Die Natur der menschlichen Welt: Siedlung, Territorium und Umwelt in der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit [1. Aufl.] 9783839423561

Werke der historisch-topografischen Literatur - wie die Merian-Topografien, in denen Länder, Regionen oder Städte in Tex

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Die Natur der menschlichen Welt: Siedlung, Territorium und Umwelt in der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit [1. Aufl.]
 9783839423561

Table of contents :
Cover Die Natur der menschlichen Welt
Inhalt
Vorwort
1. Einleitung: Einen Ort beschreiben
2. Grundlagen: Topografien des Sozionaturalen
2.1 Weltbilder: Bemerkungen zur Gattungsgeschichte
2.2 Ein weites Feld: Perspektiven und Forschungslandschaft
2.2.1 Diesseits und jenseits der kunsthistorischen Disziplinengrenzen: Topografie und Landschaft
2.2.2 Topografische Medien als Gegenstand einer kulturwisschenschaftlich erweiterten Kartografiegeschichte
2.2.3 Topografie und Stadtikonografie: Konzeptionen von Stadt und Hinterland
2.2.4 Reiseliteratur ohne ‚Natur‘-Wahrnehmung?
2.2.5 Topografien als Repräsentationen sozionaturaler Schauplätze: ein Vorschlag zur umwelthistorischen Methodik
2.2.6 Wahrnehmung und Medialität
3. Die Natur der Topografien: Der obere Donauraum
3.1 Die Welt in Biberach: Merians Topographia Sveviae
3.2 Statik im Fluss: Die Hydrografie der Topografien
3.3 Stadt und Umwelt. Schauplätze von Statik und Dynamik
3.3.1 „Ideo terrarum et aquarum descriptores omnes ponunt Ulmam esse in capite Danubii […]“: Ulm – oberster Donauhafen und protestantische Idealstadt
3.3.2 Abbreviatur des Naturalen? Augsburg, der Hochablass und das fehlende Hinterland
3.3.3 Vom Schaufenster der Macht zum Schauplatz der Machbarkeit: München
3.3.4 (Umwelt-)Geschichte ohne turning points: Regensburg
3.3.5 Die Metropole, der Fluss, der Krieg und die Religion „nur ein Wien“?
3.4 Sozionaturale Schauplätze zwischen Nutzung und Ästhetik
3.4.1 Landnutzung
3.4.1.1 Agrarische Schauplätze
3.4.1.2 Bädertopografie und balneologischer Diskurs
3.4.1.3 Montanlandschaften und technische Arrangements
3.4.2 Ästhetik
3.5 Natur und Macht: Topografie, Redaktionsprozesse und Ständegesellschaft
4. Die Natur der menschlichen Welt – Fazit
Abbildungen und Tabellen
Quellen und Literatur

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Martin Knoll Die Natur der menschlichen Welt

Histoire | Band 42

Martin Knoll (PD Dr. phil.) lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Technischen Universität Darmstadt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, Umweltgeschichte, Stadt – Umwelt – Region im 18./19. Jahrhundert sowie Tourismusgeschichte.

Martin Knoll

Die Natur der menschlichen Welt Siedlung, Territorium und Umwelt in der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit

Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Oestreich-Stiftung und des Rachel Carson Center for Environment and Society.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Mätthäus Merian der Ältere: Anthropomorphe Halbinsel (Kopflandschaft) ca. 1601-1625 Lektorat & Satz: Martin Knoll Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2356-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort Ň7 1. Einleitung: Einen Ort beschreiben Ň 9 2. Grundlagen: Topografien des Sozionaturalen Ň 31

2.1 Weltbilder: Bemerkungen zur Gattungsgeschichte Ň31 2.2 Ein weites Feld: Perspektiven und Forschungslandschaft Ň61 2.2.1 Diesseits und jenseits der kunsthistorischen Disziplinengrenzen: Topografie und Landschaft Ň62 2.2.2 Topografische Medien als Gegenstand einer kulturwisschenschaftlich erweiterten Kartografiegeschichte Ň76 2.2.3 Topografie und Stadtikonografie: Konzeptionen von Stadt und Hinterland Ň81 2.2.4 Reiseliteratur ohne ‚Natur‘-Wahrnehmung? Ň84 2.2.5 Topografien als Repräsentationen sozionaturaler Schauplätze: ein Vorschlag zur umwelthistorischen Methodik Ň92 2.2.6 Wahrnehmung und Medialität Ň108 3. Die Natur der Topografien: Der obere Donauraum Ň 115

3.1 Die Welt in Biberach: Merians Topographia Sveviae Ň115 3.2 Statik im Fluss: Die Hydrografie der Topografien Ň126 3.3 Stadt und Umwelt. Schauplätze von Statik und Dynamik Ň178 3.3.1 „Ideo terrarum et aquarum descriptores omnes ponunt Ulmam esse in capite Danubii […]“: Ulm – oberster Donauhafen und protestantische Idealstadt Ň181 3.3.2 Abbreviatur des Naturalen? Augsburg, der Hochablass und das fehlende Hinterland Ň203 3.3.3 Vom Schaufenster der Macht zum Schauplatz der Machbarkeit: München Ň223 3.3.4 (Umwelt-)Geschichte ohne turning points: Regensburg Ň268

3.3.5 Die Metropole, der Fluss, der Krieg und die Religion – „nur ein Wien“? Ň300 3.4 Sozionaturale Schauplätze zwischen Nutzung und Ästhetik Ň332 3.4.1 Landnutzung Ň337 3.4.1.1 Agrarische Schauplätze Ň337 3.4.1.2 Bädertopografie und balneologischer Diskurs Ň353 3.4.1.3 Montanlandschaften und technische Arrangements Ň361 3.4.2 Ästhetik Ň372 3.5 Natur und Macht: Topografie, Redaktionsprozesse und Ständegesellschaft Ň385 4. Die Natur der menschlichen Welt – Fazit Ň 401 Abbildungen und Tabellen Ň 419 Quellen und Literatur Ň 429

Vorwort

Topografische Autoren der Frühen Neuzeit traten mit dem Versprechen an, ihren Lesern und Leserinnen ein Reisen im Lehnsessel zu ermöglichen, ein verlässliches Bild der Welt in die Stube zu liefern. Wie dieses Bild, das nie nur ‚Natur‘ oder ‚Kultur‘, sondern stets komplexe sozionaturale Gefüge repräsentierte, beschaffen war und welche Faktoren das Zustandekommen dieses Bildes beeinflussten, dies untersucht meine Studie. In der Arbeit an diesem Projekt quasi selbst zum Reisenden im Bürostuhl geworden, begann ich meine Reise als Mitarbeiter bei Albrecht P. Luttenberger an der Universität Regensburg. Seiner Offenheit und seinen präzisen Kommentaren in Diskussionen während der Frühphase des Projekts, aber auch seinem Verständnis und seiner Unterstützung über die Grenzen des Forschungsvorhabens hinaus verdanke ich Vieles. Meine Reise führte mich an die Technische Universität Darmstadt, die die vorliegende Studie 2012 als Habilitationsschrift angenommen hat. In Dieter Schott habe ich hier nicht nur einen fairen Vorgesetzten, sondern auch einen vielfältig interessierten Wissenschaftler kennengelernt, der bereit war, sich in der Betreuung meines Habilitationsprojekts auf so manchen zu seinen eigenen Arbeitsschwerpunkten ex-zentrischen Diskussionsgegenstand einzulassen. Er förderte mit sanftem aber stetem Druck den Fortgang der Arbeiten und war bereit, hierfür Freiräume zu schaffen. Ich danke ihm und den übrigen Gutachtern Jens Ivo Engels (Darmstadt), Renate Dürr (Tübingen) und Reinhold Reith (Salzburg) für ihre intensive Auseinandersetzung mit meiner Arbeit. Für wertvolle Rückmeldungen zum Projekt und angenehme Zusammenarbeit in Forschung und Lehre danke ich meinen Darmstädter Kolleginnen und Kollegen. Besonders Detlev Mares war mir ein stets präsenter Ratgeber. Dem Institut für Geschichte an der Technischen Unversität Darmstadt und dem Fachgebiet für Neuere Geschichte danke ich für die finanzielle Unterstützung der Redaktionsarbeiten. Meinem Forschungsaufenthalt als Carson-Fellow am Rachel Carson Center for Environment and Society, München, im Wintersemester 2009/2010 und der dort gebotenen Möglichkeit zu konzentrierter Arbeit und intensiver methodischer Dis-

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kussion verdankt das Vorhaben entscheidende Impulse. Stellvertretend für die Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich hier über mein Projekt sprechen konnte, sei die erste Kohorte der Carson Fellows erwähnt, die im Herbst 2009 mit mir ihre Büros in der Schellingstraße bezog: Diana Mincyte, Gjis Mom und Reinhold Reith. Herzlicher Dank geht an die Direktoren des Centers, Christof Mauch und Helmuth Trischler, für die Zuerkennung des Fellowhips und für die Förderung der Druckkosten dieser Arbeit durch das Rachel Carson Center. Ich schließe die Drucklegung meiner Studie während meiner Zeit als Gastwissenschaftler am Zentrum für Umweltgeschichte des Instituts für Soziale Ökologie / IFF der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt – Graz – Wien ab. Ich danke meinen Wiener KollegInnen für die Einladung. Besonders Verena Winiwarter und Martin Schmid, mit denen mich mehrjährige Zusammenarbeit verbindet, haben mein Projekt in vielen für mich wichtigen Diskussionen mit konstruktiver Kritik und wertvollen Kommentaren begleitet. Die Drucklegung der Arbeit wurde auch durch einen Druckkostenzuschuss der Oestreich-Stiftung, Rostock, gefördert. Ich danke dem Kuratorium der Stiftung für die ehrenvolle Zuerkennung dieses Zuschusses. Mein Vater, Dr. Erich Knoll, hat durch die Finanzierung von Vorlagen und Rechten die Bildlichkeit des Buches gefördert. Ein herzliches Danke auch dafür. Im Laufe der Zeit lasen, kommentierten und/oder redigierten unterschiedlich große Teile meines Textes in unterschiedlichen Entwicklungsstadien: Dagmar Bellmann, Noyan Dinçkal, Annegret Holtmann-Mares, Martina Lindinger, Detlev Mares, Dirk Reitz, Waltraud Sennebogen und Verena Winiwarter. Studentische Projektassistenz erhielt ich von Jan Malte Dittrich, Annabell Engel und Kristof Lukitsch. Ihnen allen vielen Dank – Anne Holtmann-Mares besonders für einen sehr spontanen Einstieg in die Endredaktion vor Abgabe der Schrift im Dezember 2011. Viele helfende Hände in Archiven und Bibliotheken haben meine Arbeit unterstützt. Besonders danken möchte ich der Leitung und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatlichen Bibliothek Passau für ihre umfängliche Hilfe. Gero Wierichs vom transcript Verlag danke ich für die professionelle Betreuung des Buchprojekts. Es bleibt mir abschließend – statt einer Widmung – die Hoffnung, dass das vorliegende Ergebnis meiner wissenschaftlichen Reise die Mühen aller professionell oder privat, direkt oder indirekt beteiligten Reisebegleiterinnen und –begleiter lohnt. Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in meiner Studie ein plausibles, vielleicht ein überraschendes, nicht zwingend ein konsensuales Bild der Natur frühneuzeitlicher Topografien erkennen, scheint mir diese Hoffnung erfüllt. Kirchberg v. W. im Februar 2013

Martin Knoll

1. Einleitung: Einen Ort beschreiben

„Unter denen Edelsten Wissenschaften / mit welchen die gelehrte Welt gleichsamb als einer helleuchtenden Cron umbgeben pranget und dardurch den sterblichen Menschen / die Porten zur Unsterblichkeit ihres Namens preißwürdigst öffnet / hat noch jederzeit ihren darunter verliehenen Sitz herrlich gezieret / mächtig erweitert / und allen anderen den Sig zweifflich gemacht die alleredelste Geographia, mit dero unterhabenden Speciebus und berühmtesten Nachhang. Dise ists / welcher die vornembste Philosophi und Scribenten / ihre Namen und ingenia unterwürffig gemacht / und umb dise Königin zu freyen sich hauffenweiß angestellet. Dise ists welche ihr erzeigte Tochter die annemblichste Topographiam dergestalt prächtig ans Liecht gestellet / und mit einer solchen Gab außgerüstet / welche von ihrer gütigen Schoß nichts als Natur- und Kunst-Wunder außgeschüttet und der verwunderenten Welt begierigst mittheilet. Dann was würcken dise beyde / die liebreitzende Muetter und nacharthende Tochter doch immer anders / als daß sie dasjenige / was das Glück und die Natur hohen Potentaten / Fürstl. Häuseren und Regenten / Edlen und Unedlen Inwohneren gegönnet und zugeworffen / gleichsam in einem concentrirten Systemate künstlich umbfassen und einschliessen: da müssen sich zu deren gelehrten Feder und Kunstreichen Pensel niderlassen die schönste Stammhäuser / Schlösser / Stätt / Vestungen / Dorffschafften und Ackerbaw / etc. Ja womit die Natur selbsten pranget / und an der gantzen WeltMachina gleichsamb ihr Maisterstuck erwiesen / das ergibet sich in die Arm dieser KunstGöttin / und will deß natürlichen Schmucks unvergnüegt / auch mit disem KunstKleyd angelegt und belebet werden.“1

Woher rührt die hohe Wertschätzung, die der österreichische Geistliche Georg Matthäus Vischer (1628-1696) der Geografie entgegenbringt? Vischer war nicht nur theologisch gebildet. Der Schwerpunkt seiner Interessen und der Großteil seiner historischen Wirkung lagen in seiner Tätigkeit als Kartograf und Zeichner begrün-

1

GEORG MATTHAEUS VISCHER: Vorrede, in: GEORG ANTON SCHULLER (HG.): Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae sev. Controfee und Beschreibung aller Stätt, Clöster und Schlösser wie sie anietzo stehen in dem Ertzhertzogtumb unter Osterreich […]. Wien 1672 [ND Graz 1976], [unpag.].

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det. Er legte im Jahre 1672 seine Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae vor, in der auf über 500 Kupferstichen Schlösser, Klöster, Städte und Dörfer Niederösterreichs dargestellt werden. Das obige Zitat entstammt der Vorrede dieses Werks. Geografie und die als ihre Tochter etikettierte Topografie leisten demnach eine systematische Dokumentation der Hervorbringungen der Natur wie der Kunst. Kunst wird dabei nicht semantisch verengt auf die schönen Künste, sondern – dem griechischen IJȑȤȞȘ [téchne] entsprechend – auf Fähigkeiten und Produktivität, auf das Gestalten und Wirtschaften des Menschen allgemein bezogen. Die Leistung, eine systematisierte Darstellung der Welt, wie sie von Natur und Mensch geprägt wurde, zu liefern, adelt die Geografie zu einer Königin der Wissenschaften, der Philosophen und Schriftsteller sich unterwerfen. Wenngleich Vischers Formulierungen durchaus der erwartbaren Rhetorik der Vorrede eines Werkes entsprechen, dessen Autor vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens abhing, so verweisen sie doch auch auf die Weltsicht Vischers – und die seiner Zeit. 1674 legte Vischer seine Topographia Austriae Superioris Modernae und 1681 seine Topographia Ducatus Stiriae vor, daneben verschiedene Kartenwerke. Vischers Topografien gehören zu einem in der Frühen Neuzeit sehr erfolgreichen Genre, der historisch-topografischen Literatur. Die Konjunktur dieser Gattung steht im Zusammenhang mit kulturellen und wissenschaftlichen Prozessen einer Periode, deren Anerkennung als eigene Epoche der Historiker Johannes Burkhardt als einen der Meilensteine der jüngeren Geschichtswissenschaft feiert2 und als deren wesentliches Merkmal Umwelthistoriker wie Keith Thomas, John F. Richards oder Günther Bayerl einen fundamentalen Wandel der menschlichen Haltung zur Natur diagnostizieren.3 Die „Entdeckung der Landschaft“, wie sie der Kunsthistoriker Nils 2

JOHANNES BURKHARDT, Frühe Neuzeit, in: RICHARD VAN DÜLMEN (HG.): Fischer Lexikon Geschichte. Frankfurt a. M. 2003, S. 438−465, hier 438.

3

Stellvertretend für die derzeit kanonische Lesart etwa John F. Richards: „Verbal and written information passed between the world’s regions and within regions at new levels of accuracy and quantity – aided by the rapid spread of printing. In addition to replication of prose, printing permitted replication of complex images in a boost to cartography and the natural sciences. Humans constructed a systematic, far more precise understanding of the shape, size, and complexity of the earth’s surface and portrayed this understanding in ever more precise and widely read maps. Identifying, naming, and classifying of the world’s landforms, climates, minerals, human groups, animals, and plants proceeded at a dizzying pace. The natural sciences of today originated in the taxonomic impulses of enthusiastic observers who communicated their discoveries with great enthusiasm.“ JOHN F. RICHARDS: The unending frontier. An environmental history of the early modern world. Berkeley 2003, S. 2. Vgl. auch KEITH THOMAS: Man and the natural world. Changing attitudes in England, 1500-1800. London 1984; GÜNTER BAYERL: Die Natur als Waren-

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Büttner auf die Lebenszeit Peter Bruegels d. Ä. (um 1525-1569) datiert,4 ist Teil dieses Wandels. Die Wissenschaftsgeschichte – so etwa das einschlägige Kapitel der Cambridge History of Science – betont den engen Zusammenhang zwischen der „cosmographic revolution“ des 16. Jahrhunderts und den folgenden Reform- und Innovationsprozessen in Geografie und Naturwissenschaften.5 Die vorliegende Studie nähert sich der Gattung der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit aus einer umwelt- und kulturhistorisch motivierten wahrnehmungsgeschichtlichen Perspektive. Aus dieser Perspektive heraus wird historische Umweltwahrnehmung als Repräsentation sozionaturaler Schauplätze analysiert.6 Die Plausibilität dieses Blickwinkels speist sich aus dem hybriden Charakter von Gesellschaft als sowohl materieller wie auch symbolischer Entität.7 Peter Ainsworth und Tom Scott gehen etwa davon aus, Regionen seien „the product both of reality (or nature) and of imagination (or human agency).“8 Wie Menschen im Laufe des historischen Prozesses solche Regionen oder allgemeiner – um einen nicht unproblematischen Begriff zu verwenden – ihre ‚natürliche Umwelt‘ wahrgenommen haben, ist eine für umwelthistorische Belange entscheidende Frage, denn menschliches Handeln und damit der menschliche Einfluss auf die Natur beruhen auf Wahrnehmungen. Diese besitzen weder rein rezeptiven noch rein konstruktiven Charakter. Indem Umweltgeschichte Fragen der Wahrnehmung ernst nimmt, erweist sich ihre kulturwissenschaftliche Anschlussfähigkeit.

haus. Der technisch-ökonomische Blick auf die Natur in der Frühen Neuzeit, in: SYLVIA HAHN/REINHOLD REITH (HG.): Umwelt-Geschichte. Arbeitsfelder, Forschungsansätze, Perspektiven. Wien, München 2001, S. 33–52. 4

Vgl. NILS BÜTTNER: Die Erfindung der Landschaft. Kosmographie und Landschaftskunst im Zeitalter Bruegels (Rekonstruktion der Künste 1). Göttingen 2000; zur Fortschreibung dieser Diskussion vgl. MANUEL SCHRAMM: Die Entstehung der modernen Landschaftswahrnehmung (1580-1730), in: Historische Zeitschrift 287 (2008), S. 37–59. Vgl. dazu auch Kap. 2.2.1.

5

KLAUS A. VOGEL: Cosmography, in: KATHARINE PARK/LORRAINE DASTON (HG.): Early Modern Science (The Cambridge History of Science 3). Cambridge 2006, S. 469–496, hier 494–496.

6

Zu Begrifflichkeit und Konzeption der sozionaturalen Schauplätze und ihrer Rolle in der

7

Vgl. MARINA FISCHER-KOWALSKI/HELGA WEISZ: Society as Hybrid between Material

Methodik der vorliegenden Untersuchung vgl. unten, Kap. 2.2.5 und 2.2.6. and Symbolic Realms. Toward a Theoretical Framework of Society-Nature Interaction, in: Advances in Human Ecology 8 (1999), S. 215–251. 8

PETER AINSWORTH/TOM SCOTT: Introduction, in: PETER AINSWORTH/TOM SCOTT (HG.): Regions and landscapes. Reality and imagination in late medieval and early modern Europe. Oxford 2000, S. 13–23, hier 19.

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Exemplarisch kann dieser Brückenschlag zwischen Umwelt- und Kulturgeschichte anhand der Beschäftigung mit der Quellengattung der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit erfolgen. Diese eignet sich, wie zu zeigen sein wird, in hohem Maße für die kulturgeschichtliche Diskussion gesellschaftlicher Raumaneignung und gesellschaftlicher Wahrnehmung der ‚natürlichen Umwelt‘ im Kontext soziokultureller Entwicklungen. Es geht also nicht darum, die Gattung zur Zeugin vergangener Umweltzustände zu machen9, sondern darum zu ermitteln, welches Bild sie von den vielfältigen Verknüpfungen zwischen biophysischen Arrangements und gesellschaftlichen Praktiken zeichnet, die sozionaturale Schauplätze konstituieren. Dabei ist zu sondieren, welche ‚natürlichen‘ und welche soziokulturellen Faktoren die Entstehung dieses Bildes beeinflussten. Der Gegenstand Im Fokus dieser Arbeit steht die historische Entwicklung der Erhebung, Organisation und Repräsentation geografischen Wissens. Untersuchungsgegenstand sind Topografien als intermediale Repräsentationen sozionaturaler Schauplätze. Zeitgenössische bzw. zeitnahe Definitionsversuche, wie die des Zedlerschen Universallexikons aus den Jahren 1733, 1737 und 1745,10 helfen dabei, die spezifischen Charakteristika dieser auch als „Landesbeschreibung“ bekannten Gattung zu fassen: „Topographie, Topographia, (von dem Griechischen Worte IJȩʌȠȢ, ein Ort und ȖȡĮijȓĮ, Beschreibung) wird die Beschreibung eines Orts, auch zuweilen gantzer Länder und Crayße mit 9

So wirft der von Václav Matoušek und Tereza Blažková geäußerte Optimismus, anhand der Schlachtendarstellungen in den Bänden des Theatrum Europaeum Rückschlüsse auf authentische Vegetationsformen und Landschaftszustände ziehen zu können, entsprechende methodische Fragen auf (vgl. VÁCLAV MATOUŠEK/TEREZA BLAŽKOVÁ: Picture and reality. Studies of the modern landscape in vedute of the Thirty Years’ War’s battlefields in Bohemia, in: PÉTER SZABÓ/RADIM HÉDL (HG.): Human Nature. Studies in Historical Ecology & Environmental History. Brno 2008, S. 52–61, hier 59–60.

10 Das landläufig unter dem Namen seines Begründers und Erstherausgebers Johann Heinrich Zedler (1706-1751) bekannte enzyklopädische Großunternehmen des 18. Jahrhunderts dokumentiert und kondensiert in einer unvergleichlichen Stofffülle Wissensbestände der Frühen Neuzeit. Zum DFG-geförderten Zedler-Digitalisierungsprojekt und der daraus hervorgegangenen frei zugänglichen online-Version vgl. http://www.zedlerlexikon.de, Stand: 19.03.2009. Zur Repräsentation geografischen Wissens im Zedler vgl. ULRICH J. SCHNEIDER: Europa und der Rest der Welt. Zum geographischen Wissen in Zedlers Universal-Lexicon, in: PAUL MICHEL/MADELEINE HERREN (HG.): Allgemeinwissen und Gesellschaft. Akten des internationalen Kongresses über Wissenstransfer und enzyklopädische Ordnungssysteme. Aachen 2007, S. 431–449.

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den darinne befindlichen Oertern, nach ihrer Lage, nach ihrem District und Jurisdiction, genennet. [1] Dahero werden auch diejenigen Land-Chärten topographische genennet, welche die Grentzen mit allen dartzu gehörigen Dörffern und andern Pertinientz-Stücken eines Orts deutlich vorstellen. [...] Aus solchen vielen zusammen genommenen Topographien entstehen accurate Specialund aus diesen richtige Particular- aus diesen wiederum richtige Universal-Land-Charten. […] Dieses ist die erste Art der Topographie, da man nur die Lage und Weite der Oerter vorstellt. [2] Die andere Art ist, wenn man von gewissen Oertern eine genaue Beschreibung giebt, als von den Städten, Flecken, Dörfern, Klöstern [...] Wir haben auch Topographien von einer einzigen Stadt [...]“11

Die Beschreibung eines Landstriches oder einer Siedlung, so wird hier deutlich, geschieht in einer Topografie auf unterschiedlichen methodisch-medialen Wegen, nämlich kartografisch, wie im Artikel hauptsächlich geschildert, grafisch12 und textuell. Die Ambivalenz des Begriffes „Beschreiben“ im Sinne einer sprachlichen Repräsentation („Schildern“) einerseits und einer geometrischen Qualifikation (ein Punkt beschreibt einen Raum, ein Planet beschreibt seine Bahn)13 andererseits erscheint im Kontext der Topografie oder Landesbeschreibung und ihrer meist gegebenen Intermedialität durchaus angemessen. Selbst Landkarten ohne nennenswerten Textteil wurden von Zeitgenossen als Descriptiones tituliert.14 Der zitierte Lexikonartikel reflektiert darüber hinaus die methodischen Optionen, einen Landstrich oder 11 Art. „Topographie“, in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste [Zedler], Bd. 44. Leipzig/Halle 1745, Sp. 1278–1280. 12 Dies wird implizit aus der hier nicht zitierten, aber im Artikel vorgenommenen Bezugnahme auf topografische Werke wie die Merian-Topografien deutlich. 13 Art. „Beschreiben“, in: JACOB UND WILHELM GRIMM, Deutsches Wörterbuch, 16 Bde., Leipzig 1854-1960, Bd. 1, Sp. 1593f, zit. nach der online-Version http://germazope.unitrier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb, Stand: 29.02.2008. Zum Beschreiben im Kontext herrschaftlich-administrativer Landeserfassungen des 16. und 17. Jahrhunderts vgl. SUSANNE FRIEDRICH: „Zu nothdürftiger information“. Herrschaftlich veranlasste Landeserfassungen des 16. und 17. Jahrhunderts im Alten Reich, in: ARNDT BRENDECKE/MARKUS FRIEDRICH/SUSANNE FRIEDRICH (HG.):

Information in der Frühen Neu-

zeit. Status, Bestände und Strategien (Pluralisierung & Autorität 16). Münster, Hamburg, Berlin u. a. 2008, S. 301–334, hier 303–308. 14 THIERRY GREUB: Vermeers komponierte Kartographie oder: Das ungewohnte Sehen, in: JÜRG GLAUSER/CHRISTIAN KIENING (HG.): Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne (Rombach Wissenschaften/Reihe Litterae 105). Freiburg 2007, S. 352–375, hier 355.

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eine Stadt sowohl mathematisch-lokativ („da man nur die Lage und Weite der Oerter vorstellt“) als auch narrativ („von gewissen Oertern eine genaue Beschreibung“) zu beschreiben. Es ist davon auszugehen, dass den Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts die Intermedialität der Topografien als deren Strukturmerkmal galt. An anderer Stelle charakterisiert das Zedlersche Universallexikon auch den von der historisch-topografischen Literatur in den Blick genommenen Gegenstand genauer: „Land, Lateinisch Terra, Regio, ist, über Haupt genommen, ein gewisses Stücke von der Oberfläche der Erd-Kugel, welches nicht mit Wasser bedeckt ist [...] Es ist an der Erkenntniß des Landes und seiner Beschaffenheit sehr viel gelegen, wenn man seine Glückseligkeit recht beobachten will. Die Beschaffenheit des Landes dependiret von der Verschiedenheit des Bodens, von dem Stande der Sonne gegen dasselbe und von der verschiedenen Wässerung an verschiedenen Orten des Erdbodens. [...] Was wir bisher erinnert haben, gehet die natürliche Beschaffenheit eines Landes an, man hat ausser diesem Statu naturali auch einen Statum Politicum, welcher aus dem Reichtume und der Menge derer Unterthanen, wie auch aus der Kriegs-Macht bestehet, welche in demselben zu finden ist.[...] Wenn man sich mit andern in Krieg einlassen will, so müssen solche zu Anführern derer Trouppen verordnet werden, welche die gantze Beschaffenheit des Landes, wo der Krieg soll geführet werden, genau kennen. Sie müssen wissen, wie starck oder schwach die Festungen sind, an welchen Oertern man sich am bequemsten lagern kann, welche Pässe man hauptsächlich besetzen muß, wie weit man sich ohne Gefahr ins Land wagen könne [...]“15

Gegenstand topografischer Beschreibung ist mithin ein bestimmter Ausschnitt der Erdoberfläche. Informationen zum „Statu naturali“ und zum „Statum politicum“ werden hier als relevante Wissensbestände über diesen Ausschnitt definiert. Aus dieser Definition leitet sich die thematische Orientierung der historisch-topografischen Literatur ab. Sie interessiert sich für materielle Rahmenbedingungen, für die lokale oder regionale Geomorphologie, die Ausstattung mit natürlichen Ressourcen, die Bodenqualität, für klimatische Faktoren und für den demografischen, ökonomischen und politischen Status gleichermaßen. Ein weiterer, häufig im Kontext topografischer Landesbeschreibung der Frühen Neuzeit begegnender Begriff ist der der „Chorographie“. Zedler schreibt hierzu: „Chorographia heisset die Beschreibung eines gewissen Districts Landes, z. E. von Sachsen, Meisner Creysse etc. nach allen besondern Theilen und Merckwürdigkeiten als Städten, Dörffern, Aemtern u. deren Districte etc. auch was nur im geringsten zu annotiren vorkömmt, 15 Art. „Land“, in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste [Zedler], Bd. 16. Leipzig/Halle 1737, Sp. 1278–1280.

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als Flüssen, Canälen, Dämmen, Mühlen, Wäldern, Holtzungen, Wirtshäusern, Brücken, Passagen, Land-Strassen, Post-Wegen, Morästen, u. s. f. und eine Charte, darauf ein District Landes nach dieser Art verzeichnet ist, wird Mappa Chorographica genennet [...]. Schlüsslich ist die Chorographie von der Geographie wie pars a toto unterschieden, als welche letztere die gantze Erde, wie sie in einem nach einander fortgehet, betrachtet.“16

Hier wird zwischen universalem und partikularem Zugriff bei der Abbildung der Welt unterschieden. Historisch-topografische Literatur bedient sich ausschließlich des partikularen Zugriffs. Die Unterscheidung zwischen beiden Zugriffsmaßstäben ist bereits vom alexandrischen Geografen, Mathematiker und Astronomen Klaudios Ptolemaios (ca. 100-170 n. Chr) formuliert worden, der dafür die Abbildung des Kopfes derjenigen der einzelnen Elemente wie Augen oder Ohren gegenüberstellte.17 Die Bildlichkeit dieses Vergleichs wurde von Peter Apian (1495-1552) in seinem Lehrbuch Cosmographicus liber von 1524 eingängig grafisch umgesetzt.18 Bei Ptolemaios trägt die Unterscheidung freilich zusätzlich die bereits angesprochene methodische Dimension: Er weist der Geografie mathematisch-vermessungstechnische Aufgaben zu, während er für die Chorografie die Künste des Landschaftszeichners für erforderlich hält.19 Das Gesagte erlaubt folgende Definition der hier untersuchten Gattung: Historisch-topografische Literatur soll verstanden werden als die Beschreibung von Schauplätzen, d. h. von Orten, Städten, Regionen oder Territorien, in Wort und Bild. Es handelt sich bei historisch-topografischer Literatur um einen Medienverbund.20 Werke dieser Gattung verarbeiten, transportieren und popularisieren geo16 Art. „Chorographie“, in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste [Zedler], Bd. 5. Leipzig/Halle 1733, Sp. 2193. 17 KLAUDIOS PTOLEMAIOS: Handbuch der Geographie. Basel 2006, S. 53. 18 Abbildungen u. a. in Büttner 2000, Abb. 13, MARTIN KNOLL: Topographie, in: FRIEDRICH JAEGER

(HG.): Enzyklopaedie der Neuzeit, Bd. 13: Subsistenzwirtschaft – Vasall.

Stuttgart 2011, Sp. 656–660, 657, und TANJA MICHALSKY: Medien der Beschreibung. Zum Verhältnis von Kartographie, Topographie und Landschaftsmalerei in der Frühen Neuzeit, in: JÜRG GLAUSER/CHRISTIAN KIENING (HG.): Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne (Rombach Wissenschaften/Reihe Litterae 105). Freiburg 2007, S. 319–349, hier 326. 19 Ptolemaios 2006, S. 55. 20 Diesen medialen Verbundcharakter macht Susanne Friedrich auch bei den von ihr untersuchten unveröffentlichten administrativen Landeserfassungen aus. Eine Pfalz-Neuburger Landeserfassung des späten 16. Jahrhunderts gilt ihr als „Beispiel für den typischen Medienverbund“. Für jedes Amt existiere eine große Karte, Tabella Topographica, daneben eine atlasartige Mappa, die mit einer verkleinerten Amtskarte beginne und Detailkarten enthalte. Die Grenzbeschreibungen im Libell und die Karte der Mappe sowie tabellari-

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grafisches Wissen auf den drei medialen Wegen der Kartografie, der Grafik und des Textes. Das namengebende Adjektivkompositum „historisch-topografisch“ tritt mitunter ganz oder teilweise explizit als Bestandteil von Titeln des Genres auf, etwa in Michael Wenings (1645-1718) Werk zu Kurbayern21 oder Abraham Hartwichs (1663-1721) Beschreibung der Danziger, Marienburger und Elbinger Werder von 172222, oder wird entsprechend programmatisch erläutert wie in der Vorrede zum sche Übersichten seien aufeinander bezogen. „Die Erfassung ist somit ein durch ein System von Querverweisen besonders gut erschlossener Verbund aus Karte und mit Listen durchsetzten Beschreibungen, der dem Wunsch des Landesherrn nach leicht auffindbarer, klar strukturierter und für das Regierungshandeln wichtiger Information entsprach.“ Friedrich 2008, S. 306–308. Gerhard Leidel sieht im frühneuzeitlichen Eindringen von grafischen Visualisierungen wie Lageskizzen, Augenscheinkarten und ähnliches ins Verwaltungsschriftgut eine Ergänzung des abstrakten Mediums Sprache durch das anschauliche Medium Bild. Gemeinsam schaffen die beiden Medien in den Akten eine „dokumentarische Einheit“ auf höherer Stufe. GERHARD LEIDEL: Entstehung und Funktion bildlicher Darstellungen im Rahmen von Verwaltung und Rechtsprechung der Neuzeit, in: GERHARD LEIDEL/MONIKA RUTH FRANZ (HG.): Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn. Handgezeichnete Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 37). Weißenhorn 1998, S. 276–289, hier 277. 21 MICHAEL WENING: Historico Topographica Descriptio. Das ist Beschreibung / Deß Churfürsten- und Herzogtumbs Ober- und Nidern Bayrn. Welches in vier Theil oder Renntämbter / Als Oberlandts München unnd Burghausen / Underlands aber in Landshuet und Straubing abgetheilt ist: Warbey alle Stätt / Märckt / Clöster / Graf- und Herrschafften / Schlösser / Probsteyen / Commenduren / Hofmarchen / Sitz und Sedl / deß gantzen Lands Gelegenheit / und Fruchtbarkeit / als Mineralien, Perlen / Saltz See / Fischereyen / Waldungen / und Jagdbarkeiten / wie auch anderen merckwürdigen Historien / so sich von einer zur anderer Zeit zugetragen haben / nicht allein außführlich beschriben / sondern auch durch beygefügte Kupffer / der natürlichen Situation nach / entworffner vorgestellt werden / so Von Michael Wening / Churfürstl. Portier und Kupferstecher / in loco delinirter ins Kupfer gegeben worden / und allda zu finden ist […], 4 Bde. München 1701-1726 [ND München 1974-1977]. 22 ABRAHAM HARTWICH: Geographisch-historische Landes-Beschreibung deren dreyen im Pohlnischen Preußen liegenden Werdern als des Danziger- Elbing- und Marienburgischen. Worinnen nach vorhergehender Geographischen Beschreibung dieser Länder / nach ihrem Nahmen / Situation, Eigenschaft / Gräntzen / Dorfschafften / Flüssen / Wäldern / Thieren / Früchten und Gewächsen / mit mehrerm Von der Einwohner Beschaffenheit / Sprache / Sitten / Gebräuchen / Privilegien und Freyheiten / Religion und GOttesdienst / Kirchen und Schulen / Regierung und Regiments-Form / Gewerb und Hauswesen hehandelt wird; mithin Die sonderbahre Kriegs-Zufälle / Brand- und Wasser-Schaden /

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ersten Band der Topographia Germaniae Matthäus Merians d. Ä. (1593-1650): Hier gibt Merian an, er habe, damit nicht allein die Augen (Grafik), sondern auch die Ohren (Text) ergötzt würden, einen „der Teutschen Sachen/ und Historien Liebhabern“ – den hier namentlich nicht genannten Martin Zeiller (1589-1661) – gewinnen können, um „Stätt und Stättlein“ in Deutschland zu beschreiben.23 Das Adjektivkompositum eignet sich auch als heuristisch-gattungsgeschichtlicher Forschungsbegriff, da es die Inhalte und die Methoden des Genres gut zu charakterisieren vermag. Die erste Hälfte des Kompositums kann mehrdimensional verstanden werden. Einerseits bezeichnet „historie“ in ihrer begriffsgeschichtlich älteren, nicht auf vergangenheitsbezogene Wissensbestände beschränkten Bedeutung eine textuelle Beschreibung.24 Sie steht aber auch als Indikator für die starke Präsenz historisch-traditionaler Stoffe in den Texten, die zugleich auf eine der Wurzeln der Gattung, nämlich diejenige der mittelalterlichen Historiografie verweist. Hartmann Schedels (1440-1514) Weltchronik (Liber chronicarum, Nürnberg 1493) kann als prototypisches Werk der Übergangsphase gewertet werden, das einerseits eine entlang der christlichen Heilsgeschichte organisierte Universalchronik, andererseits aber eine illustrierte Beschreibung der wichtigsten Städte Deutschlands und des Abendlandes bieten will.25 Schedels Weltchronik übte maßgeblichen Einfluss sowohl auf literarische Werke als auch auf die stärker geografisch profilierten Topografien des 16. Jahrhunderts und der Folgezeit aus.26 Als prominente Vertreter auch Tugend- und Laster-Händel angeführet werden. Alles aus bewährten Scribenten / wie auch aus Kirchen-Büchern und andern bisher ungedruckten Documentis und der selbsteigenen Erfahrung getreulich aufgesetzt. Nach dem Tode des Autoris aber / aus dessen eigenhändigem Manuscripto herausgegeben / und mit einer neuen und accuraten Land-Carte versehen (Preußen unter Nachbarn. Studien und Quellen 3). Königsberg 1722 [ND Frankfurt a. M. u. a. 2002]. 23 MATTHAEUS MERIAN DER ÄLTERE: Widmung: Topographia Helvetiae, Rhaetiae, et Valesiae. Das ist Beschreibung unnd eygentliche Abbildung der vornehmsten Stätte und Plätze in der Hochlöblichen Eydgnoßschafft / Graubünden / Wallis / und etlicher zugewandten Orthen. Frankfurt a. M. 1654 [ND Braunschweig 2005], S. 5–9, hier 8. 24 Zum sektoralen Überdauern eines nicht zwingend an die Qualifikation von Vorzeitigkeit bzw. Geschichtlichkeit gebundenen Geschichtsbegriffes etwa in der frühneuzeitlichen „historia naturalis“ / später „Naturgeschichte“ vgl. REINHART KOSELLECK: Geschichte, Historie, in: OTTO BRUNNER/WERNER CONZE/REINHART KOSELLECK (HG.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2: E-G. Stuttgart 1975, S. 593–717, hier 678–682. 25 STEPHAN FÜSSEL: Das Buch der Chroniken, in: STEPHAN FÜSSEL (HG.): Weltchronik. Kolorierte Gesamtausgabe von 1493, Einleitung und Kommentar von Stephan Füssel. Nürnberg 1493 [ND Köln u. a. 2001], S. 7–37, hier 7. 26 Vgl. ebenda, S. 36–37.

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des topografischen Genres seien Sebastian Münsters (1489-1552) erstmals 1544 in Basel aufgelegte Cosmographia27, Lodovico Guiccardinis (1521-1589) Descrittione di tutti i Paesi Bassi (Antwerpen 1562)28, die Braun/Hogenbergschen Civitates Orbis Terrarum (Köln 1572-1617)29 oder die oben angesprochene Reihe von Regionaltopografien erwähnt, die Matthäus Merian d. Ä. und später seine Nachfahren ab 1642 herausbrachten und die landläufig unter dem Sammelbegriff der Topographia Germaniae bekannt sind.30 Das Untersuchungsinteresse Historisch-topografische Literatur repräsentiert sozionaturale Schauplätze.31 Die Grundannahme der vorliegenden Studie lautet: Der thematische Zuschnitt dieser 27 SEBASTIAN MÜNSTER: Cosmographia. Beschreibung aller Lender durch Sebastianum Munsterum in wölcher begriffen. Aller völcker / Herrschaften / Stetten / und namhafftiger flecken / härkommen: Sitten / gebreuch / ordnung / glauben / secten / und hantierung / durch die gantze welt / und fürnemblich Teütscher nation. Was auch besunders in iedem landt gefunden / und darin beschehen sey. Alles mit figuren und schönen landttafeln erklärt / und für augen gestelt. Weiter ist dise Cosmographei durch gemelten Sebast. Munst. allenthalben fast seer gemeret und gebessert / auch mit eim zuogelegten Register vil breuchlicher gemacht. Basel 1545, Erstausgabe: Basel 1544. Im Folgenden zitiert nach der deutschen Ausgabe von 1545, Exemplar der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf,

online-Version,

http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/content/pageview/193034,

Stand: 17.03.2009. 28 LODOVICO GUICCIARDINI: Descrittione di tutti i Paesi-Bassi con piu carte di geographia del paese & col ritratto naturale di piu terre principali. [gewidmet] Filippo d’Austria. Anversa / Antwerpen 1567. 29 Digitalisate der Bände 1 und 3 der deutschsprachigen Ausgabe Köln 1582 [VD16 B 7188] bietet die Universitätsbibliothek Heidelberg: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/braun1582ga, Stand: 01.11.2011. 30 Bis zum Tod Matthäus Merians d. Ä. im Jahre 1650 erschienen die Bände Schweiz (1642), Schwaben (1643), Elsass (1643), Bayern (1644), Rheinpfalz, Kurrheinischer Kreis (1546), Hessen (1646), Westfalen (1647), Franken (1647), Österreich (1649) und Böhmen-Mähren-Schlesien (1650). Merians Erben setzten das Unternehmen fort und legten in der Folge auch Topografien von Ländern außerhalb des Reichs vor. LUCAS HEINRICH WÜTHRICH:

Die großen Buchpublikationen II. Die Topographien. Vorläufer, Topo-

graphie von Deutschland, Frankreich, Rom, Italien, Windhaag, Nachträge zu den Handzeichnungen und zum druckgraphischen Werk Bände 1–3 (Das druckgraphische Werk von Matthaeus Merian dem Älteren, Bd. 4). Hamburg 1996. 31 Zu Begrifflichkeit und Konzeption der sozionaturalen Schauplätze vgl. unten, Kap. 2.2.5 und 2.2.6.

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sozionaturalen Schauplätze – in anderen Worten: die Art und Weise, wie das Zusammenwirken gesellschaftlicher Praktiken und biophysischer Arrangements in der historisch-topografischen Literatur beschrieben wird, wie einzelne Aspekte dieses Gefüges gewichtet und/oder ignoriert werden – besitzt Aussagekraft in zweierlei Richtungen. Zum einen wird sichtbar, wie eine Gesellschaft ihr Verhältnis zu ‚Natur‘ konzeptualisiert, zum anderen, dass und wie ‚Natur‘ als Argument und rhetorisches Mittel eingesetzt wird, um soziale Ordnung und soziale Hierarchien, Herrschaft und politische Macht und nicht zuletzt territoriale und regionale Identitäten zu definieren. Wenn Geschichtswissenschaft als Beobachtung zweiter Ordnung verstanden wird, als eine Möglichkeit, der Gesellschaft eine Form der Selbstbeobachtung zur Verfügung zu stellen32, dann liegt mit der historisch-topografischen Literatur eine Quellengattung vor, die diese Beobachtung sowohl hinsichtlich der Gesellschaft als auch hinsichtlich des sozionaturalen Gefüges ermöglicht. Von dieser Grundeinschätzung ausgehend lassen sich eine Reihe konkreter Fragen an die Quellengattung ableiten: Welche rhetorische Rolle spielen Informationen über ‚Natur‘ / die ‚natürliche Umwelt‘, über das Verhältnis zwischen Siedlung und ‚Umwelt‘, über Landschaften, Flüsse oder natürliche Ressourcen in der Weltsicht der Landesbeschreibung? Welche regionalen Unterschiede werden greifbar? Welche Rolle spielt ‚Umwelt‘ für die Definition regionaler Identitäten? Dabei ist zu klären, ob es sich bei ‚Umwelt‘ überhaupt um einen in diesem Kontext analytisch brauchbaren Begriff handelt.33 Spiegelt der Literaturtyp eine Entwicklung territorialer Identitäten wider – evtl. in Abgrenzung zu älteren personal-dynastischen Identitäten?34 Wie wird das Verhältnis zwischen Stadt und Hinterland konzeptualisiert? In welchem Verhältnis stehen verschiedene transportierte Wissensbestände, also etwa Informationen zur ‚natürlichen Umwelt‘, Informationen zu historisch-politi32 Vgl. VERENA WINIWARTER/MARTIN SCHMID: Umweltgeschichte als Untersuchung sozionaturaler Schauplätze? Ein Versuch, Johannes Colers „Oeconomia“ umwelthistorisch zu interpretieren, in: THOMAS KNOPF (HG.): Umweltverhalten in Geschichte und Gegenwart. Vergleichende Ansätze. Tübingen 2008, S. 158–173, hier 162. 33 Zur Problematik des Umweltbegriffs und zum weiten Feld einer allfälligen Klärung der analytischen Grenzziehung bzw. Grenzüberschreitung zwischen den Sphären „Natur“ / „Umwelt“ und „Kultur“ / „Gesellschaft“ vgl. unten, Kap. 2.2.5. 34 Auch der Identitätsbegriff ist nicht unproblematisch. Er sei für die Zwecke dieser Studie in Anlehnung an Fritz Hermanns verstanden als Kollektividentität, d. h. als Gesamtheit der jeweils relevanten Eigenschaften einer sozialen Gruppe. Die jeweilige Relevanz der Eigenschaften ist kontextabhängig. Ihre Definition bzw. Konstruktion kann sowohl Ergebnis von Selbst-, als auch von Fremdzuschreibung sein. Vgl. FRITZ HERMANNS: Identität und Mentalitätsgeschichte, in: Zeitsprünge 2 (2007), S. 296–317, hier 301, 305; ferner: ANSSI PAASI: Region and place. Regional Identity in Question, in: Progress in Human Geography 27 (2003), S. 475–485.

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schen Sachverhalten, dynastische, ökonomische, kulturelle und religiöse Themen, zueinander? Gibt es Verschiebungen in der relativen Wertigkeit zwischen diesen unterschiedlichen Wissensbeständen? Gewinnen naturwissenschaftlich-statistische Aspekte gegenüber kulturell-traditionalen Motiven an Bedeutung? Wenn ja, wie ist dies zu werten – etwa als zunehmend utilitaristische Sicht der „Natur als Warenhaus“ im Sinne Günter Bayerls35? Zuletzt muss der Erfolg der Gattung36 im Zusammenhang mit der Entwicklung frühmoderner Staatlichkeit diskutiert werden – und damit die Frage, ob historisch-topografische Literatur als Ausdruck des Ringens zwischen landesherrlich-zentralstaatlicher Herrschaftsverdichtung und ständisch-dezentralem Machterhalt zu werten ist. In diesem Zusammenhang ist auch die Koexistenz verschiedener verlegerischer Modelle obrigkeitlicher und/oder privatwirtschaftlicher Natur von analytischer Relevanz. Topografische Intermedialität Das Erkenntnisinteresse und die Quellengattung bedingen Vorüberlegungen zum methodischen Vorgehen. Die Analyse historisch-topografischer Literatur muss dem eingangs skizzierten Umstand Rechnung tragen, dass frühneuzeitliche Landesbeschreibungen mindestens zwei, meistens jedoch drei Darstellungsmodi – Kartografie, grafische Ansicht und textuelle Beschreibung – vereinigen. Auch wenn nicht in allen Werken alle drei medialen Vermittlungswege eingeschlagen werden37 oder im Einzelfall eine große Eigenständigkeit der verschiedenen Elemente in der Produkti-

35 Bayerl 2001. 36 Wüthrich geht im Falle der Merianschen Topografien von einer Auflage zwischen 5000 und 10.000 Exemplaren pro Band aus. Wüthrich 1996, S. XIX. 37 Der österreichische Topograf und Geistliche Georg Matthäus Vischer (1628-1696) legte mit seinen Topografiebänden zu Niederösterreich (1672), Oberösterreich (1674) und der Steiermark (1681) Ansichtenfolgen vor, die weitgehend auf Erschließung durch Text verzichteten. Er mag dieses Fehlen textueller Beschreibung möglicherweise selbst als Defizit empfunden haben. Darauf weisen seine eigenen Äußerungen aus dem Jahr 1672 hin, denen zufolge er an einer „Osterreichische[n] Histori und Beschreibung“ arbeitete. GEORG ANTON SCHULLER: Leben und Gesamtwerk, in: GEORG ANTON SCHULLER (HG.): Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae sev. Controfee und Beschreibung aller Stätt, Clöster und Schlösser wie sie anietzo stehen in dem Ertzhertzogtumb unter Osterreich […]. Wien 1672 [ND Graz 1976], S. 9–21, hier 16. Vgl. MARTIN KNOLL: Ländliche Welt und zentraler Blick. Die Umwelt- und Selbstwahrnehmung kurbayerischer Hofmarksherren in Michael Wenings ‚Historico Topographica Descriptio‘, in: HEIKE DÜSELDER/OLGA WECKENBROCK/SIEGRID WESTPHAL (HG.): Adel und Umwelt. Horizonte adeliger Existenz in der Frühen Neuzeit. Köln 2008, S. 51–77, hier 59.

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on nachweisbar ist,38 muss dieser Verbundcharakter in der rhetorisch-funktionalen Analyse der Werke ausreichend berücksichtigt werden. Es gilt, das (karto-)grafische Bild und den Text gleichrangig zu untersuchen bzw. den Bild-TextZusammenhang als eigene Dimension zu problematisieren.39 In der vorliegenden Studie wird dies unternommen. Dass dabei der Textinterpretation besonderes Augenmerk zukommt, bezieht seine Legitimation auch aus einem bislang in der Forschungslandschaft bestehenden Ungleichgewicht. Während die Bildlichkeit des Genres im Vordergrund der wissenschaftlichen Analyse steht, was die breite außerwissenschaftliche Rezeption und die ungebrochene Attraktivität des historischen Stichwerks widerspiegelt, wird der Quellenwert der Texte offensichtlich unterschätzt.40 Der Merianbiograf Lucas Heinrich Wüthrich stellt fest: „Text und Bild sind gewöhnlich miteinander so verschweißt, dass sie nicht voneinander ge-

trennt werden sollten. Unser bildgläubiges Zeitalter hat den Städtebildern Merians eindeutig 38 Lucas Heinrich Wüthrich schließt aus dem Umstand, dass die Texte in den Merianschen Topografiebänden niemals direkt auf die Bilder Bezug nehmen, dass Martin Zeiller, der Autor der Texte, die Illustrationen bei der Vorbereitung nicht zu sehen bekam. LUCAS HEINRICH WÜTHRICH: Matthaeus Merian d. Ä. Eine Biographie. Darmstadt 2007, S. 349f. Mir erscheinen sowohl die Ausgangsdiagnose als auch der Schluss differenzierungsbedürftig, auch wenn viele der Texte ohnehin in unterschiedlicher Intensität auf eigene Vorgängerpublikationen Zeillers zurückgriffen. 39 Zu der in den Sprach- und Literaturwissenschaften bereits entwickelten Analytik des Text-Bild-Gefüges vgl. etwa CHRISTEL MEIER/UWE RUBERG (HG.): Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit. Wiesbaden 1980; STEPHAN FÜSSEL/JOACHIM KNAPE/DIETER WUTTKE (HG.): Poesis et pictura. Studien zum Verhältnis von Text und Bild in Handschriften und alten Drucken. Festschrift für Dieter Wuttke zum 60. Geburtstag (Saecula spiritalia Sonderbd). Baden-Baden 1989; FRANZISKA SICK/CHRISTOF SCHÖCH (HG.): Zeitlichkeit in Text und Bild. Heidelberg 2007; und FRANZISKA GROßE: Bild-Linguistik. Grundbegriffe und Methoden der linguistischen Bildanalyse in Text- und Diskursumgebungen (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 50). Frankfurt a. M. u. a. 2011; zur Relevanz der Intermedialitätsforschung für die geschichtswissenschaftliche Analyse insbesondere vormoderner Quellen: BIRGIT EMICH: Bildlichkeit und Intermedialität in der Frühen Neuzeit. Eine interdisziplinäre Spurensuche, in: Zeitschrift für historische Forschung 35 (2008), S. 31–56; im Kontext einer kulturwissenschaftlich informierten Kartografiegeschichte: JÜRG GLAUSER/CHRISTIAN

KIENING (HG.): Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne

(Rombach Wissenschaften/Reihe Litterae 105). Freiburg 2007. 40 RAINER SCHUSTER: Michael Wening und seine „Historico-topographica descriptio“ Ober- und Niederbayerns. Voraussetzungen und Entstehungsgeschichte (Schriftenreihe des Stadtarchivs München 171). München 1999, S. 1–2.

22 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT den Vorzug gegeben, sie auch vielfach aus ihrem Zusammenhang herausgerissen und sie so gleichsam verabsolutiert, was ihrer ehemaligen Bestimmung als Textillustration nicht entspricht.“ 41

Auch in Hartmann Schedels Liber chronicarum besteht der Einschätzung Klaus Arnolds zufolge ein – in der Forschung meist übersehener – enger Text-BildZusammenhang.42 Für die vorliegende Studie ergibt sich das besondere Interesse an diesem Text-Bild-Zusammenhang aus der wahrnehmungsgeschichtlichen Perspektive, die bezogen auf historisch-topografische Literatur der Frühen Neuzeit eingenommen wird. Sie leitet die Analyse der Text- und Bildpragmatik an. Hierbei steht auch die Anschaulichkeit der Texte und Bildprogramme auf dem Prüfstand: Wie wird Anschaulichkeit beim Leser und/oder Betrachter erzeugt? Auf welchem räumlichen Niveau findet Anschaulichkeit statt? Landeskundliche descriptio, so der Hinweis von Markus Friedrich, verfolgt den Anspruch, „eine dem Augenschein gemäße Anschaulichkeit zu erzeugen.“43 Durch die einander ergänzenden Text- und Bildkomponenten soll das Buch an die Stelle des Augenscheins treten, will eigene Anschauung ‚vor Ort‘ ersetzen.44 Text und Bild stehen damit im funktionalen Zusammenhang des Informationstransports. Beschreiben präsentiert sich in diesem Zusammenhang als die Aufgabe, Informationen grafisch zu visualisieren und textuell zu inventarisieren.45 Ein diesbezügliches methodisch-didaktisches Problembewusstsein kann schon beim anonymen Autor eines um 1495 erschienenen kosmografischen Begleittextes zu einer Ptolemaios-Karte nachgewiesen werden. Der Schreiber reflektiert die Multimedialität des Genres mit einer Metapher: In seinem Eingangsgedicht vergleicht er den Text mit einem Schiff, das den Leser durch kos-

41 Wüthrich 2007, S. 347. 42 KLAUS ARNOLD: Städtelob und Stadtbeschreibung im späteren Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: PETER JOHANEK (HG.): Städtische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (Städteforschung, Reihe A, Darstellungen 47). Köln 2000, S. 247–268, hier 263. 43 MARKUS FRIEDRICH: Chorographica als Wissenskompilationen. Probleme und Charakteristika, in: FRANK BÜTTNER (HG.): Sammeln, Ordnen, Veranschaulichen. Zur Wissenskompilatorik in der Frühen Neuzeit (Pluralisierung & Autorität 2). Münster 2003, S. 83– 111, hier 96. 44 Zur viel zitierten erstrebten Ermöglichung eines Reisens im Lehnstuhl vgl. MATTHEW MCLEAN: The cosmographia of Sebastian Münster. Describing the world in the Reformation (St. Andrews studies in Reformation history). Aldershot (Hampshire), Burlington (VT) 2007, S. 222–223; Büttner 2000, S. 166–172. 45 Vgl. Friedrich 2003, S. 97–99.

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mografisches, geografisches und ethnografisches Wissen führt.46 In eine ähnliche Richtung weist der Kultursoziologe Justin Stagl, der bezogen auf Reiseliteratur das Rationalisierungspotenzial der auf zunehmende Verschriftlichung gerichteten humanistischen Rhetorik unterstreicht. „Geschriebene Texte können länger, detailreicher, komplexer sein als gesprochene. Daher eignen sie sich auch besser für die Wiedergabe einer komplexen Realität. Die Verschriftlichung der Rede brachte überdies einen konstruktivistischen Zug in die empirischen Wissenschaften. Durch ein komplexes Beschreibungsschema werden die Daten nicht einfach wiedergegeben; sie werden organisiert.“47

Dagegen unterstreicht Frederike Timm am Beispiel des Pilgerberichts Peregrinatio In Terram Sanctam (1486) von Bernhard von Breidenbach (um 1440-1497) die rhetorische Funktion des Bildprogrammes. Sie resümiert ihre eingehende Analyse des Text-Bild-Verhältnisses in diesem Werk dahingehend, dass die Holzschnitte Erhard Reuwichs (um 1455-1490) „aufgrund ihres innovativen Charakters als Vermittlungsinstanz und Katalysator des Kommunikationsprozesses zwischen Text und Käufer beziehungsweise Leser [fungierten], indem sie den Werkzugang erheblich beschleunigten, wenn nicht sogar in vielen Fällen initiierten.“48 Auch im Fall der sensationslüsternen Inszenierung indianischen Kannibalismus‘ in Hans Stadens (um 1525-nach 1558) Brasilien-Reisebericht aus dem Jahre 1557 machten über 50 Holzschnitte den Text zum erfolgreichen „Produkt einer dem Diktat des Markterfolgs verpflichteten, ausgeklügelten Geschäftsstrategie.“49 Das Anliegen meiner Studie, historisch-topografische Literatur als Quellengattung zu untersuchen, und die Intermedialität dieser Gattung haben, nebenbei bemerkt, ganz konkrete Auswirkungen auf die Darstellung. Auch der Text der Studie steht vor der Aufgabe, in der Analyse der Quelle und ihrer Medialität Anschaulichkeit zu erzeugen und muss daher notwendig quellennah argumentieren. Zitate und 46 CHRISTIAN KIENING: ‚Erfahrung‘ und ‚Vermessung‘ in der frühen Neuzeit, in: JÜRG GLAUSER/CHRISTIAN KIENING (HG.): Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne (Rombach Wissenschaften/Reihe Litterae 105). Freiburg 2007, S. 221–251, hier 228– 229. 47 JUSTIN STAGL: Eine Geschichte der Neugier. Die Kunst des Reisens 1550-1800. Wien [u.a.] 2002, S. 130. 48 FREDERIKE TIMM: Der Palästina-Pilgerbericht des Bernhard von Breidenbach und die Holzschnitte Erhard Reuwichs. Die „Peregrinatio in terram sanctam“ (1486) als Propagandainstrument im Mantel der gelehrten Pilgerschrift. Stuttgart 2006, S. 361. 49 ANNEROSE MENNINGER: Hans Stadens „Wahrhaftige Historia“. Zur Genese eines Bestsellers der Reiseliteratur, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 47 (1996), S. 509–525, hier 522.

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Paraphrasen von Quellentext und -bild mögen der Arbeit daher streckenweise einen eher einen kunst- oder literaturhistorischen Charakter verleihen. Die Legitimation eines solchen Vorgehens scheint mir durch die vom Thema erforderte Interdisziplinarität gewährleistet. Die Untersuchungsregion: Topografien der oberen Donau Das Thema der Untersuchung erfordert eine exemplarische Betrachtung einer handhabbaren räumlichen Einheit. Der obere Donauraum bildet – von wenigen Ausnahmen abgesehen – das Untersuchungsgebiet der vorliegenden Studie. Damit ist der Einzugsbereich der Donau und ihrer Zuflüsse zwischen Schwarzwald und Wien erfasst, soweit er durch die Topografien von Apian, Ertl, Merian, Vischer, Wening und anderen dokumentiert wird. Es handelt sich dabei um ein Untersuchungsgebiet, das in seiner geografischen und seiner politischen Verfasstheit Homogenität und Heterogenität vereint und damit zur vergleichenden Analyse einlädt. Auf politischer Ebene finden sich hier unterschiedliche weltliche Territorien wie das Herzogtum Bayern, Pfalz Neuburg und die Erzherzogtümer Österreich ob und unter der Enns, geistliche Fürstentümer wie Augsburg, Freising und Passau, freie Reichsstädte wie Ulm, Augsburg und Regensburg, und schließlich zahlreiche landständische Entitäten. Neben oder wohl präziser: über diesen entfalteten die politische Ordnung des Reichs beziehungsweise der Ordnungsanspruch des Habsburgischen Kaisertums auch hydraulisch relevante Homogenisierungstendenzen. Anders ist es wohl nicht zu verstehen, wenn sich 1618 bayerische Gesandte in kontroversen Verhandlungen mit Pfalz-Neuburger Räten angesichts Neuburger Wasserbauten in der Donau bei Joshofen um die Schifffahrt sorgten und fragten, „ob einer macht habe, uff freyer reichsstrassen [!], wie diß orths beschieht, zu pawen cum damno tertii.“50 Auch die Schiffs- und Floßleute Augsburgs, Donauwörths und Ulm forderten unbehindertes Fortkommen auf der „freyen reichswasserstraß“.51 Bereits in der Wahrnehmung der Zeitgenossen erscheint das Untersuchungsgebiet gleichermaßen als räumliche Einheit und als eine Reihe unterschiedlicher Räume. Auch geo- bzw. hydromorphologisch kann dieser Raum als Einheit behandelt werden, weil der Charakter der Donau bis Wien als alpiner Fluss entsprechend vergleichbare Landschaften von Fluss und Zuflüssen vereint. Nicht zuletzt handelt es sich beim oberen Donauraum um altes Siedlungsland und um eine traditionsreiche 50 Zit. nach GERHARD LEIDEL/MONIKA RUTH FRANZ (HG.): Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn. Handgezeichnete Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Ausstellung in München, 24. Juni bis 16. August 1998 (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 37). Weißenhorn 1998, S. 88. 51 Ebenda, S. 87.

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Städtelandschaft. Städte wie Ulm, Augsburg, München, Regensburg und Wien prägten und prägen die Region mit ihrer je eigenen historischen Entwicklung. Städte besetzen auch eine zentrale Position im Darstellungsinteresse historischtopografischer Landesbeschreibungen und qualifizieren so den gewählten hydround geografischen Zusammenhang als geeignete Untersuchungsregion. Das Vorgehen Die Studie widmet sich einem gattungsgeschichtlich und typologisch komplexen Quellentyp. Substanzielle einleitende Bemerkungen zur Gattungsgeschichte erscheinen daher unerlässlich. Dem mehrdimensionalen Charakter und der Intermedialität der Gattung geschuldet, gilt es auch, eine sich aus verschiedenen Disziplinen speisende Forschungslandschaft kritisch zu sichten, um basierend auf dieser Sichtung den methodischen Ansatz der Studie zu entwickeln. Zwei Aspekte erscheinen mir zu diesen Grundlegungen erklärungsbedürftig: Erstens kann die Literaturdiskussion nicht im Sinne einer strengen systematischen Trennung zwischen Literaturbericht und Anwendung auf die Analytik der Studie organisiert werden. Aus der heterogenen multidisziplinären Forschungslandschaft werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit Beiträge und Perspektiven von potenzieller methodischer Relevanz für die Untersuchung herausgegriffen und diskutiert. Zweitens verbietet es die typologische Komplexität der untersuchten Quellengattung, das Referat von Forschungspositionen auf das Teilkapitel zum Forschungsstand, Typologisches und Gattungsgeschichtliches dagegen ausschließlich auf das Teilkapitel zur Gattungsgeschichte zu konzentrieren. Nach diesen Grundlegungen folgt der Aufbau der Untersuchung einem dreigliedrigen Schema. Die drei aus dem Verlagshaus Merian stammenden Bände zum oberen Donauraum, die Topographia Sveviae52, die Topographia Bavariae53 und die Topographia Provinciarum Austriacarum54 bilden Anknüpfungspunkte der Un52 MATTHAEUS MERIAN DER ÄLTERE/MARTIN ZEILLER: Topographia Sveviae. Das ist Beschreib- und Aigentliche Abcontrafeitung der fürnembsten Stätt und Plätz in Ober- und Nider Schwaben, Hertzogthum Würtenberg, Marggraffschaft Baden und andern zu dem Hochlöbl. Schwabischen Craiße gehörigen Landtschafften und Orten. Frankfurt a. M. 1643 [ND Braunschweig 2005]. 53 MATTHAEUS MERIAN DER ÄLTERE/MARTIN ZEILLER: Topographia Bavariae. Das ist Beschreib- und Aigentliche Abbildung der Vornemsten Stätt und Orth in Ober- und Nieder Beyern, Der Obern Pfaltz Und andern Zum Hochlöblichen Bayrischen Craiße gehörigen Landschafften. Frankfurt a. M. 1657 [ND Braunschweig 2005]. 54 MATTHAEUS MERIAN DER ÄLTERE/MARTIN ZEILLER: Topographia Provinciarum Austriacarum. Austriae Styriae/Carinthiae, Carniolae/Tyrolis etc. Das ist Beschreibung und Abbildung der fürnembsten Stätt Und Plätz in den Osterreichischen Landen Under

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tersuchung, von denen aus aber keine strikt diachronen oder synchronen ‚Schneisen‘ geschlagen werden sollen. Zu groß wäre bei einem solchen Vorgehen die Gefahr monokausal-teleologischer Erklärungen, die der modernisierungstheoretisch inspirierten Meistererzählung der älteren Kartografiegeschichte ähneln. Stattdessen lassen einzelne thematische Motive – allen voran die Hydrografie, aber auch das Bild von Stadt und Hinterland – punktuelle Zugriffe produktiv erscheinen. Der Hydrografie der Topografien ist ein erstes Hauptkapitel gewidmet. Im Kapitel zur Repräsentation der Städte Ulm, Augsburg, München, Regensburg und Wien bilden die Merian-Topografien zwar den Ausgangs- und zentralen Anknüpfungspunkt, doch die Auswahl von Vergleichswerken, die chronologische Schwerpunktsetzung und die Methode der Auswertung differiert je nach lokalen bzw. regionalen Gegebenheiten erheblich. Wenn etwa im Falle der Residenzstadt München dabei dennoch ein chronologischer Längsschnitt beschrieben wird, der von Schedels Weltchronik des späten 15. Jahrhunderts bis zur statistischen Topografie des aufklärerischen Reformers Joseph von Hazzi reicht, soll dies keine monolinearen und generalisierbaren gattungsgeschichtlichen Entwicklungslinien suggerieren, sondern greift lediglich einen ebenso umfassenden wie strukturell markanten Quellenbestand auf. Die von Matthäus Merian d. Ä. herausgegebene Topographia Bavariae (zuerst erschienen 1644)55, deren Text der Feder des Ulmer Schulmeisters, Geografen, Reiseschriftstellers und „Polyhistors“ Martin Zeiller (1589-1661) entstammt, steht hier als landfremde Publikation.56 Anders als das Werk der Nichtbayern Matthäus und Ober Osterreich / Steyer / Kärndten / Crain und Tyrol. An tag gegeben Und verlegt Durch Matthaeum Merian In Franckfurt am Mayn 1649. Frankfurt a. M. 1649 [ND Kassel, Basel 1963]. 55 Merian d. Ä. et al. 1657. 56 Die von der älteren Literatur skeptisch beäugte kompilatorische Arbeitsweise Zeillers scheint gerade aufgrund der Komplexität und Breite der von Zeiller verarbeiteten Informationsbestände interessant für meine Untersuchung. Zur abschätzigen Bewertung von Zeillers Kompilatorik vgl. etwa Max von Waldbergs Eintrag über Zeiller in der Allgemeinen Deutschen Biografie. Von Waldberg sieht die „Vermischung von nützlichem und polyhistorischem Kram“ als „charakteristisch für die ganze Geistesrichtung Zeiller’s“ an. MAX VON WALDBERG: Zeiller, in: Allgemeine Deutsche Biographie 44 (1898), S. 782784

[Onlinefassung].

http://www.deutsche-biographie.de/pnd118772392.html?anchor

=adb, Stand: 16.12.2011. Eine entschiedene Korrektur dieser Einschätzung unternimmt Wüthrich 2007, S. 349. Auch der Literaturwissenschaftler Wilhelm Kühlmann stellt sich dem Urteil einer originalitätsorientierten Literaturwissenschaft entgegen, die Zeillers Ansatz missverstanden habe und so zu negativen Wertungen gekommen sei. Zeillers landessprachliches Arbeiten und seine Kompilatorik folgten vielmehr einem Programm der Zugänglichmachung und Verbreitung von Wissensbeständen: „Weilen die Bücher/ daraus

E INEN O RT

BESCHREIBEN

Ň 27

Merian und Martin Zeiller repräsentiert Anton Wilhelm Ertls Chur-Bayerischer Atlas (2 Bde., 1687/1690) die bayerische Binnenperspektive, wobei die Unterscheidung zwischen landfremder Perspektive und Binnenperspektive zwei mögliche Determinanten der thematischen Gewichtung repräsentierter sozionaturaler Schauplätze markiert. Der Jurist Ertl (1654-1710), eine biografisch allemal schillernd zu nennende Persönlichkeit,57 stammte aus München und arbeitete zeitweise als Hofmarksrichter, zeitweise als Syndicus der schwäbischen Reichsritterschaft. Er gab an, die Meriansche Topografie zwar „meistens für einen sichern Nord-Stern“ anzusehen, „nach welchem ich meine Feder als die wahre Magnet-Nadel nach Müglichkeit richten werde“, vertrat aber den Anspruch, Merians Beschreibungen, die „an vielen Orten mangelhafft / ja wol gar in grossen Irrthum verwickelt“ seien, zu korrigieren.58 Das ambitionierteste Projekt der Landesbeschreibung im alten Bayern ging auf die Initiative des am Münchener Hof tätigen Grafikers Michael Wening (1645-1718) zurück. Die in vier Foliobänden zwischen 1701 und 1726 erschienene Historico topographica descriptio59 vereinigt nicht nur 850 Stiche, sie trägt insofern offiziösen Charakter, als eine eigens eingesetzte und aus Reihen der Landstände wie des Hofrates hochrangig besetzte Kommission die redaktionelle sie [die behandelten Fragen und Sachen – W. K.] genommen/ den meisten theil nit in teutscher Sprach geschrieben/ und ob gleich theils in selbiger vorhanden/ sie jedoch nit Jdermanns kauff/ auch nit aller Orten zu bekommen seyn: und aber dem Vatterland/ und dessen Inwohnern/ so etwan zu solchen Sachen wegen ihrer Nutzbar- und Ergötzlichkeit/ in ihrer angebornen Teutschen Sprach/ davon berichtet zu werden/ Lust haben/ billich hierinnen zu dienen.“ (Centuria Variarum Quaestionum, Vorwort fol. xii, zit. nach WILHELM

KÜHLMANN: Lektüre für den Bürger. Eigenart und Vermittlungsfunktion der

polyhistorischen Reihenwerke Martin Zeillers, in: PETER BLICKLE/DIETER BREUER (HG.): Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 13). Wiesbaden 1985, S. 917–934, hier 918.) Zeiller, so Kühlmann, strebe eine Kombination von Wissensvermittlung, Zerstreuung und Erbauung an. Ebenda, S. 918–919. 57 Vgl. JOSEF H. BILLER: „Er wollte durchaus als Schriftsteller sich Ruhm erwerben“. Zum 350. Geburtstag des Juristen, Historikers, Topographen und Publizisten Anton Wilhelm Ertl (1654-1710), in: Schönere Heimat. Erbe und Auftrag 93 (2004), S. 183–194. 58 ANTON WILHELM ERTL: Chur-Bayerischer Atlas. Das ist Eine Grundrichtige / Historische / und mit vielen schönen Kupfern und Land-Karten gezierte Abbildung aller in dem hochberühmbten Chur-Hertzogthum Ober- und Nieder-Bayern / auch in der Obern Pfalz ligenden vortrefflichen Städten / Märkt / und theils Schlösser / samt deroselben Ursprung / Fortpflantzung / und andere merkwürdigiste Bayrische Denk-Sachen / alle aus dem unvervälschten Grund der Antiquität enthalten, Bd. 1. Nürnberg 1687 [ND Donauwörth 1995], S. 28. 59 Wening 1701-1726.

28 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

Arbeit koordinierte.60 Am oberen Ende des betrachteten Zeitraums stehen Joseph von Hazzis (1768-1845) Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern61, ein Werk, das in mehrerlei Hinsicht Übergangscharakter besitzt. Es bewegt sich an der Schwelle von der frühneuzeitlichen „Protostatistik“62 bzw. der „deskriptiven“ Statistik, die mit der historisch-topografischen Landesbeschreibung in vielerlei Hinsicht in Beziehung steht, zur „quantifizierenden“ Statistik des 19. und 20. Jahrhunderts.63 Sein Autor, der Jurist, Spätaufklärer und vielfältig interessierte Landwirtschafts- und Forstreformer Joseph Hazzi, verwertete dafür nicht nur statistische Erhebungen, sondern auch eigene, aus ethnologischem Interesse heraus gewonnene Reiseeindrücke sowie topografische und kartografische Arbeiten. Der Analyse von Stadtrepräsentationen folgt eine Auseinandersetzung mit den Dimensionen von Nutzung und Ästhetik in der historisch-topografischen Beschreibung. Hier wird untersucht, wie Landnutzungspraktiken, technische Arrangements und Ähnliches beschrieben werden. Oft genug bewegt sich die Beschreibung sozionaturaler Schauplätze in einem Spannungsverhältnis zwischen der Betonung von Nützlichkeit und Nutzung auf der einen und Ästhetisierung auf der anderen Seite. Hier gilt es an Beispielen wie der Repräsentation von Landwirtschaft und Bergbau, aber auch an der Thematisierung von Heilquellen und -bädern nachzuhaken. Das letzte Hauptkapitel nimmt eine Rückbindung der Repräsentation sozionaturaler Schauplätze an kommunikative Praktiken der gesellschaftlichen Fremd- und Selbstbestimmung vor. Gerade für den Adel war die – nicht selten von Landesherrschaften initiierte oder geförderte – Sammlung und Publikation historisch-topografischer Informationsbestände eine Herausforderung mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Verteilung der thematischen Gewichte der in diesem Kontext beschriebenen Schauplätze. Nicht zuletzt Redaktionsprozesse spielten in diesem Zusammenhang eine Rolle, weshalb abschließend ein Blick hinter die oft trügerisch glatte historisch-topografische Fassade unternommen wird. Damit kommen kommunikative Praktiken der Wissensverarbeitung und Wissenskontrolle in den Blick, die ihrerseits von den Interessen beteiligter Akteure abhängen.

60 Schuster 1999, S. 159. 61 JOSEPH RITTER V. HAZZI: Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern. Aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde, 4 Bde. Nürnberg 1801-1807. 62 HILDEGARD LORENZ: Amtliche Statistik, in: Historisches Lexikon Bayerns. http://www. historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44809, Stand: 26.03.2009. 63 MOHAMMED RASSEM/JUSTIN STAGL: Einleitung, in: MOHAMMED RASSEM/JUSTIN STAGL (HG.): Geschichte der Staatsbeschreibung. Ausgewählte Quellentexte 1456-1813. Berlin 1994, S. 1–37.

E INEN O RT

BESCHREIBEN

Ň 29

Es galt der Gefahr vorzubeugen, so legen wiederholte Äußerungen der bayerischen Ständevertretung im Zuge der Vorbereitung der Historico topographica descriptio nahe, dass es zu einer „Dißreputation“ „bei auswertigen Provinzen“ komme.64 Dies ist ein deutlicher Hinweis auf die Bedingtheit und Rahmenbedingungen historischer Umweltwahrnehmung. Birgit Studt hat für eine sowohl kultur- als auch umwelthistorisch inspirierte Landes- und Landschaftsgeschichtsschreibung plädiert, die „die literarischen Konzepte für die menschliche Wahrnehmung von Landschaften sowie die kulturellen Praktiken erforscht, die auf das Land projiziert worden sind“ und die „diese Ergebnisse auf den konkreten Umgang des Menschen mit Land [...]“ abklopfe.65 Die vorliegende Studie versteht sich als Beitrag zur Bearbeitung dieses Desiderats.

64 Zit. nach: Knoll 2008, S. 60. 65 BIRGIT STUDT: In opere urbanissimo inlati ruris imitatio. Die Konstruktion von Landschaft als Thema der Landesgeschichte, in: WILFRIED EHBRECHT et al. (HG.): Der weite Blick des Historikers. Einsichten in Kultur-, Landes- und Stadtgeschichte. Köln u. a. 2002, S. 680–699, hier 698–699.

2. Grundlagen: Topografien des Sozionaturalen

2.1 W ELTBILDER : B EMERKUNGEN

ZUR

G ATTUNGSGESCHICHTE

Der englische Literaturwissenschaftler Jess Edwards hat in einem kritischen Kommentar zu den kartografiegeschichtlichen Forschungstrends des 20. Jahrhunderts die traditionelle Erzählung vom wissenschaftsgeschichtlichen Umbruchcharakter der Renaissance polemisch relativiert. Die Geschichte der modernen Geografie werde in dieser Erzählung als „Ablösung der Rhetorik durch die Wissenschaft, der individuellen Fertigkeit durch wiederholbare Technologie, der Hierarchien des Ortes durch den abstrakten Raum sowie generell des Besonderen durch das Universelle“ dargestellt.1 Kartografieren werde aber, so Edwards, bei Überschreiten einer bestimmten Schwelle nicht wirklich moderner, „so wenig wie Frankreich zwischen Calais und Paris französischer wird.“2 Auch Pauline Moffit Watts wendet sich gegen eine kartografiehistorische Dichotomisierung von ptolemaischer Kartografie versus mittelalterlicher Mappae mundi und eine Unterbelichtung der Kontinuitäten, gerade bei religiösen Karteninhalten.3

1

JESS EDWARDS: Wie liest man eine frühneuzeitliche Karte? Zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen, dem Materiellen und dem Abstrakten, Wörtern und Mathematik, in: JÜRG GLAUSER/CHRISTIAN KIENING (HG.): Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne (Rombach Wissenschaften/Reihe Litterae 105). Freiburg 2007, S. 95–130, hier 96. Zu Gattung und Gattungsgeschichte demnächst auch: MARTIN KNOLL: Topografien des Sozionaturalen: Siedlung, Territorium und Umwelt in der Historisch-Topografischen Literatur der Frühen Neuzeit (Beitrag zum Tagungsband des 13. Jahrestreffens des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung 2009, im Druck)

2

Edwards 2007, S. 97.

3

PAULINE MOFFITT WATTS: The European Religious Worldview and Its Influence on Mapping, in: DAVID WOODWARD/JOHN BRIAN HARLEY (HG.): The history of cartography, Bd. 3: Cartography in the European Renaissance. Chicago, London 2007, S. 382– 400, hier 382.

32 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

Die hier angemahnte Relativierung einer allzu linear verstandenen wissenschaftsgeschichtlichen Epochengrenze kann sich auch auf die Ergebnisse aus Hartmut Kuglers Beschäftigung mit mittelalterlichen Weltkarten stützen. Kugler verweist auf die „gewisse Elastizität gegenüber seefahrerischen Entdeckungen“, die bereits der Symbolstruktur mancher spätmittelalterlicher Mappa mundi innewohne. Dafür sorge der mit zahlreichen Inseln bestückte Ozeangürtel: „Besonders vor der afrikanischen Westküste ist der Orbisrand mit Fragezeichen versehen; die Semantik von Geschichtsziel und Weltende erscheint porös.“4 Zuletzt sei in diesem Zusammenhang auf David Woodward verwiesen, der in der anhaltenden textuellen Weltbeschreibung einen Beleg für Kontinuitäten zur mittelalterlichen Kartografie sieht.5 Auch und gerade weil Kartografiegeschichte, wie sich noch vielfach zeigen wird, von der Gattungsgeschichte historisch-topografischer Literatur nicht zu trennen ist, sollte man diese Zwischenrufe angesichts liebgewonnener Narrative im Gedächtnis behalten. Und doch gibt es gute Gründe dafür, den transitorischen Charakter der Frühen Neuzeit – auch in der Geo- und Topografiegeschichte – nicht vorschnell zu Grabe zu tragen. So attestieren Jürg Glauser und Christian Kiening der Frühen Neuzeit, sie habe eine für die jüngere kartografie- und topografiegeschichtliche Forschung besonders interessante Dynamik entwickelt. Als Stichworte werden der Medienwandel, die Entstehung einer an Geometrie als Leitwissenschaft orientierten Kartografie, die Gattungsgeschichte der Reiseberichte mit ihrer Formulierung einer theoretischen curiositas und schließlich die politische wie kulturelle Verhandlung von Territorien und deren Niederschlag in Karten und Texten benannt.6 Glauser und Kiening thematisieren ferner die europäische Expansion als Motor der kartografischen Entwicklung, den politisch-militärischen Kontext als wachsenden Anwendungsbereich und nicht zuletzt Karten „als repräsentatives Stück […] der Zurschaustellung eines Verfügenkönnens über die Welt“.7 Sie kennzeichnen den Untersuchungszeitraum als Experimentalphase, in der es zur „Erprobung kartographischer Schreibweisen“ ebenso gekommen sei wie zu einer neuartigen Wahrnehmung und 4

HARTMUT KUGLER: Himmelsrichtungen und Erdregionen auf mittelalterlichen Weltkarten, in: JÜRG GLAUSER/CHRISTIAN KIENING (HG.): Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne (Rombach Wissenschaften/Reihe Litterae 105). Freiburg 2007, S. 175– 199, hier 198–199.

5

DAVID WOODWARD: Cartography and the Renaissance. Continuity and Change, in: DAVID WOODWARD/JOHN BRIAN HARLEY (HG.): The history of cartography, Bd. 3: Cartography in the European Renaissance. Chicago, London 2007, S. 3–24, hier 7.

6

JÜRG GLAUSER/CHRISTIAN KIENING: Einleitung, in: JÜRG GLAUSER/CHRISTIAN KIENING (HG.): Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne (Rombach Wissenschaften/Reihe Litterae 105). Freiburg 2007, S. 11–35, hier 23–26.

7

Ebenda, S. 25–26.

T OPOGRAFIEN DES S OZIONATURALEN Ň 33

Imagination von Landschaft. Im Zuge dieser medialen Experimente der frühneuzeitlichen Kartographie sei es zu „Homogenisierungen des Raumes“ gekommen, „die gleichwohl temporale und narrative Momente im Kartenbild nicht ausschließen und an Inhomogenitäten des Wissens keinen Anstoß nehmen.“8 Zuletzt greifen Glauser und Kiening mit der humanistischen Rezeption antiker Autoren einen weiteren Aspekt auf, der von zentraler Bedeutung für die Entwicklung des geografischen Wissens und der geografischen Wissenschaft an der Schwelle zur Neuzeit ist. Nicht zufällig tritt Erasmus von Rotterdam (1466/691536), Theologe und Zentralfigur des nordalpinen Humanismus, als erster Editor der griechischen Ausgabe der bereits erwähnten Geographia des Ptolemaios auf und lobt Geografie als mathematische Disziplin von unvergleichlicher Attraktivität und Relevanz. Er preist Ptolemaios als einen derjenigen, die die Basis für ein klares Weltbild gelegt hätten, auf dem nun umgehend für neue Forschungen aufgebaut werden müsse.9 Klaudios Ptolemaios (ca. 100-170 n. Chr), der alexandrische Geograf, Mathematiker und Astronom, und Strabon (ca. 64 v. Chr.-20 n. Chr.), der griechische Geograf und Historiker, verkörpern prototypisch zwei unterschiedliche geografische Traditionen. Methodisch zeichnet die eine sich durch einen mathematisch-lokativen, die andere durch einen anthropozentrisch-deskriptiven Zugriff bei der Beschreibung der Welt aus.10 Klaudios Ptolemaios besitzt in den Augen des englischen Historikers Matthew McLean sowohl wegen seines eigenen originären Beitrags als auch wegen seiner Rezeption im 16. Jahrhundert entscheidende Bedeutung. Das Ptolemaische Geografiekonzept ist der mathematischen Tradition zuzuordnen.11 Seine Geographia leitet zur Datenerhebung über die Welt und zur Anwendung dieser Daten für die Konstruktion kartografischer Repräsentationen an. Sie enthält eine Liste mit 8000 Plätzen und deren Lokalisierung in Längen- und Breitengraden, sie erörtert verschiedene Methoden zur Erstellung von Projektionen der Welt und macht Vorschläge für die Aufteilung der Weltkarte in größere Regionalkarten. Umstritten ist, ob Ptolemaios selbst solche Karten umgesetzt hat. Der Berner Altphilologe und Ptolemaios-Forscher Florian Mittenhuber sieht dafür eine Fülle von Indizien.12 Methodisch kann der Einfluss Ptolemaios’ wohl kaum überschätzt werden, steht er doch für die planimetrische Projektion der Erdoberfläche, betonte die Bedeutung von Experiment und Beobachtung von Phänomenen (Empi8

Ebenda, S. 25.

9

Vogel 2006, S. 469.

10 McLean 2007, S. 46. 11 Ebenda, S. 48–50. 12 FLORIAN MITTENHUBER: Die Relation zwischen Text und Karten in der Geographie des Ptolemaios, in: JÜRG GLAUSER/CHRISTIAN KIENING (HG.): Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne (Rombach Wissenschaften/Reihe Litterae 105). Freiburg 2007, S. 71–93, hier 92f.

34 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

rismus) und mahnte zur Anwendung einer kritischen Perspektive gegenüber Berichten von Reisenden. Er spielte die Rolle eines wichtigen Impulsgebers.13 Numa Broc geht soweit, der Geographia des Ptolemaios den Status einer ‚Bibel‘ der Renaissance-Geografie zuzuweisen („La véritable ‚bible‘ géographique de la Renaissance a été la Géographie de Ptolémée [...].“)14 Auch Strabons Geographica postuliert eine mathematische Weltansicht.15 Dennoch steht dieser Autor für eine andere Tradition. Er bietet eine detaillierte deskriptive Übersicht über die bewohnte Welt und einen Abriss der Entwicklung des geografischen Wissens seit Homer. Strabon übernimmt geografische Basisdaten von Anderen; erst dann beginnt nach seiner Logik die eigentliche Aufgabe des Geografen. Strabons Weltbeschreibung basiert auf dem Vergleich und der kritischen Analyse von Vorgängertexten, um korrekte Informationen zu gewinnen. Er formuliert eine klare Arbeitsteilung: Der Geograf müsse sich auf die Geometer verlassen, die die Erde als Ganzes vermessen hätten, die Geometer müssten sich ihrerseits auf die Astronomen und diese sich auf die Arbeit der Physiker stützen. Die quantifizierende Lokalisierung sei zwar die erste Aufgabe des Geografen, Strabon erweitert diese Zuständigkeit aber auf die Registrierung von physischen Eigenschaften, von organischen und menschlichen Sachverhalten. Seine geografischen Relevanzkriterien orientieren sich an seinem historiografischen Werk. Geografie in Strabons Sinne ist eine dezidiert anthropozentrische Disziplin.16 Folgerichtig wird er im 16. Jahrhundert gleichermaßen als Geograf und Historiker wahrgenommen. McLean charakterisiert Strabons Geografie als „concrete rather than a mathematical or philosophical abstract, grounded in the human; peoples were a feature of the land, defining it the same way as mountains and rivers did, and that which was peculiar in their history and customs also afforded its character.“17 Er resümiert seine Gegenüberstellung beider Ansätze wie folgt: „Ptolemy’s geography is the world in its spatial nature: it is imitation and faithful copy, aspiring the greatest possible accuracy of detail and precision of execution. That of Strabo is a ‚study of man in space‘. The philosopher’s principles led him to produce a selective sketchmap of the human world, the oekomene. This was not an imitation of the physical world but a design, a subjective representation of it, intended to illuminate human reality, a complex of

13 Vgl. McLean 2007, S. 48–50; zu Ptolemaios’ Geographia vgl. auch J. LENNARD BERGREN/ALEXANDER JONES (HG.): Ptolemy’s Geography. Princeton, Oxford 2000. 14 NUMA BROC: La Géographie de la Renaissance (1420-1620). Paris 1980, S. 9. 15 GERALD STRAUSS: Sixteenth-Century Germany. Its Topography and Topographers. Madison (Wis.) 1959, S. 45–59. 16 McLean 2007, S. 50–54. 17 Ebenda, S. 52.

T OPOGRAFIEN DES S OZIONATURALEN Ň 35

natural environment, human interaction across time, and the providential forces which dispose of them to ultimately benign ends.“18

Sowohl Gerald Strauss, der bereits 1959 ein Standardwerk zur deutschen topografischen Literatur des 16. Jahrhunderts vorgelegt hat, als auch der in vieler Hinsicht in seiner Tradition stehende Matthew McLean schildern die humanistische Formationsphase des historisch-topografischen Genres als einen Prozess, der sich im Spannungsfeld beider Traditionen bewegt hat. Dementsprechend ist es kein Widerspruch, wenn humanistische Autoren wie Johannes Cochlaeus (1479-1552), Johann Rauw (gest. 1600) und Enea Silvio Piccolomini (1405-1464) ihren Werken geografisch-astronomische Einführungen gaben, im weit überwiegenden Teil ihrer Schriften aber wie Strabon anthropozentrisch-deskriptiv verfuhren.19 Was die Ptolemaios-Rezeption betrifft, bestand im nordalpinen Raum gegenüber Italien nur eine geringe Zeitverzögerung.20 Die ersten Drucke der Geographia wurden 1475 in Vicenza und 1478 in Bologna veröffentlicht; bereits 1482 erschien eine Ulmer Ausgabe.21 Doch die Koppelung von naturwissenschaftlicher und deskriptiver Geografie funktionierte dem Eindruck von Gerald Strauss zufolge nicht optimal. Selbst Sebastian Münster, der Ptolemaios edierte und geometrische Vermessungsreisen unternahm, war vor allem eines: ein enthusiastischer Erzähler.22 Folgerichtig verspricht der Volltitel seiner 1544 erstmals erschienenen Cosmographia eine Beschreibung „Aller völcker / Herrschaften / Stetten / und namhafftiger flecken / härkommen: Sitten / gebreuch / ordnung / glauben / secten / und hantierung / durch die gantze welt / und fürnemblich Teütscher nation.“23 Gegenständlich einte die deutschen Humanisten das nach dem Vorbild der Italia Illustrata Flavio Biondos (1388-1463) konzipierte Projekt einer Germania Illustrata, einer identitätsstiftenden Beschreibung Deutschlands. Konrad Celtis (14591508) hatte in seiner Ingolstädter Antrittsvorlesung 1492 über deutsche Gelehrte geklagt, die unreflektiert das Deutschlandbild antiker Schriftsteller24 samt deren stereotyp barbarenhafter Darstellung der Menschen übernähmen, ohne die Veränderungen (Trockenlegungen, Rodungen, das Entstehen berühmter Städte) wahrzu-

18 Ebenda, S. 65. 19 Strauss 1959, S. 47–48. 20 Diese Aussage gilt zumindest für die Zeit der drucktechnischen Diffusion. Der Florentiner Jacopo d’Angelo legte bereits 1406 die erste lateinische Übersetzung des Ptolemaios vor. Vogel 2006, S. 472. 21 Broc 1980, S. 10. 22 Strauss 1959, S. 48. 23 Münster 1545. 24 Die Germania des Tacitus war in der ersten Hälfte des 15. Jh. wiederentdeckt worden.

36 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

nehmen.25 Er wehrte sich gegen eine behauptete Überlegenheit der mediterranen Völker und gegen vermeintliche Lügen über Deutsche. Die mit dem von ihm initiierten Germania-Illustrata-Projekt beabsichtigte ethnische Selbstdefinition über die Beschäftigung mit Geografie – genauer: Chorografie – wurde stilprägend. Trotz des lauten Nationalismus der deutschen Humanisten blieb ihre Bezugsebene eine primär territoriale. Chorografische Literatur liefert regionale Beschreibungen; sogar die Cosmografien von Franck, Münster und Rauw sind Kompilationen aus regionalen Beschreibungen weit verstreuter Beiträger.26 Die Münchener Historikerin Susanne Friedrich hat aufgrund ihrer Forschungen im Rahmen des Münchener DFG-Sonderforschungsbereichs 573 „Pluralisierung und Autorität“ auf die vielfältigen gattungsgeschichtlichen Verflechtungen zwischen den humanistisch inspirierten landeskundlich-chorografischen Initiativen und den meist von fürstlichen Landesherren initiierten „Landeserfassungen“ – und damit den Prozessen von Staatsbildung und Verwaltungsausbau – hingewiesen: „Die verschiedenen Impulse für frühneuzeitliche Landeserfassungen lassen sich weder hierarchisieren noch in einen klaren zeitlichen Ablauf bringen. Vielmehr überlagern sich Regierungs- und Verwaltungspraxis, humanistisch inspirierte Initiativen und fürstliches Repräsentationsbedürfnis mit einem langsamen Wandel der Regierungsideale zu je spezifischen Konstellationen.“27

Friedrich nennt in diesem Zusammenhang die Prozesse von Residenzbildung und Verwaltungszentralisierung, die Zunahme grafischer Repräsentation von Territorien in Amtsschriftgut (z. B. Skizzen zu Grenzbeschreibungen) und die Betonung der Notwendigkeit geografischer Informiertheit als Basis des Regierungshandelns, formuliert etwa durch Hermann Conring (1606-1681).28 Sie sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem Germania-Illustrata-Projekt und der ersten landesherrlich veranlassten kartografischen Landeserfassung, dem vor 1514 erlassenen Auftrag Maximilians I. (1459-1519) an Johannes Stabius (gest. 1522) zur Erstellung einer Karte von Österreich. Zwar relativiert Friedrich Sebastian Münsters Klage über mangelnde Unterstützung durch die Herrscher unter Hinweis auf Münsters gut ausgebautes Kooperationsnetzwerk, das sich durchaus landesherrlicher Unterstützung erfreute. Doch weist sie auf einen fundamentalen Interessenkonflikt zwischen Chorografen und ihren landesherrlichen Auftraggebern hin, der das Ende der Hochphase humanistischer Chorografie eingeläutet habe. War gerade die Veröffentlichung geografischen Wissens Teil des humanistischen Bildungsprogramms, wollten 25 McLean 2007, S. 89–90. 26 Strauss 1959, S. 60. 27 Friedrich 2008, S. 308. 28 Ebenda, S. 308–313.

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die Territorialherren die erhobene Information geheim halten und witterten Geheimnisverrat.29 So scheiterte die 1532 von Peter Apian geplante Vermessung Sachsens am Veto Kurfürst Johann Friedrichs (1503-1554), der der erhobenen Information eine derartige Qualität beimaß, dass er sich nicht vorstellen konnte, sie auch nur seinen Räten anzuvertrauen; und der Mainzer Kurfürst Erzbischof Daniel Brendel von Homburg (1555-1582) gab dem Kartografen Gottfried Mascop bei seiner Bestallung mit auf den Weg, er solle alles, was „er auch also im augenschein zu buch oder mappen bringen oder sonst in unserm ertzstifft in geheimbnus finden oder erfarn wurdet, […] biß in die gruben verschweigen unnd niemandtes offenbarn, auch niemandtes copien, extracten und, wie dan solchs nham haben kan, noch schrifftlich, noch mundlich offenbarenn oder mietheilen.“30 Als spannungsreich kann die Formationsphase des neuzeitlichen topografischen Beschreibens auch bezeichnet werden, weil ihre Dynamik von einer ständigen gegenseitigen Re-Evaluation unterschiedlicher Wissensbestände (schriftliche Tradition versus ‚Erfahrenes‘) geprägt war. Will man diesen Mechanismus etwas holzschnittartig auf die Seefahrten des Christoph Columbus (1451-1506) zuspitzen, ergibt sich folgendes Bild: Columbus besaß die Geographia des Ptolemaios und setzte sich intensiv mit dem dort dokumentierten geografischen Wissen auseinander.31 Andererseits trug er selbst durch seine eigenen Reisen zur Überarbeitung der Ptolemaischen Weltkarte bei – mit zeitnahem Niederschlag z. B. in der Kartografie Martin Waldseemüllers (um 1470-1520).32 Freilich ist der Diffusionsprozess des durch die Entdeckungsreisen generierten geografischen Wissens beileibe nicht an das Medium Karte gebunden, man denke an den sogenannten Columbus-Brief, der 1497 in einer ersten deutschen Übersetzung vorlag, oder an die publizistisch erfolgreichen Berichte Amerigo Vespuccis (um 1452-1512). Im Mundus novus, einer ab 1503 publizierten Bearbeitung der Vespucci-Briefe, kommt es dem Eindruck Kienings zufolge zu einer geradezu systematisch anmutenden Verschränkung von Erfahrung und Vermessung.33 Der Text ist dreigegliedert in einen Bericht über die Schwierigkeiten der Überfahrt, in eine Beschreibung des Landes, der Sitten und des Aussehens der Eingeborenen sowie in eine Cosmographia, eine Dokumentation von Himmelsbeobachtungen und geometrischen Bestimmungen zur Positionierung der

29 Ebenda, S. 311–313. 30 Ebenda, S. 313, Anm. 53; Reversbrief Gottfried Mascops vom 3. Mai 1575 anlässlich seiner Bestallung durch den Kurfürst Erzbischof Daniel Brendel von Homburg, zit. nach GOTTFRIED KNEIB: Der Kurmainzer Kartograph Gottfried Mascop, in: Mainzer Zeitschrift 87/88 (1992/1993 [1995]), S. 209–268, hier 213. 31 Mittenhuber 2007, S. 69. 32 Vogel 2006, S. 476–480. 33 Kiening 2007, S. 231.

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Neuen Welt.34 Vespucci betont die eigene Erfahrung in Abgrenzung zum tradierten Wissen, oder – in den Worten Kienings – „Die Empirie widerlegt die Tradition. Zugleich dient sie als Mittel zur Nobilitierung des eigenen Berichts.“35 Die Berufung auf die eigene Wahrnehmung und auf den eigenen naturwissenschaftlichkosmografischen Ansatz schafft die nötige narrative Autorität, ein „Passepartout“ für eine durchaus am Exotischen und Sensationellen orientierte Beschreibung der Bewohner und Lebensräume der Neuen Welt (Körper, Bekleidung, Sozialwesen, Religion, Kannibalismus, Klima, Fauna, Flora).36 Für Kiening liegt der Erfolg Vespuccis in „der geschickten Kombination von gelehrter Selbststilisierung, aspektreicher Literarisierung und ethnographischer wie kosmographischer ‚Faktenpräsentation‘“ begründet.37 Auch in der wissenschaftlichen Publizistik bestand Anschlussfähigkeit zwischen tradiertem und neuem, geometrisch-lokativem und anthropozentrisch-deskriptivem Wissen. So wurde im lothringischen St. Dié eine unter maßgeblichem Einfluss Martin Waldseemüllers konzipierte Cosmopgraphica introductio als Begleitwerk zu den neuen Weltkarten konzipiert und 1507 veröffentlicht, das sowohl eine geometrisch-kosmografische Einführung als auch die lateinische Version einer Vespucci-Kompilation beinhaltete.38 „In der Cosmographiae introductio steht beides, die Universalität der Verfahren der Weltberechnung und –vermessung und die Singularität der Erfahrung des Reisenden, nebeneinander.“39 Auch André Thevet (1516/17-1592) ist in der Reihe der Autoren zu erwähnen, die ihre geografisch-ethnografischen Erzählungen durch die Autorität eigener Erfahrung auf ausgedehnten Reisen beglaubigten.40 Inhaltlich lieferte der am französischen Hof unter Katharina von Medici (1519-1589) aktive Kleriker und Leiter der Curiosités royals in Fontainebleau freilich durchaus Angreifbares. Er unternahm weite Reisen in Europa und Nordafrika und war Teilnehmer einer Brasilienexpedition. Als solcher publizierte er eines der ersten französischsprachigen Bücher über die Neue Welt, Les singularitez de la France antarctique (1557). Das Buch ist gekennzeichnet von der Vorliebe seines Autors für eine schillernd reichhaltige, aber nur bedingt verlässliche deskriptiv-narrative Methode. Sein Opus magnum bildete die Cosmographie Universelle (Paris 1575), die 200 Holzschnitte enthält, davon 35 Karten. Ein weiteres Projekt Thevets, Grand Insulaire et Pilotage (1586), wurde 34 Ebenda. 35 Ebenda, S. 232. 36 Ebenda; vgl. ANNEROSE MENNINGER: Wie die Alte Welt in die Neue kam. Zur Rekonstruktion der Kannibalenkonzepte in den frühesten Reiseberichten über Amerika, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 58 (2007), S. 90–104. 37 Kiening 2007, S. 235. 38 Ebenda, S. 236. 39 Ebenda, S. 237. 40 McLean 2007, S. 119–123.

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nur teilweise realisiert. Es handelt sich dabei um 1200 Manuskriptseiten über Schifffahrtsdestinationen, Inselbeschreibungen, Ressourcen, Flora und Fauna. Thevet beansprucht Autorität aus eigener Anschauung, wird aber bereits von Zeitgenossen kritisiert. Allzu frei assoziativ ist die Anordnung der Stoffe, allzu phantasiereich wird fabuliert, zu groß sind die Probleme mit der Faktentreue. Zudem trägt seine Weltbeschreibung offensichtliche Züge einer politischen Geografie in Diensten der französischen Krone. Mit Stephen Greenblatt charakterisiert McLean: „He practised a ‚rhetorically heightened plagiarism‘, in which ‚eye-witness testimony, for all its vaunted importance sits as a very small edifice atop a mountain of hearsay, rumour, convention and endlessly recycled fable‘.“41 Dass Thevet auch Kritik dafür erfuhr, dass er eine tendenziell dechristianisierte Geografie entwarf, die auch nicht davor zurückschreckte, die Heilige Schrift zu korrigieren, verweist auf einen weiteren Aspekt des spannungsreichen Gefüges, in dem sich die neuzeitliche topografische Literatur ausbildete. Nicht alle Zeitgenossen der Jahrhundertwende um 1500 waren mit einer Rationalisierung im Sinne der Aufwertung von Erfahrung und Vermessung einverstanden.42 Der „konservative Humanist“43 Sebastian Brant (1457/58-1521) übte im 66. Kapitel „von erfarung aller land“ seiner 1494 in Basel erstmals publizierten Moralsatire Das Narrenschiff44 Kritik sowohl am rastlosen Erwerb von Erfahrung durch Reisetätigkeit als auch am mathematisch-vermessenden Erfassen der Welt.45 Beides verharre an der Oberfläche, verhindere tiefere Einsicht in die wirklich wichtigen Dinge und Selbsterkenntnis.46 Damit reflektiert Brant die scholastische Skepsis gegenüber der äußeren Erkenntnis der Erde, wie sie bereits durch Augustinus eindringlich formuliert worden war. Hatte schon Platon die Sinneswahrnehmung desjenigen, der sich nur an den 41 Ebenda, S. 122. 42 Wie Lorraine Daston zeigen kann, war die vielbeschworene ‚Emanzipation der wissenschaftlichen Neugier‘ in der frühen Neuzeit alles andere als ein eindimensionaler, teleologisch zu beschreibender Fortschrittsprozess. Vgl. LORRAINE DASTON: Die Lust an der Neugier in der frühneuzeitlichen Wissenschaft, in: KLAUS KRÜGER/LORRAINE DASTON (HG.): Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 15). Göttingen 2002, S. 147– 175. 43 WILIAM GILBERT: Sebastian Brant. Conservative Humanist, in: Archiv für Reformationsgeschichte 46 (1955), S. 145–167, hier 145. 44 SEBASTIAN BRANT: Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben herausgegeben von Manfred Lemmer (Neudrucke deutscher Literaturwerke Neue Folge 5). 3. Aufl., Tübingen 1986, S. 165–169. 45 Kiening 2007, S. 221–225; vgl. Strauss 1959, S. 46. 46 Brant 1494, S. 168/111–169/132.

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Sinnendingen ergötzt, als ‚vernunftlos‘ charakterisiert, ging Augustinus noch einen Schritt weiter. Aus der Angst, dass „die sinnliche Zuwendung zu den irdischen Signifikanten die Aufmerksamkeit vom überirdischen Signifikat abzieht,“ verurteilte er die cupiditas vivendi oder auch concupiscentia oculorum und wollte „den Dingen der natürlichen Welt lediglich eine Rolle als flüchtiger Anreger zur Gotteserkenntnis zugestehen.“47 Brant versucht, durch eine Auflistung prominenter Beispiele der Vorläufigkeit geografischer Erkenntnis (Ptolemaios, Strabon, Plinius) die grundsätzliche Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit zu verdeutlichen. Die menschliche Vernunft irre in dem Glauben, alles vermessen und berechnen zu können.48 Mathew McLean weist auf die sehr selektive Überführung antiken geografischen Wissens in das christlich-mittelalterliche Weltbild vor allem durch die Kirchenväter hin.49 Justin Stagl kennzeichnet das christliche Mittelalter als Periode, in der zunächst die Kirche Träger einer universalen Orientierung und Schriftlichkeit gewesen sei, diese Kompetenzen aber strikt nach außen abgeschirmt habe. „Freie intellektuelle Neugier galt als sündig, war zumindest verdächtig. So konnte das höhere Geistesleben bis ins 12. Jahrhundert fast völlig in den Bahnen des christlichen Weltbildes gehalten werden. Theoretisches und empirisches Wissen wurden wiederum auseinander gehalten.“50 Rivka Feldhay geht in diesem Zusammenhang von der Etablierung kultureller Mechanismen aus, die der Kontrolle und Einhegung von Wissensbeständen dienten und die verhinderten, dass diese Wissensbestände das christliche Weltbild aushöhlen oder in Widerspruch zu ihm geraten konnten.51 McLean vertritt aber auch die These, dass es sich beim Weltbild des christlichen Mittelalters um ein inhaltlich kohärentes und emotional befriedigendes Konstrukt gehandelt habe, der Ablösungsprozess durch das neuzeitliche wissenschaftlichrationale Weltbild mithin fast zwangsläufig die Gestalt eines zähen Ringens haben musste.52 Die Ambivalenz eines antigeografischen Affekts gerade aus der Feder Sebastian Brants liegt in dem Umstand begründet, dass er selbst sich der Konjunktur des Genres nicht entziehen konnte oder wollte und als topografischer Autor auf47 RUTH GROH: Van Eycks Rolin-Madonna als Antwort auf die Krise des mittelalterlichen Universalismus. Eine naturästhetische Betrachtung, in: ROLF PETER SIEFERLE/HELGA BREUNINGER (HG.): Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte. Frankfurt a. M. 1999, S. 255–277, hier 258. 48 Brant 1494, S. 166/37–167/68. 49 McLean 2007, S. 67–68. 50 Stagl 2002, S. 66. 51 RIVKA FELDHAY: Religion, in: KATHARINE PARK/LORRAINE DASTON (HG.): Early Modern Science (The Cambridge History of Science 3). Cambridge 2006, S. 727–755, hier 731. 52 McLean 2007, S. 67.

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trat.53 Er legte eine Deutschlandbeschreibung vor, die sich weitgehend auf das Rheintal konzentrierte.54 Auch der Donauraum ist kurz vertreten. Die schillernde Vielfalt der hier erörterten Formationsphase topografischer Literatur bewirkt eine gewisse Schwierigkeit der klaren gattungsmäßigen Abgrenzung. Wolfgang Behringer ordnet etwa Münsters Cosmographia und Breidenbachs Peregrinatio, mithin ein dem eigenen Anspruch nach kosmografisches Werk, und einen Reisebericht dem von ihm untersuchten Typus der Städtebücher zu, was durch das angesetzte Kriterium der in diesen Werken vorliegenden Repräsentation europäischer Städte-Ikonografie durchaus gerechtfertigt erscheint.55 Behringer weist darauf hin, dass Georg Braun (1542-1622), der gemeinsam mit Frans Hogenberg (um 1538-1590) im Jahre 1572 das Städtebuch der Civitates Orbis Terrarum vorlegte, dieses als Ergänzung zum 1550 erschienenen epochalen Kartenwerk des Theatrum Orbis Terrarum von Abraham Ortelius (1527-1598) verstand, an dem Hogenberg mitgewirkt hatte. Die Entwicklung der Atlantenproduktion – Ortelius’ Atlas gilt als der erste Weltatlas56 – habe mithin zur „endgültigen Verselbständi53 Strauss 1959, S. 65–67. 54 SEBASTIAN BRANT: Beschreibung etlicher Gelegenheit Teutschen lands an wasser, berg, stetten, und grentzen, mit anzeygung der meilen und strassen von statt zu statt. Herausgegeben von Caspar Hedio als Anhang zu seiner ‚Ein auserleßne Chronick‘. Straßburg 1539. 55 Vgl. WOLFGANG BEHRINGER: Die großen Städtebücher und ihre Voraussetzungen, in: WOLFGANG BEHRINGER/BERND ROECK (HG.): Das Bild der Stadt in der Neuzeit. 14001800. München 1999, S. 81–93. 56 Diese landläufige Kategorisierung wird in der kartografiehistorischen Forschung eher relativiert bzw. differenziert. Cornelis Koeman und seine Co-Autoren definieren Atlanten als in gebundener Form publizierte Sammlungen gedruckter, inhaltlich, formal und hinsichtlich ihrer Größe standardisierter Landkarten, die durch textuelle Informationsbestände ergänzt werden. CORNELIS KOEMAN/GÜNTER SCHILDER/MARCO VAN EGMOND/PETER VAN DER

KROGT: Commercial Cartography and Map Production in the Low Coun-

tries, 1500-ca.1672, in: DAVID WOODWARD/JOHN BRIAN HARLEY (HG.): The history of cartography, Bd. 3: Cartography in the European Renaissance. Chicago, London 2007, S. 1296–1383, hier 1318. Peter H. Meurer geht davon aus, dass – egal wie eng oder breit man die Gattung der Atlanten definiere – das Theatrum „weder der erste Atlas überhaupt noch der erste gedruckte Atlas noch der erste Weltatlas“ gewesen sei, PETER H. MEURER: Fontes cartographici Orteliani. Das „Theatrum orbis terrarum“ von Abraham Ortelius und seine Kartenquellen. Weinheim 1991, S. 1; ähnlich: R. A. SKELTON: Bibliographical Note, in: ABRAHAM ORTELIUS: Theatrum Orbis Terrarum. With an Introduction by R. A. Skelton (Theatrum Orbis Terrarum series of facsimile atlases, 1st ser. 3). Antwerpen 1570 [ND: Amsterdam 1964], S. V–XI, hier V. Meurer präzisiert daher und kennzeichnet das Theatrum als „das erste‚ eigenständig erschienene, systematisch und weltweit ange-

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gung der Städtebücher von der Erdbeschreibung beigetragen [...].“57 Zugegeben, die atemberaubende Zunahme an Bildlichkeit des Genres bis hin zu Merians quantitativ und qualitativ einzigartigen Topografien ist zuvorderst den Städten gewidmet.58 Und doch sind Merians Topografien in Text und Bild gleichermaßen auch außerurbanen Schauplätzen verpflichtet. In noch stärkerem Maße gilt dies für die später erschienenen Regional- bzw. Territorialtopografien, etwa Vischers Stichfolgen zu Österreich, die schon angesprochene Historico topographica descriptio Wenings oder Erich Philipp Ploennies’ (1672-1751) Topographia Ducatus Montani59. Dass eine strenge Abgrenzung des historisch-topografischen Genres hin zur Stadtbeschreibung und Stadtinszenierung des Städtelobs ebenso wenig tunlich oder möglich ist wie ein Ignorieren von dessen rhetorisch-formaler Tradition, wird nielegte Druckwerk, dessen bewußter quantitativer und thematischer Hauptinhalt geographische Karten sind.“ Meurer 1991, S. 1. 57 Behringer 1999, S. 84–85. 58 Matthaeus Merian d. Ä. selbst bezeichnet sein Topografieprojekt sowohl als „Stettbuch“ als auch als „Topographia“ bzw. „Topographiis“. MATTHAEUS MERIAN DER ÄLTERE: Brief an Peter Knaudt (in Köthen), Frankfurt, 5. September 1645, in: LUCAS HEINRICH WÜTHRICH (HG.): Matthaeus Merian der Ältere. Briefe und Widmungen. Hamburg 2009, S. 90–93, hier 90; MATTHAEUS MERIAN DER ÄLTERE: Brief an Peter Knaudt (in Köthen), Frankfurt, 3. März 1646, in: LUCAS HEINRICH WÜTHRICH (HG.): Matthaeus Merian der Ältere. Briefe und Widmungen. Hamburg 2009, S. 106–109, hier 106. In der Vorrede zum ersten Band der Topographia Germaniae erklärt er seinen topografischen, d. h. über die bisherigen Städtebücher hinausweisenden Anspruch so: „Weiln die vorhin außgangene Stätt-Bücher entweder nicht ordentlich verfast seyn; oder wenig abgebildete Teutsche Orth in solchen zu finden; Theils auch bey diesem Krieg seydhero vil ein andere Gestalt bekommen/ auch theils viel mehrers fortificirt worden seyn. Und damit ein desto grösserer Nutz davon geschöpfft werden/ und man nicht allein die Augen/ sondern auch die Ohren damit ergötzen/ und befriedigen möchte/ so habe ich einen/ der Teutschen Sachen/ und Historien Liebhabern/ erbetten/ GOTT zu Lob/ unnd dem Vatterland zu Ehren und Dienste/ die Mühewaltung auff sich zu nehmen/ und alle die Stätt unnd Stättlein/ so viel ihme noch zur Zeit wissend/ und zu erfahren gewesen/ durch das gantze Teutschland/ kürtzlich/ damit das Werk nicht zu groß würde/ zu beschreiben/ und auch etlich andere fürnehme/ und sonderlich in diesem Krieg mehrers bekandt wordene Ort/ Bäder und dergleichen/ mit einzubringen/ damit solches Opus unter dem Namen nicht nur eines StättBuchs / sondern einer Orth-Beschreibung/ oder Topographiae, nicht zwar universalis, sondern particularis, herfür kommen/ und etlich hundert mehr Teutsche Stätt/ etc. als in denen biß daher außgangenen Stättbüchern/ oder Theatris Vrbium, beschehen/ allhie eingebracht werden möchten.“ Merian der Ältere 1654, S. 8. 59 ERICH PHILIPP PLOENNIES: Topographia Ducatus Montani (1715) (Bergische Forschungen 20). Neustadt/Aisch 1988.

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mand bestreiten. Laus und descriptio, so der Hinweis von Klaus Arnold, seien „von alters her kaum zu trennen“.60 Die Feststellung, dass „Lob nicht mit einem schönfärberischen Idealbild und Beschreibung nicht mit der ungeschminkten Wirklichkeit gleichzusetzen“ sei, führe zu der „für den Historiker letztlich entscheidenden Frage nach der Realität und nach dem Quellenwert dieser poetischen Gattung für die Stadtgeschichte.“61 Die formale Tradition des Städtelobs leitet sich aus der antiken Rhetorik ab. Ein Formular epideiktischer Rede des Rhetoren Menander aus dem dritten Jahrhundert benennt als zu berücksichtigende Themen bzw. Topoi die Lage der Stadt in der Landschaft, ihren Ursprung, ihre Verfassung, Institutionen, Handwerke und Gewerbe sowie „das Verhalten der Bürger (im einzelnen und insgesamt)“.62 Hans-Joachim Jakob sieht wegen der erst später einsetzenden MenanderRezeption für das mittelalterliche Städtelob Quintilian (35-um 96) als maßgebliche Folie.63 Quintilians rhetorisches Standardwerk Institutio oratoria gibt folgende Anleitung: „Städte lobt man ähnlich wie Menschen. Denn an die Stelle des Vaters tritt der Gründer; viel zum Ansehen trägt das Alter bei, wenn man etwa sagt, die Bewohner seien der Erde entsprossen. Auch Tugenden und Laster in ihren Leistungen seien der Erde entsprossen. Eigentümlich ist hier nur, was zur Lage und Befestigung des Platzes gehört. Die Bürger sind ebenso der Stolz der Städte wie die Kinder der Menschen. Auch Lobreden auf öffentliche Bauten gibt es, in denen gewöhnlich Ehre, Nutzen und Schönheit den Blickpunkt bilden. Ehre z. B. bei den Tempeln, Nutzen bei Mauern, Schönheit oder Erbauer in jedem dieser Fälle. Auch Gegenden finden Lobreden, etwa Sizilien bei Cicero, in denen wir entsprechend auf Aussehen und Nutzen blicken. Das Aussehen erscheint als Lage am Meer, in ebenem Gelände oder lieblicher Landschaft; der Nutzen in der gesunden Lage und Fruchtbarkeit.“64

Julius Caesar Scaliger (1484-1558) repräsentiert das neuzeitliche Anknüpfen an die poetisch-formale Gattungstradition. Im dritten Buch seiner Poetices libri septem (1561), dem Hans-Joachim Jakob beträchtlichen Einfluss auf die deutsche Barockpoetik zuschreibt, ist das 120. Kapitel dem Städtelob gewidmet.65 Scaliger exempli-

60 Arnold 2000, S. 250. 61 Ebenda. 62 Ebenda, S. 250–251. 63 HANS-JOACHIM JAKOB: Topographia Westphalicae. Grimmelshausens Westfalen in Landschaftsdarstellungen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: PETER HEßELMANN (HG.): Grimmelshausen und Simplicissimus in Westfalen (Beihefte zu Simpliciana 2). Bern 2006, S. 75–92, hier 82–83. 64 Zit. nach: Ebenda, S. 83. 65 Ebenda.

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fiziert die Anwendung des rhetorischen Formulars am Beispiel seiner Heimatstadt Verona: „Wenn man unsere Mutterstadt Verona betrachtet, wird man sie nicht nur lobens-, sondern auch bewundernswert finden. Die Landschaft ist erfreulich, günstig gelegen, der Schlüssel zu Italien. Die Lage der Stadt ist so beschaffen wie die keiner anderen auf dem ganzen Erdkreis. Welchen Fluß kann man finden, der, verglichen mit der Etsch, eine Stadt dieses Ausmaßes in der Mitte teile? Ihre Brücken sind mit den römischen vergleichbar. Sie liegt in der Ebene, sie liegt im Gebirge – aber so, daß sie über den Berg herrscht, nicht aber der Berg über sie. Sie besitzt drei Burgen, und wenn man eine Zitadelle hinzuzählt, sogar vier. Im Inneren sind Brunnen, gespeist von antiken Wasserleitungen. Ferner gibt es ein Theater, ein Amphitheater, einen Triumphbogen und andere hochberühmte Bauwerke. Was soll ich von den Bürgern sagen? Soll man etwa glauben, man könne die Niederträchtigkeiten und Betrügereien der Genueser, die sich um des Gewinns willen der Hölle verschreiben, mit den Fähigkeiten der Veroneser vergleichen, die die gelehrtesten, streitbarsten und in allen Künsten geschicktesten Menschen sind?“66

Wolfgang Lazius (1514-1565), Verfasser der für die Gattungsgeschichte Wiener Topografien prototypischen Chronik Vienna Austriae (1547),67 reflektierte die Abgrenzung von oratio und descriptio als methodisches Problem für sein eigenes Vorgehen. In der an den Bürgermeister und an den Rat Wiens gerichteten Vorrede knüpft auch er an die antike Rhetorik, genauer an Ciceros Reflexionen zum Verhältnis zwischen Oration und Wahrheit, an.68 Er argumentiert dabei differenziert, zieht aber eine eindeutige Linie, für die er um das Verständnis der Widmungsempfänger wirbt. Gerade seine Verbundenheit und Ehrerbietung der städtischen Obrigkeit gegenüber verbiete es ihm, längere Oration oder größeres Lob anzuhäufen. Stattdessen wolle er die Stadt „mit einfältigen und deutlichen Worten“ beschreiben.69 Er vertraut darauf, dass gerade die Klarheit und Wahrhaftigkeit seiner Kommentare der Stadt zum Lob gereichen. 66 Zit. nach: Ebenda. 67 Vgl. KAI KAUFFMANN: „Es ist nur ein Wien!“: Stadtbeschreibungen von Wien 1700 bis 1873. Geschichte eines literarischen Genres der Wiener Publizistik (Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur 29). Wien 1994, S. 46–48. 68 WOLFGANG LAZIUS/HEINRICH ABERMANN: Historische Beschreibung der weitberümbten, Kayserlichen Hauptstatt Wienn in Österreich, darin derselben vrsprung Adel, Obrigkait vnd geschlächter außführlich erklärt werden 1619. http://digi.ub.uni-heidel berg.de/diglit/drwlazius1619, Stand: 27.05.2011, S. 24–27. 69 Zitiert nach der Übersetzung Heinrich Abermanns aus dem Jahre 1619: „Als ich nun diesen Orth Ciceronis in frischer Gedächtnuß hätte / und zumahl mir etliche / zwar mit der Warhait bestättigte und gegründte / auch Ewer Vest und Herrligkait [//] gemässe

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Für Klaus Arnold ergeben sich aus der in der Gattungstradition des Städtelobs angelegten Rhetorik fünf quellenkritisch-perspektivische Fragen: erstens, „ob das einzelne Werk über die angestrebte panegyrische Wirkung und normative Tendenz hinaus die Wirklichkeit der Stadt – oder zum wenigsten doch einen Teil der Wirklichkeit vermittelt;“ zweitens, „ob der vorliegende Text sich von literarischen Gemeinplätzen zu lösen und die Einzigartigkeit einer Stadt und ihres Wesens zu erfassen vermag;“ drittens, „ob neben der dichterischen Qualität des Städtelobs auch die Schilderung politischer, wirtschaftlicher sozialer und kultureller Tatbestände zum Tragen kommt;“ viertens, „ob den möglichen Auftraggebern und den Adressaten im und neben dem Städtelob auch Stadtkritik entgegentritt;“ und fünftens, „ob in einem Text dieser Gattung auch etwas vom ‚Selbstverständnis‘ des Gemeinwesens oder der städtischen Gesellschaft erkennbar wird.“70 Während die Relevanz dieser Kriterien für die quellenkritische Auseinandersetzung mit dem Städtelob kaum zu bestreiten ist, verlangt Arnolds Gattungscharakteristik punktuell nach Differenzierung. „Selten, fast nie“, seien Städtelob und Stadtbeschreibung Teil der städtischen Geschichtsschreibung gewesen.71 Laudatio und descriptio, so seine Einschätzung, „beschreiben den gegebenen Zustand einer Stadt ‚synchron‘. Der diachronen Schilderung der Ereignisse gegenüber bedeuteten sie einen statischen Zustand: Städtelob und Stadtbeschreibung gleichen einer Stadtvedute des 16. oder 17. Jahrhunderts, die das Erscheinungsbild einer Stadt festzuhalten sucht. Jedoch sind die Gattungen komplementär: Geschichtsschreibung kann den Zustand ebenso erläutern wie eine Zustandsbeschreibung die Geschichte.“72 Die von Arnold selbst hier mit dem Hinweis auf die Komplementarität der GattunGedancken schöpffete / Hab ich mich auff das sonderlich befliessen / damit ich nit darfür gehalten würde / als solte ich mehr Schreiben oder Reden / als der Glaub der Geschichten zugibt: oder als wolte ich das Lob ewerer Stadt bey andern mehrer erheben / als entweder die Sach an ihr selbsten erforderte / oder in sich hielte: Dann ewer Verdienst / welche gegen mir sehr groß seindt / und meine Observantz auch Ehr erbiettung gegen einem jedtweder ewers Hohen Standes / haben nit zugeben / daß ich ein längere Oration, oder ein grösseres Lob zusammen häuffte / sondern mich verursacht / daß ich diesen Rath desto lieber angenommen und ime gefolgt / auch entlichen dem Wind den Segel vertrawet / und also angefangen habe zu Schieffen: Deßwegen / welches sonsten viel pflegen zu thuen / die man darfür helt / als wolten sie in ihren Schrifften schmaichlen / haben wir auch diesen Argwohn zuvor ablainen / unnd zumahlen des Lesers Gemüth erkündigen wöllen / damit männiglich spüren und sehen möchte / wie warhafftig und klar ich in diesen meinen Commentarien geschrieben / was zu ewerer / Ja unserer Stadt Wienn Lob und Commendation geraichen solte. […]“ Ebenda. 70 Arnold 2000, S. 251. 71 Ebenda, S. 252. 72 Ebenda.

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gen wieder etwas abgemilderte Apodiktik der Feststellung erweist sich in vielen Beispielen der historisch-topografischen Literatur als nicht zwingend. Ohnehin kommt es, will man etwa der modernisierungstheoretisch inspirierten Sicht Kai Kauffmanns auf die Gattungsgeschichte am Wiener Beispiel folgen, erst im 18. Jahrhundert zu einer „Aktualisierung“ und zu einem Bedeutungsverlust des Historischen in der topografischen Beschreibung.73 Die Arnoldsche Festlegung von Beschreibung und Grafik auf Synchronizität muss sich an den methodischen Reflexionen in der bereits oben zitierten Vienna Austriae des Wolfgang Lazius messen lassen. Lazius lässt hier gerade deshalb aufhorchen, weil er den narrativen Umgang mit der Dimension des Historischen in der Topografie mit der Malerei vergleicht. Er wolle, so Lazius einleitend zum Kapitel über das Alter der Stadt Wien, ehe er etwas Gewisses über die Stadt berichte, von ihrem Alter erzählen „unnd hierinnen den Mahlern nachfolgen / welche erstlich die Bildtnussen der gantzen Sachen abreissen und Formirn / hernacher von dem Schatten zu dem Leib selber kommen / und so schön als sie können Illuminirn und außstreichen.“74 Das Bild von der gattungsgeschichtlichen Konstellation gestaltet sich noch komplexer, wenn man sich die vielfältigen Bezüge zwischen Topografik und Reiseliteratur im weitesten Sinne vergegenwärtigt. Justin Stagl analysiert den Prozess, in dessen Zuge sich die reisetheoretische, sog. apodemische Literatur herausbildete. Einmal mehr wird hier die Rolle des Humanismus betont. Es komme zur Neukonzeption des Reiseberichts hin zu einer „vielseitigen, für unterschiedliche Erfahrungen offenen“ Sachprosa. Reiseberichte boten „wie etwa auch die Geschichtsschreibung, Fakten in loser Aneinanderreihung – eben als historia – dar. Immerhin aber befanden sich damit die Verfasser von Reiseberichten im Vorhof der Wissenschaft. Indem sie Neues mit schon Bekanntem zusammenführten, arbeiteten sie der Eingliederung von Erfahrungswissen in den Bereich systematischen, gesicherten Wissens – scientia – vor.“75 Sowohl in den Beglaubigungsstrategien (Berufung auf antike Autoren) als auch im inhaltlichen Rückgriff auf antike Reiseberichte, Geografen und Ethnografen (bzw. der Edition von deren Werken) und in der Wiederbelebung der antiken Reisedichtung (Konrad Celtis, Hodoeporica (1502)) werden durch die humanistischen Autoren antike Wissensbestände mit Erfahrungswissen kombiniert.76 Stagl stellt die Entwicklung der Reiseliteratur in den Kontext humanistischer Bestrebungen zur Reform der Reisepraxis, die Reisenden Sicherheit gegenüber Unbekanntem geben, ihre Aufmerksamkeit vom Trivialen auf das Wissens- und Sehenswerte lenken und eine Anleitung zum Umgang mit dem Erfahrenen geben soll-

73 Vgl. Kauffmann 1994, S. 52–56. 74 Lazius et al. 1619, S. 34. 75 Stagl 2002, S. 74. 76 Ebenda, S. 74–76.

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te.77 Das Reformstreben manifestiere sich zunächst in Gestalt zweier Genres: zum einen des Genres der Ratgeber und zum anderen des Genres der „Kompendien empirischen Wissens über die Außenwelt“.78 Der letztgenannten Gattung ordnet Stagl drei Typen zu: erstens Kollektionen von Reiseberichten, wie die wohl früheste, 1500 von Valentin Fernandez in Lissabon publizierte Sammlung, oder die großen Werke, die auf der Basis von Berichten über die Entdeckungen entstehen, wie Giovanni Battista Ramusios (1485-1557) in drei Bänden erschienene Delle navigationi et viaggi (Venedig, 1550, 1556, 1559); zweitens Kosmografien mit ihrer intendierten Systematisierung von Wissen über die Welt und ihren Beschreibungen politisch-sozial-kultureller Räume, allen voran Sebastian Münsters Cosmographia von 1544. Drittens nennt Stagl Staatenbeschreibungen, die ab dem 18. Jahrhundert unter dem Begriff der statistischen Literatur firmieren. Es handelt sich um deskriptive Texte, die politisches, soziales und kulturelles Erfahrungswissen über Staatswesen transportieren und die eine weitere Ebene der Abstraktion und Systematisierung repräsentieren (etwa Francesco Sansovinos (1512-1586) Del governo de i regni et delle republiche cosi antiche come moderne, Venedig 1561). Stagl attestiert den Konjunkturen beider Gattungen, Ratgebern wie Kompendien empirischen Wissens über die Außenwelt, um 1579 einen Sättigungsgrad, der Raum für die Entstehung einer neuen, der apodemischen Literatur geschaffen habe.79 Sowohl der Konnex zwischen Reiseliteratur, Reisepraxis und den von Stagl so qualifizierten Kompendien empirischen Wissens über die Außenwelt, die allesamt auch historisch-topografischen und deskriptiven Charakter tragen, als auch der Umstand, dass die Apodemiken den Reisenden regelrechte Schemata zur Beschreibung länderkundlicher und ethnologischer Sachverhalte samt Musterbeschreibungen mit auf den Weg gaben, zeigt die Vielfalt der Querverbindungen zwischen den Literaturen. „Die humanistischen Beschreibungsanweisungen, wie sie in der ars apodemica ausformuliert wurden, liegen den Länder-, Völker- und Staatenbeschreibungen zugrunde, die in der Frühen Neuzeit eine beliebte und wirkungsmächtige Literaturgattung bildeten. Damit stellen sie auch die Wurzel des ‚länderkundlichen Schemas‘ der neuzeitlichen Geographie dar.“80

Für solche Schemata konnte bereits auf Vorlagen arabischer Autoren zurückgegriffen werden, wie dies Giovanni Battista Ramusio im Vorwort zum zweiten Band seiner Navigationi et viaggi als „ordine veramente belissimo“ für die Beschreibung von Örtlichkeiten empfahl. Danach sind die Namen der Örtlichkeit, deren Ge77 Ebenda, S. 77–83. 78 Ebenda, S. 79–83. 79 Ebenda, S. 83. 80 Ebenda, S. 105. Der Begriff des „länderkundlichen Schemas“ nach Rettner (1932) und Spethmann (1932).

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schichte anhand der maßgebenden Autoren und zuletzt der gegenwärtige Zustand nach Lage, Klima, Herrschaftsgebiet sowie der vorfindlichen Lebensweise und Charakteristika in gedrängter Form zu beschreiben.81 Die Liste von Vorlagen und Postulaten für die Herausbildung eines solchen Schemas ließe sich beinahe beliebig verlängern. Markus Friedrich erinnert an die Forderung des italienischen Humanisten Girolamo Cardano (1501-1576) nach Erfassung von Länge, Breite, Lage und Beschaffenheit eines Ortes, von Wegen, Straßen, Burgen, Festungen, Städten, Handelsplätzen, Wäldern, Hügeln, Bergen, Seen, Flüssen, Meeren, Bächen, aber auch von Sitten und Gesetzen der Einwohner, seltenen Tiere, tödlichen Pflanzen, von der landwirtschaftlichen Nutzbarkeit und von der Verwaltung. Basierend auf dem prinzipiellen Anspruch einer vollständigen Bestandsaufnahme aller Einzelheiten habe sich in der Praxis chorografischer bzw. topografischer Beschreibung eine Topik herausgebildet, die häufig stereotyp abgehandelt werde und die Bezug auf antike Autoren wie Plinius d. Ä. (um 23-79), Pomponius Mela (ca. 1. Jh. n. Chr.), Caesar (100 v.Chr.-44 v.Chr.), Tacitus und auf die rhetorischen Regeln der Stadtbeschreibung (Quintilian) nehme.82 Auch die herrschaftlich veranlassten Landeserfassungen der Frühen Neuzeit, die Wissen für Regierungshandeln generieren sollten, arbeiteten ein ähnliches Schema ab: Außengrenzen und administrative Binnengliederung eines beschriebenen Bezirks, darin liegende Ortschaften, Besitzverhältnisse, Rechtstitel von Landesherrn und Einwohnern, die kirchliche Organisation, fiskalische Aspekte der Herrschaft und teilweise historische Angaben.83 Ein Nebeneinander tendenziell gleichbleibender Daten (Topografie, Grenzen, Rechte) und schneller wechselnder Daten (zum Beispiel Listen von Amtsträgern) habe, so die Beobachtung Susanne Friedrichs, teilweise zur Anlage einer formalen Offenheit für Nachträge bzw. Fortschreibung geführt, so etwa in der Descriptio Episcopatus Seu Principatus Bambergensis (1601). Vor dem Hintergrund der geschilderten Komplexität wird in der vorliegenden Untersuchung das Adjektiv „topografisch“ in Anlehnung an Gerald Strauss’ Kategorisierung verwendet.84 Es bildet die Heterogenität des Genres ab, ohne auf Abgrenzung zu verzichten. Auch das Adjektiv „historisch“ gehört in diesen Zusammenhang, waren es doch das Wissen um die gegenwärtig erfahrbare Topografie, Ethnografie und Natur und das Wissen um historische Genese und Tradition, die die hier in Rede stehenden Autoren zu verbinden trachteten, ja als in einer geradezu sinngebend notwendigen Verbindung stehend ansahen. Sebastian Münster war an-

81 Ebenda, S. 106. 82 Friedrich 2003, S. 84–86. 83 Friedrich 2008, S. 303–304. 84 Vgl. GERALD STRAUSS: Topographical-Historical Method in Sixteenth-Century German Scholarship, in: Studies in the Renaissance 5 (1958), S. 87–101.

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getreten, dem Raum gegenüber einer bislang dominierenden Chronistik zu einem Bedeutungsgewinn zu verhelfen: „Ich hab hie ein Compendium und kurtzen begriff von allen ländern des ertrichs dem

gemeynen mann wöllen für schreiben / sich darin mit lesen zuo erlustigen / und den gelerten ein weg anzeigen / wie man nach so vil Teütschen Chronographien / auch gar nutzlich Cosmographien und Topographien schreiben möchte / wie ich dann solichs vor 18. jaren understanden und angefangen mit disem werck / nach gefolgt dem hochgelerten mann Straboni.“ 85

Barthel Stein (1476/77-1521/22) gelangte in seiner Antrittsvorlesung an der Wittenberger Universität, in der er sich mit dem Werk des anthropozentrischdeskriptiven antiken Geografen Pomponius Mela auseinandersetzte, zu der Ansicht, ein wirkliches Verständnis von Geschichte und antiker Geschichtsschreibung sei ohne genaue Kenntnis der geografischen Verortung von Geschichte und geomorphologischer und naturaler Rahmendaten nicht möglich.86 Christian Kiening apostrophiert die Verbindung von Gegenwärtigkeit und Geschichtlichkeit bei der Weltbeschreibung als praktischen Lösungsansatz der Kosmografen für eines ihrer Hauptprobleme, nämlich der Stiftung einer Ordnung des Wissens, die gleichermaßen erfahrungsbasiert und objektiv sei: „In jedem wahrgenommenen Weltausschnitt zeigt sich ein Stück Weltgeschichte, die ihrerseits in Kategorien visueller Wahrnehmung gedacht wird. Gilt in Ortelius’ Theatrum Orbis Terrarum die Geographie als Auge der Geschichte (eye of history), so im Mercator-Atlas die Historie als Auge der Welt (oculus mundi).“87 85 Münster 1545, fol. IIv. 86 McLean 2007, S. 88–89. 87 Kiening 2007, S. 248–249; Ortelius schreibt in seiner Vorrede: „Wie seher das die erkhantnuß der Landtschafften vnd des Meers, die glegenhait [sic!] der Berg, Thäl, vnd Stett, das fliessen der Fluß. &c. (die man in Grieckischer sprach mit ainem wort Geographia nennet, vnd von etlichen Gelerten (nit zu vnrecht) das Aug oder Gesicht der Historien zugenant wiert) zu diser erkhandtnuß der Historien oder Geschicht von nöten ist, das wir der sollichs die nur schlechtlich derhalben ain wenig darin erfaren, vnd underweillen ainige Historia zu lesen fur sich genomen haben (acht ich) woll innen. Dan es khomen vns in Historien vill sachen, nemblich Zug von grossen Printzen, Hern, vnd treffentlichen Mennern; weichung, raumung, vnd fliehen der volckern, schiffart von frembden Lendern, &c. zum vorschein: welche man, ohne dises wissen vnd erkhantnuß, nit allain woll verstehen vnd begreiffen khan, aber offt woll vberzwerch vnd das widerspill verstanden, oder ainen andern sin (die nie vermaint) darauß geschöpfft vnd genomen wiert. Also das alßdan vmb sunst vnd zu vergebs darin gearbeit, vnd der costlich

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Markus Friedrich diagnostiziert ein methodisches Ringen zwischen der Autopsie als Postulat und der rhetorischen Autorisierungsstrategie auf der einen Seite, und dem Bestreben, Erlebtes mittels Fragebögen und philologischer Auswertung paralleler archivalisch-literarischer Wissensspeicher zu kontrollieren und in standardisiertes Wissen zu überführen, auf der anderen Seite.88 Dies verweist ebenso auf die Bedeutung des Historischen wie der Umstand, dass landeskundliches Wissen von den Autoren selbst als wandelbar reflektiert und damit historisiert gedacht wird.89 Die ‚Vor-Erinnerung‘ eines dem Untersuchungsraum gewidmeten landeskundlichen Werks aus dem 17. Jahrhundert bringt die Reflexion dieser Dynamik auf einen eingängigen Nenner. Es ist der 1664 erschienene Donau-Strand des Nürnberger Schriftstellers Sigmund von Birken (1626-1681), in dem das Publikum einleitend mit folgenden Zeilen, die über eine reine captatio benevolentiae hinausweisen, angesprochen wird: „Land Mappen zeichnen und Länder beschreiben / ist eine mühsame Arbeit. Wer den Zweck richtig treffen wolte / müste / mit grossem Kosten / die Situation, Distanz und Beschaffenheit der Oerter und Flüsse / erstlich mit den Augen / Füssen und Ohren / hernach erst mit den Händen abmessen. Wäre zuwünschen / daß ieder Fürst und Herr seinen verständigen Geographum, sein Gebiete zu durchwandern / verköstete : so hätte man von allen Ländern / ein richtige Wissenschaft zu hoffen. Gegenwärtiger Donau-Strand ist / mit sonderbarem Fleiß / aus Historischen und Geographischen Schriften zusammen getragen worden. Demnach darf der wehrte Leser hoffen / daß er hierinnen viel / so er anderweit vergeblich suchet / und voran (welches / in den Mappen / eines der vornehmsten Stücke ist) die Flüsse fleissig benahmet finden werde. Wo man gezweifelt / hat man lieber / was schlechte Oerter betrifft / den Platz leer lassen / als Ungewißheit ansetzen wollen : bleibt also dem Leser [//] raum / seine eigne Erfahrenheit mit beyzutragen. Weil wir hie nit im Land der Vollkommenheit leben / und das Irren Menschlich ist als wird / der bescheidene Leser die befindlichen Fehler mit dem Gewissen seiner eignen Gebrechlichkeit entschuldigen.“ 90 zeit, ohne empfindbarn schmackh derhalben zu geniessen, verschliessen wiert.“ ABRAHAM

ORTELIUS: Theatrum oder schawplatz des erdbodens. Online-Ausgabe des Exemp-

lars der HAB Wolfenbüttel 1572 [Online-Ausgabe 2009]. http://diglib.hab.de/drucke/2-11-geogr-2f/start.htm?image=00011, Stand: 01.12.2010. 88 Vgl. Friedrich 2003, S. 91–93. 89 Vgl. ebenda, S. 87–89. 90 SIGMUND VON BIRKEN: Der Donau-Strand mit Allen seinen Ein- und Zuflüssen / angelegenen Königreichen / Provinzen / Herrschaften und Städten / auch dererselben Alten und Neuen Nahmen / vom Ursprung bis zum Ausflusse. In dreyfacher Land Mappe vorgestellet auch samt kurzer Verfassung einer Hungar- u. Türkischen Chronik [Digitalisat des Exemplars der BSB München, Sign. Eur.91]. Nürnberg 1664, [‚Vor-Erinnerung‘, unpag.].

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Die anhaltende Bedeutung des Historischen für die Gattungstypologie geografischen Schreibens spiegelt sich etwa darin, dass sich noch im frühen 19. Jahrhundert die Autoren eines topografischen Lexikons für das Königreich Bayern gezwungen sahen, den Verzicht auf das Adjektiv „historisch“ im titelgebenden Kompositum ihres Werks eingehend zu rechtfertigen.91 Wenngleich die gattungsgeschichtlichen Ausführungen des vorliegenden Kapitels als Präliminarien für das Verständnis der folgenden Fallstudien unerlässlich sind, kann und soll es an dieser Stelle nicht darum gehen, eine umfassende Gattungsgeschichte der Formationsphase historisch-topografischer Literatur zu entwerfen. Dies erscheint umso weniger angezeigt, als mit der noch immer maßgeblichen Arbeit Gerald Strauss’ aus dem Jahre 1959 eine solche für Deutschland im 16. Jahrhundert vorliegt.92 Dagegen sollen im Folgenden zunächst anhand zweier paradigmatischer Beispiele unterschiedlicher Genres – Bernhard von Breidenbachs Pilgerbericht Peregrinatio In Terram Sanctam (1486) und eines Zyklus chorografischer Stadtansichten, die anlässlich einer Reise des Pfalzgrafen Ottheinrich (15051559) 1536/37 entstanden sind – Aspekte erörtert werden, denen für die Charakterisierung von Genese und Entwicklung topografischer Literatur Bedeutung zukommt. Abschließend wird dann in Bezugnahme auf den oben genannten Topografiehistoriker Gerald Strauss dessen Charakteristik der Methodik historisch-topografischen Schreibens der Frühen Neuzeit in einem Punkt, dem von ihm postulierten Zusammenhang zwischen regionaler Geomorphologie und naturaler sowie landschaftsästhetischer Orientierung historisch-topografischer Beschreibung, zur Diskussion gestellt. Denn dieser Punkt besitzt für die vorliegende Studie, die sich einer umwelthistorisch interessierten wahrnehmungsgeschichtlichen Perspektive auf historisch-topografische Literatur verpflichtet weiß, zentrale Bedeutung.

91 „Die Verfasser haben, geleitet von der herrschenden, und zwar lobenswerthen Gewohnheit bei der Verfertigung anderer geographischen [sic!] Lehr- und Handbücher, bei diesem Lexicon auch interessante historische Notizen […] eingestreut, und glauben dadurch den Wünschen des gebildeten Lesepublikums desto mehr zu entsprechen; aber den Beisatz ‚historisch‘ glaubten sie deßhalb dem Titel nicht beisetzen zu dürfen, weil nach ihrer Ueberzeugung zu einem historischen Lexicon weit mehr historische Notizen erfordert werden, als hierin enthalten sind, und sie durch Beifügung dieser vielen historischen Notizen den Umfang dieses Lexicons viel weiter ausgedehnt haben würden, als es in ihrem und des Verlegers Plane lag.“ JOSEPH ANTON EISENMANN/CARL FRIEDRICH HOHN: Topo-geographisch-statistisches Lexicon vom Königreiche Bayern oder alphabetische Beschreibung aller im Königreiche Bayern enthaltenen Kreise, Städte, Märkte, Dörfer, Weiler, Höfe, Schlösser, Einöden, Gebirge, vorzüglichen Berge und Waldungen, Gewässer u. s. w., Bd. 1. Erlangen 1832, S. IV. 92 Strauss 1959.

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Zunächst aber zu Breidenbachs Peregrinatio. Will man die Schedelsche Weltchronik – wie hier bereits geschehen93 – als Werk kategorisieren, das in seinem heilsgeschichtlich chronikalischen Charakter einerseits und seinem städtekundlichen Darstellungsanliegen andererseits gattungsgeschichtlich die Übergangsphase von der mittelalterlichen Chronistik zur historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit repräsentiert, muss man auch ein zweites, früher zu datierendes Werk wegen seines transitorischen Charakters berücksichtigen. Die Peregrinatio In Terram Sanctam des Mainzer Domkanonikers Bernhard von Breidenbach (um 1440-1497) mit Holzschnitten von Erhard Reuwich (um 1450-um 1500) steht für ein gattungsgeschichtliches Schwellenwerk, diesmal am Übergang vom mittelalterlichen handschriftlichen Pilgerbericht mit heilsgeschichtlichem Verweischarakter zum topografisch interessierten, schriftliche wie ikonografische Vorlagen mit eigener Erfahrung kombinierenden neuzeitlichen Reisebericht. Der Mainzer Domkapitular und spätere Domdekan Bernhard von Breidenbach hatte 1483/84 eine Pilgerfahrt ins Heilige Land unternommen. Einer damals üblichen Reiseroute folgend war er mit seiner Gruppe über Venedig nach Jerusalem gereist und hatte anschließend den Sinai, Kairo und Alexandria besucht. 1486 publizierte er seine aufwändig ausgestattete Peregrinatio In Terram Sanctam. Dem Projekt war großer publizistischer Erfolg beschieden. Der lateinischen Erstausgabe folgte noch im selben Jahr eine Ausgabe in deutscher Sprache, deren großer Anklang dazu führte, dass bis 1522 zehn weitere Ausgaben in fünf verschiedenen Sprachen (Latein, Deutsch, Niederdeutsch, Spanisch und Französisch) auf den Markt kamen.94 Dem zeitgenössischen Erfolg der Peregrinatio entspricht ihre hohe Wertschätzung in der Forschung, gelten doch die Stadtansichten Erhard Reuwichs als die „ersten individuellen Stadtbilder“ und als die „ersten authentischen Landschaftsdarstellungen“, werden sie als „Wirklichkeitsdokumente“ bzw. „topographische Bilddokumente“ charakterisiert oder als „Marksteine der Geschichte der Stadtvedute“ gefeiert.95 Dabei wird davon ausgegangen, dass Reuwichs Grafiken auf dem Augenschein des Künstlers vor Ort beruhen. Auch der Text gilt als sachlich interessierte Aufarbeitung von Erfahrungswissen. Nun hat Frederike Timm eine erste umfassende monografische Studie zum Breidenbachschen Pilgerbericht vorgelegt, die zwar dessen Status als Träger verschiedener gattungsgeschichtlicher Innovationen nicht in Frage stellt, die aber doch substanzielle Revisionen an der gängigen Bewertung der Peregrinatio nahelegt. Timm kennzeichnet als kulturgeschichtlich bedeutende Innovationen des Werks, dass es sich erstens um den ersten gedruckten und zugleich illustrierten Pilgerbericht handle. Zuvor hätten handschriftliche Berichte mit teils spärlicher Illustration nur einen kleinen Adressatenkreis angesprochen. Zweitens seien die leporel93 Siehe oben, Kap. 1. 94 Timm 2006, S. 2. 95 Woringer (1912), Kunze (1975), Fuchs (1960), zit. nach Timm 2006, S. 121–123.

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loartigen Holzschnitte die ersten falt- und ausklappbaren, von mehreren Holzblöcken gedruckten und aneinander gesetzten Darstellungen gewesen. Gleichzeitig handle es sich um die vom Bildformat her wohl größten Buchholzschnitte des 15. Jahrhunderts. Gattungsgeschichtlich stehen sie Timm zufolge damit am Beginn des sogenannten Groß- oder Monumentalholzschnittes in Deutschland. Drittens handle es sich bei der Peregrinatio um das erste mit beweglichen Lettern gedruckte Buch, „das die für die künstlerische Gestaltung des Buches verantwortliche Person explizit benennt.“ Die bedeutendste Innovation des Werkes liege freilich in „dem Bestreben, in den Illustrationen erstmals einer breiten Öffentlichkeit annähernd authentische Einblicke in und Informationen über eine fremde Welt zu liefern, die zuvor nur durch schriftliche Werke gewonnen werden konnten.“96 Diese Impulse und das Agieren der Herausgeberpersönlichkeit Bernhard von Breidenbachs verschafften dem Werk eine Position auf dem gattungsgeschichtlichen Höhepunkt der illustrierten Pilgerberichte.97 Timm untersucht sowohl die sozio-politischen Rahmenbedingungen der Reise, der Planung und Entstehung des Werks als auch die Funktionalität des Pilgerberichts in diesem Kontext.98 Breidenbach machte seine geistlich-politische Karriere im Domkapitel des Mainzer Erzbistums, dem qua Kurfürstenwürde und Reichserzkanzlerschaft die prestigereichste und mächtigste Position im deutschen Episkopat zukam. Er tat dies während des letzten Drittels des 15. Jahrhunderts, einer für das Erzbistum herrschaftsgeschichtlich äußerst dynamischen Periode.99 Breidenbach war enger Weggefährte und Günstling des Erzbischofs Berthold von Henneberg (1442/1484-1504), dessen politischen Ambitionen und Reformbestrebungen angesichts einer Krisensituation in Klerus wie Reichspolitik Breidenbach zuarbeitete. Timm schreibt dem Buch vor diesem Hintergrund neben der Repräsentation individuellen Sozialprestiges des Herausgebers die Funktion zu, ein politisches Programm zu transportieren. Der identitätsstiftenden, scharfen Abgrenzung gegenüber einem als fremd empfundenen „Außen“, hier dem Osmanischen Reich bzw. dem Islam, kommt innerhalb dieses Programmes besondere Bedeutung zu. An dieser Feststellung setzt Timms Analyse von Text, Bildlichkeit und Text-Bild-Gefüge an. Im Ergebnis wird deutlich, dass der heterogene Text sich nachweislich aus einer mittelalterlich anmutenden Kompilatorik vorhandener Vorgängertexte – zeitgenössischen Jerusalem-Pilgerberichten ebenso wie ‚traditionellen‘ Texten (Weltchroniken 96 Ebenda, S. 10–11. 97 Ebenda, S. 11. 98 Vgl. ebenda, S. 315–354. 99 Vgl. PAUL-JOACHIM HEINIG: Orientierungssuche, innere Konsolidierung und äußere Kompensation (1463-1484/1504), in: FRIEDHELM JÜRGENSMEIER (HG.): Christliche Antike und Mittelalter – Teil 1 (Handbuch der Mainzer Kirchengeschichte 1,1). Würzburg 2000, S. 541–554.

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und theologischen Abhandlungen) – speist und nur ein geringer Anteil auf Breidenbachs persönliche Reisenotizen und mithin auf individuelle Erfahrung zurückgeht.100 Das Text-Bild-Verhältnis betreffend diagnostiziert Timm eine im Kern unauflösbare Diskrepanz zwischen dem durch Autoritäten beglaubigten Überlieferungswissen des oft schematisch-stereotyp daherkommenden Textes und dem für das deutsche Publikum der Zeit neuartigen visuellen Erfahrungswissen, wie es viele qualitativ hochwertige, naturalistische Abbildungen von Städten, Orten etc. vermitteln.101 Ein besonders krasses Beispiel hierfür sei die Darstellung der Insel Korfu, bei der die große topografische Genauigkeit der Darstellung von der Verwechslung der Insel mit Korsika im Text begleitet werde.102 Was nun die Abbildungen selbst betrifft, gelangt Timm zu einer weitgehenden Relativierung des empirisch-künstlerischen Innovationspotenzials Erhard Reuwichs. Unter anderem anhand des Vergleichs zwischen den Abbildungen von Venedig103 und Candia (Heraklion)104 einerseits und der qualitativ deutlich minderwertigen Ansicht von Rhodos105 führt sie den Nachweis, dass gerade die in Perspektive und Detailtreue besonders hochwertigen Grafiken nicht auf eigenen Skizzen Reuwichs, sondern auf Vorlagen venezianischer Künstler beruhen. Auch beim Naturalismus der Reuwichschen Tierdarstellungen dürfte es sich zumindest teilweise nur um einen Naturalismus aus zweiter Hand handeln.106 Timm kommt zu dem Schluss, dass Breidenbach sich mit seiner Peregrinatio In Terram Sanctam nicht nur ein „typographisches Denkmal erster Klasse“107 gesetzt, sondern die literarische Form des Pilgerberichts gezielt zur „Ummantelung“ politischen Inhalts genutzt habe.108 Das hohe Ausstattungsniveau, dem Timm zufolge ein „ausgeklügeltes marktstrategisches Kalkül“ zugrunde lag, und die innovative Bildlichkeit sollten die möglichst weite Verbreitung dieses Inhalts gewährleisten.109 Timms Ergebnisse können – auf einer allgemeineren Ebene und perspektivisch auf die Untersuchung historisch-topografischer Literatur der Folgejahrhunderte gewendet – als methodische Mahnung verstanden werden, dass der Einfluss sozio-

100 Timm 2006, S. 80–97. 101 Vgl. ebenda, S. 270–286. 102 Ebenda, S. 282. 103 Vgl. ebenda, S. 123–144. 104 Vgl. ebenda, S. 160–166. 105 Vgl. ebenda, S. 166–178, 175–176. 106 Ebenda, S. 229–242. 107 Ebenda, S. 353. 108 Ebenda, S. 356–357. 109 Ebenda, S. 361.

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ökonomischer und politischer Rahmenbedingungen auf das ‚Wie‘ der Veranschaulichung von Welt kaum überschätzt werden kann. Will man der Vielfalt des durch Reisen ermöglichten Beschreibens von Welt als einer der Wurzeln des topografischen Genres gerecht werden, verbietet sich allerdings eine zu enge Beschränkung der Aufmerksamkeit auf zeitgenössisch publiziertes, also mit bestimmten Intentionen für eine ‚Öffentlichkeit‘ bzw. den vermuteten Marktgeschmack produziertes Material. Auch dann, wenn Reisen nicht um des Reisens willen unternommen wurden, auch wenn es nicht vordergründiges Ziel war, geografisches Material zu ‚produzieren‘, konnte ein Bedürfnis nach Dokumentation des erlangten geografischen Erfahrungswissens bestehen. Als Beleg und Beispiel für diese Feststellung sei der Breidenbachschen Peregrinatio die rund ein halbes Jahrhundert jüngere und zeitgenössisch nicht publizierte grafische Dokumentation der Reise des Pfalzgrafen Ottheinrich von Pfalz-Neuburg (1505-1559) an den polnischen Königshof in Krakau im Winter 1536/37 gegenübergestellt. Die Existenz des Zyklus von 50 kolorierten Zeichnungen bzw. deren Zusammenhang mit der Fürstenreise war lange Zeit unbekannt. Der Fund und seine in geradezu detektivischer Manier rekonstruierte Zuordnung glichen einer wissenschaftlichen Sensation.110 Es handelt sich bei den Zeichnungen um die Ansichten deutscher, tschechischer und polnischer Städte, die auf der Reiseroute des Pfalzgrafen lagen. Ottheinrich hatte sich in Richtung Krakau aufgemacht, um dort in persönlichen Verhandlungen den ihm zustehenden Mitgiftforderungen aus der Heirat seiner Großmutter Hedwig (1457-1502), einer Tochter König Kasimirs II. (IV.) von Polen (1427-1492), mit Herzog Georg dem Reichen von Bayern Landshut (1480-1531) Nachdruck zu verleihen.111 Der Hinweg führte den Pfalzgrafen und sein Gefolge über Pilsen und Prag, der Rückweg über Breslau (heute Wrocław), Frankfurt an der Oder, Berlin, Wittenberg und Leipzig. Offensichtlich hatte Ottheinrich einen der an seinem Hof wirkenden Künstler zum Zweck der Anfertigung von Stadtansichten in sein Gefolge aufgenommen. Die Zeichnungen sind unsigniert und auch andere Dokumente geben keine klare Auskunft über die Identität des Künstlers. Einige Indizien sprechen aber für Mathi(a)s Gerung (um 1500-1570).112 Gerung stünde damit in einer Reihe von 110 ANGELIKA MARSCH: Einleitung, in: ANGELIKA MARSCH (Hg.): Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/37 von seinem Ritt von Neuburg a.d. Donau über Prag nach Krakau und zurück über Breslau, Berlin, Wittenberg und Leipzig nach Neuburg, Kommentarband. Weissenhorn 2001, S. 11–14. 111 JOSEF H. BILLER: Zur Entstehungsgeschichte der Ansichtenfolge, in: Angelika Marsch (Hg.): Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/37 von seinem Ritt von Neuburg a.d. Donau über Prag nach Krakau und zurück über Breslau, Berlin, Wittenberg und Leipzig nach Neuburg, Kommentarband. Weissenhorn 2001, S. 43–62. 112 ANGELIKA MARSCH: Die Ansichtenfolge im Überblick, in: ANGELIKA MARSCH (HG.): Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/37 von seinem Ritt von

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Künstlern, die als Reisebegleiter topografische Skizzen, Zeichnungen und Grafiken von Städten, Schlössern und Landschaften im Dienst eines adeligen Auftraggebers fertigten. Der oben erwähnte Erhard Reuwich, der Ende des 15. Jahrhunderts Bernhard von Breidenbach auf dessen Pilgerfahrt begleitete, zählt zu den frühesten Vertretern dieses ersten Typs;113 später wäre etwa Wenzel Hollar (1606-1677) im Dienst des Earl of Arundel zu nennen. Dagegen arbeiteten Künstler eines zweiten Typus, beginnend mit Georg Hoefnagel (1542-1600) und sicher kulminierend in der Person Matthaeus Merians d. Ä., als Unternehmer auf eigene Rechnung.114 Angelika Marsch verweist im Hinblick auf die Ottheinrich-Reise auf die für das Skizzieren äußerst ungünstigen Rahmenbedingungen: Man reiste im Winter mit entsprechend kurzem Tageslicht. An den meisten Etappen machte man nur für eine Nacht Station.115 Und doch legten die unter diesen Umständen angelegten Skizzen und Notizen den Grundstein für Darstellungen von hoher und – folgt man dem kunsthistorischen Urteil der Herausgeber – innovativer Qualität.116 Stadtansichten mit einem hohen Grad an individuellen topografischen Merkmalen sind hier in detailreich gestalteten Landschaften abgebildet. Marsch rückt die neue Sehweise von Landschaft, wie sie hier gelinge, in die Nähe des Werks von Albrecht Dürer (1471-1528) und seinem Umfeld.117 Der Umstand, dass mit Breslau, Eichstätt, Krakau, Neisse und Prag fünf der im Zyklus abgebildeten Städte auch in der Schedelschen Weltchronik grafisch repräsentiert sind, ermöglicht einen direkten Vergleich. Dieser belegt in den Augen Marschs den großen Umbruch gegenüber den „als additiv zu lesende[n] Collagen je nach Bedeutung beliebig vergrößerter oder verkleinerter Gebäudegruppen, Landschaftsformationen und Vegetationen [...]“ im Liber Chronicarum.118 Neuburg a.d. Donau über Prag nach Krakau und zurück über Breslau, Berlin, Wittenberg und Leipzig nach Neuburg, Kommentarband. Weissenhorn 2001, S. 23–42, hier 38–42. 113 Timm 2006, S. 110. 114 Vgl. Behringer 1999, S. 85–86. 115 ANGELIKA MARSCH (HG.): Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/37 von seinem Ritt von Neuburg a.d. Donau über Prag nach Krakau und zurück über Breslau, Berlin, Wittenberg und Leipzig nach Neuburg. Faksimileband. Weissenhorn 2001, S. 26. 116 Zu studieren im opulenten Faksimileband der von Angelika Marsch betreuten Ausgabe: Marsch 2001, Faksimileband. 117 Marsch 2001, S. 32. 118 Ebenda; Gerhard Jaritz teilt die Städtegrafik in Schedels Weltchronik zwei Darstellungsmustern – ‚Realität‘ und ‚Typ‘ – zu und findet zwei Erklärungsansätze für das parallele Vorkommen beider: Einerseits sei die persönliche Ortskenntnis und ein Arbeiten nach Autopsie dem Künstler gar nicht bei allen erwähnten Städten möglich gewesen. Andererseits dürften dem Künstler gerade manche näher gelegene, größere oder wichtigere Städte bekannt gewesen sein, denen gleichzeitig ökonomische Bedeutung als potenziel-

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Wenn Sergiusz Michalski an anderer Stelle allgemein für die Stadtansichten des 16. und 17. Jahrhunderts eine Tendenz feststellt, das Umfeld extra muros bildkompositorisch und in der inhaltlichen Wertigkeit zu minimieren,119 dann scheinen die Ansichten der Ottheinrich-Reise eine Ausnahme von dieser Regel darzustellen. Vielleicht sind es Aspekte der Stadtherrschaft und der sich daraus ergebenden Perspektive, die hier eine Erklärung bieten können. Folgen wir weiter Michalskis Ausführungen, entsprach es dem Selbstverständnis der meisten Städte und Stadtregimenter, die Bedeutung des Umfeldes zu reduzieren und ein optisch freies Feld vor den Mauergürteln zu inszenieren. „Deutlich wird das Bestreben, die Objekte extra muros – die im Verteidigungsfall ohnehin der Vernichtung anheimfallen würden – mit einer minderen visuellen Wertigkeit zu versehen. Die symbolträchtige Potenz der Stadt als einer Art aufragenden ‚steinernen Wunders‘ sollten sie jedenfalls nicht beeinträchtigen.“120 Ottheinrich, der Auftraggeber der hier in Rede stehenden Ansichten, war in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht der Stadtherr der dargestellten Städte. Er näherte sich – wie der Zeichner in seinem Gefolge – als Reisender. Rhetorische Forderungen an die Darstellungspragmatik könnten so eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Ohnehin ergibt eine Durchsicht der Zeichnungen die wenig überraschende Beobachtung, dass die landschaftsästhetische Aufmerksamkeit für das urbane Umland in dem Maße abnimmt, wie große und entsprechend komplexe Städte (etwa Prag, Krakau oder Leipzig) zur Darstellung gelangen. Im Einzelnen bleibt die Unterscheidung zwischen Darstellungselementen mit hohem Realitätsbezug und Stereotypen bzw. Staffageelementen schwierig. Im vorliegenden Fall sind es besonders die beinahe omnipräsenten, felsenhaft grau kolorierten, oft steil aufsteigenden Gebirgszüge in vielen Bildhintergründen, die den Betrachter irritieren. Selbst Berlin wird in einer alpin anmutenden Szenerie verortet. Die Frage liegt nahe, welcher Motivation sich die übertrieben gebirgigen Landschaften verdanken. Welche Rolle spielen epochen- oder genrespezifische Darstellungskonventionen? Sind die derart repräsentierten Landschaftselemente nur ästhetisch motiviert oder besitzen sie verweisenden Charakter? Für letzteres kennen die Kunstgeschichte im Allgemeinen und die historische Stadtikonografie im Besonderen zahlreiche ler Absatzmarkt für das Werk zukam. Es erscheine ziemlich eindeutig, „dass ‚reale‘ Bilder der behandelten Städte mit den ‚Absatzgebieten‘ des Produktes konform gingen.“ GERHARD JARITZ: Images in medieval and early modern culture. (Approaches in Russian historical research) (Medium Aevum Quotidianum, Sonderband 13). Krems 2003, S. 48–49. 119 SERGIUSZ MICHALSKI: Vom himmlischen Jerusalem bis zu den Veduten des 18. Jahrhunderts. Symbolik und Darstellungsparadigmen der Stadtprofilansichten, in: WOLFGANG

BEHRINGER/BERND ROECK (HG.): Das Bild der Stadt in der Neuzeit. 1400-1800.

München 1999, S. 46–55, hier 49. 120 Ebenda.

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Beispiele. Und ohne die Unterschiede zwischen chorografischen Zeichnungen des 16. Jahrhunderts und der niederländischen Malerei des späten 17. Jahrhunderts verwischen zu wollen, drängt sich ein Vergleich mit eben dieser auf. Man ist etwa versucht, die Argumentation der Kunsthistorikerin Tanja Michalsky aufzugreifen, die diese an einer der Ansichten Jacob Ruisdaels von Haarlem (um 1670) entwickelt.121 Michalsky betont, dass dieses Gemälde sowohl emblematische als auch topografische Erklärungsansätze zulasse und dass solche Landschaftsbilder keine vorgefundene Realität beschreiben würden, sondern „die Fiktion eines harmonischen Verhältnisses zwischen Mensch und Natur.“122 Land, Landschaft und Natur würden hier zu einem Erlebnis- und soziopolitischen Projektionsraum zusammengefasst. Gerungs Städte der Ottheinrich-Reise sind integriert in stimmig komponierte, ästhetisch attraktive Landschaften, deren meist ausgewogen repräsentierte geomorphologische Bestandteile (Fluss/See, Ebene oder sanft hügeliges Gelände in landwirtschaftlicher Kultur, und steile bewaldete oder schroff kahle Hügel oder Bergrücken) einander zu einer idealen Landschaft ergänzen. Der fundamentale Unterschied zum Gemälde des 17. Jahrhunderts ist der sicher durch den fürstlichen Auftrag vorgegebene Darstellungszweck, der ein Interesse an den Stadtphysiognomien in den Vordergrund rückte. Doch gerade die Reiseumstände, ein enger Zeitplan und knappes Tageslicht ließen dem Künstler ausreichend Raum für landschaftsästhetische Imagination. Dieser Imaginationsraum war auch Projektionsraum und bot Platz für programmatischen Subtext: Eine für den Fürsten erfolgreiche Reise musste durch malerische Landschaften führen. Der Umstand, dass Ottheinrich überhaupt Stadtansichten in Auftrag gab, unterschied ihn nicht grundsätzlich von seinen Standes- und Zeitgenossen. Städtebeschreibungen in Text und Bild füllten wie große Bestände anderen dokumentarischen Materials (Karten, Schriften, Porträts, Trachtendarstellungen, archäologische Funde, Mineralien, Pflanzen- und Tierpräparate etc.) die fürstlichen Bibliotheken und Wunderkammern. Sie repräsentieren wie diese ein Programm, dem das intellektuelle Interesse an der Welt zwischen Humanismus und Scientific Revolution folgte und das die historisch-topografische Literatur bis weit ins 18. Jahrhundert hinein prägen sollte. Stagl bezeichnet es als „sammelnden, sichtenden und komprimierenden Empirismus.“123 Gerald Strauss umreißt die methodische Umsetzung dieses Empirismus im Falle der historisch-topografischen Beschreibung und entwirft – nicht ohne auf die in der Forschung noch bestehenden Unsicherheiten hinzuweisen – eine Typologie des Produktionsprozesses topografischer bzw. chorografischer Werke: 121 Vgl. Michalsky 2007, S. 345–348. 122 Ebenda, S. 348. 123 Vgl. Stagl 2002, S. 157–187.

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„All such books were collaborative projects, many of them compilations, in which case the author was really collector and editor. He made the contacts and sent out the initial requests which would eventually place on his desk the raw material of his book, descriptions of towns and landscapes, documentary material to illustrate their history, biographies of men of local renown, genealogies, antiquities, inscriptions, and so on. While his correspondents were gathering information, the author himself went through the standard classical and medieval sources, as well as such modern chronicles as were available to him, copying out passages or whole pages which might find their way, often all but unchanged, into his manuscript. As contributions arrived they were inserted into the narrative outline, combined with his own notes. Finally illustrations and maps, some produced in the field, others from the printer’s files, were selected. Care had only to be taken that the resulting compilation did not altogether lack balance and proportion.“124

Strauss charakterisiert mit dieser idealtypischen Synopse des Vorgehens bei der Produktion historisch-topografischer Literatur der Frühen Neuzeit die multifunktonale Rolle des topografischen Autors und identifiziert die verschiedenen Schichten verarbeiteter topografischer Information. Er besitzt deswegen, aber auch insofern für die vorliegende Studie Bedeutung, als er in Auseinandersetzung mit historischtopografischen Beschreibungen der Schweiz die These vom engen Zusammenhang zwischen den alpinen geomorphologischen Gegebenheiten der Schweiz und der besonderen naturalistischen und landschaftsästhetischen Sensibilität der Schweizer Topografen entwickelt hat. „It is, of course, this spectacular nature of Swiss geography which forces even the most chronicle-bound of writers to look up. Moreover, no Swiss locality or group of localities can be known at all except in their relation to these physical surroundings. In Switzerland therefore, more than in other German regions, the fusion for geography and historiography took place in descriptive literature, and this in close correspondence with the rules evolved by the theorists of the chorographic genre.“125

In der Tat zitiert Strauss beeindruckende Textpassagen wie die aus der Valesiae descriptio, in der der Autor Josias Simler (1530-1576) angibt, man finde im oberen Wallis Wunder der Natur, allen voran die umgebenden Berge. Zwar seien seine Landsleute ob ihres täglichen Anblicks nicht mehr beeindruckt, anders ergehe es aber Fremden. Und wirklich gebe die Macht der Natur, die diese Berge zu einer 124 GERALD STRAUSS: The production of Johann Stumpf’s description of the Swiss Confederation, in: GERALD STRAUSS (HG.): Enacting the Reformation in Germany. Essays on institution and reception (Variorum collected studies series 418). Aldershot (Hampshire) [u.a.] 1993, S. 104–122, hier 104. 125 Strauss 1959, S. 104.

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solch ungeheuren Höhe aufgetürmt, ihre Gipfel mit ewigem Schnee und Eis bedeckt, kraftvolle Sturzbäche angelegt und unter dem Schnee wachsende, einzigartige Heilpflanzen, aber ebenso wunderbare Wiesen und großartige Bäume geschaffen habe, Anlass zur Bewunderung.126 Sebastian Bott verweist auf die bereits durch Johannes Stumpf (1500-1574) und Conrad Gessner (1516-1565) unternommene Inszenierung des Bartgeiers als Vogel der Schweizer Bergwelt. Beide Autoren begründeten damit in der Einschätzung Botts „eine Tradition, die das ‚Exzeptionelle‘ des helvetischen Raums ausser in Geschichte und Geographie auch im Naturlebendigen suchte und so die Repräsentation politischer Verräumlichung mit ausgewählten Arealen der Fauna helvetica verknüpfte.“127 Dies bedeutet, dass die These vom Zusammenhang zwischen den spezifischen geomorphologischen Gegebenheiten der Schweiz auf der einen und der besonders ausgeprägten naturalistischen und landschaftsästhetischen Sensibilität der Schweizer Topografen bzw. Topografien auf der anderen Seite auch im Kontext der Entstehung regionaler bzw. protonationaler Identitäten diskutiert werden muss. Bott sieht das Besondere in der „Politisierung“ des Bartgeiers in den „Wissenspraktiken, die den Vogel, der die vaterländische Heldentopographie buchstäblich im Fluge vermass, zum Bestandteil der Inszenierung des Aussergewöhnlichen werden liessen […].“128 Die These von einer Sonderstellung der Schweizer Topografie der Frühen Neuzeit steht in ihrer gattungsgeschichtlichen wie in ihrer – weit zu definierenden – wahrnehmungsgeschichtlichen Dimension zur Diskussion. Die empirische Basis dieser Diskussion kann durch die in der vorliegenden Studie untersuchten Beschreibungen außerschweizer Schauplätze erweitert werden. Auf einer allgemeineren Ebene unterstreicht das Schweizer Beispiel noch einmal, was hoffentlich im Laufe der gattungsgeschichtlichen Ausführungen hinreichend deutlich wurde: Historischtopografische Literatur als frühneuzeitliche Quellengattung besitzt hohe – bisweilen noch unterschätzte – Relevanz für ein breites Spektrum kultur- wie umwelthistorischer Forschungen. Der in der vorliegenden Studie intendierte Brückenschlag zwischen kultur- und umweltgeschichtlichen Zugängen schließt dabei an eine facettenreiche, wenngleich disziplinär heterogene Forschungslandschaft an.

126 Ebenda, S. 103. 127 SEBASTIAN BOTT: Politische Vögel und helvetischer Patriotismus im ausgehenden 18. Jahrhundert, in: SOPHIE RUPPEL/ALINE STEINBRECHER (HG.): „Die Natur ist überall bey uns“. Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit. Basel 2009, S. 171–182, hier 173. 128 Ebenda, S. 182.

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2.2 E IN WEITES F ELD : P ERSPEKTIVEN UND F ORSCHUNGSLANDSCHAFT Als Philipp II. von Spanien (1529-1598) sich anschickte, militärisch gegen die aufständischen Niederländer vorzugehen, bemühte er Geografie und Kunst. Im Vorfeld der Operation des Herzogs von Alba bekam etwa Jacob von Deventer (1505-1575) 1559 den Auftrag, alle niederländischen Städte zu vermessen und kartografisch aufzunehmen.129 In jahrelanger Arbeit erfasste er 230 Orte und legte 1570 drei Bände mit Stadtplänen in einheitlichem Maßstab vor.130 Unter hohem Zeitdruck (und offensichtlich weniger exakt als Deventer) arbeitete Christiaan Sgrooten (ca. 15301603/04) an der Aufnahme außerurbaner Schauplätze – Landstriche, Flüsse und Gewässer – zur Herstellung von Militärkarten für die Planung von Truppenaufmärschen.131 Der Maler Anthonis van den Wijngearde (vor 1525-1571) lieferte Stadtansichten.132 Pieter Bruegel d. Ä. (um 1525-1569) gehörte zum kleinen Kreis derer, die nach Albas Einzug in Brüssel und Antwerpen von Einquartierungen verschont wurden.133 Die von Nils Büttner geschilderte Konstellation von Personen und Ereignissen im Kontext des Vorgehens Philipps II. gegen die aufständischen Niederlande dokumentiert sowohl den engen Bezug zwischen Geografie/Kartografie auf der einen und Herrschaft und Kriegsführung auf der anderen Seite, als auch denjenigen zwischen Kartografie und Kunst. Der Fülle dieser historischen Bezüge entspricht die strukturelle Interdisziplinarität des Forschungsgegenstandes historisch-topografischer Literatur. Für die vorliegende Untersuchung soll daher im Folgenden eine kritische Sichtung von Ansätzen und Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen unternommen werden, die Relevanz für die wahrnehmungsgeschichtliche Analyse historisch-topografischer Literatur besitzen. Die wichtigsten Impulse verdanken sich dabei – wenig überraschend – der Kunstgeschichte und der Geografiegeschichte bzw. der Historischen Geografie, den Philologien, der Kartografiegeschichte und – mit Abstrichen – auch der Geschichtswissenschaft.

129 Büttner 2000, S. 83–87. 130 Ebenda, S. 86–87. 131 Ebenda, S. 87–88. 132 Ebenda, S. 88–89. 133 Ebenda, S. 83.

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2.2.1 Diesseits und jenseits der kunsthistorischen Disziplingrenzen: Topografie und Landschaft Jenseits der großen geografischen Werke des 15. und 16. Jahrhunderts, etwa der Schedelschen Weltchronik oder Münsters Cosmographia, blieb das wissenschaftliche Interesse historischer Disziplinen an Beschreibungen des mitteleuropäischen Raumes lange Zeit begrenzt.134 Einige regionale Topografien oder das Werk einzelner Autoren wurden bereits in Studien oder kommentierten Editionen erschlossen.135 Der immense Umfang des Stichwerks frühneuzeitlicher Topografien bereichert nicht nur bis heute das druckgrafische Angebot der Antiquariate. Der Kunstgeschichte verdankt sich die Inventarisierung und Katalogisierung der Bildlichkeit der Gattung. Als zentrales Hilfsmittel fungiert etwa Alois Fausers Repertorium älterer Topographie.136 Zwar steht die Grafik im Fokus des Fauserschen Findbuches. Den weit überwiegenden Teil des Gesamtumfangs nimmt ein nach den Namen dargestellter Orte sortiertes Grafikverzeichnis ein. Darüber hinaus bietet Fauser aber eine nach Autoren- bzw. Verlegernamen geordnete Liste aller von ihm erfassten topografischen Werke, deren Einträge u. a. Informationen zu beteiligten Künstlern, Verlegern, zu Auflagen und Nachdrucken, zu technischen Fragen und zur Überlieferung bündeln. So ist „Der Fauser“ selbst für den unumgänglich, der sich nicht primär für die Bildprogramme interessiert.137 Dass das Werk Matthäus Merians d. Ä. und seiner Nachfolger heute als gut erschlossen gelten kann, ist im Wesentlichen der Lebensleistung des bereits oben zitierten Merianbiografen Lucas Heinrich Wüthrich geschuldet. Zwar lag bereits mit der bibliografischen Beschreibung der Merian-Topografien durch Carl Schuchhard138 ein knapp dimensioniertes Hilfsmit-

134 Vgl. KARSTEN UHDE: Ladislaus Sunthayms geographisches Werk und seine Rezeption durch Sebastian Münster, Teil I. Köln, Weimar, Wien 1993, S. 13–14. 135 Vgl. in Auswahl: FELIX FABRI: Fratris Felicis Fabri Tractatus de civitate Ulmensi, de eius orignie, ordine, regimine, de civibus eius et statu (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 186). Stuttgart 1889; Hartwich 2002; HISTORISCHER VEREIN VON OBERBAYERN (HG.): Philipp Apian’s Topographie von Bayern und bayerische Wappensammlung. Zur Feier des siebenhundertjährigen Herrscherjubiläums des erlauchten Hauses Wittelsbach herausgegeben von dem Historischen Vereine von Oberbayern (Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 39). München 1880; Ploennies 1988; Uhde 1993; Schuster 1999. 136 ALOIS FAUSER: Repertorium älterer Topographie. Druckgraphik von 1486-1750, 2 Bde. Wiesbaden 1978. 137 Vgl. Fauser 1978, Bd. I, S. XXI-LXXXV. 138 CARL SCHUCHHARD: Die Zeiller-Merianschen Topographien, bibliographisch beschrieben (Schriften des Philobiblon 3). Hamburg 1960.

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tel vor, doch reicht Wüthrichs Beschäftigung mit Merian wesentlich weiter. Er hat ein vierbändiges Verzeichnis der Druckgrafik Matthäus Merians d. Ä. vorgelegt.139 Der jüngste Band dokumentiert die Topografien. Wüthrich war auch an einer kommentierten Reprintausgabe der Merian-Topografien beteiligt.140 Das kunstgeschichtliche Interesse am Genre erschöpft sich freilich nicht in der Inventarisierung. Einige wenige Autoren seien hier wegen ihrer spezifischen Bedeutung für die historisch-topografische Landesbeschreibung bzw. für das Werk Matthäus Merians d. Ä. herausgehoben: Ralph Andraschek-Holzer hat am Beispiel österreichischer Stadtansichten der Frühen Neuzeit den Wahrnehmungsmustern und Darstellungsstrategien topografischer Grafik nachgespürt, methodische Überlegungen zur Nutzung topografischer Ansichten als historische Quellen angestellt und u. a. Abbildungen Merians und Vischers einem direkten Vergleich unterzogen.141 Er hat einen Ausstellungsband vorgelegt, in dem topografische Ansichten als Landschaftsbilder thematisiert werden.142 In Kooperation mit dem Umwelthistoriker Martin Schmid hat Andraschek-Holzer jüngst auch die Potenziale eines interdisziplinären Blicks auf topografische Darstellungen der Donau ausgelotet.143 Andra139 LUCAS HEINRICH WÜTHRICH, Das druckgraphische Werk von Matthäus Merian dem Älteren, Bd. 1: Einzelblätter und Blattfolgen. Basel 1966, Bd. 2: Die weniger bekannten Bücher und Buchillustrationen. Basel 1972, Bd. 3: Die großen Buchpublikationen I. Hamburg 1993, Bd. 4: Die großen Buchpublikationen II / Topographien. Hamburg 1996. 140 Kassel/Basel: Bärenreiter Verlag 1959ff.; vgl. die Besprechung von HERBERT GRUNDMANN:

Merians Topographia Germaniae, in: Archiv für Kulturgeschichte 43 (1961),

S. 355–362. 141 Vgl. RALPH ANDRASCHEK-HOLZER: Österreichische Stadtansichten in der Frühen Neuzeit, in: FERDINAND OPLL (HG.): Bild und Wahrnehmung der Stadt. Linz 2004, S. 1-25; DERS:

Methodische Überlegungen zur wissenschaftlichen Auswertung topographischer

Ansichten, in: WILLIBALD ROSNER (HG.): Die Städte und Märkte Niederösterreichs im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. St. Pölten 2005, S. 247-267; DERS.: Topographische Ansichten des 17. Jahrhunderts im Vergleich. Merian und Vischer, in: Unsere Heimat 75 (2004) 2, S. 183-195; DERS./GEBHARD KÖNIG (HG.): Die topographische Ansicht: Kunstwerk und Geschichtsquelle, das Beispiel Waldviertler Städte (Ausstellungskatalog). St. Pölten 2000. 142 RALPH ANDRASCHEK-HOLZER (HG.): Topographische Ansichten als Landschaftsbilder. Architektur und Natur in Niederösterreich 1650-1850. Eine Ausstellung aus den Beständen der Niederösterreichischen Landesbibliothek, 18. Juni bis 29. August 2008 im Ausstellungsraum der Niederösterreichischen Landesbibliothek. St. Pölten 2008. 143 RALPH ANDRASCHEK-HOLZER/MARTIN SCHMID: Umweltgeschichte und Topographische Ansichten. Zur Wahrnehmung und Transformation von Flusslandschaften an der österreichischen Donau 1650-1950, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich NF 75-76 (2009-2010), S. 1–49; RALPH ANDRASCHEK-HOLZER/MARTIN SCHMID: Um-

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schek-Holzer und Schmid nehmen topografische Repräsentationen zweier Donauabschnitte, des „Strudens“ mit „Strudel“ und „Wirbel“ zwischen Grein und St. Nikola und Carnuntums zwischen Petronell und Bad Deutsch-Altenburg, in den Blick und verfolgen die Entwicklung der Ikonografie bis ins neunzehnte Jahrhundert. Gerade aus einem umwelthistorischen Blickwinkel heraus gelangen sie zu einer entschiedenen Relativierung der analytischen Sinnhaftigkeit eines dichotomischen Realismus-Konstruktivismus Zugangs zu den Grafiken. Um sowohl die Transformation der Landschaft in ihrer Materialität als auch jener der gattungsgeschichtlichen Topik gerecht zu werden, fordern sie eine breite interdisziplinäre Zusammenarbeit unter Einbeziehung sowohl kunst- und kulturwissenschaftlicher als auch naturwissenschaftlicher Methoden. Ulrike V. Fuss hat sowohl die Landschaftsmalerei als auch die Ikonografie der historisch-topografischen Stadtbeschreibung untersucht. Sie weist an verschiedenen Beispielen beider Genres sowohl funktionale Bedingtheiten des dargestellten StadtLandschafts-Verhältnisses als auch eine Tendenz zur Harmonisierung und Standardisierung von Landschaft in topografischer Ikonografie nach.144 Im Falle der Merian-Ikonografie spricht sie zugespitzt von einer regelrechten „Merianisierung“. Merian bediene sich verschiedener Landschaftselemente als einer Form von künstlerischem Dekor, der es ihm ermögliche, mittels naturlandschaftlicher Versatzstücke eine fremde Vorlage einer Stadtansicht dem Merianschen Bildkonzept anzupassen. „Der arborale Landschaftsdekor übernimmt zum einen die Funktion, Bildraum zu schaffen, indem der Betrachter automatisch das höchste Element des Vordergrundes in Bezug setzt zu einer beispielsweise weit entfernten Kirchturmspitze, zum anderen setzt der Baum der strengen gradlinigen Architektur ein liebliches Element entgegen im Sinne der ‚lieblichen Landschaft‘ (regio amoena).“145

Was den Informationsgehalt bzw. die Authentizität von Landschaften in den von ihr analysierten Gattungen betrifft, warnt Fuss vor allem vor Pauschalierungen.146 In ihrer kunsthistorischen Dissertation untersucht Fuss die Veränderung der Formen der weltgeschichte und Topographische Ansichten. Zur Transformation eines österreichischen Donau-Abschnitts in der Neuzeit, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 120 (2012), S. 80–115. 144 ULRIKE V. FUSS: Landschaftsspezifische Charakteristika in den Stadtansichten der Frühen Neuzeit, in: HOLGER TH. GRÄF/KATRIN KELLER (HG.): Städtelandschaft. Städte im regionalen Kontext in Spätmittelalter und Früher Neuzeit = Réseau urbain = Urban network (Städteforschung, Reihe A, Darstellungen 62). Köln 2004, S. 199–217. 145 Ebenda, S. 208. 146 Ebenda, S. 210.

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Landschaftsdarstellung im Werk Matthäus Merians d. Ä.147 Fuss definiert Landschaft und Landschaftsbild dabei bewusst weit148 und bezieht unterschiedliche Darstellungstypen – das Landschaftsbild im engeren Sinne (‚Naturlandschaft‘), die Stadtansicht und die Karte bzw. kartenartige Darstellungen – in ihre Untersuchung ein.149 Damit eröffnet sie einen gemeinsamen genreübergreifenden Diskussionskontext für die Analyse von Merians früher, unter niederländischem Einfluss stehender Landschaftsmalerei und der Arbeiten ab den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts, die an die Bildtradition der historisch-topografischen Buchillustration des 15. und 16. Jahrhunderts anknüpfen. Wichtig für die vorliegende Studie ist zum einen, dass Fuss an Einzelbeispielen die Text-Bild-Pragmatik in den von Merian verlegten historisch-topografischen Werken und seinem Theatrum Europaeum analysiert. Ihr gelingt es dabei überzeugend, verschiedene Typen des funktionalen Text-BildBezuges herauszuarbeiten: Abhängig vom jeweiligen Darstellungsanliegen tritt das Bild einmal in enger Bindung an den Text, quasi als dessen möglichst buchstäbliche ‚Auserzählung‘ auf, während es an anderer Stelle große Eigenständigkeit bewahrt. Beispiele für Ersteres finden sich vor allem in den Gottfriedschen Chroniken und deren Fortsetzung, dem Theatrum Europaeum, wenn es darum geht, zeitgeschichtliche Ereignisse für einen breiten Rezipientenkreis aufzuarbeiten.150 Anders dagegen in der historisch-topografischen Literatur, was Fuss an einem Vergleich der Beschreibung von Paris in Gottfrieds Archontologia cosmica und 147 ULRIKE V. FUSS: Matthaeus Merian der Ältere. Von der lieblichen Landschaft zum Kriegsschauplatz – Landschaft als Kulisse des 30jährigen Krieges. Frankfurt a. M. 2000. 148 Ebenda, S. 36: „‚Landschaft‘ bezeichnet im folgenden einen Ort unter freiem Himmel, der durch seine geomorphologischen Eigenschaften, sowie durch Vegetation und / oder Gebäude charakterisiert wird. Im ‚Landschaftsbild‘ dominiert die Darstellung dieser Charakteristika gegenüber einer Figurenkomposition oder symbolischen Elementen.“ 149 Ebenda, S. 37: „Die Naturlandschaft – vielfach in der Form der ‚regio amaenissima‘ – verkörpert den Bildtypus, der als Landschaftsbild im engeren Sinne verstanden wird. Sie thematisiert eine natürliche Landschaft und setzt sich mit der Schönheit oder den Schrecken der Natur auseinander. Die Stadtansicht zeigt eine Stadt oder den Teil einer Stadt als selbständiges Bildmotiv. Sie bietet dem Betrachter den Blick auf deren Gebäude und Wehranlagen, wobei in der Regel durch die dargestellte Architektur eindeutig erkennbar ist, daß es sich um eine Stadt und nicht um ein Dorf handelt. Die Karte erfaßt ein großflächiges Gebiet aus planparalleler Perspektive und konzentriert sich auf eine schematisierte Wiedergabe von Naturlandschaft in Verbindung mit der symbolischen oder im Grundriß gegebenen Verzeichnung von Ortschaften sowie des zwischen ihnen verlaufenden Straßennetzes.“ Vgl. auch Fuss 2004, S. 199. 150 Vgl. Fuss 2000, S. 138–142.

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dem dort publizierten Merian-Stich anschaulich exemplifiziert.151 Es zeige sich, dass „die von Merian optisch vermittelten, topographischen Informationen über die Aufzählung von Sehenswürdigkeiten im Text hinausgehen, respektive andere Punkte berücksichtigen.“152 Der Vergleich des Textes mit der Bildlegende lasse kaum Gemeinsamkeiten erkennen. Der Text behandle primär Orte und Plätze innerhalb der Stadt und verbinde diese mit historischen und anderen sachlichen Informationen, die visuell-grafisch zum Teil nicht umsetzbar seien. Die Ansicht gebe dagegen einen Gesamteindruck und könne zugleich Details der Stadtkonzeption wiedergeben. Damit nehme sie die Zwischenstellung zwischen der Textbeschreibung und der kartografischen Erfassung eines Ortes ein. Durch die Darstellung einer in den Betrachterraum übergreifenden Naturlandschaft oder entsprechender Bildelemente werde der Betrachter in den Bildraum potentiell einbezogen. Dies sei charakteristisch für viele Merian-Ansichten und unterscheide diese deutlich von kartografischen und älteren topografischen Darstellungen. Unabhängig voneinander entstanden, setzten Bilder Textinformationen nicht um, sondern bildeten eine „eigenständige Textergänzung, die einen anderen Bereich von ‚Stadtkultur‘ in den Vordergrund stellt. Während die Ortsbeschreibung sich mit volkskundlichen, historischen und ökonomischen Aspekten oder architektonischen Charakteristika im Stadtbereich auseinandersetzt, vermittelt die Graphik topographisches Wissen über die Lage einer Stadt innerhalb einer natürlichen Landschaft, über das Stadtbild und die vorherrschende Siedlungsstruktur sowie über bauliche Besonderheiten wichtiger Monumente, die die Fernwirkung der Stadtansicht bestimmen.“ Im Rahmen topografischer Bücher seien Städtebilder damit „als eigenständiges Informationsmedium aufzufassen, das auf eine ihm spezifische Weise Kenntnisse über Städte wiedergibt.“ Man könne Merians Radierungen als „geowissenschaftliches Instrument der Welterfahrung begreifen.“153 Als solches – auch dies zu betonen ist Anliegen der Untersuchung von Ulrike V. Fuss – muss es freilich in seiner konstruktiven Bedingtheit hinreichend gewürdigt werden. Ein unkritischer Gebrauch als Bildquelle verbietet sich, wie Fuss wohl vor allem der historischen Zunft ins Stammbuch schreibt.154 Auch wenn – oder gerade weil – Merian mit einer großen perspektivischen Virtuosität arbeitet und etwa seiner Darstellung von Berglandschaften wegweisender Charakter zukommt,155 ist der Realismus der Darstellungen im jeweiligen Einzelfall kritisch zu prüfen. Das Beispiel der Darstellung von Koblenz im Theatrum Europaeum zeigt, dass Merian ältere Vorlagen verwendet, diese durch Drehung und perspektivische Überhöhung op151 Vgl. ebenda, S. 108–113. 152 Ebenda, S. 113. 153 Ebenda, S. 113–114. 154 Ebenda, S. 143, Anm. 44. 155 Vgl. ebenda, S. 88–100.

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timiert und durch Einfügen zeitgenössischen Baubestandes aktualisiert.156 Das Ergebnis, das eine im Vergleich zu seinen Vorlagen wesentlich stärker ausgeprägte Dreidimensionalität vermittelt, bleibt bei allem vordergründigen Naturalismus eine komplexe Konstruktion auf der Basis alter Vorlagen. Während die Meriansche Sicht auf die Augsburger Befestigungsanlagen des 17. Jahrhunderts einem Abgleich mit den archivalisch dokumentierten Stadtgrenzen nicht standhält, zeichnet sich das Panorama von Mainz im Dreißigjährigen Krieg durch seine an anderen Quellen verifizierbare Authentizität aus.157 Bezogen auf die Entwicklung der Landschaftsdarstellung im Werk Matthäus Merians d. Ä. sieht Fuss eine in der Auseinandersetzung mit den zeitgeschichtlichen Verwerfungen des Dreißigjährigen Krieges begründete Bedeutungszunahme von Stadtlandschaften ab Mitte der 1630er Jahre.158 Naturlandschaften, wie sie unter seinen frühen Arbeiten zu finden sind, verlieren an Präsenz. „Merians letzte und interessantesten Landschaftsbilder mit Natur-Darstellungen“ seien in der Archontologia cosmica, der Topographia Helvetiae und der Topographia Bavariae enthalten. In ihrer abschließenden Gesamtwürdigung der Landschaftsgrafik Merians verortet Fuss deren Bedeutung vor allem in den Bereichen Kunst, Wissenschaft und Publizistik: „Merians Werk zeigt im Kontext des ‚Theatrum Europaeum‘ die Transformation des künstlerischen Formenschatzes und der Kompositionskriterien lieblicher Landschaften (‚regio amaeinissima‘) in einen Zusammenhang visueller Dokumentation von Orten und Geschehensabläufen. Die damit verbundene Erfassung von Städten führte zum landeskundlichen und stadtgeschichtlichen Konzept der Topographien. Merians Intention zu dieser Serie lag darin, das exakte Weltbild seiner Zeitgenossen zu erweitern. Unter dem Aspekt der Wissenschaftsgeschichte reihte er sich auf diese Weise durch seine Radierungen unter die Geographen und Topographen ebenso wie unter die Historiographen ein. Gleichzeitig waren seine Stadtlandschaften Nachrichten-Medium zur visuellen Berichterstattung der jüngsten Zeitgeschichte. Sie zeigen wie die Flugblätter des siebzehnten Jahrhunderts auf die ihnen spezifische Art eine Frühform des Bildjournalismus.“159

Die Kunsthistorikerin Michaela Völkel geht in ihrer Studie über Schlossabbildungen von der Beobachtung aus, dass Bauten seit der Antike zu den wichtigsten Gegenständen der politischen Repräsentation gehören, dass der Wirkungskreis ihrer Sichtbarkeit aber medial durch Beschreibung erweitert wurde. Dies konnte textuell

156 Vgl. ebenda, S. 157–166. 157 Vgl. ebenda, S. 168–180. 158 Ebenda, S. 184. 159 Ebenda, S. 184–185.

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oder, seit dem Humanismus, außersprachlich in Bildfolgen geschehen.160 Unter den zahlreichen von Völkel analysierten Beispielen von Schlossabbildungen befinden sich auch jene aus den Merian-Topografien zu den Herzogtümern BraunschweigLüneburg und zur österreichischen Adelsherrschaft Windhag161, die aufgrund starker Einflussnahme der fürstlichen bzw. adeligen Auftraggeber eine Sonderstellung im topografischen Werk Merians besitzen. In meiner Untersuchung wird die Analyse von Umweltwahrnehmung in historisch-topografischer Literatur als Beobachtung der Repräsentation sozionaturaler Schauplätze in ihrer Abhängigkeit von zeitgenössischen kommunikativen Praktiken konzipiert.162 Dass die kunstgeschichtliche Auseinandersetzung mit Stadtikonografie und Landschaftskunst für dieses analytische Interesse von zentraler Bedeutung ist, liegt auf der Hand. Kunstgeschichte gewinnt ihren spezifischen Wert für die interdisziplinäre kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit historisch-topografischer Literatur gerade daraus, dass sich innerhalb der Disziplin materialistische, ikonologisch-exegetische und diskursanalytische Zugänge in produktiver Reibung gegenüberstehen. In der Kunst- wie in der Kartografiegeschichte – und über deren disziplinäre Grenzen hinweg – halten die Debatten um das Verhältnis von Kartografie und bildender Kunst bzw. um das Verhältnis von Konstruktion bzw. Imagination und Beschreibung bzw. Realismus in der Darstellung von Städten und Landschaften an. Die Kunsthistorikerin Svetlana Alpers ist in dieser Debatte als wichtige Impulsgeberin hervorgetreten. In ihrer 1983 vorgelegten Arbeit zur niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts postuliert sie eine zeitlich mit der Entwicklung der Naturwissenschaften parallele Aufwertung des Visuellen, eine quasi fotorealistisch beschreibende Hinwendung des Künstlers zur physischen Realität163, und stellt dane160 MICHAELA VÖLKEL: Das Bild vom Schloß. Darstellung und Selbstdarstellung deutscher Höfe in Architekturstichserien 1600-1800 (Kunstwissenschaftliche Studien 92). München 2001, S. 11. 161 Vgl. ebenda, S. 41–51. 162 Vgl. dazu unten Kap. 2.2.5 und 2.2.6. 163 „Tatsächlich kann man viele Werke als ‚beschreibend‘ kennzeichnen, die wir sonst häufig ‚realistisch‘ nennen, und dazu gehört auch, wie ich an verschiedenen Stellen meines Textes nachzuweisen versuche, der Bildmodus der Photographie. […] Das Innehalten auf diesen Bildern ist ein Anzeichen für eine gewisse Spannung zwischen den narrativen Bestrebungen der Kunst und der deskriptiven Aufmerksamkeit für das Vorhandene, Gegenwärtige. Intensive Beschreibung und Handeln scheinen einander auszuschließen: Die Hinwendung zur Oberfläche der beschriebenen Welt geht zu Lasten der Darstellung der erzählerischen Handlung. Panofsky hat das besonders deutlich im Hinblick auf Jan van Eyck formuliert, auch er ein Maler, der im beschreibenden Modus arbeitete: ‚Das Auge Jan van Eycks arbeitet gleichzeitig als Mikroskop und als Teleskop […], so daß der Be-

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ben eine methodische wie personelle Nähe zwischen Geografie, Kartografie und Landschaftsmalerei fest.164 Die Arbeiten David Woodwards, Nils Büttners oder der jüngste geschichtswissenschaftliche Zwischenruf Manuel Schramms zur Entwicklung der Landschaftswahrnehmung zeugen neben einer Fülle anderer Beiträge von einer ungebrochenen Konjunktur der Thesen von Alpers im interdisziplinären Forschungskontext.165 In der Tradition Alpers’ interessiert sich Nils Büttner für den Zusammenhang zwischen Landschaftskunst, Geografie, Kartografie und topografischer Landesbetrachter gezwungen ist, zwischen einem Standort in einiger Entfernung vom Bild und vielen Standorten in nächster Nähe des Bildes hin- und herzuwechseln […] Aber für diese Vollendung musste ein hoher Preis gezahlt werden. Mikroskop und Teleskop sind für die Beobachtung menschlicher Gefühle beide gleichermaßen ungeeignet. […] Die Betonung liegt mehr auf dem stillen Dasein als auf der Handlung […] An herkömmlichen Maßstäben gemessen, ist die Welt des reifen Jan van Eyck statisch.‘“ SVETLANA ALPERS: Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Köln 1985, S. 27–28. 164 „Die Karten zeigen uns die Ausdehnung einzelner Ortschaften und ihre Beziehungen zueinander, also quantifizierbare Daten, während die Landschaftsbilder aus dem Gefühl heraus gemalt werden und uns eher einen Eindruck von der Qualität eines Ortes oder den Empfindungen seines Betrachters vermitteln wollen. Das eine steht der Wissenschaft nahe, das andere ist Kunst. Diese unreflektierte, aber weitverbreitete Meinung – unreflektiert, weil man normalerweise nicht versucht, die tieferen Hintergründe dafür herauszufinden – wird auch von den einzelnen Berufsgruppen aufrechterhalten.“ Ebenda, S. 221. „Während die Kartographen gerne den dekorativen, bildartigen Aspekt außer Acht lassen, tun die Kunsthistoriker dasselbe mit der dokumentarischen Seite der Kunst. ‚Rein topographisch‘ (im Gegensatz zu ‚rein dekorativ‘) heißt es hier. Diesen Ausdruck benutzen Kunsthistoriker, um diejenigen Landschaftsbilder oder Ansichten zu klassifizieren, welche die Kunst der genauen Ortswiedergabe opfern. Kartographen und Kunsthistoriker sind sich also einig darin, daß eine Grenze zwischen Karte und Kunst oder zwischen genauem Wissen und Dekoration zu ziehen ist. Diese Grenze hätte die Holländer irritiert. Denn in der Zeit, in der Landkarten als eine Art Bild betrachtet wurden und man Bilder zum besseren Verständnis der Welt mit Texten versah, gab es diese feste Grenze nicht.“ Ebenda, S. 225. 165 Vgl. DAVID WOODWARD (HG.): Art and Cartography. Chicago, London 1987; Büttner 2000; Schramm 2008. Naturgemäß fehlt es auch nicht an dezidierter Kritik an Alpers Paradigma. Stellvertretend sei die realismusskeptische Distanzierung Sergiusz Michalskis erwähnt, derzufolge die holländische Malerei von „einer kartographischen Präzision und einer topographisch dokumentierenden Intention – wie sie unlängst wortreich Svetlana Alpers in ihrer Arbeit ‚The Art of Describing‘ beschworen hat – […] in Wirklichkeit weit entfernt“ sei. Michalski 1999, S. 54.

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schreibung und relativiert die Sinnhaftigkeit der landläufigen kunsthistorischen Beschäftigung mit der Genese der Landschaftsmalerei. Nicht ohne Süffisanz stellt er fest, dass sich die kunsthistorische Forschung auf der Suche nach den Anfängen der Gattung „weitgehend in dem Versuch verloren hat, immer frühere Einzelbelege für vermeintlich ‚autonome‘ Landschaften anzuführen, und Zeugnisse für ein mehr oder weniger tief empfundenes Naturgefühl aufzuspüren.“166 Es gebe „kaum ein neueres Werk über die Landschaftsmalerei [...], in dem sich nicht irgendwo der Hinweis auf Francesco Petrarcas berühmte Besteigung des Mont Ventoux fände, die gern als erstes Zeugnis modernen Naturgefühls gewertet wird.“167 Abgesehen davon, dass der Bericht über diese möglicherweise fingierte Besteigung alles andere als eine unproblematische Quelle für die Rekonstruktion von Naturwahrnehmung darstellt,168 weist Büttners Interesse am Zusammenspiel der Entwicklung der Malerei, an der Zunahme geografischen Wissens und an den methodischen Innovationen auf dem Gebiet der Topografie und Kartografie in eine vielversprechende wahrnehmungsgeschichtliche Richtung. Ausgehend von der rezeptionsgeschichtlichen Feststellung eines großen wirtschaftlichen Erfolges von Landschaftsmalerei und topografischer Literatur verfolgt Büttner Spuren, die von einem allgemein gestiegenen Interesse an der Beschreibung der physischen Welt über die nautischen Fähigkeiten einer zunehmend global agierenden Seefahrt bis hin zum territorialen – und damit geografischen – Wissensdurst vieler Fürstenhäuser reicht, der mit Territorialisierung ebenso im Zusammenhang steht wie mit Kriegsführung. Auch der Kulturgeograf Denis Cosgrove unterstreicht auf der Basis seiner Studien zur Republik Venedig den von Büttner betonten Zusammenhang zwischen Kunst und Kartografie, wenn er feststellt, „that sixteenth century mapping and landscape painting were intimately related, and that both chorographic and artistic representations of land and life were widely diffused and understood, structuring a vision of nature and human knowledge of creation, making the human landscape as much as representing it. The map also points to a broader philosophical discourse about environmental relations and about natura.“169 Cosgroves Studien ist im historischen Kontext der frühneuzeitlichen Republik Venedig auch der biografische Hinweis auf den venezianischen Landvermesser und Wasserbauspezialisten Cristoforo Sorte (1510-1595) zu verdanken, der in seinem Lehrbuch Osservazione nella pittura von 1580 zugleich als früher Theoretiker der

166 Büttner 2000, S. 12. 167 Ebenda. 168 Vgl. RUTH GROH/DIETER GROH: Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur. Frankfurt a. M. 1991, S. 106–107; vgl. auch GROH 1999. 169 DENIS COSGROVE: The Palladian landscape. Geographical change and its cultural representations in sixteenth-century Italy. Leicester 1993, S. 187.

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Landschaftsmalerei in Italien auftritt.170 Im zeitlichen Zusammenhang mit der Konjunktur topografischer Landesbeschreibung und der Landschaftskunst ab dem 16. Jahrhundert steht auch die Genese des natural konnotierten Landschaftsbegriffes.171 Denis Cosgrove attestiert den Europäern des 16. Jahrhunderts, sie hätten gelernt, durch Anordnung von Natur in der Malerei Landschaften als Landschaften zu sehen.172 Er unterstreicht dabei den konstruktiven Charakter von Landschaften: „Landscapes are thus cultural images, whether we are speaking of actual topography or of its representation in words, pictures or even music. Landscape is a powerful medium through which feelings, ideas and values are expressed. Moreover the representation of landscape can help shape feelings, ideas and values, most particularly those which refer to the relations between land and life.“173

Die Kunsthistorikerin Tanja Michalsky hat sich kritisch mit Svetlana Alpers’ Thesen auseinandergesetzt. Sie attestiert Alpers, diese habe den Begriff der Beschreibung durch seine Anwendung auf piktorale Systeme einerseits erweitert, andererseits durch die Unterstellung einer wirklichkeitsgetreuen – realistischen – Neutralität der Wiedergabe und verstärkt durch die Parallelisierung mit den Naturwissenschaften eingeengt. In dieser Verengung sieht Michalsky „ein weiterreichendes methodisches Problem, da so Medialität und Intentionalität der Beschreibung aus dem Blick geraten.“174 Es ist Michalsky nicht an einer kompletten Revision der mittlerweile etablierten Parallelsetzung der frühneuzeitlichen Entwicklungen von Kartografie und Landschaftsmalerei gelegen. Aber sie will die Chronologie des Prozesses differenzieren und auf grundlegende Unterschiede zwischen den Genres hinweisen. Ein umfangreicher Exkurs in Theorie und Praxis der karto- und topografischen Weltbeschreibung sowie in die Produktions- und Rezeptionsgeschichte der holländischen Landschaftsmalerei dient ihr dazu, „die spezifischen historischen Möglichkeiten, Strategien und Funktionen der einzelnen, keineswegs neutralen Beschreibungen herauszuarbeiten.“ Michalsky gelangt zu folgenden Thesen: „Da sich bereits seit dem 16. Jahrhundert in sämtlichen führenden Nationen Europas ein neues Erkenntnisinteresse an der Welt in ihrer geologischen, sozialen, ökonomischen und historisch gewachsenen Erscheinung ausgebildet und nicht zuletzt in Karten niedergeschlagen hat, 170 Vgl. ebenda, S. 169–175. 171 Zur Begriffsgeschichte als Spiegel der historischen Entwicklung des Landschaftskonzepts vgl. Büttner 2000, S. 10–11; DENIS COSGROVE: Landscape and Landschaft, in: Bulletin of the German Historical Institute Washington (2004), S. 57–71, hier 58–62. 172 Cosgrove 1993, S. 9. 173 Ebenda, S. 8. 174 Michalsky 2007, S. 319–320.

72 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT muß die Relevanz der Kartographie für Vor- und Darstellungen von Land früher angesetzt und das Verhältnis spezifiziert werden. Am Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert ist das Augenmerk hingegen darauf zu richten, daß sich Kartographie und Landschaftsmalerei gerade nicht aufeinander zu bewegen, sondern insbesondere die Maler angesichts der Kartenproduktion zur selbstbewußten Markierung ihrer ästhetischen Mittel greifen, die es auch ermöglichen, andere Inhalte auf das Land zu projizieren.“175

Auch der Historiker Manuel Schramm widmet sich der Chronologie dieses kulturhistorischen Transformationsprozesses der Frühen Neuzeit.176 Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn er – hierin Nils Büttner folgend – in der Wolkendarstellung Jacob van Ruisdaels „eine naturwissenschaftliche Sicht auf die Natur“ feststellt, während Tanja Michalsky am Werk desselben Malers den konstruktiven und imaginativen Charakter der Darstellung von Landschaft und Himmel als Erlebnisraum und politische wie religiöse Projektionsfläche zeigt.177 Sergiusz Michalski178 schließlich kommt zu einer abwägenden Einschätzung der „Haarlempjes“ Jacob van Ruisdaels: „Daß die sogenannten ‚Haarlempjes‘ von Ruisdael mit den im Vordergrund dargestellten, überdimensionierten Bleichfeldern die Reinheit und Gottesfürchtigkeit von Haarlem als christlicher Stadt symbolisieren, ist jüngst durch vergleichende ikonographische Untersuchungen bewiesen worden. Das Weiß der Felder bildet somit eine inhaltliche Entsprechung zu der Aussage der die Landschaft weit überragenden Haarlemer Bavokirche. Doch auch bei Ruisdael sind die symbolischen wie auch die topographischen Aspekte einer ästhetisch motivierten Natursicht untergeordnet, in der die Stadt als ein organischer Bestandteil der Landschaft erscheint. Im 17. Jahrhundert war dies etwas Neues.“179 175 Ebenda, S. 322–323. 176 Schramm 2008; zum Folgenden: MARTIN KNOLL: ‚Sauber, lustig, wohlerbaut‘ in einer ‚angenehmen Ebene‘. Abgrenzung und Integration zwischen Siedlung und naturaler Umwelt in der topografischen Literatur der Frühen Neuzeit, in: LARS KREYE/CARSTEN STÜHRING/TANJA ZWINGELBERG (HG.): Natur als Grenzerfahrung. Europäische Perspektiven der Mensch-Natur-Beziehung in Mittelalter und Neuzeit: Ressourcennutzung, Entdeckungen, Naturkatastrophen. Göttingen 2009, S. 151–171, hier 153–154, Anm. 10. 177 Schramm 2008, S. 45; Michalsky 2007, S. 348. 178 Auf das Auslaut-i als Distinktionsmerkmal zwischen den beiden KunsthistorikerInnen sei hiermit ausdrücklich hingewiesen. 179 Michalski 1999, S. 54; zu Jakob van Ruisdaels „Haarlempjes“ vgl. auch Fuss 2004, S. 201–202, die den Gemälden attestiert, dem Betrachter zwar keine verläßlichen Informationen zur Haarlemer Topographie zu bieten, aber in der dort inszenierten Landschaft, genauer: in den stadtnahen Bleichfeldern, die Tuchproduktion als wichtigen Teil der

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Auch Wolfgang Behringer interessiert sich für die Wolkendarstellung in der Kunst des ausgehenden 16. Jahrhunderts, wobei er vor allem den klimahistorischen Quellenwert sondiert. Zwar sei Hans Neubergers Nachweis von Klimawandel durch Wolkenzählung in der Landschaftsmalerei bei Kunsthistorikern auf wenig Gegenliebe gestoßen. „Andererseits ist es doch erstaunlich, wie häufig dunkle Wolken bei Künstlern wie El Greco (1541-1614) auftauchen. Es mag ja sein, dass die Gestaltung des Himmels bei seiner ‚Entkleidung Christi‘ zur ‚Spiritualisierung des Themas‘ beiträgt, doch spricht nichts dagegen, sie mit den Veränderungen der Natur zusammenzubringen. Düstere Wolken tauchen sogar im Bildhintergrund von Holzschnitten und Kupferstichen auf, obwohl sie mit diesen Techniken schwer darzustellen sind. Abseits genrehafter Jahreszeitenbilder wird die Witterung erstmals in großformatigen Bildern thematisiert, etwa in Pieter Brueghels d. Ä. (1525-1569) ‚Düsterem Tag‘, in welchem ‚unter einem grauen Himmel, an dem ein klarer Wind die grauen Wolken vor einem bleichen Mond herjagt ... die stählern-grauen Berge mit ihren verschneiten Gipfeln‘ sich über einer wie festgefroren daliegenden Stadt erheben, der Sturm Schiffe in Seenot bringt und ein ufernahes Dorf verwüstet.“180

Manuel Schramm möchte mittels eines breiten Ansatzes, „der neuere Erkenntnisse aus der Ideen- und Kulturgeschichte mit technik- und wirtschaftshistorischen Veränderungen im Umgang mit der Natur in Beziehung setzt“, „eine häufig irreführende einseitige Betrachtungsweise der Naturwahrnehmung“ überwinden.181 Er macht in der bisherigen Forschung drei Positionen aus, deren Konsens darin bestehe, dass sich die menschliche Wahrnehmung von bzw. das menschliche Verhältnis zu Natur in der Neuzeit deutlich von dem vorhergehender Epochen unterscheide und diesbezüglich eine gewisse Singularität der europäischen Entwicklung postuliert werde.182 Eine erste, vor allem in der Ideengeschichte und in der Kunstgeschichte verwurzelte Position gehe von einer Ausbildung des modernen Naturverhältnisses in der (italienischen) Renaissance des 14. und 15. Jahrhunderts aus (Joachim Ritters Datierung mit dem Petrarcaschen Mont-Ventoux-Erlebnis von 1336 in Anlehnung an Jacob ökonomischen Realität der Stadt zu thematisieren. Dabei verfremde Ruisdael jedoch ähnlich wie Vermeer die Landschaft künstlerisch. Die Haarlemer Landschaft mit ihrem hochaufragenden Wolkenhimmel sei hier Ausdrucksträger, der den Stimmungsgehalt des Bildes bestimme, während eine zeitlich frühere graphische Haarlem-Ansicht von Willem Akerslot die Landschaft als Handlungsträger zeige. 180 WOLFGANG BEHRINGER: Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung 669). Bonn 2007, S. 187–188. 181 Schramm 2008, S. 37–38. 182 Ebenda, S. 38.

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Burckhardt183). Die ältere Kunstgeschichte konzentriere sich für dieselbe Zeit auf das Herauslösen der Landschaftsdarstellung aus den religiösen Bildhintergründen.184 Eine zweite Position argumentiere wissenschaftshistorisch mit der „Scientific Revolution“ des 17. Jahrhunderts und unterstreiche die moderne Naturbeherrschung.185 Eine dritte, in der Volkskunde und der Mentalitätsgeschichte angesiedelte Positition datiere die Zäsur „mit dem Aufkommen der Romantik im späten 18. Jahrhundert, die zudem häufig als Reaktion auf die beginnende Industrialisierung interpretiert wird.“ Das Argument bei Letzterer bilde oft die „Neubewertung der ‚wilden‘ Natur“ (Alpen, Meer). Andere Aspekte der Naturwahrnehmung wie die Gartenkunst und die Landschaftsmalerei würden dabei ignoriert.186 Schramm widerspricht allen drei Positionen und argumentiert, „daß sich bereits im 17. Jahrhundert die Umrisse einer neuen Sicht auf die Natur abzeichneten, die unter dem Begriff ‚Landschaft‘ popularisiert wurde“. Damit setzt er sich von der ersten Position als zu früher und der dritten Position als zu später Datierung ab, während er die zweite Position als zu stark auf die mechanistischen Ansichten der „Scientific Revolution“ fixiert ablehnt.187 Ob eine solche Zuspitzung innerhalb eines chronologisch wie geografisch breiten Transformationsprozesses notwendig ist, erscheint fraglich. Wer hier zu sehr verengt, fordert Verweise auf frühe Zeugen rationalen Empirismus in der aristotelisch-scholastischen Natursicht des Mittelalters ebenso heraus wie Beispiele sich zäh haltender religiös-magischer Attribuierungen naturaler Phänomene im späten 18. Jahrhundert188 – von der schon angesprochenen landschaftsästhetischen Bewunderung des Erhabenen der Schweizer Bergwelt durch Josias Simler im 16. Jahrhundert189 ganz zu schweigen. Auch gibt es durchaus Ansätze, das Thema der Landschaftswahrnehmung seines von Schramm beklagten Eurozentrismus zu entheben. In diesem Zusammenhang verdient der Philosoph Edward S. Casey Beachtung, der der westlichen Landschaftsmalerei im globalen Vergleich eine erhebliche Entwicklungsverzögerung attestiert. Menschliche Wahrnehmung und menschlicher Genuss von Landschaften, 183 Vgl. dazu oben in diesem Kapitel; zur Diskussion um die sogenannte Ritter-These: LUDWIG TREPL: Die Idee der Landschaft. Eine Kulturgeschichte von der Aufklärung bis zur Ökologiebewegung. Bielefeld 2012, S. 53–64. 184 Ebenda, S. 39–40. 185 Ebenda, S. 40. 186 Ebenda, S. 40–41. 187 Ebenda, S. 41–42. 188 Vgl. VERENA WINIWARTER/MARTIN KNOLL: Umweltgeschichte. Eine Einführung (UTB 2521). Köln u. a. 2007, S. 265–269; weiterführend: ROLF PETER SIEFERLE/HELGA BREUNINGER (HG.): Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte. Frankfurt a. M. 1999. 189 Strauss 1959, S. 102–104.

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so die pointierte These Caseys, seien uralte Phänomene, neu sei lediglich die Schaffung einer geeigneten Repräsentation von Landschaft.190 Gerhard Leidel, profunder Kenner der Geschichte herrschaftlicher Kartografie in Bayern, dreht die Diskussion über den Zusammenhang zwischen Kartografie und Landschaftsmalerei gewissermaßen um, indem er die amtliche Kartografie, die sich gerade im 15. und 16. Jahrhundert noch durch eine äußerst naturalistische, wenig planimetrische Darstellungsweise auszeichnete, als „direkte[n] Ableger der Landschaftsmalerei“ charakterisiert.191 Er beklagt in diesem Zusammenhang, dass die Kunstgeschichte vom reichen Quellenfundus frühneuzeitlicher amtlicher Kartografie bislang zu wenig Notiz genommen habe. Leidel verweist auf den hohen Authentizitätsanspruch, dem sich die Zeichner und Maler der Karten u. a. durch Eide verpflichten mussten, und schließt daraus auf interessante Fragestellungen für die kunstwissenschaftliche Analyse. Es handle sich um Malkunst, die für die Zwecke der Verwaltung angefertigt worden sei, um den „lebendigen Augenschein“ vor Ort zu erübrigen. Daran könne der Begriff analysiert werden, den sich eine Epoche von künstlerischem Realismus gemacht habe, insbesondere ihre „Erfahrung der Diskrepanz von Wahrnehmungstreue und Realitätstreue“.192 Unter den bislang äußerst spärlichen methodischen Äußerungen der Umweltgeschichte zur Landschaftskunst ragt sicher diejenige heraus, welche William Cronon in Auseinandersetzung mit der nordamerikanischen Frontier- bzw. Western Art entwickelt hat. Um die thematische bzw. programmatische Mehrdimensionalität von Werken dieser Landschaftsmalerei entschlüsseln zu können, ist es Cronon zufolge erforderlich, drei unterschiedliche Elemente in den Darstellungen zu isolieren: die Momentaufnahme des dargestellten Landschaftszustandes, die Chronik vorangegangener Nutzungen und die Vision künftigen Wandels.193 Ausgehend von Gottlieb Emanuel Leutzes (1816-1868) Westward the Course of Empire Takes its Way (1861) und Thomas Coles The Oxbow (The Conneticut River near Northampton) (1836) und entlang einer Vielzahl weiterer Beispiele demonstriert Cronons Beitrag überzeugend, wie dieser analytische Dreischritt und die Berücksichtigung der narra190 EDWARD S. CASEY: Representing Place. Landscape Painting and Maps. Minneapolis, London 2002, S. 5. 191 GERHARD LEIDEL: Die amtliche Kartographie in Bayern bis zum Flurkartenwerk. Eine Einführung in den Ausstellungskatalog, in: GERHARD LEIDEL/MONIKA RUTH FRANZ (HG.): Von der gemalten Landschaft zum vermessenen Land. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs zur Geschichte der handgezeichneten Karte in Bayern, München 6. Oktober bis 22. Dezember 2006. München 2006, S. 11–24, hier 15. 192 Ebenda, S. 15–16. 193 WILLIAM CRONON: Telling Tales on Canvas. Landscapes of Frontier Change, in: JULES DAVID PROWN (HG.): Discovered lands, invented pasts. Transforming visions of the American West. New Haven 1992, S. 37–87, hier 43–44.

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tiven Entwicklungslinien des Gattungskontexts für eine gleichermaßen umwelt-, politik- und kulturgeschichtlich perspektivierte Historiografie fruchtbar gemacht werden kann. Sicher wäre es anachronistisch, in der europäischen Landschaftskunst und der Topografie der Frühen Neuzeit – zumindest derjenigen, die vor der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand – eine teleologisch-fortschrittliche Konzeption zukünftiger Transformation zu suchen, wie sie für die von Cronon untersuchten Werke typisch ist. Doch man sollte den Hinweis auf die narrative Koppelung von historisch-genetischer Beschreibung und zeitgenössischer Bestandsaufnahme durchaus auch in der Analyse der ikonografischen wie der textuellen Rhetorik frühneuzeitlicher Topografien ernst nehmen. 2.2.2 Topografische Medien als Gegenstand einer kulturwissenschaftlich erweiterten Kartografiegeschichte Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der historischen Entwicklung der Wahrnehmung, Organisation und Repräsentation geografischen Wissens in Text, Bild und Karte ist in den vergangenen Jahren durch zwei grundsätzliche Trends gekennzeichnet: Zum einen führte ein kulturwissenschaftlich inspiriertes Interesse am Gegenstand (‚spatial turn‘)194 zu einer quantitativ signifikanten Zunahme von Studien und einer qualitativen Differenzierung des analytischen Instrumentariums. Dieser

194 Jörg Döring und Tristan Thielmann weisen auf den Humangeografen Edward W. Soja als Urheber des Begriffes ‚spatial turn‘ hin. Sie schließen aus dieser Begriffsgeschichte, dass die mitunter heftige humangeografische Kritik am spatial turn als „kultur- und sozialwissenschaftliche[r] Paradigmenbehauptung […] letztlich auch als geographische Selbstbeobachtung, genauer: als innerfachliche Auseinandersetzung darum verstanden werden [kann], ob der Geographie als einer der klassischen Raumwissenschaften ausgerechnet ein spatial turn gut zu Gesicht steht.“ JÖRG DÖRING/TRISTAN THIELMANN: Einleitung: Was lesen wir im Raume? Der Spatial Turn und das geheime Wissen der Geographen, in: JÖRG DÖRING/TRISTAN THIELMANN (HG.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften (Sozialtheorie). 2. unveränd. Aufl., Bielefeld 2009, S. 7–45, hier 7–8. Im interdisziplinären Kontext machen sie die Merkwürdigkeit einer meist fachintern geführten Diskussion bei gleichzeitigem Rekurs auf ein vermeintlich bereits etabliertes transdisziplinäres Raumparadigma aus, das sich freilich kaum irgendwo begründet finde: „Jeder rechtfertigt seinen je besonderen spatial turn – in der Annahme, in den anderen Fächern sei er längst durchgesetzt.“ Ebenda, S. 10; zum ‚spatial turn‘ vgl. auch: MORITZ CSÁKY/CHRISTOPH LEITGEB (HG.): Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem „Spatial Turn“ (Kultur- und Medientheorie). Bielefeld 2009; BARNEY WARF/SANTA ARIAS (HG.): The spatial turn. Interdisciplinary perspectives (Routledge studies in human geography 26). London 2009.

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Trend wird von einem breiten Spektrum wissenschaftlicher Disziplinen getragen. Neben Geografie, Geografiegeschichte, Kartografiegeschichte und Kunstgeschichte stehen hier u. a. die Literaturwissenschaften, die Wissenschaftsgeschichte und – mit Verzögerung – die Geschichtswissenschaft im engeren Sinne. Zum anderen rückt ein entscheidender Faktor geografischer Literatur in den Fokus: die Medialität, vor allem die Multimedialität oder Intermedialität des Genres.195 Es sei auf die von Arndt Brendecke diskutierte komplexe Kommunikationssituation verwiesen, in deren Kontext geografisches Wissen aus der kolonialen Expansion an den spanischen Königshof unter Karl V. und Philipp II. gelangte und dort rezipiert wurde.196 Brendecke relativiert dabei ein eindimensional modernistisches Medialitätsverständnis, dessen Hauptaugenmerk sich auf die Funktion der Wissensübertragung richte und „aktive Techniken des medialen Verbergens“ ausblende.197 Mediengebrauch, so Brendecke, sei „durch eine tiefe Ambivalenz seiner Funktionen gekennzeichnet. Sie gilt es gerade dann im Auge zu behalten, wenn über die Motivationen für die Einführung schriftlicher Verwaltung oder die Übertragung von Herrschaftswissen in Karten, Tabellen und Statistiken zu sprechen ist, also über Felder, die weiterhin stark im Lichte der Rationalitäts- und Effizienzpostulate der Moderne betrachtet werden.“198 Dass der Kartografiegeschichte in der Untersuchung historisch-topografischer Literatur der Frühen Neuzeit einige Bedeutung zukommt, bedarf vordergründig keiner weiteren Erklärung. Schwieriger wird es, wenn in dem von der hier verhandelten Quellengattung geforderten interdisziplinären Kontext fixiert werden soll, was Kartografiegeschichte sei bzw. was sie zu leisten habe. Immerhin lassen Glauser und Kiening aufhorchen, wenn sie einleitend zum kulturwissenschaftlich orientierten und interdisziplinär beschickten Sammelband Text – Bild – Karte die Überwindung vermeintlich noch fortwirkender „Blickverengungen einer älteren, positivistisch-technisch orientierten Kartographiegeschichte“ propagieren. 199 Was also ist Kartografiegeschichte? Sehr allgemein könnte man sie in Anlehnung an Lars Behrisch als historisches Forschungsfeld definieren, das als Gegenstand die visuelle

195 Vgl. stellvertretend Friedrich 2003; Glauser et al. 2007; und ARNDT BRENDECKE: Papierbarrieren. Über Ambivalenzen des Mediengebrauchs in der Vormoderne, in: Mitteilungen des Sonderforschungsbereichs 573 „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit“ (2009), S. 7–15. 196 Vgl. ARNDT BRENDECKE: Imperium und Empirie. Funktionen des Wissens in der spanischen Kolonial-herrschaft. Köln 2009. 197 Brendecke Papierbarrieren 2009, S. 9. 198 Ebenda, S. 14. 199 Glauser et al. 2007, S. 20.

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Konstruktion von Raum in den Blick nimmt.200 Aus einer stärker disziplinär geprägten Sicht begegnet die Kartografiegeschichte als Unterdisziplin der wissenschaftlichen Kartografie, die die Geschichte der Kartografie darstellt und die „einen interessanten Forschungsgegenstand im Zwischenbereich der Geographie und der Geschichtswissenschaft bildet.“201 Eine so verstandene, disziplingeschichtliche bzw. hilfswissenschaftliche Ausrichtung ist mit der angesprochenen Konzentration auf die naturwissenschaftlich-technologische Entwicklung der Kartografie verbunden. Wie in anderen Disziplingeschichten auch besteht die Gefahr einer einseitig teleologisch-affirmativ argumentierenden Fortschrittsgeschichte unter Ausblendung soziokultureller Bezüge.202 Tatsächlich betont die traditionelle Kartografiegeschichte den Zäsurcharakter der Renaissance und den neuzeitlichen Wandel von der subjektiven, bildhaft-erzählenden zur objektiven, mathematisch exakten Kartografie, mithin eine „Ablösung der Rhetorik durch die Wissenschaft, der individuellen Fähigkeit durch wiederholbare Technologie“.203 Die kritische Kartografiegeschichte im Gefolge John B. Harleys zeichnet dagegen ein wesentlich stärker gesellschaftlich und politisch kontextualisiertes Bild der Kartografie. Sie interessiert sich für deren Anteil an der Produktion gesellschaftlichen Wissens und thematisiert die Verbindung zwischen kartografischer Erfassung und Repräsentation von Territorien auf der einen sowie politischer Macht auf der anderen Seite. Ob in der Territorialisierung von Staatlichkeit in Europa oder in der expansiven Raumkontrolle im kolonialen Kontext, ob im zivilen oder militärischen Einsatz: Stets eignet der Vermessung und Erfassung von Regionen, aber auch der Repräsentation der Befunde instrumenteller Charakter im Dienste staatlicher Macht. Karten als – in Anlehnung an Anthony Giddens – „authoritative resources“ stehen im Zusammenhang mit der Kontrolle von Information und Wissen und mit der Kontrolle des Raumes. Sie erleichtern als „undergirding medium of power“ die Expansion sozialer Systeme.204 200 Vgl. LARS BEHRISCH: Vermessen, Zählen, Berechnen des Raums im 18. Jahrhundert, in: LARS BEHRISCH (HG.): Vermessen, Zählen, Berechnen. Die politische Ordnung des Raums im 18. Jahrhundert (Historische Politikforschung 6). Frankfurt 2006, S. 7–25, hier 10. 201 THOMAS HORST: Die Entwicklung der Stadtkartographie Münchens von ihren Anfängen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 69 (2006), S. 53–121, hier 53. 202 Vgl. zum Folgenden den als kritischen Überblick über kartografiegeschichtliche Entwicklungen des 20. Jahrhunderts sehr instruktiven Beitrag von Edwards 2007. 203 Ebenda, S. 96. 204 JOHN B. HARLEY: Maps, Knowledge and Power, in: DENIS COSGROVE/STEPHEN DANIELS (HG.): The Iconography of Landscape. Essays on the Symbolic Representation, Design and Use of Past Environments. Cambridge u. a. 1988, S. 277–312, hier 279–280.

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Das strukturalistische Paradigma des Zusammenhangs von Macht und Wissen in der Kartografie führte zu einer Konjunktur entsprechend orientierter Studien. Die Aufmerksamkeit galt der Karte als einer quasi „wandernden Version des Foucaultschen Panopticons“.205 Einer – in den Worten Edwards’ – „Berauschung“ und „Erschöpfung“ am strukturalistischen Paradigma206 folgte in jüngerer Zeit eine poststrukturalistisch materialistische Wende, die zum einen Interesse an der Karte als Teil der materiellen Kultur, zum anderen eine Verschiebung der Konzentration vom ästhetischen Produkt zur Kartografie als Prozess kultivierte. Die Untersuchung der „culture of mapping“207 impliziert eine Fülle von Fragen und Aspekten, seien es der symbolisch semiotische Charakter und die Textualität von Karten, sei es das der Kartografie zugeschriebene und der Kartografiegeschichte eingeschriebene Raumverständnis oder die Frage der Diskursivität von Wissenschaft. In diesem hier nur anzudeutenden Reichtum an thematischen Facetten und theoretischen Problemen liegen Aufgabe und Reiz einer kulturwissenschaftlich erweiterten Kartografiegeschichte.208 Wenn Glauser und Kiening sich, wie oben zitiert, von „Blickverengungen“ der traditionellen Kartografiegeschichte distanzieren, dann vor allem, weil diese eine kulturwissenschaftlich informierte Analyse der Medialität der Kartografie behindere: „Karten sind nicht isoliert zu betrachten. Erst im Kontext des Gebrauchs, im Geflecht der Diskurse und im Spektrum der Medien werden ihre Eigenarten sichtbar.“209 Kartografie und in noch stärkerem Maße der charakteristische Medien-Mix der historisch-topografischen Literatur (Text, Bild, Karte) weisen die methodische Anschlussfähigkeit und -notwendigkeit an die kulturwissenschaftliche Intermedialitätsforschung aus. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive hat sich Birgit Emich mit dem interdisziplinären Potenzial der Intermedialitätsforschung beschäftigt.210 Intermedialität bezeichnet Emich zufolge „Phänomene, die Grenzen zwi205 Edwards 2007, S. 103. 206 Ebenda, S. 104. 207 Bernhard Klein, zit. nach ebenda, S. 108. 208 „Academically, mapping has attracted attention also for reasons connected to more profound ontological and epistemological questions about the nature, fabrication, communication and authentification of knowledge of the external world. A widely acknowledged ‚spatial turn‘ across arts and sciences corresponds to post-structuralist agnosticism about both naturalistic and universal explanations and about single-voiced historical narratives, and to the concomitant recognition that position and context are centrally and inescapably implicated in all constructions of knowledge.“ DENIS COSGROVE: Introduction: Mapping Meaning, in: DENIS COSGROVE (HG.): Mappings (Critical views). London 1999, S. 1–23, hier 6–7. 209 Glauser et al. 2007, S. 20. 210 Emich 2007.

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schen Medien überschreiten: Grenzen zwischen Medien im weiteren Sinn, das heißt zwischen Zeichensystemen wie Bild, Text und Sprache, aber auch Grenzen zwischen Medien im engeren, technisch-materiell definierten Sinn wie etwa Flugblätter und Flugschriften.“211 Die Beschäftigung mit dem Phänomen sei älter als der Begriff. Spätestens in den 1990er Jahren habe sich Intermedialität als Forschungsgegenstand vor allem in den Medien- und Literaturwissenschaften etabliert. Emich betont aber gerade auch die Bedeutung der Intermedialitätsforschung für die geschichtswissenschaftliche Quellenkritik: „Gerade eine Geschichtswissenschaft, die sich als kulturalistisch erweitert versteht und dem Aspekt der Deutungen und Bedeutungen eine zentrale Rolle beimisst, sollte am Phänomen der Intermedialität nicht vorbeigehen. Ob die Bedeutung durch Multimedialität transportiert, durch einen Medienwechsel transformiert oder durch intermediale Bezüge erst konstituiert wird – ohne einen Blick auf diese intermediale Dimension kommt die historische Quellenkritik nicht aus.“212

Intermedialität wird in dem von Glauser und Kiening herausgegebenen Sammelband bezogen auf den geografisch-räumlichen Kontext diskutiert. Ziel ist es, die Betrachtung des „Dreiecks von Text, Bild und Karte“ für die Offenlegung skripturaler, ikonischer und diagrammatischer Zeichen zu nutzen, „die in je eigener Weise der Speicherung und Verbreitung von Wissen dienen.“213 Der ‚topographical turn‘214 bzw. ‚spatial turn‘ der Kulturwissenschaften, als dessen Teil sie die vorgelegten Untersuchungen verorten, ziele sowohl auf „eine neue Territorialisierung ge211 Ebenda, S. 35–37. 212 Ebenda, S. 37. 213 Glauser et al. 2007, S. 20. 214 Zum ‚topographical turn‘ vgl. SIGRID WEIGEL: Zum ‚topographical turn‘. Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften, in: Kultur-Poetik. Zeitschrift für kulturgeschichtliche Literaturwissenschaften 2 (2002), S. 151–165. Weigel untersucht den Umgang mit topografischen Figuren als Feld theoretischer Überlegungen, „an dem in geradezu paradigmatischer Weise signifikante Differenzen zwischen den [nordamerikanischen] cultural studies und den [europäischen] Kulturwissenschaften kenntlich werden.“ Ebenda, S. 153. Weigel, so die Einschätzung von Döring und Thielmann, setze den „Akzent der topographischen Wende auf das ‚graphein‘, das in ‚TopoGraphie‘ enthalten ist und damit – deutlicher als das unterbestimmte Attribut ‚spatial‘ es vermag – den Raumanalysen der Kulturwissenschaft einen erkennbaren Gegenstand zuweist“. Döring et al. 2009, S. 16. „Der Raum ist hier nicht mehr Ursache oder Grund, von der oder dem die Ereignisse oder deren Erzählung ihren Ausgang nehmen, er wird selbst vielmehr als eine Art Text betrachtet, dessen Zeichen oder Spuren semiotisch, grammatologisch oder archäologisch zu entziffern sind.“ Weigel 2002, S. 160.

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sellschaftlicher Sinnbildungsprozesse“ als auch „auf jene zentralen Komponenten der Beziehung von Medien zur ‚Wirklichkeit‘, die auch in anderen zeitgenössischen Diskursen an Wichtigkeit gewonnen haben: Raum, Repräsentation, Wahrnehmung.“215 Raum erweise sich dabei jenseits gegenständlicher Referenzialität als dynamisches „Geflecht semantischer Elemente“, Repräsentation werde nicht nur als einfache Form der Darstellung, sondern auch als eine „Praxis der Stellvertretung“ evident, die sich durch die interessengeleitete Anwendung mimetischer und nichtmimetischer Praktiken konstituiere. Wahrnehmung meine nicht „einfach Beziehung des Lesers oder Betrachters zum Objekt der Lektüre oder Betrachtung, sondern ein komplexes Bündel kognitiver und mentaler Bedingungen, unter denen ein Begreifen der Repräsentation von Raum überhaupt möglich ist.“216 Ersetzt man im letzten Zitat gedanklich den Begriff „Raum“ durch den der „Natur“ bzw. ergänzt ihn um diesen, so wird die große methodische Nähe zwischen der von Glauser und Kiening unternommenen Problematisierung von Medialität und Wahrnehmung und dem in dieser Untersuchung verfolgten Anliegen einer kulturhistorisch inspirierten Umweltgeschichte deutlich. In einer Bilanz des für diese Untersuchung relevanten Instrumentariums sind aber noch weitere Disziplinen und interdisziplinäre Forschungszusammenhänge bzw. -zugänge von Interesse. 2.2.3 Topografie und Stadtikonografie: Konzeptionen von Stadt und Hinterland Über die Disziplingrenzen zwischen Kunstgeschichte und Stadtgeschichte hinweg bewegen sich die Forschungen zur historischen Stadtikonografie Europas. Ausgehend von einer Initiative Cesare De Setas und Jacques Le Goffs machten sich Kunst- und ArchitekturhistorikerInnen, Geschichts- und LiteraturwissenschaftlerInnen daran, eine inventarisierende und vergleichende historische Ikonografie der alteuropäischen Stadt zusammenzutragen. Dabei sollte nicht nur interessieren, „wie die Stadt war“, sondern auch, „wie sie gesehen wurde“. Es ging den Initiatoren um eine „Archäologie des Sehens, der Perspektiven auf die Stadt.“217 Der Ertrag der Bemühungen der deutschen Arbeitsgruppe ist in einem reich illustrierten Sammelband zu greifen, der einführende Aufsätze sowie Abbildungen und erschließende

215 Glauser et al. 2007, S. 19. 216 Ebenda, S. 19-20. 217 WOLFGANG BEHRINGER/BERND ROECK: Vorwort und Einleitung, in: WOLFGANG BEHRINGER/BERND

ROECK (HG.): Das Bild der Stadt in der Neuzeit. 1400-1800. München

1999, S. 6–10, hier 7.

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Essays zu 46 deutschen Städten enthält.218 Um eine möglichst typische Auswahl zu gewährleisten, wurden fünf Kategorien angelegt: erstens „Gründungstypen und ihre charakteristischen urbanistischen Formen“, also römische Stadtgründungen, mittelalterliche Stadtgründungen, barocke Planstädte, Exulantenstädte; zweitens ihre Rechtsstellung, z. B. Reichsstadt, Hansestadt, Mediatstadt; drittens ihre Größe, d. h. neben Metropolen sollten auch die für die europäische Städtelandschaft charakteristischen Mittel- und Kleinstädte ausreichend berücksichtigt werden; viertens die Stadtfunktionen, etwa Residenzstadt, Handelsstadt, Hafenstadt, Universitätsstadt, Bergwerksstadt, Bäderstadt; und schließlich fünftens die geografische Lage, was eine möglichst gleichmäßige Verteilung über das Untersuchungsgebiet hinaus und damit einhergehend die Berücksichtigung der jeweils spezifischen naturräumlichen Gegebenheiten (Küste, Fluss, Gebirge etc.) implizierte.219 Einer der Herausgeber hat auch einen stadthistorischen Tagungsband besorgt, in dessen Rahmen die historische Stadtikonografie aus einer Vielzahl thematischer Perspektiven heraus und anhand eines regional breiten Spektrums von Fallbeispielen diskutiert wird.220 Diesen Initiativen verdanken sich breit rezipierte interdisziplinäre Impulse. Für die vorliegende Studie reicht der Wert dieser Forschungserträge weit über die fachkundig kommentierenden Repertorien historischer Darstellungen von Städten im eigenen Untersuchungsgebiet hinaus. Vielmehr sind die wahrnehmungsgeschichtliche Sensibilität für die konstruktive Bedingtheit der Stadtikonografie und die mitunter geleistete Zuspitzung dieser Sensibilität auf das Stadt-Umwelt-Verhältnis instruktiv. Roeck versteht die Klärung der Referenz zwischen Bild und Wirklichkeit als Gegenstand einer „ausgefeilten Hermeneutik“.221 Behringer, der sich in Fortsetzung seiner Arbeiten zum Stadtbild im Alten Reich auch zu „Topographie und Topik“ in der Darstellung der europäischen Stadt und ihrer Umwelt geäußert hat, verweist darauf, dass Stadtmauern in topografischer Beschreibung durchaus dort erscheinen können, wo diese keine Entsprechung in der historischen Realität fanden.222 Er diskutiert auch die Grenzen des Dürerschen Realismus.223 Behringer kon-

218 WOLFGANG BEHRINGER/BERND ROECK (HG.): Das Bild der Stadt in der Neuzeit. 14001800. München 1999. 219 Behringer et al. 1999, S. 7. 220 Vgl. BERND ROECK (HG.): Stadtbilder der Neuzeit. Die europäische Stadtansicht von den Anfängen bis zum Photo (Stadt in der Geschichte 32). Ostfildern 2006. 221 BERND ROECK: Stadtdarstellungen der frühen Neuzeit. Realität und Abbildung, in: BERND ROECK (HG.): Stadtbilder der Neuzeit. Die europäische Stadtansicht von den Anfängen bis zum Photo (Stadt in der Geschichte 32). Ostfildern 2006, S. 19–39, hier 19. 222 WOLFGANG BEHRINGER: Topographie und Topik. Das Bild der europäischen Stadt und ihrer Umwelt, in: DIETER SCHOTT/MICHAEL TOYKA-SEID (HG.): Die europäische Stadt und ihre Umwelt. Darmstadt 2008, S. 123–144, hier 126–128.

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trastiert Albrecht Dürers Aquarell der Stadt Innsbruck aus dem Jahre 1495 mit einer zeitgenössischen Beschreibung der Stadt im Reisetagebuch des italienischen Kanonikers Antonio de Beatis und kommt zu einer entschiedenen Relativierung von Dürers Realismus: „Und hier liegt ein Problem: Wie naturnah, ‚realistisch‘ oder wirklichkeitsgetreu waren eigentlich die Darstellungen des Meisters der ‚naturalistischen‘ Wiedergabe? Die fehlende Brücke, fehlende Mühlen und Fuhrwerke, Obst- und Gemüsegärten: Wir finden nichts von dem, was wir vor den Stadtmauern erwarten können. Selbst die Berge sind ein wenig niedlich geraten. Dürers Innsbruck ist keine reale Stadt, sondern eine Idealstadt, in der Arbeit und Alltag keine Rolle spielen, der Idealtyp der Stadt am Fluss, aber nicht von dieser Welt. Der Meister verdichtete seinen Eindruck von der Tiroler Hauptstadt zu einer Art Ikonogramm.“ 224

Dieser Befund kann im Falle Dürers sicher nicht mit dem zeittypisch offenbar eher begrenzten Enthusiasmus vieler Renaissancekünstler in Verbindung gebracht werden, nach eigener Anschauung unter freiem Himmel zu zeichnen.225 Vielmehr lässt er sich im weiteren Kontext zeitgenössischer Stadtikonografie diskutieren. Wie Regine Gerhard an der Bildlichkeit der Braun/Hogenbergschen Civitates orbis terrarum zeigen kann, handelt es sich bei Typisierung und Stilisierung durchaus um programmatisch reflektiertes Vorgehen. Braun werbe mit der Lebendigkeit und Ebenbildlichkeit der Städtebilder. Er gebe sogar „ein doppeltes Realitätsversprechen: Die Darstellungen seien nach einer realen Seherfahrung eines Künstlers auf die Stadt entstanden und sie seien so kunstfertig, dass sie dem [sic!] Betrachter glauben las223 Svetlana Alpers hatte Dürer eine Zwischenposition zwischen einer idealtypisch als ‚narrativ‘ klassifizierten italienischen und ‚deskriptiven‘ „Kunst des Nordens“ zugewiesen. Alpers 1985, S. 32. 224 Behringer 2008, S. 126. 225 In seiner Studie über Albrecht Altdorfer (um 1480-1538) gibt sich Christopher Wood erstaunt darüber, wie wenig Altdorfers Zeitgenossen offensichtlich nach dem Augenschein unter freiem Himmel zeichneten und malten. CHRISTOPHER S. WOOD: Albrecht Altdorfer and the origins of landscape. Chicago 1993, S. 17, 205-206. Dieser Mangel an eigenem Augenschein stieß nicht zuletzt seitens späterer Künstler auf Ungnade. So schrieb Paul Cézanne (1839-1906) im Jahre 1866: „Ich glaube, daß alle Bilder der alten Meister, die Freilichtszenen darstellen, in Innenräumen gemalt sind, denn sie scheinen mir nicht den wahren und vor allem ursprünglichen Aspekt zu haben, den die Natur vermittelt.“ Brief Paul Cézannes an Emile Zola (1840-1902), 19. Oktober 1866, zit. nach: BÄRBEL HEDINGER: Wirklichkeit und Erfindung in der holländischen Landschaftsmalerei, in: GEMÄLDEGALERIE STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN STIFTUNG PREUßISCHER KULTURBESITZ

(HG.): Die „Kleine Eiszeit“. Holländische Landschaftsmalerei im 17. Jahrhun-

dert. Berlin 2001, S. 11–25, hier 11.

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sen würden, selber eine reale Seherfahrung auf die Stadt zu erleben.“ Dabei scheine sich ein Widerspruch zu den tatsächlich angebotenen Abbildungen in der Civitates zu ergeben, die ihre Bildhaftigkeit nicht verleugneten, schematische Darstellungselemente enthielten, aus einer künstlichen Perspektive erzeugt und nach bestimmten Stadtvorstellungen modelliert wurden. Ergebnis sei eine Städtedarstellung, „deren mediale Eigenschaft als Bild offensichtlich ist und die tatsächlich mit einer realen Seherfahrung nicht nachvollzogen werden konnte.“226 Der hierin vordergründig greifbare Widerspruch finde aber im zeitgenössischen künstlerischen Selbstverständnis keine Entsprechung. Es werde kein Widerspruch zwischen Abbildung der Natur und ihrem idealisierenden Übertreffen hin zu einer aus Teilbeobachtungen neu zusammengesetzten zweiten, künstlichen Natur empfunden, die kein reales Seherlebnis mehr repräsentierte.227 Von literaturwissenschaftlicher Seite wurde die Bedeutung der Tradition des Städtelobs unterstrichen. Dessen Rhetorik bewegt sich innerhalb eines dem landeskundlichen Schema ähnlichen thematischen Rasters.228 2.2.4 Reiseliteratur ohne ‚Natur‘-Wahrnehmung? Auch hinsichtlich der frühneuzeitlichen Reiseliteratur, einer weiteren Quellengattung von Relevanz für Fragen des Räumlichen und der Weltwahrnehmung, sollten Widersprüchlichkeiten, Brüche und vordergründige Probleme beim Trennen von „Fakt und Fiktion“229 kein Hindernis für die wissenschaftliche Aufarbeitung darstellen. Vielmehr ist es gerade diese nicht zu leistende Scheidung, die produktive Fragen aufwirft und dadurch interessante wahrnehmungsgeschichtliche Rückschlüsse induziert. Axel Gotthard zumindest äußert sich diesbezüglich für seine Untersuchung von Reiseberichten des 14. bis 17. Jahrhunderts unbesorgt, denn seine Analyse bürste ihre Quellen gegen den Strich und lese zwischen den Zeilen, um so nach „Wahrnehmungsweisen und Denkstrukturen“ zu suchen, „die die Autoren gar nicht zu Markte trugen.“230 Andersherum wird es genau dort interessant, wo der Markt

226 REGINE GERHARDT: Drei Mal Hamburg. Zum intellektuellen Programm der Civitates Orbis Terrarum, in: Cartographica Helvetica 38 (2008), S. 3–12, hier 5–6. 227 Ebenda, S. 6. 228 Vgl. dazu Arnold 2000; und Jakob 2006; sowie Kap. 2.1 der vorliegenden Arbeit. 229 KLAUS HERBERS: Reiseberichte als Quellen der historischen Forschung, in: RAINER PLAPPERT (HG.): Reise zur Verbotenen Stadt. Europäer unterwegs nach China, eine Ausstellung der Universitätsbibliothek, 16. November – 12. Dezember 2004, Katalog (Schriften der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg 43). Erlangen, 2004, S. 33–45, hier 33. 230 AXEL GOTTHARD: In der Ferne. Die Wahrnehmung des Raums in der Vormoderne. Frankfurt a. M. 2007, S. 66.

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bedient werden sollte. Hier erhält man aus der Marktgängigkeit des Produkts wichtige Hinweise auf die Wahrnehmungs- und Denkmuster der Marktteilnehmer, d. h. der Rezipienten. Gerade die mittlerweile gut entwickelte Reiseliteraturforschung kann beredt Beispiele dafür liefern, wie das Schreiben über Natur und Kultur von – aus europäischer Sicht – exzentrischen Weltgegenden die „Selbstbespiegelung im Anderen“231 bediente. Der Einsatz konstruktiver Elemente in Breidenbachs Peregrinatio wurde bereits an anderer Stelle thematisiert.232 Die Beispiele aus dem Bereich der transatlantischen kolonialen Expansion sind ebenso zahlreich wie im häufigen Gebrauch übereinstimmender Stereotypen schlagend.233 An Annerose Menningers Charakterisierung von Hans Stadens Wahrhaftiger Historia mit ihrer kannibalismustriefenden Ethnografie „als Produkt einer dem Diktat des Markterfolgs verpflichteten, ausgeklügelten Geschäftsstrategie“234 sei nochmals erinnert. Tobias Winnerling, der die Rezeption von George Psalmanazars 1704 publizierter, nachweislich fiktiver Beschreibung der Insel Formosa (Taiwan) im Zedler untersucht, weist darauf hin, dass es durchaus geschehen konnte, „dass die von einem modernobjektiven Standpunkt aus ‚bessere‘, weil empirisch gehaltvollere Version“ eines Asienberichts „in der Rezeption hinter einer solchen zurückblieb, der zwar die empirische Fundierung teilweise oder gänzlich fehlte, die aber dafür den Vorzug hatte, jene Erwartungen besser zu bedienen.“235 Als prominente frühe Beispiele führt er die spätmittelalterlichen Asienschilderungen in Marco Polos Divisament dou monde und Jehan de Mandevilles Travels an. Mandeville, der als Person nicht existierte, knüpfte in den Vorstellungen davon, was im Osten zu sein habe, an Motive der griechisch-römischen Antike an. Seine Rezeption überrundete die des Marco Polo 231 TOBIAS WINNERLING: „Man hat aber nicht Ursache, auf dieses Auctoris Beschreibung von Formosa viel zu bauen“. Die Insel Formosa in Zedlers Universal-Lexicon und bei George Psalmanazar, in: Zeitsprünge 13 (2009), S. 46–76, hier 46. 232 Vgl. oben, Kap. 2.1. 233 Vgl. stellvertretend ANNEROSE MENNINGER: Die Macht der Augenzeugen. Neue Welt und Kannibalen-Mythos 1492-1600 (Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte 64). Stuttgart 1995. URS BITTERLI: Die ‚Wilden‘ und die ‚Zivilisierten‘. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung. 3. Aufl., München 2004; ADRIANO PROSPERI/WOLFGANG REINHARD (HG.): Die Neue Welt im Bewußtsein der Italiener und Deutschen des 16. Jahrhunderts (Schriften des ItalienischDeutschen Historischen Instituts in Trient 6). Berlin 1993. 234 Menninger 1996, S. 522. 235 Winnerling 2009, S. 46–47; zur Biografie und Rezeption Psalmanazars und zu dem an diesem Beispiel diskutierbaren Problem der Authentizität in der Ethnografie vgl. Stagl 2002, S. 215–251; der Psalmanazar-Stoff hat übrigens jüngst im Roman von Daniela Dröscher eine lesenswerte belletristische Bearbeitung erfahren. Vgl. DANIELA DRÖSCHER: Die

Lichter des George Psalmanazar. Berlin 2009.

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bei weitem: „Aus heutiger Sicht paradox erscheint zwar, dass gerade die fiktiven Teile des Buches dazu herangezogen wurden, ihm Glaubwürdigkeit zuzuschreiben; aber sie stimmten mit dem Bild der gewünschten Wirklichkeit überein und waren daher besser rezipierbar.“236 Als Indiz dafür, dass dies noch 400 Jahre später so galt, führt Winnerling den Zedler ins Feld, in dem es einen Eintrag zu Mandeville, nicht aber zu Marco Polo gebe. Der deskriptive Rückgriff auf ein bereits in der Antike entwickeltes und in der Frühen Neuzeit im Interesse einer reisetheoretischen (apodemischen) Professionalisierung der Orts- und Landesbeschreibung adaptiertes und kanonisiertes landeskundliches Schema geografischen Wissens237 konnte Fehlinformationen und Fiktives autorisieren. Im Falle des vermeintlich konvertierten formosischen Ureinwohners George Psalmanazar war die Beschreibung von Geografie, Natur, Bewohnern, Geschichte, Religion und Kultur der Insel vollständig imaginiert bzw. anderen Schriften entlehnt. Dennoch verbuchte sie einen immensen publizistischen Erfolg, und – trotz früher Kritik und tatsächlich zur Verfügung stehender alternativer Informationsquellen und -wege (Missionare, Royal Society) – ließ sich die britische Öffentlichkeit erst zwei Jahre nach dem ersten Erscheinen vom offenkundigen Schwindel überzeugen. Noch Jahrzehnte später wird im Zedler, der einen biografischen Eintrag zu Psalmanazar enthält, dessen Schwindlertum nicht aufgelöst:238 „Um glaubhaft eine andere Identität postulieren zu können, musste sich der Konstrukteur einer solchen im Europa des frühen 18. Jahrhunderts vor allem versichern, dass er die traditionellen Vorurteile der Europäer betreffend seine Weltregion in seine Konstruktion einbezog; das Andere war nicht glaubwürdig, wenn es nicht – wenn auch über Umwege – aus dem Eigenen ableitbar war.“239

Dies galt im Negativen für moralisch verwerfliche und in der christlichen Religion tabuisierte rituelle Handlungen wie den Opfermord von Kindern ebenso wie im Positiven für drastische Übertreibungen hinsichtlich der geradezu paradiesischen Segnung einer Region durch Klima, Geomorphologie und Bodenschätze. Das Gesagte ist in seinen Grundzügen weder auf vollständig fiktive, mithin in ihrem Authentizitätsanspruch gefälschte, Werke noch räumlich auf den außereuropäischen Kontext zu beschränken. Auch die Autoren von Reiseberichten über euro236 Winnerling 2009, S. 47. 237 Vgl. Stagl 2002. 238 Winnerling 2009, S. 48–53; zu Erhebung, Transport, Autorisierung und Authentizität von medizinischem und naturkundlichem Wissen aus dem Aktionsbereich der VOC vgl. auch HAROLD J. COOK: Matters of Exchange. Commerce, Medicine, and Science in the Dutch Golden Age. New Haven, London 2007, S. 194–225. 239 Winnerling 2009, S. 51.

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päische Regionen folgten eigenen Wahrnehmungsmustern und Schwerpunktsetzungen und orientierten sich – wenn sie für eine Publikation schrieben – an antizipierten Rezipientenerwartungen. Die Frage, welche Information, welchen Zuschnitt an geografischer Wissensvermittlung man von diesen Autoren erwarten darf, interessiert auch für die vorliegende Untersuchung – dies umso mehr als bei allem methodischen Ringen zwischen Philologie und Autopsie240 viele cosmo- und topografische Autoren tatsächlich selbst reisten. Johannes Stumpf (1500-1577/8), chorografischer Autor par excellence, arbeitete sowohl aus eigener Anschauung und Reisetätigkeit als auch als unermüdlicher Kompilierer der Vorlagen zahlreicher Gelehrter.241 Sebastian Münster unternahm im Baseler Nahraum Exkursionen zur Landesaufnahme und zur praktischen Anwendung von Vermessungsmethoden (Triangulation) und leitete daraus das Postulat der Genauigkeit seines Vorgehens ab.242 Zur Vermessung und zum Sammeln von chorografischer Information bereiste er den Rhein, die Schweiz inklusive Wallis, Schwaben, Franken und den Schwarzwald.243 Im Falle Martin Zeillers, des Textautors der Merian-Topografien, bestimmten seine konfessionell bedingte Emigration und sein Berufsweg die Reisetätigkeit, die sich ihrerseits in Zeillers Werk niederschlug. Gebürtig in der Steiermark, war er als Hauslehrer für protestantische Adelsfamilien und zeitweise als kaiserlicher Notar in Linz tätig. Vor und nach seiner Linzer Position begleitete er Adelssöhne auf ihrer Kavalierstour durchs Reich. Im Alter von 40 Jahren folgte die Niederlassung in Ulm, wo sich – in den Worten Lucas Heinrich Wüthrichs – „seine vielen Reisen zum Werk“ wandelten. Basierend auf jahrelang erhobenen Aufzeichnungen zu Geound Ethnographischem sowie Historischem, zu Reisedistanzen und jeweiliger politischer Zugehörigkeit einer Kommune oder Region verfasste er das 1632 und 1640

240 Zwar ist der Topos der Autopsie eng mit dem Reisen verbunden, doch war die Berufung auf das ‚Selbst-Sehen‘ oft eine rein rhetorische Autorisierungsstrategie. Bei der Beurteilung des Verhältnisses von Selbst-Sehen und Übernahme literarischer Quellen erscheint Markus Friedrich wichtig, dass in der Frühen Neuzeit Reiseberichte oft den Stellenwert ‚echter Empirie‘ besaßen. Die wissenschaftliche Praxis zeichnete sich durch eine Kombination von beidem aus. Gleichzeitig markierte die theoretische Reisekunst (Apodemik) das Bestreben zunehmender Steuerung der Autopsie des Reisenden mittels Fragebögen und standardisierter Formulare. Es bestand durchaus auch ein kritisches Bewusstsein gegenüber der Autopsie, konkret eine Skepsis gegenüber unkontrolliertem Sehen, das sich nur an der ausschnitthaften Perspektive des Reisenden orientierte. Friedrich 2003, S. 91– 93. 241 Vgl. McLean 2007, S. 108–111; Strauss 1993, S. 118. 242 McLean 2007, S. 151–153. 243 Ebenda, S. 153–156.

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publizierte Teutsche Reyssbuch, das Wüthrich als methodisch noch für Baedeker im 19. Jahrhundert vorbildhaft charakterisiert.244 Die Forschung zur frühneuzeitlichen Reiseliteratur hat eine weitere, auch hinsichtlich der historisch-topografischen Literatur interessante und für die vorliegende Untersuchung relevante Frage aufgeworfen: Es geht um Art und Umfang der Wahrnehmung von Natur in frühneuzeitlichen Reiseberichten. Axel Gotthard stellt fest, dass die von ihm untersuchten Reiseaufzeichnungen des 14. bis 17. Jahrhunderts keine Naturräume zeichnen. „Landschaften schon gar nicht. Man reist, um anzukommen. Man will ein Ziel erreichen, nicht unterwegs sein.“ 245 Die Reisenden interessiere schlicht nicht, was zwischen den meist städtischen Reisestationen liege. Naturräume würden entweder gar nicht oder mit stereotypen, kargen Charakteristika wie „ist waldig“ oder „wenig fruchtbar“ thematisiert. Die Anschlussfrage nach der Übertragbarkeit oder Nicht-Übertragbarkeit dieses Befundes auf die historischtopografische Literatur drängt sich auf. Wurde nicht die wahrnehmende und beschreibende Aufmerksamkeit derjenigen Reisenden, die ihre Eindrücke verschriftlichten, von demselben landeskundlichen Schema beeinflusst, wie es den Topografien Struktur verlieh? Außerdem kommt hier im Falle der historisch-topografischen Literatur einmal mehr deren Multimedialität ins Spiel. Denn Gotthard diagnostiziert bezüglich der Sensibilität für Natur und Landschaftsästhetik eine Gleichzeitigkeit 244 LUCAS HEINRICH WÜTHRICH: Nachwort des Herausgebers, in: LUCAS HEINRICH WÜTHRICH (HG.): Topographia Provinciarum Austriacarum. Austriae Styriae/Carinthiae, Carniolae/Tyrolis etc. Frankfurt a. M. 1649 [ND Kassel, Basel 1963], S. 3–15, hier 6. Der Hinweis auf Baedeker mag gewagt erscheinen. Doch weist Sabine Gorsemann in ihrer Studie über Produktion, Aufbau und Funktionen von Reiseführern auf die Schwierigkeiten hin, bei Texten vor 1800 klar zwischen Reiseführer und Reisebericht zu unterscheiden. SABINE GORSEMANN: Bildungsgut und touristische Gebrauchsanweisung. Produktion, Aufbau und Funktion von Reiseführern (Internationale Hochschulschriften 151). Münster 1995, S. 69–70. Zumindest lässt Zeiller in sein Reyßbuch auch Empfehlungen einfließen, die er aus eigener Erfahrung ableitet: „Diese Reise habe ich zu mehr mahlen unterschiedlich verrichtet. Es ist aber der nächste Weg nach Ulm dieser: St. Regensburg. M.Albach / 2.kleine Meilen / die man in zwo Stunden leicht reiten kan. Ist ein beyrischer Marckt / alda es ein gesundes Bad hat / so man aber wärmen muß. (…) D.Saal / l.m. Alhier hat es ein schönes und wohlerbautes Wirtshaus / (…) Habe Anno 29 bey der güldenen Cron logiret / und bin wol gehalten worden.“ Martin Zeiller, Itinerarium Germaniae Nov. Antiquae (1674), zit. nach Ebenda, S. 70. 245 Gotthard 2007, S. 111; vgl. dazu ERNST WALTER ZEEDEN: Das Erscheinungsbild der frühneuzeitlichen Stadt, vornehmlich nach Reiseberichten und Autobiographien des 16. und 17. Jahrhunderts, in: HANS EUGEN SPECKER (HG.): Stadt und Kultur. 21. Arbeitstagung in Ulm, 29.-31. Oktober 1982 (Arbeitstagung / Südwestdeutscher Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung 21). Sigmaringen 1983, S. 70–84, hier 80.

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des Ungleichzeitigen, d. h. er stellt fest, dass während Maler schon seit dem italienischen Quattrocento „Naturpartikel zu Landschaften zusammensetzen, die viel mehr sind als nur Staffage“, frühneuzeitliche „Reiseaufzeichnungen weiterhin, wie eh und je, allenfalls Einzelnes, bevorzugt im städtischen Weichbild“ registrierten.246 In Topografien wie denen aus dem Hause Merian, in denen elaborierte Landschaftsgrafik so dicht mit beschreibenden Texten verbunden ist, muss – stimmt Gotthards Analyse – funktionaler Spannungsreichtum bestehen. Gotthards Feststellung in Frage zu stellen heißt freilich, sie quantitativ wie qualitativ zu erörtern. Gotthard registriert quantitativ ein weitgehendes Fehlen und qualitativ eine stereotype und sprachlich arme Thematisierung von Natur. Er vergisst nicht, auf spektakuläre Ausnahmen (Montaigne) hinzuweisen und seine Diskussion kulturgeschichtlich zu kontextualisieren. Auch die bereits hinlänglich geführte Diskussion um den Zäsurcharakter der Petrarcaschen Besteigung des Mont Ventoux im Jahre 1336 für die Kulturgeschichte menschlicher Naturwahrnehmung fehlt nicht.247 Quantitativ reicht allerdings schon das von Gotthard gebotene, durchaus breite Referat sprechender Beispiele kargen Umgangs mit der Natur aus, Neugierde zu wecken. Wenn man nicht anachronistisch die Empfindsamkeit späterer Jahrhunderte voraussetzt, benennen Floskeln wie die einer ‚lustigen‘ Ebene, eines ‚fruchtbaren‘ Landes oder eines ‚gesunden‘ oder ‚schönen‘ Orts Kategorien, an denen sich ansetzen lässt. Gotthard stellt fest, dass eine positive Wertung der Natur weitgehend siedlungsnaher, möglichst ebener und landwirtschaftlich kultivierter Landschaft vorbehalten bleibt. Wer historischen Gesellschaften hybriden Charakter als sowohl materialen als auch symbolischen Welten zugehörig attestiert, für den ist dieser Befund weniger Hemmschuh als Anreiz für weitere Forschungen. Womöglich steht Gotthards eher verhaltener Umgang mit derlei Sozionaturalem im Zusammenhang mit seiner peniblen Abgrenzung zu jeglichem „neuen klimatischen oder landschaftsmorphologischem Naturalismus.“248 Wäre dies so, so fände sich Gotthard in der Gesellschaft anderer geschichtswissenschaftlicher ProtagonistInnen des ‚spatial turn‘, die – so die Beobachtung von Döring und Thielmann – eine „interessante fachinterne Kontroverse“ repräsentieren. Der „Enttabuisierung eines moderaten geographischen Materialismus“ eines Jürgen Osterhammel oder Rudolf Schlögel stehe die Skepsis einer Géohistoire im Braudelschen Sinne – im Sammelband von Döring und Thielmann sorgfältig abwägend vertreten durch Eric

246 Gotthard 2007, S. 124–127. 247 Gotthard kommt wie andere vor ihm nicht umhin, diesen Zäsurcharakter mit guten Gründen zu relativieren. Vgl. etwa Groh/Groh 1991, S. 106–107. Nils Büttner kritisiert die in der Kunstgeschichte inflationäre Bezugnahme auf das Petrarcasche Bergerlebnis. Vgl. Büttner 2000, S. 12; vgl. oben. 248 Gotthard 2007, S. 61.

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Piltz249 – gegenüber.250 Störend an der sozial- und kulturwissenschaftlichen Raumdebatte sind auf der einen Seite die ‚Naturvergessenheit‘ bzw. Naturferne, die sich zum Beispiel äußert, wenn eine systemtheoretisch fundierte Sozialgeografie „nur noch solche Raumsemantiken zu untersuchen sich vornimmt, die keinen Bezug zu physischer Umwelt und Natur mehr aufweisen. Raumkonstrukte ohne jede Markierung im physischen Raum, nur noch als Strukturbild der immateriellen sozialen Welt.“251 Auf der anderen Seite ist eine soziologische Öffnung zum Geomaterialismus suboptimal begründet, die sich weitgehend auf die Zeugenschaft des Physiologen und nunmehrigen Geografieprofessors Jared Diamond stützt, einen Autor, dessen Ökodeterminismus und neomalthusianische Argumentation nicht nur auf prin-

249 Vgl. ERIC PILTZ: „Trägheit des Raums“. Fernand Braudel und die Spatial Stories der Geschichtswissenschaft, in: JÖRG DÖRING/TRISTAN THIELMANN (HG.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften (Sozialtheorie). 2. unveränd. Aufl., Bielefeld 2009, S. 74–102. 250 Döring et al. 2009, S. 24. 251 Ebenda, S. 37; ähnlich: Julia Lossau: „Tatsächlich hat der cultural turn innerhalb der Kulturgeographie zur Auffassung geführt, dass es geographische Räume, die jenseits von Sinnzuschreibungen und Beobachtungsleistungen einfach da wären, schlicht nicht geben kann. Vor diesem Hintergrund ist die neue Kulturgeographie auch vorsichtig, wenn zwischen räumlichen, physisch-materiellen Gegebenheiten einerseits und sozialkulturellen, symbolischen Phänomenen andererseits diskutiert wird. Das Postulieren eines Zusammenhangs impliziert aus kulturgeographischer Sicht genau jenen versteckten Naturalismus, der innerhalb der Kulturgeographie erst kürzlich überwunden werden konnte. Um diesen Naturalismus zu umgehen, müsste die Existenz von voraussetzungslos gegebenen, natürlichen geographischen Räumen in Frage gestellt werden. An seine Stelle müsste das Bewusstsein treten, dass auch der traditionelle geographische Raum, der doch in seiner physischen Materialität vermeintlich eindeutig und unmissverständlich gegeben ist, immer schon mit Bedeutungen versehen ist. In diesem Sinne sind etwa die Sahara, das Burgenland oder Niedersachsen Räume von Bedeutung, deren symbolische Gehalte nicht von ihrer physischen Materialität bestimmt sind, sondern Produkte kultureller Zuschreibungen sind. Versucht man, diese symbolischen Gehalte abzuziehen, so stellt man fest, dass nichts übrig bleibt, was von Bedeutung wäre - und damit eben auch kein natürlicher geographischer Raum.“ JULIA LOSSAU: Räume von Bedeutung. Spatial turn, cultural turn und Kulturgeographie, in: MORITZ CSÁKY/CHRISTOPH LEITGEB (HG.): Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem „Spatial Turn“ (Kultur- und Medientheorie). Bielefeld 2009, S. 29–43, hier 42–43.

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zipielle Kritik gestoßen ist, sondern dessen Analysen konkreter Fallbeispiele in Teilen als empirisch widerlegt gelten können.252 Eine Konsequenz aus den angesprochenen Verkürzungen, Missverständnissen und Unschärfen könnte lauten, einstweilen auf die unscharfe Kategorie ‚Raum‘ aufgrund ihrer schlechten Operationalisierbarkeit zu verzichten. Eine andere aber wäre der Hinweis auf die wissenschafts- und umweltsoziologische sowie umwelthistorische Theoriebildung, die mittlerweile Angebote gemacht haben, deren verstärkte Rezeption auch in anderen Kultur- und Sozialwissenschaften zu wünschen bleibt.253 Die weitgehend entnaturalisierte Selbst- und Fremdwahrnehmung der So252 Vgl. Döring et al. 2009, S. 35; RUDOLF STICHWEH: Raum, Region und Stadt in der Systemtheorie (Arbeitspapiere/Universität Bremen, ZWE Arbeit und Region 30). Bremen 1998, S. 192; zur Diamond-Kritik vgl. J. R. MCNEILL: The World According to Jared Diamond, in: The History Teacher 34 (2001), S. 165–174; VERENA WINIWARTER: Rezension von Jared Diamond, Collapse. How Societies Choose to Fail or Survive, in: Environmental History 10 (2005), S. 538-540; MATTHIAS GORISSEN: Lehren aus der Geschichte oder historisch verbrämter Alarmismus? Jared Diamonds Thesen über die ökologischen Grundlagen gesellschaftlichen Niedergangs 2007. http://hsozkult.ge schichte.hu-berlin.de/forum/2007-08-001, Stand: 21.10.2009; und P ATRICIA ANN MCANANY/NORMAN YOFFEE: Why We Question Collapse and Study Human Resilience, Ecological Vulnerability, and the Aftermath of Empire, in: PATRICIA ANN MCANANY/NORMAN

YOFFEE (HG.): Questioning collapse. Human resilience, ecological

vulnerability, and the aftermath of empire. Cambridge, New York 2010, S. 1–17; aufschlussreich auch die Auseinandersetzung zwischen Diamond und seinen Kritikern in der Zeitschrift Nature, in der nicht zuletzt Diamonds eigene, aus einer naturwissenschaftlichen Fachkultur erwachsene, populär-interdisziplinäre Nonchalanche mit dem disziplinären Selbstverständnis der anthropologischen Community kollidiert; vgl. dazu: JARED DIAMOND: Two views of collapse. We need realism, not positivity, to learn lessons from past societal demises, in: Nature 463 (2010), S. 880–881; und PATRICIA ANN MCANANY/NORMAN YOFFEE: Questioning how different societies respond to crises, in: Nature 464 (2010), S. 977. 253 Es ist bezeichnend, dass weder Döring und Thielmann (2009) noch Stichweh (RUDOLF STICHWEH: Kontrolle und Organisation des Raums durch Funktionssysteme der Weltgesellschaft, in: JÖRG DÖRING/TRISTAN THIELMANN (HG.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften (Sozialtheorie). 2. unveränd. Aufl., Bielefeld 2009, S. 149–164) im hier zitierten Sammelband den Band von KARL-WERNER BRAND (HG.): Soziologie und Natur. Theoretische Perspektiven (Soziologie und Ökologie 2). Opladen 1998 rezipieren, der innerhalb der Soziologie für eine dialektische Sichtweise von Natur und Gesellschaft als von einander distinkten, aber in vielfältigen Wechselwirkungen aufeinander bezogenen Bereichen steht und in dem u. a. das Wiener Modell der Gesellschaft als „Verzahnung materieller und symbolischer Welten“ vorge-

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ziologie entspricht ja – wie Matthias Groß in seinem ebenso knappen wie instruktiven Überblick zeigen kann254 – nicht der disziplingeschichtlichen Entwicklung des Faches, die von der zeitweise großen Nähe von Soziologie und Geografie im Kontext der Chicagoer Schule des frühen 20. Jahrhunderts bis hin zur Akteur-NetzwerkTheorie im Gefolge der Studien Bruno Latours reicht. Wenn also Rolf-Peter Sieferle 1997 ein Fehlen gemeinsamer paradigmatischer Grundlagen der Umweltwissenschaften zwischen Umweltsoziologie und naturwissenschaftlicher Humanökologie beklagt255, liegt dieses Defizit (von konkurrierenden disziplinären Aneignungen der Humanökologie einmal abgesehen) weniger im absoluten Fehlen solcher Paradigmen als im Fehlen ihrer mehrheitsfähigen Durchsetzung in den jeweiligen Fachkontexten begründet. 2.2.5 Topografien als Repräsentationen sozionaturaler Schauplätze: Ein Vorschlag zur umwelthistorischen Methodik Auch die Umweltgeschichte – ein transdisziplinär beschickter, institutionell noch wenig gefestigter Forschungszusammenhang – ermangelt bislang solcher gemeinsamer paradigmatischer Grundlagen. Darüber hinaus ist hier die Theoriebildung noch wenig entwickelt.256 In J. R. McNeills skeptischer Einschätzung des analytischen Potenzials des Sozialkonstruktivismus klingt neben einer – unter Historikern zeitweilig verbreiteten – ostentativen Theorieferne auch eine konzeptionelle Stagnation der Fachdiskussion in alten Dichotomien wie Gesellschaft/Kultur versus Um-

stellt wird. Vgl. MARINA FISCHER-KOWALSKI/HELGA WEISZ: Gesellschaft als Verzahnung materieller und symbolischer Welten, in: KARL-WERNER BRAND (HG.): Soziologie und Natur. Theoretische Perspektiven (Reihe „Soziologie und Ökologie“ 2). Opladen 1998, S. 145–172. 254 MATTHIAS GROß: Natur (Einsichten). Bielefeld 2006. 255 ROLF PETER SIEFERLE: Kulturelle Evolution des Gesellschaft-Natur-Verhältnisses, in: MARINA FISCHER-KOWALSKI/HELMUT HABERL/WALTER HÜTTLER et al. (HG.): Gesellschaftlicher Stoffwechsel und Kolonisierung von Natur. Ein Versuch in Sozialer Ökologie. Amsterdam 1997, S. 37–53, hier 37. 256 „Very few environmental historians have explicitly tried to build theories. Their efforts tend, perhaps necessarily, to be ahistorical formulas aiming to describe the character of nature/society relationships. The most cogent was probably the one elaborated in slightly different versions by both Donald Worster and Arthur McEvoy, in which nature itself, the economy, and human ideas and images of nature form the three building blocks of environmental history.“ J. R. MCNEILL: Observations on the Nature and Culture of Environmental History, in: History and Theory – Theme Issue 42 (2003), S. 5–43, hier 37.

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welt/Natur oder Konstruktivismus versus Naturalismus an.257 Dabei könnte man McNeill mit Matthias Groß entgegenhalten, dass man „bei näherer Betrachtung kaum einen Sozialkonstruktivisten finden [wird], der behaupten würde, dass Umweltprobleme nicht ‚wirklich‘ sind, oder einen ‚Realisten‘, der kulturelle Einflüsse auf Naturverständnisse abstreiten würde.“258 Wolfram Siemann und Nils Freytag weisen „Umwelt“ den Rang einer neben den Potenzen Herrschaft, Wirtschaft und Kultur gleichrangigen historischen Grundkategorie zu und fordern eine dieser Bedeutung gerecht werdende Würdigung seitens der Geschichtswissenschaft.259 Der Umwelt-Begriff ist freilich selbst in seiner qualifizierten Verwendung („natürliche Umwelt“) alles andere als unproblematisch. Bernd Herrmann betont daher mit einiger Berechtigung die terminologischkonzeptionelle Prekarität des Umgangs der umwelthistorischen Zunft mit ihrem Gegenstand.260 Bereits 1994 hatte Verena Winiwarter den Zusammenhang von terminologischem Klärungsbedarf und fachlichem Fokus diskutiert.261 Winiwarter sichtete nicht nur die Umweltbegriffe unterschiedlicher disziplinärer Hintergründe (z. B. Recht, Umweltpädagogik), sondern wertete auch die mitunter nur implizit fassbaren Umweltkonzepte umwelthistorischer Autoren aus. Hieraus scheinen sich ihr drei „Begrifflichkeiten“ herauszulösen: eine anthropozentrische Sichtweise / Umwelt als Gegenstand der Betrachtung in Abgrenzung zum Beobachter; eine biologisch-ökosystemare Perspektive / Umwelt als biologischer respektive ökologischer Fachterminus zur Beschreibung einerseits der Wahrnehmungs- und Reakti257 „Personally, while the new sensitivities are welcome as ways to widen the lenses of historians, I find the emphasis upon social construction unenlightening compared to the old cultural/intellectual environmental history of the 1970s. I think the cultural construction of nature just isn’t all that important compared to what has happened and is happening to real nature, and how nature has affected and still affects us (there is some reality out there independent of our perception!).“ Ebenda, S. 17. 258 Groß 2006, S. 100. 259 WOLFRAM SIEMANN/NILS FREYTAG: Umwelt – eine geschichtswissenschaftliche Grundkategorie, in: WOLFRAM SIEMANN/NILS FREYTAG (HG.): Umweltgeschichte. Themen und Perspektiven (Beck’sche Reihe 1519). München 2003, S. 7–20, hier 13–14. 260 Vgl. BERND HERRMANN: Umweltgeschichte wozu? Zur gesellschaftlichen Relevanz einer jungen Disziplin, in: PATRICK MASIUS/OLE SPARENBERG/JANA SPRENGER (HG.): Umweltgeschichte und Umweltzukunft. Zur gesellschaftlichen Relevanz einer jungen Disziplin. Göttingen 2009, S. 13–50, hier zur Konzeption des Umweltbegriffs in den Natur- und Geisteswissenschaften S. 13–20, zur damit verschränkten Problematik einer disziplinären Definition von Umweltgeschichte S. 20–31. 261 VERENA WINIWARTER: Umwelt-en. Begrifflichkeit und Problembewußtsein, in: GERHARD JARITZ/VERENA

WINIWARTER (HG.): Umweltbewältigung. Die historische Per-

spektive. Bielefeld 1994, S. 130–159.

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onsmuster verschiedener Arten (Uexküll), andererseits der Beziehungen zwischen einer Lebenseinheit und ihrer Umgebung (Thienemann); schließlich die „natürliche Umwelt“ als begriffliche Gleichsetzung mit Natur.262 Zentral ist für Winiwarter der Hinweis auf die gegenseitige Abhängigkeit von Begrifflichkeit und Problembewusstsein, da der implizit oder explizit verwendete Umweltbegriff auch den Zugriff auf Quellen determiniere. Wichtig sei zum einen die Absetzung sowohl vom biologischen als auch vom unreflektierten ‚populären‘ Umweltbegriff, zum anderen eine Differenzierung zwischen ‚Umweltgeschichte‘ und ‚Historischer Umweltforschung‘. Letztendlich sei die Umweltgeschichte über die strukturierte Erarbeitung der von ihr bearbeiteten Fragestellungen zu definieren.263 Wichtig erscheint auch der Hinweis Rolf Peter Sieferles auf den Wahrnehmungs- und Wirkzusammenhang zwischen dem von ihm so genannten „symbolischen“ und dem „materiellen Daseinsmodus“: „[V]om symbolisch-normativen Bereich aus werden ‚Handlungen‘ motiviert, die auf der Ebene des materiell-naturalen Bereichs als ‚Wirkungen‘ (oder Störungen) ankommen. Diese Differenz ist grundsätzlicher Natur, da eben die naturale Wirklichkeit immer erst symbolisch konstruiert werden muß, jenseits dieser Repräsentation aber ein eigenständiges Leben führt. Gerade in dieser Differenz liegt aber der fundamentale Grund für das, was wir ‚Umweltkrise‘ nennen.“264

Es geht also nicht an, eine dichotomische Unterscheidung zwischen ‚realer‘ Umwelt und kulturellen Bildern von Umwelt zu konstruieren, vielmehr zeitigen gesellschaftliche Wahrnehmungen und kulturelle Normen konkrete Wirkungen in der materiellen Welt: „The discrepancy between cultural images of nature and the actual organization of nature is a critical problem of mankind.“265 Aus dieser prekären Rückbindung von Repräsentation und Materialität bezieht die in der vorliegenden Studie vorgeschlagene wahrnehmungsgeschichtliche Perspektive ihre Relevanz. Darüber hinaus bezieht sie methodische Legitimation aus der besonderen Eignung des geschichtswissenschaftlichen Instrumentariums für die Entschlüsselung von Repräsentationen und für die Rekonstruktion von „Naturverständnissen, von Naturbildern, von Konzepten und Handlungsregeln“.266

262 Ebenda, S. 152–153. 263 Ebenda, S. 158–159. 264 Sieferle 1997, S. 50. 265 Rappaport 1979, zit. nach: Ebenda. 266 ROLF PETER SIEFERLE: Einleitung. Naturerfahrung und Naturkonstruktion, in: ROLF PETER

SIEFERLE/HELGA BREUNINGER (HG.): Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur

und Umwelt in der Geschichte. Frankfurt a. M. 1999, S. 9–18, hier 10.

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Eine wahrnehmungsgeschichtliche Analyse der Thematisierung des komplexen Beziehungsgefüges zwischen Gesellschaft und Natur bedarf aber einer konzeptionellen Vorklärung des Verständnisses von diesem Gefüge und damit einer kurzen Sichtung vorliegender theoretischer Angebote. Der Humanökologe Stephen Boyden (1987) rechnet physisch definierte ‚humans‘ als Ergebnis der organischen Evolution zu, die Gesellschaft (‚society‘) als Ergebnis der kulturellen Evolution.267 Sein weit gefasster Gesellschaftsbegriff umschließt „societal institutions and organizations, artefacts or products of labour (e.g. buildings, machines, manufactured commodities), societal arrangements (e.g. economic systems), and societal activities (e.g. farming, industrial production, transportation, mining, manufacturing and the use of weapons, and education)“.268 Die symbolische Kultur im engeren Sinne umfasst bei ihm „knowledge, technology, belief systems, value systems, and social aspirations.“ Der wichtigste Unterschied zu Rolf Peter Sieferles Konzeption eines sozialökologischen Systems liegt darin, dass Boyden den gesellschaftlichen vom naturalen Bereich unterscheidet, während Sieferle den symbolischen vom materiellen trennt: „In meiner Perspektive gehört ein Artefakt (bis hin zu einer Kulturlandschaft) beiden Bereichen an: materiell gehört es zur ‚Natur‘ (und entfaltet dort spezifische ökologische Wirkungen, die nicht kulturell repräsentiert werden müssen und vielleicht dies auch nicht vollständig können); symbolisch gehört es zur ‚Kultur‘, sofern es dort wahrgenommen wird.“269

Sieferle versucht mit seinem theoretischen Modell, Anschlussfähigkeit sowohl zu einer soziologischen als auch zu einer humanökologischen Perspektive herzustellen und bei der Betrachtung des Verhältnisses menschlicher Gesellschaften zu ihrer natürlichen Umwelt eine abstrakt dichotomische Gegenüberstellung von ‚Mensch‘ und ‚Natur‘ zu überwinden. Sieferle unterscheidet die drei Elemente Natur, Population und Kultur und begreift ihren Zusammenhang als sozial-ökologisches System, das soziale wie ökologische Teilsysteme enthält. Natur wird von Sieferle als ökologisch geordnetes System verstanden, dem prinzipiell alle materiellen Elemente der Wirklichkeit abgesehen von Menschen angehören können.270 „Natur bildet einen spezifischen Ordnungszusammenhang, der sich darin ausdrückt, daß es gelingt, bestimmte unwahrscheinliche Zustände zu erzeugen und über längere Zeiträume hinweg aufrechtzuerhalten.“ Population wird von Sieferle als „physische menschliche Population“ verstanden, „soweit sie zu materiellen Wirkungen fähig ist“, und umfasst die menschlichen Körper mit ihren spezifisch biologischen und genetischen 267 Sieferle 1997, S. 49–50. 268 Alle Zitate nach ebenda. 269 Ebenda, S. 50. 270 Diese wie die folgenden Definitionen und Zitate nach ebenda, S. 38.

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Eigenschaften. Symbolische Kultur ist ihm zufolge das „Ensemble derjenigen Informationen, die im menschlichen Nervensystem und anderen Informationsträgern gespeichert sind“ und hat ihrerseits Systemcharakter. Sie besitzt „autopoietisches Potential, da in ihr autonome kommunikative Rekursionen stattfinden, die spezifische Musterbildungen zur Folge haben.“ Sieferle sieht die Population als Schnittstelle, da sie sowohl als Informationsträger für die symbolische Kultur als auch als Funktionsträger bezüglich der Natur fungiert. Sie setzt (symbolische) Informationen in (materielle) Funktionen um. Für analytische Zwecke unterscheidet Sieferle die Struktur, die aus den drei Elementen Natur, Population und Kultur besteht, in zwei Systeme, das ‚human-ökologische‘ und das ‚soziale System‘. Menschen gehören, bei unterschiedlich gewichteten Eigenschaften, beiden Systemen an. Als „physisches Aggregat“ ist die menschliche Population Teil der Natur, deren „evolutionäres Differenzierungsprodukt“, und unter „strikt naturalen Gesichtspunkten bildet sie ein bloßes Element der naturalen Wirklichkeit.“ Die menschliche Population allein als physische Größe zu betrachten, die zu anderen physikalisch, chemisch, biologisch und ökologisch bestimmbaren Faktoren in Bezug steht, würde ihr aber nicht gerecht, da sie „die Eigenart menschlicher Gesellschaften, von einem extrasomatischen kulturellen System gesteuert zu werden“ außer Acht ließe.271 ‚Gesellschaft‘ oder ‚soziales System‘ benennt daher für Sieferle die Einheit von Population und Kultur. Natur gehört aus der Perspektive des sozialen Systems zu dessen Umwelt, während das soziale System selbst unabdingbar beide Elemente, die menschliche Population im physischen Sinne und eine symbolisch definierte Kultur, vereinigt.272 Ähnlich wie Rolf Peter Sieferle gehen auch Marina Fischer-Kowalski und Helga Weisz von der Notwendigkeit eines epistemologischen Brückenschlages zwischen Sozial- und Naturwissenschaften aus. Für ein Verständnis aktueller Umweltprobleme und die Diskussion von ‚nachhaltiger Entwicklung‘ sei es nötig, auf das Gesellschaft-Natur-Verhältnis zu fokussieren und eine gemeinsame epistemologische Basis zu schaffen, die als Brücke zwischen Sozial- und Naturwissenschaften fungieren könne und für beide Seiten zugänglich sei. Dies setze eine hinreichend komplexe Konzeption von Gesellschaft und naturalen Systemen voraus.273 Dem stehen Fischer-Kowalski und Weisz zufolge hauptsächlich zwei Hindernisse entgegen: erstens die lange westliche Tradition epistemologischen Dualismus, vor allem der Cartesianische Dualismus, i. e. die Frage, wie materiale und symbolische Welt interagieren, und zweitens der wissenschaftsphilosophische Dualismus namentlich zwischen Natur- und Sozialwissenschaften, der auf wohlbekannte Probleme der Interdisziplinarität verweise.274 Fischer-Kowalski und Weisz zielen dagegen auf ei271 Ebenda, S. 38–39. 272 Ebenda, S. 39–40. 273 Fischer-Kowalski et al. 1999, S. 216. 274 Ebenda.

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ne Konzeption der Interaktionen zwischen Gesellschaft und Natur, die weder in die eine, noch in die andere Richtung reduktionistisch ist, d. h. die weder ‚naturalistisch‘ noch ‚kulturalistisch‘ argumentiert.275 Fischer-Kowalski und Weisz gehen in der von ihnen vorgeschlagenen Modellvorstellung der Gesellschaft als symbolisch-materialer Hybridstruktur davon aus, dass Kultur (verstanden als System rekursiver menschlicher Kommunikationen) und Natur (verstanden als Systeme des materialen Bereichs) dichotomisch sind.276 Sie versuchen eine Schnittstelle beider Bereiche zu konstruieren. Eine weitere Annahme ist, dass Gesellschaft in der Lage ist, naturale Systeme zu beeinflussen und vice versa, dass naturale Systeme Einfluss auf die Gesellschaft ausüben. Die Dynamik der gesellschaftlichen Sphäre unterliegt mithin sowohl dem System sozialer Regelungen, die über den Weg der Kommunikation funktionieren (kultureller Austausch), als auch dem System biophysischer Regulierungen, die über den Weg von Stoff- und Energieflüssen (naturaler Austausch) von statten gehen. Für die Analyse des Komplexes biete sich die Systemtheorie an: „For a given culture – that is, a particular social system – other cultures and the material world are both part of the environment. […]“277 Kultur müsse mit als relevant erkannten Umwelten Beziehungen unterhalten, sich gleichzeitig aber davon abgrenzen. „Culture may – and must – regulate parameters of the environment in order to be able to reproduce itself. Hence, the cultural sphere – or, to be more precise, the cultural sphere of causation (kultureller Wirkzusammenhang) – is the result of the operative performance of culture; that is, it is steered by culture and refers to those interactions with the environment which are essential for its reproduction.“278

Die beschriebene Überlappungszone zwischen kultureller und materieller Welt konstituiert sich in einem Prozess der Interaktion, in dem Teile der materialen Welt angeeignet und in den kulturellen Wirkzusammenhang integriert werden, wobei kulturelle Kontrolle über Teile der materiellen Umwelt etabliert wird. Art und Umfang der kulturellen Kontrolle werden durch das kulturelle System bedingt, das bestimmte materielle Umwelten wie Organismen, Objekte oder Gebiete als sich selbst zugehörig beschreibt und seinen Umgang mit diesen Umwelten intensiv reguliert. Die Ausübung kultureller Kontrolle manifestiert sich auch materiell und hat konkreten Wandel der materiellen Umwelt zur Folge. Im menschlichen Handeln und in der menschlichen Erfahrung überlagern sich kulturelle und naturale Momente untrenn-

275 Ebenda, S. 216–217. 276 Vgl. ebenda, S. 240–244. 277 Ebenda, S. 240. 278 Ebenda, S. 241.

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bar.279 Der Mensch bewegt sich in der Überschneidungszone von naturalem und kulturellem Wirkzusammenhang. „The natural sphere of causation is defined as the sphere influenced by recursive communication, which, in its core, is constituted by a cultural system (culture). Culture generates some form of self-understanding, according to which certain segments of the material world are considered as parts ‚belonging‘ to this system. This applies to humans but also to domesticated animals and possibly to cultivated plants as well as to artifacts. These elements are segregated from ‚residual nature‘ because their reproduction is to a high degree culturally regulated and controlled. This is exactly what determines the overlapping zone between cultural and natural spheres of causation. Society, therefore, may be described as an organized set comprising a cultural system and those material elements accorded preferential treatment by the cultural system.“280

Fischer-Kowalskis Konzept bleibt bei aller historischen Dynamik und grundsätzlich breit konzipierter Überlappungszone zwischen naturalem und kulturellem Wirkzusammenhang im Kern dichotomisch. Genau dies steht im Zentrum der Kritik, die der Philosoph und Sozialtheoretiker Theodore R. Schatzki gegenüber den interaktionsorientierten Ansätzen FischerKowalski/Weisz’ und anderer erhebt. Schatzkis Einschätzung zufolge stellen diese zwar mitunter instruktive Neukonzeptualisierungen der Schnittstelle zwischen Natur und Gesellschaft bereit. Sie halten aber an der Grunddistinktion zwischen Gesellschaft und Natur fest und verdunkeln durch ihren additiven Ansatz (x+y anstatt x oder y) die Grenzen.281 Dagegen folgt Schatzki der Latourschen Forderung nach Abschaffung der konzeptionellen Unterscheidung zwischen Natur und Gesellschaft. Er legt seiner Konzeption des historischen Prozesses eine auf Praktiken zentrierte Sozialontologie („practice-centered social ontology“282) zugrunde, in der beide Entitäten gleichzeitig sozial und natural gedacht werden können.283 Jede menschliche Aktivität ist demnach Teil von Praktiken und geschieht im Zusammenhang mit materiellen Arrangements. Praktiken wie Wissenschaft, Politik, Religion, Bauen und Kochen sind „open, spatial-temporal manifolds of activity that are carried on by multiple individuals.“284 Unter „materiellen Arrangements“ versteht Schatzki Ar-

279 Ebenda. 280 Ebenda, S. 241–242. 281 THEODORE R. SCHATZKI: Nature and technology in history, in: History and Theory – Theme Issue 42 (2003), S. 82–93, hier 86–87. 282 Ebenda, S. 84. 283 Ebenda, S. 87–88. 284 Ebenda, S. 84.

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rangements von Menschen, Artefakten285, Organismen und Dingen, wobei die Unterscheidung zwischen Artefakten und Dingen sich danach richtet, ob menschliche Aktivität sie absichtlich oder in erheblichem Umfang beeinflusst. Menschliches Wirken in der Vergangenheit figuriert ausschließlich in vielfältigen möglichen Verknüpfungen von Praktiken und Arrangements („practice-arrangement nexuses“). Diese practice-arrangement nexuses bilden den sozialen Schauplatz („social site“).286 Auf dieser Basis kann ein Geschichtsbegriff wurzeln, der umfassender konzeptualisiert ist als der in den Geschichtswissenschaften übliche: „One feature of this ontology is that more or less all human activity occurs within the scope of some practice or other. Indeed, an action, more precisely stated, is a moment of a practice or practices. A second feature is that activities occur at and amid particular arrangements. It follows from these two features that history, construed as the realm and course of past human activity – embracing activity, the determinants of activity, and its products – transpires only within human practice-arrangement nexuses. Human activity and its course are thus an abstraction from a fuller reality, namely, the social site, the realm and course of practicearrangement nexuses. […] I urge, accordingly that human history be conceptualized as the realm and course of the social site, of activity-embracing nexuses of practices and arrangements.“287

Einem weiten Geschichtsbegriff, der die verengten geschichts- und naturwissenschaftlichen Geschichtsbegriffe ersetzen soll, steht bei Schatzki ein ebenfalls weiter Naturbegriff gegenüber. Unter Natur versteht er „any thing, process, or event, or any aspect of a thing, process, or event, that exists, happens, or changes not as a result of human activity; in other words, nature includes that which is not under the control of, or shaped by, human activity. To the extent that existence, occurrence, or transformation observe laws or principles, a thing, process, or event is natural when its existence, occurrence, or alteration are subject to laws and principles that are not of human making.“288

Damit adaptiert und erweitert Schatzki den aristotelischen Naturbegriff. Vor allem bezieht er neben dem Stofflichen auch andere Kategorien als dem Bereich der Natur 285 Vgl. auch ebenda, S. 86. 286 „This modal proposition holds of all human coexistence: human coexistence is inherently tied to extant practice-arrangement nexuses. I dub the nexuses of practices and arrangements, as part of which social existence occurs, the site of the social.“ Ebenda, S. 84. 287 Ebenda, S. 84–85. 288 Ebenda, S. 85.

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zugehörig mit ein, so auch Artefakte und soziale Entitäten, deren Existenz, Auftreten oder Veränderung nicht menschlicher Kontrolle oder Bestimmung unterliegen.289 Unter diesen Vorzeichen verschwimmt die vermeintlich klare Unterscheidung zwischen natürlich oder künstlich. Entitäten jeglicher Art können sowohl über natürliche als auch über künstliche Aspekte verfügen.290 Artefakten können natürliche, naturalen Objekten artifizielle Aspekte eignen. Daneben sieht Schatzki die Existenz von Phänomenen, deren Mischung von naturalen und artifiziellen Aspekten von so grundlegendem Charakter ist, dass man sie als gleichermaßen künstlich oder natürlich bezeichnen kann. Als Beispiele nennt er Flaschenmilch, sexuelles Verlangen, bestimmte genetisch veränderte Lebensformen und englische Landschaftsgärten. Also müssen Gesellschaft und Natur so gedacht werden, dass Entitäten gleichzeitig sozial und natural sein können. Natur ist in dreierlei Hinsicht Teil der Gesellschaft: Erstens sind biophysische Organismen Elemente der materiellen Arrangements, die gemeinsam mit Praktiken „social sites“ bilden. Zweitens haben Arrangements eine physiochemische Zusammensetzung und sind so Teil eines weiteren „physiochemical stratum“, in dem materielle Entitäten verbunden sind. Und drittens passieren biophysikalische Flüsse die practice-arrangement-nexuses, vor allem in Form von Flüssen von Materie/Energie, Organismen und Genen. „Material arrangements are crystallizations of such flows; among other things, moreover, practices capture flows.“291 Der wesentliche Ertrag von Schatzkis an Praktiken orientierter Sozialontologie für die kulturwissenschaftlich erweiterte Umweltgeschichte liegt zum einen in dem überzeugend vorgetragenen Versuch, dichotomische Konzepte des Beziehungszusammenhangs zwischen Natur und Gesellschaft zu überwinden. Zum anderen verortet Schatzki Natur so im historischen Prozess, dass der aus dieser Verortung resultierende Geschichtsbegriff transdisziplinär anschlussfähig ist: „Human history, accordingly, is a social-natural history: a perpetual development that encompasses the omnipresent and varied active presence of nature in human life. History does not just occur on the backdrop of nature, as many modernists have it; nor is it simply inter-

289 Ebenda, S. 86. 290 „Although a house, for instance, is both a human artifact and a social phenomenon, the physical properties of its construction materials, according to which it bears weight, withstands blows, liquefies under certain conditions, and the like, are facts of nature. Even such entities as synthetic polymers, whose molecular structure is the result of human ingenuity, evince natural properties such as bonding possibilities and catastrophic behaviors under extreme temperatures or pressures.“ Ebenda. 291 Ebenda, S. 88–89.

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twined with nature qua substantially distinct realm, as contemporary interactionists have it.“292

Die vorliegende Untersuchung, die topografische Medien der Frühen Neuzeit aus einer sowohl umwelthistorisch wie kulturhistorisch motivierten, wahrnehmungsgeschichtlichen Perspektive heraus in den Blick nimmt, knüpft konzeptionell sowohl an dieser entdichotomisierten Sicht auf Mensch und Natur als auch am genannten Geschichtsbegriff an. Es macht für die Analyse der Weltsicht historisch-topografischer Literatur einen großen Unterschied, ob man davon ausgeht, die analysierten Werke thematisierten hier ‚Gesellschaft‘ oder ‚Kultur‘ und dort ‚Natur‘, oder ob man in bewusstem Verzicht auf eine solche Vorfestlegung untersucht, wie bzw. mit welcher thematischen Schwerpunktsetzung ein sozionaturaler Schauplatz beschrieben wird. Die Suche nach einer adäquaten konzeptionellen Basis für die zu untersuchende Bedingtheit von Wahrnehmung ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Hier lohnt ein erneuter Blick auf das Modell des sozial-ökologischen Zusammenhangs der Wiener Schule der Sozialen Ökologie.293 Denn eine Spezifikation der interaktiven, rezeptiven, kognitiven und produktiven Prozesse, über die ‚der Mensch‘ mit einer natürlichen und kulturellen Sphäre in Beziehung steht, ist Teil dieses interaktionszentrierten Modells, das ‚den Menschen‘ und die biophysischen Strukturen der Gesellschaft in einer Überlappungszone beider Bereiche positioniert. Es sind dies die Faktoren: Erfahrungen, Repräsentationen, Programme und Arbeit. Menschen sammeln über ihre Sinne im Umgang mit Natur – oder im Umgang mit Artefakten oder anderen Menschen – Erfahrungen. Diese werden unter Einfluss kultureller Regeln in Repräsentationen transferiert, d. h. etwas salopp zugespitzt, man macht sich ‚sein Bild‘ von der Welt, von der Natur, einem Acker oder einer Stadt. Dieses Bild ist symbolischer, i. e. sprachlicher, bildlicher oder auch musikalischer Natur. Innerhalb des kulturellen (symbolischen) Systems existiert eine Vielzahl symbolischer Repräsentationen, die wiederum nach Regeln des symbolischen Systems zu Programmen für den menschlichen Umgang mit Natur zusammengefasst und ausdifferenziert werden. Als Beispiele solcher Programme könnten Gartenratgeber ebenso angeführt werden wie Gebrauchsanweisungen für technisches Gerät, Reiseführer und Kochbücher. Programme steuern die menschlichen Eingriffe in Natur, die vor allem durch Arbeit geschehen, d. h. durch – teils technologisch vermittelten – Aufwand von Energie. Diese Auseinandersetzung generiert ihrerseits Erfahrungen. Die Kategorien Erfahrung, Repräsentation, Programm und Arbeit beziehen ihre potenzielle Anschlussfähigkeit für ein wahrnehmungsgeschichtliches Untersuchungstableau 292 Ebenda, S. 90. 293 Vgl. Fischer-Kowalski et al. 1999; hier nach der für das historische Arbeiten adaptierten Form in Winiwarter et al. 2007, S. 127–130.

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zum einen aus der großen Nähe des hier konzipierten Verständnisses von Erfahrung zum Begriff der Wahrnehmung294, verstanden als eine durch das Bewusstsein kontrollierte Auseinandersetzung des menschlichen Organismus mit seiner Umwelt.295 In der Kontrolle und Filterung der Wahrnehmung einer als objektiv verstandenen Natur werden kulturelle Prädispositionen wie ‚Weltbilder‘, ‚Weltanschauungen‘, aber auch Religion, wirksam.296 Zum anderen ist Wahrnehmung auf einer allgemeineren funktionalen Ebene auch mit den übrigen Faktoren – Repräsentation, Programm und Arbeit – verbunden.297 Obwohl Verena Winiwarter und Martin Schmid mit ihrem Vorschlag, Schatzkis ‚practice-centered social ontology‘ zur konzeptuellen Grundlage der umwelthistorischen Beobachtung zu machen298, den Schritt von einer interaktions- zu einer an Praktiken orientierten Theoriebildung vollzogen haben, sind von ihnen die interaktiven Faktoren Erfahrungen, Repräsentationen, Programme und Arbeit in das propagierte Konzept übernommen und integriert worden. Wie Schatzki konzipieren Winiwarter und Schmid den Geschichtsverlauf als Metamorphose des Zusammenspiels von Praktiken und Arrangements (vgl. oben).299 Auch sie gehen von einer vollständigen gegenseitigen Durchdringung von Natur und Sozialem aus, was vor allem im Begriff des Arrangements Ausdruck findet. Allerdings schlagen sie vor, statt des Begriffs des sozialen Schauplatzes „sozionaturale Schauplätze als Untersuchungsgegenstände der Umweltgeschichte einzuführen, um die bei Schatzki zwar inkorporierte, aber nicht begrifflich ausgewiesene Relevanz der Naturdinge für die Metamorphose sozialer Schauplätze zu betonen. Die Metamorphose sozionaturaler Schauplätze, der Prozess ihres Wandels, ist Umweltgeschichte.“300 Die Verknüpfung von Praktiken und Arrangements konstituiert sozionaturale Schauplätze. Den Kategorien der Erfahrungen, Repräsentationen, Programmen und Arbeit kommt in diesem Kontext die Qualität von Modi zu, mittels derer beschrieben werden kann, wie die Verknüpfung von Praktiken und Arrangements vor sich geht bzw. wie sozionaturale Schauplätze konstituiert werden.301 Bei aller grundsätzlichen Sympathie 294 Ebenda, S. 259. 295 Zur praxeologischen Problematisierung eines derartigen Wahrnehmungsbegriffs siehe unten. 296 Vgl. ebenda, S. 257–258. 297 Ebenda, S. 259. 298 Vgl. Winiwarter et al. 2008. 299 Ebenda, S. 170–171. 300 Ebenda, S. 161 [Hervorhebungen im Original]. Schatzki verwendet das Adjektiv „sozionatural“ zur Qualifizierung der Technisierung sozialer Schauplätze: „The increasing technologization of the social site whose metamorphosis is history is tied to changes in the socionatural composition of that site.“ Schatzki 2003, S. 93. 301 Winiwarter et al. 2008, S. 161–162.

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für ein epistemologisches Konzept, dem es gelingt, in einem nicht-dichotomischen Entwurf Natur in die menschliche Geschichte und menschliche Geschichte in die Natur zu bringen302, erscheinen die genannten Kategorien hier an analytischer Schärfe verloren zu haben. Sie werden von klar definierbaren interaktiven Prozessen zu eher diffusen Modi der Beschreibung von Konstellationen aus Praktiken und Arrangements. Die jüngste Weiterentwicklung und Anwendung des Konzepts durch Martin Schmid verzichtet gar ganz auf sie.303 Als konzeptionelles Detail mit potenziellen methodischen Anschlussmöglichkeiten für das hier vorgestellte Forschungstableau sind sie daher nicht oder nicht ausreichend konkret greifbar. Lässt sich dennoch weiter konzeptionell an sie anknüpfen? Könnte etwa im Rahmen eines an Praktiken orientierten Konzepts der Lösungsweg darin bestehen, Erfahrungen und deren Einspeisung und Weiterverarbeitung in Wissenssystemen (Repräsentationen, Programme) und schließlich Arbeit als Praktiken zu konzipieren? Letztendlich bleibt die Überführung der interaktiven Kategorien Erfahrungen, Repräsentationen, Programme und Arbeit in das praxistheoretisch fundierte Modell der sozionaturalen Schauplätze problematisch. Meine Konsequenz für die vorliegende Studie ist daher, auf das mögliche erkenntnisfördernde Potenzial dieser vier „Modi“ zu verzichten. Auch der oben angedeutete Versuch, sie als zyklische Sequenz von Praktiken zu konzipieren, wird nicht systematisch weiterverfolgt. Ein weiteres Problem liegt in der empirischen Umsetzung bzw. Anwendbarkeit des Konzepts sozionaturaler Schauplätze. Winiwarter und Schmid unterziehen das Konzept zwei empirischen Testläufen. Zum einen analysieren sie mit seiner Hilfe das Hausbuch Oeconomia des protestantischen pommerschen Geistlichen Johannes Coler (1566-1639), zum anderen legte Schmid eine Analyse der Donau als sozionaturalem Schauplatz vor. Zwar werden hier der epistemologische Charakter und die sich daraus ergebende Offenheit sozionaturaler Schauplätze betont304, doch neigt diese Offenheit zur Unschärfe. So wird im Falle der Colerschen Oeconomia einerseits sehr weit „der sozionaturale Schauplatz der frühneuzeitlichen Landwirtschaft“ definiert305, andererseits finden sich im selben Aufsatz räumliche306 und inhaltlich302 MARTIN SCHMID: Die Donau als sozionaturaler Schauplatz. Ein konzeptueller Entwurf für umwelthistorische Studien in der Frühen Neuzeit, in: SOPHIE RUPPEL/ALINE STEINBRECHER (HG.): „Die Natur ist überall bey uns“. Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit. Basel 2009, S. 59–79, hier 60. 303 Vgl. ebenda. 304 „Sozionaturale Schauplätze konstituieren sich durch bewusstes Beobachten. Prinzipiell sind sie räumlich offen, die Grenze eines sozionaturalen Schauplatzes zieht der Beobachter abhängig von seiner Fragestellung.“ Ebenda, S. 64. 305 Winiwarter et al. 2008, S. 170. 306 „Der sozionaturale Schauplatz, den wir mit Colers ‚Oeconomia‘ beobachten können, ist hingegen erstaunlich weiträumig, was anhand seines Wissen [sic!] über die Böden ande-

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thematische307 Qualifikationen des mit Colers Oeconomia beobachtbaren sozionaturalen Schauplatzes. Nicht zuletzt ist es die empirische Verfasstheit, die den sozionaturalen Schauplatz als solchen qualifiziert.308 Wenn hier von einer Konstitution des sozionaturalen Schauplatzes die Rede ist, die vorwiegend über Erfahrung und weniger über theoretische Konzepte antiker Autoren von statten geht, stellt sich die Frage, ob nicht die durch Coler aus der antiken Literatur übernommenen Beschreibungen ihrerseits auch auf Erfahrung beruhen und damit nicht zwangsläufig als theoretisches Konzept anzusprechen sind.309 Damit hätten wir dann ergänzend zu der von Winiwarter und Schmid so genannten „Beobachtung zweiter Ordnung“310 rer Gegenden sichtbar wird. Er schreibt über Meißen, Schlesien, Thüringen, die Mark in der Umgebung von Berlin, Sachsen und das Harzgebirge. Er schreibt über Orte in seiner unmittelbaren Umgebung, wie Lups und Goldberg, und auch über ein anderes Goldberg (heute Zlotoryja), seinen Geburtsort, der wesentlich weiter südlich, in der Nähe des heutigen Wroclaw liegt.“ Ebenda, S. 168. 307 Bezugnehmend auf Colers differenzierte Beschreibung von Bodenqualitäten und das dabei festzustellende terminologische Übergewicht von Bezeichnungen unerwünschter Qualitäten: „Der sozionaturale Schauplatz ist nicht symmetrisch verfasst, sondern eine Vielzahl möglicher schlechter (und ohne menschlichen Einfluss existierender) Zustände steht einem einzigen Ideal eines guten Zustandes gegenüber, der nur zufällig auch ohne menschlichen Einfluss existiert.“ Ebenda, S. 165. 308 „Insgesamt zeichnet sich eine von praktischen Erfahrungen dominierte Wahrnehmung von Böden ab. Man könnte folgern, dass der sozionaturale Schauplatz im wesentlichen über Erfahrung konstituiert ist, und theoretische Konzepte demgegenüber weniger Bedeutung haben.“ Ebenda, S. 166. 309 Dabei wäre freilich zwischen aktuell repräsentierter Erfahrung und der Übernahme von Erfahrungen der Vergangenheit zu unterscheiden und zu fragen, in welcher Funktion Coler die Verweise auf antike Autoren verwendet. Häufig geschieht dies, wie im Aufsatz von Winiwarter und Schmid nicht expliziert, bei Coler in theoretisch begründender Absicht. VERENA WINIWARTER: Telefonische Mitteilung zur Beobachtung zweiter Ordnung bei Coler, 01.12.2009. 310 „Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei allen Beobachtungen mit historischen Quellen um Beobachtungen zweiter Ordnung handelt. Alle Quellen sind bereits aufgrund einer Beobachtung konstituiert. Hier ist von historischen Quellen im engeren Sinne die Rede, also von Texten, Bildern oder anderen Artefakten, die von Menschen hergestellt wurden. ‚Natur‘ ist allerdings, wie in Latours Ausführungen über die Pedologie nachzulesen, ebenfalls nur als Konstruktion auf der Basis von Beobachtungen von Menschen verfügbar, und nicht per se (Latour 2000). Geschichtswissenschaft zu betreiben ist eine der Möglichkeiten, Gesellschaften eine Form der Selbstbeobachtung zur Verfügung zu stellen. Historische Forschung beobachtet Gesellschaft durch Beobachtung von Spuren in der Vergangenheit. Umweltgeschichte beobachtet sozionaturale Schauplätze durch

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eine dritte Beobachtungsebene: Der/die (Umwelt-)HistorikerIn beobachtet Coler, wie dieser – etwa – Columella beobachtet, wie dieser Böden beobachtet. Zwangsläufig drängt sich dann die Frage auf: Was ist und auf welcher Ebene konstituiert sich der sozionaturale Schauplatz? In der Summe birgt das vorgestellte Konzept von Geschichte als Beobachtung sozionaturaler Schauplätze Potenziale und Problemfelder. Es stellt ein epistemologisches Instrumentarium zur Verfügung, menschliche Geschichte und Natur in einer nicht-dichotomischen und transdisziplinär anschlussfähigen Art und Weise zu denken. Das Konzept der sozionaturalen Schauplätze teilt mit anderen praxistheoretischen Ansätzen den Vorzug, einen Weg aus einer weiteren Dichotomie zu weisen, nämlich dem Zwang, methodisch entweder einer kulturalistischen oder einer idealistischen Option folgen zu müssen.311 Auch die von Winiwarter und Schmid anmoderierte Problematisierung von Beobachtung im (umwelt-)historischen Kontext besitzt große Relevanz. Kritisch bilanziert und hinsichtlich seiner Anwendung in der Analyse historisch-topografischer Literatur beurteilt, überwiegen also die Vorzüge des Konzepts. Zugespitzt könnte man behaupten, es seien die Autoren der Gattung selbst, die in ihren Vorreden – cum granu salis und selbstredend nicht explizit – eine Beobachtung sozionaturaler Schauplätze propagieren. Um dieser Behauptung ihre vordergründige Gewagtheit zu nehmen, empfiehlt sich eine Rückschau auf die oben vorgestellte Geschichtskonzeption Schatzkis und Winiwarter/Schmids: Geschichte wird als Metamorphose des Zusammenspiels von Praktiken und Arrangements konzipiert. Menschliche Aktivität und ihre historische Entwicklung sind Schatzki zufolge Abstraktionen einer umfassenderen Wirklichkeit der social sites, der Welt und des Verlaufs von Verknüpfungen von Praktiken und Arrangements.312 Die vollständige gegenseitige Durchdringung von Natur und Sozialem wird vor allem im Begriff des Arrangements gespiegelt. Vor diesem Hintergrund ermöglichen die Vorreden topografischer Werke wie die eingangs zitierten Zeilen aus Georg Matthäus Vischers Topographia archiducatus Austriae Inferioris modernae oder von Sebastian Münsters Cosmographia interessante neue Re-Lektüren: „Die Geographi ist ein erkantnuß des ertrichs/das wir tödtlichen auß der gaben Gottes ynwonen/wölche die kunst liebhaber richtig und fertig macht zuo verston die geschehen ding/so uns vonn alter zeit här in geschrifften verlassen seind. Ja dise kunst eröffnet uns zu Beobachtung von Spuren von Praktiken und Arrangements der Vergangenheit.“ Winiwarter et al. 2008, S. 162. 311 Vgl. ANDREAS RECKWITZ: Toward a Theory of Social Practices. A Development in Culturalist Theorizing, in: European Journal of Social Theory 5 (2002), S. 243–263, hier 258. 312 Vgl. Schatzki 2003, S. 84–85.

106 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT dickern mal die verborgne heimlichkeyt der heyligen geschrifft und entblößt die kraft der kluogen natur/so verborgen ligt in mancherley dingen. Wie hetten die alten/ja auch die so zuo unser zeit leben/also gluckhafftige krieg mögen füren in frembden und fernen länderen/do sie etwan über hohe berg/etwan über tieffe wässer haben müssen reysen/auch etwan über möre schiffen / wan sie nit hetten gewüßt durch dise kunst gelegenheit des ertrichs/weyte und enge des möres/unnd eygenschafft der länder. […] Dan dise kunst streckt sich nit allein über die länder/wonungen und stetten mancherleien völcker/sunder bekümmert sich auch mit andern dingen des ertrichs und mörs/als mit seltzamen thieren/bäumen/metallen und andern nützen und onnützen dingen/so auff dem ertrich oder in dem möre erfunden werden. Zu unseren zeiten ist es nit gar von nöten/das du weithin und här auff der erden umbhär schweiffest/zuo besichtigen und zuo erfaren gelegenheit der länder/stätt/wässer/bergen und thäler/item sitten und gebreüch/ gesatzt und regiment der menschen/eygenschafft und natur der thier/bäum und kreüter. Du magst dise ding jetzunt in büchern finden/und dar auß mer lernen und erkennen von disem oder jhenem land/dan etwan einander/der gleich darin ist gewesen jar und tag.“313

Der Geografie kommt demnach die Aufgabe zu, Erkenntnis über die Welt und über die menschliche Rolle in der Welt zu erlangen. Die so zu leistende Offenlegung der göttlichen Ordnung definiert keine strikt voneinander abgrenzbaren kulturellen und natürlichen Sphären. Vielmehr wird die Ordnung, an deren Erkenntnis der Wissenschaft gelegen ist, als hybride Konstellation von menschlicher Aktivität und Materialität, als Zusammenwirken menschlicher Praktiken und materieller Arrangements, konzipiert. Historisch-topografische Literatur kann also einem impliziten eigenen Anspruch historisch-topografischer Autoren nach als Quellengattung verstanden und analysiert werden, die sozionaturale Schauplätze repräsentiert. Nun kann gerade die Unterstellung dieses impliziten eigenen Anspruchs der frühneuzeitlichen Topografen kritisiert werden – und wurde in der Diskussion meines Manuskripts kritisiert. Aus der Position einer teleologisch-modernisierungstheoretisch argumentierenden Wissenschaftsgeschichte heraus betrachtet bilde die Dichotomie von Gesellschaft bzw. Kultur auf der einen und Natur auf der anderen Seite ein zentrales Ordnungsmuster moderner Gesellschaft und Wissenschaft – und dies von der Frühen Neuzeit anhaltend bis zur postmodernen Wissenschaftstheorie. Vor diesem Hintergrund komme der historisch-topografischen Literatur in ihrem von mir unterstellten Verständnis für hybride Anthropologie eine erklärungsbedürftige Sonderstellung zu. Ich bezweifle diese Sonderstellung. Wie im gattungsgeschichtlichen Kapitel dieser Studie bereits angeklungen, lohnt es sich, gemeinsam mit der jüngeren Wissenschaftsgeschichte eben jene vertrauten modernisierungstheoretischen Meistererzählungen zu differenzieren und sich gerade für die Frühe Neuzeit verstärkt auf die Suche nach Zeugnissen eines – heilsgeschichtlich motivierten – Hybriditätsverständnisses zu machen, in der Topgrafiegeschichte wie an313 Vorrede, unfol. [fol. Irv], in: Münster 1545; vgl. Uhde 1993, S. 170.

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dernorts.314 Sozionaturale Schauplätze werden damit nicht zu sozio-natural-transzendentalen Schauplätzen. Denn die in dieser Studie untersuchte Leitdifferenz ist eine kultur- und umwelthistorische, keine theologisch-religionsgeschichtliche. Dass die transzendentale Dimension für die historisch-topografische Repräsentation sozionaturaler Schauplätze eine wichtige Rolle spielt, wird an verschiedenen von mir untersuchten Beispielen deutlich werden. Doch ist sie nicht explanandum sondern explanans. Sie stellt die wahrnehmungsgeschichtliche Anwendung des Konzepts der sozionaturalen Schauplätze nicht in Frage. Denn diesem kommt als epistemologischem Hilfsmittel – ganz ähnlich erfolgreichen Experimentalsystemen in den Naturwissenschaften – nicht zuletzt die Aufgabe zu, Überraschungen zu generieren.315 (Umwelt-)historische Quellenlektüre kann nun darin bestehen, das Werk einzelner Autoren der Vergangenheit darauf hin zu untersuchen, welchen Zuschnitt – im Sinne thematischer Schwerpunktsetzung – die von ihnen umrissenen sozionaturalen Schauplätze besitzen. Im Falle der historisch-topografischen Literatur liegt mit dem im gattungsgeschichtlichen Teil dieser Arbeit skizzierten länderkundlichen Schema bereits ein gattungsspezifisches Raster vor, das den Zuschnitt der beschriebenen sozionaturalen Schauplätze bis zu einem gewissen Grad vorgab. Dies hat zweierlei Konsequenzen: Erstens ist aufgrund der thematischen Weite des länderkundlichen Schemas von weiter bzw. ganzheitlicher konzipierten sozionaturalen Schauplätzen auszugehen, als sie etwa in rein naturkundlich orientierter Literatur begegnen. Zweitens gab es eine Variationsbreite in der Anwendung des länderkundlichen Schemas. Einzelne Aspekte wurden im einen Werk mehr, im anderen weniger akzentuiert. Mithin repräsentiert die Art und Weise, wie das landeskundliche Schema angewendet wird, die Art und Weise, wie sozionaturale Schauplätze vom Autor wahrgenommen werden. Dass sozionaturalen Schauplätzen kein ontologischer Charakter eignet, sei hierbei betont.316 314 Vgl. MARTIN KNOLL: „Wir Armen müssen in diesem trübseligen Meer der Welt herumgetrieben werden…“. Anmerkungen zum Verhältnis von Religion und Geografie in der historisch-topografischen Publizistik der Frühen Neuzeit, in: FRANZ HEDERER/CHRISTIAN

KÖNIG/KATRIN NINA MARTH/CHRISTINA MILZ (HG.): Handlungsräume. Facetten

politischer Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Albrecht P. Luttenberger zum 65. Geburtstag. München 2011, S. 337–358. Umfänglich zur Verschränkung von Religion und ‚Wissenschaftlicher Revolution‘ der Frühen Neuzeit: DIETER GROH: Göttliche Weltökonomie. Perspektiven der Wissenschaftlichen Revolution vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1945). Berlin 2010. 315 Vgl. HANS-JÖRG RHEINBERGER: Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas. Göttingen 2001, S. 250. 316 In diesem Zusammenhang schließe ich mich der epistemologischen Relativierung sozialer und kultureller Theorien durch Andreas Reckwitz an, der betont, dass weder die Praxistheorie noch andere Kulturtheorien einen Wahrheitsanspruch im Sinne von Korres-

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2.2.6 Wahrnehmung und Medialität Damit ist die methodische Vorklärung bei der ebenso zentralen wie prekären Kategorie der Wahrnehmung angelangt. Wahrnehmung wird eng entlang der Eigenschaften der untersuchten Quellengattung definiert. Ich verstehe unter Wahrnehmung im Kontext der Untersuchung historisch-topografischer Literatur der Frühen Neuzeit die Art und Weise der Repräsentation sozionaturaler Schauplätze in dieser Literatur. Diese Vorgehensweise nutzt den Vorteil praxeologischer Theoriebildung, kognitionstheoretische oder neurophysiologische Diskussionen um die Natur von Wahrnehmung317 (und damit das erkenntnistheoretisch ebenso weite wie umstrittene Feld der Diskussion um das Verhältnis zwischen „Geist im Gefäß“318 und wie auch immer gestalteter „Außenwelt“) ausklammern zu können. Entsprechend betrachte ich nur das in den Quellen evidente Ergebnis. Dieses Ergebnis jedoch lässt unterschiedliche Schwerpunktsetzungen erkennen und damit unterschiedliche Vorstellungen von sozionaturalen Schauplätzen. Diese Unterschiede können mediale, aber auch in den materiellen Grundlagen der sozionaturalen Schauplätze angelegte Gründe haben, die es zu analysieren gilt. Die Kulturhistorikerin Silvia S. Tschopp hat methodisches Rüstzeug für derlei Analysen bereitgestellt.319 Sie diskutiert Wahrnehmungsgeschichte als methodische Herausforderung kulturhistorischer Forschung. Dabei weist sie die Gewinnung einer soliden methodischen Basis für wahrnehmungsgeschichtliche Forschung als Desiderat aus.320 Ihre eigene, tendenziell vage Wahrnehmungsdefinition legt zwar

pondenz zu einer wie auch immer definierten Faktizität beanspruchen können. Sie sollen vielmehr kontingente Interpretationssysteme an die Hand geben, die uns in die Lage versetzen, bestimmte empirische Aussagen zu machen. Vgl. Reckwitz 2002, S. 257. 317 Vgl. als kritische Diskussion der Grundannahmen von Evolutionärer Ästhetik, Kultureller Medienökologie und Neuronaler Ästhetik BERNHARD KLEEBERG: Von der Sprache. Naturalistische Konzepte objektiver Wahrnehmung, in: FABIO CRIVELLARI/KAY KIRCHMANN/MARCUS SANDL/KARL SCHLÖGL (HG.): Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive (Historische Kulturwissenschaft 4). Konstanz 2004, S. 85–108. 318 BRUNO LATOUR: Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1595). Frankfurt a. M. 2006, S. 11. 319 SILVIA S. TSCHOPP: Das Unsichtbare begreifen. Die Rekonstruktion historischer Wahrnehmungsmodi als methodische Herausforderung der Kulturgeschichte, in: Historische Zeitschrift 280 (2005), S. 39–81. 320 Ebenda, S. 45–46.

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fortbestehenden diesbezüglichen Handlungsbedarf nahe.321 Dies ändert jedoch nichts an der Relevanz ihres Problemaufrisses. Tschopp stellt die Frage, wie „etwas derart Geschichtsmächtiges und zugleich Ungreifbares wie menschliche Wahrnehmung als wissenskonstituierende und handlungsleitende Operation auf wissenschaftlich plausible Weise rekonstruiert werden“ kann.322 Die Überlegungen des französischen Historikers Roger Chartier bilden die Grundlage ihrer Darstellung methodischer Probleme, der folgend Tschopp Lösungsansätze skizziert und ihren eigenen Zugang anhand von Flugschriften des späten 16. Jahrhunderts exemplifiziert. Konkret analysiert sie die Wahrnehmung natürlicher Phänomene in Flugschriften über ein am 10. September 1580 (alter Stil) in Mitteleuropa sichtbares Polarlicht.323 Tschopp interessiert sich für Wahrnehmungsgeschichte aus einer dezidiert geschichtswissenschaftlichen Perspektive, d. h. auch sie klammert unter anderem kognitionspsychologische und neurobiologische Zugänge aus und stellt die textuellen und bildlichen Quellen in das Zentrum ihrer Argumentation.324 Resümierend formuliert Tschopp eine Reihe von Prinzipien bzw. Postulaten, „die für die Erforschung historischer Perzeptionen leitend sein sollten“. Erstens legt sie Wert auf die Feststellung, dass Texte und Bilder historische Wahrnehmungen nicht nur repräsentieren, sondern ihrerseits generieren. Dies impliziere für die wahrnehmungsgeschichtliche Arbeit, dass es nicht genüge, eine Quelle „nur als Dokument eines spezifischen Aneignungsmodus historischer Ereig-

321 Tschopp fasst Wahrnehmung als „einen Teilaspekt dessen, was individuelle und kollektive Vorstellungen ausmacht“. Der Begriff meine „hier weniger die verschiedenen Formen sensueller Erfahrung“, sondern sei „in einem umfassenderen Sinn als der sich kognitiven, affektiven und ethischen Dispositionen verdankende Modus menschlicher Perzeption“ zu definieren. Tschopp präferiert den Begriff „Wahrnehmung“, weil er ihrer Einschätzung zufolge in „stärkerem Maße als der Begriff ‚Erfahrung‘ […] menschliche Perzeption als aktiven und bewußten Akt“ bezeichne. Ebenda, S. 45. Instruktiv erscheint Tschopps Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Wahrnehmung: „Unter wahrnehmungsgeschichtlicher Perspektive sind nicht nur jene ‚primären‘ Perzeptionen eines Phänomens bedeutsam, welche sich aus einer Quelle erschließen lassen, sondern auch die je unterschiedlichen ‚sekundären‘ Wahrnehmungen, welche durch den zeitgenössischen Gebrauch einer Quelle entstehen.“ Ebenda, S. 54. 322 Ebenda, S. 40. 323 Zur wahrnehmungsgeschichtlichen Erschließung illustrierter Flugblätter und der ihnen innewohnenden ‚Kombinatorik‘ vgl. WOLFGANG HARMS: Das illustrierte Flugblatt in Verständigungsprozessen innerhalb der frühneuzeitlichen Kultur, in: WOLFGANG HARMS/ALFRED MESSERLI (HG.): Wahrnehmungsgeschichte und Wissensdiskurs im illustrierten Flugblatt der Frühen Neuzeit (1450-1700). Basel 2002, S. 11–21. 324 Vgl. Tschopp 2005, S. 45–47.

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nisse zu lesen“.325 Zugleich müsse man die „vielfältigen Praktiken, die sich mit deren zeitgenössischer Rezeption verbinden, in den Blick […] nehmen.“ Der im Falle von Publizistik nicht zuletzt durch die Antizipation von Rezipienteninteressen konstituierte Kommunikationszusammenhang ist in seiner Komplexität zu erfassen. Publizistik war (und ist) kommerziell nur dann erfolgreich, „wenn sie die Erwartungen und Bedürfnisse der Käufer zu befriedigen vermochte.“ Man kann von einer gewissen Kongruenz zwischen „bereitgestellten Sinnstiftungsangeboten und dem Wissens- und Wahrnehmungshorizont der Rezipienten“ ausgehen, oder z. B. „den autoritativen Charakter gottesdienstlicher Rede“ in Rechnung stellen, um „die Wirkung der in Predigten zum Ausdruck kommenden theologischen Interpretation astronomischer Phänomene zu plausibilisieren.“326 Zweitens betont Tschopp die analytische Relevanz des medialen Charakters textueller und bildlicher Quellen. Dies umfasst die mangelnde Eindeutigkeit von Aussagen, etwa gattungsspezifische Stilisierungen, Leerstellen und verborgene Botschaften.327 Wer mit künstlerischen Artefakten, publizistischen, philosophischen und wissenschaftlichen Quellen arbeite, sehe sich „in besonderem Maße vor die Aufgabe gestellt, die mit diesen Quellen in Zusammenhang stehenden Gestaltungsund Wahrnehmungskonventionen zu bedenken.“328 Der Medialität historischer Quellen in ausreichendem Maße methodisch Rechnung zu tragen bedeutet auch, deren Materialität zu berücksichtigen.329 Besonderes Augenmerk verdient auch die Intermedialität historischer Quellen, d. h. es ist nach Phänomenen und Situationen der Multimedialität bzw. Medienkombination, des Medientransfers bzw. der Medientransformation und nach intermedialen Bezügen und deren jeweiliger bedeutungskonstitutiver Funktion und Relevanz zu fragen.330 Nur „in der Zusammenschau von sprachlichen, visuellen und performativen, von äußeren und inneren Bil325 Ebenda, S. 78. 326 Ebenda. 327 Ebenda. 328 Ebenda, S. 79. 329 Vgl. ebenda, S. 52. Ohne einer ontologischen Festlegung des Medienbegriffs das Wort reden zu wollen, schlagen Fabio Crivellari und Marcus Sandl vor, Medien als Artefakte zu beschreiben, deren Zweck es sei, Kommunikation zu ermöglichen. „Als Artefakte erfüllen sie Leistungen wie Aufnahme, Speicherung, Übertragung, Vervielfachung und Reproduktion, Wiedergabe und Ver- bzw. Bearbeitung von Informationen. Anders ausgedrückt: Informationen zeichnen sich stets durch eine bestimmte Materialität aus, ohne die ihre Übertragbarkeit nicht denkbar wäre.“ FABIO CRIVELLARI/MARCUS SANDL: Die Medialität der Geschichte. Forschungsstand und Perspektiven einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Geschichts- und Medienwissenschaften, in: Historische Zeitschrift 277 (2003), S. 619–654, hier 633. 330 Emich 2007, S. 36–37.

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dern“, so Birgit Emich, „werden die der Vormoderne so selbstverständlichen intermedialen Wechselwirkungen wieder sichtbar.“331 In den Sprach- und Literaturwissenschaften wird den funktionalen Bezügen zwischen Textualität und Bildlichkeit – ausgehend von den Arbeiten Wolfgang Stammlers und anderer und anknüpfend an die kunsthistorischen Studien Kurt Weitzmanns – bereits seit längerer Zeit Aufmerksamkeit zuteil.332 Als vergleichsweise junger Ansatz lässt sich die Bild-Linguistik fassen, wie sie Franziska Große vorstellt. Große geht davon aus, dass es, um „Sprache-Bild-Komplexe linguistisch beschreiben zu können,“ nicht ausreiche, sprachwissenschaftliche Untersuchungsmethoden, „die von der Struktur verbaler Kommunikationsformen geprägt wurden, auf Bilder zu übertragen.“333 Aus linguistischer Sicht stellten „Bilder und SpracheBild-Komplexe eine Modifikation und qualitative Erweiterung des kommunikativen Handlungsspielraums dar.“ Das Verständnis der sprachlichen Handlungen sei dabei auf das Verständnis der bildlichen Handlungen angewiesen und umgekehrt. 334 Eine Sprachtheorie, die dieser Modifikation des sprachlichen Handlungsspielraums durch Bilder gerecht werden wolle, müsse „daher ein integratives Analysemodell für die Untersuchung von sprachlichen und bildlichen Handlungen entwickeln, das der Tatsache Rechnung trägt, dass Sprache und Bild in ihrer Interaktion sich als komplementäre Kodierungsformen erweisen, die sich wechselseitig ergänzen und dabei zu neuen Bedeutungsinhalten steigern.“335 In einem umfassenderen Verständnis verweist die Medialität von Quellen auch auf die Medialität von Geschichte und Geschichtswissenschaft. Fabio Crivellari und Marcus Sandl skizzieren diesen Komplex als Objekt einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Geschichts- und Medienwissenschaften.336 Die beiden Autoren diagnostizieren zwei zentrale Diskussionsthemen in der geisteswissenschaftlichen Medienwissenschaft: die technische Dimension und den Zusammenhang von Medialität, Wahrnehmung und Wissensbildung.337 Die Funktion der Medien im Zusammenspiel zwischen Sinnselektion in der Kommunikation und sozialer Formation stehe dagegen im Fokus des Interesses sozialwissenschaftlicher Medienwissenschaften.338 Ausgehend von einem Verständnis von Geschichtswissenschaft als his331 Ebenda, S. 55–56. 332 CHRISTEL MEIER/UWE RUBERG: Einleitung, in: CHRISTEL MEIER/UWE RUBERG (HG.): Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit. Wiesbaden 1980, S. 9–18, hier 11–12. 333 Große 2011, S. 7. 334 Ebenda. 335 Ebenda. 336 Vgl. Crivellari et al. 2003. 337 Ebenda, S. 625. 338 Ebenda, S. 626.

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torischer Kulturwissenschaft, „die sich mit Akten der Welterzeugung und -wahrnehmung beschäftigt, deren historische Orte Kommunikationsprozesse sind“, erhalten Medien Crivellari und Sandl zufolge dort geschichtswissenschaftliche Relevanz, „wo sie in Kommunikationsprozessen wirksam werden respektive Kommunikationsprozesse generieren und in dieser Funktion beobachtet werden.“339 Zwei Aspekte des Medienbegriffs seien geeignet, „neue historische Fragehorizonte zu eröffnen bzw. überkommene Erkenntnisinteressen neu zu fokussieren“: zum einen die Gegenständlichkeit von Medien, zum anderen Medien als Elemente der Sinnselektion in Kommunikationsprozessen.340 Informationsübertragung ist, wie bereits angesprochen, zwingend an Materialität gebunden. Diese Materialität stelle in ihrer historischen Wandelbarkeit ein Thema der Geschichtswissenschaft dar.341 Der zweite, bislang in den Geschichtswissenschaften unterbelichtete Aspekt des Medienbegriffs ergebe sich aus dem durch systemtheoretisch orientierte Medienwissenschaftler eingeführten weiteren Medienverständnis. Hier werden alle Elemente als Medien definiert, „die an der Selektion von Sinn innerhalb von Kommunikationsprozessen beteiligt sind“342; in Anlehnung an Gregory Bateson werden Medien als ‚Funktion‘ verstanden. „Medien erscheinen dann als komplexe Zeichen und Symbole, die für die an der Kommunikation Beteiligten ‚Erwartungen erwartbar‘ machen, indem sie Komplexität in gerichteter Weise reduzieren.“343 Doch es sind nicht nur die historischen Quellen selbst, deren Medialität in der Geschichtswissenschaft reflektiert werden sollte. Crivellari und Sandl postulieren die Medialität der Geschichte und konzipieren Historiografie als Kommunikationsprozess mit der Vergangenheit, in dem auch die Erkenntnismittel des Historikers sowie die Produktion und Präsentation seiner Ergebnisse zu problematisieren sind.344 Schon früh wurde in der geschichtswissenschaftlichen Quellenkritik eine Deontologisierung des Quellenbegriffs eingeleitet, aber in der Disziplin nicht durchgängig wahrgenommen. Eine Quelle ist in den Augen Crivellaris und Sandls als Zustand anzusehen, „in den eine Entität erst unter dem beobachtenden Zugriff des Historikers versetzt wird. Erst dieser Zugriff konstituiert eine Kommunikationssituation, deren Partner dann Historiker und Quelle heißen.“345 Das hier entworfene, weit gefasste und medientheoretisch reflektierte Verständnis von Geschichtswissenschaft als Kommunikationsprozess mit der Vergangenheit 339 Ebenda, S. 633. 340 Ebenda. 341 Ebenda. 342 Ebenda, S. 635. 343 Ebenda, S. 636–637. 344 Vgl. ebenda, S. 637. 345 Ebenda, S. 639–640; am weitesten fortgeschritten sehen Crivellari und Sandl eine medientheoretisch erweiterte Quellenkritik bislang bei Bildquellen. Vgl. ebenda, S. 642–643.

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dürfte auch die prinzipielle Zustimmung Silvia S. Tschopps finden, die ihre Überlegungen zur geschichtswissenschaftlichen Rekonstruktion historischer Wahrnehmungsmodi wie folgt resümiert: „Nur eine Analyse, so die These, welche die sozialen, institutionellen und kulturellen Determinationen und die damit verbundenen kommunikativen Praktiken gleichermaßen in den Blick nimmt, eröffnet dem Historiker die Möglichkeit, individuelle und kollektive Wahrnehmungsmuster methodisch überzeugend zu rekonstruieren und deren jeweilige geschichtliche Relevanz zu bestimmen.“346

In diesem Kontext überzeugt der jüngste Beitrag Ursula Schludes, der Umweltgeschichte als Wahrnehmungs- und Wissensgeschichte betreibt und der sich medientheoretisch wie quellenkritisch reflektiert mit landwirtschaftlichem Schriftgut aus dem Umfeld der Kurfürstin Anna von Sachsen (1532-1585) auseinandersetzt.347 Schlude zeichnet anhand der Analyse überwiegend ungedruckten Materials administrativer Provenienz nicht nur ein überraschendes Bild von der aktiven Rolle der Landesherrin in der Bewirtschaftung der kurfürstlichen Domänen und als Initiatorin empirischer und experimenteller Agrarforschung avant-la-lettre. Sie legt auch ein methodisch instruktives Konzept vor, um der Medialität der unterschiedlichen von ihr ausgewerteten Quellentypen gerecht zu werden. Gerade die hohe quellenkritische Relevanz, die sie der Frage der Medialität zuweist, vermag ihre Kritik an der wissenschaftshistorischen Überbewertung der wissenschaftlichen Relevanz landwirtschaftlicher Druckschriften des 16. Jahrhunderts zu plausibilisieren.348 Noch bis ins 17. Jahrhundert hinein hätten Handschriften als geschätztes Medium eine eigene Wertigkeit besessen und Wissensbestände markiert, „die im Entstehen begriffen oder nur im engeren Kontext relevant waren, oder vermittelten diskretes Wissen, das mit Absicht nicht gedruckt wurde.“349 Schlude diagnostiziert einen „ganz spezifischen Aggregatszustand des Agrarwissens, der zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit oszilliert“350 und weist die Quellen verschiedenen Textmodi zu.351 Deren je unterschiedliche mediale Qualität bewegte sich zwischen den Extremen hoher Medialität öffentlich zugänglicher, schriftlicher bzw. gedruckter, philolo346 Tschopp 2005, S. 81. 347 URSULA SCHLUDE: Naturwissen und Schriftlichkeit. Warum eine Fürstin des 16. Jahrhunderts nicht auf den Mont Ventoux steigt und die Natur exakter begreift als die „philologischen“ Landwirte, in: SOPHIE RUPPEL/ALINE STEINBRECHER (HG.): „Die Natur ist überall bey uns“. Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit. Basel 2009, S. 95–108. 348 Ebenda, S. 101. 349 Ebenda. 350 Ebenda, S. 99. 351 Ebenda, S. 100.

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gisch-literarisch basierter Texte bekannter Autorschaft und geringer wirtschaftlicher Relevanz auf der einen und niedriger Medialität interner, geheimer, handschriftlich, bzw. eigenhändig oder nur mündlich überlieferter, empirisch-experimentell verfasster, anonymer, aber wirtschaftlich relevanter Wissensbestände auf der anderen Seite. Wahrnehmungs- und Wissensgeschichte zeigen sich in den Studien Ursula Schludes einmal mehr als der sorgsamen Kontextualisierung in Medialität und kommunikativen Praktiken bedürftig. Des Gesagten eingedenk ist der für die vorliegende Studie angewandte Ansatz praxeologisch inspiriert, beobachtet die Repräsentation sozionaturaler Schauplätze in historisch-topografischer Literatur der Frühen Neuzeit und besinnt sich dabei des mit kulturhistorischen Methoden Machbaren. Wahrnehmungs- und Kommunikationsprozesse werden mittels der aus ihnen hervorgegangenen Quellen analysiert. Dabei ist in besonderem Maße die Medialität und die gesellschaftliche Kontextualität der Quellen und ganz allgemein der Wahrnehmungs- und Kommunikationsprozesse zu berücksichtigen.

3. Die Natur der Topografien: Der obere Donauraum

3.1 D IE W ELT IN B IBERACH : M ERIANS T OPOGRAPHIA S VEVIAE Biberach liegt, so wird an verschiedenen Stellen der Beschreibung Martin Zeillers in der Merianschen Topographia Sveviae deutlich1, in einer wasserreichen Gegend. Schon die einleitenden Angaben zur Etymologie des Ortsnamens und zum Biber im Stadtwappen verweisen auf die Bezeichnung eines von Bibern bewohnten Gewässers.2 Vom unteren Teil der am Fuße eines Hügels gelegenen Reichsstadt erfährt man, er sei bis „auf den heutigen Tag feuchter und sumpfiger / dann der Obertheil.“3 Man finde dort viele auf Pfählen gebaute Häuser, und der Feuchte wegen könne man „keine rechtschaffene Keller graben. Dann / wann man schier nur eines Knyes tieffs gräbet / so will es gleich Wasser geben.“ Eine Wiese vor der Stadt, der Soden, sei bis vor kurzer Zeit so „sumpffig und Bodenloß gewesen / daß das Vieh auf der Weyde darinn bestecket“ und man dort kein Heu habe ernten können.4 Erst nach der Aufschüttung mit Erdreich sei es nunmehr möglich, Vieh zu weiden und Heu zu ernten. Auch eine andere außerhalb der Stadt gelegene Fläche, in den Brunn-Adern, sei vor kurzem auf ähnliche Weise für die Landwirtschaft nutzbar gemacht worden. Die lokale hydrologische Situation Biberachs erscheint aber in der Summe weit weniger als Problem denn als produktives Element der städtischen Topografie: „Es ligt sonsten diese Statt in einem Thal / zwischen Bergen / hat lustige Thäler / in welchen schöne Wiesen / Gärten / unnd Aecker / liegen / unnd dardurch schönes [sic!] lautere Wasser lauffen. Hat einen guten gesunden Lufft / unnd Wasser: Und gibt der Alenbronnen der Statt 1

Vgl. Merian der Ältere et al. 1643, S. 32–35.

2

Ebenda, S. 32.

3

Ebenda, S. 33.

4

Ebenda.

116 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT nicht allein genug Trinckwasser in den Teucheln hineyn / sondern auch von sich einen lustigen lautern Bach / welcher bald unterm Ursprung etliche Mülen nacheinander treibet / ferners durch die Statt hinlaufft / auch in solcher eine Mühlen treibet.“5

Der Text repräsentiert Wasser als omnipräsent in Arrangements (Graben, Brunnen, Bäder, Mühlwerke, Wasserleitungen) und Praktiken (Stadtbe- und Entwässerung, Baden, Nutzung der kinetischen Energie, Trinkwasserentnahme) und qualifiziert das Element genau wegen dieses mehrdimensionalen Nutzwerts als „schön“ und „lauter“. Von großer hydrografischer Sensibilität getragen, identifiziert der Text weitere Fließgewässer: die an der Stadt vorüberfließende Riß und den die Stadt passierenden Schwartzbach, der sich zum Teil aus der Riß und zum anderen Teil aus den Brunn-Adern speise. Der Verlauf der Riß, die beide Stadtbäche aufnehme, wird vom Ursprung „ein Meil Wegs ob Biberach“ bis zur Mündung in die Donau oberhalb Ulms skizziert. Sie sei ein „Fischreich / unnd lustig Wasser“.6 Doch damit nicht genug zur Hydrografie Biberachs, zahlreiche um die Stadt herum situierte „Wasser / Weyher / unnd See“ sorgten dafür, „daß man auch die Fisch umb einen leydenlichen Pfennig haben mag.“7 Eigenschaften und Nutzung eines im städtischen Burgfrieden gelegenen Naturbades (Jordan) werden geschildert: Das Wasser dieses Bades habe „das Ansehen / als ob es in seinem Ursprung Schwefel habe“ und werde „fast für die Räudigkeit gebraucht“.8 Für den alljährlich im Frühjahr gehaltenen Badebetrieb müsse das Wasser gewärmt werden. Den Badegästen stehe ein Wirtshaus zur Verfügung. Die grafische Darstellung Biberachs, ein Caspar Merian zugeschriebener Vogelschauplan (Abbildung 1),9 stellt die Stadt ins Zentrum. Auf die Darstellung umgebender Landschaft wird weitgehend verzichtet. Die Wasserläufe in und nahe der Stadt sind gut erkennbar, ebenso Mühlen, Brunnen und das alte Bad auff dem Graben in der Nähe des Pfarrhofs. Weniger einfach ist es, in der das Relief nur verzerrt wiedergebenden Grafik die Fließrichtung der Gewässer zu identifizieren oder die im Text beschriebenen hydrografischen Verhältnisse lückenlos nachzuvollziehen. Bei aller Detailliertheit der Darstellung ist Biberachs Hydrografie im Stich weniger präsent als im Text.10 5

Ebenda.

6

Ebenda.

7

Ebenda, S. 34.

8

Ebenda, S. 33.

9

Vgl. Wüthrich 1996, S. 70. Anmerkung zum Nachweis der Bildzitate dieser Arbeit: Für die Vorlagen der Abbildungen gelten die Nachweise des Abbildungs- und Tabellenverzeichnisses, nicht die Belege der Textzitate im Quellen- und Literaturverzeichnis.

10 Zur Hydrografie als markantem thematischem Schwerpunkt des historisch-topografischen Genres vgl. unten Kap. 3.2 dieser Studie.

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Abbildung 1: Caspar Merian, Biberach, Topographia Sveviae, 1643

Warum Biberach? Die historisch-topografische Beschreibung der kleinen, im Einzugsgebiet der oberen Donau gelegenen Reichsstadt dient einer ersten, exemplarischen Sondierung des Zuschnitts sozionaturaler Schauplätze in Merians Topographia Germaniae, einem Werk, das in seiner Bildlichkeit – und damit in der Ausprägung seiner Medialität –, aber wohl auch in seiner ökonomischen Dimension einen gattungsgeschichtlichen Kulminationspunkt markiert.11 Themen historisch-topografischen Beschreibens müssen von der Forschung zunächst identifiziert und ihre Gewichtung in Text und Bild quellenkritisch diskutiert werden. Wie bereits im gattungsgeschichtlichen Kapitel dieser Untersuchung bemerkt, besteht eine enge Abhängigkeit der historisch-topografischen Literatur und der von ihr geleisteten Organisation geografischer, politischer, historischer, sozioökonomischer und naturkundlicher Informationen zum empirischen Schema länderkundlichen Wissens, das bereits in der antiken Geografie angelegt worden war und das von der humanistischen Geografie aufgenommen und ausdifferenziert wurde. Auf die große topische Nähe dieses Schemas zum rhetorischen Formular des Städtelobs wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen.12 Lodovico Guicciardini (1521-1589), Autor einer breit rezipierten und wirkungsmächtigen Beschreibung der Niederlande, schlägt für seine Arbeit ein Schema vor, das er ausdrücklich auch auf andere Länder und Landschaften angewendet für dienlich hält:

11 Vgl. Behringer 1999, S. 86–87. 12 Vgl. oben, Kap. 2.1.

118 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT „Hierin sihestu [d. h. der Leser, M. K.] one verrucken auß dem Hauß in wenig zeit/ die gelegenheit/ grösse/ schöne/ Macht und Adelthum dieser herrlichen und köstlichen Ländern: Du kanst erkennen die natur und art deß Lufts und deß Erdtrichs/ auch was es für Früchten gebert und nicht gebert: Wissen wie viel Landschaften/ Stätt und Flecken/ wie viel Dörfer/ Schlösser/ Festungen/ und andere dergleichen namhafte sachen/ sampt iren Grentzen/ und die Weiten von einem Ort zum andern/ darin verfasset. Wie viel Wasserflüß/ und wie viel Meer/ mit was Flut sie berührt und benetzt werden: Wie viel Wildnussen und Wäld auf allen seiten diese Länder bezieren. Ferner so kanstu dieser Lands Völckern und Einwohnern Natur/ Sitten und Wesen erkandtnuß haben: Auch wissenschaft von so viel grossen Herren/ und unzahlbar viel fürtrefflichen und gelehrten Männern in allen Professionen/ wo dieselben geboren und erzogen sein: Schein und erklärung von so viel Gedenckwirdiger sachen/ welche sich darinnen verlaufen/ und von andern namhaften dingen mehr/ die sich in diesen Landen befinden: Erklärung der Künsten/ Handwercken/ der allgemeinen und sonderlichen handlungen und Kaufmans Gewerben dieser Ländern. Und letztlichen hast du bericht von den Sitten/ Gebräuchen/ Ordnungen/ Gesatzen/ Policeien/ und von dem regiment deß Landsfürsten/ der Landherren/ und Stätten/ […]. Und ist dieses (meines erachtens) ein Materi/ welche nicht allein lustig/ kurzweilig/ sehr nutzlich/ aller erfahrenheit und unzahlbar wirdigen Exempel voll/ sonder auch zu allen sachen/ und in allen andern Ländern dienstlich.“13

Ein in Grundzügen ähnliches, aber wesentlich differenzierteres thematisches Register schlagen der Adelige, Humanist und Politiker Heinrich Rantzau (1526-1598) und der Pastor Albert Meier (1528-1603) in ihrem apodemischen, das heißt reisetheoretischen Verfahren zur Beschreibung von Ländern, Städten und befestigten Plätzen… vor.14 Dieser Fragenkatalog soll Reisende zur vollständigen und richtigen Beschreibung einer Region anleiten. Unter zwölf Hauptkategorien sind beinahe 200 Fragen abzuarbeiten.15 Ob dies für den frühneuzeitlichen Reisenden ein realistisches Programm darstellte, sei dahingestellt.16 Es definiert aber präskriptiv einen für 13 LODOVICO GUICCIARDINI: Ludovicus Guicciardinus an den Leser (aus: DERS.: Beschreibung Deß Niderlands Ursprung / auffnemen und herkommens […] Frankfurt a. M. 1582), in: MOHAMMED RASSEM/JUSTIN STAGL (HG.): Geschichte der Staatsbeschreibung. Ausgewählte Quellentexte 1456-1813. Berlin 1994, S. 127–129, hier 127–128. 14 HEINRICH RANTZAU/ALBERT MEIER: Verfahren zur Beschreibung von Ländern, Städten und befestigten Plätzen […], in: MOHAMMED RASSEM/JUSTIN STAGL (HG.): Geschichte der Staatsbeschreibung. Ausgewählte Quellentexte 1456-1813. Berlin 1994, S. 169–181. 15 MOHAMMED RASSEM: Heinrich Rantzau (Albert Meier), in: MOHAMMED RASSEM/JUSTIN

STAGL (HG.): Geschichte der Staatsbeschreibung. Ausgewählte Quellentexte

1456-1813. Berlin 1994, S. 157–159, hier 159. 16 Der in späteren Auflagen unter dem Titel Methodus Apodemica erschienene Leitfaden Rantzaus und Meiers sei, so Justin Stagl, als praktischer Reisebehelf konzipiert, aber dafür aufgrund seines enzyklopädischen Charakters zu unhandlich. Stagl 2002, S. 165.

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die Beschreibung einer Region als konstitutiv erachteten Informationsbestand. Die Bandbreite der abgefragten Kategorien reicht von der exakten astronomischgeometrischen Lokalisierung über geomorphologische, ökologische, demografische, soziale, ökonomische, insbesondere landwirtschaftliche, politische, administrative, kirchliche und – als solche expliziert und ihrerseits mehrfach untergliedert – historische Informationen. Dass dieses Schema – in einer mehr oder weniger differenzierten Ausprägung – für einen geografischen Autor und Reiseschriftsteller wie Martin Zeiller eine Richtschnur der Empirie und der Stofforganisation bildete, liegt nahe. Wie er das Schema anwendete und dabei variierte, ist eine für das Format der in den Merian-Topografien repräsentierten sozionaturalen Schauplätze relevante Frage. Wichtiges dazu lässt sich am Beispiel Biberach zeigen. Die Beschreibung Biberachs beginnt mit den bereits erwähnten Überlegungen zur Etymologie des Ortsnamens. Es folgt ein Abschnitt zur Entwicklungsgeschichte der Stadt. Im Zusammenhang mit der Lokalisierung des ausgestorbenen Grafengeschlechts der Kesselberger und deren nicht erhaltenem Stammschloss rücken nahe der Stadt gelegene Höhenzüge und das Hineinreichen des Sigelbergs in die Stadt, mithin die lokale Geomorphologie, in den Fokus.17 Auch die historische Ausstattung dieser Gegend mit Wäldern und deren Rodung werden im Zuge der Entwicklungsgeschichte thematisiert. Einen weiteren Schwerpunkt bildet Biberachs Baugeschichte, an die sich die bereits zitierte Diskussion der lokalen Hydrografie und des Umgangs der Stadt mit dieser anschließt.18 Der allgemeinen Qualifizierung der landschaftlichen Situation der Stadt folgen die Schilderungen der örtlichen Bachund Flussläufe, aber auch die Ausführungen zur Nutzung des nahegelegenen Schwefelbades und zur landwirtschaftlichen Produktion. Der Boden um die Stadt trage „Korn / und anders Getraidts / als Vesen / Rocken / Habern / Gersten / Erbsen / Rüben genug: Item / Gartenspeiß / als Zwibeln / Kraut / etc. Obs.“19 Das nahe gelegene Allgäu sorge mit seiner Viehwirtschaft für die Fleischversorgung der Stadt, die zahlreichen lokalen Gewässer für wohlfeilen Fisch. Auch der lokale Waldreichtum wird erwähnt und in Beziehung zum Holzbedarf der Stadt qualifiziert. Es sei „Zimmer- und Brennholtz; Item / Bretter / Latten / und dergleichen SaAuch Hugo Blotius‘ Tabula Peregrinationis continens capita Politica (1569/70), einer Liste von 117 nummerierten Fragen, durch deren Beantwortung ein Reisender eine Stadt umfassend beschreiben können sollte, attestiert Stagl als Forschungsinstrument im praktischen Einsatz mäßige Eignung. Er kenne auch kein Beispiel ihrer tatsächlichen Anwendung. Ebenda, S. 160. 17 Merian der Ältere et al. 1643, S. 32; zur sagenumwobenen Kesselburg vgl. KURT DIEMER: Biberach

an der Riß. Zur Geschichte einer oberschwäbischen Reichsstadt. Biberach

2007, S. 13–16. 18 Merian der Ältere et al. 1643, S. 33. 19 Ebenda, S. 33–34.

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chen / umb einen zimlichen Kaufschilling“ zu haben.20 Einer Aufzählung umgebender Reichsstädte, vorderösterreichischer Landstädte und Klöster folgen Angaben zum Gewerbe der Stadt. Das Weberhandwerk, so die Einschätzung des Artikels, übertreffe alle anderen. Die Wiederaufnahme des Stadtwappens führt zurück zur Stadtgeschichte. Die aktuelle Farbgebung sowie die Siegelmäßigkeit der Stadt verdanken sich demnach der Nähe zu den Kaisern Maximilian I. (1459-1519) und II. (1527-1576). Anschließend werden das städtische Spital, dessen Aufgaben, Finanzierung und bikonfessionelle Organisation vorgestellt. Danach ist von einem verheerenden Stadtbrand im Jahre 1516 und von einem Sturmereignis zu lesen, in dessen Folge der oberste Teil der Turmspitze („Knopff“) der Pfarrkirche St. Martin abgebrochen sei. Damit gelangt der Text zur Kirchen- und Schulorganisation im Zeichen der Bikonfessionalität der Reichsstadt.21 Es habe die Stadt, so wird gleich anschließend bemerkt, außer dem genannten Stadtbrand „in den nächsten hundert und etlichen Jahren / auch viel ausgestanden.“22 So eingeleitet, folgt die Auflistung zweier Epidemien („Sterben“), 1518 mit rund 800 und 1574 mit rund 1400 Todesopfern, und eines Blitzeinschlags in den Kirchturm, der im Mai 1584 großen Schaden angerichtet habe.23 Ein längerer Abschnitt verhandelt das Schicksal der Stadt während des Dreißigjährigen Krieges. Nach der Erwähnung der Höhe des Kreisanschlags und des Matrikularbeitrags für das Reichskammergericht und einer schuldrechtlichen Besonderheit, nämlich der Bevorzugung Biberacher Gläubiger vor anderen im Falle der Gant eines Biberacher Bürgers, werden abschließend die Stifter des städtischen Spitals gewürdigt. Biberach als sozionaturaler Schauplatz zeichnet sich in Zeillers Text deutlicher als im Vogelschauplan durch thematische Balance aus. Der Text repräsentiert Praktiken (wie Landnutzung, Bauen, Herrschaft, Handel, gewerbliche Produktion, Kriegführung, Verwaltung, Sozialfürsorge) und Arrangements (wie Wasserläufe, Mühlen, die Stadtmauer, Kirchen, das Spital etc.) in verschiedenen historischen Zeitschichten und Situationen der Störung (Seuchen, Blitzschlag etc.). Auch wer die Messlatte des o. g. landeskundlichen Schemas anlegt, wird eine große thematische Breite attestieren, vielleicht ein besonders ausgeprägtes Augenmerk auf natürliche Ressourcen, Geo- und Hydromorphologie, wie es in vielen anderen Städtebeschreibungen der Topographia Sveviae nicht in gleichem Maße der Fall ist. Die inhaltliche Ausrichtung des Texts zu erklären bedeutet nun, ihn in seiner medialen Bedingtheit ernst zu nehmen. Dies schließt eine Evaluation von Quellenverwertung und Entstehungszusammenhang ein. Zeillers eigenes Vorgehen als Autor, der hin-

20 Ebenda, S. 34. 21 Ebenda, S. 34–35. 22 Ebenda, S. 35. 23 Zum Kirchturmbrand vom 10. Mai 1584 vgl. Diemer 2007, S. 125–127.

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sichtlich seiner Vorlagen besonders transparent arbeitete24, erleichtert dieses Anliegen. Unter anderem gibt Zeiller zu seiner Quellengrundlage an: „Auß D. Jacobi Schopperi Chorograph. German. fol. 199 seq. Martin Crusii Annalib. Suev. Herrn Georgen Schmidts N. C. P. unnd Statt-Schreibern zu Biberach / im Aprili Anno 1641 günstig communicirten Bericht / und so viel das Kriegswesen betrifft / auß den Actis Publicis genommen.“25

Weniger der für das Genre übliche Rückgriff auf historiografische Publizistik als die Angaben zu lokalen Informationsquellen verdienen genaueres Hinsehen. Zeiller beruft sich auf einen Bericht des Biberacher Stadtschreibers Georg Schmidt und auf reichsstädtische Akten. Zeiller, selbst im nahen Ulm ansässig, verfügte offensichtlich über direkten Kontakt; persönliche Recherchen in Biberach sind wahrscheinlich, seine enge Kooperation mit dem Stadtschreiber offensichtlich. Wenn nun der Artikel durch ein besonders detailliertes und thematisch ausgewogenes Eingehen auf Praktiken und Arrangements auffällt, so muss dies kein zwingendes Indiz für Zeillers ausgeprägtes einschlägiges Interesse sein. Vielmehr finden lokale und von den lokalen Entscheidungsträgern als relevant erachtete Informationsbestände wie die Feuchte stadtnaher Wiesen und deren Amelioration über die Prioritätensetzungen ebendieser lokaler Entscheidungsträger ihren Weg ins Werk. Ein Städteporträt, das sich auf weniger lokale Information und Ortskenntnis stützen kann und umso stärker auf historiografische und andere Publizistik zurückgreift, übernimmt deren anders gelagerte Schwerpunkte in der Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes. Aussagekräftige Beispiele für diese quellenkritische Feststellung finden sich auch außerhalb der Merian-Topografien, so etwa bereits in der topografischen Beschreibung Ravensburgs, einer anderen oberschwäbischen Reichsstadt26, durch La24 Der Literaturwissenschaftler Wilhelm Kühlmann attestiert Zeillers landessprachlichen Arbeiten und seiner Kompilatorik, einem Programm der Zugänglichmachung und Verbreitung von Wissensbeständen gefolgt zu sein. Kühlmann 1985, S. 918. 25 Merian der Ältere et al. 1643, S. 35. Zu Jacob Schoppers Chorographia, insbesondere ihrem theologisch-konfessionalisierungshistorischen Kontext vgl. MATTHIAS POHLIG: Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546-1617. Humboldt-Univ.-Diss., Berlin, 2005 (Spätmittelalter und Reformation, N.R. 37). Tübingen 2007, S. 393–397; zu Martin Crusius (1526-1607) vgl. HANS WIDMANN: „Crusius (Kraus), Martin“, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 433-434 [Onlinefassung]. http://www.deutsche-biographie.de /pnd118677446.html, Stand: 06.12.2011. 26 Die Diskussion des Ravensburger Beispiels an dieser Stelle erfolgt ungeachtet der Lage der Stadt im Schussental und damit im Einzugsgebiet des Rheins.

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dislaus Sunthaym (um 1445-1512/1513).27 Sunthaym war Kleriker und als Gelehrter am Hofe Maximilians I. mit historischen und genealogischen Forschungen betraut.28 Er sollte an verschiedenen Orten nach alten Urkunden und Chroniken suchen und diese durch Abschrift dem Wiener Hof zugänglich machen. Desweiteren sollte er die österreichische, insbesondere die habsburgische Geschichte erforschen und dabei verwandtschaftliche Beziehungen zu anderen Herrscherfamilien aufdecken. Mit diesen Aufgaben war eine umfangreiche Reisetätigkeit verbunden, die ihren Niederschlag auch in Sunthayms fragmentarisch überliefertem geografischem Werk fand. Nun sticht unter Sunthayms Beschreibungen des Donauraumes und angrenzender süddeutscher Regionen die Schilderung der Reichsstadt Ravensburg hinsichtlich ihres Detailreichtums und nicht zuletzt wegen ihrer detaillierten Thematisierung der lokalen Geo- und Hydromorphologie sowie städtischen und stadtnahen Grüns hervor.29 Gewässer werden lokalisiert, ihre Nutzung skizziert; die 27 KARSTEN UHDE: Ladislaus Sunthayms geographisches Werk und seine Rezeption durch Sebastian Münster. Teil II: Editionen. Köln, Weimar, Wien 1993, S. 319–324; zu Sunthayms Biografie vgl. Uhde 1993, S. 18–34. Textgrundlage der hier ausgewerteten Beschreibungen Ladislaus Sunthayms sind die von Karsten Uhde edierten und auf ca. 1511 datierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart Cod. Hist. 2° 249 und Cod. Hist. 2° 250. 28 Ebenda, S. 30. 29 „Item Ravenspurg im Schussental, ain reichstat, hat vorzeiten Ravenaw oder die AlltRavenspurg gehaissenn unnd ist die selb zeit ain klains stattel gewesen; die wasser der Schuss und Schussenbach rynnen baide fur Ravenspurg unnd die stat hat vier tor: das erst Unnser Frawen Tor, da vor ist schoner weid, genannt auf der kuppel, darauf sind vil schoner lustiger paumgartten, in den gartten vil schoner lusthewsel; es sind auch auf der kuppeln vil schoner alber unnd lynnden unnd die wasser Schuss und Schussenbach flissenn zu enndt der kuppelen [...]“. Uhde 1993, S. 319. „[…] es wechst auch vor alle jar wein, die stat hat auch vil schoner wysenn, ackherpaw unnd viechwaid; es sind auch vill schoner pawmgarttn in der stat unnd ist geringsumb die stat lustig zu spacieren gen; im statgraben sind ob xxx stuck hirschn unnd hinden in der stat sind schone manng hewser, ver Unnser Frawen Tor, genannt am Anndermansperg, do sind vil pawmgarttn, dorinn vil weyer unnd visch gruebn, hat yede ir aigen wasser fluss unnd ist daselbs aussen puntten lustig zu spacieren zu genn; […] es rindt auch ain pach durch die stat unnder den lederern; es rindt auch ain mulpach aus dem Wuol, desgleichn rint ain pach an dem Gennspuchel, auf die pach sind gemaine secret hewser gepawt, frawen und mannen und die hewser sind unntter slahenn, man pringt sovil kerssen, weygsel, ammerol, ophel und piern in die stat, das ain wunder ist; da hat man opfel genannt: eckher, galmadinger unnd brobstling etc. die sind aussermassen gut. Item piern genannt: hungla, trewschenlebern, russena, zagelpiern, wurgla und prapiernn unnd annderley piern etc.; do wachssen rott hasselnus, genant westuza; da wegst ain frucht, genannt zyparten, sind ge-

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stadtnahe Landschaft erfährt Qualifizierung hinsichtlich ihres – anachronistisch gesprochen – Freizeitwerts („lustig zu spacieren“). Man erfährt von Ackerbau, Viehzucht, Wein-, Obst- und Gemüseanbau. Die Liebe fürs Detail reicht im Falle des Obstes bis zur Aufzählung einzelner Apfel- und Birnensorten. Auch in diesem Beispiel sind es wohl Ortskenntnis und eigene Anschauung, die den Zuschnitt Ravensburgs als sozionaturalen Schauplatzes so deutlich von anderen abheben. Ravensburg war Sunthayms Heimatstadt. Ein Blick auf die mediale Pragmatik und Entstehungsgeschichte lohnt auch im Falle der Grafik. Und auch hier lohnt ein Vergleich mit anderen oberschwäbischen Reichsstädten. Caspar Merians Vogelschau von Biberach (Abbildung 1) rückt – wie bereits festgestellt – die Stadt in ihrer baulichen Struktur ins Zentrum der Darstellung. Die Umgebung extra muros wird weitgehend ausgeblendet. Lediglich Wasserläufe, Gärten und Infrastrukturen wie die Bleiche oder das Schützenhaus, allesamt in unmittelbarer Stadtnähe, sind vom Bildausschnitt erfasst. Ganz anders im Falle des Leutkirch-Stiches von Matthäus Merian d. Ä. (Abbildung 2). Hier nimmt die Stadt selbst nur einen Bruchteil des Bildausschnittes ein, während die umgebende Landschaft umfassend repräsentiert wird. Höhenzüge, Wälder, Acker- und Gartenland, Seen und Fließgewässer sowie Straßen und Wege sind abgebildet. Funktionale Zueignungen wie eine große Menge Triftholz in einem See oder die Visualisierung unterschiedlicher landwirtschaftlicher Nutzungsformen runden das Bild ab. Ist dies nun Ausdruck eines ausgeprägten Interesses für Landschaft und Natur der Region bzw. einer besonderen Würdigung des Eingebundenseins der Stadt in ihr Umland? Freilich, auch der Text thematisiert die Lage („lustige Gelegenheit“) der Stadt, die Fruchtbarkeit des Landes für den Ackerbau, aber auch „schön Gehöltz / (so deren von Leutkirch meister Schatz ist)“.30 Doch während die Beschreibung Biberachs, wie oben erörtert, der lokalen Hydro- und Geomorphologie sowie Fragen der Nutzung natürlicher Ressourcen breiten Raum gewährt und insgesamt thematisch einen symmetrischen sozionaturalen Schauplatz konstruiert, trägt die Schwerpunktsetzung des Leutkirch-Textes deutlich die Handschrift des erstgenannten der von Zeiller aufgezählten lokalen Gewährsleute, des katholischen Stadtpfarrers Michael Maucher.31 Kirchenbauten, die Kirchenverwaltung der bikonfessionellen Stadt und die jüngere konfessionelle Entwicklung dominieren den Text. Und auch hinsichtlich der Grafik selbst empfiehlt sich näheres Hinsehen. Der Biberach-Stich zeigt eine menschenleere Stadt. Staffagefiguren fehlen.

stalt wie die klain kryel; da wachsen vil nespeln unnd gertrula, das sind lannge suesse wurtzl; ob der stat ist ain perg genannt an der Rawhenegkh, da wechst wein.“ Ebenda, S. 322. 30 Merian der Ältere et al. 1643, S. 118–119. 31 Vgl. ebenda, S. 119.

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Abbildung 2: Matthäus Merian d. Ä., Leütkirch, Topographia Sveviae, 1643

Dagegen ist der Leutkirch-Stich bevölkert von Menschen. Doch sind es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine stilisierten Stadtbewohner, Gewerbetreibende, Bauern oder Reisende, sondern fast ausschließlich Söldner. Verschiedene Heerhaufen haben um die Stadt Aufstellung bezogen, Truppenteile sind in verschiedenen Richtungen in Marsch, in der Stadt selbst wird gekämpft. Der Stich zeigt eine Schlachtszene. Er ist – und dies verdeutlicht die Ambivalenz seiner medialen Funktion – ein Stück Kriegsberichterstattung. Als solches war er für den Einsatz an anderer Stelle, im Theatrum Europaeum, produziert worden.32 Im funktionalen Kontext dieser ebenfalls aus dem Verlagshaus Merian stammenden zeitgeschichtlichen Chronik erschließen sich der bellizistische Bildinhalt bzw. Art und Organisation der gebotenen Information, nicht in dem der Städtebeschreibung der Topographia Sveviae. Geomorphologie und Landschaft sind wichtig, um das Kampfgeschehen und den Kriegsschauplatz zu verorten. Die verschiedenen Landstraßen, die einander in Leutkirch kreuzen, sind in der Legende des Stichs mit ihren Destinationen bezeichnet. Die Einbeziehung eines vergleichsweise großen Umlandes in das Bildprogramm wird vor allem aus dem militärisch-strategischen Berichtsanlass erklärlich.33 32 Vgl. Wüthrich 1996, S. 75–76. 33 Kurios bleibt, dass der Stich der Topographia Sveviae, obwohl er in denkbar engem rhetorischen Bezug zu der im zweiten Band des Theatrum Europaeum unternommenen mili-

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Abbildung 3: Matthäus Merian d. Ä., Statt Ysni, Topographia Sveviae, 1643

tärischen Schilderung steht, dort weder im Wolfenbütteler Exemplar der Erstauflage 1633 (http://diglib.hab.de/periodica/70-b-hist-2f/start.htm?image=00663, Stand: 03.12.2011) noch im Augsburger Exemplar der zweiten Auflage 1646 (http://www.nbn-resolving.de/ urn:nbn:de:bvb:384-uba000237-0673-9, Stand: 03.12.2011) zu finden ist.

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Zu guter Letzt sei mit Isny noch eine weitere Ansicht einer oberschwäbischen, wie Leutkirch nicht im Donaueinzugsbereich gelegenen Reichsstadt vergleichend hinzugezogen (Abbildung 3). Wenn die bereits besprochenen Grafiken hinsichtlich ihres Figurenprogrammes und damit hinsichtlich des Umfangs und der Art der Repräsentation von Menschen im dargestellten Schauplatz unterschiedlich operieren, so findet sich in der Darstellung von Isny eine Kombination beider Strategien.34 Die aus zwei übereinander angeordneten Bildhälften bestehende überhöhte Profilansicht zeigt Isny vor und nach dem verheerenden Stadtbrand von 1631. Die bildliche Beschreibung („wahre bildnuß“) des Zustands vor dem Brand ist wie die Biberachische Vogelschau menschenleer. Die Stadt im Bildmittelgrund, sehr wenig umgebende Landschaft im Bildvordergrund und etwas mehr hügeliges Umland im Bildhintergrund wirken auf diese Weise vergleichsweise statisch. Anders in der Ansicht nach dem Brand. Der exakt gleiche Bildausschnitt repräsentiert die zu einem großen Teil zerstörten Gebäude, während der Bildhintergrund teilweise von noch züngelnden Flammen und Rauchwolken verdeckt wird. Den Bildvordergrund außerhalb von Ringmauer und Graben bevölkern in diesem Bild zahlreiche Staffagefiguren, meist mit emporgereckten Armen. Dieser Gestus des Zeigens und der Fassungslosigkeit verleiht der Darstellung Dynamik und Dramatik. Auch im Falle der Darstellung Isnys liegt eine Zweitverwertung des Stiches im Theatrum Europaeum vor.35 Einmal mehr zeigt sich daran, dass, wenn Umweltwahrnehmung in historischtopografischer Literatur als Repräsentation sozionaturaler Schauplätze analysiert wird, eine quellenkritische Kontextualisierung der medien- bzw. gattungsspezifischen Darstellungspragmatiken in Text, Bild und deren Zusammenspiel nötig ist.

3.2 S TATIK IM F LUSS : D IE H YDROGRAFIE

DER

T OPOGRAFIEN

„Item auf dem Puchenberg im virtzhawss, ist das tach darnach gericht, wann es regennt, so vallen die tachtraufen von der ain seytten, die fliessen inn Rein unnd der annder seytten fliessen in Tunaw.“36

Der Höhenrücken südwestlich der Stadt Kempten im Allgäu, auf dem der Ort Buchenberg liegt, bildet eine der süddeutschen Wasserscheiden zwischen den Ein-

34 Abgebildet auch in Behringer 1999, S. 89, dort als Beleg für die topografische Stadt „als Zufluchtsort und als bedrohte Utopie“. 35 Vgl. Wüthrich 1996, S. 74–75. 36 Uhde 1993, S. 225.

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zugsgebieten von Rhein und Donau.37 Ladislaus Sunthaym spitzt diesen geografischen Befund – vielleicht in Rückgriff auf ein lokales Narrativ – zu. Regenwasser, das auf das Dach des Wirtshauses auf dem Buchenberg trifft, fließt entweder in den Rhein oder in die Donau ab, je nachdem auf welcher Firstseite des Gebäudes es niederregnet. Diese Zuspitzung zeichnet ein starkes Bild und sie bringt die hydrografische Orientierung der frühneuzeitlichen historisch-topografischen Literatur auf den sprichwörtlichen und im konkreten Falle geografisch fassbaren Punkt. Die Bedeutung von Gewässern für die kartografische und topografische Weltsicht kann kaum überschätzt werden. Wenn der Nürnberger Kartograf Erhard Etzlaub (1460-1532) im Register seiner Romwegkarte angibt, er habe, nachdem der Mensch geneigt sei, „die landt und seltzame ding zu erfaren“, diese Karte veröffentlicht, in der „man klerlich vindet wasser und stet“,38 werden neben der Motivation für kartografisches Publizieren Prioritätensetzungen weit jenseits der kartografischen Darstellungspragmatik39 deutlich. Blaženka First, die die Rolle des Flusses Lubljanica in topografischen Ansichten der Stadt Lubljana untersucht hat, bezeichnet den Fluss als „an important aesthetic, geographic and strategic piece of information.“ 40 „Its water surface reflects the frontages of buildings with bridges mounted above it and everyday life flowing by – this was of particular appeal to vedudista. River motives were drawn, painted, engraved and published on various initiatives and occasions; while the date of origin 37 Noch das Tourismusmarketing der Gemeinde in der Gegenwart macht sich diesen Umstand zu Nutze. Buchenberg bietet Langläufern im Winter eine „Donau-Rhein-Loipe“, deren Rundkurs die Wasserscheide überschreitet. Vgl. http://www.buchenberg.de/index440.htm, Stand: 03.02.2010. 38 Zit. nach: Kiening 2007, S. 229. 39 Vgl. den Hinweis auf Grenzbeschreibung in der Verwaltungskartografie, wobei Skizzen mit Flüssen und Straßen als Basisnetz dienen, in welche Orte und Grenzen eingetragen werden. Friedrich 2008, S. 309. Dabei ist zu bemerken, dass kartografische Darstellungspragmatik nicht klar von der symbolisch-politischen Dimension zu trennen ist. So weist Biggs zu Recht darauf hin, dass die Verwendung von Bergketten zur Denotation von Grenzen der Schaffung „natürlicher Grenzen“ (Sahlins) als konzeptueller Grenzkonstruktion zuarbeitete. Vgl. MICHAEL BIGGS: Putting the State on the Map. Cartography, Territory, and European State Formation, in: Comparative Studies in Society and History 41 (1999), S. 374–405, hier 393–396; PETER SAHLINS: Natural frontiers revisited. France’s boundaries since the seventeenth century, in: American Historical Review 95 (1990), S. 1423–1451, hier 1428. 40 BLAZENKA FIRST: The portrait of a river. Views of a town on the Ljubljanica, in: PETER TURK/JANKA ISTENIC/TIMOTEJ KNIFIC/TOMAZ NABERGOJ (HG.): The Ljubljanica. A River and its Past. Lubljana 2009, S. 194–203, hier 195.

128 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT defines them systematically, their typology can be derived from their purpose. Iconographic classification rests on basic types that are determined by the creator’s aim or client’s intention.“

41

Gerald Strauss attestiert dem Schweizer Topografen Johann Guler von Weineck (1562-1637) „a unique genius for description“.42 Gulers Vorgehen skizziert Strauss wie folgt: „The description follows the courses of rivers, descends mountain slopes, and proceeds along the natural lines of drift.“43 Diese „natural lines of drift“ dienen der Struktur- und Sinngebung topografischer Beschreibung sowohl auf der überregionalen bzw. territorialen als auch auf der chorografisch-regionalen bzw. lokalen Ebene. Dass Guler in seiner Beschreibung weit darüber hinaus geht und in seiner Diskussion der fluvialen Dynamik alpiner Fließgewässer und ihrer Konsequenzen für menschliche Siedlungen geradezu eine Umweltgeschichte avant la lettre schreibt, steht dabei auf einem anderen, ebenfalls diskussionswürdigen Blatt. Zur Graubündner Stadt Morbenn und dem nahen Bitherbach führt Guler etwa aus, dass vor langer Zeit, als der Bitherbach noch in seinem alten Bett geflossen sei, die Talebene um die Stadt feucht und sumpfig gewesen sei. Das Wasser habe nicht abfließen können und im Sommer hätten sich Insekten, Gestank und gefährliche Dünste verbreitet. Während eines Frühlingshochwassers hätten nun Holz und Schutt das alte Bett des Bitherbachs blockiert. Der Bach habe sich ein neues Bett gegraben und durch Ablagerung der mitgeführten Materialien Moore aufgefüllt und entwässert. Durch die Trockenlegung des Gebiets seien Insekten verschwunden und eine angenehme, gesunde Luft habe sich allenthalben ausgebreitet. Kurze Zeit später habe der Bach in sein altes Bett zurückgefunden. In der Folge dieser Vorkommnisse hätten die Bewohner von der Vertiefung und Verbreiterung des Talbodens und von der guten Luftzirkulation profitiert. Neue Stadtteile seien an beiden Ufern des Bitherbachs entstanden.44 Auch an anderer Stelle erörtert Guler die alpine Hydrografie. Neben deren Vorzügen kommt auch deren ‚dunkle‘ Seite zur Sprache. Hinsichtlich der Wirkungen von Hochwassern kommt Guler zu einer ambivalenten ökologischen Einschätzung.45 Nicht zuletzt Gulers Topografie bietet die Vorlage der Strauss’schen These, dass die Schweizer Topografen, bedingt durch die geomorphologische Besonderheit 41 Ebenda. 42 Strauss 1959, S. 94. Vgl. GERHARD MEYER: Die Schriftgattung der Topographien ab dem 18. Jahrhundert. Betrachtet vornehmlich an Hand von Beispielen aus Nordwestdeutschland, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 40 (1968), S. 92–120. 43 Strauss 1959, S. 96. 44 Strauss 1959, S. 94–96. 45 Ebenda, S. 99–100.

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des alpinen Landes, einen ausgeprägt naturalistischen und landschaftsästhetisch sensiblen Zugang entwickelt hätten.46 Dass Guler mit seiner Thematisierung fluvialer Dynamik durchaus im Kontrast zur statischen Konzeption von Flüssen in den Topografien des Untersuchungsraumes steht, wird hier noch zu diskutieren sein. Aber, wenngleich bemerkenswert und in der Durchführung virtuos, steht Gulers topografisches Beschreiben in seiner hydrografischen Sensibilität nicht alleine da. Hydrografie markiert mithin einen markant betonten Aspekt sozionaturaler Schauplätze, wie sie in historisch-topografischer Literatur repräsentiert werden. Hier muss eine weitergehende Analyse und Diskussion ansetzen. Hydrografie als rhetorisches Mittel zur Plausibilisierung territorialer Zusammenhänge lässt sich etwa in Sebastian Münsters gattungsgeschichtlich paradigmatischer Cosmographia studieren. In dem der Deutschlandbeschreibung gewidmeten dritten Buch ist verhältnismäßig früh ein eigenes Flusskapitel („Von den fliessenden wässern Teütschs lands“) angeordnet.47 Hier werden in gedrängter Form Einzugsgebiete großer mitteleuropäischer Flüsse beschrieben, wobei Donau und Rhein das Grundgerüst der Darstellung bilden und diese dominieren. Dergestalt wird geradezu eine Matrize der Landschaften des Alten Reichs entworfen. Ähnlich die kartografische Umsetzung: Zum Beispiel sind es neben den Gebirgszügen die durch ihre Breite hervorgehobenen Bänder von Donau und Rhein, die in Münsters Karte Schwaben und Baierlands landtafel [/] Schwaben und Baier landt/darbey auch begriffen werden Schwarzwald/Odenwald und das Nordgöw48 Süddeutschland abstecken. Auch und gerade auf der Ebene einzelner Territorien gibt es ein ähnliches Vorgehen. Münster stellt seiner Beschreibung des Herzogtums Bayern eine Karte voran, die das Land über die Donau und ihre Zuflüsse im Oberlauf zwischen den Mündungen von Lech und Inn definiert.49 Es sind keine Außengrenzen, es ist eine Binnenstruktur aus Fließgewässern, die wie ein Skelett oder – wohl treffender – wie ein System von Blutgefäßen die Struktur des territorialen Körpers bestimmt. Eben diese Binnenstruktur suggeriert hier eine vermeintlich naturräumlich notwendige Territorialität. Einen ganz ähnlichen Eindruck vermittelt die suggestive Hydrografie in Philipp Apians Beschreibung des Herzogtums Bayern.50 Apian, dessen 1563 abgeschlossene Landesaufnahme für zwei Jahrhunderte die maßgebliche kartografische Reprä46 Ebenda, S. 104. 47 Münster 1545, S. CCI–CCIII. 48 Ebenda, [81]. 49 Ebenda, S. DX. Das Folgende nach MARTIN KNOLL: Fließende Grenzen. Zur Rolle von Flüssen bei der Repräsentation historisch-topografischer Räume der Frühen Neuzeit, in: CHRISTINE ROLL/FRANK POHLE/MATTHIAS MYRCZEK (HG.): Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit-Impulse 1). Köln 2010, S. 109–129, hier S. 120-122 und S. 121, Abbildung 3. 50 Vgl. Knoll 2009, S. 157.

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sentation des Herzogtums bilden sollte,51 verfasste ergänzend eine „Declaratio tabulae sive descriptionis Bavariae…“ in Textform, die zu seinen Lebzeiten nicht mehr veröffentlicht wurde.52 Ein eigenes kurzes Kapitel („De fluviis“), das der übrigen, nach Verwaltungsbezirken gegliederten Beschreibung voransteht, beschreibt den Verlauf der wichtigsten regionalen Flüsse. Apian liefert auch eine Begründung für die funktionale Notwendigkeit eines solchen Kapitels. Da meist bei der Verortung und Beschreibung von Städten, Kreisen oder Festungen die Rede auch auf die jeweils nahe gelegenen Flüsse und Bäche kommen müsse, die Bayern entwässerten, sei es angemessen, vor der Beschreibung der Schauplätze selbst kurz die wichtigsten bayerischen Flüsse aufzuzählen und ihre Verläufe zu schildern.53 Dies tut Apian mit großer Präzision. Er lokalisiert die Quellgewässer, folgt dem Gewässerverlauf und identifiziert Fließrichtungswechsel und Zusammenflüsse.54 Die Charakterisierung verschiedener Fließgeschwindigkeiten mit Wendungen wie „incredibili velocitate profluente“55 oder „magna lenitate fluit“56 zeichnet ein wenn auch indirektes Bild vom Gradienten der umgebenden Landschaft. Der Verlauf der Flüsse des alten bayerischen Herzogtums, die allesamt direkt oder indirekt in die Donau münden, markiert Zentrum und Peripherie des Territoriums. Die Suggestivität dieses Vorgehens liegt auf der Hand. Die Integrität des politischen Territoriums wird nicht durch Herrschaft, sondern durch Landschaft im geomorphologischen Sinne definiert. 51 Vgl. DANIEL SCHLÖGL: Der planvolle Staat. Raumerfassung und Reformen in Bayern 1750-1800 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 138). München 2002, S. 10–12. 52 PHILIPP APIAN: Declaratio tabulae sive descriptionis Bavariae a Phil. Apiano confectae et editae. D. M. E. CHRISTO SACR., in: HISTORISCHER VEREIN VON OBERBAYERN (HG.): Philipp Apian’s Topographie von Bayern und bayerische Wappensammlung. Zur Feier des siebenhundertjährigen Herrscherjubiläums des erlauchten Hauses Wittelsbach herausgegeben von dem Historischen Vereine von Oberbayern (Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 39). München 1880, S. 1–469; zu Philipp Apian vgl. GERTRUD STETTER: Philipp Apian 1531-1589. Zur Biographie, in: HANS WOLFF (HG.): Philipp Apian und die Kartographie der Renaissance. [Ausstellung 15. Juni bis 30. September 1989] (Ausstellungskataloge / Bayerische Staatsbibliothek 50). Weißenhorn 1989, S. 66– 73. 53 „Sed quoniam in tota hac urbium, arcium oppidorumque et quorumvis locorum annotatione saepe fluminum ac rivorum, quibus Bavaria irrigatur, mentio facienda est, quod iuxta eos plerumque sita sint loca, necessarium iudicavi, ut ante, quam locorum situm descriptionemque aggrediar, breviter ipsius Bavariae praecipua flumina enumerem eorumque ortum ac decursum ostendam.“ Apian 1880, S. 4. 54 Vgl. Knoll 2009, S. 157. 55 Apian 1880, S. 6. 56 Ebenda, S. 10.

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Geomorphologische Strukturen werden – ganz im Sinne des Konstrukts „natürlicher Grenzen“ – als Zeichen „gelesen“ und gedeutet und derart für die Legitimation von Abgrenzung in Dienst genommen. Als Teil des göttlichen Schöpfungsplans besitzen derlei natürliche Zeichen höchstmögliche Legitimität.57 Im epochalen Übergang zur Neuzeit fußt ihre soziale Konstruktion noch auf demselben hermeneutischen Naturverständnis58, auf das etwa das Konzept der „Vier Flüsse“ zur Abgrenzung des alten französischen Königtums vom Heiligen Römischen Reich oder die „Vier-Wälder-Formel“ in Süddeutschland gegründet sind. Mittelalterliche Chronisten des 10. bis 14. Jahrhunderts hatten die vier Flüsse Saone, Rhône, Maas und Schelde vergleichsweise konsistent als Landmarken für die Abgrenzung hin zum Heiligen Römischen Reich verwendet,59 während die bereits im 14. Jahrhundert in Kodifikationen nachweisbare sogenannte „Vier-Wälder-Formel“ die räumliche Einheit des „Landes“ als Rechtsraum definierte, der durch Schwarzwald, Thüringer Wald, Böhmerwald und Alpen abgrenzt wurde.60 Die Kenntnis dieser in der Frühen Neuzeit deutlich über die landesherrlichen Grenzen des bayerischen Herzogtums hinausreichenden Einheit in der Bevölkerung kann vorausgesetzt werden, definierte sie doch die Reichweite von Landesverweisen. Und so mag, wenn an der Wende zum 18. Jahrhundert in der Weningschen Historico topographica descriptio Kurbayerns eine vordergründig landschaftsästhetisch inspirierte Beschreibung des Rundblicks („Prospect“) vom kurbayerischen Pflegschloss Klingenberg im oberbayerischen Alpenvorland aus das Auge des Lesers/der Leserin auf die Alpenkette im Süden, das „Podenseeerische Gepürg“ im Westen, die „Böheimischen Waldungen“ im Nordosten und das Land ob der Enns im Osten als begrenzende Landmarken lenkt,61 nicht nur eine sorgfältige Autopsie des mutmaßlichen Berichterstatters,

57 Vgl. ACHIM LANDWEHR: Der Raum als ‚genähte‘ Einheit. Venezianische Grenzen im 18. Jahrhundert, in: LARS BEHRISCH (HG.): Vermessen, Zählen, Berechnen. Die politische Ordnung des Raums im 18. Jahrhundert (Historische Politikforschung 6). Frankfurt 2006, S. 45–64, hier 53–55; Knoll 2009, S. 157–158. 58 Vgl. ACHIM LANDWEHR: Die Erschaffung Venedigs. Raum, Bevölkerung, Mythos 15701750. Paderborn 2007, S. 119. 59 Sahlins 1990, S. 1426. 60 RENATE BLICKLE: Das Land und das Elend. Die Vier-Wälder-Formel und die Verweisung aus dem Land Bayern. Zur historischen Wahrnehmung von Raum und Grenze, in: WOLFGANG SCHMALE/REINHARD STAUBER (HG.): Menschen und Grenzen in der frühen Neuzeit. Berlin 1998, S. 131–154; Knoll 2009, S. 158–159. 61 MICHAEL WENING: Historico topographica descriptio, das ist Beschreibung deß Churfürsten- und Hertzogthumbs Ober- und Nidern-Bayrn, welches in 4 Theil oder Renntämbter als Oberlandts München und Burgkhausen, Underlands aber in Landshuet und Straubing abgetheilt ist …, Bd. 2. München 1721 [ND München 1975], S. 4.

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sondern auch ein diskursiver Anschluss an die „Vier-Wälder-Formel“ bestehen.62 Als Marginalie erscheint in diesem Zusammenhang interessant, dass rund ein Jahrhundert nach der Weningschen Landesbeschreibung Joseph von Hazzi (1768-1845) den „natürlichen“ Grenzen Bayerns ihre Eignung als solche abspricht.63 Hydrografische Raster waren als Symbole für konkrete territoriale Zusammenhänge jedenfalls für zeitgenössische Leserinnen und Leser von Topographien problemlos zu dechiffrieren. Anders wird die Selbstverständlichkeit ihres Gebrauchs in der allegorischen Titelgrafik historisch-topografischer Werke nicht erklärlich. Merians Topografie des bayerischen Reichskreises arbeitet ebenso mit einem stilisierten hydrografischen Raster der Donau und ihrer Zuflüsse wie der ChurBayerische Atlas Anton Wilhelm Ertls oder Georg Matthäus Vischers Topographia Austriae superioris.64 Symbolisch aufgeladen ist auch das Schreiben über die Donau und ihren Ursprung. Ladislaus Suntheym leitet seine Beschreibung der Donau wie folgt ein: „Item zu Tuoneschingenn, ain meil ob Neydingen, da entspringt die Tuonaw unnd rint fur vill klaine stattl unnd gsloss bys gen Ulm, da facht man an auf flossenn unnd klainen schiffen zu 62 Knoll 2009, S. 158–159. Es ist auch von einem „Verwunderung würdige[n] Außssehen“ „gegen alle vier Theill der angräntzenden Länder“ die Rede; Wening 1721, S. 4. 63 In seinem § 3 „Natürliche Grenzen“ führt er aus: „Baiern hat beynahe keine natürliche Gräntzen, sondern ist als ein offenes Land zu betrachten, und hat in militärischer Hinsicht sogar den Fehler, daß alle jenseitige Ufer der Flüße die diesseitige beherrschen können. Gegen Westen macht zwar zum Theil der Lech eine natürliche Gränze, so wie gegen Osten zum Theil der Inn – auch hat es gegen Nordost und Süden zwey Hauptgebirge. – Das gegen Nordost ist ein Theil des berühmten Böhmerwalds oder jener Bergkette, die als Fortsetzung des Harzwaldes bekannt ist, und sich von dem merkwürdigen Fichtelberg durch Franken erstreckt; auf diese Art mit allen Gebirgen Deutschlands in Verbindung steht. Dieser Gebirgstheil gegen Morgen ist ein wahres Urgebirg, aus Granit und Gneis bestehend. Das Gebirge gegen Süden hingegen ist ein bolßes Flötzgebirg aus Kalksteinen gebildet, und gehört zu den Salzburger und Tyroler Gebirgen, zu den Alpen, oder sie sind vielmehr blos die Vorgebirge davon. Bey beeden Gebirgen ist die Gränze so ziemlich nach dem Gefälle gezogen, nur führt bey letzern selbe auch in einen baierischen Hauptfluß, nämlich nach dem Inn.“ JOSEPH VON HAZZI: Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern. Aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde, Bd. 1. Nürnberg 1801, S. 6–7. 64 Vgl. die Titelkupfer von Merian der Ältere et al. 1657; Ertl 1687; GEORG MATTHAEUS VISCHER: Topographia Austriae superioris modernae. Das ist: Contrafee und Abbildung aller Stätt, Clöster, Herrschafften und Schlösser deß Ertz-Hertzogthumbs unter Oesterreich ob der Ennß … Graz 1674 [ND Graz 1977].

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faren unnd rint die lenng krum unnd prait funffhundert meil wegs bys gen Kilia, in der Molda gelegenn, da feldt sy in das mer; aber unnder kriegisch Weissennburg kompt sy in die Saw unnd werlewst den namen unnd gewynndt in pald wider. Item die Tuonaw aller wasser ain fraw unnd der Rein mag mit ern ir mann sein.“65

Einer kurzen Skizze des Gesamtverlaufs folgt hier die anthropomorphe Charakterisierung dieses Flusses als „fraw“, im Sinne des mittelhochdeutschen „frouwe“/Herrin, aller Flüsse, die im Rhein einen an Ehre, d. h. an Rang, ebenbürtigen Mann finde.66 Dass eine hydrografische Eigenschaft, die Dimension des Flusses im gesamteuropäischen Vergleich, anthropomorph umschrieben wird, ist kein singulärer Befund. Einer wesentlich deftigeren Anthropomorphisierung bedient sich Anton Wilhelm Ertl im Flusskapitel seines Chur-Bayerischen Atlas. Auch er adelt die Donau, freilich den Fluss im masculinum, zum „König aller Teutschen Wasserström“ und „Printz aller Flüssen“, der „mit seinem stoltzen Rinnsaal Bayrn befeuchtiget“.67 Wenig konsistent wechselt dieser König schon auf der Folgeseite der Beschreibung Geschlecht und Temperament, um sich als sanftmütige Donau mit dem alpinkrawallhaften Inn vereinigen zu müssen, der sich – trunken von so vielen eigenen Zuflüssen – bei der Passauer Mündung zunächst weigert, sein Wasser mit Donau und Ilz zu vermischen: „Der Ihnstrom / welchen Strabo Athesinum nennt / hat seinen Ursprung bey denen Engadteinern. Nimmt an beyden Ufern viel kleine Wasser zu sich. Unweit Inspruck wird er Schiffreich. Nach dem er das Saltzreiche Hall/ Schwartz / und Kopfstein vorbey gelanget / und daß liebe Bayern berührt / nimmt er seinen Rinnsaal meistens durch lauter schöne Wiesen und ein sehr ebnes Land. Nachdeme er die Saltza / Altza / Mattich / und Braun eingetruncken / wird er dergestalt berauschet / daß als er zu Passau in die Iltz und Donau sich versencket / desselben Wasser viel 100. Schritt lang sich mit der sanfftmütigen Donau nicht vergleichen will / sondern mit behaltung seiner beständigen Farb zuverstehen gibt / daß gleich wie er in dem rauhen Gebürg entspringt / also auch eines rauhen ungehorsamen Gemüts seye.“68

65 Uhde 1993, S. 237–238. 66 In einem Annotat zur 1547 erschienenen Vienna Austriae von Wolfgang Lazius (15141565) zitiert Heinrich Abermann (1583-1621) den anthropomorphisierenden Zweizeiler „Ein Herr der Flüssen ist der Rhein // Die Tonaw mag wol die Frawe sein.“ als „alte Teutsche Reymen“. Lazius et al. 1619, S. 416. 67 Ertl 1687, S. 213[=215]–216. 68 Ebenda, S. 216–217. Das der Metaphorik zugrundeliegende natürliche Phänomen lässt sich noch heute zum Beispiel via Google Earth beobachten.

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Das auf den Fluss bezogene Motiv des Trinkens und der Trunkenheit findet sich auch in Sigmund von Birkens (1626-1681) Donau-Strand, wo es noch weiter ausgebaut wird: „Es heist mit der Donau: Junggewohnt / Alt gethan; und was eine Nessel werden will / brennt beyzeiten. Denn der Durst / den sie auf ihrer langen Reise mit so manchem Einflusse löschet / kommt ihr alsobald in der Kindheit an: indem sie / da sie kaum eine halbviertelstund vom Flecken hinausgewandert / alsobald drey gute Zech-Züge thut / und von den zweyen letztern wohlberäuschet / fortdaumelt.“69

Auch die Passauer Innmündung wird bei Birken anthropomorph verhandelt: „Endlich emphähet sie [die Donau, M. K.] abermals einen Bruder in die Arme: dann bey der Bischoflichen Stadt Passau / vermählet sich mit ihr der INN-Strom / von den Römern Aenus genannt; welcher / als unter allen ihr zufliessenden Strömen der gröste / und an Wasser ihr mehr überlegen / als ungleich / wohl möchte der Donau Gemahl genennet werden.“70

Konkrete Hydrografie kann auch historisch aufgeladen werden und so Aussagen transportieren, die nur mittelbar mit der Geo- oder Hydromorphologie selbst zu tun haben. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Beschreibungen des Donauursprungs in Sebastian Münsters Cosmographia und der Text Martin Zeillers zur Merianschen Topographia Sveviae deutlich voneinander. Münster stellt in guter humanistischer Manier antike Überlieferung, nämlich das Entspringen der Donau aus einem Berg, und Autopsie einander gegenüber.71 Er selbst habe gesehen, dass sich in der Nähe des Donau-Ursprunges auf eine halbe Meile Entfernung kein Berg 69 Birken 1664, S. 14. 70 Ebenda, S. 34. 71 „Es ist kein land in dem gantzen Europa/darin man so vil und so groß wässer findt als in Germania oder Teütschland. Under denen ist das erst und das gröst die Tonaw/die im Schwabenland oder im Schwartz wald im dorff Doneschingen entspringt/und laufft gegen Orient in das Pontische möre / und schöpfft in sich sechtzig andere groß und schiffreich wässer/ee sie in das möre laufft. Die alten nennen den berg darauß sie entspringt Abnoban/ wie wol mere dann auff ein halb meil kein berg bey irem ursprung ist/sunder sie quelt mit einem grossen fluß auß einem bühel/der über zwo oder drey cloffter hoch nit ist/wie ich deß eigentliche und wol besehen hab/und ein besunder tafel darüber gemacht. Es ist bey den alten gelerten mennern ein groß begird gewesen den ursprung dises wassers zuosehen/darumb auch ettlich von Rom herauß zugen/domit sie gesehen möchten seinen ursprunglichen brunnen. Wir lesen auch von Tiberio/do er einmal kommen was zu dem Boden see/nam er für sich ein tagreiß zu besichtigen den anfang der Tonaw.“ Münster 1545, S. CCI.

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befinde, der Fluss vielmehr mit Kraft aus einem kaum zwei bis drei Klafter hohen Hügel quelle. Die Beglaubigung des Befundes durch Autopsie wird noch durch die Erwähnung eigener kartografischer Aufnahme der Situation verstärkt. Dann freilich kommt Münster auf das Interesse der Gelehrten der Antike an der Donauquelle zu sprechen. Einige unter ihnen seien ihretwegen von Rom angereist. Kaiser Tiberius habe einen Aufenthalt am Bodensee für einen Abstecher zur Besichtigung des Donauursprungs genutzt. Martin Zeiller betont im Gegenteil die nichtrömische Präsenz im oberen Donauraum (beginnend mit der Besiedelung durch Vindelicier). Er zitiert den Historiker Marquard Freher (1565-1614) mit der Behauptung, „daß die Römer zu diesem Ursprung der Thonaw /mit ihren Waffen / nie kommen / als wie sie auch zu deß Nili, und deß Rheins Bronnen / niemals gelangt. Der erste / so an die Thonaw kommen / seye Lucius Praetor gewesen; Kayser Trajanus habe zwar die Thonaw den Römern; aber nit biß zu derselben Ursprung / zu friden gestellt; die Kayser Valentinianus, und Gratianus aber / haben sich am ersten understanden / so weit zu kommen; und hernach auch Stilico.“72 Interessant erscheint auch, dass Martin Zeiller, wie vor ihm bereits Philipp Apian73 und im Gegensatz zu Sebastian Münster, ein differenziertes und tendenziell korrektes Bild der Quellsituation der Donau zeichnet.74 Münster – offenbar ganz im 72 Merian der Ältere et al. 1643, S. 182. 73 „Ex iis autem primus fluvius est Danubius, qui omnium non Germaniae solum, nedum Bavariae, sed totius etiam Europae longe clarissimus et maximus est. Oritur autem Danubius in Germaniae iugis, montis Abnobae, secundum Plinium, Corn. Tacitum aliosque veteres; hodie tractus ille baronatus in der Bar nuncupatus, ad Hercyniam, vulgo Nigram, sylvam situs, comitum est a Fürstenberg. Et fons Danubii in ipso vico, inde Doneschinga dictus, scaturit in planicie. Is vixdum vicum egressus excipit amnem Bregenum se maiorem, ex duobus aliis coniunctum, quorum alter supra pagum Torner directe versus occasum exortus, recta in orientem labitur atque ad locum Fischer rivum supra Ferenbach ex eodem saltu emanantem recipit, deinde nonnihil in austrum declinans, Bruling vicum alluit ac mox cum Danubio commiscetur. Ac paulo post amnis Brygenus, qui prope monasterium D. Georgii ex eodem Marciano nemore ortus, recta meridiem petens, allabitur Villingam ac infra Eschingam cum Danubio coniungitur. Hi simul commixti Danubium constituunt, qui ab occidente in orientem longissime profluens, 7 ostiis in pontum Euxinum devolvitur.“ Apian 1880, S. 4–5. 74 In Ladislaus Sunthayms Text von Cod. hist. 2° 250 wird der Donauursprung an zwei Stellen unterschiedlich behandelt. Die bereits zitierte Passage thematisiert nur Donaueschingen als Quellort. Uhde 1993, S. 237–238. Dagegen wird die Situation des Oberlaufes an anderer Stelle differenziert. Hier wird angegeben, die Donau entspringe „zu Tuoneschingen oder Tuonaw-Weschingen ain slos unnd dorff unnd ist ain klainer ursprung, aber vonn stundt khomen zway wasser darein geflossenn, die Priga unnd Guttach ain meyl vonn dem frawen closter, genannt Neydingen unnd da ist sy so klain, das mann

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Banne der antiken Schriftsteller und weniger inspiriert durch den von ihm betonten eigenen Augenschein – konzentriert sich auf den noch heute tourismuswirksamen Quellort beim Donaueschinger Schloss.75 Dagegen führt Zeiller Donaueschingen zwar als „fürnembsten“ Quellort, aber nur als einen von dreien.76 Während Anton Wilhelm Ertl das Arrangement Donauquelle in seiner materialen Struktur, einer aus Eichenholz und Stein bestehenden Brunnenfassung, so beschreibt wie Zeiller und wie Apian sieben Mündungsarme der Donau ins Schwarze Meer erwähnt, verzichtet er auf die bei diesen Autoren geleistete Differenzierung des Donauoberlaufs.77 Sigmund von Birken widmet der Frage des Donauursprungs eine regelrechte Literaturschau, in der er die Aussagen einer Reihe von Autoren – chronologisch beginnend mit Herodot (um 490 v.Chr.- um 424 v.Chr.) und endend mit Martin Zeiller – erörtert.78 Birkens Ausgangspunkt ist die Feststellung, zum Donauursprung sei „über anderthalbtausend Jahre her / viel Dings / aber wenig gewisses / dardurch reyt unnd fert unnd zu Ulm ferdt man mit flossenn unnd mit clainen scheffen auf der Tuonaw wenn sy wirt da gemert von zwayn wassern: der Yler unnd der Pla [...].“ Ebenda, S. 289. 75 Münster 1545, S. CCI. Noch auf der Website der Stadt Donaueschingen in der Gegenwart wird der Anspruch, der eigentliche Quellort der Donau zu sein, eifersüchtig verteidigt. Dabei wird dem historischen Argument der frühen Erwähnung der Donaueschinger Karstquelle(n) bei antiken Autoren wie Strabon und Plinius gegenüber dem Kriterium der größten Entfernung von der Flussmündung Vorrang zugesprochen. BERNHARD EVERKE: Die Donauquelle. www.donaueschingen.de, Stand: 16.02.2010. 76 „Daniel Heremita, in not. adepist. de Helvetiorum situ, führet das Wort ThonEschingen vom Wort Thoneschein her/ weiln allhie die Thonaw am ersten gesehen werde. Johann Oettinger/in dem Bericht von den Gräntzen und Marcksteinen/saget/im 1. Buch am 12. Cap. und 134. Blat/ die Thonaw entspringe auß 3. Brunnen am Schwartzwald/deren erste ist nahend dem Closter St. Georgen/ im Hertzogthumb Württemberg/ welcher Brigach genandt werde: Der ander in der Graffschaft Fürstenberg/ oberhalb deß Stättliens Fehrenbach/ so Bregach heisse: Der dritte und fuornembste aber/ welcher dem Fluß den Namen gebe/ in der Landgraffschafft Barr/ und im gedachten Schloß (so er DonauEschingen schreibet/) davon nicht weit/ und nur bey einer Meil Wegs/auch der Necker/bey

dem

Dorff

Schwenningen/in

dem

besagten

hertzogthumb

Württem-

berg/entspringe. Andere sagen noch ferner / daß der obernandte dritte/ unnd rechte Brunn/ in dem Schloßhofe allhie/ unten her mit Eichenholtz/ oben herumb aber mit einer Mawer eingefasset seye; allda man uber das Wasser/ so durch den Hof deß Schlusses abfleusset/wol springen könne; hernach aber vermehren die obernandte 2. Brünne/ oder Bächlein/ nicht weit ausser deß Fleckens/ welche beyde Theils Brige/ und Prege nennen.“ Merian der Ältere et al. 1643, S. 182. 77 Vgl. Ertl 1687, S. 213 [=215]–214. 78 Birken 1664, S. 1–14.

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geschrieben worden : und ist zu bewundern / daß unter so vielen alten und neuen Geographen kein einiger gewesen / der sich bemühet hätte / diesen Brunnen in rechten Augenschein zu nehmen / und eine Abbildung desselben / nebenst einer wahren ausführlichen Beschreibung / vor den Tag zu legen.“79 Birken, der an mehreren Stellen die topographische Repräsentation des Schauplatzes durch Gerhard Mercator (1512-1594) kritisiert, gibt an, sich selbst auf einen nach Augenschein angefertigten Abriss „beydes der Landschafft / und des Ursprung-Orts“ durch den Kunstmaler Martin Menradt zu stützen. Auf dessen Grafik, die im Donau-Strand veröffentlicht wurde, aber im Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek heute fehlt, wird auch im Text Bezug genommen. Birkens eigene Schilderung des Ursprungs fokussiert die Quelle beim Donaueschinger Schloss und ihre Umgebung.80 Den Umstand, dass Letztere in der zeitgenössischen Geografie überhaupt als Donauursprung gehandelt wurde, nimmt Luigi Ferdinando Conte di Marsigli (16581730) zum Anlass polemischer Kritik. Marsigli, während der Türkenkriege des späten 17. Jahrhunderts Offizier in kaiserlichen Diensten und während des Spanischen Erbfolgekrieges unehrenhaft entlassen, nachdem er und Philipp Graf Arco am 5. September 1703 die Festung Breisach kampflos an Frankreich (General Tallard) übergeben hatten, war nicht nur ein Militär, sondern ein universell gebildeter Geound Kartograf mit weit gespannten naturkundlichen Interessen.81 Er legte eine kartografisch aufwändig ausgestattete, sechsbändige historische geografisch-naturkundliche Beschreibung des Donauraumes zwischen dem Kalenberg bei Wien und der bulgarischen Jantramündung vor, die 1726 in lateinischer und 1744 postum in französischer Sprache veröffentlicht wurde.82 Obgleich der Oberlauf der Donau westlich von Wien für Marsiglis Werk nicht gegenständlich war, bietet bereits die erste kartografische Tafel des ersten Bandes eine Gesamtverlaufskarte, auf der die Situation des Oberlaufs sehr differenziert dargestellt ist. Wesentlich weiter geht die Berücksichtigung dieser Gegend im sechsten Band, der Raum für Varia bietet, überwiegend anatomische Studien von Tieren des Donauraumes, Experimente zu den Eigenschaften des Wassers der Donau und ihrer Zuflüsse, barometrische Luft79 Ebenda, S. 2. 80 Ebenda, S. 11–14. 81 Vgl. PETER BROUCEK: „Marsili (Marsigli), Luigi Ferdinando Conte di“, in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 259-260 [Onlinefassung]. http://www.deutschebiographie.de/pnd118640968.html, Stand: 06.12.2011. 82 LUIGI FERDINANDO MARSIGLI: Danubius Pannonico-mysicus observationibus geographicis, astronomicis, hydrographicis, historicis, physicis perlustratus et in sex tomos digestus. Den Haag 1726; DERS.: Description du Danube depuis la Montagne de Kalenberg en Autriche, jusqu’au confluent de la rivière Jantra dans la Bulgarie: Contenant des Observation geographiques, astronomiques, hydrographiques, historiques et physiques, 6 Bde. La Haye 1744.

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messungen etc. Den „wirklichen“ Donauquellen widmet er zu Beginn des sechsten Bandes ein eigenes Kapitel, das mit fünf Tafeln (vier Karten und einem Höhenprofil) illustriert ist. Hier ist auch der Ort für die oben erwähnte Kritik Marsiglis an der einseitigen Berücksichtigung der Karstquelle im Donaueschinger Schlosshof als Donauursprung. Diese sei allenfalls als Gefälligkeit gegenüber dem dort ansässigen Hause derer von Fürstenberg erklärlich. Doch erscheint es Marsigli als nachgerade lächerlich, auf einer so fragwürdigen Basis die tatsächlichen Donauquellen neu zu verorten und auf diese Weise den Ruhm eines Adelsgeschlechts auf Kosten eines so bedeutenden Flusses mehren zu wollen.83 Marsigli setzt dem seine Beschreibung des sozionaturalen Schauplatzes Donauquellen entgegen, die nicht nur auf Basis einer sorgfältig arrangierten Kartenfolge argumentiert, sondern die auch explizit durch eigene Autopsie autorisiert wird.84 Marsigli wendet sich damit dezidiert gegen eine Definition des sozionaturalen Schauplatzes Donauquellen, die er als eine im Interesse regionaler Herrschaftsträger thematisch verengende Stilisierung dis-

83 „Les anciens Géographes ont fixé l’Origine du Danube au Mont Abnobe, situé dans le district qu’on nomme aujourd’hui Schwartz-Wald / ou la Forêt Noire. Je conçois donc point, d’où vient que les Géographes modernes la placent à Doneschingen, à moins que ce ne soit peut-être par complisance pour la Maison de Furstenberg, qui possede cette Baronie. Cela étant, rien ne paroît plus ridicule, que de prétendre, sur un fondement si frivole, changer la véritable position des Sources du Danube, & de vouloir rélever la gloire d’une seule Famille aux depens d’un Fleuve si considérable. On peut prouver d’ailleurs par des solides raisons, que le Danube coule de plus loin; & c’est pour le faire voir clairement, que j’expose ici aux yeux du Lecteur plusieurs Cartes rangées dans un ordre convenable.“ LUIGI FERDINANDO MARSIGLI: Description du Danube depuis la Montagne de Kalenberg en Autriche, jusqu’au confluent de la rivière Jantra dans la Bulgarie: Contenant des Observation geographiques, astronomiques, hydrographiques, historiques et physiques, Bd. 6. La Haye 1744, S. 4. 84 „Après la prise de Landau en 1702, par l’Empereur Joseph, qui étoit alors Roi des Romains, je fus pendant quelques semaines, avec un petit Corps de Troupes, dans le Cercle de Suabe, & nommement dans la Forêt Noire, que les Allemans appellent Schwartz-Wald / dans un endroit peu éloigné des prétendues sources du Danube. Il me prit envie de me rendre sur les lieux avec mon Secretaire & mon Dessinateur, pour en prendre inspection. Lorsque j’y fus, je questionnai les habitans des environs, qui me dirent, que les véritables Sources de ce Fleuve se trouvoient dans un lieu plus élévé que Doneschingen. Je crus que rien n’étoit plus raisonnable que de m’en instruire par mes propres yeux, & de visiter moi-même la Source de ce grand Fleuve, que tant des victoires remportées par les Armées Chrétiennes ont rendu célèbre, & qui est le principal objet des Observations que j’ai recueillies dans cet Ouvrage.“ Ebenda, S. 3.

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kreditiert.85 Überraschend ist nun nicht, dass Marsigli, gestützt auf eigenen Augenschein und auf Vermessungsarbeiten seiner Mitarbeiter an den Schwarzwaldflüßchen Brigach und Breg, einen Quellort in den Schwarzwaldbergen außerhalb Donaueschingens ermittelt, den er obendrein in Übereinstimmung mit dem bei den antiken Autoren benannten mons Abnobe sieht. Viel weniger zu erwarten ist die nun folgende – sehr komplexe – hydro- und topografische Diskussion, in deren Verlauf er den ‚eigentlichen‘ Donauursprung in die Schweizer Zentralalpen, genauer in die Nähe der Innquelle im oberen Engadin, verlegt.86 Marsigli, der sich hierbei auf den 85 Entsprechend distanziert wirkt sogar die kartografische Beschriftung des Verbindungsbaches zwischen der Quelle beim Donaueschinger Schloss und der Brigach in Tafel III, die den „Rivulus quem Danubius vocant“ identifiziert. Ebenda, Tab III. 86 „Mes Sécrétaires étant sur cette Montagne [i. e. mons Abnobe, M. K.] essaïerent des faire quelques observations par le moyen du Barométre [sic!], comme ils les avoient faites en d’autres lieux de la Suisse, à dessin de les confronter avec celles qui avoient été faites sur le Mont Septimer-berg [sic!], situé entre la Suisse & la Rhétie, ainsi que sur d’autres Mongagnes trèshautes, où sont les sources du Rhin & du Rhône, deux des plus gros Fleuves de l’Europe, & même celles du Thessin, qu’on pourroit nommer le Pô, dont il fait la plus considérable partie, en y mêlant les eaux. Mr. Scheuchzer, dont l’erudition est reconnue dans le monde, & qui avoit pris toutes ces hauteurs en Suisse avec le Barométre, les à jointes à celles, que j’avois mesurées dans le Brisgau & dans le pai‹i›s d’alentour, & il en a fait les Calculs, afin que j’en prisse le Profil, que je donne dans cette Carte. Pour moi, qui me suis donné la peine de parcourir les Montagnes de la Suisse, où sont les Sources des premiers Fleuves de l’Europe, j’ai composé cette quatriéme [sic!] Carte, qui contient la partie de Suabe, nécessaire pour réprésenter la véritable Situation du Mont Abnobe, d’où le Danube tire son Origine, & et celle du Mont, au pié duquel, près de Maloja, est la source de l’Aenus, qui se jette à Passau, dans le Danube. La ligne tortueuse pontée marque les lieux, où ont été faites les expériences entre le Mont Abnobe & et Septimer-berg, en allant jusqu’à Chiavera auprès de la source du lac de Come en Italie. Au-lieu d’une ligne tortueuse, j’ai mis une ligne droite dans la cinquiéme Carte, que j’ai coupée par les Hauteurs perpendiculaires de tous les lieux, où j’ai fait mes Observations, & qui peuvent être facilement mésurées à l’aide de l’Echelle. On y peut voir sans peine, de combien les Horisons des cette Montagne sont plus hauts que ceux de Doneschingen, où l’on met la source du Danube. Aïant parcouru & vû de mes propres yeux tous les lieux situés sur le Mont Abnobe & sur les Montagnes escarpées de la Suisse, où, comme je l’ai dit, les plus grands Fleuves de l’Europe ont leur source, & fondé sur les Observations, dont je viens de parler, je dois croire, que le Danube tire son Origine de la Suisse, & de cet endroit où est celle de l’Inn, à quoi j’ajoûterai, qu’il n’y a qu’une petite différence entre les distances de ces deux

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Abgleich der barometrischen Höhenmessungen Johann Jacob Scheuchzers (16721733) mit den perpendikulären Höhenmessungen seiner eigenen Mitarbeiter in der Schweiz beruft, glaubt anhand des Verlaufs eines für Außenstehende eher willkürlich wirkenden Höhenprofils den Donauoberlauf im Schwarzwald als hydrologischen Ausläufer der Zentralalpen definieren zu können. Man kann Marsiglis Erörterung der Donauquellen als zweierlei interpretieren: entweder als geografische Erweiterung des sozionaturalen Schauplatzes Donauquellen um einen Radius von mehr als 100 Kilometern oder als seine glatte Verlegung. In jedem Fall handelt es sich um eine Neubestimmung des Schauplatzes, die zwar durch naturwissenschaftliche Praktiken autorisiert wird, die aber im Grunde ähnlich zustande kommt wie die von Marsigli geschmähte Positionierung der Donauquelle im Donaueschinger Schlosspark. Ist es im einen Fall der – zumindest von Marsigli unterstellte – Versuch, das Prestige eines Adelsgeschlechts durch den Zuschlag des Ursprunges eines der wichtigsten europäischen Flüsse zu steigern, so folgt Marsiglis Gegenvorschlag einem Programm, das die Zentralalpen als Ausgangspunkt beinahe aller bedeutenden Flüsse Europas (Inn, Po, Rhein, Rhône) konzipiert. Die Donau, Objekt passionierter jahrzehntelanger Studien Marsiglis, kann der Logik dieses Programmes folgend beinahe nicht anders, als ebenfalls hier zu entspringen. Der von Marsigli aufgegriffene Topos der Alpen als Schoß der wichtigen europäischen Flüsse war dabei im 18. Jahrhundert keineswegs neu. Bereits die humanistischen Geografen Felix Fabri (1441/42-1502) und Johann Stumpff (1500- um 1576) waren von dieser hydrografischen Konstellation fasziniert. Johann Stumpff charakterisierte das Gotthardgebiet folgendermaßen: „Darumb aber wirt diser Gotthart billich genent das höchst Alpgebirg / erstlich das auch Strabo bekennt / das die Alpes die höchsten gebirg Europe seyen : demnach / daß an disem Gotthart vier der fürnembsten flüssen Europe entspringen / als der Rheyn gegen Aufgang / der Ticinus oder Tesin gegen Mittag / der Roddan gegen Nidergang / die Ursa oder Riiß gegen Mitternacht / etc. Dise vier flüss lauffen aus dem Gotthart gleych als vier Brunnenrören auß einem stock creutzweyß / aber so naahe bey einander / daß Egidius Tschudi achtet / nit uber 3. stund richtigs fußwägs seyn / richtiger distanz nach zurechnen (wo man auch von den obristen Bergspitzen die richt wandlen möchte) von dem ursprung deß vorderen Rheyns biß

sources, dans leurs lignes tirées du pié de Mont Abnobe jusqu’au Pont-Euxin, où le Danube s’engoufre. L’Ancien usage est un fort Argument pour mettre la source de ce Fleuve au Mont Abnobe. Si cependant on fait attention aux raisons naturelles, qu’on peut en donner, il est hors de doute, qu’il sort des Alpes de la Suisse, ainsi que plusieurs gros Fleuves de l’Europe, & que l’Inn lui fait Hommage de des eaux.“ Ebenda, S. 5–6.

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zum brunnen deß Roddans : wiewol die reühe und unfreüntligkeit deß Bergs den wäg vil weiter umbtreybt / etc.“87

Bei Felix Fabri findet sich sogar eine bereits in die Richtung der Marsiglischen Vorstellung reichende Betonung der Nähe von Rhein- und Donauoberlauf: „Rhenus, alius limes vel limbus Theotoniae, fluvius celeberrimus nostrae provinciae non longè à Danubii & Rhodani fontibus, & ferè in medio eorum oritur ex Rethicis Alpibus, de quibus non longè abinuicem maxima & celeberrima totius Europae flumina prodeunt, Italiam, Galliam, atq. Germaniam abluentes, ut est Padus, Rhodanus, Plabus, Syler, Athesis, Saus, Rhenus, Licus, Ynus, & Hylarus, &c.“88 87 JOHANN STUMPFF/JOHANN RUDOLPH STUMPFF: Schweyzter Chronick: Das ist, Beschreybunge Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten, Landen, Völcker vnd dero Chronickwirdigen Thaaten. Beneben vorbeschribner Gelegenheit Europ[a]e, vnd kurtzverzeichneter fleissiger Histori Teütschlands, Franckreychs vnnd Niderlands ; Alles mit schönen Landtafeln, der Stetten, Fläcken vnd Schlachten contrafacturen, vilen Königl. Fürstl. vnd Adelichen alten Waapen vnd Genealogien gezieret Sampt einem volkommenen hierzu erforderten zwyfachen Register (Bibliotheca Palatina H2023/H2036 [Dig. Ser.]). Zürich 1606 [ND Microfiche München: K. G. Saur / Bibliotheca Palatina 1994], S. 600v. An dieser Stelle empfiehlt sich ganz im Sinne des Latourschen Hinweises darauf, dass wir nie modern gewesen seien (BRUNO LATOUR: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1861). Frankfurt a. M. 2009), ein Blick auf die Kontinuität und anhaltende Attraktivität derartiger Vorstellungen – und deren konkrete Auswirkungen auf das Rearrangement alpiner sozionaturaler Schauplätze der Gegenwart. So berichtet Urs Willmann besorgt von immer neuen infrastrukturellen Anstrengungen, alpine Regionen immer weiter touristisch zu erschließen. Ein von Willmann geschildertes Projekt ist der Bau eines „Vier-QuellenWeges“, den vier Kantone unter dem Patronat eines Schweizer Stromversorgers im Gotthardmassiv vorantreiben. Der Weg soll „Wanderer in fünf Tagen an die Ausgangspunkte von Rhein, Reuss, Rhone und Ticino bringen und sie für den ‚ewigen Kreislauf des Wassers‘ sensibilisieren […]. Damit diese Sensibilisierung starten kann, müssen allerdings erst noch Felsen gesprengt, Wege verbreitert und anspruchsvolle Passagen entschärft werden – mit Hängebrücken.“ URS WILLMANN: Gipfel der Verspaßung. Bedrohtes Idyll – mit Funpark und Flitzbahn werden die Alpen aufgerüstet. Eine Empörung, in: Die Zeit. Nr. 31. 28.07.2011, S. 30. 88 FELIX FABRI: Svevicarvm Rervm Scriptores Aliqvot Veteres : Partim Primvm Editi, partim emendatiùs atq[ue] auctiùs, In quibus Svevorum Origo, Migratio, Regna, Principes, bella, foedera, religiones, monasteria, Ciuitates, Comitatus … memoriae mandantur … / Melchior Haiminsfeldius Goldastus. [Online-Ausgabe der HAB Wolfenbüttel], Frankfurt a. M. 1605. http://diglib.hab.de/drucke/xb-1527/start.htm. Stand: 03.12.2011, S. 50; zur

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Marsigli nimmt diese geografischen Topoi auf, entwickelt sie weiter und versieht sie mit einer naturwissenschaftlich argumentierenden Plausibilisierungsstrategie. Die Analyse der Repräsentation sozionaturaler Schauplätze in der historischtopografischen Literatur der Frühen Neuzeit muss die genannten hydrografischen Sinnbildungs- und Plausibilisierungsstrategien in ihrem rhetorischen und symbolischen Charakter ernstnehmen. Sie darf es aber auch nicht unterlassen, nach dem Stellenwert des Materialen für das Beschriebene zu fragen. Die von Strauss so genannten „natural lines of drift“ im Allgemeinen und Flüsse im Besonderen spielen zum Beispiel eine dominante Rolle für die Konstitution sozionaturaler Schauplätze in Ladislaus Sunthayms topografischen Beschreibungen Süddeutschlands. Sunthaym benennt nicht nur zahlreiche Flusstäler wie das Günztal, das Wertachtal oder das Schmuttertal.89 Geografische Lage und Verlauf der Täler sind ihm ebenso wichtig wie naturräumliche Ausstattung und Klimatisches. Sowohl für Franken als auch für das Herzogtum Württemberg legt er Aufstellungen mit Flüssen und den darin vorkommenden Fischarten vor. 90 Eine Liste vorkommender Fischarten wird auch für die Donau geboten, nicht ohne den Hinweis darauf, dass die genannten Spezies sowohl in den schwäbischen als auch in den bayerischen und österreichischen Donauabschnitten vorkämen.91 Sieht man vom Spiel mit starken Anthropomorphismen Fortschreibung der Vorstellung von der Nähe der Oberläufe von Rhein und Donau vgl. auch Lazius et al. 1619, S. 416. 89 Uhde 1993, S. 302–304. 90 Vgl. ebenda, S. 348–349, 366–368. 91 Ebenda, S. 348–349. Eine im Vergleich zu Sunthaym deutlich ausgebaute und stärker differenzierte Hydrografie unter Einbeziehung ichthyologischer Expertise legte Petrus Albinus (1543-1598) in seiner Meysnischen Chronica vor. Wie Philipp Apian liefert er genaue Verlaufsschilderungen von Flüssen und vor allem eine eingehende Beschreibung der Elbe und ihrer Zuflüsse. Vgl. PETRUS ALBINUS: Commentarius novus de Mysnia, oder, Newe Meysnische chronica. Wittenberg 1580. Online-Ausgabe: The Making of the Modern World. Gale 2010. http://galenet.galegroup.com/servlet/ MOME?af=RN&ae= U3610679822&srchtp=a&ste=14. Stand: 06.12.2011. S. 625–626, 645–669. Daneben bietet er einen umfangreichen, naturkundlich interessierten Katalog der in Elbe und Mulde vorkommenden Fischarten. Vgl. ebenda, S. 626–635. Er stützt sich dabei auf Georg Fabricius’ (1516-1571) Annalium urbis Misnae (1564) und übernimmt deren zoologisches Kategorienraster für die Unterscheidung unterschiedlicher Elbfische (I. Elbfische, die aus der See kommen und nicht bleiben, sondern abnehmen oder sterben, II. Elbfische, die aus Bächen in die Elbe kommen, darin gedeihen und zunehmen, III. Elbfische, die in der Elbe geboren werden und wachsen). Er untermauert die empirische Belastbarkeit dieses Kategorienrasters, das über weitere Unterkategorien verfügt, durch den Hinweis darauf, dass Fabricius dieses Raster von erfahrenen Meissner Fischern erlernt habe. Ebenda, S. 626. Dass Albinus und Fabricius nicht nur praktisches Wissen von Fischern sondern

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ab, leistet auch das Flusskapitel in Anton Wilhelm Ertls Chur-Bayerischem Atlas eine von der Donau ausgehende, substanzielle Beschreibung der wichtigsten bayerischen Flüsse, ihrer Quellorte, ihres Verlaufs und der wichtigsten an ihrem Lauf situierten Städte und Siedlungen.92 Die hydrografische Verfasstheit sozionaturaler Schauplätze im topografischen Beschreiben Philipp Apians ist auch außerhalb seines Flusskapitels ausgeprägt, graduell aber abhängig von der lokalen materiellen Präsenz von Gewässern. Zum Beispiel spiegelt Apians Beschreibung von Stadt und Bezirk Ingolstadt nicht nur die Ortskenntnis des dort Geborenen und Aufgewachsenen; in ihr schlägt sich auch die für die lokale Siedlungsstruktur und die gesellschaftliche Existenz bestimmende Rolle der vielgliedrigen Flusslandschaft nieder.93 Die einleitende Lokalisierung der eine gut entwickelte, auf der Rezeption antiker Ichthyologie aufbauende fischkundliche Literatur zur Verfügung stand, zeigt der Überblick von CHRISTIAN HÜNEMÖRDER: Die Geschichte der Fischbücher von Aristoteles bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, in: Deutsches Schiffahrtsarchiv 1 (1975), S. 185–200, hier 193–198. Auch im Rücklauf der topografischen Fragebögen, die in Vorbereitung der kurbayerischen Historico topographica descriptio 1698 an Adel, Prälaten, Magistrate und landesherrliche Beamte versandt wurden, finden sich immer wieder auch Aufstellungen der in örtlichen Gewässern vorkommenden Fischarten, z. B. im Rentamtsbezirk Burghausen die Beschreibung der Stadt Trostberg, BayHStA Stv 1046, fol. 294r–297r, hier: 295r; Hofmark Oberfränking, BayHStA Stv 1046, fol. 230r; im Rentamtsbezirk Landshut Hofmark Reichsdorf, BayHStA Stv 1050, fol. 291rv, hier: 291r; im Rentamtsbezirk Straubing Hofmark Ramfölß, BayHStA Stv 1055, fol. 39r–41r, hier: 40r. Diese fanden aber nicht immer ihren Weg in die gedruckte Topografie. 92 Vgl. Ertl 1687, S. 213 [=215]–220. Ähnlich wird im Parnassus Boicus, einer landeskundlich-didaktischen Kompilation des frühen 18. Jahrhunderts verfahren. Einem Motto, das als allegorische Zueignung an den Isar-Strom formuliert ist, folgt im „Zweyte[n] Bericht. Auß der Topography, wo die Historia naturalis, oder Beschreibung der Landen zu Bayrn / nach ihren natürlichen Eygenschafften / beygebracht werden“ eine hydrografische Definition Bayerns anhand der Hauptflüsse und anderer Gewässer. Parnassus Boicus oder Neu-eröffneter Musen-Berg / Worauff Verschiedene Denck- und Leßwürdigkeiten auß der gelehrten Welt / zumahlen aber auß denen Landen zu Bayrn / abgehandlet werden. Erste Unterredung. München 1722, S. 14–31. 93 „Ingolstadium urbs est Bavariae superioris cum perelegans, tum natura loci arteque munitissima, ad Danubii oram septentrionalem in perpetua planitie sita. Hanc Schuterus amnis interlabitur ac ubi urbem egressus, in Danubium excurrit. […] Praefectura autem haec admodum contracta est, eamque fere civium iurisdictio totam occupat. Habet ea ad meridiem Palatinatum, ad occidentem episcopatum Eichstatensem, reliquis vero partibus Vohburgensi concluditur terminaturque praefectura. Per hanc

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Stadt – politisch-administrativ zu Oberbayern gehörend, geografisch in einer Ebene auf dem Nordufer der Donau nahe der Mündung des Flusses Schutter gelegen – folgt genauso einem gattungsüblich topischen Muster wie ihre Charakterisierung als schön und von der Natur wie vom menschlichen Wirken wohl ausgestattet. Erwähnung finden die Universität, Kirchen- und Klosterbauten sowie die wegen ihrer Größe, Stärke und Lage hervorgehobene Festung. Der Verwaltungsbezirk wird – auch dies nicht ungewöhnlich – zu den Nachbarterritorien abgegrenzt, im Süden zu Pfalz-Neuburg, im Westen zum Bistum Eichstätt. Die Schilderung der Umgebung aber ist durch eine auffallend präzise Würdigung der lokalen Hydromorphologie geprägt. Die Donau durchquere den Bezirk ziemlich genau mittig und bringe dabei oberhalb wie unterhalb der Stadt herrlich gelegene Inseln hervor. Nachdem sich der Flusslauf etwa eine Meile oberhalb der Stadt in zwei Arme teile, fließe einer direkt in nördlicher Richtung der befestigten Stadt entgegen, während der andere sich zunächst ostwärts richte, um sich dann später nordwärts zu neigen und rund eine Meile unterhalb Ingolstadts, nahe dem Dorf Feldkirchen, wieder mit dem ersten Arm zu mediam fere Danubius decurrit, multas supra infraque urbem amaenissimas efficiens insulas atque tempe. In parte autem Vindelicorum haec sita sunt: Primum Danubius supra urbem ad mille pass. in duo brachia scissus, uno versus septentrionem directe oppidum Ing. alluit, altero vero, ad orientem converso, paulatim ad aquilonem inclinat atque ad m. p. fere infra urbem, e regione pagi Veldkirchen rursus cum priori brachio coniungitur. Per huius autem brachii alveum olim Danubium praeterfluxisse, ac patrum memoria laterum brachium ad urbem deductum ac derivatum esse, certo constat. Ad hunc veterem Danubii fluminis alveum plurimae villae et praedia fructosa sita sunt, ex quibus est Hainwert ad ipsam scissionem. Est praeterea alius quoque rivus inter haec praedia villasque et amnem, qui alluit Zuchering pagum, de quo ante dictum est. Hic infra villas Ad rubram turrim dictas cum priori commiscetur. Intra hos duos rivos consistunt: Templum et villae ad d. Salvatorem. Leprosorium ad pontem Solarem. Turris rubra villae. Kottaw villae. Aliaque plura sunt, quae civili omnia iurisdictioni subiecta sunt. Cis Danubium autem, in Germaniae magnae parte seu Nariscourm terra: Gerlfing pag., templ. et nob. possess. in campo plano. Sylvula inter hunc et Ingolstadium ad Danubium, Rotngries nuncupatur, amaenissima tempe. Ad Schuterum amnem plurimae sunt molae. Praedium S΁mhof. Peisseri praedium cum piscina. Daxberg collis declivis supra haec ad m. p.; ibi castra portestantium. Ingolstadium ut supra. Infra urbem prope Danubium: Veldkirchen pag., templ. Ad collem autem Daxperg versus aquilonem sylvula est, quae a petulis das Pirckhach vulgo dicitur. Ex ea rivus scaturit profundissimus et invadosus, vulgo vocatur der Awgraben; is cum rivo Krumpach iuxta pagum Haunstat coniungitur. […]“. Apian 1880, S. 168–169.

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vereinigen. Es stehe fest, dass Letzterer einst den Hauptflusskanal der Donau gebildet habe, zu Zeiten der Väter aber der damalige Seitenarm abgeleitet und zur Stadt hin geführt worden sei.94 Wenn Apians Schilderung hier historische Authentizität beanspruchen kann, nimmt es umso weniger Wunder, dass das Abfallen des Stromes von der Festungsstadt in Richtung Süden in den Folgejahrhunderten ein massives Problem darstellte, dem man im 18. Jahrhundert mit aufwändigen Flussbaumaßnahmen zu begegnen versuchte. Dabei war die Situation im 18. Jahrhundert insofern prekär, als einerseits mit dem Abfallen des Hauptstromes nach Süden ein Trockenfallen der Festung, andererseits aber über nördliche Nebenarme eine Ablenkung nach Norden drohte, die eine Unterspülung der südwestlichen Festungswerke zur Folge haben konnte.95 Apians Schilderung erwähnt entlang des alten Hauptkanals eine Reihe von Gütern und Dörfern in fruchtbarer Umgebung, darunter Haunwöhr („Hainwert“) an der Flussgabelung. Unweit dieser Güter und Dörfer verlaufe ein weiterer Bach, der Zuchering passiere und sich bei Rothenturm mit dem ersten Flusslauf vermische. Es folgt eine Aufzählung der auf der so umschriebenen Insel befindlichen Siedlungen. Danach geht der Text noch auf Landschaft und Besiedlung des Donau-Nordufers ein. Unter anderem findet dabei Erwähnung, dass entlang der Schutter viele Mühlen betrieben würden, man erfährt von Waldstücken und einem Teich. Der bewaldete Höhenrücken des Dachsbergs wird als Quellort eines weiteren, als tief und reissend charakterisierten Baches angegeben, der sich seinerseits bei Haunstadt mit einem anderen Fließgewässer vereinige. An anderer Stelle wird die Hydrologie des Donaumooses zwischen Weichering und Manching mit der Staulage in den Mündungsgebieten verschiedener kleinerer Donauzuflüsse und der daraus resultierenden Inselbildung erklärt.96 Diese Beschreibung und ihre – anachronistisch formuliert – naturwissenschaftliche Erklärung decken sich mit dem, was John Lewin, ein Geo-

94 Vgl. dazu: Leidel et al. 1998, S. 92–96. 95 In der zeitgenössischen Rezeption der Flussbaumaßnahmen von 1728 überlagern sich übrigens einmal mehr die symbolische und die materielle Dimension sozionaturaler Schauplätze: Im Jahr 1729 feierten die Jesuiten die Flussbaumaßnahmen in dem Bühnenstück Domitor Danubii. Hier wurde allegorisch dargestellt, wie Jupiter den eine neue Stätte suchenden Flussgott Danuvius zwingt, in seinem Bett zu bleiben; gleichzeitig rühmte man den Kurfürsten Karl Albrecht für die Zähmung der widerspenstigen Elemente. Ebenda, S. 96. 96 „Weihering pag. magnus, temp. et nob. possessio prope Danubium, ad sinistram huius amnis Ahae. Aha paulo infra pagum in Danubium, ad sinistram huius amnis hunc Ahae confluentem alius es Danubio amnis vel stagni fere instar emergit, qui pagum Hagnaw et Zuchering aliosque praeterfluit, tandem multis, variis insulis effectis et constitutis infra Menchingam celebrem pagum cum Parrio commiscetur.“ Apian 1880, S. 163.

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morphologe der Gegenwart, als anastomosierenden Flusslauftypus definiert.97 In der Summe ist die thematische Balance der Beschreibung des sozionaturalen Schauplatzes deutlich zur Hydrografie hin verschoben. Hydrografische Arrangements bestimmen das Bild Ingolstadts und seiner Umgebung. Dagegen wirkt in Ladislaus Sunthayms überblicksartig enumerativer Beschreibung des Donautals zwischen Schwarzwald und den ungarischen Zwillingsstädten Ofen und Pest die Rolle des Flusses eher reduziert. Er wird – wie später auch in Sigmund von Birkens Donau-Strand – als „natural line of drift“ weitgehend auf seine rhetorische Funktion in der Stofforganisation beschränkt. Städte entlang des Flusses und Zuflüsse werden vom Oberlauf abwärts angeordnet besprochen. Die Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes ist stark durch historische Informationsbestände und die bloße Nennung von Siedlungen geprägt und wirkt gerade durch das Fehlen des Naturalen über weite Strecken thematisch einseitig. Nur einzelne Aspekte wie der Weinbau werden thematisiert. In der entlang der Fließrichtung der Donau organisierten Beschreibung wirkt die relativ umfängliche Erwähnung des bayerischen Weinbaus am Donaunordufer zwischen Kelheim und Straubing, die das Kapitel beschließt, erratisch.98 In der Summe erscheint für die topografischen Beschreibungen des Untersuchungsgebiets eine Tendenz offensichtlich:99 Der rhetorischen Funktionalität im Genre geschuldet, fehlt frühneuzeitlichen Flüssen ihre fluviale Dynamik. Flüssen kommt in den Topografien die Aufgabe zu, die Darstellung von Territorien und Regionen zu strukturieren und einen Zustand umfassender ‚guter Ordnung‘ zu suggerieren. Eine idealisierende Repräsentation sozionaturaler Schauplätze trägt dazu bei. Doch wo diese Schauplätze, wo Landschaften und Regionen in rhetorischer Idealität erstarren, ist wenig Platz für die Dynamik und strukturelle Instabilität frühneuzeitlicher Flüsse. In der Grafik bedeutet dies: Flüsse sind vielfach linear und scharf zu ihrer Umgebung abgegrenzt dargestellt. Georg Matthäus Vischers Oberösterreich-Karte, die

97 Dieser Typus zeichnet sich durch einen niedrigen Gradienten, eine niedrige Weite-TiefeRatio und durch vergleichsweise stabile Flussarmsysteme aus, die feine Sedimente transportieren und die sandige Kanalufer aufschwemmen. Neue Kanäle entstehen durch Abschwemmung. Einzelne Kanäle meandern. Zwischen den Kanälen bestehen Feuchtzonen. Die Kanäle selbst sind besonders anfällig für Blockade z. B. durch Bäume, an denen sich Sediment staut. JOHN LEWIN: Medieval Environmental Impacts and Feedbacks. The Lowland Floodplains of England and Wales, in: Geoarchaeology 25 (2010), S. 267– 311, hier 271. 98 Uhde 1993, S. 293. 99 Vgl. Knoll 2010, S 126–129.

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im Übrigen stark gegenständlich verfährt, ist dafür ein sprechendes Beispiel.100 Kaum je finden sich etwa in den Merianschen Bildprogrammen so deutliche optische Hinweise auf eben jene fluviale Dynamik, wie im Stich Prospect der Thonau zwischen Kalenberg und Bisnberg;101 kaum je wird in einer Grafik die „Anschütt“, also der sedimentierungsbedingte Zuwachs einer Flussinsel, nicht nur sichtbar gemacht, sondern auch explizit bezeichnet, wie im Stich zur Beschreibung der niederösterreichischen Adelsherrschaft Petronell (Abbildung 4).102 In einem weiteren Stich zu derselben Herrschaft, einem Vogelschauplan (Abbildung 5),103 stoßen der Anspruch auf lineare Demarkation der Besitzgrenzen und die lokal sehr ausgeprägte hydromorphologische Heterogenität der Donau besonders deutlich aufeinander. So kommt es an dieser Stelle zu einem in den Topografien zum oberen Donauraum seltenen Beispiel für die differenzierte Dokumentation einer komplexen und dynamischen Flussstruktur. Alle Inseln sind nummeriert und in einer Legende benannt. Es wird versucht, den exakten Grenzverlauf entlang der Inseln zu demarkieren. Und doch mutet dieser Versuch angesichts der realiter wohl kaum über einen längeren Zeitraum gegebenen Stabilität der Verhältnisse behelfsmäßig bis unbeholfen an. Dem Anliegen einer stabilen Grenze steht die fluviale Dynamik entgegen. Der Stich symbolisiert somit wohl ungewollt die bestehende Diskrepanz zwischen Grenzziehung als Herrschaftspraxis und der prekären Materialität des Schauplatzes.

100 ,,Archiducatus Austriae Superioris Geographica Descriptio facta Anno 1667“, gestochen von Melchior Küsell, Augsburg 1669; zur Entstehungsgeschichte vgl. JOHANNES DÖRFLINGER/ROBERT WAGNER/FRANZ WAWRIK: Descriptio Austriae. Österreich und seine Nachbarn im Kartenbild von der Spätantike bis ins 19. Jahrhundert. Wien 1977, S. 126. 101 Merian der Ältere et al. 1649, hier vor S. 31. Vgl. zur vermuteten Autorschaft und der eigenständigen Radiertechnik: Wüthrich 1996, S. 264 und 261, Anm. 13. 102 Die Bezeichnung „Anschütt“ befindet sich bei der Flussinsel im Bild links oben. 103 „Schloß undt Herrschafft Petronell Sambt ihren Marckt dörffern und Landgericht Wildphan und Fischwasser, im Ertzherzogthum Oesterreich unter der Enns. 8 meil von Wien an der Donaw gelegen. Clemens Beuttler delin.“ Zuschreibung der Autorschaft: Caspar Merian nach Clemens Beutler (um 1623-1682); Wüthrich 1996, S. 288–289.

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Abbildung 4: Matthäus Merian d. Ä., Schloß Petronell, Topographia Provinciarum Austriacarum/Absonderliche Beschreibung, 1677

Abbildung 5: Matthäus Merian d. Ä., Schloss vndt Herrschaft Petronell, Topographia Provinciarum Austriacarum/Absonderliche Beschreibung, 1677 (Ausschnitt)

In der weit überwiegenden Anzahl der grafischen Repräsentationen in den MerianTopografien zum oberen Donauraum ist der Fluss klar zum umgebenden Land abgegrenzt. Abbildungen zeigen Flüsse bei idealem – mittlerem – Wasserstand. Dynamik und Instabilität des Laufs werden in Bild – und Text – selten thematisiert.

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Eine dieser seltenen Ausnahmen ist der Stich Clausen in den Lueg in Merians Topographia Bavariae (Abbildung 6).104 Die Grafik zeigt den Pass Lueg bei Golling im Salzburger Land, einen Durchbruch der Salzach zwischen Hagen- und Tennengebirge. Dramatisierend vertikal verzerrte Gebirgsformationen werden von dem zeichnerisch als wild und strudelnd gekennzeichneten Salzachfluss am Talboden durchflossen. Vom mittleren Bildvordergrund ausgehend, zieht sich die PassLueg-Straße auf halbe Höhe ansteigend über dem (vom Betrachter aus) rechten Salzachufer entlang und passiert dabei die Klause. Drei Staffagefiguren gehen auf der Straße ohne Lasttiere oder Fuhrwerke ihrer Wege. Zwar hat diese grafische Beschreibung keinen Bezugspunkt im Textteil der Topografie, doch einmal mehr lohnt der Text-Bild-Bezug zwischen Grafik und Legende genaueres Hinsehen. Vier Buchstaben in der Abbildung kennzeichnen die Klause (A)105, die Salzach 106 (B) , zwei in den Fels eingelassene Tafeln, die vergangene Wasserstände bei Hochwasser dokumentieren (C),107 und die Passstraße (D).108 Der Bezug zwischen Legende und grafischer Beschreibung macht deutlich: Hier wird ein als extrem wahrgenommener sozionaturaler Schauplatz auch in der seine Ausprägung wesentlich mitbestimmenden fluvialen Dynamik repräsentiert. Das unbändige Abflussverhalten der Salzach in dieser Engstelle wird nicht nur durch eine entsprechende Schraffur der Zeichnung visualisiert; zusätzlich betont der Legendeneintrag „Grossen gewaldt und Prasseln“. Auch die Berücksichtigung der beiden Hochwassertafeln, einem vergleichsweise kleinen Detail im gewählten Landschaftsausschnitt, rückt die fluviale Dynamik des Schauplatzes in den Fokus des Betrachters. Die Legende erklärt die rein grafisch nicht erkennbare Funktion der Tafeln, nämlich die der Dokumentation von Wasserständen, die die Salzach „bey Grossen Wassergüssen“ erreicht habe. Hochwassermarken als materialisierte Memoria werden nicht nur abgebildet, sondern textuell erklärt.

104 Wüthrich schreibt den Stich Caspar Merian zu, vgl. Wüthrich 1996, S. 122–123, lfd. Nr. 62. 105 „A. Clausen oder besetzter Orth / in den überauß Engen Pass durch das Gebürg von Saltzburg nach Italien / der Lueg genant / so in groser enge Schier 2 Meyl Wegs lang wehret.“ 106 „B. Der Saltza Fluß / so durch solliche Enge Stainklüppen mit überauß Grossen gewaldt und Prasselen durch fallet.“ 107 „C. Zwey in den Felßen eingelassen Stainene Taflen / so bezeugen / das zu etlichen Jahren / bey Grossen Wassergüssen / der Saltzafluß biß zu sollichen Taflen erwachsen und erhohet worden.“ 108 „D. Weg und Stras von Saltzburg und Golling durch den Lueg.“

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Abbildung 6: Caspar Merian, Clausen in den Lueg, Topographia Bavariae, 1644

Auch eine andere Passage besitzt hinsichtlich ihrer Thematisierung fluvialer Dynamik von Gewässern des oberen Donauraumes eine Ausnahmeposition: Martin Zeillers Beschreibung der unter Zeitgenossen berühmten Engstelle von „Strudel“

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und „Wirbel“ bei Grein in der Topographia provinciarum Austriacarum.109 Kurz westlich dieses Schauplatzes verengt sich das Machland zu einem nur 150 Meter breiten Durchbruchtal. In dieser Enge standen vor den flussbaulichen Eingriffen des 18. bis 20. Jahrhunderts Felsformationen als zusätzliche Hindernisse dem Wasserabfluss entgegen. Je nach Wasserstand hatte die Schifffahrt Stromschnellen und Untiefen (Strudel) zu umgehen, während an einer Stelle ein großer trichterförmiger Wirbel Wasser nach unten zog.110 Dieser Schauplatz generierte eine seiner Bedeutung für die Schifffahrt entsprechende publizistische Präsenz. Neben der MerianTopografie, die die Szenerie in zwei Stichen von Wenzel Hollar visualisiert,111 bietet u. a. auch Georg Matthäus Vischer eine grafische Repräsentation.112 Der Geistliche und Wiener Hofprediger Abraham a Sancta Clara (1644-1709) konnte den Schauplatz und dessen Prekarität als allgemein bekannt voraussetzen, wenn er in einer gedruckten Predigt auf genau diese Prekarität anspielte.113 Interessant an der textuellen Beschreibung Zeillers ist nun, dass hier der sozionaturale Schauplatz explizit in seiner fluvialen Dynamik gewürdigt wird. Er wird als veränderbares Arrangement präsentiert, das je angepasst veränderte Praktiken erfordert. Es sei, so Zeiller, an den erfahrenen Schiffsleuten, entsprechend dem jeweiligen Wasserstand eine geeignete Passage zu wählen: „Die erfahrne Schiffleuth aber fahren so hart sie können / an dem Gestad / auffm Kieß / beseits hindurch / unnd ist sich allhie garkeiner Gefahr zu besorgen; und wann das Wasser groß / kan man neben hin / durch einen gar sichern Gang / schiffen. Auff ein paar hundert zway Schritt kompt man in den Würbel / in welchem das Wasser / weil es fur einen Felsen etwas schnell fürüber laufft / sich etwas auffhält / und einmal zwey herumb laufft / daß der / so es sihet / unnd man es ihme nicht weiset / schwerlich warnimbt / und also gar keine Gefahr zugewarten ist.“114

Zeiller, der hier das Reyß Verzeichnuß eines ungenannten Autors und damit wenig bemäntelt sein eigenes Itinerarium Germaniae zitiert, diskutiert den sozionaturalen Schauplatz auch in seiner historischen Dynamik. Strudel und Wirbel seien „vor Zeiten gefährlich gewesen“ – ein Befund, den er für seine Gegenwart relativiert. Er zitiert das Reyß Verzeichnuß mit der Etikettierung des „Strudels“ als „vermeintlich

109 Merian der Ältere et al. 1649, S. 20–21; vgl. zu diesem Schauplatz Schmid 2009, S. 59– 60. 110 Ebenda, S. 60. 111 Vgl. Wüthrich 1996, S. 263, lfd. Nrr. 19, 20. 112 Vgl. Vischer 1674, Abb. 179, 207. 113 Schmid 2009, S. 59–60. 114 Merian der Ältere et al. 1649, S. 21.

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gefährlich Orth“.115 Freilich sei die Passage nicht immer ganz ungefährlich, dies jedoch besonders dann, „wann man unerfahrne / und trunckene Schiffleuth“ habe. Er verweist aber eher distanziert auf einen Autor des 16. Jahrhunderts, den Arzt, Historiker und Kartografen Wolfgang Lazius (1514-1565), der den Schauplatz „und die Gefahr allda noch zu seiner Zeit gar groß machet“ und vom „Heßgang / als dem dritten gefährlichen Orth / durch welchen man komme / wann man den Werfel vermeiden / oder fliehen wolle / weitläuffig schreibet.“116 Die Relativierung der Prekarität durch Zeiller verweist zurück auf die bereits festgestellte harmonisierende und in diesem Interesse fluviale Dynamik tendenziell ignorierende Repräsentation von Flüssen als sozionaturalen Schauplätzen in Merians Topografien zum oberen Donauraum. Ein sprechendes Beispiel sei mit der Beschreibung des Fürstbistums Freising in der Merianschen Topographia Bavariae herausgegriffen. Diese skizziert in Text und Bild eine idealisierte Auen- und Flusslandschaft, die von der Isar durchteilt wird.117 Die Flussläufe sind es hier auch, anhand derer Ausdehnung und Grenzen des weltlichen und geistlichen Herrschaftsbereiches abgesteckt werden. Parallel überliefertes Quellenmaterial zeigt freilich, dass sich genau diese Ziehung einer „nassen Grenze“ zwischen dem Bistum und dem Herzogtum Bayern aufgrund der fluvialen Dynamik der Isar über Jahrhunderte hinweg schwierig gestaltete und für entsprechende Konflikte zwischen Anrainern und Verwaltungen beiderseits der territorialen Grenze sorgte.118 Das umfangreich vorhandene und für den bayerischen Donauraum durch einen Ausstellungskatalog des Bayerischen Hauptstaatsarchivs gut dokumentierte Quellenmaterial zeigt auch: Es gab zeitgenössische Wahrnehmungen und Repräsentationen, die den sozionaturalen Schauplatz Flusslandschaft durchaus in seiner vollen Prekarität dokumentierten.119 Es gibt administrative Akten und Kartografie, in denen technische Optionen des flussbaulichen Umgangs mit fluvialer Dynamik diskutiert und geplant wurden, es gibt reichhaltiges Material aus der Rechtsprechung, die versuchte, konfligierende Interessen und Praktiken der Flussnutzung angesichts dieser Dynamik zu moderieren. Allerdings findet diese 115 Ebenda, S. 20–21. In seinem Reiseschrifttum rekurriert Zeiller auch auf eigene Erfahrung, wenn er angibt, „das solche Ort nicht mehr so gefährlich seyn / wann man gewissenhafte / und erfahrne Schiffleut hat; inmassen ich dann zweymal dise Wasser Raise / Gott lob ohne Schaden / gethan habe.“ MARTIN ZEILLER: Itinerarii Germaniae Novantiquae Compendium. Das ist Teutschlandes neu-verkürtztes Raisebuch […]. Ulm 1662, S. 440. 116 Merian der Ältere et al. 1649, S. 21. 117 Vgl. Merian der Ältere et al. 1657, S. 17–30; vgl. Knoll 2010, S. 109–110, 117–118, 128. 118 Leidel et al. 1998, S. 188–196. 119 Vgl. ebenda.

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komplexe Situation in der historisch-topografischen Literatur zum oberen Donauraum kaum adäquaten Niederschlag. Dort, wo wie im Falle der Weningschen Historico topographica descriptio Kurbayerns neben dem publizierten Text auch die redaktionellen Vorstufen erhalten sind, wird dies in besonderem Maße deutlich. So hatte der Rat des nahe der Mündung der Isar in die Donau gelegenen niederbayerischen Marktes Plattling wie alle anderen Kommunen, geistlichen und weltlichen Herrschaftsträger im Lande eine Beschreibung vorzulegen, die auf einem von der Hofkammer zur Informationserhebung im Lande versandten Fragebogen basierte.120 Dabei wird der durch die Lasten des Dreißigjährigen Krieges, aber auch durch die Lage an der Isar bedingte, wirtschaftlich schlechte Zustand des Gemeinwesens an verschiedenen Stellen thematisiert. Auf die 13. Frage nach „Fruchtbarkeit / Gesundheit / Freyheit / etc. deß Orhts ob allda Haylbrunnen / Wildbäder / Saltz- oder Aertz-Gruben zufinden. Item von Getraidt Kästen / Schranen / Niderlagen / etc.“121 stellte der örtliche Rat folgenden Zusammenhang zwischen Lage und Qualität des Orts her: „Wegen des zwischen der Wässer als der Isar und Thonau ligenten Ohrts ists ain mitlmessig gesundes Ohrt, auch die Fruchtbarkheit in mitlmessiger Ertregnus.“122 Auf die 15. und letzte Frage, die sehr offen gestellt war und quasi Raum für die Mitteilung des ‚Sonstigen‘ bot123, charakterisierten die Magistratsherren die reißende und unbeständige Isar 124 120 „Gehorsambiste Verantwortt- unnd Erleutherung“, Plattling 28. August 1698, BayHStA Stv 1051, fol. 30r–33r. 121 „Verzaichnuß. Der jenigen Puncten der Landsbeschreibung / von denen hier zu benantlichen Orthen der verlangende Bericht zur Churfl. Hof-Cammer soll erstattet und eingeschickt werden. München den 15. Aprill Anno 1698“, BayHStA Stv 1042, fol. 156r; Drucke u. a. in: Schuster 1999, S. 153–155, und Knoll 2008, S. 62–63. 122 BayHStA Stv 1051, fol. 32r. 123 „15. Endlich / wann sonst alldort etwas denckwürdiges geschehen / oder was besonders / und seltzames von merklichen Antiquitäten befindlich ist / als in Künst-Stucken / Mahlereyen / etc. etc.“, BayHStA Stv 1042, fol. 156r. 124 Darüber, dass es sich bei der Isar um ein schnell fließendes Gewässer handelt, bestand bei den Topografen übrigens Konsens. Apian charakterisiert sowohl den Fluss als ganzen als auch die Mündungssituation in die Donau bei Deggendorf unter Betonung der Fließgeschwindigkeit: „Isara autem, fluvius rapidissimus, ex sylva Schernitia in comitatu Tyrolensi descendus, ad vicum Wolfertzhusium Loysam ex Alpibus quoque profluentem et per lacum Cochelium devectum excipit ac postea Monacum, Munichium vulgo dictam, metropolim hoc tempore Bavariae ducumque sedem praeclarissimam splendidissimamque, allabitur. Item Frisingam episcopalem urbem, Mosburgum, ubi Ambram, ut dixi, recipit. Deinde Landshutam, Dingelfingam, Landavum praeterfluens, infra Deckendorffium Danubium rapide influit.“ Apian 1880, S. 8. Auch in Zeillers Beschreibung des Fürstbistums Freising, genauer: in einem vom Fürstbistum eingereichten und

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als eines der größten Probleme Plattlings und schilderten bezugnehmend auf ein vier Jahre zuvor stattgefundenes Hochwasser die Überschwemmung von Ackerland, Weiden und Siedlung und deren dramatische Folgen für die Menschen vor Ort: „15. Von danckhwirdtigen [sic!] Sachen ist ebenmessig diss ohrts nichts zemelden, woll aber zu deß Markhts grösstem Schaden Gehorsamblich zu erindern, daß die reisent: unbestendtige Isar beraiths lange Jahr, weill man die Mitl zu Abwendt: und Verschlachtung deren nicht hat, zum öfftern sich solchergestalten ergiesst, daß nicht allein alle Wismadt und Vichwaidt verkhett [i. e. verschlammt], verschitt, verdörbt, Grundt und Poden, Äckher und darauf stehenter Gethraidt Stanndt mit Wurz und allem Stockh und Wasen hinweckh bricht und abreiset, sondern auch so gar bey hocher Wassers Giss der Burgerschafft das Wasser zur Thür und Fenster in die Heiser gehet, volglich alles underschwembt, verdörbt und runiert, gestalten erst vor 4. Jahren ain solche Giss gewesen, dass man von der volligen Isar unzt mitten in den Markht herin zu St. Maria Magdalena Gottshaus mit Zihlen fahren khönen, dahero wegen solchen erbämblichen Wasser Schadens neben andern Purdten die Bürgerschafft in grösster Armuth und Noth leben und hausen muess.“125

In der stark gekürzten Version der Beschreibung im Druck ist von einem derart problematischen Bild Plattlings buchstäblich nichts übrig.126 Die präzise Schildevon Zeiller abgedruckten Text, wird die Isar als „reissende[r] Wasser-Stromb“ klassifiziert; Merian der Ältere et al. 1657, S. 29. 125 „Gehorsambiste Verantwortt- unnd Erleutherung“, Plattling 28. August 1698, BayHStA Stv 1051, fol. 32v–33r. Zur Begrifflichkeit der „Schlacht“ bzw. „Beschlacht“ oder „Verschlachtung“: „(auch ‚Verschlagung‘, ‚Beschlacht‘ oder ‚Bschlacht‘): Schutzbau, meist eine besonders massive und stabile Konstruktion mit ‚eingeschlagenen‘ Pfählen als Verankerung; hauptsächlich zur Uferbefestigung, aber auch zur Verankerung von Brückenpfeilern (vgl. ‚Beschlächte‘ der Steinernen Brücke), vereinzelt auch Bezeichnung für besonders schwere Wuhren im Fluß (vgl. die Sossauer Bschlacht bei Straubing […]).“ MONIKA RUTH FRANZ: Erklärung der wichtigsten wasserbaulichen und wassertechnischen Begriffe, in: GERHARD LEIDEL/MONIKA RUTH FRANZ (HG.): Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn. Handgezeichnete Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 37). Weißenhorn 1998, S. 316–318, hier 318. 126 „Plädling Ist ein Churfürstl. uralter Marcktflecken / ligt ebnen Lands im Underland Bayrn / PflegGerichts Natternberg / zwischen Straubing und Vilßhofen an dem Iser-Fluß / über welchen eine Prucken / welcher Fluß sodann zwey Stundt von hier sich underhalb Deggendorff in die Thonau ergießt / unnd gehet die Land: und Post-Straß von Wienn nacher Regenspurg / und weiters ins Reich allhier durch.

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rung der Praktiken und Arrangements, die sich hier lokal zum prekären sozionaturalen Schauplatz „Gesellschaft am Fluss“ verbanden, findet keinen Platz. Der die Beschreibung illustrierende Stich nimmt eine davon abweichende Perspektive ein. Er zeigt das Profil des Marktes von leicht erhöhter Position aus mit Isarbrücke im Bildvordergrund und über zwei Flussarme hinwegblickend, die den Bildvordergrund queren. Der große Anteil abgebildeter Wasserfläche an der Gesamtgrafik sichert dem Fluss eine wesentlich höhere Sichtbarkeit und thematische Wertigkeit zu, als dies der Text tut. Zwei kleine, bewuchsfreie Inseln im Flussarm ganz im Bildvordergrund signalisieren die Dynamik, der die materiellen Arrangements des Schauplatzes ausgesetzt sind. Dennoch wirkt die Szenerie nicht gefährlich, gerade weil auf einer Landzunge im Vordergrund rechts ein Gebäude (der später bei einem Hochwasser im Juni 1781 zerstörte Bruck-Stadel127) zu sehen ist. Die Ufer sind von gleichmäßig verteiltem Buschwerk gesäumt. Damit liegen drei voneinander unterschiedliche Pespektiven vor. Die Beschreibung des lokalen Rats, die in ihren durchaus dramatischen Formulierungen ein hinsichtlich der Prekarität des sozionaturalen Schauplatzes aussagekräftiges Bild zeigt, die hiervon gereinigte Repräsentation des redaktionell bearbeiteten Texts und die Grafik, die eine Zwischenposition zwischen beiden einnimmt. Die Autopsie des aufnehmenden Künstlers generierte hier eine Bildlichkeit, die nicht deckungsgleich mit der Aussageabsicht der im fernen München getätigten Textredaktion ist. Wie defizitär die publizierte Topografie Plattlings vor allem in ihrer textuellen Ausblendung des Faktors Fluss daherkommt, wird deutlich, wenn man sich die weiDer Underhalt der Gemeynde bestehet in Burgerlichen Gewerb und Nahrung der Handwercksleuth / darunder thails mit wenigen Feldbau versehen. Ist in Schwedischen Kriegs-Läuffen zu dreymahlen abgebrennt worden / wordurch neben denen Häusern die maiste Documenta sambt andern Brieflichen Urkundten / und Marckts-Registratur zu Grund gangen / gleichwolen seynd die alten Privilegia (welche von dermahlig regierenden Chursürstl. Druch. etc. allerseyts Gnädigisten Chur- und Lands-Fürsten auff ein neues confirmiert) noch verhanden. Die Güte deß Luffts / und der Erden ist zur Gesundheit und Fruchtbarkeit mittelmässig. Ausserhalb deß Marckts ienseyts der Iser-Pruck befindet sich die Pfarr-Kirchen / allwo St. Jacob als Schutz-Patron verehret wird. Mitten im Marckt aber ist ein Filial-Kirchen / und wol erbautes Gottshauß / allwo die heilige Maria Magdalena Patronin ist / in welchem auch zwey Bruderschafften / eine deß heiligisten Fronleichnambs Jesu Christi / die andere deß heiligen Rosenkrantzes seynd.“ MICHAEL WENING: Historico topographica descriptio, das ist Beschreibung deß Churfürsten- und Hertzogthumbs Ober- und NidernBayrn, welches in 4 Theil oder Renntämbter als Oberlandts München und Burgkhausen, Underlands aber in Landshuet und Straubing abgetheilt ist …, Bd. 3. München 1723 [ND München 1976], S. 53. 127 Leidel et al. 1998, S. 212.

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tere Entwicklung der örtlichen Hochwasserproblematik vor Augen führt. In den 1740er und 1780er Jahren wurden kurfürstliche Geometer und Wasserbauspezialisten nach Plattling entsandt. Nachdem 1740 ein Eisstoß die Brücke schwer beschädigt und 1741 ein Hochwasser Land im Bereich des Brückenkopfes am rechten Ufer abgeschwemmt hatte, begutachtete Franz Anton Paur (1695-1768) die Situation.128 Ergebnis seiner Reise ist zum einen ein Plan, der die Situation visualisiert, zum anderen die Dokumentation einer Kontroverse um die Rolle von Schiffsmühlen, die oberhalb der Brücke vor Anker lagen und von Paur für die Zerstörungen mitverantwortlich gemacht wurden. Auch diese Diskussion thematisiert die Prekarität des sozionaturalen Schauplatzes: Praktiken wie das Mahlen von Getreide auf Schiffsmühlen und die hierfür erforderlichen materiellen Arrangements standen im Konflikt mit anderen Praktiken und Arrangements. Nachdem im November 1779 der – in den Worten des Plattlinger Rats – „bekannt wüttende Isar Strom“129 im Bereich des Brückenkopfes auf der linken, dem Markt zugewandten Flussseite die Siedlung bedrohte, bat der Rat den Geheimen Rat in München um Entsendung des Castulus Riedel (1701-1783) zur Begutachtung und plädierte für eine – wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage des Marktes von diesem nicht selbst finanzierbare – Verbauung der Flussufer.130 1780 kam Castulus Riedels Sohn Adrian (17461809), um die Situation an der Isar in Augenschein zu nehmen. Ein Jahr und ein weiteres schweres Hochwasser später legte er einen Plan und technisch unterschiedliche Vorschläge zur Flussverbauung vor. Neben der Option einer durchgängigen und der einer durchbrochenen, zur Flussmitte geneigten Verbauung („Wuhr“) der Ufer wurde auch der Durchstich der Plattlinger Isarschleife projektiert. Die Arbeiten an Letzterer wurden sogar begonnen, nach entschiedenem Widerstand von Bauern und Anliegern aber wieder eingestellt. Einmal mehr waren auch die Schiffsmühlen Teil der verhandelten Problemlage. Diese Hinweise auf die Entwicklung im 18. Jahrhundert machen klar, dass der Rat im Jahre 1698 die Gelegenheit der Umfrage, die in Vorbereitung der Historico topographica descriptio unternommen worden war, nutzte, um den Fluss als zentrales Problem Plattlings der Hofkammer gegenüber und in einem landeskundlichen Werk prominent in Szene zu setzen. Genau dies jedoch lief offensichtlich den übergeordneten redaktionellen Interessen der Topografie zuwider. Diese Rahmenbedingungen und nicht die materiellen Faktoren vor Ort bestimmten das veröffentlichte topografische Bild Plattlings. Auch die Repräsentation des weiter Donau abwärts gelegenen Städtchens Vilshofen ist in diesem Zusammenhang von Interesse. Vilshofen wird im Gegensatz zu Plattling auch in Merians Topographia Bavariae beschrieben. Die Grafiken bei128 Ebenda, S. 207–208. 129 Zit. nach: Ebenda, S. 208. 130 Zum Folgenden: Ebenda, S. 208–212.

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der Topografien inszenieren Stadtansichten, die den Flüssen Vils und Donau großen Anteil am Bildraum gewähren. In beiden Ansichten wird die halbinsulare Lage der Stadt an der Vilsmündung deutlich sichtbar bzw. durch perspektivische Manipulation hervorgehoben. Abbildung 7: Matthäus Merian d. Ä., Vilshoven, Topographia Bavariae, 1644

Abbildung 8: Michael Wening, Statt Vilshoven, Historico topographica descriptio, 1723

Der Merian-Stich (Abbildung 7),131 eine Profilansicht vom Donausüdufer aus in Richtung Westen über die Vilsmündung hinwegblickend, zeigt in der linken Bildhälfte Vilshofen mit der Vilsbrücke, während die rechte Bildhälfte von der Donau mit der Donaubrücke im Bildhintergrund eingenommen wird. Der Wening-Stich (Abbildung 8) wählt einen anderen Blickwinkel. Die Vedute ist von einem erhöhten 131 Vgl. Wüthrich 1996, S. 122.

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Punkt auf dem Donau-Nordufer aus perspektiviert und blickt über die Donau hinweg in südlicher Richtung auf die Stadt. Die Donaubrücke verbindet hier auf der rechten Bildseite den Bildvordergrund des Donau-Nordufers mit der im Bildmittelgrund situierten Stadt. Der Wening-Stich ist mehr als die Merian-Abbildung von Staffagefiguren bevölkert, die die Schifffahrt und den Ländebetrieb inszenieren. Visuelle Marker für die Risiken fluvialer Dynamik werden aber in keiner der beiden Grafiken gesetzt. Die textuelle Beschreibung verdient in beiden Publikationen Augenmerk: Martin Zeillers Text in der Merianschen Topographia Bavariae zitiert den Straßburger Theologen und Historiker Oseas Schad (1586-1626) mit dem Hinweis, „daß Anno 1595 das Wasser alle Brücken / von Ulm auß / biß nach Wien / außer der zu Vilshofen / und der steinern zu Regenspurg / hinweg gerissen / und habe das Wasser allhie das Eiß uber die Brücken hingeführet; dieweil hültzerne Brücken Pfeiler unten im Fundament breitlecht / oben aber auß sich zugespitzt verlieren / unnd dem Strom nach entgegen / mit starck spitzigen eisen Schienen wol versehen seyn.“132 Das Zitat sichert der Donau schon aufgrund seines Umfanges in dem vergleichsweise kurzen Text eine zentrale Stellung. Bemerkenswert ist nun nicht nur die Thematisierung fluvialer Dynamik an sich. Vielmehr macht das Rekurrieren auf eine durch einen Straßburger Autor überlieferte Extremsituation hinsichtlich der zeitgenössischen Wahrnehmung der Donau und unabhängig von der Authentizität des Behaupteten zweierlei deutlich: Die Donau zwischen Ulm und Wien wurde in ihrer Materialität (Fluss, Brückenbauten) und als regionale, durch Nutzungen (Transport, Verkehr) definierte Einheit wahrgenommen. Nachrichten aus diesem Raum und bezüglich dieses Gegenstandes stießen überregional auf Interesse.133 Während also der Zeiller-Text zu Vilshofen die fluvialen Risiken des Schauplatzes immerhin durch die episodenhafte Erwähnung einer Extremsituation thematisiert, geht der Text in der Wening-Topografie einen ähnlichen Weg wie der oben vorgestellte zu Plattling und blendet den Fluss bzw. die Prekarität des sozionaturalen Schauplatzes weitgehend aus. Während jedoch im Falle Plattlings die Ausblendung auf die Redaktion eines Textes zurückzuführen ist, der diesbezüglich durchaus Klartext geredet hatte, fällt an der Beschreibung Vilshofens auf, dass be132 Merian der Ältere et al. 1657, S. 108. Anton Wilhelm Ertls Chur-Bayerischer Atlas übernimmt dieses Motiv, allerdings unter Weglassung der Steinernen Brücke zu Regensburg und ohne Zeiller und Schad als Quellen auszuweisen. Vgl. Ertl 1687, S. 173. 133 Zur Dokumentation von Wasserständen, Witterungslagen etc. an der Donau im Zuge der Berichterstattung über die Türkenkriege in Londoner Gazetten des 17. und 18. Jahrhunderts vgl. VERENA WINIWARTER: Die Donau als Kriegsschauplatz in der englischen Presse des 17. und 18. Jahrhunderts in: GABRIELE METZLER/MICHAEL WILDT (Hg.): Über Grenzen. 48. Deutscher Historikertag in Berlin 2010. Berichtsband. Göttingen 2012, S. 88-89.

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reits der vom örtlichen Rat gelieferte Beitrag selbst der Donau gegenüber eigenartig schmallippig verfährt.134 Die Flusslage wird nur kurz in der Lagebeschreibung der für die Stadt namengebenden Vilsmündung expliziert. Die Donaubrücke findet keine Erwähnung. Implizit erschließt sich der städtische Bezug zur Donau durch die Erwähnung des Niederlagerechts für Getreide und Salz und die Berechtigung zum Abhalten eines Fischmarktes an Mitfasten. Auch auf die Risiken des Lebens am Fluss wird nur implizit Bezug genommen, wenn von einer nahe der Vilser Vorstadt gelegenen Kapelle die Rede ist, „unser lieben Frauen Hilff beim Pirnpaumb genant, alwohin sowohl die hiesige als ausstendige Personen in ihren tödtlichen Kranckheiten, Wasser- unnd Feuersnötten, lebensgefahrlichen Fähln unnd anndern Anligenheiten das Verthrauen vilfeltig haben unnd dahero die Mütterliche Hilf Mariae gantz tröstlich geniessen […].“135 Transzendentale Hilfe im Falle von Wassernöten – mehr Konkretion erfahren die Risiken der fluvialen Existenz nicht. Allerdings – auch dies eine merkwürdige Konstellation – ist Vilshofen in der Wening-Topografie nicht nur mit einer Beschreibung der Stadt aus der Feder von Kämmerer und Rat und einer Beschreibung des Kollegiatstifts St. Johannis Baptistae vertreten, sondern daneben mit einem weit umfangreicheren Portrait des ortsansässigen kurfürstlichen Weißen Brauhauses durch das Pfleg- und Landgericht Vilshofen.136 Dieser Text enthält nun nicht nur die Besitz- und Baugeschichte des 1637 durch den bayerischen Kurfürsten Maximilian I. erworbenen Brauhauses, sondern er macht umfassende Aussagen zum örtlichen Wirtschaften, zur Lage an der Donau und den sich daraus ergebenden Implikationen. Damit bietet er in einem weit umfassenderen Maße als der Text der Stadtoberen eine thematisch ausgewogene Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes. So wird erklärt, dass im Zusammenhang mit der Salzniederlage ein Komplex direkt – „hardt“ – an der Donau erbaut worden war, der Salzlagergebäude, das Zollhaus, das Brückmeisterhaus und den südlichen Brückenkopf der Donaubrücke vereinte.137 Somit habe keine Ladung die Brücke passieren können, ohne den „Salzhof“ zu passieren. Nach der Verlegung des Salzstapels nach St. Nikola bei Passau sei das Brauhaus hier angesiedelt worden. Auch für das Brauhaus – so ist zu erfahren – ergab die Lage direkt am Fluss Sinn. Schließlich sei das hiesige Weißbier „wann sich ein Tirckenkrieg eraignet in 134 Kämmerer und Rat von Vilshofen an Pfleggericht Vilshofen, Vilshofen 30. Juni 1700, BayHStA Stv 1052, fol. 430r–432r; weitgehend übernommen im Druck: Wening 1723, S. 83–84. 135 BayHStA Stv 1052, fol. 431v; fast wortgleich: Wening 1723, S. 84. 136 „Designation yber das Churfrtl. Weisse Preuhaus zu Vilshoven, so auf churfrtl. genedigiste anbevelchung zur vorhabenten Landts Delineation verfasst worden anno 1721“, BayHStA Stv 1052, fol. 434r–438r; Druck: Wening 1723, S. 84. 137 BayHStA Stv 1052, fol. 434v–435r; weitgehend wortgleich im Druck: Wening 1723, S. 84.

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zimblicher Quantitet, wie die verlofene Jahr geschehen bis unnder Belgrath in Servien verführt, auch wohl durch die Kaufleith etwelche mahl gar bis nach Rom in Italien gesändet worden.“138 In der Beschreibung des Weißen Brauhauses spielte auch die Donaubrücke eine zentrale Rolle. Man habe vom Ort der „Salz Legstatt […] eine starcke hiltzene Pruck in mit Stain eingesetzte Wasserstüben, dann aichenen Pruckh Steckhen gemacht“.139 Bezugnehmend auf die neunte Frage des Fragebogens, die Zerstörungen durch Brand, Krieg, altersbedingten Verfall und etwaige Wiedererrichtung adressiert, wurden nun auch die destruktiven Wirkungen fluvialer Dynamik zum Thema. Die Brücke über die Donau sei „durch einen 1683 ervolgten grossen Eissstoss und Wasser Guss gänzlichen ruiniert […]“.140 Der diesbezügliche Absatz fehlt im Druck vollständig. Von der Zerstörung der Brücke und der offensichtlich noch schwebenden Situation hinsichtlich des Wiederaufbaus ist hier nichts zu erfahren. Dagegen findet das oben genannte, auch in der Merianschen Topographia Bavariae und in Ertls Chur-Bayerischem Atlas kolportierte Hochwasser mit Eisstoß von 1595 Erwähnung. Die Brücke sei so stabil gebaut gewesen, dass sie als einzige zwischen Ulm und Wien standgehalten habe, obwohl sie von Eisschollen überspült worden sei.141 In seiner Ausblendung der Steinernen Brücke zu Regensburg und dem Verzicht auf die Angabe von Martin Zeiller und Oseas Schad als Quellen ähnelt dieser Bericht sehr der Version, die Anton Wilhelm Ertl publiziert hatte, und könnte von dieser übernommen sein. Dass Ertl seinerseits im 1687 erschienenen ersten Band seines Chur-Bayerischen Atlas zwar das Standhalten der Vilshofener Donaubrücke 1595, nicht aber ihre Zerstörung 1683 dokumentierte, kann im Grunde nur als Indiz für seine starke Orientierung an Merian/Zeiller bzw. eine gewisse Oberflächlichkeit seiner Kompilatorik gewertet werden. In der Wening-Topografie deutet das Ignorieren der zeitlich naheliegenden Zerstörung bei gleichzeitiger Auserzählung des früheren Standhaltens dieser zentralen Infrastruktur auf eine ähnliche redaktionelle Linie, wie sie sich in der oben zitierten Beschreibung von Plattling manifestiert. So bleiben beide Repräsentationen Vilshofens in der Wening-Topografie in hydrografischer Hinsicht be138 BayHStA Stv 1052, fol. 438r; weitgehend wortgleich im Druck: Wening 1723, S. 84. 139 BayHStA Stv 1052, fol. 434v–435r; weitgehend wortgleich im Druck: Wening 1723, S. 84. Der gesamte Gebäudekomplex ist in der Legende des Stiches ausgewiesen. 140 „Von Prandt, und Verwiestungen, auch Feindtszeiten ist alda nichts vorgefahlen oder ruiniert worden, ausser das vorgesagte yber die Thonau mit 12 mit Stain gesenckhten Wasser Stüben gestandtene Pruckh durch einen 1683 ervolgten grossen Eissstoss und Wasser Guss gäntzlichen ruinirt und solche widerumben zu schlagen von der zu München gestandtenen keyserl. Administration 1704 gemainer Statt Vilshoven umb selbe gegen der obern Vorstatt zu pauen gegen ainer järlichen Stüfft iedoch uf Versuechen unnd Widerstueften yberlassen worden.“ BayHStA Stv 1052, fol. 437r–437v. 141 BayHStA Stv 1052, fol. 438r.

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merkenswert, sowohl in Hinblick auf die generelle hydrografische Schmallippigkeit des Rates in der Beschreibung der Stadt Vilshofen, als auch in Hinblick auf die redaktionelle Kürzung der Brückenzerstörung im Portrait des Weißen Brauhauses. Dabei ließe sich dem unterschlagenen Ruin von Infrastruktur in Vilshofen mit dem kurfürstlichen Markt Donaustauf unweit Regensburgs ein Beispiel entgegenstellen, in dem die Prekarität des soziofluvialen Schauplatzes an der örtlichen Donaubrücke konkretisiert wird und dies dann auch bis in den Druck gelangt. Zu Donaustauf liest man: „[…] Neben dem Marckt / gleich vor denen Häusern / strohmet der Thonau-Fluß vorbey / über welchen eine Pruggen von dreyzehen Jochen mit fortwehrenden Unkosten erhalten wird / weil sie fast jährlich wegen deß Eyßstoß abgetragen / und wider von neuem zugerichtet werden muß; [...]“142

Doch mag derlei in der Historico topographica descriptio eher die Ausnahme als die Regel sein. Das an der Isar gelegene niederbayerische Städtchen Landau wird wie folgt beschrieben: „Die alte Lands-Beschreibung143 zaigt / daß dise Statt von dem Durchleuchtigisten Hertzog Ludwigen Anno 1224 gebauet worden. Hat ein obere: und ein undere Statt / von keiner sonderbahren Grösse / und ist die obere Statt mit einer Ringmaur eingefangt / ligend auf einem erhöchten Orth an der Iser. Entgegen ist die undere Statt ungeschlossen / und in der Ebne auch gegen der Iser in einer annemblichen Landschafft entlegen.

142 MICHAEL WENING: Historico topographica descriptio, das ist Beschreibung deß Churfürsten- und Hertzogthumbs Ober- und Nidern-Bayrn, welches in 4 Theil oder Renntämbter als Oberlandts München und Burgkhausen, Underlands aber in Landshuet und Straubing abgetheilt ist […], Bd. 4. München 1726 [ND München 1977], S. 62; weitgehend wortgleich mit: „Beschreibung yber daß churfürstl. Schloß und Marckht Thonaustauf […]“, 1698, BayHStA Stv 1055, fol. 295r–299r, hier: 295v–296r. Einziger Unterschied zur Vorlage: Der jährliche Wiederaufbaubedarf wird zum „fast“ jährlichen abgeschwächt. Donaustauf, das sich zum Zeitpunkt der handschriftlichen Beschreibung 1698 noch in bayerischem Pfandbesitz befand, gehörte zum Zeitpunkt des Erscheinens des vierten Bandes der Wening-Topografie 1726 bereits wieder zum Hochstift Regensburg. 143 Hierbei kann es sich um eine Bezugnahme auf die Meriansche Topographia Bavariae oder auf die dort zitierte Bayerische Chronik des Andreas Ratisbonensis handeln. Vgl. Merian der Ältere et al. 1657, S. 38.

162 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT Ist noch ein Churfürstl. Statt / befindet sich allda neben dem Churfürstl. Pfleg-Gericht ein Hauptmannschafft / unnd Casten-Ambt / wurdet auch von allerley Burgerlichen Gewerbs: unnd Handwerchsleuthen bewohnet. Die Gebäu befinden sich in einem rechten Standt / und geben der Gemain thails underschydliche Handtierungen / thails der Feldbau eine ehrliche Underhaltung. Feindlich Schwedische Betrangnussen hat dise Statt gleichfalls erfahren / den Brandt aber mit Erlegung 5000. Reichsthaller abgewendet. […]144 Letztlich geniesset Landau einen guten Feldbau / Wißmath / und Vichzügl / auch neue gemaine Statts Freyheit / nach Innhalt deß verhandnen Churfürstl. Freyheits-brieff Anno 1554. wie auch das Recht / vier Jahrmärckt / dann alle Donnerstag einen Wochenmarkt / unnd Traidt-Schrannen zu halten.“145

Folgender Absatz der von Kämmerer und Rat Landaus vorgelegten Vorlage fehlt dagegen im Druck: „[…] Die Ringmaur befindet sich Alters halb an thails Orthen zimlich ruiniert und eingefahlen, hat bishero wegen gemainer Statt Unvermögenheit nit repariert werden khindten, zemallen auch das hoch costbare Iserschlacht Gepeuen hinderm Leithenberg jehrlich ze underhalten und vorm gentzlichen Weckhreissen zu eretten ein Nambhaftes costet.“146

Der teilweise ruinöse Zustand der Stadtmauer ist auch im zugehörigen Stich nicht fassbar.147 Uferverbauungen sind ebenso wenig zu sehen. Was an Martin Zeillers Beschreibung von Biberach in der Topographia Sveviae bereits allgemein expliziert wurde (vgl. oben Kap. 3.1), bestätigt sich für die Hydrografie der untersuchten Topografien: Die Gestalt der repräsentierten Schauplätze ist stark davon abhängig, auf welcher informationellen Basis diese Repräsentationen zustande kommen. Auf die Arbeitsweise Martin Zeillers gewendet heißt dies: Wenn nicht, wie im Falle des Standhaltens der Vilshofener Donaubrücke 1595 ein Ereignis bereits den Weg in die kanonische Historiografie gefunden hat oder ein Schauplatz Ziel von Zeillers eigener persönlicher Anschauung und Kenntnis wurde, 144 Hier nicht zitiert sind umfängliche Schilderungen der örtlichen Gotteshäuser, deren Patrozinien, ihrer baulichen Ausstattung und religiöser Bräuche. 145 Wening 1723, S. 41. 146 „Gehorsamste Verantwortung […]“, 9. Februar 1699, BayHStA Stv 1050, fol. 263r– 269r, hier: 264r. 147 Dies obwohl die Wening-Stiche mitunter sehr deutliche Zeichen für schlechten Bauzustand setzen, so im Falle von Schloss Ridenburg, das mit einer Vielzahl von Fassadenrissen dargestellt ist. Wening 1723, nach S. 70.

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wie im Falle von Biberach sehr wahrscheinlich, neigt Martin Zeillers Topografie zu hydrografischen Unschärfen. Als Beispiel mag der oberbayerische Regierungs- und Festungssitz Burghausen dienen, dessen hydrografische Spezifika in der Topographia Bavariae nicht deutlich werden.148 Die Stadt sei „In Ober Bayern an der Saltza gelegen / ein schöne wolgebawte Statt / sampt einem vesten gewaltigen grossen Schloß / auff einem hohen Berg gelegen.“149 Auch weil keine Abbildung vorliegt, bleibt die Lage der Stadt in einem engen Flusstal unklar. Die von Andreas Ratisbonensis, Aventin und anderen übernommenen, überwiegend historischen Informationen thematisieren den Fluss nicht. Anders Wenings Historico topographica descriptio: Für die Usancen dieses Werks außergewöhnlich deutlich werden Störungen des sozionaturalen Schauplatzes, werden Extremereignisse angesprochen. Dies gilt für zwei verheerende Stadtbrände in den Jahren 1448 und 1504, dies gilt aber auch für Hochwässer der Salzach: „Nicht minder hat ermeldte Statt / laut der Maurschrifften / in Anno 1570. und 1598. durch den nächst an der Statt vorbey lauffend zwischen zwey Bergen eingeschranckten Saltzafluß zwey : unnd zwar solche Uberschwemmungen erlitten / daß die völlige Statt in : und vil deren Häuser gar under das Wasser gesetzt worden; Allermassen in einer solchen Uberschwemmung / wardurch unglaublicher Schaden causirt worden / beym so genannten GrießThor ein Schöffmann auß dem Saltzafluß über die Gemäuer und niedere Häuser würcklich in die Statt hinein gefahren; Und ob schon auch in An. 1661. ein ungemain schädlicher Wasserguß geweßt / wardurch das jenseyts der Statt am Ufer zimblich erhöcht gelegene Scharpffrichter-Hauß sambt einem Stadl vom Grund außgehebt : und neben der völligen Saltza-Bruck abweck gesetzet worden / so ist doch diser / vorerzelten zwey Uberschwemmungen keines Weegs zuvergleichen.“150

Waren fluviale Extremsituationen in der Weningschen Landesbeschreibung erst dann darstellbar oder darstellungswürdig, wenn sie sich in der örtlichen Memoria bereits materialisiert hatten bzw. monumentalisiert worden waren, wie im Falle der oben zitierten Burghausener Inschriften? Das Beispiel des niederbayerischen Marktes Pfeffenhausen stützt eine solche Annahme. Gemäß der von Kämmerer und Rat 148 Vgl. Knoll 2009, S. 159–160; zur Burghausen-Ikonografie vgl. auch REINHARD STAUBER:

Burghausen, in: WOLFGANG BEHRINGER/BERND ROECK (HG.): Das Bild der Stadt

in der Neuzeit. 1400-1800. München 1999, S. 165–170; und CARL A. HOFFMANN: Stadtentwicklung in sozioökonomisch stagnierendem Umfeld. Ikonographische Aspekte der altbayerischen Urbanistik, in: BERND ROECK (HG.): Stadtbilder der Neuzeit. Die europäische Stadtansicht von den Anfängen bis zum Photo (Stadt in der Geschichte 32). Ostfildern 2006, hier S. 143–145. 149 Merian der Ältere et al. 1657, S. 13. 150 Wening 1721, S. 1.

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eingereichten Beschreibung erinnerten an einer Säule in der Pfarrkirche ein Ring und eine gereimte Inschrift an ein verheerendes Hochwasser im Jahre 1584. Die Inschrift wird sowohl in der Vorlage als auch im Druck vollständig wiedergegeben: „[…] Die Pfarr-Kirchen ist GOtt in der Ehr deß heiligen Martini Bischoffs als Patron eingeweyhet / allwo denckwürdig ist / daß an einer Saul in disem Gottshauß ein Ring gemacht / also hoch / daß er einem mittern Mann biß an Halß reicht / nemblich von der Erden ain / unnd drey Viertl Landshueter-Ellen erhöhet / anzuzaigen / daß einstens das Wasser durch einen Wolckenbruch auff allhiesiger zimblichen Ebne also hoch gestigen. Zu einem Gedenckzaichen ist gleichfalls an der Saul ein Tafel auffgehänget / mit folgenden Reimen. ‚Den 4. September 1584. Ein Wolckenburch hier sich begeben / Merck / Mensch und Vich verluhrn das Leben / Fünff Fürst hats gnommen / fort geschwembt / Darumb manchs stoltzen Muth war dembt / Ein todten Leichnamb auß dem Grab / Hats grissen / wahr ists / wie ich sag / An d’Freythof Maur gestellet auff / Zu sehen dann vil Volcks kam z’Hauff. Gschach an einem Sambstag gegn der Nacht / Das Wasser kam mit grosser Macht / Wie tieff das Wasser in der Kirch / Gwesen sey / zaigt diser Zürck.‘“151

Auch die zweite der beiden von Bürgermeister und Rat der niederbayerischen Regierungshauptstadt Landshut für die Wening-Topografie eingereichten Beschreibungen verdient in diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit. Sie ist, wie bereits ihre Bezeichnung im Begleitschreiben andeutet,152 stark historiografisch ausgerichtet und zeichnet sich durch eine in weiten Teilen chronikalische Stoffpräsentation aus. Erst im letzten Teil bietet sie eine im engeren Sinne topografische Beschreibung. Im umfangreicheren chronikalischen Teil ist singulär ein Unwetter- und Hochwasserereignis aus dem Jahre 1570 dokumentiert: 151 Wening 1723, S. 69; weitgehend wortgleich: Beschreibung des Markts Pfeffenhausen durch Kämmerer und Rat, 21. Januar 1698, BayHStA Stv 1052, fol. 71r–73v, hier 73rv. 152 „Zu schuldigister Volge des an unnß wegen vorhabenter Landts Beschreibung gdist ausgeförttigten Befelchs senden wür beykhommente Description der alhiesigen Haubtstat, was sich von dessen [sic!] Ursprung biß anhero hierin Denckhwürdiges begeben und befündet, hiemit underthenigist ein […].“, Bürgermeister und Rat von Landshut an Regierung von Landshut, Landshut 6. April 1720, BayHStA Stv 1050, fol. 313.

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„Den 10. August abents 1570 ist zu Landtshuet ain Wötter gewest, des hat gleichwoll, wie es in der Statt gesechen und vernommen, nit sonders hefftig donert, oder geregnet, aber dannoch zu Achdorff bey der Statt des Wasser einen solchen Schaden gethon, dergleichen khein Mann gedenckht, die Zeun, Blankchen und Wörhen hinweckh gerissen, Tisch und Pänckh aus den Heusern gefüehrt, diese underwaschen, und sonsten grossen Schaden gethan, darzue allerley Vich, so nit bey zeit geflecht worden, ertrenckht. Die Iser, so mit Holtz angeführt und an die Lendtpruckhen geleget, des man woll daryber gehen mögen und sich besorgen miessen es werdte die Pruckhen gar heben.“153

Dieses einzelne Extremereignis, das sich ob seiner Intensität in die örtliche Memoria eingeprägt haben mag, findet sich eingereiht unter andere historische Denkwürdigkeiten. Im Druck aber fehlt genau dieser Absatz.154 Vom Hochwasser erfährt man hier nichts. Auch darüber hinaus wird das Leben der Stadt mit der ausgeprägten Dynamik der Isar, der man im späten 17. Jahrhundert auch im Landshuter Burgfrieden wasserbaulich beizukommen versuchte,155 nicht thematisiert.156 Einmal mehr ist es die grafische Repräsentation, die vollständigere Information liefert. Abbildung 9: Michael Wening, Die Churfürstliche Haubt Statt Landtshuett in Nidern Bayrn, Historico topographica descriptio, 1723

Der Stich Die Churfürstliche Haubt Statt Landtshuett in Nidern Bayrn (Abbildung 9), als Profilansicht von leicht erhöhter Position auf der der Stadt gegenüberliegenden Isarseite perspektiviert, zeigt den Fluss zwar wie gehabt kontrolliert und in gu-

153 „Description der Haubt Statt Landtshuet de anno 1720“, BayHStA Stv 1050, fol. 314r– 329r, hier: fol. 323rv. 154 Ebenda, S. 2; auch die Beschreibung der Hofmark Achdorf schweigt dazu. Ebenda, S. 9. 155 Vgl. Leidel et al. 1998, S. 15–21. 156 In der Beschreibung des Kapuzinerklosters von Landshut wird der Fluss als positiver Standortfaktor gewürdigt. Die „Situation“ des Klosters sei, so ist in Vorlage und Druck zu lesen, „wegen deß sehr vergnüglich angelegten Gartens / als deß nächst vorbeyfliessenden Isertrohms / unnd der herumb Ebne sehr annemblich.“ Wening 1723, S. 9; vgl. dazu BayHStA Stv 1050 fol. 330v.

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ter Ordnung, gibt ihm aber breiten Raum. Die Isar quert die Stadtansicht im Bildvordergund. Seitenarme, Brücken, Verbauungen und Mühlen sind gut sichtbar und teilweise in der Legende expliziert. Staffagefiguren inszenieren Flößerei und Ländebetrieb. Abbildung 10: Michael Wening, Schloß Hagenau, Historico topographica descriptio, 1721

Die Beschreibung der im Rentamtsbezirk Burghausen gelegenen Hofmark Hagenau am Inn (heute Bezirk Braunau, Oberösterreich) steht als weiteres, außerurbanes Beispiel für eine tendenzielle redaktionelle „Glättung“ allzu prekärer hydrografischer Information.157 Während der eingereichte Bericht die Lage am Fluss ambivalent schildert,158 isoliert der gedruckte Text aus diesem ambivalenten Bild die gute Fischerei. Lediglich dramatische Störungen des lokalen Gefüges von Praktiken und Arrangements oberhalb eines kritischen Levels finden ihren Weg vom eingereichten Bericht in den Druck.159 Im Falle Hagenaus sind dies ein Feuer und ein verheerendes Innhochwasser, die die Gebäude zerstörten und einen kompletten Wiederaufbau an anderer Stelle notwendig machten. Folgt man der Rhetorik der Ikonogra-

157 Vgl. Knoll 2008, S. 65. 158 „Das Gewerk ist bey solchem guett unerachtet es negst an dem Yhnfluß, der solchen mehren geschadet als genutzet, liget, nit gar gros, ausser das es ein weniger Tradtpau bey dem Guett, aber die mehriste Ertragung die guette Fischereyen von Aschen und Forelln machen.“, Bericht Hofmark Hagenau, 21. Januar 1699, BayHStA Stv 1045, fol. 192r–194v, hier 193r. 159 Wening 1721, S. 14; vgl. Knoll 2008, S. 65.

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fie, waren die Arrangements am neuen Standort jeglicher Hochwasserproblematik ledig. Die Grafik (Abbildung 10) zeigt das Schloss in idyllischer Umgebung. Ein kleiner Wasserlauf fließt in der linken Bildhälfte, vom Betrachter aus in den Bildhintergrund verlaufend, an der Schlosskirche vorbei. Eine Staffagefigur im Bildvordergrund fischt. Dem Bild fehlt jeglicher Marker für die halbinsulare Lage am Inn, die fluviale Dynamik oder gar für fluvial induzierte Gefahren. Transformation des sozionaturalen Schauplatzes und topgorafische Memoria: Straubing Ähnlich der Ansicht von Landshut rückt auch die Profilansicht der niederbayerischen Regierungshauptstadt Straubing in der Wening-Topografie (Abbildung 13) den Fluss – hier die Donau – in den Bildvordergrund. Sie windet sich in einer Schleife in der linken Bildhälfte durch die Ebene des Bildvordergrundes auf die Stadt zu. Schiffe und ein auffällig großes Langholzlager sowie dort aktive Staffagefiguren beleben die Szenerie. Die Darstellung der Flussschleife steht in einer ikonografisch weitgehend stabilen Bildtradition, die in der Repräsentation Straubings bei Braun/Hogenberg 1572 (Abbildung 11) ihren Ausgang nimmt.160 Abbildung 11: Frans Hogenberg, Straubinga, Beschreibung und Contrafactur der vornembster Staet der Welt, 1572

160 GEORG BRAUN/FRANS HOGENBERG: Straubing, in: GEORG BRAUN/FRANS HOGENBERG (HG.): Beschreibung und Contrafactur der vornembster Staet der Welt, Band 1, Köln 1572. Online-Ausgabe des Exemplars der SB Passau, Sign. S/a Sd (b) 9-1/2: http://www.staatliche-bibliothek-passau.de/staadi/nid/426.html, Stand: 12.07.2010.

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Gerade ihrer Ausprägung in der Wening-Topografie (Abbildung 13) eignet wenig Zufall, wie der aus der Beschreibung von Bürgermeister und Rat der Stadt161 übernommene Text deutlich macht. In ihm wird der Donau wesentlich mehr Aufmerksamkeit zuteil als der Isar im Falle Landshuts, und dies nicht nur im Rahmen der einleitenden Lagebeschreibung Straubings am „Haupt-Fluß Thonau“.162 Man erfährt vielmehr von der anthropogenen Gestaltung des im Stich sichtbaren und die Stadt an das Flusssystem anbindenden Hauptkanals. Die Kunst und der Fleiß der Voreltern seien dafür zu rühmen, dass sie den ursprünglich eine halbe Stunde von der Stadt entfernt verlaufenden schiffreichen Strom „mittels Außackerung einer neuen Furth / gantz nahend an die Ringmaur glaytet“ und den Lauf der ursprünglichen Rinne, des nunmehrigen „Alt-Wassers“ (heute: „Alte Donau“), durch eine Verbauung blockiert hätten.163 Der Bau und die Unterhaltung dieses Bauwerks hätten bereits viele Hunderttausend Gulden gekostet. Der in ihrer hydrologischen Dimension wie in ihrer Bedeutung für die Stadt fundamentalen Veränderung der materiellen Arrangements des sozionaturalen Schauplatzes wurde von den Stadtoberen ein Platz in der institutionalisierten Memoria zugewiesen: „Zu beständiger dessen Gedächtnuß“ werde „der hierinnfalls gebrauchte Pflueg von Ungewohnlicher Grösse in gemainer Statt Zeughauß annoch aufbehalten“. Unklar sei, ob auch der Pflug im Straubinger Stadtwappen in Erinnerung an die Flussverbauung neben der Lilie aufgenommen worden sei oder wegen „Landskündiger Fruchtbarkeit umbligender Gegend.“164 Abbildung 12: Matthäus Merian d. Ä., Straubinga, Topographia Bavariae, 1644

161 Vgl. die Beschreibungen, Straubing 28. November 1698 und 1717, BayHStA Stv 1058, fol. 197r–206v und 209r–214v. 162 Wening 1726, S. 1. 163 Ebenda, S. 3. 164 Ebenda.

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Im Grunde bleibt diese Unklarheit bis in die rezente historisch-topografische Literatur hinein erhalten. Ein historisch-topografischer Beitrag Franz Schmidts im 1839 erschienenen vierten Jahrgang des Vaterländischen Magazins ordnet, bezugnehmend auf Lorenz Westenrieder (1748-1829), den Pflug im Wappen relativ klar der Anlage des neuen Kanals für die Donau zu und datiert diese Baumaßnahme auf die Regierungszeit Herzog Albrechts III. (1401/1438-1460): „Die Stadt Straubing (Serviodurum?) mit 712 Häusern und 7400 Einwohnern liegt an der Strasse von Regensburg nach Paßau in einer sehr fruchtbaren Gegend. Den Pflug in ihrem Wappen findet man sich veranlaßt davon abzuleiten, daß dieses Ackergeräthe von ihr vorzugsweise gehandhabt wird. Er hat aber eine andere Herkunft. Herzog Albrecht III. von Bayern befahl nämlich der Donau, näher zur Stadt Straubing zu rücken, wie Westenrieder (bayerisch historischer Calender 1788 Seite 89) sich ausdrückt, grub deßhalb mit einem von 40 Ochsen gezogenen Riesenpflug ein der Stadt näher gelegenes Strombette, und leitete in dasselbe die alte Donau.“165

Während aber in der Wening-Topografie noch Kunst und Fleiß der Voreltern für die Baumaßnahme gerühmt wird, fällt Schmidts Würdigung ambivalent aus. Der Bau habe Albrecht III. „Ehre gebracht, obgleich man heute wieder bemüht ist, wegen der Dampfschifffahrt die verrückte Donau in’s alte Gleis zu bringen, das ihr die an Klugheit und Menschenwitz übertreffende Natur angewiesen hatte.“166 Abbildung 13: Michael Wening, Statt Straubing, Historico topographica descriptio, 1726

Schmidts Artikel im Vaterländischen Magazin zeichnet sich hinsichtlich der Repräsentation des Schauplatzes besonders dadurch aus, dass er von einer Radierung Jo165 FRANZ SCHMIDT: Straubing, in: Vaterländisches Magazin für Belehrung, Nutzen und Unterhaltung, insbesondere zur Beförderung der Vaterlandskunde, Kunst und Industrie 3 (1839), S. 110–112, hier 110. 166 Ebenda.

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hann Baptist Dilgers (1814-1847) illustriert wird, die die kanonische Perspektive der Straubing-Ikonografie nicht nur übernimmt, sondern dahingehend weiterentwickelt, dass das zentrale materielle Arrangement der sogenannten „Sossauer Schlacht“ prominent im Bildvordergrund steht und in Zusammenhang mit menschlichen Praktiken inszeniert wird (Abbildung 14). Staffagefiguren nutzen den Damm zur Überquerung des Flusses. Abbildung 14: Johann Baptist Dilger, Straubing, Vaterländisches Magazin für Belehrung, Nutzen und Unterhaltung, insbesondere zur Beförderung der Vaterlandskunde, Kunst und Industrie, 1839

Während die hydrografische Gestalt des Schauplatzes sich im Grunde bis heute erhalten hat (vgl. Abbildungen 15 und 16), scheint sich die Prominenz seiner hydraulischen Historie zu verflüchtigen. Noch 1833 hatte Martin Sieghart in seinem historisch-topografischen Werk zu Straubing zwar auf die Schwierigkeit hingewiesen, die Baugeschichte der Sossauer Schlacht genau zu datieren, dennoch rekonstruierte er aus verschiedenen ihm vorliegenden Originalunterlagen eine Fertigstellung des Damms bis 1480 und eine bereits in den Jahrzehnten vorher unternommene Ausgrabung des Umleitungskanals.167 Dagegen führt Emma Mages in dem vom „Haus der Bayerischen Geschichte“ herausgegebenen Online-Kompendium „Bayerns Ge167 MARTIN SIEGHART: Geschichte und Beschreibung der Hauptstadt Straubing im UnterDonau-Kreise des Königreichs Bayern, Erster Theil. Straubing 1833, S. 236–243.

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meinden. Wappen / Geschichte / Geographie“ aus, der Pflug im Straubinger Stadtwappen sei „als Sinnbild der florierenden Landwirtschaft in der Umgebung der Metropole des Gäubodens, der Kornkammer Bayerns, zu verstehen. Er wurde auch als Wappenbild des Ortsadelsgeschlechts der Straubinger gedeutet; es bleibt aber offen, ob diese ihr Wappen von der Stadt übernommen haben oder umgekehrt.“168 Ferner erwähnt sie das Anknüpfen verschiedener Legenden an den Pflug, „etwa die, dass mit einem Riesenpflug der Donau ein neues Bett gegraben worden sei.“ Die möglichen hydrologischen Hintergründe werden bei Mages nicht diskutiert. Abbildung 15: Michael Eresinger, Vogelschaublick von Norden über Donauschleife und Altwasser bei Straubing mit Stadtprofil im Hintergrund, 1577

Zurück zur Wening-Beschreibung, in der desweiteren die Rede davon ist, man wisse dieserorts nicht, ob die „Herbey-Ackerung der Thonau gleich bey Erbauung der Statt / oder erst nach der Hand erfolget seye“; dagegen liege eine Original-Urkunde vor, die zeige, dass 1477 „von Hertzogen Albrecht / etc. eine Reparation der Schlacht vorgenommen / unnd die allhiesige Burgerschafft zu einem Beytrag ersucht worden seye / worauß folget / daß die Erbauung lange Jahr schon vorhero geschehen seyn müsse.“169 Während diese anthropogene Flussalteration in den Topografien Apians, Merians/Zeillers und Ertls keine Erwähnung findet, wird sie im Wening-Text sehr konkret thematisiert und die Dimension des Unternehmens durch Quantifizierung der Ausgabenlast angedeutet. In der Dimension der über die Jahrhunderte zu tragenden Baulasten dürfte denn auch einer der Gründe dafür liegen, dass die Straubinger

168 EMMA MAGES: Stadt Straubing. Ortswappen. http://www.hdbg.de/gemeinden2/bayernsgemeinden_detail.php?gkz=9263000, Stand: 01.06.2010. 169 Wening 1726, S. 3.

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Stadtoberen das Thema in ihrem Beitrag zur Historico topographica descriptio positionierten. Denn die Verteilung der Ausgaben zwischen dem Landesherrn, der Stadt Straubing und dem Kloster Windberg als begütertem Anrainer begleitete die Existenz der „Schlacht“, einer aus Stein und Holz konstruierten Barriere, bei Sossau.170 Gerhard Leidels Dokumentation der relevanten Überlieferung verweist auf kartografische Repräsentationen der „Schlacht“ aus dem Zeitraum zwischen 1577 und 1786 und auf umfangreiche Korrespondenz und Berichte aus derselben Periode. Diesem Quellenkorpus folgend datiert er den Bau der großen Donauschlacht durch die Straubinger Bürger auf die späten 70er Jahre des 15. Jahrhunderts. In Anerkennung der Mühen und Aufwendungen habe Herzog Albrecht IV. (1447-1508) den Straubingern am 15. November 1480 die Nutzung des nunmehrigen Altwassers zwischen Schlacht und Mündung in den Hauptkanal samt Anschütten, Wöhrden und Weidenholz zugesprochen, wobei er sich den Gebrauch von Weidenholz bei Bedarf vorbehielt.171 Auch das von Seiten Straubings im Topografie-Beitrag angeführte Jahr 1477 als Datum ante quem für die Errichtung der Schlacht fügt sich in diesen Überlieferungskontext – allerdings bei leicht abweichender Akzentuierung: Leidel identifiziert in verschiedenen Schreiben und Berichten seit dem späten 17. Jahrhundert die Tendenz, eine am 23. März 1477 durch die Straubinger Bürgerschaft im Gegenzug für die landesherrliche Baugenehmigung geleistete Selbstverpflichtung zu Bau und Unterhalt der Schlacht auf eigene Kosten zu behaupten.172 Wie oben bereits zitiert, werteten die Straubinger Autoren der erstmals 1698 eingereichten Stadtbeschreibung die Abmachungen zwischen Herzog Albrecht IV. und der Stadt im Jahre 1477 dagegen zum einen nicht als Beleg für einen Neubau, sondern für eine Reparatur der bereits vorher bestehenden Struktur, und zum anderen als Initiative und Hilfsersuchen des Herzogs an Straubing. Die Interessen beider Seiten an einer Aufrechterhaltung der Flusskorrektur liegen auf der Hand und wurden zur Untermauerung der jeweiligen Ansprüche an die Gegenseite eingesetzt.173

170 Leidel et al. 1998, S. 125–133. 171 Ebenda, S. 128; Sieghart druckt das entsprechende Mandat Albrechts ab, in dem dieser die Verleihung der Nutzungen damit begründet, dass die Straubinger nicht nur bereits großen Bauaufwand auf die Schlacht verwendet hätten, sondern „villeicht ewigen Pau daran thuen miessen“. Sieghart 1833, S. 236–243, Anm. 585. 172 Leidel et al. 1998, S. 128. 173 Die Kontroverse um den Erhalt der Schlacht und dessen Finanzierung hielt auch unter österreichischer Besatzung Bayerns im Kontext des Spanischen Erbfolgekrieges an. 1713 unterfütterten Bürgermeister und Rat von Straubing ihre Sorge um die unabsehbaren Folgen eines Verfalls der Sossauer Schlacht für die Donauschifffahrt mit dem Hinweis, dass die Schiffbarkeit des Flusses nicht nur die Salzschifffahrt berühre, sondern

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Während der Landesherr auf eine möglichst verlässliche Durchführung der Schifffahrt im Allgemeinen und des Transports von Salz als landesherrlicher Haupteinnahmequelle im Besonderen angewiesen war und ihm dementsprechend an der Bündelung des Stromes in einem Hauptkanal gelegen sein musste, stand als Hauptnutznießer der Zuleitung dieses Hauptkanals an die Stadt zweifelsohne Straubing selbst fest, das auf diese Weise seine Stellung als Umschlagplatz einer klimatisch begünstigten, äußerst fruchtbaren Getreideanbauregion ausbauen konnte. In der Topografie ist denn auch von wöchentlich zwei Schrannentagen die Rede, an denen „eine unglaubliche Menge allerhand Getraydts auff die Thonau angeschüttet: nach Passau / Oesterreich / Saltzburg und Tyrol abgeführt wird: Zu dem Ende so wol in St. Churfürstl. Durchleucht / und gemainer Statt Gebäuen / als in denen mehristen / Burgerlichen Behausungen grosse Kornschütt erbauet / und zugerichtet seynd.“174 Abbildung 16: Donauverlauf bei Straubing im Luftbild (Süden am oberen Bildrand, Stadtzentrum im Bild oben, linke Bildhälfte)

Weder die Flussumleitung noch der Getreideumschlag waren Faktoren, die nur die Geschicke Straubings beeinflussten. Die prominente Thematisierung der „HerbeyAckerung der Thonau“ in der Historico topographica descriptio, ihre historische Rückdatierung vor eine urkundlich belegbare Zeitschwelle und das Unterbleiben den Handel des ganzen Römischen Reichs mit Österreich, und nicht zuletzt – in Zeiten des Krieges mit den Türken – die ganze Christenheit. Ebenda, S. 130. 174 Wening 1726, S. 3.

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der redaktionellen Korrektur einer tendenziell städtischen Straubinger Lesart der Lastenverteilung zwischen Kommune und Landesherren werfen Fragen auf. Sie tun dies umso mehr, als es stromabwärts – auch dies zeigen die Materialien, die in Vorbereitung der Topografie entstanden – Verlierer der politisch geförderten Konjunktur Straubings gab und diese in ihren Beiträgen zur Wening-Topografie einen expliziten Zusammenhang zwischen dem Umschlagrecht für Getreide und der Straubinger Donauumleitung herstellten. In der ersten Antwort der niederbayerischen Hofmark Irlbach auf Punkt 13175 des Fragebogens zur Informationserhebung führte Richter Johann Heindl im Jahre 1698 aus: „Hieryber ist weither nichts sonderbahres zu erleittern ausser das bey dieser an der Thonau gelegenen Hofmarch eine uralte Traidtanschidt zu erhalten, bey welcher schon von unfürdencklichen uralten Zeiten her nit allein von umbligenten Praelathen, denen vom Adl, Pfarrern und Burgern, wie nit weniger sowohl aus- als inlendischen Traidtkheufflern, sondern auch von dennen in dasselbig: underschidlichen Pfleggerichten unnd anderen Orthen nechst gelegenen Underthonnen das Getraidt an das Wasser gebracht unnd weiters verführt wirdet.“176

In einer zweiten Beschreibung von Schloss und Hofmark, die 1720 eingereicht wurde, ist dieser wirtschaftlich wichtige Faktor bereits mit Hinweis auf die Straubinger Flussumleitung als verloren gekennzeichnet. Zu Punkt acht des Fragebogens177 heißt es: „Kein anders Gewerb oder Handlschafft ist der Orthen nit als die uralt berechtiget Traidtschidt, die dem Vernemb nach aldo florieret und practicieret wordten, ehe und bevor man zu Straubing die Thonau zur Statt hinzue geackhert, wie dan die uralt Deggendorfisch Mautt Rechnungen contestieren, das es von unverdencklichen Jahren her jehe und allzeit ohne widerredt exercieret worden.“178 175 „Von Fruchtbarkkeit / Gesundheit / Freyheit / etc. deß Orths ob allda Haylbünnen / Wildbäder / Saltz- oder Aertz-Gruben zufinden. Item von Getraidt Kästen / Schranen / Niderlagen / etc.“ 176 „Erleütterung yber die vom churfürstlichen Landtgericht Straubing zu der hochfrayherrlich Köckhschen Hofmarch Irlbach weegen vorhabenter Landtbeschreibung yberschickte 15 Fragpuncten“, Hofmark Irlbach, 9. September 1698, BayHStA Stv 1051, fol. 10r–12r, hier 11v–12r. 177 „In was Kunst / Ubung / Gewerb / oder Handlung: Item / ob es am Getraidt / Wein / Gewild / Fischerey / Vichzigl / Bergwerck / etc. sonderbahr bekandt / und benambset?“ 178 „Beschreibung Yber des Schlos und Hofmarch Irlbach wie unnd welchergestalten dises situiret unnd in was vor Rentämbter und Gütter gehörig ist“, Irlbach 21. Juli 1720, BayHStA Stv 1051, fol. 14r–15r, hier 14v.

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Ihren Weg in den Druck fand diese Stellungnahme nur in lapidarer Kürze: „[…] Vor disem hat diser Orthen die Traidt-Anschütt sehr florieret, ehe und bevor man zu Straubing die Thonau zur Statt hinzuegeackeret.“179 Der unterschiedliche rhetorische Umgang mit Arrangements und Praktiken in den Beiträgen Straubings und Irlbachs folgt im Prinzip derselben Ratio. Beide bemühen die Anciennität als zentrales Argument für die Legitimation ihrer Position. Straubing datiert die konstruktiven Veränderungen des materiellen Arrangements viele Jahrhunderte zurück und verschafft damit nicht zuletzt der Praxis des Getreideumschlages historische Legitimation. Irlbach betont dagegen die Anciennität der Praxis des Getreideumschlages, die im Zusammenhang mit der Veränderung des materiellen Arrangements im flussaufwärts gelegenen Straubing in den Ruin gerät. Hinsichtlich der redaktionellen Berücksichtigung beider Stellungnahmen besteht ein Ungleichgewicht zugunsten Straubings. Auch die Repräsentation der an der Donau unterhalb Deggendorfs gelegenen und begüterten Benediktinerabtei Niederaltaich in der Historico topographica descriptio erscheint im Zusammenhang mit dem oben Skizzierten aufschlussreich. Da wäre zum einen die zum Klosterbesitz gehörige Hofmark Aicha an der Donau. Ihre Situation am Fluss wird von Pfarrer Georg Scherl recht schonungslos dahingehend beschrieben, „daß sich laider Aicha in ainen gar ellendten Standt befindte wegen grossen Misswachs unnd von Tag zutag weeg fressenden Thonau Stromb.“180 Diese Aussage findet sich im Druck weder im Rahmen einer eigenständigen Hofmarksbeschreibung noch im Rahmen des umfangreichen Eintrags zum Kloster Niederaltaich. Dort wiederum fallen dezente, aber nicht minder substanzielle Unterschiede zur Vorlage des Klosters auf. Während in der eingereichten Beschreibung der im Klosterbesitz befindlichen Orte Flintsbach, Aichberg, Thundorf und Aicha darauf hingewiesen wird, dass alle Hofmarksstatus besäßen und über eine „Tavern“ (Wirtshaus) verfügten, besitzt Aicha insofern eine Sonderstellung, als man erfährt, dass dessen „Tavern“ „wegen der alldortigen Traidt-Anschütt und zu mehrerer Bequemlichkeit der vorbeygehenden Wasserfuhren erst kurz verwichner Zeit so wol als die zu Nideraltaich“ vom derzeitigen Abt von Grund auf neu erbaut worden sei.181 Genau der Hinweis auf die Getreideniederlage, ein – wie oben skizziert – in der Region offenbar umstrittenes Arrangement, fehlt im Druck.182 Die Klosterbeschreibung thematisiert auch mit großer Offenheit die fluviale Dynamik der Donau und Praktiken des Umgangs mit dieser:

179 Wening 1723, S. 54. 180 Pfarrer Georg Scherl an Regierung von Straubing, Aicha, 24. August 1698, BayHStA Stv 1051, fol. 194rv, hier 194r. 181 Niederaltaich, BayHStA Stv 1056, fol. 222r–229v, hier 223r. 182 Wening 1726, S. 27.

176 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT „Die umb das Closter ligend Hofmarch, worinnen ein schönes ebenfahls neu erbautes Richter-Haus, und deren Gründt haben durch die starckh einreissende Thonau von Mans Gedenckhen her viles erlitten. Es ist auch disem und ferners besorgenden Unheyl durch ein sehr costbahres Arch- oder Schlacht Gebäu von anno 1705 bis 1715 zimlicher massen abgeholfen worden, nachdem zu solch grossen Werckh auch die hoche landtsfrstl. Obrigkeit in Ansehung deren eigenen wegen der schwären Saltzzüg darbey […] Cammeral-Interesse mitels des sogenanten Vassgroschen bey unterschidlichen weissen Brauhäusern nachdem erstens auf 20000 fl. gemachten Yberschlag zwey Trittel beyzuschiessen gnädigst resolviert, das Closter aber, weilen ersagter Anschlag bey weiten nicht zulänglich gewest, vil ein mehrers beytragen müssen.“183

Diese Passage wird weitgehend wortgleich in den Druck übernommen.184 Sowohl der Fluss als Bedrohung des ufernahen Klosterbesitzes als auch die baulichen Maßnahmen zu seiner Verbauung und die Beteiligung des Landesherrn, dessen Interesse an der Flussnutzung für die Salzschifffahrt herausgehoben wird, kommen zur Sprache. Im Druck fehlt aber der letzte Satzteil, der den kurfürstlichen Finanzierungsanteil relativiert und den klösterlichen herausstreicht. Die Betonung des klösterlichen Aufwandes für die Flussverbauung wird damit geradezu in ihr Gegenteil gewendet. Eine andere hydrografische Stichprobe führt zur Beschreibung Altöttings in der Historico topographica descriptio. Hier ist weniger die Gesamtbeschreibung des Wallfahrtsortes bemerkenswert; der Text zeigt eine starke thematische Asymmetrie zugunsten einer stellenweise ausufernden (Kirchen-)Geschichtsschreibung.185 Ähnliches gilt für die Beschreibung des örtlichen Jesuitenkollegs.186 Dagegen besticht die den „Situm loci“ des Franziskanerklosters betreffende Beschreibung im letzten Textdrittel durch eine präzise hydrografische Diskussion, die freilich nicht in den Druck gelangt:

„Betreffents den Situm loci ligt das Closter zwar in der Tieffe, doch auf einer schönen Ebene und hat gegen Mitternacht und Undergang der Sonnen ein ser annemlichen Prospect, auf welcher Seiten auch das Closter mit einem zimlichen Garten umbgeben und die mehrer Cellen hinaus gebaut seyndt, durch dessen Mitten der so genante Möhrnpach fliesset, welcher ober seinem Ursprung ser hell und klar, auch von Natur einen ser beliebigen Lauff habe und demnach dem Closter ein ser grossen Gut hat zu leisten das ansehen gewinnet. Weilen aber 183 BayHStA Stv 1056, fol. 223rv. Die Gesamtausgaben für das angesprochene Projekt hatten schon 1712 bei 30.000 fl. gelegen. Bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war durch das Kloster ein großer Schlachtbau errichtet worden, der der Donau im 17. Jahrhundert aber nicht mehr standhielt. Leidel et al. 1998, S. 136. 184 Wening 1726, S. 27. 185 BayHStA Stv 1047, fol. 154r–162v; Wening 1721, S. 28–30. 186 BayHStA Stv 1047, fol. 163r–166r; Wening 1721, S. 30–31.

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solcher oberhalb des Closters einer Wasser Wühr und unterhalb von einer Mühl ser eng eingesperrt, ist ihme durch den Garten und noch weiters hinab der schnelle Lauf fast gänzlich gehemmet worden und er mehr einer ubl riechenden Pfüzen als einem lauffenden wasser gleichete, welches dann einen ungesunden Geruch von sich gabe [sic!], auch die Wasser Geschlächt ganz underfressen. Disem Ubl ist doch dermahlen in etwas abgeholfen worden, doch nit ohne grossen Pau Kosten, in deme so lang der Garten, die Geschlächten ganz erneuert, die Tieffe ausgefüllt und durch und durch mit Khüsel beschittet worden, durch welches der Pach durch den closter garten widerumben einen ser lieblichen Lauf gewonnen, zu welchen Wasserpau aus gdister verwilligung der hechst gedachten Churfrtl. Drtl. aus Bayrn Maximiliani Emanueli pp. alles benöthigte Pauholz aus dem Oettinger Forst herbeygebracht und von hl. Capellen 500 fl. hergeschafft worden.“187

Die gesamte Schilderung der Hydrologie des Möhrnbachs, die durch benachbarte Arrangements bedingten Probleme und die wasserbaulichen Maßnahmen zu deren Behebung entfallen im Druck. Das Kloster, so erfährt man dort knapp, sei von einem Garten umgeben, durch dessen Mitte der Möhrnbach fließe, der „von seinem Ursprung sehr hell und klar / und demnach dem Closter wol anständig“ sei.188 Ein Gewässer, das zur „ubl riechenden Pfüzen“ wird, hat offensichtlich selbst dann keinen Platz in der Landesbeschreibung, wenn der maßgebliche landesherrliche Beitrag zur Problemlösung ins rechte Licht gerückt wird. In der Grafik ist der lineare Verlauf des im baulichen Umgriff des Klosters stark verbauten Baches erkennbar, ihm fällt aber bildprogrammatisch keine dominierende Stellung zu. Fazit Hydrografie bildet einen thematischen Schwerpunkt topografischen Beschreibens der untersuchten Werke. Diese Akzentuierung in der Repräsentation sozionaturaler Schauplätze speist sich nicht nur aus der zentralen Rolle, die namentlich Flussläufen in der kartografischen Darstellungspragmatik zukommt. Hydrografie wird in Text und Ikonografie als rhetorisches Mittel zur Strukturierung und Plausibilisierung territorialer Zusammenhänge sowie damit einhergehend zur Inszenierung einer ‚guten Ordnung‘ eingesetzt. Sie ist dabei – wie die Topografien des Donauursprungs zeigen – symbolisch aufgeladen und kann an naturemblematische Konzepte wie das der ‚natürlichen Grenzen‘ anknüpfen. Allerdings stört in einem Genre, in dem Wasserläufe das rhetorische Rückgrat der Inszenierung einer geografischen, politischen und sozialen Ordnung bilden, die Thematisierung fluvialer Dynamik, wie sie die vormodernen Schauplätze prägte. Fluviale Dynamik und die damit verbundene Prekarität gesellschaftlicher Existenz 187 BayHStA Stv 1047, fol. 167r–169v, hier: 169rv. 188 Wening 1721, S. 31–32.

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steht im Widerspruch zur idealisierend-statischen Repräsentation sozionaturaler Schauplätze. Bei aller Vielfalt der greifbaren darstellerischen Optionen lässt sich als Tendenz erkennen, dass Probleme und hydraulische Extremsituationen erst jenseits einer bestimmten Schwere der Ereignisse oder dann Eingang in die Topografie fanden, wenn sie bereits zuvor in der örtlichen Memoria monumentalisiert oder in der überregionalen Historiografie dokumentiert worden waren. Wie an der Apianschen Ingolstadt-Hydrografie oder der Weningschen Thematisierung des Flussumbaus der Donau bei Straubing ablesbar, spielte örtliche Memoria auch für die Repräsentation großformatiger Transformationen des sozionaturalen Schauplatzes Fluss eine wichtige Rolle. Anachronistisch gesprochen wird Umweltgeschichte im topografischen Weltbild zur legitimatorischen Begleitrhetorik soziopolitischer Aushandlungsprozesse.

3.3 S TADT UND U MWELT : S CHAUPLÄTZE VON S TATIK

UND

D YNAMIK

Städte bildeten einen privilegierten Gegenstand historisch-topografischer Beschreibung. Das Beispiel der schwäbischen Reichsstadt Biberach in Merians Topographia Sveviae (vgl. Kap. 3.1) zeigte bereits, dass die Stadt dabei nicht zwangsläufig und ausschließlich als eine von ihrem Hinterland isolierte „sekundäre“ Umwelt inszeniert wurde. Vielmehr konnten die Materialität eines Schauplatzes und die von der lokalen Gesellschaft getragenen Praktiken in ihrer ganzen Komplexität zur Darstellung gelangen, ohne dabei durch bauliche oder rechtliche Stadtgrenzen limitiert zu werden. Die Analyse der Stadtdarstellung in historisch-topografischer Literatur kann an kunsthistorische Diskussionen zur Stadtikonografie anknüpfen, wie sie in Kap. 2.2.3 referiert wurden. Sergiusz Michalski etwa macht in der neuzeitlichen Geschichte der Stadtansichten einen „andauernden Kampf zwischen den zunehmend zur Verfügung stehenden realistischen Darstellungsweisen und der in diesem Genre besonders ausgeprägten Neigung zur Typisierung und Schematisierung“ aus.189 Er erteilt einer „sich ausschließlich an den Kriterien des sogenannten Realismus (was immer das heißen mag) orientierende[n] Sicht“ eine Absage und spitzt zu, dass das Kriterium des Realismus auch im Fall der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts versage. Gleichzeitig warnt er aber vor dem anderen Extrem. Bereits zuvor war pointiert auf den nur vordergründigen Realismus des topografischen Stichwerks im 17. Jahrhundert hingewiesen worden. Dem Urteil Stephan Oettermanns zufolge seien solche Stiche, weil sie vor allem mit „optischen Kür-

189 Michalski 1999, S. 55.

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zeln“ arbeiteten, eher Landkarten als realistischen Landschaftsportraits verwandt.190 Sie böten zwar ein genau erkennbares Gesamtbild der jeweils abgebildeten Stadt. Indem sie aber markante Punkte überhöhten und überdeutlich zeigten, glichen sie „eher Karikaturen als Porträts der dargestellten Orte.“191 Die nicht zentralperspektivisch konstruierten Ansichten arbeiteten „nicht mit einem bestimmt gerichteten Blick, sondern mit topographischen Vorstellungen“.192 Genau an den Determinanten dieser Vorstellungen erscheint es mir jedoch ratsam anzusetzen. In der vorliegenden Studie wird die Produktivität und Plausibilität der kunsthistorischen Debatte um Realismus vs. Konstruktivismus nicht grundsätzlich in Abrede gestellt. Ihr wird aber bezogen auf die Stadtikonografie ein analytisches Konzept entgegengesetzt, das sich aus kultur- und umwelthistorischen Impulsen speist und das, wie bereits in Kap. 2.2.5 und 2.2.6 erörtert, geeignet scheint, eine dualistische und damit reduktionistische Perspektive auf das Realismus-KonstruktivismusProblem zu vermeiden. Dieses Konzept zeichnet sich durch zwei grundlegende Aspekte aus: zum einen durch ein analytisches Interesse am funktionalen Zusammenhang von textueller und (karto-)grafischer Beschreibung und zum anderen durch ein Verständnis von Umweltwahrnehmung als Repräsentation des Zusammenspiels von menschlichen Praktiken und materiellen Arrangements. Gerade in Anwendung auf den Gegenstand Stadt verspricht diese Perspektive in ihrer Breite analytischen Mehrwert. Im Folgenden soll, ausgehend von den Beschreibungen in den drei MerianTopografien zum oberen Donauraum (Topographia Sveviae, Topographia Bavariae und Topographia Provinciarum Austriacarum) eine Querschnittsuntersuchung verschiedener Beispielstädte unternommen werden, die jeweils ergänzend frühere und spätere historisch-topografische Werke sowie nicht topografisches Quellenmaterial in den Blick nimmt. Der Quellenlage entsprechend wird hierbei nicht bei jeder der untersuchten Städte gleich verfahren. So bietet im Falle Ulms die Beschreibung des Dominikaners Felix Fabri (1441/42-1502) aus dem späten 15. Jahrhundert193 in ih190 STEPHAN OETTERMANN: Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums. Frankfurt a. M. 1980, S. 22; vgl. stellvertretend für die Breite der Diskussion um die historische Stadtikonografie auch MICHAEL SCHMITT: Vorbild, Abbild und Kopie. Zur Entwicklung von Sehweisen und Darstellungsarten in druckgraphischen Stadtabbildungen des 15. bis 18. Jahrhunderts am Beispiel Aachen, in: Helmut Jäger et al.: Civitatum communitas. Studien zm europäischen Städtewesen. Festschrift für Heinz Stoob zum 65. Geburtstag, Bd. 1 (Städteforschung, Reihe A, Darstellungen 21). Köln, Wien 1984, S. 322–354; und Roeck 2006. 191 Oettermann 1980, S. 22. 192 Ebenda. 193 Fabri 1889; FELIX FABRI: Bruder Felix Fabris Abhandlung von der Stadt Ulm nach der Ausgabe des litterarischen Vereins in Stuttgart verdeutscht von Professor K. D. Haßler,

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rer Detailliertheit und Systematik eine paradigmatische Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes Stadt, so dass später folgende Werke und gerade auch Zeillers und Merians Ulm-Beschreibung nur vor dem Hintergrund von Fabris Traktat sinnvoll diskutiert werden können. Im Falle Regensburgs bieten dagegen die umfassenden chronikalischen Werke aus der Feder der orts- und archivkundigen Autoren Karl Theodor Gemeiner (1756-1823) und Christian Gottlieb Gumpelzheimer (17661841) eine Fülle von Aussagen zur stadtgeschichtlichen Entwicklung, die es ermöglichen, besondere Schwerpunktsetzungen und blinde Stellen der Merian-Topografie kontrastiv zu ermitteln und einzuordnen. Schließlich wird mit München eine Residenzstadt in den Blick genommen, die sich über herrschaftliche Gartenkultur und jagdliche Infrastruktur in spezifischer Weise in die umgebende Landschaft eingeprägt hat. Hier lohnt der Vergleich der Repräsentation des Schauplatzes in der Merian-Topografie als landfremder Publikation des 17. Jahrhunderts mit der herrschaftsnahen Topografie Michael Wenings (1645-1718), die an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert entstanden ist, und schließlich mit der in aufklärerischem Impetus auftretenden und aus sozioökonomischen Reformanliegen heraus verfassten statistischen Landesbeschreibung Joseph von Hazzis (1768-1845), die zwischen 1801 und 1808 erschienen ist. Bei der in diesem Kapitel unternommenen Analyse der Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes Stadt spielen einmal mehr hydrografische Themen, wie sie bereits im Fokus des vorigen Kapitels dieser Untersuchung standen, eine nicht unerhebliche Rolle. Diese Schwerpunktsetzung sei nicht als Redundanz verstanden, denn sie trägt der Natur des Gegenstandes, der Stadt im „Zeitalter des Wassers“194, Rechnung. So hat André Guillerme seine Pionierstudie zur urbanen Umweltgeschichte nordfranzösischer Städte zwischen 300 und 1800 betitelt. Er zeichnet das Bild einer geradezu existenziellen Verbindung zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung der mittelalterlichen Stadt und der Nutzung intra- und extraurbaner Wasserläufe.195 Zwar sieht Guillerme die Frühe Neuzeit als Stagnationsphase, in der Kriegführung, die damit einhergehende bauliche Entwicklung der Stadtbefestigung, aber auch der Klimawandel zum Um- und Abbau hydraulischer Infrastrukturen und zum Verlust fluvialer Dynamik geführt hätten.196 An der grundsätzlichen Bedeutung des Wassers in der Stadt, um die Stadt herum und für die Stadt lässt er aber dennoch auch für diese Zeit keinen Zweifel. Eine derart prioritäre Bedeutung spiegelt sich in den topografischen Beschreibungen der Stadt, bzw. regt für diejenigen Toin: Mitteilungen des Vereins für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben (1909), S. 1–141. 194 ANDRÉ E. GUILLERME: The age of water. The urban environment in the North of France, A.D. 300-1800 (Environmental history series 9). College Station 1988. 195 Ebenda, S. 116–117. 196 Ebenda, S. 136–137.

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pografien zu Nachfragen an, in denen sie nicht entsprechend sichtbar wird. Daher steht das erneute Aufgreifen hydrografischer Stoffe in diesem Kapitel im Dienst der Erweiterung und der Einordnung des bisherigen Befundspektrums. 3.3.1 „Ideo terrarum et aquarum descriptores omnes ponunt Ulmam esse in capite Danubii […]“197: Ulm – oberster Donauhafen und protestantische Idealstadt Mit rund 21.000 Einwohnern um 1600 und noch rund 13.500 Einwohnern nach dem Dreißigjährigen Krieg198 war die Freie Reichsstadt Ulm in der Entstehungszeit von Merians Schwabentopografie die größte Donaustadt westlich des Lechs und eine der größten und wichtigsten Städte des süddeutschen Donaueinzugsgebiets. Ulm als Gegenstand der frühneuzeitlichen historisch-topografischen Literatur kommt insofern eine Sonderstellung zu, als der humanistische Reiseschriftsteller und Ulmer Dominikanermönch Felix Fabri (1441/42-1502)199 die Stadt bereits im späten 15. Jahrhundert mit einer außergewöhnlich detaillierten Beschreibung gewürdigt hat, die in ihrer systematischen Anlage besticht und die späteren Beschreibungen als Vorbild und Vorlage diente. Zurecht hat Harald Olbrich auf die unmittelbare Verbindung hingewiesen, die laus und descriptio in diesem Text eingingen.200 Er folgert daraus, den Text aus dem Blickwinkel der Städtelob-Literatur zu lesen. Dass die Trennunng von laus und descriptio in zeitgenössischen topografischen Texten

197 Fabri 1889, S. 16; Fabri 1909, S. 11. 198 ERICH KEYSER (HG.): Württembergisches Städtebuch (Deutsches Städtebuch 4). Stuttgart 1962, S. 264; HANS EUGEN SPECKER: Ulm. Stadtgeschichte. Sonderdruck aus ‚Der Stadtkreis Ulm‘. Amtliche Kreisbeschreibung. Herausgegeben von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit der Stadt Ulm. Ulm 1977, S. 168-169, 230. Nach einem Wiedererreichen des Vorkriegsstandes in den 1680er Jahren folgte eine von wirtschaftlichen Problemen begleitete Bevölkerungsabnahme bis auf 11.809 Einwohner in der ersten Württembergischen Zählung 1810/11. 199 Vgl. PAUL-GUNDOLF GIERATHS OP: Fabri, Felix, in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 726-727 [Onlinefassung]. http://www.deutsche-biographie.de/pnd11853 1719.html, Stand: 14.03.2011; HARALD OLBRICH: Frater Felix Fabris Stadtlob von Ulm, in: FRANZ JÄGER/HELGA SCIURIE/FRIEDRICH MÖBIUS (HG.): Gestalt, Funktion, Bedeutung. Festschrift für Friedrich Möbius zum 70. Geburtstag. Jena 1999, S. 133–142; Specker 1977, S. 78. 200 Olbrich 1999, S. 133.

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selten klar zu ziehen ist, unterliegt keinem Zweifel.201 Dennoch steht Fabris Beschreibung im Folgenden als topografischer Text zur Diskussion. Der umfangreiche Tractatus de civitate Ulmensi, de eius origine, ordine, regimine, de civibus eius et statu versammelt eine Fülle von Informationen zur Gründungsgeschichte, Entwicklung, sowie politischen und gesellschaftlichen Verfassung Ulms.202 Besonderes Augenmerk verdient in unserem Zusammenhang das Kapitel „De forma vel facies civitatis ulmensis“.203 Das Kapitel von Gestalt und Gesicht der Stadt – auch dies ein Anthropomorphismus – beginnt mit der Feststellung, Ulm liege gleichsam einem Kreis eingeschrieben am Ufer der Donau.204 Der Stadtbefestigung folgend, die diesen Kreis beschreibt, wird die Stadt dann in ihrer baulichen Struktur, Lage und hydrografischen Verfasstheit eingehend beschrieben. Harald Olbrich unterstreicht die Bedeutung der Stadtbefestigung und des Topos von Kreis und Zentralität für Fabris Beschreibung.205 Letzterer diene nicht nur als Chiffre des Städtelobs, in der rhetorisches Mittel der Orientierung im Raum und der Inszenierung der Verbindung von Stadt und Umland. Lage und Hydrografie werden auch in ihrer Bedeutung für die Materialströme in die Stadt hinein und aus dieser hinaus intensiv verhandelt. Auch Fragen des urbanen Umgangs mit fluvialer Dynamik bilden einen bemerkenswert detailliert abgehandelten Gegenstand. Fabri attestiert Ulm – in der Tradition des Städtelobs durchaus gattungsüblich – eine außerordentliche Gunstlage, und er begründet diese Feststellung sowohl hydrografisch als auch topografisch.206 Fabri geht auch auf den 201 Zu einer bemerkenswert kritischen zeitgenössischen Reflexion der Grenze zwischen laus und descriptio vgl. weiter unten die Ausführungen Wolfgang Lazius’ (1514-1565) in Kap. 3.3.5. 202 Fabri 1889; Fabri 1909. 203 Fabri 1889, S. 42–52; Fabri 1909, S. 29–36. 204 Fabri 1909, S. 29. 205 Olbrich 1999, S. 136. 206 „Magnam commoditatem simul cum decore civitatis recipit Ulma de aquis iuxta eam confluentibus, de quibus dictum est. Nam ab Hylaro recipit ligna; a Danubio diversa mercimonia desursum, singulariter tamen ferrum, per ipsum etiam remittit aliis gentibus sua. Blauius vero nihil navigiis inducit nec abducit, sed per se ipsum plurimam salutem civitati affert, […] Insuper praeter aquas delectabili latitudine per gyrum cincta est Ulma, a quatuor plagis latas valles habens, nam ab oriente et occidente vallem amoenissimam Danubii habet, ab aquilone autem vallem Blauii, qui per amoenissima arva decidit, et ab austro vallem fertilissimam Hylari, inter occidentem autem et aquilonem sancti Michaelis montem fructuosum et solatiosum habet, ut terra Ulmensis non sit nimia latitudine taediosa, nec nimia monuostate angusta. Et tantum de exteriori forma et dispositione civitatis.“ Fabri 1889, S. 49–51; „Eine große Annehmlichkeit zugleich mit einem Schmuck der Stadt erhält Ulm durch die in ihrer Nähe zusammenflie-

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zu seiner Zeit wichtigsten Wirtschaftszweig der Stadt, die Barchentherstellung, ein, die der Stadt in den vergangenen Jahren wunderbare Einkünfte beschert habe. Das Bleichen der Tücher erforderte Bleichfelder außerhalb der Mauern. Auch diese Arrangements tragen hydrografisches Gepräge. Sie werden vom Autor im Bereich nördlich des Roten Turms außerhalb des Stadtgrabens verortet, wo sie ihrerseits von einem Graben mit fließendem Wasser umgeben seien.207 Fabri beschreibt also auf der Basis seiner Ortskenntnis die erforderlichen Arrangements für den komplexen Bleichvorgang, der aus verschiedenen Wasch-, Spül- und Trocknungsprozessen bestand und für den Wiesenflächen ebenso notwendig waren wie fließendes Wasser,208 und thematisiert ihre Funktionalität. Er vergisst dabei nicht, die Barchentbleiche ökonomisch zu kontextualisieren. Die Stadt erlöse, so Fabri, von jedem der rund 9000 dort gleichzeitig zur Bleiche ausliegenden Tücher mindestens 3 solidi.209 Während eines Sommers würden rund 60.000 Tücher gebleicht.210 Fabri zitiert in diesem Zusammenhang ein Sprichwort, das besage, es gebe wohl weder in Schwaben noch in Italien oder Frankreich eine Stadt, die über einen so köstlichen Rosengarten verfüge wie Ulm, wo ein großes mit weißen Blüten bestücktes Feld sei, von dem tausende Menschen – arm und reich – lebten.211 In der Gesamtbilanz des Kapitels bei Fabri ist es augenfällig, in welchem Ausmaß der hydrografische Aspekt die Beschreibung dominiert. Zunächst erfährt der Leser von den zwei Stadttoren im Süden Ulms, dem Metzgertor und dem zur Donaubrücke führenden Herdbruckertor.212 Der Name des Letzteren wird von Viehherden abgeleitet, die auf den ausgedehnten Feldern jenseits der Donau geweidet würden. Es folgen das nach Osten führende Gäns- oder Grießtor, das nach Norden ßenden Gewässer, von denen schon die Rede war. Denn von der Iller erhält es Holz, von der Donau verschiedene Waren […], besonders jedoch Eisen von oben herab, und auf der Donau selbst schickt es seine Waren auch anderen Völkern zu. Die Blau aber führt nichts auf Schiffen weder herbei noch fort, sondern bringt durch sich selbst der Stadt sehr viel Gutes; […] Überdies ist Ulm außer den Gewässern mit erfreulicher Breite rings umgeben, indem es auf 4 Seiten breite Täler hat; denn im Osten und Westen hat es das anmutigste Tal der Donau, im Norden aber das Tal der Blau, die durch die anmutigsten Gefilde herabrinnt, und im Süden das überaus fruchtbare Tal der Iller, zwischen Westen aber und Norden hat es den fruchtbaren und wonniglichen Michelsberg, so daß das Ulmer Land nicht durch allzu große Ausdehnung widerwärtig und nicht durch allzuviele Berge beengt ist.“ Fabri 1909, S. 34–35. 207 Fabri 1889, S. 47; Fabri 1909, S. 32. 208 Vgl. Guillerme 1988, S. 142. 209 Fabri 1889, S. 47; Fabri 1909, S. 32–33. 210 Fabri 1889, S. 48; Fabri 1909, S. 33. 211 Fabri 1889, S. 48; Fabri 1909, S. 33. 212 Fabri 1889, S. 42–43; Fabri 1909, S. 29.

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weisende Frauentor, das die Stadt nach Westen zum Dorf Gögglingen hin öffnende Gögglinger- oder Glöglistor sowie das zwischen Gögglinger Tor im Westen und Frauentor im Norden gelegene Neue Tor.213 Der hohe und mächtige Fischerturm an der Südwestecke der Stadt stehe mit einem ihm angeschlossenen Festungsvorwerk direkt an bzw. in der Donau. Enge vergitterte Öffnungen entlassen hier einen Teil des kanalisiert durch die Stadt verlaufenden Flusses Blau in die Donau. Direkt in der Donau gegründet und ihrer reißenden Strömung ausgesetzt, führe die starke sogenannte Neue Mauer vom Fischerturm zur Herdbrücke.214 Diese Mauer hindere einerseits die Donau daran, sich in die Stadt zu ergießen, andererseits werde die Blau durch dieselbe Mauer davon abgehalten, sich vorzeitig mit der Donau zu vereinigen. Letzteres geschehe durch eine Reihe von Öffnungen in der Mitte der Mauer, über deren größter Öffnung ein Turm angebracht sei, Sitz eines ständigen Wächters. Dieser gewährleiste auf Anruf auch einen Fährdienst über die Donau. Reisende könnten so per Schiff in die Stadt gelangen, wenn sie die Schließzeit der Tore verpasst hätten. Auch Boten in dringenden Angelegenheiten passierten hier.215 Fabris Ausführungen zur Herdbrücke erwähnen die Herausforderung, die die reißenden Fluten der Donau für das Bauwerk darstellten.216 Es bedürfe starker Fundamente. Wiederholt sei die Brücke vom Hochwasser weggerissen worden. Vorbereitungen der Ulmer zum Bau einer steinernen Bogenbrücke habe der Fluss durch ein plötzliches Hochwasser zunichte gemacht. Der Fluss könne so stark anschwellen, dass das Wasser – wie 1347 geschehen – durch das Tor in die Stadt dringe. Um dem Hochwasser standzuhalten, müsse der hölzerne Brückenaufbau schwer sein. Dies sei ein Grund für die beiden turmartigen Gebäude auf der Brückenmitte. Die Vorstädte auf dem gegenüberliegenden Donauufer werden auch in ihrer funktionalen Bindung an den Fluss geschildert.217 Unterhalb der Walkersiedlung befinde sich die Werkstatt der Ulmer Zimmerleute und wiederum unterhalb sei die Stelle zu finden, an der die Abfälle der Stadt, Unrat und Bauschutt in den Fluss entsorgt würden. Hier sei auch der erste und oberste Hafen der Donau, von dem aus Schiffe, Flöße und Triftholz flussabwärts abgeführt würden, während Schiffe von Bayern aus flussaufwärts hier ankämen. Weiter flussaufwärts sei keine Schifffahrt möglich. Fabris Beschreibung kehrt an dieser Stelle zurück auf das städtische Ufer und folgt weiter dem Verlauf der Stadtbefestigung, deren Struktur aus Mauer, Vorwerken, Wall- und Graben detailliert beschrieben wird. Auch die funktionale Einbin-

213 Fabri 1889, S. 43–44; Fabri 1909, S. 29–30. 214 Fabri 1889, S. 44; Fabri 1909, S. 30. 215 Fabri 1889, S. 44–45; Fabri 1909, S. 30–31. 216 Fabri 1889, S. 45; Fabri 1909, S. 31. 217 Fabri 1889, S. 45; Fabri 1909, S. 31.

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dung der Blau in die Wasserführung des Grabens wird erläutert.218 Ferner kommen die Baustruktur und Funktion weiterer Tore und Türme zur Sprache, während gleichzeitig die Lage verschiedener Gebäude zur Stadtbefestigung und zum Fluss geklärt wird. Entfernungs- und Richtungsangaben präzisieren die Lageangaben v. a. zur Donau. Aus der Beschreibung des Schuldturms (arx malefactorum) und des quasi als Vorwerk zu diesem errichteten „Neuen Turms“ wird einmal mehr die Integration des Flusses in die urbanen Arrangements deutlich.219 Unter Berufung auf Hörensagen erwähnt Fabri eine Wassergrube im Untergrund des Neuen Turms, in der nicht öffentliche Hinrichtungen durch Ertränken durchgeführt würden.220 Auch von der Nähe des städtischen Spitals zur Stadtbefestigung und zur Donau ist zu lesen.221 Bereits zuvor, im Kapitel zum Wiederaufbau und zur Erweiterung der Stadt nach 1140, hatte Fabri von der Verlegung des Spitals in Wassernähe aus hygienischen Gründen berichtet,222 einem Vorgang, den Guillerme als gängig im Hygienemanagement mittelalterlicher Städte ausweist.223 Fabris Leserschaft erfährt ferner von einer Pulvermühle, untergebracht in einem zur Donau orientierten Vorwerk, dem Dietrichsturm, und von einem Gebäude, in dem ein sehr großer, wassergetriebener Holzbohrer in der Lage sei, selbst starke Balken zu durchbohren.224 Fabri preist Ulm als Stadt von außergewöhnlicher Reinlichkeit und hebt namentlich die Arrangements zur Ver- und Entsorgung von Wasser bzw. Abwasser hervor.225 Röhren und Brunnen in der Stadt böten nicht Regenwasser, sondern nie versiegendes sauberes Quellwasser; anders als in anderen Städten verursachten Kloaken und Abtritte keinen Gestank, da alles in unterirdischen Kanälen abgehe.226 Die Zahl der Brunnen, so folgert Olbrich, fungiere als Beglaubigungsmittel des Städtelobs.227 Den Flüssen Donau, Iller und Blau wird eine zusammenhängende, relativ umfangreiche Textpassage gewidmet, die sich sowohl durch den ausgeprägten Anthro218 Fabri 1889, S. 45; Fabri 1909, S. 31. 219 Fabri 1889, S. 45; Fabri 1909, S. 31. 220 Fabri 1889, S. 45; Fabri 1909, S. 31. 221 Fabri 1889, S. 46–47; Fabri 1909, S. 32. 222 Fabri 1889, S. 33; Fabri 1909, S. 23. 223 Vgl. Guillerme 1988, S. 101–105. 224 Fabri 1889, S. 47–48; Fabri 1909, S. 33. 225 Fabri 1889, S. 51–52; Fabri 1909, S. 35–36. 226 „Studio ingenti servatur civitas in mundita, nec sunt ibi cloacarum et latrinarum foetores sicut alibi, sed per subterraneos meatus omnia transeunt.“ Fabri 1889, S. 52; „Mit großem Eifer wird die Stadt in der Reinlichkeit erhalten und es gibt da keinen Gestank der Kloaken und Abtritte wie anderwärts, sondern durch unterirdische Gänge geht alles ab.“ Fabri 1909, S. 36. 227 Olbrich 1999, S. 135.

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pomorphismus der Schilderung als auch durch die sehr detaillierte Behandlung von Potenzialen und Problemen der urbanen Existenz an und mit den besprochenen Flüssen auszeichnet. Während Ulm von der Iller Holz und von der Donau verschiedene Waren, v. a. Eisen, erhalte, führe die Blau nichts auf Schiffen heran oder fort; vielmehr nutze sie der Stadt durch sich selbst. Sie dringe „gleichsam als ein zum Haus gehöriger, mächtiger Bürger ein, bespült die Stadt selbst, führt den Schmutz ab, mahlt das Mehl, speist alle Gassen mit ihrem Wasser und unterbricht ihre Dienste nie auch nur für einen Augenblick, auch wird sie keinen andern Weg oder Stromrichtung nehmen können als mitten durch Ulm.“228 Das letzte hier benannte Detail unterstreicht, dass Fabris Beschreibung bei aller anthropomorphen Ausschmückung auf einer äußerst rationalen und praxisorientierten Bestandsaufnahme beruht. Denn auch die Optionen fluvialer Dynamik werden erörtert. Es wird darauf hingewiesen, dass die spezifische Geo- bzw. Hydromorphologie die Blau daran hindere, einen anderen Verlauf als den durch die Stadt hindurch zu nehmen. Dies, so Fabri weiter, unterscheide sie von der Donau, die von der Stadt abgelenkt werden könne. Fabri erwähnt in diesem Zusammenhang Pläne des Ulm feindlich gesonnenen Herzogs von Bayern, die Iller umzuleiten, um so ihre Donaumündung lokal zu verändern und beide Flüsse auf diese Weise für die Nutzung durch die Reichsstadt unbrauchbar zu machen.229 Dass derlei hydraulische Eingriffe großen Maßstabs auch unter vormodernen Bedingungen durchaus im Bereich des Möglichen lagen, verdeutlicht das Beispiel der Sossauer Schlacht bei Straubing, das in Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit bereits erörtert wurde. Auch Extremsituationen fluvialer Dynamik finden – einmal mehr stark anthropomorph stilisiert – Eingang in Fabris Ulm-Beschreibung. Die Blau zeigt sich dabei nach Fabri in der Lage, ihren Charakter grundlegend zu wandeln. Sie renne dann „anschwellend, gleichsam im Zorn, in der Wut und Raserei gegen die Stadt nicht als Bürger und Hausgenosse, sondern als der schrecklichste Feind heran, durchbricht und verwüstet in stürmischem Getöse was sie findet, und erfüllt alles plötzlich.“ Umfangreich wird das Beispiel eines Hochwassers im Jahre 1461 thematisiert.230 Die Blau sei plötzlich angeschwollen; sie sei in rasendem Lauf gegen die Mauern und die zu kleinen Maueröffnungen angestürmt, habe alle Mühlräder sowie 228 Fabri 1909, S. 34. „[…] ideo non ab extra civitatem transit, sed contra eam currens ingreditur tanquam domesticus et potens civis, ipsam civitatem alluit, sordes abducit, farinam molit, vicos omnes aquis suis alit, et nunquam ad momentum servitia sua intermittit, nec viam aut grugtem alium facere poterit, nisi per mediam Ulmam.“ Fabri 1889, S. 50. Olbrich identifiziert Enea Silvio Piccolominis Basel-Beschreibung von 1438 als mögliches literarisches Vorbild für Fabris hydrografische Ausführungen zur Blau Olbrich 1999, S. 135–136. 229 Fabri 1889, S. 50; Fabri 1909, S. 34. 230 Fabri 1889, S. 50–51; Fabri 1909, S. 34–35.

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die Bänke und Werkzeuge der am Wasser arbeitenden Gewerbe zerstört. Sie habe, zwölf „Häuser von Grund aus zerstörend, alle Brücken als grausamster Plünderer und Einbrecher von der Stadt weg als reichste der Stadt Ulm geraubte Beute an Holz den Baiern und Östreichern“ zugeführt, wodurch der Stadt im Zeitraum einer einzigen Stunde ein Schaden von über 10.000 Gulden entstanden sei.231 Als Konsequenz aus dem Ereignis seien die Durchflussöffnungen in der Stadtmauer erweitert worden. Auch die Iller sei, von den Bergen herab kommend, zu sprunghaft ansteigenden Hochwassern in der Lage, dringe dann auf die Mauern ein, zerreiße Flöße, erschüttere Brücken und schwemme diese weg und bringe die Stadt in Unruhe.232 Ähnliches wird für die Donau berichtet, die, wenn sie durch Regengüsse anschwelle, alles zerstöre, was sie berühre, „und neue Rinnsale durch die Felder, Gärten und Wiesen reißend“ die Erde unterwühle und sie mit sich nehme.233 Nur weil nie alle drei Flüsse gleichzeitig Hochwasser führten, so mutmaßt Fabri, könne die Stadt den Fluten standhalten. Eine militärische Belagerung Ulms sei aufgrund seiner hydrografischen Lage schier unmöglich. Fabri expliziert in dieser Charakterisierung die verschieden verlaufenden Hochwasserszenarien der drei Flüsse und differenziert dabei entsprechend die unterschiedlichen Störungen des sozionaturalen Schauplatzes bzw. die unterschiedlichen Schadenssachverhalte. Einmal mehr zeigt sich die anthropomorphe Schilderung weniger als ornamentale Konstruktion denn als mediales Vehikel einer empirisch informierten, präzisen hydrografischen Beschreibung. Es wäre sicher falsch, allein das hier vorgestellte Kapitel als Ausweis einer starken Repräsentanz der materiellen Dimension des sozionaturalen Schauplatzes in Fabris Ulm-Traktat zu werten. Nicht nur hier werden naturräumliche Details wie die Ulmer Flüsse thematisiert – so ist etwa der Hydrografie der Blau an anderer Stelle ein eigener Abschnitt gewidmet.234 Auch nimmt die in diesem Kapitel fokussierte Topografie im Vergleich zu den zahlreichen anderen im Traktat verhandelten historischen, sozioökonomischen, politischen und kirchengeschichtlichen Stoffen keine prominente Stellung ein. Für sich betrachtet fällt an dem Kapitel zweierlei auf, was für den Vergleich mit späteren Publikationen festzuhalten ist. Erstens: Der hier repräsentierte sozionaturale Schauplatz Ulm ist hydrografisch verfasst. Informationen zum Zusammenspiel von Fluss und Stadt spielen eine dominante Rolle. Andere Aspekte der umgebenden Geomorphologie und Landnutzung bleiben im Kapitel dagegen von untergeordneter Präsenz. Zweitens: Der sozionaturale Schauplatz ist empirisch verfasst. Bei aller von Fabri in die Schilderung eingebrachten Buchgelehrsamkeit bildet die Detailliertheit und Fülle offensichtlich durch Autopsie 231 Fabri 1889, S. 50; Fabri 1909, S. 34–35. 232 Fabri 1889, S. 50; Fabri 1909, S. 35. 233 Fabri 1889, S. 50–51; Fabri 1909, S. 35. 234 Fabri 1889, S. 194–202; Fabri 1909, S. 131–137.

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gewonnener Informationen – gerade über die komplexe Hydrografie der Stadt – eine bemerkenswerte Eigenschaft der Beschreibung. Verschiedene andere ältere topografische Beschreibungen thematisieren Ulm eher skizzenhaft. Ladislaus Sunthayms Aufzeichnungen widmen sich Ulm nur kurz, geben aber einen im Sinne des landeskundlichen Schemas vergleichsweise vollständigen Überblick.235 Ulm, „vorzeitten ain dorff des Abbts aus der Reichenaw unnd itzunt ain mechtige reichstat“, liege an der Donau und werde von der Blau durchflossen. Auch die Mündung der Iller in der Gegend des Galgenberges erfährt Erwähnung.236 Es sei eine befestigte und wehrhafte Stadt mit vielen Kirchen, Priestern und Klöstern.237 Durch eine Aufzählung der in und um Ulm angesiedelten Klöster kommt dem kirchlichen Bereich in der Beschreibung eine gewisse Dominanz zu, was bei weit geringerem Gesamtumfang dem Fabri-Traktat nicht unähnlich ist. Um die Stadt herum, so Sunthaym weiter zur Lage, gebe es „schone ebene veld, zu reyttenn unnd zu gen.“238 Der hier kultivierte Michelsberger Wein sei qualitativ mit dem Kelheimer Wein vergleichbar. In Ulm mache man auch den besten Barchent. Hierzu gebe es „schone plaich heyser“. Direkt im Anschluss äußert sich Sunthaym ethnografisch: „unnd ist hoffartig volckh unnd schon frawen da, da vonn ist ain sprich wort: unnd kam ain saw vonn Ulm, sy hett ain krumen swanntz, den ain annder saw veld“.239 Ebenso kurz wie bei Sunthaym ist der Eintrag zu Ulm in der 1493 erschienenen Schedelschen Weltchronik.240 Aber die spezifische Hydrografie der Stadt, die Zufuhr von „groß und vil mercklichs zymmer und prenholtzs“ auf der Iller, der Durchfluss der Blau und die Lage an der schiffreichen Donau, die „reich an wolgeschmachen vischen“ sei, bildet auch hier einen Schwerpunkt der Beschreibung.241 Wohlgemerkt: Es handelt sich zwar um Arrangements, deren Beschreibung im Zuge des Themenkanons von Städtelob und Topografie durchaus 235 Uhde 1993, S. 282–283. 236 Ebenda, S. 283. 237 Ebenda, S. 282. 238 Ebenda. 239 Ebenda. 240 HARTMANN SCHEDEL: Weltchronik. Kolorierte Gesamtausgabe von 1493, Einleitung und Kommentar von Stephan Füssel. Nürnberg 1493 [ND Köln u. a. 2001], CXCvCXCI. 241 „An einem ort der mawrn fleußet hin ein schiffreich wasser die Thonaw reich an wolgeschmachen vischen. darein rynnet auch oberhalb der statt ein mercklich wasser mit namen gennt die yller. Auff dem wasser der statt. auch an andere ende darneben und darundter gelegen groß und vil mercklichs zymmer und prenholtz zugefüert wirdet. Es rynnet auch darein durch die statt der fluß des wassers die plaw genannt. Darzu ist dise statt mit tieffen greben und hohen thürnen bewaret unnd mit zierlichen hewßern erfüllet.“ Ebenda, CXCI.

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topischen Charakter besitzt. Die spezifische Zuspitzung des Themas kann aber durchaus als lokales Distinktionsmerkmal verstanden werden. Einen engen Bezug zu dieser thematischen Ausrichtung der textuellen Beschreibung hat auch die Ansicht in der Schedelschen Weltchronik (Abbildung 17), die im Gegensatz zu anderen Schauplätzen keine austauschbare Stadtschablone, sondern eine Fülle lokalspezifischer Arrangements inszeniert. Diese grafische Repräsentation ist von einer bemerkenswert präzisen Bezugnahme auf die konkrete Lage und Baustruktur Ulms.242 Es handelt sich um eine von einem leicht erhöhten fiktiven Standort auf der Donausüdseite aus aufgenommene Profilansicht mit der Donau, Flößern und Schiffern, der bebauten Herdbrücke sowie dem Gegenufer im Bildvordergrund, dem Mauerverlauf, seinen vergitterten Blau-Durchlässen und dem Herdbrucker Tor im Bildmittelgrund sowie dem Michelsberg im Bildhintergrund. Dieser Holzschnitt prägte einen vielfach übernommenen Darstellungstyp, der u. a. von Hans Rudolf Manuel, gen. Deutsch (1525-1571),243 für eine Ansicht aufgegriffen wurde, die ab der 13. Auflage (1574) in Münsters Cosmographia abgedruckt wurde (Abbildung 18).244 Abbildung 17: Michael Wolgemut/Wilhelm Pleydenwurff, Ulma, Weltchronik, 1493

In der frühen, 1545 erschienenen Ausgabe von Münsters Cosmographia beschränkt sich die textuelle Beschreibung Ulms auf Historisches.245 Das Bildprogramm, das noch keine Gesamtansicht der Stadt, sondern eine Bauszene eines Einzelgebäudes

242 HANS EUGEN SPECKER: Ulm, in: WOLFGANG BEHRINGER/BERND ROECK (HG.): Das Bild der Stadt in der Neuzeit. 1400-1800. München 1999, S. 392–395, hier 392–393. 243 Vgl. CORINNA RÖSNER: „Manuel Hans Rudolf“ in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 97f. [Onlinefassung]. http://www.deutsche-biographie.de/pnd104242337. html, Stand: 15.03.2011. 244 Specker 1999, S. 393. 245 Münster 1545, S. CDLXXXIX–CDXC.

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bietet, trägt keine ausschließlich Ulm zuzuordnende Motivik und nimmt vermutlich auf den auch im Text beschriebenen Bau des Ulmer Münsters Bezug. Dieses für die Stadtgeschichte zentrale Projekt bezieht auch Johann Stumpff, hierbei explizit auf Felix Fabri verweisend, in die Darstellung seiner Schweizer Chronik ein.246 Peter de Berts (1565-1629) Commentarii rerum Germanicarum aus dem Jahre 1616 präsentiert Ulm in Text und Bild (Abbildung 19).247 Die Ikonografie, eine an Braun/Hogenberg angelehnte Stadtansicht von Norden aus, zerfällt in eine aus leicht überhöhter Position perspektivierte Profilansicht der Stadt vor hügeligem Bildhintergrund und einen in stärker überhöhter Draufsicht dargestellten Bildvordergrund mit parzellierten Acker- und Gartenflächen. Abbildung 18: Hans Rudolf Manuel, Wahrhaffte Contrafehtung der Reichstatt Ulm, Cosmographia, 1598

Diese Darstellung der Donau abgewandten „Landseite“ besitzt weder für die städtische Baustruktur noch für die lokale Hydrografie besondere Aussagekraft und ist

246 Stumpff et al. 1606, S. 105v. 247 PETRUS BERTIUS: Commentarii rerum Germanicarum / Commentariorum rerum Germanicarum libri tres / primus est Germaniae veteris, secundus, Germaniae posterioris, a Karolo Magno ad nostra usq[ue] tempora, cum Principum Genealogys, tertius est praecipuarum Germaniae Urbium cum earum Iconismis et Descriptionibus. Online-Ausgabe, Amsterdam 1616. http://www.uni-mannheim.de/mateo/camenaref/bertius1.html, S. 707– 709, Stand: 13.10.2011.

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obendrein in der bei de Bert veröffentlichten Form von einer künstlerisch eher einfachen, wenig detaillierten Ausführung. Inwieweit die Darstellung stadtnaher Gärten als bewusstes Arbeiten mit einer sterotypen Symbolik zur Inszenierung der Fruchtbarkeit des Ulmer Territoriums zu werten ist, sei dahingestellt. Ein mögliches Potenzial der Stadtdarstellung von Norden her, die Visualisierung der bei Fabri umfänglich besprochenen Bleichen, wird nicht systematisch genutzt. Motivisch steht die Ansicht von Norden her in der Bildtradition eines Ölgemäldes des Ulmer Stadtmalers Georg Rieder d. Ä. (gest. 1564), der dieses zur Erinnerung an die Belagerung der Stadt im Fürstenkrieg 1552 geschaffen hatte.248 Die Radierung seines gleichnamigen Neffen Georg Rieder d. J. (gest. 1575) von 1570 inszeniert dieselbe Perspektive in Friedenszeiten.249 Parzellierte Gärten und Staffagefiguren, die zivilen Betätigungen nachgehen, füllen das Bild. Über die Braun/Hogenbergschen Civitates Orbis Terrarum gelangte dieser Darstellungstyp in zahlreiche weitere Werke,250 u. a. wohl in de Berts Commentarii. De Berts Text wird – gerade was die fluviale Situation betrifft – deutlicher als der grob und schematisch daherkommende Stich. Ähnlich der Beschreibung Fabris erfährt man davon, dass Ulm auf der Donau flussaufwärts Getreide, Salz und Eisen zugeführt werde, während Holz die Stadt flussabwärts auf der Iller erreiche. Umfangreicher Handelsverkehr verbinde die Stadt flussabwärts mit Bayern und Österreich. Spätere Ausgaben der Münsterschen Cosmographia enthalten zwar nach wie vor keine umfangreiche textuelle Beschreibung Ulms. Der seit der 13. Auflage 1574 enthaltene Holzschnitt Hans Rudolf Manuels („Warhaffte Conterfehtung der Reichsstatt Ulm / wie sie zu unser zeit im wesen ist“, Abbildung 18)251 setzt diese späteren Ausgaben aber sowohl von der 1545er Ausgabe der Cosmographia als auch von der schematisch vereinfachenden Bildlichkeit in Peter de Berts Commentarii rerum Germanicarum aus dem Jahre 1616 ab. Wie im Schedel-Holzschnitt ist die Stadt in einer Profilansicht von Süden her zu sehen. Die Situation wird aber mit einer noch größeren Detailliertheit eingefangen. Dies trifft auch für die Hydrografie zu. Im Bildvordergrund ist nicht nur der Donauverlauf prominent positioniert. Auch die Herdbrücke und die Gebäude des Gegenufers werden inszeniert. 248 Specker 1999, S. 393. 249 Ebenda, S. 393–394. 250 Ebenda. 251 Vgl. SEBASTIAN MÜNSTER: Cosmographia. Das ist: Beschreibung der gantzen Welt / Darinnen Aller Monarchien / Königreichen / Fürstenthumben / Graff- und Herrschaften / Länderen / Stätten und Gemeinden; wie auch aller Geistlichen Stifften / Bisthumben / Abteyen / Klöstern / Ursprung / Regiment / Reichthumb / Gewalt und Macht / Verenderung / Auff- und Abnehmen / zu Fried-und Kriegszeiten / sampt aller ubrigen Beschaffenheit […], Bd. 2. Basel 1628 [ND Lahnstein 2007], S. 1022–1023; Specker 1999, S. 393–394.

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Besonderes Augenmerk auf die Komplexität des sozionaturalen Schauplatzes erzeugen die durch Staffagefiguren im Bildvordergrund dargestellten Praktiken der Land- und Flussnutzung und dazugehörige Arrangements. Ein mit Heu oder Getreide beladenes Fuhrwerk ist auf dem Weg zur Herdbrücke. Am Donauufer lagert Holz verschiedener Sortimente. Flößerei ist durch ein in Fahrt befindliches, aber auch durch ein verunglücktes Floß, in dessen Nähe Figuren gestikulierend schwimmen, inszeniert. An anderer Stelle gehen Fischer mit einem Netz ihrem Handwerk nach. Die Stadtmauer zeigt die in Fabris Beschreibung eingehend verhandelten vergitterten Durchlässe für das Kanalsystem der Blau. Auch die Stadt selbst ist wesentlich strukturierter dargestellt als bei de Bert. Im Bildhintergrund rundet der mit Vegetation skizzierte und namentlich gekennzeichnete Michelsberg die Szenerie ab. Abbildung 19: Petrus Bertius, Ulm, Commentarii rerum Germanicarum, 1616

Ein weiteres Bild dieser späteren Cosmographia-Ausgabe verdient Aufmerksamkeit, obgleich es keine vordergründige Schauplatzauthentizität beanspruchen kann.252 Es zeigt im Bildvordergrund Protagonisten dreier Gewerke an der Arbeit, während im halbrund geschnittenen Bildhintergrund eine weitere Figur einen von zwei Pferden gezogenen Pflug führt. Die Handwerker sind ein Zimmermann, der einen Deckenbalken zurichtet, ein Steinmetz, der einen Steinquader als Mauerstein

252 Münster 1628, S. 1024.

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behaut, und zwei Schmiede, die Eisenbolzen ausschmieden. Hier kann ein motivischer Bezug auf diejenige Phase der Ulmer Stadtgeschichte unterstellt werden, die nach der Zerstörung der Stadt in der kriegerischen Auseinandersetzung mit Kaiser Lothar 1129 einsetzte und der Fabri ein umfängliches Kapitel widmet. Fabri schildert, wie ab 1140 ein Wiederaufbau und eine Erweiterung der Stadt unternommen wurden, die in Dimension und veränderter Ortswahl eher einer Neugründung gleichkamen. Am Beginn dieser Arbeiten stand Fabri zufolge die Markierung des neuen Stadtgrundrisses mittels eines Pflugs.253 Zwar findet das, was Fabri im Rahmen eines ganzen Kapitels seines Traktats erzählt, in der Cosmographia von 1628 nur in einem Satz seinen Niederschlag.254 Dennoch liegt eine thematische Bezugnahme der Grafik auf diese für die Ulmer Stadtgeschichte konstitutive Phase selbst dann nahe, wenn der Holzschnitt mit seiner polyvalenten Motivik auch für die Illustration anderer Gegenstände angefertigt bzw. eingesetzt wurde. Vielmehr kann der rhetorisch-funktionale Text-Bild-Bezug in diesem Fall sogar dahingehend beschrieben werden, dass der Holzschnitt in einer für Zeitgenossen einfach zu deutenden Motivik das Thema Städtebau und Stadterweiterung komplexer repräsentierte, als dies der dazugehörige Text tat. Wie nun nähert sich die Meriansche Topographia Sveviae der Reichsstadt am Donau-Oberlauf? Sowohl hinsichtlich der Bildlichkeit als auch hinsichtlich des Textes ist Ulm eine der am umfangreichsten beschriebenen Städte der Schwabentopografie.255 Vier Kupferstiche zeigen Gesamtansichten der Stadt, drei weitere setzen merk- bzw. sehenswürdige Details ins Bild.256 Eine Vogelschau fokussiert die bauliche Struktur der Stadt und ihrer 1605-1622 erneuerten Befestigungsanlagen (Abbildung 20).257 Einmal mehr wird die vor allem für die Darstellung der Hydrografie überlegene Süd-Perspektive gewählt. Während der Bildausschnitt die Landschaft der Umgebung weitgehend ausblendet, können die Lage Ulms an der Donau und der Lauf des 253 Fabri 1889, S. 31; Fabri 1909, S. 22. 254 „Im jahr 1140 fieng man an den Graben auffzuwerffen/unnd mit dem Grund füllt man zu die alten Gräben / und gieng die Statt widerumb an / nam zu in Ehr / Reichthumb und Gewalt / daß sie jetzt der fürnemeste Stätt eine ist in Teutschem Landt.“ Münster 1628, S. 1024. 255 Zum Folgenden demnächst: MARTIN KNOLL: Topografien des Sozionaturalen: Siedlung, Territorium und Umwelt in der Historisch-Topografischen Literatur der Frühen Neuzeit (Beitrag zum Tagungsband des 13. Jahrestreffens des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung 2009, im Druck) 256 Vgl. Wüthrich 1996, S. 80–81. 257 Sie war zunächst 1638 in der ebenfalls von Merian verlegten Neuwen Archontologia cosmica abgedruckt und 1643 in die Topographia Sveviae übernommen worden. Specker 1999, S. 394–395; Wüthrich 1996, S. 80, lfd. Nr. 93.

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Flüsschens Blau durch die Stadt gut identifiziert werden. Die Abbildung zeigt materielle Arrangements wie Gebäude, Befestigungsanlagen, Mühlen, Brücken, Flüsse, Kanäle und landwirtschaftlich genutztes Land in unmittelbarer Stadtnähe. Wichtige Gebäude wie Kirchen, das Rathaus, das Spital oder die Stadttore sind nummeriert und durch eine Legende erschlossen. Die Stadt und das wenige sichtbare Umland sind menschenleer. Praktiken des städtischen Lebens und Wirtschaftens bleiben in der Darstellung deshalb weitgehend ausgespart; Praktiken der Landnutzung (Garten- und Ackerbau) werden implizit über entsprechende Oberflächenstrukturen ins Bild gesetzt. Anders verhält es sich mit den Praktiken flussbezogener Nutzungsarten (Flößerei, Schifffahrt, Schiffbau, Be- und Entladen von Schiffen sowie die Holzlagerung), die im Bildvordergrund durch Staffagefiguren thematisiert werden. Abbildung 20: Matthäus Merian d. Ä., Ulm, Topographia Sveviae, 1643

Drei weitere Stiche, die auf den Ulmer Ingenieurleutnant Johann Merck zurückgehen, inszenieren Profilansichten aus drei verschiedenen Himmelsrichtungen (Abbildung 21).258 Sie bilden der Einschätzung Hans Eugen Speckers zufolge die Prototy258 Den übereinstimmenden Angaben von Specker 1999, S. 395, und Wüthrich 1996, S. 80, zufolge wurden diese Ansichten erst in den 1654 von Merians Erben besorgten Anhang zur Topographia Sveviae aufgenommen bzw. sind in der ca. 1655 erschienenen zweiten Ausgabe nachweisbar. Dies führt zu Unklarheiten bezüglich der Reprintausgabe von

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pen der sich natürlicher Gegebenheiten als Aufnahmestandorte bedienenden Darstellungen.259 Diese gewähren der umgebenden Landschaft erheblich mehr Raum und zeigen Arrangements wie Buschland, Gärten, Ackerland und Hügelzüge. Nicht zuletzt die Bleichwiesen, die nach dem Niedergang der Barchentproduktion für die Leinwandherstellung bzw. –veredelung von ungebrochener Wichtigkeit waren,260 werden in der Ansicht „Ulm gegen Nordt-Ost“ in Szene gesetzt. Abbildung 21: Matthäus Merian d. Ä., Ulm gegen Nordt-Ost/Ulm gegen Zuyd West/Ulm gegen Mitternacht, Topographia Sveviae, 1643

2005, Merian der Ältere et al. 1643, die angibt, die Ausgabe 1643 zu reproduzieren, gleichzeitig aber die Profilansichten enthält. Ein ebenfalls in dieser Ausgabe abgedrucktes „Verzeichnuß deren Kupfferstücken / wie dieselbe zur Beschreibung deß Schwabenlands beygeleget / und eingebunden werden sollen“ enthält als Seitenangabe für die drei Stücke S. 202, was Wüthrich zufolge den Standort in der 1655er Ausgabe markiert. Möglicherweise Wüthrich folgend datiert die Bayerische Staatsbibliothek das Erscheinen ihres Exemplars der 1643er Ausgabe, Signatur Hbks/E 30-3/4, auf das Jahr 1655, vgl. http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb1080 2340-4, Stand 17.01.2013. 259 Specker 1999, S. 395. 260 Vgl. Specker 1977, S. 230–231.

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Der so repräsentierte sozionaturale Schauplatz besitzt aber einen markanten blinden Fleck: Keine der drei Profilansichten gewährt der Donau eine prominente Position. Der Stich „Ulm gegen Zuyd-West“, der einzige Blickwinkel, der den Fluss überhaupt sichtbar passiert, übernimmt von der Vogelschau die Darstellung der vor der Stadt gelegenen Lände mit dem dort anzutreffenden Holzlager und dort arbeitenden Staffagefiguren. Doch deren Prominenz im Bildprogramm bzw. die der von ihnen verkörperten Praktiken wird durch andere Staffagefiguren im Bild, die beim Pflügen dargestellt sind, relativiert. Insgesamt scheint der Fluss für das Bild der Stadt keine entscheidende Rolle zu spielen. Dass das auf diese Weise entstandene Stadtbild durchaus als defizitär empfunden werden konnte, wird aus der Entscheidung Gabriel Bodenehrs (1673-1776) ersichtlich, in seiner Vedutensammlung Europens Macht und Pracht den Zyklus von Profilansichten Ulms um eine Ansicht aus südöstlicher Richtung zu erweitern, in deren Bildraum die Donau und ihre Beziehung zur Stadt prominent inszeniert wird.261 Abbildung 22: Gabriel Bodenehr d.Ä., Ulm gegen Sud Osten, nach 1718

Der beschreibende Text der Merian-Topografie aus der Feder des Ulmer Bürgers Martin Zeiller verhandelt im Zusammenhang mit den Geschicken der Stadt in Vergangenheit und Gegenwart eine große Bandbreite menschlicher Praktiken (Herrschaft, Verwaltung und Kriegführung, Handel und Gewerbe, Wissenschaft und Kultur, Religion) und materieller Arrangements (Kirchen und weltliche Bauten, Befestigungsanlagen, Flüsse, Kanäle und das städtische Wasserleitungssystem, Mühlen 261 GABRIEL BODENEHR DER ÄLTERE: Europens Pracht und Macht in 200 Kupfer-Stücken worinnen nicht nur allein die Berühmtest und Ansehnlichste sondern auch andere Stätte, Festungen, Schlösser, Klöster, Pässe, Residentien, Palläste, Wasserfälle pp. dieses Volckreichen Welttheils vermittelst anmuthiger und eigentlicher Prospecte Sambt kurze geographischer Beschreibung zu sonderm Nuzen u. Gemüth vergnügenden Ergözung Vorgestellet werden. Verlegt und heraus gegeben Von Gabriel Bodenehr Burger u. Kupferstecher in Augspurg. Augsburg o. J. [1710, ND Unterschneidheim 1972]; vgl. Specker 1999, S. 395.

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und Brücken, aber auch die umgebende Landschaft in ihren maßgeblichen Formen). Zeiller kann hier nicht nur auf eigene Ortskenntnis bauen. Wie ein umfangreich kommentierter Literaturüberblick am Ende des Eintrages zeigt, kompiliert er aus einem breiten Spektrum chronikalischer und historisch-topografischer Autoren.262 Der Text ist beinahe auf seiner gesamten Länge von sozionaturalen Bezügen durchwirkt. Bereits die Etymologie des Stadtnamens – er wird von Ulmen abgeleitet, Bäumen, „deren es sehr viel in dieser Gegend / als in einem Erdfeuchten Land“ gebe263, bedient sich des Naturalen. Der Autorisierung dieser Etymologie dient ein Zitat aus der Schedelschen Weltchronik.264 Pate steht hier aber sicher auch die umfassende Ulm-Etymologie Fabris, die eine sehr detaillierte ökologische Topografie des von Ulmen bewachsenen, sumpfigen Gründungsorts265 in eine genreübliche, in mythologische Zeiten rückdatierte Gründungsgeschichte integriert.266 Die umfäng262 Vgl. Merian der Ältere et al. 1643, S. 208–209. 263 Ebenda, S. 199. 264 Ebenda, S. 199–200. 265 „Ulma ist nämlich nicht ein barbarischer, sondern ein lateinischer Name, deklinierbar, allen bekannt und leicht zu übersetzen, einer Reichsstadt beigelegt, aus einem dem Namen unzweifelhaft entsprechenden Grunde; denn der Platz der Stadt Ulm ist von Natur uliginosa d. h. sumpfig und die ganze Örtlichkeit feucht und wasserreich, was man uliginosus oder ulinosus nennt, teils wegen des Zusammenflusses der Gewässer dreier Flüsse, teils auch wegen des sumpfigen oder wässerigen Bodens, aus dem ziemlich viele Quellen entspringen und worin überall munter fließende Gewässer sich finden, so daß der Boden an sich ohne die Stadt in seinem Namen von Natur den Namen der Stadt anzeigt, ob ich nun sage sumpfiger oder wasserreicher (uliginosus vel ulinosus) Boden, was sich beides findet. Denn uligo (Sumpf) ist eine natürliche Feuchtigkeit der Erde, die sie niemals verläßt, sie grünend und fruchtbar macht, und so ist der Platz der Stadt Ulm. Durch diese sumpfige Beschaffenheit der Erde aber pflegen besonders in großer Menge Bäume hervorzuwachsen, welche auf Lateinisch ulmi heißen, aber insgemein und auf deutsch Felben oder Erlen oder Alber […] genannt werden, und obgleich es verschiedene Arten von Bäumen sind, nämlich Felben und Erlen, haben sie doch vielleicht denselben Namen […]. Und es hat dabei nichts zu bedeuten, ob das Wort nur eine, oder zwei oder alle drei Arten bezeichnet: denn auf dem Boden des Ulmer Platzes wachsen alle diese Arten von Bäumen reichlich, (pag. 9) nämlich Felben-Ulmen, Erlen-Ulmen und Alber-Ulmen, und vor der Gründung der Stadt war daselbst ohne Zweifel ein Wald von Ulmen und ein dichtes Ulmenholz und ein ergötzliches Ulma d. h. Ulmenwald. Sowie nun in einem Sumpf (uligo) heranwachsende Bäume Ulmen genannt werden und ein Ulmenwald ulmerium oder ulma, so wird eine im Sumpf zwischen Ulmen oder auf einem Ulmenplatz gegründete Stadt am passendsten Ulm genannt, weil sie einen Ulmenplatz einnimmt.“ Fabri 1909, S. 6; Fabri 1889, S. 8–9. 266 Ebenda, S. 9–10; Fabri 1909, S. 6–7.

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liche Präsenz sozionaturaler Bezüge im Text kann freilich über eines nicht hinwegtäuschen: Im Gegensatz zu Fabris Beschreibung wirkt der sozionaturale Schauplatz, den Zeillers Ulm-Beschreibung repräsentiert, weit weniger in Autopsie begründet und weit weniger empirisch verfasst. Die Stadt, so Zeiller eingangs zur Lage, „ligt etwas uneben / so man aber von aussen nicht wol mercken kan; und ist mehrers in die Länge / als Breyte / erbawet.“267 Wie Fabri zählt auch Zeiller die Stadttore und den Blau-Einlass auf und erwähnt die Existenz einer gepflasterten Donaubrücke. Das Fehlen einer Stadtmauer bis um 1300 und der Ausbau der Stadtbefestigung mit „newen ansehenlichen / unnd gewaltigen Aussenwercken / starcken Pasteyen und Wällen“ ab 1605 sind wichtige Eckpunkte der städtischen Entwicklungsgeschichte.268 In der Textkomposition fällt auf, dass die Erörterung der sozionaturalen Rahmendaten früh durch zwei Themenkomplexe unterbrochen und erst im Anschluss an diese wieder aufgenommen wird: Vergleichsweise große Aufmerksamkeit wird dem Ulmer Münster und der Dreifaltigkeitskirche sowie dem zu dessen Lebzeiten berühmten Wohnhaus des Ulmer Stadtbaumeisters Joseph Furttenbach (1591-1667) zuteil.269 Werden im Falle des Münsters Baukörper, Baugeschichte und die Orgel eingehend geschildert,270 steht bei der Dreifaltigkeitskirche die Orgel im Zentrum des Interesses.271 Ihrer Beschreibung dient auch einer der Kupferstiche, der sowohl eine Frontalansicht als auch einen Grundriss des Orgelkastens liefert.272 Im Text wird direkt auf den Stich Bezug genommen, ein Vorgehen, das die funktionale Interaktion zwischen Text und Bild als Teil einer intendierten kommunikativen Strategie unterstreicht.273 Joseph Furttenbach wird als Persönlichkeit eingeführt, deren Empirismus, deren Kreativität und Fleiß als Aushängeschild für die Gelehrtheit und Reife der Stadt wirken kann.274 Furttenbach habe „sich durch seine in der Baw- und andern Künsten hohe Experientz / so er auf seinen Reysen / und sonsten / und sonderlich die 10. Jahr über / in welchen er sich in Italia auffgehalten / mit seinem unverdrossenen / und fast unglaublichen Fleiß / und stätiger Ar267 Merian der Ältere et al. 1643, S. 200–201. 268 Ebenda, S. 200. 269 Vgl. ebenda, S. 201–203. 270 Ebenda, S. 201. 271 Ebenda, S. 201–202. 272 Vgl. Wüthrich 1996, S. 80–81, lfd. Nr. 97. 273 Die Beschreibung der oberösterreichischen Stadt Steyr in der Topographia Provinciarum Austriacarum zeigt eine ähnlich enge funktionale Anbindung. Hier ist eine umfangreiche Legende, die sich auf Ziffern in der Vedute bezieht, im Text untergebracht. Merian der Ältere et al. 1649, S. 34–35. 274 Specker 1977, S. 164–165.

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beit […] erlangt / und in den sieben underschiedlichen ans Tagliecht gegebenen / schönen unnd sehr nutzlichen Büchern / als der Halonitro-Pyrobolia, oder von der Büchsenmeisterey; Itinerario Italiae; Architectura civili; Architectura navali; Architectura Martiali; Architectura Universali; und Architectura Recreationis, weit unnd breyt / auch bey hohen Standtspersonen / Fürsten und Herren / berühmbt / bekandt / und beliebt gemacht“.275

Für seine Zeitgenossen strahlte er den Reiz jenes sammelnden, sichtenden und komprimierenden Empirismus276 aus, der Welterkenntnis an der Schnittstelle von Naturphilosophie, entstehenden Naturwissenschaften und religiöser Heilsgeschichte zu ermöglichen schien.277 Dieser Empirismus, der letztlich auch die programmatische Hintergrundfolie für Merians Topografien und Zeillers historisch-topografisches Schreiben abgab, materialisierte sich in der Kunst- und Rüstkammer, die im dritten Stockwerk (dem „vierten Boden“) des Furttenbach-Hauses untergebracht war, und die – so Zeiller nicht ohne Bewunderung – „mit mancherley Modellen / Instrumenten / Architektonischen Handrissen; rar- unnd wunderlichen / Naturunnd künstlichen Sachen besetzt / und gezieret“ war.278 „Natur“ und „Kunst“ verschmelzen in diesem Mikrokosmos sowohl in den Sammlungsexponaten als auch in Furttenbachs Garten, der eine Grotte und ein Wasserspiel beherbergte. Die Gestaltung der Grotte war gleichsam Ausstellungs- und Anschauungsobjekt für die in Furttenbachs Architectura privata geschilderte Technik, „in was Gestalt man die Berlemuttere Meer Schnecken / neben denselben Muscheln / so wol auch die Corallen Zincken / pallieren / unnd das beste Kitt / zu verfertigung der Grotten / zubereyten solle; welches / so viel man weist / vormals nie also in den Druck kommen ist.“279 Zwei Stiche ergänzen die Darstellung des Furttenbach-Anwesens im UlmArtikel der Topographia Sveviae:280 Einer verbindet die Außenansicht des Gebäudes mit einem Grundriss der Wunderkammer, eine zweite zeigt die Grotte mit Wasserspiel. Die Prominenz des Furttenbach-Anwesens, die sich in der Topographia Sveviae spiegelt, kommt nicht von ungefähr. Kaspar von Greyerz zufolge bot die Sammlung eine für die curiositas der Wissenschaftsinteressierten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts typische Mischung von Naturgeschichte und biblischer Ge-

275 Merian der Ältere et al. 1643, S. 202–203. 276 Stagl 2002, S. 157. 277 Vgl. Knoll 2011. 278 Merian der Ältere et al. 1643, S. 203. 279 Ebenda. 280 Vgl. Wüthrich 1996, S. 81, lfd. Nrr. 98 und 99.

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schichte.281 So baute Joseph Furttenbach d. J. u. a. 1657 ein Modell der Arche Noah, das der Vater in seiner Autobiografie wie folgt schilderte: „Auf seinem dach stunde geschriben: geistliches nachsinnen der archa Noe, wie dieselbige ungefehr nach Gottes Beuehl, dem heiligen mass oder elenbogen nach möchte gebawt gewesen sein [...]. Es erscheinen albereith vil geistlich: und weltliche hoch: vnd niderstandts personen vnd herren, dieses modell zu sechen, vnd thun darüber hochvernünfftig dicurß pro et contra halten [...].“282

Das geneigte Publikum – Geistliche und Weltliche, Angehörige hoher und niederer Stände – ergeht sich in vernünftigem Diskurs über den Versuch, die physikalischen Realitäten der biblischen Heilsgeschichte zu rekonstruieren. Ohne auch nur typografisch durch einen Textabsatz vom Vorherigen abgegrenzt zu werden, nimmt Zeillers Ulm-Beschreibung nach Abschluss der Ausführungen zum Furttenbach-Anwesen die topische Verhandlung der sozionaturalen Rahmendaten wieder auf. Ulm habe gute und gesunde Luft. Der Boden der Umgebung sei „geschlacht unnd gut“, es wachsen verschiedenerlei Getreide und Früchte. Vieles werde der Stadt von anderen Orten zugeführt und auf dem Platz vor dem Münster feilgeboten, so „daß man umb ein zimliches fein alda zu leben hat.“283 Weinbau gebe es nur in geringem Umfang beim nahen Dorf Söflingen. Große Mengen Weines gelangten aber von Rhein, Neckar und Bodensee sowie aus dem Veltlin auf den hiesigen, weithin berühmten Weinmarkt, von wo nach Bayern und Österreich weitergehandelt werde.284 Auch der Handel und die Verarbeitung von Leinwand sowie die Bleichen im Norden und Osten der Stadt werden angesprochen.285 Wie Fabri thematisiert auch Zeiller die hohe Qualität des Wassers und die für dessen Verteilung unterhaltene Infrastruktur, Wasserstuben, Röhrkästen und Leitungen. 286 Das Wasser hier sei gut, gesund und frisch. Besonders das der alten Röhren werde gelobt.287 Zwei Brunnen „im Grieß / und zum Hirschen“ mache man sich in „Früh-

281 KASPAR V. GREYERZ: Religion und Natur in der Frühen Neuzeit. Aspekte einer vielschichtigen Beziehung, in: SOPHIE RUPPEL/ALINE STEINBRECHER (HG.): „Die Natur ist überall bey uns.“ Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit. Basel 2009, S. 41–58, hier 44–45; vgl. Knoll 2011, S. 356–357. 282 Zit. nach Greyerz 2009, S. 44–45. 283 Merian der Ältere et al. 1643, S. 203. 284 Ebenda. Der Weiterhandel auf der Donau lag großteils in den Händen von Regensburger Kaufleuten. Vgl. Specker 1977, S. 177. 285 Merian der Ältere et al. 1643, S. 204. 286 Ebenda, S. 202, 203. 287 Ebenda, S. 203.

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ling- und Sommerszeiten / zum baden / für allerley Zuständt / unnd Gebresten deß Leibs / auch wider die Glied- und Geelsucht / fruchtbarlichen“ zunutze.288 Wie Fabri und die übrigen Topografien kommt Zeiller auf die Lage Ulms an den drei Flüssen Iller, Donau und Blau zu sprechen. Freilich wird dieser hydrografischen Verortung weit weniger rhetorisches Gewicht zuteil als in Fabris Traktat. Ähnlich den anderen Topografien werden die auf den Flüssen transportierten Güter aufgelistet. In Zeillers kurzer Würdigung der Funktionen der Blau für die Stadt289 klingt Fabris bei allem deftigen Anthropomorphismus empirisch sorgfältige Beschreibung nur schemenhaft nach. Wie Fabri fasst Zeiller hydrografische und topografische Aspekte in seiner gattungstypischen Feststellung der Gunstlage der Stadt zusammen: „Diese Wasser nun / wie auch die Spatziergäng / Wäldlein / Gärtlein inn und ausser d’Statt / und andere obvermeldte Bequemlichkeiten / verursachen / daß dieser Orth anmuthig / und lustig / so auch keinen sonderlichen / als S. Michelsberg / herumb hat / der aber fruchtbar ist.“290

Wiederum übergangslos gelangt Zeiller von dieser sozionaturalen Würdigung zu einer nicht minder positiven ethnografischen Bilanz: „Die Inwohner belangend / so seyn sie nicht einer Ankunfft / die jenige aber / deren Vorältern viel hundert Jahr in dieser Statt säßhafft gewesen / mögen vielleicht noch von den alten Schwäbischen Hermunduris herkommen. Insgemein seyn die Manns- und Weibspersonen meistentheils wol gestaltet / freundlich / gutthätig / sonderlich gegen die Armen; also / daß wenig Stätt in Teutschland zu finden seyn werden / die es hierin zuvor thun solten. Sie arbeiten gern / seyn auch sinnreich / und zu allerhand guten Wissenschaften / Künsten / und Verrichtungen / nicht untauglich; […] So hat ingleichem dieser Orth sonsten viel gelehrter Leuth geben / die sich auch in die ferne berühmbt und bekandt gemacht; und ihrer Theils weitgelegene Länder besichtiget / und einen guten Theil von Europa, Asia, Africa, und America, durchreyset haben.“291

288 Ebenda. 289 „Die Blaw aber / so von Blawbeuren herunter fliesset / rinnet durch die Statt / und kompt / nach dem sie allerhand Mühlwerck versehen / und auch sonsten viel Nutzens in der Statt geschafft / an der Stattmauwer auch in die Thonaw.“ Ebenda, S. 204. 290 Ebenda. Axel Gotthard sieht in derlei topischer Topografik einen rhetorischen „Situierungsbaukasten“, der nur wenige Versatzstücke und entsprechend begrenzte Kombinationsmöglichkeiten enthalte. Gotthard 2007, S. 112–113. 291 Merian der Ältere et al. 1643, S. 204.

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Mit der Betonung von moralischer Integrität, Mildtätigkeit, Fleiß und Bildung der Bewohner kann Zeiller an seine Schilderung des Furttenbach-Anwesens und des Genius von dessen Erbauer anschließen. Seine Textregie sorgt für eine Einrahmung der naturalen Idealität des Schauplatzes durch soziokulturelle Idealität. Dass sich die Akademisierung der Ulmer Bildungslandschaft zu Zeillers Lebzeiten in einer durchaus kritischen Phase befand292 und der reichsstädtische Schulkonvent 1624 davon ausging, die Stadt stehe nach außen von alters her im Ruf, „den Studenten und Gelehrten ungewogen zu sein,“293 ficht Zeiller dabei nicht an. Einzig die gegenwärtige kriegsbedingte Zerstörung des Ulmer Umlandes ist ihm an dieser Stelle eine Notiz wert.294 Doch wie steht es um den sozionaturalen Schauplatz Ulm in Zeiten der Störung, wie um Natur als Problem, den Fluss als Gefahr für das städtische Leben? Dies wird schwerpunktmäßig an anderer Stelle, im Rahmen einer Chronik historischer „Denkwürdigkeiten“, verhandelt.295 Über die Jahrhunderte findet eine Reihe kriegerischer Ereignisse Erwähnung. Neben einem Stadtbrand im Jahre 1348 und einer Judenverfolgung im selben Jahr296 sind verheerende Epidemien („Sterben“) jeweils in Kriegszeiten 1547 und 1634/35 dokumentiert.297 Diesen Seuchenzügen seien 1547 über 25.000 Personen, 1634 1871 und 1635 14.383 Menschen – jeweils Soldaten und Einwohner – zum Opfer gefallen. Erwähnt wird auch ein Unwetter mit Blitzeinschlag an drei Orten, das am 4. Juni 1640 niedergegangen sei.298 Von der Donau wird nur das eine bereits von Fabri dokumentierte Extremereignis aus dem Jahre 1374 berichtet; auch von der Blau wird nur das eine historische Flutereignis von 1461 dokumentiert, das bereits Fabri zum Thema gemacht hatte.299 Im Textumfang sind derlei negative Extremereignisse derart unterrepräsentiert, dass sie ein erfolgreiches „Imaging“ der Stadt nicht konterkarieren können. Viel größeres Augenmerk im Rahmen der „Denkwürdigkeiten“ erfährt das klimatische Ausnahmejahr 1540 mit seinen in der Summe wohl positiven Auswirkungen für die Stadt.300 292 Vgl. Specker 1977, S. 157–160. 293 Zit. nach ebenda, S. 160. 294 Merian der Ältere et al. 1643, S. 204. 295 Ebenda, S. 206–208. 296 Ebenda, S. 207. 297 Ebenda, S. 208. 298 Ebenda. 299 Ebenda, S. 207. 300 „An 1540. den 26. Junij / hat man allbereyt allhie newen Kern und Rocken / und auff S. Bartholomaei newen Wein / fail gehabt. Und ward der Wein nahend Söflingen so gut / als der Elsässer / und umb 7. Pfundt geben; unnd hat man in einem Garten Krautsköpff / von 16. und 17. Pfunden gefunden. Der Kern galt 3. Pfund 8 ß. der Rocken das Mitle. 2. Pfundt 14 ß. die Gersten 36. ß. / der Habern 25 ß. / 1 Metz Erbiß / 5 ß / ein Maß Wein 6.

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Das Programm der Zeillerschen Beschreibung von Ulm – Städtelob als Idealisierung des Status vor dem Dreißigjährigen Krieg, die Stilisierung einer wirtschaftlich prosperierenden, von moralisch integeren und fleißigen Menschen bewohnten, den Wissenschaften zugeneigten protestantischen Reichsstadt – beeinflusst die thematische Verfassung des sozionaturalen Schauplatzes. Die Segnungen der ‚Natur‘ und die ‚Kunst‘ der Bewohner gehen Hand in Hand. Für Störungen dieser Symmetrie ist kein Raum vorgesehen. 3.3.2 Abbreviatur des Naturalen? Augsburg, der Hochablass und das fehlende Hinterland Die Reiseaufzeichnungen des französischen Adeligen und Intellektuellen Michel de Montaigne (1533-1592)301 stehen bei Historikern im Ruf einer für seine Zeitgenossen außergewöhnlich ausgeprägten Wahrnehmung der naturalen Dimension von Landschaften.302 Montaigne besuchte im Herbst 1580 Augsburg, und so bietet es sich an, sich seines vermeintlich wachen Auges für Sozionaturales zu bedienen, um das Schreiben und Schweigen historisch-topografischer Literatur über Gesellschaft und „Natur“ in und um Augsburg zu diskutieren. Diese Diskussion kann an eine These Rudolf Kießlings und Peter Plaßmeyers anknüpfen, die feststellen, in der Augsburger Stadtikonografie v.a. des 16. Jahrhunderts würden Stadtrandphänomene ausgeklammert, obwohl in ihnen der wirtschaftliche Reichtum Augsburgs zum

Heller / der Newe 6. Pfennig. Ein Maß Milch 7. Heller / und 5. Eyer 1. ß / Ein Klaffter Buchenholtz 25 Batzen / unnd gab man 12. Pfundt Schmaltz umb 1. fl. man hieß diese Zeit den heissen Sommer / da man allhie den 7. Octobris weiß und rote Rosen fail hatte / die man erst von den Stöcken abgebrochen; wie dann auch die Bäum zweymal geblüet. Hergegen waren Zwieffel / Kraut / und Rüben / thewer / und gerieth kein Werck uberall.“ Ebenda; zum klimatischen Ausnahmejahr 1540 vgl. RÜDIGER GLASER: Klimageschichte Mitteleuropas. 1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen. Darmstadt 2001, S. 106; und CHRISTIAN PFISTER: Wetternachhersage. 500 Jahre Klimavariationen und Naturkatastrophen (1496 - 1995). Bern [u.a.] 1999, S. 191–192. 301 MICHEL DE MONTAIGNE: Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581. Übersetzt, herausgegeben und mit einem Essay versehen von Hans Stillet. Frankfurt a. M. 2002. Zur nicht letztgültig geklärten Verfasserschaft und zum Entstehungs- und Überlieferungszusammenhang vgl. HANS STILLET: Vorwort. Des Reisetagebuchs abenteuerliche Reise, in: Ebenda, S. 11–16. 302 Vgl. Zeeden 1983, S. 80; Gotthard 2007, S. 122–124.

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Ausdruck komme.303 Dies gelte für die Bleichanlagen der Textilindustrie ebenso wie für die Lechkanäle mit den Holzlagerplätzen der für die Stadt lebensnotwendigen Lech- und Wertachflößerei und die Mühlenanlagen extra muros.304 Um das Ergebnis dieser Diskussion vorwegzunehmen: Die Befunde der im Rahmen meiner Studie untersuchten Texte bestätigen Kießlings und Plaßmeyers ikonografische Analyse. Der blinde Fleck des topografischen Augsburg-Bildes liegt außerhalb der Mauern. Er ist – wie später noch zu zeigen sein wird – aus der Verfasstheit von Stadtgesellschaft und Stadtregiment zu erklären. Abbildung 23: Detlev Schröder nach I. Schaefer/W. Zorn, Geologische Landschaftsgliederung der Augsburger Gegend, 1975

Montaigne und seine Reisegesellschaft hatten Augsburg nach zweitägiger Floßreise Lech abwärts von Füssen kommend erreicht.305 Er genoss seinen Aufenthalt in der 303 ROLF KIEßLING/PETER P LAßMEYER: Augsburg, in: WOLFGANG BEHRINGER/BERND ROECK (HG.): Das Bild der Stadt in der Neuzeit. 1400-1800. München 1999, S. 131– 137, hier 135. 304 Ebenda. 305 Montaigne 2002, S. 71–72.

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unter Zeitgenossen Aufsehen erregenden Reichsstadt mit ihren zahlreichen Sehenswürdigkeiten. Die Stadt besaß aufgrund ihrer Größe306, ihrer wirtschaftlichen Potenz und ihrer bereits im 16. Jahrhundert immensen Befestigungsanlagen erhebliche überregionale Strahlkraft. In der Stadt angekommen, interessierte sich Montaigne neben baulichen Sehenswürdigkeiten vor allem die urbane Kultur und Ethnografisches; so merkt er wiederholt an, hier gebe es keine schönen Frauen.307 Dass er zu stärker differenzierender Beobachtung in der Lage war und dass ihn bei seinen Streifzügen durch die Stadt sein – anachronistisch gesprochen – naturwissenschaftliches Interesse nicht verließ, zeigt die kolportierte Begegnung mit einem Gärtner auf einem Anwesen der Fugger. Dieser habe „in weiser Voraussicht der klirrenden Winterfröste“ in einem Verschlag große Mengen Gemüses aus frischer Ernte mit den Wurzeln in Erde eingeschlagen, um es zwei bis drei Monate frisch zu erhalten.308 Und in der Tat, so stellt Montaigne erstaunt fest, „waren an die hundert Artischocken, obwohl er sie schon vor mehr als sechs Wochen geerntet hatte, noch kein bißchen verwelkt.“309 Knappe Eindrücke von Augsburgs Umgebung werden in Montaignes Reisetagebuch erst für die Zeit nach der Abreise in Richtung München notiert.310 Während des Aufenthalts standen viele bauliche Sehenswürdigkeiten der Stadt im Fokus, die der privilegierte Besucher durch orts- und sachkundige Führer gezeigt bekam. Unter anderem wird von der Besichtigung eines Kanals berichtet, der Wasser über eine Holzbrücke über den Stadtgraben hinweg in die Stadt leite.311 Dort treibe das Wasser über zahlreiche Räder eine Reihe Pumpen an, die das Was306 Kießling und Plaßmeyer schätzen die Gesamtbevölkerungszahl um 1500 auf rund 30.000 und um 1626 auf bis zu 40.000 Einwohner. Kießling et al. 1999, S. 133. 307 Montaigne 2002, S. 75, 79. Montaigne ist mit dieser Einschätzung nicht der einzige Autor von topografischer oder Reiseliteratur, der eine ästhetische Beurteilung weiblicher Physiognomie als topografisches Thema verhandelt. Zum Beispiel kommt Pirmin Achill Gasser bezüglich Augsburg auf ein Montaigne widersprechendes Urteil: „Es seynd die Eynwohner / bevor aber die Weybsbilder von gestalt schön / an Kleydung prächtlich / mit essen und Trincken köstlich / im wandel und worten prengisch / in Handlungen gescheid / an geberden Außlendisch / unnd von wegen grosser Reichtumb viel von sich haltend.“ Münster 1628, S. 1032. Zeiller spricht von einer „schönen / lustig / zierlich / wolerbaweten / saubern / gantz bequem gepflasterten / mit höfflichem Volck / und sonderlich schönen Weibspersonen / künstlichen Handtwerckern / unnd dergleichen / begabten Statt“. Merian der Ältere et al. 1643, S. 15. 308 Montaigne 2002, S. 81. 309 Ebenda. 310 „Augsburg liegt am Lech, lateinisch Lycus. Wir durchzogen eine sehr schöne, an Kornfeldern reiche Landschaft und gelangten zur Übernachtung nach Fürstenfeldbruck.“ Ebenda, S. 85. 311 Ebenda, S. 75–78.

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ser durch zwei Bleileitungen in einen Hochbehälter beförderten, von dem aus es durch Rohre in der ganzen Stadt verteilt werde. Die Stadt sei deswegen überreich an Brunnen. Wohlhabende Bürger könnten gegen Gebühr einen eigenen Hausanschluss beantragen. Diese Anlage sei eine Zierde der Stadt. Augsburgs hydraulische Infrastruktur erregt noch ein zweites Mal Montaignes Erstaunen. In einem Sommerhaus der Fugger bewundert er eine Wasseruhr, große Fischbehälter, Trickfontänen und einen Springbrunnen.312 Tatsächlich bildete der Hochablass, eine seit den 1530er Jahren belegte künstliche Lechableitung, die Basis des beschriebenen, aufwändigen hydraulischen Systems.313 Er war als Antrieb für Mühlwerke und Anbindung an die Lechflößerei essentiell für die Wirtschaft der Stadt; er war aber gleichzeitig tendenziell konfliktträchtig mit dem benachbarten bayerischen Herzogtum und damit ein Politikum. Wie bereits für viele der in Kapitel 3.2 diskutierten Beispiele zeigen auch hier die Recherchen von Gerhard Leidel und Monika Ruth Franz das Potenzial unpublizierter Parallelüberlieferung aus dem politisch-administrativen Kontext für die Evaluation des in der topografischen Literatur Berichteten und nicht Berichteten. Über die südöstlich Augsburgs gelegene Wehranlage des Hochablasses wurde ein komplexes Gefüge von Lech-Seitenarmen, Kanälen und Bachläufen gespeist.314 1552 wurde der Hochablass zur Verbesserung der Wasserversorgung der Augsburger Mühlen Lech aufwärts verlegt. Diesem Vorhaben stimmte Herzog Albrecht V. von Bayern (1528/1550-1579) unter der Bedingung zu, dass weder der Lechfloßfahrt in den Trockenzeiten von Sommer und Herbst noch den Landnutzungen der Anrainer in den bayerischen Orten Friedberg, Lechhausen und Mering Abbruch geschehe.315 Augsburg seinerseits erwarb 1568 für 25 Jahre das Baurecht beiderseits des Grenzflusses, um diese komplexe und in ihrer Gebundenheit an die fluviale Dynamik prekäre Infrastruktur jederzeit in Gang halten zu können. Über den Augsburger Einbau von Fangwerken und Pfählen in den Fluss, deren Stauwirkung den ausreichenden Wasserzufluss in den Hochablass bei Niedrigwasser sichern sollte, kam es zum lang anhaltenden Konflikt.316 Flößer müssten, so der bayerische 312 Ebenda, S. 80–81. 313 Leidel et al. 1998, S. 153–157. Eine besonders anschauliche zeitgenössische Repräsentation der komplexen Hydrografie Augsburgs bietet folgender Plan des reichsstädtischaugsburgischen Territoriums: Copia der von Daniel Mayr, Ingenieur von Basel, Anno 1684 verfertigten […] Grundlegung der Stadt Augspurgischen Gegend u. Jurisdiction; in das Kleine gebracht von J. G. M. 1756, reproduziert in: DETLEV SCHRÖDER: Stadt Augsburg (Historischer Atlas von Bayern, Teil Schwaben, 10). München 1975, Anhang 9. 314 Leidel et al. 1998, S. 154. 315 Ebenda. 316 Ebenda, S. 155–156.

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Vorwurf, an den Einbauten scheitern oder die Augsburger Floßgasse verwenden, was der bayerischen Seite Maut entziehe. Bayerischerseits wurden Beispiele für Behinderungen und Unfälle in der Flößerei gesammelt und man argumentierte, es gebe bis Wien keine für die Flößerei gefährlichere Stelle.317 Doch im weiteren Gang der Auseinandersetzung wurde nicht nur verkehrstechnisch argumentiert. Auch die fischökologischen Auswirkungen der Augsburger Infrastruktur, vor allem die Behinderung des Aufstiegs wandernder Fischarten im Lech, wurden bemerkenswert detailliert verhandelt. Eine Versammlung von Beschwerdeführern in Landsberg am 7. Oktober 1591 ging davon aus, dass die Wehranlagen die Wanderung von „Podten oder Huochen, Rugeten, Kärpfen, Höcht, Nasen, Aschen, Bärmen, Alandt Förchinen, Kreßling, Laugnien und dergleichen“ aus der Donau in den Lech hinauf absperrten und die Fische auf diese Weise den Augsburgern geradezu wie in einem Fischbehälter zutrieben.318 1592 führten Fischer das artspezifische Verhalten verschiedener Spezies gegen die Augsburger Anlagen ins Feld: Kleine Arten wie „Gressling, Gropp, Grundl, Neunaugen“, aber auch große wie „Pärben, Altn, Rutten, Hechten und Hucchen“ würden „ihrer Aigenschaft und natur nach in die höche sich nit lassen, sonnder allain auf dem Poden streichen“.319 Die Auseinandersetzungen um den Hochablass und die Abfolge von Baumaßnahmen und Gegenmaßnahmen eskalierten jedenfalls bis zu einer Militarisierung des Konflikts. Im Januar 1596 setzte die Reichsstadt Augsburg 200 Schützen in Marsch, die begleitet von rund 3000 ebenfalls bewaffneten Augsburgern bayerische Baumaßnahmen verhindern sollten.320 Der bayerische Herzog Maximilian I. (1573/Hg. 1598/Kf. 16231651) reagierte mit einer Lebensmittelsperre gegen die Reichsstadt. Augsburg seinerseits ließ Landsknechte am Lech patrouillieren. Michel de Montaignes Impressionen zum urbanen Wasser und der von Gerhard Leidel und Monika Ruth Franz rekonstruierte Konflikt um den Hochablass rücken die lokale Hydrografie und die hydraulische Infrastruktur als Kernthema städtischen Wirtschaftens und städtischer Umlandbeziehungen in den Fokus. Inwieweit sich die Wichtigkeit dieses Themas im städtischen Selbst- und Fremdbild historischtopografischer Beschreibung in Text und Bild spiegelt, soll im Folgenden analysiert werden. Schon Ladislaus Sunthaym, der Augsburg vor der ersten urkundlichen Erwähnung des Hochablasses schildert, betont die hydrografische Gunstlage der Stadt nahe dem Zusammenfluss der Gebirgsflüsse Wertach und Lech: Es herrsche „al da uberflussigchait der wasser“ und „alle notturfft“ sei „leichtigklich da hin zu bringen.“ Die Flussläufe von Wertach und Lech, die „fur die stat hinfliessenn“ wirkten 317 Ebenda, S. 156. 318 Zit. nach ebenda. 319 Zit. nach ebenda. 320 Ebenda, S. 157.

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gewissermaßen als Stadtbefestigung. Ferner sei Augsburg „ain kayserliche und mechtige reichstat, hat schon unnd tewff wasser grabnn, mit eyttel prun wasser, dor inn vast schone und gross ferchen gend, die man furstnn unnd herrnn, die dar khomen verert.“321 Der Hinweis auf die Topik des Städtelobs greift hier nicht weit genug. Denn auch dessen Topoi werden variiert. Auch in Sebastian Münsters Cosmographia finden sich kurze Hinweise auf Augsburgs hydraulische Infrastruktur und ‚vergnügliche Wasserkünste‘ in der Stadt.322 Offensichtlich verfehlte die Inszenierung des Verfügen-Könnens über hydraulische Arrangements ihre Wirkung bei zeitgenössischen Beobachtern wie Montaigne und dem Autor der AugsburgBeschreibung in Münsters Cosmographia von 1545 nicht. In der 1628er Ausgabe von Münsters Cosmographia ist der Augsburger Mediziner und Chronist Pirmin Achill Gasser (1505-1577)323 namentlich als Autor der Beschreibung ausgewiesen.324 Das heißt, man kann von einer Augsburger Eigenperspektive in der Schilderung der Stadt ausgehen. Gassers Text beginnt mit einer zwar gattungsüblich topischen, aber in ihrer geografischen und astronomischen Akkuratesse nicht alltäglichen allgemeinen Topografie.325 Die hydrografische Situation 321 Uhde 1993, S. 299–302. 322 „Es ist durch sie die statt Augspurg der massen mit herrlichen heüsern und pallästen gezieret worden / daß einer / so vorhin nie do gewesen / meynt er gang in ein Paradys / so er do hin kompt. Sie haben lust gärten / deren gleichen im Teütschen land nit gefunden werden. Dan sie bringen zu wegen durch ein fürfliessend wässerlin / daß sich brunnen wasser in die höhe selbs schöpfft / und darnach außgeüßt allenthalben wo man will / ja sie verbergen es in heimlichen rören und dem ertrich / und so sie ein frembden iren lust sehen lassen / haben sie ein heimlichen griff / mit dem bringen sie zu wegen / daß augenblicklichen v. oder vii. rören auß dem ertrich wasser in die höhe sprützen / eins oder zweier männer hoch / und der frembt gast bey heyterem himmel wol beregnet wirt.“ Münster 1545, S. CDXCII. 323 Zur Biografie Gassers, der für Münsters Cosmographia auch Beschreibungen von Lindau, Feldkirch und Chur anfertigte, vgl. FRIEDRICH BLENDINGER: „Gasser, Achilles Pirminius“, in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 79 f. [Onlinefassung]. http:// www.deutsche-biographie.de/pnd118689673.html, Stand: 16.03.2011. 324 Münster 1628, S. 1026. 325 „Augspurg die Statt hat vor Zeiten gehört under das Landt des Ersten Rhetien / so so [sic] man jetzund Schwaben nennt / und ist vor alten zeiten ein Freystatt dem Römischen Reich underworffen gewesen / wie sie auch noch zu der zeit under dem Reich nicht die geringste ist Reichthumb und Schöne halb. Sie ist zwischen den Fischreichen Wässern dem Lech und der Wertach / die auch bey ihr zusammen fliessen / unnd die Wertach etwan Vinda soll genennt worden seyn / gelegen auff einem lustigen Bühel / hat gegen Orient uber dem Lech das Bayerisch Stättlein Fridberg / unnd gegen Mittag die Algöwisch Alpen / und das Stättlein Landsperg: aber gegen der Sonnen nidergang stost

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wird hier im Rahmen der Feststellung einer allgemeinen landschaftlichen Gunstlage deutlich thematisiert. Die Feststellung, dass es vor Ort keine Ratten gebe („dolet kein Ratten“), dünkt angesichts des regionalen Wasserreichtums wenig plausibel, kann aber mithilfe der Aufzeichnungen Michel de Montaignes als lokales Narrativ und Gegenstand populären Wunderglaubens entschlüsselt werden. Montaigne berichtet davon, ihm hätten Augsburger erzählt, dass es in der Stadt zwar Mäuse, aber keine Ratten gebe. „Darüber erzählen sie zahlreiche Wunder. So schreiben sie ihre Bevorzugung einem dort beigesetzten Bischof zu; und von der Erde seines Grabes, die sie in haselnußkleinen Klümpchen verkaufen, behaupten sie, daß sie überall, wo man sie ausstreue, das Ungeziefer vertreibe.“326

Nach den beiden einleitenden Absätzen zerfällt Gassers Text in drei Teile. Ein erster Teil gibt einen Abriss der Stadtgeschichte.327 In einem zweiten Teil wird eine Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes der Stadt geboten, wobei eine Doppelseite vom Vogelschauplan „Augspurg die hochberühmbte und weitbekannte Statt /

sie an die Marggraffschafft Burgaw / und gegen Mitnacht endet sich das Schwabenlandt darinn sie ligt an dem Lech und die Thonaw / alß sie gegen Schwäbischen Werd uber zusammenkommen. Nach Ptolemaischer rechnung ligt sie von dem gesetzten Occident 31. Grad und 16. Minuten / unnd der Mitternächtisch Polus erhebt sich bey ihr 48. Grad / 17. Minuten: dann sie ligt im anfang des 7. Climatis oder under dem 15. Tag Circkel / der lengst Tag hat fünffzehen Stund und fünff und viertzig Minuten / und dargegen die krutzeste Nacht acht Stund unnd sechs Minuten / nemblich zu der zeit da die Sonnen hie zu Landt den höchsten Mittägigen Grad begreifft. Es hat diese Statt ein freyen und heilsamen Lufft / unnd ist der Boden umb sie nach seiner art zimblich Fruchtbar an Früchten / dolet kein Ratten / hat weitschweiffige Weid / lustige Wäld mit Gefögel und anderem Wildprät gehabt. Es wird diese Gegenheit gerings umb begossen mit hübschen fliessenden Bächen / und gantz gut Brunnenwasser / sie hat bequeme Feldgüter / unnd gute Fischweyer / und die Statt hat uber die maß köstliche Häuser / weite und saubere Gassen / gewaltige Ringkmawren / wehrlich Schütten und Pasteyen / tieff und weite Gräben / und begreifft ihr ausser Circk / der sich doch auff etliche eck zeucht / 9000. Schritt. Derhalben sie ein außerwehlt Ort ist nit allein für das gemein Volck darinn zu handtieren und zu treiben die höchsten Hendel so die Kauffleut in Teutschland mögen führen / sonder daß auch von alten zeiten her König / Keyser und grosse Fürsten ihre Höf und Niderlag da gern gehabt / und diese Statt für andere Stätt Teutscher Nation zu ihrer rhu und kurtzweil besucht.“ Ebenda. 326 Montaigne 2002, S. 79. Es handelt sich dabei wohl um das Grab des heiligen Ulrich (um 890-973). 327 Vgl. Münster 1628, S. 1026–1028.

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artlich in Grund gelegt.“328 eingenommen wird. Dieser verfügt insofern über direkten funktionalen Textbezug, als er angesichts des relativ kurzen Textteils in nicht unerheblichem Maße die Zustandsbeschreibung des Schauplatzes übernimmt.329 Ein letzter Teil bietet einen Überblick über die Augsburger Kirchen- und Bistumsgeschichte.330 An allen drei Blöcken fällt auf, dass eine weitere Thematisierung der hydraulischen Verfassung, der diesbezüglichen Infrastruktur, der Ressourcenversorgung der Stadt oder weitergehender Aspekte der Stadt-Hinterland-Beziehungen unterbleibt. Auch das Textilgewerbe wird nicht zum Thema. Kießling und Plaßmeyer weisen darauf hin, dass in den großen Bleichanlagen Augsburgs bereits um 1500 ca. 500.000 bis 700.000 Meter Bleichware jährlich auslagen. Dies bedeutete bei drei Bleichperioden eine ständige Auslage von 200.000 Meter, bei einer weiteren Zunahme im 16. Jahrhundert.331 Wenn Gassers Beitrag zur Cosmographia (semi-)offiziösen Charakter trägt, dann liegt hier offensichtlich im Text eine Entsprechung zu der von Kießling und Plaßmeyer für die Ikonografie der Stadt festgestellten thematischen Unausgewogenheit vor. Im Selbstbild der Augsburger Stadtväter fehlt dem sozionaturalen Schauplatz Stadt die ‚Natur‘. Ähnliches gilt für den oben genannten, ab der Ausgabe von 1550 in die Cosmographia integrierten Vogelschau-Plan, der Münster laut rückseitiger Aufschrift von einer „weisen Oberkeit zu diesem Werk überschickt“ worden war.332 Zwar verfügte die Augsburger Stadtikonografie seit dem 1521 entstandenen, auf der ersten Stadtvermessung durch Jörg Seld (um 1448- um 1527) basierenden sog. Seld-Plan über einen – bei aller Idealisierung – detaillierten, korrekten und auch Bleichen, Gärten und Weideflächen außerhalb der Mauer dokumentierenden Plan.333 Doch der in der Cosmographia publizierte Plan (Abbildung 24) entsprang offenkundig einer anderen medialen Strategie. Er zeigt nur Stadtmauern und Stadtgraben und innerhalb dieser ein angedeutetes Straßengitter sowie einige „Paradebauten“, verzichtet aber auf die Dokumentation der vollständigen Bebauung. Der Einschätzung Kießlings und Plaßmeyers zufolge lässt sich „die Auswahl der 59 bezeichneten Objekte zugleich als ein Zeugnis des Selbstverständnisses interpretieren; sie lassen sich vier Kategorien zuordnen: der Stadtbefestigung, den kirchlichen Institutionen, den kommunalen Bauten und der gesellschaftlichen Oberschicht – eine Abstraktion dessen, was Stadt noch immer bedeutete.“334 Zwar dokumentiert der Plan im Gegensatz etwa zu dem für die 328 Vgl. ebenda, S. 1030–1031. 329 Vgl. ebenda, S. 1028–1032. 330 Vgl. ebenda, S. 1032–1037. 331 Kießling et al. 1999, S. 135. 332 Zit. nach: Ebenda, S. 134. 333 Ebenda, S. 133–134. 334 Ebenda, S. 134.

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Augsburg-Ikonografie einflussreichen Plan Hans Rogels (gest. 1592/93) von 1563335 den zentralen Lech-Zufluss der Stadt von Osten. Daneben verzeichnet er den oberen und unteren Wasserturm sowie den „Gesundbrunn“. Doch weitergehende hydraulische Arrangements innerhalb oder außerhalb der Mauern oder gar Praktiken und Arrangements der stadtnahen Landnutzung bleiben unter einem kartografischen Leintuch weißer Fläche verborgen. Abbildung 24: Sebastian Münster, Augspurg die hochberümbte und weitbekannte Statt/artlich in Grund gelegt, Cosmographia 1598

Hans Rogel legte 1563 auch eine Profilansicht Augsburgs von Osten vor.336 Während dieser Holzschnitt im linken Bildvordergrund Landschaftsrequisiten inszeniert, bleibt auch er in der für die Bleichen relevanten rechten Bildhälfte unergiebig. Rogels Vogelschau-Plan wurde zur Grundlage für den Augsburg-Kupferstich in den Braun/Hogenbergschen Civitates orbis terrarum; seine Profilansicht diente offenkundig als Vorlage für de Berts Augsburg-Profilansicht337 und vor allem für Merians 1618 veröffentlichten Monumentalprospekt der Reichsstadt.338 In Merians Topographia Sveviae findet dagegen keine Profilansicht Eingang. De Berts Ansicht 335 Vgl. ebenda, S. 132, Abb. 41. 336 Vgl. ebenda, S. 133, Abb. 42. 337 Vgl. Bertius 1616, S. 466. 338 Kießling et al. 1999, S. 134; Vgl. ebenda, S. 136, Abb. 44.

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(Abbildung 25) gibt bei aller dekorativen Inszenierung von Landschaft kaum authentifizierbare topografische Information. Abbildung 25: Petrus Bertius, Augspurg, Commentarii rerum Germanicarum, 1616

Und Merian unternimmt einmal mehr durch seinen pseudorealistischen Detailreichtum ein erfolgreiches „Facelifting“ auf der Basis älterer Vorlagen.339 Angesichts der sachlichen Ungenauigkeiten des Merian-Prospekts, die auch in einer zweiten Auflage 1670 nicht alle korrigiert wurden, äußern Kießling und Plaßmeyer erhebliche Zweifel daran, dass Merian die Stadt besucht und aus eigener Anschauung gezeichnet habe.340 Fuss geht davon in ihrer Analyse ebenfalls nicht aus.341 Mit dem 1602 fertiggestellten Stadtplan Alexander Mairs nach Vermessungen Christoph Schisslers342 verfügt die Ikonografie Augsburgs über ein Werk, das die an anderer Stelle vermisste Vollständigkeit des sozionaturalen Schauplatzes unter Einschluss einer differenzierten Kartierung der extramuralen Landnutzungen repräsentiert. Eine Sonderstellung in der Augsburg-Topografie nimmt die rund ein Jahrhundert später erschienene Vedutensammlung Europens Pracht und Macht des Augs339 Vgl. zur Konzeption und Komposition der Augsburg-Ikonografie Merians eingehend: Fuss 2000, S. 168–174. 340 Kießling et al. 1999, S. 134. 341 Vgl. Fuss 2000, S. 168–174. 342 Vgl. Kießling et al. 1999, S. 135, Abb. 43.

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burger Verlegers Gabriel Bodenehr d. Ä. ein.343 Denn Bodenehr widmet Augsburg im Gegensatz zu den meisten anderen Städtebüchern sowohl eine Profilansicht als auch eine Vogelschau (Abbildung 26), den 1693er Nachstich des Seld-Plans von 1521 durch Johann Stridbeck.344 Zudem besticht Letztere, die im Gegensatz zu den meisten Vorgängerplänen von West nach Ost orientiert ist, gerade dadurch, dass sie die hydrografische Situation und die Bleichen besonders plastisch inszeniert. Abbildung 26: Gabriel Bodenehr, Avgvsta Vindelicorvm Augspurg, Europens Pracht und Macht, 1710

Zuletzt ist es eine dritte Grafik im Bodenehrschen Werk, die einen topografischen Paradigmenwechsel zu verkörpern scheint. Neben den beiden genannten Stadtansichten setzt der Kupferstich „Die Lech-Brücke bey Augspurg. Erster Paß in Bayern“ (Abbildung 27) nicht nur ein zentrales hydraulisches Arrangement ins Bild, sondern thematisiert damit auch die territoriale Grenzsituation, die für die Existenz der Reichsstadt am Lech konstitutiv war. Doch welche Stellung nimmt Merians Topographia Sveviae in der oben diskutierten und von durchaus markanten thematischen Ungleichgewichten geprägten Tradition der topografischen Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes Augsburg ein? Was die Bildlichkeit betrifft, so fällt zunächst auf, dass Merian nicht – wie dies für Ulm der Fall war – Vogelschau und Profilansichten kombiniert. Einzige Gesamtansicht der Stadt ist ein Vogelschau-Plan von Osten (Abbildung 28).345 343 Bodenehr der Ältere 1710. 344 „Augspurg, wie es alhier fürgestellet wird, ist genommen aus einem sehr großen in Anno 1521 zur zeit des so genandten Zumfft oder Democratischen Regiments von Georg Seld gefertigten Curiosen Abriß in Holtzschnitt welcher rar u. fast nicht mehr zu haben, abdarinnen diese Stadt anzusehen, wie sie vor besserer befestigung u. auffrichtung der Bollwerck u. Pasteyen in ihren Mauren bestanden.“ Ebenda, S. 8; vgl. Kießling et al. 1999, S. 137, Anm. 33. 345 Vgl. Wüthrich 1996, S. 68, lfd. Nr. 8.

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Bei dem unsignierten Stich, den Lucas Heinrich Wüthrich Merians Sohn Caspar zuordnet, handelt es sich um eine Kopie bzw. Weiterentwicklung der bereits 1633 und 1646 im Theatrum Europaeum sowie 1637/38 in der Archontologia Cosmica abgedruckten Pläne Matthaeus Merians d. Ä.346 Abbildung 27: Gabriel Bodenehr, Die Lech-Brücke bey Augspurg, erster Paß in Bayern, Europens Pracht und Macht, 1710

Bei erstem Hinsehen fallen an diesem Stich drei Faktoren auf: Erstens erscheint die Stadt einmal mehr insular isoliert in einer weißen Fläche positioniert. Städtisches Umland in Mauernähe wird grafisch nicht repräsentiert. Zweitens: Eine Ausnahme von der letztgenannten Beobachtung bildet das hydrografisch komplexe Gefüge von Lech, Lech-Seitenarmen und Kanälen im Bildvordergrund sowie – nicht gekennzeichnet – der Wertach im rechten Bildhintergrund, mithin eine deutliche Thematisierung der hydrografischen Situation. Drittens: Dominant ist der in der Festungstechnik des 17. Jahrhunderts (Bastionen, Ravelins) gestaltete zweite Befestigungsring um die Stadt. Kießling und Plaßmeyer geben an, Merian übernehme in der Topographia Sveviae nur wenig adaptiert einen Stich des Augsburger Kartografen Wolfgang Kilian (1581-1662), den dieser 1637 während der schwedischen Besetzung Augsburgs angefertigt habe und der vor allem die Fortifikationsvorhaben von General Franz de Troytorrens (1590-1660), Festungsingenieur König Gustavs II. Adolf von Schweden (1594/1611-1632), ins Bild setze.347 Merian habe Kilians Verschanzungen 346 Ebenda; Fuss 2000, S. 168–174. 347 Kießling et al. 1999, S. 136.

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weitgehend übernommen, ohne deren Realisierung zu überprüfen.348 Kilians Stadtgrundriss sei derart eingängig gewesen, dass Merian ihn seiner eigenen Zeichnung vorgezogen habe. Diese Feststellung ist insoweit zu differenzieren, als der Stich der Topographia Sveviae die Motive und Perspektiven zweier sehr unterschiedlicher Stiche (Abbildungen 29 und 30), die in der ersten Auflage (1633)349 und in der dritten Auflage (1646)350 des zweiten Bandes des Theatrum Europaeum die schwedische Einnahme und Besetzung Augsburgs 1632 illustrieren, kombiniert.351 Damit finden die genaue Repräsentation der Stadt intra muros (1633) und die Konzentration auf bestehende und geplante Festungsarrangements bei Berücksichtigung der Hydrografie und bei Weglassung jeglicher übriger Strukturen innerhalb wie außerhalb der Festungsringe (1646) zueinander. Kießling und Plaßmeyer ist insoweit zuzustimmen, als man die dominant militärisch-festungsarchitektonische interessierte Perspektive zumindest einer der Vorlagen für die thematische Schwerpunktsetzung der Grafik von vornherein einkalkulieren muss. Martin Zeillers textuelle Beschreibung Augsburgs in der Topographia Sveviae thematisiert übrigens den schwedischen Festungsbau und quantifiziert die Dimensionen der Neubauten, nimmt dabei aber nicht direkt auf die Grafik Bezug.352 Doch in der Topographia Sveviae ist Augsburg durch weitere Ansichten repräsentiert. Wenngleich, wie schon angesprochen, auf weitere Gesamtansichten verzichtet wird, ist der Eintrag ähnlich dem zu Ulm mit einer Reihe von Partikularansichten illustriert. Diese freilich inszenieren prominente Ikonen des ‚Urban Image‘ der Zeit, ohne eine bauliche oder thematische Kontextualisierung vorzunehmen. Es

348 Ebenda. 349 Plan „Augusta Vindelicorum“, JOHANN PHILIPP ABELINUS: Historische Chronick Oder Warhaffte Beschreibung aller vornehmen und denckwürdigen Geschichten / so sich hin und wider in der Welt / von Allo Christi 1629 biß auff das Jahr 1633 zugetragen […] Frankfurt a. M. 1633 [Online-Ausgabe HAB Wolfenbüttel: http://diglib.hab.de/ periodica/70-b-hist-2f/start.htm, Stand: 04.03.2011], nach S. 524. 350 JOHANN PHILIPP ABELINUS: Theatrum Europaeum, oder außführliche und warhafftige Beschreibung aller und jeder denckwürdiger Geschichten, so sich hin und wieder in der Welt, fürnemblich aber in Europa und Teutschlanden, sowol im Religion- als ProphanWesen, vom Jahr Christi […] biß auff das Jahr […] exclus. […] sich zugetragen. Theatri Europaei, Das ist: Historischer Chronick, Oder Wahrhaffter Beschreibung aller fürnehmen und denkwürdigen Geschichten, so sich hin und wider in der Welt, meisten theils aber in Europa, von […] 1629. bis auff das Jahr 1633. zugetragen / Zusammen getragen durch Joann. Philippum Abelinum, Bd. 2. Frankfurt a. M. 1646 [Online-Ausgabe UB Augsburg urn:nbn:de:bvb:384-uba000237-1, Stand: 05.03.2011], nach S. 658. 351 Fuss 2000, S. 170–172. 352 Vgl. Merian der Ältere et al. 1643, S. 17.

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handelt sich um Ansichten des Holl-Rathauses samt Perlachturm,353 des Augustusbrunnens auf dem Perlach bzw. Rathausplatz354 und des Herkules-Brunnens auf dem Weinmarkt.355 Nur indirekt reflektieren die beiden letzteren die hydraulische Infrastruktur. Abbildung 28: Caspar Merian, Avgvsta Vindelicorvm Augspurg, Topographia Sveviae, 1643

353 „Das Rathaus sampt dem Perleg thurn zu Augspurg“; vgl. Wüthrich 1996, S. 68, lfd. Nr. 9. 354 „Bildnus des Zierlich unnd Schönen Brunnens auff dem Perlach in Augspurg“; Vgl. ebenda, lfd. Nr. 10. 355 „Abbildung des Schönen, von Marmar und Metall Kunstlich verfertigten Brunnens, auff dem Weinmarckt zu Augspurg“; vgl. ebenda, S. 69, lfd. Nr. 11.

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Abbildung 29: Matthäus Merian d. Ä., Augvsta Vindelicorum Augspurg, Theatrum Europaeum, 1633

Abbildung 30: Matthäus Merian d. Ä., Gvstava Avgusta, Theatrum Europaeum, 1646

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Bei Martin Zeillers Text zu Augsburg handelt es sich um eine äußerst dichte, aus einem breiten Spektrum lokaler und regionaler Chronistik kompilierte Beschreibung, deren Umfang alle anderen Texte in der Topographia Sveviae überragt.356 Die einleitende Topografie ist weitgehend identisch mit der oben zitierten von Pirmin Achill Gasser in der Cosmographia. Auch hier wird die Lage der Stadt zu Flüssen, politischen Nachbarterritorien und – komplementär dazu – zum regionalen Kontext Schwaben vorgestellt und u. a. auf „freye heylsame Lufft“ hingewiesen.357 Unterschiede im Detail äußern sich in der genaueren Qualifizierung der extramuralen Umwelt. Während Gasser den Boden der Gegend noch als „nach seiner art zimblich Fruchtbar an Früchten“ charakterisiert, geht Zeiller mit der Angabe, der Boden sei „eben und fruchtbar an allerhand Früchten / jedoch ohne weinwachs“ und das Erdreich sei „feyst letticht“, stärker ins landwirtschaftliche und bodenkundliche Detail. Ähnlich dem Falle Ulms, in dem die Etymologie des Stadtnamens im Zusammenhang mit lokalen Umweltmerkmalen erörtert wird, leitet Zeiller hier das Stadtwappen, das „ein Pine / Trauben / oder Apfel“ zeige, aus der Baumartenzusammensetzung der regionalen Wälder ab.358 Der Gassersche Hinweis auf das Fehlen von Ratten, und damit auf einen bereits von Michel de Montaigne eher distanziert kolportierten Bestand lokalen magischen Wissens, unterbleibt bei Zeiller. Nach einem umfangreichen entwicklungsgeschichtlichen Abriss kommt Zeiller – der tendenziellen Idealisierung des topografischen Porträts zum Trotz – auf die Lechgrenze zum bayerischen Nachbarn und deren prinzipiell prekären Charakter zu sprechen.359 In der Komplexität der hier geschilderten juristischen Konstellation, 356 Vgl. Merian der Ältere et al. 1643, S. 8–26. 357 „Hat ein freye / heylsame Lufft / unnd ist der Boden herumb gar eben und fruchtbar an allerhand Früchten / jedoch ohne weinwachs. Hat umb und umb eine weitschweiffige Weyd / ein feyst letticht Erdrich / lustige Felder / zum Gevögel / unnd anderem Wildpret bequem / mit den schönesten Forsten umbgeben. Es wird diese Gegend gerings umb mit lustigen fliessenden Bächen / von lauteren und klaren Brunnenwassern begossen / mit den schönesten Gärten / und Lusthäusern darinnen gezieret.“ Ebenda, S. 9. 358 „Es führet die Statt zum Wappen ein Pine / Trauben / oder Apfel / und ist zuvermuthen / weiln diese LandsArt viel spitzige Nußbäume / als Dannen / Fiechten / Fohren / oder Rothdannen / Wildfichten / und Lerchenbäum hat / daß dessen zu gedencken / eine dergleichen Frucht in d’Statt Wappen kommen seye.“ Ebenda. 359 „Und ingleichem beym besagten Caesare d. part. 3. fol. 104 & 111 von der Statt Gräntzen gegen Bayern / und Burgaw / zu lesen. Und stehet von solchen Gräntzen auf Bayern zu / in einer geschriebenen Chronick deß gantzen Fuggerischen Geschlechts / daß die Grentzen gemeiner Statt Augspurg / unten von dem Obern Haag / da die Wertach in den Lech fleußt hinauff biß an die Moringen Aw / von der Statt Augspurg / biß an den Fluß deß Lechs / mit Bewilligung Hertzog Albrechts in Bayern / seyen erstreckt worden: Und habe E. E. Rath in diesen Grentzen alle Todtschläg / und bußwürdige Sa-

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deren Referat Zeiller anhand explizit ausgewiesener Vorlagen unternimmt („ob es sich aber also verhalte / wir nicht für gewiß setzen“360), spiegelt sich zweierlei: die Hybridität von politischer Grenzziehung als Herrschaftspraxis anhand einer naturalen Struktur361 und das dadurch noch verschärfte Problem des Umgangs mit fluvialer Dynamik.362 Die Verbindung zwischen dem im Zuge der Grenzproblematik erwähnten Gestadebau und der urbanen hydraulischen Infrastruktur intra muros, die Zeiller später schildert, bleibt er schuldig. Vom hydraulischen Arrangement des Hochablasses ist nicht die Rede. Die übrige Zeillersche Beschreibung von Augsburg zerfällt in vier Bereiche: Verfassung,363 Bauten,364 Chronik und historische „Denkwürdigkeiten“365 sowie Kirchen- und Bistumsgeschichte.366 Wie schon beim Wasserbau zu erkennen, ist der chen / ohn alles Verhindern / zu straffen / welches zuvor viel Uneinigkeit zwischen den Fürsten auß Bayern / unnd E. Erbarn Rath der Statt Augspurg / geben habe: und sey solche Gräntz mit eychenen dicken Säulen am Lech auff unnd auff / außgezeichnet worden / so Herr Hanß Jacob Fugger Anno 1559. bey Ihr Durchleucht / dem Hertzogen Alberto, der Statt erlangt / und außgebracht habe: In einer andern Verzeichnuß stehet / (ob es sich aber also verhalte / wir nicht für gewiß setzen) daß die Säul von der Statt am Lech hinauf anderthalb Stund / welches Zeichen aber nicht bedeut / daß die Statt so weit da zu gebieten hätte / oder die Frefel zu straffen / sondern umb deß willen / daß die Leut wissen / wie weit sie auß jeder Herrschaft den Lech verwahren / und das Gestad erbawen / und erhalten müssen / wie er dann offtmals mächtig eynreisset. Wann der Enden ein Bayer sich vergreifft / so mag er für einen Richter begehren / wo er will / wann aber ein Stattvogts-Diener darbey wäre / oder davon hörete / so ließ er es nicht anderstwohin kommen / dann er hat auch einen Theil darvon. Und in solcher Bemarckung hat die Statt / und ihre Fischer Vergünstigung zu fischen / aber kein Eygenthumb.“ Ebenda, S. 11. 360 Ebenda. 361 Vgl. dazu auch ACHIM LANDWEHR: Die Zeichen der Natur lesen. „Natürliche“ Autorität im habsburgisch-venezianischen Grenzgebiet in der Frühen Neuzeit, in: CHRISTINE ROLL/FRANK POHLE/MATTHIAS MYRCZEK (HG.): Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit-Impulse 1). Köln 2010, S. 131–145. 362 Vgl. CHRISTIAN WIELAND: Grenzen an Flüssen und Grenzen durch Flüsse. Natur und Staatlichkeit zwischen Kirchenstaat und Toskana, in: CHRISTINE ROLL/FRANK POHLE/MATTHIAS

MYRCZEK (HG.): Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Per-

spektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit-Impulse 1). Köln 2010, S. 147–160. 363 Vgl. Merian der Ältere et al. 1643, S. 11–12. 364 Vgl. ebenda, S. 12–15. 365 Vgl. ebenda, S. 16–17, 18–22. 366 Vgl. ebenda, S. 17–18, 22–25.

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sozionaturale Schauplatz weitgehend ein Schauplatz intra muros. Die extramuralen Arrangements der Leinenproduktion sind nicht Teil der Beschreibung, lediglich indirekt – über die Angabe, die Weber bildeten die größte Zunft – findet dieser Wirtschaftszweig überhaupt in die Topografie.367 Die Beschreibung der hydraulischen Infrastruktur beginnt an der Stadtmauer, genauer mit dem doppelten Wasserturm beim Roten Tor. Er sei „ein künstliches Werck / dardurch das Wasser in die gantze Statt getrieben wird.“368 Der Augustus- und der Herkulesbrunnen sind der Topographia Sveviae nicht nur zwei Einzelabbildungen wert, sie finden sich auch in der textuellen Beschreibung.369 Auch die schon in den Blick Michel de Montaignes geratenen Wasserspiele in Fuggeranwesen werden thematisiert.370 Die Ausführungen zu Lebensbedingungen und Infrastruktur werden in einer Passage resümiert, die, ganz der Rhetorik des Städtelobs folgend, die Idealität der geschaffenen und unterhaltenen Arrangements mit einer idealisierenden ethnografischen Charakterisierung der Bevölkerung verbindet.371 Im Zuge der Feststellung einer abnehmenden Bevölkerungszahl übernimmt Zeiller Gassers Zahlen für das Jahr 1549,372 in dem 1705 Kindstaufen 1227 Sterbefällen entgegengestanden hätten.373 Wie Gasser weist Zeiller darauf hin, dass es sich bei dieser Relation um die eines Jahres ohne Seuchenzüge gehandelt habe. Zeillers Schilderung historischer „Denkwürdigkeiten“ ist durchzogen von quantifizierenden Angaben, die seiner Chronistik den Anstrich rationaler Nüchternheit verleihen. Dies schließt eine religiös-magische Attribuierung von Naturphänomenen freilich nicht 367 Ebenda, S. 14. 368 Ebenda, S. 15. 369 Ebenda, S. 14. 370 Ebenda, S. 15. 371 „Wie dann allhie ins gemein ansehenliche Häuser / allerhand Antiquitäten / Kunstkammern / Monimenta, Inscriptiones, Lustgärten / und dergleichen denckwürdige Sachen seyn: Da auch alles (wiewol der Wein / so von andern Orten dahin gebracht wirdt / zimlich thewer / und die Maß klein / hergegen gutes Bier da ist) was der Mensch bedarff / oder ersinnen / und begehren mag / zubekommen: Daß daher einer von dieser schönen / lustig / zierlich / wolerbaweten / saubern / gantz bequem gepflasterten / mit höfflichem Volck / unnd sonderlich schönen Weibspersonen / künstlichen Handtwerckern / unnd dergleichen / begabten Statt nicht unrecht gesagt hat: Augusts sunt hic, omina & inclyta, [//] Quaecunque cernis; templa, domus, fora, [//] Turres, & horti, porticusque, [//] Moenia & hospitia, & tabernae, [//] Augustior Respublica nobilis, [//] Virtute praetans & sapientia: [//] Formis puellarum, viumq, [//] Mitibus ingeniis abundans, & c.“ Ebenda. 372 Zeiller führt als Beleg das Braun/Hogenbergsche Urbium Praecipuarum Mundi Theatrum an. Die Datenbasis dürfte dennoch von Gasser stammen. 373 Ebenda.

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aus. Im Jahre 952 sei „ein Stein einer unmäßlichen Grösse / mitten auff den Marckt / auß der Lufft gefallen / welcher künfftigen vorstehenden Unglücks / und Jammers / ein gewisser Vorbott gewesen.“374 Zeiller bezieht die prodigiöse Bedeutung des Meteoriteneinschlags direkt auf die Schlacht gegen die Ungarn auf dem Lechfeld 955. Für die Jahre 1418, 1473 und 1500 wartet Zeiller mit Viktualienpreisen auf, von 1425 ist ohne Quantifizierung als Jahr wohlfeilen Weines die Rede.375 Über die genannten Preise für bestimmte Güter werden hier wie für das Jahr 1473 auch Bestandteile des städtischen Stoffwechsels expliziert.376 Die Preisübersicht des Jahres 1500 steht im Zusammenhang mit dem Reichstag, der als Sondersituation für die Stadt ausgewiesen wird, in deren Folge sich die Lebensmittelpreise verdoppelten.377 Zwischen Ostern 1559 und Ostern 1560 seien in der Stadt, in der zu dieser Zeit wiederum ein Reichstag abgehalten wurde, 13.000 Ochsen geschlachtet worden.378 Eine dramatische Versorgungssituation mit Auswirkungen bis hin zur Anthropophagie schildert Zeiller für die Zeit der kaiserlichen Belagerung der schwedisch besetzten Stadt im Dreißigjährigen Krieg.379 Auch Pestzüge werden dokumentiert. 1313 hätten Pest und Hunger geherrscht.380 1420 seien in der Stadt 16.000 Menschen an der Pest verstorben, 1462 und 1467 je rund 11.000 Personen, 1463 ein Viertel der Bevölkerung,381 1535 schließlich rund 13000 Personen.382 Brandschäden im Gefolge kriegerischer Auseinandersetzungen sind für 1084 (Angriff des Mark374 Ebenda, S. 16. 375 „Anno 1418 war es allhie gar wolfeyl / daß ein Pfund Rindfleisch 3. Heller / ein Pfundt Schmaltz umb 4. Pfennig / 1. zweypfündig Maß Neckerwein umb 3. Pfenning / Elsässer Wein 5. Pfen. ein Karren vol Scheidholtz umb 10. Groschen / und 3. Hennen-Eyer umb einen Heller verkauft wurden. Und galt ein Rheinischer Gulden 18. Groschen / ein Groschen aber achthalben Pfenning. An. 1425 war der Wein gar wolfeyl.“ Ebenda. 376 „An. 1473. gab man allhie ein Pfundt schmaltz umb 6. Pfennig / 1. Maß Wein umb 3. Pfenning / und seyn selbiger Zeit 120 Wirth / oder Weinschencken / allda gewesen. Darauf Anno 74. die Schenckmaß kleiner gemacht worden.“ Ebenda. 377 „An. 1500. auf dem Reichs-Tag allhie (deren allda gar viel / wie auch andere vornehme Zusammenkunfften seyn gehalten worden / ) ist ein Pfundt Rindfleisch umb 1. Creutzer / Küh- und Kalbfleisch 5. Heller / ein gemester Capaun 12. Creutzer / ein alte Henn 4 Creutzer / ein junges Hun 2. Cr. und drey Eyer umb 1. Pfenning / 1 Pfundt Schmaltz 8. Pfenning / und 1. Maß gemeinen Weins umb 9. Pfenning geben worden. Darauf im Winter / als die unzehliche Menge Volcks hinweg gezogen war / man alle Ding umb doppel Gelt hat bezahlen müssen.“ Ebenda, S. 16–17. 378 Ebenda, S. 17. 379 Ebenda, S. 20. 380 Ebenda, S. 19. 381 Ebenda, S. 16. 382 Ebenda, S. 17.

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grafen Leopold von Österreich (um 1051-1095) und des Herzogs Hermann von Schwaben383) und vier Jahre später durch Herzog Welf von Bayern (gest. 1101) dokumentiert.384 Die Kirche des St. Stephans-Klosters habe dreimal „durch Fewersnoth/ Schaden erlitten“.385 Am 3. März 1634 sei das „Metzger Hauß / ein sehr ansehnlich Gebäw / auß Unvorsichtigkeit etlicher darauff wollebenden Personen“ in Brand geraten. Das Feuer habe auch auf sechs benachbarte Häuser übergegriffen und diese zerstört.386 Am 5. / 15. Dezember 1646 (in diesem Fall werden beide Kalender angegeben) sei das Karmelitenkloster samt Kirche abgebrannt.387 Zuletzt findet ein Sturmereignis des Jahres 1474 Erwähnung, dem die neu erbaute St. Ulrichskirche zum Opfer gefallen sei.388 Hier bleibt Zeiller ungenauer als Gasser, der nicht nur taggenau auf den Peter und Paulstag (29. Juni) datiert, sondern darüber hinaus angibt, dass der Kircheneinsturz „33. Menschen / sampt dem Pfarrherrn“ erschlagen habe.389 Insgesamt geschieht Zeillers Zugriff auf Extremereignisse und damit auf Situationen der Störung des sozionaturalen Schauplatzes Stadt wie schon im Falle Ulms eher punktuell. In der Summe spiegelt bzw. übernimmt die Repräsentation Augsburgs in der Merianschen Topographia Sveviae Tendenzen des urbanen Selbstbildes, wie sie von Kießling und Plaßmeyer für die Stadtikonografie festgestellt wurden. Es mag auch in der Verfassungsgeschichte Augsburgs begründet liegen, dass etwa der SeldPlan aus dem Jahre 1521 derjenige ist, der die extramuralen Arrangements u. a. der Textilbleiche am sorgfältigsten dokumentiert. Er entstand in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, mithin in einer Zeit des Zunftregiments. Die Vermutung liegt nahe, dass der in diesem politisch-administrativen Regime tonangebende handwerkliche Mittelstand in der Wahrnehmung der eigenen ökonomischen Grundlagen buchstäblich eine stärkere „Bodenhaftung“ besaß als das unter Karl V. privilegierte und

383 Bei aller Unübersichtlichkeit der Lage in dem zur Zeit des Investiturstreits besonders zerrissenen Herzogtum Schwaben lässt sich ein amtierender Herzog Hermann ausschließen. Es könnte sich dabei allenfalls um den Bruder Bertholds II. (um 1050/1092-1111), Markgraf Hermann I., handeln. Vgl. GERD TELLENBACH: „Berthold II.“, in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 159 f. [Onlinefassung]. http://www.deutsche-biographie.de/ pnd13615025X.html, Stand: 19.08.2011; ALFONS ZETTLER: Geschichte des Herzogtums Schwaben. Stuttgart 2003, S. 177–183. 384 Merian der Ältere et al. 1643, S. 16. 385 Ebenda, S. 13. 386 Ebenda, S. 19. 387 Ebenda, S. 20. 388 Ebenda, S. 25. 389 Münster 1628, S. 1036.

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im Stadtregiment inthronisierte Patriziat.390 Die Repräsentation der örtlichen Hydrografie ist – und dabei machen Merian und Zeiller keine Ausnahme – von einer „End-of-Pipe“-Perspektive geprägt. Interessant für die Beschreibung sind die städtischen Brunnen, allenfalls der Wasserturm, nicht aber der Hochablass. 3.3.3 Vom Schaufenster der Macht zum Schauplatz der Machbarkeit: München Die publizierte München-Ikonografie setzt 1493 mit einem Holzschnitt in Hartmann Schedels Buch der Chroniken ein (Abbildung 31), der der Einschätzung des Münchener Stadthistorikers Richard Bauer zufolge den baulichen Status um 1480 dokumentiert.391 Bauer sieht die Bildkomposition in drei Ebenen gestaffelt. Der Betrachterstandpunkt befindet sich leicht erhöht und blickt von Osten auf die Stadt, womit ein authentischer Standpunkt, das östliche Isarhochufer, gewählt wurde. Die Isarbrücke als für die Stadtentwicklung zentrales Arrangement392 wird – optisch un-

390 An dieser Stelle sei nochmals ausdrücklich auf das meiner Studie zugrundeliegende und in Kapitel 2.2.6 skizzierte Konzept von Wahrnehmung hingewiesen. Ich behaupte nicht, städtische Elite hätte bestimmte Aspekte des sozionaturalen Schauplatzes Stadt nicht gesehen, sondern diese Aspekte fanden ihren Weg nicht in die von mir untersuchte topografische Repräsentation des Schauplatzes. Dieses nicht Repräsentiertwerden lässt entsprechende Rückschlüsse auf die soziopolitische Fundierung der in den Quellen greifbaren Perspektiven zu. 391 RICHARD BAUER: München, in: WOLFGANG BEHRINGER/BERND ROECK (HG.): Das Bild der Stadt in der Neuzeit. 1400-1800. München 1999, S. 312–320, hier 312; vgl. Horst 2006, S. 57–61. 392 Die Stadtgründung basiert auf der Zerstörung einer fürstbischöflich Freisinger Isarbrücke bei Oberföhring und der Errichtung einer Brücke flussaufwärts durch Heinrich den Löwen, der auf diese Weise von der hier verlaufenden Salzhandelsroute profitieren wollte. Zu der historiografisch nicht unumstrittenen Stadtgründungsgeschichte vgl. FREIMUT SCHOLZ: Die Gründung der Stadt München. Eine spektakuläre Geschichte auf dem Prüfstand. München 2007, S. 120–121; CHRISTIAN BEHRER: Münchens Frühzeit. Neueste Ergebnisse der Stadtarchäologie, in: HUBERTUS SEIBERT/ALOIS SCHMID (HG.): München, Bayern und das Reich im 12. und 13. Jahrhundert. Lokale Befunde und überregionale Perspektiven (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, Beihefte, Reihe B 29). München 2008, S. 3–25; und CHRISTINE RÄDLINGER: Münchens verkehrstopographische Lage. Verkehrswege in der Frühzeit, in: HUBERTUS SEIBERT/ALOIS SCHMID (HG.): München, Bayern und das Reich im 12. und 13. Jahrhundert. Lokale Befunde und über-

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terstrichen durch ihre Krümmung – zentral inszeniert.393 Die zweite Bildebene wird von der Flusszone zwischen Isarwestufer und den Stadtmauern gefüllt, die Bauers Einschätzung zufolge zwar schmaler dargestellt ist als ihrer tatsächlichen Ausdehnung entspricht. Aber in dieser Zone werden wichtige Praktiken und Arrangements der städtischen Gewerbetätigkeit, Mühlen, Städel, Holzstöße und Flöße, auffällig opulent in Szene gesetzt. Die nach Bauer dritte Bildebene beginnt mit dem doppelten Mauerring und zeigt die Stadt selbst. Einer mächtigen Inszenierung etwa der Frauenkirche steht dabei eine eher zurückgenommene Repräsentation des Bereichs des Stadtherrn, der Neuveste am rechten Bildrand, gegenüber.394 Die Grafik und Bauers Besprechung beinhalten zwei für die Analysen dieses Kapitels wichtige Hinweise: Es ist dies zum einen die zentrale Bedeutung der Flusszone zwischen der Stadt und dem östlichen Isarhochufer. Und es ist zum anderen die Rolle des Faktors Herrschaft für den Zuschnitt des sozionaturalen Schauplatzes. Münchens Ausbau zur Residenzstadt veränderte nicht nur die Stadt innerhalb ihrer Mauern, er generierte innerhalb wie außerhalb der Mauern eine regelrechte Herrschaftslandschaft. Diese Entwicklung wird in der München-Topografie grafisch wie textuell begleitet. Für die Grafik besteht die komfortable Situation, dass mit den Überblicken von Bauer und Horst eine vergleichsweise aktuelle, detaillierte Katalogisierung und Kommentierung der München-Ikonografie vorliegt.395 Es erübrigt sich also, diese kunstgeschichtliche Traditionslinie in extenso nachzuzeichnen. Vielmehr sei auf beide Überblicke verwiesen, wenn im Folgenden nur punktuell auf Grafiken zugegriffen wird, denen hinsichtlich der Entwicklung der Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes besondere Relevanz zukommt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit dieses Kapitels steht ohnehin weniger die Repräsentation des Weges hin zur Herrschaftslandschaft als deren Fortschreibung. Im Vergleich von MünchenTopografien des 17. bis frühen 19. Jahrhunderts wird der Wandel in der Darstellung regionale Perspektiven (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, Beihefte, Reihe B 29). München 2008, S. 27–57. 393 Bauer 1999, S. 312. 394 Ebenda. 395 Vgl. ebenda; Horst 2006. Horsts Studie zur Entwicklung der Stadtkartografie Münchens legitimiert die Einbeziehung von Veduten in seine Untersuchung mit der gattungsgeschichtlichen Nähe von Ansicht und Karte. Horst definiert durchaus im Einklang mit dem kartografiehistorischen Forschungsstand Veduten als kartenverwandte Darstellungen. Vgl. PETER VAN DER KROGT: The Town Atlases Braun & Hogenberg, Janssonius, Blaeu, De Wit, Mortier and others (Koeman’s Atlantes Neerlandici – New Edition 4/2). Houten 2010. Auch sieht er Stadtansichten als Vorläufer der Stadtkartografie. Horst 2006, S. 55–56. Seine definitorische Unterscheidung zwischen vermeintlich realistischer Stadtansicht von hohem Quellenwert und vermeintlich konstruktivem Prospekt vermag dabei nur bedingt zu überzeugen. Vgl. ebenda, S. 56.

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Münchens von einem „Schaufenster der Macht“396 hin zu einem Schauplatz der Machbarkeit analysiert, wie er im aufklärerischen Reformimpetus der MünchenBeschreibungen Lorenz Westenrieders (1748- 1829) und Joseph von Hazzis greifbar wird. Abbildung 31: Michael Wolgemut/Wilhelm Pleydenwurff, München, Weltchronik, 1493

Zuvor ist jedoch nochmals auf die Ikonografie des 15. und 16. Jahrhunderts und hier auf die Schedel-Darstellung mit ihrer zurückgenommenen Herrschaftsinszenierung und ihrem Augenmerk auf das fluviale Stadtvorfeld zurückzukommen. Eine spätere Grafik, Georg Hoefnagels (1542-1600) Monachiuum Utriusque Bavariae Civitas Primaria im 1586 erschienenen vierten Band der Braun/Hogenbergschen Civitates Orbis Terrarum (Abbildung 32), unternimmt eine ähnliche Akzentuierung des Schauplatzes bzw. entwickelt diese weiter. Der Stich ist weiter nördlich vom Isar-Ostufer perspektiviert als das Profil in Schedels Liber chronicarum. Er bilde, so Richard Bauer, insofern ein Novum in der Münchener Stadtikonografie, „als das Stadtbild erstmals völlig in die Landschaft der oberbayerischen Schotterebene eingebunden“ sei.397 Der Blick gegen Süden werde erst durch die Alpen begrenzt, Siedlungen der näheren Umgebung der Stadt seien markiert. Bauer geht auch auf die Darstellung von Fluss und Brücke ein und stellt fest, die Isarbrücke schwinge sich „einem schmalen und fragilen Band gleich über Arme und Inseln des Flusses und unterstreicht die Abhängigkeit der Stadt von den Launen des Wassers.“398 Bauers Beobachtung ist zuzustimmen. Zu unterstreichen wäre dabei noch das rhetorische Gewicht, das der Inszenierung von heterogener Flussstruktur und fluvialer

396 Andreas Jacob, zit. nach: EVA-MARIA SENG: Stadt, Idee und Planung. Neue Ansätze im Städtebau des 16. und 17. Jahrhunderts (Kunstwissenschaftliche Studien 108). München [u.a.] 2003, S. 267. 397 Bauer 1999, S. 315. 398 Ebenda.

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Dynamik im Verhältnis zu den übrigen hier thematisierten Aspekten des sozionaturalen Schauplatzes (Stadt, nahe Siedlungen, Alpen) zukommt. Abbildung 32: Georg Hoefnagel, Monachium Utriusque Bavariae Civitas Primaria, Civitates Orbis Terrarum, 1587

Besonders im Kontrast mit einer anderen Darstellung wird die spezifische Akzentsetzung von Georg Hoefnagels Bildprogramm augenfällig. Hans Thonauer d. Ä. (1521-1596) schuf fast zeitgleich 1595/96 für das Antiquarium der Münchener Residenz eine Stadtansicht als Fresko, die zwar ebenfalls vom Isar-Ostufer perspektiviert ist, diesmal aber deutlich weiter südlich als die beiden o. g. Ansichten, von oberhalb der Vorstadt Au.399 Die schon qua Standort des Wandgemäldes in der Residenz plausible Herrschaftsnähe spiegelt sich auch im ikonografischen Umgang mit der Flusszone. Bauer weist darauf hin, dass bei der detaillierten Darstellung der Südostflanke der Stadt weniger die Isar und die Prekarität ihrer fluvialen Dynamik oder die dort angesiedelten Gewerbe als vielmehr die höfischen, adeligen und patrizischen Gärten im Vorfeld der Stadtmauern zur Darstellung gelangten. „Der Maler betont durch die Wahl des Standpunktes zunächst also den harmonischen, der fürstlichen ‚Augenlust‘ dienenden Erholungsraum vor den Mauern, was vielleicht auch dazu führt, daß die Isar nicht als schwer zu bändigendes Wildwasser, sondern als ruhig dahinfließender Strom geschildert wird.“400

399 Vgl. ebenda. Abbildung u. a. in: HANS BLEIBRUNNER, Das alte Oberbayern. Landshut 1962, unpag. 400 Bauer 1999, S. 315.

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Das heißt: Nicht Wasser und die Flusslandschaft an sich, sondern die fluviale Dynamik als Kontrollproblem werden hier ausgeblendet. Die thematische Beschneidung und tendenzielle Harmonisierung des Schauplatzes dient offensichtlich der Herrschaftsinszenierung. Auch an einem anderen Beispiel, das der landschaftlichen Verortung der Stadt breiten Raum gewährt, wird dieses Anliegen und Vorgehen deutlich. Ein 1530 in München gedruckter Holzschnitt von Hans Sebald Beham (1500-1550) weist dem Stadtprofil einen wenig prominenten Platz im Bildhintergrund zu, während ein umfangreicher Bildvordergrund und ein von Reiterei dicht militärisch besetzter Bildmittelgrund (berittenes Gefolge Kaiser Karls V. (15001558) beim Überqueren der Isarbrücke) den kaiserlichen Einzug in die Stadt dokumentiert und die Inszenierung der Landschaft in den Dienst der Inszenierung von Herrschaft stellt.401 Das bildprogrammatische Anliegen der Inszenierung des sozionaturalen Schauplatzes als Herrschaftslandschaft findet, wie später noch zu zeigen sein wird, seine Entsprechung in der textuellen Topografie. Die auf die Ikonografie bezogenen Beobachtungen Richard Bauers gilt es aufgrund des Charakters der Topografien als grafisch-kartografisch-textuelle Medienverbünde bei deren Analyse im Hinterkopf zu behalten. Wenn als Zwischenbilanz die Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes in der München-Ikonografie des 15. und 16. Jahrhunderts auf zwei Optionen zugespitzt werden kann – Prominenz der fluvialen Verfasstheit des Schauplatzes auf der einen und harmonisierende Inszenierung einer Herrschaftslandschaft auf der anderen Seite –, dann verlangt dieser Befund nicht nur eine Überprüfung des Text-BildBezuges, sondern auch Studien zur motivischen Kontinuität oder Diskontinuität im 17. und 18. Jahrhundert. Im Bereich der Texte sind weniger die knappen Einträge zu München in der Schedelschen Weltchronik402 oder in Münsters Cosmographia403 aussagekräftig als die umfassenden Landesbeschreibungen Bayerns in Matthäus Merians Topographia Bavariae, Anton Wilhelm Ertls Churbayerischem Atlas und in Michael Wenings Historico topographica Descriptio. München in der Merian-Topografie Die einzige Gesamtansicht der Stadt in Merians Topographia Bavariae, eine Vogelschau (Abbildung 33)404, verdient insofern Aufmerksamkeit, als sie der fluvialen 401 Vgl. ebenda, S. 312–313; Abbildung: S. 314. 402 Vgl. Schedel 1493, CCXXIVv-CCXXV. 403 Vgl. Münster 1545, S. DXXII–DXXIII; Münster 1628, S. 1078–1079. 404 Vgl. Wüthrich 1996, S. 116, lfd. Nr. 24; Bauer 1999, S. 316; Horst 2006, S. 96–99. Bei dem Stich handelt es sich um die Wiedergabe der aktualisierten Version einer Vogelschau von Wenzel Hollar (1607-1677), der seinerseits den Volckmer-Plan von um 1613 bearbeitet hatte.

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Verfasstheit des Schauplatzes verhältnismäßig viel Raum gewährt. Obwohl außerhalb des im Stich deutlich markierten, zeitgenössischen zweiten Festungsrings der Stadt gelegen, nimmt das Isartal mit den verschiedenen Flussarmen, Kanälen und Inseln beinahe ein Drittel des gesamten Bildausschnittes ein. Die Grafik verweist dabei deutlich sowohl auf die schon von Georg Hoefnagel in den Braun/Hogenbergschen Civitates Orbis Terrarum thematisierte fluviale Dynamik und tendenzielle Prekarität des Schauplatzes als auch auf die im Holzschnitt zur SchedelChronik in den Vordergrund gerückte Gewerbelandschaft. Ersteres geschieht durch konkretisierende Signaturen der Geo- und Hydromorphologie. So wird trotz der planhaften Draufsicht das Hochufer im Osten durch Schraffur sichtbar gemacht. Abbildung 33: Matthäus Merian d.Ä., Monachivm. München, Topographia Bavariae, 1644

Zwei Flussinseln tragen die Bezeichnung „Gries“ (i. e. Kies- bzw. Sandbank), was sie in ihrer hydrologisch bedingt begrenzten Stabilität beschreibt. Dass das Flusstal zwischen östlicher Stadtmauer und Isarhochufer eine wichtige und intensiv genutzte Gewerbelandschaft bildete, wird sowohl durch grafische Signaturen als auch durch Beschriftung thematisiert. Dabei ist weniger von einer ‚realistischen‘ Abbildung der einschlägigen Arrangements auszugehen als von einer stark typisierenden Darstellung einzelner Strukturen in ihrer jeweiligen Funktion. So finden sich im Norden und Süden die beiden Bleichwiesen, als „Die Under Blaich“ und „Die Ober Blaich“

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beschriftet, während Einzelgebäude bestimmte Gewerbestandorte ausweisen („Zimmer Städl“, „Die Under Lendt“). An der unteren Lände befinden sich Holzstapel und angelegte Flöße und Zillen. Verschiedene Mühlengebäude säumen die Kanäle. Gärten werden gezeigt. Baumreihen verweisen zudem auf den grünen Charakter des Flussbereichs. Die Thematisierung dieser und anderer Arrangements auf der ansonsten weißen Tabula Rasa, wie sie die Vogelschau für den übrigen Raum extra muros entwirft, verleiht der dargestellten fluvialen Zone neben der Stadt und ihren Befestigungsringen eine eigene thematische Wertigkeit. Man kann aus dieser offenkundigen Wertschätzung freilich nicht unmittelbar schließen, die MerianGrafik sei mehr an der Wirtschaft und der fluvialen Situation des Schauplatzes als an der herrschaftlichen Dimension der Residenzstadt und ihrer Umgebung interessiert. Immerhin bilden zwei der vier Detailansichten des Eintrags zu München die kurfürstliche Residenz ab. Eine dritte setzt das Bauensemble des Jesuitenkollegs in Szene, dem man mit dem Etikett „herrschaftsnah“ sicher nicht unrecht tut. Einmal mehr muss an dieser Stelle der rhetorisch-mediale Verbundcharakter der Topographia Bavariae in den Blick genommen werden. Zeillers Text trägt den für den Autor üblichen offen kompilatorischen Charakter mit ausgewiesenen Bezugnahmen u. a. auf Andreas Brunners (1589-1650) Annales virtutis et fortunae Boiorum, Aventins Annalen und die 1628er Ausgabe von Sebastian Münsters Cosmographia.405 Es finden sich auch Querverweise auf Zeillers eigenes Teutsches Reißbuch.406 Ein weiteres Merkmal verbindet den Eintrag mit anderen Artikeln der Merian-Topografien: Eine verhältnismäßig umfangreiche und in sich geschlossene Textpassage, die offensichtlich auf einer Zusendung basiert, wird in extenso wörtlich abgedruckt.407 Dieser Text im Text wird mit den Worten „In einer geschriebenen Verzeichnuß stehen folgende Wort.“408 eingeleitet und der Wendung „Und dieses meldet erwehnte Verzeichnuß“ abgeschlossen.409 Der Text selbst bietet eine

405 Vgl. Merian der Ältere et al. 1657, S. 45, 46, 51. 406 Ebenda, S. 44–52. 407 Im Falle des Fürstbistums Freising etwa übernimmt Zeiller einen umfangreichen historisch-topografischen Text, der den Umfang von Zeillers eigener Beschreibung um ein Vielfaches überschreitet. Zeiller moderiert die Verwendung explizit an und nimmt auch eine quellenkritische Würdigung vor: „Als wir mit Beschreibung der Statt Freising allbereit fertig gewesen / ist uns auß Bayern folgende Description zukommen / welche / weil sie auß dem Haupt Traditions Buch dieses löbl. Stifftes / unnd andern desselben sonderbaren Verzeichnussen unnd Schrifften / scheinet genommen zu seyn / auch die [//] vorgehende Beschreibung in viel Wege erkläret / unnd weiters außführet / wir auch hieher von Wort zu Worten haben setzen wollen / […]“. Ebenda, S. 19–20. 408 Ebenda, S. 45. 409 Ebenda.

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zwar vergleichsweise kurze, aber dennoch detaillierte Topografie.410 An ihm fällt einmal mehr ein besonderes Interesse an der hydrografischen Verfasstheit des Schauplatzes auf, die sich vor allem in der präzisen Thematisierung hydraulischer Arrangements (Kanäle, Brunnen, Wasserleitungen, Wasserversorgung der Häuser durch Flaschenzüge und Eimer) äußert.411 Auch die bei aller Knappheit gegebene demografische Konkretion (18.000 Herdstätten, i. e. Haushalte) ist markant. Wie ist dieser Text in Zeillers Gesamtbeschreibung eingepasst? Zeiller beginnt seine Topografie mit einer politisch administrativen Verortung Münchens als kurbayerischer Haupt- und Residenzstadt, als Sitz des Hofes, verschiedener Zentralbehörden und der Regierung eines der vier bayerischen Rentamtsbezirke. 412 Es folgt eine namentliche Aufzählung aller im Rentamt gelegenen Landgerichte, Herrschaften, Städte und Märkte, die bilanzierend von der Angabe der Gesamtzahlen der im Rentamt vorhandenen Klöster, Schlösser, Adelssitze und Hofmarken sowie dem Hinweis auf nicht näher bezifferte landgerichtliche Dörfer, einschichtige Höfe und Güter ähnlichen Rechtsstandes abgeschlossen wird.413 Zur Klärung der Namensetymologie und Gründungsgeschichte Münchens bemüht Zeiller in einem quellenkritisch sensiblen Verfahren parallel und teilweise in wörtlichem Zitat eine deutsche 410 „Es ligt Mönchen in Vindelicia, am Wasser Isara / so auß dem Anstoß deß Italianise Gebürgs entspringet / zwischen zweyen berühmbten Flüssen / dem Lech gegen West / und dem In / gegen Ost : Gegen Mittag siehet die Statt das Tyrolisch Gebürg an / gegen Auffgang schöne liebliche Gärten / mit Bächlein / dahin geleytet. Ist ein uberauß schöne Statt / und wird erachtet / daß kein schönere Fürsten-Statt in Teutschland zu finden seye da doch der Boden herumb nicht sonderlich fruchtbar / unnd allda nichts / als Korn Früchten wachset. Anno 1175 ist sie mit einer Mawer umbfangen; Anno 1208 umb ein gutes gebessert / und damals auch der Spital erbawet worden. Anno 1315 hat Kayser Ludwig der Vierdte sie erweitert / newe Gräben herumb geführet / unnd sie inwendig mit schönen Gebäwen gezieret / daß sie nach und nach zu solcher Herrlichkeit kommen. Auß der Isar lauffen etliche Canäl durch die Statt / in welcher / und ausser derselben / es vil Mühlen; schönes Brunnenwerck / mit springenden Röhren / unnd außgehawenen Bildern hat: die Handwercker / sonderlich Glaser unnd Seidenweber / seynd da im Wolstandt / und vor kurtzer zeit uber 18000. Heerdstätte / sammt einer grossen Menge Volcks / auch vil fremde ansehenliche Fürsten / Graffen / Herren / und vom Adel / allda gewesen. Die Häuser seyn groß / schön unnd prächtig erbawet / haben artige Manier mit den Wasser Aymern / das Wasser hoch hinauff zu ziehen / und zu schöpffen / und seyn solche / sonderlich auff dem Marckt / schön gemahlet. Es hat umb die Statt von Jagen / Weydwerck und Fischerey / ein sehr lustige Gelegenheit; liebliche Wäld / viel See und Weyher.“ Ebenda. 411 Ebenda. 412 Ebenda, S. 44. 413 Ebenda, S. 44–45.

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und eine lateinische Aventin-Ausgabe und Brunners Annalen. An diese Frühgeschichte schließt sich der oben zitierte topografische „Text im Text“, an dessen hydrografische Schwerpunktsetzung unmittelbar angeknüpft wird. Unter Verweis auf „andere“, nicht näher benannte Gewährsleute äußert sich Zeiller zur Isar, ihrem Ursprung und der vermeintlichen Existenz einer Steinbrücke in München und zitiert eine positive ästhetische Lagebewertung der Stadt: Sie liege „sehr schön und eben / werde für eine der schönsten Stätte in Teutschland gehalten“.414 In relativ kurzen Intervallen verhandelt der Artikel dann die neue Stadtbefestigung des 17. Jahrhunderts, gibt – im Rahmen des topisch Üblichen – Auskunft zur Güte der Luft, macht Angaben zum örtlichen Handel und Gewerbe, zu Praktiken der höfischen und patrizischen Kultur, erwähnt die Positionen der vier Stadttore und charakterisiert kurz umgebende Seen und Wälder samt deren Fisch- und Wildreichtum sowie das Gebirge im Süden.415 Es folgt eine Beschreibung der politischen Verfassung der Kommune samt Ratsregiment. Eine längere Passage berichtet über „Unfälle“, i. e. historische Vorkommnisse, u. a. verschiedene Brandereignisse.416 Lapidar wird die Verbrennung jüdischer Einwohner samt ihrer Synagoge im Jahre 1285 an zwei Stellen kurz thematisiert und an anderer Stelle mit einem von zwei vermeintlichen jüdischen Kindermorden in Verbindung gebracht.417 Es folgen Beschreibungen der Frauenkirche und ihrer Baugeschichte, der Jesuitenkirche und des Jesuitenkollegs, des Jakobsklosters und weiterer geistlicher Bauten.418 Die prominenteste Position und den größten Umfang unter den Beschreibungen der Profangebäude der Stadt nimmt die kurfürstliche Residenz ein.419 Sowohl die einleitende Wortwahl als auch die mehrfache Bezugnahme auf das Zeillersche Reißbuch unterstreichen hier den quasi touristischen Charakter der Einlassungen über Sehenswürdiges. Die prachtvolle Bauausstattung der Residenz wird zum Gegenstand präziser Beschreibung,420 wenngleich der Text des landfremden protestantischen Topografen Martin Zeiller hier wesentlich zurückhaltender verfährt als später die Wening-Topografie.

414 Ebenda, S. 45. 415 Ebenda, S. 46. 416 Ebenda. 417 Ebenda, S. 46-47, 51. 418 Ebenda, S. 47–48. 419 „Von Weltlichen Gebäwen ist allhie sonderlich das Churf. Schloß / oder Pallast / die newe Veste genandt / zubesichtigen / welches wol ein König Gebäw ist / so im Eingang einen langen / schönen perspectivischen Hoff hat / durch welchen man in einen grossen runden Hoff (darinn ein schöner grosser Röhrkasten mit Bildern stehet) siehet.“ Ebenda, S. 48. 420 Vgl. ebenda, S. 49.

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Auch der zur Residenz gehörige Hofgarten erfährt Aufmerksamkeit als Sehenswürdigkeit. Er wird dem Leser freilich nicht nur in seiner Materialität vorgestellt. Die genaue Beschreibung und allegorische Ausdeutung eines bestimmten Arrangements, einer Skulptur, die das Herzogtum Bayern in seinen natürlichen Vorzügen versinnbildlicht, zieht in den Text eine zweite, symbolische Ebene der Repräsentation sozionaturaler Schauplätze ein.421 Denn im Bildprogramm dieser heute wahlweise als Tellus Bavariae oder Diana bekannten Figur wurde, wie Zeillers sorgfältige Dokumentation der Bronze und ihres architektonischen Umfeldes zeigt, von den Zeitgenossen die Repräsentation des Territoriums als eines sozionaturalen Schauplatzes gelesen. In der topografischen Literatur wurde dieses Motiv aufgegriffen und erscheint in unterschiedlichen Variationen u. a. im Titelkupfer von Merians Topographia Bavariae (Abbildung 36) und Wenings Historico topographica descriptio (Abbildung 37). Abbildung 34: Johann Matthias Kager, Brunnenensemble mit Tellus Bavariae, 1611

421 „Gegen diesem Berg uber ist ein grosser Felsenberg / oder Grotta / darauff stehet ein groß Metallin Weibsbild / Lebens grösse / die hat auff ihrem Hut ein Eychen Laub / welches das Gehültz in Bayern bedeutet: Umb den rechten Arm hängt ein Hirschhaut / und Gewicht daran / das bedeut das Gewilde in Bayern: In der lincken Hand hats eine Aeher / der bedeut das Getrayd : Bey den Füssen liegt ein Wein-Fäßlein / das bedeutet den Weinwachs in Unter-Bayern : Darneben ein Saltzscheiben / die bedeutet das Saltz / und Saltzpfannen : Umb den Berg her sein Fisch / Schnecken / Muscheln / die bedeuten das Wasser / und die Fisch : Vor dem Bild stehet ein grosser Hund unnd Bär / die Hauffen Wasser außspeyen / welches dann / daß diese Thier so groß im Bayernland fallen und gefunden werden / bedeutet : Der Berg ist von vielem Ertz zusammen gesetzt / welches die Bergwerck anzeyget : Auff beyden Seiten deß Berges stehen zwey absonderliche ährine Löwin: und wachsen auß allen diesen Bergen unnd Felsen / allerley gute Kräutlein und Blumen gar schön / weil man die Saamen also hinein gesäet hat / so die Felsen hüpsch zieren / sonderlich aber wachsen schöne Erdbeer daran.“ Ebenda.

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Die beschriebene Statue im Hofgarten wird dem niederländischen Künstler Hubert Gerhard (um 1550- 1622/23) zugerechnet und dürfte um 1600 entstanden sein.422 Sie wurde später von ihrer ursprünglichen Position im Fischteich (Abbildung 34) des heute überbauten südlichen Gartenteils entfernt, umgestaltet und auf der Spitze des 1616 unter Kurfürst Maximilian I. (1573- 1651) errichteten Zentraltempels installiert (Abbildung 35, rechts).423 In der Architekturgeschichte des Residenzgartens ist bislang nicht letztgültig geklärt, wann der Positionswechsel der Statue erfolgte.424 Der Umstand, dass die rechte Hand der Figur, die zunächst einen Lorbeerkranz trug, mit einem Reichsapfel ausgestattet wurde und dass ein Putto der Sockelgestaltung am neuen Standort einen Kurhut hält, deutet auf einen Umzug nach 1623, als Maximilian I. die Pfälzer Kurwürde erwarb. Martin Zeiller beschreibt dagegen in der erstmals 1644 erschienenen Topographia Bavariae die ursprüngliche Aufstellungssituation der Statue und beruft sich dabei auf sein 1632 erschienenes Teutsches Reyßbuch.425 Möglicherweise basieren beide Texte Zeillers auf der 1611 entstandenen Beschreibung des Augsburger Kaufmanns, Kunstagenten und Korrespondenten Philipp Hainhofer (1578-1647). In Hainhofers Auftrag war auch eine aquarellierte Zeichnung des Brunnenensembles durch den Augsburger Maler Matthias Kager (um 1575-um 1635) entstanden (Abbildung 35).426 Unabhängig von der genauen Datierung des Umzuges erscheinen im Zusammenhang mit der Bavaria/Diana-Statue zwei Aspekte offensichtlich: Erstens entfernte die neue Position auf dem Tempeldach die Figur vom Betrachter und behinderte die Wahrnehmung ihrer bildprogrammatischen Details.427 Mit der Entfernung der Statue aus ihrem ursprünglichen Ensemblekontext und mit den Änderungen im 422 LARS OLOF LARSSON: Tellus Bavarica. Metamorphosen einer Landesallegorie, in: ADRIAN VON

BUTTLAR/TRAUDL BIERLER-ROLLY (HG.): Der Münchner Hofgarten. Beiträ-

ge zur Spurensicherung. München 1988, S. 50–55, hier 50. 423 Ebenda, S. 53. 424 Ebenda. 425 Merian der Ältere et al. 1657, S. 49. 426 Vgl. Abb. 74 in DIETER WIELAND: Wasser für Hof und Garten, in: ADRIAN VON BUTTLAR/TRAUDL

BIERLER-ROLLY (HG.): Der Münchner Hofgarten. Beiträge zur Spurensi-

cherung. München 1988, S. 56–71, hier 62–63. 427 Damit mag zusammenhängen, dass die Skulptur in der Weningschen Historicotopographica descriptio nurmehr en passant als Detail des Gebäudeschmucks erwähnt wird: „[…] auff der Kuppl stehet ein Wunder schöne auß Metall gegossne Waldgöttin Diana, und auff denen Fußgestellen ruhen vier andere auß gleicher Matery bestehende Sinnbilder.“ MICHAEL WENING: Historico topographica descriptio, das ist Beschreibung deß Churfürsten- und Hertzogthumbs Ober- und Nidern-Bayrn, welches in 4 Theil oder Renntämbter als Oberlandts München und Burgkhausen, Underlands aber in Landshuet und Straubing abgetheilt ist …, Bd. 1. München 1701 [ND München 1974], S. 9.

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Bildprogramm – ihr wurde nicht nur ein Reichsapfel in die Hand gegeben, das ursprünglich als Helmzier dienende Eichenlaub wurde durch ein drachenartiges Tier ersetzt – veränderte sich auch die Symbolik und Lesbarkeit des Kunstwerks. Sie führte weg von einer Lektüre im Sinne der oben geschilderten sozionaturalen Definition von Territorialität, hin zu der einer herrschaftszentriert-staatsidealistischen Auffassung.428 Abbildung 35: Johann Matthias Kager, Brunnenensemble mit Tellus Bavariae, Detail (links), Tellus Bavariae auf dem Hofgartentempel (rechts)

Doch auch das Bildprogramm im ursprünglichen Ensemblekontext, wie es in der Beschreibung Zeillers interpretiert wird, gibt Anlass zur Diskussion. Von der topischen Verankerung dieses Bildprogramms in der antiken Mythologie einmal abgesehen, erscheinen mir Zweifel an der Dichotomisierung von „Kultur“ und „Natur“ angebracht, wie sie Lars Olof Larsson an der Skulptur festmacht.429 Er betont die dichotomische Spannung zwischen der durch den idealischen Frauenkörper symbolisierten „Kultur“ und der durch naturalistisch inszenierte pflanzliche und tierische Attribute symbolisierten „Natur“. Larsson argumentiert mit der Darstellungstradition in der italienischen und französischen Gartenplastik des 16. Jahrhunderts. Wenn

428 Vgl. Larsson 1988, S. 52. 429 Vgl. ebenda, S. 53.

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er hier allerdings u. a. Giovanni Bolognas (1529-1608) Marmor-Venus in der Grotte des Florentiner Boboligartens bemüht, markiert er bereits mit einem eigenen einschränkenden Hinweis die Plausibilitätsgrenzen seiner Argumentation.430 Er verweist darauf, dass im Falle der Venus die „Kontrastwirkung in der Gegenüberstellung der attributlosen, kunstvollen Skulptur und ihrer Umgebung“ liege. Dies sei bei Gerhards Skulptur anders. Sie trage „sozusagen die Kontrastwirkung in sich selbst“.431 Eine weniger auf die Identifizierung einer dichotomischen Spannung hin orientierte Analyse könnte – und sollte – eine Diagnose von Kontrast und Spannung durch eine solche von Hybridität ersetzen, die in der Plastik inszeniert wird. Abbildung 36: Matthäus Merian d. Ä., Titelkupfer, Topographia Bavariae, 1644

430 Vgl. ebenda. 431 Ebenda.

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Zeillers Beschreibung von Residenz und Gartenanlagen schildert im weiteren Verlauf unter anderem „einen Gang in die alten Gärten“ außerhalb des Schlossgrabens, wo „vieler gutter alter Bäum / und Länder zur Küchenspeiß / und Kräuterwerck“ anzutreffen seien.432 Hier bestehe auch, so Zeiller weiter, ein „langer weiter perspectivischer mit Weinreben uberzogener Spatziergang“. Ein nahes Lusthaus biete Aussicht in ein Feldgehölz, „darinn die Hirschen gehen / unnd Hauffenweiß / biß an das Lusthauß / sonderlich gegen den Abend / hinan kommen“, wie dies Bertius und andere Beschreibungen Münchens berichteten.433 Tatsächlich spitzt Bertius den Bericht über das zahlreiche und zutrauliche Wild noch zu. Er expliziert den jagdlichen Zugriff des Landesherren auf das residenznahe Rotwild, das sich „quasi Dominum salutans“ nähere.434 Hier wird bereits in seinen Grundzügen ein Schauplatz inszeniert, auf dem urbane und rurale Arrangements und herrschaftliche Praktiken ineinander greifen. Es wird eine Herrschaftslandschaft konstruiert, die in der späteren barock-höfischen Topografie (Wening) weiter verdichtet und stilisiert und schließlich unter aufklärerischen Vorzeichen wieder dekonstruiert (Hazzi) werden sollte. In Zeillers Artikel finden noch weitere architektonische Arrangements wie Schießgraben und Schießhütte, Zwinger, eine Apotheke, die alte Residenz des „Alten Hofes“, die Münze, das Zeughaus und das Ballhaus sowie das Leprosenhaus auf dem Isar-Ostufer Erwähnung.435 Der Beitrag wird von Genealogischem und Biografischem zum Herrscherhaus und dem jungen Kurfürsten Ferdinand Maria (16361679) sowie von quantitativen Angaben zur Höhe der bayerischen Matrikularbeiträge zum Reich abgeschlossen. Es kann resümiert werden, dass sich Merians Ikonografie und mehr noch Zeillers Text in der Topographia Bavariae bereits auf den Weg hin zur Inszenierung des Schauplatzes München als Herrschaftslandschaft begeben haben. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass dies noch mit der zurückhaltenden Distanz eines landfremden Verlages geschieht, dessen topografisches Großunternehmen vergleichsweise unabhängig von landesfürstlicher Einflussnahme agierte.436 432 Merian der Ältere et al. 1657, S. 50. 433 Ebenda. 434 „Hortus praeter artificiosum fontem & domum pulcherrimis picturis ac statuis ornatam, pergualsque & antra ex opere topiario, hoc habet insigne, quod sub vesperam quotidie vergente ad noctem crepusculo magnus cervorum grex fenestras arcis sua sponte subeat, quasi Dominum salutans, vt facile sit Principi vel sagitta vel sclopeto destinatum aliquem ex tam multis conficere.“ Bertius 1616, S. 621. 435 Merian der Ältere et al. 1657, S. 50–51. 436 Das Beispiel des Bandes zu Braunschweig-Lüneburg mit seinem markant abweichenden Redaktionsprozess bestätigt als Ausnahme die letztgenannte Regel. Vgl. PAUL ZIMMERMANN:

Matthäus Merians Topographie der Herzogtümer Braunschweig und Lüne-

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Abbildung 37: Michael Wening, Titelkupfer, Historico topographica descriptio, 1701

München in Ertls Chur-Bayerischem Atlas Einen deutlichen Kontrast zur zurückhaltend sachlichen Schreibe Zeillers bietet die erste umfassende Landesbeschreibung Bayerns nach Apian, Anton Wilhelm Ertls Chur-Bayerischer Atlas, dessen erster, den bayerischen Städten gewidmeter Band 1687 erschien.437 Auch beim Chur-Bayerischen Atlas handelt es sich nicht um ein Auftragswerk, dennoch verraten die wohl als illuster zu bezeichnenden biografischen Umstände des Autors438 und vor diesem Hintergrund die im Text dick aufgetragene Panegyrik eine an der Landesherrschaft, dem Hof und dem hauptstädtischen Patriziat ausgerichtete Antizipation von Rezipientenerwartungen. Der Kartografiehistoriker Thomas Horst vertritt zwar in Anlehnung an Viggo Lisz eine durchaus anerkennende Einschätzung von Ertls Texten. Ertl sei es „gelungen, die Städtebilder, ‚deren Ursprung älter als der Text ist, durch seine barocke Sprache‘ für seine Zeitgenossen zum Reden zu bringen.“439 Im Vergleich mit dem Werk Merians und

burg, in: Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig 1 (1902), S. 38–66. 437 Ertl 1687; zur München-Ikonografie vgl. Horst 2006, S. 100–103. 438 Vgl. Biller 2004, S. 183–194. 439 Horst 2006, S. 100.

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Zeillers muss eine Evaluation der rhetorischen Funktionalität von Ertls Texten aber doch kritischer ausfallen. In der Tat arbeitete Ertls Text mit altem Bildmaterial. Bei den Kupferstichen von Johann Ulrich Kraus (1655-1719) handelt es sich weitgehend um Übernahmen von Merian.440 Abbildung 38: Anton Wilhelm Ertl, München, Chur-Bayerischer Atlas, 1701

An der München-Ikonografie in Ertls Chur-Bayerischem Atlas ist lediglich eine vom Isar-Ostufer aus perspektivierte Profilansicht (Abbildung 38) bemerkenswert.441 Drei Aspekte heben diesen Stich vom übrigen Bildprogramm der Ertlschen 440 Horst referiert das abschätzige Urteil des Landeshistorikers Siegmund Riezler (18431927) über den Autor. Das Abkupfern von Merian habe Ertl bei Sigmund Riezler „den Ruf eines Aufschneiders von besonderer Beschränktheit“ eingetragen. Horst 2006, S. 102. Horst bleibt dessen ungeachtet bei seiner positiven Sicht: „Trotzdem hatte sein kurbayerischer Atlas aufgrund fleißig zusammengetragener Literatur eine große Bedeutung für den zeitgenössischen Patriotismus der Bayern. Dies zeigt sich vor allem aufgrund seiner kulturgeschichtlich wertvollen Angaben.“ Ebenda. Der auch von Horst gebrauchte Adelstitel Ertls (Anton Wilhelm Ertl von Lebenburg) war möglicherweise unter Hilfe von Ertls Bruder, eines betrügerischen Mönchs, erschlichen, was mit Ertls Verstummen als Schriftsteller zu tun haben könnte (so Biller 2004, S. 188–192) 441 Ertl 1687, nach S. 110. Während Horst 2006, S. 100, keine Angaben zur Autorschaft dieser Ostansicht macht, geht sie der Einschätzung Richard Bauers zufolge auf einen Stich Jacob Koppmaiers zurück, der seinerseits eine um 1680 entstandene WeningAnsicht nachgestochen habe. Bauer 1999, S. 318; Rainer Schuster datiert die Entstehungszeit dieser ersten Wening-Ansicht Münchens auf 1666/1667 und führt sie ihrerseits auf eine Merian-Vorlage zurück. Schuster 1999, S. 72.

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München-Topografie ab: Erstens sind die übrigen Abbildungen – eine Gesamtansicht/Vogelschau442 und Detailansichten von Jesuitenkolleg, Residenz und Marktplatz – thematisch weitgehend deckungsgleich mit dem Repertoire der Topographia Bavariae. Zweitens handelt es sich bei der Profilansicht um einen Bildtyp, der in der München-Beschreibung der Merian-Topografie nicht vorkommt, und drittens fügt sich diese Darstellung in die schon besprochene Tradition von MünchenDarstellungen, die die Stadt vom Isar-Ostufer aus in den Blick nehmen. Sie unterscheidet sich von der thematisch ähnlichen München-Darstellung Georg Hoefnagels in den Braun/Hogenbergschen Civitates Orbis Terrarum (Abbildung 32) durch einen weiter südlich positionierten Betrachterstandort, setzt aber ebenso wie diese einen darstellerischen Schwerpunkt auf den Fluss. Die Isar, verschiedene Flussarme, insulare Strukturen und flussbezogene Arrangements spielen in der Grafik eine zentrale Rolle. Die optische Prominenz des Flusses wird dadurch unterstrichen, dass dem Ostufer im Bildvordergrund nur ein schmaler Streifen verbleibt, während eine detailliert geschilderte Gewässerzone rund ein Drittel der gesamten Bildfläche einnimmt. Es entsteht so der Eindruck einer sehr ausgedehnten Wasserfläche; auch wird – wenngleich nicht im selben Maße wie bei Braun/Hogenberg/Hoefnagel – der Eindruck eines Schauplatzes von hoher fluvialer Dynamik erzeugt. Die Isarbrücke, Uferbefestigungen, Pfahlreihen und eine zentral positionierte, zaunartige Struktur gliedern den fluvialen Raum. Flößerei, die Floßlände und die schon in der Schedelschen Weltchronik stark betonte flussnahe Wirtschaftszone sind, der Stadt vorgelagert, detailreich inszeniert. Ein letzter Aspekt erscheint bemerkenswert: Die Stadt ist asymmetrisch in die Landschaft integriert. Der linke Bildrand lässt links der Südostecke der Stadt noch Freiraum, der einen Blick auf die im Bildhintergrund angedeutete Alpenkette ermöglicht. Am rechten Bildrand schneidet der Bildausschnitt dagegen einen Teil der Stadt ab – bemerkenswerterweise auf Kosten der Residenz. Dabei zeigt die Hoefnagel-Grafik der Civitates Orbis Terrarum mit ihrer nur leicht differierenden Perspektive, dass die Darstellung des weiteren landschaftlichen Kontexts unter Einschluss des Alpenpanoramas im Stadtsüden eine Einbeziehung der Residenz nicht notwendigerweise ausschließt. Hier handelt es sich offensichtlich um eine bewusste Schwerpunktsetzung, bildet doch Hoefnagels Grafik die „Neuveste“, den Kern des von Seiten der Landesherrschaft ab dem 14. Jahrhundert vorangetriebenen Residenzbaus in nordöstlicher Randlage, nicht nur ab, sondern verzeichnet sie auch über die Legende. Ertls Text – und damit derjenige Teil des Text-Bild-Verbundes, der sich der direkten Autorschaft Ertls verdankt – setzt bereits zu Beginn deutliche rhetorische Vorzeichen:

442 Vgl. Horst 2006, S. 101–102.

240 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT „Dieses ist die weltberühmte Churfürstliche Haupt- und Residentz-Stadt in Bayern / ein hellgläntzende Sonnen deß gantzen Lands / ein unschätzbares Perl Europae, ein unvergleichlicher Schatz deß werthen Teutschlands / ein Spiegel der Adelichen Hof-Sitten / ein Pallast der Gerechtigkeit / ein Sitz der Andacht und [//] Glaubens-Eifer / mit einem Wort / ein Ausbund alles / was in vielen Ländern mag gefunden werden.“443

Die hier unternommene panegyrische Zuspitzung des Städtelobs wird im Laufe der weiteren Beschreibung unter Aufgreifen eines gattungstypischen Formulars von Kategorien unterfüttert, z. B. unter Betonung der großen, breiten und „mit gutem Pflaster“ versehenen Gassen.444 Auch superlativische Vergleiche in der Architekturschilderung sind diesem rhetorischen Programm zuzuordnen, so etwa der Vergleich der Gebäudedimensionen und Pracht des Jesuitenkollegs mit dem Escorial in Madrid445 oder die auf die Theatinerkirche gemünzte Feststellung: „In Summa nach der Vaticanischen Kirchen zu Rom / glaube ich nicht / daß von dieser Gattung ein schöners Gebäu in gantz Teutschland anzutreffen seye.“446 Ganz allgemein erfordert Ertls üppiger Sprachduktus genaues Hinsehen beim Blick auf einzelne thematische Details. So kommt etwa die Schilderung der kurfürstlichen Schatzkammer in der Münchener Residenz äußerst blumig daher; Materialität und Wunder verschwimmen – nicht ohne Augenzwinkern.447 Mitunter verfährt die topografische Beschreibung Ertls wesentlich weniger präzise, als dies bei Zeiller der Fall ist. Am Anfang des Artikels etwa benennt Ertl gattungsüblich den historischen Namen der Stadt und ihre Position zu administrativen Grenzen. Bei der anschließenden statistischen Quantifizierung regionaler Siedlungen bleibt aber die administrativ-territoriale Bezugsgröße unklar.448 443 Ertl 1687, S. 111–112. 444 Ebenda, S. 113. 445 Ebenda, S. 120. 446 Ebenda, S. 121–122. 447 „Die Churfürstliche Schatzkammer belangend / scheint es / als ob gantz Orient all seine Diamant / Rubin / Schmaragd / Gold und andere Kostbarkeiten in einen kurtzen Begriff zusammen getragen hätte / und ist absonderlich an Menge und Grösse der Perlein ein solcher Uberfluß / daß man sagt / an keinem Kayser oder Königlichen Hof werde dergleichen Perlen-Schatz zu finden seyn. Ich kunte alhier bey 500. Stuck lauter ungemeiner seltzamen Kostbarkeiten erzählen / worüber männiglich die Augen in lauter Verwunderung schwimmen wurden / aber eine geheime Ursach thut den Rimsaal [sic!] meiner freyen Feder verstopfen. Soll mir genug seyn zu melden / daß alle menschliche fünf Sinn gnug geschäfftigt seyn bey dem jenigen / welcher solchen Schatz zu sehen begnadet wird.“ Ebenda, S. 129. 448 „Sie [i. e. die Stadt München, M.K.] ware von den alten Weltbeschreibern benamset Isinisca, und ligt selbige in dem Bisthum Freising / begreifft neben einer ungemeinen

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Der sozionaturale Schauplatz Residenzstadt, wie ihn Ertl absteckt, zeichnet sich dagegen durch äußerst präzise und quantifizierend beschriebene architektonische Arrangements aus. Menschen und gesellschaftliche Praktiken bleiben demgegenüber, abgesehen von der gattungstypischen Abhandlung historischer Stoffe, wie der Stadtgründungs und -entwicklungsgeschichte, bemerkenswert unterbelichtet. Eine lapidare Wendung attestiert der Stadt, sie sei „Volckreich“.449 Gewerbe und politische Stadtverfassung werden im Wesentlichen auf nur zwei Druckseiten kurz abgehandelt.450 Geistliche und weltliche Bauten kommen dagegen umfassend in den Blick. München erhält somit in Ertls Beschreibung einen stark kulissenhaften Charakter. Als Beispiel des großen Gewichts, das architektonischen Arrangements zugemessen wird, sei der Liebfrauendom herausgegriffen, dessen Baukörper in Ertls Beschreibung Gegenstand genauer Quantifizierung ist.451 Die materielle Beschaffenheit und die Abmessungen des Kirchenbaus und seiner Elemente werden präzise spezifiziert.452 Durch besondere Konkretion zeichnet sich die Beschreibung von Anzahl Städt / Märckt und Dörfer / bey 39. Clöster / 79. Schlösser / 126 Adeliche Sitz / und 245. Hofmärckt.“ Ebenda, S. 112. 449 Ebenda, S. 131. 450 Vgl. ebenda, S. 131–132. Im Rahmen der berichteten historischen Denkwürdigkeiten und im Kontext einer auf Konformität mit der altgläubigen Landesherrschaft angelegten Panegyrik besitzt Ertls Thematisierung der Einnahme Münchens durch Gustav Adolf von Schweden im Dreißigjährigen Krieg 1632 eine vergleichsweise eigenständige Stellung. An Gustaf Adolfs Auftreten werden konfessioneller Pragmatismus und tugendhafte Herrschaftsausübung stark konturiert, die Charakterisierung des Königs trägt Züge apotheotischer Idealisierung und verweist damit auf Ertls eigenen pragmatischen Umgang mit konfessioneller Positionierung. Der Schwedenkönig habe „diese Stadt im Accord eingenommen : sein Losament ware in dem Churfürstl. Pallast / und als denselben Pfaltzgraf Friderich aus Haß und Neid mit Brand vertilgen wollen / ist ihm soches durch den König verbotten worden; welcher auch am heiligen Auffahrts-Tag in unser lieben Frauen Stifft-Kirchen denen gewöhnlichen Kirchen-Ceremonien mit Königlicher Andacht und Sittsamkeit beygewohnt / hernach auch Geld unter das Volk geworffen / und auch den kleinen Kindern die Hand gebotten. Er hat aus dem Zeughaus 12. grosse Carthaunen / die 12. Apostel genannt / weggeführt mit lachenden Mund sprechend / denen Aposteln gehöre es zu / daß sie das Wort GOttes in aller Welt predigen müssen / wolle sie also mit sich herum führen.“ Ebenda, S. 134. Zu Ertls nicht gänzlich aufgeklärter, vermutlich aber beruflichem Fortkommen geschuldeter kurzzeitiger „Scheinkonversion“ vgl. Biller 2004, S. 186. 451 Vgl. Ertl 1687, S. 115–118. 452 „Die Kirch ist von lauter gebachnen Steinen aufgeführt / die Haupt-Mauer ist 5. Werkschuh dick / die Länge ist 336. Schuhe / die Breite 128. von der Erden bis an das Gewölb 115. Bey dem Dachstul seynd 140. Flöß / deren jeder 15. bis 20. Baum gehabt. [...]“.

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Turmspitzen und Orgel aus. So erfährt man über das Volumen der Messingkugeln auf den Turmspitzen, jede der beiden Kugeln könne 2½ Scheffel Korn fassen.453 An die Verwitterung der aus Kupferblech bestehenden Turmspitzendächer schließt sich die Anekdote vom Angebot eines venezianischen Edelmannes, die für eine Verbesserung des Zustandes erforderliche Menge Silber aufzubringen.454 Auch hinsichtlich der Abmessungen der Orgel und der Zahl ihrer Pfeifen quantifiziert Ertl genau. Darüber hinaus gibt er an, in eine große, aus Buchsbaum gefertigte Pfeife von 24 Schuh Länge könne ein Mann hineinkriechen.455 Die Materialität der Architektur ist für Ertl von offensichtlich zentraler Bedeutung. Dabei schreckt Ertl – der tendenziellen Idealisierung der Stadt zum Trotz – nicht vor einer kritischen Bestandsaufnahme des Bauzustandes im Detail zurück. So lässt er die Vernachlässigung des Alten Hofes anklingen.456 Wie sich in den bereits analysierten Städtetopografien gezeigt hat, besitzt die Gewichtung von Beziehungen zwischen Stadt und Um- bzw. Hinterland erheblichen Einfluss auf den thematischen Gesamtzuschnitt des repräsentierten sozionaturalen Schauplatzes. Auch im Falle von Ertls Topografie der Residenzstadt München lohnt daher ein Blick auf die Beschreibung der Umgebung. Während die Lagebestimmung Münchens gattungsüblicher Topik folgt und die lokale Hydrografie keine prominente Rolle spielt,457 zeichnet der Text ein detailliertes und lebendiges, ästhetisch interessiertes Bild von der die Stadt umgebenden Landschaft. Außerhalb der Stadt finde man zahlreiche „angenehme Lust-Gärten“, im Süden der Stadt habe man das „Saltzburgisch und Tyrollische Hochgebürg vor Augen.“458 Besonders sei es „ein sehr lustiger Spatziergang über die Iserbrücken in die Au hinaus“, wo man Ebenda, S. 115. Zu den beiden Türmen ist zu erfahren, diese seien „eben so hoch / als die Kirchen Lang ist. Die Thürn seynd 333. Werkschuh hoch. Von der Kirchen seynd 33. Stiegen oder 450 Stäffelein. Die Hauptmauer an jedem Thurn [sic!] ist 11. Schuh / innwendig ist ein jeder Thurn in seiner Vierung weit 29. Suh [sic!];“ Ebenda, S. 116. 453 Ebenda. 454 „Das Kupfer herum ist von der Sonnen Hitz dergestalt sublimiert / daß ein Venetianischer Edelmann so schweres Silber dafür zu geben / sich vor etlich 60. Jahren erbotten.“ Ebenda, S. 116–117. 455 „In dieser Stifft-Kirchen befindet sich eine köstliche Orgel / wleche in der Höhe hat 62. Schuh / in der Breite 50. hat 12. Blasbälg / 17. Register und 1414. Pfeiffen. Die grosse viereckige Pfeiffen hält in sich 1018. Maß / in der Länge 34. Schuhe : in die grosse aus Buxbaum gemachte Pfeiffen welche 24. Schuhe lang ist / kann leichtlich ein Mann hinein schlieffen.“ Ebenda, S. 116. 456 Ebenda, S. 130–131. 457 „Von dieser herrlichen Stadt Gelegenheit zu melden / so liegt selbe nechst an dem IserStrom / in einer grossen Ebene / an einem sehr gesunden Ort.“ Ebenda, S. 113. 458 Ebenda, S. 114.

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nicht nur eine große Vorstadt finde, sondern wo auch das seinerseits von Gärten umgebene Paulinerkloster „mit sonderbarem Vergnügen in die Augen fället : zu geschweigen deß nechst darinn ligenden unvergleichlichen Fürstl. Garten / allwo die seltzamiste Wasserkünsten / lustige Sommerhütten / und unzählbar andere Ergötzlichkeiten / gleichsam in einem Centro beysammen wohnen.“459 Interessant ist an Ertls Schilderung der direkten Umgebung Münchens, dass hier die kulissenhaftmenschenleere Anmutung des Schauplatzes aufgehoben wird. Egal durch welches Tor man die Stadt verlasse, so resümiert Ertl, man werde „überall hübsche Gärten / Dörfer / Wiesen / und Kirchen antreffen / welche Frühlings-Zeit von dem Adel und Volk in grosser Menge besucht werden.“460 Durch diese Betonung der Frequentierung durch Erholungssuchende aller Schichten findet eine Quasi-Demokratisierung der Landschaft extra muros statt, die bis weit in landesherrlich monopolisierte Bereiche der hauptstädtischen Herrschaftslandschaft hineinreicht. Sogar das residenznah gehegte Rot- und Rehwild, das auch Zeiller erwähnt hatte (vgl. oben) und dessen geradezu willige Verfügung unter den landesherrlichen Jagdwillen de Bert stilisierte (vgl. oben), wird bei Ertl dem ausschließlich fürstlichen Plaisir entzogen: „Gegen Freising hinab befindet sich ausser der Stadt München / ein Überfluß zahmer Hirschen und Rehen / welche denen Reisenden grossen Wollust verursachen.“461 Wie sehr sich diese demokratisierte Lesart des sozionaturalen Schauplatzes vom zeitgenössischen Trend unterscheidet, zeigt sich im direkten Vergleich mit der entsprechenden Passage in Michael Wenings Historico topographica descriptio. Auch deren mutmaßlich durch den Jesuitenpater Ferdinand Schönwetter (1652-1701)462 verfasster Text geht detailliert und bereits auf der ersten Seite seiner umfangreichen Beschreibung Münchens auf die unmittelbare Umgebung ein. Nur akzentuiert er diese explizit und bruchlos als landesherrliche Herrschaftslandschaft, in der das Wild für die fürstliche Lust gehegt wird und in der – Trabanten gleich – um die Stadt herum kurfürstliche Lustschlösser angeordnet sind, allesamt Arrangements, die höfisch-herrschaftliche Praktiken ermöglichen.463 Dieser höfische Mikrokosmos 459 Ebenda. 460 Ebenda. 461 Ebenda. 462 Vgl. Schuster 1999, S. 151–152. 463 „umb dise Statt herumb ligen vil schöne Gärten / bevorab der so annemlich - als schön und rare mit Weyern unnd Statuen gezierte Hofgarten […]. Nicht fern davon fallt in die Augen der so genannte Hirschanger; worinn das rothe Wildprät / auch Fasan- und Wild-Aendten underschidlicher Gattung / zu Lust der regierenden Lands-Fürstlichen Gnädigisten Herrschaft / uneingesperrt in der Mänge geheuet werden : deme folgen vil andere / fast rings herumb sich befindende angenemme Wisen / Aecker / Traydt-Felder und Auen : Item kleine - sehr lustige Waldungen / underschidliche Dorffschafften / und

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wird just zu der Zeit so beschrieben, zu der Kurfürst Max Emanuel (1662-1726) sich anschickte, ein riesiges Areal zwischen Schloss Nymphenburg im Nordwesten und dem Starnberger See im Süden zu einer eingezäunten jagdlichen Erlebnislandschaft umzuformen.464 München in der Historico topographica descriptio Und so sind bereits auf der ersten Textseite der monumentalen München-Topografie in Wenings Historico topographica descriptio Kurbayerns deutliche Vorzeichen für die Repräsentation des Schauplatzes gesetzt. Als Medienverbund stellt die Historico topographica descriptio wohl das ambitionierteste je umgesetzte Projekt bayerischer Topografie dar.465 Eine vom kurfürstlichen Hofrat und den Landständen eigens eingesetzte Kommission kontrollierte die Textredaktion.466 Der am Münchener Hof wirkende Grafiker Michael Wening setzte im Zuge einer mehrjährigen Zeichenreise durch das ganze Land sein in der Vorrede geäußertes Autopsiepostulat467 gleich einer Vorstatt / jenseyts deß Isar Strohms / die so genannte Au; […] Durch mehrerwenthe vier Haupt Thor / und mithin gleichsamb an allen Seyten der Statt / mag man durch sehr angenemme Weeg / gewisse für Lands-Fürstl. Gnädigiste Herrschaft zu absonderlichem Belieben angesehene / so schön - als herrlich - unnd angenemme Lusthäuser antreffen / und zwar von dem Schwäbinger Thor auß / bey zwey Stund von der Statt / die Churfürstliche Schwaig - unnd Residentz-Schloß Schleißhaimb / an Waldungen / Wasserlaitungen / und Gestütt der Pferdten berühmbt; von dem Neuhauser Thor auß / dritthalb Stundt von der Statt / das Churfürstl. Schloß Dachau / sambt dem Marckt allda / wie auch bey einer Stundt die Schwaig und schöne Schloß Nymphenburg / von dem Sendlinger thor etwan drey biß vier Stund weit / das Churfrl. Schloß Starnberg / an dem so angenem - als wegen allerhand häuffig - edlen Fischwercks berühmbten Würmsee / von dem Isar Thor auß das wol erbaute Lusthauß / und Schwaig Lauffzorn / dermahlen Ihro Hochfürstl. Durchl. Maximilian Philipp Hertzogen in Bayrn / etc. angehörig / drey Stundt von der Statt entlegen.“ Wening 1701, S. 1. 464 Vgl. MARTIN KNOLL: Umwelt – Herrschaft – Gesellschaft. Die landesherrliche Jagd Kurbayerns im 18. Jahrhundert (Studien zur neueren Geschichte 4). St. Katharinen 2004, S. 73–105. 465 Vgl. grundlegend Schuster 1999. 466 Vgl. ebenda, S. 159–160. 467 Die „Vorred an den wol-genaigten Leser“ unterstreicht, es sei „[…] die Situation der im Kupffer eingetruckten Clöster / Schlösser / Stätt / und Märckt / von dem an dem Titelblatt mit Namen angedeuten Kupfferstecher / jeden Orths selber in Augenschein genommen / accuratè delinirt, und folgends in das Kupffer gestochen worden / also daß an der Warheit / oder richtigen Entwerffung dessen / was in disem Buech enthalten einiger Scrupel oder Anstandt nit zu haben.“, in: Wening 1701, unpag.

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recht weitgehend um. Entsprechend besitzen die rund 850 Abbildungen bis zum heutigen Tage hohe Popularität als Bildquellen zum frühneuzeitlichen Bayern. Die bayerische Vermessungsverwaltung ist im Besitz der originalen Kupferplatten und vermarktet die Abbildungen.468 Dass dabei selbst dort, wo Autopsie der Aufnahme von Bau- und Landschaftszuständen zugrundelag, nicht von „Realismus“ in der Darstellung ausgegangen werden kann, steht auf einem anderen, im quellenkritischen Umgang mit historisch-topografischer Literatur immer wieder zu wendenden Blatt. Abbildung 39: Michael Wening, Die Churfürstliche Haubt und Residenz Statt München, Wie solche von Nidergang der Sonnen, gegen dem Aufgang anzusehen ist, Historico topographica descriptio, 1701

Die Beschreibung Münchens, die den ersten Band der Historico topographica descriptio eröffnet, umfasst rund 23 vierspaltige Textseiten und 25 Kupferstiche.469 Die Beschreibung des Landgerichtsbezirks Au – und damit der gleichnamigen Vorstadt auf dem Isar-Ostufer – schließt sich unmittelbar an. Das Bildprogramm besticht zu allererst durch die Monumentalität der Gesamtansichten der Stadt. Großformatige Ansichten inszenieren leicht überhöhte Stadtprofile von Westen und von Norden, den Markplatz, die Residenz von Westen, den Hofgarten und die Wilhelminische Residenz. An beiden monumentalen Gesamtansichten fällt auf, dass die neue Stadtbefestigung prominent inszeniert wird und dass das unmittelbare Vorland extra muros, obgleich es quantitativ keinen großen Bildraum einnimmt, detailreich durchgestaltet ist. Hier dominieren vor allem zahlreiche gartenbauliche Arrangements den Gesamteindruck. Die Isar spielt dagegen in beiden Monumentalansichten keine wichtige Rolle. Die Westansicht gewährt ihr Raum im rechten Bildteil, in der Nordansicht figuriert sie nur in der Peripherie des linken Bildhintergrunds. Beide Ansichten entwerfen einen Schauplatz, in dem die Stadtstruktur und Arrangements in unmittelbarer Nähe und mit direktem Bezug zur Stadt dominieren, während der weitere landschaftliche Kontext buchstäblich randständig verhandelt wird. Auch die 468 Vgl. http://www.vermessung.bayern.de/historisches/historische_ansichten.html, Stand 19.06.2011. 469 Vgl. Wening 1701, S. 1–24.

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in anderen Grafiken und Beschreibungen thematisierten Faktoren der Qualität, Bedeutung und Prekarität des fluvialen Standorts bleiben hier im Hintergrund. Abbildung 40: Michael Wening, Die Churfürstliche Haubt und Residentz Stadt München, Wie solche von Mitternacht gegen Mittag anzusehen ist, Historico topographica descriptio, 1701

Die Nordansicht rückt den Hofgarten in den Vordergrund. Daneben repräsentieren zahlreiche Ansichten kleineren Formats einzelne Gebäude, darunter überproportional geistliche Gebäude, aber auch das Zuchthaus, die kurfürstliche Fabric im Grottental und das kurfürstliche Arbeitshaus. Der Text der Beschreibung wird durch einen kurzen Abriss der mittelalterlichen Gründungs- und Entwicklungsgeschichte der Stadt eröffnet, der unter anderem die erste Stadterweiterung im 14. Jahrhundert sowie die Anlage der neuen Befestigungen 1638 erwähnt.470 Die ebenfalls gleich zu Beginn erfolgte ästhetische Feststellung, wonach München aufgrund der Fülle der dort konzentrierten Architektur als eine der schönsten Städte Deutschlands gelten könne,471 fügt sich topisch nahtlos in die Traditionslinie der München-Topografien. Der Text legt, stärker als die Grafik, bei der Beschreibung der topografischen Situation der Stadt Wert auf die Bedeutung der Isar.472 Die Rolle des Flusses für die städtische Holzversorgung, aber auch als Transportweg für Güter aus Italien und flussabwärts als Anbindung an das fluviale Transportsystem der Donau werden expliziert. Die Stadt erscheint als infrastrukturell gut erschlossen. Sie verfüge über vier komfortabel dimensionierte Stadtto-

470 Ebenda, S. 1. 471 Ebenda. 472 „ligt sonsten an sich selbst sehr wol / und einer Seyts (wie das Kupffer mit mehrerem zaiget) an dem vorbey flüssenden Isar-Stromm : so zu aller Zuefuehr / als an Holtz / unnd andern Nothwenigkeiten / sonderlich aber an Kaufmanns Gütern / Wein / un andern Früchten auß Tyrol / und Welschland / nicht weniger zu aller weitern Abfuehr biß in die Thonau / durch Under-Bayrn / und Oesterreich / etc. sehr bequem ist […]“. Ebenda.

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re, „vil schön – lang – unnd breiten Gässen“ und Straßenpflaster.473 Ein Kanalsystem versorge Mühlwerke innerhalb und außerhalb der Stadtmauern mit Wasser, das auch anderen Nutzungen zugute komme. Nur vergleichsweise kurze Passagen des Texts sind Fragen der städtischen Verwaltung und Wirtschaft gewidmet. Die schon oben erwähnte Schilderung der stadtnahen Kulturlandschaft in ihrer Zuspitzung auf Praktiken der kurfürstlichen Familie hebt den Text deutlich von der Beschreibung Ertls, besonders aber auch von der späteren durch Joseph von Hazzi (siehe unten) ab. Der kurzen allgemeinen Beschreibung der Stadt folgend, sind die mit Abstand umfangreichsten Passagen des Kapitels der Beschreibung architektonischer Ensembles wie der kurfürstlichen Residenz,474 dem Hofgarten,475 Kirchen und Klöstern476 gewidmet. Wenn die kurfürstliche Residenz und die herzogliche, sogenannte Wilhelminische Residenz unter präziser Charakteristik der Struktur und Bauausstattung einzelner Gebäudeteile und Räume in den Blick genommen werden und wenn dabei der Materialität des Geschilderten breiter Raum zukommt, so liegt dies im Bereich des Erwartbaren. Denn die Dokumentation einer großen Fülle meist wertvoller Materialien wie Edelmetallen, kunsthandwerklich verarbeiteten Hölzern oder Marmor spielt eine für die panegyrische Ausrichtung des Gesamttexts wichtige Rolle. Auch der Umstand, dass etwa Funktionseinheiten um die kurfürstliche Hofapotheke wie andere Räume als sozionaturale Kontexte inszeniert werden, in denen menschliche Praktiken und Materialität sehr augenscheinlich miteinander korrespondieren,477 harmoniert mit Befunden, die an anderer Stelle, z. B. im Falle der Furttenbachschen Wunderkammer, zu Ulm in Merians Topographia Sveviae erhoben wurden. Spezifische Beachtung im Schnittfeld von topografischer Beschreibung und Herrschaftsinszenierung verdienen aber die bei aller Konzentration auf die überbordende 473 Ebenda. 474 Ebenda, S. 3–8. 475 Ebenda, S. 8–9. 476 Ebenda, S. 11–24. 477 „das übrige so wol in der Apoteck / als in der Material-Cammer ist mit aller Zugehör von Chrystall / Porcellan / Zünn / Glaß und andern Kunst-Geschüren in grosser Mänge trefflich versehen / wie auch reichlich vergoldt / und schön ausgemahlen. Es hat über das in der Apoteck ein Marmelstainenen Springbrunn / und nechst daran ein aygne schöne Bibliothec sambt einem tapetzierten Zimmer. Der Kräuter-Boden in der Höhe ist abermahl an der Decke von Gips-Arbeit / und al fresco zierlich außgemahlen. Das Laboratorium ist gleichfalls auffs beste eingericht / wie auch das Distillatorium, in dessen Mitte ein Saul auß Marmel / und ein grosser Kupfferner Springbrunn zu sehen. Was schließlich das Aquarium belanget / bestehet solches in einem hüpsch gewölbten Keller / warinn man ein grosse Mänge distillirten Wassers auffzubehalten pflegt.“ Ebenda, S. 7.

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Pracht der Bauausstattung im Gebäudeinneren wiederholt notierten Ausblicke ins Land. So führe an einer Stelle der Residenz eine Treppe von der dritten Etage aus auf eine „nach Zwerch deß Kuchen-Hofs gebaute / mit Kupffer belegte / unnd mit einem eysenen Gätter eingefangene Altona“ [i. e. Balustrade, M. K.], von wo „ein sehr angenemb weites Außsehen über den Isarberg gegen Haydhausen / und selbiger Orthen die Augen frischet / [...]“478 Die kurfürstlichen Gemächer werden gerühmt: „[…] so dann in das Schlafzimmer gelangt / welche Zimmer alle mit künstlichen / doch jedesmahl an der Form underschidenen Decken von Künstler-Arbeit / und was das angenembste ist / mit dem lustigisten Außssehen prangen / als nemblich in den grossen Churftl. Hofgarten / gegen der Isar und Hirschanger / ja biß auff Freysing.“479

Auch das „Löwen-Säälein“ der Wilhelminischen Residenz bietet dem Betrachter diese Kombination aus ästhetisch ansprechender, in ihrer Materialität erlesener Ausstattung im Inneren und Blick ins Land: „Von dannen aber zuruck in das so genannte Löwen-Säälein zu kommen / ist dessen weiter Prospect nacher Schleißhaimb / Dachau / unnd all andere umbligende Gärten / Felder und Wisen / zu Erquickung deß Gemüths sehr anständig / warinn die al fresco gemahlte und mit Löwen streittende Helden / allerhand Thier / von weissem Landt-Marmel rar gearbeitete Sitz / und vor allem etlich hoch geschätzte auß Egyptischem weissen Marmel / so dem Allabaster gleichet / gehauene Bilder / sonderbar zusehen.“480

Architekturbeschreibung leitet so eine zentrale, quasi den Blickwinkel des Herrscherindividuums nachvollziehende Perspektive auf das Land an. In der Summe verleiht die Beschreibung des Schauplatzes München, wie sie die Wening-Topografie bietet, der Stadt und ihrem Hinterland kulissenhafte Züge. Die Idealität des Schauplatzes ist ein Topos der panegyrischen Rhetorik: Eine ideale Stadt befindet sich in einer idealen Landschaft und ist durch den Zugang zu allen notwendigen natürlichen Ressourcen privilegiert. Freilich tut sich schwer, wer an478 Ebenda, S. 3–4. 479 Ebenda, S. 6–7. Dass es zeitgenössisch durchaus angemessen erschien, wenn der Herrscher buchstäblich vom Schlafzimmer aus jagdliche Erlebnislandschaft in den Blick nehmen konnte, belegt der Umstand, dass Kurfürst Karl Albrecht (1697/1726-1745, 1742-1745 Kaiser des Hl. Röm. Reichs) ausweislich seines Jagddiariums 1736 just vom Fenster seines Nymphenburger Schlafgemachs aus auf Fasanen schoss. Knoll 2004, S. 53. 480 Wening 1701, S. 10–11.

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hand dieser Beschreibung Menschen oder soziale Gruppen zu identifizieren versucht, die diesen Schauplatz bevölkern oder ihn durch ihre Praktiken prägen. Im Grunde adressiert die topografische Perspektive – motivisch wie hinsichtlich des antizipierten Rezipientenkreises – den Fürsten, seine Familie, den höfischen Adel vor Ort und im Ausland, das Stadtpatriziat und wohlhabende Reisende. Die Konzentration des Textes auf Architektur reduziert die Stadt auf die Funktion einer Kulisse für herrscherliche Aktivität, eines „Schaufenster[s] der Macht“481. Extramurale Praktiken und Arrangements werden in einer Weise ästhetisiert, die verdeutlichen soll, dass der Zugriff auf Landschaft – sei es im Rahmen höfischer Vergnügungen, sei es als attraktiver Ausblick aus den Fenstern der Residenz – durch den Fürsten monopolisiert ist. Die Stadt erscheint nicht als ‚Umwelt‘ für die Gesamtheit der hier Lebenden. Von der Einwohnerschaft erfährt man nur Spärliches, etwa von ihrer Mariengläubigkeit.482 Ärmere Einwohner treten allenfalls en passant als Nutznießer von Spitälern, Waisenhäusern und anderen mildtätigen Stiftungen in Erscheinung.483 Auch demografische Angaben fehlen in einem Text, als dessen prägendste Qualität seine implizite Panegyrik zu Buche schlägt. Topografien der Machbarkeit Rund einhundert Jahre später sollte die München-Topografie den Fortgang eines fundamentalen gesellschaftlichen Wandels in einer grundlegenden Umdeutung des sozionaturalen Schauplatzes spiegeln. Was die Ikonografie der Wende zum 19. Jahrhundert betrifft, diagnostiziert Richard Bauer, aus den Gesamtansichten der Stadt spreche nun „ein völlig gewandelter Geist“.484 Als Beleg analysiert er einen Kupferstich von Friedrich Weber aus dem Jahre 1805 (Abbildung 41).485 Der Stich zeigt München aus nordwestlicher Richtung. Den Bildvordergrund nimmt eine idyllische Gartenszene ein, die drei Staffagefiguren, eine bürgerlich gekleidete Familie, rahmt.486 Im Bildmittelgrund durchschneidet eine baumbestandene Allee, der sogenannte Fürstenweg zwischen Münchener Residenz und Schloss Nymphenburg, eine unbebaute Fläche. Das Profil der Stadt München besetzt den Bildhintergrund vor einem niedrigen Horizont – mehr als 50% der Bildfläche zeigen Himmel. Bauer identifiziert die Staffagefiguren im Bildvordergrund als die Familie des Kommerzienrats Schweyger, der den gezeigten und durch die Bildun481 Andreas Jacob, zit. nach Seng 2003, S. 267. 482 Wening 1701, S. 1. 483 Ebenda, S. 2; die Einzelbeschreibungen der Spitäler bringen etwas mehr soziale Differenzierung, sind aber wenig prominent am Textende positioniert. Vgl. ebenda, S. 21–24. 484 Bauer 1999, S. 320. 485 Ebenda, S. 319, Abb. 146. 486 Die Bildbeschreibung folgt ebenda, S. 320.

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terschrift ausgewiesenen Garten 1796 angelegt habe.487 Das Arrangement habe Zeitgenossen als „exemplarisches ‚Kulturwerk‘“ gegolten, „das als Privatinitiative die Regierungsmaßnahmen zur Melioration ungenutzter Flächen“ wie dem Englischen Garten aufgegriffen und weiterentwickelt habe.488 Auch der Bildmittelgrund verdient Augenmerk, handelt es sich dabei doch um die Flächen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Brennpunkt städtebaulicher Entwicklung unter den Königen Maximilian I. (1756/1799-1825, Kg. ab 1806) und Ludwig I. (1786/18251868, abgedankt 1848) bilden sollten. Die in der residenzstädtischen Ikonografie nicht unübliche prominente Berücksichtigung der Gegebenheiten extra muros birgt hier insofern Neues, als nicht mehr Herrschaftslandschaft, sondern Landschaft als Schauplatz vorwärtsgewandter Reformprojekte zur Inszenierung gelangt. Fortschrittsorientierung und die Betonung des Entwicklungspotenzials von Schauplätzen hält Einzug in deren grafische Repräsentation. Abbildung 41: Friedrich Weber, Ansicht der Stadt München von Nordwesten, 1805

Dieser Befund findet seine textuelle Entsprechung in zwei Publikationen, deren München-Beschreibung keine eigene ikonografische Repräsentation bieten, die aber

487 Ebenda. 488 Ebenda.

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als exemplarisch für die München-Topografie der Spätaufklärung gelten können. Es handelt sich um Lorenz von Westenrieders monografische Beschreibung der Haupt- und Residenzstadt München im gegenwärtigen Zustande489 und die rund 200 Seiten umfassende München-Beschreibung im dritten Band von Joseph von Hazzis Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern. Aus ächten Quellen geschöpft Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde.490 Auch die bayerische Spätaufklärung hatte – beinflusst durch die demografisch-statistischen Werke eines Johann Peter Süßmilch (1707-1767), die Erdbeschreibung eines Anton Friedrich Büsching (1724-1793) und die Beschreibung Berlins und Potsdams durch Friedrich Nicolai (1733-1811) – Geografie, Topografie und Reisebeschreibung als bildungsrelevante Genres entdeckt.491 Ein entsprechender Aktionismus griff Raum. So plante etwa die Bayerische Akademie der Wissenschaften ein monumentales Historisch-Topographisches Universal-Lexikon, scheiterte aber an der Umsetzung ihrer ehrgeizigen Pläne.492 Für Lorenz Westenrieder dürften die Akademiepläne aber der direkte Stimulus für eigene entsprechende Aktivitäten in Forschung und Publizistik gewesen sein.493 Westenrieder entstammte als Sohn eines Münchener Getreidehändlers der handelsbürgerlichen Mittelschicht.494 Er wurde für den geistlichen Stand ausgebildet und 1771 zum Priester geweiht. Vielfältige Interessen führten ihn aber in diverse andere Tätigkeitsfelder. Er betätigte sich als Belletrist, Dramatiker und Historiker. 1773 trat er eine Stelle als Gymnasialprofessor für Dichtkunst am Landshuter Gymnasium an, von wo er bald wieder nach München versetzt und 1779 unter Behalt der Bezüge beurlaubt wurde. Seit 1777 war er Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Er gehörte kurz dem Illuminatenorden an und amtierte nach dem Tod Kurfürst Karl Theodors 1799 zeitweise als Schulrat und Direktor der neu ge489 LORENZ V. WESTENRIEDER: Beschreibung der Haupt- und Residenzstadt München im gegenwärtigen Zustande. München 1782; zur Gesamtcharakteristik des Werks, seinem gattungsgeschichtlichen Kontext, zur Rezeption und zu Nachfolgepublikationen vgl. WILHELM HAEFS: Aufklärung in Altbayern. Leben, Werk und Wirkung Lorenz Westenrieders. Neuried 1998, S. 659–670. 490 JOSEPH VON HAZZI: Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern. Aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde, Bd. 3/1. Nürnberg 1803. 491 Haefs 1998, S. 657. 492 Ebenda, Anm. 3. 493 Ebenda. 494 Zur Biografie Westenrieders: Ebenda, S. 35–46; und KARL THEODOR VON HEIGEL: „Westenrieder, Lorenz von“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 42 (1897), S. 173–181 [Onlinefassung]. http://www.deutsche-biographie.de/pnd118631853.html, Stand: 12.07. 2011.

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schaffenen Bücherzensurkommission. Unter dem reformorientierten ersten Minister Maximilian von Mongelas (1759-1838) hatte er aber bald keine Positionen mehr in der reorganisierten bayerischen Administration inne. Er gilt als prägende Persönlichkeit einer gemäßigten, katholisch ausgerichteten Aufklärung. Joseph von Hazzi stammte aus den kleinbürgerlichen Verhältnissen einer Abensberger Maurerfamilie und besuchte zunächst eine Klosterschule, dann die Landesuniversität Ingolstadt.495 Hazzi absolvierte dort ein Studium der Rechte und wurde 1794 nach München in das landesherrliche Forstdepartement berufen, in dem er als entschiedener Forstreformer agierte. Ab 1799 Mitglied der neu geschaffenen Generallandesdirektion, diente er ab 1800 den napoleonischen Truppen unter General Moreau als Marschkommissär. Unter anderem organisierte er die Einrichtung eines topografischen Büros in Bayern. Umfassende Reisetätigkeit in französischen Diensten brachte ihn auch nach Frankreich und Italien, bevor er 1811 wieder in den bayerischen Staatsdienst zurückkehrte. Hazzis Hauptinteressen und Arbeitsfelder lagen nun im Bereich der Agrarpolitik. In seinen hier analysierten Statistischen Aufschlüssen veröffentlichte er die Ergebnisse einer 1794 in Bayern durchgeführten Volkszählung.496 Neben quantifizierend-statistischem Material finden sich allerdings auch umfangreiche deskriptive Passagen, die ein umfassendes historischtopografisches, ökonomisches, naturkundliches und nicht zuletzt ethnografisches Porträt Kurbayerns entwerfen. Seine zahlreichen pointierten subjektiven Bemerkungen zeichnen sich vor allem durch einen entschiedenen Antiklerikalismus aus, der ihn als Aufklärer deutlich von Westenrieder abhebt. Westenrieder und Hazzi legten München-Beschreibungen vor, die durchaus an die lokale topografische Tradition anknüpfen. Sowohl bei Westenrieder als auch bei Hazzi wird etwa die Herrschafts- und Klerikalarchitektur der Stadt und der Umgebung thematisiert.497 Hazzi preist gar den majestätischen Eindruck der vom Liebfrauendom dominierten Stadtsilhouette: Besonders wenn man von Dachau oder vom Isartor herkomme oder die Stadt vom Isarhochufer überblicke, falle einem ihre Ansicht „prächtig ins Auge, […] da hebt sich unter 13 kleinern Thürmen in der Mitte der ehrfurchterwekende, dunkle gothische Dom, wie ein Koloß mit 2 ungeheuern Kuppelthürmen majestätisch zum Himmel empor und hat die übereinander geworfnen noch stolzer sich aufthürmenden Gebirgsmassen zum Hintergrund.“498

495 Zur Biografie Hazzis: HEINZ HAUSHOFER: „Hazzi, Joseph Ritter von“, in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 158–159 [Onlinefassung]. http://www.deutsche-biogra phie.de/pnd119357798.html, Stand: 12.07.2011. 496 HILDEGARD LORENZ: Amtliche Statistik, in: Historisches Lexikon Bayerns. http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44809, Stand: 26.03.2009. 497 Vgl. Westenrieder 1782, S. 49–70. 498 Hazzi 1803, S. 247.

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Die Idealität des Panoramas wird freilich schon im nächsten Satz kritisch differenziert: „Dieser große Eindruk [sic!] aber verliert sich allmählig, so wie man sich der Stadt selbst, ihren schlechten Vor- und Gartengebäuden, ihren gothischen Thoren, Mauern und Thürmen nähert und nur wann man diese kleinlichen Gegenstände im Rüken [sic!] hat und von den grossen, weiten und lebhaften Strassen empfangen wird, fühlt man sich wieder zurfrieden.“499

Diese Differenzierung markiert nicht mehr und nicht weniger als eine völlige Umdeutung des sozionaturalen Schauplatzes. Die panegyrische Betonung der Idealität von Arrangements intra und extra muros weicht einer Ästhetik der Nützlichkeit. Beide Topografien nehmen eine fundamental veränderte Auswahl gesellschaftlicher Praktiken und biophysischer Arrangements in den Blick und / oder interpretieren diese neu. Ergebnis dieser Umdeutung ist die Ablösung einer München-Topografie als eines „Schaufensters der Macht“ durch die Repräsentation eines ‚Schauplatzes der Machbarkeit‘. Dieser Wandel soll anhand von Themenbereichen nachvollzogen werden, die auch in der oben unternommenen Analyse der älteren MünchenTopografie bereits in den Blick genommen wurden. Es sind dies die Geo-und Hydrografie der Stadt, die Interpretation der stadtnahen Gegenden extra muros und die Frage nach der Stadt als Schauplatz gesellschaftlicher Praktiken. Der selbsterklärte Historiker Lorenz Westenrieder lässt bereits zu Beginn seiner Topografie aufhorchen, wenn er die Relevanz der Vorgeschichte des nachmalig durch das spätere München besiedelten Orts relativiert. „Die Untersuchung, was auf dem Platz, wo itzt München steht, vor Erbauung derselben vorhanden war, gehört unter diejenigen, deren Entscheidung, und Aufklärung, wenn sie auch ganz möglich wäre, uns nicht besser, noch glücklicher machen würde. Dieß ist längst hinab in die Vergangenheit gerücket, und hat auf uns Gegenwärtige nicht die geringste Beziehung.“500

Mit dieser antihistorischen Wendung rückt Westenrieder die Materialität seines Gegenstandes in den Vordergrund.501 Seine Charakteristik des Schauplatzes zur Zeit 499 Ebenda. 500 Westenrieder 1782, S. 3. 501 Zeitgenössische und spätere Kritik aus der geografischen Szene beweist, dass es Westenrieder hier nicht gelungen ist, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Während ein mit „S.“ signierender Rezensent im Geographischen Magazin 1783 ein Zuviel an Herrschaftsgeschichte in Westenrieders Text bemängelte und seiner Haltung Ausdruck verlieh, dass die „Geschichte Baierischer Regenten, welche zu München residirt haben“, in keine Stadtbeschreibung gehöre, kritisierte Christian Gruber 1894, Westenrieders Blick

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der Besiedlung trägt deutlich hydrografische Züge. Wahrscheinlich, so mutmaßt er, sei „die ganze Gegend vom Gasteigberg, bis zum Neuhauserberg, eine Wildnis, dem wechselnden, und ungewissen Rinsaal des damals noch ganz uneingeschrenkten Isarstroms überlassen“ gewesen,502 ein „freygelaßner verwüsteter Plaz für den Isarfluß […], der bey jedem Hochwasser seinen Lauf verändert haben wird.“503 Spuren des alten Flussverlaufes sehe man noch überall.504 Die hydrografische Verfasstheit des Schauplatzes und die fluviale Dynamik werden hier als Determinanten der Besiedlung in den Blick gerückt. Konsequent behält Westenrieder in seiner übrigen München-Topografie die Hydrografie im Auge. Seine topografische Situationsskizze des zeitgenössischen München zeichnet – darin der Tradition von Stadttopografie und Städtelob folgend – einen idealischen sozionaturalen Schauplatz, dessen Idealität freilich durch anthropogene hydraulische Arrangements erst abgerundet wird.505 Einen ganz ähnlichen Zuschnitt besitzt Hazzis Rhetorik, wenn er davon schwärmt, die verschiedenen Isararme und Kanäle böten „so manche pittoreske Scene dar und wären für Fabriken und Triebwerker sehr einladend.“506 Zwei Wasserleitungen, deren eine die kurfürstliche Verwaltung, die andere die Stadt unterhalte, führten „sehr gutes Trinkwasser und sonst zum überflüssigen Gebrauch in die Stadt.“ Hazzi vergisst dabei nicht, die Wasserpreise anzugeben, wie ganz allgemein Hazzis und Westenrieders Topografien umfassend quantifizieren. Immer wieder kommt Westenrieder auf die Hydrografie des Schauplatzes und auf fluviale Dynamik zurück, sei es in der schlichten Erwähnung eines markanten Stücks Flusslauf, so zur Isar am Fuße des Thalkirchener Isarabhangs, von deren Bett es „scheinen möchte als hätte sie selbes durch Länge der Zeit sich selbst ausgehöllet“,507 sei es in der Erörterung fluvialer Dynamik als Problem für urbane Praktiken und Arrangements. sei „an der Erscheinung der Stadt haften“ geblieben. Beides zit. nach Haefs 1998, S. 663, Anm. 24. 502 Westenrieder 1782, S. 4. 503 Ebenda, S. 47. 504 Ebenda, S. 4. 505 „Von allen Thoren sind gegenwärtig, wie wir im Verfolg hören werden, Alleen gezogen, und die Stadt selbst liegt (den östlichen Theil, wo sie den Gasteigberg hat, ausgenommen) in einer schönen Ebene, mit Feldern und Aekern umgeben, hat gegen Süden die hohen, und schönen Gebirge, gegen Osten den Isarfluß, der vermög einem Meisterstück des Wasserbaus, die Stadt in vielen Kanälen, deren Wasser man, wie man will, erhöhen kann, durchschneidet, und genüßt eine scharfe, kühle, und der Gesundheit überaus gedeyhliche Luft.“ Ebenda, S. 24. 506 Hazzi 1803, S. 290–291. 507 Westenrieder 1782, S. 46–47.

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Gerade die Vorstädte Giesing und Au werden als in dieser Hinsicht prekäre Schauplätze problematisiert, deren grundsätzliche Eignung für die Besiedlung Westenrieder im Grunde negiert.508 Der tiefen Lage und der Flussmorphologie geschuldet, bestünde jederzeit die Gefahr, dass die Isar sich einen ihrer früheren Kanäle suche und die Gebäude fortspüle, würden nicht aufwändige Wasserbauten unterhalten. Und trotz dieser Bauten stehe beinahe jedes Jahr die halbe Au unter Wasser. Hält man sich etwa die harmonisierende Thematisierung fluvialer Dynamik der Isar für das niederbayerische Plattling vor Augen, wie sie – den drastischen Schilderungen des örtlichen Magistrats zum Trotz – in der Wening-Topografie unternommen wurde,509 so wird ein Paradigmenwechsel sichtbar. Auch Hazzi thematisiert die Hochwasserproblematik der Vorstadt Au und expliziert dabei die durch den Ausbau der hydraulischen Arrangements auf der gegenüberliegenden Münchener Isarseite weiter gesteigerte Vulnerabilität der Au durch Hochwasser.510 Sehr viel deutlicher als die Wening-Topografie expliziert Westenrieder auch die Rolle des Flusses als intermediäre Instanz zwischen Stadt und Hinterland. Fand die Isar als Transportweg für Holz und andere Ressourcen und Handelswaren bei Wening eher allgemein Erwähnung, wird Westenrieder hier konkreter in der Schilderung von Praktiken und Arrangements. An der sogenannten oberen Lände lagerten Brauer, Bäcker und „vermögliche Privatpersonen ihr Holz in großen Stössen“.511 Unweit hiervon lokalisiert er den kurfürstlichen „Holzgarten“, ein Holzlager in kurfürstlicher Regie und in den Augen Westenrieders „ein Werk, das jeder Fremde sehen soll“. Es folgt ein Abriss des gesamten Lieferprozesses von der Holzernte durch Bauern in den Gebirgsregionen nach standardisierten Maßvorga508 „Die Häuser selbst sind unregelmäßig, und nach dem Zufall angelegt, welcher von Zeit zu Zeit einzelne Einwohner zu dem Entschluß brachte, sich daselbst häußlich niederzulassen. Diese ganze Gegend liegt nicht nur tiefer, als die Isar, sondern dieser Fluß fließt, so weit man ihn sehen kann, von einer sichtbaren Anhöhe so herab, daß er wahrscheinlich bald wieder einen seiner ehemaligen Rinsale suchen, und den Ort ganz wegschwemmen würde, wenn man nicht immer durch sorgfältige, und kostbare Dämme, und Wassergebäude, welche die Stadtkammer zu München bestreittet, sich angelegen sein ließ, demselben Einhalt zu thun; dem ungeachtet wird bey einem größern Anlauf des Wassers, wie sich dieß fast jährlich einmal zuträgt, die halbe au unter Wasser gesetzt.“ Ebenda, S. 232–234. 509 Vgl. Wening 1723, S. 53; und Kap. 3.2 dieser Studie. 510 „Der Ort leidet öfters durch die Uiberschwemmung der Isar, weil durch die Wassergebäude das jenseitige Ufer um vieles erhöhet ist und also beim Anschwellen des Wassers der Fluß über die etwas tiefer liegende Au sich ergieset, welches derselben immer großen Schaden verursachet. Mit einigen Kosten liessen sich diese verderblichen Ergießungen vermeiden, oder doch minder schädlich machen.“ Hazzi 1803, S. 234. 511 Westenrieder 1782, S. 42.

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ben über die Trift der Stämme auf der Isar bis zum „Abrechen“ des Holzes in München mittels eines hierfür nötigen, robusten Arrangements aus starken Balken und die Verbringung des Holzes in den Holzgarten und die dortige Lagerung.512 Zwar bleibt Westenrieder die Schattenseiten der geschilderten Praktiken schuldig. Holztrift war eine gewässerökologisch problematische Praxis513 und das Abrechen gefährlich. In München kostete etwa ein Unglück am 13. September 1813 mehrere Menschenleben, als unter der Last eines Hochwassers und angeschwemmten Triftholzes eine Isarbrücke einstürzte.514 Doch umreißt Westenrieder in seiner detaillierten Konkretion die existenzielle Bedeutung des Flusses für die Stadt sehr plastisch. Auch die Anbindung Münchens an das fluviale Transportsystem des oberen Donauraumes, dessen Rolle unter vorindustriellen Bedingungen schwerlich überschätzt werden kann, wird bei Westenrieder fassbar: So lange das Wasser schiffbar sei, komme „alle Freytag Abend ein Ordinariflos von Tölz, und alle Montag um 1 Uhr gehen 2 Ordinariflöße von München nach Wien, wo selbe gewöhnlich am Samstag anlangen.“515 Diese Konkretion fußt nicht auf zeitgenössisch neuer Evidenz. Der regelmäßige Floßverkehr von München nach Wien mit Montag als Abreisetag hatte schon seit dem 17. Jahrhundert Bestand.516 Es handelt sich vielmehr um ein systematisierendes – und quantifizierendes – Interesse, das der neuen Perspektive und dem oben erwähnten Neuzuschnitt des topografischen Formats zuarbeitete. Auch Joseph von Hazzi thematisiert die Flößerei als wesentlichen Faktor für Münchens Anbindung an Ressourcenströme und Verkehrsnetze. Hazzis Leserinnen und Leser erfahren, dass die meisten Flöße, die die Stadt auf der Isar erreichten, aus der Herrschaft Werdenfels stammten, der Region des alpinen Isaroberlaufs bei Mit-

512 Ebenda. 513 Vgl. CHRISTER NILSSON et al.: Forecasting Environmental Responses to Restoration of Rivers Used as Log Floatways. An Interdisciplinary Challenge, in: Ecosystems 8 (2005), S. 779–800. 514 KÖNIGLICHES MINISTERIAL-FORSTBUREAU: Die Forstverwaltung Bayerns beschrieben nach ihrem dermaligen Stande. München 1861, S. 278. 515 Westenrieder 1782, S. 421. 516 Die Münchener Floßmeister führten seit 1614 regelmäßge Fahrten auf der Strecke München – Passau durch. Auf ihr Ersuchen erhielten sie 1623 vom Rat die Bewilligung, diese Fahrten bis Wien auszudehnen. Dies war der Beginn der regelmäßigen „Ordinari“ Floßverbindung von München nach Wien. Abfahrtstag war der Montag. Die Fahrt dauerte im Normalfall zwischen sechs und sieben Tagen. 1717 genehmigte Kurfürst Max Emanuel die Durchführung von 16 Fahrten monatlich. HELMUTH STAHLEDER: Belastungen und Bedrückungen. Die Jahre 1506-1705 (Chronik der Stadt München 2). München, Hamburg 2005, S. 393.

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tenwald.517 Als dominierende Fracht werden Kalk, Kohlen, Gips, Heu und Holz benannt.518 Das nahe Dachau verfügte Hazzis Ausführungen zufolge über ein eigenes Holzlager und fungierte als Umschlagplatz für Holz aus der Ammertrift.519 Flößer hätten unlängst eine verheißungsvolle Initiative ergriffen, um auf der Ammer eine Flößerei zu installieren.520 Wie Westenrieder nimmt auch Hazzi die reguläre Floßverbindung Münchens über Isar und Donau nach Wien in den Blick. Seine Schilderung steht allerdings im Kontext der von ihm propagierten „Handwerksverbesserungen“. Sie zeigt zwar die Alltäglichkeit der Floßnutzung als Reisepraxis, dient dem Autor aber vor allem dazu, den Sinn der traditionellen Handwerksgesellenwanderung skeptisch zu reflektieren. Den durch zeitweise Migration in flussabwärts gelegene Regionen erreichbaren handwerklichen Wissenstransfer schätzt Hazzi gering ein. Seien schon die Lehrjahre eines jungen Handwerkers „in der That zur Hälfte verschwendet und dienen nur zu häuslich knechtlichen Arbeiten bei seinem Meister“521, so müsse er, sobald zum Gesellen freigesprochen, auf Wanderschaft gehen. „Er sezt [sic!] sich also meistens auf den Wiener Floß, wo alle Montag große Versammlung der Abreisenden und Lebewohlsagenden ist, kommt in einige Städte der österreichischen Lande, wird ohne alle Unterstützung und Aufsicht wie ein Ball in die Welt geworfen, kehrt oft ungebildeter zurück als er fortging, heirathet zuletzt zu Hause eine Wittwe oder Tochter, die eine Gerechtigkeit besitzt, und arbeitet nach dem alten Schlendrian fort.“522 517 Hazzi 1803, S. 208. 518 Ebenda. 519 Ebenda, S. 128; vgl. an anderer Stelle kritisch zur Ammertrift zwischen Weilheim und Dachau: JOSEPH VON HAZZI: Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern. Aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde, Bd. 2/1. Nürnberg 1802, S. 101; zu Trift und Flößerei auf Ammer und Amper vgl. auch ERNST NEWEKLOWSKY: Die Schiffahrt und Flößerei im Raume der oberen Donau, Bd. 1 (Schriftenreihe des Instituts für Landeskunde von Oberösterreich 5). Linz 1952, S. 565– 566. 520 Hazzi 1803, S. 128. 521 Ebenda, S. 381. 522 Ebenda, S. 381–382. Hazzis kritische Haltung zur Gesellenwanderung lässt sich zum einen unschwer seiner allgemein liberalen, auf die Abschaffung von Gewerberegulierungen zielenden Position zuordnen. Kritik am Handwerk und an Missständen in der überkommenen Ordnung war allerdings verbreitet und wohl auch nicht unbegründet. Gerade die schlechte Behandlung und Ausbildung von Lehrlingen scheint kein Einzelfall gewesen zu sein; vgl. ANNEMARIE STEIDL: Auf nach Wien! Die Mobilität des mitteleuropäischen Handwerks im 18. und 19. Jahrhundert am Beispiel der Haupt- und Residenzstadt (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 30). Wien 2003, S. 254–255. Die Gesellen-

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Ohnehin sieht Hazzi jenseits der Flößerei eine bessere Anbindung Münchens an die Binnenschifffahrt als für die ökonomische Entwicklung der Stadt dringlich an. Der Rückstand Münchens im Fabrikwesen sei zwar auch auf die Mautverhältnisse und auf eine mangelnde Versorgung mit Rohprodukten durch eine noch ineffiziente Landwirtschaft zurückzuführen. Besonderes Augenmerk der Regierung verdiene aber vor allem die fehlende Wasserfracht: „[…] denn wenn die Isar entweder nicht schiffbar gemacht wird, oder was noch zweckmässiger ist, durch Kanäle eine Verbindung mit der Donau und andern Flüssen erhält, so werden bei der immer mehr zunehmenden Bevölkerung und größern Konsumzion alle Waaren zu München im Preiße zu hoch steigen, das sehr nachtheilige Folgen für die Stadt nach sich ziehen kann.“523

Mit diesem Appell ist Hazzis hydraulische Reformagenda nicht abgeschlossen. Vielmehr druckt er eine aus eigener Feder stammende und offensichtlich im administrativen Kontext entstandene Denkschrift („Ausschreibung“ vom 15.05.1802) zur hydraulischen Reorganisation der Münchener Isar in extenso ab.524 Er begründet derlei Textcollage damit, es dem Leser ermöglichen zu wollen, „den Zustand der Isar, der Wassergebäude und Brücken genauer kennen zu lernen“.525 Tatsächlich mobilität war in den Handwerken des 18. und 19. Jahrhunderts sehr unterschiedlich stark ausgeprägt, blieb jedoch auch nach der Aufhebung von Bestimmungen zum Wanderzwang Bestandteil handwerklicher „Gruppenkultur“ (R. Reith); vgl. REINHOLD REITH: Arbeitsmigration und Gruppenkultur deutscher Handwerksgesellen im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Scripta Mercaturae 23 (1989), S. 1–35; und SIGRID WADAUER: Die Tour der Gesellen. Mobilität und Biographie im Handwerk vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. o.O. 2005, S. 25–26. Was Wien als Zielgebiet der Arbeitsmigration von Gesellen betrifft, zeichnet die Studie Annemarie Steidls ein heterogenes Bild: Auch hier war der Einsatz fremder Gesellen von Handwerk zu Handwerk sehr unterschiedlich stark ausgeprägt. Der obrigkeitliche Umgang mit dem Phänomen differierte. In einigen Handwerken wurde der Zuzug von Gesellen zur Ergänzung des Arbeitskräftepools gefördert, während gerade im Gefolge der Revolutionen von 1789 und 1848 Handwerkswanderung als Kontroll- und Sicherheitsproblem von den Obrigkeiten stärker reguliert wurde. Steidl 2003, S. 291. Bayern besaß im 18. Jahrhundert als Herkunftsregion der nach Wien gerichteten Arbeitsmigration eine nicht unerhebliche Bedeutung, verlor diese aber an der Wende zum 19. Jahrhundert durch die Errichtung eines bayerischen Auswanderungsverbots; vgl. ebenda, S. 63-65, 68. Dem diskursiven Kontext des Letzteren mag auch Hazzis Argumentation angehören. 523 Hazzi 1803, S. 259–260. 524 Ebenda, S. 237–244. 525 Ebenda, S. 237.

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beinhaltet diese Denkschrift aber nicht nur eine Dokumentation der materiellen Aspekte der hydrografischen Situation Münchens, sondern ein detailliertes Programm für einen grundlegenden hydraulischen Neuzuschnitt des Schauplatzes. Mit seiner Denkschrift reagierte Hazzi auf einen Vorschlag der Wasserbaudirektion, die Maßnahmen mit einer für seinen Geschmack offensichtlich inadäquat geringen Eingriffstiefe entworfen hatte. „Man mag freilich dabei einwenden, daß man zuerst das schon Bestehende schützen soll; unterdessen mit so kleinlichen Rücksichten wird nie etwas Zweckmäßiges und Ganzes entstehen.“526 Angesichts der hier vorgetragenen Radikalität ist zu beachten, dass die Reformer des 18. Jahrhunderts ihr Projekt der Rationalisierung und Ökonomisierung sozionaturaler Schauplätze nicht als Ausbeutung von ‚Natur‘ verstanden wissen wollten, sondern als „transformative Leistung, die der Natur oder Landschaft zu ihrer wahren – im Zweifelsfall auch von Gott vorgesehenen – Form und Bestimmung verhalf.“527 Aus Hazzis Rhetorik lassen sich zwei grundlegende Argumente ableiten. Erstens sieht er den Fluss, wie Westenrieder, als intermediäre Instanz zwischen Stadt und Hinterland. Das heißt, eine Revision der hydraulischen Arrangements in der Stadt ist nicht ohne den weiteren Kontext der regionalen Hydrografie diskutierbar. Zweitens inszeniert Hazzi als Gegenüber einer Ästhetik des Machbaren, Nützlichen und damit Wünschenswerten eine Anti-Ästhetik der Häßlichkeit des Unregulierten und Unnützen. Traurig sei es, so Hazzi, „daß die Isar selbst vor den Thoren der Hauptstadt nur unter wüsten Strecken herum wühlen muß, und bei einiger Wasseranschwellung in der ganzen Gegend Schrecken und Verheerung verbreitet, ja sich diese Gefahr von Jahr zu Jahr nur noch mehr vergrößert, wenn nicht ein Mal geeignete Masregeln angenommen und zur sichern Richtschnur bezeichnet werden; diese können nur die phisischen und politischen Umstände darbieten.“528 Und an anderer Stelle weiter: „Die wüste Gegend um München kann nicht länger so bestehen, München wird und muß eine Erweiterung bekommen, dis liegt in den Fortschritten der Kultur der Menschheit.“529

526 Ebenda, S. 239. 527 RAINER BECK: Ebersberg oder das Ende der Wildnis. Eine Landschaftsgeschichte. München 2003, S. 131. An der Radikalität der projektierten Transformationsprozesse setzte zu Beginn des 19. Jahrhunderts die romantische Kritik an: „Erst müßt ihr die Erde mit ihren unendlichen Klimaten und eigentümlichen Lokalitäten in eine große gleichförmige Fläche ausgewalzt haben …“ (Adam Müller, 1812, zit. nach ebenda). 528 Hazzi 1803, S. 238. 529 Ebenda, S. 242–243.

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Hazzi gliedert seine Ausführungen zur Bestandsaufnahme und Projektskizze in die Aspekte Flusskanal/Flussverlauf („Direktion“)530, Wasserverteilung531, Wasserbauten532 und schließlich „die künftige Bestimmung der Anbauung und Kultur der hiedurch sich ergebenden öden Strecken“ im Sinne einer umfassenden Raumordnung.533 Er schlägt vor, den Fluss im Münchener Stadtgebiet in „die angemeßne Direktion sezen [zu] lassen“534 und sich dabei an „hidrotechnischen Gesetzen“535 und nicht am Erhalt bereits bestehender Arrangements zu orientieren. Der Flusslauf solle in einem einzigen, nicht zu breiten Kanal gebündelt werden. So grabe sich der Fluss tiefer und könne das alpine Kiesgeschiebe selbst abtransportieren, was die Schiffbarkeit verbessere.536 Außerdem sei „das Terrain an der Hauptstadt zu kostbar […], als daß es mit Auen verschwendet werden kann.“537 Mit dieser Programmatik stand Hazzi in einer Linie mit dem badischen Ingenieur Johann Gottfried Tulla (1770-1828), dessen Oberrhein-Begradigung ebenfalls Hochwasserschutz und Landgewinn durch Schaffung eines einzigen Flusskanals verfolgte.538 Sicher hatte Hazzi während seiner Frankreichreise 1801-1802 genügend Gelegenheit, seine hydraulische Bildung zu vertiefen, sei es im Kontakt mit Akteuren, sei es etwa in Anschauung der langwierigen und umstrittenen Korrektur der Seine in und um Paris.539 Dass Hazzi den Wasserbau als ein Feld für seinen re530 Ebenda, S. 238–240. 531 Ebenda, S. 240–241. 532 Ebenda, S. 241–242. 533 Ebenda, S. 242–244, Zit.: Ebenda, S. 242. 534 Ebenda, S. 238. 535 Ebenda, S. 239. 536 Ebenda. 537 Ebenda, S. 239–240. 538 Vgl. CHRISTOPH BERNHARDT: Im Spiegel des Wassers. Flussbau als europäische Umweltgeschichte am Beispiel des Oberrheins 1800-2000. Habilitationsschrift am Fachbereich 2, Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der TU Darmstadt. Darmstadt 2007, S. 92; JOACHIM RADKAU: Natur und Macht. Eine Weltgeschichte der Umwelt. München 2000, S. 229–231. 539 Vgl. ISABELLE BACKOUCHE: From Parisian River to National Waterway. Social Functions of the Seine, 1750-1850, in: CHRISTOF MAUCH/THOMAS ZELLER (HG.): Rivers in history. Perspectives on waterways in Europe and North America (History of the urban environment). Pittsburgh, (Pa.) 2008, S. 26–40. Auch Tulla bereiste in dieser Zeit Frankreich und hatte dort Kontakt mit zahlreichen Ingenieuren, unter ihnen der Generalinspektor der Ponts et Chaussées Lebrun. Dass Tulla, wie oft kolportiert, selbst an der École Polytechnique ausgebildet worden sei, verweist Bernhardt in den Bereich der Legende. Bernhardt 2007, S. 73–74. Mir scheint die Frage genauerer Nachforschungen würdig, ob

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formerischen Aktionismus auserkoren hatte, zeigt sich schon darin, dass er 1799, gleich nach seiner Berufung in die unter Max IV. Joseph neu geschaffene Landesdirektion, den Bau einer Verbindung zwischen Donau und Main anregte, ein Projekt, das schon seit Karl dem Großen hydraulische Machbarkeitsphantasien befeuerte.540 Der Frage der Wasserverteilung billigt Hazzi sowohl hinsichtlich der verschiedenen Nutzungen als auch hinsichtlich des Hochwasserschutzes Relevanz zu.541 Es sei zu prüfen, ob die bestehende städtische Wasserleitung für die Verteilung genügend leiste oder ein Ausbau oder einfachere Führung nötig sei. Die städtischen Kanäle seien stärker zu bewässern. Auch müssten ein oder zwei Abzugskanäle angelegt werden, für deren Trassierung man dem „mächtigen Fingerzeig“ der Natur folgen solle.542 Schließlich deute die Situation im Bereich von Thalkirchen, Sendling, vor dem Karlstor und in Richtung Schwabing einen „ehemaligen Weg, den die Natur, der Fluß sich selbst bahnte.“543 Folge man diesem Fingerzeig, könnten die Hochwasserbedrohung der Vorstadt Au und jegliche Gefahr für die Hauptstadt selbst „für immer beseitigt“ werden, ganz zu schweigen von der Vergrößerung und Verschönerung Münchens, vom Ausbau der Triebwerke und den „Gewinnste[n] der Kultur in diesen bisher zu magern Strecken“544 Was die „Wassergebäude“ betrifft, finden bestehende Arrangements in Hazzis Urteil keine Gnade. Sie seien bloße „Wurf- und Raubgebäude“ ohne ökonomischen oder ästhetischen Wert.545 Materialintensive Faschinenkonstruktionen aus Holz, Dürrholzgeflecht und Steinen seien nicht dauerhaft und verschlängen mehr Investitionen als ein zunächst kapitalintensiver Umstieg auf große Dämme und Schleusen.546 Die Region biete genügend Steine für den Bau von Wassergebäuden, „die der Hauptstadt eines Landes und der Nation würdig sich zeigen“.547 Auch für die beiden steinernen Brücken diagnostizierte Hazzi Optimierungsbedarf. Es sei an eine „gefälligere und zweckmäßigere Form“ zu denken.548 Denn bisher seien die Brücken „geschmacklos“ und oben, d. h. hinsichtlich der Fahrbahnbreite, und unten, d. h. hinsichtlich der Durchflussbreite des Wassers, zu eng. Die Enge oben behindere

sich Hazzi und Tulla in diesem zeitlichen und sachlichen Kontext persönlich begegnet sind. 540 Haushofer, S. 158. 541 Hazzi 1803, S. 240. 542 Ebenda. 543 Ebenda. 544 Ebenda, S. 240–241. 545 Ebenda, S. 241. 546 Ebenda, S. 241–242. 547 Ebenda, S. 242. 548 Ebenda.

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Fußgänger und Fuhrwerke, die Enge unten trage zum Anschwellen des Hochwassers bei und sei der Floß- und Schifffahrt gefährlich. An jeder Stelle gehen in Hazzis hydraulischer Projektskizze ästhetische Wertungen und Aussagen zu technischen Implikationen und dem gesellschaftlichen Nutzen hydraulischer Arrangements eine enge Verbindung ein. Die Erörterung von hydraulischen Problemen und Potenzialen transzendiert die Einzelaspekte des Flusskanals, der Wasserverteilung und der Wasserbauten hin zu einer übergreifenden, vom zeittypischen Machbarkeitsoptimismus getragenen Vision. Es ist dies die Vision eines im Zeichen des Fortschrittes der „Kultur“ transformierten sozionaturalen Schauplatzes. Auf allen Seiten fühle man „einen schnellen Geist zur Kultur und Anbauung“, wenngleich dieser viele in den angestammten Verhältnissen angelegte Hindernisse zu überwinden habe.549 Der aufklärerische Kulturoptimismus beider Autoren beschränkt sich nicht auf Hydraulisches. Da Gewässer und Festland, aber auch Stadt und Umland integriert gedacht werden, bilden die Reorganisation hydraulischer Arrangements und die Reform der Landnutzung Teile ein und desselben Diskurses. Der ästhetische Idealzustand präsentiert sich dem Betrachter als Kombination aus kultivierten Gärten, Kanälen und urbanen Arrangements. So bezeichnet Westenrieder den Osterwaldschen Garten auf dem Gasteig als einen Platz, „von welchem die Aussicht, über die Stadt, und alle Vorstädte und Kanäle und Gärten, unbeschreiblich manigfaltig, und unumschränkt ist.“550 Er zeichnet im Kapitel Von Grund und Boden um München551 das Bild eines ehemals wüsten, der Dynamik des Isarflusses preisgegebenen Ortes, der „durch wackern Fleiß der Bürger“552 und „mit unermüdetem, und belohnungswürdigen Eifer“553 fruchtbar gemacht und in Wiesen, Äcker und Gärten umgestaltet worden sei. Gerade die zeitgenössische Konjunktur der Anlage privater Gärten ist Gegenstand der Ästhetisierung von Nützlichkeit.554 Die Stilisierung paradiesischer Zustände trägt dabei mitunter Züge, die sich kaum von den Superlativen des vormodernen Städtelobs oder der Panegyrik barocker Topografie unterscheiden.555 549 Ebenda, S. 243. 550 Westenrieder 1782, S. 43. 551 Ebenda, S. 47–49. 552 Ebenda, S. 47. 553 Ebenda, S. 48. 554 „Es sind seit kurzem eine Menge Privatgärten angelegt worden, worinn außer dem Nutzen, auch für eine belobenswürdige Zierde gesorgt worden.“ Ebenda, S. 48–49. 555 „Daß die Privat- und Küchengärten um die Stadt, längst so vortreflich, wie aller Orten, sind, werde ich wohl nicht zu sagen brauchen. Es ist kein Gewächs, das man nicht sollte beherbergen können, wenn man will; und wenn sich nicht jeder Gärtner ein Beet für Ananas, und Paradeisfrüchten hält: so zieht er desto mehr solche Kräuter und Früchten, welche der größten Bürgeranzahl gedeyhen, und nützen.“ Ebenda, S. 48.

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Hazzi beschreibt die Randzonen des Englischen Gartens, auf den noch zurückzukommen sein wird, als ideale Kulturlandschaft aus der Hand ebenso wohlwollender wie (implizit) wohlhabender Zeitgenossen.556 Ohne übertriebene Bescheidenheit lässt er seinen Anteil an der Rechteablösung und Allmendaufteilung im Münchener Norden einfließen, in deren Folge etwa das Dorf Schwabing seine Flächen kultiviert habe und „statt den öden Haiden vor der Hauptstadt nun überall lachende Fluren“ erschienen.557 Die Gesamtinszenierung des Schauplatzes in den Topografien gewinnt dadurch an Kontrast, dass dem leuchtenden Beispiel des Kulturfleißes die Negativfolie des Wilden oder Verwilderten beigegeben wird. Westenrieder charakterisiert die Gegend um Neuhausen im Nordwesten der Stadt wie folgt: „Um Neuhausen liegen in der Nähe gute Aecker; allein ein großer, großer Theil liegt auch als eine dürre Wiese, (in Betracht dessen, was es durch Kopf, Fleiß, und Unterstützung werden könnte) ganz uncultivirt, und wild. Rechter Hand auf der Straße, welche nach dem churfürstlichen Hofmark und Schloß Dachau führt, zieht sich diese Wiese noch weiter fort, bis endlich, in kleinen angebauten Zwischenräumen, das ungeheuere, berüchtigte Moos sich ausbreitet.“558

Distanziert beschreibt Hazzi die Gegenden der nahen Pfleggerichte Starnberg und Wolfratshausen, wobei sich die Unkultiviertheit des Schauplatzes in der Ethnografie spiegelt. Der Starnberger Distrikt sei „mit mißhandelten Waldungen, mit Filzen und Weiden bedekt [sic!] und die Bewohnungen oder kleinen hölzernen Hütten, deren Dächer mit Schindeln und großen Steinen beschwert sind, harmonieren ganz mit diesem verwilderten Zustand.“559 Noch dramatischer erscheinen die Zustände im Gerichtsbezirk Wolfratshausen: „Die ganze Gegend scheint eben eine Naturumwälzung erlitten zu haben, so rauh und wüste durch finstre Wälder, Filze, Moose, öde Strecken und wilde Durchbrüche der zwei Flüsse 556 „An den Umgebungen dieses englischen Gartens haben sich mehrere Kultursfreunde angebaut. Baron von Aretin, Direktor der kurfürstlichen Landesdirektion hat sich einen schönen Einfang mit künstlicher Beurbarung unfern vom Gestade der Isar angepflanzt, und weiter gegen das Lehel heran Oberst Adrian von Riedel ein Paar überaus niedliche Gärten mit einem schönen Sommergebäude, nebst einer Meierei und vielen zierlichen Gebäudchen, Glorietten und mehreren in bunten Farben nach chinesischem Geschmacke weit sichtbaren Verzierungen errichtet, womit längs der Isar hinab mehrere neukultivierte Gründe verbunden sind.“ Hazzi 1803, S. 290. 557 Ebenda, S. 123. 558 Westenrieder 1782, S. 39–40. 559 Hazzi 1803, S. 156–157.

264 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT sieht sie aus. Vorzüglich häßlich ist der Anblick jener unfruchtbaren und verödeten Fläche oberhalb München, gegen Trudering oder die Wasserburg Strasse hin, welche Fläche mit dem Moos Erding zusammen hängt und ehemals das Bett eines weiten Sees gebildet haben muß, [...]. Die hölzernen, schmutzigen Wohnungen geben dem Ganzen einen noch wildern Anstrich. […]“560

Im Zuge dieser Neubewertung der stadtnahen Umgebung unter den Vorzeichen eines umfassenden sozioökonomischen Reformpostulats kommt es auch zur Umdeutung der landesherrlichen Jagd. Diese höfische Praxis, die in ihrer barocken Ausprägung eine Fülle spezifischer Arrangements erforderte, mit landwirtschaftlichen Praktiken konkurrierte und so dem sozionaturalen Schauplatz Residenzstadt ein spezifisches Gepräge gab, war bereits in früheren Topografien umfassend thematisiert worden. Neu ist nun aber die vor allem durch Joseph von Hazzi vorgenommene, dezidiert negative Bewertung des Phänomens. Bereitete nach der Lesart von Anton Wilhelm Ertls Chur-bayerischem Atlas 1687 der „Überfluß zahmer Hirschen und Rehen“, die residenznah für die fürstliche Jagd gehegt wurden, dem Reisenden noch „grossen Wollust“561, ist der erbärmliche Zustand des Waldes im 12.500 Tagwerk (knapp 4260 Hektar) großen Forstenrieder Jagdpark in Hazzis Statistischen Aufschlüssen „der melancholische Gefehrte, der den Reisenden von München bis Stahrenberg begleitet.“562 Das Rotwild der München-Topografien muss zwischen dem 17. und dem frühen 19. Jahrhundert einen Absturz seines Ansehens vom fürstlichen Statussymbol zum gesellschaftlichen Schädling hinnehmen. Für den Gerichtsbezirk Wolfratshausen registriert Hazzi ehemals erhebliche Wildschäden.563 Die herrschaftliche Jagd selbst, die ja zu Hazzis Lebzeiten weder in ihrem juristisch-institutionellen Kern noch in der Praxis gefährdet war, wird nurmehr als bedauernswertes Hindernis der bürgerlichen Lebensführung gesehen. Die Jagd in der Gegend von München, so Hazzi, gehöre „dem Hof und ist für jedermann streng verboten. Selbst wenn man mit einem Hund ausserhalb der Stadt spazieren geht, kann man Unannehmlichkeiten haben.“ 564 Folgerichtig gerät die begeisterte Schilderung des Englischen Gartens in Lorenz Hübners (1751-1807) zeitgenössischer München-Topografie, die sich Hazzi zu eigen macht, en passant zur Abrechnung sowohl mit der „Wildheit“ unregulierter Wasserläufe und unkultivierter Flächen als auch mit der Monopolisierung von

560 Ebenda, S. 192–193. 561 Ertl 1687, S. 114. 562 Hazzi 1803, S. 169. 563 Ebenda, S. 221. 564 Ebenda, S. 340.

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Landnutzung durch die fürstliche Jagd.565 Der Planer des Landschaftsgartens, Benjamin Thompson Graf Rumford (1753-1814), „ein autopischer Kenner solcher Anlagen, in denen die Natur durch Kunst und diese durch Natur wechselsweis verschönert wird“,566 habe einen Park geschaffen, der „nicht mehr das Grab eingeschloßner müde gejagter Hirschen, sondern ein Lustort für frohe Menschen“ sei, „die das Freie der Schöpfung lieben.“567 Das Münchener Umland hat aufgehört, die Kulisse herrschaftlicher Machtinszenierung abzugeben. Nicht mehr Praktiken höfischer Zerstreuung, sondern „Frohgelage[n] einfacher Sitten“ der „ganze[n] Münchner bürgerliche[n] Welt“ gehört nun die Aufmerksamkeit der Topografen.568 Westenrieder und Hazzi beschreiben beide den „Lustort“ Hesselohe.569 Während in beiden Beschreibungen die besondere Lage am Steilufer der Isar erwähnt wird und Westenrieder auf die Tradi-

565 „[…] Eine lange dürftig angebaute Fläche auf der nördlichen Seite des Hofgartens, und eine den Launen der wilden Kultur [sic!] überlassene Waldgegend, welche 1200 Schritte von der Stadt entfernt war, der Hirschanger oder auch die Hirschau genannt, damals den Jagdgerechten ausschließlich überlassen, sollten in Eins zusammen fließen und zu der entworfenen großen Anlage in der gefälligen Gestalt englischer Gärten benutzt werden. Die Nähe der gegen Osten vorbei strömenden Isar, welche damals noch ungedämmt überall wilde Eilande und verwahrlostes Erlengesträuche hervorbrachte, war zu künstlichen Bewässerungen geschickt und schien die Hilfe der Kunst zu erwarten. Alles das einigte sich in den großen Plan und begünstigte die Ausführung desselben. Man hatte einen Umfang von 20.130 geometrischen Fuß und dabei einen Reichthum von kühn und wild herangewachsenen Bäumen und Gesträuchen zu Gebote, womit die Isar aus Gebirgen und Flächen, die sie in ihrem Laufe bespühlt, ihre Gestade angebaut hatte. […] Hier ward angeebnet, dort angehügelt; hier Fruchterde angeschüttet, dort Sand und Kies vertheilt; hier ausgerottet, dort angepflanzt; hier wurden Wege und Strassen durchbrochen, dort das Dunkel und die Kühlung der Schatten erkünstelt; hier wurde ein Kanal gegraben, dort eine zierliche Brücke gesprengt; kurz, die ganze weite Fläche von der nördlichen Seite des Hofgartens an, bis an die östliche Seite der Isar, welche 1790 mit einem festen Damm in bestimmte Grenzen zurückgedrängt wurde, in einer Länge von beinahe 1 1/2 Stunden und in einer mehr als 3/4stündigen Breite in eine ununterbrochene Promenade verbunden. […]“. Ebenda, S. 284–285. Zur Gesamtbeschreibung des Englischen Gartens und der mit dessen Planung einhergehenden Reformpostulate vgl. ebenda, S. 283–290. 566 Ebenda, S. 284. 567 Ebenda, S. 285. 568 Ebenda, S. 225. 569 Ebenda; Westenrieder 1782, S. 46–47.

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tion dieses Ausflugsorts verweist, gerät Hazzis Beschreibung einmal mehr zur Stilisierung eines sozionaturalen Schauplatzes bürgerlich-fortschrittlicher Idealität.570 Kehrt man in die Stadt selbst zurück, kann man schon an der Fülle der von Westenrieder wie Hazzi verarbeiteten demografischen, gewerbestatistischen und ethnografischen Informationen ermessen, dass der Schauplatz Stadt bei beiden Autoren aufgehört hatte, ein steriles „Schaufenster der Macht“ zu sein. Analog zu den kulturoptimistischen Schilderungen der Reorganisation von landwirtschaftlichen und hydraulischen Arrangements spiegelt sich die postulierte Transformation auch im Interesse an technischen Innovationen. Wie viele seiner Zeitgenossen beschäftigt sich auch Hazzi mit Fragen der städtischen Hygiene, Krankheiten und Gesundheitsvorsorge. Unter den in Hazzis Topografie beschriebenen Krankenhäusern nimmt das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder eine Sonderstellung ein.571 Der Grund hierfür scheint offenkundig. Unter der Leitung des Medizinalrats Franz Xaver von Häberl (1759-1846) wurden hier ambitionierte Schritte zur Verbesserung der Raumluft in den Krankensälen unternommen. Häberl hatte ein aufwändiges System installieren lassen, um des Gestanks und der als unhygienisch empfundenen Krankenluft Herr zu werden. Dieses System verband verschiedene Technologien, zum einen wassergespülte Toiletten und zum anderen Luftschächte mit Mündungen in den Krankensälen, die verunreinigte und feuchte Raumluft absaugten und der Verbrennung in einem Ofen zuführten. Gleichzeitig wurde frische Außenluft angesaugt und über die heiße Oberfläche desselben Ofens geleitet, um so gleichmäßig tempe570 „Noch einen Lustort, das fröliche Heselloh, dürfen wir nicht vorbeigehen, das am hohen Ufer der Isar, wo diese in einem rauhen tiefen Bette rasch fort wühlt, unter einem schwärmerischen Buchenhain erbaut ist. Die ganze Ansiedlung besteht zwar nur in einer Klause, Küche und Keller und vielen hölzernen Hütten, welche gemiethete Buden bilden, und in mehreren Bänken unter Bäumen und einigen Kugelbahnen; allein dieses Heselloh ist der munterste Ort nächst München. In diesen Tempel der Natur wallt zum wahren Frohgelage einfacher Sitten und der Gastfreundschaft an Feiertagen die ganze Münchner bürgerliche Welt zu Fuß oder zu Pferd oder in Wagen; die Eß- und Trinkwaaren werden nun ausgepakt und im freundschaftlichen, die Herzen eröffnenden Zirkel gegessen, getrunken, getanzt, gesungen und einander warm die Hände gedrückt. Ein Kontrast gegen die sogenannten steinernen Zirkel, wo alles so gespannt und spionenmäßig aussieht!“ Hazzi 1803, S. 225. Hier wird ein Schauplatz inszeniert, der motivisch durchaus dem Osterspaziergang in Faust I Johann Wolfgang von Goethes gleicht; vgl. JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: Faust. Urfaust, Faust 1 und 2, Paralipomena, Goethe über Faust (Bibliothek der Weltliteratur). 9. Aufl., Berlin 1990, S. 92–103. In beiden Texten werden nicht adelige Praktiken geschildert; Hazzi allerdings weist die Akteursgruppe explizit als „bürgerliche[n] Welt“ aus, während bei Goethe das Getümmel aus Stadtund Landbevölkerung sozial breiter zugeschnitten ist. 571 Hazzi 1803, S. 303–309.

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rierte Frischluft in die Krankensäle einzublasen. Im Sommer wurde das System mittels eines Ventilators betrieben. Die Verbesserung der Luftqualität stand im Zentrum des Hygienediskurses des 18. Jahrhunderts – unabhängig davon, ob die jeweiligen Protagonisten Miasmen, Phlogistons oder Gestank als Hauptursache für die Übertragung von Krankheiten ansahen.572 Hazzi war nicht der Einzige, der sich für Häberls Technologie interessierte. Offensichtlich erregte sie lokal einiges Aufsehen. Hazzis Bericht zufolge besichtigte selbst der Kurfürst das Spital und äußerte den Wunsch, diese Lüftungsund Heiztechnologie auch andernorts, „vor allem in dem neu zu erbauenden Tollhause zu Giesing“, einzusetzen.573 Der detaillierte Bericht über die Anlage rückt ein urbanes Arrangement in den Vordergrund, das dazu beiträgt, die Stadt nicht als Ort kumulierter Probleme, als mortales „offenes Grab der Menschheit“ im Sinne Christoph Wilhelm Hufelands (1762-1836)574 zu inszenieren, sondern als Schauplatz konzentrierten Fortschritts und problemlösender Intelligenz. Hazzi apostrophiert Häberle als „eben so tiefen Denker, als unermüdeten Menschenfreund, den keine Schwierigkeiten abschrecken.“575 Wiederholt setzen Westenrieder und Hazzi derlei Schaffenskraft unter Namensnennung der Protagonisten plakativ in Szene. Die umfassend thematisierten Aktionsfelder – Wasserbau, Landwirtschaft, Erholung, Hygiene – zeigen die Stadt und ihr Umland als Labor für ‚Verbesserung‘, für Projekte und Entwicklungspostulate von Aufklärern, Wirtschaftsliberalen, politischen und sozioökonomischen Reformern. Die Texte verraten ein ausgeprägtes Vertrauen in die produktive Formbarkeit sozialer Praktiken und biophysischer Arrangements in Stadt und Hinterland. Auffällig an der aufklärerischen Rhetorik ist dabei die im Vergleich zur Topografie des 16. und 17. Jahrhunderts zunehmende verbale Dichotomisierung von ‚Natur‘ und ‚Kultur‘ – aller offensichtlichen Hybridität der geschilderten Konstellationen von gesellschaftlichem Handeln und Materialität zum Trotz. Fazit Will man die gut drei Jahrhunderte betrachteter München-Topografie auf einen kurzen Nenner bringen, so fällt zunächst die hydrografische Verfasstheit des Schau572 Vgl. ALAIN CORBIN: Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs. Berlin 1984, S. 21–34; MANUEL FREY: Der reinliche Bürger. Göttingen 1997, S. 108–111. 573 Hazzi 1803, S. 308; zu ähnlichen zeitgenössischen Projekten der Innenraumbelüftung und Klimatisierung in Krankenhäusern, Schulen und Gefängnissen vgl. Corbin 1984, S. 165–172; Frey 1997, S. 110. 574 CHRISTOPH WILHELM HUFELAND: Makrobiotik oder die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Leipzig 1905, S. 200. 575 Hazzi 1803, S. 303.

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platzes ins Auge, dessen Komplexität und tendenzielle Prekarität zwar in unterschiedlichem Maße thematisiert bzw. harmonisiert, meist aber nicht ignoriert werden konnte. Früh beginnt zweitens die Entwicklungslinie einer Inszenierung des residenzstädtischen Schauplatzes als Herrschaftslandschaft. Dies führt zur menschenleer-kulissenhaft wirkenden Stadt der barocken Topografien Ertls und Wenings und zur herrschaftsästhetischen Stilisierung des urbanen Hinterlandes. Genau hier setzt die aufklärerische Topografie an. Die Stadt und ihr Hinterland werden zum Schauplatz gesamtgesellschaftlich getragener Praktiken und zum Experimentierfeld für fortschrittsoptimistische Entwicklungspostulate. Das Schaufenster der Macht wird zum Schauplatz der Machbarkeit. 3.3.4 (Umwelt-)Geschichte ohne turning points: Regensburg „Regensburg liegt gar schön. Die Gegend musste eine Stadt herlocken.“576 Peter Schmid, Doyen der Regensburger Stadtgeschichtsforschung, zitiert diesen von Johann Wolfgang von Goethe (1749- 1832) in seinem Reisetagebuch unterwegs nach Italien festgehaltenen Eindruck dezidiert nicht, um einem umweltdeterministischen Blick auf die historische Stadtentwicklung das Wort zu reden. Er will vielmehr auf eine wahrnehmungsgeschichtliche Traditionslinie hinweisen, die offensichtlich mit der Geomorphologie des Schauplatzes korrespondiert. Goethe, wie andere zeitgenössische Reisende, sei überrascht und beeindruckt zugleich gewesen, „wenn sich ihnen nach einer Fahrt durch die eher als hart und unwirtlich empfundene Hügelund Berglandschaft des Fränkischen Jura, des Oberpfälzer oder Bayerischen Waldes bei Regensburg mit der weiten Donauebene ziemlich unvermittelt ein völlig anders geartetes Landschaftsbild darbot.“577 Er verweist auf ein bereits eintausend Jahre früher, Mitte des achten Jahrhunderts, niedergeschriebenes, ähnlich positives Urteil über Stadt und Umgebung in der Vita Haimhrammi des Arbeo von Freising (764-783). Arbeo thematisiert zunächst die Uneinnehmbarkeit der Stadt in ihren massiven Festungsmauern (die freilich noch von den Römern übernommen worden waren), um dann Regensburgs Segnungen intra und extra muros zu rühmen:

576 Johann Wolfgang von Goethe, Anfang September 1786, zit. nach: PETER SCHMID: „Regensburg liegt gar schön. Die Gegend musste eine Stadt herlocken“, in: FERDINAND OPLL/CHRISTOPH SONNLECHNER (HG.): Europäische Städte im Mittelalter (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 52). Innsbruck, Bozen, Wien 2010, S. 327– 349, hier 327. 577 Ebenda.

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Die Stadt sei „mit Brunnen reichlich versehen; im Norden bespült sie die Donau, die in geradem Lauf gen Osten strömt. Das Bergland war ergiebig an Obst und bot Weiden und saftiges Gras; das Waldgebirge war mit wilden Tieren bevölkert und das Unterholz mit Hirschen, Elchen, Auerochsen, Rehen, Steinböcken und mit Tieren und Wild aller Art.“578

Arbeo führt auf die Schönheit der Gegend auch den Wunsch des von ihm porträtierten heiligen Emmeram zurück, „in Regensburg seine letzte Ruhestätte zu finden, um in dieser ‚anmutigen Umgebung ... auf den Tag der Belohnung nach dem Ende der Zeit zu harren.“579 Schmid leitet aus beiden Beispielen ab, dass Arbeo wie Goethe das Verhältnis zwischen Stadt und Region als eng und symbiotisch aufeinander bezogen wahrgenommen hätten.580 Er vergisst nicht, auf gattungsspezifische topische Elemente und ästhetische Stilisierungen hinzuweisen. Dies scheint gerade angesichts des von Arbeo gebotenen Bestiariums auch mehr als geboten. Und doch verweist Schmid plausibel auf spezifische naturräumliche Gegebenheiten, die eine spezifische Wahrnehmung des Schauplatzes angeleitet hätten.581 In der Tat bietet die Lage Regensburgs am nördlichsten Punkt des Donaulaufes, an den Mündungen der Flüsse Naab und Regen und an der Grenze zwischen den 578 Zit. nach: Ebenda. 579 Ebenda; zur topografischen Thematisierung von Regensburgs Gunstlage vgl. etwa auch den Eintrag in Peter De Berts Commentarii rerum Germanicarum, der unter anderem das Urteil des Bischofs und Chronisten Otto von Freising (um 1112-1158) zitiert: „In Bauaria ad Danubium est Ratispona: de cuius situ & nomine Otto Frisingensis sic scribit lib. 2 de gestis Friderici Barbarossae. Haec ciuitas, inquit, super Danubium, qui vnus trium famosissimorum fluminum in Europa a topographis dicitur, ex ea parte qua praedicto amni duo nauigabilia Regnus & Naba illabuntur flumina, posita, eo quod ratibus opportuna bonaque sit, Ratisbona, vel a ponendo ibi rates Ratispona Baioariorum quondam Regum, nunc Ducum sedes est. […] Vrbs est amplissima atque ornatissima; aggere, fossa, moenibus egregie ornata. Paruit olim regibus Boiorum,sub Friderico autem I adserta est in libertatem. Anno DCCXCI incendio pene tota consumpta fuit, sed Arnulphi industria restaurata est. Templa & sacella tot habere dicitur quot sunt in anno dies. Pars vrbis vltra Danubium sita, est vetustior, habuitque a Regno amne nomen Reginopurgi, quod nomen postea adcrescente parte Cisdanubiana, ad nouam quoque vrbem deriuatum est. Pontes hic duo sunt lapidei, vnus ad Regnum, alter ad Danubium: quorum ille antiquor est, hic magnificentior; omnium ad Rhenum & Danubium pontium maximus, ac Dresdano duntaxat ad Albim minor, vt qui DCCC habeat passus in longitudine, quum hic tantum habeat CCCCLXX.“ Bertius 1616, S. 647. 580 Schmid 2010, S. 327–328. 581 Ebenda, S. 328.

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Mittelgebirgsregionen des Donau-Nordufers und den klimatisch begünstigten, fruchtbaren Hügel- und Flachlandlagen des Donau-Südufers sehr spezifische Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Stadt.582 Schmid leitet daraus sein Plädoyer dafür ab, bei der Erforschung der mittelalterlichen Stadtentwicklung und des mittelalterlichen urbanen Lebens und Wirtschaftens „in differenzierter Weise die nuancenreichen und subtilen Verflechtungen offen zu legen“, die sich sowohl aus dem „naturräumlichen Potential“ als auch strategischen, politischen oder anderen Faktoren speisten.583 Abbildung 42: Peter Schmid, Naturregionen des Regensburger Raumes, 2010

Mit dieser umwelthistorisch interessierten und dabei wahrnehmungsgeschichtlich argumentierenden Perspektive steht Schmid im Kontrast zum Blickwinkel von Helmut Eberhard Paulus, der in seinen Überblick zur Entwicklung der neuzeitlichen Stadtikonografie Regensburgs diese ausschließlich als Spiegel der politikgeschichtlichen Entwicklung der Stadt versteht.

582 Zur geografischen Situation vgl. auch ALOIS SCHMID: Regensburg. Reichsstadt – Fürstbischof – Reichsstifte – Herzogshof (Historischer Atlas von Bayern, Teil Altbayern 60). München 1995, S. 1–4. 583 Schmid 2010, S. 332.

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Regensburg habe „in der Darstellungsgeschichte und im Spektrum historischer Stadtansichten eine eigenwillige Rolle gespielt, die in engstem Zusammenhang mit seiner Geschichte steht. Erst der Blick in die politische Geschichte der Stadt, die von der Spätantike bis zum Ende des Alten Reiches Zentralitätsfunktionen wahrnahm, vermag so manche Regensburger Besonderheit in der Art und Weise der bildlichen Selbstdarstellung zu erklären.“584

Vor dem Hintergrund des wahrnehmungsgeschichtlichen Ansatzes und in Anbetracht der bisherigen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit liegt dagegen klar auf der Hand, dass Politikgeschichte Herrschaftspraktiken und ihre Auswirkungen und damit nur eine Dimension der historischen Transformation sozionaturaler Schauplätze beleuchtet. Eine sektorale Selbstbeschränkung der Perspektive erscheint daher weit weniger überzeugend als eine Perspektive, die wie die von Peter Schmid entworfene den Schauplatz Stadt – und seine Repräsentation – in seiner ganzen Komplexität und sozionaturalen Hybridität in den Blick nimmt. Dennoch soll die hier kritisierte politikgeschichtliche Perspektive mit diesen Bemerkungen nicht ad acta gelegt werden. Denn sie bezieht im Falle Regensburgs aus der historischen Evidenz einige Plausibilität. Im Bezug auf die in dieser Arbeit untersuchte historisch-topografische Literatur könnte man sogar provokativ zu der Ansicht gelangen, das Bild, das ebendiese Literatur und lokale und regionale Chronistik von der Stadt zeichnen, motiviere eine sektoral auf die politische Geschichte verengte Perspektive der Gegenwartshistoriografie. Wie in der übrigen Studie auch steht die Verteilung thematischer Gewichtungen der in historischtopografischer Literatur repräsentierten Schauplätze zur Untersuchung. Die Ermittlung und Erklärung bestimmter Verfasstheiten von Schauplätzen ist Kern der Fragestellung. Anders als dies an den Topografien Ulms, Augsburgs und Münchens unternommen wurde, soll die Regensburg-Beschreibung in Merians Topographia Bavariae585 weniger in der historisch-topografischen Gattungstradition kontextualisiert als gegenüber der lokalen Chronistik kontrastiert werden. Während also etwa im Falle Ulms die Beschreibung Martin Zeillers in der Topographia Sveviae vor dem Hintergrund einer früh durch die Fabri-Topografie geprägten historischtopografischen Gattungsentwicklung zu diskutieren war, erscheint im Regensburger Fall eine anders angelegte Stichprobe fruchtbar. Hier soll die thematische Schwerpunktsetzung des in der Zeillerschen Topografie und im korrespondierenden Bildprogramm der Topographia Bavariae entworfenen Schauplatzes anhand der lokalen Historiografie evaluiert werden.

584 HELMUT EBERHARD PAULUS: Regensburg, in: WOLFGANG BEHRINGER/BERND ROECK (HG.): Das Bild der Stadt in der Neuzeit. 1400-1800. München 1999, S. 346–351, hier 346. 585 Merian der Ältere et al. 1657, S. 69–93.

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Als Quellengrundlage der Vergleichsuntersuchung bieten sich die Chroniken Carl Theodor Gemeiners (1756-1823)586 und Christian Gottlieb Gumpelzhaimers (1766-1841)587 an. Beide Autoren entstammten Regensburger Ratsfamilien, bekleideten in der Spätphase Regensburgs als Freier Reichsstadt Ämter in der magistratischen Verwaltung beziehungsweise am Reichstag, waren vertraut mit der reichsstädtischen Geschichte und hatten Zugriff sowohl auf publiziertes Material als auch auf die einschlägigen reichsstädtischen Archivalien. Ihre Werke bieten mithin Synopsen der Chronistik Regensburgs im Alten Reich. Der Quellenwert von Gemeiner und Gumpelzhaimer bedarf gleichwohl der Qualifizierung. Beide Autoren arbeiten mit Vorlagen regionaler und überregionaler Provenienz und Perspektive. Nicht immer wird von ihnen dabei klar unterschieden, ob ein in der überregionalen Chronistik dokumentiertes Ereignis, zum Beispiel eine extreme Hochwassersituation am gesamten Donaulauf, tatsächlich nachweisliche Auswirkungen auf Regensburg hatte oder nicht. Eine weitere Einschränkung liegt im Umstand, dass Gumpelzhaimer in den Passagen, die denselben Berichtszeitraum abdecken wie Gemeiners früher erschienenes Werk,588 Meldungen Gemeiners oft übernimmt, ohne diese wesentlich weiterzuentwickeln. Die im Zuge des beschriebenen kontrastiven Verfahrens erhobenen Befunde erlauben dann in einem zweiten Schritt durchaus, auch nach politikgeschichtlichen Bezügen zu fragen, ohne diese jedoch bereits als entscheidende Determinanten vorausgesetzt zu haben. Tatsächlich gehört zur Hybridität des Schauplatzes Regensburg eine nicht geomorphologisch angelegte, vielmehr politisch-territoriale Insellage der Reichsstadt über Jahrhunderte hinweg. Diese prägte den problematischen Zugriff der Stadt auf Ressourcen entscheidend. Auch die Donau – materiell in ihrer 586 Carl Theodor Gemeiner studierte 1775-1778 in Leipzig Theologie und begann danach im reichsstädtischen Archiv zu arbeiten, wo er erste Studien der Regensburger Stadtgeschichte unternahm. Er erhielt 1781 eine Anstellung als Syndikus-Archivarius in Regensburg, amtierte dann als Stadtschreiber und erster Syndikus sowie als Gesandter verschiedener Städte am Immerwährenden Reichstag. 1803 wurde er Landesdirektionsrat zunächst im kurzlebigen Dalberg-Fürstentum, dann in Bayern. RUDOLF REISER: Gemeiner, Carl Theodor, in: KARL BOSL (HG.): Bosls Bayerische Biographie, Hauptband. Regenburg 1983, S. 247; HEINZ ANGERMEIER: Einleitung. Carl Theodor Gemeiner und seine Regensburgische Chronik, in: HEINZ ANGERMEIER (HG.): Regensburgische Chronik [ND]. Bd. 1. München 1971, S. 11–39, hier 15–16. 587 Christian Gottlieb Gumpelzhaimer studierte Rechtswissenschaft in Göttingen und wurde 1790 Mecklenburg-Schwerinischer Legationsrat am Immerwährenden Reichstag in Regensburg. Später war er der erste Vorstand des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg. RUDOLF REISER: Gumpelzhaimer, Christian Gottlieb, in: KARL BOSL (HG.): Bosls Bayerische Biographie, Hauptband. Regenburg 1983, S. 285. 588 Die Gemeiner-Chronik reicht bis zum Berichtsjahr 1525.

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fluvialen Dynamik, politisch-territorial als Grenzgewässer – spielt eine entscheidende Rolle auf der Regensburger Bühne. Ein weiteres Detail kompliziert die Lage: In der Stadt konzentrierten und überschnitten sich Herrschaftsbezirke bzw. Rechtstitel von sechs reichsunmittelbaren Herrschaften: der Reichsstadt, des Bistums, der Reichsklöster Obermünster, Niedermünster und St. Emmeram und des Herzogtums Bayern. Ferner verstetigte sich im 17. Jahrhundert die Funktion der Stadt als Sitz des seit 1663 nicht mehr von Fall zu Fall einberufenen, sondern nunmehr „immerwährenden“ Reichstags. Die Frage nach den Rückwirkungen dieser politischen Komplexität auf die topografische Repräsentation besitzt daher Relevanz. Der Kern der Antwort auf diese Frage sei noch vor der nun folgenden Erörterung von Einzelaspekten angedeutet: Die thematische Balance des von Martin Zeiller entworfenen sozionaturalen Schauplatzes ist zuungunsten der materiellen und naturalen Dimension verschoben. Zentrale Aspekte und turning points in der Umweltgeschichte Regensburgs, die vor allem im Zusammenhang mit der fluvialen Existenz der Stadt stehen und die in der Chronistik fassbar sind, bleiben in Zeillers Topografie, aber auch in Merians Bildlichkeit ausgeblendet oder unterbelichtet. Die politische Dimension der fluvialen Prekarität als Konfliktpotenzial zwischen zwei Nachbarterritorien wird im Falle der grafischen Inszenierung des Schauplatzes absichtsvoll harmonisierend uminterpretiert. Abbildung 43: Michael Wolgemut/Wilhelm Pleydenwurff, Ratisbona, Weltchronik, 1493

Die Regensburger Stadtikonografie wird von Helmut Eberhard Paulus als historische Nachzüglerin apostrophiert. Die Bedeutung der Stadt im Hochmittelalter spiegle sich nicht in Abbildungen; mit Einsetzen einer nachweisbaren Ikonografie 1489 hatte die Stadt ihre Bedeutung bereits verloren.589 Das 15. Jahrhundert stand im Zeichen der wirtschaftlichen und politischen Krise, während derer Regensburg

589 Paulus 1999, S. 347–348.

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temporär sogar auf die Reichsstandschaft verzichtete.590 Die erste bekannte Vedute besitzt lediglich dekorative Funktion in einer Darstellung von dynastischer Relevanz, der Einnahme Regensburgs durch den Babenberger Leopold IV. (Mgf. von Österreich 1137, Hg. von Bayern 1139, gest. 1141) im Jahre 1141.591 Der wenig später 1493 in der Schedelschen Weltchronik veröffentlichte RegensburgHolzschnitt Michael Wolgemuts (1434-1519) zählt Paulus’ Urteil zufolge zu den qualitätsvollsten des Werks und sei bedeutend für das Selbstverständnis Regensburgs als Reichsstadt (Abbildung 43).592 Wolgemut rücke mit den Patriziertürmen, die die Kirchen in der Darstellung eindeutig dominierten, und der Steinernen Brücke mit den befestigten Donauländen „zwei Besonderheiten Regensburgs fast plakativ in den Vordergrund“.593 Aus nördlicher Richtung perspektivierte Ansichten und eine Fokussierung der Steinernen Brücke blieben für die weitere Entwicklung der Regensburg-Ikonografie prägend. Den Umstand, dass ein Holzschnitt in der 1594er Ausgabe von Sebastian Münsters Cosmographia irrtümlich Straubing abbildet und im Titel als Regensburg bezeichnet, wertet Paulus als Indiz für eine im 16. Jahrhundert noch immer geringe Bekanntheit der Regensburg-Ikonografie.594 590 Ebenda, S. 346–347; vgl. auch ALOIS SCHMID: Vom Höhepunkt zur Krise. Die politische Entwicklung 1245-1500, in: PETER SCHMID (HG.): Geschichte der Stadt Regensburg, Bd. 1. Regensburg 2000, S. 191–212. 591 Paulus 1999, S. 348. 592 Ebenda. 593 Ebenda. Interessant ist in Bezug auf diese reichsstädtische Perspektive Paulus’ Hinweis auf einen Holzschnitt in Eberhard Kiesers (1583-1631) Politischem Schatzkästlein 1625/1631 mit einer Regensburg-Ansicht als Bildhintergrund für eine Allegorie von Krieg und Frieden in der bürgerlichen Gesellschaft. Es handle sich um eine Variation der gängigen Nordansicht im Gefolge Jacob Hoefnagels (1575-um 1630) 1594, zeichne sich aber durch eine überdeutliche Dominanz des Doms, nicht der reichsstädtischen Bauten aus. Ebenda, S. 349. Diese Schwerpunktsetzung erscheint im mächtepolitischen Zeitkontext des Restitutionsedikts von 1629 und der größten Machtfülle der kaiserlich-katholischen Partei im Dreißigjährigen Krieg durchaus sprechend. 594 Ebenda, S. 348. Dieser Fehler wurde in Peter de Berts Commentarii rerum germanicarum übernommen (Abbildung 44), während der bereits 1572 erschienene erste Band der Braun/Hogenbergschen Civitates orbis terrarum das gleiche Motiv mit richtiger Zuschreibung verwendet hatte (vgl. Abbildung 11). Bertius 1616, S. 646; Braun et al. 2010. Mit derlei Verwechslungen mussten die regionalen Nachbarstädte offensichtlich leben. Eine stark typisierte vermeintliche Profilansicht Straubings von Francesco Valegio in Lasor a Vareas Universus Terrarum Orbis zeigt recht eindeutig die hydrografische Situation Regensburgs. Vgl. LASOR A VAREA: Universus Terrarum Orbis 1713. http://www.staatliche-bibliothek-passau.de/staadi/nid/370.html, Stand: 04.08.2011.

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Abbildung 44: Petrus Bertius, Regenspurg, Commentarii rerum Germanicarum, 1616

Die frühe 1545er Ausgabe von Sebastian Münsters Cosmographia stützt Paulus’ Argumentation. Ihre Regensburg-Topografie bleibt ikonografisch auf eine Abbildung des Stadtwappens und die Ansicht eines wohl als Symbol der Steinernen Brücke eingesetzten Brückendetails beschränkt. Auch die textuelle Beschreibung fällt hier noch knapp aus.595 Das Fehlen topografischer Informationen wird durch eine 595 Regensburg: „Dise statt hat im latein vil namenn. Dann man hat sie vor zeiten genent Ratisponam / dz ist / Flöß ordnung. und der nam ist ir bliben bey den Latinern biß auff den heütigen tag. Weiter hat man sie genent Reginopolim / dz ist künigstatt oder künigspurg / unnd das von wegen der manchfeltigen reichßtägen so künig und fürsten vor zeiten do gehalten haben. [//] Wiewol etttlich andere meinen / diser nam soll mere Regenopolis heissenn / und das von einem Teütschen namen gehenckt an das Griechisch wort polis / wie sie dann noch inn Teütscher sprach heißt Regenspurg / von einem wasser Regen genant / das im Behemer wald sein ursprung nimpt / und fleüßt bei zwölf meylen lang gegen Regenspurg zuo / do es in die Tonaw falt. Die latiner nennen sie von disem wasser Imbripolim. Sie hat auch vor fünffzehen hundert jaren oder umb die selbige zeit Tiberina geheissen / dann Tiberius hat sie gebauwen oder erneüwert. Sie ist vor alten zeiten här die hauptstatt im Baierland gewesen / und haben die künig und Hertzogen von Baiern do selbst hoff gehalten. Anno Christi 1115 ist die steinen bruck daselbst über die Tonaw gemacht worden. Wie wol ich auch find das Traianus der Römisch keyser ein wunderbarlich werck zuo Regenspurg über die Tonaw gemacht hat mit

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disproportional umfassende etymologische Erörterung zum Stadtnamen überlagert. Die Ausführungen zur Baugeschichte der Steinernen Brücke sind wenig präzise. Wie sehr sich die mediale Präsenz der Regensburg-Topografie später steigern sollte, zeigt nicht zuletzt die hier zu untersuchende Topographia Bavariae Matthäus Merians596, deren Bildprogramm Regensburg mit einer Gesamtansicht, die ein Stadtprofil und eine Vogelschau kombiniert, einem Prospekt der Steinernen Brücke, Einzelansichten von Dom und Rathaus sowie einer Detailansicht eines Memorialfrieses zur Regensburger Dollinger-Sage würdigt. Zeillers Textbeitrag umfasst vierundzwanzig zweispaltig bedruckte Folioseiten. Das auf Regensburg bezogene Bildprogramm Merians ist nur Teil einer im 17. Jahrhundert einsetzenden breiten Konjunktur der Ikonografie dieser Stadt, für deren zusammenfassende Sichtung nochmals auf Paulus verwiesen sei.597 Die folgende Erörterung der Repräsentation des Schauplatzes Regensburg nimmt ihren Ausgangspunkt bei zwei der genannten Merian-Grafiken, der Kombination aus Vogelschau und Profil (Abbildung 45) und dem Prospekt der Steinernen Brücke (Abbildung 46). Diese beiden prominenten Vertreterinnen der RegensburgIkonografie werden zunächst nach inszenierten und ignorierten topografischen Informationen, also nach ihrem ‚Reden und Schweigen‘ über den Schauplatz befragt. Zur Frage der Autopsiebasierung der grafisch umgesetzten Informationsbestände spielt die Person Wenzel Hollars (1607-1677) eine nicht unwichtige Rolle. Hollar hielt sich 1636 in Regensburg auf und trug in erheblichem Umfang zum Bildprogramm der Merian-Topografien des Donauraumes bei. Das streifenartige Stadtprofil im oberen Bildfünftel der Kombinationsgrafik ist mit „W. Hollar designavit“ gezeichnet,598 die Vogelschau trägt die Signatur „M. Merian fecit“. Der „Schöne Prospect der Steinernen Brücken zur Regensburg“ ist unsigniert.599

zwentzig schwebogen / aber die jetzige hat vier und zwentzig schwybogen. Der groß keyser Carlen hat das bisthumb do hin gestifft / wiewol ettlich meinen es sei vor im do gewesen. Es ist in diser statt bischoff gewesen der gelert und weit berümpt Philosophus Albertus magnus / anno Christi 1262. aber von liebe wegen der kunst und lere / ließ er das bisthumb und hierlt sich zuo Cöln vil jar / ist auch do gestorben unnd begraben. er ist geborn in dem flecken Lawingen / vier meil under Ulm an der Tonaw gelegen.“ Münster 1545, S. DXVIII–DXIX. 596 Merian der Ältere et al. 1657, S. 69–93. 597 Vgl. Paulus 1999, S. 347–351. 598 Wüthrich bezeichnet das Stadtprofil Hollars fälschlich als Ansicht von Süden Wüthrich 1996, S. 119, lfd. Nr. 43a. 599 Auch Wüthrich identifiziert hier keinen Autor. Ebenda, S. 119–120, lfd. Nr. 44.

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Abbildung 45: Matthäus Merian d. Ä., Ratisbona Regenspurg, Topographia Bavariae, 1644

Die Vogelschau ist von einem stark überhöhten, nördlich der Stadt gelegenen, aber in seiner Höhe nicht realistischen Betrachterstandpunkt aus perspektiviert. Sie enthält neben der Stadtdarstellung zwei Kartuschen, deren eine in der linken Bildhälfte den Reichsadler, die andere in der rechten Bildhälfte das Regensburger Stadtwappen mit den zwei Schlüsseln zeigt, ferner eine Windrose600 und eine Legende, die sechsunddreißig in der Vogelschau mit Nummern versehene Gebäude bezeichnet. Den Bildvordergrund am unteren Bildrand nimmt das Donaunordufer ein, mit der Regenmündung in der linken Bildhälfte und fast mittig Stadtamhof, der herzoglich bayerischen „Gegenstadt“ Regensburgs am nördlichen Brückenfuß der Steinernen Brücke. Der nördliche und südliche Donauarm passieren das Bild genau horizontal in west-östlicher Richtung. Sie sind durch die beiden Flussinseln des Oberen und Unteren Wöhrds und durch einen künstlichen Damm (Beschlacht) zwischen beiden Inseln getrennt. Während die Baustruktur Stadtamhofs stark reduziert dargestellt wird,601 besitzen eine Reihe typisierter Arrangements auf den zur Reichsstadt gehö600 Westen und Osten sind auf dieser vertauscht eingetragen. 601 Die reduzierte Inszenierung der Stadtamhofer Baustruktur dürfte zur Zeit von Hollars Aufenthalt in Regensburg durchaus realistisch gewesen sein, hatten die schwedischen Truppen Zeillers Angaben zufolge doch hier nach der Einnahme 1633 weite Teile der

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renden Wöhrden – wie die schriftlich ausgewiesene Bleiche, Obst- und Gemüsegärten, am Wasser situierte Mühlgebäude, weitere Bebauung sowie Bäume – Verweischarakter auf die im Zeillerschen Text angesprochene, intensive wirtschaftliche Nutzung der Inseln.602 Der Zeiller-Text gibt nicht nur die Gesamtlänge der Inseln, „ein zimblich starcke viertel Meil Wegs“,603 an. Er informiert auch darüber, dass sie hauptsächlich von Müllern, Fischern und Schiffleuten bewohnt seien und dass auf dem Oberen Wöhrd, westlich der Steinernen Brücke, Papier-, Walk-, Gewürz- und Sägmühlen, an der Ostseite der Steinernen Brücke und auf dem Unteren Wöhrd Polier- und Getreidemühlen betrieben würden. Auf dem Unteren Wöhrd befänden sich Baustädel, Ziegelhütten, die Bleiche, „Schiffstellungen“ und anderes mehr.604 In der Vogelschau verbindet die fast vertikal angeordnete Steinerne Brücke Nord- und Südufer der Donau über beide Flussarme hinweg. Am Südufer sind die Flussfront der Stadt und die dort situierten Länden zentral inszeniert. Hier verkörpern die einzigen in der gesamten Vogelschau vorhandenen Staffagefiguren Praktiken des Anlandens verschiedener Güter. Holzstapel markieren die Position der Holzlände. Den größten Teil der Vogelschau nimmt der planartige Stadtgrundriss ein, der die Straßenstruktur, wichtige geistliche und weltliche Gebäude sowie die alten und neuen Befestigungsanlagen der Stadt detailliert schildert. Diese Detailgenauigkeit in Verbindung mit der Bezeichnung wichtiger Gebäude in der Legende unterstreicht den engen topografischen Text-Bild-Bezug und die dienende und illustrierende Funktion der Grafik für die textuelle Beschreibung des Schauplatzes. In dieser nehmen architektonische Schilderungen geistlicher und weltlicher Gebäudekomplexe breiten Raum ein, wobei stets auch auf die Bau- und Entwicklungsgeschichte der jeweiligen Bauten oder Ensembles eingegangen wird.605 Für die große Detailgenauigkeit der grafischen Repräsentation des Schauplatzes in der Vogelschau konnte Merian auf die ortskundige Grafik des Regensburger Zeichners Hans Georg Bahre606 zurückgreifen. Bahre hatte im Auftrag des Regensbayerischen Stadt abgetragen, um den nördlichen Brückenfuß mit einer großen Schanze zu sichern. Merian der Ältere et al. 1657, S. 101. 602 Ebenda, S. 70–71. 603 Ebenda, S. 70. 604 Ebenda, S. 70–71. 605 Vgl. ebenda, S. 69–93, etwa zum Dom St. Peter und weiteren katholischen Stadtkirchen 72–73, zum Kloster St. Emmeram 73–76, zu den Klöstern Niedermünster und Obermünster 76–77, zum Schottenkloster 77, zu den evangelischen Stadtkirchen Neupfarrkirche 77 und Dreifaltigkeitskirche 80; zur städtischen Lateinschule und ihrer Bibliothek 80, zum Rathaus mit breiter Kolportage der Dollinger-Sage 80–82. 606 Bahres biografische Daten sind schwer zu greifen. Jürgen Tiede kennzeichnet ihn anhand zweier ihm zugeordneter Werke als „belegt um 1628-44“; JÜRGEN TIEDE: Bahre, Hans Georg, in: K.G. SAUR VERLAG/GÜNTER MEIßNER (HG.): Saur Allgemeines Künst-

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burger Rats 1644/45 zwei Grundrisse angefertigt, die jeweils den Zustand der Stadt 1614 und 1645 dokumentieren sollten.607 Hier ging es um die präzise Dokumentation der Kriegszerstörungen, der Befestigungsanlagen und Breschen der schwedischen und kaiserlichen Truppen. Die Funktion der Pläne lag also weniger in der repräsentativen Inszenierung als in der Bestandsaufnahme; die Vogelschaupläne fungierten als historiografische Medien zum Dreißigjährigen Krieg. Nun trägt die an ein breites Publikum gerichtete Vogelschau in Merians Topographia Bavariae durchaus repräsentative und inhaltlich idealisierende Züge. Zerstörungen oder gar Kampfhandlungen werden nicht visualisiert.608 Doch einerseits gilt es sich in diesem Zusammenhang das zumindest vordergründige programmatische Interesse Merians in Erinnerung zu rufen, das er mit seiner Topographia Germaniae verband und das durch die Kriegszerstörungen motiviert wurde.609 Andererseits findet sich in Zeillers Regensburg-Text eine offensichtlich durch präzise lokale Informationen gespeiste Bestandsaufnahme der Auswirkungen des Krieges auf urbane Arrangements. Genau werden etwa für den Bereich der westlichen Prebrunner Vorstadt die Zerstörungen an Gärten und Grünanlagen, Handwerksbetrieben und Infrastrukturen aufgelistet.610 Auch die Zerstörung der gewerblichen Arrangements auf dem Unteren Wöhrd durch jüngste Belagerungen kommt zur Sprache, versehen mit dem Hinweis, dass „etliche wider auffgericht / und jetzt vil schöner / dann sie zuvor waren / erbawet worden.“611 Im Rahmen einer breiten Dokumentation kriegerischer lerlexikon, Bd. 6: Avogaro–Barbieri. München, Leipzig 1992, S. 299, hier 299. Zu Bahre vgl. auch Leidel et al. 1998, S. 113–120. 607 Paulus 1999, S. 348–349. 608 Diese Option wird an anderen Stellen der Topographia Germaniae in der Übernahme von Grafiken des Theatrum Euopaeum durchaus gewählt. 609 Vgl. Merian der Ältere 1654, S. 7–8. 610 „Die schöne Gärten aber / so es vorhin umb die Statt gehabt / seyn / neben den Bäumen / und darunder den zweyen grossen Linden Bäumen vor / vor S. Jacobs Thor / (da der schöne Schießplatz gestanden / auff welchem man mit dem Stahl zu schiessen pflegte / und der mit einem lustigen Garten und schönem Hauß / eingefaßt war /) in dem jetzigen Teutschen Krieg / unnd dieser Statt Belagerungen / sampt dem Siechen-Hauß / der Kirchen / unnd dem Freudhof / zu S. Lazarus genandt / da viel vortreffliche Epitaphia gestanden / alles darauff gangen / und abgebrandt worden. Und war da vorhin / gegen Niedergang die Vorstatt an der Thonaw / in welcher die Haffner / Schiffmacher / Ziegelbrenner / etc. wohnten / darvon zwar der Platz noch zu sehen / das ander aber alles ligt im Staub / und der Erden gleich; wiewol man hofft / daß es wider mit der Zeit in den alten Standt gerichtet werden möchte. [...] Und umb diese Gegendt seynd vor den nächsten Belägerungen trefflich schöne Lustgärten / von Wasserwerck / Sommerhäusern / unnd anderer Zierde / herrlich zugerichtet gestanden.“ Merian der Ältere et al. 1657, S. 70. 611 Ebenda, S. 71.

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Ereignisse und kriegsbedingter Brände, die die Stadt zwischen dem sechsten Jahrhundert und der Gegenwart des Textes zu erdulden hatte,612 kommt auch eine in ihren Auswirkungen für die Stadt dramatische Kriegstaktik des damaligen Befehlshabers Oberst von Troibreze im Jahre 1633 zur Sprache, der in Erwartung eines Angriffs durch die Truppen Bernhards von Weimar (1604-1639) ein stadtnahes Dorf, die Prebrunn-Vorstadt, das Lazarett St. Niklas sowie den Oberen und Unteren Wöhrd samt der dortigen Betriebe habe abbrennen lassen, wobei auch hölzerne Aufbauten der Steinernen Brücke zerstört worden seien. Auch ein Bogen der Brücke sei teils gesprengt, teils abgetragen worden.613 Auch die folgenden Kriegshandlungen und Opferzahlen werden im Text dokumentiert. Topografie als Geschichtsschreibung des Dreißigjährigen Krieges findet in der Regensburg-Beschreibung von Merians Topographia Bavariae nicht in der Grafik, sondern im Text statt und ist nichtsdestoweniger gründlich in lokaler Überlieferung fundiert. Zurückkehrend zur grafischen Repräsentation bedarf der Verbundcharakter der Seitengestaltung aus der großflächigen Vogelschau und dem im oberen Fünftel angebrachten Hollarschen Stadtprofil noch genaueren Hinsehens. Helmut Eberhard Paulus schätzt die rhetorische Funktionalität des hier gewählten medialen Verbundes als äußerst hoch ein. Der Vogelschauplan sei zugleich Stadtgrundriss und erlange durch die Zufügung einer Legende „eine bisher nicht dagewesene Informationsqualität“.614 Die über der Vogelschau gesetzte Stadtansicht aus der traditionellen Nordperspektive vermittle „in einem Blatt eine dreidimensionale Erfahrbarkeit.“615 Doch was zeigt Hollars Nordansicht? Zunächst ist festzuhalten, dass das Profil weitgehend denselben Bildausschnitt abdeckt wie die Vogelschau, nämlich die Stadt vom östlichen Ende ihrer Befestigungsanlagen unweit des Ostentors bis zu deren westlichem Ende am Prebrunner Tor. Damit schneiden beide Darstellungen am rechten Bildrand die Westspitze der Oberen Wöhrdinsel ab. Keine der beiden Grafiken visualisiert deswegen das dort situierte „Wöhrloch“, den Zufluss des nördlichen Donauarmes und damit das für die fluviale Prekarität des Schauplatzes und einen jahrhundertelangen Konflikt zwischen der Reichsstadt und Bayern maßgebliche Arrangement. Auch der weitere hydrologische Kontext dieser Problematik findet keine optischen Marker in der Vogelschau oder im Stadtprofil: Es handelt sich um die durch den Niveauunterschied zwischen höherem Südarm und niedrigerem Nordarm sowie durch den Kurvenverlauf der nördlichsten Donaubiegung vorgegebene Neigung der Donau zur Nordverlagerung ihres Flusskanals.616 Auf diese gra-

612 Vgl. ebenda, S. 85–92. 613 Ebenda, S. 88–89. 614 Paulus 1999, S. 350. 615 Ebenda. 616 Vgl. Schmid 2010, S. 346–347.

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vierenden blinden Flecken in der Merian-Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes wird noch zurückzukommen sein. Während die Vogelschau die darstellerische Option einer tabula rasa weißer Fläche außerhalb der Befestigungsanlagen wählt und damit die lokale Geomorphologie sowie Praktiken und Arrangements stadtnaher Landnutzung ausblendet, vermittelt Hollars Stadtprofil die ästhetische Anmutung landschaftlicher Einbettung der Stadt. Diese täuscht jedoch darüber hinweg, dass auch die Profilansicht in ihrer durch ihr Format bedingten starken Kompression von Bildvordergrund, Mittel- und Hintergrund nur sehr wenig topografische Information zur Gegend extra muros transportiert. Beide Grafiken blenden damit eine weitere umwelthistorische Determinante der Regensburger Stadtentwicklung aus: Die Reichsstadt verfügte über einen nur kleinen und vor allem waldlosen Burgfriedensbezirk. Der Stadt war es seit dem 13. Jahrhundert nicht gelungen, diesen Umstand durch Gebietsgewinne maßgeblich zu verändern – mit den zwangsläufigen negativen Konsequenzen für das eigene Ressourcenmanagement.617 Thematische Ausblendungen des grafisch repräsentierten Schauplatzes sind damit benannt. Treten diese ähnlich in der textuellen Beschreibung zutage? Zunächst fällt auf, dass Zeiller in seiner Definition der Gunstlage Regensburgs klar an die bereits eingangs erwähnte topografische Tradition anknüpft. Er argumentiert hydrografisch mit der Lage der Stadt am Zusammenfluss von Donau, Laber, Naab und Regen.618 Dann führt er der Landwirtschaft förderliche Rahmenbedingungen ins Feld. Es habe „umb die Statt gar einen geschlachten und fruchtbaren Boden / Weinwachs / gut Viehweyde / und einen gewaltigen Traydboden.“619 Wie gering der flächenmäßige Anteil des städtischen Burgfriedens an diesen landwirtschaftlichen Flächen ausfiel, wird nicht ausgeführt. Die letztlich vor allem durch die politische Verfasstheit des Schauplatzes eingeschränkte Verfügbarkeit von Ressourcen erscheint nur am Rande. Mit nur einem Satz und an völlig anderer Stelle im Text wird erwähnt, „daß sie die Statt keinen einigen eygenthumblichen Holtzwachs / oder Wald/ habe.“620 Ausgeklammert bleibt damit auch im Text die über Jahrhunderte für die städtische Existenz bedrohliche Abschnürung der Stadt von der Zufuhr die617 Vgl. ebenda, S. 333–337. 618 „Und ist die Gelegenheit / ein grosse Menge Volcks allhie zu erhalten / gar gut. Dann oberhalb gegen Niedergang / fallen die Laber und Nab in die Thonaw / deren erste gute Fisch unnd Krebs hat; die Nab aber / wie auch [//] obgedachter Regen / Schiffreich seyn / welcher Fluß Regen von Mitternacht her / auß den Böhmischen Gräntzen / gegen Mittag zu / lauffende / sich alhie / wie gesagt / in die Thonaw auch ergeust / welche Thonaw von oben herab / unnd unten herauff dieser Statt grossen Nutzen schaffet.“ Merian der Ältere et al. 1657, S. 69–70. 619 Ebenda, S. 70. 620 Ebenda, S. 84.

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ser als Energieträger und Werkstoff gleichermaßen zentralen Ressource.621 Gleiches gilt für die Versorgung mit Nahrungsmitteln.622 Wiederkehrende Behinderungen oder Sperren der Zufuhr von Getreide und Holz, wie sie in der chronikalischen Überlieferung gut greifbar werden, fehlen im Stadtportrait.623 Auf einer zweiten argumentativen Ebene thematisiert Zeiller urbane Arrangements, die gute Lebensbedingungen in der Stadt garantieren.624 Diese sind nur teil621 Vgl. Schmid 2010, S. 335–337; MARTIN KNOLL: Regensburg, der Reichstag, der Kurfürst und das Holz. Aspekte eines Ressourcenkonflikts um städtischen Bedarf, reichsstädtische Repräsentation und territoriale Wirtschaftspolitik im späten 18. Jahrhundert, in: WOLFRAM SIEMANN/NILS FREYTAG/WOLFGANG PIERETH (HG.): Städtische Holzversorgung. Machtpolitik, Armenfürsorge und Umweltkonflikte in Bayern und Österreich (1750-1850) (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, Beihefte, Reihe B 22). München 2002, S. 39–54; MARTIN KNOLL: Städtischer Ressourcenbedarf, wirtschaftliche Entwicklung und staatliches Handeln. Die Holzversorgung Regensburgs im 18. und 19. Jahrhundert, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 146 (2006), S. 155–181. Der exterritoriale Zukauf von Wald, wie 1631 in der Oberpfalz, konnte nur in geringem Umfang realisiert werden und blieb in der Ressourcennutzung aufgrund der Landes- und Zollgrenzen prekär. Vgl. CHRISTIAN GOTTLIEB GUMPELZHAIMER: Regensburg’s Geschichte, Sagen und Merkwürdigkeiten, Bd. 3 (1618-1790). Regensburg 1838 [ND Regensburg 1984], S. 1164. 622 Vgl. Schmid 2010, S. 333–334. 623 Gemeiner dokumentiert unter anderem Verhandlungen über die Aufhebung einer Holzzufuhrsperre 1356 (CARL THEODOR GEMEINER: Regensburgische Chronik, Bd. 2. München 1971, S. 96–97), Behinderungen der Regensburger Schifffahrt 1374 mit Beschlagnahmen von Schiffsladungen von Wein und Getreide (Ebenda, S. 172, willkürliche Aktionen bayerischer Mautner gegen Flößer im Winter 1393 mit Beschlagnahme von Ladung (Ebenda, S. 293–294), 1435, in Folge eines „mehrjährigen Mißwachses“ Getreidesperre gegen Regensburg, aber auch Behinderung des Getreidehandels in die unteren Donaugegenden (CARL THEODOR GEMEINER: Regensburgische Chronik, Bd. 3. München 1971, S. 69), 1445, nach mehreren kalten Wintern und schlechtem Feldbau, Sperre des Regensburger Getreidehandels (Ebenda, S. 143); 1502 verwendet sich der Rat angesichts von Missernten und Not beim König für Getreideimport aus Österreich (CARL THEODOR GEMEINER: Regensburgische Chronik, Bd. 4. München 1971, S. 61–62); 1515 bei schlechter Witterung und Missernten besteht eine bayerische Getreidesperre gegen Regensburg (Ebenda, S. 267–268). Gumpelzhaimer berichtet von einer Ratsbeschwerde gegenüber Bayern am 4. November 1634 wegen bayerischer Behinderung von Brennholzlieferungen des Klosters Weltenburg. Gumpelzhaimer 1838, S. 1241–1242. 624 „Es hat auch allhie ansehenliche Zeug- und Kornhäuser / oder Speicher/sonderlich den Traidtkasten/Lär den Beutel genandt / Saltzstädel / Fisch / Korn- Obst- und Holtzmarckt: Fleischhauß / Ballenhauß / stattliche Gasthäuser / lustige Gärten / schöne ge-

D IE N ATUR DER TOPOGRAFIEN Ň 283

weise in der Vogelschau inszeniert: Hier finden sich zahlreiche öffentliche Brunnen. Der angesprochene Getreidespeicher ist dagegen zwar im Stadtgrundriss grafisch präsent, mangels Erschließung in der Legende für den nicht Ortskundigen aber nicht fassbar. Ähnliches gilt für weitere im Text angesprochene Infrastrukturen. Schließlich wird die Stadt auf einem dritten Wege als Ort guter Lebensführung qualifiziert. An mehreren Stellen ist mit hoher topografischer Konkretion von „lustigen Spaziergängen“, anachronistisch gesprochen vom Freizeitwert, die Rede. So führe von der Prebrunner Vorstadt aus der Weg „auff eine grosse lange Wiesen / da Sommers Zeit / ein sehr lustiger Spatziergang am Wasser hinauff / gegen den Dörfflein Winzer / oder Weinzirberge.“625 Während auch die zweite vorgeschlagene Spazierroute fluvial geprägt ist und man, diese beschreitend, vom Unteren Wöhrd aus die Regenmündung bestaunen konnte,626 führt eine dritte südlich der Stadtmauern fernab der großen Flüsse zum Karthäuserkloster Prüll.627 Letzteres ist übrigens im hügligen Bildhintergrund des Hollar-Stadtprofils angedeutet. Bringt das Sprechen über die Gunst eines Schauplatzes das Schweigen über dessen Ungunst mit sich? Der Abgleich von Merians Text mit der lokalen Chronistik bietet hier ein ambivalentes Bild. Wie schon angesprochen, berücksichtigen die umfangreichen historischen Ausführungen über die Geschichte einzelner geistlicher oder weltlicher Institutionen und die Textpassagen über ‚denkwürdige‘ Ereignisse der Stadtgeschichte detailliert Kriegszerstörungen und die für die vormoderne Stadt typischen Brandkatastrophen. So habe ein Brand am 10. August 891 bis auf St. Kassian alle Kirchen der Stadt zerstört.628 Der Dom wurde demnach mehrmals bei Stadtbränden zerstört: 1152 während der „grosse[n] Brunst / in welcher 6. Kirchen / der Thomb / mit allem Geläut / verbrunnen / und die Burger auf das Feld auß der Statt / geflohen seyn […]“,629 und am 12. April 1172, als er – kaum „wieder ein wenig erbawt“ – wieder niedergebrannt sei.630 Auch das Reichsstift St. meine Bäder / grosse und weite saubere Gassen / und Plätz / in denen fast uberall Röhrkästen / mit springenden Wassern / gefunden werden.“ Merian der Ältere et al. 1657, S. 80. 625 Ebenda, S. 70. Zu ergänzen wäre, dass die Donau den Wanderer, der dieser Empfehlung folgt, von Winzer und den Winzerer Weinbergen trennt. 626 „Sonsten hat es in dem Untern Wörth einen sehr lustigen Spatziergang; daselbst man den Regenstrom von Mitternacht herlauffend / unnd sich in die Thonaw ergiessend / siehet. Auf der anderen Seite der Statt ligt das Carthäuser Closter Pruel / ein Spatzierweg von d’Statt [...].“ Ebenda, S. 71. 627 „Auf der anderen Seite der Statt ligt das Carthäuser Closter Pruel / ein Spatzierweg von d’Statt [...].“ Ebenda. 628 Ebenda, S. 72. 629 Ebenda, S. 86. 630 Ebenda.

284 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

Emmeram war Zeillers Ausführungen zufolge von mehreren Bränden betroffen.631 Feuersbrünste von teils großer Schadensintensität trafen die Stadt neben dem erwähnten Ereignis von 1152 auch 1046, 1059 und 1190.632 Zeillers Text schildert auf über zwei Dritteln einer Seite die Folgen einer immensen Explosion nach Blitzeinschlag in den Pulverturm auf der Emmeramer Bastei am Nachmittag des 28. April 1624.633 Auch ein Stadtbrand am 22. Juli 1642, den Zeiller auf die Unachtsamkeit eines Bierbrauers zurückführt, wird genau beschrieben – stark geschädigt einmal mehr Kloster St. Emmeram.634 Dass die Topografie keine umfassende Dokumentation historischer Brandereignisse leisten kann und will, steht außer Zweifel. Angesichts der chronikalisch fassbaren Ereignissequenz (Tabelle 1) wäre dies ein der thematischen Ausgewogenheit der Beschreibung abträgliches Unterfangen. Auch der in der chronikalischen Überlieferung sichtbare Trend der abnehmenden Frequenz von Brandereignissen stellt keinen für Regensburg singulären Befund dar.635 Im Grunde ist Zeillers – wenn auch eklektizistischer – Zugriff auf historische Brandereignisse durchaus von einer gewissen Proportionalität zur Problemdimension gekennzeichnet. Weniger Aufmerksamkeit schenkt Zeiller einem anderen Typus urbaner Extremsituationen, den periodisch auftretenden Seuchenzügen. Auch ihre Dokumentation zieht sich durch die lokale Chronistik (Tabelle 2). Zeillers Thematisierung der Pest636 beschränkt sich dagegen auf die Erwähnung eines vermeintli631 Ebenda, S. 75. 632 Ebenda, S. 86. 633 Ebenda, S. 88. 634 Ebenda, S. 89; Datierung hier als dem alten Kalender folgend ausgewiesen. 635 Vgl. MARTIN KÖRNER: Stadtzerstörung und Wiederaufbau. Thema, Forschungsstand, Fragestellung und Zwischenbilanz, in: NIKLAUS BARTLOME/MARTIN KÖRNER (HG.): Zerstörung durch Erdbeben, Feuer und Wasser. Destruction by earthquakes, fire and water (Stadtzerstörung und Wiederaufbau/Destruction and Reconstruction of Towns/Destruction et reconstruction des villes 1). Bern 1999, S. 7–42; und MARIE LUISA ALLEMEYER:

Fewernoth und Flammenschwert. Stadtbrände in der Frühen Neuzeit. Göttingen

2007. 636 Der Begriff Pest wurde nicht präzise für eine Krankheit verwendet, sondern bezeichnete bis ins 18. Jahrhundert eine Fülle von Seuchen, deren Endstadien sich glichen. Auch die Angaben von Opferzahlen sind als Gegenstand potenzieller topischer Übertreibung mit Vorsicht zu genießen. Vgl. KLAUS BERGDOLT: Seuchentheorie und Umwelt in der Frühen Neuzeit, in: LARS KREYE/CARSTEN STÜHRING/TANJA ZWINGELBERG (HG.): Natur als Grenzerfahrung. Europäische Perspektiven der Mensch-Natur-Beziehung in Mittelalter und Neuzeit: Ressourcennutzung, Entdeckungen, Naturkatastrophen. Göttingen 2009, S. 221–234, hier 223; und KARL-HEINZ LEVEN: Von Ratten und Menschen. Pest, Geschichte und das Problem der retrospektiven Diagnose, in: MISCHA MEIER (HG.): Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas. Stuttgart 2005, S. 11–32; zusammenfassend

D IE N ATUR DER TOPOGRAFIEN Ň 285

chen Pestausbruchs im Jahre 1094 mit 8500 Toten,637 der sich Gemeiner und Gumpelzhaimer folgend auf etwa 1090 datieren lässt.638 Auch Hochwasserereignisse finden bei Zeiller nur in geringem Umfang Erwähnung. Er berichtet vom Schicksal einer früher über den Regen führenden Steinbrücke, die 1573 „durch ein grosses Gewässer / eingeworffen und meistentheils zu Grund gangen / und jetziger Zeit / mit Holtz uberlegt ist; wiewol noch etliche steinerne Joch von der steinern Brücken daselbst gesehen werden.“639 Die Regenbrücke befand sich nicht unter reichsstädtischer Jurisdiktion. Dennoch befremdet es, wenn die Gumpelzhaimer-Chronik zum Jahr 1573 zwar von einem hell leuchtenden Kometen zu berichten weiß, der im November Angst und Schrecken verbreitete, aber weder vom Regenhochwasser noch von der Zerstörung der Brücke.640 Zeiller berichtet ferner davon, dass die Stadt und das Umland im Jahr 1650 von einer schwerwiegenden Überschwemmung betroffen gewesen seien, und findet in dieser Meldung Bestätigung bei Gumpelzhaimer.641 Doch Zeillers umfangreiche und detaillierte Würdigung der monastischen Geschichte Regensburgs nimmt von dem zu Problemen und Stand der Erforschung von Pestzügen und anderen Seuchen der Frühen Neuzeit: REINHOLD REITH: Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte 89). München 2011, S. 93–103. 637 Merian der Ältere et al. 1657, S. 86. 638 CARL THEODOR GEMEINER: Regensburgische Chronik, Bd. 1. Unveränd. Nachdr. der Orig.-Ausg., München 1971, S. 190–191; CHRISTIAN GOTTLIEB GUMPELZHAIMER: Regensburg’s Geschichte, Sagen und Merkwürdigkeiten, Bd. 1. Regensburg 1830 [Nachdruck Regensburg 1984], S. 187; Ebenda, S. 239. 639 Merian der Ältere et al. 1657, S. 70. 640 CHRISTIAN GOTTLIEB GUMPELZHAIMER: Regensburg’s Geschichte, Sagen und Merkwürdigkeiten, Bd. 2 (1486-1618). Regensburg 1837 [Nachdruck Regensburg 1984], S. 949–950. 641 „An 1650 seyn umb diese Statt vil Dörffer / und Felder / wie auch die in der Statt selbst gelegne niderige Häuser / sambt der Maut / dem Wein- und Saltzstadel / Item alle Mühlen / und Hämmer / Theils so tieff im Wasser gestanden / daß die Inwohner / an statt der Haußthüren / auß den Fenstern / und etliche auf dem Land / nach den Dächern steigen / und ihnen die Notturft/ in kleinen Schiffen / zubringen lassen müssen.“ Merian der Ältere et al. 1657, S. 90; vgl. dazu Gumpelhhaimer: „In das neue Jahr 1651 kam man mit großem Jammer hinüber, da der häufig im Dezember gefallene große Schnee mit einem Mal schmolz und die ganze mitternächtliche Seite der Stadt von den Salzstädeln an bis zum Prebrunnthor, nicht allein unter Wasser setzte, sondern auch Stadtamhof und die ganze Gegend bis an die Berge und über Winzer hinauf tief in Wasser gestanden. Die Stadt litt großen Schaden an Salz in den Städeln und an der Brücke. Man konnte die Straße an der Brücke bis hinauf zum Prebrunnerthor auf Schiffen fahren.“ Gumpelzhaimer 1838, S. 1306.

286 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

durch Gemeiner und Gumpelzheimer dokumentierten Umstand keine Notiz, dass ein Hochwasser 1367 die Karmeliten zu St. Oswald zur Aufgabe ihres Regensburger Hauses und zur Übersiedlung nach Straubing gebracht hatte.642 Auch das Hochwasser, das 1284 ausweislich der Chronik des Raselius sogar die Steinerne Brücke überspült haben soll, befindet sich nicht unter den durch Zeiller dargestellten historischen Denkwürdigkeiten,643 ebenso wenig ein plötzlich ansteigendes Hochwasser am 9. Januar 1524, das deswegen Unruhe stiftete, weil es zeitlich mit einer Sintflutprognose koinzidierte.644 In reformatorisch aufgewühlter Zeit hatten sich Gemeiners Bericht zufolge angesehene und wohlhabende Regensburger Bürger schon vorbereitet und Kähne abfahrbereit gehalten. Nur ein bemerkenswert schneller Rückgang der Fluten konnte die Gemüter beruhigen. Tabelle 1: Stadtbrände in der Regensburger Chronistik (Gemeiner, Gumpelzhaimer) vor Erscheinen der Zeiller-Topografie Datierung

Beschreibung

891

Brand nach Blitzeinschlag

Nachweis Gemeiner I, 89–90; Gumpelzhaimer I, 99

906

Brand

Gemeiner I, 98–99; Gumpelzhaimer I, 106-107

963, 964

Brände

Gemeiner I, 124; Gumpelzhaimer I, 157

1002

Brand

Gemeiner I, 146; Gumpelzhaimer I, 220

1020

Brand

1046

Brand

Gemeiner I, 153 Gemeiner I, 163; Gumpelzhaimer I, 224

1059

Brand

1062

Brand St. Emmeram

Gumpelzhaimer I, 226 Gemeiner I, 174; Gumpelzhaimer I, 227

Fortsetzung: Folgeseite

642 Gemeiner 1971, S. 145; Gumpelzhaimer 1830, S. 191–192. 643 Ebenda, S. 313. 644 Gemeiner 1971, S. 526.

D IE N ATUR DER TOPOGRAFIEN Ň 287

Datierung

Beschreibung

1066

Brand St. Emmeram

Nachweis Gemeiner I, 176; Gumpelzhaimer I, 228

1074

Brand

Gemeiner I, 181

1130

Großer Brand

Gemeiner I, 222

1132

Kriegsbedingter Brand

Gemeiner I, 222–223; Gumpelzhaimer I, 255

1152

1167

1176

Brand zerstört Dom, Niedermünster,

Gemeiner I, 247;

mehrere Klöster und Teile der Stadt.

Gumpelzhaimer I, 272

Brand St. Emmeram (Datierung

Gemeiner I, 262;

Gumpelzhaimer: 1163)

Gumpelzhaimer I, 274

30. August Brand zerstört Dom, St. Jo-

Gemeiner I, 268;

hannis-Niedermünster und Alte Kapelle.

Gumpelzhaimer I, 275

1190

Brand

Gemeiner I, 280

1217

Brand St. Emmeram

Gemeiner I, 308

1272 (das andern-

Dombrand

Gemeiner I, 267

Brand von Bischofshof und Dom, viel-

Gemeiner I, 370, 402–

leicht durch Blitzeinschlag

403; Gumpelzhaimer

orts überlieferte Datum 1172 korrigierend) 20. April 1273

I, 310 1308

Erlass einer Feuerordnung

Gemeiner I, 469–470; Gumpelzhaimer I, 324

1345

Brand in der Brunnleite

Gemeiner II, 44

1348

Brand

Gemeiner II, 54

1352

Brände

Gemeiner II, 70

1353

Brand in der Brunnleite

Gemeiner II, 70

1354

Brand

Gemeiner II, 80

1360

Brand

Gemeiner II, 118

1384

Brand

Gemeiner II, 216; Gumpelzhaimer I, 387

Fortsetzung: Folgeseite

288 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

Datierung

Beschreibung

Nachweis

1388

Feuerschutz

Gemeiner II, 253

1393

Verschiedene Ordnungen, u. a. Feuer-

Gemeiner II, 302–303

ordnung 1396

Brand

Gemeiner II, 329–329

1400

Brand, ausgehend von einem Bräuhaus

Gemeiner II, 349–350

1401

Konsequenzen aus Brand 1400

Gemeiner II, 349–350

1440

Brand

Gemeiner III, 107

1468

Brand

Gemeiner III, 441– 442

1471

Brand

Gemeiner III, 498

1473

Brand

Gemeiner III, 528

1477

Brand

Gemeiner III, 590

1480

Brand

Gemeiner III, 641

1490

Brand

Gemeiner III, 780– 781

1490

Brand im neuen herzoglichen Schloss

Gumpelzhaimer II,

führt beinahe zu Brandkatastrophe; Fol-

549

ge: neue Brunstordnung 1491

Feuerordnung

Gemeiner III, 783

1507

Brand

Gemeiner IV, 130– 131

1512

Vorsichtsmaßnahmen nach Bränden in

Gemeiner IV, 193

Cham und Passau 1518

1525

Brand, hohe Flammen, Gefahr für höl-

Gemeiner IV, 344–

zerne Brücke etc.

346

Brand

Gemeiner IV, 526

D IE N ATUR DER TOPOGRAFIEN Ň 289

Tabelle 2: Seuchen in der Regensburger Chronistik (Gemeiner, Gumpelzhaimer) vor Erscheinen der Zeiller-Topografie Datierung

Beschreibung

Nachweis

Nach 1089

Pest, 8500 Tote in drei Monaten.

Gumpelzhaimer I, 187

1057-1060

1090

1057 Hunger, Pest und verheerender Winter;

Gemeiner I, 170;

1059 gedeiht der der Wein, aber die Pest wütet

Gumpelzhaimer I,

weiter bis zum strengen Winter 1060.

226

Politische Wirren, Erdbeben und andere Land-

Gemeiner I, 191;

plagen sowie die Pest verwüsten das Land.

Gumpelzhaimer I,

Binnen 12 Wochen sterben in Regensburg 8500

239

Menschen. 1211

Pest und Teuerung

Gemeiner I, 300; Gumpelzhaimer I, 292

1235

„Sterb“ rafft viele dahin.

Gemeiner I, 335

1280

Erdbeben, Überschwemmungen, Hunger und

Gemeiner I, 412–413;

Pest gefährden das Land.

Gumpelzhaimer I, 312

1348

Erdbeben, „Sterb“ und andere Not

Gemeiner II, 54; Gumpelzhaimer I, 348

1462

Pestartige Seuche verbreitet sich, Rat erlässt

Gemeiner III, 359–

Ordnung, Regensburg nicht so schlimm betrof-

360

fen wie Nürnberg. 1463

1503

Pest, 6300 Tote in Regensburg. Rat verabredet

Gemeiner III, 371–

mit dem Domkapitel eine große Prozession am

372; Gumpelzhaimer

Katharinentag.

I, 486

Sterben, deswegen Absage der Heiltums-

Gemeiner IV, 74

weisung (Prozession); Reichshauptmann berichtet aus Landshut zu Symptomen: kein „Brehen der Pestilenz“, aber „Bräune der Zung“. Fortsetzung: Folgeseite

290 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

Datierung 1520

Beschreibung

Nachweis

Pest, in Regensburg 3000 Tote im Laufe der

Gemeiner IV, 386;

zwei vorangegangenen Jahre (Gumpelzhaimer)

Gumpelzhaimer II, 708

1529

Jahr mit schlechter, nasser Witterung, Seuche,

Gumpelzhaimer II,

die zuerst in England ausgebrochen war, rafft

764–765

in Deutschland einen großen Teil der Menschen dahin. Ärzte nennen sie Schweißsucht. 1543

Bau Pesthaus

Gumpelzhaimer II, 854

1612

1620

1634

1634

1648

Pest, 515 Tote von Juli bis Dezember, Magist-

Gumpelzhaimer II,

rat erlässt „väterlichste Ermahnungen“.

1058

Auftreten der Pest in der Apotheke auf dem

Gumpelzhaimer III,

Kreuz, Maßnahmen des Rats.

1127

Pest, 2/3 der Bevölkerung tot, Rat erhebt Nach-

Gumpelzhaimer III,

lassabgabe.

1238

3. Okt.: Ratsbeschluss zu Maßnahmen gegen

Gumpelzhaimer III,

Pestansteckung

1240–1241

Pestausbruch, Maßnahmen des Rats

Gumpelzhaimer III, 1302

Tabelle 3: Hochwasser in der Regensburger Chronistik (Gemeiner, Gumpelzhaimer) vor Erscheinen der Zeiller-Topografie Datierung

Beschreibung

1012, 1013

Hochwasser in ganz Deutschland, v.a. an

Gemeiner I, 152;

Rhein und Donau, großer Schaden

Gumpelzhaimer I, 221

Erdbeben und Überschwemmungen in

Gemeiner I, 211

1117, 1118

Nachweis

Deutschland und Italien, Donauhochwasser im September 1118, verheerende Zerstörungen den ganzen Strom entlang 1172

Nach sehr kaltem Winter Eisstoß und starke

Gemeiner I, 265;

Überschwemmungen

Gumpelzhaimer I, 275

Fortsetzung: Folgeseite

D IE N ATUR DER TOPOGRAFIEN Ň 291

Datierung

Beschreibung

Nachweis

1193

Nach großer Kälte im Spätjahr und Tauwetter,

Gemeiner I, 288

Aufbrechen des Donaueises mit großer Gewalt und große Überschwemmung in Regensburg 1194

Hochwasser mit folgender kalter und nasser

Gemeiner I, 288;

Witterung, Säen und Ernten unmöglich, anhal-

Gumpelzhaimer I, 281

tende Regenzeit, heftige Gewitter, eiergroßer Hagel, Hunger; nach Gumpelzhaimer auch 1195 „Missjahr“ 1206 1210

Überschwemmung und Hunger

Gemeiner I, 300

„unerhörte[r] Wasserguß der Donau“

Gemeiner I, 300;

(Gumpelzhaimer) nach langem Regen zur

Gumpelzhaimer I, 292

Erntezeit, Wasser zwei Ellen über dem gewöhnlichen Stand, alle Feldfrüchte verwüstet 1235

Schrecklicher Winter; Eissstoß und Wasser-

Gemeiner I, 335;

fluten zerstören nach Tauwetter einen Teil der

Gumpelzhaimer I, 299

Stadt, Donau reicht bis an die Treppen des Doms. 1269

Regensburg trifft Überschwemmung in einem

Gemeiner I, 399

Ausmaß, das keiner zu erinnern glaubte. 1272

Donauhochwasser verschlammt Felder.

Gemeiner I, 402

1275

Hochwasser setzt viele erntereife Felder im

Gemeiner I, 405

Land unter Wasser. 1280

Überschwemmungen im Land

Gemeiner I, 413; Gumpelzhaimer I, 312

1284

Schwere Überschwemmung, Wasser überspült

Gumpelzhaimer I, 313

Steinerne Brücke. 1295

Milder Winter, nasser Sommer, Hochwasser

Gemeiner I, 443–444;

zerstört Ernte, in Regensburg Zerstörung der

Gumpelzhaimer I, 316

Siechenmühle St. Niklas, Teuerung. Fortsetzung: Folgeseite

292 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

Datierung 1304

Beschreibung

Nachweis

23. Mai 1304 Durchbruch der Donau durch

Gemeiner I, 457–458;

Oberwöhrd/Winzerwöhrd; drohende Nordver-

Gumpelzhaimer I, 323–

lagerung der Donau; aber Dürre . Niedrig-

324

wasser im Sommer kann zum Geschlachtbau genützt werden > Wöhrloch, später streitträchtig. 1316

Dreimal in kurzer Zeit Hochwasser, auch in

Gemeiner I, 496–497;

Regensburg, um Pfingsten, um Johannis und

Gumpelzhaimer I, 328

um Petri 1367

Hochwasser geht in der Klosterkirche zu St.

Gemeiner II, 145;

Mang bis auf die Stufen des Altars; bringt

Gumpelzhaimer I, 191–

Karmeliten zu St. Oswald zur Umsiedlung

192, 366

nach Straubing. 1393

1432

Harter Winter, Donau friert, Schiff- und Floß-

Gemeiner II, 293;

fahrt gefährlich bis unmöglich.

Gumpelzhaimer I, 400

Starker Eisgang auf der Donau zerstört an der

Gemeiner III, 30

Regensburger Brücke drei Mühlen und richtet weiteren Schaden an, in der Folge des Hochwassers herrschen „Mißwachs“ und Not. 1462

Sehr trockener Sommer, niedrige Wasserstän-

Gemeiner III, 371;

de, dazu schneller Frost. Rat veranlasst zusätz-

Gumpelzhaimer I, 486

liche Wach- und Sicherungsmaßnahmen zur Flussseite, weil der Fluss bei der Bleiche und anderswo trockenen Fußes überquert werden kann. Früher Eisstoß bringt wieder Wasser. 1501

Hochwasser um Mariae Himmelfahrt, Salzzu-

Gemeiner IV, 51–54;

fuhr von Passau unterbrochen, Spitalmühle

Gumpelzhaimer II, 587–

kann kein Mehl mahlen. Getreideschiffe kön-

588

nen wegen Wasserstandes Brücke auf der Stadtseite nicht passieren. 1506

Hochwasser und Eisgang im Februar zerstören

Gemeiner IV, 116–117;

das Bleichrad und die Walk bei der Bleiche

Gumpelzhaimer II, 612

sowie verschiedene Mühlen, Versetzung des Bleichrads. Fortsetzung: Folgeseite

D IE N ATUR DER TOPOGRAFIEN Ň 293

Datierung

Beschreibung

Nachweis

1511

Ganzjährige Witterungsextreme; harter Winter

Gemeiner IV, 171–172;

und Eisgang, 11. Juni schreckliches Gewitter,

Gumpelzhaimer II, 626

später Verheerung der Brücken und Mühlen durch Hochwasser aller Flüsse. Schäden veranlassen Bischof Administrator Johannes, das Domkapitel sowie Kammerer und Rat zu feierlicher Prozession mit drei Särgen. 1524

9. Januar plötzlich an- und wieder abschwel-

Gemeiner IV, 526

lendes Hochwasser, Sicherung der hölzernen Brücke; Unruhe, weil Zusammentreffen mit Sintflutprognose 1544

Harter Winter, dickes Eis auf der Donau,

Gumpelzhaimer II, 854

Eisstoß, Hochwasser, Schäden an Mühlen 1561

Harter Eisstoß zerstört Hammerwerke, hölzer-

Gumpelzhaimer II, 925

ne Brücke und Walkhaus in der Bleiche, großer Holzverlust 1565

Langer harter Winter, erst im März Brechen

Gumpelzhaimer II, 935

des Eises, Eisstoß, Schaden an Mühlen 1587

Eisgang richtet große Zerstörungen an, reißt

Gumpelzhaimer II, 982

unter anderem drei Joche der hölzernen Brücke und den Kranich ein. 1595

Extremes Hochwasser am Jahresanfang,

Gumpelzhaimer II, 1009

Hochwassermarke am Göttschlichen Haus an der Brunnleite in zwei Ellen Höhe, Text: „Im 1595 Jahr // Den 27. February war, // Ist das Wasser so hoch gegangen, // Daß diesen Strich thät erlangen.“ 1608

Eisschaden am Jahresbeginn, Zerstörungen an

Gumpelzhaimer II, 1039

Beschlachten und vor allem an der hölzernen Brücke, Einsturz der Jakobsbrücke wird als Omen für Tod eines Ratsherrn gedeutet. 1645

Am 25. Juli Schiffsbruch eines am Grieß (Nähe Stadtamhof) mit Reiseziel Wien gestarteten Schiffs mit 130 Passagieren bei Donaustauf; hoher Wasserstand und heftiger Sturm Fortsetzung: Folgeseite

Gumpelzhaimer III, 1286

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Datierung

Beschreibung

Nachweis

1651

Nach viel Schneefall im Dezember, bringt zu

Gumpelzhaimer III, 1306

Beginn des Jahres 1651 plötzliche Schneeschmelze extremes Hochwasser: Nordseite der Stadt von den Salzstädeln an bis zum Prebrunner Tor, Stadtamhof und Gegend um Winzer bis an die Berge tief unter Wasser. Große Schäden an Salz in den Städeln und an der Brücke.

Ebenso regelmäßig wie Berichte über Extremereignisse finden sich in der Chronistik Gemeiners und Gumpelzhaimers Notizen zur Höhe der städtischen Ausgaben für den Unterhalt der hydraulischen Arrangements. Schließlich fielen neben den Uferverbauungen und Brücken auch die Mühlen in den Zuständigkeitsbereich des reichsstädtischen Bauamts. Man kann Zeillers Topografie mit ihrer so schmalen Thematisierung fluvialer Extremsituationen nun attestieren, sie würdige das in seiner Periodizität Normale durch angemessene Nichtachtung. Man kann aber auch unterstellen, dass eine lokal spezifische Problemlage hier nicht auserzählt wird. Dabei sind es die in diesen Extremereignissen sich spiegelnden fluvialen Bedingungen, die der urbanen Entwicklung Regensburgs ihren Stempel aufdrückten und die einem Arrangement, der Steinernen Donaubrücke, jene besondere Bedeutung verliehen, die sich früh in überregionaler Bekanntheit niederschlug.645 Auch die Merian-Topografie inszeniert die Steinerne Brücke ikonografisch prominent im Stich „Schöner Prospect der Steinernen Brücken zu Regenspurg“ (Abbildung 46). Diese Grafik war in jüngerer Zeit Gegenstand zweier voneinander abweichender Beschreibungen und Wertungen. Helmut Eberhard Paulus sieht in ihr ein Zeugnis für Merians außerordentliches „Gespür sowohl für die Bedeutung des Sujets als auch für Vermarktung“.646 Merian stelle die Brücke „mit geringen Abweichungen vom realen Bestand als das bedeutendste Wahrzeichen der Stadt, als den Inbegriff reichsstädtischer Repräsentation, ja als achtes Weltwunder“ dar.647 Mit dem Prospekt der Steinernen Brücke beschreite Merian „die Wege der spätneuzeitlichen Vermarktung von Bildwerken durch bewußte Verfremdung, hier, indem 645 Vgl. zur Steinernen Brücke EDITH FEISTNER/HELMUT BRAUN (HG.): Die Steinerne Brücke in Regensburg (Forum Mittelalter 1). Regensburg 2005. und HANS-JÜRGEN BECKER:

Opus Pontis – Stadt und Brücke im Mittelalter. Rechtshistorische Aspekte am

Beispiel der Steinernen Brücke zu Regensburg, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 73 (2010), S. 355–370. 646 Paulus 1999, S. 350. 647 Ebenda.

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er das attraktive Hauptmotiv dominant ins Blickfeld rückt und die Stadt selbst zur rahmenden, fast nur dekorativen Staffage werden läßt. Durch derart versteckte Retuschen setzte er die mehrschichtige Bedeutung der Brücke publizistisch um.“648 Paulus’ Einschätzung zufolge bedient Merians Brückenbild sowohl die Fremdwahrnehmung als „achtes Weltwunder“ als auch die Regensburger Eigenwahrnehmung als Kristallisationspunkt der Reichsfreiheit. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die großen Memorialplastiken, die an den Brückentürmen angebracht waren und mit Philipp von Schwaben (1177/1198-1208) und Friedrich II. (1194/1212-1250) diejenigen Könige darstellten, denen die Stadt ihre Freiheitsbriefe verdankte.649 Er erinnert ferner an die Rolle des Brückenmeisteramts im Emanzipationsprozess vom Bischof.650 Abbildung 46: Matthäus Merian d. Ä., Schöner Prospect der Steinern Brücken zu Regenspurg, Topographia Bavariae, 1644

Dagegen habe ich derselben Grafik an anderer Stelle attestiert, sie besteche „durch die ikonografische Zentralität des Flusses und durch seine Entgrenztheit zur Umgebung.“651 Die urbane Szenerie der Städte Regensburg und Stadtamhof umgebe den Fluss, während sich dieser gen Osten harmonisch in der Landschaft des Donautals

648 Ebenda. 649 Ebenda, S. 350–351. 650 Ebenda, S. 351. 651 Knoll 2010, S. 123–124.

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verliere.652 In Bildvordergrund und Bildmittelgrund seien detailliert materielle Arrangements – die Bebauung der Flussinseln, Mühlwerke, Ufer- und Brückenbauten und zentral die durch Schattenwurf dunkel zum hellen Fluss kontrastierende Steinerne Brücke – inszeniert. Staffagefiguren im Bildvordergrund repräsentierten verschiedene Praktiken der Flussnutzung. Die harmonisch wirkende Szene zeichne „eine symbiotische Beziehung von Menschen und Fluss.“653 Beide Lesarten besitzen in der jeweiligen Perspektive Plausibilität. Paulus konzentriert sich auf die Darstellung des Bauwerks Steinerne Brücke in medialer Abhängigkeit von zwei angenommenen Rezipientengruppen, auf der einen Seite überregionales Publikum mit – cum grano salis – touristischem Interesse am „Weltwunder“, auf der anderen Seite Regensburger Publikum, dessen reichsstädtische Identität bedient werden sollte. Meine zitierte Analyse beleuchtet die fluviale Gesamtsituation und fasst die Steinerne Brücke als eines unter mehreren Arrangements auf. Man muss aber wohl Paulus’ politikgeschichtliche Perspektive und meine umwelthistorische Perspektive kombinieren, um der Komplexität des in diesem Stich repräsentierten Schauplatzes gerecht zu werden. Die Materialität der regionalen Geo- und Hydromorphologie auf der einen und die politischen Praktiken zweier konfligierender Herrschaftsträger auf der anderen Seite konstituieren hier einen spezifischen sozionaturalen Schauplatz, dessen materielle wie politische Prekarität im Stich harmonisierend und idealisierend übertüncht und im Text nicht adäquat expliziert werden. Ein kurzer hydrografischer Exkurs zur regionalen Hydrografie und zum Reden und Schweigen der Topographia Bavariae über diese soll helfen, diese Feststellung zu begründen. Im Zentrum des Stiches steht die durch Schattenwurf kontrastiv von ihrer Umgebung abgehobene Steinerne Brücke. Der Betrachter sieht von einem westlichen Betrachterstandort aus die Schattenseite der von der im Osten stehenden Sonne beschienenen Brücke. Er hat das „Wöhrloch“, den zwischen Bayern und Regensburg umkämpften Zufluss des nördlichen Donauarmes, im Rücken.654 Wie bereits oben erwähnt, ist dieser konfliktträchtige Teil des Flusslaufes zwischen Regensburger Donauinseln und der Naabmündung weiter westlich auch nicht Teil des Bildausschnitts von Merians Vogelschau und Hollars Profilansicht. Auch Zeillers Text befasst sich nicht mit dem „Wöhrloch“. Die Merian-Grafik und der Zeiller-Text blenden ferner zwei Ereignisse aus, die als umwelthistorische turning points der Regensburger Stadtgeschichte gesehen werden können. Es ist dies zum einen der Baubeginn der Steinernen Brücke im Jahre 1135 und es ist zum anderen der Durchbruch der Donau durch den ‚natürlichen‘ Damm einer Inselkette zwischen den Mündungen von Naab und Regen. 652 Ebenda, S. 124. 653 Ebenda. 654 Vgl. Leidel et al. 1998, S. 105–110.

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Zum ersten genannten Punkt ist zu bemerken, dass Zeiller die Steinerne Brücke zwar umfassend topografisch würdigt.655 Er beschreibt das Bauwerk unter genauer Angabe aller Abmessungen, der Zahl ihrer Bögen und ihrer materiellen Beschaffenheit. Auch erwähnt er ihre Baugeschichte. Die Brücke sei zwischen 1135 und 1146 gemeinsam von den Regensburger Bürgern und dem Bayerischen Herzog Heinrich X. (gest. 1139) erbaut worden – eine Version, die Gemeiner entschieden bezweifelt.656 Zeiller übersieht oder übergeht aber ein zentrales, in den Chroniken durchaus aufmerksam dokumentiertes Detail der Baugeschichte. Das Jahr 1135 war von einer außergewöhnlichen Dürre geprägt, die die Flüsse in Deutschland zu Rinnsalen versiegen ließ.657 In dieser Extremsituation erwiesen sich die Regensburger Verantwortlichen als flexibel und entscheidungskräftig genug, um Menschen und Material zu mobilisieren und die Fundamente der Brücke zu setzen. Dies stand am Beginn der Realisierung eines Bauwerks, das mit seinen über 300 Metern Länge und rund acht Metern Breite auch nach heutigen Maßstäben monumentalen Charakter besitzt. Abbildung 47: Entwurf: Hydrografie derDonau bei Regensburg vor 1304 und 2011

War der Bau der Brücke von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der reichsstädtischen Autonomie, so war das Bauwerk selbst von Anfang an auch Teil der Konflikte mit dem bayerischen Herzogtum um die Herrschaftsrechte auf und Nutzungsrechte an der Donau. Die sich überwiegend auf dem Donausüdufer erstreckende Reichsstadt beanspruchte die Jurisdiktion auf der Brücke, dem nördlichen Brückenfuß und auf dem nördlichen Ufer im Bereich des dort angesiedelten

655 Vgl. Merian der Ältere et al. 1657, S. 71. 656 Gemeiner weist die Kooperation zwischen Herzog und Stadtbürgern als nicht belegt aus und sieht von herzoglicher Seite keinerlei plausibles Interesse daran, sich an dem aufwändigen Bau zu beteiligen. Gemeiner 1971, S. 225–226. 657 Ebenda; vgl. Glaser 2001, S. 61; Behringer 2007, S. 105–106.

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städtischen St. Katharinenspitals. Auch die Jurisdiktion auf dem Strom und auf den Donauinseln war Konfliktgegenstand. Regensburg bemühte sich um eine Konsolidierung seiner Rechte. Der Magistrat erhielt 1251 durch Schenkung aus Privatbesitz den Unteren Wöhrd658 und kaufte 1322 den Oberen Wöhrd.659 Den für die Stadt entscheidendsten umwelthistorischen Wendepunkt stellte allerdings der Durchbruch der Donau durch die Landbrücke zwischen Winzerer Wöhrd und Oberem Wöhrd 1304 dar. Der Donauverlauf erreicht bei Regensburg seinen nördlichsten Punkt. Der von Südwesten her auf den Prallhang der Winzerer Höhen zulaufende Fluss wird hier zu einer scharfen Wendung gezwungen. Diese geomorphologische Kurvensituation und der Umstand, dass sich das Geländeprofil von der Stadt Richtung Norden neigt, gibt dem Fluss die Tendenz, nach Norden abzudriften.660 Diese Tendenz besaß unmittelbares Bedrohungspotenzial für Regensburg, das wirtschaftlich darauf angewiesen war, dass der Hauptkanal der Donau und damit die Schifffahrt bei der Stadt blieben. Der Bau eines Steindammes zwischen Oberem und Unterem Wöhrd diente diesem Anliegen.661 Mit dem angesprochenen Durchbruch der Donau weiter flussaufwärts am 23. Mai 1304 konkretisierte sich jedoch die Bedrohung akut. Entsprechend entschieden handelte die Reichsstadt. In der Niedrigwasserperiode des folgenden Sommers wurde die Spitze des Oberen Wöhrds aufwändig verbaut.662 Sinn des als „Wöhrloch“ bezeichneten Arrangements war es, den Hauptwasserstrom weiter zur Stadt zu leiten, während der für die bayerische Schifffahrt wichtige Nordarm der Donau nur mit einer geringeren Wassermenge versorgt werden sollte. 1359 errichtete die Stadt zu diesem Zweck ein kostspieliges Wehr in der Naab.663 1448 kaufte der Regensburger Rat auf dem Nordufer nahe dem „Wöhrloch“ sogar einen Weinberg, ließ dort einen Hang teilweise abtragen und eine Straße anlegen, um die Wasserbauten des „Wöhrlochs“ besser unterhalten zu können.664 Während in Verhandlungen mit Herzog Albrecht 1456 und 1457 noch Einvernehmen über die Wasserführung, die Wasserbauten und das Länderecht erzielt werden konnte,665 wurden Praktiken und Arrangements des fluvialen Schauplatzes in der Folge zum Gegenstand eines zähen Konflikts, der bis vor das Reichskammergericht getragen wurde und der bis zum Ende des Alten Reichs andauerte. Allein das bayerische Archivmaterial zum Streit um das Regensburger

658 Gumpelzhaimer 1830, S. 305–306. 659 Ebenda, S. 332. 660 Schmid 2010, S. 346–347. 661 Ebenda, S. 348. 662 Gemeiner 1971, S. 457–458; Gumpelzhaimer 1830, S. 323–324. 663 Gemeiner 1971, S. 114. 664 Gumpelzhaimer 1830, S. 460. 665 Ebenda, S. 472, 474–475.

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„Wöhrloch“ umfasst neun Folianten mit 3660 Blatt und rund fünfzig Pläne.666 Während beide Seiten den Konflikt sowohl als juristische als auch als hydraulische Herausforderung ansahen, ist die historisch-topografische Repräsentation dessen in Zeillers Beschreibung von Regensburg eigenartig arm an Materialität. Hier kommen das „Wöhrloch“ und der Konflikt um die Kanalführung überhaupt nicht zur Sprache, während die Gesamtproblematik als Zoll- und Jurisdiktionskonflikt abgehandelt wird.667 Helmut Eberhard Paulus hat sich angesichts des Merian-Stiches „Schöner Prospect der Steinernen Brücke zu Regensburg“ zu Recht die Frage gestellt, wessen Wahrnehmungen und Rezipientenerwartungen Merian hier zu erfüllen versuchte. Aber genau diese Frage vor Augen, muss man einen Schritt weitergehen und die grafisch-geometrisch fast perfekte Symmetrie des Stichs, der nicht der geringste Zufall eignet, in den Blick nehmen. Die Topographia Bavariae adressierte neben überregionalem – mithin ‚neutralem‘ – Publikum nicht nur reichsstädtisch-regensburgische, sondern auch kurbayerische Käufer.668 Den Fluss als prekäre Zone, als wirtschafts- und zollpolitisches Konfliktfeld mit instabilen hydraulischen Rahmenbedingungen darzustellen, hätte dem marktorientierten Darstellungsanliegen Merians widersprochen. Er wählte daher den Ausweg der angesprochenen, harmonisierend bis idealisierend zugeschnittenen ikonografischen Symmetrie des Stichs. Dargestellte Praktiken und Arrangements wirken in einer Weise zusammen, die einen für beide – politisch definierten – Seiten akzeptablen sozionaturalen Schauplatz konstituiert. Beide Seiten, das bayerische Stadtamhof und die Reichsstadt, ausgewiesen durch Beschriftung und Wappen, haben gleichrangig und vordergründig problemlos Anteil an einer sich harmonisch gen Osten öffnenden Flusslandschaft. Im Bildvordergrund sind Nord- und Südkanal der Donau gleichermaßen von Schiffern oder Flößern bevölkert. Das einzige Zeichen, das die hydraulische Problematik des Schauplatzes überhaupt andeutet, ein leichtes Überfließen von Wasser aus dem Südkanal über den Steindamm zwischen Oberem und Unterem Wöhrd, vermag die idealische Ausgewogenheit der Ikonografie nicht zu stören. Die Repräsentation Regensburgs, eines sehr spezifisch verfassten sozionaturalen Schauplatzes, in der Topographia Bavariae hinterlässt den Eindruck, man sei im Interesse der medialen Entproblematisierung den Weg der Entmaterialisierung gegangen. Die fluviale Verfasstheit des Schauplatzes bleibt ebenso unterbelichtet wie die 666 Leidel et al. 1998, S. 125; vgl. auch Ebenda, S. 104–124. 667 Vgl. Merian der Ältere et al. 1657, S. 83–84. 668 In der Kunstgeschichte herrscht offenbar eine starke Fixierung auf die reichsstädtische Dimension der Brückenikonografie. Diese verstellt Wüthrich wohl auch den Blick für die Identifikation des Stadtamhofer Stadtwappens, das hier dem reichstädtisch-regensburgischen Wappen gleichrangig inszeniert wird. Vgl. Wüthrich 1996, S. 119–120, lfd. Nr. 44).

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materiellen Konsequenzen seiner politischen Situation. Einzig die detaillierte Thematisierung der Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges vermag eine Beschreibung zu ‚erden‘, die vor allem ikonografisch der Realität seltsam enthoben anmutet. 3.3.5 Die Metropole, der Fluss, der Krieg und die Religion: „nur ein Wien“ 669? „Wienn ist ein weitberümbte statt in österreich an dem fluss der Thonaw gelegen. Derselb fluss taylet Bayerland. österreich und Hungern und steyget durch Rasciam und Bulgariam mit. lx. schiffreichen wassern ab in Euxinum unnd berürt vil treffenlicher stett. under den ist kein habhaftigere. kein volckreichere. kein eltere dann Wienn. die hawbtstatt der österreichischen stett und lands.“670

Mit diesen Sätzen beginnt die Beschreibung Wiens in Schedels Liber chronicarum.671 Am zitierten Textausschnitt interessiert nicht primär der Umstand, dass die Stadt hier verherrlicht und superlativisch charakterisiert wird. Auf die rhetorische Nähe und die gattungstypische Überlappung von laus und descriptio in der historisch-topografischen Literatur wurde in dieser Studie bereits verschiedentlich hingewiesen. Interessant ist vielmehr die hydrografische Argumentation der topografischen Einführung Wiens. Indem der Text in einem Satz mit Ausnahme des schwäbischen Oberlaufs den Gesamtverlauf der Donau skizziert, schafft er einen (über-)regionalen geografischen Zusammenhang, dessen Städte die Kontrastfolie für die Feststellung der ökonomischen, demografischen und historischen Superiorität Wiens abgeben. Die Ikonografie desselben Werks fällt dagegen gerade dadurch auf, dass Stadt und Fluss voneinander getrennt erscheinen (Abbildung 48). Ein vergleichender Rückblick auf die Stadtprofile Ulms und Regensburgs im Liber chronicarum macht die Spezifik des Wiener Befundes deutlich. Wird in Ulm und Regensburg die jeweilige, durch enge funktionale Beziehungen zwischen Stadt und Fluss geprägte hyd-

669 Die Wendung des „einen Wien“ verbalisiert nach Ansicht des Literaturwissenschaftlers Kai Kauffmann eine sich in der topografischen und statistischen Literatur sowie später in der populären Unterhaltungsliteratur zu Wien zunehmend verfestigende Vorstellung von der Einzigartigkeit der Stadt. Kauffmann 1994, S. 17. 670 Schedel 1493, XCVIII verso. 671 Es handelt sich dabei um eine fast wörtliche Übernahme von Enea Silvio Piccolominis (1405-1464) Historia Australis. Vgl. AENEAS SILVIUS DE PICCOLOMINI: Historia Australis. Österreichische Geschichte (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 44). Darmstadt 2005, S. 14.

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rografische Situation detailliert geschildert, erscheinen im Falle Wiens die Donau im Bildvordergrund und die durch eine Geländekante geprägte Uferzone geradezu als eine ‚wilde‘ Gegenwelt zu der durch ihre Befestigungsanlagen abgeschlossenen Stadt. Keine Arrangements des städtischen Wirtschaftens am und mit dem Fluss, etwa Brücken, Lände- und Hafenanlagen, keine spezifischen Praktiken – Schifffahrt oder Ländebetrieb – werden inszeniert. Zwar geht die später für die Wien-Ikonografie maßgebliche und auch in der Merian-Topografie übernommene Bildlichkeit Jacob Hoefnagels672 aus dem 17. Jahrhundert einen anderen Weg und inszeniert den stadtnahen, südlichen Donauarm als intensiv für Schifffahrt und Ländebetrieb genutztes Arrangement. Abbildung 48: Michael Wolgemut/Wilhelm Pleydenwurff, Vienna Pannonie, Weltchronik, 1493

Dennoch bedeutet dies nicht, dass die in der Schedelschen Weltchronik dargestellte Szenerie eine mangelnder Ortskenntnis geschuldete Abstraktion der Verhältnisse wäre. Im Gegenteil handelt es sich um einen vergleichsweise präzisen ikonografischen Hinweis auf die Topografie Wiens und die damit verbundene spezifische hydrografische Problematik der Stadt. Vor seiner Regulierung verästelte sich der Donaulauf, von Westen in die Ebene des Wiener Beckens strömend, in eine Vielzahl dynamisch sich verändernder Gerinne (Abbildung 49). Die auf einer Terrasse am Hangfuß des Wienerwaldes gelegene Stadt Wien war nur durch den südlichsten Donauarm an das Flusssystem angebunden. Einer durch das Höhenprofil bedingten Tendenz des Flusses zur Nordverlagerung folgend, neigte dieser Arm zur Verlandung. Bereits ab dem 15. Jahrhundert wurden Regulierungsversuche unternommen, um die drohende Verlagerung der Donau von der Stadt weg zu verhindern.673 Die Wahrnehmung der hydrologi672 Abbildung u. a. in: FERDINAND OPLL: Wien im Bild historischer Karten. Die Entwicklung der Stadt bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. 2. erg. Aufl., Wien 2004, S. 18. 673 FRANZ MICHLMAYR: Gegen den Strom. Die Regulierung der Donau, in: KARL BRUNNER/PETRA SCHNEIDER

(HG.): Umwelt Stadt. Geschichte des Natur- und Lebensraumes

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schen Problematik des Schauplatzes besaß offenbar derart allgemeingültigen Charakter, dass sie auch in der Wien-Beschreibung der Merianschen Topographia Provinciarum Austriacarum aus der Feder des ortsfremden Martin Zeiller an prominenter Stelle – gleich zu Beginn des Artikels – differenziert thematisiert wird.674 Die Inszenierung der Flusslandschaft als unkultivierter und tendenziell unkontrollierter Gegenwelt im Liber chronicarum besitzt auch insofern historische Substanz, als sich die Auenlandschaft mit ihrer fluvialen Dynamik lange einer systematischen Erschließung und Nutzung entzog. Seit 1439 ermöglichten Brücken über die drei Hauptarme den Zugang zur Stadt von Norden. Diese Brücken wurden aber oft von Hochwassern zerstört oder mussten wegen Laufänderungen verlegt werden.675 Andererseits brachte erst das spätere Ausgreifen der Siedlung auf die Inseln die Stadt donauseitig in direkte Verbindung mit der Hochwasserproblematik, die an anderer Stelle, an dem sich durch extreme Schwankungen im Abflussvolumen auszeichnenden Wien-Fluss, schon länger zu den Rahmenbedingungen urbaner Existenz zählte.676

Wien (Wiener Umweltstudien 1). Wien 2005, S. 307–317, hier 308–309; vgl. ELISABETH STRÖMMER:

Klima und Naturkatastrophen, in: PETER CSENDES/FERDINAND OPLL

(HG.): Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert) (Wien. Geschichte einer Stadt 2). Wien [u.a.] 2003, S. 91–107, hier 105–106. Vgl. zur Umweltgeschichte der Wiener Donau zwischen 1500 und 1900 in Bälde die Ergebnisse des FWF-Forschungsprojekts Nr. P22265 G 18, ENVIEDAN. 674 „Diß ist die Hauptstatt in Under Oesterreich / die vor Zeiten zu Pannonia gerechnet worden / zur Rechten der Thonaw gelegen / wiewol es nur ein Arm davon ist / so nahend zur Statt gehet; gleichwol man auff solchem die Schiffe / nach Gelegenheit der Zeit / und Höhe deß Wassers / stellen kan: Wann aber das Wasser klein ist / so müssen dieselbe / sonderlich die grosse / ein Meil Weges oberhalb / umb Nußdorff / oder wol gar bey der Statt Closter Newburg 2. Meilen von Wien bleiben. Mehr als ein halbes Viertel einer Teutschen Meil von der Statt / gegen Mähren werts / seynd noch 3. andere absonderliche / und zum Theil gar grosse / und schiffreiche ärm / oder besondere Flüß / dieses sehr grossen Thonawflusses / uber welche fünff Brucken gehen / die man im Nothfall / zu mehrer Sicherheit der Statt / abwerfen kann.“ Merian der Ältere et al. 1649, S. 39. 675 Michlmayr 2005, S. 307. 676 Auch diese Konstellation ist gleich zu Beginn Gegenstand von Zeillers Wien-Topografie: „Von Mittag hat die Statt ein kleines Wasser / so auch Wien genandt wird / und das von denen gegen Abend gelegenen Bergen herkompt / so bald wächst / und von dem vielen Regenwasser sich leichtlich ergiessen thut / etliche Mühlen treibt / unnd nicht weit von den Stattgräben sich in die Thonaw ergiesset; unnd von Theils / als ob es ein Arm von der Thonaw were angesehen wird.“ Merian der Ältere et al. 1649, S. 39.

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Abbildung 49: Severin Hohensinner/Bernhard Lager, Rekonstruktion der Flusslandschaft der Wiener Donau 1570, 1726 und 1849, in schwarz: Siedlungsexpansion in der Flussaue

Mit der Hydrografie ist ein Faktor benannt, dessen Thematisierung bei der Analyse der Repräsentation Wiens als sozionaturalen Schauplatzes in der historischtopografischen Literatur Augenmerk verlangt. Ein zweiter ist – gerade im Falle Wiens – der Faktor Krieg. Denn selbst wenn man sich die in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit ubiquitär sichtbare und destruktiv wirksame „Bellizität“677 der Epoche vor Augen führt, wird man Wien auch in dieser Hinsicht herausragende Bedeutung attestieren müssen. Im Rahmen der Jahrhunderte währenden kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich kam nicht nur der Donau eine zentrale Funktion als Nachschublinie für Mensch und Material zu den südosteuropäischen Kriegsschauplätzen zu und Wien in diesem militärischen Kontext die Funktion einer gateway city. Als Metropole einer der beiden kriegführenden Parteien wurde sie selbst zum Kriegsschauplatz. Zweimal, 1529 und 1683, wurde sie von türkischen Heeren belagert. Diese militärischen Ereignisse müssen auch als städtebauliche turning points verstanden werden. Im zeitlichen Vorfeld, im Rahmen oder als Konsequenz dieser Belagerungen wurden Vorstädte zerstört, die Festungsanlagen ausgebaut und ein siedlungsfreies Glacis angelegt, das die StadtHinterland-Beziehungen maßgeblich beeinflusste.

677 JOHANNES BURKHARDT: Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für historische Forschung 24 (1997), S. 509–574.

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Die umwelthistorische Forschung sensibilisierte sich erst in jüngerer Zeit für das Thema Krieg und entwickelte diese neue Sensibilität bislang schwerpunktmäßig an Untersuchungsgegenständen des 19. und 20. Jahrhunderts.678 Gerade die oben zitierte „Bellizität“ der Frühen Neuzeit und die der energetischen Verfasstheit vorindustrieller Agrargesellschaften völlig disproportionale kriegerische Mobilisierung von Ressourcen legen hier eine Erweiterung des Forschungsfokus nahe. Alleine eine Bilanzierung rüstungsspezifischer Stoff- und Materialströme dürfte die umwelthistorische Relevanz des Themas unterstreichen. Als Beispiele herausgegriffen seien etwa der Bedarf an Baumaterial für die Errichtung frühneuzeitlicher Stadtbefestigungen und die für die immense Schießpulverproduktion der Zeit nötige Salpeterernte, die ausgerechnet von einer vormodernen Agrargesellschaft mit strukturellem Stickstoffmangel zu erbringen war. Für eine gleichermaßen kultur- wie umwelthistorisch inspirierte wahrnehmungsgeschichtliche Analyse historisch-topografischer Literatur der Zeit ergibt sich aus dieser faktischen Relevanz die Frage nach der Repräsentation des Faktors Krieg in den untersuchten Quellen. Die topografische Literatur zu Wien stand bereits im Fokus einer literaturwissenschaftlichen Studie.679 Die Forschungen Kai Kauffmanns liefern für die vorliegende Untersuchung des Wiener Fallbeispiels wichtige Vorarbeiten. Auf Kauffmanns gattungsgeschichtlichem Überblick fußt die Entscheidung, zur Kontrastierung der Repräsentation des Schauplatzes bei Merian und Zeiller v. a. auf drei Werke aus dem breiten Fundus von im weitesten Sinne topografischer Literatur zu Wien zuzugreifen. Es handelt sich um Werke, die – Kaufmanns Darstellung zufolge – wesentliche Entwicklungsschritte in der Gattungsgeschichte repräsentieren. Wolfgang Lazius’ (1514-1565) Vienna Austriae680 als historisch-topografische Beschreibung mit Vorbildcharakter für beinahe alle Folgeautoren des 16. bis 18. Jahrhun678 Vgl. CHARLES E. CLOSMANN (HG.): War and the environment. Military destruction in the modern age (Williams-Ford Texas A&M University military history series 125). College Station 2009; auch: MARTIN KNOLL: Das Theatrum Europaeum – eine umwelthistorische Quelle?, in: NIKOLA ROßBACH/FLEMMING SCHOCK/CONSTANZE BAUM/DÉSIRÉE

MÜLLER (Hg.): Das Theatrum Europaeum. Wissensarchitektur einer Jahrhundert-

chronik. Wolfenbüttel 2012, http://diglib.hab.de/ebooks/ed000081/start.htm, Stand: 18.12.2012. 679 Vgl. Kauffmann 1994, S. 45–99. Zur Beschreibung Wiens und der Erblande in unterschiedlichen Medien und Gattungen des ‚langen 18. Jahrhunderts vgl. auch CHRISTINE LEBEAU/WOLFGANG SCHMALE (HG.): Images en capitale: Vienne, fin XVIIe - début XIXe siècles. A capital city and its images: Vienna in an 18th-century perspective = Bilder der Stadt: Wien - das lange 18. Jahrhundert (Das Achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des Achtzehnten Jahrhunderts 25). Bochum 2011. 680 Hier verwendet in der deutschen Übersetzung Heinrich Abermanns: Lazius et al. 1619.

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derts, Ignaz von Reiffenstuells (1664-1720) Vienna gloriosa681 als Vertreterin der herrschaftszentrierten Residenzstadt-Topografie der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg und nach der abgewehrten Türkenbelagerung von 1683 und schließlich Ignaz de Lucas (1746-1799) Topographie von Wien682 als Zeugnis der statistischen Topografie des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die in ihrem fragmentarischen Charakter zugleich die Grenzen in der Umsetzung des enzyklopädischen Vollständigkeitsanspruchs der Gattung aufzeigt. Kauffmanns zweifelsohne präzise Beobachtungen erfordern gleichwohl einige kurze Bemerkungen zu dem ihnen zugrundeliegenden Ansatz. Der Literaturwissenschaftler untersucht die Wien-Topografien des 16. bis 18. Jahrhunderts als in einem literaturhistorischen Kontinuum mit späteren Gattungen der Wiener Stadt- und Gesellschaftsbeschreibung, wie den Stadttableaus nach Vorbild Louis-Sébastien Merciers (1740-1814) und den Moral- und Sittensatiren, stehend. Kauffmann folgt dabei einer strikt modernisierungstheoretischen Perspektive. Er sieht die Gattungsentwicklung der Wiener Stadtbeschreibung als einen „relativ kontinuierlich verlaufenden Modernisierungsprozeß“.683 Auf die im engeren Sinne topografische Literatur gewendet, verfolgt er diesen Prozess im Zusammenhang mit der Entwicklung Wiens als kaiserlicher Residenzstadt nach der abgewehrten Türkenbelagerung von 1683. Zwischen 1700 und 1780, so Kauffmann, entwickle sich die Wien-Topografie „von einer antiquarischen zu einer aktuellen Beschreibung der Stadt.“684 Nach 1750 sei die auf Genauigkeit und Vollständigkeit angelegte „Historische Topographie nicht mehr in der Lage, der fortschreitenden Diversifikation und Innovation in der Stadt gerecht zu werden.“ Auch ihr Ordnungssystem685 entspreche nicht mehr dem der sich funktional differenzierenden Gesellschaft.686 Um 1780 werde der Darstellungstypus der historischen Topografie von drei anderen, der quantifizierenden statistischen Topografie, der selektiv vorgehenden „praktischen“ Topografie und dem die Wirklichkeit durch Reflexion verstehbar machenden Tableau abge681 IGNAZ REIFFENSTUELL: Vienna Gloriosa, Id Est Peraccurata & Ordinata Descriptio Toto Orbe Celeberrimae Caesareae Nec Non Archiducalis Residentiae Viennae Una Cum Plateis, Templis, Palatiis, Aedibus, Aeriis, ac Armariis, omnibus tam Intraneis, quam Extraneis sciendi cupidis, utilissime in lucem exposita Viennae Austriae 1703. Wien 1703. Digitalisat des Exemplars Sign. Austr. 4925 der BSB München, http://www.mdz-nbnresolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10011665-8, Stand: 16.08.2011. 682 IGNAZ DE LUCA: Topographie von Wien, Bd. 1., Wien 1794. Digitalisat des Exemplars der BSB München Sign. Austr. 2925-1, http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver. pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10010389-4, Stand: 16.08.2011. 683 Kauffmann 1994, S. 17. 684 Ebenda, S. 23. 685 Dieses, so wäre zu ergänzen, basiert auf der Systematik des landeskundlichen Schemas. 686 Ebenda.

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löst.687 Mit dem Wandel des Darstellungstypus gehe auch ein Wandel des Publikationstypus einher: „Das Buch weicht dem Handbuch, der Heftchenreihe und der Zeitschrift.“688 Kauffmann erhebt den Anteil historischer und kirchlicher Inhalte an der Argumentation der Topografien zu Modernisierungsmarkern und gelangt so zur Diagnose eines Modernisierungsprozesses, der mehrere Tendenzen bündelt: Aktualisierung (Abnahme des Stellenwerts des Historischen), Säkularisierung (Bedeutungsverlust des Kirchlichen), formale Dynamisierung und Pragmatisierung (Aufbrechen alter rhetorischer Ordnungssysteme und Orientierung an der praktischen Nutzanwendung z. B. durch Reisende) und im Gefolge Popularisierung der Stadtbeschreibung.689 Ein derart lineares Modernisierungskonzept erscheint mir freilich nur bedingt geeignet, die vielen ‚Gleichzeitigkeiten des Ungleichzeitigen‘ abzubilden, die literaturhistorische wie allgemein historische Prozesse kennzeichnen. So finden sich in Wolfgang Lazius’ (1514-1565) 1547 erschienener Chronik Vienna Austriae – von Kauffmann als der „wichtigste Prototypus der Topographie von Wien“ 690 apostrophiert – umfangreiche Passagen, wie Personallisten gesellschaftlicher Eliten und Amtsträger, die zum einen auch die Gegenwart des Autors dokumentieren und die zum anderen in ihrer quasistatistischen Systematik durchaus ‚modern‘ anmuten, soweit man dieses Etikett überhaupt verwenden will. Auch die namentliche Aufzählung und Verortung von Herbergen, öffentlichen Bädern und Sehenswürdigkeiten passt zu dem, was Kauffmann als reisepraktischen Pragmatismus bewertet und in späteren Werken als innovativ einordnet.691 Rhetorisch verfährt Lazius ohnehin so, wie viele geo- und topografische Autoren seit dem späten 15. Jahrhundert verfahren, um ihrer Weltbeschreibung empirische Autorität zu verleihen: Sie betonen Autopsie und eigene Reisetätigkeit – selbst wenn sich die von ihnen transportierten topografischen Informationen der Lektüre verdanken. Lazius macht hier keine Ausnahme. Er beruft sich sogar zur Beurteilung historischer Sachverhalte auf die eigene Besichtigung archäologischer Evidenz.692 687 Ebenda. 688 Ebenda, S. 24. 689 Ebenda, S. 52–56. 690 Ebenda, S. 46. 691 Vgl. Lazius et al. 1619, 284–286. 692 In der Frage um die Wiener Namensgebung und die Identität der Ansiedlung mit dem in römischen Quellen überlieferten Vindobona führt er etwa an: „Alß ich nun glaube / Wienn sey alsbaldt nach dem sie Erbawt worden / von den Römern Vindobonna oder Vendum genennet worden / hat mich nit so hoch darzu bewegt das grosse Ansehen deß fürtrefflichen Scribenten Beati Rhenani, als mich entlichen diese Exempel dahin persuadirt, deren Ich etliche die diese Meynung bekräfftigen / in der Wiennerischen Gegend und Orten newlicher Zeit erfunden / welche noch zu dem / daß Sie den Namen

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Am chronologisch jüngeren Ende der Gattungsgeschichte Kauffmannscher Lesart stehen im späten 18. Jahrhundert die Aktualisierung der Inhalte und das Ende der großen Form, die von „praktischen“ Topografien geringeren Umfangs, von Tableaus und Periodika abgelöst werde. Beide Grenzziehungen bedürfen der Differenzierung. Was die Aktualisierung betrifft, ist etwa auf Ignaz de Lucas Baubeschreibung des Stephansdoms hinzuweisen.693 De Luca widmet dem Bau nicht nur eine sorgfältige Beschreibung der materiellen Struktur, sondern gewährt auch der Baugeschichte breiten Raum. De Lucas Abhandlung über den Südturm zeigt zum Beispiel, wie wenig ein ausgeprägtes Interesse am materiellen Arrangement im Widerspruch steht zu einem Interesse an den historischen Rahmendaten seiner Transformation.694 Wenn hier Innovation sichtbar wird, dann darin, dass de Luca – ganz Vindobonam mit außdrucklichen Buchstaben Eingehawter haben / auch der zehenden Teutschen Legion / und deß Fabianischen KriegsVolcks meldung thuen / also daß Ich sehe / und vermercke / daß alles mit deß Antonini Raißbuch / unnd mit den Uralten Schrifften die bey unns gefunden worden / auch mit den JahrsChronicken zurträffe unnd übereinstimme. […] So wolte ich auch denen Ursachen unnd Anzaigungen / welche mit dieser Weitte auff das best und näheste zutreffen / so sich zu unser Zeit von erwelten zwayen zusammenfliessenden Wässeren biß gen Wien / geradt auff Sechzehen Meilen erstreckt / nicht so viel glauben geben / wann Ich nit aller dieser Städt Alte und eingefallene Gebäw / auch Alte Stainhauffen mitten auff der Raiß / und der zehenden Legion (wie sie beschrieben ist) nahendt bey der Stadt Wienn starcke Argumenta oder Anzaigungen erkündigt hette: [...]“ Ebenda, 42–43. 693 Luca 1794, S. 413–422. 694 „[...] Die Größe dieses Thurms wird auf 74 Klafter, und 4 Schuh bestimmt. Die steinerne Rose auf der Spitze hält in der Dicke 3 1/2 Schuh und im Umkreis 58 Schuh. Der 5 Schuh hohe, stark vergoldete kupferne Knopf hat die Größe eines 6 Eimerfasses. Auf demselben steht ein von Kupfer getriebener doppelter schwarzer Reichsadler, mit einem vergoldeten Patriarchenkreutze zwischen den Köpfen, welcher 120 Pfund schwer wiegt, und 6 Schuh 7 Zoll in der Höhe beträgt. 1514 im May, drohte die Spitze des Thurms den Einsturz; sie ward also abgetragen, und durch den kaiserl. Hauptmann Leonard Hauser, und den Baumeister Gregorius Hauser von Freyburg A. 1519 im July wieder hergestellet. Ein Erdbeben bog dieselbe den 5ten September 1590 nordwärts krumm; daher nahm man, weiteren Schaden zu verhüten, die schwere steinerne Kugel, welche bisher auf der Spitze gestanden, weg, und ließ den 31ten July 1591 durch Wolfgang Eglauern, einen von Valentin Sebald vergoldeten Stern und halben Mond setzen. Dieser Stern mit dem halben Mond, welchen man in dem bürgerl. Zeughause bewahret, ward den 15ten July 1686 durch einen Schlosser Nicolaus Ressytko und seinen beyden Söhnen abgenommen, und den 14ten September dagegen ein von Johann Adam Posch aus Kupfer verfertigtes, stark vergoldetes Patriarchenkreutz aufgestellt. Dasselbe warf am 14ten December desselben Jahres, ein heftiger Sturm herunter. [...]“ Ebenda, S. 418–421.

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ähnlich Hazzi in München – die topografische Schilderung des Schauplatzes unmittelbar mit Vorschlägen zu seiner Optimierung verbindet. De Luca stellt fest, dass seit dem Abriss von Gebäuden an der Westseite des Domes diese ganz offengelegt sei und daher „das Prachtvolle dieser Kirche ganz in die Augen“ falle.695 Er schließt nun dieser Bestandsaufnahme die folgende Projektion einer möglichen Umgestaltung des Schauplatzes an: „Zu wünschen wäre es, daß auch die gegen Süden gelegenen drey Häuser noch abgetragen, und die hölzernen Buden, deren mehrere den Kirchhof umgeben, ganz hinweggeschaft, und an ihren Platz Lindenbäume angepflanzt würden, dann würde dieser Platz einer der angenehmsten Spaziergänge in kühlen Sommernächten werden.“696

Die zweite Grenzziehung Kauffmanns, die Feststellung des Endes der großen Form, geschieht um den Preis einer kompletten Ausblendung der erst 1832 erschienenen „Darstellung der k. k. Residenzstadt Wien“ Franz Xaver Schweickhardts (17941858), die in ihrem Vollständigkeitsanspruch, im großen Stellenwert historischer Informationen, in der Anwendung des tradierten landeskundlichen Schemas und im großen Umfang alle Merkmale der „Historischen Topographie“ trägt, wie sie Kauffmann für die Zeit vor Beginn des Transformationsprozesses im 18. Jahrhundert umreißt. Zugegeben, bei Schweikhardt handelte es sich um einen konservativen Autor.697 Aber sein Werk steht so, wie von ihm vorgelegt, in seiner Zeit. Das viel beschworene „Vetorecht der Quellen“ (Reinhart Koselleck)698 legt auch hier nahe, Kauffmanns gattungsgeschichtliche Chronologie zu relativieren.699 In der Summe führt Kauffmanns betont modernisierungstheoretisch orientierte Perspektive zu einer im Detail nicht durchgängig plausiblen monolinear-teleologischen Sicht auf die Gattungsgeschichte der Wiener Topografie.

695 Ebenda, S. 417. 696 Ebenda, S. 417–418. 697 Vgl. M. MARTISCHNIG: Schweickhardt, Franz Xav. Joseph (1794-1858), Topograph, Historiker und Schriftsteller, in: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 55, 2001), S. 38–39. http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_S/Schweickhardt_Franz-Xav-Joseph_1794_ 1858.xml, Stand: 29.09.2011. 698 Vgl. STEFAN JORDAN: Vetorecht der Quellen, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte,

11.02.2010.

https://docupedia.de/zg/Vetorecht_der_Quellen?oldid=75540,

Stand: 02.09.2011. 699 Dass Ferdinand Opll Schweickhardts topografische Arbeiten als „ganz typische Vertreter der seit der Jahrhundertwende immer stärker in Mode kommenden neuen [Hervorhebung M. K.] literarischen Gattung der Landesbeschreibungen“ bezeichnet (Opll 2004, S. 69– 70), muss verwundern.

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Zunächst jedoch zurück zur Wien-Topografie des 17. Jahrhunderts und zur Frage nach der Repräsentation der Stadt in Merians Topographia provinciarum austriacarum. Ikonografisch beschreitet die Wien-Beschreibung der MerianTopografie insofern konventionelle Wege, als sie die populäre Hoefnagel-Vogelschau als einzige Gesamtansicht der Stadt übernimmt (Abbildung 50). Noch 1635 im Theatrum Europaeum war der Verleger Merian einer anderen Option gefolgt und hatte die dortige Berichterstattung mit einer eher unkonventionellen Profilansicht Wiens aus südöstlicher Richtung illustriert (Abbildung 51), die den WienFluss prominent im Bildvordergrund, den stadtnahen Donauarm dagegen nur entlegen im linken Bildhintergrund inszenierte. Die grafische Visualisierung der Metropole in Merians Österreich-Topografie ist im Vergleich mit den Reichsstädten Ulm, Augsburg und Regensburg, aber etwa auch mit dem oberösterreichischen Linz sehr reduziert. Sie beschränkt sich neben der Hoefnagel-Vogelschau auf eine Detailansicht des Stephansdoms. Daneben fanden drei Abbildungen adeliger Schlösser und Gärten des Wiener Umlandes Aufnahme, die bezogen auf den urbanen Schauplatz vordergründig erratisch positioniert erscheinen. Hierauf wird noch zurückzukommen sein, denn diese Ikonografie verdankt sich, so meine These, zum Teil einer subtil eingesetzten konfessionellen Rhetorik. Abbildung 50: Matthäus Merian d. Ä., Vienna Avstriae, Topographia Provinciarum Austriacarum, 1679

Die im Text an prominenter Stelle verhandelte, problematische Anbindung der Stadt an den nur temporär schiffbaren Südarm der Donau wird in der Vedute nicht thematisiert. Hier ist der Fluss bei idealem Wasserstand dargestellt. Mit einer gro-

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ßen Anzahl von Fischerbooten, Lastschiffen und Flößen auf dem Wasser sowie von Staffagefiguren und Fuhrwerken, diversen Arrangements und umgeschlagenen Waren wird eine intensive Flussnutzung inszeniert. Einmal mehr befinden sich Staffagefiguren ausschließlich extra muros. Die Vedute zeigt den Wienfluss im Bild links ebenso wie die Wiener Vorstädte. In Martin Zeillers topografischem Text folgen der hydrografisch dominierten Lagebestimmung und der gattungsüblichen Erörterung von Namensetymologie und Frühgeschichte der Stadt eine stärker an den naturräumlichen Rahmendaten orientierte, topografische Spezifizierung.700 Dabei leitet die Feststellung eines ausgeprägten Weinbaus über zur demografischen Charakteristik.701 Um die Stadt werde viel Wein geerntet und in die Stadt verbracht, was angesichts der großen Anzahl der dort Lebenden auch nötig sei.702 Enaea Silvio Piccolomini und in seinem Gefolge Hartmann Schedel hatten die Dimension des lokalen Weinbaus stärker konkretisiert. Bei Piccolomini ist von einer vierzigtägigen Lese die Rede, während derer pro Tag rund 300 mit Most beladene Wagen in die Stadt geführt würden.703 Es kämen 1200 Pferde zum Einsatz und der Landesherr, dem vom Wein jeder zehnte Pfennig zustehe, erziele davon in der Stadt jährlich 12.000 fl. Auch der Weinexport donauaufwärts findet Erwähnung. Schedel gibt gar zu Protokoll, die Wiener Weinkeller seien so tief und ausgedehnt, dass man meinen könne, die Stadt verfüge über nicht weniger Gebäude unter als über der Erde.704 Piccolominis und Schedels konkretes Portrait eines umfangreichen lokalen Weinbaus steht im Kontrast nicht nur zu Zeillers kurzem Hinweis, sondern allgemein zur späteren Wien-Topografie. Lazius erwähnt die Importweine, die aus „Welschland“ nach Wien eingeführt würden.705 Ignaz Reiffenstuells (1664-1720) erstmals 1700 aufgelegte Vienna Gloriosa notiert knapp die Fruchtbarkeit der Gegend für den Weinbau.706 Im 1794 erschienenen ersten Band der unvollendet gebliebenen Topographie von Wien Ignaz de Lucas (1746-1799) ist dagegen davon die Rede, dass kein Wein mehr angebaut werde.707 700 Diese arbeitet ebenfalls mit gattungsüblichen Stereotypen: Die Stadt liege „in einer gar lustigen Ebne / und auf einem an Getraid / Wein / und allerhandt andern Früchten / unnd Nahrungsmitteln sehr geschlachten / und fruchtbarn Boden.“ Merian der Ältere et al. 1649, S. 39. 701 Ebenda, S. 39–40. 702 Ebenda, S. 40. 703 Piccolomini 2005, S. 22–25; vgl. Schedel 1493, XCIX. 704 Ebenda; nicht direkt im selben Kontext, sondern im Rahmen seiner Würdigung der Bürgerhäuser thematisiert auch Piccolomini diese Beobachtung, die auch Zeiller übernimmt. Vgl. Piccolomini 2005, S. 18–19; Merian der Ältere et al. 1649, S. 41. 705 Lazius et al. 1619, 169–170. 706 Reiffenstuell 1703, 17. 707 Luca 1794, S. 11.

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Auch ohne dass dies expliziert würde, spiegeln die Topografien offensichtlich einen klimatisch bedingten Bedeutungsverlust des lokalen Weinbaus. Davon abgesehen, dass Piccolomini im 15. Jahrhundert noch von einem objektiv anders dimensionierten Weinbau berichten konnte als die späteren Autoren, fällt auf, dass seine detaillierte Schilderung diesbezüglicher Praktiken und Arrangements nicht wertneutral oder gar im Dienste unkritischer Idealisierung des Schauplatzes steht, wie sie Schedel auf der Basis weitgehend identischer Informationen vornimmt. Denn in Piccolominis Historia Australis schließt sich unmittelbar an die den Weinbau schildernde Passage eine durchaus drastische Kritik an der vermeintlichen Neigung der Wiener zu Gewalt, Trunksucht, Völlerei und sexueller Leichtfertigkeit an.708 Wein ist dabei Teil des Problems, nicht – wie später bei Zeiller – selbstverständliche Notwendigkeit in der Versorgung der Einwohnerschaft. Die demografischen Angaben in Zeillers Text sind nach ethnischen Gruppen und nach Zeithorizonten differenziert. Angehörige „sechs mächtiger Nationen“, Deutsche, „Welsche“, Ungarn, Böhmen, Polen und Slowaken, bildeten demnach die Einwohnerschaft.709 Vor dem Krieg gegen den Ungarnkönig Matthias Corvinus (1443/1458-1490) im späten 15. Jahrhundert hätten sich rund 50.000 Menschen – ohne Berücksichtigung der Kinder – hier aufgehalten.710 Man habe allein bis zu 7000 Studenten gezählt. Gegenwärtig hielten sich „in: und außer der Statt“ 60.000 Seelen auf, wobei genaue Angaben aufgrund der großen Vorstädte schwierig zu erlangen seien. Die erste genannte Zahl der 50.000 Erwachsenen dürfte auf Schedels Weltchronik zurückgehen, die von 50.000 spricht, die in Wien die Kommunion empfangen.711 Allerdings hatte Schedel hier wohl die bereits in Piccolominis Historia Australis gemachten Angaben ungenau übernommen. Denn Piccolomini spricht von 50.000, die in St. Stephan und weiteren 15.000, die in St. Michael ihre Kommunion erhalten.712 Die zweite von Zeiller eingeführte Zahl – 60.000 Einwohner zur Zeit der Niederschrift – dürfte eine relativ korrekte Größenordnung beschreiben.713 An anderer Stelle referiert Zeiller ein für die Diskussion des städtischen Gesellschaftsaufbaus interessantes Ratsbegehren an Erzherzog Leopold aus dem Jahre 1619. Dieses führt Klage darüber, dass sich das Verhältnis der Anteile von bürgerlicher zu nichtbürgerlicher Bevölkerung an der Einwohnerzahl drama708 Piccolomini 2005, S. 24–27. 709 Merian der Ältere et al. 1649, S. 40. 710 Ebenda. 711 Schedel 1493, XCIX. 712 Piccolomini 2005, S. 18–19. 713 Andreas Weigl schätzt für die Zeit um 1650 rund 50.000 Einwohner (ohne Vororte). ANDREAS WEIGL: Frühneuzeitliches Bevölkerungswachstum, in: PETER CSENDES/ FERDINAND OPLL (HG.): Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert) (Wien. Geschichte einer Stadt 2). Wien [u.a.] 2003, S. 109–131, hier 110.

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tisch verschoben habe. Es gebe nunmehr drei- bis fünfmal mehr unterbürgerliche Schichten, „[…] welche der Burgerschafft das Brodt vor dem Mund abschneiden.“714 Es seien vor Zeiten mehr als 8000 Bürger in der Stadt gezählt worden, nunmehr aber nicht über 1300, von denen nur 400 über eigenen Immobilienbesitz verfügten. Es habe aber weder die Zahl der Häuser in der Stadt abgenommen, noch die Zahl der Einwohner, aber „der mehrertheil sey unburgerlich / und den Bürgern entzogen.“715 Abgesehen davon, dass Zeiller überhaupt die hier skizzierte soziale Problematik anspricht und zum Gegenstand seiner Topografie macht, fällt auf, dass er demografische Angaben und Zahlen ohne explizite Wertung referiert. Seine Demografie hebt sich damit deutlich von der der Vienna gloriosa Ignaz von Reiffenstuells ab. Abbildung 51: Matthäus Merian d. Ä., Wien, Theatrum Europaeum, 1633

Reiffenstuell, dessen barocke Topografie Wiens unter Leopold I. (1640/1658 Ks.1705) ganz offensichtlich einer panegyrischen Rhetorik folgt, inszeniert die Stadt als Schauplatz, der sich mit anderen europäischen Metropolen messen kann oder diesen gar überlegen ist.716 Die zeitgenössische Bevölkerungszahl beziffert er auf 600.000 [sic!], und vermeldet für die knapp 70 Jahre zwischen dem Ende der Regierungszeit Ferdinands II. (1619-1637) und dem Erscheinen der Vienna gloriosa eine Zunahme von 80.000 auf 600.000. Er treibt diese ohnehin jenseits aller Plausibilität liegende demografische Quantifizierung noch weiter und rechnet die behaup714 Merian der Ältere et al. 1649, S. 46. 715 Ebenda. 716 Reiffenstuell 1703, 46; vgl. Kauffmann 1994, S. 52–54.

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tete Bevölkerungszunahme hoch auf eine künftig zu erwartende Bevölkerungszunahme auf 3.900.000 während der nächsten 60-70 Jahre.717 Krieg oder andere Extremsituationen als Bremsen des Bevölkerungswachstums finden in dieser Kalkulation keinen Platz. Reiffenstuells Topografie war wegen ihres überschaubaren Umfangs bei Reisenden beliebt. Sie besaß auch in ihrer sehr systematischen Auflistung von Architektur und Sehenswürdigkeiten hohen praktischen Gebrauchswert. Die von Reiffenstuell hier kolportierten Bevölkerungszahlen standen freilich in geradezu grotesker Disproportionalität zu den beschriebenen materiellen Arrangements. Und doch lohnt es sich, diese Disproportionalität im Kontext rhetorischer Strategien genauer zu betrachten. In der Wening-Topografie Münchens wurden die Stadt und ihre architektonischen Arrangements als eher steril wirkende Kulisse landesfürstlicher Prachtentfaltung inszeniert, in der für nicht höfische Bevölkerung kaum Platz bestand. Reiffenstuell dokumentiert nun eine Phase der Entwicklung Wiens, die nicht nur vom absolutistischen Machtanspruch Leopolds I. und seiner Nachfolger geprägt ist, sondern die nach der militärischen Zurückdrängung der Türken 1683 tatsächlich eine zuvor ungekannte Baukonjunktur erlebte. Eine solche Stadt als „volkreich“ zu inszenieren, war offensichtlicher Teil der rhetorischen Strategie – nicht nur Reiffenstuells. Bei einer Durchsicht der in den 1720er Jahren veröffentlichten WienStichfolgen Salomon Kleiners (1703-1761) bietet sich wiederholt das Bild von städtischen Straßen und Plätzen, die in drangvoller Enge mit Staffagefiguren aller Stände besetzt sind.718 Die dichte Bevölkerung des Schauplatzes steht hier offensichtlich für dessen metropolitane Blüte. Der schon am Münchener Beispiel untersuchte Weg von der barock-panegyrischen zur aufklärerisch-statistischen Residenzstadt-Topografie verschob auch im Wien des späten 18. Jahrhunderts die Schwerpunkte. In der Beschreibung urbaner Demografie wird dies in Ignaz de Lucas Topographie von Wien deutlich, die diesem Thema ein umfangreiches, mit statistischem Material gesättigtes Kapitel widmet.719 De Luca, der für 1790 eine Einwohnerzahl von 208.754 ohne Geistliche, Milizangehörige und Fremde angibt, bietet nicht nur eine nach Ständen differenzierte Dokumentation der Einwohnerzahlen über mehrere Jahre; er reflektiert die Statistiken quellenkritisch und dokumentiert abweichende Angaben in anderen Publikationen.720 Eine rund dreißig Seiten umfassende Passage, die umfangreiche lokal

717 Reiffenstuell 1703, 46; Ebenda, 116; vgl. Kauffmann 1994, S. 54. 718 Vgl. etwa SALOMON KLEINER: Das florierende Wien. Vedutenwerk in vier Teielen aus den Jahren 1724-37. Mit einem Nachwort von Elisabeth Herget (Bibliophiles Taschenbuch 104). Dortmund 1979, S. 18, 47–49, 100, 106. 719 Vgl. Luca 1794, S. 12–59. 720 Ebenda, S. 13–14.

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und nach anderen Parametern differenziert aufgearbeitete Statistiken zur städtischen Sterblichkeit bündelt, rundet de Lucas Demografie-Kapitel ab.721 Zeillers Text in der Merianschen Topographia Provinciarum Austriacarum geht nach den benannten demografischen Angaben kurz auf den teilweisen Abriss von Vorstädten und die zweitweise Ansiedlung der Wiener Juden auf einer Donauinsel722 ein, bevor er die Befestigungsanlagen der Stadt und ihre an die kriegerischen Konjunkturen gekoppelte Baugeschichte beschreibt.723 Relativ kurz und topisch würdigt Zeiller dann die Baustruktur der Stadt intra muros, die er als „schön erbawt“ charakterisiert. Er geht dabei weder im Umfang noch in der Topik deutlich über das schon bei Piccolomini Berichtete hinaus und listet einige wenige Gassen und Plätze namentlich auf. Im Fokus der folgenden rund dreieinhalb Seiten stehen die Kirchen und Klöster der Stadt, von denen einzig der Stephansdom eine eingehende, durch eine Ansicht der Südfassade grafisch ergänzte Baubeschreibung erhält.724 Es folgen ein kurzes Portrait der Universität725 und eine Beschreibung der kaiserlichen Hofburg von weniger als einer Seite Umfang. Einzig auf die Schatzkammer mit ihren sagenhaften Reichtümern und Kuriositäten von Kunst und Natur geht Zeiller recht ausführlich ein.726 In wenigen Sätzen beschreibt er noch das Zeughaus unter Einschluss des an der Donau gelegenen Arsenals mit seinen Schiffstypen;727 dagegen werden das Landhaus der Stände des Landes unter der Enns, der kaiserliche Marstall, die Münze, das sog. „Haasenhauß“, der „Heyden721 Ebenda, S. 29–59. 722 Vgl. Opll 2004, S. 21. 723 Merian der Ältere et al. 1649, S. 40–41. 724 Ebenda, S. 41–44. 725 Ebenda, S. 44–45. 726 „In der besagten Kayserlichen Residentz ist die Guarderoba, und die Galeria, mit underschiedtlichen Zimmern / so man den Schatz nennet / und in demselben allerhandt köstliche von Gold / Edelgesteinen / und Perlen; wie auch mit höchster Kunst / und Fleiß / gearbeite / und gemahlte Sachen; Item so wol natürliche / als durch menschliche Hände gemachte / gewaltige / und beste Stück / rare, unnd wunderliche Ding / viel Tonnen Goldes werth / in grosser Menge / und darunder die Kayserliche Cron / mit dem Scepter / und Reichs Apfel / zu sehen / so auß Gold / und mit köstlichen Orientalischen Diamanten gezieret / die man auff ein Million Goldes werth schätzet / und Kayser Rudolphus II. für sich hat machen lassen: Item ein rund Becken / so 7. Spannen im Umbgang hat / auß einem einigen Agathstein gemacht / mit einer etwas duncklen schrifft / so die Natur selbsten darinn formirt, J E H O V A H. Item ein Einhorn / so 12. oder 13. Spannen lang ist; deren beyde letzte Stuck / weilen sie ihres gleichen in solcher Form / schöne / Eygenschafft / und Grösse / in der gantzen Welt nicht haben sollen / nicht können geschätzet werden.“ Ebenda, S. 45. 727 Ebenda.

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schuß“ sowie eine Steinsäule mit religiöser Bedeutung als Sehenswürdigkeiten lediglich aufgelistet.728 Zeiller kommt auch kurz auf Friedhöfe, Gärten und Lusthäuser extra muros zu sprechen. Es sind aber nicht die Arrangements oder höfische Praktiken des Kaiserhofes, die hier geschildert werden. Als einziges explizit gewürdigtes Beispiel beschreibt Zeiller den Kielmännischen Garten vor dem Stubentor, „als welcher mit schönen Außtheilungen / Gallerien / Bundwerck / stattlichen Lusthäusern / Fontainen / Zimmern / und Gemälden / auff Italianische Art erbawet / und gezieret / zu sehen wol würdig ist.“729 Derselbe Garten wird auch in einem beigegebenen Stich grafisch inszeniert, der eine Widmungskartusche Matthäus Merians d. Ä. an den Besitzer, Johann Heinrich Ulrich von und zu Kielmannsegg (um 1625-1682), enthält.730 Führt man sich als Kontrast noch einmal das Beispiel der Residenzstadt München vor Augen, wo die Beschreibung von Residenz und Hofgarten dem Bild der Stadt in der Merian-Topografie klar fürstliches Gepräge verleihen, müssen Text- und Bildregie der Wien-Topografie irritieren. Das Bildprogramm der 1672 ohne begleitenden Textteil von dem österreichischen Geistlichen und Topografen Georg Matthäus Vischer vorgelegten Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae liefert dazu einen grafischen Gegenentwurf. Hier wird der Schauplatz Wien nicht nur zum Gegenstand von vier Gesamtansichten der Stadt aus vier Himmelsrichtungen (in Auswahl: Abbildungen 52 und 53). Detailansichten sind der kaiserlichen Hofburg731 (in Auswahl: Abbildung 54) und dem kaiserlichen Lusthaus und Garten Favoriten732 gewidmet (Abbildung 55). Ignaz Reiffenstuells Vienna gloriosa liest sich wie die textuelle Ergänzung zu Vischer, wenn seine Schilderung der „horti et loca recreationi assignata“ mit dem kaiserlichen Garten Favoriten beginnt, bevor eine lange Litanei von Parks unterschiedlicher Besitzer abgehandelt wird.733

728 Ebenda, S. 46. 729 Ebenda. 730 Vgl. Wüthrich 1996, S. 268, lfd. Nr. 47. Aus der Widmung Matthaeus Merians d. Ä. an Heinrich Ulrich von Kiellmannsegg kann der Einschätzung Lucas Heinrich Wüthrichs zufolge nicht zwingend auf die Autorschaft Merians am Stich geschlossen werden. Wüthrich 1649, S. 11. 731 GEORG MATTHÄUS VISCHER: Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae sev. Controfee und Beschreibung aller Stätt, Clöster und Schlösser wie sie anietzo stehen in dem Ertzhertzogtumb unter Osterreich […]. Wien 1672 [ND Graz 1976], S. 5–6. 732 Ebenda, S. 7. 733 Vgl. Reiffenstuell 1703, 106–110.

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Abbildung 52: Georg Matthäus Vischer, Prospectus Orientalis Vienna Metropolis Austria, Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae, 1672

Ebenfalls kurz und in enger Anlehnung an Wolfgang Lazius beschreibt Zeiller die unterschiedlichen Obrigkeiten, Gerichtsbarkeiten und das Ratsregiment der Stadt.734 Es folgt ein Abriss historischer „Denkwürdigkeiten“, unter denen die zwei Belagerungen Wiens durch Matthias Corvinus 1485 und durch das osmanische Heer 1529 ebenso dokumentiert werden wie das schwere Erdbeben vom 16. September 1590, das die Schottenkirche zerstörte und den Stephansdom stark beschädigte.735 Weitere kriegerische Ereignisse und der Ausbau der Bastionen in Zeiten des schwedischen Vordringens im Dreißigjährigen Krieg sowie eine – abermals auf Lazius gestützte – kommentarlose Aufzählung großer Stadtbrände in Wien (1258, 1262, 1276, 1318, 1500, 1525, 1535 und 1626) reihen sich unter die Denkwürdigkeiten. Von Zeillers und Merians Wien-Porträt bleibt ein ambivalenter Eindruck. Die Frage, in welcher Weise die Stadt Wien hier als sozionaturaler Schauplatz topografisch repräsentiert wird, kann zunächst mit dem Hinweis auf eine frühzeitige Thematisierung der hydrografischen Besonderheit der Wiener Situation beantwortet werden. In der Gesamtheit der bildlich wie textuell transportierten topografischen Informationen bleibt das Bild der Stadt freilich gerade in ihrer Materialität – sieht man einmal von der Stadtbefestigung ab – unscharf. Und selbst hinsichtlich dieser sticht eine ikonografische Leerstelle ins Auge: Trotz der zeitlichen Nähe des Werks zum Dreißigjährigen Krieg und anders als etwa für Ulm, Augsburg, München und Regensburg wird keine Vogelschau geboten, die die Struktur der Festungsanlagen

734 Merian der Ältere et al. 1649, S. 46–47. 735 Ebenda, S. 47–48. Das Erdbeben ereignete sich in der Nacht von Samstag, 15. September, auf Sonntag, 16. September 1590. Zeillers Datierung auf den Montag, 7. September (Alter Stil) weicht davon selbst eingedenk der Anwendung des Alten Stils ab. Vgl. Strömmer 2003, S. 98.

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konkretisiert. Dies mag im mangelnden Zugriff auf entsprechende lokale Planzeichnungen begründet sein. Abbildung 53: Georg Matthäus Vischer, Prospectus Meridionalis, Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae, 1672

Auch bleibt der Leserin und dem Leser von Merians Topographia Provinciarum Austriacarum unklar, wovon Wien lebt. An welchen Materialströmen hat die Stadt Anteil? Welche Infrastrukturen hat sie z. B. in der Wasserversorgung geschaffen? Nicht zuletzt ist für die kaiserliche Residenzstadt – vor allem im Vergleich zur Schilderung Münchens – das weitgehende Fehlen des Hofes als Akteur auffällig. Er tritt hier weder als entscheidender Träger gesellschaftlicher Praktiken, noch als verantwortlich für die Ausgestaltung zentraler urbaner Arrangements in Erscheinung. Herrschaftliche Gartenkultur, wie sie die Stiche der Wien-Topografie repräsentieren, ist adelig, nicht kaiserlich. Abbildung 54: Georg Matthäus Vischer, Der Kaiserliche Burg Platz in Wienn, Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae, 1672

Angesichts dieses Befundes stellt sich nun die Frage, ob und in welcher Weise derlei blinde Flecken in Merians und Zeillers Repräsentation des Schauplatzes Wien durch die Topografien Lazius’, Reiffenstuells und de Lucas beleuchtet werden. Wo

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unterscheiden sich die thematischen Gewichtungen von deren Darstellungen? Prägend für Lazius’ Vienna Austriae ist seine stupende Dokumentation der politischen Organisation des Gemeinwesens. Er beschreibt Institutionen in ihrer historischen Entwicklung, dokumentiert die ansässigen Geschlechter und listet historische und gegenwärtige Amtsträger (Bischöfe, österreichische Markgrafen und Herzöge in ihrer Geschlechterabfolge, Wiener Bürgermeister und Ratsobrigkeit)736 auf. Auch die Professoren der Universität werden namentlich erfasst.737 Das systematisierende Interesse Lazius’, das er mittels Auflistung umzusetzen versucht, erstreckt sich auch auf kirchliche Institutionen,738 „ansehenliche“ weltliche Gebäude,739 die schon angesprochenen Herbergen und Wirtshäuser,740 Bäder und Sehenswürdigkeiten,741 Straßen und Plätze.742 Abbildung 55: Georg Matthäus Vischer, Die Kaiserliche Favorita bei Wienn, Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae, 1672

Nebenbei sei bemerkt, dass diese Form der aufzählend katalogisierenden Stofforganisation nicht nur Lazius’ Topografie auszeichnet, sondern auch die Werke Reiffenstuells und – noch stärker – de Lucas. Reiffenstuell legt etwa eine alphabetisch nach den Namen der Inhaberfamilien geordnete Liste der Herrenhäuser vor.743 Bei de Luca ziehen sich Aufstellungen, Namenslisten und tabellarische Synopsen durch die ganze Darstellung, was etwa bei der hausnummernweise sortierten Einteilung der Stadt und der Vorstädte in Viertel, Obrigkeiten und Pfarreien genauso zum 736 Vgl. Lazius et al. 1619, 135–144, 196–273, 291–331. 737 Vgl. ebenda, 273. 738 Vgl. ebenda, 280–284. 739 Vgl. ebenda, 284–285. 740 Vgl. ebenda, 285. 741 Vgl. ebenda, 285–286. 742 Vgl. ebenda, 278–279. 743 Vgl. Reiffenstuell 1703, 47–53.

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Tragen kommt744 wie bei der Dokumentation von Hofämtern und Regierung745 oder der Vorstellung der Wiener Maße, Gewichte, Münzen und Wechselkurse. 746 Krieg als Motor der Stadtentwicklung wird bei Lazius greifbar, wenn er die 1529 wegen der Türkenbelagerung abgebrochenen Vorstadtstraßenzüge, Klöster etc. aufzählt747 und wenn er von „denen Schäden unnd Gefährligkaiten / welche der Stadt Wienn entweder durch Krieg oder durch die Brunst widerfahren seyndt“, berichtet, wobei auch Angaben zu den Basteien und dem hierfür erforderlichen Bauaufwand gemacht werden.748 Reiffenstuell weist auch die Donauflotte und die Donauanbindung des Arsenals als Teil der guten militärischen Rüstung der Stadt aus.749 Zur Hydrografie des Schauplatzes erfährt man bei Lazius über die Lage der Donauinseln zur Stadt: Die Donau sei „mit einer Dryfachen Brucken zusammen gefüget […] / darüber die / so in Mähren / in Böhaim / in Brandenburg / Meissen / Sachsen / und Poln ziehen wöllen / gehen müssen.“ Dazwischen liege „ein Dryfache Insell / deren die erst (alda nach meiner Muthmassung / vor Zeiten deß heiligen Severini Closter gewesen.) Von deren Schottländer stäten Walfartten / so sie vor Zeiten inn das heilige Landt gethan / Schottenau: Die ander (wie ich darfür halte) die Inwohner von der Mänge der Wölffe / den Wolff nennen / so vor Zeiten wegen der Mörder und Räuber / ein sehr unsicherer Orth gewesen.)“750

Ähnlich wie die frühe Ikonografie in Schedels Weltchronik begegnet hier die Flusslandschaft noch als wenig erschlossene, tendenziell gefährliche außerurbane Gegenwelt. Umfangreicher als in allen anderen hier untersuchten Schriften fällt die hydrografische Bestandsaufnahme de Lucas aus. Er stellt die Donau, die Wien, den Ottakringer Bach und das Brunnenwasser in ihren jeweiligen Verläufen und ihrer je spezifischen Funktion für die Stadt dar.751 De Luca weist auf die Bedeutung der Donau für die Schifffahrt Wiens hin, wobei er nicht auf Probleme der Verlandung oder der Instabilität von Schifffahrtskanälen eingeht. Vielmehr gibt er zu Protokoll, dass die Donau im Wiener Gebiet keine einzige der Schifffahrt gefährliche Stelle

744 Vgl. Luca 1794, S. 65–99. 745 Vgl. ebenda, S. 99–109. 746 Vgl. ebenda, S. 206–222. 747 Vgl. Lazius et al. 1619, 272–280. 748 Vgl. ebenda, 287–290. 749 Vgl. Reiffenstuell 1703, 20–21. 750 Lazius et al. 1619, 276–277. 751 Vgl. Luca 1794, S. 8–11.

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aufweise.752 Dagegen kommt er auf die ausgeprägte fluviale Dynamik von Wien und Ottakringer Bach zu sprechen und stellt für beide fest, sie hätten wiederholt durch die Überflutung von besiedeltem Gebiet große Schäden („schaudervolle Verwüstungen“753) angerichtet. In seinem Portrait des Wien-Flusses verbindet de Luca – darin sehr ähnlich der Isar-Beschreibung in Hazzis Topografie von München – eine detaillierte topografische Bestandsaufnahme mit einem Vorschlag zur Optimierung des sozionaturalen Schauplatzes. Von Extremereignissen abgesehen, die die Wien zu einem reißenden und zerstörerischen Gewässer machten, halte das Flussbett schon seit 741 Jahren wenig Wasser, weil ihm die Zuflüsse im Oberlauf gesperrt worden seien.754 Dagegen regt de Luca an, die Wien „zu einem ordentlichen Fluß“ auszubauen.755 Dies sei zu überschaubaren Kosten zu bewerkstelligen und würde zum einen die Anrainerorte mit gesunder Luft versorgen, zum anderen könnte der Fluss zumindest flößbar gemacht werden. Davon erhofft sich de Luca die Möglichkeit, Holz, Getreide, Obst und anderes mehr „aus verschiedenen Gegenden des Wienerwaldes“ nach Wien zu bringen und damit die „Wohlfeilheit“ zu fördern.756 Ein Vergleich der Lagebeschreibung Wiens in der barock-panegyrischen Vienna gloriosa Reiffenstuells mit der in der statistischen Topographie von Wien de Lucas lässt zwar bereits bei Reiffenstuell eine vergleichsweise detaillierte Topografie erkennen.757 Der Schauplatz wird unter Angabe geografischer Koordinaten in seinen naturräumlichen Rahmenbedingungen, hinsichtlich von Klima und Bodenfruchtbarkeit vorgestellt. De Lucas Topografie unterscheidet sich davon aber in zwei Punkten. Es kommt zu einer Systematisierung der Darstellung und zu einem Verzicht auf stereotype Idealisierung der Umstände. Abgesehen von einer bereits einleitend gebotenen detaillierten Dokumentation vorliegender Grundrisse, topografischer Karten und Ansichten Wiens758 und einer Liste relevanten topografischen

752 Ebenda, S. 196–197. An dieser Stelle erfolgt eine kurze Skizze des Warentransports auf der Donau. De Luca listet die Wiener Schiffsmeister unter Nennung von Namen und Adressen auf und gibt an, dass diese sowohl bis Ungarn (Semlin), als auch stromaufwärts bis Linz, Passau und Ulm fahren. Eine namentliche und mit Adressen versehene Aufzählung erfolgt auch für die Briefträger für Frachtbriefe aus unterschiedlichen Destinationen. Wöchentliche Schifffahrtsverbindungen bestanden de Luca zufolge unter anderem mit Linz, Regensburg, Ulm und Lauingen. 753 Ebenda, S. 9–10. 754 Ebenda, S. 9. 755 Ebenda. 756 Ebenda. 757 Vgl. Reiffenstuell 1703, 16–17. 758 Luca 1794, S. XVII–XX.

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Schrifttums759 besteht die Systematisierung bei de Luca in der Einteilung in die thematischen Abschnitte „Lage und Umfang“,760 „Grenzen“,761 „Klima“,762 „Boden“,763 „Flüsse“764 und „Naturprodukte“.765 Im Zuge der Darstellung wird nun eine Beschreibung angeboten, die erkennbar weniger an der unkritischen Inszenierung vermeintlicher Idealzustände als an statistisch fassbaren Daten und naturwissenschaftlich erklärlichen Wirkungszusammenhängen interessiert ist. So unternimmt der Abschnitt zum Klima eine detaillierte Herleitung der klimatischen Verhältnisse (Regenhäufigkeit, Nebelneigung und „Erddämpfe“) aus Geomorphologie, Hydrografie und Bewuchs. Unter anderem wird der Nordwind für den Eintrag von Staub verantwortlich gemacht. In mancher Hinsicht erinnert de Lucas Klimatologie an den lokalen zeitgenössischen Kontext, etwa an den Versuch des Wiener Hofmathematikers Josef Anton Nagel, das Erdbeben vom 27. Februar 1768 durch den Überdruck von gärender Materie und Wasserdünsten in unterirdischen Gängen zu erklären.766 Auch das „Jahr des trockenen Nebels“ im Gefolge eines isländischen Vulkanausbruchs 1768 könnte zur Erfahrungsgrundlage de Lucas gehören.767 Insgesamt attestiert de Luca der Stadt wie Reiffenstuell ein gemäßigtes Klima und eine ausweislich der Sterblichkeitszahlen nicht ungesunde Lage.768 De Luca beklagt aber eine extrem hohe Kindersterblichkeit und kritisiert Faktoren, die die Sterblichkeit erhöhen.769 Er empfiehlt den Menschen eine „frugalere“ Lebensweise. Die in Mode stehenden Kutschenfahrten im Prater sind ihm angesichts der dort häufigen „Erddämpfe“ ein Grauen. Der Abschnitt wird von einer Aufstellung gesunder Wohnlagen in der Stadt abgeschlossen.770 Der Abschnitt zum „Boden“ identifiziert einen kalk-kiesigen Untergrund, der auch für die starke Staubentwicklung verant759 Ebenda, S. XX–XXIV. Merians Topographia Provinciarum Austriacarum wird hier nicht erwähnt. 760 Ebenda, S. 2–4. Hier ist neben den geografischen Koordinaten eine tabellarische Aufstellung von Entfernungsangaben zur Adria, zur Nordsee und zu 24 europäischen Städten enthalten. 761 Ebenda, S. 4–5. 762 Ebenda, S. 5–6. 763 Ebenda, S. 6–8. 764 Ebenda, S. 8–11. 765 Ebenda, S. 11–12. 766 Vgl. Strömmer 2003, S. 102–103; zum zeitgenössischen Erdbebendiskurs vgl. auch MONIKA GISLER: Göttliche Natur? Formationen im Erdbebendiskurs der Schweiz des 18. Jahrhunderts. Zürich 2007. 767 Vgl. Strömmer 2003, S. 104. 768 Luca 1794, S. 5. 769 Ebenda, S. 6. 770 Ebenda.

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wortlich gemacht wird. De Luca identifiziert verschiedene Landnutzungsarten (Bauten, Gartenbau, Ackerbau, Grasland) und lokalisiert diese.771 Wenngleich de Luca die von ihm sogenannten Naturprodukte als „von geringem Belange“ einschätzt, hat er doch den Anspruch umfassender Dokumentation und folgt einem quantifizierenden Vorgehen. So beziffert er die Zahl der Gärtner und Zahl der Pferde in der Stadt; Letztere veranschlagt er auf 10.000.772 Er gibt an, dass Pferdezucht in der Stadt nicht praktiziert werde. Gleichzeitig differenziert er die je nach Einsatzgebiet unterschiedlichen verwendeten Rassen. De Luca berichtet – wie bereits erwähnt – vom Ende des Weinbaus und von der Schaf- und Schweinehaltung durch Metzger. Er notiert ferner das häufige Vorkommen von Salpeter. Der Reichtum an Lehm ermögliche die Arbeit einer Vielzahl von Ziegelbrennereien. Es gebe Geflügelzucht „etwas vom Belang“. Für den Prater erwähnt er das häufige Vorkommen von Rot- und Schwarzwild.773 Wie sehr in de Lucas Topographie von Wien das ambitioniert statistische Interesse des Autors diesen in die Lage versetzt, den sozionaturalen Schauplatz Stadt in seiner vollen Komplexität, als Gefüge von materiellen und immateriellen Aspekten, aus Praktiken und Arrangements zu beschreiben, zeigt sich an anderer Stelle besonders eindringlich. De Luca thematisiert in einer Reihe mit verschiedenen religiösen Institutionen und geistlichen Bauwerken Wiens die Dreieinigkeitssäule am Graben.774 Der Bau dieses Monuments ging, wie wir aus der Erläuterung der Vorgeschichte erfahren, auf ein Gelübde Kaiser Leopolds angesichts der grassierenden Pest im Jahre 1679 zurück.775 De Luca erklärt nicht nur das allegorische Figurenprogramm der Säule, sondern weist – ganz im Stil eines engagierten Reiseführers – auf Elemente des Kunstwerks hin, die, obgleich besonders sehenswürdig, von vielen Reisenden übersehen würden.776 Doch mit dieser ästhetischen Würdigung ist die Thematisierung der Dreieinigkeitssäule nicht abgeschlossen. Der Bauprozess wird abgehandelt, beteiligte Künstler und die administrativ Verantwortlichen werden benannt. Was die Materialität des Bauwerks betrifft, erfährt man nicht nur Art und Herkunft des Steins (Marmor aus dem Untersberg bei Salzburg). In offensichtlichem Zugriff auf administrative Quellen legt de Luca eine detaillierte Aufstellung der Gesamtkosten des Projekts vor und identifiziert damit verwendete Materialien, Transportwege und alle Arbeitsschritte im Gesamtprozess.777 771 Ebenda, S. 6–8. 772 Ebenda, S. 11. 773 Ebenda, S. 12. 774 Vgl. ebenda, S. 531–534. 775 Ebenda, S. 531–532. 776 Ebenda, S. 532. 777 De Lucas Zusammenstellung zufolge lagen folgende Ausgabeposten vor: Weißer Marmor vom Untersberg bei Salzburg: 5354 fl. 46 x., Steinbrecher- und Bildhauerlohn für

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Es mag in diesem ambitionierten Anspruch begründet liegen, dass nur ein Band der Topographie von Wien erschien. Kauffmann spricht von einem Scheitern der statistischen Topografie angesichts der Dynamik der Stadtentwicklung. De Luca kündigte als Konsequenz die alternative Publikationsform eines Lexikons an.778 Auch geografisch-statistische Zeitschriften gelten Kauffmann als Antwort auf das Scheitern der statistischen Topografie.779 Johann Pezzl (1756-1823), der mit seiner Skizze von Wien (1786-1790) ein Städtetableau im Stil von Louis Sébastien Merciers Tableau de Paris und damit eine weitere gattungsmäßige Alternative vorlegte, übte an de Lucas Wien-Topografie harsche Kritik: Dessen Beschreibung von Wien sei „eigentlich nur ein topografisches Gerippe, das wohl dienen kann, den Zustand der Gewerbe und Handwerke einigermaßen zu übersehen, und die Einfuhrs-Taxen auf der Mauth nachzuschlagen; das aber von der Moralität, Lebensart und geistigen Situation der Bewohner wenig sagt.“780 Abgesehen davon, dass hier wohl opportunistische Polemik Pezzls im Interesse des eigenen publizistischen Erfolgs Spiel ist, bleibt der ökonomisch-statistischen Perspektive de Lucas doch rückblickend zu attestieren, dass ihr methodisch-thematisches Profil eine sehr detaillierte Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes Stadt leistete. Inwieweit gerade diese ökonomisch-statistische Perspektive zu einer differenzierten Wahrnehmung von Materialität führte, zeigt ein Vergleich mit der Dokumentation von Produkt- und Materialströmen in Lazius’ Vienna Austriae und de Lucas Topographie von Wien. Lazius beschreibt die Warenströme, in die Wien eingeschaltet war, wie folgt: „Es werden aber auß Teutsch-Landt auff der Tonaw gen Wienn / und von dannen weiter in Ungern bracht / Eysine Waar / Traid / Hüet und Klaider / auß Ungern und Servien führen sie widerumb auff Wienn / Viech und Oschenhäut [sic!]. auß Wälschlandt werden auff Wienn gedie Gitter, die die Säule umgeben: 2339 fl., Schifferlohn für den Transport des Marmors nach Wien: 2424 fl. 50 x., Lastträgerlohn für den Transport der Steine vom Schiff zum Wagen: 1640 fl. 48 x., Wiener Steinmetzlohn für das Fußgestell: 1815 fl. 40 x., Lohn des Bildhauers Strudl: 16.818 fl. 27 x., Lohn des Bildhauers Fruhwirth und seines Gehilfen: 4250 fl., Lohn des Bildhauers Fischer: 1057 fl.; Lohn für den Steinschneider Rad für das Dreieinigkeitsbildnis inklusive Vergoldung: 20.500 fl., Lohn des Goldschmieds Bauhoff: 663 fl. 32 x., Lohn des Goldschmieds Muhrbeck für Casoll und Kupfertafeln: 6550 fl., Malerlohn: 40 fl., Laterne: 130 fl., Holzgerüst: 525 fl. 54 x., Blei und Eisen: 344 fl. 56 x., Kunstgießerlohn: 70 fl., Hebezeug: 200 fl., Hofschreinerlohn: 10 fl. 36 x., Sägemeisterlohn: 350 fl., Seilerlohn: 122 fl., Laternenmacher 4 fl. 30 x., Maurermeisterlohn: 40 fl., Diverses: 1373 fl. 59 x.; Gesamtsumme: 66.645 fl. 59 x. 31 ½ dr. 778 Kauffmann 1994, S. 93–94. 779 Ebenda, S. 94–95. 780 Zit. nach Ebenda, S. 95.

324 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT bracht köstliche Wein / Samet und Seiden / Früchte so jenseyt dem Meer wachsen / allerley Simplicia, und andere Wollust deß Lebens mehr. Die Polacken unnd Böhaimb führen die Wein von Wienn hinweg / hergegen aber schicken sie Häring und sonsten allerley Fisch unnd Fleisch / Tuech unnd Bier. Die Wällschen bringen auch von unserer Stadt Wienn hinweg Augstain / Türckisch Waitzen oder Frücht / Gold / Silber / unnd allerley Bäch / […]“781

Bezüglich der Positionierung Wiens bzw. der Wiener Region innerhalb der Handelsrouten des Bernsteins („Augstain“) beruft sich Lazius auf Plinius782 und damit auf eine alles andere als zeitgenössische Quelle – ein Vorgehen, das von Vertretern der für die Entwicklung der frühneuzeitlichen Geografie maßgeblichen Germania Illustrata-Bewegung äußerst kritisch gesehen wurde.783 Insgesamt dokumentiert Lazius hauptsächlich überregional gehandelte Waren und damit nur einen kleinen Ausschnitt von den in der Stadt umgesetzten und / oder konsumierten Gütern. Entsprechend ist die Aussagekraft dieser Angaben hinsichtlich der Stoff- und Materialströme Wiens und der Stadt-Hinterland-Beziehungen begrenzt. Ein anderes Bild bietet sich bei de Luca. In Rahmen seiner umfassenden Gewerbestatistik der Stadt lässt er drei Aufstellungen einander folgen. Die erste, umfangreichste Aufstellung bietet eine Übersicht über nach Wien eingeführte Waren (Rohstoffe und Gewerbeprodukte) sowie deren Herkunftsländer.784 Eine zweite 781 Lazius et al. 1619, 169–170. 782 Ebenda. 783 Zur Kritik Konrad Celtis’ an unreflektierten Übernahme des Deutschlandbildes antiker Schriftsteller durch deutsche Gelehrte vgl. McLean 2007, S. 89–90. 784 Luca 1794, S. 191–193. Die Aufstellung weist folgende Waren und Herkunftsregionen nach: Alaun, Böhmen, Österreich ob der Enns, Steyermark; Bänder, leinene, Böhmen, Österreich ob der Enns; Bauholz, Österreich ob der Enns; Brennholz, Bayern, Österreich ob der Enns; Berggrün, Ungarn; „Bertholdsgadner Waare“, Österreich ob der Enns; Blei, Kärnten; Roheisen, Steyermark; Eisenwaren (Nägel, Messer, Fischangeln, Maultrommeln, Gabeln etc.), Österreich ob der Enns; „Erdgeschirr“, Österreich ob der Enns, Mähren; Fayance, Triest; Farbe, Böhmen, Ungarn; zahmes Federvieh, Ungarn; wildes Federvieh, Böhmen, Ungarn; Feuerstein, Steiermark, Tirol; Fisch, Ungarn; Fischbein, Böhmen; Flachs, Böhmen, Mähren; Südfrüchte (Zitronen, Pomeranzen etc.), Lombardei, Tirol, Triest etc.; Geigen und andere Instrumente, Böhmen; Gesundheitswässer, Böhmen; Getreide, Ungarn; Granaten, Böhmen, Vorlande; Lederhandschuhe, Tirol; Heu, Ungarn; Holzwaren, Österreich ob der Enns; Honig, Böhmen, Ungarn; Hopfen, Böhmen, Mähren, Ungarn; Kälber, Österreich ob der Enns, Ungarn; Kapaunen, Steiermark; Karten, Österreich ob der Enns; Kattun, Böhmen, Mähren, Ungarn; Knopper, Böhmen, Mähren, Ungarn; Kupfer, Tirol, Ungarn; Lämmer, Ungarn; Leinwand, Böhmen, Österreich ob der Enns, Mähren, Niederlande, Schlesien, Ungarn; Liköre, Triest, Ungarn; Majolika, Österreich ob der Enns, Ungarn; Meersalz, Triest; Menschenhaar, Niederlande;

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Übersicht weist Lieferungen des Erzherzogtums unter der Enns, also des nähren Einzugsgebiets, nach Wien aus.785 Die dritte und kürzeste Liste erfasst Ausfuhren aus Wien.786 Natürlich handelt es sich auch bei diesen Listen nicht um verlässliche und die tatsächlichen Materialströme voll erfassende Statistiken. Auch fehlen hier Handelsvolumina, die für eine Bewertung materieller Austauschbeziehungen nötig wären. Hier muss in Betracht gezogen werden, welchen rhetorischen Zweck die Listen für de Luca erfüllen. Er nimmt sie zum Anlass für seine Kritik an der passiven Handelsbilanz Wiens und beklagt einen Geldabfluss für den Wareneinkauf alleine nach Ungarn in Höhe von acht Millionen Gulden.787 Und doch eignen sich diese Listen wesentlich mehr als Lazius’ schmaler, einem topischen Schema folgender Katalog zumindest als Ansatzpunkte für die Identifizierung von Materialströmen und die Analyse von Stadt-Hinterland-Beziehungen. Damit belegen auch sie das Potenzial der ökonomisch-statistischen Perspektive de Lucas, eine umfassende Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes Wien anzuleiten. Will man das topografische Bild des Schauplatzes Wien resümieren, das die unterschiedlichen hier diskutierten Werke vermitteln, so begegnet uns in Lazius’ Vienna Austriae eine zuvorderst an der politischen Organisation und gesellschaftlichen Ordnung des Schauplatzes interessierte Beschreibung. Reiffenstuells Vienna gloriosa qualifiziert den Schauplatz Wien aus einer panegyrischen Intention heraus Messingwaren, Tirol; Mühlsteine, Österreich ob der Enns; Musselin, Böhmen, Österreich ob der Enns; Ochsen, Ungarn, Steiermark; Papier, Böhmen, Österreich ob der Enns; Pferde, Böhmen, Mähren, Steiermark, Ungarn; Porzellanerde, Böhmen, Steiermark; Quecksilber, Krain; Salz, Österreich ob der Enns; Schießpulver, Österreich ob der Enns, Steiermark; Schildkröten, Ungarn; Schmalz, Böhmen und Mähren; Schweine, Mähren und Ungarn; Seide, Lombardei, Tirol; Steinkohlen, Steiermark; Teppich, Böhmen, Tirol; Tabak, Ungarn; „Töpfgeschirr“, Österreich ob der Enns, Mähren; Tuch, Böhmen, Kärnten, Mähren, Niederlande; Wachs, Böhmen, Mähren, Ungarn; Wachsleinwand, Böhmen; Wein, Tirol, Ungarn; Wild, Böhmen, Ungarn; Wollzeug, Böhmen, Österreich ob der Enns, Mähren; Zinn, Böhmen; Zwirn, Böhmen, Österreich ob der Enns, Niederlande, Schlesien. 785 Ebenda, S. 193. Diese Liste ist in „Naturprodukte“ und „Kunstprodukte“ differenziert. „Naturprodukte“: Alaun, Brennholz, Butter, Eier, Federvieh, Getreide, Hafer, Honig, Kälber, Kohl, Kohlen, Lämmer, Obst, Pferde, Safran, Schmalz, Senf, Steinkohlen, Wein; „Kunstprodukte“: Bänder, leinene, Bleiweiß, Eisenkochgeschirr, Eisenwaren, Draht, Feilen, Fischbein, Kattun, Majolika, Messingwaren, Papier, Spiegel, Tabak, Töpfergeschirr, Tuch. 786 Ebenda. Hier aufgeführt: Bücher, chirurgische, Instrumente, Dosen, Galanteriewaren, Handschuhe, Hüte, Musikalien, Musikinstrumente, Schwertfegerwaren, Seidenwaren, Stickerei. 787 Ebenda, S. 194.

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idealisierend und superlativisch stilisierend. Die Betonung des Bevölkerungsreichtums der Stadt ergänzt hier die Beschreibung baulicher Pracht zur Unterstreichung der Urbanität der Metropole. Ignaz de Lucas Topographie von Wien bietet in ihrer statistisch ambitionierten Perspektive die umfassendste Repräsentation von urbanen Praktiken und Arrangements. Sie zeigt in der rhetorischen Anbindung von Entwicklungs- und Reformvorschlägen an die historisch informierte Beschreibung des IstZustandes eine mit dem ebenfalls untersuchten Beispiel der München-Beschreibung Joseph von Hazzis vergleichbare aufklärerische Fortschrittsorientierung. Sie begegnet dem Schauplatz aber mit weniger Fortschrittsoptimismus als Hazzi. Im Übrigen bleibt de Lucas Topografie Fragment und scheitert damit an ihrem enzyklopädischen Anspruch. Sonderfall Wien: Konfessionelle Distanz in der Merian-Topografie Bei den Werken Lazius’, Reiffenstuells und de Lucas handelt es sich um monografische Topografien aus der Feder in Wien ansässiger Autoren. Doch nicht nur gemessen an diesen Beschreibungen ist das Bild von Wien in Merians und Zeillers Artikel der Topographia Provinciarum Austriacarum von begrenzter Aussagekraft. Schon der im Verhältnis zur Bedeutung der Stadt und zur Würdigung von Metropolen in den anderen Merian-Bänden knappe Textumfang erfordert Erklärungen, die über Lucas Heinrich Wüthrichs Argument, Zeiller habe sich wegen des Gesamtumfangs des Österreich-Bandes Zurückhaltung auferlegen müssen,788 hinausgehen. Auch inhaltlich ist zu erklären, warum der topografische Gegenstand Wien als sozionaturaler Schauplatz mit spezifischen geo- und hydrografischen, politischhistorischen, sozialen und architektonischen Merkmalen nur in Konturen erkennbar wird. Alles vordergründige Bemühen um topografische Vollständigkeit, alles formale Festhalten an dem überall in der Topographia Germaniae angewandten Schema können eine gewisse Distanz zum Gegenstand nicht überdecken. Sollte es die räumliche Distanz zu dem aus der Perspektive des Frankfurter Verlegers und des Ulmer Autoren peripheren Wien sein, die für die Lückenhaftigkeit des Porträts haftbar zu machen ist? Zeiller bringt an einer Stelle genau diese Distanz argumentativ ins Spiel, wenn er zu dem schon zitierten Ratsbegehren aus dem Jahre 1619 bezüglich der ungünstigen Entwicklung der sozialen Schichtung angibt: „Wie es aber der Zeit hiemit bewandt / davon können wir / als zimblich weit abwesend / nichts berichten.“789 Doch erscheint dies als Erklärung nicht ausreichend. Zeiller selbst weist abschließend die komfortable Literaturbasis seines Artikels aus.790 Ein möglicher Ansatzpunkt liegt in der konfessionell begründeten Distanz 788 Wüthrich 1649, S. 8. 789 Merian der Ältere et al. 1649, S. 46. 790 Ebenda, S. 48.

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des protestantischen Verlegers und des ebenfalls protestantischen, aus Österreich exilierten Autors zum kaiserlichen Wien. Wenn unter den historischen „Denkwürdigkeiten“ der plötzliche Bruch des Schwengels der großen Glocke im Stephansdom, der unvermittelte Absturz und Tod eines Adlers am kaiserlichen Hof und die Mehrlingsgeburt einer Ungarin in der Stadt kolportiert werden,791 ließe sich dies als entsprechender Hinweis werten. Alle drei Ereignisse sind für prodigiöse Ausdeutungen offen, wie sie sich gerade bezüglich des kaiserlichen Wien – zumindest als Anspielungen – auch in Merians Theatrum Europaeum finden.792 Abbildung 56: Matthäus Merian d. Ä., Vienna Avstriae (Details), Topographia Provinciarum Austriacarum, 1679

Doch trägt die Argumentation mit der konfessionellen Problematik angesichts des marktorientierten und darin nachweislich sehr erfolgreichen Agierens des Verlegers Merian, der sowohl für ein protestantisches als auch ein katholisches Publikum produzierte? Waren nicht Merians wie Zeillers Schaffen durch irenischen Pragmatismus geprägt?793 Auch die detaillierte Beschreibung Münchens als Residenz der katholischen bayerischen Herzöge in der Topographia Bavariae scheint die Bedeutung des Konfessionellen für die Merian-Topografie Wiens zu relativieren. Dem Österreich-Band, in dem sich der hier diskutierte Wien-Text befindet, steht – man möchte sagen: notwendigerweise – eine Widmung an Kaiser Ferdinand III. (1608/1637 Ks.-1657) voran, die noch von Matthäus Merian d. Ä. selbst unter dem Datum 1. Januar 1649 signiert ist.794 Diese Widmung lässt allerdings dadurch aufhorchen, dass dem Kaiser zwar Dank für das erteilte Druckprivileg ausgesprochen

791 Ebenda. 792 Vgl. Abelinus 1635, S. 505. 793 Vgl. Knoll 2011, S. 353–357. 794 Vgl. Merian der Ältere et al. 1649, S. 3–6. Der ältere Merian verstarb 1650.

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wird, sich das Herrscherlob aber nicht direkt auf den Angesprochenen bezieht, sondern auf dessen Urgroßvater. Ferdinand I. (1503/1558 Ks.-1564) wird für die Herbeiführung des Religionsfriedens von 1555 gerühmt. Ferdinand III. gegenüber wird respektvoll, aber dezidiert die Hoffnung ausgedrückt, er möge sich in der Umsetzung des Westfälischen Friedens in ähnlicher Weise als Friedensbringer profilieren.795 Der Schlüssel für die Erklärung des thematischen Zuschnitts der topografischen Repräsentation Wiens in der Topographia Provinciarum Austriacarum liegt im Bildprogramm des Eintrags. In der von Merian übernommenen und leicht abgewandelten Hoefnagel-Vogelschau Wiens ist im hügeligen Bildhintergrund rechts die angedeutete Silhouette eines Orts zu erkennen (Abbildung 56). Die Legende weist diesen als Hernals aus. Eine der drei vordergründig wenig zum urbanen Schauplatz Wien passenden Grafiken des Artikels zeigt eine detaillierte Ansicht von Dorf und Schloss Hernals (Abbildung 57). Der Betrachter überblickt die Szenerie von einem Standpunkt aus, der – Wien im Rücken – nahe dem dunkel beschatteten Bildvordergrund liegt. Von hier eröffnet sich die Aussicht auf das von hellem Tageslicht unter wolkenlosem Himmel erleuchtete Bildzentrum, durch das der Alserbach in weitem Bogen auf den rechten Bildvordergrund zufließt. Das aus der Betrachterperspektive rechte Ufer ist von wenigen Häusern, vor allem aber von umfangreichen Weinbergen ausgefüllt. Eine Hügelkette und rechts der Kalenberg im Bildhintergrund rahmen die Szene. Am Ufer selbst geht ein einzelner Fischer seiner Tätigkeit nach. Mehrere Brücken queren den Bach. Das linke Ufer ist von einer baumbestandenen Uferzone gesäumt. Am linken Bildrand wird diese Uferzone parallel zum Flussverlauf von einem Zaun, Alleebäumen, den Gebäuden der Ortschaft Hernals und einer Straße abgeschlossen, die auf das Schloss zuläuft. Diese Straße ist von einer großen Anzahl von Staffagefiguren frequentiert, die sich auf das Schloss zubewegen. Einige wenige sind beritten oder in Kutschen unterwegs. Auch auf dem rechten Ufer streben Staffagefiguren dem Schloss entgegen. Die Personen sind durch ihre Kleidung als wohlhabend ausgewiesen. Behinderte Bettler im Bildvordergrund werden von ihnen mit Almosen bedacht – ein Signal für die moralische Integrität der Spender. Der Betrachter begegnet hier einem durch die sorgfältige Inszenierung einer Fülle von Praktiken und Arrangements konstituierten Schauplatz von spezifischer Rhetorik. Bestes Wetter und – auch dies wird durch die Kleidung der Staffagefiguren nahegelegt – eine sonntägliche Szenerie verleihen ihm harmonisch-ideale Züge. Diese kontrastieren lediglich zu der Schattenfinsternis des Bildvordergrundes und damit zur Herkunftsrichtung von Wanderern und Betrachter gleichermaßen. Überspitzt formuliert: Im Dunklen liegt Wien.

795 Ebenda, S. 6.

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Abbildung 57: Matthäus Merian d. Ä., Das Schlos Herrnals, Topographia Provinciarum Austriacarum, 1679

Die an diesem Schauplatz inszenierte Idealität ist eine konfessionelle. Matthäus Merians d. Ä. Grafik entstand um 1620.796 Sie zeigt die Praxis des „Auslauffens“ Wiener Bürger zur Teilnahme am protestantischen Gottesdienst in Hernals.797 In der Legende des Stichs ist neben der Kirche sogar der Saal des Schlosses gekennzeichnet, „darin man Bredigt“. Die Praxis des „Auslauffens“ war Teil eines erbittert geführten konfessionellen Ringens zwischen protestantischen Ständen und Landesherrschaft in den Habsburgischen Erblanden im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert.798 In Hernals war bereits in den späten 1570er Jahren ein protestantisches Kirchenwesen errichtet worden, das gegen kaiserlichen Widerstand auch aufrechterhal796 BENJAMIN J. KAPLAN: Fictions of Privacy. House Chapels and the Spatial Accomodation of Religious Dissent in Early Modern Europe, in: American Historical Review 107 (2002), S. 1031–1064, hier 1041. 797 Vgl. auch HANS KRAWARIK: Exul Austriacus. Konfessionelle Migrationen aus Österreich in der Frühen Neuzeit (AustriaGeschichte 4). Wien 2010, S. 59. 798 Das Folgende nach: SUSANNE C. PILS: Adel: Zuzug, Adeliges Haushalten, Sozialtopographie, in: PETER CSENDES/FERDINAND OPLL (HG.): Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert) (Wien. Geschichte einer Stadt 2). Wien [u.a.] 2003, S. 242– 255, hier 247–249; KARL VOCELKA: Kirchengeschichte, in: PETER CSENDES/FERDINAND

OPLL (HG.): Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert) (Wien. Ge-

schichte einer Stadt 2). Wien [u.a.] 2003, S. 311–363, hier 330–331.

330 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

ten wurde, als die Herrschaft 1587 in den Besitz des protestantischen oberösterreichischen Adelsgeschlechts der Jörger von Tollet gelangte. Weil der Verkauf an die Jörger ohne Zustimmung des Kaisers erfolgt war, musste Helmhardt IX. Jörger (1572-1631) ab 1611 in einem langwierigen Felonieprozess um seinen Besitz kämpfen und verlor die Herrschaft, als er nach dem kaiserlichen Sieg in der Schlacht am Weißen Berg 1620 mit anderen protestantischen Adeligen in die Acht geriet, verhaftet und seiner Besitzungen enthoben wurde. Bis zur faktischen Umsetzung der Konfiskation 1625 blieb das protestantische Kirchenwesen in Hernals trotz oder wegen zunehmender Repression zunächst erhalten. Die Einwohner Wiens sahen sich mit der Androhung harter Strafen konfrontiert, sollten sie Orte besuchen, an denen nicht-katholische Gottesdienste abgehalten wurden. Der Kaiser schenkte die Herrschaft samt Patronatsrecht über die Hernalser Kirche an das Wiener Domkapitel. Somit blieb den Wienern – und auch dies nur noch bis zum Generalmandat von 1627 – die Möglichkeit des „Auslauffens“ zum Gottesdienst nach Inzersdorf oder Vösendorf. In Hernals wurde versucht, mit der Errichtung eines Kalvarienberges – und damit eines Arrangements altgläubig-gegenreformatorischer Frömmigkeit – die Erinnerung an die protestantische Praxis zu löschen. Noch in einem Mandat des Jahres 1645 wurde das Verbot des „Auslauffens“ und aller anderen Formen protestantischer Glaubenspraxis durch den in der Merian-Widmung adressierten Kaiser Ferdinand III. bekräftigt.799 Unausgesprochen liegen die konfessionelle Auseinandersetzung und deren Eskalation durch die gegenreformatorische Politik der habsburgischen Landesherrschaft der Ansicht von Schloss und Herrschaft Hernals in der Wien-Topografie der Merianschen Topographia Provinciarum Austriacarum als Subtext zugrunde. Dass die Verwendung dieses Stiches an dieser Stelle alles andere als zufällig geschah, erscheint nach einem erneuten Blick in den Text naheliegend. Denn auch die von Martin Zeiller zitierte Ratsbeschwerde von 1619 über den ungünstigen Wandel der Sozialstruktur der Wiener Einwohnerschaft zu Ungunsten des besitzenden Bürgertums adressiert – unausgesprochen – einen Zusammenhang mit gegenreformatorischer Repressionspolitik.800 Mehrere tausend Angehörige der zu Jahrhundertbeginn großen protestantischen Bürgergemeinde Wiens wurden ins Exil getrieben.801 Das „Einstandsprivileg“, das Kaiser Ferdinand II. (1578/1619 Ks.-1637) der Kommune gegen eine Zahlung von 50.000 fl. erteilte, band die Erlaubnis, im Wiener Burgfrieden über Besitz zu verfügen, an das Bürgerrecht.802 Da gleichzeitig das Bürgerrecht an die katholische Konfession gebunden war, wichen viele Protestanten dieser Dis799 FERDINAND III.: Religionsmandat vom 14. Januar 1645. VD17 14:701795M 1645. http://www.gbv.de/vd/vd17/14:701795M, Stand: 09.09.2011. 800 Merian der Ältere et al. 1649, S. 46. 801 Weigl 2003, S. 126. 802 Vocelka 2003, S. 330.

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kriminierung. Von den abwandernden Protestanten wurde ein „Abfahrtsgeld“ in Höhe von 10 % des Werts der zurückgelassenen Häuser erhoben, das in den Bau der Befestigungsanlagen floss.803 In Ermangelung genauer absoluter Zahlen über die protestantische Emigration kann das Abfahrtsgeld als Indikator dienen. Während 1620 nur 609 fl. erlöst wurden, erreichten die Einnahmen 1625 mit 24.446 fl. ihren Höchststand. Zur Mitte des 17. Jahrhunderts dann hatte eine protestantische Bürgergemeinde in Wien aufgehört zu bestehen. Wenn Zeiller bezüglich der Ratsbeschwerde von 1619 auch noch angibt, er könne den weiteren Verlauf der Angelegenheit wegen eigener Ferne zum Geschehen nicht beurteilen, so bringt dies seine eigene, leidgeprüfte Biografie hier vielleicht stärker ins Spiel als an anderer Stelle in der Österreich-Topografie – sieht man einmal von seinen Ausführungen zu seinem Heimatort Ranthen in der Steiermark ab.804 Zeiller selbst war als Hofmeister verschiedener österreichischer Adelsgeschlechter wiederholt von Emigration betroffen, bevor er sich in Ulm niederließ. Der irenische Pragmatismus Merians und Zeillers scheint just in der Beschreibung der kaiserlichen Residenzstadt Wien und angesichts der gegenreformatorischen Politik der Habsburger an ihre Grenzen gestoßen zu sein. Auch wenn es nicht offen geschieht, wird mit der Verwendung der HernalsAnsicht, aber auch auch mit der demografischen Randbemerkung Zeillers der Konfessionskonflikt in die Österreich-Topografie aufgenommen. Die Merian-Ikonografie inszeniert in der Beschreibung Wiens eine dissente religiöse Praxis, die zum Zeitpunkt des Erscheinens der Topografie schon seit Jahrzehnten verboten und beseitigt worden war und deren Platz in der kollektiven Erinnerung man seitens der Obrigkeiten zu eliminieren versuchte. Diese ikonografische Inszenierung und die von Merian in der Dedicatio gegenüber Ferdinand III. explizierte religions- und friedenspolitische Erwartungshaltung805 kommen einem Affront gegenüber dem Kaiser zumindest nahe. Man muss davon ausgehen, dass hier sehr genau abgewogen worden war, wie weit man – im Interesse des wirtschaftlichen und politischen Überlebens der Gesamtpublikation – gehen konnte. Für die topografische Repräsentation Wiens in der Topographia Provinciarum Austriacarum bedeutet das Gesagte, dass wir es mit einem Schauplatz zu tun haben, dessen unausgesprochene konfessionelle Verfasstheit andere Themen – sei es die fluviale Verfasstheit, sei es die Ausprägung von Materialströmen oder StadtHinterland-Beziehungen und anderes mehr – überlagert. Quellenkritik historischtopografischer Literatur erfordert es, derlei inexplizite Einflussfaktoren auf die thematische Gewichtung des topografischen Bildes der Welt zu berücksichtigen; sie ermöglicht ihrerseits, in Inszenierungen von Schauplätzen derlei nicht materielle Inhalte und Aussageabsichten zu entschlüsseln. 803 Ebenda. 804 Merian der Ältere et al. 1649, S. 74–75; vgl. Knoll 2011, S. 354–355. 805 Merian der Ältere et al. 1649, S. 6.

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3.4 S OZIONATURALE S CHAUPLÄTZE UND ÄSTHETIK

ZWISCHEN

N UTZUNG

„Eben so interessant ist der Streit zwischen den Städten Ingolstadt und Landshut. Erstere schreit immer lermend: sie müsse aus Mangel eines andern Erwerbes ohne Universität zu Grund gehen, – und schickt eine Deputazion um die andere ab, während letztere die Universität ausser ihre Mauern wieder zurück nach Ingolstadt wünscht. Wahr ist es, die Lage des armen Ingolstadts ist traurig, allein die Natur ist da so reich, die Gegend so schön! Laßt nur, ihr guten Ingolstädter eure Ideale fahren, und haltet euch an die Realitäten! Folgt nur dem Finanzprinzip des Prälaten von Steingaden, holt die Schätze aus dem Schoose eurer wahren Mutter, der Natur, stürzt vollends die Ruinen der Wälle und Basteien um, füllt die ungesunden Gräben aus, und pflanzt darauf schöne Gärten! Theilt die Gemeinheiten ab, gebt euerer Landwirthschaft den wahren Schwung, und bald werdet ihr mit dem schönern Gewande der Gegend auch euern Wohlstand aufblühen sehen! Die erhöhte Produkzion wird bald euern Industrie- und Spekulazionsgeist aufwecken, die Donau und bestehende Kommerzfreiheit euch günstig jede Gelegenheit dazu darbieten, und was kann daraus anders hervorgehen, als mehr Lebhaftigkeit der Gegend, und mehr Glück für euch?“806

In der Ingolstadt-Topografie seiner Statistischen Aufschlüsse über das Herzogthumb Baiern erörtert Joseph von Hazzi Landnutzung und ästhetisiert einen sozionaturalen Schauplatz.807 Es ist die Ästhetisierung einer nützlichen, durch menschliches Wir-

806 Hazzi 1802, S. 445–446. Der hier erwähnte Prälat von Steingaden, Gilbert Michel (Abt 1786-1803), übernahm das oberbayerische Prämonstratenserkloster Ende des 18. Jahrhunderts, nachdem es durch den Bau der Wallfahrtskirche in der Wies (Wieskirche) völlig überschuldet war. Der aufklärerisch gesinnte Michel führte umfangreiche Agrarreformen durch, über die sich Hazzi an anderer Stelle beeindruckt äußert. Ebenda, S. 139– 141. Thomas Sterba bezeichnet Michel als „Finanz- und Organisationsgenie“. THOMAS STERBA: Steingaden, in: THOMAS STERBA (HG.): Herders Neues Klösterlexikon. Freiburg i. Br. 2010, S. 743–744, hier 744. Zum zitierten Beispiel und zum Folgenden demnächst auch: MARTIN KNOLL: „Wahr ist es, die Lage […] ist traurig, allein die Natur ist da so reich, die Gegend so schön! [...]“ Zur frühneuzeitlichen Konzeption des sozionaturalen Schauplatzes Landwirtschaft (Beitrag zum Tagungsband der interdisziplinären Tagung "Natur" – Norm und Narration der Landwirtschaft, Center for Advanced Studies, Schwerpunkt Grüne Gentechnik, LMU München 25.11.2011, im Druck). 807 Auf die potenzielle zeitgenössische Brisanz der von einer für aufklärerische Reformer typischen, schablonenhaften Machbarkeitsrhetorik durchzogenen Gedanken soll hier nicht näher eingegangen werden. Übertrüge man das hier entworfene Szenario mit all seinen strukturpolitischen Implikationen ins 21. Jahrhundert – es wäre nicht ohne subversiven Charme: Eine mittelgroße deutsche Stadt verliert ihre Funktion als Hochschul-

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ken optimierten ‚Natur‘, die zwar für aufklärerische Rhetorik typisch, aber in ihrem argumentativen Kern zu dieser Zeit keineswegs neu ist. Vielmehr kann sie als säkularisierte Form früherer Konzepte einer ‚Veredlung‘ von ‚Natur‘ durch menschliche Nutzung – quasi als Gegenentwurf zur Negativteleologie der natura lapsa – gelesen werden. So hatte etwa Matthäus Merian d. Ä. im Gefolge der humanistischen Geografen des 16. Jahrhunderts ganz Deutschland als sozionaturalen Schauplatz entworfen, der durch Zivilisierung und Christianisierung seiner Bevölkerung und durch Erlangung der politischen Würde des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation konkret wie im übertragenen Sinne erblühte.808 Hazzi baut zwar rhetorisch eine vordergründig starke Dichotomie zwischen der in einer Krise befindlichen standort. Sie wird nun von einem wohlmeinenden Autor auf die Schönheit der Gegend, den Reichtum der Natur und das Entwicklungspotenzial der Landwirtschaft verwiesen. Ihr werden in jeder Hinsicht blühende Landschaften versprochen. Es bedarf keiner ausufernden Phantasie, um sich die publizistischen Reaktionen auf derlei vorzustellen. Auch im tatsächlichen historischen Fall dürfte sich Joseph von Hazzi 1802 mit den hier zitierten Ausführungen zumindest regional kaum Freunde gemacht haben. Aus der Stadt, über Jahrhunderte Sitz der bis dahin einzigen bayerischen Landesuniversität, war ebendiese unter Maximilian IV. Joseph 1800 abgezogen worden. Verstärkt durch seinen militärischen Bedeutungsverlust als Festungsstadt befand sich Ingolstadt in einem fundamentalen Strukturwandel. Vgl. CARL PRANTL: Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt, Landshut, München. Zur Festfeier ihres vierhundertjährigen Bestehens, Erster Band. München 1872. http://epub.ub.uni-muenchen.de/11285/1/HS5_607_1.pdf, Stand: 27.11.2011, S. 648–651. 808 „Wann man der alten Scribenten uns uberbliebene Schrifften von Teutschen Sachen durchgehet / so findet sich in denselben / daß unser Hochgeehrtes Vatterland / sonderlich was zwischen dem Rhein / und der Thonaw / gelegen / vor Alters / sehr rauh / unnd wüst / gewesen / und von den Außländern für eine finstere Wildnuß / traurige Wohnung / ungeschlachtes / und mehrertheils unerbawtes Erdreich / gehalten worden; Darinnen keine Stätt / und Schlösser / zu sehen / keine Fruchttragende Bäume / und dergleichen; aber wohl vile Moraß / grosse Wälde [sic!] / wilde See / unnd unfruchtbare Berge / anzutreffen. Aber! nach dem unsere Vorfahren / ihre Kriegerische und wilde Art / nach und nach hinweg gelegt / sich angefangen höflicher Sitten zugebrauchen / etwas in Künsten und Spraachen zu lernen / unnd zu Vermeidung deß Müssiggangs / das Erdreich zu pflantzen / und zu bawen; Da hat Teutschland / sonderlich / als die wahre Christliche Religion in demselben herfür zu leuchten begunte / und die höchste Würde deß Römischen Reichs / an dasselbe gelangte / herrlich zu grünen / und von Tag zu Tag / an Macht / Gewalt / Schönheit / und aller Dingen Uberfluß / zuzunehmen angefangen; Also / daß hernach / gleich wie in der gantzen Welt nichts herrlichers / als Europa; auch in Europa nichts Edlers / unnd welches in allen Dingen so vollkommen were als Teutschland / zu finden gewesen.“ Merian der Ältere et al. 1649, S. 3–4.

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städtischen Gesellschaft einerseits und den Reichtümern der ‚wahren Mutter‘ Natur andererseits auf. Doch genau besehen dekonstruiert er Dichotomien, beginnend mit jener zwischen Stadt und Hinterland, die er durch die Einbeziehung der Festungsanlagen der Stadt in das große von ihm entworfene Projekt einer Transformation von Praktiken und Arrangements überbrückt. Alles Übrige im zitierten Text Hazzis ist eine optimistische Projektion der Transformation des Schauplatzes. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, die Thematisierung von Landnutzung und die Ästhetisierung sozionaturaler Schauplätze in der frühneuzeitlichen Topografie zu untersuchen. Die topografische Repräsentation agrarischer Schauplätze impliziert nicht zuletzt die Frage danach, in welchem Umfang empirisch basiertes landwirtschaftliches Wissen seinen Weg in die Beschreibungen fand und welche Faktoren an der Adaption, teilweisen Ausblendung und Neuinterpretation solcher Wissensbestände mitwirkten. Die Darstellung einer weiteren, in Topografien sehr präsenten Form der Landnutzung, des Gebrauchs von Heilquellen und –bädern, bewegt sich erkennbar in der Einflusszone unterschiedlicher literarisch-theoretischer Diskurse, deren Einfluss auf die Repräsentation der Schauplätze es auszuloten gilt. Zuletzt fand mit dem Bergbau eine Landnutzungsoption ihren Weg in die untersuchten Topografien, die in besonderem Maße mit der Technisierung sozionaturaler Schauplätze einherging. Mit der Untersuchung der Darstellung von montanen Schauplätzen verbindet sich daher die Frage, wie sehr Technik und Technisierung in der topografischen Rhetorik thematisiert werden. Zuletzt werden unterschiedliche Beispiele topografischer Ästhetisierung von Schauplätzen in den Blick genommen. Auch hier gilt es, ein Spannungsverhältnis zwischen Topografie und Topik (Behringer) zu sondieren und für dieses Spannungsverhältnis relevante Faktoren zu erörtern. Dies geht mit der kritischen Evaluation eingeführter kunst- und kulturgeschichtlicher Periodisierungen einher. Schon das eingangs zitierte Beispiel weist darauf hin, dass sich Nutzung und Ästhetik in der Topografie nur schwer trennen lassen. Auch legt die Auseinandersetzung mit historisch-topografischer Literatur eine Differenzierung der viel diskutierten These Joachim Ritters nahe, wonach es „Natur als Landschaft nur unter der Bedingung der Freiheit auf dem Boden der modernen Gesellschaft geben“ könne.809 809 JOACHIM RITTER: Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft (Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 54). Münster 1963, S. 30. Ohnehin wird Ritter zwar gerne auf diese These reduziert, argumentiert aber selbst in ihrer Herleitung differenzierter. Auch verwendet er einen weiten Moderne-Begriff. Daneben spielt sicher eine Rolle, dass Ritter die These aus philosophischen und belletristischen Texten ableitet. Hier verspricht der historischtopografische Sachtext eine Vervollständigung des Bildes, wenngleich dieser nicht losgelöst vom philosophischen Diskurs seiner Zeit argumentiert. Vgl. auch J OACHIM RITTER: Vorlesungen

zur Philosophischen Ästhetik (Marbacher Schriften 6). Göttingen o. J.

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Es steht in Frage, wie belastbar eine solche Grenzziehung angesichts der sorgfältigen Inszenierung schöner „Prospecte“ in Topografien des 17. und 18. Jahrhunderts ist.810 Hier wird Landschaft nicht nur – zumindest vordergründig – um ihrer selbst willen in Bild und Text repräsentiert, den Rezipienten wird mitunter sogar eine Anleitung zum ästhetisch optimalen Erleben mit an die Hand gegeben. Landschaft begegnet in den Topografien und wird von mir verstanden als Konzeption sozionaturaler Schauplätze. In diese Konzeptionen fließen Programme ein. Es bedarf eines zweistufigen Vorgehens, um zunächst die Inszenierung bzw. Konzeption von Praktiken und Arrangements zu identifizieren und dann mögliche zugrundeliegende Programme und rhetorische Strategien freizulegen. In diesem und dem folgenden Kapitel werden Landnutzung und Ästhetik in Unterkapiteln getrennt behandelt und ihrerseits von den in der Folge zu erörternden Redaktionsprozessen und der Qualität von Landesbeschreibung als Fürsten- und/ oder Adelstopografie abgetrennt. Hierbei handelt es sich um eine pragmatische, aber keineswegs zwingende Option der Stoffgliederung. Mitunter ästhetisieren Topografien Landnutzung. Sowohl der Thematisierung von Nutzung als auch der Ästhetisierung unterliegen Programme. Auch Redaktionsprozesse sind dafür verantwortlich, dass solche Programme in die Topografie getragen oder aus dem topografischen Bild entfernt werden. Der Adel als in der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft maßgebliche soziale Gruppe stand mit der Konjunktur der Landesbeschreibung in vielfältigen Beziehungen und spielte in diesem Rahmen unterschiedliche Rollen: Auf Anfrage der Landesherrschaft oder privater Topografen bzw. Verleger gaben Adelige Auskunft über Geografie, Besitzverhältnisse und Landnutzung topografisch zu erfassender Schauplätze; Adelige agierten mitunter als Financiers topografischer Projekte; sie traten manchmal selbst als Auftraggeber von Partikulartopografien auf; sie nutzten die Topografie für die gesellschaftliche Selbstdarstellung und Selbstverortung. Adelige speisten mithin selbst programmatische bzw. perspektivische Einflüsse in die topografische Beschreibung ein. Die Beschreibung von Landnutzung, die Ästhetisierung von sozionaturalen Schauplätzen, die redaktionelle Organisation topografischer Informationsbestände und die gesellschaftliche (Selbst-)Repräsentation gesellschaftlicher Eliten – all das greift ineinander und kann letzten Endes nicht klar geschieden werden. Eine letzte einleitende Bemerkung sei zur Quellenbasis erlaubt: Wenngleich auch die bislang bereits analysierten Bände der Merian-Topografie zum oberen Donauraum Eingang in die Untersuchung finden, wird hier dennoch schwerpunktmäßig auf Wenings Historico topographica descriptio zugegriffen. Sie nimmt wesentlich stärker als die Merian-Topografien ländliche Schauplätze in den Blick, was sie S. 33–36, 129–141, und, Ritters These sowie die kulturwissenschaftliche Diskussion in ihrem Gefolge kritisch bilanzierend, Trepl 2012, S. 53–64. 810 Vgl. dazu auch Kap. 2.2.1

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gerade zur Untersuchung des topografischen Bildes von agrarischen Schauplätzen prädestiniert. Ferner bietet sie aufgrund einer außergewöhnlich dichten archivalischen Überlieferung Zugang zu unterschiedlichen Stufen des topografischen Redaktionsprozesses.811 Die vorliegende Studie nutzt diese besonders komfortable Situation, um ihre Analyse quellenkritisch zu schärfen. Im Fall der Wening-Topografie wurde die Informationserhebung obrigkeitlich und zentral mittels eines an alle geistlichen und weltlichen Herrschafts- und Amtsträger im Land versandten, standardisierten Fragebogens organisiert. Die Adressaten der kurbayerischen Fragebögen hatten fünfzehn Punkte zu beantworten: 1) nach dem Namen des Orts und dessen Ursprung, 2) nach Stiftern, Gründern, Erbauern und Gründungszeit, 3) nach der Bezeichnung bzw. dem Status des Orts (Stift, Kloster, Schloss, Pfleggericht, Hofmark etc.), 4) nach den Inhabern (Orden, Familie) und deren Ansässigkeit vor Ort, 5) nach der Lage, administrativ und geografisch, d. h. Rentamts- und Gerichtsbezirk, Grenze, Lage zu Gewässern, Waldungen, Gebirgen etc., auch nach allgemeinen geografischen Eigenschaften; 7) nach Besitzwechseln (Verkauf, Vererbung etc.); 8) nach „Kunst / Ubung / Gewerb / oder Handlung“, Anbau von Getreide, Vorkommen von Wild, Fischerei, Viehzucht, Bergbau etc.; 9) nach Zerstörung durch Brand, Krieg, altersbedingten Verfall, ggf. Wiedererrichtung; 10) nach dem Schutzpatron bzw. dem Schutzheiligen der örtlichen Kirche; 11) nach Grabstätten von Stiftern, oder anderer Edelleute in der Kirche; 12) nach Reliquien, wundertätigen Bildnissen, Wallfahrten, Bruderschaften, Bibliotheken, Kunst- und Zeughäusern; 13) nach Fruchtbarkeit, Gesundheit, Freiheiten etc. des Orts, Heilbrunnen, Wildbädern, Salz- und Erzgruben, Getreidekästen, Schrannen, Niederlagen etc.; 14) nach namhaften Männern und deren löblichen Taten, Schriften, Kriegsdienst oder anderen „rühmliche[n] Verrichtungen“; schließlich 15) nach sonstigen Denkwürdigkeiten, Antiquitäten, Kunst, Malerei etc.812 Dieser Fragebogen generierte Rückmeldungen, die ihrerseits redaktionell bearbeitet wurden. Das heißt, es können unterschiedliche „Aggregatszustände“813 topografischer Information ermittelt und verglichen werden. Ähnlich gut überliefert und bereits durch Forschung erschlossen ist der Redaktionsprozess im Falle der Merianschen Topografie der Braunschweig-Lüneburgischen Herzogtümer.814 Diese 811 Vgl. Schuster 1999, S. 76–181; Knoll 2008, S. 58–67. 812 Ebenda, S. 62–63; nach BayHStA Stv 1042, fol. 156r; vgl. Schuster 1999, S. 153–155; zur gattungsgeschichtlichen Fundierung solcher Frageraster vgl. Kap. 2.1. 813 Vgl. zur Anwendung dieses Begriffes auf die Verschriftlichung agrarischen Wissens am Dresdner Hof um 1570 Schlude 2009, S. 99–101; dazu mehr unten Kap. 3.4.1.1. 814 Vgl. Zimmermann 1902. Der Informationserhebung zur Topografie von BraunschweigLüneburg lag folgender Fragenkatalog zugrunde: 1) Zeit der Erbauung, Erbauer / Stifter, von wem später „verbessert“; 2) Gegend des Orts nach Beschaffenheit, Frucht- oder Unfruchtbarkeit; 3) Beschreibung der Gebäude nach Form, Teilen, Befestigungsanlagen,

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Topografie besitzt, bedingt durch ihren Entstehungsprozess, eine Sonderstellung innerhalb der Bände der Topographia Germaniae: Die Welfenherzöge trauten dem von außen herangetragenen Topografieprojekt des Verlegers Merian und seines Textautors Zeiller so wenig, dass sie den kompletten Prozess der Vorbereitung des Bandes an sich zogen. Ähnlich dem bayerischen Beispiel der Wening-Topografie organisierten sie eine standardisierte Informationserhebung. Sie engagierten einen Topografen, der die Vorlagen aller Ansichten zeichnete, und übernahmen die Textredaktion – mitunter persönlich. Ferner setzten sie durch, dass der Band nicht – dem überwiegend angewandten Schema der restlichen Topographia Germaniae entsprechend – den ganzen niedersächsischen Reichskreis beschrieb, sondern lediglich ihre drei Herzogtümer. Die Braunschweig-Lüneburg Topografie zeichnet sich nicht nur durch ihren gut dokumentierten Redaktionsprozess aus, sondern auch dadurch, dass dieser Redaktionsprozess dazu führte, dass der Band nicht von der Zeillerschen Rhetorik und der Merianschen Bildregie geprägt wird. Dies qualifiziert den Band – auch als nicht dem oberen Donauraum gewidmete Topografie – als lohnendes Ziel für Seitenblicke im Rahmen des vorliegenden Kapitels. 3.4.1 Landnutzung Drei in der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit prominent vertretenen Nutzungsformen soll im Folgenden nachgespürt werden. Es handelt sich um Landwirtschaft im weitesten Sinne, Heilquellen und Bäder sowie um die Erschließung von Bodenschätzen. 3.4.1.1 Agrarische Schauplätze Wenngleich die zitierten Fragebögen, die in Vorbereitung der Weningschen Historico topographica descriptio Kurbayerns im Lande versandt wurden, von vornherein eine gewisse Systematisierung und Homogenisierung der Informations-

wenn vorhanden; 4) vorbeifließende oder entspringende Flüsse oder Ströme; nahegelegene Wälder und deren Größe; 5) v. a. bei Städten: Größe, Anzahl von Häusern und Feuerstätten, Gassen und vornehmste Plätze, wichtige Gebäude wie Rathaus, Kirchen, Antiquitäten und ähnliches in diesen Gebäuden Vorhandenes; 6) Unterhalt und Gewerbe der Bürger und Einwohner, Kaufmannschaft, Schifffahrt, im Falle Lüneburgs Beschreibung der Saline; 7) Stadtregiment, Gesetz und Ordnung; 8) Gottesdienst, Kirchen und Schulen; 9) Denkwürdiges, Historisches. Ebenda, S. 47; in einer am 15. März vom Kalenbergischen Hof in Celle an den Hof von Hannover versendeten Abschrift dieser Liste trägt Punkt 9) die Marginalie von anderer Hand: „Addi potest 1. Nomenclatura 2. Viri celebres marte et arte“.

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bestände anleiten sollten, war der Rücklauf naturgemäß äußerst heterogen. Dies äußerte sich im Gesamtumfang der Beschreibungen ebenso wie in der Schwerpunktsetzung. Ein Extrembeispiel wortkarger topografischer Auskunft sind etwa die Zeilen Georg Joseph von Armanspergs, Herr auf der oberbayerischen Hofmark Oberprunn und Sitz Fräbertshamb, der in seiner auf den 20. August 1698 datierten Antwort zu Sitz Fräbertshamb angibt: „[…] 1. Fräbertshamb, woher diser Nammen komme, ist unbewusst. 2. Nescit 3. Ist ain Sitz 4. Gehört mir unterschribenem und ist alda khein Herrschaft in loco. 5. Befündet sich in der Regierung und Rentambt Burghausen, Gerichts Cling, 6. Ohn Schloß 7. Habs durch Erbschafft an mich gebracht. 8.bis 15. Würdet zu beantworten unnötig sein, weillen alda die wenigen underthonnen mir zugehörig und sonst nichts druckhwürdigs vorgangen.“815

Der Grundherr sieht hier keinen Anlass, überhaupt auf Fragen der Landnutzung einzugehen, er stuft diesbezügliche Informationen zu Fräbertshamb vielmehr als nicht druckwürdig ein. Armannspergs Reaktion lässt sich als Teil einer adeligen Abwehrhaltung gegen zentralstaatliche Informationserhebung auffassen, wie sie in Kap. 3.5 noch zu diskutieren sein wird. Sie lädt aber auch zu Spekulationen über den Gegenstand des Vorenthaltenen ein. Vorenthalten werden u. a. Informationen zur Landnutzung. Speziell auf agrarische Informationen bezogen – und um diese handelt es sich bei topografischen Informationsbeständen zu Landnutzung überwiegend – stellt sich auch die Frage, inwieweit hier nicht praktisches, erfahrungsbasiertes und betriebswirtschaftlich relevantes Alltagswissen geschützt werden sollte.816 Sollte die Einspeisung agrarischen Wissens in einen Prozess vermieden werden, der den Aggregatszustand dieses Wissens von einer weitgehend mündlichen, internen Form niedriger Medialität in eine öffentliche, schriftliche und publizierte Form hoher Medialität transformierte? 815 Zit. nach Knoll 2008, S. 63–64.; Von Armannsperg sah sich auch zwanzig Jahre später auf nochmalige Nachfrage aus München hin nicht genötigt, ausführlicher zu werden, und schickte 1718 eine gleichlautende Auskunft ein. 816 Zur Differenzierung zwischen Informations- und Wissensbegriff im analytischen Kontext der Frühneuzeitforschung vgl. ARNDT BRENDECKE/MARKUS FRIEDRICH/SUSANNE FRIEDRICH: Information als Kategorie historischer Forschung. Heuristik, Etymologie und Abgrenzung vom Wissensbegriff, in: ARNDT BRENDECKE/MARKUS FRIEDRICH/SUSANNE FRIEDRICH

(HG.): Information in der Frühen Neuzeit. Status, Bestände und Stra-

tegien (Pluralisierung & Autorität 16). Münster u. a. 2008, S. 11–44, hier 16–20.

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Diese Kategorisierung lehnt sich an Ursula Schludes Untersuchung zur Wissensgeschichte der Domänenwirtschaft des Dresdner Hofes unter dem Einfluss der agrarisch und ökonomisch interessierten Kurfürstin Anna von Sachsen (1532-1585) an.817 Schlude kritisiert, dass frühneuzeitliche landwirtschaftliche Wissens- bzw. Wissenschaftsgeschichte vornehmlich anhand einschlägiger zeitgenössischer Publizistik geschrieben werde und damit empirisches und experimentelles Wissen der Zeit neben den normativen, oftmals lediglich antikes Wissen reproduzierenden Schriften unterbelichtet bleibe.818 Um dieses einseitige Bild zu erweitern, gibt es unterschiedliche Optionen. Verena Winiwarter stellt die gedruckte landwirtschaftliche Literatur der Frühen Neuzeit in einen Dialog mit den überlieferten Spuren ihrer Nutzer.819 Anhand der Bestände der Stiftsbibliothek Melk erschließt sie handschriftliche Marginalien, Kommentare und Streichungen in den Originalwerken als Quellen, „die für die Umweltgeschichte sowohl, was die Praktiken – etwa die konkreten Hinweise zu Pflanztiefe –, als auch, was die Rekonstruktion der Wahrnehmung angeht, von großer Bedeutung sind.“820 Die Bücher könnten so in der Interaktion mit ihren Lesern Auskunft über den konkreten Wissensbedarf gelehrter landwirtschaftlicher Praktiker geben.821 Ursula Schlude hat das Bild – durch Einbeziehung archivalisch überlieferter Quellentypen – in eine andere Richtung erweitert. Ihre Recherchen zeigen eindrucksvoll, in welch unerwartetem Ausmaß die sächsischen Domänen bereits im 16. Jahrhundert einen Schauplatz empirischer und experimenteller Agrarforschung bildeten.822 Sie führt aber auch differenziert vor, dass das dabei generierte Wissen gerade aufgrund seiner hohen wirtschaftlichen Relevanz vielfach nur im internen Betrieb angewendet, vertraulich behandelt, mündlich oder – wenn überhaupt – nur handschriftlich übermittelt wurde und nur in Versatzstücken Eingang in die Publizistik fand.823 Methodisch wählt Schlude den Weg, diese komplexe Konstellation durch die Unterscheidung verschiedener „Textmodi“ bzw. „Aggregatszustände“ des Wissens zu rekonstruieren. Sie hierarchisiert Textsorten – interne Korrespondenz, kurfürstliche Reskripte, Gutachten, Entwürfe, Orakel, monografische Handschriften, Handschriften aus der Handbibliothek der Kurfürstin, Drucke aus der Handbibliothek der Kurfürstin und Drucke aus der kurfürstlichen Bibliothek

817 Vgl. Schlude 2009, S. 99–101; vgl. auch oben Kap. 2.2.6. 818 Ebenda, S. 101. 819 Vgl. VERENA WINIWARTER: Haereticus scripsit hunc librum. Die landwirtschaftliche Bibliothek des Benediktinerstifts Melk und ihre Leser, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 117 (2009), S. 225–244. 820 Ebenda, S. 242. 821 Ebenda. 822 Schlude 2009, S. 103–105. 823 Ebenda, S. 105–108.

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– zwischen zwei Polen (Tabelle 4).824 Der Eine wird von ihr als intern, geheim, handschriftlich, eigenhändig, mündlich, empirisch, experimentell, anonym und wirtschaftlich relevant charakterisiert; er konstituiert niedrige Medialität.825 Der Andere zeichnet sich durch Öffentlichkeit, Schriftlichkeit, Druckform, philologischliterarischen Charakter bzw. philologisch-literarische Autorschaft aus und ist wirtschaftlich von geringer Relevanz. Er besitzt hohe Medialität.826 Tabelle 4: Ursula Schlude, Klassifizierung von Textsorten, in denen am kursächsischen Hof um 1570 das Thema Landwirtschaft wahrgenommen bzw. bearbeitet wurde Hohe ‚Medialität‘, öffentlich, schriftlich, gedruckt, philologisch-literarisch/Autorschaft, wirtschaftlich gering relevant 1. Gedruckte Schriften

Fremdproduktion

kurfürstliche Bibliothek 2. Gedruckte Schriften

Fremdproduktion, relevant

Annas Handbibliothek 3. Handschriften

Fremd- und Eigenproduktion

Annas Handbibliothek 4. Monografische Handschrift (archivalisch überliefert) 5. Monografische Handschrift (archivalisch überliefert) 6. Gutachten, Entwürfe, Orakel

Eigenproduktion, geschlossene Form, normative Darstellung Eigenproduktion, geschlossene Form, empirische Untersuchung Eigenproduktion, Fragmente

(archivalisch überliefert) 7. Kurfürstliche Reskripte

Eigenproduktion, Normen

(archivalisch überliefert) 8. Interne Korrespondenz

Eigenproduktion, Kommunikation

(archivalisch überliefert) Niedrige ‚Medialität‘, intern, geheim, handschriftlich, eigenhändig, mündlich, empirisch, experimentell, anonym, wirtschaftlich relevant

Gerade aufgrund des empirischen Verfahrens der Vorbereitung von Landesbeschreibungen über detaillierte Fragenkataloge drängen sich Parallelen auf und man 824 Ebenda, S. 100, Abb. 2. 825 Ebenda. 826 Ebenda.

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kann die in der gedruckten Topografie auffindbaren Informationsbestände zur Landnutzung als Versatzstücke eines breiteren, empirisch-experimentell verfassten Wissens ansehen, dessen Aggregatszustand sich an den Stufen der redaktionellen Bearbeitung gewandelt hat. Tatsächlich finden sich im handschriftlichen Rücklauf der die WeningTopografie vorbereitenden Fragebögen mitunter äußerst präzise Beschreibungen von agrarischen Praktiken und Arrangements. So gibt die Beschreibung der oberbayerischen Stadt Erding folgenden Hinweis: „Ybrigens ist der orth gesundt unnd fruchtbar von Gethraidt, aber nit von Obst Paumben, dieweill solche Paumbwurzl von dem haissen Grundt, der Alben genant, verderben, unnd ob schon grosse tieffe grueben ausgegraben, der Alben aus- und guette Erden eingeworffen worden, hat es doch wenig geholffen, dahero zu Erding gar wenig fruchtbare obstpaumb zusehen sein. Hingegen ist ein yberauß schöner Situs unnd weitte Ebne auf etlich stundt weegs herumb, auch Erding von uralters hero mit einer solchen stattlichen wochen Traidtschrannen dotiert und befreidt, dergleichen ausser der haubtstatt München im Landt nit zefindten, gestalten die Burger von Erding vor Menschen gedenckhen zu behuef eben der Statt München den Getraitt von der Schrannen Erding auf die Schrannen München unnd zu dennen Churfrtl. Preuheisern aldorten vornemblich Waiz- unnd Gersten sovill mann nur bedürfftig gewest zuegeschickt, hingegen von selbigen widerumb Weisspier, so jehrlich in vill 1000 fl. bestanden nach hauß abgefiehrt […]“827

Der Text unternimmt eine argumentative Rückbindung der agrarischen Praktiken – Getreide- und Obstanbau – an die Bodenqualität. Wenngleich die Qualifizierung des Bodens als ‚heiß‘ sich auf antikes theoretisches Wissen stützt,828 so handelt es sich doch bei der Feststellung mangelnder Eignung dieses Bodens für die Obstkultur zweifellos um das Ergebnis genauer Beobachtung in der agrarischen Praxis. Die gesamte Passage über den Obstbau, die ja eine Einschränkung der agrarischen Idealität des Schauplatzes beschreibt, entfällt übrigens im Druck.829

827 Beschreibung der Stadt Erding, undat., BayHStA Stv 1049, fol. 66r–71r, hier: 70rv. 828 Vgl. VERENA WINIWARTER: Prolegomena to a History of Soil Knowledge in Europe, in: JOHN ROBERT MCNEILL/VERENA WINIWARTER (HG.): Soils and societies. Perspectives from environmental history. Isle of Harris 2006, S. 177–215, hier 202–206. Die Qualität „heiß“ ist dabei nicht im thermischen Sinne wörtlich zu nehmen. Ebenda, S. 205. 829 Wening 1723, S. 8. Die ebenfalls aus der Feder von Bürgermeister und Rat Erdings stammende Beschreibung des Gotteshauses Sankt Salvator / Heiligen Blut in der Nähe der Stadt, eine in schwülstig-klerikalem Duktus gehaltene Wunderschmonzette zur Gründungsgeschichte der dortigen Wallfahrt (BayHStA Stv 1049, fol. 90r–93r), wird dagegen in toto abgedruckt. Ebenda, S. 8–9.

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Auch die in vieler Hinsicht bemerkenswerte Topografie des kurfürstlichen Pfleggerichts Kling im südostbayerischen Voralpenland830 fällt gleichermaßen durch Präzision wie durch das offensichtliche Einfließen von Erfahrungswissen auf. Der Autor des Texts, mutmaßlich der Pflegverwalter Hofmiller, geht nicht nur umfassend auf Topografie und Geschichte des Pflegschlosses ein, sondern entwirft in der Summe ein äußerst detailliertes und lebendiges Bild des gesamten Bezirks. Auf seine Inszenierung eines schönen Prospects samt Anleitung zu optimalem panoramatischem Wahrnehmen wird noch zurückzukommen sein. Auch Landnutzung wird intensiv verhandelt, wobei Ackerbau und Viehzucht, Jagd und Fischfang in ihrer jeweiligen Abhängigkeit von klimatischen sowie geo- und hydromorphologischen Bedingungen im Zentrum stehen.831 Hier ist es der Zusammenhang von Klimawandel und Nutzungspraktiken, der sich offensichtlich genauer Beobachtung – und historischer Reflexion – verdankt: Während in der Vergangenheit hohe Wildbestände die fürstliche Jagdlust Kurfürst Ferdinands832 und Herzog Albrechts833 be830 Beschreibung von Schloss und Pflege Kling, 30. Oktober 1698, BayHStA Stv 1044, fol. 219r-225v; Wening 1721, S. 3–4; vgl. Knoll 2009, S. 158-159, 161-162; und oben Kap. 3.2. 831 Zu Punkt 8 des Fragebogens (Gewerbe, Landwirtschaft, Viehzucht, Bergbau, Wildbestand, Fischerei etc.) finden sich folgende Auslassungen: „Es ist der orthen ein lautere Paurschafft, so in keinem andern Gewerb als in der Mayrschafft kimberlich ihr nahrung fündet, weillen der orthen der Traidt- und Viechzigl sehr schlecht beschaffen. Weinwachs und Pergwerckh aber gar nichts. Roth und schwartz Wiltpräth hat es vor disem sovill gegeben, das iro Churfrtl. Drtl. Ferdinandt unnd Hörzog Albrecht Drtl. beide höchstselligsten angedenckhens, als welch lesterer die Jagtbahrkeit zeit lebens der orthen gaudiert, vill mahlen ihre ergotzlichkait gesucht, und auch gefundten. Doch haben die etliche Jahr hero eingefallene ser harte Wünter der Wiltfuhr nit geringen schaden verursacht. Und obwohlen neben dem Chiemsee sich yber 30. ander clainere Seel ohne Weyer unnd Pach sich befündten, nichtsdestoweniger ist der Vischhandl ein zeit hero ins zimbliche abkommen geraten. Weillen bei disen nass Jahrn von dem negst entlegnen Gebirg die Wässer villmahlen uverhofft yberschwembet, bei gehlingen abfahl aber die Prueth auf das truckhne gesezt und volglich zu unwiderbringlichen schaden verdorben, Da doch vor disem durch die umb den See wohnente Vischkaiffler nach München, Landtshuet, Purghausen, in Österreich sogar bis nach Wien, Salzburg und Tyroll vill oerter verschickt worden.“ BayHStA Stv 1044, fol. 222v-223r. Zu Punkt 9 ist notiert: „Die fruchtbahrkait wegen deren ser nahe gelegen Gepirgen [//] villen […] Moräst, Seen und hiedurch verursachte költe, auch vasst iährlich fallenten Schaur ist gar schlecht, doch gesundte lufft und aller orthen den Windten under worffen, die offt dergestalten wehen, das sye die Ziegl der Tächern und die Palckhen von Fenstern reissen und hiedan fiehren.“ BayHStA Stv 1044, fol. 224rv. 832 Ferdinand Maria (1636/1652-1679).

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friedigt hätten, führten in der Folge vermehrt auftretende kalte Winter zu einer Bestandsdezimierung. Der Fischfang als vormals wichtiger Wirtschaftsfaktor mit Lieferbeziehungen u. a. nach München, Wien und Salzburg habe durch die witterungsbedingt vermehrt auftretenden Überschwemmungen großen Schaden genommen. Auch der Mechanismus, der den Niedergang der Fischbestände verantwortete, wird erklärt: Die Überschwemmungen trügen die Fischbrut zunächst aus den Gewässern heraus und verteilten sie weiträumig, der plötzliche Rückgang des Wassers setze die Brut aufs Trockene. Auch diese präzise Analyse des Schauplatzes und seiner Dynamik findet nur teilweisen Eingang in die gedruckte Topografie.834 Das Adjektiv „kümmerlich“ zur Qualifizierung der landwirtschaftlichen Subsistenz entfällt ebenso wie die Erwähnung der klimatischen Ungunstfaktoren des Standortes für die Landwirtschaft. Die Passage über Jagd und Wildbestand fehlt. Damit wird auch in diesem Kontext nicht mehr über klimatische Ungunst gesprochen. Einzig die genaue Schilderung der Ursachen für die Abnahme der Fischbestände findet ihren Weg in den gedruckten Text. Viele der eingesendeten Beschreibungen bieten mehr oder weniger präzise klimatisch oder geomorphologisch hergeleitete Angaben zur Landnutzung. In der Hofmark Wasensteg, im Gericht Erding, Rentamtsbezirk Landshut, gab es demnach keine Waldungen. Der Ort sei „nit von sonderbahrer fruchtbarkheit“.835 Getreidebau als einziger landwirtschaftlicher Erwerbszweig müsse mit einem „schweren pechlaiming: und sandtigen poden“ zurechtkommen, der „durch Mörgl unnd grosse arbeith“ befördert werden müsse.836 Im Druck wird Wasensteg überhaupt nicht berücksichtigt. Über die Hofmark Breitenlohe („Praittenlohe“), die im handschriftlichen Rücklauf gemeinsam mit Wasensteg beschrieben worden war, ist nur kurz zu erfahren, es befänden sich dort „zwey Weyer / doch keine sondere Waldungen darbey / die Gegend ist sehr uneben.“837 Eine vergleichsweise präzise Aussage zur landwirtschaftlichen Praxis des Mergelns eines pechlehmigen Bodens findet damit keinen Eingang in die Topografie. Sandiger und steiniger Boden macht auch die Kloster Seonsche Hofmark Obing zu einem schlechten „Traidpoden“, wogegen hier vom Zugriff auf Wald zu erfahren ist, in dem – diese Baumarten werden ausgewiesen – Erlen, Buchen, Föhren, Tannen und Fichten wachsen.838 Der Druck übernimmt neben der Dokumentation der Waldungen und der Spezifizierung dort nutzbarer Holzarten auch den Hinweis 833 Albrecht V. (1528/1550-1579). 834 Wening 1721, S. 4. 835 BayHStA Stv 1049, fol. 210v. 836 BayHStA Stv 1049, fol. 210v–211r. 837 Wening 1723, S. 16. 838 BayHStA Stv 1044, fol. 282v.

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auf den schlechten Getreidewuchs, wobei dessen Erklärung mit sandigem und steinigem Boden unterbleibt.839 Aus der Taufkirchenschen Hofmark Elreching wird von ebenfalls schwierigen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft berichtet. Handwerk und Gewerbe seien kaum ansässig. Der bäuerlichen Bevölkerung stehe eine Tavernwirtschaft, eine Mühle, ein Bad und eine Schmiede zur Verfügung. „Im ybrigen bestehets in ainem doch schlecht begründten veldtpau, darbey auß mangl nottürftigen graßwax ein schlechter vichzigl.“840 Die Fruchtbarkeit des Orts sei dadurch geprägt, „daß eß einen schlecht laimbigen grundt gibt, zimblich dief und simpfig ligt, auch von zusamb lauffentem veldtwasser offt schaden leidet.“841 Verkürzt findet im Druck die durch lehmigen und sumpfigen Boden bedingte „mittelmässige“ Fruchtbarkeit des Schauplatzes Erwähnung.842 Auf die Benennung örtlicher Gewerbe und die Differenzierung der agrarischen Praktiken verzichtet der Text. Auch die ebenfalls Taufkirchensche Hofmark Gurkhen zeigt sich als Schauplatz, der nur bedingt Prosperität zulässt:843 Seine Lage – „so gegen dem landt ob der Enß zue in einem thall beiderseits gebirgen und wegen zum theill stainecht und abschissigen gründten sehr unfrüchtiger orth, wordurch ein schlechtes millpächel flüsset“844 – gewährleiste den Bauern „kaumb alle jahr die auskhonft gethraydts“.845 In den Wäldern gebe es an Wild nur wenige Füchse und Hasen. Die Fruchtbarkeit bestehe mehr aus „gräserey“ als aus Getreide. Im Druck wird all dies auf die Feststellung reduziert, Fruchtbarkeit und „Vichzügl“ seien mittelmäßig.846 Die Beschreibung der Hofmark Ach bei Burghausen vermittelt dagegen den Eindruck mustergültiger Bedingungen.847 Nach der Besitzübernahme habe der aktuelle Eigentümer, der Burghausener Kastner und Regimentsrat Franz Bernhard von Priellmair, das Schloss saniert und einen Lustgarten angelegt, aber auch Auen gerodet und landwirtschaftliche Nutzflächen geschaffen sowie einen Maierhof errichtet.848 Die Schilderung des durch die Initiative des neuen Grundherrn optimierten Schauplatzes fährt fort:

839 Wening 1721, S. 8. 840 BayHStA Stv 1046, fol. 150v. 841 BayHStA Stv 1046, fol. 151r. 842 Wening 1721, S. 20. 843 BayHStA Stv 1046, fol. 165r–166r. 844 BayHStA Stv 1046, fol. 165v. 845 BayHStA Stv 1046 fol. 166r. 846 Wening 1721, S. 20. 847 BayHStA Stv 1044, fol. 102r–103v. 848 BayHStA Stv 1044, fol. 102v–103r.

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„Bey Ach fünden sich auch verschaidene neu gemachte schene frichtige obstgärtten, gestalten alda neben der gesuntten lüfft, und allenthalben ferfliessenten ser angenemben Prunquellen der Veltpau soguett und fruchtbar ist, das man sowohll in Ach als Wanghausen Veldern niemals kein ackher zu tradt849 ligen lassen darf sondern alljährlich anpauen kann, und denoch villfeltig und schene fricht erlangt. Zu deme ist in dieser refier ein notabler und guter heu wax. Ferrers gehören zum Schlos 8 guette Weyer und ziemlich grosse gehilz.“850

Grundherrliche Initiative und bevorzugte geomorphologische und klimatische Rahmenbedingungen schlagen sich in Praktiken und Arrangements nieder, die einen geradezu idealen agrarischen Schauplatz formen. Führt allerdings an anderer Stelle in der Wening-Topografie die redaktionelle Bearbeitung zur Tilgung oder zumindest gerafften Dokumentation suboptimaler Verhältnisse, so nivelliert der gedruckte Text im Fall der Hofmark Ach die Idealität des Schauplatzes. In nur einem Satz ist lapidar von der Sanierung des Schlosses durch den neuen Besitzer die Rede – und davon, dass dieser sowohl den „Feld[-] als annemblichen und nutzbaren Garten-Bau verbessert“ habe.851 Was ist von dem Ackerboden in Ach zu halten, der keine Brache benötigt? Wofür stehen die neu angelegten fruchtbaren Obstgärten? Dokumentiert die Originalbeschreibung schlicht eine ausgeprägte Gunstlage oder ging es dem Hofmarksherrn Franz Bernhard von Priellmair hier um Anderes? Wollte er, der die Herrschaft „jure cesso durch Vergleich“852 an sich gebracht hatte und der als Rentamtskastner überdies in landesherrlichen Diensten stand, gute – legitime – Herrschaft durch einen ‚blühenden‘ sozionaturalen Schauplatz zu inszenieren? Wenn dem so war, besitzt die durch die redaktionelle Bearbeitung erfolgte Nivellierung genau dieses Eindrucks eine politische Dimension. Topografie eines prekären Schauplatzes: Notzing Bevor nun versucht wird, die vorgestellten Beispiele topografischer Repräsentation agrarischer Landnutzung zu resümieren, soll noch ein Beitrag zur WeningTopografie genauer in den Blick genommen werden. Dies geschieht weniger um der Informationen willen, die der gedruckte Text enthält, als um der viel umfangreicheren, die er verschweigt. Es handelt sich um die Beschreibung der Hofmark 849 Die Tradt / Trat bezeichnet den Teil der Feldflur in der Dreifelderwirtschaft, der im jährlichen Wechsel unbebaut bleibt und beweidet wird. Der Begriff entspricht dem der Brache. JOHANN ANDREAS SCHMELLER: Die Trat (Tràd), in: JOHANN ANDREAS SCHMELLER (HG.): Bayerisches

Wörterbuch, Bd. 1. 2. Aufl., München 1872, Sp. 677–678, 677.

850 BayHStA Stv 1044, fol. 103r. 851 Wening 1721, S. 35. 852 Ebenda.

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Notzing im Landgericht Erding, Rentamtsbezirk Landshut.853 Die unsignierte Beschreibung aus dem Jahre 1699 zählt in Umfang und Detailliertheit der Thematisierung von Landnutzung zu den bemerkenswertesten Einsendungen des gesamten Topografieprojekts.854 Dagegen ist jenseits aller pragmatischen Notwendigkeit re853 Vgl. Wening 1723, S. 14–15. 854 Die relevanten Passagen der Originalbeschreibung seien hier um des besseren Verständnisses willen in toto zitiert: [fol. 152v:] „Es ligt aber dises Schloß undt hoffmarckh Notzing bei 6 stund von Münichen, dritthalbe biß drey stundt von Freysing undt ein stundt von Ertting, also nache an der freysingischen gränitz in schönen ebnen landt. Auff einer saiten gegen Erttingen ist lauther gutte feldung. Es gibt zwar rechter handt eine khleine anhöch, die aber in lauther schönen feldt bau bestehet. Bei den Schloß undt der hoffmarkh fliesset ein starckher bach vorbei, welliches wasser in alten schriften die Ach genandt wirdt, durch ein Müßverstandt aber der gemeine Mahn es ietzo die Dorffen zu nehnen pfleget. In disen wasser gibt gar gutte bradt fisch, die man Waißling nennet, wie auch Asch undt waß weniges von Höchten. Über disen wasser driben ligen gutte wissen oder baindten. Hinter den Wissen fanget sich das grosse Mosß an, welliches theil abgemähet, theils zur vüeh Waydt gebrauchet wirdt. So lasset man auch von May an, biß auf Michaeli oder solang sich thun läst die junge Rosß auff der Waydt lauffen, zumahln es ein lautheres eben landt ist undt wirdt nicht leicht gehördt werden, daß ein junges Rosß verlohr [/153r/] gehet. Von Notzing khann man ohne alle hindernuß auff Freysing, auch gar auff Münichen sehen. Diese hoffmarckh Notzing ligt in der Regirung Landtshueth undt in den Landtgericht Ertting. […]“ [fol. 155r:] „Das Gewerb der undterthanen zu Notzing bestehet bey denen bauern in feld bau, welliches der orthen sehr gueth ist, item in dem Vüch Ziegl undt erziechung junger Ross. Die Söldner, welliche gar khein feldtbau haben, müessen sich von den vüech undt taglohn ernöhren, iedoch ist daß Vüech diser orthen khlein Indem wegen dieser Waydt auff den Mosß aldo oft gräben undt Morastiger boden ist, daß grosse schweher vüech nicht fortkhomen khundte. Es müessen die leith sonderlich aber die Söldtner das fuetter undt gesträu in Mosß zu samen mähn, welliches eine hardte arwaith ist, massn in den Wilden Mosß offt biß an die khnüe in Morast gehen müessen. Sollichs geströ müessen sie auff grosse hauffen richten, den sie khönnen es nicht herauß führen als in strengen windter, wan der boden hardt gefroren ist. Die Söldtner pflegen sonsten zu anderer Zeit in daß Mosß mit Ochsen zu fahren. Solliche Zäum, Cometh undt Pferdt geschirr an haben, damit wan der Ochs in ein Morast zu tieff hinein fähldt, sollichen der ander Ochs herauß zichen khan. Undt das ist nur vor den bessern Mosß zu verstehen, in das Wilde Mosß aber khan man wie obgedacht, außer es seye der boden fäst gefroren, gar nicht fahren. Der Arme Mahn suchet auch theils von seiner nahrung in den früelling zur fastes Zeit mit denen freschen, deren in Mosß eine grosse Mänge gibt undt siehet man offt sehr vüll brennende fakheln bey der nacht in Mosß herumb, das die Unwissenden es vor gespänsten undt vor feyrige Mähner förchtent ansehen, da doch lauther

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solliche leith [/155v/] seindt, welliche zu freschen pflegen, weillen die fresch nach nidergang der Sohnen mit angehender nacht auff den freyen Wasen herauß herauß khrichen undt bey den liecht gar leicht und bequem auffzukhlauben seindt, das also in den früelling eine grosse Mänge fresch auff Münichen, Freysingen, Erttingen undt die umbligende orth verkhaufft wirdt. Dann es legen sich nicht nur die Notzinger auff sollich fresch fang: sondern auch mehr andere leith. Man verkhaufft gemeiniglich das Widel, darin 25 sindt, umb dritt halben auch 3 undt 4 khraytzer, daß manicher einer fasten 5: 6: 7: auch wohl 12 bis 15 fl. darauß lösen thut, darnach es ein frün früelling gibt, undt einer den fleiß anwendet. Hingegen hat man dißer orthn khein holz undt mus solliches vill stundt weith zuegeführdt werden. Es hat zwar eine Herrschaft zu Notzing undt die gesambte gemeindt eine starckhe stundt von hier in Mosß ein holz gestraiß von lauther Pürckhen vüll hunderdt tagwerckh in sich haltendt, der Wadler oder die Notzinger Schön genandt, darinen auch Pürckhhennen oder, wie mans hierumb ins gemein nennet, Moßhennen gibt, denen man aber wegen des Morastigen bodens sehr übel mit den schiessen zuekhomen khan; undt weillen etwa wegen des nassen bodens die Pürckhen langsam wachsen undt über Arm dickh nicht werden, hirnach baldt wider abstehen, so thut die herrschaft undt die gesambte gemeind zu Notzing gemeiniglich nur alle dritte Jahr, undt zwar zur strengen winthers Zeit, da der boden hardt gefrorn ist, darinnen hakhen lassen, weill man sonst unmöglich zu andern Zeit darin fahrn khundte, und nimbt die herrschaft sechs, ein bauer zwey, undt ein Söldtner ein fuder. Der orth Notzing ist sonst berümbt wegen der gutten fruchtbahren földer, undt schöne Ebne, so sehr bequem ist zum Hasen hezen. Es übertreffen auch die Moß Hasen andere weith in lauffen. Es ist auch […] auff den vorbey flissenden Wasser [/156r/] der Ach undt ein vürtel stundt waither hinauß auf der Alther wider noch etwas weithers bey einer halben stundt fürwerths auff der fühler vortrefflich gutte Pürsch auff wilde andten undt gänß, welliche nicht nur windters Zeit: sonderlich die gänß öffters zu Tausenden in obgedachte Wässer, die Ach, Alther, undt fühler einfallen: sondern auch offt in unglaublicher Mänge sich auf die fälder niderlassen. Vor einigen Jahrn haben sich auch nögst an Nozing auff der Ach vüll Schwanen eingefunden. Ihro Churfürstl. Dhtt. der itzt Regirende Churfürst seindt offt von Münichen khomen undt sich alhier zu Notzing mit Schwanen schiessen in hoher Vergnugung divertirt haben. Bey etlichen jahrn hero aber lassen sich kheine Schwanen mehr sehen. […]“ [fol. 156v:] „Von fruchtbarkheit des orths ist schon oben angezaigt worden [/157r/] daß es ein gutten getraydt boden hat, aber von Obst ist daselbst fast gar nichts, weill diser orthen vill unkhosten erforderdt, die gärtten zu verzaunen, daß man nicht hinein staigen khundte, niemandt, wie gehrn er es sonst thun möchte, lust hat, was von Obst zu ziehen.“ Die lufft ist hier noch zimblich gueth wiewohlen die Tämpff von dem Mosß in herbst und früelling zeitten auf zu steigen pflegen, hingegen hat die luft wegen der schönen Ebene freyen blatz alle böse tämpf hinweg zu streichen.“ BayHStA Stv 1049 fol. 152v–153r, 155r–157r.

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daktioneller Kürzungen frappierend, wie gerade das Portrait dieses agrarischen Schauplatzes in der Publikation auf kaum mehr erkennbare Rudimente reduziert wird. Die eingesandte Beschreibung steckt die Topografie von Schloss und Hofmark nach außen durch Entfernungsangaben nach München, Freising und Erding sowie durch die Benennung der nahen politischen Grenze zum Fürstbistum Freising ab und qualifiziert den Schauplatz als in „schönen ebnen landt“ liegend. Die Binnenentopografie der Hofmark bestimmt ein Gewässer, die Ach (Dorfen), deren hinsichtlich der Nutzung wichtigste Fischarten differenziert werden. Die Ach gliedert die unterschiedlichen geomorphologischen Sektoren der Hofmark: östlich des Flusses in der Ebene in Richtung Erding wird gutes Ackerland ausgewiesen und „rechter hand“ eine kleine Anhöhe, die ebenfalls gut zu bewirtschaftendes, fruchtbares Ackerland beherberge. Jenseits der Ach finde man zunächst gute Wiesen, dann das „grosße Mosß“, also die umfangreichen Niedermoorgebiete des Erdinger Mooses. Dieses „grosße Mosß“ und seine Nutzung prägen die Topografie von Notzing. Unter den zahlreichen in der Beschreibung erläuterten Landnutzungspraktiken finden sich kaum welche, die sich auf den guten, fruchtbaren Ackergründen der Hofmark vollzogen. Es wird pauschal von der guten Eignung des Bodens, ja sogar dessen Berühmtheit für den Ackerbau berichtet. Diese Qualifikation wird auch sozial differenziert: Bauern gingen Ackerbau, Viehzucht und der Aufzucht junger Pferde nach, während sogenannte Söldner, also Dorfbewohner ohne eigenen landwirtschaftlichen Grundbesitz, sich von Tagelöhnerei sowie von Viehweide, Grasmahd und anderen Nutzungen im Moor ernährten. Weit über die ländliche Unterschicht hinaus scheint das Moor jedoch, so der vom Bericht vermittelte Eindruck, den agrarischen Kosmos Notzings geprägt zu haben: Das Moor der Beschreibung ist Schauplatz von Weidenutzung durch angepasste – leichte – Viehrassen. Ihm wird von Söldnern mühsam Gras und Streu abgerungen, bei deren Gewinnung die Menschen oft knietief im Morast stehen. Geerntetes Heu muss vor Ort gelagert werden, bis es im Winter bei gefrorenem Boden abtransportiert werden kann. Ochsen werden nur in vollem Geschirr ins Moos getrieben, damit ein Tier, wenn es einsinkt, von einem anderen herausgezogen werden kann. Besonders eingehend wird eine weitere Erwerbsquelle des ‚armen Mannes‘ im Moos geschildert: das Sammeln von Fröschen als Fastenspeise während der Fastenzeit. Nachts im Fackelschein werde im Frühjahr den Fröschen nachgestellt. Der Fang könne im großen Umfang nach München, Erding, Freising und in umliegende Orte verkauft werden. Auch nicht Einheimische beteiligten sich am Fröschesammeln. Die Beschreibung gewährt nicht nur sehr plastisch Einblick in die Praxis; die genaue Quantifizierung der ökonomischen Verwertung ermöglicht darüber hinaus Rückschlüsse auf die Dimension und ökologische Wirksamkeit des Phänomens. Ein „Widel“ zu 25 Fröschen erziele Preise zwischen anderthalb und vier Kreuzer.

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Ein einzelner Froschsammler könne so während einer Fastenzeit zwischen fünf und fünfzehn Gulden erwirtschaften. Nimmt man einen Preis pro „Widel“ von drei Kreuzern an und geht von zwölf Gulden Gesamteinnahmen eines Sammlers aus, so ergibt sich pro Person eine Entnahme von 6000 Tieren. Der Schilderung der Praxis folgend muss man konservativ kalkuliert von dutzenden Sammlern ausgehen – und der entsprechenden Entnahme von Fröschen. Stimmen die Angaben, so hat man es hier wohl mit der impliziten Beschreibung einer Form von vormoderner lokaler Ressourcenübernutzung zu tun. Interessant sind auch die Ausführungen der Beschreibung zur Bewirtschaftung der Ressource Holz. Notzing verfüge über keinen nahe gelegenen Wald. Holz müsse daher „vill stundt weith zuegeführdt werden“. Herrschaft und Gemeinde besäßen „eine starckhe stundt“ entfernt im Moor einen mehrere hundert Tagwerk großen Birkenwald, dessen Bäume aber wegen der Nässe nur langsam wüchsen und lediglich Armstärke erreichten, bevor sie abstürben. Die Beschreibung dokumentiert auch an diese Gegebenheiten angepasste Nutzungspraktiken. Jedes dritte Jahr im Winter, wenn gefrorene Böden den Abtransport ermöglichten, unternähmen Herrschaft und Gemeinde von Notzing im „Notzinger Schön“ einen Holzeinschlag. Die Herrschaft entnehme dabei sechs, ein Bauer zwei und ein Söldner ein Fuder. Die Holzarmut der Gegend steht auch im Zusammenhang mit der Feststellung, dass vor Ort die Obstkultur keine Rolle spiele. Zu teuer sei das Holz für die Verzäunung der Obstgärten. Die Erklärung der Notwendigkeit der Verzäunung überrascht: Es ist nicht von Vieh die Rede, das die Bäume schädige, sondern vom drohenden Eindringen von Menschen und damit implizit von der Gefahr des Diebstahls. Da eine entsprechend effektive Verzäunung nicht gewährleistet werden könne, habe „niemandt, wie gehrn er es sonst thun möchte, lust […], was von Obst zu ziehen.“ Rückschlüsse dieser Aussagen auf Sozialstruktur und sozialen Frieden am Schauplatz sind zwar zwangsläufig spekulativer Natur, zeichnen aber ein durchaus ambivalentes Bild. Die Notzing-Topografie thematisiert auch das Vorkommen von Wildtieren und die entsprechenden Jagdpraktiken. So gebe es im Wald der Notzinger zwar Moorhühner. Man könne sich ihnen aber wegen des morastigen Bodens nicht auf Schussweite nähern. Die Ebene eigne sich gut zur Hasenhatz, wobei den „Moß Hasen“ attestiert wird, sie überträfen andere deutlich im Laufen. Auf den Flüssen Ach und Alter gebe es zahlreiche Enten und Wildgänse. Früher hier zahlreich vorhandene Schwäne hätten auch den Kurfürsten Max Emanuel (1662/1679-1726) zur Jagd hierher gelockt, ließen sich aber nicht mehr sehen. Die Autorschaft des unsignierten Texts ist nicht klar. Letztlich ist er inhaltlich von der Hofmarksinhaberin, Maria Walburga Rauberin, Freiin zu Planckenstain und Carlstötten, zu verantworten. Die Topografie der Hofmark Notzing repräsentiert einen sozionaturalen Schauplatz, dessen materielle Dimension von der Nähe zu einem umfangreichen Niedermoorgebiet geprägt wird. Mit großer Detailfreude schil-

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dert der Text Landnutzungspraktiken, die sich speziell auf diesen materiellen Kontext beziehen. Ackerbau und Viehzucht auf den als sehr fruchtbar qualifizierten Flächen außerhalb des Moores werden offensichtlich als keiner vertieften Auslassungen bedürftig erachtet. Der Druck kürzt den Textbestand deutlich – und überproportional in den zitierten Passagen zur agrarischen Landnutzung, die weitgehend entfallen. Von der Vorlage wird die Lagebeschreibung soweit übernommen, wie sie die fruchtbaren Äcker in der Ebene und auf der Anhöhe ausweisen.855 Auch der Fluss Ach (Dorfen) und die jenseits gelegenen Wiesen werden angesprochen. Das sich anschließende Moos erscheint nur kurz mit dem Hinweis auf Mahd und Weidenutzung. Alles andere entfällt. Der Text rückt dagegen die Beschreibung des Schlosses und der Kirche in den Vordergrund. Auch der Bildausschnitt der künstlerisch wenig ambitionierten Grafik wird vom Schloss dominiert und bietet kaum topografisch informative Ausblicke in die Umgebung. Im Text kommt das Moos nur abschließend noch einmal kurz zur Sprache, wenn von Nebelbildung („Dämpff“) in Frühjahr und Herbst die Rede ist. Zwar geht auch der gedruckte Text auf die agrarische Erwerbstätigkeit der Bevölkerung ein, allein die oben zitierte soziale Differenzierung in Bauern und Söldner entfällt. Das Notzing der gedruckten Topografie ist ein rein bäuerliches: „Das Gewerb der Underthonen zu Notzing bestehet bey denen Baurn im Feldbau / welches der Orthen sehr gut ist / und in dem Vichzügl.“856 Die Unterschichten und mit ihnen der in der Vorlage so dominante Kosmos Moos bleiben unsichtbar. Unsichtbar bleiben auch die standortspezifische Wildtierfauna und diesbezügliche jagdliche Praktiken. Die gedruckte Topografie Notzings dreht damit die Verteilung der thematischen Gewichte in der Repräsentation des Schauplatzes, wie sie die Vorlage unternimmt, glatt um. Die entfallenden Passagen enthalten genaue Angaben zur Nutzung eines agrarischen Grenzbodens und eines in mehrfacher Hinsicht prekären Schauplatzes. Gleichwohl trägt die Beschreibung keine Züge der Klage. Die mit äußerster Mühsal verbundenen Praktiken werden ohne Wertung geschildert. Sie gehören zur Subsistenz der Hofmark. Die Beschreibung der Praktiken und Arrangements basiert offensichtlich auf vertieftem Erfahrungswissen. Ein Rückgriff auf die von Ursula Schlude verwendeten Kategorien führt zu der Frage, warum hier empirisches agrarisches und ökologisches Wissen von unmittelbarer wirtschaftlicher Relevanz überhaupt von der Hofmarksobrigkeit nach außen getragen und in den topografischen Publikationsprozess eingespeist wurde. Zusätzlich steht in Frage, warum das meiste hiervon nicht in den Aggregatszustand öffentlich zugänglichen topografischen Wissens transformiert wurde. War es etwa sinnvoll, die Praxis des Fröschesammelns derart detailliert sowohl hinsichtlich der Vorgehensweise als auch in ihrem wirtschaftli855 Wening 1723, S. 14–15. 856 Ebenda, S. 15.

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chen Ertrag zu explizieren? Hätte eine Publikation nicht noch weitere ortsfremde Sammler angezogen und damit den Nutzungsdruck erhöht? Letztere Frage kann wohl verneint werden, handelte es sich doch beim adressierten Publikum der Historico topographica descriptio um gesellschaftliche Eliten, aus deren Kreisen sich Fröschesammler nicht rekrutierten. Es bleibt die Frage nach den Gründen der redaktionellen Eliminierung des Kosmos Moos. Notzing, aber auch die übrigen im vorliegenden Kapitel analysierten Beispiele legen folgende Antwort nahe: Topografische Repräsentation – gerade im Rahmen einer unter landesherrlicher Einflussnahme erstellten Landesbeschreibung, die angetreten ist, „Herrlichkeit / Reichthumb / und natürliche Vortheil“ eines Landes zu beschreiben, „dem fast an nicht [sic!] gebreche“857 – bedient eine Reihe vorgegebener Bilder. Der nur unter steter Mühsal nutzbare Grenzboden, mehr noch, die unheimliche Gegenwelt des großen Moores – auch sie wird im handschriftlichen Notzing-Text in Form des Gespensterglaubens Einheimischer sichtbar – ist nicht Teil des erwünschten topografischen Bildes von einem blühenden Land. Topografisches Wissen über agrarische Landnutzung – Autoren, Strategien, Programme, Muster Damit ergibt sich auf der Basis der hier analysierten Lokaltopografien folgender Eindruck: Ländliche Herrschaftsträger kommunizieren in der Regel keine agrarischen Informationsbestände, deren Verbreitung lokale wirtschaftliche Interessen gefährden könnte. Am weitesten rückt die Notzing-Topografie in die Nähe zu einer solchen potenziellen Gefährdung. Auf redaktioneller Seite besteht dagegen überhaupt kein Interesse an einem allzu differenzierten Bild von agrarischer Landnutzung. Die Informationen werden nicht selten nivellierend in Schablonen gattungsüblicher Topik gegossen. Gerade die Beschreibung schwieriger Verhältnisse oder schauplatzspezifischer Problemlagen fällt tendenziell der redaktionellen Überarbeitung zum Opfer, ein Befund, der auch schon für den Umgang mit fluvialer Dynamik festgestellt wurde (Kap. 3.2). Aber auch eine allzu idealische Inszenierung eines agrarischen Schauplatzes kann – wie im Falle der Hofmark Ach geschehen – redaktionelle Korrektur herausfordern. Wildbestände und Jagd sind schließlich ebenfalls Themen, die Eingriffe auf sich ziehen, wie auch die Beschreibungen des Pfleggerichts Kling und der Hofmark Notzing zeigen. Jagd als Teil höfischer Herrschaftspraxis, als Signal sozialer Distinktion und landesherrlicher Suprematie besaß besondere Relevanz für das topografische Bild eines Territoriums. Gerade dort, wo – wie im Falle der Tattenbachischen

857 Vorred an den wol-geneigten Leser, in: Wening 1701, unpag.

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Besitzungen im Rentamtsbezirk Burghausen – die Beschreibung adeliger Jagdpraxis allzu repräsentative Züge trug, setzte die redaktionelle Bearbeitung an.858 Topografische Repräsentation als systematische, programm- und interessengeleitete Inszenierung sozionaturaler Schauplätze lässt sich in allen Aggregatszuständen der topografischen Information nachweisen. Bereits die inhaltlich homogenisierende Wirkung der Frageraster zu Beginn des Prozesses, dieser nachgelagert das ‚pragmatische Schreiben‘ der Beitragenden und schließlich die redaktionelle Aufarbeitung der Texte für den Druck gehören zu ein und demselben kommunikativen Vorgang. Pragmatisches Beschreiben materieller Rahmenbedingungen von Landnutzung scheint mir auch dann vorzuliegen, wenn etwa ein und derselbe klimatische Faktor je nach Darstellungsinteresse diametral unterschiedliche Wertung erfährt. So wird in Beschreibungen aus dem südostbayerischen Alpenvorland der kalte Gebirgswind als Hindernis landwirtschaftlicher Produktivität qualifiziert.859 Gleichzeitig stammt aus derselben Region eine Beschreibung, die diesen Faktor im Interesse der Inszenierung eines idealen Schauplatzes umdeutet. Dies ist bei der Preysingschen Herrschaft Hohenaschau der Fall, in der zur Sommerszeit die „[v]orbey streichend lieblich khüelen Lüfften“ eine „erquickhende Gemiets- und Leibserfrischung“ bildeten und dem Grassieren einer „Contagion“ vorbeugten.860 Meist sind es praxisnahe Autoren mit eigenem, amtsbedingtem Bezug zu den Landnutzungsprozessen vor Ort, die empirisch verfasste Schauplätze entwerfen und dabei auch ökonomisch relevante Informationen liefern. Dies gilt etwa für die Beschreibung des kurfürstlichen Weißen Bräuhauses im niederbayerischen Vilshofen.861 Der 1721 vom Vilshofener Pflegrichter vorgelegte Beitrag fällt wesentlich umfangreicher und detaillierter aus als die 1700 von der magistratischen Obrigkeit beigesteuerte Beschreibung der Stadt.862 Weit über die Ressourcenbedürfnisse des Bräuhauses hinaus schildert die erste der beiden Beschreibungen Praktiken und Arrangements agrarischer, jagdlicher und gewerblicher Landnutzung im Gerichtsbezirk. Ähnliches gilt für die nahe gelegene Stadt Osterhofen. Die zwei für diese Stadt vorliegenden Beschreibungen – eine aus städtisch-magistratischer Autorschaft, die andere vom Pfleggericht stammend – zeigen, obwohl sie beinahe zeitgleich im Herbst 1698 vorgelegt wurden, völlig unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Der Bericht des Pfleggerichts konzipiert Stadt und Hinterland als funktionale Einheit und entwirft diese Einheit als einen thematisch ebenso breit wie symmetrisch verfassten sozionaturalen Schauplatz.863 Der Getreideanbau wird dabei genauso be858 Knoll 2008, S. 69–70. 859 Ebenda, S. 69. 860 BayHStA Stv 1045, fol. 82v; vgl. Knoll 2008, S. 69. 861 BayHStA Stv 1052, fol. 434r–438r; Wening 1723, S. 84. 862 BayHStA Stv 1052, fol. 430r–432r; Wening 1723, S. 83–84. 863 Vgl. BayHStA Stv 1051, fol. 216r–218r.

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rücksichtigt wie die Nutzung naher Wälder, deren Holzvorkommen nach Baumarten differenziert dokumentiert wird,864 und das Vorkommen von Wild in der Gegend. Der städtische Bericht ist dagegen stark an der Herrschaftsgeschichte des Orts orientiert und verliert etwa zum achten Punkt des Fragebogens, der Gewerbe, Landwirtschaft etc. abfragt, nur eine Zeile („Ist von nichts als die refier von guten Traidtpoden bekannt.“).865 Mehr Information zu lokalen Praktiken und Arrangements der Landnutzung kommt eher beiläufig ins Spiel, wenn an anderer Stelle die Qualifikation guter Luft des Schauplatzes mit der Bemerkung relativiert wird, die Weiher verströmten vor allem im Herbst, während der „auswarkhszeiten“ üblen Geruch.866 Die Arrangements stadtnaher Fischweiher und diesbezügliche Nutzungspraktiken, die hier en passant und ohne Interesse an der ökonomischen Dimension angerissen werden, sind im Bericht des Pfleggerichts wesentlich stärker präsent. Hier aber erfahren wir zusätzlich vom Fischbestand unter Angabe der unterschiedlichen Fischarten, vom Turnus des Abfischens, der Versendung von hundert und mehr Fuhren Fisch nach Landshut im Gefolge des Abfischens und von der landwirtschaftlichen Zwischennutzung der trockenliegenden Teiche.867 Die gedruckte Topografie verbindet in diesem Fall die Schwerpunktsetzungen beider Papiere und übernimmt das herrschaftsgeschichtliche Profil des einen ebenso wie das sozionaturale des anderen. Agrarische Schauplätze der Wening-Topografie sind geprägt durch ein Ineinandergreifen landwirtschaftlicher Empirie, sparsam dosierter Substrate des veröffentlichten Fachdiskurses und einer vor allem durch die Redaktion eingebrachten topografisch-panegyrischen Topik. Informationen über den Schauplatz sind dadurch mehrfach gebrochen. Die Repräsentation einer anderen häufig in topografischer Literatur thematisierten Form der Landnutzung, Heilquellen und Bäder, verdankt sich dem Ineinandergreifen anderer Faktoren. Hier spielt die ‚touristische Empirie‘ von Topografen und Reiseschriftstellern ebenso eine Rolle wie der publizistisch greifbare balneologische Fachdiskurs. Stichproben hierzu werden den Merian-Bänden zu Bayern und Österreich sowie der Wening-Topografie entnommen. 3.4.1.2 Bädertopografie und balneologischer Diskurs Die erste grafische Einzeldarstellung in der Merianschen Topographia Provinciarum Austriacarum zeigt eine Innenansicht (Abbildung 58). Es handelt sich um einen der beiden Badesäle in Baden bei Wien. Der zum Betrachter hin offene, zent864 BayHStA Stv 1051, fol. 217v. 865 BayHStA Stv 1051, fol. 221r. 866 BayHStA Stv 1051, fol. 222r. 867 BayHStA Stv 1051, fol. 217r.

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ralperspektivisch und fast symmetrisch konstruierte Raum trägt bühnenhafttheatrale Züge. Das von einer Balustrade gesäumte, viereckige Badebecken steht im Zentrum der Darstellung. Die Materialität des Schauplatzes ist sorgfältig durchinszeniert. Schäden am Putz der Wände und eine Figur, die an der rechten Wand des Raumes offensichtlich Salpeter erntet, sind Marker für die alles durchdringende Feuchtigkeit. Ein dekorativ als Transparent an der Seitenwand angebrachtes Tuch enthält Bildtitel und erklärende Legende für die Positionen der Einstiegsstellen für Männer und Frauen sowie die Zugänge von den Umkleidesälen zum Badesaal. Der Titel weist nicht aus, ob es sich beim dargestellten Schauplatz um das Herzogsbad oder das Fronenbad handelt. Möglicherweise war dem Grafiker868 die Unterscheidung, die die im Text zitierte Beschreibung eines nicht namentlich benannten Ortskundigen vornimmt,869 nicht bekannt. Die Szenerie ist von zahlreichen Staffagefiguren bevölkert. Es sind Badende unterschiedlichen Alters und Geschlechts, in unterschiedlichem Ausmaß bekleidet und in unterschiedlichen Posen (stehend, sitzend, in Kontakt mit anderen oder alleine, schwimmend oder einander bespritzend) dargestellt. Um das Becken herum sind Figuren unterschiedlichen sozialen Status’ zu sehen: durch Kleidung und Promenieren als gesellschaftlich höher stehend Ausgewiesene, aber auch Dienstboten, die unterschiedlichen Geschäften nachgehen. Abbildung 58: Matthäus Merian d. Ä., Aigentliche art Und abbildung des Badener Bads bey Wien, Topographia Provinciarum Austriacarum, 1679

868 Wüthrich weist einen namentlich nicht bekannten Kupferstecher aus der Merian-Werkstatt als Radierer aus, der in der Art von Jacques Callot arbeitete („Callotstecher“), Wüthrich 1996, S. 261, lfd. Nr. 3. 869 Merian der Ältere et al. 1649, S. 11.

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Der Text gliedert sich in zwei Hauptabschnitte. Im ersten, kürzeren, zitiert Zeiller die balneologische Beschreibung Badens in Johann Winters Commentarius de balneis & aquis medicatis aus dem Jahre 1565.870 Diese geht nach nur kurzer Lagebestimmung des Städtchens und der Ableitung des Namens vom Heilbad auf die mineralische Zusammensetzung des Wassers – viel Schwefel, wenig Salz, noch weniger Alaun –, auf Indikationen und Kontraindikationen, Anwendungsweisen und bevorzugte Anwendungszeiten ein.871 Zeiller stellt nach Zitatende und seitengenauem Beleg fest, der Ort verfüge für die Badegäste über „ansehenliche Gelegenheiten / und bequemes Underkommen“.872 Er verbindet dies mit der Anmerkung, viele stünden im Ruch sich „nur deß Wollusts halber / dahin […] zu begeben“.873 Den zweiten und größeren Teil des Texts nimmt eine Beschreibung ein, die Zeiller als Zusendung ausweist und deren Autor nicht namentlich benannt wird. Dieser anonym bleibende Berichterstatter beendet seine Ausführungen mit dem autorisierenden Hinweis, er schreibe „auß Erfahrung / dann ich vor etlich Jahren in dem Hertzogbad allda selbst gebadet“.874 Seine Beschreibung geht deutlich über die normative balneologische Kerntopik des Badeconsiliums875 – Ortsbeschreibung, Mineralquellenanalyse, Heilanzeigen mit Gegenindikationen und Nebenwirkungen, Baderegimen mit Vorgaben zur Anwendung, Badedauer, Vor- und Nachbereitung – hinaus und nähert sich deskriptiv den diversen Praktiken und Arrangements, die den Badebetrieb ausmachen. In Baden quelle warmes Wasser aus der Erde.876 Fronbad und Herzogsbad seien sehr ähnlich erbaut. Während jedoch Ersterem das Wasser von außen zulaufe, quelle es in Letzterem direkt von unten durch Löcher im Bretterboden. Wiener, aber auch Menschen aus anderen Orten kämen in großer Zahl zur Sommerszeit zum Bad. Menschen jeden Geschlechts, Alters und Standes, „wofern 870 Ebenda; vgl. JOHANN WINTER: Ioannis Guintherij Andernaci Medici Commentarius De Balneis, & aquis medicatis in tres Dialogos distinctus Argentorati 1565. [VD16 W 3536], Straßburg 1565. http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00015799/image_1, Stand: 29.09.2011, S. 68–69. 871 Zur spätmittelalterlichen Gattungsgeschichte der nordalpinen balneologischen Literatur und zur paradigmatischen Rolle von Felix Hemmerlis (1388/89-1458/59) Tractatus de balneis naturalibus für die Ausformung von deren Rhetorik vgl. FRANK FÜRBETH: Heilquellen in der deutschen Wissensliteratur des Spätmittelalters. Zur Genese und Funktion eines Paradigmas der Wissensvermittlung am Beispiel des ‚Tractatus de balneis naturalibusǥ von Felix Hemmerli und seiner Rezeption (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des Sonderforschungsbereichs 226 Würzburg / Eichstätt 42). Wiesbaden 2004. 872 Merian der Ältere et al. 1649, S. 11. 873 Ebenda. 874 Ebenda, S. 12. 875 Fürbeth 2004, S. 196. 876 Merian der Ältere et al. 1649, S. 11.

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sie keine offene Schäden haben“, badeten gemeinsam. Gekleidet seien sie dabei in speziellen Badekleidern oder auch nur in Hemden und Schlafhosen. Männer trügen eine Kopfbedeckung, die sie beim Betreten und Verlassen des Bades zum Gruße zu lüften hätten. Es werden die unterschiedlichen Positionen der Badenden, die Sitzgelegenheiten und Armaturen sowie der „Abfall“, also der Ablauf des Beckens, geschildert.877 Auch die Präsenz von Baderichtern und Fiskalen findet Erwähnung, die die Einhaltung der Badeordnung überwachten und bei Übertretung Strafgelder einforderten. An Schmuck könne nur Gold zum Baden getragen werden. Alles andere Metall werde gleich schwarz. Auch Riegel und Bänder der Türen seien deshalb aus Holz gefertigt. Sehr genau beschreibt der Autor die körperlichen Empfindungen beim Bad: „So bald man etlichmal angefangen zu baden / fangt der Leib an außzuschlagen / thut aber bald wider vergehen und heilen / macht den Magen etwas blöd / dahero sich die Badleuthe mit Fätschen / umb die Mitte / binden.“878 Man bade gemeinhin vier Wochen lang und werde „bei einer Viertelstunde zu und abgenohmen.“ Das Städtchen biete „bequeme Gelegenheiten / und lustige Spatziergänge“. Viele, so auch hier die moralisierend-kritische Abschlussbemerkung, gebrauchten den Ort „nur für Lust“ und trieben hier „manche Abentheuer“.879 Nicht nur die Erwähnung einer Badedauer von vier Wochen, die sich wohl die Wenigsten leisten konnten, sondern auch der abschließende Hinweis auf ein sehr ortsspezifisches Zusammenwirken von Praktiken und Arrangements zeichnet das Bild eines sozial hierarchisch verfassten sozionaturalen Schauplatzes: Außerhalb der Stadt werde der „Abfall“, also das aus den Bädern abfließende Wasser, von Armen und Juden zum Baden genutzt.880 Der aus drei Elementen kollagierte Beitrag zum Heilbad Baden in der Topographia Provinciarum Austriacarum bildet zwei Schwerpunkte. Die direkt der balneologischen Fachliteratur entnommene Passage arbeitet die gattungstypische Kerntopik des Badeconsiliums ab. Bild und zugesandte Beschreibung gehen dagegen stärker auf die zeitgenössische sozionaturale Realität vor Ort ein. Außer der sowohl bei Zeiller als auch in der anonymen Zuschrift anklingenden moralischen Badekritik werden keine weitergehenden Zuordnungen vorgenommen. Auch bei der Beschreibung von Bädern an anderer Stelle beschränkt sich Zeiller auf eine der balneologischen Kerntopik folgende Charakteristik mit humoralpathologischer Indikation, so etwa in der Beschreibung des im Fürstbistum Salzburg ge-

877 Ebenda, S. 12. 878 Ebenda. 879 Ebenda; zur Tradition der moralischen Badekritik und deren Implementierung in Hemmerlis Tractatus vgl. Fürbeth 2004, S. 140–141. 880 Merian der Ältere et al. 1649, S. 12.

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legenen Bades Gastein.881 Das westlich von Regensburg gelegene Bad Abbach wird ebenfalls unter Rückgriff auf Bäderliteratur (Johann Göbel) und nur geringfügig historisch-topografisch erweitert beschrieben,882 obwohl Zeiller den Kurort ausweislich seines Itinerarium Germaniae mehrmals selbst auf Reisen passierte.883 Das oberbayerische Bad Adelholzen wird in der Merianschen Topographia Bavariae kurz im Rahmen des Eintrags zur nahen Stadt Traunstein erwähnt,884 auch dies mit mineralischer Analyse und Indikationen. Ferner repräsentiert eine eigene Ansicht das Bad grafisch (Abbildung 59).885 Als zentrales Arrangement des hier inszenierten Schauplatzes nimmt eine Kegelbahn die Bildmitte dieses Stiches ein, frequentiert von im Spiel befindlichen Staffagefiguren. Dies kann Zufall sein. Wahrscheinlicher erscheint mir ein dezentes ikonografisches Anknüpfen an die moralische Bäderkritik. Die hier analysierten Bäder-Topografien in den Merian-Bänden zu Österreich und Bayern bewegen sich inhaltlich genau entlang der zeitgenössischen balneologischen Topik. Moralische Aspekte werden allenfalls randständig verhandelt; eine Thematisierung der theologischen Dimension der Heilbäder unterbleibt. Die Strahlkraft der vergleichsweise säkular medizinisch auftretenden balneologischen Fachliteratur reicht aber nicht nur in die Merian-Topografie. Mittelbar spiegelt sie sich 881 „Und entspringet zwischen Gastein und Rauriß / uber Saltzburg / in hohen rauhen Gebürgen / mit welchen dieses Land wol versehen ist / das Gasteinbad / so warm ist / und grosse Krafft hat außzutrucknen / und anzuziehen / stärcket das Gehirn / Hertz unnd SeenAdern / auch die Krancke / so wider anfahen gesund zu werden reiniget das Geblüt / und ist gut zu deß Haupts Gebresten / dienet für das Haar außfallen / wider das harte Miltz / Zipperlin / Winde / Gelbsucht / den Stein und Grieß: mehret den Saamen / und hilfft zu den Venerischen Sachen: Ist aber nicht zu trincken / und solle mit Theils Krancken bald Feyrabend machen.“ Merian der Ältere et al. 1657, S. 98. 882 „Abach / in Nieder Bayern / und in die Straubingische Regierung / sampt seinem LandtGericht gehörig / ein Marcktflecken an d' Thonaw / zwo kleine Meilen oberhalb Regenspurg / sambt einem BergSchloß. Wird Lateinisch Abudiacum Danubianum genandt; unnd ist allhie Kayser Henricus Secundus zugenandt der Heilige / gebohren worden. Hat da ein halbe Maut / unnd ein gesundt Bad / so man aber wärmen muß. Räucht als hart gesottene Eyer / und dienet für die Melancholey / den Schlag / das Hertzpochen / Ohnmacht / unnd Hertzwehe / böse Augen / faul Zahnfleisch / Zahnwehe / Schorbock / Grieß in den Nieren / gelieffert Geblüt / Liebs Träncklein / etc. wie Johann Göbel / in Beschreibung der Bäder / am 80. und 81. Blat meldet. Man hat etwan alhie Röm. Antiquitäten gefunden. Ist An. 1297 von den Regenspurgern außgebrant worden / wie Hund an Metropol. Salisburg. folio 205. schreibet.“ Ebenda, S. 113. 883 Gorsemann 1995, S. 70. 884 Merian der Ältere et al. 1657, S. 107. 885 Unpag., nach ebenda.

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noch in Teilen der geschichtswissenschaftlichen Gegenwartsforschung. So liefert etwa der Artikel Wolfgang U. Eckarts zu medizinischen Bädern in der Enzyklopädie der Neuzeit keinen Hinweis auf einschlägige theologisch-konfessionelle Diskurse.886 Welcher historiografisch blinde Fleck damit entsteht, zeigen die Studien von Ute Lotz-Heumann zur Repräsentation von Heilwässern, -quellen und -bädern.887 Der Zugang der Autorin zum Thema ähnelt insofern dem der vorliegenden Arbeit, als er – wenngleich stärker systemtheoretisch ausgerichtet – Textualität auf der einen und „materielle Kultur“, also Materialität und darauf bezogene Praktiken, auf der anderen Seite als nicht dichotomisch verfasstes Beziehungsgefüge untersuchen will.888 Die Ausgangsbeobachtung für ihre Erörterung von sakralen und säkularen Argumentationsmustern in der Repräsentation von Heilbrunnen ist der Umstand, dass es sich bei der Qualifizierung einer Quelle als heilend zunächst um eine Zuschreibung handelte. Diese beruhte zwar bis zu einem gewissen Grad auf Erfahrung, war aber jederzeit widerruflich, bevor man ab dem 18. Jahrhundert zunehmend in der Lage war, medizinisch-naturwissenschaftliche Nachweise über Wirksamkeit oder Unwirksamkeit zu führen.889 Lotz-Heumann sieht diese Zuschreibungen als Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse, „in denen sich die Interessen verschiedener Akteure und unterschiedlicher Milieus überlagerten und in Widerspruch geraten konnten.“890 Da im Grundsatz jede Quelle als heilend gedeutet werden konnte, sei entscheidend gewesen, „ob sich diese Repräsentation im Diskurs ausreichend durchsetzte und zu sozialen Praktiken führte, die das Deutungsmuster wiederum stabilisierten.“891 Lotz-Heumann unterscheidet auf der Basis ihrer Auswertung gedruckter Flugblätter und Flugschriften des 16. und 17. Jahrhunderts drei Diskursgemeinschaften und ordnet diesen Tendenzen der Säkularisierung oder (Re-)sakralisierung zu. Der „balneologisch-medizinische Diskurs“ habe sich bereits im 16. Jahrhundert argumentativ weitgehend säkularisiert; auch im Zeichen der Konfessionalisierung sei er

886 Vgl. WOLFGANG U. ECKART: Bäder, medizinische, in: FRIEDRICH JAEGER (HG.): Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1. Stuttgart 2005, Sp. 921–926. 887 Vgl. UTE LOTZ-HEUMANN: Repräsentationen von Heilwassern und -quellen in der Frühen Neuzeit. Badeorte, lutherische Wunderquellen und katholische Wallfahrten, in: MATTHIAS POHLIG/UTE LOTZ-HEUMANN/VERA ISAIASZ/RUTH SCHILLING/HEIKE BOCK /STEFAN EHRENPREIS (HG.): Säkularisierungen in der Frühen Neuzeit. Methodische Probleme und empirische Fallstudien (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 41). Berlin 2008, S. 207–330. 888 Ebenda, S. 278–279. 889 Ebenda, S. 277–278. 890 Ebenda. 891 Ebenda, S. 278.

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nur teilweise resakralisiert worden.892 Der lutherische Wunderbrunnendiskurs habe – anders als der ebenfalls im Protestantismus starke Prodigienglaube – eine positive Deutung der hydrologischen Phänomene als Geschenke Gottes an den Menschen vorgenommen.893 Autoren dieser Diskursgemeinschaft grenzten sich scharf vom medizinisch-balneologischen Diskurs ab.894 Dem Wissenschaftsoptimismus der ebenfalls protestantisch geprägten Physikotheologie stehe der lutherische Wunderbrunnendiskurs fern. Auf katholischer Seite habe der Wallfahrts- und Heilquellendiskurs meist das Wirken eines Heiligen in den Mittelpunkt gestellt.895 Die Rolle des Wassers blieb dabei sekundär. Während der lutherische Wunderbrunnendiskurs die Temporalität und tendenzielle Prekarität der Phänomene im Sinne einer jederzeitigen Widerruflichkeit durch Gott unterstreiche, bemühe sich der katholische Heilquellendiskurs „um Verstetigung und ‚Solidität‘ der die Wallfahrt umgebenden materiellen Kultur und religiösen Praktiken“.896 Abbildung 59: Matthäus Merian d. Ä., Das Wildtbad Aendelholtzen, Topographia Bavariae, 1644

Ute Lotz-Heumann geht von einer relativ klaren Unterscheidbarkeit der Diskurse aus.897 Ob diese immer so eindeutig gelingt, wie von Lotz-Heumann postuliert, wird sicher noch an einem breiteren Repertoire von Quellen zu untersuchen sein. Schon

892 Ebenda, S. 286–290. 893 Ebenda, S. 298. 894 Ebenda, S. 327. 895 Ebenda, S. 305–309. 896 Ebenda, S. 307–308. 897 Vgl. ebenda, S. 305–310, 316–318.

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für das von ihr angeführte Beispiel des Wunderbrunnens von Hornhausen im Bistum Halberstadt 1646 sind die vermeintlich so klaren Grenzen fließend. Zwar leitet Lotz-Heumann aus der Ikonografie eines Stichs im Theatrum Europaeum die Zugehörigkeit der Brunnenrepräsentation zum lutherischen Wunderbrunnendiskurs plausibel ab.898 Doch schon die Einbeziehung des dazugehörigen Textes kompliziert den Befund. Mühelos wird hier nämlich eine argumentative Brücke von lutherischer Wunderdeutung zur balneologisch-medizinischen Expertise und wieder zurück beschritten.899 Für die Topografien wird man von einem grundsätzlichen balneologischen Interesse sprechen können, das seitens der Autoren vorlag und das auch die touristisch motivierten Rezipienteninteressen antizipierte. Diese Konstellation mag dafür gesorgt haben, dass auch bei der Bäder-Topografie ein gewisser Pragmatismus griff. Sind die oben zitierten Bäder-Topografien des Protestanten Zeiller klar dem balneologisch-medizinischen Diskurs zuzuordnen, so ergibt die Gegenprobe an der immerhin von Jesuiten redigierten Wening-Topografie Kurbayerns ein differenziertes Bild. Kritiklose Dokumentation von Wundertätigkeit, die sich in dem Werk häufig in Bezug auf Wallfahrten findet, steht nicht im Widerspruch zu einem säkular anmutenden, dem balneologisch-medizinischen Diskursstrang zuzuordnenden Zugang. Während etwa die Beschreibung Bad Abbachs Praktiken und Arrangements eines Schauplatzes dokumentiert, der ohne jede Sakralität auskommt,900 begegnen sich in der Beschreibung Bad Adelholzens katholischer Wunderglaube und balneologischer Diskurs auf engstem Raum im selben Text. Das Auffinden der Quelle wird einem Eremiten und Märtyrer in heidnischer Zeit zugeschrieben.901 Der Ort ist der heiligen Jungfrau geweiht, bei Lotz-Heumann ein wichtiger Katholizitätsmarker,902 und völlig emotionslos schildert der Text das Regnen von Getreide als göttliche Reaktion auf den Neubau der örtlichen Kapelle durch einen Erwerber des Guts.903 Beides mündet nicht – wie man mit Lotz-Heumann erwarten müsste904 – in 898 Vgl. ebenda, S. 303–305. 899 Vgl. Knoll 2012. 900 „Abach hat die Natur neben der Feld-Fruchtbarkeit auch mit einem weit und breyt renomirten Gesund-Bad beglücket; Dises entspringet gleich ausser deß Marckts / und würdet durch Röhren zum Marckt in das bereytete Badhauß geführet / auß welchem es in andere Behausungen / so man zu der Bad-Cur sich nach Belieben erwöhlet / außgetragen wird. In seinem Ursprung kan dises Wasser seiner Kälte nach schier mit dem Eyß streitten / wann es dann zum Gebrauch gewärmet wird / hat es wider allerhand Zuständt bey Jungen und Alten gute Würckung.“ Wening 1726, S. 5. 901 Wening 1701, S. 110. 902 Lotz-Heumann 2008, S. 307. 903 Wening 1701, S. 111. 904 Lotz-Heumann 2008, S. 309.

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einer Feststellung des allgemein heilenden Charakters des Brunnenwassers.905 Vielmehr nimmt der Text in schönster balneologischer Manier eine mineralogische Charakteristik vor und verweist zur Klärung der Indikationen auf Merians Topographia Bavariae und damit indirekt auf die balneologische Fachliteratur.906 Offensichtlich besteht in der katholischen Landesbeschreibung der Historico topographica descriptio eine große Offenheit für den vergleichsweise säkularen balneologisch-medizinischen Diskurs, obwohl an anderer Stelle oder mitunter sogar in denselben Passagen sakrale Wundertätigkeit als Gegebenheit geschildert wird. Die topografische Repräsentation von Heilquellen und -bädern ist stark von der Topik zeitgenössischer Fachdiskurse geprägt. In der Beschreibung von Quell- und Badeorten findet eine realistisch anmutende Beschreibung spezifischer gesellschaftlicher Praktiken und materieller Arrangements ebenso Platz wie eine Thematisierung der vermeintlichen Wirksamkeit magischer Elemente. Eine Problematisierung der hygienischen Dimension des Badebetriebs wird in den Topografien der Untersuchungsregion erst spät greifbar. In Joseph von Hazzis distanziertem Porträt des Badeorts „Bründl“ bei Dachau verbindet sich aufklärerische Skepsis gegenüber (Aber-)Glauben mit konkreter Kritik an sanitären Defiziten.907 3.4.1.3 Montanlandschaften und technische Arrangements Die allegorische „Bavaria“-Figur des Titelkupfers von Wenings Historico topographica descriptio sitzt auf einem Salzfass. Sie bettet ihre Beine auf einen Marmorblock. Zwischen Salzfass und Marmor liegt ein Bündel Bandeisen. Der Kupferstich soll die Segnung Kurbayerns mit ‚natürlichen‘ Vorzügen ebenso symbolisieren wie des Landes ökonomische Prosperität, seinen Kriegsruhm, seine Neigung zur Wissenschaft und – besonders hervorgehoben – seine Rechtgläubigkeit. Er expliziert die genannten Bergbauprodukte neben Wildbret, Ackerfrüchten und den Gewässern mit ihrem Reichtum an Fischen und Perlmuscheln. Ebenso tut dies die Vorrede in

905 Wening 1701, S. 110–111. 906 Der Typologie Lotz-Heumanns entspricht dagegen die Topografie von Gericht Widshut, die zur örtlichen Kirche St. Pantaleon ausführt: „So ist auch ein kleine Capellen / zu Ehren S. Sebastiani & Rochi, geweyhet vorhanden; sonderlich aber würdet in der schön erbauten Filial-Kirchen zu Weng / der heilige Pantaleon, und dessen Reliquien, so wol von diesen Gerichts-Underthonen / als weiters entlegenen / sehr eyfferig verehret / und besucht. Befindet sich auch bey disem Gottshauß ein kleines Heyl-Brünnl / von welchem die ankommende Kirchfahrter für allerley Gepresten / dises Wasser mit guten Würckungen trincken / auch vil Meil Weegs mit sich zu sochem Ende nacher Hauß tragen.“ Wening 1721, S. 28. 907 Hazzi 1803, S. 148–149.

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ihrer nicht minder preisenden Würdigung des Landes.908 Bei weiterer Lektüre fällt allerdings auf, dass in der Topografie selbst das Montanwesen eine untergeordnete Rolle spielt. Dies gilt vor allem für die Ikonografie, aber auch für die Texte. Diesen Umstand alleine mit der geringen Dichte an Bergbauschauplätzen im Lande erklären zu wollen, greift zu kurz. Vielmehr lohnt es sich, diese Diagnose vor Augen, im Rahmen der Untersuchung topografischer Repräsentationen von Praktiken und Arrangements der Landnutzung auch das Montanwesen in den Blick zu nehmen. Im Kontext des Bergbaus rückt ein weiterer Aspekt in den Fokus. Wesentlich expliziter als in anderen Zusammenhängen werden bei der Beschreibung von Bergbau technische Arrangements thematisiert. Nun steht Technik nicht im Mittelpunkt des Interesses frühneuzeitlicher historisch-topografischer Literatur.909 Dennoch oder gerade deswegen be908 „Betreffend die Herrlichkeit / Reichthumb / und natürliche Vortheil / so dises von allen Saeculis her hochberühmbte Bayrland nit nur mit : sondern vor vilen andern benachbarten Reichen / und Landen / gemain hat / und in sich begreiffet / mag man sich in verdrießliche Länge / solche außführlich zuerzehlen / allda nit außgiessen / zumahlen in der Beschreibung selbsten / hin und wider darvon umbständige Anmerckung geschicht / sondern es kan mit unverfälschtem Grund in genere gesagt werden / daß dem fast an nicht [sic] gebreche. Vorab ist es mit allerhand Sorten deß lieben Getraidts von GOtt so reichlich gesegnet, daß hiervon theils angräntzende Länder / sonderbar Tyrol alljährlich eine fast unglaubliche Quantitet abführen; ob zwar der Weinwachs nit allerdingst groß / erstrecken sich doch in der Gegend Landshuet und Regenspurg die Weinberg auff etliche Meil Weegs. Deß schwartzen / wie auch rothen und Feder-Wildprät / ist eine Mänge anzutreffen. So prangen auch die Gebürg mit ihren verborgnen Schätzen / an allerley Metallen / Mineralien / und Marmorstein von rärister Gattung / und underschidlichen Farben / die reiche Salzquel / treffliche Vichzügl / verhandne Gesund-Bäder / annembliche Waldungen / Schiff / auch Fischreiche Flüß / See / und Weyer / seynd den Inwohnern nit nur zur Ergötzlichkeit dienlich / sondern auch zur Nahrung und Handelschaft sehr vorträglich / der Perl-Bächen / dessen allein die Orientalische Landtschafften / unnd Schottland sich zuberühmen haben / wie nit weniger der Goldsand führenden Wasserflüssen zugeschweigen.“ Vorred an den wol-geneigten Leser, in: Wening 1701, unpag. Vgl. Abbildung 38 in Kap. 3.3. 909 Es gibt frühneuzeitliche Literaturen, für die das Gegenteil der Fall ist, man denke nur etwa an die hydraulischen Traktate eines Salomon de Caus (1576-1626), vgl. SALOMON DE

CAUS: Von gewaltsamen Bewegungen. Beschreibung etlicher, so wol nützlichen alß

lustigen Machiner […] Nachdr. aus d. Jahre 1615. Frankfurt a. M. 1615 [ND Hannover 1977], die populäre Experimentalliteratur Otto von Guerickes (1602-1686), vgl. OTTO VON

GUERICKE: Ottonis de Guericke experimenta nova (ut vocantur) Magdeburgica de

vacuo spatio (Otto-von-Guericke-Gesamtausgabe 1). Amsterdam 1672 [ND Halle a. d. Saale 2002], oder die Bergbauliteratur Georg Agricolas (1494-1555), vgl. GEORG AGRI-

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darf die (Un-)Sichtbarkeit von Technik in topografischen Repräsentationen sozionaturaler Schauplätze der Erklärung. Abbildung 60: Matthäus Merian d. Ä., Hall im Inthal, Topographia Provinciarum Austriacarum, 1679

Theodore Schatzkis Verständnis von Geschichte als Transformationsprozess der Verknüpfungen sozialer Praktiken und materieller Arrangements ist bereits als methodisch einflussreich auf die wahrnehmungsgeschichtliche Perspektive dieser Arbeit eingeführt worden. Schatzki bemüht sich auch um eine konzeptionelle Positionierung des Faktors Technik im sozionaturalen Gefüge.910 Er löst sich dabei von bestehenden Technikdefinitionen, um Technik nicht als Hilfsmittel der Wunsch- und Bedürfniserfüllung einseitig der gesellschaftlich-kulturellen Sphäre zuschlagen oder sie auf die Rolle der Mediation zwischen ‚Gesellschaft‘ und ‚Natur‘ festlegen zu müssen. Er plädiert für ein Verständnis von Geschichte als Transformation sich selbstorganisiert technisierender sozionaturaler Verknüpfungen von Praktiken und Materialität.911 Technologische Entwicklungen werden nicht ausschließlich durch materielle Konstellationen induziert. Sie bauen auf Praktiken auf. Technik besitzt ihrerseits nichtmaterielle Aspekte, man denke an die symbolische Dimension technischer Artefakte, wie sie sich etwa in den Bildprogrammen von Brunnen äußert. Auch wird Technik zum Anknüpfungspunkt von intendiert und nichtintendiert ent-

COLA/CARL

SCHIFFNER: Vom Berg- und Hüttenwesen. Zwölf Bücher vom Berg- und

Hüttenwesen 1556 [ND München 1980]. 910 Schatzki 2003, S. 90–93. 911 Ebenda, S. 93.

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wickelten Praktiken.912 Eine Analyse historischer Repräsentation sozionaturaler Schauplätze kommt daher nicht ohne eine Einbeziehung der Repräsentation von Technik aus. An Schauplätzen bergbaulicher Landnutzung wird Technik in besonderem Maße greifbar. Ein erstes hier untersuchtes Beispiel für die topografische Repräsentation von Bergbau ist die Beschreibung der Salinenstadt Hall im Inntal in Merians Topografie der Grafschaft Tirol. 913 Die Salzproduktion ist der alles überragende Wirtschaftszweig der Stadt. Diesbezügliche Praktiken und Arrangements werden in Text und Bild detailliert beschrieben. Die perspektivisch leicht überhöhte Ansicht verhandelt den Anteil des Flusses am Produktionsprozess prominent: Im Bildvordergrund links ist ein Holzrechen, eine Struktur zum Auffangen von Triftholz, abgebildet, in seiner Nähe umfangreiche Holzlagerplätze (Abbildung 60). Der Text klärt hierzu auf, dass das Brennholz für den Siedevorgang kostengünstig über den Inn herantransportiert werden könne. Im Bildvordergrund rechts ist die Schiffslände positioniert. Staffagefiguren symbolisieren Be- und Entladevorgänge. Man findet Salzfässer und auf dem Fluss als Salzzillen erkennbare Boote. Eine flussaufwärts mit Pferden getreidelte Zille legt gerade an. Die umfangreiche Einbeziehung der umgebenden Landschaft in die Darstellung ermöglicht auch die Verortung der Salzvorkommen im Gebirge, hinten links. Alle Punkte sind in der Legende ausgewiesen. Der Autor beschwert sich, über Hall wie über die anderen Tiroler Städte seien ihm, „unangesehen wir uns darumb bemühet haben“, keine Auskünfte zugegangen;914 dennoch beschreibt der Text alle Schritte des Arbeitsprozesses differenziert: vom Salzabbau und der Solegewinnung im Gebirge über die Ableitung der Sole in Holzleitungen („Teicheln“) bis zur Siede in der Saline von Hall. Der Text gibt quantifizierende Angaben zu Anzahl und Dimension der Siedepfannen, zur Lebensdauer der Pfannen, zur Zahl der Beschäftigten und zum wirtschaftlichen Ertrag. Sogar die Wartung der Pfannen wird beschrieben. Man erfährt auch von einer örtlichen Münze, die von der Wasserkraft profitiere. Zuletzt findet auch eine Glashütte Erwähnung – und ihre Entsprechung in der Grafik.

912 Zur kontrovers diskutierten Affordance-Theorie James J. Gibsons, die versucht, den Zusammenhang zwischen Objekteigenschaften, Objektwahrnehmung und Praktiken zu systematisieren, vgl. HARRY HEFT: Affordances and the Body. An Intentional Analysis of Gibson’s Ecological Approach to Visual Perception, in: Journal for the Theory of Social Behaviour 19 (1989), S. 1–30. 913 Merian der Ältere et al. 1649, S. 139–140. 914 Ebenda, S. 140.

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Abbildung 61: Matthäus Merian d. Ä., Saltzpfanen zu Hallstatt, Topographia Provinciarum Austriacarum, 1679

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Die Beschreibung von Hall in Tirol zeichnet grafisch und textuell ein Bild von Hall als florierender Montanlandschaft. Es besteht ein enger rhetorischer Text-BildBezug. Der Text schildert bergbauliche Praktiken bzw. Produktionsprozesse sowie technische Arrangements detailliert. Eine noch weiter gehende Konkretion und Sichtbarkeit von Technik im Kontext des Salinenwesens findet sich in Merians und Zeillers Beschreibung der Salinenregion um Gmunden und Ischl in Oberösterreich.915 Ein Zyklus von Grafiken repräsentiert hier den Produktions- und Transportprozess des Salzes. In der Ansicht von Ischl ist – ähnlich der Ansicht von Hall im Inntal – einer der Berge im Bildhintergrund durch Legendeneintrag als Salzberg ausgewiesen. Detailansichten der Hallstädter Saline oberhalb Ischls (Abbildung 61), dem Text zufolge die „Haupt-Saltzpfann“916, und des Traunfalls bei Gmunden (Abbildung 62, den Salzschiffe in Richtung Donau zu passieren hatten und der durch eine komplexe Schleusenarchitektur erschlossen war, rücken technische Arrangements in den Mittelpunkt. Abbildung 62: Matthäus Merian d. Ä., Im Fall an dem fluß Draun, Topographia Provinciarum Austriacarum, 1679

Auch in der textuellen Beschreibung dieser Montanregion wird – wenngleich weniger präzise als im Text zu Hall – auf die Salz- und Solegewinnung eingegangen, auch hier ist von Soletransport talwärts durch Holzröhren die Rede.917 Die Rolle des

915 Ebenda, S. 18–20. 916 Ebenda, S. 19. 917 Ebenda.

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Traunsees, an dem Gmunden liegt, als Gewässer für den Abtransport des Salzes wird betont. Die Charakterisierung der Wälder des nahen Berges Traunstein als Holzlieferanten für die Anfertigung von Kübeln, Fässern und Zillen rundet das Porträt des ganz im Zeichen des Salzwesens stehenden Schauplatzes ab. Während die Innenansicht der Hallstätter Saline mit ihrer ausführlichen Legende sehr viel genauere Informationen über den Siedeprozess vermittelt als der Text, sind die Ansicht des Traunfalls und die textuelle Beschreibung des Durchschleusens vom Traunsee kommender Salzschiffe durch das Arrangement eng aufeinander bezogen.918 In Merians und Zeillers Topografie des bayerischen Reichskreises findet eine derart detaillierte Repräsentation einer Montanlandschaft keine Entsprechung.919 Die Wening-Topografie Bayerns thematisiert das Salzwesen in den Beschreibungen der Stadt Reichenhall920 und der Hofmark Au in unmittelbarer Nähe der oberbayerischen Stadt Traunstein.921 Dort war im frühen 17. Jahrhundert ein Tochterbetrieb der Reichenhaller Saline angesiedelt worden, nachdem in Reichenhall 1613 eine neue Solequelle entdeckt worden war, die lokalen Salinenwälder aber durch die Produktionsausweitung nicht zusätzlich belastet werden sollten.922 Eine einunddreißig Kilometer lange Soleleitung mit mehreren Hebewerken verband die neue 918 „Das Schloß Ort ligt auch in diesem See / an dessen Ufer die Statt Gemunden gelegen / daselbst hin alles Saltz uber See her geführet wird / und laufft die Traun zu Gmunden wider sehr starck auß dem See / daß man mit den Saltz schiffen darauff / jedoch gehährlich fahren kan / weil Er im steinfelsichten fast anderthalb Meil biß an den Fall / laufft / so nur ein Stundt von Schwanstatt ist / welcher Wasserfall mit einer Schleussen eingefangen ist über grosse Steinfelsen. Wann nun Saltz Schiff kommen / wird solches dem Fallmeister angezeigt / so sein Hauß darauff hat / und dasselbe im steten Baw halten muß / der schwelt alsdann das Wasser in etwas / unnd öffnet die Schleussen / so schiessen die Schiff / doch auff nidrigem Wasser / durch / wie ein Pfeil. Neben der Schleussen fällt das Wasser die Stein hinab: Die Schiff aber werden im Stadel / so ein großer Flecken ist / und lauter Schiffleuth darinn wohnen / auß: und in grössere Schiff eingeladen / unnd auf der Traun / und folgends der Thonaw biß nach Wien geführt.“ Ebenda. 919 Vgl. den knappen, auf Aventin basierenden Eintrag zu Reichenhall, der aber die geografische Ausdehnung des Absatzgebiets Reichenhaller Salzes thematisiert, Merian der Ältere et al. 1657, S. 93. 920 Vgl. Wening 1701, S. 89. 921 Vgl. ebenda, S. 111. 922 ECKART SCHREMMER: Gewerbe und Handel, Erster Teil: Vom hohen Mittelalter bis zum Beginn des Merkantilismus, in: ANDREAS KRAUS (HG.): Das Alte Bayern. Der Territorialstaat (Handbuch der bayerischen Geschichte, begr. von Max Spindler 2). 2. Aufl., München 1988, S. 754–775, hier 758.

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Traunsteiner Saline mit der Reichenhaller Quelle.923 Der enorme technische Aufwand war gerechtfertigt. Salz stellte das ökonomisch wichtigste Gut der bayerischen Herzöge und Kurfürsten dar. 1587 war ein landesherrliches Monopol auf den Handel mit Reichenhaller Salz errichtet worden; Abnahmeverträge mit dem Fürstbistum Salzburg aus den Jahren 1594 und 1611 räumten Bayern das Handelsmonopol auf alles auf dem Wasserweg transportierte Salzburger Salz ein.924 Mit einer jährlichen Produktionsleistung von rund 300.000 Zentnern (rund 15.000 Tonnen) Salz in Reichenhall und Traunstein sowie einer ebensogroßen Abnahmegarantie an Salzburg setzte Bayern rund 600.000 Zentner (rund 30.000 Tonnen) Salz um, mit steigender Tendenz im 18. Jahrhundert.925 Dass die Bavaria in Wenings Titelkupfer auf einem Salzfass saß, hatte seine volle Berechtigung. Überraschend marginal wird das Thema allerdings in den Beschreibungen Reichenhalls und der Hofmark Au bei Traunstein aufgegriffen. Die Ansicht der Stadt Reichenhall (Abbildung 63) setzt zwar den Fluss Ache (Salach) und die umfassenden hydraulischen Arrangements prominent in Szene, was insoweit mit dem Text korrespondiert, als wir dort von der Rolle des Flusses für die Holzversorgung der Saline erfahren.926 Die übrige Stadtdarstellung trägt dagegen dem wirtschaftlich hier alles dominierenden Salinenwesen wenig Rechnung. Selbst die als optische Marker für Siede- und Hüttenbetriebe topischen Rauchwolken über den Salinengebäuden im Stadtzentrum fallen dezent aus. Es drängt sich der Eindruck auf, eine allzu starke Betonung des gewerblichen Charakters sollte die Inszenierung eines malerischen Schauplatzes nicht stören, dessen urbanes und subalpines Gepräge stattdessen unterstrichen wird. Der Text geht insofern genauer auf die Salzproduktion ein, als er die Reichenhaller Besonderheit anspricht, dass hier Solequellen entspringen, Salz also nicht gegraben werden muss. Er erklärt aus diesem Umstand die Produktion eines qualitativ besonders hochwertigen, überregional wegen seiner Qualität begehrten Salzes.927 In Anlehnung an Merian geht der Text auf die bis in die Schweiz und in den Breisgau reichenden Absatzmärkte des bayerischen Salzhandels ein. Der Text erwähnt auch die Soleleitung nach Traunstein und lässt erkennen, dass es sich 923 Dieses Bauwerk scheint Zeiller aufgrund seiner sehr dünnen und veralteten Informationsbasis (Aventin) zum Reichenhaller Salzwesen nicht bekannt gewesen zu sein. Dies erklärt auch den eher diffusen Hinweis auf nahe Salzquellen in seiner Beschreibung von Traunstein. Vgl. Merian der Ältere et al. 1657, S. 107. Zur Soleleitung vgl. HEINRICH KURTZ: Die Soleleitung von Reichenhall nach Traunstein 1617-1619. Ein Beitrag zur Technikgeschichte Bayerns. Zum 75jährigen Bestehen des Deutschen Museums 19031978. München 1978. 924 Schremmer 1988, S. 757. 925 Ebenda, S. 757-758, 780. 926 Vgl. Wening 1701, S. 89. 927 Ebenda.

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dabei um ein „fast denckwürdig[es]“, weil technisch ambitioniertes Bauwerk handelte.928 Eine ähnliche Würdigung erfährt das Bauwerk in der Beschreibung der Traunsteiner Salinenhofmark Au.929 Auch an diesem Standort fallen aber textuelle Beschreibung und Ikonografie auseinander. Die Salinengebäude sind ebenso Gegenstand der Beschreibung wie die komplexe, verschiedene Gewässer erschließende hydraulische Infrastruktur, die die Holzzufuhr gewährleistete.930 Grafisch ist die Saline aber weder durch eine Einzelansicht repräsentiert, noch gar durch eine schematisierende Innenansicht ähnlich der Hallstätter Saline Merians. Lediglich die Gesamtansicht der Stadt Traunstein (Abbildung 64) gewährt ihr im linken Bildvordergrund Raum. Hier weisen einige Attribute und Arrangements (Rauchentwicklung, Holzstapel) den gewerblichen Charakter des Schauplatzes aus, ohne seine spezifische Eigenart oder gar seine Einbettung in Transportsysteme näher zu qualifizieren.

928 „[…] und ist fast denckwürdig / daß von dem allhiesigen Saltz-Brunn biß nach Traunstain mit ungemainer Erfindung das Saltz-Wasser in Teichen vier starcker Meil Weegs geführt: und weils über etliche hohe Berg kommen muß / von der Tieffe über selbige mittels sonderbarer Hebwerck getriben / und geleytet wird / welche seltzambe WasserLeitung vom Churfürst Maximilian I. mit grossen Kosten auffgeführet worden.“ Ebenda. 929 „Churfürst Maximilianus hat das allhiesige Saltzwesen von neuem dahin erbauen / unnd den Saltz-Brunnen von Reichenhall über Berg und Bichel / mittels siben kostbarer Wasser-Höbwercken / die stätts einer Obsicht unnd Warth bedöffen / fünff Meil Weegs herauß führen unnd layten lassen […].“ Ebenda, S. 111. 930 „[…] Sonsten befinden sich in diser Hofmarch an Haupt-Gebäuen vier Sud-Häuser / die nach denen Hertzogen in Bayrn / als Weyllandt Alberti, Wilhelmi, Maximiliani, Ferdinandi, ihre Nämen haben / warinnen die Saltz-Pfannen bey viertzig Schuech lang und breit auß Eysen geschmidtet verhandten / neben denen großen Saltzwasser Stuben / Pfießl / oder Hörstätten / Kueffwerck- und Bschlag-Holtzstuben / Saltz-Behaltnussen unnd Städl / sambt andern zum Saltzwesen gehörigen Häuseren und Gebäuen / ZimmerStädlen / Holzleg-Gründten / Vierschlächten / Holtz-Rechen / und Rechen-Hütten. Die Wasser-Canal machet die weisse Traun / so drey Meil Weegs von hier im Gebürg auß dem so genannten Ferchen-See kombt / und wird das holtz oder Prennwidt durch vil andere Zuebäch zusammen gebracht / unnd nachmahls hieher zum Saltzwesen herfür getrüfftet. Anno 1671. seynd zwey Stöck gegen dem Neubau sambt den mitteren Wohnungen nächtlicher Weil zum Theil abgebrunnen / jedoch gleich widerumb erbauet worden. In obbesagter Churfürstl. Capell / dero Schutz-Patronen die Heilige Rupertus und Maximilianus seynd / ist das Altar-Blat ein nambhafftes Kunststuck von dem berühmbten Mahler Loth. Den Lufft in diser Gegend belangend / ist solcher frisch und gesund / wegen Verzöhrung aller bösen Feuchtigkeiten / so durch den starcken Saltz-Rauch unnd Dunst geschicht.“ Ebenda.

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Abbildung 63: Michael Wening, Statt Reichenhall, Historico topographica descriptio, 1701

Eine prominente Inszenierung technischer Arrangements im Zusammenhang des Salzwesens, wie sie die Merian-Stiche zur Saline Hallstatt und zum Traunfall vornehmen, unterbleibt in der Wening-Topografie. Dieser Befund beschränkt sich dabei nicht auf die Salzproduktion. Technische bzw. sich zunehmend technisierende Schauplätze sind nicht Teil der Wening-Ikonografie und im Text nur in Ansätzen angelegt. Auch entwirft die Historico topographica descriptio keine komplexe Montanlandschaft, wie dies Text und Bild der Merian-Topografie des Salzkammerguts oder die Darstellung von Hall im Tirol unternehmen, von einer quasirealistischen Dokumentation großflächiger Waldschäden an Hüttenstandorten, wie sie die Ikonografie Conrad Bunos (1613-1671) in der Merian-Topografie der Fürstentümer Braunschweig-Lüneburg unternimmt, ganz zu schweigen.931 Zählt die grafische Inszenierung siedlungsunabhängiger außerurbaner Schauplätze als Einzelan-

931 Im Kapitel „Natur, Art und Eigenschaft des Landes“ der Topografie der Grafschaft Blankenburg-Reinstein findet sich nach S. 27 der Stich: „Eisenhütten zum Rubelandt sampt Der Buhmanns Höhle“, der umfangreiche Waldschäden ins Bild setzt. MATTHAEUS

MERIAN DER ÄLTERE/MARTIN ZEILLER: Topographia und Eigentliche Beschrei-

bung Der Vornembsten Stäte, Schlösser auch anderer Plätze und Öerter in denen Hertzogthümern Braunschweig und Lüneburg und denen dazu gehörenden Graffschafften, Herrschafften und Landen. Frankfurt a. M. 1654 [ND Braunschweig 2005], S. 27.

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sichten schon in den Merian-Topografien zu den Ausnahmen, so fehlt sie in der Wening-Topografie völlig. Die Ansichten der Historico topographica descriptio zeigen Städte und Märkte, Klöster, Schlösser und ländliche Adelssitze. Dabei werden als Teil dieser Schauplätze auch z. B. Gartenanlagen mitunter detailreich in Szene gesetzt. Einzeldarstellungen von Gebäuden bleiben – soweit es sich nicht um Schlösser oder Klöster handelt – weitgehend auf die Topografie der Residenzstadt München beschränkt; Einzeldarstellungen technischer Arrangements sind nicht Teil des ikonografischen Programms. Abbildung 64: Michael Wening, Statt Traunstain, Historico topographica descriptio, 1701

Technik oder die im Sinne Schatzkis überall fassbare Technisierung von Schauplätzen im historischen Prozess bleibt ein blinder Fleck. Dabei ist es sicher kein ausreichender Unterscheidungsgrund zu Merians Österreich-Topografie, dass sich etwa die Darstellung des Traunfalls als technisiertem Schauplatz der geo- und hydrografischen Problematik des Orts verdankt. Auch andere Schauplätze, deren je spezifische geo- und hydromorphologische Qualität je spezifische Praktiken und Arrangements hervorbrachten, z. B. die Straße durch den Pass Lueg im Salzburgischen (siehe Abbildung 6 in Kap. 3.2) oder Strudel und Wirbel in der Donau bei Grein (vgl. oben, Kap. 3.2) sind der Merian-Topografie Anlass genug für siedlungsunabhängige Inszenierung. Derlei unterbleibt in der Historico topographica descriptio, woraus deutlich wird, dass sich hier die Definition des Sehens- und Zeigenswürdigen stärker an der panegyrischen Inszenierung von herrschaftlich und

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ständisch geprägtem Land als an der geo- und hydromorphologischen Qualität einzelner Schauplätze oder deren technischer Adaption orientiert. Diese Auslassung des Technischen in der Wening-Topografie verstärkt einmal mehr den Eindruck, diese vermittle einen schablonenhaft-statischen Blick auf das Land. Die Technisierung von Schauplätzen als Transformationsprozess wird nicht inszeniert – und dies, wo doch Arrangements wie die Traunsteiner Soleleitung genügend Anlass für eine andere Bildregie geboten hätten. Das bayerische Salzwesen war Gegenstand von Technisierung, sei es durch die Soleleitung, sei es, als in einer späteren Phase unter der Regie des Schweizer Ingenieurs Johann Sebastian Claiß (1742-1809) die konstruktive Veränderung der Sudpfannen zu einer massiven qualitativen und quantitativen Verbesserung der Salzausbeute bei gleichzeitiger Reduzierung des Energiebedarfs führte.932 Erst die aufgeklärt-statistische Topografie eines Joseph von Hazzi sollte derlei eingehend – wenngleich nicht grafisch – würdigen.933

3.4.2 Ästhetik Joseph von Hazzis Beschreibung des bayerischen Salinenwesens verdanken sich auch zwei Passagen, die ähnlich den eingangs zitierten Äußerungen zu Ingolstadt seine Art der utilitaristischen Ästhetisierung sozionaturaler Schauplätze aufzeigen. Hazzi gibt sich besonders beeindruckt von der Landschaft des Miesentals zwischen Traunstein und Reichenhall. Man stoße, so Hazzi, im Gericht Traunstein „auf zu viele unkultivierte Strecken, Sümpfe und schlecht behandelte Wälder.“934 Eine „glückliche Ausnahme“ bilde aber das Miesental, „in welcher langen Gebirgsschlucht pittoreske Anblicke abwechseln; gemauerte Häuser und schöne Menschen, die dem Reisenden überall begegnen, erhöhen noch mehr die Reize der dortigen schönen Natur. […] auf der Strasse nach Reichenhall verfolgt man längs hin die

932 ECKART SCHREMMER: Gewerbe und Handel, Zweiter Teil: Die Epoche des Merkantilismus, in: ANDREAS KRAUS (HG.): Das Alte Bayern. Der Territorialstaat (Handbuch der bayerischen Geschichte, begr. von Max Spindler 2). 2. Aufl., München 1988, S. 776– 801, hier 780–781. 933 Vgl. die umfangreiche Beschreibung von Praktiken und Arrangements der Salzproduktion in Reichenhall und Traunstein: JOSEPH VON HAZZI: Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern. Aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länderund Menschenkunde, Bd. 3/3. Nürnberg 1804, S. 989–1005, zu der durch Hanns Reiffenstuel (1548-1620) erbauten Soleleitung nach Traunstein: Ebenda, S. 958–961; zu den Claißschen Prozessverbesserungen: Ebenda, S. 994–998. 934 Ebenda, S. 905.

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Salzwasserleitung, und bewundert, im Gebirge eingeschlossen, bald die Abgründe, bald die steilen Gebirge, bald die Kunst der Wasserleitung.“935

Hazzis Bewunderung von ‚Natur‘ und ‚Kunst‘ dieses Schauplatzes wird später im Werk noch einmal aufgegriffen. Dort verhandelt Hazzi beide Bereiche getrennt einander folgend. Zunächst inszeniert er die schauderhaft erhabene „Naturszene“, die man „nie ohne höhere Gefühle verlasse“,936 bevor er im folgenden Absatz zur topografischen und technischen Beschreibung der Soleleitung übergeht.937 Welchen Platz hat nun Hazzis Begeisterung für das erhaben-schaurige Naturschöne des Miesentals innerhalb einer Rhetorik, die stets die Schönheit eines Schauplatzes in Abhängigkeit von seiner Nützlichkeit definiert? Hazzi schreckt, wie bereits am Beispiel des oberbayerischen Landgerichts Wolfratshausen thematisiert (vgl. Kap. 3.3.3), nicht davor zurück, einen Schauplatz geradezu als Zerrbild zu inszenieren, in dem Hässlichkeit und mangelnder Ertrag zwei Seiten einer Medaille bilden. In einer Art sozionaturaler Ethnografie werden dort die Bewohner und ihre Praktiken in derselben Negativästhetik qualifiziert wie die Materialität des Schauplatzes.938 Unter entgegengesetzten – positiven – Vorzeichen geschieht dies im Miesental, wo die 935 Ebenda. 936 „Schreklich schön stellt sich das Thal des Miesen- oder Jesenbachs dar, das an Wildheit, Tiefe und Schmäle alle Thäler der vorigen Gebirge übertrift. Der Pfad geht über die schaudervollsten Felsen und Abgründe hin, bis zu einem merkwürdigen Wasserfall, der Staub genannt, wo das Wasser über eine sehr hohe senkrechte Felsenwand in das düstre Thal hinab stürzt. Mitten durch diese Wand und den Wasserfall führt der in Felsen gehauene Pfad, der gerade unter dem Fall mit einem Balken bedekt ist, auf welchem das Wasser über den Häubtern der verwegenen Wandrer abprellt und sie ganz unbenezt durchkommen läßt. Für jeden Beobachter ist diese Naturszene schauerlich gros, und man verläßt sie nie ohne höhere Gefühle.“ Ebenda, S. 958. 937 Vgl. ebenda, S. 958–961. 938 „Die ganze Gegend scheint eben eine Naturumwälzung erlitten zu haben, so rauh und wüste durch finstre Wälder, Filze, Moose, öde Strecken und wilde Durchbrüche der zwei Flüsse sieht sie aus. Vorzüglich häßlich ist der Anblick jener unfruchtbaren und verödeten Fläche oberhalb München, gegen Trudering oder die Wasserburg Strasse hin […] Die hölzernen, schmutzigen Wohnungen geben dem Ganzen einen noch wildern Anstrich. […] Die Menschen sind hier klein, durch zu frühe Anstrengung verkrüppelt; statt Kühnheit herrscht volle Stumpfheit und Blödigkeit unter ihnen, und um ihrer Gutmüthigkeit willen, da sie alles gerne thun, was man [//] ihnen schafft, verdienen sie unser Mitleid. Ihr Elend suchen sie durch Heirathen zu vergessen, stürzen sich aber oft dadurch in noch tieferes. Sie zeugen nicht viele Kinder. Man hört unter ihnen viel von Trunkenbolden, wozu die nahe Stadt Gelegenheit giebt, und von Viehdiebstählen, weil das Vieh noch frei umherlauft.“ Hazzi 1803, S. 192–194.

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Schönheit der ‚Natur‘, die Schönheit der Häuser und die Schönheit der Menschen einander begegnen. Selbst – oder gerade – die Bereiche des Tales, die von beinahe unpassierbaren Schluchten geprägt sind, erregen Hazzis Bewunderung. – Ein Widerspruch? Nein, der Logik der philosophischen Naturästhetik Joachim Ritters und gemeinsam mit diesem Jacob Burckhardt folgend, könnte man darauf hinweisen, dass die neuzeitliche wissenschaftliche Objektivierung von Natur notwendig und gleichzeitig mit ihrer subjektiven Ästhetisierung beziehungsweise mit der Entdeckung ihres individuellen Genusses einherging.939 Allerdings gerät man, unabhängig davon, wie man zur Linearität dieser Grenzziehung stehen mag, gerade im konkreten Beispiel von Hazzis Miesental an die Grenzen von Ritters Erklärungskraft. Ritter nimmt eine weitere Grenzziehung vor zwischen „Natur als Landschaft“ und „Natur als sie selbst“.940 Diese Grenze verlaufe, „wo der Mensch als Subjekt nicht mehr in deren betrachtendem Innestehen standhalten kann, wo sie ihn als Macht und Gewalt angreift, bedroht und zwingt aufzuhören, Mittelpunkt zu sein.“941 Natur sei Natur der erhabenen Ästhetik, solange sie ohne Bedrohung sei; gefährde sie den Menschen als ‚rohe Natur‘, werde sie ‚Natur selbst‘. Dann gehörten zu ihr nicht mehr Betrachtung, sondern – in Anlehnung an Herder – Flucht, Entsetzen und Schauder.942 In Hazzis Miesental nun generieren die „schaudervollsten Felsen und Abgründe“ beim Betrachter nicht Flucht, sondern „höhere Gefühle“. Ich suche die Erklärung hierfür im Gegensatz zu Ritter nicht in der subjektiven Verfasstheit von ‚Natur‘, sondern in der sozionaturalen Qualität des Schauplatzes. Denn selbst die Wildheit von Gebirge und Wasser an den schroffsten Stellen des Tales ist durch den Menschen technisch erschlossen. Ein in den Fels gehauener Weg ermöglicht die Passage. Eine Holzplanke schützt den Wanderer vor dem herabstürzenden Wasser. Arrangements ermöglichen Bewunderung als kulturelle Praxis. Und am wichtigsten: Das Tal beherbergt die Soleleitung. Sein Nutzen definiert sich im Transitorischen. Bewundert wird nicht das ‚Wilde‘, bewundert wird die spektakuläre Kulisse menschlicher Ingenieurskunst.943

939 Vgl. Ritter o. J., S. 129; Ritter 1963, S. 21–22. Ich knüpfe hier exemplarisch an Ritter an, um eine breitere Diskussion in Kunstgeschichte, Literaturgeschichte, Kultur-, Wissenschafts- und Umweltgeschichte aufzugreifen, die bereits in Kap. 2.2.1 thematisiert wurde. 940 Ritter o. J., S. 35. 941 Ebenda. 942 Ebenda. 943 Zum aufklärerischen Konzept des Naturerhabenen im Gefolge Immanuel Kants vgl. Trepl 2012, S. 109-118. Trepl bezeichnet die aufklärerische Perpektive der Wahrnehmung des Naturerhabenen als „Feldherrenblick“. Ebenda, S. 115.

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Wie Axel Gotthard für die Reiseliteratur,944 stellt Markus Friedrich für die Chorografie des 16. Jahrhunderts fest, dass in den Texten „Landschaftswahrnehmung im Sinne der ästhetischen Dimension des Beschreibens“ noch nicht im Fokus stehe.945 Text stelle Landschaft enumerativ vor Augen.946 Reisebeschreibungen, so Gotthard, böten allenfalls „Naturpartikel“, vor allem um Städte zu situieren.947 Nun mag man trefflich streiten, ob Abweichungen von dieser Regel nur Ausnahmen markierten – Gotthard hebt Michel de Montaigne als eine solche hervor,948 und Antonio de Beatis begeisterte Schilderung des mittleren Rheintals besticht in ihrer Neigung zum ästhetischen Superlativ949. Fest steht, dass topografische Ästhetisierung von ‚Natur‘ vor der statistischen Topografie der Spätaufklärung bereits eine jahrhundertelange Tradition besitzt. Und auch die sozionaturale Rückbindung von Naturästhetik in diesem Kontext kennt Vorläufer im 16. Jahrhundert. Schweizer Topografen schlugen diesen Weg entschieden ein, vielleicht, wie dies Gerald Strauss betont, beeinflusst von der alpinen Geomorphologie.950 Josias Simlers 1574 erschienene Wallis-Topografie Descriptio Valesiae rühmt jedenfalls die das Wallis umgebenden Berge als Naturwunder, die weniger die an ihren Anblick gewöhnten Einheimischen als umso mehr die fremden Reisenden beeindrucken.951 Zwar qualifiziert der Autor den ewigen Schnee und das ewige Eis auf ihren Gipfeln und auch das Herabstürzen alpiner Bäche als einschüchternde Elemente. Doch er assoziiert Bergbäche nicht nur mit Naturgewalt, denn sie bewässern herrliche Wiesen, einzigartige alpine Heilpflanzen und großartige Bäume. An anderer Stelle, in seinem De Alpibus commentarius, preist er den ästhetischen Genuss, von einem Berggipfel aus den langsamen Aufgang der Sonne am östlichen Horizont zu verfolgen.952 Angesichts der Ästhetisierung dieses alpinen Schauplatzes lohnt es sich auch, auf eine sehr markante Quelle des 17. Jahrhunderts zuzugreifen und damit einen der angekündigten Seitenblicke auf die Meriansche Topografie der Braunschweig944 Vgl. Gotthard 2007, S. 111–116. 945 Friedrich 2003, S. 97. 946 Ebenda, S. 98. 947 Gotthard 2007, S. 113. 948 Vgl. ebenda, S. 122–124; dazu auch Zeeden 1983, S. 80. 949 „Dieser Anblick des Rheins von Mainz bis Köln ist der schönste, den ich je gesehen habe oder bei irgendeinem anderen Fluß noch zu sehen erwarte. Es scheint mir daher angemessen, ihn zu beschreiben […].“ Zit. nach: Ebenda. Zeeden weist freilich zurecht darauf hin, dass es sich bei dem, was als Ursache der Begeisterung beschrieben wird, um besiedelte ‚Kulturlandschaft‘ handelte – um einen durch Praktiken und Arrangements der weinbaulichen Landnutzung geprägten sozionaturalen Schauplatz. 950 Vgl. Strauss 1959, S. 104; vgl. auch oben Kap. 2.1. 951 Ebenda, S. 102–104. 952 Ebenda, S. 103.

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Lüneburgischen Herzogtümer zu werfen, die ihre Form, wie erwähnt, weniger dem Gestaltungswillen Matthäus Merians d. Ä. oder Martin Zeillers als dem der beteiligten Landesfürsten, allen voran August dem Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (1579/1636-1666) verdankt. Innerhalb dieses Werks kommt wiederum der vom Blankenburgischen Kanzleisekretär und späteren Kanzleidirektor Simon Finck vorgelegten Topografie der Grafschaft Blankenburg-Reinstein eine Sonderstellung zu. Die aus seiner Feder stammende Beschreibung des Brockens im Harz gleicht Simlers alpiner Ästhetik auffallend. Der Brocken, so erfahren wir bei Finck, überrage das übrige Harzgebirge. Er sei „von so grausamer höhe / und grösse / daß er weit in secundam aeris regionem reichet / daher seine Spitze die meiste Zeit deß Jahrs mit Schnee und Wolcken bedecket ist.“953 Zwar wird die Bergeshöhe an sich als „grausam“ qualifiziert, aber dennoch folgt umgehend auch hier der zumindest implizite Hinweis, dass sich die Besteigung aus ästhetischen Gründen – wegen des Ausblicks – lohne: „Wenn der Schnee ungefehr nach Johannis daß Täuffers Fest / durch die Hitze der Sonnen herunter gebracht / und das Wetter helle ist / kan man von demselben Berge die Stätte Magdeburg / Braunschweig / Lüneburg / und andere mehr / gar eigentlich ersehen / ja so gar von ferne die Ost: und West-See erkennen.“954

Der Berg stellt auch bei Finck letztlich keine bedrohliche Gegenwelt dar, sondern ist sozionatural rückgebunden. Finck weist zwar darauf hin, dass der Brocken trotz seiner Höhe bis zur Hälfte empor sehr sumpfig sei. An den meisten Orten gedeihe daher wenig Holz. Gras könne nicht herab transportiert werden und müsse an Ort und Stelle verfaulen. Dennoch ist der Berg aber keine menschenleere Ödnis, sondern vielmehr durch Wege erschlossen, die den Aufstieg erleichtern. Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel (1564-1613) habe sogar einen mit der Kutsche befahrbaren Holzbohlenweg über die felsgesäumten Wasserläufe hinweg errichten lassen, der den halben Aufstieg erschlossen habe, nun aber verfallen sei. Die Gipfelregion zeichne sich Finck zufolge durch ihre wundersame Hydrografie – das Entspringen eines kristallklaren Brunnens, der den Menschen zum Trank diene, und beckenartiger Moore – aus, die zur optimalen Bewässerung der ganzen Region beitrage.955 Die wilde Rauheit des Berges ist also auch hier in 953 Merian der Ältere et al. 1654, S. 30. 954 Ebenda. 955 „Verwunderns werth ist wol / daß oben am Berge / uff einem ebenen Plan / zwey viereckige Sümpffe / oder Heller / zimlicher grösse seyn / und fast auf der Spitze des Berges / ein schöner Crystallklarer Brunn entspringet / wobey / weil dieser Wirth gern borget / sich vor diesem eine zimliche menge Karbhöltzer befunden / so von den Jenigen / welche auff den Berg kommen / und auß dem Brunnen getrtuncken / zum Gedächtnuß beym

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die Gesellschaft eingeschaltet, wobei sich die Ausstattung des Schauplatzes letztlich dem Wirken von Gott und Natur zum menschlichen Nutzen verdankt. Dem Finckschen Gipfelfernblick ähnlich, inszeniert auch der bereits in Kap. 3.4.1.1 als präziser Berichterstatter über Landnutzungspraktiken vorgestellte mutmaßliche Autor des Beitrages über das oberbayerische Pfleggericht Kling in Wenings Historico topographica descriptio, der Pflegverwalter Hofmiller, einen sich von einer Anhöhe aus bietenden Prospect.956 Hier ist es der dem Alpenrand vorgelagerte Klingenberger Schlossberg, von dem aus die Alpenkette zur blau schimmernden, „schöne[n] Linea“ wird, die „eine der schönsten Landschaften [!] abbildet.“ Hofmillers Beitrag war in seiner Inszenierung noch weiter gegangen als im Druck schließlich erhalten blieb. Er hatte dem präsumtiven Besucher sogar von der Tageszeit abhängige unterschiedliche Blickrichtungen empfohlen, die aufgrund der jeweils unterschiedlichen Belichtung einen optimalen Blickwinkel boten.957 Brunnen gelassen. Daß es also fast das Ansehen hat / als ob GOtt und die Natur solche Heller und Brunnen oben an / und auff diesem überhohen Berge / gleichsam als Cisterne / zu dem ende formiret / daß das Gewässer / so per evaporationem in visceribus montis generiret / in diesen Cisternen darumb gesamlet werde / damit die Bode / Ocker / Holtzemme / und andere Flüsse / so auß dem Brocken entspringen / und gleich allem Wasser / nach dem aequilibrio lauffen / dest tieffer fallen solten / auff daß Sie umb so viel höher hinwieder steigen / und das Land hin und Wieder fruchtbar machen möchten.“ Ebenda. 956 „Ligt auff einem zimblich hohen doch lustigen Berg / in seinem Angesicht noch einen höhern / doch ebenfalls sehr annemblichen gähe auffsteigenden Berg habend / von welchem das Spring-Wasser in das Churfürstl. Schloß geleytet wird / gegen die übrige drey Theil aber ist es mit flachen Land / kleinen Pichlen / frischen Waldungen / und undermängten eingen Feldungen umbgeben / und dahero geniesset man allda auff vil Meil Weegs den schönsten Prospect, daß es das fürwitzige Aug nicht genugsamb fassen kan; sonderbar aber das von Auffgang / gegen Mittag biß Abend in einer schönen Linea sich hervor reckende blau schimmerende Gebürg / eine der schönsten Landschafften abbildet. […] der oben angezeigte Berg / weilen er sich auß einem zimblich flachen Land allgemach erhebt / macht gegen alle vier Theill der angräntzenden Länder ein so Verwunderung würdiges Außsehen, daß man von da auß die Böheimische Waldungen / unnd zugliech das Podenseerische Gebürg / neben dem Land ob der Enntz / die Saltzburgische unnd Tyrollerische Alpen / mit denen Stätten München / Mülldorftt / Alt- und Neuenöttingen / Braunau und Saltzburg / neben fast unzahlbaren Clöstern / Schlössern / Kirchen und Gebäuen bey häutern Tag erblicken kann.“ Wening 1721, S. 4; vgl. dazu auch oben Kap. 3.2 und Kap. 3.4.1.1. 957 „Doch mus man die tagzeiten observieren, wo man von denen Strallen der Sonnen nit will verhindert werden, die dem Aug viellmahl die ferne entnemmen, das also in der fruhe die Abent: unnd gegen Abend die Mitter Nachtische: aufganng unnd Mittagische Landtschafft miessen besichtiget werden.“ BayHStA Stv 1044, fol. 221v–222r.

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Dieses Maß an landschaftsästhetischem Enthusiasmus wurde allerdings nicht in den Druck übernommen. In Simon Fincks Topografie der Grafschaft Blankenburg-Reinstein finden sich weitere bemerkenswerte Passagen landschaftsästhetischer Inszenierung. Den „Rosstrap“, eine Schlucht mit ihren schroffen Felsen und wilden Wassern führt Finck als „rauhen / schrecklichen / und wilden Ort“ ein.958 Doch auch hier wird die mehrfach betonte Grausamkeit und Wildheit des Orts dem Leser mit wohligem Schauer vermittelt. Auch hier begegnet uns der Schauplatz nicht als „Natur als sie selbst“, die den Menschen im Sinne Ritters zur Flucht zwingt. Die Beschreibung, mit der ein großformatiger Kupferstich korrespondiert (Abbildung 65), warnt den Leser nicht vor diesem Ort. Er lädt ihn vielmehr ein, ihn wie der Autor selbst bzw. wie die Staffagefiguren, die den Bildvordergrund des Stiches als Betrachter bevölkern, zu besuchen. Er gibt Anleitung, das doppelte Echo am Ort mittels eines Büchsenschusses zu testen, genauso wie eine der drei Figuren im Stich es gerade tut. Das Roßtrapptal ist gleichzeitig ein „wunderbahrer und fast schröcklicher Ort“.959 Abbildung 65: Conrad Buno, Rosstrap auff dem Hartz, waraus ein doppelt Echo zu hören, Topographia und Eigentliche Beschreibung […] Braunschweig und Lüneburg, 1654

Gleiches gilt für die nahe gelegene Baumannshöhle, die mit zwei Ansichten – der Darstellung ihrer Eingangsöffnung von außen, sowie der Darstellung einer der

958 Merian der Ältere et al. 1654, S. 31. 959 Ebenda, S. 178.

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Grotten im Inneren – grafisch repräsentiert ist (Abbildungen 66 und 67). Das Figurenpersonal der Grafiken von Rosstrapp und Baumannshöhle gleicht sich weitgehend. Es handelt sich um drei bis fünf Männer, deren Tracht die Vermutung nahelegt, sie seien adelige Kavaliere. Die Figuren laden den Betrachter geradezu ein, ihrer Erkundungstour zu folgen. Abbildung 66: Conrad Buno, Eingang der Bumans Höhle auff dem Hartz, Topographia und Eigentliche Beschreibung […] Braunschweig und Lüneburg, 1654

Auch die Baumannshöhle wird aufmerksam beschrieben. Beinahe über zwei Seiten hinweg widmet sich der Text dem Höhleninneren.960 Selbst diese subterrane Gegenwelt, deren verwirrende Komplexität, deren schiere Größe und deren Dunkelheit durchaus als bedrohlich wahrgenommen werden, bleibt ein lohnendes Ziel menschlichen Forschens. Es fehlt nicht an deutlichen, teils magischen Markierungen der Bedrohlichkeit. So will eine als verlässlich bezeugt kolportierte Geschichte, dass fünfundsechzig Jahre vor Niederschrift des Texts Gespenster einem jungen und starken Viehhirten aus der Gegend, der sich alleine in die Höhle gewagt hätte und dessen Licht erloschen sei, während seiner achttägigen Gefangenschaft unter Tage

960 Ebenda, S. 31–33.

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derart schreckliche Szenen bereiteten, dass der Mann ergraut sei.961 Und doch inszenieren Bild und Text die Höhle als Naturwunder, dessen Besuch sich lohnt. Weder Conrad Bunos Stiche noch Simon Fincks Text, der, ohne diese Quelle auszuweisen, teilweise auf der Beschreibung des Geistlichen Heinrich Eckstorm (1557-1622) basiert,962 nehmen diese Inszenierung nur aus eigenen freien Stücken vor. Vielmehr war die Höhle landesherrlicherseits im Zuge der vorbereitenden Recherchen zur Topografie bereits explizit als Objekt bevorzugter Thematisierung ausgewiesen worden.963 Eine überregionale Popularisierung der Höhle als touristische Destination scheint daher wenn nicht intendiert, so doch mindestens gebilligt worden zu sein. Dabei stehen Landschaftsästhetik und territoriale Herrschaftsrepräsentation in einem offensichtlichen Zusammenhang. Denn die Landeshoheit über die lange zum Bistum Halberstadt gehörende Grafschaft Blankenburg war umstritten. Herzog August konnte seine Alleinherrschaft erst 1651 durchsetzen.964

961 Ebenda, S. 32. 962 Heinrich Eckstorm hatte die Höhle, ohne sie selbst betreten zu haben, in einem auf den 29. April 1589 datierten Brief an den Jenaer Mediziner Zacharias Brendel (1553-1623) ausführlich in lateinischer Sprache beschrieben. Eckstorm publizierte den Brief als Anhang zu der von ihm herausgegebenen Schrift über Erdbeben Historiae Terraemotuum complurium, & praecipue eius, quo Plura oppidum in Alpibus Rheticis nuper misere obrutum & convulsum est (1620). Vgl. STEPHAN KEMPE/FRITZ REINBOTH: Die beiden Merian-Texte von 1650 und 1654 zur Baumannshöhle und die dazugehörigen Abbildungen, in: Die Höhle. Zeitschrift für Karst- und Höhlenkunde 52 (2001), S. 33–45, hier 34– 35. Zur Beschreibung der Baumanns-Höhle in der Merian-Topografie und zur literarischen Repräsentation und magischen Attribuierung weiterer ‚Hohlwelten‘ des Harz vgl.: RALF KIRSTAN: ‚Dass auch der Ort wegen darin befindlicher Gespenst sehr beschryen ist‘. Die ‚Hohlwelten‘ des Harzes im Spiegel chronikalischer Berichte des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 80 (2008), S. 329352. 963 Zimmermann 1902, S. 48; Kempe et al. 2001, S. 37–38. 964 ULRICH BROHM: Die Handwerkspolitik Herzog Augusts des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (1635-1666). Zur Rolle von Fürstenstaat und Zünften im Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg (Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 21). Stuttgart 1999, S. 18.

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Abbildung 67: Conrad Buno, Das Inwendige theil der Bumans Höhle mit sehr grossen Steinklippen, Topographia und Eigentliche Beschreibung […] Braunschweig Lüneburg, 1654

Der territorialen Gemengelage ist es auch geschuldet, dass die Merian-Topografie des obersächsischen Kreises eine weitere Beschreibung der Höhle bietet.965 Daher kann die topografische Inszenierung des Schauplatzes, die sich der Regie Herzog Augusts von Braunschweig-Wolfenbüttel verdankt,966 direkt mit einer zweiten Inszenierung verglichen werden, die das Gepräge der für die übrigen Bände der Topographia Germaniae maßgeblichen Arbeit Merians d. Ä. und seiner Söhne sowie für den Text Martin Zeillers repräsentiert. Fincks Höhlenbeschreibung in der Merian-Topografie der Braunschweig-Lüneburgischen Herzogtümer bietet zwar ei965 Vgl. MATTHAEUS MERIAN DER ÄLTERE/MARTIN ZEILLER: Topographia Superioris Saxoniae/Thüringiae/Misniae/Lusatiae etc.: Das ist Beschreibung der Vornembsten und Bekantesten Stätt / und Plätz / in Churfürstenthum Sachsen / Thüringen / Meissen / Ober und Nider-Lausitz und einverleibten Landen; auch in andern zu dem Hochlöblichsten Sächsischen Craise gehörigen Fürstentumen (außer Brandenburg und Pommern) […]. Frankfurt a. M. 1650 [ND Braunschweig 2005], S. 173–177. 966 Diese schließt den Einfluss des mit der Redaktion betrauten Juristen, Philosophen und Schriftstellers Justus Georg Schottelius (1612-1676) ein, der in verschiedenen Ämtern am Wolfenbütteler Hof tätig war.

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nen wesentlich kürzeren Auszug aus dem Eckstorm-Text als die von Zeiller redigierte Beschreibung in der Obersachsen-Topografie. Doch wird der Gesamteindruck von der Höhle durch die opulente Ikonografie und den engen Text-BildBezug wesentlich plastischer. Zeiller kombiniert in der für ihn charakteristischen, sehr transparenten Kollagetechnik den Eckstorm-Brief967 mit der Beschreibung der Höhle durch einen anonymen Besucher, die ihm 1649 zugesandt worden sei.968 Grafische Repräsentationen des Schauplatzes fehlen in der Merian-Topografie des Obersächsischen Kreises. Der Medienverbund in der Topografie der Herzogtümer Braunschweig-Lüneburg betreibt eine wesentlich ausgeprägtere Ästhetisierung. Beide Beschreibungen eint die bereits an den anderen Quellenbeispielen dieses Kapitels festgestellte gesellschaftliche Rückbindung eines vermeintlich gegenweltlichen Schauplatzes. Die Baumannshöhle erscheint bei aller magischen Aufladung als sozionaturaler Schauplatz. Ihre subterrane Grottenlandschaft beeindruckt nicht nur mit tierförmigen Felsformationen und mehreren Fundstätten urzeitlicher Gebeine und Riesenzähne. Hier entspringendem Brunnenwasser wird – einmal mehr mit genauer stofflicher Charakteristik und entsprechender Angabe von medizinischen Indikationen – heilende Wirkung bescheinigt.969 Auch die Tropfsteine der Höhle sind ihrer materiellen Zusammensetzung wegen Gegenstand spezifischer Nutzungspraktiken: Sie werden gerieben und das Pulver als Wundpuder für Vieh verwendet.970 Die Höhle, dieses „Wunder der Natur / welches billich alle Menschen zu beschauen lust haben“,971 hat ihren Platz in der Gesellschaft. Genau wie im Falle der übrigen untersuchten Schauplätze wird topografische Natur also kaum je als „Natur als sie selbst“ im Sinne Ritters greifbar. Obwohl sich die Braunschweig-Lüneburg-Topografie in ihrer ausgeprägteren Ästhetisierung sozionaturaler Schauplätze von der Rhetorik der ‚eigentlichen‘ Merian-Topografien abhebt, kann diese Feststellung auf die Topographia Sveviae, die Topographia Bavariae und die Topographia Provinciarum Austriacarum übertragen werden. Merians Abbildung der „Clausen in den Lueg“ (Vgl. Kap. 3.2) inszeniert einen ‚wilden‘, durch dramatische Felsformationen geprägten Schauplatz.972 Aber auch hier handelt es sich um die Repräsentation eines sozionaturalen Schauplatzes, des967 Ebenda, S. 174–176. 968 Ebenda, S. 176–177. 969 Merian der Ältere et al. 1654, S. 33. 970 „Diesen Stein heissen wir / nach unser Spraach / Tropffstein. Ettliche haltens für das Nitrum Stillatum, davon die Goldmacher viel halten / etc. Die Bawren dieser Ends machen solche Steinzacken zu Pulver / und streuen dasselbe in der verletzen Last-thier Wunden / oder Geschwär / dann es sehr trockenen soll.“ Merian der Ältere et al. 1650, S. 175. 971 Ebenda. 972 Merian der Ältere et al. 1657, vor S. 113.

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sen spektakuläre Geomorphologie durch Arrangements erschlossen ist und der im Grunde erst durch gesellschaftliche Praktiken von Transport und Verkehr konstituiert wird. Auch der Hinweis auf die prinzipielle Bedrohung, der die gesellschaftliche Funktionalität dieses Schauplatzes ausgesetzt ist, wird durch die Aufnahme der oberhalb des Weges angebrachten Hochwassermarken in das Bildprogramm zu einem Teil der Ästhetisierung. Die grafischen Repräsentationen von „Wirbel“ und „Strudel“ auf der Donau in der Österreich-Topografie973 (Vgl. Kap. 3.2) ästhetisieren einen Schauplatz, der ohne menschliche Nutzungspraktiken, hier der Schifffahrt, nicht darstellungswürdig wäre. Zuletzt fällt an der Beschreibung der Festung Wildenstein in der Topographia Sveviae auf, dass die Grafik zwar spektakuläre ‚Landschaft‘ inszeniert (Abbildung 68),974 dass aber technische und architektonische Arrangements und militärische wie zivile Praktiken letztendlich im Vordergrund stehen. Dieser Eindruck wird durch den Text verstärkt, der sich jeder ästhetischen Charakterisierung enthält.975 Die Rhetorik der untersuchten Topografien setzt damit auch hinter eine weitere Grenzziehung Joachim Ritters Fragezeichen. Ritter unterscheidet zwischen Landschaft als Natur im Bezug auf den anschauend-betrachtenden Menschen und Gelände als durch menschliche Praktiken assimilierte Natur.976 Natur als Landschaft erschließe sich nur dem zu zweckfreier Betrachtung Hinausgehenden, nicht aber dem Nutzer.977 Sie konstituiere sich „im Anblick für den, der hinausgeht in die Natur selbst und in diesem Hinausgehen die genutzte Natur als die Natur hinter sich lässt, die in den Dienst der Notwendigkeit und der durch sie gesetzten Zwecke steht.“978 Für den „Landmann“ sei dagegen Natur als Landschaft „sachlich und geschichtlich“ inexistent. Er unterscheide Natur in das Genutzte und das Ungenutzte; „[…] der ausserhalb der Nutzung stehende Berg, das Ödland ist als das die heimatliche Welt des Wohnens Begrenzende das Fremde, auch das Unheimliche, zugehörig zu dieser nur als die Richtung, aus welcher die Wetter kommen. Aufstieg auf einen Berg ist vorlandschaftlich nur bekannt als Wallfahrt an den Ort des Gottes und der Götter.“979

Nun kommen in den Topografien „Landleute“ im Sinne von Ausführenden landwirtschaftlicher Praktiken nicht direkt zu Wort. Doch scheinen mir gerade diejenigen unter den literaten Zulieferern topografischer Informationen, welche über eige973 Merian der Ältere et al. 1649, S. 20–21. 974 Merian der Ältere et al. 1643, nach S. 216. 975 Ebenda, S. 219. 976 Ritter o. J., S. 35. 977 Ebenda, S. 137. 978 Ebenda. 979 Ebenda.

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nen, erfahrungsbasierten und ökonomisch interessierten Bezug zu Landnutzungspraktiken verfügten, oft gleichzeitig diejenigen zu sein, welche einer Ästhetisierung sozionaturaler Schauplätze zuneigten. Indirekt spricht dies dagegen, bestimmten Akteursgruppen die Fähigkeit zur ästhetischen Umweltwahrnehmung von vornherein absprechen zu wollen. Eine Konzeption von Gesellschaft, die dies tut, baut ohne analytischen Mehrwert eine weitere Dichotomie auf – jene zwischen Nutzern mit einer rein praktisch fundierten und Beobachtern mit einer rein ästhetisch fundierten Umweltwahrnehmung. Diese Dichotomie verdankt sich wohl eher bildungsbürgerlicher Blickverengung als philosophischer Stringenz. Abbildung 68: Matthäus Merian d. Ä., Wildenstein vestung, Topographia Sveviae, 1643

Im Kern bleibt über die Landschaftsästhetik der untersuchten Topografien festzuhalten, dass in ihren Beschreibungen Landschaft sozionatural verfasst ist. Gerade die Nutzung und die Nützlichkeit von ‚Natur‘ sind Gegenstand von Ästhetisierung. Eine utilitaristische Naturästhetik prägt die Topografien lange vor dem ökonomi-

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schen Rationalismus der Aufklärung. Dieser Kontinuität zum Trotz ist in den untersuchten Topografien zwischen dem 17. und dem frühen 19. Jahrhundert eine Veränderung auffällig. Der in der textuellen Repräsentation von ‚Natur‘ verwendete Naturbegriff selbst säkularisiert sich. Lässt Joseph von Hazzis eingangs zitiertes Lob der Segnungen der Ingolstädter Gegend durch ‚die Natur‘ die transzendentale Dimension des Natur-Konzepts offen, stellen frühere Äußerungen einen gleichsam notwendigen Zusammenhang zwischen ‚Natur‘ und göttlicher Ordnung her. In Simon Fincks Topografie der Grafschaft Blankenburg zeichnen „Gott und die Natur“ für die Ausstattung der Region mit Erzen verantwortlich.980 Wenn der Probst des Klosters Au am Inn, Franciscus, in seiner Antwort auf den topografischen Fragebogen für die Historico topographica descriptio Kurbayerns im Jahre 1698 angibt, den Namen habe „die Natur daselbst geschöpfft massen dieser ohrt vor 1314 Jahren nichts anders ware alß ain lauttere Au unnd Einödte, von allen Menschen unbewohnt unnd ligt nebst an dem Fluß Ihnn wesswegen dann auch dises Closter den Fluß ihnn unverenderlich im Wappen fiehret“,981 so spiegelt sich in dieser Aussage Verschiedenes gleichzeitig: ein ästhetischer Blick auf ‚Landschaft‘, ein Verständnis für die historische Transformation sozionaturaler Schauplätze und eine Vorstellung von Natur als Ausdruck der göttlichen Ordnung.

3.5 N ATUR UND M ACHT : T OPOGRAFIE , R EDAKTIONSPROZESSE UND S TÄNDEGESELLSCHAFT Topografische Publizistik der Frühen Neuzeit stand in einem mehr oder minder direkten Zusammenhang mit herrschaftlichen Praktiken der Informationserhebung und Kommunikation. Susanne Friedrich hat für die Frühphase der herrschaftlich veranlassten Landeserfassung im 16. Jahrhundert die methodische Ausdifferenzierung der humanistisch geprägten Geografie und die Zentralisierung von Regierungs- und Verwaltungshandeln als parallele, einander stets beeinflussende Prozesse identifiziert, die als Motoren der Entwicklung des Genres wirkten.982 Mit ihrer Feststellung, dass die Interessen von humanistisch gebildeten Chorografen einerseits und landesherrlichen Auftraggebern andererseits auseinanderdrifteten, hat sie zwei für diesen Zusammenhang wichtige Akteursgruppen benannt. Eine weitere für das historisch-topografische Genre zentrale Gruppe bildeten die Stände bzw. der Adel. Letztendlich konnte das landesherrliche Bedürfnis der Geheimhaltung topografischer Information die publizistische Konjunktur nicht verhindern und – Werke

980 Merian der Ältere et al. 1654, S. 27. 981 BayHStA 1051, fol. 56r–57v. 982 Friedrich 2008, S. 311–313.

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wie die Merian-Topografie der Welfenherzogtümer belegen dies eindrucksvoll – auch die Landesherren entdeckten die publizierte Topografie als Medium herrschaftlicher Repräsentation. Gerade hinsichtlich dieser spannungsreichen Situation lohnen die drei Akteursgruppen Landesherren, Topografen, d. h. Grafiker und Textautoren/-redakteure, und Stände bzw. Adel eine genauere Betrachtung. Während in den vorausgegangenen Kapiteln dieser Studie die thematische Analyse der Repräsentation sozionaturaler Schauplätze den ersten Schritt bildete und in einem zweiten Schritt im Zuge der Einordnung der erhobenen Befunde auch die oben genannten Akteursgruppen in den Blick genommen wurden, folgt nun ein Vorgehen in genau umgekehrter Reihenfolge. Anhand der Wening-Topografie von Kurbayern, deren Redaktionsprozess – wie schon erwähnt – gut dokumentiert ist, werden die kommunikativen Strategien und Praktiken sowie die an die topografische Publizistik gerichteten Ansprüche und Erwartungen der Akteure beleuchtet und in ihrer Bedeutung für die thematische Symmetrie topografischer Repräsentation problematisiert. Als Vergleichsfolie zur Wening-Topografie dienen dabei erneut Seitenblicke auf die in ihrem Redaktionsprozess ebenso komfortabel überlieferte Merian-Topografie von Braunschweig-Lüneburg. Eine so angelegte Untersuchung zeigt, dass der verfassungshistorische Prozess der Territorialisierung von Staatlichkeit und Ständegesellschaft in all seinen frühneuzeitlichen Friktionen geradezu notwendig auch über die Gattung der historischtopografischen Literatur ausgetragen wurde und damit deren Konjunktur förderte. Dementsprechend begegnet uns in dem Bild, das die Topografien von der Welt entwerfen, mit gleicher Notwendigkeit ein politisches Bild, dies vor allem dann, wenn es sich bei den Topografien um ausgesprochene Landesbeschreibungen handelt, wie im Falle der beiden erwähnten Werke. Die Katalogisierung topografischer Schauplätze steht im Dienst der Produktion einer territorialen Homogenität, die realiter selten so gegeben war. Demgegenüber zwang die Landesbeschreibung gerade den Adel, die eigene Position innerhalb dieses Kontexts zu definieren, zu gestalten und zu verteidigen. Mithin verfolgte der Adel in der topografischen Repräsentation sozionaturaler Schauplätze je nach Stellung differierende, mitunter zur Landesherrschaft konträre Interessen.983 Im Sinne eines strikten Dualismus lässt sich diese Konstellation allerdings nicht adäquat beschreiben. Zu unterschiedlich gestalteten sich im jeweiligen Einzelfall die Rollen und daraus abgeleitet die Beziehungen der Akteure zueinander. Bei den topografischen Ansichtensammlungen Oberösterreichs, Niederösterreichs und der 983 Zu Selbstverständnis und Selbstbehauptung des Adels im Ancien Régime vgl. stellvertretend: RONALD G. ASCH: Ständische Stellung und Selbstverständnis des Adels im 17. und 18. Jahrhundert, in: RONALD G. ASCH (HG.): Der europäische Adel im Ancien Régime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (ca. 1600-1789). Köln 2001, S. 3–45.

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Steiermark aus der Feder Georg Matthäus Vischers etwa handelt es sich um Auftragswerke der Stände.984 Die Merian-Topografie von Braunschweig-Lüneburg wurde durch die private Initiative des Frankfurter Verlagshauses initiiert. Ab 1649 trat Martin Zeiller brieflich in Kontakt mit städtischen Magistraten, um die Mitteilung topografischer Information zu erbitten. Etwa zur selben Zeit wandte sich Matthäus Merian d. Ä. mit dem Ansinnen an die Welfenherzöge, ihm Ansichten der für eine Aufnahme in die Topografie geeigneten Schauplätze zukommen zu lassen.985 Anders als von Zeiller, Merian und den Merianschen Erben intendiert, übernahmen die Herzöge schnell die Kontrolle über das Projekt. Sie maßen diesem nicht nur hohe Priorität zu, wie Sitzungsprotokolle und Korrespondenz beweisen.986 Man stimmte sowohl das Vorgehen bei der Erhebung der Daten als auch thematische Schwerpunktsetzungen und Sprachregelungen ab. Der in vieler Hinsicht federführende Herzog August von Braunschweig-Wolfenbüttel organisierte einen Redaktionsprozess, der von genauer Anleitung der Informationserhebung, sorgfältiger Textrevision, teilweise durch den Herzog persönlich, und von Geheimhaltung des Materials bis zur Übergabe an den Verlag geprägt war.987 Aber diese aktiv steuernde Rolle kann weniger als Zeichen landesherrlicher Stärke denn als Ausweis struktureller Schwächen der Landesherrschaft in dem heterogenen Herrschaftskonglomerat gelesen werden, das reich an territorialen und jurisdiktionellen Konfliktzonen war – gerade auch zwischen den Welfenherzögen selbst.988 Dies galt für den umstrittenen Status der Universität Helmstedt und der Stadt Braunschweig genauso wie für die Bergwerke, deren Ertragsdaten übrigens nicht in die Veröffentlichung gelangen sollten.989 Als schwerster Brocken wurden, so zumindest der durch die Instruktion für den Cellischen Gesandten Otto Johann Witte vom 12. April 1653 vermittelte Eindruck, die Dannenbergischen Ämter identifiziert. Die Überlagerung von lüneburgischer Landeshoheit und erbvertraglichen Appanagerechten der dannenbergischen Linie konstituierte in den Augen Wittes ein Problem topografischer Beschreibung von hoher juristischer Relevanz.990 984 Vgl. Schuller 1672. 985 Zimmermann 1902, S. 41. 986 Man denke etwa an die Konferenz der Räte der verschiedenen braunschweigischen Fürstentümer in Braunschweig, 15.-18. April 1653. Vgl. dazu die Instruktion für den Cellischen Gesandten Otto Johann Witte, Celle, 12. April 1653, HStA Hannover Celle Br. 68 Nr. 12/1; und das Protokoll über diese Konferenz von Otto Johann Witte vom 18. April 1653, Ebenda. 987 Vgl. Zimmermann 1902, S. 48–50. 988 Vgl. ebenda, S. 54–56. 989 Ebenda, S. 52–53. 990 „Wegen der Dannenbergischen ampter dürfte es die meiste difficultät geben und herren hertzogen Augusti F. Gn. dieselbe als ein absonderliches ihro zuständiges furstenthumb

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Relativer Konsens zwischen den Herzögen herrschte dagegen wohl hinsichtlich einer tendenziellen topografischen Marginalisierung des landsässigen Adels. So sahen es die Räte von Wolfenbüttel und Kahlenberg dem Besprechungsprotokoll Otto Johann Wittes zufolge nicht als dienlich an, lokale Adelsgeschlechter als abzufragenden Punkt in den Methodus, den Fragebogen zur topografischen Informationserhebung, mit aufzunehmen.991 Im Falle der Ortschaft Woltershausen und des dort ansässigen Adelsgeschlechts derer von Minnigerode klafften der adelige Wille zur Selbstdarstellung und die landesherrliche Textregie besonders weit auseinander. Hans von Minnigerode hatte eine Beschreibung vorgelegt, die auf fünfzehn Blatt in epischer Breite ein historisch-topografisches Porträt des Orts und vor allem eine Chronik seiner Inhaberfamilie entwarf.992 Allein neunzehn Seiten sind genealogisch-historischen Stoffen gewidmet und reich an Motiven vormoderner Herrscherhistoriografie, wie der mythologisch-sagenhaften Rückdatierung und Überhöhung der eigenen genealogischen Ursprünge. Die Reaktion des Bearbeiters auf herzoglicher Seite, die sich in einem nicht namentlich abgezeichneten Dorsalvermerk niederschlug, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Diese so außführliche weitleufige beschreibung des Minnigerodeschen geschlechtß auch ihrer dorfschafin die Topographiam zu bringen, ine anmaßen wollen. Weiln aber bekandt, daß solche ämpter und orter ein unstrittig angehöriges stük des fürstenthumbs Lüneburg sein, und nur der fürstlichen Dannenbergischen linie zu appenage eingethan: so hält man dieses ortes davor, daß dieselbe von dem fürstenthumb Lünenburg nicht abgesondert werden können, sondern unter derselben städte und häuser mit gesetzet werden müßen, doch mit vermeldung, daß herrn hertzog Augusti F. Gn. alß deren vorfahren sie vermöge aufgerichter verträge übergeben, dero eigenthumb und [//] andere jura inhalts gemeldter verträge daruber zugehörig. Sollte man aber an fürstlicher Wolfenbüttlischer seiten es dabey nicht laßen, sondern diesen Dannenbergischen theil alß ein absonderliches fürstenthumb beschreiben wollen, ist der abgeordenten zu gemüthe zu führene, daß solches mit keinem grunde behauptet werden könne, in betrachtung es diesen amptern an den bekandten requisitis eines fürstenthumbs allerding ermangele. Dannenhero im fall sie dessen unerachtet dieselbe daher ausgeben und eine solche beschreibung darüber in durck kommen laßen würden, man dieses ortes nicht würde entübriget sein können, einen der wahren beschaffenheit gemäßen gegenbericht dawieder zu publicieren und hiesigen fürstenthumbs beschreibung anzuhangen.“ Instruktion für den Cellischen Gesandten Otto Johann Witte, 12. April 1653, HStA Hannover Celle Br. 68 Nr. 12/1, fol. 4v–5r. 991 Konferenzprotokoll Witte, 18. April 1653, HStA Hannover Celle Br. 68 Nr. 12/1, fol. 16r. 992 Special Meldung und Nachricht Auß Briefflichen Documenten Und Uhrkunden beglaubten Historicis, auch auß der Erfahrung, Nachfragk und gegebenen Augenschein Von dem Uhralten Edelem Stam derer von Minnigeroda […], Woltershausen 19. Juli 1651, HStA Hannover Cal. Br. 3 Nr. 131, fol. 1r–15r.

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ten undt herligkeiten ist wider die intention undt mehr ein Minnigerodesches verneuertes Chronicon, alß zur Topographia gehörig, darumb nicht zu gebrauchen.“993 Alles, was in der Merian-Topografie von der Minnigerodeschen ‚Herrlichkeit‘ übrig blieb, ist neben einer Profilansicht des Dorfes ein kurzer Eintrag.994 Die landesherrliche Tendenz zur topografischen Marginalisierung des Adels bildete die eine Seite der Medaille, qualitative Probleme mit dem Rücklauf der Texte und offensichtliche Renitenz des Adels in der Zuarbeit zum Topografieprojekt bildeten die andere. Sie spiegelten sicher in nicht unerheblichem Maße den ständischen Argwohn angesichts eines befürchteten herzoglichen Machtausbaus.995 Landesbeschreibung oder Adelstopografie? Die Historico topographica descriptio Im bayerischen Beispiel der im Januar 1696 durch den am Münchener Hof wirkenden Grafiker Michael Wening angeregten Historico topographica descriptio handelte es sich zwar nominell um ein vom Landesherrn gemeinsam mit den Ständen getragenes Projekt.996 Doch auch hier zeigten sich von Beginn an Interessengegensätze zwischen fürstlichen Zentralbehörden und Ständen, deren Austragung schon in der Aushandlung der Spielregeln für den Entstehungsprozess einsetzte. Folgerichtig beklagte sich Michael Wening von Beginn seiner ersten Zeichenreise in das Landgericht Dachau an darüber, dass ihm örtliche Grundherren die kraft eines Hofkammer-Patents geschuldete Kooperation verweigerten. Ihm werde, so Wening, entgegengehalten, dass die Hofkammer Edelleuten nichts zu befehlen habe. Man reagiere allenfalls auf persönlichen Befehl des Kurfürsten.997 Ein Baron von Imhof habe ihn zunächst lange nicht vorsprechen lassen, nur um dann weder das Patent noch die Zeichnung seines Besitzes sehen zu wollen und ihn schließlich „spöttlicher weiß“ zu entlassen.998 Auch unter den nominellen Ständevertretern herrschte keine Einigkeit. Während die Landschaftsvertretung von Oberbayern dem Projekt eher gewogen war, zeigte sich die niederbayerische Landschaft ablehnend.999 Wie stark das ständische Misstrauen ausgeprägt war, die Landesherrschaft könnte bestehende Rechtstitel im Verbund mit der topografischen Informationserhebung in Frage stellen, zeigt die Reaktion des Klosters Benediktbeuren, als es 1701 seitens der Hofkammer gebeten wurde, einen verloren gegangenen Textteil 993 HStA Hannover Cal. Br. 3 Nr. 131, fol. 15v. 994 Merian der Ältere et al. 1654, S. 213. 995 Zimmermann 1902, S. 50–51. 996 Schuster 1999, S. 78. 997 Ebenda, S. 86. 998 Ebenda, S. 86–87. 999 Ebenda, S. 83–84.

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zur Entstehungsgeschichte des Klosters erneut einzusenden. Propst Waldramus Placher schrieb an die Hofkammer: „Weilen den 1. Junij mein gnädiger Herr anbefolchen den Ursprung unseres lobl. Closters Benedictbeurn nochmahlen abzuschreiben und dem Herrn zuybersändten, seytemahlen das vorige verlohren oder annoch in dem Cammer rath aufbehalten wordten, als sändte ich selbe hiemit, mit expressen und nochmahl repetierten bevelch, das man von unsern Privilegien nit das Geringste sollte schmälern noch verändern lassen (wie dan meinem Gnädigen Herrn der wol ehrw. P. Ferdinand[us] Schönwetter1000 ihme mündtlich versprochen). Fahls aber solchen nit solle nachgelebt werdten, will Er auf alle weis darwider protestiert haben und verlanget zeitlich in widerwärtiger Begebenheit berichtet zu werten.“ 1001

Antizipierten Privilegienverletzungen stellt der Vertreter des Klosters hier Protest auf Vorrat entgegen. Benediktbeuren stand mit seinem Misstrauen alles andere als alleine da. Die Landschaftsvertretung des Oberlandes schlug deshalb vor, die topografische Repräsentation in der Landesbeschreibung durch Einschub einer salvatorischen Klausel abzusichern.1002 Dies geschah tatsächlich. In der Vorrede des Druckes findet sich folgender Passus: „Uber diß jeder männiglichen / sonderlich denen Lands Inwohnern / alle ungleiche Gedancken zu benemmen / würdet hiemit kundt gethan / daß durch alles jeniges / was etwan dort und da in disem Tractat / von Immuniteten / Privilegien, Gerechtigkeiten / oder Gewonheiten vor und einkommen ist / niemanden das mündiste Recht eingeraumbt / noch auch im Gegenstandt ichtwas praejudicirt seyn / sondern jedwedern sein Jus unbekränckt verbleiben solle.“1003

Die kurfürstliche Hofkammer bezog auch reichsunmittelbare Enklaven in das Topografieprojekt ein. Die große Selbstverständlichkeit, mit der sie dies tat, vermag nur dann nicht zu verwundern, wenn man retrospektiv die homogene Dokumentation größerer territorialer bzw. regionaler Einheiten als notwendigen gattungsgeschicht1000 Jesuitenpater und erster Textredakteur der Historico topographica descriptio. 1001 P. Waldramus Placher an Hofkammer, Benediktbeuren, 7. Juni 1701, BayHStA Stv 1043, fol. 95r. 1002 „Und khann in der Vorred oder wie es sich etwan schicket schon ein clausula salvationis eingeruckht werden, das wann etwa bey disem oder jenem particular Platz zuvill oder wenig geschriben oder vorgemerckt worden, es allerseiths unpraejudicierlich und kheinem an seinem Recht und Gerechtsambe was praejudiciert sein solle.“ Landschaft Oberland an Hofkammer, München 3. Februar 1697, BayHStA 1042, fol. 124r–125v, hier fol. 125r, zit. nach: Knoll 2008, S. 59. 1003 Vorred an den wol-geneigten Leser, in: Wening 1701, unpag.

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lichen Entwicklungsschritt ansieht. Zeitgenössische Herrschaftsträger mussten dies anders wahrnehmen. Entsprechend konflikthaft gestaltete sich etwa die Kooperation mit der protestantischen Grafschaft Ortenburg bei Passau1004 oder mit der unweit von Landshut gelegenen Reichsherrschaft Alt- und Neufraunhofen. Die bayerischen Herzöge und späteren Kurfürsten hatten über Jahrhunderte die Reichsunmittelbarkeit der Fraunhofener in Abrede gestellt und versucht, sich die Herrschaft einzuverleiben, was ihnen schließlich 1805 gelang.1005 Derlei Rahmenbedingungen hatten Konsequenzen für die thematische Symmetrie der topografischen Repräsentation. So legt die Beschreibung der Fraunhofenschen Hofmark Altfraunberg auffällig großen Wert auf Genealogisches und Memoria, wobei der reichsritterliche Status des Inhabergeschlechts betont wird.1006 Die Materialität des Schauplatzes wird dagegen mit einem Satz abgehandelt: Er sei fruchtbar und gesund. Der Adel konnte seiner ablehnenden Haltung gegenüber der topografischen Erfassung in unterschiedlichen prozessualen Stadien und mit unterschiedlichen Strategien Geltung verschaffen. In der Phase der grafischen Aufnahme von Schauplätzen wurde dem umherreisenden Michael Wening die erforderte Unterstützung verweigert. Auch die von der Hofkammer eingeforderte und von der Landschaft gebilligte finanzielle Beteiligung am Projekt wurde vielfach verweigert oder verschleppt. Schließlich wurde die topografische Informationserhebung mittels der im ganzen Land versandten Fragebögen durch verzögerte oder unterlassene Beantwortung hintertrieben. Ein Schreiben der Münchener Hofkammer an den Verwalter des oberbayerischen Pfleggerichts Schwaben vom 28. Februar 1701 zeigt beispielhaft die Problemlage des fehlenden Rücklaufs durch die Adeligen und den administrativen Umgang damit. Es enthält nicht nur eine namentliche Aufzählung der säumigen Berichterstatter im Gerichtsbezirk und problematisiert die Verzögerung der Redaktionsund Drucklegungsarbeiten, sondern es schließt mit einer Anweisung zur Informationserhebung, die notfalls ohne die Beteiligung der Säumigen vorzunehmen war.1007

1004 Vgl. BayHStA Stv 1052, fol. 392r–401v; Schuster 1999, S. 124. 1005 THOMAS HORST: Die älteren Manuskriptkarten Altbayerns. Eine kartographiehistorische Studie zum Augenscheinplan unter besonderer Berücksichtigung der Kulturund Klimageschichte (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 161). München 2009, S. 54–56. 1006 BayHStA Stv 1049, fol. 36r–39r. 1007 „Als befelchen Wür dir hiemit gdgst., gleich nach Einlieferung diss, von dennen Inhabern solcher Örthen die Beschreibung abzufordern oder da von ihnen die volg nit gleich zu haben, du auf gemelte Frag Puncten sovil dir immer wisslich sein würdt, besonders wann besagte Orth us ainen Inhaber zum andern khommen, auch von wem unnd wann die verhandtene Gepeu erpaut wordten [//] selbsten ieden Orths ein son-

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Wo Grundherren nicht kooperierten, sollte der Pflegverwalter Informationen bezüglich eines thematisch reduzierten Fragerasters selbst beibringen. Die Besitzgeschichte der Herrschaft und die Baugeschichte herrschaftlicher Gebäude standen dabei im Mittelpunkt. Alles Weitere stand zur Disposition. Auch hier also zeitigte ständische Nicht-Kooperation konkrete Auswirkungen auf die thematische Ausgestaltung der topografischen Repräsentation. Obstruktion konnte aber nicht nur durch die unterlassene Lieferung eines Textes, sondern auch durch dessen Umfang und Qualität geleistet werden. Dass ausgerechnet ein Hofmarksverwalter in Diensten derer von Fraunhofen eine offenbar absichtsvoll besonders drastische Beschreibung lieferte, kann angesichts des oben Geschilderten kaum verwundern. Offenherzig beschreibt der Autor Johann Adam Thoma Syller den ruinösen Zustand der im kurbayerischen Rentamtsbezirk Landshut gelegenen Hofmark Münchsdorf samt ihres baufälligen Schlosses.1008 Sollte Syller

derbahr beschreibung zuverfassen unnd bey aller ehister Gelegenheit adhero zu unser Hofcammer gehorsambist einzusenden.“ BayHStA Stv 1043, fol. 94rv. 1008 „Erstlichen befündtet sich ausser halb des Schloss ein schöne capellen mit dem wunderthättigen gnaden bild Maria Ainsidl und ist solche capellen erpauth wordten alß herr Frantz Rojas Planckh die hofmarch noch in besitzt gebhabt. Anderns ist zwar ein zway gadten hoch aufgemauertes schloss mit einen weyher umbgeben neben einen schlechten obst oder paumb gartten und khleines wurz gartl der hag genannt verhandten. In disem schloss seindt mehrer nit dann 4 stieben unnd 3 cammer, warunder nur zwey zimer bewohnt werdten khönnen, massen die yberige wegen der alda bezaigenten pauföhligkheiten so von dem vorigen possessortes Frantz Royias Planckh verursacht wordten, nit zu bewohnen seindt. Unnd haben die ehehalten nächtlicher weill ir liegerstatt darinnen inmassen sonsten khein andere gelegenheit verhandten oder gericht werdten khann. [//] In obern gaden Alda seindt zwey grosse zimmer unnd zwar ohne ober deckhe auch ohne fester und laidten verhandten dass man dise wegen der starckhen paufähligkheit nit bewohnen khann, massen der vorige inhaber das täfel werkh herabgerissen und verbrennt, das man von disen under das tach volgsamb hinauf sehen thuet. Weithers befündet sich bey ermelten schloss ein gantz khlein gewelbte pau stueben ain dergleichen kuchl ain hennen stiebl ain […] ros stallung uf 6 pferdt ain […] gewelbter khiestahl uf 12 rinder viech ain khleines krauth gewelb ain gethraidt stadl, tresch tennen neben

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das Ziel verfolgt haben, eine topografische Repräsentation der Hofmark zu verhindern, so erreichte er dieses offenkundig. Zwei redaktionelle Bearbeitungsspuren, ein Zettel und ein marginaler „Nota Bene“-Vermerk, bringen erhebliches redaktionelles Unbehagen zum Ausdruck. Einmal heißt es, die Beschreibung sei „nit, wie es sein sollen, nach denen vorgeschribnen puncten eingericht.“1009 An anderer Stelle ist davon die Rede, dass diese Topografie sich sowohl aufgrund inhaltlicher als auch aufgrund formaler Faktoren nicht für die Aufnahme in die Landesbeschreibung eigne.1010 Mit dieser abschlägigen Beurteilung kommen auch die Erwartungen und qualitativen Maßstäbe ins Spiel, mit denen Landesherrschaft und Stände gleichermaßen dem Topografieprojekt begegneten und die einen Zielkonflikt markierten. Das Land sollte einerseits genau und umfassend beschrieben werden, andererseits stand diese Beschreibung im Dienst einer unkritischen Idealisierung.1011 Die 1700 eigens zur Kontrolle der Topografietexte konstituierte und hochrangig besetzte Landesbeschreibungskommission1012 brachte 1722 der Hofkammer gegenüber ihre Sorge zum Ausdruck, angesichts wachsender Probleme mit der Qualität eingesandter Beschreibungen die „intendierte hochachtung Rhumb und Decor dero churbayrischen Landten also seinen Zwekh“ nicht erreichen zu können.1013 Wiederholt sorgten sich die Ständevertreter um „Dißreputation“ „bei auswerthigen Provinzen“, sollten

einen kleinen gethraidt casten. […]“. BayHStA Stv 1051, fol. 323r–324r, 325r–326v, 327r–328v, (zwei geringfügig voneinander abweichende Fassungen, Datierung der Ersten: 7. April 1720); vgl. auch Knoll 2008, S. 64, Anm. 49. In einer Version ist zusätzlich von mittelmäßigem Feldbau die Rede. Die Hofmark ist nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen, im Landgerichtsbezirk Reichenberg gelegenen Baron Mändlschen Hofmark, vgl. Wening 1723, S. 67. 1009 Zettel bei BayHStA Stv 1051, fol. 324r. 1010 „Erachte, daß dise berschreibung nit verdiene unter anderen ein orth zu haben, dan sie ja gar kein figur in der landbeschreibung machen würde, so wohl wegen des schlechten orths alß gestimmleten und nach denen vorgeschribenen puncten nit eingerichteten erleuterung.“ BayHStA Stv 1051, fol. 327r. Ähnliche redaktionelle Marginalien finden sich an verschiedenen Stellen. So wird die Qualität der topografischen Information zum Landgut Pilhamb als so schlecht erachtet, „daß sie nit verdiene ein orth in der LandsBeschreibung zu haben“, BayHStA Stv 1049, fol. 305rv. Ein Marginalvermerk zu Adam Waltingers Beschreibung des freiherrlich Widerspachischen „Gietls“ Vogelsang vom 3. Oktober 1698 bescheidet: „Dises dörffel der Landbeschreibung beyzusezen scheinet nit anständig zu seyn.“ BayHStA Stv 1049, fol. 241rv. 1011 Knoll 2008, S. 59. 1012 Vgl. Schuster 1999, S. 96–100. 1013 Ebenda, S. 166–167.

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„schlechte“ Edelmannssitze grafisch erfasst werden.1014 An der Weningschen Grafik entzündete sich ständische Kritik bereits, als der Künstler die Ergebnisse seiner ersten Zeichenreise vorlegte. Die Landschaftsvertretung des Oberlandes kritisierte 1697, dass Wening „zu verschiedenen orthen die Schlösser und Gepey gar zu weith in die ferne seze, und gleichsamb, wie man eine Landtschafft zumahlen pfleget, hervorgebe.“1015 Man forderte von Wening, das Hauptaugenmerk auf die darzustellenden Schlösser, Klöster, Städte und Märkte zu richten und „was sonst zu deliniern vorfahlet, dasselbe kleiner, und wo es etwas die gelegenhait; und Situation an handt gibet, die dabey ligente Landschafft in die fern [zu] geben.“1016 Tatsächlich setzte Wening diese Monita ikonografisch um. Mithin war auch diese klare Einflussnahme auf den grafischen Abbildungsmodus von direkter Relevanz für die Repräsentation sozionaturaler Schauplätze in der Historico topographica descriptio. Am Rande sei erwähnt, dass die oben genannte Kommission es offensichtlich bei der Endkontrolle der Texte nicht nur verstand, zur Vermeidung von „Dißreputation“ Fragwürdiges aus dem ständischen Rücklauf zu filtern. Von Fall zu Fall wirkte sie auch als Korrektiv zu den mehr oder minder gelungenen Bearbeitungen der Redakteure. So hatte der Richter Georg Wilhelm Schenck über die Hofmark Sitzberg, Gericht Deggendorf im Rentamtsbezirk Straubing, nüchtern zu Protokoll gegeben, diese sei „mit ainem schönen veltpau wissen und grossen holzwax- von fruchten und pirchen versehen.“ 1017 Der mutmaßliche Redakteur des letzten, dem Rentamtsbezirk Straubing gewidmeten Topografiebandes, der Jesuit Petrus Werner,1018 machte daraus in wohl schon damals tendenziell peinlicher Metaphorik und bemüht wirkendem Wortspiel folgenden Eintrag: „Dieser unansechliche und kleine vogl [i.e. Schloss und Ort] hat ein gutes und groses näst, welches ihme machen die schöne veldungen wissen und waldungen von früchten- und pircken- päumen nit ohne zusaz von federn welche ihm geben die zugeherige in unterschidlichen gerichtern entlegne unterthane: daß also wohlgedachter [//] herr Baron [i. e. Oswald Schuß, Freiherr von und zum Peilnstain] keinen fählschuß gethan, da er sich mit seiner frau gemahlin verehlicht und dardurch in dises näst gesessen.“1019

Im Druck fehlt die Beschreibung der Hofmark zur Gänze. Man kann den Redaktionsprozess der Wening-Topografie als Aushandlungsprozess von Positionen in der Ständegesellschaft charakterisieren. Ähnlich wie im Falle der Welfenherzogtümer 1014 Knoll 2008, S. 59; Schuster 1999, S. 89–90. 1015 Zit. nach: Ebenda, S. 89. 1016 Ebenda, S. 89–90. 1017 BayHStA Stv 1055, fol. 183rv. 1018 Vgl. Schuster 1999, S. 167. 1019 BayHStA Stv 1055, fol. 183rv.

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war auch hier die Stellung der Landesherrschaft nicht unproblematisch. Der Landesherr, Kurfürst Max II. Emanuel (1662/1679-16726), war jahrelang als Statthalter der Spanischen Niederlande außer Landes; seine gescheiterten Ambitionen im Spanischen Erbfolgekrieg kosteten ihn sogar temporär die Regentschaft.1020 Was die ständische Seite betrifft, so darf man die geschilderten Fälle von Misstrauen und Obstruktion nicht verallgemeinern. Es gab sehr wohl Adelige, die sich die Topografie als Medium der Selbstdarstellung zu Nutze machten. Ansichtenfolgen wurden für die mediale Inszenierung von Architektur geschätzt und genutzt.1021 Mitunter traten nicht nur Fürsten, sondern auch einzelne landsässige Adelige als Auftraggeber eigenständiger Topografien ihres Besitzes in Erscheinung. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der kaiserliche Rat Joachim Enzmillner, der – offenbar beeindruckt von der Merianschen Braunschweig-Lüneburg-Topografie – beim Frankfurter Verlagshaus eine Beschreibung seiner oberösterreichischen Herrschaft Windhaag in Auftrag gab.1022 Im Rahmen der Historico topographica descriptio Kurbayerns scheinen gerade diejenigen Grundherren, die erst seit vergleichsweise kurzer Zeit im Besitz einer Herrschaft standen oder die dem höherrangigen bzw. hoffähigen Adel angehörten, ein spezifisches Interesse an der topografischen Repräsentation entwickelt zu haben. Mitunter verfügten diese Akteure durch ihre europäische Vernetzung bereits über Kenntnis zeitgenössischer Topografien des Auslandes und leiteten daraus konkrete ästhetische oder programmatische Forderungen ab. Dies gilt zum Beispiel für Baron Ferdinand Maria von Neuhaus, einen der wichtigsten Politiker am Hof Max Emanuels, der der Landesbeschreibungskommission vorstand – was ihn übrigens nicht daran hinderte, für seine Hofmark Zangberg (Pfleggericht Neumarkt, Rentamsbezirk Landshut) zu den säumigen Textlieferanten zu gehören.1023 Neuhaus kannte zum Beispiel die grafische Repräsentation des Kärntner Stammsitzes seiner Familie, Schloss Ehrnhaus, in der Kärnten-Topografie Johann Weikard von Valvassors von 1681.1024 Schuster geht davon 1020 Vgl. ANDREAS KRAUS: Bayern im Zeitalter des Absolutismus (1651-1745). Die Kurfürsten Ferdinand Maria, Max II. Emanuel und Karl Albrecht, in: ANDREAS KRAUS (HG.): Das Alte Bayern. Der Territorialstaat (Handbuch der bayerischen Geschichte, begr. von Max Spindler 2). 2. Aufl., München 1988, S. 459–532, hier 480–513; REGINALD DE SCHRYVER:

Max II. Emanuel von Bayern und das spanische Erbe. Die euro-

päischen Ambitionen des Hauses Wittelsbach 1665-1715 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz – Abteilung Universalgeschichte 156). Mainz 1996. 1021 Vgl. Völkel 2001, S. 11. 1022 Vgl. ebenda, S. 41–51; Wüthrich 1649, S. 8–10. 1023 Vgl. Pflegverwalter von Neumarkt an Regierung von Landshut, 12. August 1701, BayHStA Stv 1051, fol. 37rv. 1024 Schuster 1999, S. 98.

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aus, dass Neuhaus im Kreis derer, die von der Weningschen Ikonografie eine stärkere Fokussierung auf die Architektur einforderten, eine maßgebliche Rolle spielte und somit für eine bildprogrammatische Angleichung der Ikonografien Wenings und Valvassors verantwortlich zeichnete.1025 Barocke Pracht ohne Land vs. sozionaturale Idealität: Zangberg und Hohenaschau1026 Die kurze Beschreibung der Neuhausschen Hofmark Zangberg in der Historico topographica descriptio wird grafisch wie textuell von der Repräsentation des erst 1687 durch Ferdinand Maria von Neuhaus neu erbauten Barockschlosses und dessen Gartenanlagen dominiert. Der Text macht jenseits dieses Themenschwerpunktes nur knappe Angaben zur Besitzgeschichte, zur Lage und zur Ausdehnung der Hofmark. Dagegen werden die Säle im Schlossinneren und der aufwändig gestaltete Garten mit seinen Wasserspielen und „welschen Frucht-Bäumen“ gewürdigt. Gerät die Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes Hofmark schon im Text einseitig, so wird dieses thematische Ungleichgewicht in der Grafik (Abbildung 69) noch verstärkt. Abbildung 69: Michael Wening, Schloß Zangberg, Historico topographica descriptio, 1723

Der Bildausschnitt blendet Landschaft jenseits des architektonischen Ensembles von Schloss und Garten weitgehend aus. Der geometrische Barockgarten mit seinen diversen für höfische Praktiken relevanten Arrangements (Gartenparterres, Kanal, Gondeln, Wasserspiele) nimmt das Bildzentrum ein. Genau dieser höfische Fokus qualifiziert den topografischen Schauplatz, nicht landwirtschaftliche Praktiken, Bodengüte oder etwa Fischvorkommen in nahen Gewässern.

1025 Ebenda, S. 99. 1026 Das Folgende nach Knoll 2008, S. 70–72.

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Ganz anders ist die Rhetorik der Beschreibung von Schloss und Herrschaft Hohenaschau angelegt, die den Preysing gehörten, einer in Bayern reich begüterten und der Landesherrschaft ebenfalls nahestehenden Adelsfamilie. Mit Schloss Hohenaschau kontrollierte eine dem barocken Zeitgeschmack nicht mehr entsprechende Höhenburg die Herrschaft. Ihre grafische Repräsentation unterscheidet sich markant von der des Schlosses Zangberg. In den beiden Wening-Ansichten von Hohenaschau (Ansicht von Süden: Abbildung 70) steht das Schloss zwar jeweils im Bildzentrum, die Bildausschnitte geben aber der umgebenden Landschaft breiten Raum. Diese Bildregie arbeitet auch der textuellen Beschreibung zu, die eine idealisierende Überhöhung des Schauplatzes gerade durch eine sehr detailreiche, bei weitem nicht auf das Schloss konzentrierte Topografie inszeniert. Eine landschaftsästhetisch sensible Beschreibung thematisiert die Verteilung von Bergen, Tälern und Gewässern. Umfassend werden die wirtschaftliche Blüte der Region, die Erzvorkommen und die von diesen abhängigen Gewerbe, die Leistungsfähigkeit der alpinen Almwirtschaft und schließlich die Fischerei in der Prien und im Chiemsee gewürdigt. Die Idealität des sozionaturalen Schauplatzes wird hier durch das von der Herrschaft organisierte optimale Zusammenwirken von Praktiken und Arrangements in einer geomorphologischen und klimatischen Gunstlage konstituiert. Sie spiegelt den Fleiß der Bevölkerung ebenso wie die Integrität des Herrschergeschlechts. Abbildung 70: Michael Wening, Herrschafft und Schloß Hochen Aschau wie solches von Mittag gegen Mitternacht anzusehen ist, Historico topographica descriptio, 1721

Sozionaturale Idealität und barocke Pracht: Taufkirchen Auch die niederbayerische Hofmark Taufkirchen (Pfleggericht Erding, Rentamt Landshut) ist mit zwei großformatigen Ansichten in der Historico topographica descriptio vertreten (Abbildungen 71 und 72). Die topografische Repräsentation dieses Schauplatzes verbindet gleichsam die Idealisierungsstrategien der Beschreibun-

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gen von Zangberg und Hohenaschau. Der Bildausschnitt gewährt dem Schloss mehr Raum, als dies in der Hohenaschau-Ikonografie der Fall ist. Die Umgebung erhält aber mehr Gewicht als in Zangberg. Die Ensembledarstellung würdigt barocke Schloss- und Gartenarchitektur genauso wie die landwirtschaftlichen Betriebsgebäude. Staffagefiguren inszenieren landwirtschaftliche und aristokratische Praktiken gleichermaßen. Abbildung 71: Michael Wening, Schloß Taufkirchen [von Süden], Historico topographica descriptio, 1723

Damit korrespondiert die textuelle Taufkirchen-Topografie. Sie gibt wie die Beschreibung der Herrschaft Hohenaschau ein sehr differenziertes Bild von Geo- und Hydromorphologie, Besitzgeschichte, Bauzustand und Landnutzung. Der Text schenkt der lokalen, vom Fluss Vils bestimmten Hydrografie große Aufmerksamkeit. Daneben wird die Wehrhaftigkeit des Schlosses unterstrichen. Es könne sich gegen 3000 Angreifer erwehren, sofern diese über keine Kanonen verfügten.1027 Das Schloss selbst verfüge über „schöne“ Kanonen und eine Rüstkammer mit Musketen und Gewehren. Auch dieser Text preist die repräsentativen Gartenanlagen samt deren „Bluemenwerch / und Obst-Bäumen / mit springenden Brünnen / schönen Wasserwerch / und Grota / neben einem Sommerhauß versehen“, um diese Aufzählung aber bruchlos mit der Erwähnung von Wirtschaftsgebäuden fortzusetzen: „auch ein schöner Mayrhof / Präuhauß / und Wohnung eines Beambten verhanden / dann mehrern underschidlichen Obst-Gärten.“1028 Angaben zum guten Getreide- und Heuboden und den „schönen Höltzern“, zum Vorhandensein einer der schönsten Hochjagden im Lande und schließlich zum reichlichen Vorkommen guter Fische und Krebse in der Vils runden das Bild eines an ‚natürlichen‘ Segnungen reichen Schauplatzes ab. Die kulturelle Beflissenheit des Hofmarksinhabers Adam Freiherr von Puech, der den Besitz erst 1673 der Familie seiner ersten Ehe-

1027 Wening 1723, S. 18. 1028 Ebenda.

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frau, den Fugger von Kirchberg und Reichenbach, abgekauft hatte, manifestiert sich in der Ausstattung des Schlosses mit einer in stetem Wachstum begriffenen Bibliothek sowie üppigen Sammlungen von Gemälden, Raritäten und Kuriositäten.1029 Die Bilder und der Text, der weitgehend frei von redaktionellen Korrekturen blieb,1030 ergänzen einander zu einer inhaltlich homogenen Repräsentation eines Idealschauplatzes. Praktiken von Herrschaft und ländlicher Gesellschaft konstituieren zusammen mit materiellen Arrangements einen harmonischen und gleichermaßen als wehrhaft indizierten Zustand ‚guter Ordnung‘. Alle drei vorgestellten Beispiele inszenieren Adelstopografien. Sie stehen für drei verschiedene Optionen ständischer Selbstinszenierung im Rahmen historischtopografischer Landesbeschreibung und sie zeigen rhetorische Handlungsspielräume in der gesellschaftlichen Selbstpositionierung auf. Die eigentlichen Topografen, also Grafiker und Textredakteure, spielten in diesem Prozess keine eigenständig gestaltende Rolle. Die topografische Repräsentation sozionaturaler Schauplätze wurde von Fürst und Ständen geprägt und von beiden gleichermaßen genutzt, um Positionen in der ständischen Gesellschaft zu verhandeln. Um die jeweilige thematische Balance der Repräsentation sozionaturaler Schauplätze zu verstehen, wie sie in Kap. 3 dieser Studie an zahlreichen urbanen und außerurbanen Beispielen ausfindig gemacht wurde, bedarf es eines Verständnisses von Topografie als kommunikativer und sozialer Praxis. Abbildung 72: Michael Wening, Schloß Taufkirchen [von Norden], Historico topographica descriptio, 1723

1029 Ebenda. 1030 Vgl. die Vorlage in BayHStA Stv 1049, fol. 198r–200v.

4. Die Natur der menschlichen Welt: Fazit

Was ist – nach der Analyse von Hydrografie und Stadtbeschreibung, nach der Auseinandersetzung mit der topografischen Repräsentation von Landnutzungspraktiken und mit topografischer Ästhetik – von der eingangs zitierten, emphatischen Vorrede des österreichischen Geistlichen und Topografen Georg Matthäus Vischer zu halten? Vischer hatte die Geografie als Königin der Wissenschaften gefeiert, die ihre Tochter, die Topografie, prächtig ins Licht stelle und die der wissbegierig staunenden Welt die Wunder von Natur und Kunst mitteile. Unterstützt von gelehrter Feder und kunstreichem Pinsel entwerfen, so das verkaufsfördernde Versprechen Vischers, Topografien eine systematische Repräsentation all dessen, was der Gesellschaft und ihren Eliten durch Glück und Natur gegönnt ist: Burgen, Schlösser, Städte und Dörfer, Ackerbau und das Prangen der Natur selbst – kurz, die ganze „WeltMachina“. Wo steht der Historiker des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts, der Umweltwahrnehmung in der Frühen Neuzeit untersucht und der in diesem Zusammenhang historisch-topografische Literatur als Quellengattung in den Blick genommen hat? Grundsätzlich kann er festhalten, dass weder dem Thema noch der Quellengattung eine wahrnehmungsgeschichtliche Fragestellung gerecht wird, die eindimensional und dichotomisierend argumentiert. Es geht um mehr als die Überprüfung des Potenzials eines Quellentypus für die Rekonstruktion der Wahrnehmungen historischer Akteure von der ‚Welt da draußen‘. Der Auftrag ist wesentlich komplexer. Und wenngleich man sich allzu gerne vom Erkenntnisoptimismus Vischers blenden ließe, im Zeitalter der „Krise der Kritik“1 geht es nicht an, dieser Versuchung nachzugeben. Bruno Latour hat wünschenswert deutlich die Symptome dieser Krise beschrieben und dadurch mitgeholfen, das angesprochene, noch eher unbestimmte Unbehagen zu substantivieren und zu differenzieren. Latour beklagt, unser intellek-

1

Latour 2009, S. 13.

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tuelles Leben sei „entschieden schlecht eingerichtet“2 und begründet diese Feststellung folgendermaßen: „Epistemologie, Sozialwissenschaften und Semiotik haben jede ihre Stärke, doch nur unter der Bedingung, daß sie voneinander getrennt bleiben. Sobald die Wesen, die man verfolgt, in allen drei Bereichen auftauchen, wird man nicht mehr verstanden. Zeigt man den etablierten wissenschaftlichen Disziplinen irgendein schönes soziotechnisches Netz, […] so werden die Epistemologen die Begriffe herausziehen und alle Wurzeln zum Sozialen oder zur Rhetorik abschneiden; die Sozialwissenschaftler werden die soziale und politische Dimension herausgreifen und sie von jedem Objekt säubern; die Semiologen schließlich werden aus unserer Arbeit Diskurs und Rhetorik übernehmen, aber von jedem unstatthaften Bezug zur Realität – horresco referens – und den Machtspielen reinigen. Das Ozonloch über unseren Köpfen, das moralische Gesetz in unseren Herzen und der autonome Text mögen in den Augen unseren [sic!] Kritiker zwar interessant sein, aber nur getrennt voneinander. Sobald ein feines Weberschiffchen Himmel, Industrie, Texte, Seelen und moralisches Gesetz miteinander verwebt, wird es unheimlich, unvorstellbar, unstatthaft.“3

Latours Webschiffchen und die Netze, die sie weben, sind interessant – auch für HistorikerInnen und besonders dann, wenn diese sich im interdisziplinären Feld einer kulturgeschichtlich inspirierten Umweltgeschichte bewegen. Denn dort stehen sie vor der Aufgabe eines produktiven Umgangs mit jener Vernetzung und Hybridität von Materialität, Akteuren und Diskursen, der man mit realistischen oder konstruktivistischen Lesarten genauso wenig gerecht wird wie mit modernisierungstheoretischen Narrativen.4 2

Ebenda, S. 12.

3

Ebenda.

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Latour führt aus, „Kritiker“ hätten „drei unterschiedliche Repertoires der Kritik entwickelt, um über unsere Welt zu sprechen: Naturalisierung, Sozialisierung und Dekonstruktion“, die je für sich genommen stark, aber nicht mit den anderen kombinierbar seien und damit der gegebenen Hybridität nicht gerecht würden: „Ja, die wissenschaftlichen Fakten sind konstruiert, aber sie lassen sich nicht auf das Soziale reduzieren, weil dieses mit Objekten bevölkert ist, die mobilisiert worden sind, um es zu konstruieren. Ja, diese Dinge sind real, aber sie gleichen zu sehr sozialen Akteuren, um sich auf die von den Wissenschaftstheoretikern erfundene Realität ‚dort draußen‘ reduzieren zu lassen. Der Handlungsträger dieser Doppelkonstruktion – Wissenschaft mit Gesellschaft und Gesellschaft mit Wissenschaft – entsteht aus einem Ensemble von Praktiken, das vom Begriff der Dekonstruktion so schlecht wie nur möglich erfaßt wird. Das Ozonloch ist zu sozial und zu narrativ, um wirklich Natur zu sein, die Strategie von Firmen und Staatschefs zu sehr angewiesen auf chemische Reaktionen, um allein auf Macht und Interessen reduziert werden zu können, der Diskurs der Ökosphäre zu real und zu sozial, um ganz in Bedeutungs-

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Um der skizzierten Hybriditätsproblematik methodisch gerecht zu werden, knüpfte die vorliegende Studie an das praxistheoretische Konzept der „sozionaturalen Schauplätze“ (Schatzki, Winiwarter/Schmid) an und erweiterte dieses um eine wahrnehmungs- und medienhistorische Perspektive. Der Untersuchung liegt ein Verständnis von Umweltwahrnehmung zugrunde, das in enger deskriptiver Rückbindung an die Eigenschaften der untersuchten Quellengattung entwickelt wurde. Umweltwahrnehmung in historisch-topografischer Literatur der Frühen Neuzeit wird in dieser Untersuchung verstanden als die Art und Weise, wie Werke dieser Gattung sozionaturale Schauplätze repräsentieren. Das Zusammenwirken gesellschaftlicher Praktiken und biophysischer Arrangements konstituiert sozionaturale Schauplätze. Geschichtswissenschaft im Allgemeinen und Umweltgeschichte im Besonderen beobachtet sozionaturale Schauplätze in ihrer historischen Transformation. Historisch-topografische Literatur beschreibt Siedlungen, Regionen oder Territorien in Wort und Bild, d. h. sie repräsentiert sozionaturale Schauplätze textuell, grafisch und kartografisch. Sie ist als Medienverbund organisiert. Topografie als Prozess bündelt empirische und kommunikative Praktiken, die sich nicht nur um die Abbildung von Materialität drehen, sondern auch um die Aushandlung sozialer und politischer Ordnungen. Damit erbringt die Untersuchung der Umweltwahrnehmung in historisch-topografischer Literatur sowohl Erkenntnisse über frühneuzeitliche Gesellschaften als auch über die sozionaturalen Gefüge, in denen sie standen. Der thematische Zuschnitt sozionaturaler Schauplätze in der historisch-topografischen Literatur steht im Fokus dieser Studie. Dieser Zuschnitt wurde exemplarisch an der Thematisierung von Gewässern, an der Beschreibung von Städten und von Landnutzungen untersucht. Frühneuzeitliche Topografie reflektierte, bedingt durch ihre gattungsgeschichtlichen Bezüge zur antiken und humanistischen Geografie, zur mittelalterlichen Historiografie, zur Reiseliteratur und zur Apodemik sowie zum Städtelob, deren Themenkataloge. Der Abgleich mit diesen Formularen und ihrer standardisierten Topik schärft den Blick bei der Identifikation markanter Schwerpunktsetzungen und Auslassungen. Die in den Kapiteln 3.2 bis 3.4 erhobenen Befunde forderten in ihrer jeweiligen Spezifik für einen Autor bzw. eine Region – oder auch in ihrer topischen Präsenz über einzelne Autoren oder Regionen effekten aufzugehen.“ Ebenda, S. 13–14. Vgl. hierzu auch MELANIE REDDING: Die Konstruktion von Naturwelt und Sozialwelt. Latours und Luhmanns ökologische Krisendiagnosen im Vergleich, in: MARTIN VOSS/BIRGIT PEUKER (Hg.): Verschwindet die Natur? Die Akteur-Netzwerk-Theorie in der umweltsoziologischen Diskussion (Science studies). Bielefeld 2006, S. 129–147. Redding attestiert den ökologischen Krisendiagnosen der Luhmannschen Systemtheorie und der Actor-Network-Theorie Latourscher Prägung Einigkeit darin, dass sie die von einander getrennte Konzeption bzw. Wahrnehmung einer Naturwelt und einer Sozialwelt als Kernproblem ansehen. Die Antworten Luhmanns und Latours auf diese Problemdiagnose liefen einander aber dieamtral entgegen.

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hinaus – sozioökonomische, politische und materielle Erklärungen heraus. Im letzten Kapitel erfolgte dagegen ein Perspektivwechsel. Hier bildete die Frage danach, wie eine ständische Gesellschaft einen topografischen Prozess organisierte, den Ausgangspunkt der Analyse: Welche Akteurskonstellationen, Interessen und Konflikte bestanden hier bzw. wurden in diesem Kontext auf welche Weise ausgetragen und beeinflussten so das topografische Bild von der ‚Welt‘? Als Untersuchungsraum wurde der Einzugsbereich der oberen Donau zwischen dem Schwarzwald und Wien in den Blick genommen. Die Donau und ihre Zuflüsse stecken hier eine geo- und hydromorphologisch sowie als Wirtschafts- und Kommunikationsraum relativ homogene Region ab, die eine Fülle verschiedener Städte und politischer Territorien beherbergte. Eben diese Homogenität und Heterogenität erlauben instruktive Vergleiche von Schauplätzen, etwa zwischen verschiedenen Reichsstädten (Ulm, Augsburg, Regensburg) oder Residenzstädten (München, Wien) in Kapitel 3.3. Der Untersuchungsraum wurde für Seitenblicke auf die Merian-Topografie der Braunschweig-Lüneburgischen Herzogtümer erweitert. Dies lag nahe, weil erstens der Redaktionsprozess dieser Publikation ähnlich gut dokumentiert ist wie im Falle der Weningschen Topografie Kurbayerns und zweitens das aktiv steuernde Eingreifen der Welfenherzöge in diesen Prozess sehr deutliche Hinweise auf die Bedingtheit des thematischen Zuschnitts topografischer Repräsentationen durch territorialherrliche Polititik und die Aushandlung der Interessen ständegesellschaftlicher Akteursgruppen gibt. Die hydrografische Orientierung der untersuchten historisch-topografischen Werke markiert eine bemerkenswerte thematische Orientierung der repräsentierten sozionaturalen Schauplätze. Diese ist Teil der kartografischen Darstellungspragmatik, ihre Rolle in der Beschreibung von Orten und Regionen weist aber weit über diese kartografisch-pragmatische Dimension hinaus: Hydrografie wird als rhetorisches Mittel zur Plausibilisierung territorialer Zusammenhänge eingesetzt. Dabei werden diskursive Anschlüsse an naturemblematische Konzepte wie das der „natürlichen Grenzen“ offensichtlich. Hydrografische Raster stehen als Symbole für territoriale Zusammenhänge. Das Beispiel des Schreibens über den Donauursprung zeigt eine besonders ausgeprägte symbolische Aufladung von Hydrografie. Zugleich figuriert Hydrografie aber auch als Teil einer naturwissenschaftlichen Weltsicht: Neben der symbolischen Ebene repräsentieren die Topografien auch die materielle: Fischlisten und Apians hydro- und geomorphologisch sensible Hydrografie stehen für diesen Zugang. Eine spezifische thematische Unschärfe ist der oben angesprochenen rhetorischen Funktion der Hydrografie im topografischen Genre geschuldet und liegt in einer die frühneuzeitliche fluviale Dynamik nicht angemessen berücksichtigenden Darstellung. Die idealisierte und statische Repräsentation sozionaturaler Schauplätze stand im Dienst der Strukturierung territorialer Zusammenhänge und der Inszenierung gesellschaftlicher und politischer Ordnung. Diese rhetorischen Vorzeichen

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ließen keinen Raum für die Thematisierung der im Untersuchungsgebiet an parallelen Quellenbeständen nachweisbaren fluvialen Dynamik und der dort ebenfalls fassbaren gesellschaftlichen Reaktions- und Aushandlungsprozesse im Umgang mit der gegebenen Prekarität – obwohl oder weil fluviale Dynamik eine stete Bedrohung ebendieser Ordnung bildete. Gerade dort, wo redaktionelle Vorstufen der Landesbeschreibung erhalten sind, wie im Falle der Weningschen Historico topographica descriptio Kurbayerns, zeigen sich teils die örtlichen Autoren topografischer (Selbst-)beschreibung, teils die Protagonisten der landesobrigkeitlich organisierten Redaktionsarbeit wortkarg, wenn es um den Fluss und die Probleme seiner Dynamik geht. Hier begegnet zum einen die Option, dass die Textproduzenten vor Ort die Prekarität des Lebens am Fluss konkret thematisieren, die Redaktion solche Aussagen aber abmildert oder tilgt. Auch die allzu offenherzig negativ geschilderte Wasserqualität eines Gewässers kann diesem Filter zum Opfer fallen. Die andere Option besteht darin, dass bereits die eingereichten Texte durch hydrografische Unschärfen geprägt sind. Mitunter tragen die Grafiken deutlichere Marker fluvialer Dynamik als die Texte, was im Einzelfall sicher auf die Autopsie der Grafikproduzenten zurückzuführen ist. Aber auch die Grafiken transportieren in der Summe ein vorwiegend idealisiertes Bild. Stets sind Flüsse durch lineare Ufer klar gegen das Festland abgegrenzt dargestellt; stets sind sie bei mittlerem Wasserstand inszeniert. In den drei Merian-Bänden zum oberen Donauraum ist nur einmal, in der Darstellung der niederösterreichischen Herrschaft Petronell, an einer Stelle eine „Anschütt“, die sedimentierungsbedingte Entstehung bzw. der sedimentierungsbedingte Zuwachs einer Flussinsel, als solche dargestellt und bezeichnet. Während allgemein – wie im Beschreiben Martin Zeillers gut nachzuweisen – die Akzentuierung eines sozionaturalen Schauplatzes auch stark von der Verfügbarkeit und Qualität der verarbeiteten geografischen Informationen abhängt, scheinen hydrografische Extremsituationen erst jenseits einer gewissen Schwelle berichtenswert. Diese Schwelle wird zum einen vom Ausmaß der Extremsituation definiert, zum anderen davon, ob sie bereits in der örtlichen Memoria monumentalisiert oder durch Eingang in die überregionale Historiografie kanonisiert wurde. Das Beispiel des Getreideumschlags an der niederbayerischen Donau und der damit zusammenhängende Flussumbau bei Straubing zeigt schließlich, dass sowohl groß dimensionierte konstruktive Eingriffe in materielle Arrangements als auch die Praktiken der Flussnutzung, mit denen diese im Zusammenhang standen, unter Betonung ihrer vermeintlichen Anciennität rhetorisch legitimiert wurden. Hydrografie orchestriert hier eine topografische Rhetorik, auf die in herrschaftlichen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen zurückgegriffen wurde. Mit der quantitativen Prominenz von Stadtbeschreibung in frühneuzeitlichen Topografien korrespondiert die Breite epochal und regional differierender Optionen der Repräsentation urbaner Schauplätze. Es gibt, um ein grundsätzliches Ergebnis der in dieser Arbeit unternommenen Analyse von Stadttopografien vorwegzuneh-

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men, aller gattungstypischen Topik zum Trotz kein homogenes topografisches Bild der Stadt. Spannungsreich ist nicht nur das Ringen zwischen ikonografischer und narrativer Topik auf der einen und empirisch verfasster Beschreibung des Zusammenspiels von Materialität und gesellschaftlichen Praktiken auf der anderen Seite. Auch Stadt-Hinterland-Beziehungen, städtische Ressourcenversorgung und Arrangements städtischer Infrastruktur werden höchst unterschiedlich dargestellt. Daneben wird der umfangreiche Anteil historischer Stoffe an der Stadttopografie sowohl hinsichtlich seines absoluten Anteils an der Gesamtbeschreibung als auch hinsichtlich der Binnengewichtung der Themenfelder Herrschaft, Stadtentwicklung, Kirche, Krieg, Unruhen, Katastrophen, Wirtschaft etc. sehr unterschiedlich gestaltet. Die aus den zahlreichen Unterschieden herrührende Befundheterogenität erklärt sich meist weniger aus unterschiedlichen materiellen Rahmenbedingungen als aus soziopolitischen Motiven und Programmen. Die ausgeprägte Präsenz hydrografischer Themen auch in der Stadttopografie ist dagegen der immensen Bedeutung von Wasserläufen für Materialströme und Wirtschaften vormoderner Städte geschuldet. Die Merian-Topografien zu Schwaben, Bayern und Österreich bildeten den Kern der Quellenbasis der vorliegenden Untersuchung von Stadttopografien. Je nach örtlichen Spezifika differierte der unternommene Zugriff auf ergänzende Überlieferung. Der Vergleich der Städtetopografien in den Merian-Bänden zeigte auf, wie durch den Zugriff des Verlages auf unterschiedliche, oft zugelieferte bzw. ältere grafische Vorlagen und durch die Textkompilatorik Martin Zeillers Traditionslinien lokaler und überregionaler Topografie und Historiografie ihren Weg in die Topographia Germaniae fanden. Dass sich Idealisierung als motivischer roter Faden durch die Repräsentationen urbaner Schauplätze zieht, kann kaum verwundern. Bemerkenswert ist vielmehr der beträchtliche Spielraum, den die Autoren von Grafik und Text dennoch zu nutzen wussten, um – nicht zuletzt eigener persönlicher oder ideeller Nähe zur beschriebenen Stadt gehorchend – unterschiedliche Optionen kommunaler Selbst- oder Fremdwahrnehmung zu bedienen. Als sehr ertragreich erwies sich die Analyse der residenzstädtischen Topografien Münchens und Wiens im 17. und 18. Jahrhundert. Sowohl im rhetorischen Kontext barock-panegyrischer Inszenierung als auch in dem der aufgeklärt-reformorientierten Ortsbeschreibung spielten Materialität (Architektur, Parks, stadtnahe landwirtschaftliche Flächen, eingeführte und/oder produzierte Güter etc.) und gesellschaftliche Praktiken (Hofkultur, Gewerbe, Landnutzung, ‚Freizeit‘-Gestaltung, Medizin und Hygiene etc.) eine wichtige Rolle. Allerdings wurden sie mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen diskutiert. Im Folgenden seien die Ergebnisse der einzelnen in Kapitel 3.3 unternommenen Fallstudien kurz zusammengefasst. Das Beispiel der Freien Reichsstadt Ulm bezieht seine Besonderheit auf der materiellen Ebene aus der hydrografischen Situation und auf der Ebene historischtopografischer Repräsentation aus der Prägung des Ulm-Bildes durch zwei in Ulm ansässige Autoren. Hydrografisch bedeutet die Lage Ulms an der Donau und im

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Mündungsbereich von Blau und Iller eine wichtige Determinante der Ulmer Stadtentwicklung. Für die Sonderstellung Ulms in der historisch-topografischen Literatur zeichnet vor allem ein Traktat des Ulmer Dominikaners Felix Fabri aus dem späten 15. Jahrhundert verantwortlich. In diesem gehen zwar gattungsüblich laus und descriptio eine enge Verbindung ein und die Stadt wird in einer bildreichen Rhetorik präsentiert, nicht zuletzt in stark anthropomorphen Wendungen bei der Beschreibung von Wasserläufen. Hervorstechendste Eigenschaft ist aber die präzise und detaillierte, offenkundig empirisch verfasste und auch quantifizierende Beschreibung lokaler Praktiken und Arrangements. Fabris Zugriff findet seine grafische Entsprechung in der Ulm-Ansicht der Schedelschen Weltchronik, die auf die Stadt im Gegensatz zu vielen anderen Schauplätzen keine austauschbare Schablone anwendet, sondern sehr genau auf Lage und Baustruktur der Stadt eingeht und zahlreiche lokalspezifische Arrangements inszeniert. In der Merianschen Topographia Sveviae ist Ulm sowohl textuell als auch grafisch eine der am umfangreichsten repräsentierten Städte. Während die Ulmer Hydrografie in einer Vogelschau vergleichsweise deutlich ins Bild gesetzt wird, bleiben die Profilansichten ausgerechnet diesen wichtigen Aspekt weitgehend schuldig. Die Autorschaft der textuellen Beschreibung Ulms in der Merian-Topografie ist ein zweiter Grund für die Sonderstellung der Stadt in der historisch-topografischen Literatur. Martin Zeiller, Textautor der Topographia Germaniae, fand als österreichischer Protestant Exil in der Reichsstadt, war also ortsansässig. Seine von zahlreichen sozionaturalen Bezügen durchwirkte Topografie knüpft zwar an Fabri an, wirkt aber im Gegensatz zu dessen Beschreibung weit weniger stark in Autopsie gegründet. Auch Zeiller inszeniert einen der Logik des Städtelobs gehorchend idealisierten sozionaturalen Schauplatz. Der Hydrografie fehlt dabei aber das rhetorische Gewicht, das ihr bei Fabri zukam. In Zeillers Idealisierung Ulms rahmen bevorzugte naturräumliche Bedingungen eine wirtschaftlich erfolgreiche, von fleißigen und moralisch integeren Menschen bewohnte und den Wissenschaften zugeneigte protestantische Idealstadt. Die in Kapitel 3.3.2 aufgeworfene Frage, inwieweit sich die topografische Repräsentation der Reichsstadt Augsburg durch eine Abbreviatur des Naturalen auszeichnet, nimmt eine Beobachtung Rudolf Kießlings und Peter Plaßmeyers auf. Kießling und Plaßmeyer stellen fest, dass die Augsburger Stadtikonografie vor allem des 16. Jahrhunderts Stadtrandphänomene ausgeklammert habe, obwohl in ihnen der wirtschaftliche Reichtum der Stadt zum Ausdruck gekommen sei. Sie beziehen sich dabei auf die Bleichanlagen der Textilindustrie ebenso wie auf die für den Betrieb des komplexen Systems städtischer Wasserversorgung und Mühlen sowie für die Flößerei entscheidenden Lechkanäle. Tatsächlich bestätigt der textuelle Befund diese These. So klammert der Beitrag des Augsburger Mediziners und Chronisten Pirmin Gasser zu späteren Auflagen von Sebastian Münsters Cosmographia mit der Textilindustrie auch deren materielle Arrangements extra muros aus. Auch das topografische Schreiben über hydraulische Infrastruktur konzentriert

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sich auf Arrangements intra muros, nicht zuletzt auf die repräsentativen Brunnen. Diese sind der Merian-Topografie nicht nur textuelle Würdigung durch Zeiller, sondern auch eigene Partikulargrafiken wert. Eine perspektivische Verbindung zwischen innerstädtischen und außerstädtischen Arrangements ist nur schwach ausgeprägt. Vom Hochablass, dem für die Ableitung von Lechwasser zentralen Arrangement, ist nirgends die Rede. Angesichts einer Fülle von administrativer Überlieferung, die hier das Bild eines von Nutzungskonflikten bestimmten, prekären Schauplatzes entwirft, muss dies verwundern. Immerhin referiert Zeiller die mit der Lechnutzung in engem Zusammenhang stehenden Grenzkonflikte mit dem benachbarten Kurbayern. Er beleuchtet damit auch die Hybridität von politischer Grenzziehung als Herrschaftspraxis anhand einer naturalen Struktur und das durch ebendiese Praxis verschärfte Problem des gesellschaftlichen Umgangs mit fluvialer Dynamik. Man kann davon ausgehen, dass Gassers semioffiziöse Augsburg-Beschreibung viel über das Selbstbild des patrizischen Stadtregiments aussagt. Die Merian-Topografie schreibt dieses Selbstbild zu einem erheblichen Teil fort. Für die Entstehung dieses Selbstbildes und dessen Ausblendung der außerstädtischen Materialität bietet die Augsburger Verfassungsgeschichte eine Erklärung. So ist der 1521 angefertigte Seld-Plan, der in seiner detaillierten Würdigung extramuraler Arrangements eine Sonderstellung in der Stadtikonografie einnimmt, während der Zunftherrschaft der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden. Möglicherweise spiegelt er eine, bezogen auf die ökonomischen Grundlagen, buchstäblich stärkere ‚Bodenhaftung‘ dieses mittelständisch geprägten Regiments als spätere Ikonografie und Topografie, die unter der von Karl V. inthronisierten Patriziatsherrschaft entstand.5 Im 18. Jahrhundert nimmt Gabriel Bodenehr eine entschiedene topografische Kurskorrektur vor. Sein Augsburg-Bild integriert nicht nur eine Adaption des Seld-Planes, sondern auch eine Partikulardarstellung der Grenzbrücke über den Lech. Die im späten 15. Jahrhundert einsetzende publizierte Stadtikonografie und Topografie Münchens zeichnet sich durch zwei Grundtendenzen aus, zum einen durch die thematische Prominenz einer von hoher fluvialer Dynamik geprägten Flusszone zwischen der Stadt und dem östlichen Isarhochufer, zum anderen durch die Entwicklung hin zur topografischen Inszenierung der Residenzstadt und ihres Umlandes als Herrschaftslandschaft. Letzteres bedingte eine harmonisierende Repräsentation der Materialität des Schauplatzes – nicht zuletzt auf Kosten der Thematisierung von Problemlagen, die der Stadt aus dem Abflussverhalten des alpinen Isarflusses erwuchsen. Hydrografie blieb in der historisch-topografischen Literatur zu Mün5

Wohlgemerkt: Diese Erklärung folgt der meiner Arbeit zugrundeliegenden Wahrnehmungsdefinition und stützt sich auf das in den topografischen Quellen Repräsentierte. Sie diskutiert damit bewusst nicht die Frage, was Angehörige des Patriziats als Individuen sinnlich wahrgenommen haben könnten oder nicht. Vgl. dazu oben Kap. 2.2.5 und 2.2.6.

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chen in unterschiedlichem Maße grafisch und textuell präsent. Doch Praktiken und Arrangements mit direktem Bezug zur Inszenierung fürstlichen Machtanspruchs gewannen immer mehr an Bedeutung. Dies gilt für die detaillierte Schilderung architektonischer Ensembles und Gärten, nicht zuletzt aber auch für das in mehreren Topografien inszenierte Motiv des jagdlichen Zugriffes des Fürsten auf Wild in residenznahen Parks. Dieses Motiv wurde bei Bertius soweit zugespitzt, dass sich das Wild geradezu willentlich „quasi Dominum salutans“ nähere. Eingebettet in eine – durch herrschaftliche Nutzungspraktiken geprägte – Ideallandschaft, erscheint die Stadt in der barocken Topografie Ertls und Wenings als tendenziell kulissenhaftes ‚Schaufenster der Macht‘. Die aufklärerische Topografie Hazzis und Westenrieders wertete im späten 18. Jahrhundert den sozionaturalen Schauplatz dann vollständig um. Wild und jagdliche Praktiken wurden nun zu Zeugen eines defizitären und zu überwindenden gesellschaftlichen und ökologischen Stadiums. Die stadtnahe Umgebung wurde zum Schauplatz rationalisierter und optimierter Landnutzungspraktiken. Gegenstand der Ästhetisierung war nicht mehr herrschaftlich geprägte, sondern nützliche Landschaft. Auch der Fluss rückte wieder stärker in den topografischen Fokus, zum einen als Verbindung zwischen städtischer Wirtschaft und Hinterland, zum anderen als Gegenstand projektierter Optimierung und technischer Domestizierung. Schließlich wandelte sich der urbane Schauplatz selbst, wie etwa die begeisterte Beschreibung technischer Arrangements zur Verbesserung der innerstädtischen Hygiene zeigt. Die aufklärerische Topografie entwirft eine Transformation der Residenzstadt vom ‚Schaufenster der Macht‘ zum ‚Schauplatz der Machbarkeit‘. Topografische Entwürfe der Reichsstadt Regensburg besitzen eine ins achte Jahrhundert zurückreichende Tradition und können, was die Materialität des Schauplatzes betrifft, an die geomorphologische Besonderheit der am nördlichsten Punkt des Donauverlaufs und am Übergang zwischen einer klimatisch begünstigten Ebene und mittelgebirgigem Hügelland gelegenen Siedlung anknüpfen. Für die frühneuzeitliche Entwicklung Regensburgs spielte ein weiterer, politischer Faktor eine wesentliche Rolle: Die Reichsstadt und ihr nur kleiner Burgfrieden befanden sich in einer territorialen Insellage, die die städtische Gesellschaft am ungehinderten Zugriff auf ihr Hinterland und dessen Ressourcen hinderte. Die Analyse der Repräsentation dieses Schauplatzes in Merians Topographia Bavariae vor der Vergleichsfolie lokaler Chronistik zeigt in Text und Bild markante thematische Betonungen und Auslassungen. Im Text Martin Zeillers sind urbane Extremsituationen wie Seuchen und Hochwasser auffällig unterrepräsentiert. Die jahrhundertewährende Abschnürung der Stadt von einer ungehinderten Holzversorgung ist ihm lediglich einen Satz wert. Zeillers Ausblendung des Materiellen gipfelt im Verzicht auf die Dokumentation zweier umwelthistorischer turning points von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Stadt, die in der Chronistik greifbar werden. Es handelt sich zum einen um den Dürresommer des Jahres 1135, als die Donau zu einem nurmehr

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schmalen Rinnsal zurückgegangen war und die städtische Obrigkeit in der Gunst der Stunde großmaßstäblich Arbeitskräfte und Material mobilisierte, um die Fundamente zum Bau der Steinernen Brücke zu legen. Zum anderen führte der Durchbruch der Donau durch eine langgezogene Landzunge 1304 nicht nur zu sofortigen umfangreichen hydraulischen Baumaßnahmen, mit denen die Reichsstadt zu verhindern versuchte, dass der Fluss dem Gefälle des lokalen Geländes folgend seinen Hauptstrom weg von der Stadt nach Norden verlagerte. Vielmehr entstand aus dieser fluvialen Problematik ein Jahrhunderte andauernder und bis vor dem Reichskammergericht ausgetragener Konflikt mit den bayerischen Herzögen als Donauanrainern auf dem Nordufer um hydraulische Nutzungspraktiken und Arrangements. Diese letztgenannte Konstellation erfordert auch eine Reinterpretation des in der Merian-Topografie abgedruckten, sehr genau gearbeiteten Prospekts der Steinernen Brücke durch Wenzel Hollar. Während Helmut Eberhard Paulus in diesem Werk eine an zwei Zielgruppen orientierte Idealansicht des Brückenbauwerks sieht, die für Ortsfremde ein „Weltwunder“ inszenieren und der örtlichen reichsstädtischen Bevölkerung mit dem Bauwerk einen Nukleus der reichsstädtischen Identität vor Augen führen sollte, ist meines Erachtens gerade vor genanntem Hintergrund die buchstäbliche Symmetrie des geschilderten Schauplatzes frappierend. Die Brücke überspannt die zwei ähnlich starken Flusskanäle, die beide durch Staffagefiguren genutzt werden. Die fluviale Problematik ist nur an einer Stelle, dem Überfließen von Wasser aus dem Südkanal über eine Wehrmauer, dezent angedeutet. Die bayerische Stadt Stadtamhof auf der linken Bildhälfte ist ebenbürtig mit Regensburg auf der Rechten durch Wappen und Namen repräsentiert. Diese harmonisierende Inszenierung sollte offensichtlich auch das kurbayerische Publikum ansprechen. Das „Wöhrloch“, ein Arrangement zur Regulierung der Wasserverteilung zwischen Süd- und Nordkanal und mithin Quell zahlreicher Konflikte, liegt unsichtbar hinter dem Rücken des Betrachters. Die Symmetrie der Grafik inszeniert Harmonie. In der Summe spiegelt sich in der Regensburg-Topografie Merians eine Tendenz, bei der Repräsentation des Schauplatzes Entproblematisierung durch Entmaterialisierung zu betreiben. Martin Zeillers Wien-Topografie setzt die komplexe Hydrografie des Schauplatzes gleich zu Beginn des Textes und damit prominent in Szene. Gleichwohl bleibt der Schauplatz im Übrigen blass. Die Beschreibung Wiens in der Merianschen Topographia Provinciarum Austriacarum vermittelt in Text und Bild einen eigenartig unvollständigen Eindruck. Man begegnet einer reduzierten, in ihrer Motivik mitunter erratisch wirkenden Ikonografie. Der Text ist wesentlich kürzer als andere Beiträge über vergleichbare frühneuzeitliche Metropolen in der Topographia Germaniae. Ein umfangreiches Repertoire an historisch-topografischer Literatur über die Residenzstadt des habsburgischen Kaisertums ermöglicht die Gegenprobe. So vermittelt etwa Lazius’ Vienna Austriae im 16. Jahrhundert eine primär an der politischen Organisation und der gesellschaftlichen Ordnung interessierte Wien-Be-

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schreibung, während Reiffenstuells Vienna gloriosa in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die im Ausbau begriffene Residenzstadt panegyrisch inszeniert und idealisiert. Die jenseits aller historischen Plausibilität liegende demografische Quantifizierung ergänzt sich bei Reiffenstuell mit der Beschreibung baulicher Pracht zum Bild eines herrschaftlich geprägten Schauplatzes von ausgeprägter metropolitaner Urbanität. Bei Ignaz de Lucas Topographie von Wien handelt es sich um einen an Materialität besonders interessierten, enzyklopädisch ambitionierten Versuch des 18. Jahrhunderts, urbane Praktiken und Arrangements statistisch zu dokumentieren. Ähnlich der fortschrittsorientierten Beschreibung Münchens durch Hazzi bietet dieser Text eine Verknüpfung der historisch informierten Beschreibung des Ist-Zustandes mit Entwicklungs- und Reformprojekten, sei es städtebaulicher, sei es wasserbaulicher Art. Gerade im Vergleich mit diesen Werken ortsansässiger Autoren wirken Zeillers Beschreiben und die begleitende Ikonografie unausgewogen und distanziert. Nur eine Gesamtansicht ist der Stadt gewidmet, eine Vogelschau Jacob Hoefnagels. Ansichten von Gärten inszenieren nicht Arrangements des Kaiserhofs, sondern adeligen Besitz. Schließlich macht eine Ansicht des Vorortes Hernals die Irritation vollständig, liefert aber bei genauerem Hinsehen den Schlüssel zum Verständnis der Wien-Topografie Merians und Zeillers. Diese Ansicht inszeniert Schloss und Herrschaft Hernals als idealisch überhöhten Schauplatz. Im Zentrum der Darstellung steht das „Auslaufen“ protestantischer Wiener Bürger zum Gottesdienstbesuch außerhalb der Stadt und damit eine religiöse Praxis, die zum Zeitpunkt des Erscheinens der Topographia Provinciarum Austriacarum bereits seit gut zwei Jahrzehnten im Rahmen der habsburgischen Rekatholisierungspolitik verboten und verfolgt worden war. Die Marktorientierung der Merian-Topografien setzte Anschlussfähigkeit an beide konfessionelle Lager voraus. Dessen ungeachtet scheint für den exilierten österreichischen Protestanten Zeiller und den protestantischen Verleger Merian die Topografie Wiens als Zentrums des gegenreformatorischen Kaisertums die Grenzen irenischen Pragmatismus zu markieren. Andeutungen in Zeillers Text, vor allem aber die Ikonografie kommen einem Affront gegen den Kaiser gleich. Der Schauplatz Wien, wie ihn Merian und Zeiller inszenieren, ist letztlich konfessionell verfasst. Dieses letzte Beispiel unterstreicht noch einmal die Vielfalt der möglichen topografischen Repräsentationen urbaner Schauplätze und der diese Repräsentationen bedingenden Faktoren. Publizierte Stadttopografie stand in einem diskursiven Spannungsverhältnis zwischen lokaler und überregionaler Selbst- und Fremdwahrnehmung. Dies disqualifiziert sie nicht als (umwelt-)historische Quelle. Nur bedarf es einer quellenkritischen Herangehensweise, die diese nicht vorschnell auf gattungstypische Topik oder lokale Empirie festlegt. Topografie ist Landesbeschreibung. Als solche beschränkt sie sich nicht auf die Repräsentation urbaner Schauplätze. Die Beschreibung von Land und Landschaft schließt eine Thematisierung von Landnutzung notwendig mit ein. Zugleich sind es gerade die außerurbanen sozionaturalen Schauplätze, die in ihrer Materialität, aber

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ebenso in der idealisierenden Inszenierung von Praktiken ihrer Nutzung ästhetisiert werden. Der topografischen Auseinandersetzung mit Landnutzung und der Ästhetisierung sozionaturaler Schauplätze in der historisch-topografischen Literatur galt daher die analytische Aufmerksamkeit eines eigenen Kapitels dieser Studie. Die Quellengattung bietet eine Fülle von Befunden, die verdeutlichen, dass sich die Thematisierung von Nutzungen und die Ästhetisierung von sozionaturalen Schauplätzen nicht klar trennen lassen. Vielmehr präsentiert sich hier gerade die aufklärerische Utilitaritätsästhetik als säkularisierte Variante einer konzeptuellen Tradition, die Naturnützlichkeit im Sinne einer gottgewollten Veredelung von ‚Natur‘ durch menschliche Praktiken versteht. Im Rahmen des Kapitels wurde die topografische Repräsentation von Landnutzung anhand der Bereiche Landwirtschaft, Heilbrunnen und -bäder sowie Bergbau untersucht. Vorwiegend anhand der Weningschen Historico topographica descriptio und ihrer redaktionellen Vorstufen wurde analysiert, in welchem Umfang empirisch basiertes landwirtschaftliches Wissen Eingang in die Repräsentation des sozionaturalen Schauplatzes Landwirtschaft fand und welche Faktoren der Adaption und Uminterpretation von Wissensbeständen hier wirksam wurden. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel der Transformation agrarischen Wissens bot die Beschreibung der Hofmark Notzing im Erdinger Moos, die ein detailliertes Porträt von Praktiken und Arrangements eines in seiner Nutzung problematischen, aber gleichwohl in die dörfliche Ökonomie vielfältig integrierten Niedermoorgebiets unternahm. Die redaktionelle Bearbeitung mündete in einer weitgehenden Ausblendung gerade der auf das Moor bezogenen Passagen und damit in einer Uminterpretation des Schauplatzes. Offensichtlich hatte das problematische Gefüge aus gesellschaftlichen Praktiken und Materialität in der Form, wie es die Hofmarksherrschaft beschrieben hatte, keinen Platz im panegyrisch-idealisierenden Programm der Landesbeschreibung. Die Repräsentation agrarischer Schauplätze in der Wening-Topografie ist durch ein Ineinandergreifen unterschiedlich präzise moderierter landwirtschaftlicher Empirie, meist sparsam dosierter Substrate des publizistischen agrarischen Fachdiskurses und topografisch-panegyrischer Rhetorik geprägt. Letztere wurde vor allem durch die redaktionelle Arbeit in den topografischen Prozess eingespeist. Im Zuge dieses Prozesses wurden Informationen über den Schauplatz mehrfach gebrochen. Beschreibungen von Heilquellen und -bädern bilden einen festen Bestandteil des thematischen Registers historisch-topografischer Literatur. Sie verdanken diese Stellung der gattungsgeschichtlichen Nähe zum Reiseschrifttum und der Antizipation touristisch motivierter Rezipientenerwartungen. Die Topik zeitgenössischer balneologischer Fachdiskurse hat vergleichsweise starken Einfluss auf die topografische Repräsentation von Heilquellen und -bädern. Dabei greift ein topografischer Pragmatismus, der ein Überlappen physikalisch-naturwissenschaftlich und magisch-theologisch geprägter Zugänge zulässt. Dementsprechend stehen in Topografien von Badeorten realistisch anmutende Beschreibungen von Praktiken und Ar-

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rangements neben der Dokumentation vermeintlicher magischer Wirkungszusammenhänge. Eine Problematisierung der hygienischen Dimension des Badebetriebs unterbleibt dagegen in der Untersuchungsregion bis in die statistische Topografie des späten 18. Jahrhunderts hinein. Vorkommen von Bodenschätzen spielen in historisch-topografischer Literatur eine rhetorische Rolle, wenn es darum geht, die ‚natürlichen‘ Vorzüge einer Region zu definieren. Zugleich handelte es sich bereits bei vormodernen Montanregionen um vergleichsweise stark technisierte Schauplätze. Im Untersuchungsgebiet spielte vor allem die Salzgewinnung eine entscheidende ökonomische Rolle. Doch während etwa in der Österreich-Topografie Merians Praktiken und Arrangements der Salzgewinnung, -verarbeitung und des Salztransports grafisch und textuell eingehend zur Darstellung gelangen, geizt die Weningsche Historico topographica descriptio in dieser Hinsicht – und vor allem grafisch – mit topografischen Details. Weder die immense Bedeutung des Salzwesens als wichtigster Einnahmequelle der bayerischen Kurfürsten noch ambitionierte technische Arrangements wie die im 17. Jahrhundert erbaute einundreißig Kilometer lange Soleleitung von Reichenhall nach Traunstein werden hier prominent verhandelt. Namentlich die Grafik der WeningTopografie frappiert in diesem Zusammenhang durch ihre Auslassung des Technischen. Sehens- und zeigenswürdig sind Städte und Märkte, Schlösser, Kirchen und Klöster, nicht die technische Adaption extramuraler Schauplätze. Auch hier zeigt sich die schablonenhafte Statik einer panegyrischen topografischen Rhetorik. Bewunderung des Technischen blieb der aufklärerischen Topografie Hazzis vorbehalten. Hazzi moderiert seine Bewunderung für das technische Meisterwerk der Traunsteiner Soleleitung als Teil einer umfassenden Ästhetisierung der umgebenden Landschaft. Ästhetisierung inszeniert hier nicht nutzungsferne ‚Gegenwelt‘. Verallgemeinert auf die Landschaftsästhetik der untersuchten Topografien lässt sich festhalten, dass Landschaft immer sozionatural konzipiert ist. Gerade Nützlichkeit und Nutzung von ‚Natur‘ sind Gegenstand der Ästhetisierung. Eine derartige utilitaristische Naturästhetik prägt die Gattung schon lange vor der diskursiven Vorherrschaft des ökonomischen Rationalismus in der aufklärerischen Topografie. Mögen auch der Naturbegriff und das Verständnis der durch sozionaturale Schauplätze repräsentierten guten – göttlichen – Ordnung während der Frühen Neuzeit Säkularisierungsprozesse durchlaufen, an der sozionaturalen Rückbindung von Naturästhetik ändert dies nichts. Damit werden auch die – in diesem Kapitel stellvertretend für die kulturhistorische Debatte um den Wahrnehmungswandel des Naturerhabenen herausgegriffenen – Grenzziehungen Joachim Ritters fragwürdig. Weder kann in der untersuchten Quellengattung die Unterscheidung zwischen „Natur als Landschaft“ und „Natur als sie selbst“ präzise nachvollzogen werden, noch greift hier die Grenzziehung zwischen Landschaft als Natur im Bezug auf den anschauendbetrachtenden Menschen und Gelände als durch menschliche Praktiken assimilierte

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Natur. Ob in Schluchten und Flusslandschaften der Merian-Topografien Österreichs, Bayerns und Schwabens, ob in den markanten Schilderungen des Brockens, des Rosstraptals und der Baumannshöhle in der Topografie der BraunschweigLüneburgischen Herzogtümer: Die Gegenweltlichkeit von ‚Naturwundern‘ hat stets ihren Platz in der Gesellschaft. Auch die dichotomische Apodiktik, mit der bei Ritter Natur-Nutzern die Fähigkeit zur ästhetischen Naturwahrnehmung abgesprochen wird, erscheint auf Basis der erhobenen Befunde fragwürdig. Gerade diejenigen Autoren, die über eigene erfahrungsbasierte und ökonomisch interessierte Bezüge zu Landnutzungspraktiken verfügten, treten als Akteure der Ästhetisierung sozionaturaler Schauplätze auf. Topografien repräsentieren, das heißt, sie inszenieren und ästhetisieren sozionaturale Schauplätze. Doch von welchen gesellschaftlichen Akteursgruppen und von welchen Aushandlungsprozessen war das Regelwerk abhängig, dem die topografische Repräsentation sozionaturaler Schauplätze folgte? Um dieser Frage nachzugehen, wurde abschließend ein Perspektivwechsel vorgenommen, der nicht die Inhalte der publizierten Topografien, sondern die vorbereitenden Redaktionsprozesse als Ausgangspunkt nahm, um kommunikative Strategien und Praktiken der beteiligten Akteursgruppen und deren Erwartungen an die topografische Publizistik freizulegen. Mit Wenings Historico topographica descriptio und der Merian-Topografie der Braunschweig-Lüneburgischen Herzogtümer wurden hierfür zwei topografische Werke in den Blick genommen, deren Redaktionsprozesse gut dokumentiert sind und die sich durch sehr direkt nachweisbare politische Einflussnahme der Landesherrschaft auszeichnen. Dabei zeigte sich, wie der für die europäische Geschichte der Frühen Neuzeit so konstitutive verfassungshistorische Prozess der Territorialisierung von Staatlichkeit und Ständegesellschaft nicht zuletzt über die historisch-topografische Literatur ausgehandelt wurde. Die Herrschaftsnähe der Gattung ermöglichte empirische und redaktionelle Synergien mit der Zentralisierung von Regierungs- und Verwaltungshandeln. Weniger die eigentlichen Macher, also die (karto-)grafischen Topografen und die gebildeten Textautoren und -redakteure, als vielmehr Fürsten und Stände prägten den topografischen Prozess und damit das topografische Bild der Welt. Ein stark ausgeprägtes landesherrliches Kontrollbedürfnis solcher Prozesse deutet dabei weniger auf landesherrliche Stärke als auf strukturelle Schwächen der Landeshoheit in vertikal und horizontal heterogenen Herrschaftskonglomeraten. Einer landesherrlichen Tendenz zur Marginalisierung von Ständen und Adel stand ständischerseits eine – nicht unberechtigte – Sorge um den Erhalt eigener Privilegien gegenüber. Aus dieser leitete sich eine Fülle defensiver Strategien und Praktiken ab, die von der prozeduralen Behinderung des topografischen Prozesses bis hin zu inhaltlicher Obstruktion bei der Auskunftserteilung reichte. In der redaktionellen Bewertung eingereichter Beschreibungen zeigt sich auch der Zielkonflikt, den publizistische Landesbeschreibung letztlich nicht auflösen konnte: Einerseits sollte das Land möglichst genau und umfassend beschrieben werden, andererseits stand diese

F AZIT Ň 415

Beschreibung im Dienste der Idealisierung und es galt, wie im Vorfeld der WeningTopografie erörtert, „Dißreputation“ im Ausland zu vermeiden. Gerade für den Adel bildeten topografische Projekte aber beileibe nicht nur Anlass zu Abwehr und Obstruktion, sondern im Gegenteil öffnete sich hier auch eine Bühne zur gesellschaftlichen Selbstpositionierung. Für die Historico topographica descriptio wurden drei Idealisierungsstrategien ermittelt, denen Adelstopografie in der Inszenierung sozionaturaler Schauplätze folgte: erstens die Konzentration auf die Repräsentation barocker Pracht von Garten- und Schlossarchitektur bei Ausblendung von Praktiken und Arrangements, die den übrigen Herrschaftsbezirk konstituierten (Beispiel Zangberg), zweitens die sehr breite idealisierende Beschreibung von gesellschaftlichen Praktiken und Materialität des gesamten Herrschaftsbezirks (Beispiel Hohenaschau) und drittens eine Kombination beider erstgenannter Strategien (Beispiel Taufkirchen). Diese Strategien stehen für die rhetorischen Handlungsspielräume, die einzelnen Akteursgruppen im topografischen Prozess offenstanden. Abstrahiert man von diesen konkreten Beispielen der territorialstaatlich geprägten und besonders herrschaftsnahen Landesbeschreibung und resümiert die Gesamtheit der in der vorliegenden Studie erörterten Befunde, so wird deutlich, dass ein Verständnis der thematischen Balance der Repräsentation sozionaturaler Schauplätze in der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit ein Verständnis von Topografie als kommunikativer und sozialer Praxis voraussetzt. Wo liegt, so bleibt abschließend zu fragen, die Relevanz eines solchen erweiterten Verständnisses historischer Umweltwahrnehmung für Geschichtswissenschaft und Gesellschaft der Gegenwart? Ich sehe einen Teil der Antwort auf diese Frage in der jüngst geäußerten Problemdiagnose des Frühneuzeithistorikers und Klimaforschers Franz Mauelshagen umrissen.6 Mauelshagen gibt sich überzeugt, dass es sich bei der Unfähigkeit westlicher Gesellschaften zu einem produktiven wissenschaftlichen und politischen Umgang mit dem globalen Klimawandel im Kern um ein Wahrnehmungsproblem handelt. „Moderne Gesellschaften“, so vermutet Mauelshagen, „leben in der Illusion, von ihrer natürlichen Umwelt nicht mehr abhängig zu sein.“ In modernen Arbeitswelten seien direkte „Interaktionen mit der Natur“ selten geworden. Die Abhängigkeit von der natürlichen Umwelt werde nicht mehr gesehen, weil sie in „unendlich vielen kleinteiligen Prozessen“ aus der Wahrnehmung verschwinde. Zwar erscheint es mir aus den bereits eingeführten methodischen Überlegungen heraus problematisch, Mauelshagens Kategorien zu übernehmen, doch auch aus meinem praxistheoretisch inspirierten Verständnis von Wahrnehmung als Repräsentation sozionaturaler Schauplätze heraus gelange ich zur selben 6

FRANZ MAUELSHAGEN/MARKUS C. SCHULTE VON DRACH: Folgen des Klimawandels. „Hochzeit von Naivität und Xenophobie“. Interview zum UN-Klimagipfel in Durban 2011. http://www.sueddeutsche.de/wissen/2.220/folgen-des-klimawandels-hochzeit-vonnaivitaet-und-xenophobie-1.1232343, Stand: 12.12.2011.

416 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

Diagnose. Ich möchte sogar einen Schritt weiter gehen und ergänzen, dass nicht nur das Verständnis der Abhängigkeit sozialer Praktiken von Materialität schwindet, sondern in gleichem Maße auch jenes der prinzipiellen Prekarität sozionaturaler Schauplätze. In einem konkreten Beispiel gesprochen: Eine europäische Gesellschaft, die den im Prinzip löblichen Entschluss fasst, einen Schauplatz z. B. als Nationalpark auszuweisen und dort auf bestimmte Praktiken gesellschaftlicher Nutzung zu verzichten, muss sich darüber im Klaren sein, dass sie keine ‚Wildnis‘ erschafft. Sie muss sich des Konstruktcharakters des Konzepts „Nationalpark“ bewusst werden und optimalerweise auch der rund hundertfünfzigjährigen Kulturgeschichte dieses Konstrukts – und seiner kolonialen Wurzeln.7 Sie muss erkennen, dass mit dem Ausschluss bestimmter Nutzungspraktiken andere – touristische – Einzug halten und diese ihrerseits einer ökologischen Evaluation bedürfen.8 Last but not least sollte nicht übersehen werden, dass der Nutzungsausschluss an einem europäischen Schauplatz nicht selten dadurch quersubventioniert wird, dass die Produktivität von Praktiken und Arrangements anderer Schauplätze auf der Welt abgeschöpft werden kann. Wenn Mauelshagen die mangelnde Wahrnehmung der gesellschaftlichen Abhängigkeit von Materialität als Gegenwartsproblem diagnostiziert, dann zeigt die Beschäftigung mit historisch-topografischer Literatur der Frühen Neuzeit die lange Tradition dieses Problems und liefert etwa mit der topografischen ‚Blindheit‘ des Augsburger Patriziats9 für biophysische Arrangements außerhalb ihrer Mauern oder mit der Ausblendung des sozionaturalen Schauplatzes Niedermoor aus der NotzingTopografie in der Weningschen Landesbeschreibung sprechende Beispiele. Wahrnehmungsasymmetrien und problematische Welt-Bilder, wie sie hier begegnen, zie7

Vgl. als Synopse einer transnationalen Konzept- und Problemgeschichte weit über das titelgebende Fallbeispiel hinaus: BERNHARD GIßIBL: Grzimeks „bayerische Serengeti“. Zur transnationalen politischen Ökologie des Nationalparks Bayerischer Wald, in: HANSWERNER FROHN/JÜRGEN ROSENBROCK/FRIEDEMANN SCHMOLL (HG.): „Wenn sich alle in der Natur erholen, wo erholt sich dann die Natur?“. Naturschutz, Freizeitnutzung, Erholungsvorsorge und Sport – gestern, heute, morgen (Naturschutz und biologische Vielfalt 75). Bonn-Bad Godesberg 2009, S. 229–263; jüngst: BERNHARD GIßIBL/SABINE HÖHLER/PATRICK KUPPER (HG.): Civilizing Nature. National Parks in Global Historical Perspective (The Environment in History. International Perspectives 1). New York/Oxford 2012.

8

Vgl. PATRICK KUPPER: Nationalpark und Tourismus. Eine vergleichende Geschichte der USA und der Schweiz, in: HANS-WERNER FROHN/JÜRGEN ROSENBROCK/FRIEDEMANN SCHMOLL (HG.): „Wenn sich alle in der Natur erholen, wo erholt sich dann die Natur?“. Naturschutz, Freizeitnutzung, Erholungsvorsorge und Sport – gestern, heute, morgen (Naturschutz und biologische Vielfalt 75). Bonn-Bad Godesberg 2009, S. 207–228.

9

Vgl. oben Anm. 5.

F AZIT Ň 417

hen sich bis in die populäre Topografie gegenwärtiger Kinderatlanten, die Afrika als Kontinent inszenieren, der wilde Tiere, Pflanzen, Mineralien und manches traditional-ländliche Dorf beherbergt, auf dem aber Metropolen vom Schlage eines Lagos oder Johannesburg nicht existieren.10 Die in dieser Studie unternommene Analyse historisch-topografischer Literatur der Frühen Neuzeit leistet bezogen auf die untersuchte Gattung in ihrer Epoche zweierlei. Sie identifiziert und veranschaulicht die wahrnehmungsgeschichtliche Problematik und sondiert deren zeitgenössische wie überzeitliche Determinanten. Sie leistet damit auch eine kritische Evaluation historisch-topografischer Literatur als umwelthistorischer Quelle. Der grundsätzliche Quellenwert der Gattung kann als bewiesen gelten. Quellenkritisch sensibel und unter zwingender Einbeziehung von Parallelüberlieferung verwendet, ermöglicht sie sowohl die Beobachtung historischer Wahrnehmung sozionaturaler Schauplätze als auch – dies freilich mit erheblichen Abstrichen – die Beobachtung sozionaturaler Schauplätze in ihrer historischen Transformation. Für die wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskussion der Gegenwart führt die Beschäftigung mit historisch-topografischer Literatur der Frühen Neuzeit zu einem Plädoyer dafür, an der Entdichotomisierung unserer Umweltwahrnehmung zu arbeiten und eine möglichst zurückgenommene Beobachtung sozionaturaler Schauplätze zur Grundlage umwelthistorischer und umweltpolitischer Debatten zu machen. Gegenwartsgesellschaften benötigen anstatt der verkürzten dichotomischen Wahrnehmungsmuster, die ein Discounter bedient, wenn er seinen Kundinnen und Kunden in einer ikonografischen Kombination aus Kunstfaser basierten Campingprodukten und Baggersee den Weg „Raus in die Natur“ weist,11 ein möglichst breites, in Latours Worten symmetrisches Verständnis von der Natur der menschlichen Welt.

10 UTE SCHNEIDER: Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute. Sonderausg., 2., überarb. Aufl., Darmstadt 2006, S. 55. 11 „Raus in die Natur“, in: Prospekt Aldi-Süd „Aldi informiert“, Kalenderwoche 25/2011.

Abbildungen und Tabellen

Titelbild

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Anthropomorphe Halbinsel (Kopflandschaft), ca. 1601-1625, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel C Geom 2°.

Abbildung 1

CASPAR MERIAN, Biberach, in: MATTHÄUS MERIAN D.

Ň117

Ä./MARTIN ZEILLER: Topographia Sveviae […]. Frankfurt a. M. 1643, nach S. 32, Bayerische Staatsbibliothek München Hbks/E 30-3/4. Abbildung 2

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Leütkirch, in: DERS./MARTIN

Ň124

ZEILLER: Topographia Sveviae […]. Frankfurt a. M. 1643, nach S. 116, Bayerische Staatsbibliothek München Hbks/E 30-3/4. Abbildung 3

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Statt Ysni, in: DERS./MARTIN

Ň125

ZEILLER: Topographia Sveviae […]. Frankfurt a. M. 1643, nach S. 100, Bayerische Staatsbibliothek München Hbks/E 30-3/4. Abbildung 4

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Schloß Petronell, in: DERS./

Ň148

MARTIN ZEILLER: Topographia Provinciarum Austriacarum […] Frankfurt a. M. [1677], Absonderliche Beschreibung, nach S. 12, Bayerische Staatsbibliothek München Hbks/E 30-1/2. Abbildung 5

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Schloss vndt Herrschaft Petro-

Ň148

nell (Ausschnitt), in: DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Provinciarum Austriacarum […] Frankfurt a. M. [1677], Absonderliche Beschreibung, nach S. 12, Bayerische Staatsbibliothek München Hbks/E 30-1/2. Abbildung 6

CASPAR MERIAN, Clausen in den Lueg, in: MATTHÄUS MERIAN DER ÄLTERE/MARTIN ZEILLER: Topographia Ba-

Ň150

420 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT variae […]. Frankfurt a. M. 1644, Anhang nach S. 38, Staatliche Bibliothek Passau S/a Sd (b) 18. Abbildung 7

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Vilshoven, in: DERS./MARTIN

Ň157

ZEILLER: Topographia Bavariae […]. Frankfurt a. M. 1644, Staatliche Bibliothek Passau S/a Sd (b) 18. Abbildung 8

MICHAEL WENING, Statt Vilshoven, in: DERS: Historico

Ň157

topographica descriptio […] Bd. 3, München 1723, Staatliche Bibliothek Passau S/Graph. 441. Abbildung 9

MICHAEL WENING, Die Churfürstliche Haubt Statt Landts-

Ň165

huett in Nidern Bayrn, in: DERS: Historico topographica descriptio […] Bd. 3, München 1723, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-3. Abbildung 10

MICHAEL WENING, Schloß Hagenau, in: DERS: Historico

Ň166

topographica descriptio […] Bd. 2, München 1721, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-2. Abbildung 11

FRANS HOGENBERG, Straubinga, in: GEORG BRAUN/

Ň167

FRANS HOGENBERG: Beschreibung und Contrafactur der vornembster Staet der Welt, Bd 1, Köln 1572, Staatliche Bibliothek Passau S/a Sd (b) 9-1/2. Abbildung 12

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Straubinga, in: DERS./MARTIN

Ň168

ZEILLER: Topographia Bavariae […]. Frankfurt a. M. 1644, Staatliche Bibliothek Passau S/a Sd (b) 18. Abbildung 13

MICHAEL WENING, Statt Straubing, in: DERS: Historico

Ň169

topographica descriptio […] Bd. 4, München 1726, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-4. Abbildung 14

JOHANN BAPTIST DILGER, Straubing, in: Vaterländisches

Ň170

Magazin für Belehrung, Nutzen und Unterhaltung, insbesondere zur Beförderung der Vaterlandskunde, Kunst und Industrie 3 (1839), nach S. 112, Staatliche Bibliothek Passau S nv/ZMk (b) 15. Abbildung 15

MICHAEL ERESINGER, Vogelschaublick von Norden über Donauschleife und Altwasser bei Straubing mit Stadtprofil im Hintergrund, 1577, in: GERHARD LEIDEL/MONIKA RUTH FRANZ (Hg.): Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn […]. Weißenhorn 1998, S. 126

Ň171

A BBILDUNGEN

Abbildung 16

UND

TABELLEN Ň 421

Donauverlauf bei Straubing im Luftbild (Süden am oberen

Ň173

Bildrand, Stadtzentrum im Bild oben, linke Bildhälfte), © Bayerische Vermessungsverwaltung, München Abbildung 17

MICHAEL WOLGEMUT/WILHELM PLEYDENWURFF, Ulma,

Ň189

Weltchronik, 1493, http://upload.wikimedia.org/wikipedia/ commons/9/93/Nuremberg_chronicles_-_ULMA.png, Stand: 23.01.2013. Abbildung 18

HANS RUDOLF MANUEL, Wahrhaffte Contrafehtung der

Ň190

Reichstatt Ulm, in: SEBASTIAN MÜNSTER: Cosmographia [...], Basel 1598, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 2“ Kart. Z 3008/1-869/870 Abbildung 19

PETRUS BERTIUS, Ulm, Commentarii rerum Germani-

Ň192

carum, 1616, S. 706, http://www.uni-mannheim.de/mateo/ camenaref/bertius/bertius1/jpg/s706.html, Stand: 23.01.2013. Abbildung 20

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Ulm, in: DERS./MARTIN ZEILLER:

Ň194

Topographia Sveviae […]. Frankfurt a. M. 1643, nach

S. 200, Bayerische Staatsbibliothek München Hbks/E 303/4. Abbildung 21

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Ulm gegen Nordt-Ost/Ulm ge-

Ň195

gen Zuyd-West/Ulm gegen Mitternacht, in: DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Sveviae […]. Frankfurt a. M. 1643, nach S. 202, Bayerische Staatsbibliothek München Hbks/E 30-3/4. Abbildung 22

GABRIEL BODENEHR D. Ä., Ulm gegen Sud Osten, nach

Ň196

1718, Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden/Deutsche Fotothek Kartensammlung KS B988. Abbildung 23

DETLEV SCHRÖDER nach I. Schaefer/W. Zorn, Geologische

Ň204

Landschaftsgliederung der Augsburger Gegend, in: DERS.: Stadt Augsburg (Historischer Atlas von Bayern, Teil Schwaben 10). München 1975, S. 4. Vorlage: http:// geschichte.digitale-sammlungen.de/hab/seite/bsb00008068 _00037, Stand: 21.12.2012 Abbildung 24

SEBASTIAN MÜNSTER, Augspurg die hochberühmbte und weitbekannte Statt/artlich in Grund gelegt, in: DERS: Cosmographia [...], Basel 1598, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Kart. X. 16432.

Ň211

422 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

Abbildung 25

PETRUS BERTIUS, Augspurg, Commentarii rerum

Ň212

Germanicarum, 1616, S. 466, http://www.unimannheim.de/mateo/camenaref/bertius/bertius1/jpg/ s466.html, Stand: 23.01.2013. Abbildung 26

GABRIEL BODENEHR, Avgvsta Vindelicorvm Augspurg, in:

Ň213

DERS: Europens Pracht und Macht in 200 Kupfer-Stücken […]. Augsburg o. J. [1710, ND Unterschneidheim 1972], S. 8. Abbildung 27

GABRIEL BODENEHR, Die Lech=Brücke bey Augspurg,

Ň214

erster Paß in Bayern, in: DERS.: Europens Pracht und Macht in 200 Kupfer-Stücken […]. Augsburg o. J. [1710, ND Unterschneidheim 1972], Anhang S. 42. Abbildung 28

CASPAR MERIAN, Avgvsta Vindelicorvm Augspurg, in:

Ň216

MATTHÄUS MERIAN DER ÄLTERE/MARTIN ZEILLER: Topographia Sveviae […]. Frankfurt a. M. 1643, nach S. 10, Bayerische Staatsbibliothek München Hbks/E 30-3/4. Abbildung 29

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Augusta Vindelicorum –

Ň217

Augspurg, in: JOHANN PHILIPP ABELINUS: Historische Chronick […, i. e. Theatrum Europaeum, Bd. 2], 1. Aufl., Frankfurt a. M. 1633, nach S. 524, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 70 b Hist. 2º. Abbildung 30

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Gvstava Avgusta, in: JOHANN

Ň217

PHILIPP ABELINUS: Theatrum Europaeum […] Bd. 1, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1646, nach S. 658, II, Universitätsbibliothek Augsburg 02/IV.13.2.26-2. Abbildung 31

MICHAEL WOLGEMUT/WILHELM PLEYDENWURFF, Mün-

Ň225

chen, Weltchronik, 1493, http://upload.wikimedia.org/ wikipedia/commons/2/2f/Nuremberg_chronicles_-_MON ACUM.png, Stand: 23.01.2013. Abbildung 32

GEORG HOEFNAGEL, Monachium Utriusque Bavariae Civi-

Ň226

tas Primaria, 1587, Bayerische Staatsbibliothek München 2 Map. 44-4/43. Abbildung 33

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Monachivm München, in: DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Bavariae […]. Frankfurt a. M. 1644, Staatliche Bibliothek Passau S/a Sd (b) 18.

Ň228

A BBILDUNGEN

Abbildung 34

UND

TABELLEN Ň 423

JOHANN MATTHIAS KAGER, Brunnenensemble mit Tellus

Ň232

Bavariae, Federzeichnung auf Papier, laviert, in: Philipp Hainhofer, Relationen [...] 1611, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Cod. Guelf. 23.3. Aug. 2°, fol. 137. Abbildung 35

JOHANN MATTHIAS KAGER, Brunnenensemble mit Tellus

Ň234

Bavariae, Detail (links) und Tellus Bavariae auf dem Hofgartentempel, http://upload.wikimedia.org/wikipedia/com mons/a/ad/Bavaria_Dianatempel_Hofgarten_Muenchen.jpg ?uselang=de, Stand: 24.01.2013 (rechts). Abbildung 36

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Titelkupfer, in: DERS./MARTIN

Ň235

ZEILLER: Topographia Bavariae […], Frankfurt a. M. 1644, Staatliche Bibliothek Passau S/a Sd (b) 18. Abbildung 37

MICHAEL WENING, Titelkupfer, in: DERS.: Historico topo-

Ň237

graphica descriptio […] Bd. 1. München 1701, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-1. Abbildung 38

ANTON WILHELM ERTL, München, in: DERS.: Chur-Bayer-

Ň238

ischer Atlas […] Bd. 1. Nürnberg 1701, vor S. 111, Bayerische Staatsbibliothek Hbks/F 17 b-1. Abbildung 39

MICHAEL WENING, Die Churfürstliche Haubt und Residenz

Ň245

Statt München, Wie solche von Nidergang der Sonnen, gegen dem Aufgang anzusehen ist, in: DERS.: Historico topographica descriptio […] Bd. 1. München 1701, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-1. Abbildung 40

MICHAEL WENING, Die Churfürstliche Haubt und Resi-

Ň246

dentz Stadt München, Wie solche von Mitternacht gegen Mittag anzusehen ist, in: DERS.: Historico topographica descriptio […] Bd. 1. München 1701, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-1. Abbildung 41

FRIEDRICH WEBER, Ansicht der Stadt München von Nordwesten, 1805, in: RICHARD BAUER: München, in: WOLFGANG BEHRINGER/BERND ROECK (HG.):

Das Bild der

Stadt in der Neuzeit. 1400-1800. München 1999, S. 312– 320, hier: 319.

Ň250

424 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

Abbildung 42

PETER SCHMID, Naturregionen des Regensburger Raumes,

Ň270

in: PETER SCHMID: „Regensburg liegt gar schön. Die Gegend musste eine Stadt herlocken“, in: FERDINAND OPLL/ CHRISTOPH SONNLECHNER (HG.): Europäische Städte im Mittelalter (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 52). Innsbruck, Bozen, Wien 2010, S. 327–349, hier: 328. Abbildung 43

MICHAEL WOLGEMUT/WILHELM PLEYDENWURFF, Ratis-

Ň273

bona, Weltchronik, 1493, http://upload.wikimedia.org/ wikipedia/commons/3/36/Nuremberg_chronicles_f_ 097v98r_1.png, Stand 23.01.2013. Abbildung 44

PETRUS BERTIUS, Regenspurg, Commentarii rerum Ger-

Ň275

manicarum, 1616, S. 646, http://www.uni-mannheim.de/ mateo/camenaref/bertius/bertius1/ jpg/s646.html, Stand: 23.01.2013. Abbildung 45

MATTHÄUS MERIAN d. Ä., Ratisbona Regenspurg, in:

Ň277

DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Bavariae […], Frankfurt a. M. 1644, nach S. 44, Staatliche Bibliothek Passau S/a Sd (b) 18. Abbildung 46

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Schöner Prospect der Steinern

Ň295

Brücken zu Regenspurg, in: DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Bavariae […], Frankfurt a. M. 1644, nach S. 72, Bayerische Staatsbibliothek Hbks/E 30-3/4. Abbildung 47

Eigener Entwurf: Hydrografie der Donau bei Regensburg

Ň297

vor 1304 und 2011 Abbildung 48

MICHAEL WOLGEMUT/ WILHELM PLEYDENWURFF, Vienna

Ň301

Pannonie, Weltchronik, 1493, http://upload.wikimedia.org/ wikipedia/commons/4/48/Nuremberg_chronicles_f_ 098v99r_1.png, Stand 23.01.2013. Abbildung 49

SEVERIN HOHENSINNER/BERNHARD LAGER, Rekonstrukti-

Ň303

on der Flusslandschaft der Wiener Donau 1570, 1726 und 1849; in schwarz: Siedlungsexpanison in der Flussaue. © 2012 by FWF-Projekt Nr. P22265-G18 ENVIEDAN; Projektleitung: Verena Winiwarter, GIS-Datenbank, Konzept und Entwurf Flusslandschaft: Severin Hohensinner; Umsetzung: Bernhard Lager. Abbildung 50

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Vienna Avstriae, in: DERS./ MARTIN ZEILLER: Topographia Provinciarum Austriaca-

Ň309

A BBILDUNGEN

UND

TABELLEN Ň 425

rum […]. Frankfurt a. M. 1679, nach S. 22, Universitätsund Landesbibliothek Düsseldorf GUST244(2). Abbildung 51

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Wien, in: JOHANN PHILIPP ABELINUS,

Ň312

Theatrum Europaeum Bd. 2, 1. Aufl., Frankfurt a.

M. 1633, S. 144, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 70 a Hist. 2º. Abbildung 52

GEORG MATTHÄUS VISCHER, Prospectus Orientalis Vienna

Ň316

Metropolis Austria, in: DERS: Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae […]. Wien 1672, Bayerische Staatsbibliothek Hbks/F 71. Abbildung 53

GEORG MATTHÄUS VISCHER, Prospectus Meridionalis, in:

Ň317

DERS: Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae […]. Wien 1672, Bayerische Staatsbibliothek Hbks/F 71. Abbildung 54

GEORG MATTHÄUS VISCHER, Der Kaiserliche Burg Platz

Ň317

in Wienn, in: DERS: Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae […].Wien 1672, Bayerische Staatsbibliothek Hbks/F 71. Abbildung 55

GEORG MATTHÄUS VISCHER, Die Kaiserliche Favorita bei

Ň318

Wienn, in: DERS: Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae […].Wien 1672, Bayerische Staatsbibliothek Hbks/F 71. Abbildung 56

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Vienna Avstriae (Details), in:

Ň327

DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Provinciarum Austriacarum […]. Frankfurt a. M. 1679, nach S. 22, Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf GUST244(2). Abbildung 57

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Das Schlos Herrnals, in:

Ň329

DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Provinciarum Austriacarum […]. Frankfurt a. M. 1679, nach S. 24, Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf GUST244(2). Abbildung 58

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Aigentliche art Und abbildung des Badener Bads bey Wien, in: DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Provinciarum Austriacarum […]. Frankfurt a. M. 1679, nach S. 4, Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf GUST244(2).

Ň354

426 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

Abbildung 59

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Das Wildtbad Aendelholtzen,

Ň359

in: DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Bavariae […]. Frankfurt a. M. 1644, nach S. 108, Bayerische Staatsbibliothek Hbks/E 30-3/4. Abbildung 60

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Hall im Inthal, in: DERS./

Ň363

MARTIN ZEILLER: Topographia Provinciarum Austriacarum […]. Frankfurt a. M. 1679, nach S. 80, Universitätsund Landesbibliothek Düsseldorf GUST244(2). Abbildung 61

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Saltzpfanen zu Hallstatt, in:

Ň365

DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Provinciarum Austriacarum […]. Frankfurt a. M. 1679, nach S. 8, Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf GUST244(2). Abbildung 62

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Im Fall an dem fluß Draun, in:

Ň366

DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Provinciarum Austriacarum […].Frankfurt a. M. 1679, nach S. 8, Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf GUST244(2). Abbildung 63

MICHAEL WENING, Statt Reichenhall, in: DERS.: Historico

Ň370

topographica descriptio […] Bd. 1. München 1701, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-1. Abbildung 64

MICHAEL WENING, Statt Traunstain, in: DERS.: Historico

Ň371

topographica descriptio […] Bd. 1. München 1701, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-1. Abbildung 65

CONRAD BUNO, Rosstrap auff dem Hartz, waraus ein dop-

Ň378

pelt Echo zu hören, in: MATTHAEUS MERIAN DER ÄLTERE/MARTIN ZEILLER:

Topographia und Eigentliche Be-

schreibung Der Vornembsten Stäte, Schlösser auch anderer Plätze und Öerter in denen Hertzogthümern Braunschweig und Lüneburg […]. Frankfurt a. M. 1654, nach S. 178, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel A: 6.11.1 Geogr. 2°. Abbildung 66

CONRAD BUNO, Eingang der Bumans Höhle auff dem Hartz, in: MATTHAEUS MERIAN DER ÄLTERE/MARTIN ZEILLER: Topographia und Eigentliche Beschreibung Der Vornembsten Stäte, Schlösser auch anderer Plätze und Öerter in denen Hertzogthümern Braunschweig und Lüneburg […]. Frankfurt a. M. 1654, nach S. 30, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel A: 6.11.1 Geogr. 2°.

Ň379

A BBILDUNGEN

Abbildung 67

UND

TABELLEN Ň 427

CONRAD BUNO, Das Inwendige theil der Bumans Höhle

Ň381

mit sehr grossen Steinklippen, in: MATTHAEUS MERIAN DER ÄLTERE/MARTIN ZEILLER:

Topographia und Eigentli-

che Beschreibung Der Vornembsten Stäte, Schlösser auch anderer Plätze und Öerter in denen Hertzogthümern Braunschweig und Lüneburg […]. Frankfurt a. M. 1654, nach S. 30, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel A: 6.11.1 Geogr. 2°. Abbildung 68

MATTHÄUS MERIAN D. Ä., Wildenstein vestung, in: DERS.

Ň384

/MARTIN ZEILLER: Topographia Sveviae […]. Frankfurt a. M. 1643, nach S. 218, Bayerische Staatsbibliothek München Hbks/E 30-3/4. Abbildung 69

MICHAEL WENING, Schloß Zangberg, in: DERS: Historico

Ň396

topographica descriptio […] Bd. 3. München 1723, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-3. Abbildung 70

MICHAEL WENING, Herrschafft und Schloß Hochen

Ň397

Aschau wie solches von Mittag gegen Mitternacht anzusehen ist, in: DERS: Historico topographica descriptio […] Bd. 2. München 1721, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-2. Abbildung 71

MICHAEL WENING, Schloß Taufkirchen [von Süden], in:

Ň398

DERS: Historico topographica descriptio […] Bd. 3. München 1723, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-3. Abbildung 72

MICHAEL WENING, Schloß Taufkirchen [von Norden], in:

Ň399

DERS: Historico topographica descriptio […] Bd. 3. München 1723, Staatliche Bibliothek Passau S/Se (b) 4-3.

Tabelle 1

Stadtbrände in der Regensburger Chronistik (Gemeiner,

Ň286

Gumpelzhaimer) vor Erscheinen der Zeiller-Topografie Tabelle 2

Seuchen in der Regensburger Chronistik (Gemeiner, Gum-

Ň289

pelzhaimer) vor Erscheinen der Zeiller-Topografie Tabelle 3

Hochwasser in der Regensburger Chronistik (Gemeiner,

Ň290

Gumpelzhaimer) vor Erscheinen der Zeiller-Topografie Tabelle 4

URSULA SCHLUDE, Klassifizierung von Textsorten, in denen am kursächsischen Hof um 1570 das Thema Landwirtschaft wahrgenommen bzw. bearbeitet wurde, in: DIES: Naturwissen und Schriftlichkeit. Warum eine Fürstin des 16.

Ň340

428 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT Jahrhunderts nicht auf den Mont Ventoux steigt und die Natur exakter begreift als die „philologischen“ Landwirte, in: SOPHIE RUPPEL/ALINE STEINBRECHER (HG.): „Die Natur ist überall bey uns“. Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit. Basel 2009, S. 95–108, hier: S. 100.

Die zitierten Abbildungen aus CAMENA und wikicommons unterliegen der Creative-Commons-Lizenz Attribution-ShareAlike 3.0 Unported.

Quellen und Literatur

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G EDRUCKTE

UND DIGITAL ZUGÄNGLICHE

Q UELLEN

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430 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

DERS.: Theatrum Europaeum, oder außführliche und warhafftige Beschreibung aller und jeder denckwürdiger Geschichten, so sich hin und wieder in der Welt, fürnemblich aber in Europa und Teutschlanden, sowol im Religion- als Prophan-Wesen, vom Jahr Christi […] biß auff das Jahr […] exclus. […] sich zugetragen. Theatri Europaei, Das ist: Historischer Chronick, Oder Wahrhaffter Beschreibung aller fürnehmen und denkwürdigen Geschichten, so sich hin und wider in der Welt, meisten theils aber in Europa, von […] 1629. bis auff das Jahr 1633. zugetragen / Zusammen getragen durch Joann. Philippum Abelinum. Bd. 2, Frankfurt a. M. 1646 [Online-Ausgabe UB Augsburg: urn:nbn:de:bvb: 384-uba000237-1, Stand: 05.03.2011]. AGRICOLA, GEORG/SCHIFFNER, CARL: Vom Berg- und Hüttenwesen. Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen 1556 [ND München 1980]. ALBINUS, PETRUS: Commentarius novus de Mysnia, oder, Newe Meysnische chronica. Wittenberg 1580 [Online-Ausgabe: The Making of the Modern World. Gale 2010. Gale, Cengage Learning. Bayerische Staatsbibliothek Muenchen. 03 February 2010 http://galenet.galegroup.com/servlet/MOME?af=RN&ae=U36 10679822 &srchtp=a&ste=14. Stand: 06.12.2011]. APIAN, PHILIPP: Declaratio tabulae sive descriptionis Bavariae a Phil. Apiano confectae et editae. D. M. E. CHRISTO SACR., in: HISTORISCHER VEREIN VON OBERBAYERN (HG.): Philipp Apian’s Topographie von Bayern und bayerische Wappensammlung. Zur Feier des siebenhundertjährigen Herrscherjubiläums des erlauchten Hauses Wittelsbach herausgegeben von dem Historischen Vereine von Oberbayern (Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 39). München 1880, S. 1–469. BERTIUS, PETRUS: Commentarii rerum Germanicarum |Commentariorum rerum Germanicarum libri tres |primus est Germaniae veteris, secundus, Germaniae posterioris, a Karolo Magno ad nostra usq[ue] tempora, cum Principum Genealogys, tertius est praecipuarum Germaniae Urbium cum earum Iconismis et Descriptionibus. Amsterdam 1616. [Online-Ausgabe: http://www.uni-mann heim.de/mateo/camenaref/ bertius1.html, Stand: 13.10.2011]. BIRKEN, SIGMUND VON: Der Donau-Strand mit Allen seinen Ein-und Zuflüssen / angelegenen Königreichen / Provinzen / Herrschaften und Städten / auch dererselben Alten und Neuen Nahmen / vom Ursprung bis zum Ausflusse. In dreyfacher Land Mappe vorgestellet auch samt kurzer Verfassung einer Hungar- u. Türkischen Chronik. Nürnberg 1664 [Online-Ausgabe BSB München: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12bsb10404913-2, Stand: 16.12.2011]. BODENEHR DER ÄLTERE, GABRIEL: Europens Pracht und Macht in 200 KupferStücken worinnen nicht nur allein die Berühmtest und Ansehnlichste sondern auch andere Stätte, Festungen, Schlösser, Klöster, Pässe, Residentien, Palläste, Wasserfälle pp. dieses Volckreichen Welttheils vermittelst anmuthiger und eigentlicher Prospecte Sambt kurze geographischer Beschreibung zu sonderm

Q UELLEN UND LITERATUR Ň 431

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432 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

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Q UELLEN UND LITERATUR Ň 433

und der selbsteigenen Erfahrung getreulich aufgesetzt. Nach dem Tode des Autoris aber / aus dessen eigenhändigem Manuscripto herausgegeben / und mit einer neuen und accuraten Land-Carte versehen (Preußen unter Nachbarn. Studien und Quellen 3). Königsberg 1722 [ND Frankfurt a. M. u. a. 2002]. HAZZI, JOSEPH VON: Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern. Aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde, Bd. 1. Nürnberg 1801. DERS.: Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern. Aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde, Bd. 2/1. Nürnberg 1802. DERS.: Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern. Aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde, Bd. 3/1. Nürnberg 1803. DERS.: Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern. Aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde, Bd. 3/3. Nürnberg 1804. HUFELAND, CHRISTOPH WILHELM: Makrobiotik oder die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Leipzig 1905. KLEINER, SALOMON: Das florierende Wien. Vedutenwerk in vier Teielen aus den Jahren 1724-37. Mit einem Nachwort von Elisabeth Herget (Bibliophiles Taschenbuch 104). Dortmund 1979. KÖNIGLICHES MINISTERIAL-FORSTBUREAU: Die Forstverwaltung Bayerns beschrieben nach ihrem dermaligen Stande. München 1861. LASOR A VAREA: Universus Terrarum Orbis 1713. http://www.staatliche-bibliothekpassau.de/staadi/nid/370.html, Stand: 04.08.2011. LAZIUS, WOLFGANG/ABERMANN, HEINRICH: Historische Beschreibung der weitberümbten, Kayserlichen Hauptstatt Wienn in Österreich, darin derselben vrsprung Adel, Obrigkait vnd geschlächter außführlich erklärt werden 1619. [Online-Ausgabe: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/drwlazius1619, Stand: 27.05.2011]. LUCA, IGNAZ DE: Topographie von Wien, Bd. 1. Wien 1794 [Online-Ausgabe BSBMünchen: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bv b:12-bsb10010389-4, Stand: 16.08.2011]. MARSCH, ANGELIKA (HG.): Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/37 von seinem Ritt von Neuburg a.d. Donau über Prag nach Krakau und zurück über Breslau, Berlin, Wittenberg und Leipzig nach Neuburg, Faksimileband. Weissenhorn 2001. MARSIGLI, LUIGI FERDINANDO: Danubius Pannonico-mysicus observationibus geographicis, astronomicis, hydrographicis, historicis, physicis perlustratus et in sex tomos digestus. Den Haag 1726. DERS.: Description du Danube depuis la Montagne de Kalenberg en Autriche, jusqu’au confluent de la rivière Jantra dans la Bulgarie: Contenant des Observation

434 Ň DIE N ATUR DER MENSCHLICHEN W ELT

geographiques, astronomiques, hydrographiques, historiques et physiques, 6 Bde. La Haye 1744. MELCHINGER, JOHANN WOLFGANG (HG.): Geographisches Statistisch-Topographisches Lexikon von Baiern oder vollständige alphabetische Beschreibung aller im ganzen Baiernschen Kreis liegenden Städte, Klöster, Schlösser, Dörfer, Flecken, Höfe, Berge, Thäler, Flüsse, Seen, merkwürdiger Gegenden u. s. w. mit genauer Anzeige von deren Ursprung, ehemaligen und jetzigen Besitzern, Lage, Anzahl und Nahrung der Einwohner, Manufakturen, Fabriken, Viehstand, merkwürdigen Gebäuden, neuen Anstalten, vornehmsten Merkwürdigkeiten, u. s. w. Ulm 1796-1797. MERIAN DER ÄLTERE, MATTHAEUS: Brief an Peter Knaudt (in Köthen), Frankfurt, 3. März 1646, in: LUCAS HEINRICH WÜTHRICH (HG.): Matthaeus Merian der Ältere. Briefe und Widmungen. Hamburg 2009, S. 106–109. DERS.: Brief an Peter Knaudt (in Köthen), Frankfurt, 5. September 1645, in: LUCAS HEINRICH WÜTHRICH (HG.): Matthaeus Merian der Ältere. Briefe und Widmungen. Hamburg 2009, S. 90–93. DERS.: Widmung: Topographia Helvetiae, Rhaetiae, et Valesiae. Das ist Beschreibung unnd eygentliche Abbildung der vornehmsten Stätte und Plätze in der Hochlöblichen Eydgnoßschafft/ Graubünden/ Wallis/ und etlicher zugewandten Orthen. Frankfurt a. M. 1654 [ND Braunschweig 2005], S. 5–9. DERS./MARTIN ZEILLER: Topographia Bavariae. Das ist Beschreib- und Aigentliche Abbildung der Vornemsten Stätt und Orth in Ober- und Nieder Beyern, Der Obern Pfaltz Und andern Zum Hochlöblichen Bayrischen Craiße gehörigen Landschafften. Frankfurt a. M. 1657 (zuerst 1644) [ND Braunschweig 2005]. DIES.: Topographia Provinciarum Austriacarum. Austriae Styriae/Carinthiae, Carniolae/Tyrolis etc. Das ist Beschreibung und Abbildung der fürnembsten Stätt Und Plätz in den Osterreichischen Landen Under und Ober Osterreich / Steyer / Kärndten / Crain und Tyrol. An tag gegeben Und verlegt Durch Matthaeum Merian In Franckfurt am Mayn 1649. Frankfurt a. M. 1649 [ND Kassel, Basel 1963]. DIES.: Topographia Superioris Saxoniae/Thüringiae/Misniae/Lusatiae etc.: Das ist Beschreibung der Vornembsten und Bekantesten Stätt / und Plätz / in Churfürstenthum Sachsen / Thüringen / Meissen / Ober und Nider-Lausitz und einverleibten Landen; auch in andern zu dem Hochlöblichsten Sächsischen Craise gehörigen Fürstentumen (außer Brandenburg und Pommern) […]. Frankfurt a. M. 1650 [ND Braunschweig 2005]. DIES: Topographia Sveviae. Das ist Beschreib- und Aigentliche Abcontrafeitung der fürnembsten Stätt und Plätz in Ober- und Nider Schwaben, Hertzogthum Würtenberg, Marggraffschaft Baden und andern zu dem Hochlöbl. Schwabischen Craiße gehörigen Landtschafften und Orten. Frankfurt a. M. 1643 [ND Braunschweig 2005].

Q UELLEN UND LITERATUR Ň 435

DIES.: Topographia und Eigentliche Beschreibung Der Vornembsten Stäte, Schlösser auch anderer Plätze und Öerter in denen Hertzogthümern Braunschweig und Lüneburg und denen dazu gehörenden Graffschafften, Herrschafften und Landen. Frankfurt a. M. 1654 [ND Braunschweig 2005]. MONTAIGNE, MICHEL DE: Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581. Übersetzt, herausgegeben und mit einem Essay versehen von Hans Stillet. Frankfurt a. M. 2002. MÜNSTER, SEBASTIAN: Cosmographia. Beschreibung aller Lender durch Sebastianum Munsterum in wölcher begriffen. Aller völcker / Herrschaften / Stetten / und namhafftiger flecken / härkommen: Sitten / gebreuch / ordnung / glauben / secten / und hantierung / durch die gantze welt / und fürnemblich Teütscher nation. Was auch besunders in iedem landt gefunden / und darin beschehen sey. Alles mit figuren und schönen landttafeln erklärt / und für augen gestelt. Weiter ist dise Cosmographei durch gemelten Sebast. Munst. allenthalben fast seer gemeret und gebessert / auch mit eim zuogelegten Register vil breuchlicher gemacht. Basel 1545 [Erstausgabe: Basel 1544; Online-Ausgabe der ULB Düsseldorf: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:061:1-4685, Stand: 16.12.2011]. DERS.: Cosmographia. Das ist: Beschreibung der gantzen Welt / Darinnen Aller Monarchien / Königreichen / Fürstenthumben / Graff- und Herrschaften / Länderen / Stätten und Gemeinden; wie auch aller Geistlichen Stifften / Bisthumben / Abteyen / Klöstern / Ursprung / Regiment / Reichthumb / Gewalt und Macht / Verenderung / Auff- und Abnehmen / zu Fried-und Kriegszeiten / sampt aller ubrigen Beschaffenheit […], Bd. 2. Basel 1628 [ND Lahnstein 2007]. ORTELIUS, ABRAHAM: Theatrum oder schawplatz des erdbodens. Wolfenbüttel 1572 [Online-Ausgabe HAB Wolfenbüttel: http://diglib.hab.de/drucke/2-1-1-geogr2f/start.htm?image=00011, Stand: 01.12.2010]. Parnassus Boicus oder Neu-eröffneter Musen-Berg / Worauff Verschiedene Denckund Leßwürdigkeiten auß der gelehrten Welt / zumahlen aber auß denen Landen zu Bayrn / abgehandlet werden. Erste Unterredung. München 1722. PICCOLOMINI, AENEAS SILVIUS DE: Historia Australis. Österreichische Geschichte (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 44). Darmstadt 2005. PLOENNIES, ERICH PHILIPP: Topographia Ducatus Montani (1715) (Bergische Forschungen 20). Neustadt/Aisch 1988. PTOLEMAIOS, KLAUDIOS: Handbuch der Geographie. Basel 2006. RANTZAU, HEINRICH/MEIER, ALBERT: Verfahren zur Beschreibung von Ländern, Städten und befestigten Plätzen…, in: MOHAMMED RASSEM/JUSTIN STAGL (HG.): Geschichte der Staatsbeschreibung. Ausgewählte Quellentexte 14561813. Berlin 1994, S. 169–181. REIFFENSTUELL, IGNAZ: Vienna Gloriosa, Id Est Peraccurata & Ordinata Descriptio Toto Orbe Celeberrimae Caesareae Nec Non Archiducalis Residentiae Viennae

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Q UELLEN UND LITERATUR Ň 437

Perlen, Saltz See, Fischereyen, Waldungen und Jagdbarkeiten, wie auch anderen merckwürdigen Historien, so sich von einer zur anderer Zeit zugetragen haben, nicht allein außführlich beschriben, sondern auch durch beygefügte Kupffer der natürlichen Situation nach entworffner vorgestellt werden, so Von Michael Wening, Churfürstl. Portier und Kupferstecher in loco delinirter ins Kupfer gegeben worden und allda zu finden ist …, Bd. 1. München 1701 [ND München 1974]. DERS.: Historico topographica descriptio, das ist Beschreibung deß Churfürstenund Hertzogthumbs Ober- und Nidern-Bayrn, welches in 4 Theil oder Renntämbter als Oberlandts München und Burgkhausen, Underlands aber in Landshuet und Straubing abgetheilt ist […], Bd. 2. München 1721 [ND München 1975]. DERS.: Historico topographica descriptio, das ist Beschreibung deß Churfürstenund Hertzogthumbs Ober- und Nidern-Bayrn, welches in 4 Theil oder Renntämbter als Oberlandts München und Burgkhausen, Underlands aber in Landshuet und Straubing abgetheilt ist […], Bd. 3. München 1723 [ND München 1976]. DERS.: Historico topographica descriptio, das ist Beschreibung deß Churfürstenund Hertzogthumbs Ober- und Nidern-Bayrn, welches in 4 Theil oder Renntämbter als Oberlandts München und Burgkhausen, Underlands aber in Landshuet und Straubing abgetheilt ist […], Bd. 4. München 1726 [ND München 1977]. WESTENRIEDER, LORENZ VON: Beschreibung der Haupt- und Residenzstadt München im gegenwärtigen Zustande. München 1782. WINTER, JOHANN: Ioannis Guintherij Andernaci Medici Commentarius De Balneis, & aquis medicatis in tres Dialogos distinctus Argentorati 1565. [VD16 W 3536], Straßburg 1565. [Online-Ausgabe: http://daten.digitale-sammlungen.de /bsb00015799/image_1, Stand: 29.09.2011. ZEDLER, JOHANN HEINRICH: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbesset worden. Darinnen so wohl die Geographisch-Politische Beschreibung des Erd-Kreyses, ... Wie nicht weniger die völlige Vorstellung aller in den Kirchen-Geschichten berühmten Alt-Väter [...], Endlich auch ein vollkommener Inbegriff der allergelehrtesten Männer ... enthalten ist, 64 Bde. und 4 Supplemente. Halle [u.a.] 1732-1754 [Online-Ausgabe: http://www. zedler-lexikon.de, Stand: 11.12.11]. ZEILLER, MARTIN: Itinerarii Germaniae Nov-antiquae Compendium. Das ist Teutschlandes neu-verkürtztes Raisebuch […]. Ulm 1662.

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Michael März Linker Protest nach dem Deutschen Herbst Eine Geschichte des linken Spektrums im Schatten des ›starken Staates‹, 1977-1979 2012, 420 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2014-6

Patrick Ostermann, Claudia Müller, Karl-Siegbert Rehberg (Hg.) Der Grenzraum als Erinnerungsort Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa 2012, 266 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2066-5

Carola S. Rudnick Die andere Hälfte der Erinnerung Die DDR in der deutschen Geschichtspolitik nach 1989 2011, 770 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1773-3

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