische Grundlagen sowie das Menschsein als solches betrachtet, um den in der Umweltsoziologie konstatierten Menschenbildern mit einem offenen Begriff des Menschen begegnen zu können. Dabei wurde insbesondere die der menschlichen Lebensform entsprechende Bezugsform zum Umfeld hervorgehoben, die sich als ein umwelthaftes Leben in Weltverhältnissen beschreiben lässt. Denn auf diesem Wege kann den reduktiven Bestimmungen der menschlichen Bezugsform in RCT und Lebensstilforschung kritisch begegnet werden. Was jedoch noch nicht eingehender betrachtet wurde, ist die Frage danach, in welchen Formen sich dem Menschen die Welt als erleb- und deutbare Wirklichkeit vermittelt. Der Mensch lebt sein Leben in Weltverhältnissen als eine Selbst-WeltBeziehung, da er die dazu notwendige positionale Distanz einnimmt. Diese Beziehung realisiert sich im Erleben von Welt als eine Wirklichkeit sui generis. Gemäß Plessners Feststellung, dass jede kategoriale Form eine phänomenale Entsprechung hat, ist dem Menschen durch seine dreifache Positionalität gewährleistet, dass ihm auch drei verschiedene Weisen des Welterlebens zuteilwerden. Plessner spricht, den drei Modi des Selbsterlebens – im Körper, als Körper und exzentrischer Blickpunkt – korrespondierend, diese Dimensionen als Innenwelt, Außenwelt und Mitwelt an.11 Alle drei Dimensionen begegnen dem Menschen als Realität sui generis. Mit der Mitwelt ist darüber hinaus eine Dimension angesprochen, die insbesondere für den soziologischen Kontext der vorliegenden Arbeit relevant ist. Denn bei Plessner ist die Mitwelt das intersubjektiv konstituierte Korrelat von Geist. D.h. Geist wird mit Plessner von seiner Bedeutung als im Menschen liegende Eigenschaft gelöst. Ihm kommt vielmehr ein genuin intersubjektiver Status zu, da er die Sphäre des Dazwischen ist. Insofern stellt Geist einen genuin sozialen Sachverhalt dar. Im folgenden Unterkapitel soll die Mitwelt eingehender betrachtet werden, denn durch die Realität der Mitwelt wird erst nachvollziehbar, warum sich der exzentrisch positionierte Mensch als ein solcher reflektieren kann. Die Mitwelt ist somit jene Wirklichkeit, durch die dem Menschen selbst einsichtig wird, dass er mehr ist, als die anthropologischen Reduktionismen umweltsoziologischer Provenienz suggerieren. Diese Einsicht betrifft auch jeden Umweltsoziologen und jede Umweltsoziologin. zentrische Positionalität die Mitwelt und insofern Intersubjektivität gewährleistet. Damit nicht gemeint ist eine Gleichsetzung von Mitwelt und sozialer „Umwelt“. Denn letztere stellt einen empirischen Sachverhalt dar und ist insofern nicht mit der Struktur einer Existenzsphäre gleichzusetzen (vgl. dazu H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 306). 11 Vgl. ebd. 293.

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Vor allem aber ist die Mitwelt für die am Ende der vorliegenden Arbeit stehende Aufgabe relevant, eine soziologische Perspektive mit phänomenologischhermeneutischer Intention systematisch einzuführen und der Umweltsoziologie dadurch als neuen Zugang zu ihrem Forschungsgegenstand bereitzustellen. Denn mit dem nun folgenden Aufweis der mitweltlichen Vermitteltheit von SelbstWelt-Beziehungen kann im letzten Kapitel verständlich werden, inwiefern die Gründe für die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ als in der Realisierung und dem Erleben von spätmodernen Selbst-WeltBeziehungen liegende betrachtet werden müssen. 3.3.3 Die Mitwelt als Träger von Selbst-Welt-Beziehungen Das Menschsein, das sich der Struktur nach als ein Leben in Weltverhältnissen vollzieht, wirft die Frage auf, inwiefern dieses Leben phänomenal zur Erscheinung kommt. Die eigene Erfahrung lehrt, dass einerseits das Selbst in Form von Gefühlen, Gedanken, deren Verstrickungen und des Wollens erlebt wird. Andererseits werden Dinge als außerhalb seines Selbst liegend erlebt. Als selbstständige Dinge und Sachverhalte, auf die sich das Bewusstsein als Vollzugsgeschehen in diesem Geschehen richten kann, erscheinen sie im Modus der „Eigengegründetheit“1 und begegnen insofern als weltlich verfasstes Außen. Zudem steht dieses Erleben von innerem Selbst und äußerer Welt stets im Verhältnis zu Anderen. Denn die Möglichkeit sich als ein Ich-Selbst wahrzunehmen, wäre ohne ein gegenüberstehendes Du sowie das Wissen um das allgemeine Wir, indem sich der eigene Körper als Körper unter anderen befindet, nicht gegeben. Mit anderen Worten: Durch den Vollzug dieses körperleiblichen Doppelaspekts des Miteinanderseins wird das Erleben einer Selbst-Welt-Beziehung gewährleistet. Anstatt jedoch diese drei Sphären des Selbstseins, Weltseins und Miteinanderseins als voneinander getrennte und dadurch von jeweils anderen Voraussetzungen bestimmte Sphären zu behandeln, entwickelt Plessner alle drei aus demselben Prinzip, der exzentrischen Positionalität, die Bedingung des Menschseins ist. Das Erleben von Welt als eine dreidimensionale Wirklichkeit zeichnet insofern das menschliche Leben aus. In der Begründung dieser Dreidimensionalität spielt erneut die Kategorie des Doppelaspekts für Plessner eine zentrale Rolle, da jede dieser Dimensionen auf einem anderen Doppelsapekt im menschlichen Verhältnis zur Welt gründet, wie die nachstehenden Ausführungen deutlich machen.

1

Ebd. 293.

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3.3.3.1 Die Begründung von Innen-, Außen- und Mitwelt Im Folgenden wird zunächst kurz auf die Begründung des Innen- und Außenweltverhältnisses des Menschen eingegangen, da beide durch die exzentrische Positionalität ermöglicht werden und somit auf der Wirklichkeit des Mitweltverhältnisses fußen. Denn die Mitwelt ist die Sphäre der Exzentrizität und insofern zugleich mit letzterer gewährleistet.1 D.h. Innen- und Außenwelt, die im Erleben als eine gleichursprüngliche Selbst-Welt-Beziehung in Erscheinung treten, stehen zur Mitwelt wie zur exzentrischen Positionalität in einem Ermöglichungsverhältnis. Um die Differenz zwischen diesen drei Dimensionen herausstellen zu können, differenziert Plessner diese in Körper, Seele und Geist, wobei letzterer seinen systematischen Ort in der Sphäre der Mitwelt einnimmt. Körper und Seele korrespondieren hingegen mit dem Außen- und Innenwelterleben. Der Begriff der Innenwelt ist in dieser Arbeit bereits in Zusammenhang mit Uexkülls Schema des Funktionskreises aufgetreten (vgl. 2.2.2). Allerdings meint die Innenwelt des Tieres im Uexküll’schen Sinne etwas anderes als der Sachverhalt, den Plessner mit diesem Begriff beschreibt. Entsprechend lehnt Plessner den Innenweltbegriff Uexkülls zur Beschreibung der menschlichen Bezugsweise explizit ab.2 Die Innenwelt-Bezüglichkeit ist mit Plessner „die Welt ‚im‘ Leib, das, was das Lebewesen selbst ist“.3 Damit dieses Selbst-Sein als eine SelbstWirklichkeit realisiert werden kann, muss die Innenwelt als Doppelaspekt von Seele und Erlebnis auftreten, dessen Möglichkeit auf der exzentrischen Positionalität gründet.4 Gemäß der formalen Struktur des Doppelaspekts zeichnet sich das Selbst-Sein somit durch die beiden Aspekte Seele und Erlebnis aus, die als Aspekte auf die Realität des Selbst verweisen. D.h. zum einen realisiert der Mensch im Erlebnis seine psychische Realität. Zum anderen ist der Realisierungsvollzug dieser psychischen Wirklichkeit an den Aspekt der leiblichen Gegebenheit des Selbst – er erlebt sein Erleben – geknüpft, so dass sich der Dop1 2

Vgl. ebd. 302. Vgl. ebd. 248. Uexküll entwirft die Innenwelt als organische Repräsentationen der Umweltbeziehung. Diese Repräsentationen, bestehend aus Merk- und Wirkorgan, beherbergen die Schemata der Umweltobjekte als eine planmäßige Gegenwelt, wodurch Merk- und Wirkorgan den Kontakt zur Umwelt, der aus Merken und Wirken besteht, über den Körper vermitteln. Uexküll bleibt damit epistemologisch mit seinem Innenweltbegriff in der Beschreibung eines subjektivistisch bedingten Sachverhalts. Plessner hingegen drückt mit dem Begriff der Innenwelt einen phänomenologisch explizierbaren Sachverhalt aus, der somit im Vollzug seiner Realisierung konstitutiv an einen zu erlebenden Gegenstand geknüpft ist.

3

Ebd. 295.

4

Vgl. ebd. 295.

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pelaspekt von Selbststellung (Seele) und Gegenstandsstellung (Erlebnis) als Innenwelterleben konstituiert.5 Als ‚Substanz‘ ist das Innenwelterleben somit für seine Verwirklichung aspektiv auf den strukturmäßigen Bruch der menschlichen Lebensform angewiesen, da auf diesem die Notwendigkeit gründet, die Gegensinnigkeit von Selbst- und Gegenstandsstellung in Einklang zu bringen. Denn der Ausgleich dieses Bruchs ist die Selbst-Realisierung und muss insofern ständig vollzogen werden. In diesem doppelaspektiven Innenwelterleben liegt somit das erste phänomenale Konstitutivum der menschlichen Selbst-Welt-Beziehung, die der Mensch als ein Ich-Selbst eingeht, um das Leben, das er lebt, führen zu können. Das Außenweltverhältnis bildet das zweite Konstitutivum von Selbst-WeltBeziehungen. Auch dieses wird von Plessner mittels eines Doppelaspekts konzipiert: das Zugleich aus Körper-Haben und Leib-Sein.6 Als Aspekte verweisen diese auf das Außenwelterleben des Menschen als ihre ‚Substanz‘. Denn die Exzentrizität des Menschen ermöglicht diesem, sich von außen zu betrachten, d.h. als Körper unter anderen Körpern anzuschauen. Dabei bleibt er aber qua Positionalität zugleich auf seinen Leib bezogen. Obwohl beide Stellungen nicht ineinander überführbar sind, sind sie als Doppelaspekt jedoch untrennbar miteinander verknüpft. Dadurch wird es dem Menschen möglich, seinen Körper als Teil der Außenwelt und zugleich leiblich als seinen Körper wahrzunehmen. Insofern ist ihm das Außenwelterleben durch das doppelaspektive Zugleich von Leib-Sein und Körper-Haben im Außenweltverhältnis gegeben. Da sowohl Körper-Haben als auch Leib-Sein auf der exzentrischen Positionalität gründen, präsentieren sich auch Außenwelt und Positionsfeld (Umfeld) als radikal gegensinnig und insofern als nicht ineinander überführbar.7 Das Positionsfeld ist korrelativ zur Positionalität eines Lebewesens räumlich und zeitlich absolut und somit nicht relativ bestimmbar. Insofern ist das Positionsfeld „die das Leben umgebende Gegenwart“.8 Gegenstände der Außenwelt sind hingegen 5

Vgl. ebd. 296.

6

Vgl. ebd. 294f.

7

Vgl. ebd. 295.

8

Ebd. 199. Plessner betont, dass der Begriff des Lebensraums aufgrund seiner Bedeutung im Sinne der relativen Räumlichkeit zur Beschreibung des Umfelds vermieden werden sollte (vgl. ebd. 200). Als absolutes, gegensinniges Verhältnis zwischen Positionalität und Positionsfeld pointiert der Begriff der Gegenwart hingegen das notwendige Existieren eines Organismus als reziprokes Verhältnis zu seinem Umfeld: „Wie der Begriff Gegenwart andeutet, ist das, was gegenwärtig ist, nicht einfach nur anwesend [...], sondern in seinem Fortwähren und Andauern ,gegen‘. Es ist in diesem Charakter notwendig auf ein Leben bezogen, welches als geschlossenes System in seiner

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relativ zu ihrem Ort und ihrer Zeit bestimmbar. Als Gegenstand ist somit auch der eigene Körper im Moment seiner außenweltlichen Anschauung relativ zu seinem Ort und zu seiner Zeit und damit wie alle anderen Gegenstände in der Außenwelt austauschbar. Kraft der Exzentrizität ist das Umfeld in der Anschauung aber der Außenwelt eingegliedert, da Exzentrizität im Vollzug des Umfeldbezugs die Abgehobenheit vom eigenen Körper bedeutet (Außer-sich-Sein) und die Anschauung des eigenen Körpers unter Körpern ermöglicht. Die LeibUmfeld-Korrelation und die Körper-Außenwelt-Korrelation treten somit als strukturmäßiger Bruch zwischen absolutem Hier-Jetzt und der Abgehobenheit vom eigenen Leib in Erscheinung: „Beide Aspekte bestehen nebeneinander, vermittelt lediglich im Punkt der Exzentrizität, im unobjektivierbaren Ich“.9 Exzentrisch positioniert vermittelt sich dem Menschen somit sein Innen- und Außenwelterleben als eine Gleichursprünglichkeit. D.h. er erlebt sich nicht einmal als Selbst und einmal als Körper. Beide Wirklichkeiten sind dem Menschen, im exzentrischen Blickpunkt stehend, zugleich als leiblich vermittelte psychophysische Einheit gegeben sowie ihm auch der Bruch zwischen beiden gegeben ist: „Ihm ist der Umschlag vom Sein innerhalb des eigenen Leibes zum Sein außerhalb des Leibes ein unaufhebbarer Doppelaspekt der Existenz, ein wirklicher Bruch seiner Natur“.10 Der Mensch selbst ist somit der Bruch zwischen Innenund Außenwelt und daher auch deren Einheit, die als eine gleichursprüngliche Beziehung zwischen Selbst und Welt erlebt wird. Die gleichursprüngliche Vermittlung von Selbst und Welt wird dabei von der Mitwelt getragen. Im Unterschied zum Innen- und Außenwelterleben wird die Mitwelt als Wirklichkeitssphäre jedoch nicht von der exzentrischen Positionalität als „Grund bestimmter Wahrnehmungen“11 ermöglicht. Als Wirklichkeitssphäre entspricht die Mitwelt vielmehr ganz eigentlich der Struktur der exzentrischen Positionalität selbst: „Mitwelt ist die vom Menschen als Sphäre anderer Menschen erfaßte Form der eigenen Position. Man muß infolgedessen sagen, daß durch die exzentrische Positionsform die Mitwelt gebildet und zugleich ihre Realität gewährleistet wird“.12 Plessner modifiziert damit im Vergleich zu den anderen beiden Konstitutiva der Selbst-Welt-Beziehung die Begründung hinsichtlich des mitweltlichen Erlebens. Sind dem Erleben von Innen- und AuPositionalität von einem gegensinnig zu ihm gesetzten Umfeld umschlossen ist. Was in diesem Umfeld auftritt [...], begegnet dem Organismus, bildet seine Gegenwart. In diesem Gegenfeld existiert der Organismus: er ist mit ihm und gegen es“ (ebd. 201). 9

Ebd. 295.

10 Ebd. 292. 11 Ebd. 302. 12 Ebd. 302.

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ßenwelt als eigenständige Realitäten spezifische psychisch-leibliche und körperleibliche Wahrnehmungsfähigkeiten vorgängig, deren der Mensch qua seiner Exzentrizität fähig ist, ist für das Erleben der Mitwelt als Realität die exzentrische Positionalität keine Voraussetzung in diesem Sinne. Exzentrizität gewährleistet die Mitwelt, wodurch die Existenz der Mitwelt gewährleistet, „daß ein Lebewesen sich in seiner Stellung erfassen kann, nämlich als ein Glied dieser Mitwelt“.13 D.h. die Setzung der eigenen individuellen Ich-Struktur impliziert, dass zugleich die Andere in den konkreten Modi des Du, Er, Wir gegeben ist. Exzentrisch positioniert erkennt sich der Mensch als exzentrisch positioniert in der Begegnung mit anderen Lebewesen exzentrischer Positionalität, denn diese Form der Begegnung ist nur in der Sphäre der Exzentrizität, der Mitwelt, möglich. Das bedeutet, dass Exzentrizität und Intersubjektivität gleichursprünglich sind und die Exzentrizität somit keine fundierende, sondern eine gewährleistende Funktion erfüllt. Die Mitwelt ist damit die Sphäre, in der dem Menschen seine Selbst-Welt-Beziehung (als ein Personsein) intersubjektiv, zwischenleiblich vermittelt ist, d.h. sowohl als individuelles Ich (Selbst) als auch als allgemeines Ich (Welt).14 Wenn die Innen- und Außenweltbeziehung im Vollzug der psychophysischen Einheit des Menschen als spezifische Wahrnehmungsweisen (Leibseele und Körperleib) realisiert werden und die Mitwelt dabei die Vermittlung der Be13 Ebd. 302f. 14 Plessner betont, dass die Mitwelt auch real wäre, wenn nur eine Person existieren würde, da das allgemeine Wir qua Exzentrizität realisiert ist (vgl. ebd. 304). Denn „Geist […] ist die Sphäre, kraft deren wir als Personen leben, in der wir stehen, gerade weil unsere Positionsform sie erhält“ (ebd. 304). Als Sphäre gewährleistet der Geist die Gegenwärtigkeit eines Selbst als Person, die zugleich in einem Innen- und Außenweltbezug steht. Das Verhältnis des Selbst zu sich selbst ist in der Mitwelt also wie das zu einer Person. Krüger beantwortet dementsprechend die Frage nach der Ermöglichung einer Welt in Innen- und Außenwelt mit dem personalen Verhältnis, das eine Person zu sich selbst hat: „Wenn man das Verhältnis der Person zu sich wie ein Verhältnis zwischen Personen versteht, d.h. als die ‚Wir-form des eigenen Ichs‘“ (Hans-Peter Krüger: Geist in der lebendigen Natur. Schelers Konzeption des verlebendigten Geistes und Plessners Konzeption der exzentrischen Positionalität. In: Philosophische Anthropologie im Aufbruch. Max Scheler und Helmuth Plessner im Vergleich. Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Bd. 2, hg. von Ralf Becker/Joachim Fischer/Matthias Schloßberger (Berlin 2010) 51-62, 60). Obwohl es nur einer Person zur Verwirklichung von Geist bedarf, so hat sie ihre Konstanz doch erst als Element der Mitwelt, d.h. in intersubjektiven Beziehungen zu anderen Personen.

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ziehung zwischen Selbst und Welt trägt, stellt sich die Frage, welcher Sachverhalt diese mitweltliche Vermitteltheit gewährleistet. An diesem Punkt der Beschreibung des menschlichen Lebensvollzugs gelangt Plessner zu jenem Begriff, der im Idealismus den begründenden Aspekt des Menschseins ausmacht, hingegen im Naturalismus lediglich eine biologisch determinierte Begleiterscheinung bezeichnet: der Geist. Anstatt sich jedoch für einen der beiden Ansätze entscheiden zu müssen, ist es im systematischen Aufbau der Plessner’schen Anthropologie bereits angelegt, beide Seiten miteinander zu verschränken. Da der Mensch als exzentrisch positioniertes Wesen ein Leben in natürlicher Künstlichkeit realisiert, wird die Beibehaltung des Dualismus Natur/Kultur und insofern auch Körper/Geist obsolet. Denn die menschliche Lebensführung zeichnet sich durch die Verschränkung beider Momente zur Einheit aus (natürliche Künstlichkeit als Verschränkung von Umwelthaftigkeit und Weltoffenheit). Inwiefern lässt sich also das Mitwelterleben als ein geistiger Vollzug begründen, ohne dabei in das Entweder-Oder von Idealismus und Naturalismus zurückzufallen? Auch in der Begründung des Geistes arbeitet Plessner mit der Figur des Doppelaspekts. Zur Erscheinung kommt dieser Doppelaspekt als die Gegensinnigkeit von individuellem Ich und allgemeinem Ich: „Die Exzentrizität, auf welcher Außenwelt (Natur) und Innenwelt (Seele) beruhen, bestimmt, daß die individuelle Person an sich selbst individuelles und ‚allgemeines‘ Ich unterscheiden muß“.15 Das Erleben des individuellen Ichs ist dabei auf die Hier-JetztPositionalität, das Erleben des allgemeinen Ichs auf die Exzentrizität angewiesen, d.h. beide Erlebensweisen sind dem Menschen zugleich qua exzentrischer Positionalität gegeben. Das allgemeine Ich, das die Gegebenheit des/der Anderen voraussetzt, wird im Modus der Wir-Form vollzogen, wodurch sich ein menschliches Lebewesen erst als ein individuelles Ich, d.h. als Person, begreift. Diese Wir-Form der eigenen Existenz ist jener Vollzug, den Plessner Geist nennt: „[S]o beruht der geistige Charakter der Person in der Wir-form des eigenen Ichs, in dem […] einheitlichen Umgriffensein und Umgreifen der eigenen Lebensexistenz nach dem Modus der Exzentrizität“.16 Geist ist mit Plessner somit die Sphäre des Dazwischen, die „[z]wischen mir und mir, mir und ihm“17 immer schon besteht, da sie durch die Exzentrizität gewährleistet wird. Denn nur im exzentrischen Blickpunkt ist die Unterscheidung von individuellem und allgemeinem Ich möglich und insofern die Realisierung einer Selbst-Welt-Beziehung. Die Sphäre des Geistes, die als Mitwelt realisiert ist, vollzieht sich somit performativ an der

15 Ebd. 300. 16 Ebd. 303. 17 Ebd. 303.

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Person, „indem sie zugleich von ihr getragen und gebildet wird“.18 Im Mitweltverhältnis, das sich durch die Realisierung des Doppelaspekts von individuellem und allgemeinem Ich auszeichnet, ist somit auf die personale Geiststruktur als seine ‚Substanz‘ verwiesen. Selbst und Welt realisieren sich damit in der interpersonalen Begegnung, wodurch sich die Mitwelt als Träger von Selbst-WeltBeziehungen erweist. Die Triade von Innen-, Außen- und Mitwelt als Formen des Wirklichkeitsbezugs konstituieren im menschlichen Erleben somit eine dreidimensionale und insofern komplexe Wirklichkeit von Welt, die als Seele, Körper und Geist leiblich vermittelt ist. Die Seele bildet die den Menschen mit einer psychischen Realität erfüllende Wirklichkeit seines Selbst, dessen real sein im leiblichen Erleben zugleich erfasst und vollzogen wird. Die Außenwelt ist die das Selbst umgebende, gegenstandserfüllte Realität, in deren Mitte es steht. Zugleich ist die Außenwelt aber auch – vom Blickpunkt der Exzentrizität aus – das relative Raum-ZeitKontinuum, in dem sein Körper einer unter vielen ist und er insofern selbst Teil dessen ist, was als äußere Natur19 bezeichnet wird. Die Mitwelt wiederum trägt die Selbst-Welt-Beziehung als eine personale Existenz durch die in ihr gewährleistete Vermittlung zwischen individuellem und allgemeinem Ich.20 Menschliches Leben ist somit von Welt erfüllt, umhüllt und getragen. Es ist als ein Selbst leiblich in sie hinein gestellt: fühlend, denkend, wollend, handelnd, und doch als Körper Teil dieser Welt. Seine Ichhaftigkeit und die der Anderen erlebt er dabei in den Vollzügen seiner Lebensführung vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Existenzweise, die durch die Sphäre des Geistes gewährleistet ist, wie die nachstehenden Ausführungen verdeutlichen.21 18 Ebd. 303. 19 Vgl. dazu ebd. 300. 20 Vgl. ebd. 303. 21 Auch Nico Lüdtke geht in diesem Zusammenhang von der Gleichursprünglichkeit von Exzentrizität und Mitwelt aus und betont: „Es wäre also unmöglich, dass ein exzentrisches Wesen, das auf sein Erleben noch einmal bezogen ist, ohne die Erfahrung von mitweltlichen Verhältnissen existiert. Und umgekehrt kann die Erfahrung eines Miteinanders mit Anderen nicht ohne die doppelte Rückbezüglichkeit im Lebensvollzug auftreten“ (Nico Lüdtke: Die konstitutiven Bedingungen von Personalität und Sozialität – Konzeptuelle Antworten von George Herbert Mead und Helmuth Plessner. In: Akteur – Individuum – Subjekt. Fragen zu ‚Personalität‘ und ‚Sozialität‘, hg. von Ders./Hironori Matsuzaki (Wiesbaden 2011) 239-274, 256). D.h. die Erfahrung der eigenen Ich-Rückbezüglichkeit bedeutet, dass prinzipiell die Möglichkeit anderer Lebewesen mit exzentrischer Verfassung gegeben ist, der Mensch somit als exzentrisches Wesen die Gewissheit hat in einem Mitweltverhältnis zu leben, in dem ihm an-

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dere Menschen begegnen (vgl. dazu auch Gesa Lindemann: The Lived Human Body from the Perspective of the Shared World (Mitwelt). In: The Journal of speculative philosophy 24 (2010), no. 3, 275-291, 282). An diesen Ausführungen wird erneut deutlich, dass sich das menschliche Leben nicht an biologischen Merkmalen festmachen lässt, sondern als qualitatives Vollzugsgeschehen des Lebendigen erfasst werden muss. Plessner betonte deshalb: „Mensch sein ist an keine bestimmte Gestalt gebunden und könnte daher auch […] unter mancherlei Gestalt stattfinden, die mit der uns bekannten nicht übereinstimmt.“ ([Hervorhebung KB] H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 293) Auch Lüdtke geht davon aus, dass Exzentrizität „nicht zwangsläufig mit einem fest umrissenen Kreis von Lebewesen identifiziert werden kann“ (N. Lüdtke: Die konstitutiven Bedingungen von Personalität und Sozialität, a.a.O. [Anm. 449] 265). Menschsein, geschweige denn Exzentrizität, ist kein naturalistischer Tatbestand. Plessners Vitalkategorien als naturale Tatbestände zu lesen, würde dem naturphilosophischen Anspruch der Stufen nicht gerecht. Plessner selbst wusste zwar um diese Gefahr, wie Schürmann einlenkt: „Aber man kann auch wissen, dass dies nur der halbe Plessner ist“ (V. Schürmann: Plessners parteiliche Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 19). Zu sagen, es gebe den Menschen von ,Natur‘ aus nicht (vgl. N. Lüdtke: Die konstitutiven Bedingungen von Personalität und Sozialität, a.a.O. [Anm. 449] 265) birgt jedoch zugleich die Gefahr einer Reduktion des Naturbegriffs auf naturalistische Tatbestände, so dass die Möglichkeit eines qualitativen Naturbegriffs, wie er etwa in Plessners Gesetz der natürlichen Künstlichkeit anklingt, aus dem Blick gerät. Folgt man aber diesem Gedanken, könnte das Lebewesen Mensch sowie jegliches andere Lebewesen als Ausdruck qualitativer Natur betrachtet werden.

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3.3.3.2

Die mitweltliche Vermitteltheit von Selbst-Welt-Beziehungen Die Sphäre des Geistes, deren Realisierung die Mitwelt ist, ist kein Wissen um sich, um die Anderen oder um die Außenwelt, sondern eröffnet diese Möglichkeit: „Gerade weil das exzentrisch geformte Lebewesen durch seine Lebensform der naturgewachsenen, mit der geschlossenen Organisation gegebenen Frontalität […] enthoben und in ein Mitweltverhältnis zu sich (und zu allem was ist) gesetzt ist, vermag es die Undurchbrechbarkeit seiner Existenzsituation […] zu bemerken“.1 Aufgrund seiner exzentrischen Positionalität versteht der Mensch seine Lebenssituation, weiß er um seine eigene Exzentrizität und um die der anderen Wesen, die ihm als Personen begegnen, sowie um die nicht-exzentrischen Bezugsweisen nicht-menschlicher Lebewesen und das nicht-lebendig Sein einfacher Dinge.2 Und insofern die Sphäre des Geistes, die Mitwelt, der Exzentrizität entspricht, ist es die Mitweltbeziehung zu allem gegenwärtig Seiendem, welche die Realisierung von Selbst-Welt-Beziehungen trägt. Die Mitwelt ist somit die genuine Wirklichkeit, in der der Mensch sein Leben als eine Selbst-WeltBeziehung führt. Was bedeutet es jedoch für die Lebensführung, wenn die Selbst-Welt-Beziehung in ihrer Realisierung mitweltlich vermittelt ist? In den Vollzügen seines Lebens, die der Realisierung einer Selbst-WeltBeziehung dienen, bildet der Mensch seine Individualität aus, indem er sich eine

1

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 305f.

2

Krüger betont diesbezüglich, dass diese Fähigkeit der Unterscheidung erst dort möglich wird, wo das Lebewesen das organische Leben übersteigt – also in der Sphäre des Geistes, d.h. der Mitwelt: „Das Wichtigste ist nun […], dass die Unterscheidung zwischen innen und außen nicht vom Standpunkt des Organismus aus gebildet wird, sondern aus der ‚Mitwelt‘ heraus“ (H.-P. Krüger: Die Körper-Leib-Differenz von Personen, a.a.O. [Anm. 264] 584). Der Bezugspunkt der Unterscheidung steht demnach über dem bloßen Organismus-sein und ist insofern exzentrisch. Die Innenwelt/Außenwelt-Differenz bzw. die Leib/Körper-Differenz zu vollziehen, an sich und an anderen, wird erst in der Mitwelt möglich und gewährleistet dadurch Relationen zwischen Personen (mir und ihm, mir und mir): „Wir haben es hier, in der Mitwelt, mit der für Plessner letzten theoretisch-methodischen Freilegung der Ermöglichungsstruktur personalen Lebens zu tun. Sie betrifft eine ambivalente, in sich brüchige Struktur (‚Hiatusgesetzlichkeit‘), die sich daher nur im geschichtlichen Prozess leben lässt. Sie stellt die stets erneute Aufgabe, Leib und Körper zu verschränken“ (ebd. 585f.). Die Mitwelt ist somit der notwendige Referenzpunkt für den Menschen, um das Leben seiner personalen Struktur gemäß führen zu können, d.h. als Selbst-WeltBeziehung.

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umwelthafte Stellung in der Welt schafft.3 Getragen von der Gewissheit des Ich, Du, Er/Sie, Wir versteht er dabei sowohl seine Einzigartigkeit als auch seine Ersetzbarkeit: „Die […] Vertretenheit und Ersetztheit jedes Einzelnen durch jeden Anderen in Form des Wir bildet den Hintergrund, von dem sich der Einzelne als Individualität abhebt. Er ist ja im Grunde dasselbe wie der Andere, er steht wo der Andere steht, und der Andere nimmt seinen Platz ein. Deshalb kann der Andere in außenweltlicher und innenweltlicher Wirklichkeit die Position innehaben, die jeder Mensch in seinem absoluten Hier besitzt, oder –‚ er hätte auch der Andere werden können‘. An seiner wirklichen Ersetzbarkeit und Vertretbarkeit hat der einzelne Mensch Gewähr und Gewißheit der Zufälligkeit seines Seins oder seiner Individualität“.4 Die Realisierung der Selbst-Welt-Beziehung als individuelle Person, die er aufgrund seiner dreifachen Stellung ist, findet somit stets im sozialen Kontext, d.h. in der Auseinandersetzung mit dem Du und dem Wir seines Ichs, statt. Plessner schafft damit einen Übergang von der anthropologischen Systematik zu ihrer konkreten Anwendung auf die tatsächliche Lebenspraxis des Menschen als in die Welt gestellte Person. Dadurch kann nun im Folgenden die systematische Bedeutung der Mitwelt als Träger von Selbst-Welt-Beziehungen für die Umweltsoziologie aufgezeigt werden. In der Auseinandersetzung mit der Welt ist der Mensch sinnvoll in sie eingebettet. Sowohl psychisch als auch körperleiblich in ihr situiert, führt der Mensch sein Leben denkend, fühlend, wollend und handelnd als Person in Beziehung zu anderen Personen und zu den Objekten seiner umwelthaften Welt. Getragen von sozialen Normen, Werten, Institutionen und Strukturen, die dem Menschen als sinnhafte Vermittlungsmedien von Welt begegnen, drückt er sich zugleich durch die Verkörperung dieser sinnhaften Formen in der Welt aus. Selbst und Welt realisieren sich somit in einer mitweltlich vermittelten Beziehung, die in Korrelation zum Menschsein steht, denn „[i]hr Specficum [der Mitwelt] ist die Lebendigkeit und zwar in ihrer höchsten, der exzentrischen Form“.5 Lebendigkeit in dieser Form meint mit Plessner das exzentrische Prinzip, das sich als ein Leben in Weltverhältnissen äußert. Die Weltverhältnisse sind nichts vorgängig Gegebenes, an deren Prinzipien sich die Natur des Menschen bildet. Sie sind der Sinn3

Krüger verweist darauf, dass der Weltrahmen dabei die Präsupposition personaler Praxis ist, die der geschaffenen sozio-kulturellen Umwelt zugrunde liegt (vgl. H.-P. Krüger: Gehirn, Verhalten und Zeit, a.a.O. [Anm. 359] 33). Die Mensch-WeltKorrelation ist insofern eine Voraussetzung, hinter die sich nicht zurückgehen lässt. Einseitige Anpassungstheoreme an eine objektive Welt können damit zurückgewiesen werden.

4

Ebd. 344.

5

Ebd. 302.

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horizont, der sich dem Menschen seiner Form nach eröffnet, denn sinnstiftende Bedeutungen entstehen nur einem Lebewesen das exzentrisch positioniert ist und somit eine mitweltliche Existenz führt. Diese mitweltlich vermittelte Existenz, die als gleichursprüngliche Selbst-Welt-Beziehung zum Ausdruck kommt, ist als Realität beobachtbar. Die Gegenstände der soziologischen – hier speziell der umweltsoziologischen – Betrachtung stehen daher stets im Kontext der Realisierung von Selbst-Welt-Beziehungen, deren Realisierungsweisen gleichwohl nicht unabhängig von den mitweltlich vermittelten Weltverhältnissen sind. Mit dieser Einsicht ist jedoch nicht gemeint, dass aufgrund dieser Korrelativität von Mensch und Welt Natur darin als von Menschen konstruierte, sinnhafte Form aufgeht. Natur jedoch als etwas Vorgegebenes auszuweisen, nach dessen Prinzipien der Mensch determiniert sei, greift ebenfalls zu kurz. Zur Natur gehört mit Plessner nicht nur das Vertraute. Zugleich ist Natur auch das (unheimliche) Fremde und Unbestimmte, wie Plessner in seiner Schrift Macht und menschliche Natur von 1931 deutlich macht. Denn der Gegensatz von Vertrautheit und Fremdheit wird von ihm „als zur Wesensverfassung des Menschen gehörig begriffen, und zwar gerade dadurch, daß eine konkrete Wesensbestimmung von ihm abgehalten, er als offene Frage oder Macht behandelt wird“.6 Qua Korrelativität sind somit sowohl Mensch als auch Welt – und damit auch das, was mit Natur angesprochen ist – unbestimmt und damit etwas Unverfügbares. Aufgrund seines Wissens um diese Unbestimmtheit bettet sich der Mensch umwelthaft in einen sinnhaften Weltrahmen ein, „innerhalb dessen ihm alles bekannt, vertraut und natürlich, seinem Wesen gemäß und notwendig, außerhalb dessen ihm alles unbekannt, fremdartig und unnatürlich erscheint. Wo die Horizontlinie läuft, kann er nicht vorausbestimmen und liegt nicht eher fest, als bis es durch ihn festgelegt wird“.7 Dem Wissen um seine Macht zur Gestaltung korrespondiert die Angst vor dem Fremden, „weil das Fremde nicht bloß ein Anderes ist“.8 Das Andere ist zwar anders, da es verschieden ist, aber es ist nichts Fremdes und bleibt dadurch für den Menschen erklärbar. Das Fremde und Unverfügbare jedoch birgt die Gefahr des Machtverlustes und damit den Verlust des selbst geschaffenen Gleichgewichts. Es bedeutet für den Menschen den Entzug der Verfügbarkeit über sein Selbst und das, was (s)eine umwelthafte Grenze sei. Der immer wieder entstehende und zu lösende Konflikt, um das eigene Selbstverständnis, gründet auf dieser Begegnung mit dem Fremden.9 Gäbe es kein Frem6

H. Plessner: Macht und menschliche Natur, a.a.O. [Anm. 425] 192.

7

Ebd. 192.

8

Ebd. 193.

9

Dazu gehört ebenso Plessners Entscheidung, den Menschen als exzentrisch positioniert zu begreifen. Plessner weiß um die geschichtliche Bedingtheit dieser Entschei-

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des, bräuchte es auch keine fortwährende Festlegung eines Vertrauten: „Die Sphäre der Vertrautheit ist also nicht von ‚Natur‘ begrenzt und erstreckt sich (gleichsam außergeschichtlich) bis zu einer gewissen Grenze, sondern sie ist offen“10 und erfordert daher keinen abschließenden, sondern einen verstehenden, erschließenden Umgang mit der Welt und der eigenen Situiertheit in ihr. Dass dieser verstehende Umgang mit dem Menschsein und dem Weltsein im Angesicht des Fremden dabei ein mitweltlich getragener ist, zeigt sich daran, dass der Mensch eben nicht in seinem Hier aufgeht (gleich der Lebenssituation des Tieres), sondern sich „im Dort des Anderen“11 sieht: „Denn das Fremde ist das Eigene, Vertraute und Heimliche im Anderen und als das Andere und darum […] das Unheimliche“.12 Das unvertretbare Eigene wird im Anderen als unheimliches Fremdes erkannt und verlangt, insofern es ein ebenso Eigenes ist, einen verstehenden Umgang mit ihm, da es als ein Unverfügbares nicht angeeignet werden kann, aber gleichermaßen eine Geltung hat. Aber erst auf dem Hintergrund der mitweltlich zum Ausdruck gebrachten Weltverhältnisse wird die Bedeutung des Gegensatzes zwischen dem angeeigneten Vertrauten und dem zu verstehenden Fremden für die Lebensführung erschließbar. Für die Umweltsoziologie ergibt sich aus diesen Überlegungen die Möglichkeit eines systematischen Neuansatzes, in dem nicht nur das in die Betrachtung einbezogen wird, was als dung und betont: „Wir müssen ihn [den Menschen] nicht so begreifen, aber wir können es“ (ebd. 148). Schürmann spricht bezüglich Plessners Entscheidung, den Menschen als ein exzentrisch positioniertes Wesen zu begreifen, aus diesem Grund von einer „positionierten Exzentrizität“, wodurch jegliche, auch Plessners, anthropologische Bestimmung als geschichtlich bedingtes Politikum deutlich wird. Natur als Fremdes hat dann bei Schürmann mit Plessner auch die Rolle, dem Menschen den Bruch an sich selbst, d.h. das Verhältnis zwischen Macht und Ohnmacht, als zu seinem Leben gehörig begreiflich zu machen. Spitzbübisch pointiert Schürmann: „Das Konzept der positionierten Exzentrizität ist diejenige Philosophie, die den Welterfolg von Asterix erklärt: Natur als Fremdes zu denken heißt, in spielerischer Weise darauf gefasst zu sein, dass einem der Himmel auf den Kopf fallen könnte“ (Volker Schürmann: Natur als Fremdes. In: Zwischen Anthropologie und Gesellschaftstheorie. Zur Renaissance Helmuth Plessners im Kontext der modernen Lebenswissenschaften, hg. von Gerhard Gamm/Alexandra Manzei/Mathias Gutmann (Bielefeld 2005) 33-52, 49; vgl. diesen Text ebenfalls zur philosophiegeschichtlichen Einbettung von Plessners Naturphilosophie im Streit um einen Maßstab zur Bestimmung des Menschen zwischen (grob gesagt) Konstruktivismus und Materialismus). 10 Ebd. 193. 11 Ebd. 193. 12 Ebd. 193.

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Natur verfügbar ist (sei es im naturalistischen oder konstruktivistischen Sinne). Die Gründe für ein ausbleibendes „Umwelthandeln“ können dadurch vielmehr in der spätmodernen Gestaltung des Umgangs mit dem Unverfügbaren, Fremden gesucht werden. Denn ein verstehender Umgang mit dem Unverfügbaren, das auch Natur einschließt, hat in zeitgenössischen Selbst-Welt-Beziehungen kaum noch Bedeutung, obwohl der verstehende Umgang mit dem Unverfügbarem das menschliche Leben auszeichnet, wie das nächste Kapitel aufzeigen wird. Bezogen auf die dreifach strukturierte Beziehung zwischen Selbst und Welt, lässt sich somit festhalten, dass mit Plessner das Leben des Menschen in Weltverhältnissen nicht lediglich auf einen axiomatisch gesetzten Aspekt des menschlichen Daseins reduziert werden kann. Das menschliche Leben als psychischer, körperleiblicher und reflexiver Vollzug ist in allen diesen Dimensionen gleichermaßen zu berücksichtigen. Denn erst unter Berücksichtigung ihrer Einheit kann die Art und Weise erschlossen werden, wie ein Selbst in die Welt gestellt ist. In einer derart strukturierten Weltbeziehung kann nicht auf der einen Seite der Mensch und auf der anderen die Natur bzw. auf der einen Seite das Subjekt und auf der anderen die „Umwelt“ sowie zwischen beiden eine Kluft verortet werden. Die umweltsoziologische Problematik, die um diese Dichotomie kreist, stellt sich in dieser Form mit Plessner nicht. Das, was als die Natur oder als die „Umwelt“ gilt, ist nicht vom menschlichen Leben zu lösen, da der Mensch selbst ein Teil dieser Natur und die Gültigkeit der Naturauffassung zugleich eine mitweltlich vermittelte ist und somit in der Mensch-WeltKorrelativität begründet liegt. Das Welterleben ist relativ zum Selbst, so wie das Selbsterleben vom Sinngefüge der Welt getragen ist. Dieses passive Moment in der Weltbeziehung bringt jene Angst vor der Fremdheit hervor, die gemeinsam mit dem Wissen des Menschen um sich selbst als aktive Gestaltungsmacht das Schaffen des „Horizontes der Vertrautheit“13 forciert. Die verstehende Begegnung mit dem Fremden und Unverfügbaren kann dadurch in ihrer sinnstiftenden Bedeutung für die Lebensführung sichtbar werden, so dass die Umweltsoziologie in ihrer Betrachtung des Mensch-Natur-Verhältnisses einen Anschluss an die Bedeutung des verstehenden Umgangs mit dem Unverfügbaren in diesem Verhältnis finden kann. Da die Mitwelt das tragende Element des Selbst- und Außenwelterlebens ist, werden auch das eigene Selbst- und Weltverständnis von diesen Gültigkeiten getragen. Für die umweltsoziologische Praxis bedeutet dies, dass darin eine als erkenntnistheoretischer Maßstab anerkannte Weltauffassung den Bestimmungen des Mensch-Natur-Verhältnisses schlicht (vor)gegeben wird, so dass die Bedingungen dieses Maßstabes unausgewiesene bleiben. Die umweltsoziologische 13 Ebd. 192.

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Frage, die sich in Anbetracht ihres selbst gesetzten Forschungsgegenstandes stellt heißt deswegen stets: Wie kann der Bruch zwischen Mensch und Natur gekittet werden? Aber sollten vor dem Hintergrund der mitweltlichen Vermitteltheit von Wirklichkeit nicht vielmehr folgende Fragen gestellt werden: Ist das Verhältnis zwischen Mensch und Natur tatsächlich mit den diesem Verhältnis zugrunde gelegten axiomatischen Annahmen (wozu die Subjekt-ObjektDichotomie als Präsupposition gehört) beschreibbar? Oder sind es gerade diese Axiome, die dieses Verhältnis als ein dysfunktionales erscheinen lassen, so dass die Gründe für jene Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ in der Methode selbst gesucht werden müssen? Die Realisierung einer Selbst-Welt-Beziehung fordert keine endgültige Fixierung. Entsprechend des Gleichursprünglichkeitsprinzips erfordert sie eine Offenheit für die Unergründlichkeit der Welt, die qua reziproker Konstituierung zugleich auch für den Menschen selbst gilt: „Die Schrankenlosigkeit des menschlichen Wesens, die wir gleichwohl in seiner spezifischen Lebensstruktur verankern können, gibt das Recht, vom homo absconditus zu sprechen, weil er die Grenzen seiner Schrankenlosigkeit kennt und sich damit unergründlich weiß. Sich und seiner Welt offen, weiß er um seine Verborgenheit“.14 Plessner spricht,

14 H. Plessner: Homo absconditus, a.a.O. [Anm. 270] 357. Wilwert entdeckt im Begriff der Unergründlichkeit die Gefahr, dass sich mit diesem ein Relativismus begründen ließe, der geschichtliche Ereignisse wie den Nationalsozialismus bzw. das Unmenschliche per se „bis zu einem gewissen Grade zu rechtfertigen“ (P. Wilwert: Philosophische Anthropologie als Grundlagenwissenschaft?, a.a.O. [Anm. 291] 151) vermag. Tatsächlich führt Plessner das Unmenschliche als Möglichkeit des Menschen an: „Unmenschlichkeit ist an keine Epoche gebunden und an keine geschichtliche Größe, sondern eine mit dem Menschen gegebene Möglichkeit, sich und seinesgleichen zu negieren“ (Helmuth Plessner: Das Problem der Unmenschlichkeit (1967). In: Conditio humana. GS. Bd. 8, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 328-337, 334). Wilwert vernachlässigt in seiner Argumentation jedoch, dass Plessner die menschliche Gleichgewichtslosigkeit, die aus der exzentrischen Positionalität des Menschen hervorgeht, als Ursprung von Sitte und Moral ausweist, da sie die Stabilisierung durch Bindungen in Form von Normen, Institutionen etc. erfordert (vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 317). Gerade weil der Mensch um seine Gleichgewichtslosigkeit und deren eigenverantwortliche Stabilisierung weiß, „ist [er] nicht einfach nur, sondern er gilt sich etwas, weswegen er Anforderungen an sich stellt“ (ebd. 317). Unmenschlichkeit ist als Möglichkeit des Menschen zwar vorhanden, jedoch mit Plessner nicht zu rechtfertigen, da die konstitutive Gleichgewichtslosigkeit „die Umkehr in die Entscheidung zur Menschlichkeit erzwingt“ (H. Plessner:

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in Anbetracht dieser Kontingenzoffenheit auch vom menschlichen Leben als einem kategorischen Konjunktiv, der dem Menschen strukturmäßig auferlegt ist.15 Die Aufgabe der Philosophischen Anthropologie, a.a.O. [Anm. 288] 46), will der Mensch sich als Mensch eine Heimat geben. 15 Helmuth Plessner: Der kategorische Konjunktiv. Ein Versuch über die Leidenschaft (1968). In: Conditio humana. GS. Bd. 8, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 338-352, 338. Schürmann entdeckt in Plessners anthropologischem Konjunktiv eine systematische Reflexionsstufe, die eine Überlegenheit von Plessners Philosophischer Anthropologie gegenüber dem Scheler‘schen und Gehlen‘schen Ansatz darstellt: „Plessners Philosophie bezieht sich auch auf sich selbst. Erst dadurch und genau dadurch gebärdet sie sich nicht als alternativlos, sondern verortet sich selbst in einem Feld von Möglichkeiten“ (V. Schürmann: Positionierte Exzentrizität, a.a.O. [Anm. 400] 84). Der Mensch weiß im Lebensvollzug um sich selbst als das In-Möglichkeit-Seiende-Wesen, d.h. um die Kontingenz des Realisierten im exzentrischen Vollzug. So weiß er „im Vollzug um sich als auch anders sein könnend […], und genau deshalb [ist exzentrischer Vollzug] im strengen Sinne performativ […] und […] [keine] bloße Umsetzung (Ratifizierung) einer VorGabe. Exzentrischer Lebensvollzug schaut sich selbst zu und ist dadurch positioniertes Tun in einem Feld von Möglichkeiten – eine gleichsam machtvoll-riskante Wette auf eine der Möglichkeiten des eigenen Tuns“ (ebd. 84, Fußnote 2). Den Menschen als exzentrisch positioniert zu bestimmen, gehört deshalb selbst in jenes Feld der Möglichkeiten und stellt darin eine riskante Wette unter anderen dar, das weiß auch Plessner. Heike Kämpf hat entsprechend auf die prekären Folgen anthropologischer Bestimmungen, denen ihre eigene historische Bedingtheit gerade nicht präsent ist, aufmerksam gemacht. Mit dem Begriff der „performativen Macht“ anthropologischer Annahmen verdeutlicht sie, dass solche Annahmen im öffentlichen Diskurs nicht nur fragwürdig sind, sondern im Gegenteil die Gefahr bergen „das [zu] erzeugen, was sie nur zu benennen oder aufzudecken scheinen“ (Heike Kämpf: ‚So wie der Mensch sich sieht, wird er‘. Überlegungen zur politischen Verantwortung der philosophischen Anthropologie im Anschluss an Helmuth Plessner. In: Zwischen Anthropologie und Gesellschaftstheorie. Zur Renaissance Helmuth Plessners im Kontext der modernen Lebenswissenschaften, hg. von Gerhard Gamm/Alexandra Manzei/Mathias Gutmann (Bielefeld 2005) 217-232, 218). Mit Plessner verweist sie deswegen auf die politische Verantwortung, die jeder philosophischen Anthropologie obliegt, und sieht es als wichtigste Aufgabe einer philosophischen Anthropologie an Anthropologie Kritik zu üben: „Anthropologische Modelle erscheinen in ihrer Funktion, Horizonte der Selbstverständigung bereitzustellen, zugleich identitätsstiftend und handlungsleitend. Diese Erwägung führen [sic!] schließlich zu einer Kritik jedweder Bestimmungspraxis und zur Verteidigung der Unergründlichkeit des Menschen“ (ebd. 223). Ein Insistieren auf

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Der Mensch ist auf den Welthorizont angewiesen, um sich in den Möglichkeiten seiner Bedeutungen selbst sinnvoll wiederfinden und zum Ausdruck bringen zu können. Dadurch ist ihm die Möglichkeit der Realisierung einer Selbst-WeltBeziehung gewährleistet. Der Ausdruck als solcher ist dabei durch Aspektivität gekennzeichnet, da jeder menschliche Ausdruck nur einen Aspekt menschlicher Ausdrucksmöglichkeiten darstellt. Somit ist jedem Ausdruck als Aspekt der Verweisungszusammenhang auf andere Aspekte des Ausdrucks immanent. Die Notwendigkeit einer mehrdimensionalen Betrachtung von Selbst-WeltBeziehungen wird hier evident, denn im Ausdruck wird die Innen-, Außen- und Mitweltbeziehung gleichermaßen offenkundig. Zugleich ist damit die Ebene des Sollens tangiert, da es zu den Möglichkeiten des Menschen gehört, die Dinge seiner Welt in einem hegemonialen Sinne zu instrumentalisieren, d.h. sich selbst, die Außenwelt und seine Mitmenschen. In den Weltverhältnissen, vor deren Hintergrund sich die Selbst-Welt-Beziehungen realisieren, liegen somit nicht nur die Möglichkeiten des gelingenden Umgangs mit der eigenen Lebensführung verborgen, sondern auch die Möglichkeiten seines Misslingens. Die Berücksichtigung der Gleichursprünglichkeit von Selbst-Welt-Beziehungen kann somit dazu dienen, die Gründe für eine als instrumentell empfundene Lebensführung in den mitweltlich vermittelten Weltverhältnissen zu suchen. Plessners Philosophische Anthropologie kann dabei dazu dienen, diagnostizierte Pathologien in zeitgenös-

bspw. dem Nutzenmaximierer Mensch liefert demnach nicht nur eine Erklärung für eine bestimmte Praxis, sondern erzeugt diese zugleich, d.h. durch Ratifizierung ihrer Vorgabe. Dies gilt auch für Bestimmungen zu-Etwas (vgl. ebd. 224), wie sich zeitdiagnostisch u.a. an der Beschleunigungsproblematik spätmoderner Gesellschaften und deren Verknüpfung mit neoliberalen Ansprüchen an den Menschen zeigen lässt. Die neoliberal verwerteten Ideen der Autonomie und Selbstverwirklichung, die als die höchsten zu realisierenden Güter menschlichen Lebens gekennzeichnet werden, führen dazu, dass das Streben danach auch tatsächlich erzeugt wird. Im Kampf darum diese Ziele zu erreichen, müssen immer schneller immer mehr Optionen, denen das Selbstverwirklichungsversprechen anhaftet, ergriffen werden, ohne je am Ziel anzulangen: „Die Erosion von […] Sicherheiten wird dadurch um ein Vielfaches beschleunigt, der multidimensionale performative Kampf kann niemals gewonnen werden, der Dauerlauf im Hamsterrad wird immer schneller“ (Hartmut Rosa: Kritik der Zeitverhältnisse, a.a.O. [Anm. 417] 48). Die Aufgabe einer Philosophischen Anthropologie nach Plessner ist also nicht nur, den eindimensionalen Menschenbildern ein offenes Verständnis menschlichen Lebens entgegenzuhalten, sondern – damit einhergehend – ebenso jegliche zeitdiagnostische Bedingtheit anthropologischer Ansprüche aufzudecken.

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sischen Lebensführungsweisen von einem reflektierten Standpunkt aus zu verstehen.16 16 Wilwert betont ebenfalls in seiner Arbeit über die Möglichkeiten der Philosophischen Anthropologie als Grundlagenwissenschaft, dass ihre Aufgabe nicht ist, Lösungen für spezifische wissenschaftstheoretische Probleme bereitzustellen, sondern einen Beitrag zu „deren Verständlichmachen sowie das Aufzeigen von Möglichkeiten eines reflektierten Umgangs mit ihnen“ (P. Wilwert: Philosophische Anthropologie als Grundlagenwissenschaft?, a.a.O. [Anm. 291] 178) zu leisten. Plessners Vorgehen, den Menschen als exzentrisch positioniertes Wesen auszuzeichnen, ist somit keine Beweisführung eines metaphysisch Gegebenen, sondern selbst im Modus der Exzentrizität verfasst. Plessner selbst schreibt an König über die Position der Anthropologie in der Philosophie: „[Sie] ist überhaupt nicht ausgezeichnet dem Range nach oder der einzig legitime Ansatz zur Philosophie, auch sie selbst erfährt an sich das Schicksal der Exzentrizität“ (Josef König/Helmuth Plessner: Briefwechsel 1923-1933. Mit einem Briefessay von Josef König über Helmuth Plessners „Die Einheit der Sinne“, hg. von Hans-Ulrich Lessing/Almut Mutzenbecher (Freiburg/München 1994) 176; vgl. zudem V. Schürmann: Plessners parteiliche Anthropologie, a.a.O. [Anm. 264] 15 und 20). Die Bestimmung des Menschen als exzentrisch positioniert ist insofern genauso nur Möglichkeit des Ausdrucks, wie die Bestimmung des Menschen als Nutzenmaximierer, wiewohl mit dem Unterschied, dass der Plessner’schen Exzentrizität die Reflexion auf ihr eigenes Möglichkeit-Sein bereits inhärent ist. Exzentrizität ist eine Möglichkeit der anthropologischen Fundierung des Menschen, d.h. „wir müssen ihn nicht so begreifen, aber wir können es“ (H. Plessner: Macht und menschliche Natur, a.a.O. [Anm. 425] 148). Plessners Kategorie der exzentrischen Positionalität bietet somit zum einen die Möglichkeit, sowohl anthropologischen Reduktionismen als auch deren Setzungen als unbedingte Gültigkeiten zu begegnen, und zum anderen ist sie selbst eine Möglichkeit, die Realisierungsweisen menschlichen Daseins aufzuzeigen. Krüger fasst diese systematische Problematik innerhalb der Erfahrungswissenschaften, in die zu geraten Plessners Philosophische Anthropologie bewahrt, folgendermaßen zusammen: „Erfahrungswissenschaftliche Bestimmungen gelingen gerade dadurch, dass man sie an bestimmte Aspekte (Verursachungsprinzip), an bestimmte wiederholbare Bedingungen und an bestimmte Perspektiven (die Standardbeobachter der dritten Personenperspektive) bindet. Nur so lässt sich ihre Reproduzierbarkeit herstellen: factum est. In ihrer fehlerhaften Übertragung auf das Ganze hingegen gehen alle diese Voraussetzungen ihrer Geltung verloren […]. Es entsteht der Anschein einer absoluten, eben unbedingten Wahrheit […]. Einen derart absoluten Wahrheitsanspruch kann sich keine Menschengemeinschaft anmaßen, auch nicht die der Biologen oder der Philosophischen Anthropologen. Daher beansprucht Plessner ausdrücklich nicht, dass die von ihm freigesetzte exzentrische Positionalität das Wesen des Menschen abschließend,

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Das die vorliegende Arbeit tragende Anliegen, mit Plessners Philosophischer Anthropologie eine anthropologische Grundlegung für die Umweltsoziologie jenseits festgeschriebener Menschenbilder bereitzustellen, ist mit den Ausführungen in diesem dritten Kapitel eingeholt worden. Das dichotome MenschNatur- bzw. Subjekt-„Umwelt“-Verhältnis, wie es seine Verwendung in der Umweltsoziologie findet, konnte mit Plessner als Ausdruck des Menschen, Halt finden zu wollen, sichtbar gemacht werden, in deren Festlegung der Mensch deswegen Halt findet, weil es scheinbar Licht ins Dunkel seiner eigenen Unbestimmtheit wirft. Das, was als sinnhafte Bedeutung erlebt wird, bestimmt sich in der Reziprozität der Selbst-Welt-Beziehungen und ist kein ontologisch vorbestimmter Tatbestand, in den sich der Mensch – im Sinne der Subjekt-ObjektDichotomie – seine Welt hinein baut. Weltsein ist mit dem Menschen gegeben und Menschsein mit der Welt – gleichursprünglich aus demselben Prinzip. Das, was es also zu untersuchen gilt, wenn die Umweltsoziologie feststellt, dass es eine pathologische Entwicklung im menschlichen Naturverhältnis gibt, sind die Bedingungen der Wirklichkeit dieser Entwicklung, die Weltverhältnisse, in denen sich die Selbst-Welt-Beziehungen zum Ausdruck bringen. In deren gleichursprünglich konstituierten Sinnbereichen sind sowohl die oben diskutierten Naturund Umweltverständnisse als auch die Subjekt-Objekt-Dichotomie verankert. Eine zudem phänomenologisch-hermeneutisch motivierte Analyse der Auswirkungen zeitgenössischer Wirklichkeitsbedingungen auf das Erleben von Selbst und Welt und insofern auch auf das Handeln in der Welt ist daher für die Suche nach den Gründen für diese pathologische Entwicklung sinnvoll.

d.h. im Ganzen, determinieren kann. Vielmehr werden in ihr diejenigen praktischen Präsuppositionen rekonstruiert, welche die anthropologischen Forschungen erst ermöglichen. Wer in seiner Anthropologie glaubt, das Wesen des Menschen im Ganzen spezifizieren zu können, nimmt dafür in seinem eigenen praktischen Tun Voraussetzungen in Anspruch, die nicht gleichzeitig unter seine eigene Erklärung fallen“ (Krüger: Gehirn, Verhalten und Zeit, a.a.O. [Anm. 359] 47f.). Bereits an früherer Stelle hat Krüger die Kontingenz der Auslegung exzentrischer Positionalität betont: „Die exzentrische Positionalität ist nicht Menschsein, sondern ermöglicht auch diese Auslegung unter geschichtlichen Bedingungen“ (Hans-Peter Krüger: Expressivität als Fundierung zukünftiger Geschichtlichkeit. Zur Differenz zwischen Philosophischer Anthropologie und anthropologischer Philosophie. In: Expressivität und Stil. Helmuth Plessners Sinnes- und Ausdrucksphilosophie, hg. von Bruno Accarino/Matthias Schloßberger (Berlin 2008) 109-130, 111). Krüger verweist hier implizit auf den Einfluss von anthropologischen Annahmen auf die politische Praxis und insofern auch auf die soziale Verantwortung, die damit einhergeht.

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Das nächste systematische Erfordernis, das sich aus diesen Überlegungen für die vorliegende Arbeit ergibt, ist somit die Überprüfung, ob sich tatsächlich durch die Betrachtung aktueller Selbst-Welt-Beziehungen Gründe für die ausgemachte Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ finden lassen, die einen phänomenologisch-hermeneutisch intendierten Zugang erfordern. Dafür ist im nächsten Abschnitt die Struktur, die dem menschlichen Wirklichkeitserleben zugrunde liegt, zu explizieren. Als kategoriale Form kommt die Struktur selbst zwar nicht zur Erscheinung, aber als diese liegt sie den phänomenal explizierbaren Realisierungsweisen von Selbst-WeltBeziehungen zugrunde. Plessner hat in der Beschreibung des Wirklichkeitserlebens die Kategorie der vermittelten Unmittelbarkeit ins Feld geführt, die die „Indirektheit der menschlichen Existenz“17 beschreibt. Erst nach Klärung dieser Grundstruktur sowie der Extrahierung des strukturbedingten Vermittlungsmoments dieser Indirektheit ist es also sinnvoll, aktuelle Realisierungsweisen von Selbst-Welt-Beziehungen zu betrachten. Das folgende vierte Kapitel widmet sich daher zunächst der Betrachtung des Was und anschließend der Analyse des Wie dieses Strukturzusammenhangs von Selbst und Welt im Modus vermittelter Unmittelbarkeit. Fraglich wird dabei sein, inwiefern diese Struktur die Unmittelbarkeit des Welterlebens vermittelt und ob auf dieser Struktur dabei ein phänomenales Moment gründen kann, das in der Realisierung der Selbst-Welt-Beziehung diese als eine sinnvolle qualitativ stiften kann. Zudem gilt es eine Verknüpfung zwischen der anthropologischen und der soziologischen Ebene herzustellen. Hierfür soll die Soziologie der Weltbeziehungen von Rosa herangezogen werden, denn in dieser setzt Rosa sich unter Berücksichtigung anthropologischer Aspekte mit verschiedenen Realisierungsformen aktueller Selbst-Welt-Beziehungen in spätmodernen Gesellschaften auseinander. Da Rosas Soziologie explizit vom menschlichen Leben in Weltverhältnissen ausgeht, ist sie ein soziologisch hoch interessanter Ausgangspunkt für das in dieser Arbeit formulierte Vorhaben, der Umweltsoziologie eine anthropologisch fundierte und phänomenologisch-hermeneutisch intendierte Perspektive jenseits realistischer oder konstruktivistischer Axiome bereitzustellen. Rosas Soziologie wird dafür primär auf ihre anthropologischen Ansprüche hin untersucht, da diese – so die These – mit Plessners Philosophischer Anthropologie eingeholt werden können. Gelingt diese Fundierung, wäre mit dieser Verknüpfung eine Perspektive für die Umweltsoziologie bereitgestellt, mit der sie den Gründen für die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ mittels einer Betrachtung aktueller Selbst-Welt-Beziehungen nachgehen kann, ohne sich

17 H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 345.

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dabei in ihrem erklärenden Anspruch von reduktionistischen Menschenbildern leiten zu lassen.

4. Die Analyse aktueller Selbst-WeltBeziehungen und die Frage nach dem Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie

Rückblickend auf die Ausgangsfrage der vorliegenden Arbeit, ob die Umweltsoziologie mit der Analyse von gesellschaftlichen oder subjektiven „Umweltverhältnissen“ tatsächlich die Mensch-Natur-Beziehung systematisch klären und somit überhaupt das menschliche Leben erfassen kann, muss vor dem Hintergrund der Philosophischen Anthropologie Plessners geantwortet werden, dass sie dies bisher nicht kann. Dazu ist die Verwendung eines elaborierten Weltbegriffs die Voraussetzung, denn mit Plessner ist deutlich geworden, dass der Mensch als Mensch immer schon in Weltverhältnissen lebt. Eine explizite Systematisierung des menschlichen Lebens in Weltverhältnissen fehlt jedoch der Umweltsoziologie, gleich wenn auch sie den Welthorizont als Präsupposition voraussetzen muss. Denn in diesem ist auch die von ihr verwendete Bedeutung von „Umwelt“ mitweltlich gestiftet und getragen und der Umweltsoziologie somit überhaupt erst durch Welt zugänglich. Als mitweltlich vermittelte Bedeutung dient das, was mit „Umwelt“ angesprochen wird, dabei dem Ausgleich der menschlichen Gleichgewichtslosigkeit, auch dem der Umweltsoziologin. Denn sofern die Mitwelt das Innen- und Außenwelterleben trägt, sind es solche mitweltlich vermittelten Bedeutungen, die im Vollzug des Ausgleichs die Realisierung der SelbstWelt-Beziehung gewährleisten. Und gerade der Begriff der „Umwelt“ hat darin eine stark konstitutive Bedeutung, da er als Verhältnisbegriff das Selbstverständnis des Menschen immer schon betrifft. Hat der Begriff der „Umwelt“ ein naturalistisches Naturverständnis zur Voraussetzung, geht dieses somit auch in das menschliche Selbstverständnis ein und prägt entsprechend die Realisierungsweise der Selbst-Welt-Beziehung. Inwiefern diese Feststellung dazu beitragen kann, das wenig „umweltschonende“ Verhalten spätmoderner Subjekte zu

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verstehen, wird im Laufe dieses Kapitels durch die vorgenommene Entwicklung einer eigenen umweltsoziologischen Perspektive noch deutlich werden. Das mit der Moderne dominant gewordene rationalistisch-naturalistische Weltbild hat dazu geführt, dass „Umwelt“ als ein dem Menschen in instrumenteller Weise verfügbarer Raum aufgefasst wird, dessen Ausmaß möglichst nicht weniger als die gesamte Erde (und, nimmt man den bis jetzt erschlossenen Weltraum mit in die Bestimmung hinein, sogar darüber hinaus) umfassen soll. Das Messbare stellt dabei kein nebensächliches Detail in der Bestimmung dessen, was „Umwelt“ ist, dar, sondern bezeichnet vielmehr einen ihrer grundlegenden Bedeutungsaspekte. „Umwelt“ verstanden als messbare Größe,1 ist jene oben herausgearbeitete Gegebenheit in der zeitgenössischen Umweltsoziologie, die die eine Seite ihres Forschungsgegenstands – d.i. das Verhältnis zwischen Gesellschaft bzw. Subjekt und „Umwelt“ – bekleidet (siehe Kapitel 2.1). Diese gleichwohl systematisch eingehandelte, instrumentelle Bestimmung von „Umwelt“ markiert dabei den umweltsoziologischen Forschungsrahmen, innerhalb dessen die Betrachtung des Mensch-Natur-Verhältnisses vorgenommen wird. Insofern kreisen die in diesem Fokus entstandenen Forschungsfragen – trotz aller Bemühungen Natur und Kultur oder „Umwelt“ und Gesellschaft bzw. Subjekt systematisch (wieder) zusammen zu denken – immer auch, wenngleich oftmals unausgewiesen, um das Problem der Subjekt-Objekt-Dichotomie. Diese Diagnose gilt sowohl für die explizit evolutionstheoretisch fundierte RCT als auch für die implizit subjektivitätszentrierte Lebensstiltheorie. Ein prägnanter Ausdruck der misslingenden Überwindung jener Dichotomie ist die bis dato nicht aufgehobene Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“. Einst als etwas prinzipiell Überwindbares angenommen, erwies sie sich bei näherer Betrachtung jedoch als unaufhebbarer Hiatus. Denn sofern die dieser Differenz zugrundeliegende Subjekt-Objekt-Dichotomie nicht als axiomenkonstituierend reflektiert wird, entgeht dem forschenden Blick, dass sie Teil des Problems ist, mithin die kluftartige Differenz erst produziert. Mit der von Plessner naturphilosophisch entwickelten Philosophischen Anthropologie konnte hingegen die Korrelativität von Mensch und Welt als Ausdruck menschlichen Lebens aufgezeigt werden. Subjekt und Objekt sind demnach keine voneinander unabhängigen und insofern problematischen Gegebenheiten mehr, sondern gründen auf ein und demselben Prinzip: der exzentrischen Positionalität, die den Menschen als Menschen und die Welt als Welt konstituiert. Die exzentrische Positionalität vorausgesetzt, ermöglicht Plessners Ansatz das Ver1

In sowohl der realistischen als auch konstruktivistischen Auffassung ist „Umwelt“ als eine bestimmbare Größe zugänglich, wodurch sie auch für die sozialwissenschaftlichen Methoden empirischer Forschung handhabbar wird.

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hältnis zwischen Mensch und Welt als gegenseitiges Bedingungsverhältnis, das sich in gleichursprünglichen Selbst-Welt-Beziehungen realisiert, zu begreifen. Welt als Sinnhorizont bietet dem Lebewesen Mensch die Möglichkeit des Sichin-Bedeutungen-ausdrücken-Könnens bzw. der Verkörperung von Bedeutungen. Ausdruck und Verkörperung wiederum konstituieren sinnstiftende Bedeutungen, die aufgrund ihrer mitweltlichen Vermitteltheit den Welthorizont bilden. Auch das Wissen darüber, was die äußere Natur sei, steht nicht jenseits dieses bedeutungshaften Horizonts, sondern ist wie die „Umwelt“ mitweltlich vermittelter Teil dieses Horizonts. Um also der Ontologisierung eines bloß instrumentellen und damit lediglich kausallogischen oder linearen Nexus zwischen Mensch und Natur vorzubeugen, müssen sowohl dieser als auch das dafür zugrunde gelegte Naturverständnis in ihrer Bedeutungsbedingtheit und insofern als kontingent begriffen werden. Denn die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt wird erst dann zu einem Problem, wenn sie als schlicht naturalistisch gegebene und unhintergehbare Tatsache hingenommen und ihre mitweltliche Vermitteltheit entsprechend nicht mehr thematisch wird. Vor diesem Hintergrund bedeutet eine philosophische Betrachtung des korrelativen Zusammenhangs von Mensch und Welt eine weltverhältniskritische Perspektive einzunehmen. Denn in dieser Perspektive kann die den Wissenschaften immanente Präsupposition der Subjekt-Objekt-Dichotomie als ein symptomatischer Ausdruck aktueller Weltverhältnisse verstehbar werden, da sie darin als Bedeutungsträger und Sinnstifter des Welthorizonts einen funktionalen Platz einnimmt. Im Folgenden soll deswegen für die Umweltsoziologie eine weltverhältnisbezogene Soziologie fruchtbar gemacht werden, um ihr ein ‚Werkzeug‘ an die Hand zu geben, mit dem sie dieses Dichotomieproblem und damit auch ihren anthropologischen Reduktionismus hinter sich lassen kann. Dieses vierte Kapitel dient zudem dazu, im Anschluss an diese Perspektive den Bogen wieder zurück zur Frage nach dem Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie zu spannen. Dazu soll am Schluss dieses Kapitels die im Folgenden zu erarbeitende soziologische Perspektive – in der nicht das Subjekt„Umwelt“-Verhältnis, sondern die Selbst-Welt-Beziehung im Fokus steht – am Problem der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ in Hinsicht auf ihr explanatives Potenzial erprobt werden. Dadurch soll der Umweltsoziologie gezeigt werden, dass sie insbesondere zur Klärung subjektbezogener Fragen eine soziologische Perspektive braucht, die nach dem leiblich vermittelten Erleben und Verstehen der Beziehung zur „Umwelt“ vor dem Hintergrund aktueller Weltverhältnisse fragt. Eine Soziologie also, die einen elaborierten Weltbegriff besitzt. Denn gerade weil die Umweltsoziologie systematisch kaum ohne anthropologische Annahmen auskommt, braucht sie einen Weltbe-

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griff, mit dem sich reduktive Menschenbilder und die daraus folgenden systematischen Probleme – die auch aufgrund einer fehlenden, expliziten Auseinandersetzung mit dem Weltbegriff entstehen – nicht nur aufzeigen, sondern auch verhindern lassen. Wurde im letzten Kapitel herausgearbeitet, dass der Mensch ein Leben in Weltverhältnissen lebt, die seine dreidimensionale Wirklichkeit konstituieren, kommt es nun darauf an, die Struktur, nach der dieser Zusammenhang zwischen Mensch und Wirklichkeit gestiftet wird, zu betrachten, damit die gesuchte phänomenologisch-hermeneutisch intendierte soziologische Perspektive eröffnet werden kann. Dazu wird zunächst Plessners anthropologisches Grundgesetz der vermittelten Unmittelbarkeit mit seinen Aspekten Immanenz und Expressivität rekonstruiert, da sich in diesen beiden Modi das menschliche Wirklichkeitserleben als eine Gleichursprünglichkeit von passiver Realitätserfahrung und aktivem, ausdruckhaftem Eingreifen in die Realität offenbart. Diese nun phänomenologisch-hermeneutisch begründete Realitätserfahrung, in ihrer Ausdrucksform der Selbst-Welt-Beziehung, wird schließlich für eine soziologische Analyse aufbereitet. Denn als weltverhältnisbedingte differieren die Realisierungsweisen von Selbst-Welt-Beziehungen. Die Suche nach den Gründen für die umweltsoziologische Differenzproblematik kann daher durch eine soziologisch motivierte und zeitdiagnostisch angelegte Betrachtung aktueller Weltverhältnisse erfolgen, da diese als Bedingung der Wirklichkeit die Realisierungsweisen bestimmen. Aufgrund der doppelten Distanz zu sich und zu seinem Umfeld ist dem Menschen der zwar als unmittelbar erlebte Kontakt zur Wirklichkeit seiner Struktur nach aber nur als vermittelter möglich. Hinsichtlich dieser Vermittlung wird im Folgenden die These vertreten, dass die vermittelte Unmittelbarkeit in beide Richtungen der Vermittlung ein Moment aufweist – in der vorliegenden Arbeit als Moment der Unverfügbarkeit elaboriert –, das seiner Struktur nach den Raum für ein spezifisches Erlebensmoment im Wirklichkeitserleben eröffnet und dadurch zugleich ein auf dieses Moment des Erlebens gerichtetes anthropologisches Bedürfnis begründet. Dieses Verhältnis zwischen Strukturmoment und Erlebensmoment soll anschließend als anthropologisches Fundament für Rosas resonanztheoretische Soziologie der Weltbeziehungen dienen. Denn Rosa entdeckt in seiner Auseinandersetzung mit den Bedingungen einer ‚gelingenden‘ Lebensführung ein anthropologisches Bedürfnis, das er als ein Bedürfnis nach Resonanz bezeichnet. Die Erfüllung dieses Bedürfnisses konstituiert nach Rosa eine resonante Selbst-Welt-Beziehung, die er als Ausdruck einer ‚gelingenden‘ Lebensführung auffasst. Inwiefern dieses Bedürfnis dabei auf der menschlichen Bezugsform gründet, wird von ihm allerdings nicht aufgezeigt. Diese bis dato noch nicht elaborierte Systematik des resonanztheoretischen Ansatzes erlaubt daher

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seine anthropologische Fundierung und soll, ausgehend von Plessners Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit, im Folgenden eingeholt werden. Dadurch wird die bisherige Ausarbeitung der Soziologie der Weltbeziehungen systematisch komplettiert. Rosas Ansatz bietet somit eine fruchtbare Möglichkeit, Plessners Philosophische Anthropologie in phänomenologisch-hermeneutischer Hinsicht in die aktuelle soziologische Debatte einzubetten. Denn erstens nimmt Rosas Ansatz seinen Ausgang in der Betrachtung von Selbst-Welt-Beziehungen, d.h. er setzt das menschliche Leben als ein Leben in Weltverhältnissen nicht nur als Präsupposition, sondern explizit voraus, und zweitens kann dieser Ansatz in seinem explanativen Anspruch durch Plessners Philosophische Anthropologie bestärkt werden. Zudem versucht Rosa die deskriptiven Möglichkeiten einer Soziologie der Weltbeziehungen auszuloten, indem er gegen bekannte Indikatoren kritischer Gesellschaftsanalyse (bspw. Anerkennung) die Beziehung zwischen Selbst und Welt als solche ins Feld führt und die Frage stellt, wie sich jemand, konkreter: das spätmoderne Subjekt, in die Welt gestellt fühlt. Dazu stellt er vor dem Hintergrund der von ihm vorausgesetzten „resonanztheoretische(n) Anthropologie“2 verschiedene Weisen dieses Wie vor, die zwischen Sich-getragen-in-der-Weltund Sich-geworfen-in-die-Welt-Fühlen bzw. zwischen Weltresonanz und Weltverstummen changieren. Rosa bietet mit der resonanztheoretischen Soziologie der Weltbeziehungen somit einen sowohl explanativen als auch deskriptiven Ansatz, der in der aktuellen soziologischen Debatte das Leben des Menschen in Weltverhältnissen soziologisch wendet und insofern auch für die Umweltsoziologie fruchtbar ist. Die Fundierung von Rosas Soziologie mit Plessners Philosophischer Anthropologie ist also nur konsequent, will man eine Soziologie entwickeln, die das Erleben und Verstehen von Selbst-Welt-Beziehungen in den Fokus des Interesses rückt. Eine solche Soziologie möchte das Dazwischen des Strukturzusammenhangs betrachten und nicht entweder beim Subjekt oder beim Objekt ansetzen. Dadurch kann sie der zeitgenössischen Umweltsoziologie eine Perspektive bieten, die sich der Beziehung zur Natur respektive zur „Umwelt“ nähert, ohne dabei entweder in einen kultur-anthropologischen Evolutionismus oder in die Vorstellung von der Vorgängigkeit der Subjektivität zurückzufallen. Diese neue Perspektive weist jenes Moment der Unverfügbarkeit als das Strukturmoment im menschlichen Wirklichkeitserleben aus, das dem Erleben 2

Hartmut Rosa: Die Natur als Resonanzraum und als Quelle starker Wertungen. Vortragsmanuskript für die Tagung ‚Welche Natur brauchen wir?‘ Anthropologische Dimensionen des Umgangs mit Natur (Heidelberg 19.-21.09.2012) 1-12, 1. Erscheint in: Welche Natur brauchen wir? Analyse einer anthropologischen Grundproblematik des 21. Jahrhunderts, hg. von Gerald Hartung/Thomas Kirchhoff (Freiburg 2014).

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von Unverfügbarem zugrunde liegt. Denn das Erleben von Unverfügbarem kann als ein Fremdes, Fragwürdiges und insofern Unverfügbares überhaupt erst den ‚Spielraum‘ für das, was Rosa ein Bedürfnis nach Resonanz bezeichnet, eröffnen. Plessner bietet zur Einlösung des anthropologischen Anspruchs Rosas somit den philosophisch-anthropologischen Ansatz, mit dem sich das Resonanzbedürfnis überhaupt systematisch begründen lässt. Denn das dazu notwendige konstitutive Verhältnis zwischen dem Moment der Unverfügbarkeit als Bedingung des Erlebens von Unverfügbarem und dem Bedürfnis nach Resonanz, wie es im Folgenden entfaltet wird, ist nur mit der vermittelten Unmittelbarkeit als Strukturform des menschlichen Wirklichkeitserlebens einzuholen. Eine Perspektive, die sich auf das Unverfügbare im menschlichen Erleben richtet, ist bis dato in der Umweltsoziologie noch nicht eingenommen worden, da ihre erfahrungswissenschaftlich-positive Ausrichtung keinen Platz für einen verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren lässt. Der Umweltsoziologie wäre mit der hier vorgeschlagenen Verknüpfung von Plessner und Rosa jedoch eine anthropologisch fundierte und phänomenologisch-hermeneutisch intendierte soziologische Perspektive eröffnet, mit der sie diesen verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren als konstitutive Bedingung von Selbst-Welt-Beziehungen als Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen berücksichtigen könnte. Eine mögliche Erklärung, die sich an diese anthropologische Begründung des Resonanzbedürfnisses plausibel anschließen lässt, wäre dann, dass spätmoderne Weltverhältnisse durch eine Wirklichkeit des Verfügbaren gekennzeichnet sind, die das Erleben von Unverfügbarem (in dem hier gemeinten Sinne) verstellen und dadurch das Potenzial eines verstehenden Umgangs mit diesem als sinnstiftendes Konstitutivum beschränken. Durch dieses Primat des Verfügbaren, so die darauf aufbauende soziologische These im Anschluss an Rosa, werden die Möglichkeiten Resonanzerfahrungen zu machen verhindert, da der dazu notwendige verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren in dieser Wirklichkeit beschränkt ist. Selbst-Welt-Beziehungen laufen in der Folge Gefahr nicht als resonante, sondern als instrumentelle erlebt und verstanden zu werden. Dies gilt auch für die Beziehung zur Natur. Der Umweltsoziologie wird es mit dieser Perspektive somit erstmals möglich, die Beziehung zwischen Mensch und Natur, die durch die aktuellen Weltverhältnisse bedingt wird, vom Erleben und Deuten her zu reflektieren. Somit werden mit der Durchführung der hier angestrebten soziologischen Perspektive auch die in der Umweltsoziologie axiomatisierten anthropologischen Voraussetzungen als Problem (spät)moderner Weltverhältnisse fassbar. Als Aussagen über den Menschen sind sie der Wirklichkeit des Verfügbaren funktional inhärent. Vor dem Hintergrund der mitweltlichen Vermitteltheit von Wirklichkeit ist jedoch deutlich geworden, dass besagte Voraussetzungen

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der Umweltsoziologie weltverhältnisbedingte, d.h. kontingente, und keinesfalls notwendige Gegebenheiten sind.

4.1 D AS

ANTHROPOLOGISCHE G RUNDGESETZ DER VERMITTELTEN U NMITTELBARKEIT

Im vierten Teil seines abschließenden Kapitels der Stufen, in dem sich Plessner der Realisierung der exzentrischen Positionalität in anthropologischen Grundgesetzen widmet, wird für ihn die Frage nach dem menschlichen Erleben von Wirklichkeit als Wirklichkeit relevant. Denn, so stellt er fest: „All sein Beginnen könnte dem Menschen nichts helfen, der Herstellung des ihm ontisch versagten Gleichgewichts mit künstlichen Mitteln zu dienen, wenn nicht die Resultate seines Beginnens von ihm selber ablösbar wären“.1 Ähnlich wie bei einer Waage gelingt dem Menschen der Ausgleich seiner Lebenssituation demnach nur mit Hilfe von Dingen, die ein Eigengewicht an Objektivität aufweisen, das nicht gemacht ist, sondern ent-deckt werden muss.2 Als ein exzentrisch positioniertes Wesen hat der Mensch jedoch die Fähigkeit, die Dinge in ihrem Objektcharakter wahrzunehmen, so dass ihm die Wirklichkeit als objektiv gegebene erscheinen kann. Denn der menschliche „Sinn fürs Negative“ verweist in der Wahrnehmung eines Objekts die Wahrnehmende auf die im Moment der Wahrnehmung nicht zur Erscheinung kommenden Aspekte desselben sowie auf das, was durch die Aspekte zur Erscheinung kommt. Dadurch wird ihr dessen An-sich-Charakter bewusst. Diese in der Wahrnehmung unverfügbare Objektsubstanz sowie dessen unverfügbaren Aspekte, die durch die zur Erscheinung kommenden Objektaspekte jedoch dem Wahrnehmenden zugleich vermittelt sind, gewährleisten den Dingen ihr unmittelbares Eigengewicht, „weil an der unmittelbaren Gegenwart der Erscheinung unmittelbar das Übergewicht des An sich Seins, des Mehr als Erscheinung Seins ‚zur‘ Erscheinung kommt“.3 Dieses Mehr-als-ErscheinungSein beruht somit auf einem Moment der Unverfügbarkeit in der Struktur der menschlichen Dingwahrnehmung. Diese Unverfügbarkeit gewährleistet jenes objektive Eigengewicht, ohne das die Wirklichkeit nicht als vom Menschen ablösbare Wirklichkeit erschiene. D.h. ohne dieses Moment der Unverfügbarkeit könnte das in der Anschauung Verfügbare gar nicht mit einem Objektcharakter zur Realität kommen.

1

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 321.

2

Vgl. ebd. 321.

3

Ebd. 327.

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Das menschliche Erleben der Dingobjektivität gründet somit auf einer vermittelten Unmittelbarkeit, der als Strukturform ein Moment der Unverfügbarkeit immanent ist. Dieses Prinzip der vermittelten Unmittelbarkeit hat Plessner expressis verbis als die bezugsmäßige Form des menschlichen Realitätskonnexes und insofern als zweites anthropologisches Grundgesetz expliziert. Denn die vermittelte Unmittelbarkeit gibt nach Plessner das Prinzip bzw. die Struktur an, nach der sich das menschliche Wirklichkeitserleben vollzieht. Dieser Vollzug vermittelt sich als eine doppelaspektive Bewegung, d.h. einmal nach innen und einmal nach außen, ohne dass diese beiden Richtungen – gemäß echter Gegensinnigkeit – dabei ineinander überführbar wären. In der Vermittlung nach innen gibt die Struktur an, inwiefern dem Menschen die Realität als unmittelbare Realität widerfahren kann; in der Vermittlung nach außen, inwiefern der Mensch sein intentionales Streben, d.h. sich, in die Wirklichkeit hinein unmittelbar zum Ausdruck bringen kann. Die Struktur der vermittelten Unmittelbarkeit begründet somit zwei Modi des menschlichen Wirklichkeitserlebens: Immanenz und Expressivität. 4.1.1 Immanenz Exzentrisch positioniert ist es dem Menschen unmöglich, die Wirklichkeit anders als im vermittelnden Hindurch der Bewusstseinsinhalte zu erleben. Für das Tier sind die Funktionen seiner Umweltdinge zwar auch leiblich vermittelt, aber es weiß nicht um diese Vermittlung, weil es sich selbst nicht als das Zentrum der Vermittlung wahrnimmt, d.h. als ein Ich, durch das es seine Umweltbeziehung als eine vermittelte reflektieren könnte. Denn: „Um von ihr etwas zu merken, müßte es daneben stehen, ohne doch seine vermittelnde Zentralität zu verlieren“.1 Beim Menschen ist dieses Daneben in der exzentrischen Positionalität realisiert. Die Exzentrizität lässt für Plessner deutlich werden, dass die erlebte Unmittelbarkeit zwischen Mensch und Welt aufgrund der doppelten Distanznahme nur eine vermittelte sein kann und zwar vermittelt durch Bewusstseinsinhalte. Diese Form der Vermitteltheit durch Bewusstseinsinhalte ist der Modus des Wirklichkeitserlebens, den Plessner als Immanenz bezeichnet: „Seine [des Menschen] Situation ist die Bewusstseinsimmanenz. Alles was er erfährt, erfährt er als Bewußtseinsinhalt und deshalb nicht als etwas im Bewußtsein, sondern außerhalb des Bewußtsein Seiendes“.2 D.h. der Mensch erlebt die Wirklichkeit nur als durch Bewusstseinsinhalte vermittelte, wobei der Körperleib mit seinen Sin-

1

Ebd. 325.

2

Ebd. 328.

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nesflächen als Medium der Vermittlung dient.3 So erfährt der Mensch die Wirklichkeit von Objekten stets als Bewusstsein von Etwas. Zugleich gewährleistet ihm seine Fähigkeit der Distanznahme das Wissen vom Objekt als Objekt im Vollzug dieser Vermittlung. In diesem Vollzug realisiert sich somit die exzentrische Positionalität: „Kraft ihrer faßt das Wissen unmittelbar etwas Mittelbares: die Realität in der Erscheinung, das Phänomen der Wirklichkeit“.4 Die Struktur der vermittelten Unmittelbarkeit bedeutet somit im Sinne der Immanenz, dass der zur Erscheinung kommende Bewusstseinsgegenstand nicht im Bewusstsein gegeben ist, sondern seine Erscheinung das Bewusstsein von etwas Vermittelbarem ist. Dieses Vermittelbare ist somit kein unmittelbar verfügbares, sondern am Bewusstseinsinhalt vermitteltes. D.h. der Struktur seiner Vermittlung nach zeichnet es sich durch ein Moment der Unverfügbarkeit aus. Durch die beim Menschen realisierte, ‚vollkommene‘ Reflexivität kann er jedoch diese Vermitteltheit der Wirklichkeit verstehen. Denn das, was sich im Objekt von sich aus zeigt, d.h. vermittelt, kommt als ein Unverfügbares zur Erscheinung und kann insofern nur verstehend erschlossen werden.5 Somit findet das Moment der Unverfügbarkeit – als Moment der von Plessner kategorial bestimmten Strukturform der vermittelten Unmittelbarkeit – seine phänomenale Entsprechung im Erleben dieses Unverfügbaren. Das Moment der Unverfügbarkeit in der Struktur der vermittelten Unmittelbarkeit macht zudem deutlich, dass es sich bei Plessner nicht um einen Bewusstseinsbegriff im Sinne der kognitiven Repräsentationstheorie handelt. Das Be3

Plessner erinnert diesbezüglich den Leser noch einmal explizit an „die Sinnesmodalität als Beziehungsmodalität von Geist und Körperleib“ (ebd. 332), wie er sie in der Ästhesiologie elaboriert hat.

4

Ebd. 329.

5

Diese Möglichkeit des Objekts entzieht dem Erkenntnissubjekt die Kontrolle über den zu erklärenden Gegenstand, dem dadurch etwas Fragwürdiges inhärent bleibt, das nicht gemessen, d.h. erklärt werden kann, sondern verstanden werden muss. Sich diesem Unverfügbaren, das sich sein Fragwürdiges erhält, verstehend zu nähern, braucht keine vom Subjekt bereits vorweggenommene Einrahmung des Objekts in einen theoretischen Kontext, der die Antworten schon bereithält, sondern eine wechselseitige Antwortbeziehung zwischen Subjekt und Objekt, in deren Vollzug das Fragwürdige verstehend erschlossen wird, so dass das Objekt von sich aus antworten kann. Diese Überlegung, die im Anschluss an Plessners Unterscheidung von Erklären und Verstehen entwickelt ist, ist ein zentrales Argument in der Begründung des Zusammenhangs von Unverfügbarem und Resonanzerfüllung (vgl. Kapitel 4.1.3 und 4.2.2; vgl. zudem zu Plessners Unterscheidung von Erklären und Verstehen G. Lindemann: Verstehen und Erklären, a.a.O. [Anm. 283]).

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wusstsein besteht mit Plessner nicht aus einem verfügbaren Pool an Repräsentationen von Objekten und Sachverhalten, auf die das Subjekt wie auf einen Speicher an Repräsentationen der objektiven Wirklichkeit situativ zurückgreifen kann. Nach Plessner ist dementsprechend zu konstatieren: „Der Mensch schließt nicht aus seinen Bewußtseinsinhalten auf eine in ihnen sich bekundende Realität“.6 Vielmehr konstituiert sich das Bewusstsein von der Wirklichkeit als Wirklichkeit im Vollzug vermittelter Unmittelbarkeit, indem das Phänomen der Wirklichkeit am Objekt in spezifischer Aspektivität zur Erscheinung kommt und dadurch auf sein Unverfügbares verweist: „In solcher verdeckenden Offenbarung liegt das Spezifische des in der Erscheinung selbst Daseienden – und doch ‚nicht ganz‘ Daseienden, sondern noch Dahinterseienden, des Verborgenen, des Für sich und An sich Seienden. Ein Wirkliches kann als Wirkliches gar nicht anders mit einem Subjekt in Relation sein, es sei denn von sich aus als das dem Subjekt Entgegengeworfene, als Objekt, d.h. als Er-scheinung, Manifestation von…: als vermittelte Unmittelbarkeit“.7 Das in der Vermittlung Verfügbare ist das, was objektiv zur aspektiven Erscheinung kommt und zugleich seiner Aspektivität gemäß auf das Unverfügbare verweist, wodurch auch dieses Unverfügbare gewissermaßen aspektiv zur Erscheinung gelangt. Dieser Verweisungszusammenhang gilt auch umgekehrt: Ohne dieses aspektive Unverfügbare gäbe es keine zur Erscheinung kommende Aspektivität, die wiederum zusammen als zur Erscheinung gekommene Aspekte auf das Moment der Unverfügbarkeit als ihre ‚Substanz‘ verweisen. Das Moment der Unverfügbarkeit in der Struktur der vermittelten Unmittelbarkeit ist diesen Ausführungen zufolge somit wesentlich konstitutiv für das bewusstseinsimmanente Wirklichkeitserleben des Menschen. Denn ohne dieses Moment der Unverfügbarkeit würde es keiner vermittelnden Bewusstseinsinhalte bedürfen und der qualitative Objektivitätscharakter der Wirklichkeit verloren gehen.8 Da der Mensch qua Exzentrizität diese Vermitteltheit der Unmittelbarkeit versteht, weiß er auch um das Moment der Unverfügbarkeit in der Vermitteltheit. Darauf gründet das Erleben von Unverfügbarem. Ohne ihr Unverfügbares hätten die Dinge kein Eigengewicht und wären nicht vom Menschen als dessen Realität ablösbar. Realitätserleben bedeutet damit seiner Struktur nach wesentlich Erleben von Unverfügbarem. Das dieses Erleben von Unverfügbarem 6

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 331.

7

Ebd. 329.

8

Das Tier hingegen handelt dem Funktionskreis gemäß nach dem bloßen ihm Verfügbaren. Das Unverfügbare, das wesentlich den Objektcharakter der Dinge ausmacht, ist dem Tier aufgrund des ihm fehlenden „Sinn fürs Negative“ gar nichts zu Handhabendes.

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begründende Moment der Unverfügbarkeit lässt sich auch im zweiten Modus der Wirklichkeitserfahrung, der Expressivität, herausarbeiten. 4.1.2 Expressivität Angesichts der antinomischen Lebenssituation des Menschen, sich zu dem machen zu müssen, was er bereits ist, stellt sich für Plessner die Frage, ob der Bewusstseinsimmanenz – als eine Seite der Antinomie – ein „Grundzug menschlichen Lebens“ korrespondiert, „den man als Expressivität, als Ausdrücklichkeit menschlicher Lebensäußerungen überhaupt bezeichnen muß“.1 So wie sich der Struktur nach die Wirklichkeit als etwas Erlebbares nach innen vermittelt, muss sie sich als dieses auch nach außen vermitteln, indem das Erleben zum Ausdruck gebracht wird. Diese zwei Vermittlungsrichtungen bedeuten jedoch nicht, dass Plessner zwei voneinander unabhängige Bewegungen vermittelter Unmittelbarkeit beschreibt. Begreift man die menschliche Wirklichkeitserfahrung als Doppelaspekt, verweisen Immanenz und Expressivität vielmehr wechselseitig aufeinander. Zudem verweisen Immanenz und Expressivität als Doppelaspekt auf jenen Sachverhalt, dessen Aspekte sie sind: die Struktur der Wirklichkeitserfahrung, die vermittelte Unmittelbarkeit. Mit anderen Worten: Folgt man der These von der doppelaspektiven Gegensinnigkeit des Wirklichkeitserlebens, dann ist das Prinzip der Bewegung nach innen auch das der Bewegung nach außen, da beide Modi auf der zweifachen Abgehobenheit des Menschen von sich in seinem Umfeldbezug beruhen. D.h. auch in der Bewegung nach außen muss diese Distanz im Vollzug ihrer Überbrückung durch Vermittlung geschlossen werden, damit das Erleben von Unmittelbarkeit realisiert ist. Insofern ist Plessners Frage nach der Expressivität nur konsequent, da der Mensch, ins Leben gezwungen, sein ihm widerfahrenes Leben führen und daher seinem Menschsein Ausdruck verleihen muss. Doch wie bringt sich der Mensch zum Ausdruck? Oder anders gefragt: Was wird im Ausdruck als Unmittelbares vermittelt? Expressivität begriffen als „Lebensmodus des Menschen“ bedeutet „ein Ausdrucksbedürfnis […] überhaupt nach Darstellung bzw. Wiedergabe erlebter Dinge“2 und somit den Ausgleich der Immanenzsituation. D.h. In-die-Weltgestellt-Sein bedeutet für den Menschen kein bloßes Widerfahrnis, sondern zugleich ein aktives in sie Eingreifen, indem der Mensch seinen Intentionen Ausdruck verleiht. Die Erfüllung der Intention im Ausdruck realisiert sich dabei der Struktur nach als eine vermittelte Unmittelbarkeit. Denn jeder menschliche Aus-

1

Ebd. 324.

2

Ebd. 323.

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druck ist die Vermittlung einer Intention nach außen in eine ausdruckhafte Form. Das bedeutet, jeder Ausdruck zerfällt „in das Was und das Wie des Ausdrucks“.3 Die ausdruckhafte Verwirklichung des Was (Intention) im Wie (Ausdrucksform) ist nur indirekt möglich, so dass ein Bruch zwischen Intention und Ausdruck entsteht. Zum einen erfordert dieser Bruch die Vermittlung durch ein Medium, zum anderen vollzieht er sich am Medium der Vermittlung. Diese Brechung des Inhalts der Intention am Vermittlungsmedium seiner ausdruckhaften Formung beruht nach Plessner auf der Wesensverschiedenheit von Geist, Seele und Körperleib.4 Doch heißt das nicht, dass diese als voneinander unabhängige Sphären zu betrachten sind. Vielmehr sind sie stets miteinander vermittelt. Der psychischleibliche Gehalt als Intention kann nur durch den Leibkörper hindurch zum Ausdruck gebracht werden. Ein Ausdruck kann nur Ausdruck sein, sofern er mitweltlich getragen ist, d.h. als Bedeutsames im Welthorizont steht. Und bedeutsam ist das, was nach innen leiblich-reflexiv vermittelt Intentionen formen kann. Die Brechung der Intention am Medium seines Ausdrucks bedeutet für Plessner demnach nicht, dass dem Menschen grundsätzlich die Erfüllung seines Strebens nicht gelingt. Vielmehr liegt gerade in der Fähigkeit des Menschen, diesen Bruch zwischen Intention und Ausdruck als sinnvolle Form vollziehen zu können, die Möglichkeit „echte[r] Erfüllung“.5 Denn die durch die Struktur vermittelter Unmittelbarkeit bedingte Differenz zwischen eigentlicher Intention und ihrer tatsächlichen Realisierung ist die Form des Ausdrucks und insofern ihre Erfüllung. Die Differenz selbst ist in ihrer Konkretisierung als Form des Ausdrucks somit vorher nicht bestimmbar. Sie wird erst im Vollzug realisiert.6 Folglich ist auch die Ausdrucksform der Struktur ihrer Vermittlung nach durch ein Moment der Unverfügbarkeit gekennzeichnet, denn – wie Plessner pointiert –: „Sie widerfährt dem Inhalt“.7 Als realisierte Form ist sie der verwirklichte Ausdruck der Beziehung zwischen Selbst und Welt, die sich im expressiven Vollzug kontinuierlich aufs Neue zum Ausdruck bringt.8 Insofern sich diese Beziehung kontinu3

Ebd. 322.

4

Vgl. ebd. 334.

5

Ebd. 336.

6

Vgl. ebd. 337f.

7

Ebd. 338.

8

Dieses expressive Drängen auf immer neue Verwirklichung begründet nach Plessner die Geschichtlichkeit des Menschen: „Nur in der Expressivität liegt der innere Grund für den historischen Charakter seiner Existenz“ (ebd. 338). Plessners Geschichtsanthropologie ist fundamental für sein Denken, weswegen sie auch oft expliziter Gegenstand der Plessnerforschung geworden ist. Einschlägig sind hier insbesondere Krügers Studien zur Expressivität und Geschichtlichkeit bei Plessner (vgl. exemplarisch die

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ierlich neu konstituiert, ist sie nicht vorherbestimmt und birgt damit stets das Erleben von Unverfügbarem. Auf der expressiven Seite des Lebens hat das kategorial bestimmte Moment der Unverfügbarkeit seine phänomenale Entsprechung somit im Unverfügbaren des Ausdrucks, der aber in eine „echte Erfüllung“ mündet, sofern eine verstehende Umgangsweise mit diesem Unverfügbaren gelingt. Unterstützung erhält diese These auch dadurch, dass Plessner die Realisierung „echter Erfüllung“ nur in der „ursprüngliche[n] Begegnung des Menschen mit der Welt, die nicht zuvor verabredet ist“,9 ermöglicht sieht. Einer Begegnung also, die sich wesentlich durch Unbestimmtheit auszeichnet. Denn „[d]ie Vorwegnahme der Form, ihre Berechnung ist nur da möglich, wo der Mensch über die Wirklichkeit schon Bescheid weiß und seinen Intentionen die Erfüllungen garantiert sind“.10 Das Erleben „echter Erfüllung“ im Plessner’schen Sinne stellt sich bei der Vorwegnahme einer garantierten Form durch Verfügungswissen daher nicht ein: „Denn eine Wirklichkeit, mit der das Subjekt paktiert hat, bevor es an sie mit seinen Bestrebungen herantritt, ist gar nicht mehr die ursprüngliche Wirklichkeit in ihrem An sich. Sie ist schon unterworfene, dem Subjekt durch seine Beobachtungen, Erfahrungen und Berechnungen gefügig gemachte Wirklichkeit“.11 Eine dem Subjekt absolut unterworfene Wirklichkeit, in der es das Strukturmoment der Unverfügbarkeit gewissermaßen nicht gäbe, würde den kategorischen Unterschied zwischen Inhalt und Form aufheben und „[a]lle menschlichen Bestrebungen könnten faktisch dahin führen, wohin sie zeigen“.12 Als Strukturelement vermittelter Unmittelbarkeit ist das Moment der Unverfügbarkeit im Vollzug der Expressivität jedoch unhintergehbar. Auf der kulturpraktischen Ebene ist dennoch die Beobachtung zu machen, dass der Moderne die Beiträge in H.-P. Krüger: Philosophische Anthropologie als Lebenspolitik, a.a.O. [Anm. 104] 85-101, 130-151). Krüger legt darin systematisch das Augenmerk auf die Negativität des menschlichen Wesens und die Offenheit der Geschichte, um positiven Determinationen des Menschen entgegenzuwirken und insofern die Unbestimmtheit der Lebensführung als menschliches Potenzialitätsminimum zu sichern (vgl. ebd. 92f.). 9

Ebd. 336.

10 Ebd. 337. 11 Ebd. 336. Diese Wirklichkeit, mit der das Subjekt paktiert, ist diejenige Voraussetzung, die das naturwissenschaftliche Erklären benötigt, damit die gestellte Frage „die Garantien ihrer Beantwortbarkeit [enthält]“ (H. Plessner: Macht und menschliche Natur, a.a.O. [Anm. 425] 180). Das Verstehen braucht hingegen eine offene Wirklichkeit in der Fragwürdiges begegnet und dessen Beantwortung eine wechselseitige Resonanzbeziehung bedarf. 12 Ebd. 335.

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Tendenz inhärent ist, dem gleichgewichtslosen In-die-Welt-gestellt-Sein mit dem Schaffen von immer mehr Verfügungswissen zu begegnen. Die Möglichkeiten „echter Erfüllung“ müssten dadurch jedoch beschränkt sein. Denn das berechnend und messend beobachtende und instrumentell aneignungsbare Verfügungswissen verstellt das Unverfügbare und insofern, einen verstehenden Umgang damit zu realisieren. Ob diese Vermutung plausibel ist, wird im letzten Abschnitt zur Einführung einer neuen Perspektive für die Umweltsoziologie noch zu prüfen sein. Dass sowohl dem Vollzug der Immanenz als auch dem der Expressivität der Struktur nach ein Moment der Unverfügbarkeit immanent ist, welches das Erleben von Unverfügbarem im Wirklichkeitserleben konstituiert, ist aus den bisherigen Ausführungen aber deutlich geworden. Im Folgenden soll dieses Verhältnis noch einmal präziser gefasst und in den umweltsoziologischen Kontext gestellt werden, damit sein Potenzial für eine neue umweltsoziologische Perspektive genauer ausgelotet werden kann. Wird dieses Potenzial im Folgenden bestätigt, soll dieses Verhältnis im Anschluss daran das anthropologische Fundament für Rosas resonanztheoretische Betrachtung spätmoderner Weltbeziehungen bilden. 4.1.3 Das Moment der Unverfügbarkeit und das Erleben von Unverfügbarem im Verhältnis zur umweltsoziologischen „Umwelt“ Das Moment der Unverfügbarkeit als Strukturelement vermittelter Unmittelbarkeit und das Erleben des Unverfügbaren als Element der Wirklichkeit stehen den Überlegungen zu Immanenz und Expressivität zufolge in einem spezifischen Ermöglichungsverhältnis zueinander, wobei das Erstgenannte als Strukturmoment die Bedingung der Möglichkeit für Letzteres ist. Denn dass der Mensch die Unverfügbarkeit einer unmittelbaren Wirklichkeit verstehen kann, gründet auf der Exzentrizität des Menschen, da diese ihm die dazu notwendige Distanz gewährt. Dieses Wissen um die Vermitteltheit der Wirklichkeit bringt eine existenzielle Unsicherheit mit sich, die als ein Unverfügbares von ihm erlebt wird. Dieses Wissen schiebt sich dabei zwischen ihn und die Dinge.1 D.h. der Mensch weiß um die Dingvermitteltheit, da er um die Bewusstseinsinhalte als Bewusstseinsinhalte weiß. Und diese dem Menschen bewusst gewordene Bewusstseinsimmanenz bedeutet für den Menschen ein Erleben von Unsicherheit. Denn er begreift, dass ihm die Realität niemals direkt verfügbar ist oder je sein wird. Er muss mit dem „Schein der Unmittelbarkeit“ leben, „von dessen Haltlosigkeit

1

Vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 329.

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[…] [ihn] die Reflexion überzeugt“.2 Diese Haltlosigkeit, um die der Mensch weiß, gründet somit auf dem Erleben von Unverfügbarem, dem Unverfügbaren eines bezugsmäßigen Gleichgewichts, das aber zugleich das expressive Streben nach Gleichgewicht evoziert. Das Strukturmoment der Unverfügbarkeit ermöglicht dabei in beiden Modi des Vollzugs vermittelter Unmittelbarkeit dem Menschen diese Begegnung mit dem Unverfügbaren. Gleichgewichtslos in die Welt gestellt und konfrontiert mit der Unverfügbarkeit eines bezugsmäßigen Gleichgewichts, muss sich der Mensch einen umwelthaften Ausgleich mit künstlichen Mitteln schaffen. Mit diesen Mitteln kann er dem Ausgleich seiner Gleichgewichtslosigkeit Ausdruck verleihen und dadurch tatsächlich ausgleichen. Den Ausgleich findet der Mensch somit in der Erfüllung seines Strebens, d.i. seinen Intentionen einen Ausdruck zu verleihen. Gleichwohl bedeutet diejenige Ausdrucksform, die das Erleben „echter Erfüllung“ birgt, ebenso eine existenzielle Unsicherheit, denn als Unvorhersehbares ist sie nicht vorherbestimmt und gewährleistet somit keine garantierte Erfüllung des Strebens. In der verwirklichten Ausdrucksform sein Streben trotzdem als erfüllt zu erleben, gelingt dem Menschen, da er die Brechung der Intention im Medium der Vermittlung verstehen kann. Dieser verstehende Umgang gewährleistet ihm an seinen Ausdrucksformen, trotz ihres Erlebens als etwas Unverfügbares, Halt zu finden. Da der Mensch aber bezugsmäßig gleichgewichtslos ist, muss er sich immer wieder aufs Neue auf dieses Unverfügbare einlassen, denn „[i]hn stößt das Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit ewig aus der Ruhelage, in die er wieder zurückkehren will“.3 Dieser Vollzug des kontinuierlichen Ausgleichs der Gleichgewichtslosigkeit durch den verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren ist somit wesentlich konstitutiv für die Lebensführung des Menschen. Das Moment der Unverfügbarkeit ist dabei das notwendige Strukturelement im Vollzug vermittelter Unmittelbarkeit, durch das dem Menschen, wie eingangs hervorgehoben, jene auszugleichende existenzielle Unsicherheit vermittelt ist. Als Moment der Struktur des menschlichen Wirklichkeitserlebens ist diese Unverfügbarkeit buchstäblich nicht aus der Welt zu schaffen. Vielmehr realisierte sich ohne dieses Moment kein Welterleben. Denn Welt als Erfahrungshorizont gründet auf der exzentrischen Positionalität, die die Bezugsform der vermittelten Unmittelbarkeit bedeutet. Das dieser Struktur immanente Moment der Unverfügbarkeit ist dabei nun insofern welteröffnend, als seine phänomenale Entsprechung durch den menschlichen „Sinn fürs Negative“ vermittelt wird. Sein „Sinn fürs Negative“ ermöglicht es dem Menschen, in einer Wirklichkeit mit phänomenalem Weltcharakter zu leben, denn dieser Weltcharakter zeichnet sich durch 2

Ebd. 330.

3

Ebd. 339.

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das Unverfügbare, das den An-sich-Charakter der Phänomene kennzeichnet, aus. Die Welt, die dem Menschen als Wirklichkeit zur Erscheinung kommt, realisiert sich somit wesentlich dadurch, dass dem menschlichen „Sinn fürs Negative“ ein Unverfügbares im phänomenalen Erleben korrespondiert. Die Spannung der Lebensmodi Immanenz und Expressivität immer wieder auszugleichen, heißt für den Menschen, sich auf das Unverfügbare in den Phänomenen einzulassen und mit diesem verstehend umzugehen. Dieses Einlassen auf und Umgehenkönnen mit dem Unverfügbaren ist nach Plessner konstitutiv für das menschliche Dasein: „An dieser Unsicherheit hat der Mensch sein Lebenselement; ihm entringt er im Kampfe (d.h. gegen das Fremde) seinen eigenen Lebenssinn“.4 Das menschliche Leben erfordert somit die gleichgewichtslose Weltgestelltheit, für deren Ausgleich das Entdecken und Verstehen des Unverfügbaren als ein Unverfügbares konstitutiv ist.5 Wenn die menschliche Lebensführung sowohl seiner Struktur nach als auch seinem Erleben nach konstitutiv von einem Moment der Unverfügbarkeit bzw. von der verstehenden Begegnung mit dem Unverfügbaren getragen wird, wobei ersteres Bedingung der Möglichkeit und letzteres Bedingung der Wirklichkeit ist, inwiefern kann das zu verstehende Unverfügbare dann für die umweltsoziologische Betrachtung des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses fruchtbar gemacht werden? Betrachtet man vor dem Hintergrund der Überlegungen zum verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren erneut den Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie und nimmt den Kerngehalt dieses Verhältnisses in den Blick – „Umwelt“ ist das dem Menschen instrumentell Verfügbare der objektiven Natur –, dann fällt zunächst einmal auf, dass sich darin der Sachverhalt „Umwelt“ wesentlich dadurch auszeichnet, dass er den dem Menschen auf instrumentelle 4

H. Plessner: Macht und menschliche Kultur, a.a.O. [Anm. 425] 191.

5

Es ist dieser Zusammenhang von Unsicherheit und Ausgleich, den Plessner als die ursprüngliche Begegnung zwischen Mensch und Welt ausgewiesen hat und der den von ihm sogenannten „glücklichen Griff“ erfordert (Vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 322). Das Bemerkenswerte am „glücklichen Griff“ als Ausdrucksleistung ist, dass dieser nur in der schöpferischen Begegnung mit etwas Fremdem und gerade NichtBestimmtem gelingt: „Nicht das Suchen nach etwas Bestimmtem ist das Prius der eigentlichen Erfindung, denn wer nach etwas sucht, hat in Wahrheit schon gefunden“ (ebd. 322). Das Bestimmte entbehrt dem Strebensdrang nach Erfüllung: „Entfremdet wird es zum Gegenstand der Betrachtung, das vordem unsichtbarer Raum unseres Strebens war“ (ebd. 338). Das bereits Bestimmte, in dem der Pakt mit der Wirklichkeit zum Vorschein kommt, garantiert zwar die Form des Ausdrucks, gibt dabei aber die Möglichkeit zum verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren preis und somit die Wirklichkeit „echter Erfüllung“.

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Weise verfügbar gemachten Lebensraum kennzeichnet. Insofern ist diese „Umwelt“ Teil der Wirklichkeit, mit der bereits paktiert wurde. Die äußere Natur nimmt in dieser Perspektive den Stellenwert eines verfügbar zu machenden Unverfügbaren an, d.h. ein Noch-nicht-Verfügbares. Sie ist zwar das Andere, dem sich der Mensch gegenüber sieht, aber als naturalistisch aufgefasste Gegebenheit ist sie etwas prinzipiell Bestimmbares und dadurch etwas früher oder später Verfügbares.6 Sofern der Umgang mit dem Unverfügbaren eine Transformation von Noch-nicht- in Verfügbares meint, bleibt das Unverfügbare dabei systematisch im Bereich des Erklärbaren. Ein verstehender Umgang mit dem Unverfügbaren als ein Unverfügbares meint hingegen das Einlassen auf das Fremde, das als dieses Fremde nicht mittels eines naturalistischen Verfügungswissens angeeignet werden kann. Da „Umwelt“ in der umweltsoziologischen Perspektive aber etwas meint, das für den Menschen das Verfügbare ist und dabei die Annahme vorausgesetzt wird, dass der Mensch als Mensch ein Leben in „Umweltverhältnissen“ lebt, kann das zu verstehende Fremde keinen Eingang in die Umweltsoziologie finden, da es als zu Verstehendes systematisch ausgeschlossen ist. Wie im zweiten Kapitel aufgezeigt, ist das umweltsoziologische Verständnis von „Umwelt“ aber kein bedingungsloses, sondern vielmehr selbst Ausdruck aktueller Weltverhältnisse, die auch das Wissen der Umweltsoziologie tragen. Mit anderen Worten: Soll das Erleben und Verstehen des Unverfügbaren in der Umweltsoziologie thematisch werden können, muss sie die aktuellen Weltverhältnisse einer kritischen Betrachtung unterziehen, anstatt deren Gültigkeit vorauszusetzen. Nimmt man das Verfügungswissen als Bedingung der Wirklichkeit ernst, kann offengelegt werden, inwiefern es die Beziehung zur „Umwelt“ primär als einen instrumentellen Bezug konstituiert. Denn das vorhandene Wissen über die „Umwelt“ lässt sie als etwas Verfügbares und damit Beherrschbares erscheinen. Daran anschließend drängt sich gleichwohl auch die Frage auf, inwieweit das Wissen um die eigene unsichere Existenz, die sich am Erleben des Unverfügbaren entzündet, selbst eine Rolle in der Entwicklung instrumenteller Weltverhältnisse spielt. In dieser Hinsicht wäre es nämlich nur die halbe Wahrheit zu sagen, der Ausgleich exzentrischer Positionalität habe mit instrumenteller 6

Im Alltag kommt dieses Verhältnis zur Natur bspw. in Vorträgen, Reportagen oder Dokumentationen zum Ausdruck, wenn darin von den noch unerforschten Gebieten oder unentdeckten Lebewesen auf der Erde gesprochen wird und diese die noch zu enthüllenden Geheimnisse der Natur darstellen. Dies gilt auch für den menschlichen Körper, der als Körper zur Natur gehört, als solcher jedoch früher oder später der naturwissenschaftlich-biologischen Forschung seine noch bestehenden Geheimnisse preis geben wird.

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Vernunft nichts zu tun. Insofern der Mensch den Ausgleich vollziehen muss, sind auch Formen instrumenteller Art dazu notwendig. Diese werden jedoch zu prekären Formen, wenn sie die sinnstiftenden Qualitäten, die sich dem Menschen am verstehenden Zugang zum Unverfügbaren entfalten, verstellen. Denn die Ergänzungsbedürftigkeit des Menschen verweist doppelaspektiv auf den sowohl instrumentell als auch verstehend möglichen Zugang zur Welt, die zwar beide auf je verschiedene Weise den Ausgleich ermöglichen und insofern auch notwendig sind. Gewinnt aber ein Zugang die Überhand über den anderen, treten die wirklichkeitskonstituierenden Möglichkeiten des überbotenen in den Hintergrund und verlieren als Formen der Sinnstiftung an Bedeutung. Betrachtet man die Entwicklung moderner Gesellschaften bis zu ihren spätmodernen Formen unter dem Aspekt des Umgangs mit zu verstehendem Unverfügbaren, dann ist in Anbetracht des exorbitanten Fortschritts in den Natur- und Lebenswissenschaften sowie der auf diesen Erkenntnissen aufbauenden kulturellen Praxis festzuhalten, dass sich die Moderne als eine Geschichte des Generierens von erklärendem Verfügungswissen ausweisen lässt.7 Der Entfaltungsraum für den verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren wurde durch diese Entwicklung, die immer weitere Bereiche des Lebens, sei es organisches, soziales, leibliches oder psychisches, in berechenbare und bestimmbare Größen transformiert hat, stetig geringer. Eine Welthaltung, in der das Leben mit all seinen Erscheinungsformen als etwas prinzipiell Erklärbares aufgefasst wird, leistet einer Wirklichkeit des instrumentell Verfügbaren Vorschub. Nicht-erklärbares Unverfügbares birgt darin Unsicherheiten, die zu beseitigen nicht zuletzt die Wissenschaften angetreten sind. Deren Bemühungen, das Unverfügbare in Verfügbares bzw. zumindest in einen Modus des Noch-nicht-Verfügbaren zu transformieren, sind von großem Erfolg gekrönt. Denn Erklärbarkeit schafft in diesem Weltbild Sicherheit und bedeutet somit die garantierte Erfüllung der Intention. Ein Teil dieser Erfolgsgeschichte ist auch die Umweltsoziologie. So ist zum einen aus der Analyse der Umweltbegriffe hervorgegangen, dass mit „Umwelt“ der ökologisch erklärbare Raum bezeichnet wird, den der Mensch mittels der darin enthaltenen Ressourcen zu seinem Leben gestaltet. Die diesem Begriff Axiomatik geht dabei auf die naturalistischzugrundeliegende evolutionstheoretische Welthaltung zurück, die das Sprechen in ökologischen Kategorien erst ermöglicht. Zum anderen hat die oben geleistete Analyse der 7

Diese Entwicklung findet ihren Ausdruck u.a. in Webers Auffassung der Moderne als eine Entzauberung der Welt, in Simmels Diagnose der Tragödie der Kultur sowie in Horkheimers Begriff der instrumentellen Vernunft und Adornos Begriff der verwalteten Welt (vgl. zu den Moderneanalysen genannter Autoren in einführender Hinsicht H. Rosa/D. Strecker/A. Kottmann: Soziologische Theorien, a.a.O. [Anm. 18]).

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umweltsoziologischen Ansätze gezeigt, dass in RCT und Lebensstilsoziologie die These vertreten wird, das menschliche Subjekt könne sich aufgrund einer ihm dort unterstellten und anthropologisch begründeten Myopia lediglich dann auf die „Umwelt“ als etwas zu bewahrendes einlassen, wenn diese entweder Teil eines objektivistischen oder Teil eines subjektivistischen Verfügungswissens ist. Die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“, die zu schließen eines der größten Anliegen der Umweltsoziologie darstellt, ist aus umweltsoziologischer Perspektive dann ex negativo der beste Zeuge dafür, dass Wissen über die „Umwelt“ nur in Form von Verfügungswissen vermittelbar ist und zum Handeln führt. Entsprechend wurde einerseits argumentiert, dass die „Umwelt“ als subjektive Bedeutung kognitiv verfügbar sein müsse, soll das vom Lebensstil beschränkte Subjekt „umweltbewusst“ handeln. Andererseits wurde argumentiert, dass „umweltbewusstes“ Handeln eine positive Auswirkung auf die vom Subjekt umzusetzende Kosten-Nutzen-Bilanz haben muss, soll es tatsächlich seine Umsetzung finden, da es dem Subjekt ansonsten nicht der nutzenmaximierenden Anpassung an seine soziale „Umwelt“ dient. Nichtinstrumentell zu handhabendes Unverfügbares wird in diesen Argumentationen somit systematisch nicht als Bedingung der Wirklichkeit wahrgenommen.8 Dies spiegelt sich auch in einem scheinbaren Paradox der umweltsoziologischen Argumentation wider, denn einerseits meint die „Umwelt“ begriffen als Anthroposphäre den Lebensraum des Menschen, über den dieser verfügt. Andererseits ist aber für das einzelne aufgrund seines Menschseins myopisch veranlagte Subjekt genau diese „Umwelt“ etwas (relativ) Unverfügbares, was paradox erscheint. Da aber Unverfügbares in der Umweltsoziologie lediglich als ein Noch-nicht-Verfügbares thematisch wird, fehlt es dem umweltsoziologischen Subjekt letztendlich auch nur an Verfügungswissen über die „Umwelt“, damit diese handlungsrelevanter Faktor in dessen Lebensführung werden kann. Für das umweltsoziologische Subjekt birgt „umweltrelevantes“ Handeln erst dann keine Unsicherheiten mehr, wenn das mit diesem Handeln verknüpfte Verfügbare aufgrund seiner Verfügbarkeit ‚Identitätsstiftung‘ verheißt. Die Lösung des Problems läge hier schlicht in einer subjektiven Verfügbarkeitsscala: Je verfügbarer etwas ist, desto mehr kann es auch für das Subjekt handlungsrelevant sein, da das Subjekt auf diesem Weg Unsicherheiten ausschließen kann.9 Dass die Lö8

In statistischen Erhebungen, die auf derartige Ansätze aufbauen, fallen deswegen Effekte, die nicht berechnet werden können, unter den sogenannten Fehlerquotienten, der in der Regel 5% beträgt – womit auch diese Form des Unverfügbaren in eine berechenbare Größe transformiert und somit ein Noch-nicht-Verfügbares ist.

9

Dieses Umgehenkönnen mit lediglich einer Wirklichkeit des Verfügbaren lässt sich z.B. auch an typischen Formen des zwischenmenschlichen Umgangs in der Spätmo-

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sung gleichwohl nicht so einfach ist, zeigt die Beharrlichkeit der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“. Der RC-Ansatz hat die angestrebte Sicherheit methodisch in eine subjektive Kosten-Nutzen-Rechnung – basierend auf evolutionstheoretischen Prämissen – als Indikator für Handlungsbereitschaft umgesetzt. Mit Hilfe der darin verwendeten kausallogischen Erklärungen gibt es in dieser Rechnung auch kein nichterklärbares Unverfügbares, da in diese Rechnung ausschließlich die dem Subjekt verfügbaren Faktoren eingeschlossen werden, die somit ebenfalls erklärte sind. Der Spielraum für Unsicherheiten durch zu verstehendes Unverfügbares ist dadurch methodisch verschlossen. Auch im lebensstilsoziologischen Ansatz der Umweltsoziologie gehen die Überlegungen zu den Möglichkeiten einer Aufhebung der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ in die Richtung, durch ein Mehr an Verfügungswissen – z.B. durch ein Mehrwissen über kognitive Parameter von Bewusstsein oder über soziale Einflussfaktoren von Subjektivität – die lebensstilkonstituierenden Indikatoren empirisch handhabbar zu machen. Das Unverfügbare als ein nur verstehbares bedeutet für die umweltsoziologische Forschung dann insofern Unsicherheit, als es der Umweltsoziologin keinen erklärenden Zugang zum Problem bietet. Für eine Disziplin, die primär über empirisch verifizierbare Erklärungen für bestehende Probleme Lösungen sucht, ist diese Vorgehensweise konsequent. Wenn sich allerdings abzeichnet, dass sich trotz eines immensen Verfügungswissens kaum oder lediglich kurzfristige und -sichtige Lösungen bestehender Probleme finden lassen, stellt sich die Frage, ob ein Noch-Mehr an Verfügungswissen tatsächlich der Weisheit letzter Schluss ist. Eines der Hauptprobleme, das mit einer Wirklichkeit, in der das Primat des Verfügungswissens herrscht, einhergeht, könnte daher sein, dass die darin lebenden Subjekte gewissermaßen ‚verlernt‘ haben, wie mit dem Erleben von zu verstehendem Unverfügbaren umzugehen ist, damit sich darin eine „echte Erfüllung“ einstellt. Bestätigt sich diese Vermutung, betrifft dieses Problem möglicherweise auch den Umweltsoziologen, woraus folgt, dass dieses Verstehen auch wissenschaftssystematisch kaum mehr als sinnstiftendes Konstitutivum themaderne illustrieren. Insbesondere der Erfolg von internetbasierten, sozialen Netzwerken zeugt von einer starken Tendenz, Unsicherheiten im Sinne eines zu verstehenden Unverfügbaren zu vermeiden. Denn ein User, der sich mit seinem Profil den anderen Usern zur Verfügung stellt, bildet dabei Aspekte seines Selbst durch ganz bestimmte kognitiv leicht anzueignende Kriterien ab, so dass einerseits mögliche Unsicherheiten gegenüber dem eigenen Selbst verstellt werden und andererseits alle anderen Userinnen den Verfügbarkeiten entsprechend Unsicherheiten in der digitalen Begegnung minimieren können.

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tisch werden kann. Die mit Plessner ausgewiesene Notwendigkeit eines verstehenden Umgangs mit der der bezugsmäßigen Vermitteltheit der unmittelbaren Wirklichkeit, das dem Menschen seine eigene Gleichgewichtslosigkeit bewusst werden lässt und zugleich das Umgehenkönnen mit dem Unverfügbaren durch Verstehen ermöglicht, scheint durch die Ubiquität des naturalistischen Weltbildes als konstitutive Form des Weltzugangs geradezu unnötig geworden zu sein. Der Ausgleich der menschlichen Lebenssituation wird in diesem Weltbild als ein innerhalb instrumentell funktionierender Weltverhältnisse zu vollziehender vermittelt, die den Ausgleich auf direktem Wege versprechen. Die Gründe für das Präferieren eines Einlassens und Umgehens mit Verfügbarem sind aus soziologischer Sicht somit stets vor dem Hintergrund der komplexen Entwicklung seiner Wirklichkeit zu suchen. Denn diese Entwicklung gründet auf dem menschlichen Leben in Weltverhältnissen und ist zugleich die Welt, mit der das Selbst eine Beziehung realisiert. Um das Moment der Unverfügbarkeit bzw. das zu verstehende Unverfügbare einerseits als Strukturmoment im menschlichen Wirklichkeitserleben und andererseits als konstitutive Bedingung der Wirklichkeit „echter Erfüllung“ in den umweltsoziologischen Blick holen zu können, muss die mitweltliche Vermitteltheit der Wirklichkeit des Verfügbaren reflektiert werden, damit die Annahme ihrer Richtigkeit nicht als Präsupposition bestehen bleibt. Der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren, der mit Plessner als Konstitutivum „echter Erfüllung“ des Gleichgewichts ausgewiesen werden konnte, scheint in dieser Wirklichkeit kein Kriterium mehr für eine ‚gelingende‘ Lebensführung zu sein. Vielmehr hat das Ausschließen von Unsicherheiten höchste Priorität. Dazu müssen die Erfüllungen der Intentionen jedoch möglichst garantiert, d.h. ihre Ausdrucksformen müssen vorhersehbar sein. Die garantierte Erfüllung, die den Pakt mit der Wirklichkeit voraussetzt, birgt die Gefahr, dass die Beziehung zur Welt als eine instrumentell herzustellende vermittelt wird, in welcher der einfachste Weg zur Erfüllung der kausallogische ist. Ein Umgang mit dem zu verstehenden Unverfügbaren, d.h. jenseits einer Auffassung von diesem als ein Noch-nicht-Verfügbares, hat darin kaum Platz, weil dieser Umgang die garantierte Erfüllung der Intentionen ungewiss macht. Betont Plessner in den Stufen zwar „Erfüllung ist wesentlich das auch ausbleiben Könnende“,10 so scheint die Angst vor diesem Ausbleibenkönnen aber der moderne Antrieb für die Ausweitung der Wirklichkeit des Verfügbaren zu sein. Entsprechend erstrebenswert erscheint eine möglichst direkte Umsetzung der Intentionen in garantierte Erfüllungen. Und doch kann die vermittelte Unmittelbarkeit als anthropologisches Grundgesetz durch diese Garantie nicht 10 Ebd. 336.

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außer Kraft gesetzt werden, selbst wenn die kulturpraktische Tendenz dahin geht, dem auf diesem Gesetz gründenden Erleben von zu verstehendem Unverfügbaren möglichst wenig Entfaltungsmöglichkeit einzuräumen. Dass die hier analysierten umweltsoziologischen Ansätze von anthropologischen Annahmen axiomatischen Charakters geleitet sind, ist oben herausgearbeitet worden. Dass diese reduktionistische Menschenbilder sind, ebenso. Inwiefern zur Realisierung einer ‚gelingenden‘ Selbst-Welt-Beziehung jedoch auch das konstitutive Verstehen von Unsicherheiten, Unergründlichem, Fremdem und Unverfügbarem gehört, ist dagegen erst mit Plessner deutlich geworden. Dieses mit Plessner anthropologisch begründete Erleben von zu verstehendem Unverfügbaren, das in der Realisierung von Selbst-Welt-Beziehungen konstitutiv ist, in Anbetracht der bisherigen wissenschaftstheoretischen Ergebnisse wissenschaftssystematisch stark zu machen, scheint also eine fruchtbare Perspektive zu sein.11 Damit der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren in einem soziologischen Kontext als axiomatische Grundlage erprobt werden und dadurch ferner der Umweltsoziologie eine neue Perspektive der Problemklärung bieten kann, soll im Folgenden aufgezeigt werden, inwiefern das Unverfügbare durch den verstehenden Umgang mit diesem in der Realisierung von Selbst-Welt-Beziehungen sinnstiftend sein kann. Dazu wird der eingangs angesprochene soziologische Ansatz von Rosa vorgestellt, da dieser eine Grundlegung des verstehenden Umgangs mit dem Unverfügbaren als sinnstiftende Erfahrung zulässt. Denn in Selbst-Welt-Beziehungen – so die These – ist der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren deswegen konstitutiv, da die Begegnung mit dem Unverfügbaren ein Bedürfnis weckt, das seine Erfüllung in einem verstehenden Umgang mit diesem Unverfügbaren findet. Rosa bietet mit seiner Resonanztheorie nun einen Ansatz, in dem diese verstehende Begegnung mit dem Unverfügbaren eine systematische Funktion einnehmen kann. Denn diese Begegnung stiftet eine Erfahrung, die in Rosas Ansatz ihren systematischen Ort dort hat, wo Rosa von Resonanzerfahrungen spricht, die darin konstitutiv für die Realisierung von sinnstiftenden Selbst-Welt-Beziehungen sind und daher implizit ein menschliches Bedürfnis nach dieser Erfahrung voraussetzen. Somit bietet Rosa einen soziologischen Ansatz, mit dem das menschliche Leben in Weltverhältnissen in seinen 11 Es muss wohl eingestanden werden, dass mit einem solchen Ansatz im Grunde auch das zu verstehende Unverfügbare analytisch verfügbar gemacht wird, um eben die mit diesem Gegenstand einhergehenden Unsicherheiten wissenschaftssystematisch handhabbar zu machen. Nichtsdestotrotz gewährleistet die Pointe des Verstehens dabei jene Offenheit, die in der Rede über den Menschen bewahrt werden muss, will man nicht erneut der Wirklichkeit des Verfügbaren und Erklärbaren durch die Fixierung eines Menschenbildes anheimfallen.

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Lebensmodi Immanenz und Expressivität – als Vollzüge des verstehenden Umgangs mit dem Unverfügbaren – unter spätmodernen Wirklichkeitsbedingungen analysiert werden kann und damit auch für die Umweltsoziologie anschlussfähig wird.

4.2 R ESONANZERFAHRUNG ALS I DENTITÄTSSTIFTUNG : H ARTMUT R OSAS S OZIOLOGIE DER W ELT BEZIEHUNGEN Soziologie ist für Rosa eng mit Gesellschaftskritik verbunden. Für ihn beruht das soziologisch motivierte Nachdenken auf dem Gefühl oder der Ahnung davon, dass in den sozialen Verhältnissen eine Schieflage besteht.1 Bekannte Leitaspekte Kritischer Soziologie waren im 20. Jahrhundert u.a. das Honneth’sche Anerkennungstheorem, das Autonomie- bzw. Authentizitätstheorem sowie der Begriff der Entfremdung.2 Die erstgenannten Leitaspekte fungieren dabei als Maßstäbe für die Qualität der Lebensführung. Entfremdung erscheint darin hingegen als Symptom ihrer pathologischen Entwicklung. In Abgrenzung zu den genannten Leitaspekten rückt Rosa nun die menschliche Notwendigkeit, überhaupt eine Selbst-Welt-Beziehung zu realisieren, in den Fokus der sozialkritischen Betrachtung. Denn jene Aspekte sind nach Rosa nicht weitreichend genug, um auf ihnen eine umfassende Kritik spätmoderner Gesellschaften aufzubauen: Nicht alle Handlungsmotivation gründe auf dem Bedürfnis nach Anerkennung, so wie die Ausweitung der Selbstbestimmungsmöglichkeiten nicht zwangsläufig mehr Selbstverwirklichung mit sich bringe. Sie führe vielmehr – so Rosas Diagnose – unter spätmodernen Bedingungen zu neuen Entfremdungserfahrungen, die sich eben nicht in einem Mehr an Anerkennungsbeziehungen oder Autonomie auflösen lassen.3 Dass die von Rosa eingenommene Perspektive auf die Selbst-WeltBeziehung die menschliche Lebenssituation weitreichender erfassen kann, als genannte Leitaspekte, liegt also nahe, da sie ihren Ausgang vom menschlichen Leben in Weltverhältnissen als solchem nimmt. Und dieses Leben, das mit Plessner als Kategorischer Konjunktiv statt eines Imperativs ausgewiesen wer-

1 2

Vgl. H. Rosa: Kritik der Zeitverhältnisse, a.a.O. [Anm. 417] 23. Alles in allem gingen die Impulse der Thematisierung und Systematisierung besagter Termini im 20. Jahrhundert von der Kritischen Theorie aus.

3

Vgl. Hartmut Rosa: Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik (Frankfurt a.M. 2012) 9.

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den konnte, verbietet sich von selbst einer Reduktion auf einen dieser Maßstäbe. Der „Kampf um Anerkennung“ (Honneth) oder das Streben nach Autonomie und Authentizität sind zwar hinsichtlich der Selbstkonstituierung relevante Aspekte innerhalb von Weltbeziehungen, aber nicht das jeweils grundlegendste Konstitutivum dieser Beziehung. Gerade weil Rosa die Aspektivität dieser Maßstäbe hervorhebt, muss er in Auseinandersetzung mit diesen eine Erfahrung finden, unter die sich jene Leitaspekte als mögliche Formen ihres Ausdrucks fassen lassen. Diese grundlegende Erfahrung entdeckt Rosa in dem, was er als Resonanzerfahrung bezeichnet. Das menschliche Subjekt ist nach Rosa auf Resonanzerfahrungen angewiesen, um überhaupt eine sinnstiftende Selbst-WeltBeziehung realisieren zu können, d.h. der Mensch braucht zur Orientierung eine ihm antwortende Welt; wo die Welt hingegen verstummt, d.h. nicht mehr antwortet, geht diese Orientierung verloren.4 Der Sache nach scheint Rosas Resonanzerfahrung somit das Konstitutivum für den Ausgleich der menschlichen Gleichgewichtslosigkeit zu sein. Denn die Resonanzerfahrung nimmt in Rosas Ansatz den Platz eines notwendigen Konstitutivums ein und gründet insofern auf „einer resonanztheoretische(n) Anthropologie“.5 D.h. der Mensch muss in seiner Lebensführung Resonanzerfahrungen machen, um seine Gleichgewichtslosigkeit ausgleichen zu können. An diesem Punkt kann nun jenes eingangs erwähnte Gefühl der sozialen Schieflage verortet werden, das Rosa dazu veranlasst, danach zu fragen, „wie wir uns als moderne Subjekte in die moderne Welt gestellt fühlen und insbesondere inwiefern wir uns in dieser Welt getragen oder aber in diese Welt geworfen fühlen“.6 Mit der Klärung dieser Fragen will Rosa den Boden für eine Soziologie der Weltbeziehungen bereiten.7 Aufgabe der folgenden Ausführungen zu Rosas Ansatz ist daher die systematisch wichtige Klärung der Frage, ob sich für die Erfahrung, die Rosa als Resonanzerfahrung bezeichnet, ein in der Struktur menschlichen Welterlebens gründendes Bedürfnis danach ausweisen lässt. Diesem Anspruch entsprechend wird Rosas Soziologie der Weltbeziehungen in zwei Schrit4

Vgl. ebd. 10.

5

H. Rosa: Die Natur als Resonanzraum, a.a.O. [Anm. 468] 1.

6

H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 374.

7

Zusätzlich zum Getragen-Sein und Geworfen-Sein gibt es natürlich weitere Realisierungsformen des In-die-Welt-gestellt-Seins. Rosa identifiziert in seinem Ansatz zunächst vier (vgl. ebd. 399-404). Deren Überprüfung hinsichtlich ihres tatsächlichen Vorkommens ist jedoch nicht Thema dieser Arbeit. Für meine analytischen Zwecke soll deswegen im Folgenden die Zweiteilung in Getragen-Sein und Geworfen-Sein bzw. analog dazu die Zweiteilung in resonante und stumme Weltbeziehungen genügen.

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ten vorgestellt, wobei im ersten herauszuarbeiten ist, was Rosa mit Resonanz bzw. mit Resonanzerfahrung – anthropologisch betrachtet – überhaupt meint. Sofern dabei Resonanz in der Beziehung zur Welt als eine Erfahrung ausgewiesen werden kann, die den Ausgleich der menschlichen Gleichgewichtslosigkeit im Vollzug der Lebensführung qualitativ stiftet, ist in einem zweiten Schritt das Bedürfnis nach Resonanz anthropologisch zu begründen. Die These, die dazu vertreten wird, lautet, dass dieses Bedürfnis auf der strukturbedingten – und insofern die existenzielle Unsicherheit betreffende – Begegnung mit dem zu verstehenden Unverfügbaren gründet. Denn die Erfüllung dieses anthropologisch gefassten Bedürfnisses nach Resonanz bedarf des verstehenden Umgangs mit dem Unverfügbaren, was bedeuten würde, dass Resonanzerfahrungen das menschliche Leben auszeichnen. Im Anschluss an die anthropologische Fundierung von Rosas resonanztheoretischem Ansatz soll zudem ein kurzer Ausblick auf das gesellschaftskritische Anliegen, das Rosa damit verfolgt, die Ausführungen zu seiner Soziologie der Weltbeziehungen komplettieren, da ihre kritische Perspektive für die Umweltsoziologie einen fruchtbaren Ausgangspunkt bieten kann, die von ihr vorausgesetzten Weltverhältnisse zu hinterfragen und als Präsupposition in der eigenen Systematik aufzudecken. 4.2.1 Resonanz als die Erfahrung einer antwortenden Welt Inspiriert von der Idee, eine Soziologie des ‚guten‘ Lebens bzw. eine Soziologie der Weltbeziehungen zu entwerfen, stellt sich Rosa die Frage, was denn Aufgabe einer solchen Soziologie sein kann. Ihre Aufgabe – so Rosas Antwort – könne nicht darin bestehen, die Zielvorgaben oder den Inhalt eines ‚guten‘ Lebens anzugeben. Vielmehr müsse ihre Aufgabe sein, diejenigen sozialstrukturellen Bedingungen auszumachen und zu beschreiben, die zum Gelingen eines ‚guten‘ Lebens notwendig sind.1 Dies bedeutet, will man der Aufgabe umfassend gerecht werden, im selben Zuge auch die Bedingungen seines Scheiterns auszumachen. Da es Rosa in seiner angestrebten Soziologie der Weltbeziehungen nicht um die Bestimmung besagter Ziele und Inhalte geht – zu denen gleichwohl Anerkennung, Autonomie und Authentizität gehören –, soll mit ihr dennoch eine Aussage darüber getroffen werden können, in Bezug auf das Menschsein, d.h. der Struktur menschlichen Lebens nach, ein ‚gelingendes‘ Leben auszeichnet.

1

Vgl. zu diesen Überlegungen H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 7.

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Interessanterweise, obgleich nicht in Anlehnung an Plessner,2 nehmen Rosas Überlegungen ihren Ausgang von der Feststellung, dass es zum menschlichen Leben gehört, in eine Welt gestellt zu sein. Rosa formuliert im Anschluss an diese Feststellung die These, dass ein ‚gelingendes‘ respektive ‚misslingendes‘ Leben von der Art und Weise des In-die-Welt-gestellt-Seins abhängt, denn für ihn steht fest, „dass sich die Frage nach dem gelingenden Leben als eine Frage nach dem Weltverhältnis oder der Weltbeziehung des Menschen reformulieren lässt“.3 Der Entwurf einer Soziologie der Weltbeziehungen muss somit eine Anthropologie voraussetzen, die den Zusammenhang zwischen Selbst und Welt als einen zum Menschsein gehörenden ausweist. Zugleich muss mit dieser Anthropologie im Wirklichkeitserleben des Menschen eine spezifische Erfahrung begründet werden können, die den Zusammenhang zwischen Selbst und Welt qualitativ stiftet, ohne dass dabei bereits eine normative Aussage über ihre Ausdrucksformen getroffen wird. Ist eine solche Erfahrung ausgemacht, kann nach den sozialstrukturellen Bedingungen ihrer Realisierung bzw. ihrer Verhinderung gefragt

2

Plessners Anthropologie für die Soziologie Rosas explizit zu machen, ist in beiden Ansätzen bereits systematisch angelegt, ihre Verknüpfung von daher sinnvoll. Rosa selbst gibt an, in der Idee des menschlichen In-die-Welt-gestellt-Seins von Maurice Merleau-Ponty, Charles Taylor und Heidegger inspiriert worden zu sein (vgl. ebd. 379). Dass sich alle drei Philosophen phänomenologisch bzw. fundamentalontologisch mit der menschlichen Weltgestelltheit auseinandergesetzt haben, ist zwar bekannt, aber nicht Thema dieser Arbeit. Auch nicht, warum Rosa sich nicht an Plessner orientiert hat. Warum Plessner als Referenzautor zur anthropologischen Fundierung der Rosa’schen Soziologie gewählt wurde, hingegen schon. Plessner als Vertreter sowohl der Philosophie als auch der Soziologie ist es in seinem Werk gelungen, seine Anthropologie als mitweltlich vermittelte und damit als geschichtlich bedingte auszuweisen. Diese Aufgeklärtheit des Plessner’schen Ansatzes bereitet dadurch einen Boden für soziologische Überlegungen, die auch in die soziologische Theorie Rosas hineinreichen. Denn die dort angenommene Art und Weise, wie sich Menschen in die Welt gestellt fühlen, wird durch ein Konzept von Welt fundiert, das eine subjektive, objektive und soziale Dimension von Welt annimmt und somit im Grunde mit Plessners Trinität von Innen-, Außen- und Mitwelt qua exzentrischer Positionalität korrespondiert. Zudem findet sich bei Rosa, analog zu Plessner, auch die Betonung der antinomischen Lebenssituation des Menschen wieder – wenngleich nicht als eine solche bezeichnet –, so dass auch das von Plessner als Immanenz und Expressivität beschriebene Wirklichkeitserleben des Menschen für Rosas Ansatz fruchtbar gemacht werden kann (vgl. ebd. 7).

3

Ebd. 7.

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werden, um die erwähnte Aufgabe einer Soziologie der Weltbeziehungen zu erfüllen. Diese auszumachende Erfahrung entdeckt Rosa in dem, was er als „Konzept der Resonanz“ bezeichnet: „Gelingende Weltbeziehungen sind solche, in denen die Welt den handelnden Subjekten als ein antwortendes, atmendes, tragendes, in manchen Momenten sogar wohlwollendes, entgegenkommendes oder ‚gütiges‘ ‚Resonanzsystem‘ erscheint“.4 Die Welt kann dem Subjekt demnach als eine ihm antwortende erscheinen. D.h. jedoch zugleich, dass Resonanz eine Erfahrung ist, die auch ausbleiben kann. Wenn das Resonanzerleben etwas ist, das die SelbstWelt-Beziehung qualitativ stiftet, muss es trotz oder gerade wegen des Ausbleibenkönnens der Erfahrung auch ein kontinuierliches Bedürfnis nach Resonanz geben. Die Frage nach der anthropologischen Struktur, die Bedingung der Möglichkeit dieses Bedürfnisses ist, bleibt bei Rosa jedoch völlig unbestimmt. Diese zu klären, sieht Rosa, wie er betont, als Aufgabe der Philosophie bzw. Anthropologie, nicht der Soziologie.5 Bevor sich im Folgenden dieser von Rosa formulierten Aufgabenstellung genähert wird, stellt sich zunächst die Frage, wie sich die Resonanzerfahrung mit Rosa genauer bestimmen lässt. Im Anschluss an das, was als Resonanzerfahrung bezeichnet wird, lassen sich dann Überlegungen zu ihrer anthropologischen Begründung anstellen. Eine erste aufschlussreiche Annäherung an das Resonanzerleben als anthropologisch begründetes Bedürfnis findet sich in Rosas Aufsatz Is There Anybody Out There?.6 Darin verweist Rosa – im Anschluss an Charles Taylor7 – auf die Einsicht, dass die menschliche Selbst-Welt-Beziehung „von einem vorreflexiven, verkörperten, expressiv und praktisch entwickelten Weltverständnis und

4

Ebd. 9.

5

Vgl. ebd. 7.

6

Vgl. Hartmut Rosa: Is There Anybody Out There? Stumme und resonante Weltbeziehungen – Charles Taylors monomanischer Analysefokus. In: Unerfüllte Moderne? Neue Perspektiven auf das Werk von Charles Taylor (Frankfurt a.M. 2011) 15-43.

7

Vgl. ebd. 18. Rosa entwickelt einige seiner Hauptthesen im Anschluss an Taylor – bspw. die Betonung der kognitiv-evaluativen Landkarten zur Orientierung des Subjekts in der Welt, die Idee, die menschliche Weltbeziehung als anthropologisches Fundament einer kritischen Betrachtung der Moderne zu setzen, sowie den Begriff der Resonanz als Ausdruck der Qualität von Selbst-Welt-Beziehungen zu verwenden (vgl. ebd.) –, diese Bezugnahme Rosas auf Taylor wird in dieser Arbeit jedoch nicht mehr als zur Kenntnis genommen, da eine explizite Auseinandersetzung mit Taylors Genealogie der Weltbeziehungen für den Fortgang der vorliegenden Arbeit von sekundärer Relevanz ist.

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Weltempfinden geprägt wird“.8 Eine Selbst-Welt-Beziehung realisiert sich für Rosa demnach auf dem Hintergrund der psychophysischen Einheit des Menschen als ein leiblich vermitteltes In-die-Welt-gestellt-Sein. Ihre Realisierung bedarf insofern eines lebendigen Austauschverhältnisses, „in dem Selbst und Welt wechselseitig konstitutiv und ‚responsiv‘ werden, dem zufolge das Selbst also gleichsam einen konstitutiven ‚Widerhall‘ in seinen Weltbeziehungen findet“.9 Rosa begreift Resonanz hier zunächst als einen vom Subjekt erlebten, responsiven Widerhall der Welt. Dieser Widerhall ist, wie Rosa betont, nicht rein affirmativ, sondern durchaus auch im Sinne eines widersprechenden Antwortens zu verstehen.10 Aber ist der Begriff des Widerhalls zur Beschreibung von Resonanz plausibel, wenn die Welt mit Rosa auch widersprechen kann? Dem Begriff nach hat der Widerhall doch vielmehr die Eigenschaften eines Echos und dieses wird wohl kaum widersprechen. Form und Inhalt fallen gewissermaßen zusammen, die Antwort ist von vornherein festgelegt und entspricht in diesem Sinne doch eher der garantierten Erfüllung nach Plessner. Obwohl Rosa resonante Weltbeziehungen als reziproke Austauschbeziehungen auffasst, in denen sich Selbst und Welt gegenseitig durchdringen, läuft er hier Gefahr, durch die Verwendung des Begriffs des Widerhalls einen einseitigen Fokus auf die Beziehung einzunehmen. Denn damit es einen Widerhall geben kann, muss das Widerhallende zuvor aktiv von einem Gegenüberliegenden erzeugt worden sein. Die Perspektive, von der aus Rosa die Realisierung der Resonanzbeziehung betrachtet, ist in diesem Fall somit (implizit) die des Subjekts, das sich gegenüber der Welt verhält.11 Dadurch entsteht jedoch eine Tendenz zur 8 9

Ebd. 16. Ebd. 18. Vor dem Hintergrund seiner intensiven Auseinandersetzung mit Taylor in seinem bisherigen Gesamtwerk, ist Rosas Erprobung des Resonanztheorems als anthropologische Fundierung zeitgenössischer Gesellschaftskritik nur konsequent. Die Möglichkeit der anthropologischen Begründung von Resonanz lässt Rosa sogar „die Rudimente einer alternativen Handlungstheorie erkennen, nach der die Suche nach Resonanz und die Furcht vor Entfremdung die zentralen Antriebsquellen menschlichen Handelns bilden“ (ebd. 34f.).

10 Vgl. ebd. 21. 11 Rosa selbst macht zu einem späteren Zeitpunkt auf die vorhandene Subjektzentriertheit seiner Theorie aufmerksam, die er darin begründet sieht, dass das Konzept der Weltgestelltheit weniger soziologisch denn psychologisch bzw. philosophisch operationalisierbar sei. Gerade in seinem Versuch, der Weltgestelltheit soziologisch handhabbar zu werden, sieht er jedoch auch die spannende Herausforderung (vgl. H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 379). Die Fundierung seines Ansatzes mit Plessners Anthropologie vorzunehmen, bietet sich demnach einmal mehr an, da mit Pless-

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Überbetonung des Aktivischen im menschlichen Weltverhältnis. Denn wenn Resonanz ein Widerhall ist, dann meint Resonanz etwas, das vom Subjekt hergestellt werden kann, indem es sich zur Welt stellt. Das Widerfahrnis von Welt gerät dadurch leicht aus dem Blick. Als exzentrisches Wesen widerfährt dem Menschen jedoch immer schon Welt. Dieses Widerfahrnis kann nicht ausbleiben. Insofern – bleibt man in der Metapher des Widerhalls – erlebt das Selbst stets einen ‚Widerhall‘ der Welt.12 Die Resonanzerfahrung muss aber etwas sein, das auch ausbleiben kann, sofern zugleich die Möglichkeit ihrer Nicht-Erfüllung besteht. Würde Rosa Resonanz tatsächlich als einen bloßen Widerhall begreifen, dann würde seine Nicht-Erfüllung einem Weltverlust gleichkommen. Denn der Widerhall bleibt – seinem Begriff nach – nur aus, wenn er keine Fläche zur Reflexion findet. Ein Nicht-Welt-Sein ist jedoch in Bezug auf das menschliche Leben ausgeschlossen. Weniger als Widerhall und mehr als eine Antwortbeziehung ausgewiesen, kann Resonanz hingegen etwas sein, das auch ausbleiben kann. Denn Antworten setzen ein Fragen voraus, wobei sich nicht immer Antworten auf gestellte Fragen finden lassen. Zudem können Antworten den Intentionen des Fragenden durchaus widersprechen. Wenn Resonanz ein Erleben ist, das prinzipiell auch ausbleiben kann, kommt diesem auch eher ein zeitweiliger Status zu und dient weniger der Beschreibung eines Zustands der Dauer. Die Erfüllung von Resonanz – wie die Rede von Resonanz als Erfahrungsmomente im obigen Zitat nahelegt (siehe S. 263) – ist somit nicht garantiert. Diese These vertritt auch Rosa, wenn er die Resonanzbeziehung als eine Beziehung ausweist, die sich nicht nach dem Kausalgesetz und auch nicht durch instrumentelle Herstellung realisiert, „[w]eil die damit [mit der Resonanzerfahrung] verbundene ‚Erschütterung‘ aber stets und auf nicht vorhersehbare Weise auch ausbleiben kann“.13 Die mit dem Begriff des Widerhalls einhergehenden systematischen Probleme vermutlich ahnend, betont Rosa später, dass Resonanzerfahrungen begriffen als Antwortbeziehungen in ihrer Qualität kein bloßes Echo sind bzw. nicht als mechanischer Widerhall verstanden werden dürfen. 14 Vielmehr müssen Resonanzbeziehungen, so Rosa, „einen notwendigen Kern des ner die Subjektzentriertheit überwunden werden und die Gleichursprünglichkeit von Selbst und Welt hervortreten kann. 12 Der Begriff des Widerhalls impliziert zudem eine Kluft zwischen Subjekt und Welt, die mit der gleichursprünglichen Durchdringung von Selbst und Welt kaum vereinbar ist. Von daher geht mit dem Begriff des Widerhalls stets die Gefahr einer impliziten Subjekt-Objekt-Dichotomie einher. 13 H. Rosa: Is There Anybody Out There?, a.a.O. [Anm. 515] 22. 14 H. Rosa: Die Natur als Resonanzraum, a.a.O. [Anm. 468] 4.

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unverfügbaren, unvorhersehbaren, eigenständigen und unberechenbaren, ja, so scheint es des Lebendigen enthalten“.15 Auch Rosa scheint hier die tiefe Einsicht zu haben, dass in einer Wirklichkeit, in der das eigene Selbst zum Objekt bloßer Verfügung wird, der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren problematisch geworden ist. Darüber hinaus zeugt Rosas Betonung des Lebendigen von der anthropologisch motivierten Intuition, dass ein verstehender Umgang mit dem Unverfügbaren das Leben des Menschen auszeichnet. Dass in Rosas Thematisierung des Unverfügbaren der von ihm vertretene Anspruch seiner Analyse primär ein soziologischer bleibt und insofern die Fragestellung eine andere als die nach den Bedingungen menschlichen Lebens ist, ist zunächst einmal unproblematisch, schließlich geht es in der wissenschaftlichen Praxis auch um das Bewahren des disziplinären Selbstverständnisses. Gleichwohl läuft eine Soziologie – wie im ersten Kapitel anhand der Umweltsoziologie aufgezeigt wurde –, die über nichts anderes als das menschliche Leben spricht, dabei aber dieses Leben als solches aus dem Blick nimmt, Gefahr, zum einen in ihrer Axiomatik von impliziten, reduktiven Vorstellungen über das Menschsein geleitet zu sein, die lediglich einen höchst eingeschränkten Erkenntnisrahmen zulassen. Zum anderen läuft sie Gefahr, dass eine solche Axiomatik mittels der auf ihr selbst gründenden empirischen Ergebnisse immer wieder von neuem bestätigt wird, wodurch im Begründungszusammenhang von Explanans 15 Ebd. 4. Rosa rekurriert an dieser Stelle auf Bernhard Waldenfels’ Antwortregister, in dem Antworten als ein spezifischer Modus des Umgangs mit Fremdem ausgewiesen wird. Antworten, so Waldenfels, sind „die Art und Weise, wie wir auf das Fremde eingehen, ohne es durch Aneignung aufzuheben“ (Bernhard Waldenfels: Antwortregister (Frankfurt a.M. 2007) 15). Entsprechend Waldenfels’ Fokus auf das Antworten als Konstitutivum des Menschseins bestimmt er den Menschen als Homo respondens, wodurch er zwar eine Abgrenzung zu anderen geläufigen Anthropologismen vornimmt, dabei aber Plessners Verständnis durchaus nahe kommt: „Der Mensch, der in der Antwort zutage tritt, stellt sich quer zu geläufigen Definitionen. Er ist weder ein bloßes ‚Mängelwesen‘, das Fehlendes zu kompensieren hat, noch ragt er hervor als ‚Krone der Schöpfung‘, noch wohnt er ‚in der Mitte der Welt‘. Vielmehr erweist er sich als ein ‚Zwischenwesen‘, das Brücken schlägt und das als ‚nicht festgestelltes Tier‘ mit seiner Ortssuche sich und die Welt in Unruhe versetzt“ (B. Waldenfels: Sozialität und Alterität, a.a.O. [Anm. 394] 16). Ganz ähnlich heißt es bei Plessner: „Durch seine Taten und Werke, die ihm das von Natur verwehrte Gleichgewicht geben sollen und auch wirklich geben, wird der Mensch zugleich aus ihm wieder herausgeworfen, um es auf’s Neue mit Glück und doch vergeblich zu versuchen. Ihn stößt das Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit ewig aus der Ruhelage, in die er wieder zurückkehren will“ (H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 339).

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und Explanandum schlechterdings ein infiniter Regress entstehen würde. Die nachzuholende anthropologische Fundierung von Rosas Resonanztheorie durchzuführen bietet somit auch seinem Ansatz die Möglichkeit, über eine Reflexion der eigenen Voraussetzungen mögliche Reduktionismen und darauf gründende systematische Probleme zu verhindern. Wenn also die Resonanzbeziehung eine anthropologisch notwendige Antwortbeziehung zwischen Selbst und Welt ist, die sich durch einen Kern des Unverfügbaren auszeichnet, stellt sich die Frage, was nach Rosa dieses Unverfügbare ist und inwiefern es zur Realisierung einer Resonanzbeziehung beiträgt. Durch Resonanzerfahrungen bildet sich nach Rosa die ‚Identität‘ eines Subjekts.16 Denn zum einen bedeutet Resonanz, dass sich das Subjekt in der ihm widerfahrenen Welt wiedererkennen und zum anderen, dass es sich in der Welt expressiv entfalten, d.h. zum Ausdruck bringen kann. Auf diese Weise, so Rosa, lässt sich „die Konstitution des Subjekts als das Ergebnis von Resonanzprozessen verstehen“.17 Sofern sich diese ‚Identität‘ eines Subjekts durch Resonanzprozesse bildet und diese Prozesse als Auseinandersetzung mit der Welt im eben genannten doppelaspektiven Sinne zu verstehen sind, stellt sich die Frage, was sich in solchen Prozessen ereignet. Die Antwort Rosas dazu lautet, dass sich „Resonanzbeziehungen [...] nur dort ausbilden können, wo die Aneignung oder Anverwandlung von Weltausschnitten gelingt“.18 Der Prozess, in dem das Sub16 Ebd. 1. 17 Ebd. 1. Sowohl der Begriff der Identität als auch der Begriff des Ergebnisses sind von Rosa unglücklich gewählt, da dadurch die stetige Prozesshaftigkeit der Selbstkonstituierung verstellt wird. Die Selbstkonstitution einer Person ist der Prozess des stetigen Ausgleichs der wesensmäßigen Gleichgewichtslosigkeit und kann nicht zum Ergebnis kommen. ‚Identität‘ begriffen als ein Ergebnis suggeriert ein Fertig-Sein, so dass mit diesem Begriff die Gefahr einhergeht, die Unergründlichkeit menschlichen Lebens preiszugeben. 18 [Hervorhebungen KB] H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 10. Rosa bezeichnet Resonanzerfahrungen zudem als ein „Phänomen des ,Sich-aufeinanderEinschwingens‘ oder des Gleichklangs“ (H. Rosa: Die Natur als Resonanzraum, a.a.O. [Anm. 468] 11). Diese Resonanzkörper-Metapher scheint Rosa immer dann zu verwenden, wenn er insbesondere die leibliche Dimension von Resonanzprozessen hervorheben will (vgl. dazu den nächsten Abschnitt der vorliegenden Arbeit). Einerseits als Antwortbeziehung konzipiert und andererseits als ein Schwingen im Sinne zweier Resonanzkörper, scheint es bei Rosa somit zwei verschiedene Ebenen von Resonanzbeziehung zu geben, die bei ihm entweder die reflexive oder die leibliche Dimension betreffen. Dass diese beiden Dimensionen gleichwohl nicht voneinander zu trennen sind, wird im nächsten Abschnitt deutlich.

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jekt nach Rosa seine ‚Identität‘ ausbildet, ist also ein Aneignungs- bzw. Anverwandlungsprozess. Was jedoch meint diese Aneignung bzw. Anverwandlung von Weltausschnitten? Weltausschnitte, die sich das Subjekt anverwandeln muss, um eine resonante Selbst-Welt-Beziehung zu realisieren, weisen nach Rosa nun jene Qualität des Unverfügbaren auf, so dass deren „Gültigkeit die handelnden Subjekte als (schlechthin) gegeben erfahren“.19 D.h. dieses Unverfügbare erhält seine Bedeutsamkeit für das Subjekt, insofern es ihm, wie Rosa sagt, als „quasi-ontologisch“20 erscheint und dadurch keiner vom Subjekt ausgehenden Manipulation anheimfallen kann. Das Unverfügbare stiftet demnach eine Resonanzerfahrung, wenn sich das Subjekt dieses Unverfügbare als für seine Lebensführung sinnvollen Weltausschnitt angeeignet bzw. anverwandelt hat. Denn auf diese Weise wird der Weltausschnitt für das Subjekt als eine „Quelle starker Wertung“21 verfügbar, wodurch nach Rosa Selbst und Welt als resonanter Zusammenhang erfahren werden. Resonanzprozesse sind im Rosa’schen Sinne somit Prozesse, in denen dem Subjekt das ihm ‚als ob‘-ontologisch Gegebene und dadurch Unverfügbare als ‚identitätsstiftendes‘ Bedeutsames verfügbar werden (Anverwandlung). D.h. das Subjekt erfährt die Welt dann als eine antwortende, sofern diese Weltausschnitte ihm eine ‚identitätsstiftende‘ Orientierung bieten. Das Unverfügbare im Rosa‘schen Sinne ist damit etwas sehr Konkretes, das als bereits Gegebenes und dadurch Wegweisendes erscheint und insofern dem Subjekt die Antworten auf die Fragen nach der ‚gelingenden‘ Lebensführung bereitstellt. D.h. nach Rosa müssen resonanzstiftende Bedeutungen (starke Wertungen) als etwas Unverfügbares im Sinne eines nicht Konstruierten oder Gemachten erscheinen. Würden sie nicht als ‚schlechthin‘ Gegebenes erfahren, würden solche Bedeutungen für das Subjekt kein anzueignendes Unverfügbares darstellen, da sie vom Subjekt als durch es selbst gemachtes erfahren werden würden. Die resonante Kraft solcher Bedeutungen ginge in diesem Falle verloren. Dementsprechend liegen die Gründe misslingender Resonanzbeziehungen nach Rosas Argumentation auch nicht im Unverfügbaren insofern es Unverfügbares ist. Die Gründe liegen vielmehr in einem Unvermögen spätmoderner Subjekte, sich aufgrund der beschleunigten sozialstrukturellen und kulturellen Entwicklungen das Unverfügbare als bedeutsamen Weltausschnitt anzueignen: „Spätestens dann, wenn die Welt sich schneller verändert, als ein Subjekt sich bewegen kann, wird die Art unseres In-

19 H. Rosa: Die Natur als Resonanzraum, a.a.O. [Anm. 468] 4. 20 Ebd. 4 21 Ebd. 4 Diesen Begriff verwendet Rosa ebenfalls im Anschluss an Taylor, der diesen Begriff „[s]ozialphilosophisch ausbuchstabiert hat“ (ebd. 4).

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die-Welt-Gestelltseins potentiell problematisch“.22 Inwiefern realisierte Weltbeziehungen in spätmodernen gesellschaftlichen Verhältnissen potenziell problematisch sein können, wird im letzten Abschnitt zu Rosas Soziologie der Weltbeziehungen als Thema noch einmal kurz aufgenommen. Dadurch wird deutlich, warum Rosa in den spätmodernen Selbst-Welt-Beziehungen Entfremdungserfahrungen diagnostiziert, die mittels Heranziehung der bereits angesprochenen Theoreme Kritischer Theorie (Autonomie, Authentizität, Anerkennung) nicht gänzlich geklärt werden können. Im Folgenden gilt es jedoch zunächst, die von Rosa in seiner resonanztheoretischen Soziologie implizit vorausgesetzte Resonanzbedürftigkeit des Menschen explizit anthropologisch zu begründen. Aus diesem Grund soll der Soziologie der Weltbeziehungen die Philosophische Anthropologie Plessners beiseite gestellt werden. Zum einen soll dadurch Rosas resonanztheoretischem Ansatz eine Fundierung geboten werden, die in jenes von ihm formulierte Feld philosophischer Aufgaben fällt, das sich mit der Frage nach der Conditio humana beschäftigt und, sofern vom menschlichen Leben gesprochen wird, auch nicht umgangen werden kann. Ein anthropologisch begründeter Nachweis einer strukturbedingten Resonanzbedürftigkeit soll zum anderen aber auch dazu dienen, systematische Unklarheiten in Rosas Theorie auszugleichen. Die Fundierung der Soziologie Rosas mit Plessners Philosophischer Anthropologie wird zudem im letzten Unterkapitel dieses vierten Hauptabschnitts perspektivisch als neue soziologische Grundlage für die Umweltsoziologie bereitgestellt und ihr explanatives Potenzial am Beispiel des Differenzproblems entfaltet. Der Ansatz erlaubt dabei – ausgehend vom menschlichen Leben in Weltverhältnissen –, die Möglichkeiten bzw. die Gründe für die Unmöglichkeit eines „umweltbewussten“ Handelns aus den leiblich vermittelten Realisierungsweisen spätmoderner Selbst-WeltBeziehungen zu erschließen.

22 H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 381f.

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4.2.2 Die anthropologische Begründung der Resonanzbedürftigkeit und ihre Erfüllung Ist Rosa daran gelegen, die soziologische Frage nach dem Wie von Selbst-WeltBeziehungen – Wie sind Selbst-Welt-Beziehungen spätmoderner Subjekte ausgeprägt? – zu ergründen, so ist es Plessners Anliegen, die philosophischanthropologische Frage nach dem Was des menschlichen Weltverhältnisses – Was sind die kategorialen Bedingungen des menschlichen Lebens in Weltverhältnissen? – zu beantworten. Dass der Mensch als Mensch in Weltverhältnissen lebt, ist in beiden Ansätzen der Ausgangspunkt weiterer Überlegungen. Dennoch bietet Plessners Ansatz erst die anthropologischen Grundlagen für Rosas resonanztheoretisches Vorhaben und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen hat Plessner einen Weltbegriff elaboriert, mit dem Rosas Resonanztheorem überhaupt systematisch plausibel werden kann. Zum anderen setzt Plessners Ansatz Rosas Vorhaben Grenzen, die jedoch zugleich zur systematischen Abgrenzung gegenüber anderen soziologischen Theorien dienen können. Auf der Basis von Plessners Anthropologie wäre es für Rosa bspw. möglich, aufzuweisen, warum das Streben nach Autonomie – begriffen als Maßstab einer ‚gelingenden‘ Lebensführung – keine umfassende Kritik an spätmodernen Weltverhältnissen ermöglicht. Denn mit Plessner besteht die Souveränität der Lebensführung nicht im Streben nach Verwirklichung absoluter Selbstbestimmung, sondern realisiert sich in der Art und Weise des Umgangs mit den Grenzen dieser Autonomie.1 Damit ist gleichwohl nicht gemeint, dass Subjekte schlicht akzeptieren müssten, den herrschenden Verhältnissen, in denen sie leben, ohnmächtig gegenüberzustehen. Die Grenzen der Selbstbestimmung, die mit Plessner dem Menschen gesetzt sind, können aus der exzentrischen Positionalität heraus vielmehr als Form des souveränen Handelns verständlich werden. Zunächst manifestieren sich diese Grenzen mit Plessner als Vermittlungsgrenzen der Verhaltensmöglichkeiten. Durch die Exzentrizität mit seiner wesensmäßigen Gleichgewichtslosigkeit konfrontiert, muss der Mensch stets zu seinem Gleichgewicht finden. Dass ihm der Ausgleich seiner antinomischen Lebenssituation gelingt, ist an der Möglichkeit des Menschen, das Leben, das er lebt, auch führen zu können, evident geworden. Dieser Selbstbestimmung sind nun insofern Grenzen gesetzt, als dem Menschen Situationen widerfahren, in denen er sich nicht mehr zu verhalten, er also keine Antwort mehr auf das ihm Widerfahrene zu geben weiß. Plessner hat diesen Sachverhalt anhand der Phänome-

1

Vgl. zu diesem mit Plessner möglichen Souveränitätsbegriff H.-P. Krüger: Gehirn, Verhalten und Zeit, a.a.O. [Anm. 359] 68f.

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ne von Lachen und Weinen als spezifisch menschliche Verhaltensmodi ausgewiesen.2 Da das Selbst sich nicht mehr zu verhalten weiß, so Plessner, übernimmt der Körper das Antworten. Dieses Antworten realisiert sich als Lachen bzw. als Weinen. Durch seine psychophysische Einheit ist dem Menschen also die Möglichkeit gegeben, auch noch in Situationen, in denen die reflexive Vermittlung zwischen Selbst und Welt aufgehoben ist, d.h. er aus dem Gleichgewicht gebracht ist und sein Verhalten nicht mehr bestimmen kann, zu antworten. Dieses Aus-dem-Gleichgewicht-gebracht-werden-Können erfordert folglich das Umgehenkönnen mit den Grenzen der eigenen Selbstbestimmung, auch über das Lachen und Weinen hinaus, und insofern die Entfaltung eines souveränen Umgangs mit der eigenen Gleichgewichtslosigkeit. Mit Plessners Kategorie der exzentrischen Positionalität lässt sich somit die Setzung absoluter Autonomie als Maßstab einer ‚gelingenden‘ Lebensführung bereits vor jeder soziologischen und sozialphilosophischen Analyse, d.h. der anthropologischen Struktur nach, als nicht hinreichend zur Begründung einer Soziologie des ‚guten‘ Lebens ausweisen. Das Resonanzbedürfnis kann hingegen – so die These – als ein anthropologisches Bedürfnis ausgewiesen werden, das von grundlegender existenzieller Bedeutung für die Lebensführung ist, da der Mensch mit Plessner seiner Struktur nach als ein resonanzbedürftiges Wesen beschrieben werden kann. Damit wäre Rosa die Möglichkeit gegeben, den Anspruch einer resonanztheoretischen Anthropologie bereits auf der axiomatischen Ebene zu erfüllen. Die von ihm beanspruchte Anthropologie läuft dadurch nicht Gefahr, aus der Deskription starker Wertungen, deren Resonanzfähigkeit ‚quasi-ontologisch‘ begründet wird, abgeleitet zu werden. Obwohl Rosa eo ipso davon ausgeht, dass Resonanzerfahrungen ein anthropologisch fundiertes Bedürfnis vorgängig ist, ist damit noch nicht die anthropologische Struktur, auf der dieses Resonanzbedürfnis gründen kann, aufgezeigt. Eine solche anthropologische Struktur wird bei Rosa gar nicht thematisch, da es ihm „nicht um die ‚allgemein menschliche‘ Weltbeziehung, weniger um die Conditio humana per se“3 geht. Dies birgt jedoch die Gefahr, dass er sich in seiner Argumentation ungewollt Begründungen ‚stummer‘ (kausaler) Art einhandelt, die zu kritisieren er eigentlich angetreten ist. So verweist Rosa etwa darauf, dass die Idee einer resonanten Weltbeziehung mit Ergebnissen aus der entwick-

2

Vgl. Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens (1941). In: Ausdruck und menschliche Natur. GS. Bd. 7, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 201-387.

3

Vgl. H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 7.

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lungspsychologischen Spiegelneuronenforschung korrespondiere.4 Letztere nimmt – dabei implizit unter anthropologischen Vorzeichen stehend – an, dass weite Teile des nachahmenden Verhaltens auf Spiegelneuronen im zentralen Nervensystem des Gehirns beruhen. Spiegelneurone lösen sogenannte Spiegeloder Resonanzphänomene aus, die nach dem Reiz-Reaktions-Schema funktionieren.5 Wenn jedoch, wie von Rosa angesprochen, dem Resonanzphänomen ein unabdingbarer Kern des Unverfügbaren immanent ist und dieses Unverfügbare 4

Vgl. H. Rosa: Is There Anybody Out There?, a.a.O. [Anm. 515] 21; sowie H. Rosa: Die Natur als Resonanzraum, a.a.O. [Anm. 468] 1. Rosas Rückgriff auf die Spiegelneuronenforschung, der er dadurch das Potenzial zuspricht, seinen theoretischen Überlegungen zum Resonanzphänomen eine biologische Bestätigung bereitzustellen, ist zwar nicht per se zu ,verteufeln‘, schließlich ist mit Plessner das Leben als eine psychophysische Verschränkung zu begreifen. Aus solchen Ergebnissen gleichwohl ein anthropologisches Potenzial des Resonanztheorems abzuleiten, hingegen schon. Denn physische Merkmale verweisen nicht auf die exzentrische Positionalität, diese ist nach Plessner an keine bestimmte Gestalt gebunden (vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 293). Das voreilige Stützen auf biologische Tatsachen, ist daher mit Vorsicht zu genießen, da dadurch schlicht die Gefahr besteht, ein weiteres biologistisch begründetes Menschenbild zu forcieren. Gerade die reziproke Antwortbeziehung zwischen Selbst und Welt, wie Rosa sie konzipieren will, braucht eine anthropologische Begründung, die jenseits alter Dualismen changiert, damit ihre explanative Kraft zugleich die körperleibliche und die hermeneutische Ebene menschlichen Lebens erfasst. Das Potenzial dazu hat das Resonanztheorem, begriffen als eine leiblich vermittelte Antwortbeziehung zwischen Selbst und Welt, durchaus. Resonanz auf Spiegelneurone zurückzuführen, würde die von Rosa beanspruchte anthropologische Begründung hingegen seltsam unterbestimmt lassen.

5

Vgl. Joachim Bauer: Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone (Hamburg 2006). Bauer definiert darin Resonanz folgendermaßen: „Resonanz heißt: Diese [alltäglich aufgenommenen] Wahrnehmungen, egal ob bewusst oder unbewusst, werden nicht nur in uns abgespeichert, sondern können auch Reaktionen, Handlungsbereitschaften sowie seelische und körperliche Handlungsbereitschaften in Gang setzen. Schuld daran sind die phänomenalen [i.S.v. wahrnehmungsverarbeitenden, KB] Leistungen der Spiegelneurone“ (ebd. 10f.). Dieser Beschreibung liegt nicht nur ein repräsentationstheoretischer Bewusstseinsbegriff zugrunde. Sie folgt auch einer kausalen Erklärung von Resonanz- bzw. Spiegelphänomenen, deren Reiz-Reaktions-Schema die Gegebenheit der Spiegelneurone, gleich eines materialen Aprioris, voraussetzt. Dass Resonanz aber gerade nicht dem kausalen Prinzip folgt, hat Rosa explizit hervorgehoben, da Resonanz auch ausbleiben kann (vgl. S. 229 der vorliegenden Arbeit).

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auch bei Rosa ein zu verstehendes ist, gründet der Vergleich seines Resonanzbegriffs mit dem der Spiegelneuronenforschung höchstens in einer Äquivokation, jedoch nicht in einer begrifflichen Entsprechung. Resonanz ist in der Spiegelneuronenforschung eine prüfbare Größe, die zwar auch ausbleiben kann, aber nicht insofern zur ‚Aktivierung‘ der Neuronen ein verstehender Umgang mit dem Unverfügbaren erforderlich ist, sondern weil die Reizaufnahme schlichtweg ausbleibt oder blockiert ist.6 Resonanzerfahrungen in dem im Anschluss an Rosa entwickelten Sinne bleiben jedoch dann aus, wenn die Möglichkeiten sinnstiftender Begegnungen mit dem Unverfügbaren – als ein naturalistisch oder konstruktivistisch Nicht-Erklärbares – durch eine Wirklichkeit des Verfügbaren, in der jegliche Objekte zur bloßen Option werden und insofern lediglich einen instrumentellen Umgang erfordern, verstellt werden. Das Unverfügbare, das dem Subjekt als ‚schlechthin‘ begegnet, meint auch bei Rosa kein Noch-nichtVerfügbares, sondern kann als ein zu verstehendes interpretiert werden. Um der Gefahr solch impliziter, naturalistischer Voraussetzungen systematisch entgehen zu können, ist die menschliche Resonanzfähigkeit im Sinne Rosas durch den Aufweis eines Resonanzbedürfnisses zu ergänzen, das sich jeder naturalistischen Objektivierbarkeit entzieht. Daher bietet sich zudem die Verknüpfung von Rosas Soziologie der Weltbeziehungen mit Plessners Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit an. Denn die menschliche Resonanzbedürftigkeit – so die in diesem Kapitel vertretene These – kann durch diese Verknüpfung als auf dem Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit beruhend ausgewiesen werden. Mit anderen Worten: Dem Menschen entfaltet sich an der Begegnung mit dem zu verstehenden Unverfügbaren, die auf dem Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit gründet, im Erleben der ‚Spielraum‘ für ein Bedürfnis nach Resonanz, dessen Erfüllung den verstehenden Umgang mit dieser Begegnung erfordert. Wenn Rosas Begriff der Resonanzbeziehung, begriffen als eine anthropologisch bedingte Antwortbeziehung zwischen Selbst und Welt, sich durch einen unabdingbaren ‚Kern‘ des Unverfügbaren auszeichnet, muss diesem als Kern einer Beziehung eine wesentliche Funktion darin zukommen. Es stellt sich also die Frage, welche Funktion das Unverfügbare zum Kern einer Resonanzbeziehung 6

Zwar räumt Bauer ein, dass ‚man‘ nicht immer für den Spiegelreiz empfänglich sei, allerdings sei dieses ‚man‘ erstens eine Minderheit und zweitens könne eine NichtEmpfänglichkeit auf seelischen Gesundheitsstörungen beruhen (vgl. ebd. 8). Derart als ein pathologisches Phänomen gefasst, wird die Nicht-Reaktion nun erklärbar und dadurch kalkulierbar. Dieses Problem scheint mit Plessner jedoch eher auf der Ebene der garantierten Erfüllung von Resonanz zu liegen, d.h. der Pakt mit der Wirklichkeit ist darin bereits geschlossen und ein Umgehenmüssen mit zu verstehendem Unverfügbaren somit nicht erforderlich.

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macht. Als wesentliches Konstitutivum von Resonanzbeziehungen kommt dem Unverfügbaren eine doppelte Funktion zu. Die erste Funktion besteht darin, dass das zu verstehende Unverfügbare das Fragwürdige, Fremde ist, ohne dessen Erleben das Selbst keine Fragen zum Ausgleich seiner Unsicherheit zu stellen bräuchte. Wo es keine Unsicherheit gibt, gibt es auch keine Fragen und wo es keine Fragen gibt, entsteht kaum ein Bedürfnis nach Antworten. Insofern basiert das Bedürfnis nach Resonanz auf dem Erleben dieses fragwürdigen Unverfügbaren. Und weil das Erleben dieses zu verstehenden Unverfügbaren seiner Struktur nach auf der vermittelten Unmittelbarkeit in ihrem Moment der Unverfügbarkeit gründet und diese Strukturform das menschliche Wirklichkeitserleben auszeichnet, kann das Bedürfnis nach Resonanz, das sich in der Begegnung mit diesem Unverfügbaren einstellt, somit als ein anthropologisches verstanden werden. Als auf der vermittelten Unmittelbarkeit beruhend, entfaltet sich dieses Bedürfnis zudem in beiden Richtungsmodi der vermittelten Unmittelbarkeit – Immanenz und Expressivität – als Doppelaspekt der resonanzerfordernden Unsicherheit. Wenn die Erfüllung von Resonanz der Form ihres Bedürfnisses nach also das Erleben von Unverfügbarem voraussetzt, lassen sich sowohl Immanenz als auch Expressivität als Resonanzbeziehungen konzipieren. Denn in beiden Modi vermittelt sich dem Menschen seine existenzielle Unsicherheit am Erleben des Unverfügbaren, zu deren Ausgleich er die Resonanzerfüllung braucht. Die Erfüllung des Resonanzbedürfnisses, die sich als resonante Beziehung zwischen Selbst und Welt realisiert, meint dann einerseits, von der Welt ergriffen zu werden, und andererseits, in diese Welt einzugreifen, d.h. der Ergriffenheit Ausdruck zu verleihen. Das Resonanzbedürfnis erfüllt sich demnach nicht nur, indem das Selbst sinnstiftende Antworten im Unverfügbaren des bedeutungsvollen Welthorizonts findet. Es muss zugleich fragend und antwortend in die Welt hinein agieren. Die Realisierung der Resonanzbeziehung schließt somit zugleich ein, dass das Selbst seinen Intentionen einen sinnvollen Ausdruck verleiht, wodurch die Gleichgewichtslosigkeit tatsächlich ausgeglichen werden kann. Im expressiven Ausdruck ist somit das Fragen und Antworten des Selbst fundiert, in der Immanenz der Wirklichkeitserfahrung das Fragwürdige und Antwortende der Welt. Als nicht voneinander zu trennender Doppelaspekt realisiert sich diese Beziehung qua exzentrischer Positionalität somit als eine resonante Gleichursprünglichkeit von Selbst und Welt. Das Unverfügbare in Rosas Sinne ist, wie oben dargelegt, resonanzerfüllend, da es als konkret in der Welt seiendes, als ‚anverwandelbarer’ Weltausschnitt, eine Quelle starker Wertungen ist und so gewissermaßen die Funktion eines – metaphorisch gesprochen – Resonanzreservoirs für das ‚gute‘ Leben einnehmen kann. Durch diese ‚quasi-ontologische‘ Begründung wird Rosa jedoch früher

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oder später in die Verlegenheit kommen ausbuchstabieren zu müssen, was denn diese starken Wertungen inhaltlich umfassen. Damit würde er aber seinen Anspruch, den er an die Soziologie der Weltbeziehungen stellt, preisgeben. Das in der vorliegenden Arbeit verfolgte Anliegen besteht – diesen Anspruch einholend – insofern auch nicht darin, inhaltlich zu bestimmen, welche Wertungen aufgrund ihres ‚quasi-ontologischen‘ Grundes resonant sind. Es soll vielmehr gezeigt werden, dass der Mensch der Struktur seines Wirklichkeitserlebens nach der Resonanz bedarf und dass es zu ihrer Erfüllung eines verstehenden Umgangs mit dem Unverfügbaren braucht. Diese Beschreibung der menschlichen Lebensführung erfordert aber keine inhaltliche Definition des ‚guten‘ Lebens. Denn die Resonanzerfüllung als solche ist Bedingung der Wirklichkeit des sinnstiftenden Ausgleichs zwischen Selbst und Welt. An dieser Erfüllung setzt nun die zweite Funktion des Unverfügbaren als konstitutiver ‚Kern‘ von Selbst-Welt-Beziehungen an. Denn insofern das Unverfügbare Fragen des Ausgleichs offen lässt, erfordert es einen verstehenden Umgang mit diesem. Es stellt sich somit die Frage, inwiefern sich durch diesen verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren die Resonanz erfüllt. Da die Form des Verständnisses für das Selbst nicht vorhersehbar ist, stellt sich – im Sinne von Plessners „echter Erfüllung“ – die Antwort auf sein Fragen erst in der deutenden Auseinandersetzung mit sich und der Welt – worin das Unverfügbare konstitutiv ist – ein. D.h. im Vollzug dieses Verstehens erfüllt sich das Bedürfnis nach Resonanz. Nähme man diesbezüglich die Metapher des Resonanzkörpers ernst, dann könnte im Vollzug dieser Auseinandersetzung der Leib als ein solcher Resonanzkörper betrachtet werden. Grenzrealisierung meint, wie in Kapitel zwei dargelegt, den Vollzug der doppelaspektiven Gegensinnigkeit von Innen und Außen, die nicht ineinander überführbar ist. Die vermittelte Unmittelbarkeit als Strukturform der Vermittlungsmodi nach innen und nach außen ist die Vermittlung durch den Leib in beide Richtungen. Dadurch dass sich die Vermittlung durch den Leib hindurch vollzieht, d.h. sich die Sinnhaftigkeit von Selbst und Welt leiblich vermittelt, dient der Leib – so könnte man sagen – als Resonanzkörper, durch den hindurch sich Selbst und Welt in Einklang bringen, d.h. ein gegenseitiges Verstehen ermöglicht. An diesen Überlegungen wird zudem deutlich, dass der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren keinen bloß kognitiven Vorgang beschreibt. Eine solche Interpretation würde das dichotome Denken erneut forcieren. Die „echte Erfüllung“ der Intention im Ausdruck, deren Form eine unverfügbare ist, muss im Umgang mit diesem Unverfügbaren eine leiblich vermittelte sein. Denn das Verstehen in dem hier gebrauchten Sinne stellt sich im leiblich vermittelten Deuten ein, worin Selbst und Welt als Gleichursprüngliche involviert sind. D.h. die sinnstiftende Resonanzerfahrung entfaltet

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sich am Verstehen des Fragwürdigen und Unverfügbaren im begegnenden Phänomen, weil dabei nicht nur die Weltinterpretation, sondern zugleich auch die Selbstinterpretation im Spiel ist. Auch bei Plessner findet sich die Metapher des leiblichen Resonanzkörpers, auch wenn er diesen Begriff nicht explizit nennt. In Lachen und Weinen spricht er hinsichtlich der Phänomenalität von Gefühlen jedoch vom resonanten Erklingen und Schwingen und macht explizit Gebrauch vom Begriff der Resonanz für die Beschreibung von Gefühlen.7 Gefühle sind nach Plessner „wesensmäßig Bindung meiner selbst an etwas“ und insofern „durchstimmende Angesprochenheiten des Menschen als Ganzem“.8 Sie manifestieren sich demnach als leibliches Angesprochenwerden von einem qualitativen Etwas: „Angesprochen von etwas [...] kann der Mensch erst dann sein, wenn ihm eine Sachqualität begegnet. [...] Eine Landschaft, eine Melodie, ein Antlitz, eine Nachricht“9 und dergleichen mehr. Der Mensch, der aufgrund seines weltoffenen Umfeldbezugs das Lebewesen ist, das die Fähigkeit besitzt, überhaupt einen Sachcharakter wahrzunehmen, ist damit das einzige Lebewesen, das von einer Sachqualität in diesem resonanten Sinne bewusst leiblich angesprochen werden kann. Daher ist das Gefühl, wie Plessner betont, etwas wesentlich Menschliches: „Es [das Gefühl] wird nicht einfach (von einem Reiz) ausgelöst und gleichsam [wie der tierische Funktionskreis] in Gang gebracht, sondern eine Qualität ‚spricht‘ zum Menschen und weckt in ihm eine Resonanz“.10 Das Vorhaben, Resonanz als ein spezifisch menschliches Erleben auszuweisen, das die Beziehung zwischen Mensch und Welt qualitativ stiftet, wird durch Plessners Überlegungen zum Gefühl unterstützt. Denn der Mensch, der aufgrund seiner bezugsmäßigen Weltgestelltheit eine Beziehung zur Welt realisiert, erlebt diese durch leiblich vermittelte Reso7

Vgl. H. Plessner: Lachen und Weinen, a.a.O. [Anm. 533] 345-352.

8

Ebd. 347f.

9

Ebd. 349.

10 Ebd. 349. Plessner unterscheidet an dieser Stelle zwischen Resonanz und Antwort, da er letztere explizit als Ergebnis eines Reflexionsaktes begreift (vgl. ebd. 349f.). Diese Feststellung würde für ein primär leiblich verfasstes Resonanzerleben sprechen. Im vorliegenden Kontext wird die Gleichsetzung der Begriffe jedoch beibehalten, da Rosa Resonanz als lebendiges Antworten versteht und Antworten deshalb mehr bedeutet als einen bloßen Reflexionsakt, aber auch mehr als ein bloßes leibliches Hindurch. Denn Resonanz begriffen als lebendiges und sinnstiftendes Antworten hebt das Zugleich von Exzentrizität und Positionalität hervor, da im Antworten deutlich wird, dass Resonanzerfahrungen stets an die leibliche Vermittlung von Bedeutungen gebunden sind. Dieses Verständnis schützt zudem davor, Bedeutungen auf bloß kognitiv vermittelte Repräsentationen zu reduzieren.

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nanzerfahrungen als einen konstitutiven Zusammenhang. Da die mit dem bewusst gewordenen Leib realisierte Leiblichkeit als ein „Strukturmoment der konkreten Existenz“11 aufzufassen ist, kann mit Plessner bestätigt werden, dass Resonanzerfahrungen auf der Struktur menschlichen Lebens basiert und insofern als ein anthropologisches Grundbedürfnis des Menschen aufgefasst werden kann. Interessant ist zudem, dass Plessner potenzielle Resonanzqualitäten – Landschaft, Melodie – aufzählt, denen nach Rosa in der Moderne das stärkste Resonanzpotenzial inhärent ist: Naturerlebnissen, Musikerlebnissen, aber auch religiöse Erlebnisse.12 Die Realisierung einer Resonanzbeziehung zwischen Selbst und Welt im Sinne des strukturmäßgen Ausgleichsvollzugs zu verstehen, ist also bereits in Plessners Überlegungen angelegt. Dies spricht ebenfalls für eine anthropologische Fundierung der Resonanzbedürftigkeit. Denn diese besteht als Bedingung des Ausgleichsvollzugs, unabhängig davon, ob ihre Erfüllung gelingt oder misslingt. Das Wissen um seine eigene Bewusstseinsimmanenz, d.h. das Verstehen des Unverfügbaren der Phänomene, bedeutet für den Menschen zugleich eine Unsicherheit, die auszugleichen er anstrebt. An diesem Unverfügbaren entfaltet sich daher auch das expressive Streben des Menschen. Da ihm zwischen seiner Intention und ihrem Ausdruck eine der Vermittlung geschuldete fragwürdige Form tritt, ist die Erfüllung seines Ausdrucks dem Menschen jedoch nicht garantiert. Die sinnstiftende Erfüllung seiner Intention ist somit etwas, das auch ausbleiben kann. Diese Unsicherheit qua Unverfügbarem weckt somit in ihm das Bedürfnis nach Resonanz. Denn der Garantie des Ausgleichs seiner unsicheren Weltstellung ungewiss, ist der Mensch auf eine Antwortbeziehung zwischen sich und der Welt angewiesen. Diese gewährleistet den Ausgleich seiner Gleichgewichtslosigkeit. Das Resonanzbedürfnis ist damit etwas wesentlich Menschliches. D.h. das Realisieren einer Resonanzbeziehung zwischen Selbst und Welt als Form der „echten Erfüllung“ dieses Bedürfnisses zeichnet das menschliche Leben aus. Das Resonanzbedürfnis kann insofern als ein anthropologisch begründetes ausgewiesen werden. Obwohl Rosa seine Soziologie der Weltbeziehungen explizit durch eine resonanztheoretische Anthropologie in explanativer Hinsicht fundiert wissen will, liegt sein soziologisches Interesse primär darauf, zu beschreiben – ein anthropologisch begründbares Resonanzbedürfnis dabei implizit vorausgesetzt –, inwiefern sich gegebene gesellschaftliche Strukturen, kulturelle und geschichtliche Spezifika, geschlechtliche Differenzen etc. auf die Art und Weise des In-die-

11 [Hervorhebung KB] H. Plessner: Homo absconditus, a.a.O. [Anm. 270] 355. 12 Vgl. H. Rosa: Die Natur als Resonanzraum, a.a.O. [Anm. 468] 11f.

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Welt-gestellt-Seins auswirken.13 Deutlicher noch: Inwiefern eine resonante Selbst-Welt-Beziehung in Abhängigkeit genannter Kriterien gelingt oder misslingt. Zu diesem kritisch-deskriptiven Anliegen Rosas soll deswegen im Folgenden ein kurzer Ausblick gegeben werden, wobei einige oben entwickelte Überlegungen zum Zusammenhang von Resonanzerfahrungen und verstehendem Umgang mit dem Unverfügbaren Rosas Argumentation ergänzen sollen.

13 Vgl. H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 7f.

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4.2.3 Die Bedingungen der Wirklichkeit misslingender Resonanzprozesse Die in diesem Abschnitt zu behandelnde Thematik wird in aller Kürze dargestellt. Es soll im Anschluss an Rosa und auf dem Hintergrund der menschlichen Resonanzbedürftigkeit aufgezeigt werden, inwiefern sich die sozialstrukturell verankerte Beschleunigung spätmoderner Gesellschaften und die damit einhergehende Dynamisierung sämtlicher Lebensbereiche auf die Realisierungsmöglichkeiten von Resonanzerfahrungen in Selbst-Welt-Beziehungen auswirkt. Durch das Rekurrieren auf die Beschleunigungsthese können Selbst-WeltBeziehungen zudem in ihrer zeitlichen Dimension thematisch werden. Resonanz kann dadurch auch als eine zeitlich verfasste Erfahrung problematisiert werden. Dabei kommt es nicht darauf an, Rosas Beschleunigungstheorie in ihrer Gänze zu rekonstruieren bzw. auf ihre Plausibilität hin zu diskutieren.1 Unter der Annahme ihrer Plausibilität soll jedoch kurz dargelegt werden, inwiefern das Leben in spätmodernen Weltverhältnissen tendenziell die Realisierung ‚stummer‘ (entfremdeter) statt ‚resonanter‘ Selbst-Welt-Beziehungen forciert. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf den Erfahrungsraum der äußeren Natur gelegt, da Rosa Naturerlebnissen ein hohes Resonanzpotenzial zuspricht und insofern von umweltsoziologischem Interesse ist. Die von Rosa vertretene These bezüglich der Realisierungsmöglichkeiten von Resonanzerfahrungen in spätmodernen Selbst-Welt-Beziehungen lautet vor dem Hintergrund der Beschleunigung: „Die Dynamisierung unserer Weltbeziehungen [...] unterminiert tendenziell die Neigung und die Möglichkeit, sich Weltausschnitte (in Erfahrungen) ‚anzuverwandeln‘ und Resonanzbeziehungen aufzubauen – und steigert damit die Wahrscheinlichkeit von Entfremdungserfahrungen: Die beschleunigt erfahrene und durchschrittene Welt bleibt tendenziell ‚stumm‘“.2 ‚Stumme‘ Weltbeziehungen werden demnach durch die Dynamik der sozialstrukturellen Beschleunigung tendenziell forciert. Denn diese beschleunigt nicht etwa die Aneignung von Weltausschnitten. Im Gegenteil erschwert sie vielmehr diese Aneignung bzw. ‚Anverwandlung‘, da letztere als ein Prozess zeitlich verfasst ist und insofern auch ihre Zeit braucht. Die zitierte Begründung

1

Vgl. dazu Rosas grundlegende Schrift: Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne (Frankfurt a.M. 2005). Sowie zur Kritik an Rosas Beschleunigungstheorie (aus systemtheoretischer Perspektive): Armin Nassehi: Gegenwarten. In: Ders.: Die Zeit der Gesellschaft. Auf dem Weg zu einer soziologischen Theorie der Zeit (Wiesbaden 2008) 11-34.

2

H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 15f.

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Rosas zielt somit primär auf die zeitliche Dimension von Weltbeziehungen, da sich der Prozess der Aneignung von Weltausschnitten durch eine gewisse Dauer auszeichnet, die zuzulassen den Subjekten Zeit, die sie in den beschleunigten Verhältnissen immer weniger aufbringen können, kostet.3 Das spätmoderne Subjekt hat demnach schlicht keine Zeit mehr, sinnstiftende Resonanzerfahrungen zu machen, denn die stetig steigende Dynamisierung sämtlicher Lebensbereiche erzwingt eine ihr korrespondierende Dynamisierung des Subjekts bzw. der Lebensführung des Subjekts. Wendet man nun die in der vorliegenden Arbeit angestellten Überlegungen zur Resonanzbedürftigkeit und ihrer Erfüllung auf Rosas Diagnose an, kann Folgendes konstatiert werden: Die spätmoderne Beschleunigung erzwingt Weltbeziehungen, die sich durch die möglichst schnelle und kumulative Erschließung und Sicherung von Verfügbarkeiten (Optionen) auszeichnen. Der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren kostet hingegen Zeit und bedeutet unter spätmodernen Bedingungen, im Falle eines Einlassens darauf, die Einnahme einer prekären Position im ‚Konkurrenzkampf‘ um das Verfügungswissen. Dementsprechend lautet der kategorische Imperativ der Spätmoderne, wie Rosa ausführt: „[H]andle jederzeit so, dass die Zahl deiner Optionen und Anschlusschancen größer wird oder sich zumindest nicht verringert“.4 Daraus lässt sich folgern, dass sich das qualitative Aneignen von Weltausschnitten – im Sinne Rosas – in einen quantitativen Modus des Akkumulierens vorgefundener Verfügbarkeiten transformiert hat. ‚Identität‘ wird dadurch weniger durch Erfahrungen von Resonanzprozessen qualitativ gestiftet, sondern vielmehr durch die stetige Akkumulation von optionalem Verfügungswissen – wobei auch die ‚Identität‘ selbst zu den Optionen gehört –, wodurch sie selbst zu einem fragilen Sachverhalt wird. Rosa spricht entsprechend auch von der Transformation resonanzstiftender, starker Wertungen in ‚stumme‘ Objekte schwacher Wertungen, die für das Subjekt lediglich noch instrumentelle Bedeutung haben.5 Insofern erscheinen diese Quellen, nach Rosa, auch nicht mehr als etwas Unverfügbares, das den verstehenden Umgang erfordert, sondern als etwas prinzipiell Beherrschbares bzw. Manipulierbares, wodurch sie keine Resonanzerfahrungen mehr stiften können.

3 4

Vgl. H. Rosa: Die Natur als Resonanzraum, a.a.O. [Anm. 468] 11. H. Rosa: Kritik der Zeitverhältnisse, a.a.O. [Anm. 417] 49. Die Komplexität gesellschaftlicher Strukturen soll hier natürlich nicht unterschlagen werden, nichtsdestotrotz kann mit Rosa gesagt werden, dass die Realisierungsformen der menschlichen Lebensmodi einem Dynamisierungszwang ausgesetzt sind, der die Subjekte dazu zwingt – entsprechend der Selbst-Welt-Korrelativität – sich selbst zu dynamisieren.

5

H. Rosa: Die Natur als Resonanzraum, a.a.O. [Anm. 468] 8f.

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Das spätmoderne Subjekt ist somit in eine Welt gestellt, die tendenziell eher die Realisierung ‚stummer‘ Beziehungen zulässt, die nach Rosa als entfremdete zu betrachten sind: „Entfremdung bedeutet das ‚Stumm-Werden‘ einer Resonanzbeziehung“.6 In Hinsicht auf die Resonanzerfüllung bedeutet dies für das 6

Ebd. 2. Es geht in diesem Kontext nicht darum, die gesamte soziologische und sozialphilosophische Debatte um den Entfremdungsbegriff aufzurollen, festgehalten werden soll aber, dass Rosa im Anschluss an Rahel Jaeggi Entfremdung als „Beziehung der Beziehungslosigkeit“ versteht. Diese Definition von Entfremdung ist in Anbetracht der Unmöglichkeit einer Auflösung der Beziehung zwischen Selbst und Welt plausibler, als der Entfremdungsbegriff der marxistischen Tradition. Denn die nicht-resonante Beziehung kann dadurch als eine Erfahrung der Beziehungslosigkeit zwischen Selbst und Welt und insofern als Form der Entfremdung von der Welt ausgewiesen werden. Jaeggis Auffassung, dass das positive Pendant zu Entfremdungserfahrungen ein hohes Maß an Freiheit respektive Selbstbestimmung sei, hält Rosa allerdings (zu Recht) für unplausibel, da sich „vielerorts beobachten lässt, dass just die Ausweitung und Steigerung von Selbstbestimmungsmöglichkeiten und die Verminderung von Begrenzungen und Abhängigkeiten zu neuen und verstärkten Entfremdungserfahrungen führt“ (H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 9; vgl. zum Begriff der Entfremdung als „Beziehung der Beziehungslosigkeit“ Rahel Jaeggi: Entfremdung. Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems (Frankfurt a.M./New York 2005). Mit Plessner konnte oben zudem aufgezeigt werden, dass es nicht auf eine derartige (absolute) Freiheit ankommt, sondern auf den souveränen Umgang mit ihren Grenzen. Plessners eigene Kommentare zur Entfremdungsdebatte seit Marx zielten noch auf die Marx’sche Auffassung, entfremdet sei der Mensch durch die kapitalistische Lohnarbeit von seiner Natur, zu der er dank der notwendigen Form des Geschichtsprozesses jedoch zurückkehren werde: „Selbstentfremdung suggeriert Heimkehr aus der Fremde. Das ist die ins Heroische gewandte Verweisung auf eine innerhalb der Geschichte Europas sich abzeichnende zweite Geschichte. Aber der Mensch hat sich nie verlassen. Keine Art von Arbeit hat ihn je von sich entfremdet. Und keine Art von Arbeit kann ihn um seine Möglichkeiten bringen. So kehrt denn der Mensch auch nie zurück“ (H. Plessner: Homo absconditus, a.a.O. [Anm. 270] 365f.; vgl. zudem Helmuth Plessner: Selbstentfremdung, ein anthropologisches Problem? (1969)). In: Schriften zur Soziologie und Sozialphilosophie. GS. Bd. 10, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 285-293). Gegen die marxistische Auffassung des Historischen Materialismus hat Plessner die Unergründlichkeit des Menschen, die sein geschichtlich offenes Wesen auszeichnet, verteidigt. Jaeggi überzeugt in ihrer Arbeit ebenfalls gerade dadurch, den Entfremdungsbegriff aus dieser Determination zu lösen und in ein Konzept zu integrieren, das den Fokus auf das Dazwischen einer Beziehung legt. Entfremdung als eine „Beziehung der Beziehungslosigkeit“ konzipiert, kann insofern

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Subjekt, sowohl keine Antworten mehr auf seine Fragen zu bekommen als auch nicht mehr zu wissen, welche Fragen dafür zu stellen sind, so dass die „echte Erfüllung“ seines Bedürfnisses ausbleibt. Das bedeutet, wenn die Welt – nach Rosas Diagnose – dem spätmodernen Subjekt als Wirklichkeit primär in Form von instrumentell verfügbaren Optionen begegnet, deren Aneignungsprozesse (vorwiegend) einer kausalen Logik folgen, dann bleibt dem Subjekt qua MenschWelt-Korrelativität kaum eine andere Wahl, als sich im Vollzug der Erfüllung primär in gleicher Weise deutend auf die Welt zu beziehen. Dadurch läuft es jedoch Gefahr, seine Beziehung zur Welt als ein dichotomes Verhältnis zu erfahren und nicht als eine wechselseitige Durchdringung. D.h. Selbst und Welt stehen sich dem Erleben nach nun entfremdet gegenüber und eine solche Beziehung zeichnet sich hiernach nicht durch eine lebendige Antwortbeziehung, sondern durch ‚stumme‘ Interaktionen zwischen Selbst und Welt aus. Wenn aber Resonanzerfahrungen eine anthropologisch begründete Notwendigkeit für den ‚gelingenden‘ Ausgleich der antinomischen Lebenssituation des Menschen sind, dann sind ‚stumme‘ Beziehungsformen Ausdruck eines Scheiterns in der Realisierung dieses Ausgleichs. Bedeutet Resonanz im ‚identitätsstiftenden‘ Sinne, dass sich das Subjekt in der ihm widerfahrenen Welt selbst wiedererkennen und sich in diese hinein expressiv entfalten kann, dann bedeutet im Umkehrschluss das Verstummen der Welt das Scheitern der ‚identitätsstiftenden‘ Beziehung zwischen Selbst und Welt. Die Selbst-Welt-Korrelativität, so könnte man an dieser Stelle im Anschluss an Plessner sagen, wird nicht mehr als diese erfahren. Damit wird auch deutlich, dass nicht die Beziehung als solche verloren geht, sondern die Beziehung zwischen Selbst und Welt nicht mehr als eine durch Resonanz gestiftete, sondern als eine ‚stumme‘, d.h. als kausal und instrumentell herstellbare Beziehung erfahren und insofern als eine „Beziehung der Beziehungslosigkeit“ (Jaeggi) erlebt wird. Das stets zu erfüllende Bedürfnis nach Resonanz bleibt qua seines strukturmäßigen Grundes darin unerfüllt bestehen. Vor dem Hintergrund der anthropologisch begründeten Resonanzbedürftigkeit, die zu erfüllen der Mensch erstrebt, können spätmoderne Weltbeziehungen in ihren naturalistisch geprägten und beschleunigten Formen deswegen als entfremdete – im eben ausgeführten Sinne – bezeichnet werden. Das menschliche „In-die-Welt-Rufen“7 ist mit Rosa darin fast vergebens geworden. Es entpuppt sich als buchstäbliche Zeitverschwendung angesichts einer sich abzeichnenden für die Beschreibung einer nicht-resonanten Selbst-Welt-Beziehung, in der ein fragloses Subjekt einer kaum mehr fragwürdigen Welt gegenübersteht, fruchtbar gemacht werden. 7

H. Rosa: Is There Anybody Out There?, a.a.O. [Anm. 515] 24.

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Erosion von Erfahrungsräumen, in denen sich Resonanzprozesse realisieren können. Für Rosa ist es daher evident, „dass das Verstummen der Welt und damit der Verlust der Resonanzerfahrungen zu einem, ja: zu dem zentralen Problem der (spät)modernen Weltbeziehung geworden ist“.8 Die Frage, die damit zugleich virulent wird, ist: Lassen sich, angesichts der diagnostizierten ‚stummen‘ Weltbeziehungen, die die Moderne hervorgebracht hat, überhaupt noch Resonanzsphären finden und wenn ja, wo? Tatsächlich identifiziert Rosa trotz – oder gerade wegen – dieser ‚stummen‘ Beziehungen zur Welt Realisierungsmöglichkeiten von Resonanz in Erfahrungsdimensionen wie der des Musikhörens oder der der Naturerfahrung: „Wer etwa von Musik zutiefst ergriffen, berührt und erschüttert wird, wer auf diese Weise einen Moment des ‚Einklangs‘, der ‚Tiefenresonanz‘ zwischen sich und einer (wie immer gearteten) akustischen Welt ‚da draußen‘ erfährt, macht eine Resonanzerfahrung – ebenso wie der- oder diejenige, die unter den Sternen am Meeresstrand oder bei Sonnenaufgang auf einem Berggipfel die Welt ‚atmen hören‘ [sic!]“.9 Natur als Resonanzraum hat mit Rosa zwar prinzipiell das Potenzial, eine von ihm sogenannte „Resonanzachse“ in spätmodernen Verhältnissen zu sein.10 Das bedeutet aber nicht, dass bei jedem Gang in die Natur eine resonante Naturerfahrung in eben zitiertem Sinne gemacht wird. In einer Wirklichkeit des Verfügbaren, deren Paradigma die schleunige Aneignung möglichst vieler Optionen ist, muss die meiste Zeit darauf verwendet werden, dieser Dynamisierung der Lebensvollzüge Stand zu halten, was auch den Gang in die Natur betrifft. Dieser Lebensweise zu Recht kritisch gegenüber eingestellt, hält Rosa deswegen als praktischen Anspruch fest: „Lebensqualität [...] hängt nicht vom erreichten oder erreichbaren materiellen Wohlstand und auch nicht von der Summe an Lebensoptionen ab – sondern von der Möglichkeit zu und vom Reichtum an Resonanzerfahrungen“.11 Die Angst vor der Möglichkeit des völligen Verstummens der Welt erfordert angesichts der bereits in weiten Teilen ‚stumm‘ realisierten Selbst-Welt-Beziehungen nach Rosa geradezu die Verfolgung einer „Strategie 8

Ebd. 37.

9

H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 10. Auch Religion bietet nach Rosa für das spätmoderne Subjekt die Chance, qualitative Antworten auf sein In-die-WeltRufen zu bekommen (vgl. ebd.). Dann stellt sich (brisanter Weise) aber die Frage, ob z.B. Gewaltexzesse, die im Namen von Religion geführt werden, als Leiden an der Unerfülltheit des Resonanzbedürfnisses interpretiert werden können.

10 Vgl. H. Rosa: Die Natur als Resonanzraum, a.a.O. [Anm. 468] 2. Rosa stellt zudem die These auf, dass die Moderne die Natur (sowie Kunst und Religion) als einen expliziten Resonanzraum erst hervorgebracht hat (vgl. ebd. 2). 11 H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 16.

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zur Sicherung einer resonanten Weltbeziehung“, die u.a. in einer „Flucht zur ‚Mutter Natur‘“12 zum Ausdruck gebracht wird. Dass die äußere Natur auch heute noch als resonanzkonstituierender Erfahrungsraum wahrgenommen wird, liegt nach Rosa – gemäß der oben dargelegten Funktion starker Wertungen – an ihrem ‚quasi-ontologischen‘ Charakter. Denn als Etwas-da-draußen tritt Natur als genuin Gegebenes und nicht als etwas vom Menschen Gemachtes oder Konstruiertes auf. Im Rosa’schen Ansatz wurde deutlich, dass Natur deswegen als Resonanzquelle fungiert, weil sie als genuin Gegebenes eine Quelle starker Wertung ist und somit einen Weltausschnitt darstellt, den sich der Mensch ‚anverwandeln‘ kann. Auch wenn die damit implizit angesprochene ethische Dimension von Resonanzzusammenhängen einen wichtigen Aspekt menschlicher Lebensführung darstellt, ist die Begründung, warum Natur resonanzstiftend sein kann, auf dem Hintergrund der in der vorliegenden Arbeit angestellten anthropologischen Überlegungen zum Resonanzbedürfnis etwas anders gelagert. Denn Natur, die sich als ein genuin Gegebenes zeigt, vermittelt darin ein fragwürdiges Unverfügbares, das sich von sich aus im Phänomen zeigt und insofern nur verstehend erschlossen werden kann. Auf dieser Dialektik zwischen dem verstehenden, entdeckenden Umgang mit dem Unverfügbaren, Fremden, Fragwürdigen und dem die menschliche Gleichgewichtslosigkeit ausgleichenden Fragen, das haben die Ausführungen zum Resonanzbedürfnis gezeigt, gründet Resonanz – sowohl das Bedürfnis danach als auch die Möglichkeit ihrer Erfüllung. Damit kann die Begründung des Resonanzzusammenhangs bereits vor einem Normativitätsanspruch einer Wertigkeit ansetzen. Denn seine Möglichkeit wird aus der Strukturform des menschlichen Wirklichkeitserlebens expliziert, der vermittelten Unmittelbarkeit. Geht die äußere Natur – wozu auch der menschliche Körper gehört – als zu verstehendes Unverfügbares, d.h. als zu Entdeckendes verloren (bzw. wird mit Rosa in einen schwachen Wert transformiert), da sie als gemacht, manipulierbar und wählbar erscheint, droht dem spätmodernen Subjekt – so Rosa – eine „Resonanzkatastrophe“, denn „[d]er Verlust der Natur als Resonanzsphäre [...] könnte zur Folge haben, dass ‚die Welt‘ für den modernen Menschen überhaupt verstummt“.13 Damit wäre das Subjekt geworfen in eine Welt, die keine sinnstiftenden Antworten mehr bereithält, da alles, auch die Natur, als manipulierbare Verfügbarkeit erscheint. Die Fortschritte in der Gentechnik, aber auch die heutigen Möglichkeiten, seinen Körper nach Wunsch gestalten zu können (die durchaus auch positiv sein können, etwa im Falle einer Geschlechtsumwandlung oder im Falle einer therapeutisch durchgeführten plastischen Operation) oder bspw. 12 H. Rosa: Die Natur als Resonanzraum, a.a.O. [Anm. 468] 3. 13 Ebd. 10.

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durch Neuro-Enhancement zu manipulieren, sprechen hier für sich. Dadurch läuft das spätmoderne Subjekt jedoch Gefahr, auch den Bezug zu sich selbst als einen instrumentellen zu erfahren, da es dabei keine resonanzerfordernden Fragen mehr an sich selbst zu stellen brauch. Naturerlebnisse mögen zudem ihre situative Resonanzwirkung als starke Wertung vielleicht nicht verlieren. Ob Natur als Resonanzachse das ‚Verstummen‘ der Welt jedoch verhindern kann, insbesondere angesichts der Ubiquität einer naturalistisch vermittelten Naturauffassung, bleibt jedoch fraglich. Zum Abschluss der vorliegenden Arbeit soll im Folgenden geprüft werden, ob die von Rosa als entfremdet konstatierten spätmodernen Weltbeziehungen zur Klärung des umweltsoziologischen Problems der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ dienen können. Dadurch soll der mit Plessner unterfütterte resonanztheoretische Ansatz nicht lediglich als grundlegende Position in der Allgemeinen Soziologie diskutiert, sondern als eine anthropologisch fundierte und phänomenologisch-hermeneutisch intendierte soziologische Perspektive für die Umweltsoziologie skizziert werden. Die in der vorliegenden Arbeit entwickelte anthropologische Fundierung des resonanztheoretischen Ansatzes wird als axiomatische Erweiterung der Umweltsoziologie vorgeschlagen und ihr explanatives Potenzial im Folgenden am Problem der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ erprobt.14 Mit dieser Perspektive soll der Umweltsoziologie letztendlich eine Axiomatik bereitgestellt werden, die ihre wissenschaftssystematischen Ansprüche nicht auf das naturalistisch-rationalistische Weltbild stützt sowie nicht von entweder evolutionstheoretischen oder subjektivistischen Anthropologismen geleitet ist. Dieser Ansatz versucht vielmehr Klärungsmöglichkeiten von der phänomenologischhermeneutisch explizierbaren Struktur menschlichen Lebens her zu entwickeln und damit die in der vorliegenden Arbeit aufgezeigten systematischen Verengungen und Einseitigkeiten zu verhindern.

14 Dass es sich dabei nicht um eine vollständig ausgearbeitete Theorie, sondern um einen perspektivischen Ansatz handelt, ist insofern verständlich, da die vorliegende Arbeit primär dazu dient, die theoretischen und systematischen Schwachstellen der anthropologischen Annahme eines menschlichen Lebens in „Umwelt“- bzw. Umweltverhältnissen aufzuzeigen, sowie die Gründe dafür in den darin vorausgesetzten Biologismen und den daraus folgenden reduktiv-anthropologischen Annahmen ausfindig zu machen.

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4.3 D ER VERSTEHENDE U MGANG MIT DEM U NVER FÜGBAREN : E INE RESONANZTHEORETISCHE P ERSPEKTIVE FÜR DIE U MWELTSOZIOLOGIE In diesem letzten Kapitel sollen die entwickelten Überlegungen zum Verhältnis von zu verstehendem Unverfügbaren und menschlichem Resonanzbedürfnis als eine nun anthropologisch fundierte und phänomenologisch-hermeneutisch intendierte Form des resonanztheoretischen Ansatzes in die Umweltsoziologie eingeführt werden. Denn ‚misslingende‘ Resonanzbeziehungen zwischen Selbst und Welt, deren ‚Misslingen‘ bzw. Entfremdung, wie Rosa gezeigt hat, auch im Verhältnis zur Natur zum Ausdruck kommt, könnten zur Klärung der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ dienen. Ob die resonanztheoretische Betrachtung aktueller Weltverhältnisse dabei plausibel ist, gilt es im Folgenden zu prüfen. Denn bestätigt sich dies, sind im Anschluss daran die in den individuellen Handlungsvollzügen, sozialen Strukturen und kulturpraktischen Institutionen zum Ausdruck kommenden Weltverhältnisse dahingehend zu befragen, inwiefern diese als Wirklichkeitsbedingungen das Realisieren von ‚gelingenden‘ oder ‚misslingenden‘ Resonanzbeziehungen forcieren. Diese Analyse vorzunehmen ist jedoch die Aufgabe einer elaborierten Soziologie der Weltbeziehungen, wie Rosa sich diese vorgenommen hat. Im Folgenden soll deswegen vielmehr geprüft werden, ob die erbrachte anthropologische Fundierung der Resonanztheorie als nicht-reduktives anthropologisches Fundament der Soziologie bzw. in dem vorliegenden Kontext der Umweltsoziologie bereitgestellt werden kann. Die Beziehung zwischen Selbst und Welt ist stets mitweltlich vermittelt. Die Mitwelt als die Sphäre des Geistes, in der sich die exzentrische Positionalität realisiert und dabei das Innen- und Außenwelterleben des Menschen trägt, konstituiert die Wirklichkeit, die sich dem Menschen der vermittelten Unmittelbarkeit nach leiblich vermittelt.1 Im ersten Kapitel der Stufen hat Plessner diese eigentümliche Verschränkung zwischen Geist und Erleben explizit als eine Resonanzbeziehung angesprochen – wenngleich er im weiteren Verlauf die Beziehung zwischen Selbst und Welt nicht mehr explizit als eine resonante ausgewiesen hat –, wodurch das Verständnis des Resonanzbedürfnisses als ein auf der exzentrischen Struktur gründender Aspekt menschlichen Lebens erneut von Plessner

1

Plessner spricht in dieser Hinsicht auch von den Sinnesmodalitäten als Beziehungsmodalitäten zwischen Geist und Körperleib (vgl. H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 332; sowie zur Grundlegung der sinnlich-leiblich verfassten Mensch-WeltKorrelation: H. Plessner: Ästhesiologie, a.a.O. [Anm. 267]).

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selbst gestützt wird. So betont er: „Die geistige Welt [...] unterscheidet sich von der physischen Welt hinsichtlich ihrer Erfahrbarkeit schon durch die zu erfüllenden Vorbedingungen auf Seiten des Erkennenden. Dinge der Natur brauchen Sinnesorgane, um zu erscheinen. Geistiges Leben braucht dazu Resonanz und wird nur in Resonanzphänomenen faßbar. Sinnliche Erscheinungen strahlen sich einfach in den Wahrnehmenden hinein, geistige Erscheinungen werden jedoch erst im Strahl, der von der Persönlichkeit des Erkennenden ausgeht, aktuell“.2 Was also meint Plessner, wenn er von Resonanz im Verhältnis zum geistigen Leben spricht? Und inwiefern besteht dabei ein Zusammenhang zwischen Persönlichkeit des Erkennenden und Resonanz? Sich als ein personales Selbst bewusst zu werden, ist dem Menschen nur in der Sphäre des Geistes, der Mitwelt, möglich (vgl. 3.2.3). Das dem Menschen durch die exzentrische Positionalität gewährleistete Leben in dieser Reflexivität hat für ihn aber zugleich den Preis, um seine Angewiesenheit auf den mitweltlich vermittelten Ausgleich zu wissen. Er versteht seine gleichgewichtslose Lebenssituation, die auszugleichen er entsprechend anstrebt. Um diesen Zusammenhang zwischen sich und der Welt als einen sinnvollen erfahren zu können, braucht der Mensch Bedeutungsträger, die ihm die Sinnhaftigkeit seiner personal verfassten Lebensführung vermitteln und insofern als Resonanzphänomene sein Fragen beantworten. Die Aktualität der Antwort entsteht dabei, weil das dazu notwendige Selbst-Welt-Verstehen nicht unabhängig ist von der Persönlichkeit des Fragenden. Sie ist an diesem Prozess immer schon beteiligt und hält durch die eigene Resonanzfähigkeit Selbst und Welt in der Antwort aktuell: „Im Verstehen muss ich mich selbst zum Einsatz bringen, soll der Gegenstand, um den es geht, zum Reden gebracht werden. Je größer der Einsatz, d.h. je reicher und tiefer die persönliche Resonanzfähigkeit ist, je stärker sie ins Gewicht fällt, umso schwerer, um so gewichtiger wird der Gegenstand.“3 Dieser konstitutive Zusammenhang ist es, den Plessner auch als die Realisierung der „echten Erfüllung“ eines SelbstWelt-Verständnisses begreift (siehe Kapitel 4.1.2). Die „echte Erfüllung“ ist aber, wie Plessner auch betont, nicht garantiert, sondern zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie auch ausbleiben kann. Diese Möglichkeit des Ausbleibenkönnens wiederum macht deutlich, dass das Realisieren einer Resonanzbeziehung als Ausgleich seiner gleichgewichtslosen Lebenssituation für den Menschen von existenzieller Bedeutung ist. Wie sonst soll es dem Menschen gelingen, das Leben, das er lebt, auch führen zu können? 2 3

[Hervorhebungen KB] H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 15f. Helmuth Plessner: Mit anderen Augen (1953). In: Conditio humana. GS. Bd. 8, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 88-104, 102).

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Wenn nun aber die Erfüllung der Intentionen durch eine Kultur des Verfügungswissens – deren Motor die Beschleunigung und deren Paradigma die Akkumulation von Verfügbarkeiten ist – stets berechenbarer und dadurch garantiert wird, werden im Gegenzug dazu die Realisierungsbedingungen von Resonanzerfahrungen beschränkt. Denn die garantierte Erfüllung verhindert das Ausbleibenkönnen, das als eine Potenzialität von Resonanz diese jedoch auszeichnet. Geht aber die Möglichkeit des Ausbleibenkönnens verloren, wird auch die Wirklichkeit von Fragwürdigem und Unbestimmtem stetig beschränkt. Die Erfahrung garantierter Erfüllung scheint gleichwohl in Zeiten von Beschleunigung und Orientierung an der Akkumulation von Verfügungswissen für das spätmoderne Subjekt zum Maßstab eines erfüllten Lebens geworden zu sein. Durch die damit einhergehende Verdrängung von Erfahrungen „echter Erfüllung“ geht jedoch die resonante Kraft von Selbst-Welt-Beziehungen verloren.4 Die Durchdringung der Wirklichkeit mit Verfügungswissen erschwert dem Subjekt – so könnte man sagen – die umwelthafte, selbstverständnisstiftende Grenzziehung, da dem Verfügungswissen kaum mehr Grenzen gesetzt sind. Der immer weitreichendere Pakt mit der Wirklichkeit führt dazu, dass das zum menschlichen Leben gehörende Umgehenkönnen mit dem Nicht-Bestimmten, Fremden und insofern zu verstehenden Unverfügbaren weniger Entfaltungsmöglichkeiten findet.5 Denn im stetigen Vollzug des Ausgleichs der Gleichgewichtslosigkeit 4

Das Selbst- und Weltverständnis wird dadurch zu einem existenziellen Problem, wie Rosa u.a. an der Indifferenz gegenüber alltäglichen Gegenständen verdeutlicht: „Nichts von uns haftet mehr an diesen Gegenständen, nichts geht in sie ein – und umgekehrt: Nichts von ihnen definiert, wer wir sind, geht in uns ein“ (Hartmut Rosa: Gegenwartsschrumpfung, Raumvernichtung, Selbstauflösung? Vom Leben in der Beschleunigungsgesellschaft. In: Wirklichkeit im Zeitalter ihres Verschwindens, hg. von Claus Urban/Joachim Engelhardt (Münster 2000) 183-199, 197). Die ständige Verfügbarkeit und Ersetzbarkeit der begegnenden Dinge lässt ihre mögliche sinnstiftende Wirkung flüchtig werden. Vielleicht waren sie gestern noch die Antwort, heute, wie Rosa pointiert, sind sie es nicht mehr: „Wir wissen, dass all die Dinge, die uns gegenwärtig beschäftigen und über die wir nachdenken, die Tätigkeiten, die wir ausüben und die Beziehungen, in denen wir stehen, nur flüchtig die unseren sind, uns nur vorübergehend und kontingenterweise definieren: Morgen werden neue Gegenstände, Tätigkeiten und Beziehungen an ihre Stelle getreten sein“ (ebd. 199).

5

Als negative Form der Plausibilisierung einer weiter fortschreitenden Kultur des Verfügungswissens können bspw. Diskurse betrachtet werden, die argumentativ über die Angst vor dem Unverfügbaren funktionieren. In biologisch-medizinischen Kontexten etwa über die Gefahr von Viren u.ä., aber auch in politisch-rechtlichen Diskursen, in denen es um die Beschneidung von Persönlichkeitsrechten wie das des Datenschutzes

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hat sich eine Wirklichkeit entwickelt, die dem Menschen die Erfüllung dieses Ausgleichs garantiert. Durch das Fortschreiten dieser Verstellung des Unverfügbaren könnte der Spielraum für Resonanzerfahrungen früher oder später jedoch soweit beschränkt sein, dass die von Rosa befürchtete Resonanzkatastrophe droht, Wirklichkeit zu werden.6 Diese Verstellung manifestiert sich als soziologische Konkreta im Selbstbezug der Subjekte, im Bezug zu den als objektiv erscheinenden Verhältnisse sowie in den Formen sozialer Interaktionen. In welchen Formen diese Bezüge in den Verhältnissen spätmoderner, kapitalistischer Gesellschaften zum Ausdruck kommen, hat Rosa in seiner Soziologie der Weltbeziehungen bereits beleuchtet und plausibel gemacht.7 In der am Beginn der vorliegenden Arbeit stehenden Analyse des umweltsoziologischen Umgangs mit dem Begriff „Umwelt“ sind solche Bezüge ebenfalls implizit thematisch geworden. Rückblickend wird die dortige kritische Betrachtung also von der These der Verstellung des Unverfügbaren im Zuge der exorbitanten Entwicklung einer Wirklichkeit des Verfügbaren gestützt. En détail sollen die beobachtbaren Formen dieser Bezüge zwischen Selbst und Welt in spätmodernen Verhältnissen hier jedoch nicht noch einmal referiert bzw. untersucht werden, denn die Analyse dieser Formen sowie die De-

geht, werden über die Angst vor einem Sicherheitsverlust Überwachungsmaßnahmen plausibilisiert. 6

Dies betrifft auch die Wirklichkeit der Natur als Fremdes, deren konstitutive Ausgleichsfunktion in der offenen Frage Plessner in Macht und menschliche Natur hervorgehoben hat (vgl. H. Plessner: Macht und menschliche Natur, a.a.O. [Anm. 425] 191-200).

7

Vgl. das Kapitel Kapitalismus und Lebensführung in H. Rosa: Weltbeziehungen, a.a.O. [Anm. 505] 151-184. Darin wird von Rosa auch explizit gemacht, auf welche Art und Weise die Kompatibilität von romantisch-expressivem Naturverständnis, naturalistischem Weltbild und kapitalistischer Funktionalität in spätmodernen Gesellschaften die aktuellen Weltverhältnisse prägen: „Das zeitgenössische Leitideal der Selbstverwirklichung und Authentizität etwa weist zwar eindeutig romantischexpressivistische Wurzeln auf, tritt jedoch zumeist in Verbindung mit der Forderung nach radikaler Autonomie und einem instrumentellen Verständnis von Natur und Gemeinschaft sowie einem atomistischen Identitätsbegriff auf, welche unzweifelhaft Ausflüsse des naturalistisch-instrumentalistischen Selbstverständnisses sind. Ästhetisierung, Selbstinszenierung und experimentelle Selbstverhältnisse sind daher zeitgenössische, ‚postmoderne‘ Identitätsformen, deren romantisch-expressivistischer Impetus eine vollkommene Symbiose mit dem naturalistischen Selbstbild und den kapitalistischen Systemimperativen eingeht“ (ebd. 174f.).

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skription ihrer sozialstrukturellen Bedingungen ist jene eingangs erwähnte Aufgabe, die mit Rosa eine Soziologie der Weltbeziehungen zu übernehmen hat. Überträgt man aber die in der vorliegenden Arbeit anthropologisch fundierten resonanztheoretischen Überlegungen zu spätmodernen Weltbeziehungen in den spezifisch umweltsoziologischen Kontext der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“, stellt sich die Frage, ob ‚misslingende‘ Resonanzbeziehungen als Grund für diese Differenz ausfindig gemacht werden können. Wenn die Realisierung einer Resonanzbeziehung auf die Erfahrung „echter Erfüllung“ angewiesen ist, Erfahrungen garantierter Erfüllung jedoch diejenigen sind, die aktuell Selbst-Welt-Beziehungen primär auszeichnen, dann gilt es zu prüfen, ob dieses Primat auch für das Subjekt-„Umwelt“-Verhältnis gilt. Trifft dies zu, kann die These aufgestellt werden, dass die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ auf der Verstellung des zu verstehenden Unverfügbaren gründet. Denn der verstehende Umgang ist die Bedingung der Wirklichkeit zur „echten Erfüllung“ eines Selbst-WeltVerständnisses, so dass eine fortschreitende Beschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten dieses verstehenden Umgangs mit dem Unverfügbaren das Realisieren einer Resonanzbeziehung zwischen Selbst und „Umwelt“ tendenziell verunmöglicht. Um nicht erneut jene den anthropologischen Reduktionismen vorausgesetzte Präsupposition der Subjekt-Objekt-Dichotomie zu reproduzieren, bietet sich für die Umweltsoziologie diese resonanztheoretische Perspektive auf die SelbstWelt-Beziehungen spätmoderner Subjekte an. Denn in diesen Beziehungen, die sich im Vollzug vermittelter Unmittelbarkeit realisieren, werden Selbst und Welt als etwas Gleichursprüngliches konstituiert. Mit dieser vom Erleben und Verstehen ausgehenden Perspektive kann die naturalistisch intendierte Ontologisierung der Subjekt-Objekt-Dichotomie dann als Ausdruck des Strebens nach garantierter Erfüllung problematisiert werden. Denn dem Realisieren garantierter Erfüllungen durch eine instrumentelle Beziehung zur Welt liegt die mitweltlichvermittelte Auffassung von der Beziehung als eine Subjekt-Objekt-Dichotomie als Bedingung der Wirklichkeit zugrunde. Die in der Umweltsoziologie axiomatisierten anthropologischen Annahmen werden dadurch als Problem einer Wirklichkeit des Verfügbaren fassbar und insofern auch die aufgezeigten Formen der Systematisierung der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“, die diese anthropologischen Annahmen zur Voraussetzung haben. Um im Folgenden nachweisen zu können, dass die resonanztheoretische Perspektive in ihrer anthropologisch gesättigten Form diese Differenz mit einer phänomenologisch-hermeneutisch intendierten Herangehensweise plausibel erklären kann, ohne dabei auf die aufgezeigten, reduktiven Menschenbilder zu-

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rückgreifen zu müssen, sollen zunächst die oben analysierten Ansätze der Umweltsoziologie noch einmal herangezogen werden. Denn die Plausibilität der anthropologisch gesättigten Resonanztheorie in Hinsicht auf die Klärung der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ soll im Vergleich zu diesen Ansätzen geprüft werden. Kann die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ als auf dem überwiegend instrumentell erlebten und interpretierten Bezug der Subjekte zur „Umwelt“ gründend ausgewiesen werden – diese Diagnose legen sowohl die Ausführungen zu diesem Problem in Kapitel zwei als auch diejenigen zu Rosas Überlegungen zum menschlichen Naturverhältnis nahe – dann sollte es möglich sein, dieser Instrumentalität systematisch die Möglichkeit der Nicht-Instrumentalität in diesem Bezug entgegenzustellen. Denn die Instrumentalität verweist aspektiv auf die der Nicht-Instrumentalität – zumindest vor dem Hintergrund des in der vorliegenden Arbeit mit Plessner aufgezeigten Weltbegriffs. Mit anderen Worten: Mit dem Aufzeigen der mitweltlichen Vermitteltheit der Instrumentalität kann die biologistisch-anthropologische Begründung ihrer Unausweichlichkeit zurückgelassen werden. In der lebensstilorientierten Umweltsoziologie wurde in den letzten Jahren insbesondere ein spezifischer Lebensstil diskutiert, in dem jene NichtInstrumentalität im „Umweltverhältnis“ zum Paradigma erhoben wurde: The Lifestyle of Health and Sustainability (kurz: LOHAS).8 Ein nachhaltiger, res8

Vgl. zur Entdeckung und Diskussion exemplarisch Martin Kreeb/Melanie Motzer/Werner F. Schulz: LOHAS als Trendsetter für das Nachhaltigkeitsmarketing. In: Medialisierung der Nachhaltigkeit. Das Forschungsprojekt balance[f]: Emotionen und Ecotainment in den Massenmedien, hg. von Clemens Schwender/Werner F. Schulz/Martin Kreeb (Marburg 2008) 303-314. Besonders interessant erscheint hier die Tatsache, dass der Begriff der LOHAS von dem Marktforschungsinstitut Natural Marketing Institut (NMI) geprägt wurde und erst im Anschluss daran diese Lebensstilbeschreibung in den sozialwissenschaftlichen Kontext Eingang fand (vgl. ebd. 304). Mit anderen Worten: Bereits der Begriff wurde um seiner ökonomischen Verwertbarkeit willen kreiert. Das darin propagierte Naturverhältnis unterliegt somit von vornherein der Instrumentalität, da es spezifische Konsumentscheidungen fördern soll und somit letztlich lediglich der Profitakkumulation dient. Dafür spricht zudem, dass Nachhaltigkeit als potenzieller ,Megatrend‘ begriffen wird (vgl. ebd. 303). Das Bild von der Vertreterin dieses Lebensstils nimmt in der Marktforschungsanalyse entsprechende

Formen

an:

„Wichtig

bleibt

festzustellen,

dass

die

LOHAS-

Konsumentengruppe sich zwar dem Prinzip der Nachhaltigkeit verpflichtet sieht und dieses Ideal als Wertebasis anstrebt. Dennoch sind die LOHAS-Konsumenten keine reinen Nachhaltigkeitsjünger. Lifestyle und Ästhetik sind ebenfalls wichtige Kaufkri-

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sourcenschonender Umgang mit der Natur hat darin einen hohen Stellenwert und müsste der systematischen Bestimmung des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses in der Lebensstilforschung zufolge „umweltschonendes“ Handeln fördern. Die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ dürfte in einem nachhaltigkeitsgeprägten Lebensstil also relativ gering ausfallen, wenn nicht sogar überwunden sein – so zumindest die Theorie. Die ökonomische Verwertbarkeit des LOHAS und der industrielle Charakter seiner Generierung weisen jedoch darauf hin, dass in der Praxis dieses Lebensstils das Verhältnis zur „Umwelt“ ein instrumentelles bleibt, insofern dieser Lebensstil primär die Funktion hat, über ökonomische Konsumentscheidungen Lebensstiloptionen unter dem Deckmantel ökologischer Wertvorstellungen zur Verfügung zu stellen. Die Differenz zwischen lebensstilsoziologischer Theorie und kultureller Praxis nimmt hier ähnliche Ausmaße an, wie die im Fokus der Analyse stehende Differenz selbst. Da hier die implizit zugrunde gelegte erklärende anthropologische Annahme die subjektivitätsbedingte Myopia ist, stellt sich vor dem Hintergrund der Überlegungen zur künstlichen Generierung eines nicht-instrumentellen Umgangs mit der „Umwelt“ durch Lebensstile gleichwohl die Frage, ob das Subjekt der Lebensstilforschung überhaupt ein Verhältnis zur „Umwelt“ im Modus der Nicht-Instrumentalität haben kann. Denn wenn die Motivation des kurzsichtigen Subjekts für Lebensstilentscheidungen dabei die Frage nach der Funktion der „Umwelt“ für eine ökonomisierte Sinnbildung impliziert, dann erhält die Annahme einer prinzipiellen Gegebenheit der Instrumentalität im Verhältnis zur „Umwelt“ Einzug in diese Systematik.9 Dementsprechend kann es in der lebensterien – Konsumverzicht als alternativer Lebensstil ist ihnen fremd“ (ebd. 304). Der Zusammenhang zwischen Lebensstil, Ästhetik und Konsumentscheidungen und den daraus resultierenden Abgrenzungsmöglichkeiten gegenüber anderen steht bei den LOHAS stark im Vordergrund, weswegen das Verhältnis zur Natur kaum anders als instrumentell beschrieben werden kann (vgl. zur Diskussion des LOHAS zudem Konrad Götz/Jutta Deffner/Immanuel Stieß: Lebensstilansätze in der angewandten Sozialforschung am Beispiel der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung. In: Lebensstilforschung, hg. von Jörg Rössel/Gunnar Otte (Wiesbaden 2012) 86-112, 92f.; sowie kritisch dazu Kathrin Hartmann: Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt (München 2009). 9

Interessant ist zudem, dass der LOHAS als Form der Suche nach Authentizität betrachtet wird (vgl. Anja Kirig/Eike Wenzel: LOHAS. Bewusst grün – alles über die neuen Lebenswelten (München 2009) 11). Rosa hat in seiner Resonanztheorie das Authentizitätskonzept in einem ähnlichen Kontext problematisiert. So verweist er auf die Konjunktur der Outdoor-Ideologie, der zwar das Resonanzversprechen inhärent ist, seine Erfüllung in der Praxis dieses Lebensstils jedoch lediglich im Herstellungsmo-

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stilsoziologischen Umweltsoziologie kaum relevante Lösungsvorschläge zur Überwindung der Differenz jenseits instrumenteller Implikationen geben, da die systematischen Voraussetzungen in der Bestimmung des „Umweltverhältnisses“ solche gar nicht zulassen. Mit dem hier vorgestellten Weltbegriff wäre es der lebensstilsoziologisch orientierten Umweltsoziologie hingegen möglich, diese angenommene anthropologisch bedingte Instrumentalität als ein den spätmodernen Weltverhältnissen inhärenter Sachverhalt zu reflektieren, dessen Plausibilität durch die mitweltliche Vermittlung seine Geltung erhält. Dadurch eröffnete sich die Möglichkeit, diese Annahme als Präsupposition in der eigenen Systematik zu entlarven und die Gründe für das ausbleibende „Umwelthandeln“ statt im „Umweltverhältnis“ in den Selbst-Welt-Beziehungen zu suchen, da der darin praktizierte, instrumentelle Umgang mit der „Umwelt“ respektive Natur seine Legitimation durch die bestehenden Weltverhältnisse erhält, die die Wirklichkeitsbedingungen seines Vollzugs sind. Auch die RCT kommt in der Frage nach ihren systematischen Möglichkeiten einer nicht-instrumentellen Bestimmung des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses an dus eingelöst werden soll und wird, so dass sich darin kaum eine Resonanzerfahrung einstellt. Zwar stellt er fest, dass das Hören auf die Stimme der inneren ‚Natur‘, d.h. der Selbstfindungsprozess als Erfüllungsvollzug der Resonanzsuche, häufig mit einem Rückzug in die äußere Natur einhergeht und Ausdruck einer auch heute noch vorhandenen romantisch-expressiven Idee sei, d.h. der Idee „einer ‚heimlichen‘ Korrespondenz und Resonanz zwischen innerer und äußerer Natur“ (H. Rosa: Die Natur als Resonanzraum, a.a.O. [468] 7). Die in der Outdoor-Ideologie zutage tretende „anhaltende Wirksamkeit der romantischen Überzeugung einer inneren Verbindung mit den Quellen der Natur“ bewirkt, dass das spätmoderne Subjekt „just dadurch einen Spalt breit geöffnet für die Affizierung durch eine größere, gleichsam kosmische Macht“ (H. Rosa: Is There Anybody Out There?, a.a.O. [Anm. 515] 27) bleibt. Rosas Feststellung dieser Ideologisierung des Resonanzpotenzials von Naturerlebnissen bedeutet hinsichtlich ihrer Ökonomisierung, dass die menschliche Suche nach einer resonanten Welt dem Subjekt letztendlich als manipulierbare Option verfügbar gemacht wird. Die Idee selbst tritt darin gleichsam wie ein ideologischer ‚Schleier‘ des Unverfügbaren in Erscheinung. Folglich läuft auch der Resonanzraum Natur Gefahr, selbst in seiner Bedeutung als Unverfügbares zu einer bloß instrumentell zu handhabenden Verfügbarkeit in der Generierung des eigenen Lebensstils zu werden. Auf die ideologische Spitze wird dieses Versprechen bspw. von der Outdoor-Modefirma Schöffel getrieben, die in einer klugen Wendung die genannten Lebensstile kritisch einholt, indem sie diese zugunsten des wirklich wahren Naturerlebnisses verwirft und damit die eigene Marke zur Voraussetzung dieses Erlebnisses macht (vgl. dazu: http://www. schoeffel. de/un ternehmen/ich-bin-raus (10.06.2014, 20.00 Uhr).

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ihre methodologischen Grenzen. Denn die Kosten-Nutzen-Bilanz eines nachhaltigkeitsaffinen Subjekts mag zwar relativ positiv für Natur und „Umwelt“ ausfallen. Jedoch ist der Kosten-Nutzen-Bilanz als solcher die Instrumentalität inhärent, so dass bspw. Naturerfahrungen lediglich hinsichtlich ihres berechenbaren, subjektiven Nutzens betrachtet und insofern von vornherein als instrumentelles Verhältnis gedacht werden. Da diese handlungstheoretische Form der Thematisierung des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses auf der erklärenden Annahme der evolutionär bedingten Myopia, die darin einen axiomatischen Platz einnimmt, gründet, ist auch in der RCT keine nicht-instrumentelle Bestimmung dieses Verhältnisses möglich. Die erkenntnistheoretischen Möglichkeiten einer Theorie, die den Fokus auf die Rationalität von Entscheidungen vor dem Hintergrund des subjektiven Nutzens legt, werden hinsichtlich einer Überwindung der Differenz im Lichte nicht-instrumenteller Entscheidungen zu einer systematischen Leerstelle. Diese Leerstelle zu füllen erfordert, das ganze menschliche Leben in den Blick zu bekommen, wozu der RCT jedoch die axiomatischen Voraussetzungen fehlen. Die Systematisierung des Plessner’schen Weltbegriffs in einer erklärenden soziologischen Handlungstheorie wie die RCT würde diesen Blick eröffnen. Denn zum einen wäre damit die Möglichkeit gegeben, ihre Einflussvariablen in Entscheidungssituationen nicht lediglich von objektiv beobachtbaren und insofern kausal erfassbaren Parametern abhängig zu machen. Mit dem dreidimensional verfassten Leben des Menschen in Weltverhältnissen könnten zugleich Entscheidungsaspekte in die Theorie Eingang finden, die auch Leiblichkeitsaspekte thematisch sowie die mitweltliche Vermitteltheit der Wirklichkeit deutlicher machen. Zum anderen bietet gerade Plessners Weltbegriff für die RCT die Möglichkeit, ihre biologischen Grundlagen zugunsten phänomenologischhermeneutischer Implikationen nicht einfach verwerfen zu müssen. Vielmehr gelingt es mit Plessner, Biologie mit diesen Implikationen zu verschränken, denn auch Plessner baute seine Anthropologie auf einer „Axiomatik des Organischen“ auf, die dabei aber nach dem logischen Ort des Organischen in der Betrachtung des Lebendigen fragt und nicht meint, mit dem Organischen bereits die Antwort gefunden zu haben.10 Somit bedeutete die Einführung des Weltbegriffs zwar, den in der RCT vertretenen alleinigen Wahrheitsanspruch der evolutionstheoretischen Gesetze preisgeben zu müssen, allerdings zugunsten der Möglichkeit, die durch diesen Anspruch eingehandelte systematische Enge aufzusprengen und neben dem rational aneignenden Umgang mit der Welt auch den verstehenden als konstitutive Annahme zuzulassen. In einer solchen Programmatik hat auch die Nicht-Instrumentalität menschlicher Lebensvollzüge Platz. Darüber hinaus gilt für beide Ansätze der Umweltsoziologie, durch den Weltbegriff das Zustan10 Vgl. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] XXII.

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dekommen ihrer jeweiligen Bestimmungen des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses vor dem Hintergrund der mitweltlichen Vermitteltheit ihrer Voraussetzungen reflektieren zu können. Geht man davon aus, dass der wesentliche Grund für die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ in der erlebten Instrumentalität der Naturbeziehung spätmoderner Subjekte liegt – gute Gründe sprechen, wie die vorliegende Arbeit gezeigt hat, dafür –, dann braucht es einen Ansatz in der Umweltsoziologie, durch den diese Instrumentalität als Aspekt menschlicher Lebensvollzüge mit der Nicht-Instrumentalität, die ebenso Aspekt menschlicher Lebensvollzüge ist, kontrastiert werden kann. Rosas Soziologie der Weltbeziehungen kann mit ihrer resonanztheoretischen Axiomatik einen solchen Ansatz für die Umweltsoziologie bereitstellen, sofern sie in der anthropologisch gesättigten Form, wie sie in der vorliegenden Arbeit entwickelt wurde, auftritt. Denn in dieser wird nicht für ein Mehr an Verfügungswissen über Natur und „Umwelt“ im Subjekt-„Umwelt“-Verhältnis zur Überwindung der Differenz plädiert. Ganz im Gegenteil konnte Rosa aufzeigen, dass gerade dieses Akkumulationsgebaren wesentlicher Grund für das Erleben der Instrumentalität in den spätmodernen Selbst-Welt-Beziehungen ist. Dadurch gelingt es ihm, die existenzielle Bedeutung von nicht-instrumentellen, resonanten Bezügen zur Welt herauszustellen. Denn Naturerfahrungen, deren sinnstiftendes Potenzial durch ihre (ökonomische) Verfügbarmachung garantiert werden soll, sind instrumentelle und stiften daher in der Begegnung mit Natur und „Umwelt“ kaum echte Resonanz.11 Das Subjekt bekommt in solchen Erlebnissen höchstens ein Echo, das jedoch die menschliche Resonanzbedürftigkeit nicht erfüllen kann, ganz gleich wie oft es diese Situation herstellt. Denn das Resonanzversprechen, das in solchen Naturerfahrungen gleichwohl gegeben wird, ist nicht durch Quantität, sondern nur durch Qualität, die es zu deuten gilt, einlösbar. Der instrumentelle Zugang zur Natur bleibt solchen Naturerlebnissen somit stets inhärent. Damit, so lässt sich festhalten, gründet die Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ nicht auf einer evolutionsbedingten oder subjektivitätsbedingten Kurzsichtigkeit des Menschen. Vielmehr ist es die mit der Weltoffenheit einhergehende ‚Weitsicht‘ des Menschen, die zwar eine existenzielle Unsicherheit bedeutet, da er das ihm verwehrte Gleichgewicht als etwas Unverfügbares begreift. Zugleich eröffnet diese Weitsicht ihm aber die Möglichkeit 11 Aber auch Naturerlebnisse im Sinne der Verwirklichung der inneren ‚Natur‘, wie sie auch bei Rosa beschrieben wurden, sind davon betroffen. Durch den Versuch, diese innere ‚Natur‘ mit Hilfe von naturwissenschaftlicher Auf- bzw. Erklärung immer mehr zu erfassen, wird sie zum bloßen Verfügbaren und ihr Unverfügbares dadurch verstellt.

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des umwelthaften Ausgleichs dieser Unsicherheit. Dieser Ausgleich erfordert zu seinem Gelingen aber nicht nur einen instrumentellen, sondern gleichermaßen einen verstehenden Umgang, der keiner naturalistischen oder biologistischen Erklärung zugänglich ist, sondern vielmehr über das Erleben und Deuten erschlossen werden muss. In einer Wirklichkeit aber, in der die Subjekte selbst zu den wählbaren Optionen zählen,12 bedeutet der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren pure Unsicherheit. Die darin lebenden Subjekte haben – so lässt sich konstatieren – gleichsam verlernt, mit der vermittelten Unmittelbarkeit ihres Wirklichkeitserlebens umzugehen und sich auf die Welt als eine nur vermittelt erlebbaren und insofern zu verstehende Wirklichkeit einzulassen. Diese Diagnose bedeutet wiederum, dass es keine menschliche Kurzsichtigkeit ist, die als solche Ursache des Problems instrumenteller Weltbezüge ist – kausale Begründungen durch reduktive Menschenbilder werden somit entschieden zurückgewiesen. Vielmehr sind es die seit der Moderne entstandenen, kulturellen und sozialstrukturellen Entwicklungen, die die garantierte Erfüllung des Resonanzbedürfnisses gewährleisten sollen und gerade dadurch seine Erfüllung verfehlen. In der Quintessenz brachte diese Entwicklung somit ein paradoxes Verhältnis zwischen der spätmodernen Lebensweise und der anthropologisch bedingten Resonanzbedürftigkeit mit sich, das sich in den Lebensvollzügen aktueller Selbst-WeltBeziehungen manifestiert. Die Frage, die sich gleichwohl im Anschluss an diese Überlegungen zu dem paradoxen Verhältnis aufdrängt, ist die, ob nicht die menschliche Resonanzbedürftigkeit selbst der Grund für die Entwicklung der Wirklichkeit des Verfügbaren ist. Der Mensch, der als Homo absconditus sich selbst und damit auch die Welt als unergründlich weiß, ist durch seine Resonanzbedürftigkeit auf Antworten angewiesen. Und um die Erfüllung dieses Bedürfnisses möglichst garantieren zu können, hat der Mensch im Laufe seiner Geschichte versucht, das Fragen gänzlich zu beherrschen. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist das Vorherrschen der Instrumentalität in den Weltbezügen, die das Realisieren von Resonanzerfahrungen verhindert und lediglich jene mechanischen Echos zulässt, die Rosa zu Recht gerade nicht als Resonanz angesprochen wissen will. Die Angst vor dem Fremden und Unverfügbaren, da das Fremde und Unverfügbare dem Menschen seine eigene existenzielle Unsicherheit bewusst macht, und der stetige Versuch, diese durch die Generierung von immer mehr Verfügungswissen auszugleichen, trägt die modernen Weltverhältnisse bis hin zu ihren 12 Beispielhaft dafür, dass die Subjekte selbst zu bloßen Optionen transformiert werden, sind nicht nur soziale Netzwerke im Internet, sondern auch der Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze, in dem das Subjekt stets die flexibelste und Fähigkeiten akkumulierenste Option sein muss, will es einen Arbeitsplatz bekommen.

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spätmodernen Formen. Die in der vorliegenden Arbeit aufgezeigten umweltsoziologischen Bemühungen, die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt – die sich in der Umweltsoziologie zwischen Mensch und Natur oder zwischen Subjekt und „Umwelt“ immer wieder findet – zu überwinden, kann letztendlich selbst als einer dieser Versuche reflektiert werden, auf mechanische oder instrumentelle Weise Resonanz zwischen Selbst und Welt zu stiften. Diese Art und Weise des Umgangs mit der Erfüllung des menschlichen Resonanzbedürfnisses generiert jedoch gerade solche Selbst-Welt-Beziehungen, die von Rosa als ‚misslingende‘ Resonanzbeziehungen angesprochen werden. Dass die Vermarktung des Resonanzversprechens durch Naturerlebnisse trotzdem Konjunktur hat, verwundert nicht, denn das Resonanzbedürfnis als solches bleibt bestehen. Die Resonanzfähigkeit der Subjekte aber findet in spätmodernen Weltverhältnissen kaum Entfaltungsmöglichkeiten, da sie nicht wissen, resonanzstiftende Fragen zu stellen.13 13 Rosa macht diesbezüglich eine andere Feststellung. Im Anschluss an Taylors Unterscheidung zwischen einem ‚porösen‘ Selbst des 15. Jhd. und einem ‚abgeschotteten‘ Selbst der Spätmoderne im 21. Jahrhundert versucht er deutlich zu machen, warum gerade das spätmoderne Subjekt als ein stark resonanzfähiges aufzufassen sei, wobei er zur Begründung die Metapher des Resonanzkörpers heranzieht: „Nimmt man die musikalisch-metaphorische Symbolik ernst, dann ist es offensichtlich, dass poröse Selbst-Weltbeziehungen, die von wechselseitiger Durchdringung und Verwobenheit geprägt sind, das Subjekt (bzw. für dieses die Welt) kaum zum musikalischen ‚Klingen‘ oder Singen bringen können, denn dafür bedarf es eines zur Eigenresonanz fähigen Klangkörpers [...]. Dieser aber entsteht [...] zugleich mit dem ‚Panzer‘ zwischen [abgeschottetem] Selbst und Welt, ja er ist dieser Panzer. Moderne Subjekte sind daher nicht einfach resonanzverkümmert oder gar -unfähig, sondern, ganz im Gegenteil, durch und durch von Resonanzfähigkeit und Resonanzverlangen geprägte Wesen“ (H. Rosa: Is There Anybody Out There?, a.a.O. [Anm. 515] 42) Dass das Resonanzverlangen ein beständiges ist, muss an dieser Stelle nicht mehr diskutiert werden. Aber die Annahme eines der Welt gegenüber abgeschotteten Selbst spricht nicht für die Fähigkeit, Resonanzerfahrungen zu realisieren. Im Gegenteil bleibt zwischen dem abgeschotteten Selbst und der Welt ja gerade eine Kluft, d.h. Erfahrungen einer gegenseitig konstitutiven, resonanten Durchdringung wird dieses Selbst kaum realisieren. Hier scheint doch eher die Metapher des herstellbaren Echos zu greifen, da das abgeschottete Selbst versucht, durch Musik sein Resonanzbedürfnis auf instrumentelle Weise zu erfüllen. Zudem ist fraglich, ob das der Welt gegenüber abgeschottete Subjekt die Fähigkeit des ,Anverwandelns‘ von Welt überhaupt realisieren kann, da der von Rosa genannte

,Panzer‘

die

Möglichkeit

des

affirmativen

Hindurchs,

die

,Anverwandeln‘ ganz offenbar kennzeichnet, kaum zur Entfaltung bringen wird.

das

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In Anbetracht der aufgezeigten systematischen Probleme in der Umweltsoziologie, die durch anthropologische Annahmen in Form von axiomatisch erklärenden Menschenbildern entstehen, ging es in der vorliegenden Arbeit darum, Anthropologie und Soziologie miteinander fruchtbar ins Gespräch zu bringen. Ziel war es dabei, eine anthropologische Fundierung für einen soziologischen Ansatz, der das menschliche Weltverhältnis in phänomenologischhermeneutischer Perspektive zum Ausgangspunkt der Betrachtung hat, zu entwickeln und als eine axiomatische Grundlage, die sich jenseits des Konflikts zwischen Realismus und Konstruktivismus bewegt, für die Umweltsoziologie bereitzustellen. Ein umweltsoziologischer Ansatz, das hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, kommt ohne anthropologische Voraussetzungen nicht aus, sofern er über den Menschen in seinem Verhältnis zur Natur adäquat sprechen will. Das Verhältnis von Mensch und Natur respektive die Beziehung zwischen Subjekt und „Umwelt“ unter resonanztheoretischer Perspektive zu betrachten, scheint aufgrund der auf Plessner aufbauenden, anthropologischen Begründung der menschlichen Resonanzbedürftigkeit sowie aufgrund der im Einklang mit Rosa aufgewiesenen, grundlegenden Bedeutung von Resonanzerfahrungen in der Lebensführung eine vielversprechende Perspektive zu sein. Das ‚gelingende‘ bzw. ‚misslingende‘ Realisieren von Resonanzerfahrungen kann mit dieser Perspektive vom menschlichen Erleben und Verstehen aus betrachtet werden, wodurch die Selbst-„Umwelt“-Beziehung als ein sich im interpretativen Vollzug des Wirklichkeitserlebens gleichursprünglich konstituierender Sachverhalt systematisch handhabbar wird. Dadurch müssen Subjekt und „Umwelt“ nicht auf eine wie auch immer geartete Weise zusammengebracht bzw. die Differenz zwischen ihnen als ein unüberwindbares Problem ausgewiesen werden. Diese ontologisierende Sichtweise stellt sich gar nicht erst ein.14 Der Blick auf die Struktur des menschlichen Wirklichkeitserlebens ließ jenes Differenzproblem als ein Problem der Weltbeziehung, und zwar in dem Wie ihres Erlebens, sichtbar werden. Die Verknüpfung von Plessners Weltbegriff und den diesbezüglichen Überlegungen zum anthropologischen Grundgesetz der vermittelten Unmittelbarkeit mit Rosas 14 Krüger hat diese im Anschluss an Plessner systematisch wichtige Pointe so formuliert: „Man kann problemgeschichtlich zusammenfassend sagen, dass Plessner mit der exzentrischen Positionsform lebendigen Daseins eine naturphilosophische Antwort auf die Frage nach dem Ermöglichungsgrund der Subjekt-Objekt-Spaltung und dem Selbstbewusstsein davon gibt“ (Hans-Peter Krüger: Zwischen Lachen und Weinen. Der dritte Weg Philosophischer Anthropologie und die Geschlechterfrage. Bd. 2 (Berlin 2001) 307). Wichtig ist hier insbesondere, dass der Verweis auf das Selbstbewusstsein vom Ermöglichungsgrund der Dichotomie vor der Gefahr schützt, diese als eine hinzunehmende naturalistische Tatsache vorauszusetzen.

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Resonanztheorie, deren sowohl anthropologischen als auch phänomenologischhermeneutischen Implikationen er zwar erwähnt, jedoch nicht entfaltet, bietet sich daher an. Denn auch Rosa, der in seiner Soziologie der Weltbeziehungen zwar betont, dass es ihm nicht um den Aufweis einer wie auch immer gearteten conditio humana geht, kommt analog zu den hier vorgestellten umweltsoziologischen Ansätzen nicht umhin, in der Betrachtung der Beziehung zwischen Selbst und Welt anthropologische Überlegungen anzustellen. Warum sonst spricht er von einer resonanztheoretischen Anthropologie? Die von ihm identifizierte anthropologische Notwendigkeit von Resonanzerfahrungen in der menschlichen Lebensführung ist dabei unhintergehbar mit dem Erleben und Deuten von Unverfügbarem verknüpft. Dies ermöglicht im Gegensatz zur Umweltsoziologie, systematisch die Ebene empirisch erklärbarer Sachverhalte (vermeintlich) anthropologischer Natur zu verlassen und stattdessen phänomenologisch-hermeneutische Überlegungen als anthropologische Grundlage in seine Theorie einfließen zu lassen. Warum der Mensch seiner Bezugsform nach aber resonanzbedürftig ist, bleibt bei Rosa unbegründet. Infolgedessen wird von Rosa das für die Ermöglichung der Resonanzbeziehung zwischen Selbst und Welt notwendige Erleben von zu verstehendem Unverfügbarem nicht hinsichtlich seiner strukturellen Bedingungen beleuchtet. Stattdessen wird dessen Resonanzpotenzial durch eine im Anschluss an Taylor entwickelte ‚Quasi-Ontologie‘ der starken Wertungen begründet sowie als ein Anzueignendes respektive ‚Anzuverwandelndes‘ in einem Aneignungs- bzw. ‚Anverwandlungsverhältnis‘ zwischen Subjekt und Welt ausgewiesen. Auch hier findet keine systematische Begründung statt, warum sich der Mensch seiner Struktur nach diese Weltausschnitte in Form von starken Wertungen aneignen kann bzw. muss. Zudem entsteht durch die Betonung von Resonanzprozessen als Aneignungsverhältnisse der Eindruck einer implizit mitgetragenen naturalisierten Subjekt-Objekt-Dichotomie, denn die Aneignung von Etwas impliziert eine Differenz, die nunmehr überwunden werden muss.15 Hier läuft Rosa Gefahr, in 15 Auch wenn der Begriff der ,Anverwandlung‘ die scharfe Trennung zwischen Selbst und Welt, die im Begriff Aneignung mitschwingt, entschärfen zu scheint, bleibt doch unklar, was genau Rosa mit ,Anverwandlung‘ meint, wenn er damit keinen Aneignungsprozess zwischen Subjekt und Objekt zum Ausdruck bringen will. Eine Definition des ,Anverwandelns‘, die eine deutliche Abgrenzung zum Aneignungsbegriff hervorbringt, steht also noch aus. Diese nachzuholen würde gleichwohl dazu beitragen, die leiblich vermittelte Gleichursprünglichkeit von Selbst und Welt stärker hervorzuheben – dies scheint ein wichtiger Aspekt zu sein, da Rosa mit dem ,Anverwandlungsprozess insbesondere auf die leibliche Dimension anzuspielen

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eine ähnliche Bestimmung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses zurückzufallen, wie sie in der Umweltsoziologie vorgenommen wird. Dass die Welt dem Menschen als ein ‚quasi-ontologischer‘ Zusammenhang erscheint, ist in Rosas Theorie zudem nicht das eigentlich Problematische. Das Eigengewicht der Welt ließ sich mit Plessners Struktur vermittelter Unmittelbarkeit ohne weiteres begründen. Dadurch wurde auch deutlich, warum die Natur dem Menschen als etwas Unverfügbares zur Erscheinung kommt. Brisant ist vielmehr, dass die starken Wertungen in diesem ‚quasi-ontologischen‘ Zusammenhang zwischen Mensch und Welt bei Rosa einen erklärenden und insofern axiomatischen Status haben. Dadurch wird Rosas Vorgehen jedoch an seinen anthropologisch unbegründeten Voraussetzungen angreifbar. Denn die anthropologische Begründung des bezugsbedingten Bedürfnisses, das die existenzielle Notwendigkeit von Resonanzerfahrungen plausibilisiert, fehlt. Mit Plessner ist diese hingegen möglich geworden, so dass das konstitutive Verstehen im Erleben und Deuten von Unverfügbarem der anthropologischen Struktur nach als Voraussetzung für die Erfüllung des Resonanzbedürfnisses hervortreten konnte. Die Begründung der Resonanzbedürftigkeit durch die Struktur der vermittelten Unmittelbarkeit setzt dabei – und das ist entscheidend – die exzentrische Positionalität voraus. Die Bedingung der Möglichkeit einer resonanztheoretischen Anthropologie wird somit, da sich die exzentrische Positionalität im Vollzug der vermittelten Unmittelbarkeit realisiert, bereits mitreflektiert und nimmt nicht lediglich den Platz einer anonymen Präsuppositionen ein. Die Kompatibilität von Plessner und Rosa zeigt sich somit nicht nur in der grundlegenden Einsicht beider, dass der Mensch als Mensch in Weltverhältnissen lebt. Sondern auch darin, dass die resonante Realisierungsform der SelbstWelt-Beziehung im Verhältnis zu einem verstehenden Umgang mit Unverfügbarem zu betrachten ist. Ist dieser Sachverhalt bei Rosa als Anschluss an Taylors starke Wertungen explizit, so wird dieser in den Stufen Plessners dann thematisch, wenn es um das Erleben „echter Erfüllung“ geht. Zwar spricht Plessner das Wissen um die Bewusstseinsimmanenz sowie um die Differenz zwischen Intention und Ausdrucksform nicht explizit als ein auf dem Moment der Unverfügbarkeit im menschlichen Wirklichkeitserleben gründendes Erleben an. Wie die Untersuchung gezeigt hat, lässt sich dieses als konstitutives Moment in der vermittelten Unmittelbarkeit jedoch hervorheben und im Anschluss daran auch phänomenologisch-hermeneutisch als ein Erleben und Deuten von zu verstehendem Unverfügbaren systematisieren. Zudem lassen sich Rosas Einsichten darüber, dass die Welt als eine subjektive, objektive und soziale begegnet und wahrgescheint –, wozu die Autorin hofft, einige weiterführende Überlegungen – insbesondere die zur vermittelten Unmittelbarkeit – beigetragen zu haben.

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nommen wird, mit Plessners anthropologischen Einsichten zum dreidimensionalen menschlichen Welterleben als Innen-, Außen- und Mitwelt fundieren. Dies gilt auch für die mit Plessner aufweisbare Antinomie der menschlichen Lebenssituation, die sich in Rosas Einsicht des für das Subjekt ‚identitätsstiftenden‘ Ausgleichs von sinnstiftender Welterfahrung und dem sinnvollen Eingreifen in die Welt wiederfindet. Die resonanztheoretische Soziologie der Weltbeziehungen, deren systematische Fundierung mit Plessners Philosophischer Anthropologie gelingt, kann somit aktuell, wenn sie ihre eigenen Präsuppositionen einholt, zu einem für die Umweltsoziologie fruchtbaren Ansatz avancieren. Zum einen lassen sich mit ihr – unter Berücksichtigung der in der vorliegenden Arbeit vorgenommenen Fundierung und Erweiterung – die im zweiten Kapitel besprochenen Umweltsoziologien als mit der Wirklichkeit des Verfügungswissens konform gehende identifizieren, wodurch sie konkret auf die Gegebenheit und Funktion ihrer eigenen Voraussetzungen hin befragt werden können. Zum anderen kann aus der resonanztheoretischen Perspektive die instrumentelle Funktionalität von Beschleunigung und Akkumulation von Optionen als eine perfide Verflechtung jener die Moderne prägenden Leitaspekte – d.i. Autonomie und Authentizität – mit einem naturalistisch-rationalistischen Weltbild freigelegt werden. Dadurch können die prekären Auswirkungen, die diese Verflechtung auf die Wirklichkeitsbedingungen hat – wobei letztere die Voraussetzung für die Realisierungsmöglichkeiten von Resonanzerfahrungen sind –, problematisiert werden. Für die Umweltsoziologie eröffnet sich mit der hier vorgeschlagenen Verknüpfung von Plessner und Rosa somit eine darin bisher nicht genutzte theoretische Erweiterung. Denn sie bietet die Möglichkeit, das Verhältnis des Menschen zur Natur in seinen aktuellen Formen durch die Betrachtung zeitgenössischer Selbst-Welt-Beziehungen phänomenologisch-hermeneutisch, d.h. auf eine Resonanzerfahrung hin, zu verstehen. Jene Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ wird dann vielmehr als eine ‚misslingende‘ Resonanzbeziehung sichtbar, die sich auch im menschlichen Naturverhältnis manifestiert. Dadurch erscheint diese Differenz in der hier vorgeschlagenen Perspektive nicht mehr als unüberwindbar, da sie als Ausdruck aktueller Weltbeziehungen zwar ein Symptom, aber keine unüberwindbare Gegebenheit ist. Ganz im Sinne Rosas kommt es dann aus soziologischer Perspektive darauf an, die gesellschaftlichen Strukturen und kulturellen Bedingungen sichtbar zu machen, die das ‚Misslingen‘ der Realisierung von Resonanz forcieren bzw. das zu verstehende Unverfügbare verstellen. Betrachtet man nun ein letztes Mal die Frage nach dem Forschungsgegenstand der Umweltsoziologie, stellt sich vor dem Hintergrund der vorliegenden

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Arbeit die Frage, ob die Umweltsoziologie in Hinblick auf ihre Fragestellungen und zu erforschenden Probleme, aber auch dem eigenen oben explizierten Selbstverständnis nach, nicht vielmehr eine – zumindest aus phänomenologischhermeneutischer Perspektive – ‚Weltsoziologie‘ ist. Denn dass eine gelingende Resonanzbeziehung zwischen Selbst und Natur bzw. „Umwelt“ realisiert werden kann, basiert darauf, dass sich das menschliche Leben als ein Leben in Weltverhältnissen zum Ausdruck bringt, wobei die Weltverhältnisse dem Menschen als offener Sinnhorizont begegnen und ihm dadurch auch seine eigene Offenheit und Unergründlichkeit zu verstehen geben. Diese Offenheit von Mensch und Welt als etwas zu verstehendes Unverfügbares zu erhalten und keiner naturalistisch-biologistisch begründeten Erklärung des menschlichen Lebens preis zu geben, kann durch die Einführung des in der vorliegenden Arbeit vorgestellten Weltbegriffs zur Aufgabe der Umweltsoziologie und insofern Teil ihres eigenen Selbstverständnisses werden. Denn der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren ist wesentlich für eine nicht-instrumentelle Beziehung zur Welt. Von dieser Feststellung aus kann auch eine Umweltsoziologin ihre Arbeit aufnehmen.

5. Schluss

„Der Mensch lebt in einem Umfeld von Weltcharakter“.1 Legte man diesen mit Plessner in der vorliegenden Arbeit anthropologisch begründeten Maßstab als minimalen Konsens im interdisziplinären Sprechen über das menschliche Leben an, so stellte sich die Frage nach der Differenz zwischen Mensch und Natur respektive Subjekt und „Umwelt“ auf die Weise, wie sie in der Umweltsoziologie gestellt wird, nicht. Die Frage, die zu klären für die Umweltsoziologie mit dem Weltbegriff interessant wird, lautete vielmehr: Welche Bedingungen der Wirklichkeit stiften das Erleben von und das Deuten in Subjekt-Objekt-Dichotomien im Vollzug der Realisierung einer Selbst-Welt-Beziehung und reproduzieren dadurch die naturalistisch gefasste Naturalisierung des Hiatus zwischen Mensch und Natur bzw. zwischen Subjekt und „Umwelt“? Denn dass diese Differenz als eine solche überhaupt aufgemacht werden kann, rührt nicht von ihrer schlichten Gegebenheit. Sie gründet auf der Strukturform menschlichen Lebens, der exzentrischen Positionalität, die die reflexive Form des menschlichen Umfeldbezugs ermöglicht, wodurch die Differenz zwar Bestandteil der mitweltlich vermittelten Weltverhältnisse, aber keine apriorische Tatsache ist. Vor diesem Hintergrund und der mit dem Weltbegriff entstehenden systematischen Möglichkeiten scheint die Überprüfung ihrer eigenen Voraussetzungen und ihres eigenen Selbstverständnisses für die Umweltsoziologie – gerade in Anbetracht der Konjunktur des „Umweltthemas“ sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der politischen und ökonomischen, aber auch der alltäglichen Praxis – von dringender Angelegenheit. Die Möglichkeit dazu bietet das Fragen nach den epistemologischen Voraussetzungen der dort verwendeten Begriffe, wie dem der „Umwelt“ und dem des Menschen. Denn der Umweltsoziologie, die den Anspruch erhebt, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur sowie das gesellschaftlich bedingte Verhältnis zwi-

1

H. Plessner: Stufen, a.a.O. [Anm. 5] 327.

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schen Subjekt und „Umwelt“ als genuinen Forschungsbereich zu haben, liegen stets anthropologische Annahmen zugrunde. Diese erklärenden Annahmen, das hat die Untersuchung in Kapitel zwei gezeigt, bedingen als axiomatische Voraussetzungen die Art und Weise, wie dieses Verhältnis systematisch konzipiert wird. Wodurch sich die Umweltsoziologie diese Annahmen eingehandelt hat, hat insbesondere der Teil der Untersuchung gezeigt, in dem die umweltsoziologische Bedeutung des Umweltbegriffs mit denen aus der Biologie (von Ökologie und Umweltlehre) ins Verhältnis gesetzt wurde. Im Ergebnis kam dabei heraus, dass das Verhältnis zwischen Subjekt und „Umwelt“ sowohl im realistischen Ansatz der RCT als auch im konstruktivistischen Ansatz der Lebensstilforschung aufgrund der zugrunde gelegten, biologisch begründeten Anthropologismen stets eines des Gegenübers bleibt. Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur blieb damit dem dichotomen Denken subsumiert, wodurch die Differenz zwischen Subjekt und „Umwelt“ den Status einer naturalisierten Tatsache erhielt. Der Anspruch, Mensch und Natur als konstitutive Einheit auszuweisen, gibt somit die Sache selbst nicht her und das Einlösen dieses Anspruches rückt dadurch in weite Ferne. Im Hinblick auf diese systematische Misere sei jedoch daran erinnert, dass die Methode zur Sache führt.2 Erst vor dem Hintergrund eines elaborierten Weltbegriffs, wie die Leitthese der vorliegenden Arbeit lautete, wird es der Umweltsoziologie sowohl theoretisch als auch in der Methode möglich, die Dichotomie als eine naturalisierte Verhältnisform aufzudecken und zu überwinden und in der Folge phänomenologisch-hermeneutisch intendierte Gründe dafür zu finden, warum dieses Verhältnis zwischen Mensch und Natur als ein dichotomes gedeutet und auch erlebt wird. Dazu bedarf es zunächst aber überhaupt der Einsicht, dass der Mensch als Mensch in Weltverhältnissen lebt, er seine Wirklichkeit also als Welt erfährt. Plessner gewährleistet mit seiner Philosophischen Anthropologie, dass diese Annahme explizit vorausgesetzt werden kann und nicht als unausgewiesene Präsupposition stehen bleibt. Einmal an dem Punkt angekommen, dass der Mensch seinem Erleben nach in Weltverhältnissen lebt, wurde im dritten Kapitel wiederum die Frage virulent, was dieses Leben in Weltverhältnissen für die menschliche Lebenssituation bedeutet. Denn die Weltoffenheit des Menschen ist für diesen wesentlich eine existenzielle Unsicherheit, die ihn zwar dazu zwingt einen umwelthaften Ausgleich zu verwirklichen, aber eben diesen auch ermöglicht. Mit anderen Worten: Das gleichgewichtslose Lebewesen Mensch bedarf von ‚Natur‘ aus des künstlichen Ausgleichs. Dieser Ausgleich, der sich nach dem Gesetz der natürlichen Künstlichkeit realisiert, 2

Der Autorin wurde diesbezüglich eindrucksvoll von Bermes auf die methodischen Sprünge geholfen (vgl. Bermes: ,Welt‘, a.a.O. [Anm. 3] 238).

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muss stets von neuem vollzogen werden, da die Struktur menschlichen Wirklichkeitserlebens – die eine vermittelte Unmittelbarkeit ist und sich insofern wesentlich durch das Moment der Unverfügbarkeit auszeichnet – den Menschen immer wieder aus dem Gleichgewicht bringt. Das Verstehen seiner Situation treibt den Menschen jedoch zugleich dazu an, den Ausgleich seiner Lebenssituation stets von neuem in der Realisierung einer Selbst-Welt-Beziehung zu verwirklichen. Auf dem verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren, so die Leitthese des vierten Kapitels, gründet deswegen ein anthropologisch bedingtes Bedürfnis des Menschen, das mit Rosa als eines nach Resonanz bezeichnet werden konnte. Die Erfahrung von Resonanz ist wesentlich konstitutiv dafür, dass sich zwischen Selbst und Welt eine sinnstiftende Beziehung einstellt, damit der Mensch das Leben, das er lebt, auch als seines souverän führen kann. Ob es den Subjekten spätmoderner Weltverhältnisse noch gelingt, eine solche Resonanzbeziehung zu realisieren, wurde mit Rosas Zeitdiagnose zur Art und Weise, wie heute Weltbeziehungen erfahren werden, jedoch eher fraglich. Rosa, der zur Erklärung der Erfüllung resonanter Weltbeziehungen zwar einen Begriff des Unverfügbaren bemüht, blieb der systematischen Fundierung des anthropologisch begriffenen Bedürfnisses nach Resonanz trotzdem schuldig. Mit dem Aufzeigen des strukturellen Moments der Unverfügbarkeit in der vermittelten Unmittelbarkeit des menschlichen Wirklichkeitserleben sowie der Einsicht, dass dieser Strukturform im Vollzug eine phänomenale Entsprechung korrespondiert, konnte die Begründung jedoch nachgeholt werden. Mit dieser wurde es schließlich möglich, die Gründe für das wenig „umweltbewusste“ Verhalten spätmoderner Subjekte als in den die Selbst-Welt-Beziehungen gleichursprünglich konstituierenden Wirklichkeitsbedingungen liegend auszuweisen. Denn die Wirklichkeitsbedingungen stellten sich als eine Wirklichkeit des Verfügbaren respektive des Verfügungswissens heraus, in der die Akkumulation von Verfügungswissen über Optionen, wozu bspw. auch der eigene Körper gehört, die treibende Kraft in der Realisierung von Selbst-Welt-Beziehungen ist. In diesem ubiquitär Verfügbaren – so die abschließend entwickelte resonanztheoretische These – liegt der Grund dafür, dass die Bezüge zur Welt überwiegend als instrumentelle erlebt und gedeutet werden. Dass darin kaum Spielraum für Resonanzerfahrungen eröffnet wird, liegt dann entsprechend daran, dass eine solche Wirklichkeit die Entfaltungsmöglichkeiten für den verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren tendenziell beschränkt. Denn eine so erfahrene Wirklichkeit des Verfügbaren hält kaum Fragwürdiges mehr bereit, auf das sich das Selbst in einer Antwortbeziehung verstehend einlassen kann bzw. muss.

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Diese These ließ sich zudem auf das umweltsoziologische Problem der Differenz zwischen „Umweltbewusstsein“ und „Umwelthandeln“ anwenden, so dass damit eine Klärung der Differenz jenseits realistischer und konstruktivistischer Kurzsichtigkeiten möglich wurde. Darüber hinaus konnten die umweltsoziologischen Systematisierungen des Subjekt-„Umwelt“-Verhältnisses als Folge dieses Problems offen gelegt und dadurch für die Umweltsoziologie reflektierbar werden. Erst auf dem Hintergrund der Verknüpfung des Plessner’schen Weltbegriffs mit dem resonanztheoretischen Ansatz Rosas war es zudem möglich, dieses Verhältnis in seiner Möglichkeit der Nicht-Instrumentalität sichtbar zu machen, wodurch die Bedeutung des Weltbegriffs für die Umweltsoziologie herausgestellt werden konnte. Wissenschaftstheoretisch liegt diese Bedeutung nicht zuletzt darin, dass das menschliche Leben als eine Verschränkung von Natur und Kultur hervorgehoben und die Naturalisierung der Differenz dadurch zurückgelassen werden konnte. An dieser Einsicht festzuhalten ist aber nicht lediglich ein theoretischer Anspruch der vorliegenden Arbeit. Als Gesprächspartner für Politik, Wirtschaft, Bildung etc. haben Philosophie und Soziologie die Aufgabe, diese Einsicht gegen naturalistische Wahrheitsansprüche in der kulturellen Praxis zu verteidigen und die Forderung zu stellen, die qualitativ explizierbare Wirklichkeitserfahrung des Menschen ernst zu nehmen. Nur dies kann die eingangs in dieser Arbeit geforderte Konsequenz sein, angesichts der Wirkmächtigkeit des naturalistischen Weltbildes in der kulturellen Praxis. Denn die Rückbesinnung auf die Bedeutung des Weltbegriffs im Sprechen über das menschliche Leben sowie auf den systematischen Ort, den der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren in der menschlichen Lebensführung einnimmt, eröffnet sowohl Anknüpfungspunkte für die Philosophie als auch für die Soziologie. In philosophischer Hinsicht ist in erster Linie eine elaborierte Ausarbeitung der hier im Ansatz entwickelten phänomenologisch-hermeneutischen Analyse des Umgangs mit dem Unverfügbaren anzuschließen. Eine solche Analyse würde ermöglichen, den verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren im menschlichen Lebensvollzug präzise zu beschreiben und dadurch dazu beitragen, dessen existenzielle Bedeutung für die menschliche Lebensführung hervorheben zu können. Dazu wäre gleichwohl ein Studium der phänomenologischen und hermeneutischen Tradition notwendig, die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden konnte. Gerade in Anbetracht der spätmodernen Wirklichkeit des Verfügbaren könnte ein solches Vorhaben allerdings eine hohe Sprengkraft entwickeln. Zudem würde es eine ethische Perspektive eröffnen, die sich gegen normative und autoritative Wertverfügungsansprüche ausspricht und durch ein Rekurrieren auf die Bedeutung des Unverfügbarseins – als Wirklichkeitsbedin-

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gung der Realisierung einer sinnstiftenden Lebensführung – einen skeptischen Umgang mit solchen Ansprüchen aufrechterhält. In der Soziologie können die hier entfalteten Überlegungen zum Unverfügbaren insbesondere für soziologische Forschungen zur Transformation von Leiblichkeit in der Moderne grundlegende Einsichten bieten. So hat etwa Gesa Lindemann aufgezeigt, dass die Leiberfahrungen zunehmend an den erfassbaren, sichtbaren, erforsch- und erklärbaren, d.h. den verfügbaren Körpererfahrungen gekoppelt sind, wodurch jegliche Wirklichkeit von zu verstehendem Unverfügbaren, die auf das leibliche Erleben Einfluss nehmen könnte, normativ marginalisiert wird. Die in der vorliegenden Arbeit für die Resonanztheorie vorgenommene anthropologische Begründung der existenziellen Bedeutung des verstehenden Umgangs mit dem Unverfügbaren könnte helfen, diesen von Lindemann aufgezeigten Tendenzen entgegensteuern.3 In der Umweltsoziologie bieten sich zudem – neben den bereits herausgestellten Möglichkeiten – Anschlussmöglichkeiten an die Überlegungen zum verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren für die sich jüngst formierende Forschung zu Problemstellungen hinsichtlich einer Unberechenbaren Umwelt. Diese setzt sich explizit mit der Unberechenbarkeit von Natur auseinander und plädiert u.a. gerade dafür Keine Angst vor dem Unberechenbaren4 zu haben. Als 3

Vgl. zu Lindemanns Überlegungen Gesa Lindemann: Der menschliche Leib von der Mitwelt her gedacht. In: Der Mensch – nach Rücksprache mit der Soziologie, hg. von Michael Corsten/Michael Kauppert (Frankfurt a.M. 2013) 61-79.

4

So der Titel des Beitrags von Matthias Groß in dem bereits in der Einleitung angeführten Sammelband zu dieser Forschung (vgl. Matthias Groß: Keine Angst vor dem Unberechenbaren: Realexperimente jenseits von Anpassung und Resilienz. In: Unberechenbare Umwelt, hg. von Roderich von Detten/Fenn Faber/Martin Bemmann (Wiesbaden 2013) 193-217). Die tatsächliche Anschlussfähigkeit der Groß’schen Unberechenbarkeit der Natur an die in dieser Arbeit eröffneten Perspektive hängt dabei auch davon ab, inwiefern die jeweiligen Kategorien des Unverfügbaren epistemologisch zusammenpassen. Es hat nämlich den Anschein, dass das, was Groß als NichtWissen bezeichnet, im Modus des Noch-nicht-Wissens und insofern Noch-nichtVerfügbaren auftritt. Groß versteht dabei Nichtwissen als „das normale, aber sich ständig in Bewegung befindliche Gegenstück zu Wissen“ (ebd. 200). Dieses Wissen nun scheint bei Groß wiederum stets im Modus des Berechenbaren, des Nomologischen und Faktischen zu sein. Da Groß das Nichtwissen als dessen Gegenstück ausweist, kann er auch von einem „klar definierten Nichtwissen“ (ebd. 211) sprechen. Das mit Plessner aufgezeigte verstehende Wissen – bspw. von der eigenen Unergründlichkeit, der vermittelten Unmittelbarkeit und damit vom Moment der Unverfügbarkeit – bewegt sich jedoch auf einer anderen erkenntnistheoretischen Ebene. Als

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Ausgangspunkt dieser Forschungen zur unberechenbaren „Umwelt“ dient die Diagnose der neuen Qualität, die das Mensch-Natur-Verhältnis seit dem sogenannten Anthropozän (dessen Beginn die Industrialisierung markiert) habe, wobei sich der Qualitätsmaßstab am Einfluss menschlichen Handelns auf globale, natürliche Zusammenhänge bemisst.5 Sollen diese innovativen Überlegungen zur Unberechenbarkeit der „Umwelt“ implizit nicht erneut bzw. weiterhin von der erklärenden Annahme myopisch bedingter Handlungsmotivationen geleitet werden, ist die Einführung des Weltbegriffs unerlässlich. Denn der Weltbegriff bietet die Möglichkeit, das Anthropozän als eine Geschichte der Verstellung der Wirklichkeit eines zu verstehenden Unverfügbaren zu lesen, wodurch die Instrumentalität im Bezug zur Natur als Folge dieser Verstellung sichtbar gemacht und somit einer Naturalisierung entzogen werden kann. Auch für das in diesen Forschungen bekundete Erkenntnisinteresse am produktiven und gestalterischen Potenzial von Begegnungen mit Unsicherheiten6 kann die vorliegende Arbeit grundlegende systematische Überlegungen anbieten. Denn wie die vorliegende Arbeit gezeigt hat, eröffnet das Erleben und Deuten von zu verstehendem Unverfügbarem als eine existenzielle Unsicherheit den Spielraum für Resonanz und damit für die Selbst- und Weltgestaltung. Diese Einsicht könnte auch für die eben genannten Erkenntnisansprüche dienlich sein. Zu guter Letzt könnte die vorliegende Arbeit zudem zur Beantwortung der in dieser Forschung aufkommenden Frage nach den kulturellen Unterschieden im ein intentional zu bestimmendes Verstehen kann dieses nämlich keiner naturalistischen Welthaltung eingeordnet sein, der Groß hier mit seinem Wissensbegriff jedoch implizit verhaftet zu bleiben scheint. Trotzdem ist dem grundsätzlichen Anliegen von Groß, „der Unberechenbarkeit der Natur […] nicht die Hoffnung [entgegenzustellen], dass mit mehr Expertise und Forschung irgendwann die Unberechenbarkeit und die Unsicherheiten kontrolliert werden können, sondern dass es Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten zu geben scheint, die trotz – oder gerade wegen – erkanntem Nichtwissen funktionieren“ (ebd. 202), zuzustimmen. Der Diagnose von der Wirklichkeit des Verfügbaren entsprechend, spricht auch Groß von „einer Gesellschaft, die sich zunehmend vor allem fürchtet und […] in erster Linie darauf erpicht zu sein scheint, jedes Risiko und damit grundsätzlich Neuerung auszuschließen“ (ebd. 213). Die menschliche Lebensführung ist, wie die vorliegende Arbeit gezeigt hat, stets ein Risiko. Dessen Potenzial innerhalb der menschlichen Lebensführung aber zurück in den Fokus zu holen, das hat diese Arbeit ebenso gezeigt, könnte ein vielversprechender Anfang sein. 5

Vgl. R. v. Detten/F. Faber/M. Bemmann (Hg.): Unberechenbare Umwelt, a.a.O. [Anm. 11] 7.

6

Vgl. ebd. 9.

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Umgang mit Unsicherheiten beitragen.7 Denn die oben eingeführte Überlegung, dass Subjekte spätmoderner Gesellschaften, die in einer Wirklichkeit des Verfügbaren leben, den verstehenden Umgang mit dem Unverfügbaren tendenziell verlernt haben, kann dabei als Ausgangspunkt einer vergleichenden Untersuchung mit anderen Kulturen, in denen der verstehende Umgang mit dem Unverfügbaren eine wesentlich andere Bedeutung hat, dienen. Aus einer solchen vergleichenden Analyse könnte die Einsicht gewonnen werden, dass es im Umgang mit der aufgegebenen Lebensführung nicht nur auf die richtige Antwort ankommt, sondern vor allem auf die richtige Frage.

7

Vgl. ebd. 9.

Literaturverzeichnis

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Plessner, Helmuth: Die Frage nach der Conditio humana (1961). In: Conditio humana. GS. Bd. 8., hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 136-217. Plessner, Helmuth: Über einige Motive der Philosophischen Anthropologie (1956). In: Conditio humana. GS. Bd. 8., hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 117-135. Plessner, Helmuth: Mit anderen Augen (1953). In: Conditio humana. GS. Bd. 8, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 88-104. Plessner, Helmuth: Über das Welt- Umweltverhältnis des Menschen (1950). In: Conditio humana. GS. Bd. 8., hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 77-87. Plessner, Helmuth (Hg.): Symphilosophein. Bericht über den Dritten Deutschen Kongreß für Philosophie. Bremen 1950 (München 1952). Plessner, Helmuth: Mensch und Tier (1946). In: Conditio humana. GS. Bd. 8., hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 52-65. Plessner, Helmuth: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens (1941). In: Ausdruck und menschliche Natur. GS. Bd. 7, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 201-387. Plessner, Helmuth: Die Aufgabe der Philosophischen Anthropologie (1937). In: Conditio humana. GS. Bd. 8., hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 33-51. Plessner, Helmuth: Macht und menschliche Natur. Ein Versuch zur Anthropologie der geschichtlichen Weltansicht (1931). In: Macht und menschliche Natur. GS. Bd. 5, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 135-234. Plessner, Helmuth: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie (Berlin/New York 31975 [1928]). Plessner, Helmuth: Die Einheit der Sinne. Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes (1923). In: Anthropologie der Sinne. GS. Bd. 3, hg. von Günther Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker (Frankfurt a.M. 2003) 7-315. Pobojewska, Aldona: Die Umweltkonzeption Jacob von Uexkülls: eine neue Idee des Untersuchungsgegenstandes von der Wissenschaft. In: Neue Realitäten – Herausforderung der Philosophie. Sektionsbeiträge I. XVI. Dt. Kongreß für Philosophie, hg. von Allg. Gesellschaft für Philosophie in Deutschland (Berlin 1993) 94-101.

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Poferl, Angelika: ‚Umweltbewußtsein‘ und soziale Praxis. Gesellschaftliche und alltagsweltliche Voraussetzungen, Widersprüche und Konflikte. In: Ökologisches Handeln als sozialer Konflikt. Umwelt im Alltag, hg. von Hellmuth Lange (Opladen 2000) 35-56. Portmann, Adolf: Ein Wegbereiter der neuen Biologie (Vorwort). In: Jakob von Uexküll/Georg Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten. Bedeutungslehre. Mit einem Vorwort von Adolf Portmann (Frankfurt a.M. ND 1983 [1970]) IX-XXI. Potthast, Thomas: Umweltethik – Steuerungsinstrument oder Trostpflaster für das Umweltverhalten? In: Umweltverhalten in Geschichte und Gegenwart – Vergleichende Ansätze, hg. von Thomas Knopf (Tübingen 2008) 295-310. Rammstedt, Otthein: Lebensstil. In: Lexikon zur Soziologie, hg. von Werner Fuchs-Heinritz/Daniela Klimke/Rüdiger Lautmann/Otthein Rammstedt/Urs Stäheli/Hanns Wienold/Christoph Weischer (Wiesbaden 52011) 400. Ranke, Leopold von: Vorlesungseinleitungen, hg. von Volker Dotterweich/Walther Peter Fuchs (München 1975). Ranke, Leopold von: Über die Epochen der neueren Geschichte (Berlin 1899). Rehberg, Karl-Siegmund (Hg.): Die Natur der Gesellschaft. Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006 (Frankfurt a.M. 2008). Richter, Rudolf (Hg.): Sinnbasteln. Beiträge zur Soziologie der Lebensstile (Wien/Köln/Weimar 1994). Richter, Rudolf: Der Lebensstil. Dimensionen der Analyse. In: Sinnbasteln. Beiträge zur Soziologie der Lebensstile, hg. von ders. (Wien/Köln/Weimar 1994) 48-65. Rink, Dieter: Nachhaltige Lebensstile zwischen Ökorevisionismus und neuem Fundamentalismus, „grünem Luxus“ und „einfacher Leben“. Zur Einführung. In: Lebensstile und Nachhaltigkeit. Konzepte, Befunde und Potentiale, hg. von ders. (Opladen 2002) 7-23. Rosa, Hartmut: Die Natur als Resonanzraum und als Quelle starker Wertungen. Vortragsmanuskript für die Tagung ‚Welche Natur brauchen wir?‘ Anthropologische Dimensionen des Umgangs mit Natur (Heidelberg 19.21.09.2012) 1-12. Erscheint in: Welche Natur brauchen wir? Analyse einer anthropologischen Grundproblematik des 21. Jahrhunderts, hg. von Gerald Hartung/Thomas Kirchhoff (Freiburg 2014). Rosa, Hartmut: Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik (Frankfurt a.M. 2012). Rosa, Hartmut: Is There Anybody Out There? Stumme und resonante Weltbeziehungen – Charles Taylors monomanischer Analysefokus. In: Unerfüllte Mo-

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L ITERATURVERZEICHNIS

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Sozialtheorie Henning Laux (Hg.) Bruno Latours Soziologie der »Existenzweisen« Einführung und Diskussion September 2016, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3125-8

Joachim Renn Selbstentfaltung – Das Formen der Person und die Ausdifferenzierung des Subjektiven Soziologische Übersetzungen II Juli 2016, ca. 300 Seiten, kart., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3359-7

Kolja Möller, Jasmin Siri (Hg.) Systemtheorie und Gesellschaftskritik Perspektiven der Kritischen Systemtheorie Juli 2016, ca. 300 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3323-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Sozialtheorie Hilmar Schäfer (Hg.) Praxistheorie Ein soziologisches Forschungsprogramm Mai 2016, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2404-5

Andreas Reckwitz Kreativität und soziale Praxis Studien zur Sozial- und Gesellschaftstheorie Mai 2016, ca. 350 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3345-0

Silke Helfrich, David Bollier, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Die Welt der Commons Muster gemeinsamen Handelns 2015, 384 Seiten, kart., zahlr. Abb., 19,99 €, ISBN 978-3-8376-3245-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de